MEDIENSPIEGEL 5.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- (St)Reitschule: Cafete besetzt Cafete und das Sommerloch
- Stadttauben besetzen weiter
- Straf-Bars in Berner Wäldern
- Big Brother: Fichenquatsch schon früh bekannt
- Ausschaffungen: Kritik vom Roten Kreuz
- Sempach: Nazis marschieren; Antifa klaut Gedenkkranz
- Anti-Atom: Tiefenlager-Standorte

----------------------
REITSCHULE
----------------------

Mo 05.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.30 Uhr -  Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das Musical zum Musical von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard

Di 06.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Mi 07.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Do 08.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter   elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ Xylophee, DJ Dunch, DJ FRATZ, Isabelle, Mike, Nadja & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Kino - Südafrika jenseits des WM-Taumels: Invictus Clint Eastwood, USA 2009

Fr 09.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Sa 10.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
21.00 Uhr - Kino - Velo Filmabend - Premiere! Flat out CH/FR 2010 Kamera & Regie: Renaud Skyronka
22.00 Uhr - Kino - Quicksilver USA 1986, 105 Min.

So 11.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

---

kulturstattbern.derbund.ch 5.7.10

Von Manuel Gnos am Montag, den 5. Juli 2010, um 06:45 Uhr

Kulturbeutel 27/10

(...)

Ron Orp empfiehlt:
Im Tojo gibt es das Musical zum Musical des Sommers, zum "Dällebach Kari", zu sehen. In "Die Dällebach-Macher" wird uns vorgeführt, wie die Geschichte des Coiffeurmeisters broadwaytauglich gemacht und die tragische Figur zum Musical-Star wurde. Zudem: Nutzen Sie das Entspannungspotential beim Schlemmen unter den alten Kastanienbäumen des Restaurant Zebra - man weiss nie, wie lange das Wetter das Dinieren im lauschigen Garten noch zulässt.
-> Ron Orp - deine tägliche Inspiration

---

Sonntagszeitung 4.7.10

Diebstahl, Flucht und Liebe

 Der Fotoroman über einen Bilderraub in Bern endet im Bett

 Eine Auftragsdiebin klaut im Berner Kunstmuseum einen Hodler und soll ihn nach Genua bringen. Das klappt nur über Umwege der Geografie - und des Herzens. Der Fotoroman "Ein langer Weg zum grossen Glück" der Künstlerin Urslé von Mathilde und der Fotografin Manu Friedrich ist Gangster-Thriller und Lesben-Lovestory zugleich. Erhältlich an der Vernissage am 9. 7. in der Reitschule Bern oder online für 19.90 Franken. Romantico!  (STH)
http://www.herausgeber.ch

----------------------------------
(ST)REITSCHULE
-----------------------------------

derbund.ch 5.7.10
http://www.derbund.ch/bern/Reitschule-Wird-die-Cafete-geschlossen/story/24216833 (mit Fotos)

Reitschule: Wird die "Cafete" geschlossen?

Dies, weil es unmöglich gewesen sei, sich mit dem Betreiberteam "auf minimale Abmachungen" zu einigen, wie die Reitschüler in der Berner Zeitung sagen.

Laut einem Veranstalter, der regelmässig Parties in der "Cafete" organisiert hatte, ist die Situation im kleinen Lokal immer mehr eskaliert. Es sei zu Messerstechereien gekommen, wie er gegenüber TeleBärn erzählt. Der junge Mann, der anonym bleiben will, hat daher bereits vor einigen Monaten seine Tätigkeit als Party-Organisator an den Nagel gehängt.

Unbekannte hätten die Partygäste zudem mit Pfeffersprays angegriffen. Im kleinen Raum sei daraufhin Panik ausgebrochen, erzählt der ehemalige Veranstalter weiter.

(vh)

Mehr Infos
TeleBärn: News ab 18 Uhr.

---

BZ 5.7.10
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Ein-Teil-der-Reitschule-ist-besetzt-/story/27784133

Ein Teil der Reitschule ist besetzt

 Die Vollversammlung will die Cafeteria in der Reitschule schliessen. Die Betreiber protestierten mit einer Besetzung.

 Interner Zoff im Berner Kulturzentrum Reitschule: Die Vollversammlung hatte entschieden, die Cafeteria zu schliessen und eine neue Nutzung für die Räume zu suchen. Dies, weil es unmöglich gewesen sei, sich mit dem Betreiberteam "auf minimale Abmachungen" zu einigen, wie die Reitschüler sagen. Weil aber die "Cafete"-Betreiber diesen Entscheid nicht akzeptiert hätten, habe man die Türen schliesslich blockiert.

 Am Wochenende kehrten die "Cafete"-Betreiber zurück und besetzten den Raum für eine Solidaritätsparty. Auf dem Trottoir wurde Mobiliar in Brand gesteckt. Dies bestätigten Reitschüler auf Anfrage. Von der Mediengruppe nahm bis Redaktionsschluss niemand zum weiteren Vorgehen Stellung.
 mm

---

Indymedia 2.7.10

Cafeteria der Reitschule Bern ::

AutorIn : Cafeteria Reitschule Bern         

Widerstand gegen die Schliessung der Cafeteria der Reitschule Bern

Trotz widersprüchlichen Aussagen und Zusicherungen, soll die Cafeteria der Reitschule Bern geschlossen werden.
Die Türen wurden blockiert und das Inventar wurde im Morgengrauen des 27.06.2010 versteckt.
Das Cafeteria-Team ist sehr enttäuscht über diese Vorgehensweise.

Was in Zukunft aus dem Raum werden soll, ist noch unklar. Diverse Ideen wie Materiallager oder Backstageraum bei Grossanlässen stehen im Raum.

Die Cafeteria war, bis zur letzten Stunde, ein autonomer Begegnungsort für ein breit gefächertes Publikum. Eine Plattform für urbane Künstler aus diversen Bereichen, ein Ort der Begegnung, wird von der Bildfläche verschwinden.

SO NICHT!
Ein sporadisch genutzter Raum ersetzt keine Kulturstätte!

Aus diesem Anlass findet bei der Cafeteria, am Freitag (02.07.2010) bis am ? (??.??.2010), eine ungezwungene "Soliparty” statt. Eingeladen sind natürlich - wie immer - alle Leute.

Um zahlreiches Mitmachen wird gebeten!

Ein motiviertes Team wird zugunsten einer Besenkammer auf die Strasse gestellt.
In einem einst besetzten Haus autonomer Kulturgeschichte ist dieser Entscheid unverständlich. Die Cafeteria hat sich stets bemüht auch noch zu später Stunde möglichst vielen unterschiedlichen Leuten einen Platz zu bieten - auch jenen, welche anderorts nicht ins Bild passten. Über all die Jahre gab es viele gute Momente, es wurden tolle Feste gefeiert. Es gab auch schwierige Situationen, welche es zu entschärfen galt. Es gab zu reden, es sei lärmig - es ist ein Ort voller Leben. Dieser Ort wird "eventuell” mit all seinen guten und schlechten Seiten verschwinden - das alt bekannte Vorgehen der Politik, wenn es nicht ins Bild passt und nicht nach ihrem Gutdünken tanzt!

In diesem Sinne. Bis später! ;)

--

Inhaltliche Ergänzungen:

Warum die Cafeteria in der Reitschule geschlossen ist

Die Vollversammlung der Reitschule hat entschieden, die Cafeteria zu schliessen und eine neue Nutzung für die Räumlichkeiten zu suchen. Diesen Entscheid, die Cafeteria zu schliessen, haben sich die BetreiberInnen der Reitschule nicht einfach gemacht und er fiel erst, nachdem in den letzten Jahren alle Versuche gescheitert sind, sich mit den BetreiberInnen der Cafeteria auf minimale Abmachungen zu einigen.

Was bleibt ist die Enttäuschung darüber, dass die Cafeteria-BetreiberInnen sich nicht an den Reitschule-Strukturen beteiligt haben, und dass sie es ihnen nicht gelungen ist, die Anforderungen, welche die Reitschule an sie stellte, umzusetzen. Auch nicht, als an einer Vollversammlung im Frühling 2009 entschieden wurde, der Cafeteria eine letzte Chance zu geben. Daraufhin präsentierten die Cafeteria-BetreiberInnen der VV ein neues Betriebskonzept.

Geändert hat sich seither leider wenig. Die Cafeteria hat ihr Konzept nicht umgesetzt und sie haben sich nicht an die getroffenen Vereinbarungen gehalten. Konkret hat sich die Cafeteria kaum an den Reitschule Sitzungen beteiligt, wo das Zusammenleben und -arbeiten in der Reitschule koordiniert und organisiert wird. Die Abmachungen betreffend Öffnungszeiten und Lärm(-schutz) wurden nie eingehalten. Rechnungen gegenüber der Reitschule und gegenüber Dritten wurden nur selten beglichen. Dasselbe galt auch für die (sehr tiefe) monatliche Miete auf das gemeinsame Konto der Reitschule, was über die letzten Jahren zu einem Schuldenberg von rund 30'000 Franken führte. Mit der regelmässigen Rückzahlung der Schulden, wie dies die Cafeteria mehrfach versprochen hatte, wurde nie begonnen. Der Reitschule wurde kein Einblick in die Buchhaltung gewährt, obwohl das eine Bedingung ist, die für alle Arbeitsgruppen gilt.

Beim Entscheid zur Schliessung geht es jedoch nicht in erster Linie um das Geld von der Cafeteria, das in der Reitschule-Kasse fehlt, sondern um das fehlende Vertrauen in die BetreiberInnen und mangelnde Kooperationsbereitschaft und Rücksichtnahme auf das gemeinsame Projekt Reitschule sowie auf die NachbarInnen. Weil diese Situation schon seit Jahren so bestanden hat und sich trotz Bemühungen der Reitschule nichts Wesentliches verbessert hat, ist von Seiten der Reitschule-BetreiberInnen mit der Schliessung der Cafeteria ein "Schlussstrich" gezogen worden.

Für die regelmässigen Gäste der Cafeteria, die den Betrieb geschätzt und genutzt haben, tut es uns leid, dass sie ihren Treffpunkt verloren haben. Wir hoffen jedoch, dass sie zumindest ein wenig Verständnis für den Entscheid der Reitschule aufbringen können.

Weiter möchten wir festhalten, dass die Angebote innerhalb der Reitschule und die Nutzung der verschiedenen Räume nicht auf alle Ewigkeit festgeschrieben sind. So wechselten in den 23 Jahren "Reitschule Bern" viele Räume ihre Nutzung, immer entsprechend den Ideen und Bedürfnissen der ReitschülerInnen. Das soll auch in Zukunft so bleiben.

Im Moment starten die Diskussionen um die zukünftige Nutzung der ehemaligen Räumlichkeiten der Cafeteria und ein "Projektwettbewerb" ist lanciert worden. Sobald ein Entscheid gefällt ist, werden wir darüber informieren.

ReitschülerInnen
29. Juni 2010


AutorIn: ReitschülerInnen

----------------------------
STADTTAUBEN
-----------------------------

bernerzeitung.ch 5.7.10

"Stadttauben" besetzen ein weiteres Grundstück

Die Wohnwagen der "Stadttauben" sorgen einmal mehr für Aufsehen und rote Köpfe: Stadtbauten Bern hat am Donnerstag, 1. Juli erfahren, dass ein weiteres Grundstück von den Reisenden besetzt worden ist.

Die Gruppe von Wohnwagenbesitzern hat sich am Niederriedweg bei Matzenried niedergelassen, teilt Stadtbauten Bern mit. Die Besetzer wurden laut Angaben ultimativ aufgefordert, das Gelände bis am Montag, 12. Juli um 8 Uhr zu räumen.

Die Kantonspolizei Bern wurde informiert und weitere Schritte werden, falls notwendig, eingeleitet, schreibt Stadtbauten Bern in einer Medienmitteilung.

"Das Verhalten der ‹Stadttauben› ist inakzeptabel"

Einem stossen die Grundstückbesetzer besonders übel auf. SVP-Grossrat Thomas Fuchs findet, dass das Verhalten der Stadttauben inakzeptabel sei. Er fordert zusammen mit BernAktiv ein sofortiges Handeln vom Berner Polizeidirektor Reto Nause und die Erstattung von Strafanzeigen. (sgl/pd)

---

Bund 5.7.10

Stadttauben in Matzenried

 Am Niederriedweg bei Matzenried (Gemeinde Bern) haben sich offenbar die Stadttauben mit ihren Wohnwagen niedergelassen. Die SVP Bümpliz fordert die Räumung des Areals. Laut Präsident Thomas Fuchs soll es sich beim besetzten Areal um einen jener vier Standorte handeln, die der Gemeinderat zur Schaffung einer "Zone für Wohnexperimente" prüft. "Das besetzte Gebiet wurde den Stadttauben offenbar von der Stadt Bern zugeteilt", folgert Fuchs. (bob)

---

bernaktuell 5.7.10

Pressemitteilung vom 5. Juli 2010

Das Verhalten der "Stadttauben" ist inakzeptabel!

Vereinigung BernAktiv und SVP Bümpliz und Umgebung fordern die sofortige Räumung der Stadttauben auf dem Areal am Niederriedweg in Matzenried (Gemeinde Bern)

Das Verhalten der "Stadttauben" ist inakzeptabel! Auf die gewohnt unfreundliche Art und Weise haben sich die Stadttauben illegal im Westen von Bern niedergelassen und die Nachbarschaft weder angefragt noch informiert.

Die "Stadttauben", eine Gruppe von zirka 15 jungen Menschen, belästigt die Stadt Bern bereits seit vielen Jahren. Mit ihren abgewrackte Baustellenwagen und ausgemusterten Wohnwagen "wohnten" sie bereits im Neufeld und besetzten dann z.B. auch die Kiesgrube an der Murtenstrasse oder die Schrebergärten beim Wankdorf, dann ein Areal am Centralweg und letztlich ein Gelände in Bümpliz, wo sogar Anwohner tätlich angegriffen wurden. Sämtliche hygienischen Vorschriften werden dabei jeweils missachtet.

Die Vereinigung BernAktiv und die SVP Bümpliz sind empört, dass die Stadt Bern diesem illegalen Treiben bereits seit Jahren tatenlos zuschaut und verlangt erneut eine genaue Personenkontrolle aller Besetzer, die Kontrolle der genutzten Fahrzeuge auf deren Fahrtauglichkeit und Einhaltung der Umweltvorschriften und deren allfällige Beschlagnahmung sowie die Auferlegung sämtlicher Kosten im Zusammenhang mit der Besetzung.

Einmal mehr werden Randständige in den Westen Berns abgeschoben, in der Hoffnung hier sei die politische Empörung am kleinsten. Das besetzte Gebiet wurde den Stadttauben offenbar von der Stadt Bern zugeteilt, obwohl die Zone klar illegal ist und trotz klarem Volksentscheid gegen Hüttendorfzonen. Ungeachtet dessen hat der Gemeinderat die erneute Prüfung von solchen Zonen in Prüfung gegeben und will nun offenbar mit der Zuteilung Druck machen.

Die Vereinigung BernAktiv und die SVP Bümpliz erwarten von Polizeidirektor Reto Nause ein sofortiges Handeln und die Erstattung von Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen bei den Stadttauben und auch gegenüber allfälligen städtischen Behörden oder Politikern, welche sich klar über geltendes Recht hinwegsetzen. Das Strassenverkehrsamt wird aufgefordert betreffend den eingelösten Traktoren und Bauwagen aktiv zu werden.

VEREINIGUNG BERNAKTIV sowie SVP Bümpliz und Umgebung
Thomas Fuchs, Grossrat und Präsident, 079 302 10 09

------------------------
STRAF-BAR
------------------------

Bund 5.7.10

Waldpartys Fast jedes Sommerwochenende finden in Berner Stadtwäldern etliche Partys statt. Illegal, klandestin - und trotzdem mordslaut.

 Bumbumbum im Unterholz

Christoph Lenz

 Die Tanzfläche ist weich wie ein Nadelkissen. Und so dunkel, dass man kaum seinen Nächsten erkennt. Deshalb muss man jetzt gut achtgeben auf die Wurzeln, die vor dem DJ-Pult aus dem Boden ragen. Äste, Baumstrünke, Feuerstellen - es gibt einige Stolperstellen auf dieser Waldlichtung im Steinhölzliwald, die gerade der geheime Mittelpunkt der Berner Partyszene ist. Hier steigt in dieser Samstagnacht der Fuchsbrunnen-Rave II, der "technoärmste Rave seit der Mayday", wie im Internet versprochen wurde. Ein verschworenes Grüppchen, vielleicht 100 Seelen, ist gekommen, um die Nacht durchzufeiern. Und weil die Nacht noch ewig dauert, passt man jetzt gescheiter auf, wo man hintritt. Hoppla, schon wieder eine Wurzel.

 Beinahe jedes Sommerwochenende ziehen Hunderte Berner Jugendliche in die Stadtwälder um Waldpartys zu feiern. Veranstalter karren freitags und samstags ihre mobilen DJ-Pulte, Soundanlagen und Bars ins Unterholz. Dann laden sie via Facebook, Twitter oder SMS ihre Freunde ein. Wenige Stunden später brummt der Wald. Bumbumbumbum unter Buchen, Eichen und Erlen. Einer der Hotspots ist der Glasbrunnen im Bremgartenwald. An Freitag- und Samstagabenden ist er etwa so stark frequentiert wie eine "Schweizer Familie"-Grillstelle am Sonntagmittag. Das mussten auch die Veranstalter des Fuchsbrunnen-Raves erfahren. Als sie vorletztes Wochenende beim Glasbrunnen vorfuhren, hatte sich hier bereits eine Goa-Party breitgemacht. So verlegten sie ihr Fest spontan auf einen nahen Spielplatz. Keine grosse Sache. Im Wald gibts Platz genug für alle.

 Vier Damen sitzen auf einem gefällten Baum. Wie ein Joint geht ein kleines Fläschchen durch die Runde. Ein süsslicher Geruch wabert durch die Luft. Nein, natürlich keine Drogen: Anti-Brumm, das ist der Duft der Freiheit. Derweil läuft die Bar, die in einem Veloanhänger untergebracht ist, wie geschmiert. Bier gibts für drei Franken, gespritzten Weisswein für vier, Pastis für fünf und Mixgetränke für sechs. Wer wollte bei solchen Preisen schon geizig sein. Bereits nach einer knappen Stunde geht das Bier aus. Ein Mann greift sich einen Einkaufswagen und stösst ihn in den dunklen Wald. Nachschub holen.

 Früher war das anders. Die Jugend feierte in stillgelegten Industriehallen, unter S-Bahn-Brücken oder in besetzten Häusern. Doch diese Räume sind heute belegt. In den Industriehallen wohnen Yuppies. Die illegalen Bars wurden ausgehoben. Besetzte Häuser sind ziemlich aus der Mode. Was bleibt da noch übrig für die Jugend, die sich ihre eigenen Räume nehmen will? Zuhause bleiben oder ab in den Wald. Den kennt sie noch von ihrer Kindheit. Nur findet sie ihr Vergnügen nicht mehr im trauten Innern einer selbstgebauten Hütte, sondern im Tanz, im Rausch, im Sound aus den Metropolen der Welt. Kaum je war eine klandestine Versammlung so mordslaut. Denn, natürlich: Es ist illegal. Aber das ist ja das Schöne daran.

 Die zwei Polizisten sehen das natürlich anders. Um 2.30 Uhr stehen sie auf der Lichtung und blenden mit ihren Taschenlampen in die tanzende Menge. Die Musik stirbt. Der Gastgeber entschuldigt sich: "Mir müesse fertigmache." Zwischenruf: "Ist es eine Geldfrage?". Der Veranstalter: "Nein, es ist keine Geldfrage." Die Leute schimpfen. Wo ist nur der Beat? Kann man einen Wald besetzen? Oder wenigstens eine Lichtung? Und wie haben es diese Sans-Papiers schon wieder gemacht? Bald packen die ersten Besucher ihre Sachen. Es wird still. Nur der Stromgenerator furzt einsam und zuverlässig in den finsteren Wald hinaus. Das wird er nächstes Wochenende bestimmt wieder tun.

----------------------------
BIG BROTHER
----------------------------

Bund 5.7.10

Justizdepartement wusste über die Fichierung Bescheid

 In der Fichenaffäre verdeutlicht sich durch die Untersuchung der Geschäftsprüfungskommission (GPDel), dass in der Vergangenheit vom Geheimdienst bis hin zum Bundesrat nachweislich falsche Angaben gemacht wurden. Gegenüber dem Justizdepartement (EJPD) hatte der frühere Inlandgeheimdienst (DAP) bereits im Juli 2008 Probleme mit den Isis-Daten einräumen müssen. Diese Tatsache war jedoch, wie sich nun nachträglich herausstellte, bei der Antwort des Bundesrates auf eine Anfrage der SP-Ständerätin Anita Feuz verschwiegen worden. Ebenfalls im Oktober 2008 war das Bundesamt für Justiz in einem Gutachten zum Schluss gekommen, dass die gesammelten Informationen des DAP "wenig solide und teilweise nicht staatsschutzrelevant waren". (fri) - Seite 5

--

Bundesrat verschwieg das Fichen-Problem

 Das Justizdepartement wusste früh, dass es beim Informationssystem Isis Probleme gab - und behauptete trotzdem das Gegenteil.

 Daniel Friedli

 Die neue Fichenaffäre beim Bund ist nicht nur eine Geschichte von übereifrigen Spionen und trägen Aufsehern, sondern auch eine von Lug und Trug - und zwar vom Geheimdienst bis hin zum Bundesrat. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments hat schon letzte Woche kritisiert, dass der frühere Inlandgeheimdienst (DAP) Daten über seine Kontrolltätigkeit manipuliert hat.

 So schrieb dieser 2008 nachträglich in alle Dossiers, dass man diese vier Jahr zuvor auf ihre Rechtfertigung überprüft habe - obwohl in Zehntausenden von Fällen gar keine solche Kontrolle stattgefunden hatte. "Dort hat man uns an der Nase herumgeführt", sagt GPDel-Präsident Claude Janiak dazu in einem Interview in der Zeitung "Sonntag".

 Die genau Analyse der Vorgänge zeigt nun, dass selbst der Bundesrat in der Sache geschummelt hat. Dabei geht es um die Frage, ob der DAP die Personendaten zu Recht sammelte, ob dazu also der gemäss Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) nötige "begründete Verdacht" vorlag.

 Probleme waren bekannt

 Dies wollte SP-Ständerätin Anita Fetz bereits vor zwei Jahren wissen und erhielt darauf am 26. November 2008 vom Bundesrat folgende Antwort: "Bisher liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der DAP die in Artikel 3 BWIS festgelegten Schranken nicht eingehalten hätte."

 Diese Antwort war, wie der GPDel-Bericht nun zeigt, nachweislich falsch. Tatsächlich wusste zumindest das Justizdepartement (EJPD) von Eveline Widmer-Schlumpf zum fraglichen Zeitpunkt bereits, dass es bei den Isis-Daten Probleme gab. Denn gegenüber der GPDel musste das Departement schon im Juli 2008 einräumen, dass die Fichierung von zwei Basler Grossräten zumindest in einem Fall nicht gerechtfertigt war. Die Akte wurde in der Folge gelöscht.

 Die GPDel gab sich damit indes nicht zufrieden und hakte auch bezüglich des zweiten Kantonsparlamentariers nach. Und auch hier musste der Geheimdienst zurückkrebsen: Im Oktober 2008 kam das Bundesamt für Justiz in einem Gutachten zum Schluss, dass die Informationen des DAP "wenig solide und teilweise nicht staatsschutzrelevant" waren.

 Parlament hinters Licht geführt

 Es bestehe daher für die weitere Bearbeitung der Daten keine Grundlage. Der Geheimdienst musste also auch diesen Eintrag löschen; er tat dies gemäss GPDel-Bericht am 3. November 2008, also gut drei Wochen bevor der Bundesrat der Ständerätin Anita Fetz antwortete, es gebe keinerlei Anzeichen für Probleme. Die Basler SP-Ständerätin fühlt sich nach dieser Aufarbeitung erst recht düpiert. Der Bundesrat habe sie mit seiner Antwort hinters Licht geführt, sagte Fetz gestern auf Anfrage. "Ich werde mir nun bis zur nächsten Session überlegen, wie ich damit umgehen werde."

 Klar ist für Fetz, was auch andere Politiker in den letzten Tagen antönten: Ein weiterer Ausbau des Staatsschutzes, wie ihn der Geheimdienst wünscht, ist nach dem GPDel-Bericht noch weiter in die Ferne gerückt.

 Der Geheimdienst reagiert

 Eine Vorlage zum präventiven Überwachen von Telefon- und E-Mail-Verkehr ist schon 2009 gescheitert und von VBS-Chef Ueli Maurer unterdessen auf 2013 verschoben worden. Aber auch die geplante kleine BWIS-Revision, die demnächst kommen soll, dürfte es schwer haben. SP-Nationalrätin Anita Thanei (ZH) kündigt jedenfalls bereits präventiv an, ihre Seite werde wohl nur mitmachen, wenn darin verstärkte Kontrollmechanismen enthalten sind.

 Der Geheimdienst hat derweil auf die Kritik reagiert. Direktor Markus Seiler wies seine Mitarbeiter an, beim Fichieren ab sofort restriktiver vorzugehen.

--

 Auch Ex-Geheimdienstchef Peter Regli ist fichiert

 Wegen Südafrika-Kontakten

 Die Datensammler des Staatsschutzes machen auch vor früheren Chefs nicht Halt. So kommt es, dass selbst der ehemalige Geheimdienstchef Peter Regli als Drittperson im Informationssystem Isis fichiert ist. Der Grund liegt in den Kontakten Reglis zum Waffenhändler Jürg Jacomet. Dieser hatte 1993 - auf Anraten von Peter Regli - auf der Autobahnraststätte Kemptthal 13 Kilogramm schwach radioaktives Uran deponiert, das er loswerden wollte.

 Der Geheimdienst nahm den Fall ins Isis auf und sammelte, auch nachdem Jacomet 1998 gestorben war, weiter Berichte über dessen Verbindungen zum südafrikanischen Apartheidregime. Und weil darin auch Reglis Verbindungen zu Südafrika Thema waren, wurde dieser ebenfalls automatisch fichiert. Den ehemaligen Geheimdienstchef Regli kümmert dies wenig: "Diese Tatsache stört mich überhaupt nicht", sagte er der Zeitung "Sonntag". Wo gearbeitet werde, würden Fehler gemacht; und wer ein reines Gewissen habe, müsse nichts befürchten. (fri)

---

BZ 5.7.10

Staatsschutz

 1800 Fichen in Bern

 Nicht nur beim Nachrichtendienst des Bundes lagern heikle Fichen: Die Kantone haben Tausende von Daten.

 "Viele kantonale Staatsschutzorgane verfügen über zusätzliche eigene Datensammlungen, über die es keinerlei Kontrolle gibt." Dies sagte Claude Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments (GPDel), gegenüber der "SonntagsZeitung". Bei der Erarbeitung des Berichts über den Bundes-Staatsschutz stiess Janiaks Behörde in den Kantonen Basel, Bern und Genf, die sie stichprobenweise inspizierte, auf zusätzliche Daten. Die Sammlung in Bern umfasst rund 1800 Einträge. Berns Datenschützer Markus Siegenthaler geht sogar davon aus, dass deutlich mehr Personen erfasst sind. Er sagt: "Ich kann nicht sicherstellen, dass unter den fichierten Personen in meinem Kanton keine Leute sind, die unschuldig verdächtigt werden."

 Wie gestern ebenfalls bekannt wurde, wird jeder, der sich in der Schweiz einbürgern lassen will, vom Staatsschutz überprüft. Jedes Gesuch wird in der Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert. Diese Registrierung kann gemäss einen Bericht der Zeitung "Sonntag" heikel werden: Erhält der Staatsschutz zu einer Person mehr als zwei Meldungen, wird diese automatisch in die Datenbank Isis01 überführt und gilt dann als Gefahr für den Staatsschutz. Die kantonalen Datenschützer möchten die Fichen kontrollieren - doch das verweigert der Nachrichtendienst.
 mic

 Seite 2

--

Datenaffäre in den Kantonen

 Datenschützer verlangen Einsicht

 Kantonale Staatsschutzorgane verfügen über Datensammlungen, über die es keinerlei Kontrolle gibt. Gemäss Stichproben gibt es in Bern 1800 Einträge. Der Nachrichtendienst will ab sofort vorsichtiger bei der Fichierung vorgehen.

 In den Kantonen Bern, Basel und Genf hat die Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes (GPDel) bei ihrer Untersuchung zum Umgang des Staatsschutzes mit Personendaten Stichproben gemacht. Nach Auskunft von GPDel-Präsident Claude Janiak (SP, BL) kamen dabei Tausende zusätzliche Daten zum Vorschein. Die Sammlung in Genf umfasst demnach "mehrere Hundert Personen", in Bern sind es über 1800 Einträge. Wie der Berner Datenschützer Markus Siegenthaler gegenüber der "SonntagsZeitung" sagte, gehe er allerdings davon aus, das noch deutlich mehr Personen erfasst seien. Laut Janiak verfügen "viele kantonale Staatsschutzorgane über zusätzliche eigene Datensammlungen, über die es keinerlei Kontrolle gibt".

 Wie den Sonntagsmedien zu entnehmen ist, möchten die Datenschützer die Fichen einsehen. Dies werde vom Nachrichtendienst aber verweigert, heisst es. Die Datenschützer klären nun ab, ob sie auch ohne Zustimmung des Bundes Einblick nehmen können.

 Udo Jürgens fichiert

 Wie in Berichten am Wochenende bekannt wurde, gerieten in den letzten Jahren Bürgerinnen und Bürger auf fragwürdige Weise in den Fokus des Staatsschutzes. Demzufolge wird jeder, der sich hierzulande einbürgern lassen will, vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP) überprüft. Aus dem Bericht der GPDel geht hervor, dass Gesuche in jedem Fall in der Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert werden. Einbürgerungswillige werden jedoch nicht nur auf Einträge im Strafregister hin untersucht, sondern auch auf Einträge in der staatsschutzrelevanten Datenbank Isis01 des DAP für Personen, die eine Bedrohung der Schweiz darstellen. Dies geschehe aus gesetzlichen Gründen, hiess es beim Bundesamt für Migration (BfM): "Die Voraussetzungen müssen gegeben sein, dass Eingebürgerte keine Gefahr für die innere und äussere Sicherheit darstellen." Eine Prüfung kann gemäss Medienberichten indes heikel werden: Erhalte der DAP zu einer Person nämlich mehr als zwei Meldungen, werde diese automatisch in die heikle Datenbank Isis01 überführt und gelte künftig als Gefahr für den Staatsschutz. Damit gerieten Personen in den Fokus des Staatsschutzes, die sich das nie hätten träumen lassen. Dazu gehöre auch der Schlagersänger Udo Jürgens.

 Staatsschutz vorsichtiger

 Wie inzwischen bekannt wurde, will der Nachrichtendienst (NDB) ab sofort vorsichtiger vorgehen. Der Direktor des NDB, Markus Seiler, hat am Freitag per Weisung eine "restriktivere Linie" für den Umgang mit der Staatsschutz-Datenbank Isis verordnet. Sebastian Hueber, Sprecher des Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), bestätigte gestern eine Meldung der "NZZ am Sonntag".

 Neue Informationen dürfen demnach nur in der Datenbank erfasst werden, wenn sie wirklich für den Staatsschutz relevant sind. Im Klartext heisst dies: Die betroffenen Personen müssen eine Gefahr darstellen für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz. So sieht es auch das Gesetz vor. Weitere Massnahmen sind laut Hueber nicht ausgeschlossen. Am Zug ist nun aber der Gesamtbundesrat, der bis Ende Oktober eine Antwort auf den GPDel-Bericht finden muss. Noch vor dem Herbst will die GPDel laut Janiak mit dem VBS über die Datenbank sprechen.

 In den letzten Jahren hatte der Nachrichtendienst Informationen gesammelt, die er erst Jahre später oder gar nicht auf ihre Relevanz prüfte. Insgesamt verwaltet der Dienst rund 200 000 registrierte Personen.
 mic/sda

---

20 Minuten 5.7.10

Einbürgerungen wurden fichiert

 BERN. Nachdem letzte Woche herauskam, dass der Inland-Geheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention) Daten von 200 000 Personen gesammelt hat, bestätigt nun das Bundesamt für Migration gegenüber der Zeitung "Sonntag": "Alle Einbürgerungsgesuche werden systematisch dem DAP unterbreitet. Und zwar unabhängig von der Nationalität." Konkret werden alle Einbürgerungswilligen, auch Unverdächtige, auf der so genannten Verwaltungsdatenbank Isis02 erfasst. Wer mehr als zwei Meldungen beim DAP hat, kommt automatisch in die Datenbank Isis01 und gilt damit als Gefahr für den Staatsschutz. Dies bestätigt Claude Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments, gegenüber "Sonntag". Der Nachrichtendienst NDB will ab sofort vorsichtiger vorgehen. Registriert werden soll nur noch, wer in einer Prüfung als Gefahr für die Sicherheit der Schweiz taxiert wurde.

---

Basler Zeitung 5.7.10

Geheimdienst zieht die Zügel an

 Nachrichtendienst-Chef Markus Seiler verordnet neues Regime beim Datensammeln

 Beat Rechsteiner

 Nur noch wer in einer Prüfung als Gefahr für die Sicherheit der Schweiz taxiert wird, soll neu fichiert werden. Damit zieht der Nachrichtendienst NDB die Konsequenzen. Neu ist bekannt, dass auch in den Kantonen Daten gesammelt wurden.

 Die heftige Kritik am Inlandgeheimdienst zeigt Wirkung: Ab sofort gilt im Umgang mit dem Staatsschutz-Informationssystem (ISIS01) eine "restriktive Linie". Im Zweifelsfall sollen bereits vorhandene Einträge gelöscht und neue Informationen nur dann erfasst werden, wenn sie tatsächlich für den Staatsschutz von Bedeutung sind. Der Sprecher des Verteidigungsdepartements bestätigte gestern einen entsprechenden Bericht der "NZZ am Sonntag".

 Mit diesen Massnahmen reagiert der Chef des Nachrichtendienstes (NDB), Markus Seiler, auf den vernichtend ausgefallenen Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments. Diese hatte in der vergangenen Woche aufgedeckt, dass beim früheren Inlandgeheimdienst DAP über Jahre hinweg Daten auf Vorrat gesammelt wurden. Auch die vorgeschriebene, periodische Überprüfung auf ihre Relevanz hin wurde in vielen Fällen nicht durchgeführt. Auf diese Weise gelangten Personen in die Datenbank, von denen keinerlei Gefahr für den Staat ausging. Und ihre Einträge wurden bis heute nicht gelöscht.

 Provisorisch sperren

Insgesamt verwaltet der Nachrichtendienst in seiner Datenbank rund 200 000 Einträge. Die Geschäftsprüfungsdelegation fordert nun, dass sämtliche Daten, die in den letzten fünf Jahren erfasst und keiner Überprüfung unterzogen wurden, provisorisch gesperrt werden.

 Wie die Zeitung "Sonntag" berichtet, werden auch alle Einbürgerungswilligen vom Geheimdienst kontrolliert. Ungeachtet der Nationalität der Gesuchsteller werden die Anträge mit den Daten des Nachrichtendienstes abgeglichen.

 Das entspricht zwar dem Gesetz, kann für die Betroffenen wegen der mangelnden Qualitätskontrolle aber heikel werden: Die Kandidaten landen vorerst in der Verwaltungsdatenbank ISIS02. Erhält der Dienst mehr als zwei Meldungen zu einer Person, wird ihr Eintrag automatisch in die Staatsschutzdatenbank ISIS01 überführt. Damit gilt die Person für den Staat als gefährlich, ob sie es nun tatsächlich ist oder nicht - und der rote Pass bleibt ein Traum.

 Wie schnell man in diese Datenbank kommen kann, zeigt das Beispiel eines ausländischen Geschäftsmanns. Dreimal registrierte ihn die sogenannte Fotopasskontrolle beim Grenzübertritt, und schon befand sich sein Name in der ISIS01. Bei der Fotopasskontrolle werden Personen aus einigen ausgewählten Staaten einzig aufgrund ihrer Herkunft erfasst und fichiert.

 Bis Ende Oktober muss nun der Bundesrat zum Bericht der Delegation Stellung nehmen. Deren Präsident, SP-Ständerat Claude Janiak, will aber nicht so lange warten. Man werde mit Verteidigungsminister Ueli Maurer nach den Sommerferien das Gespräch suchen, sagte er im Interview mit dem "Sonntag". Janiak konkretisierte dabei auch die Vorwürfe an den ehemaligen DAP-Chef Urs von Daeniken. Zwar unterstellt er diesem nicht, ein Lügner zu sein.

 "Grenzwertig"

Die Informationen an die Aufsichtsinstanz seien aber "kurz vor der Unwahrheit" gewesen. Man habe das Problem mit den periodischen Qualitätsüberprüfungen kleiner machen wollen, als es war. So sei es bedenklich, dass alle Kontrolldaten auf den 31. Dezember 2004 gesetzt wurden. "Auf diese Weise wurde suggeriert, man hätte eine Kontrolle gemacht." Dieses Vorgehen ist laut Janiak "strafrechtlich zumindest grenzwertig".

 Chaos auch in den Kantonen. Das von der Geschäftsprüfungsdelegation kritisierte Datenchaos beschränkt sich gemäss "Sonntagszeitung" nicht auf den Bund. Auch in den Kantonen sollen Tausende von Daten über Personen und Organisationen registriert sein, die nie von einer unabhängigen Stelle kontrolliert wurden.

 Wie viele Einträge sich in diesen Sammlungen befinden, ist unklar. Allein im Kanton Bern sollen es aber deutlich mehr als die vor zwei Jahren festgestellten 1800 Datensätze sein. Die kantonalen Datenschutzbeauftragten fordern Akteneinsicht. Das wurde vom Nachrichtendienst bisher verweigert.

---

St. Galler Tagblatt 5.7.10

Jeder fahndet für sich allein

 Es gibt unzählige Verwaltungsstellen, die gegen die Internetkriminalität kämpfen. Parlamentarier finden das ineffizient. Mit Hilfe einer parlamentarischen Initiative streben sie nun eine Gesamtkoordination an.

 Marcello Odermatt

 Bern. Das kriminelle Potenzial im Internet hat in den letzten Jahren zugenommen. Dabei geht es nicht nur um jihadistische und extremistische Internetseiten, sondern auch um Wirtschaftskriminalität, Hacker, Datenklau, Kreditkartenbetrug, Internetpornographie, Cyberbullying (Mobben und Stalken im Netz).

 Ebenso mannigfaltig wie der Deliktkatalog in den letzten Jahren gewachsen ist, haben sich die Verwaltungsstellen ausgebreitet, die sich des Problems annehmen, etwa das Bundesamt für Kommunikation, die Melde- und Analysestelle Informationssicherung (Melani) im Nachrichtendienst des Bundes, die Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) im Bundesamt für Polizei (fedpol), das Staatssekretariat für Wirtschaft, das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), der Eidgenössische Datenschützer, die kantonale Fachstelle Schweizerische Kriminalprävention (SPK), kantonale und kommunale Polizeien. Für Krisensituationen gibt es noch den Sonderstab Information Assurance. Den Behörden vorzuwerfen, sie täten nichts, wäre also falsch.

 "Es fehlt die Koordination"

 Doch tun sie es richtig? "Die einzelnen Stellen leisten gute Arbeit", sagt die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer. Doch: "Jeder macht etwas für sich. Es fehlt die Koordination." Ebenso sehen es die Kantone, zumindest deren Fachstelle SKP. Martin Boess, SKP-Geschäftsleiter: "Auf vielen Ebenen passiert viel. Doch alles beisst sich am Schluss in den Schwanz." Jüngstes Beispiel sind die Anstrengungen für den Jugendmedienschutz. Sowohl Bakom wie auch BSV erarbeiteten eine Studie zur Medienkompetenz. Der BSV-Bericht gelang zur Entscheidfindung in den Bundesrat, der Bakom-Bericht wurde schubladisiert. "Es fehlt der Plan, eine Strategie", sagt auch Ronja Tschümperlin von Kinderschutz Schweiz.

 Obschon beim Bundesrat Vorstösse hängig sind, mag Schmid-Federer nicht länger warten. Sie hat in der Sommersession eine parlamentarische Initiative eingereicht, damit das Parlament das Problem selbst anpacken kann. Die Initiative unterschrieben zahlreiche Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien. Eine ähnliche Initiative reichte Ivo Bischofberger (AI) im Ständerat ein.

 Bund soll koordinieren

 Konkret soll eine gesetzliche Grundlage erarbeitet werden, die dem Bund die Koordinationsaufgabe zuschreibt, um den Kampf "effizienter und kostengünstiger" zu machen. Schmid-Federer möchte zugleich die Strafgesetze, die aus den internetfreien 1990er- Jahren stammen, aktualisieren. Vorab geht es aber um die Schaffung einer zentralen Stelle, die koordiniert, Ressourcen und Geld verteilt.

 Know-how weitergeben

 Auch der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, Mitunterzeichner der Initiative, findet eine bessere "Koordination auf Bundesebene" sinnvoll. Davon profitierten auch KMU, die bei Hackerangriffen auf den Bund betroffen sein könnten. Das Know-how, das der Bund habe, müsse weitergegeben werden. Ob es dafür ein neues Gesetz braucht, lässt Wasserfallen indes offen.

 Für Ronja Tschümperlin vom Kinderschutz müsste die übergeordnete Sichtweise aber auch die Förderung des verantwortungsvollen Umgangs mit dem Internet beinhalten. Dies sei "unerlässlich", da die Gesellschaft durch komplexe Informationssysteme "verwundbar" geworden sei.

 Bundesrat: Gesetz genügt

 Der Bundesrat stellte solche Argument zwar nie in Abrede. Doch er hielt stets fest, die bisherigen Gesetze genügten. Auf Nachfrage bestätigte das Fedpol dies und verweist auf die neue Strafprozessordnung, das Fernmeldegesetz und die geplante Revision des Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und Fernmeldeverkehrs.

 Und bezüglich Koordination hielt das Justizdepartement in einem Vorstoss fest: Die Schweiz verfüge über "ein umfassendes, flexibles und kostengünstiges Modell zum Schutz der kritischen Informationsinfrastrukturen und zur Bekämpfung der Internetkriminalität".

 Mehr Personal eingestellt

 Auf Druck des Parlaments stockte der Bundesrat vor zwei Jahren gleichwohl den Personalbestand auf. Heute heisst es beim Fedpol, die vorhandenen Ressourcen würden "möglichst zweckmässig" eingesetzt und es werde derzeit ein Konzept zur Bekämpfung der Internet- und Netzwerkkriminalität vorbereitet.

 Auch dazu musste sich der Bundesrat allerdings zwingen lassen. Die entsprechende Motion wurde im Juni 2009 gegen seinen Willen überwiesen. Indes: In der gleichen Session lehnte der Nationalrat eine Motion von Jakob Büchler (CVP, SG) ab. Er forderte eine "eigene Abteilung zur effizienten und raschen Verfolgung von Internetkriminalität".

--

 Jahr für Jahr mehr Fälle

 In seinem jüngsten Bericht stellt das Bundesamt für Polizei (fedpol) eine erneute Zunahme der Internetkriminalität fest. Bei der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) gingen 2009 7747 Meldungen ein - 16 Prozent mehr als im Vorjahr. Zugenommen hätten die täglichen Hackerangriffe auf Unternehmen und Bundesverwaltung. Weiter stellte Kobik einen "signifikanten Anstieg" der Meldungen betreffend kinderpornographischem Material fest. Aufgefallen sind dem Fedpol auch die sozialen Netzwerke, die "eine Fülle von Gefahren" und "einen Nährboden für neue Deliktsformen" darstellen. Das Fedpol betont im Bericht die Schwierigkeiten der Kontrolle: Technologien entwickelten sich kontinuierlich. Fazit des Fedpols: "Die Entwicklung verlangt eine laufende Anpassung von Taktik und Technik, aber auch der rechtlichen Grundlagen, um in Zukunft erfolgreich Schwerstkriminalität verfolgen zu können." (mob)

---

NLZ 5.7.10

Fichen-Affäre

 Nachrichtendienst fichiert "restriktiver"

 Der Nachrichtendienst will ab sofort vorsichtiger bei der Fichierung vorgehen - und sich damit so verhalten, wie es das Gesetz vorsieht.

 sda. Der Direktor des Nachrichtendienstes NDB, Markus Seiler, hat am Freitag per Weisung eine "restriktivere Linie" für den Umgang mit der Staatsschutz-Datenbank Isis verordnet. Sebastian Hueber, Sprecher des Departementes für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), bestätigte gestern eine entsprechende Meldung der "NZZ am Sonntag". Neue Informationen dürfen demnach nur in der Datenbank erfasst werden, wenn sie wirklich für den Staatsschutz relevant sind. Im Klartext heisst dies: Die betroffenen Personen müssen eine Gefahr darstellen für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz. So sieht es auch das Gesetz vor.

 Nichts aus Fichen-Skandal gelernt

 In den letzten Jahren hatte der Nachrichtendienst Informationen gesammelt, die er erst Jahre später oder gar nicht auf ihre Relevanz prüfte. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) kritisierte die vernachlässigte Kontrolle am Mittwoch in einem Bericht als gesetzeswidrig. 20 Jahre nach dem Fichen-Skandal sei es nicht zu einem Kulturwandel gekommen.

 Weitere Massnahmen sind laut Hueber nicht ausgeschlossen. Am Zug ist nun aber der Gesamtbundesrat, der bis Ende Oktober eine Antwort auf den GPDel-Bericht finden muss. Die GPDel hatte unter anderem eine Sperre jener Daten gefordert, die widerrechtlich nie geprüft wurden. Sie verlangte, dass alle Isis-Informationen, die älter als fünf Jahre sind und nicht einer Gesamtbeurteilung unterzogen wurden, bis zu einer Prüfung nicht verwendet werde dürfen. Betroffen wären die Daten von mehreren zehntausend registrierten Personen. Eine solche Sperre sei nicht verordnet worden, sagte Hueber.

 Noch vor dem Herbst will die GPDel mit dem VBS über die Datenbank sprechen. "Nach den Sommerferien suchen wir das Gespräch mit Bundesrat Ueli Maurer", sagte der GPDel-Präsident und Baselbieter Ständerat Claude Janiak (SP) der Zeitung "Sonntag".

 "Strafrechtlich grenzwertig"

 Eine Konsequenz aus der harschen Kritik hatte am Freitag das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) gezogen. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) enthob den Chef des ehemaligen Inlandnachrichtendienstes DAP, Urs von Daeniken, seiner neuen Funktion im EJPD. Die Geschäftsprüfungskommission hatte dem einstigen Verantwortlichen zuvor das Vertrauen entzogen. Widerstand aus dem Parlament war offenbar auch ein Grund, dass von Daeniken nicht NDB-Leiter wurde. "Bei der Zusammenlegung der Nachrichtendienste sagten wir klar, dass wir von Daeniken nicht mehr wollten", sagte Janiak. Er wirft von Daeniken zudem "strafrechtlich zumindest grenzwertiges" Verhalten vor. Um die vernachlässigten Kontrollen zu vertuschen, habe er falsche Daten in die Datenbank eintragen lassen.

 Insgesamt verwaltet der Nachrichtendienst in seiner Datenbank rund 200 000 registrierte Personen. Darunter sind rund 80 000 so genannte Drittpersonen, die lediglich einen Bezug zu einer staatsschutzrelevanten Person haben. Ende 2009 waren 6000 der Registrierten Schweizer und Bürger.

---

Schweizer Illustrierte 5.7.10

NOTABENE

 Schutz vor dem Staatsschutz

 Helmut Hubacher

 Staatsschutzorgane haben in den letzten Jahren, wie jetzt ausgekommen ist, 200 000 "Verdächtige" auf der Datenbank gespeichert. Das hatten wir doch schon einmal. Mit dem Fichenskandal von 1989.

 Auslöser war der Rücktritt von Elisabeth Kopp gewesen. Die erste Frau im Bundesrat hatte ein brisantes Telefon an ihren Mann zuerst geleugnet, dann als Notlüge zugeben müssen. Diese Lappalie reichte aus, ihren Abgang zu erzwingen.

 Dazu fiel Frank A. Meyer eine begnadete Idee ein. Die er mir als Nationalrat und Parteipräsident telefonisch mitteilte. Er nahm den Rücktritt Kopp als Anlass für eine Parlamentarische Untersuchungskommission. Um endlich mal die Dunkelkammer der Bundespolizei durchleuchten zu können. Das Drehbuch dazu hatte er im Kopf. Daran habe ich mich gehalten. Mit den Fraktionschefs der drei bürgerlichen Bundesratsparteien wurde beschlossen, eine PUK einzusetzen. Am 22. November 1989 erschien deren Bericht: "Vorkommnisse im EJPD". Im Eidgenössischen Justizund Polizeidepartement von Elisabeth Kopp.

 900 000 Frauen und Männer waren in den 40 Nachkriegsjahren fichiert worden. Die Fiche ist eine Karteikarte. 900 000 angeblich subversive "Elemente" wurden observiert und als Staatsfeinde registriert: Rote, Grüne, AKW-Gegner, Feministinnen, Friedensaktivisten, Liberale, Journalisten, Gewerkschafter, Kulturschaffende und so weiter. Es war der totale Schnüffelstaat. Den dürfe es nie mehr geben, tönte es von rechts bis links. Und nun dies.

 Schon wieder sind 200 000 Verdächtigte "im Kasten". Diesmal meistens Ausländer, die längst nicht alle bei uns wohnen. "Unser" Geheimdienst ist operativ halt weltweit tätig. Früher hiess der Feind Sowjetunion. Ihre Agenten gefährdeten Land und Volk. Das wurde uns noch und noch eingetrichtert. Diesmal ist es wohl der Islam.

 Dem Grossen Rat von Basel gehören sechs ehemalige Kurden an. Fünf Männer und eine Frau. Natürlich haben sie alle den Schweizer Pass. Aber ihre Herkunft können sie halt nicht auslöschen. Kandidiert haben sie für Rot und Grün. Da wird der Staatsschutz hellwach. Und hat zugeschlagen. Die sechs landeten in der Datenbank. Absolut willkürlich. Nur weil sie so komische kurdische Namen haben. Erst als die Basler Behörden im Bundeshaus auf den Tisch hauten, gabs Entwarnung. Der Staatsschutz musste die Namen löschen. Er konnte ihnen nicht einen einzigen Misston nachweisen.

 Das Strickmuster für die 200 000 nun elektronisch Fichierten ist das gleiche geblieben. Der Kalte Krieg ist zwar vorbei. Der Staatsschutz aber ist geblieben. Das Problem ist: Wo steckt der Feind? Die Armee ist ohne ihn verloren. Verteidigungsminister Ueli Maurer hat Mühe, Sinn und Zweck "seiner" Armee zu erklären. Man weiss nicht mehr so recht, für was es sie braucht. Wie wenig schon genug ist. Das Militär hat sich im politischen Niemandsland verlaufen. Und findet den Weg zurück nicht mehr.

 Unter so viel militärischem Leerlauf leidet auch der Geheimdienst. Die Schlapphüte üben noch immer den Ernstfall. Am Sandkasten. Friedenszeiten sind für sie hartes Brot. Das muss einer erst mal mental durchstehen. Da hilft es, unerschütterlich zu glauben. An den Feind. Ohne ihn kann ein Geheimdienst nicht arbeiten.

 Zum Glück gibt es die Islamisten. Und wer einen kurdischen Namen trägt, ist selber schuld. Der sollte sich lieber nicht auch noch politisch betätigen. Schon gar nicht am linken Ufer. Was haben denn ehemalige Kurden in einem Grossen Rat zu suchen? Was bezwecken sie? Bestimmt nichts Gutes. Also muss man sie im Auge behalten. So denken nun mal Geheimdienstler. Sie haben etwas vom Maulwurf. Der ist auch emsig. Aber blind. Blind für die Realität.

 Was bleibt zu tun?

 Beim Wort Staatsschutz werde ich schon fast zynisch. Oder ironisch. Es macht mir Mühe, das Staatsschutztheater überhaupt noch ernst zu nehmen. Nur, das geht auch nicht. Der Staatsschutz drangsaliert uns mit seinem Unwesen. Ein Staatsschützer kann nicht nichts tun. Er lebt vom Feind. Gibt es keinen, schafft er einen. Wie sonst sollte er ihn bekämpfen?

 Staatsschutz, Geheimdienst, Inlandnachrichtendienst oder wie sonst die Aufpasserorgane heissen, sind Selbstläufer. Sie sind unkontrollierbar. Weil sie im Geheimen, im Dunst des Dubiosen operieren. Ihre Agenten sind unheimlich fleissig. Nur: 200 000 Fichierte in wenigen Jahren sind der Beweis für Ineffizienz. Masse statt Klasse. Akten statt Fakten. Staatsschutz wird so zum Sicherheitsrisiko.

 HELMUT HUBACHER, 84, ehemaliger SP-Präsident und Buchautor

---

Sonntagszeitung 4.7.10

Auch Kantone fichieren - völlig unkontrolliert

 Datenschützer greifen ein und verlangen Einsicht in die bisher geheimen Akten

 Von Catherine Boss und Andreas Windlinger

 Zürich Nicht nur beim Nachrichtendienst des Bundes gibt es heikle Fichen: In den Kantonen lagern Tausende von Daten über Personen und Organisationen, die keine unabhängige Stelle je kontrolliert. "Viele kantonale Staatsschutzorgane verfügen über zusätzliche eigene Datensammlungen, über die es keinerlei Kontrolle gibt", bestätigt Claude Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments.

 Bei der Erarbeitung des Berichts über den Bundes-Staatsschutz stiess Janiaks Behörde in den Kantonen Basel, Bern und Genf, die sie stichprobenweise inspizierte, überall auf zusätzliche Daten. Die Sammlung in Genf umfasst "mehrere Hundert Personen", in Bern über 1800 Einträge. Berns Datenschützer geht jedoch davon aus, dass noch deutlich mehr Personen erfasst sind.

 Die kantonalen Datenschützer möchten die Fichen kontrollieren - doch das verweigert der Nachrichtendienst. Wie viele Personen in den Kantonen registriert sind, weiss deshalb niemand. "Wir können das nicht abschätzen", sagt Janiak. Die kantonalen Datenschützer klären nun ab, ob sie auch ohne Zustimmung des Bundes Einblick nehmen können. Seite 3, Kommentar Seite 23

--

Kantonale Datenschützer wollen endlich Fichen sehen

 Staatsschutzskandal: Nachrichtendienst soll Einsicht in die Akten gewähren

 Catherine Boss

 Zürich Jetzt haben die kantonalen Datenschutzbeauftragten genug: Seit Jahren fichieren Staatsschutzbeamte in den Kantonen Personen und Organisationen, doch den Datenschützern wird jeglicher Einblick in diese Arbeit verwehrt. Zwei- bis dreimal pro Woche erhalten die Polizisten einen Auftrag vom Nachrichtendienst des Bundes (NDB) - dies geht aus dem GPDel-Bericht hervor, dessen Publikation den Fichenskandal vergangene Woche auslöste.

 Im Auftrag des NDB fichieren die Polizisten schweizweit Zehntausende von Personen und Gruppen. Gleichzeitig existieren in vielen Kantonen auch kantonale Staatsschutzdatenbanken. Die genaue Zahl dieser Fichen kennen die kantonalen Datenschützer nicht. "Im Kanton Bern waren es vor zwei Jahren rund 1800 Datensätze - doch es sind sicher mehr fichierte Personen", sagt der Datenschutzbeauftragte Markus Siegenthaler. Für den Kanton Aargau sagt die Datenschutzbeauftragte Gunhilt Kersten: "Wir kennen die Zahl der Datensätze nicht."

 Nachrichtendienst behauptet, Daten gehörten ihm

 Nicht nur das bleibt geheim. Die Datenschützer dürfen nicht prüfen, ob überhaupt sinnvoll ist, was die Beamten fichieren. Der Basler Datenschutzbeauftragte Beat Rudin: "Es ist eigentlich unsere Aufgabe, zu prüfen, ob die Arbeit dieser Polizisten datenschutzkonform ist. Das ist sie aber nur, wenn auch staatsschutzrelevant ist, was sie nach Bern liefern. Dass dem nicht so ist, zeigt das Beispiel der fichierten Basler Grossräte oder einer Ehrendoktorin der Rechtsfakultät der Uni Basel."

 Rudins Berner Kollege Siegenthaler sagt: "Ich kann nicht sicherstellen, dass unter den fichierten Personen in meinem Kanton keine Leute sind, die unschuldig verdächtigt werden."

 Die Einsichtsverweigerung begründet der NDB gegenüber den Datenschützern so: Weil er den Auftrag erteile, gehörten die Daten ihm - auch wenn sie von einer kantonalen Stelle beschafft worden seien.

 Falsch, kontert die Datenschutzbeauftragte Ursula Stucki (BL): "Diese Beamten erhalten zwar die Aufträge aus Bern, sie unterstehen aber dem Personalrecht und damit auch unserer kantonalen Verfassung. Ich muss ihre Arbeit kontrollieren können."

 "Bern entscheidet nicht, was ich sehen darf und was nicht"

 Weil die Aufsicht beim NDB versagt hat, wie der GPDel-Bericht zeigt, wollen die Datenschützer jetzt handeln. Sie verlangen eine starke Aufsicht im Kanton. Deshalb haben sie eine Arbeitsgruppe "Innere Sicherheit" eingesetzt. "Es muss die Frage geklärt werden, welche Kompetenzen die Datenschützer auch ohne Zustimmung vom Bund haben, um Daten zu prüfen", sagt Aargaus Datenschützerin Kersten, Leiterin der Arbeitsgruppe. Bis zum Herbst soll ein Bericht vorliegen.

 Vor einem Monat haben die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren erreicht, dass ihnen der NDB wenigstens eine Liste der Tätigkeitsfelder des Nachrichtendienstes zustellt. Das reicht aber nicht - die Datenschützer wollen die Fichen sehen.

 Offenbar steigt jetzt der Druck auf den Nachrichtendienst. Insider sagen, es komme bereits Bewegung in die Sache, der NDB zeige seit kurzem Kompromissbereitschaft. Jedenfalls findet im Kanton Zürich nach anfänglich massivem Widerstand des NDB eine erste Kontrolle statt. Unklar ist, wie viel Einblick die Zürcher Kontrolleure erhalten. Der Datenschutzbeauftragte des Kantons Zürich, Bruno Baeriswyl, will sich zur Sache nicht äussern.

 Seit gestern ist entschieden, dass auch der Basler Datenschutzbeauftragte Rudin dem NDB ein Gesuch stellen wird, um in Basel die Fichen zu prüfen.

 In Genf will die Datenschutzbeauftragte Isabelle Dubois forsch vorgehen: "Mein Ziel ist es, bis Ende Jahr die Fichen zu kontrollieren - dabei wird nicht Bern entscheiden, was ich sehen darf und was nicht."

--

 Staatsschutz-Aufsicht verlangt mehr Personal

 Auf Bundesebene müsse die Aufsicht über den Staatsschutz massiv ausgebaut werden. Das fordern Geschäftsprüfungsdelegations-Chef Claude Janiak und Datenschützer Hanspeter Thür.

 Einerseits müsse die unmittelbare Staatsschutz-Aufsicht im zuständigen Verteidigungsdepartement (VBS) ausgebaut werden, verlangt Claude Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments. Andererseits brauche es für eine wirksame Kontrolle und die Verhinderung weiterer Staatsschutz-Skandale in Zukunft "eine deutliche personelle Aufstockung" von GPDel und Geschäftsprüfungskommission, damit diese ihre Oberaufsichtsfunktion "besser wahrnehmen können". Auch der eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür fordert mehr Mittel für die Beaufsichtigung des Staatsschutzes. "Es ist eine verstärkte Aufsicht nötig mit ausreichenden Ressourcen und Kompetenzen, insbesondere mit echten Ermittlungskompetenzen." Anstelle der punktuellen Überwachung brauche es eine systematische Überwachung.

--

Politiker fordern von Daenikens Entlassung Hauptverantwortlicher des Fichenskandals soll Bundesdienst quittieren - weitere Kader in der Kritik

 Bern Der Hauptverantwortliche für den neuen Staatsschutz-Skandal, der frühere Inland-Geheimdienst-Chef Urs von Daeniken, soll den Bundesdienst ganz verlassen. Das fordert FDP-Nationalrat Philipp Müller. Von Daeniken, der schon mitverantwortlich war für den Fichenskandal der Neunzigerjahre, habe schon zum zweiten Mal "fachlich massiv versagt". "Ich kann nicht verstehen, dass man ihn nicht einfach entlässt."

 Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat sich am Freitag damit begnügt, von Daeniken den wichtigsten Auftrag zu entziehen: Er arbeitet seit seiner Entmachtung im Generalsekretariat von Widmer-Schlumpf. Nun muss er seine Projektleiter-Rolle bei der Ausgliederung der Bundesanwaltschaft aus dem EJPD per sofort abgeben. Damit hat er kaum mehr konkrete Dossiers - seine verbleibenden Funktionen im Krisenstab und beim Risikomanagement des EJPD sind wenig aufwendig. Laut EJPD-Sprecher Philippe Piatti will das Departement aber prüfen, "welche neuen Aufgaben man Herrn von Daeniken geben kann".

 Nach dem Vorwurf der Geschäftsprüfungsdelegation, von Daeniken habe als Staatsschutz-Chef rechtswidrig gehandelt, ist es jedoch schwer vorstellbar, dass dieser im Departement nochmals ein grösseres Projekt erhält - zumal jede neue Aufgabe zu Interessenkonflikten mit seinen beiden anderen Tätigkeiten führen könnte. Von Daeniken ist auch als Rechtskonsulent in einem Berner Anwaltsbüro tätig. Daneben hat er letztes Jahr eine Sicherheitsberatungsfirma gegründet.

 Geplanter Kompetenz-Ausbau für Staatsschutz ist gefährdet

 Unter Druck geraten auch andere Mitverantwortliche der neusten Staatsschutzaffäre - insbesondere Fedpol-Direktor Jean-Luc Vez, der von Daenikens direkter Chef war, sowie Geheimdienst-Vize Jürg Bühler. "Es müssen alle Verantwortlichen überprüft werden", fordert der grüne Nationalrat und Rechtsanwalt Daniel Vischer.

 Einen noch schwereren Stand als bisher werden die Staatsschützer nun mit ihrem Anliegen haben, künftig ohne Tatverdacht ermitteln zu können. Vischer und SP-Nationalrätin Anita Thanei sagen, nach dem neusten Skandal habe auch die angekündigte abgespeckte Vorlage bei der Linken kaum Chancen. Und von SVP-Seite kündigt Nationalrat Pirmin Schwander an, man müsse hier "sehr vorsichtig" sein.  

Andreas Windlinger

--

Latente Fremdenfeindlichkeit

 Denis von Burg über die Daten-Sammelwut des Nachrichtendienstes

 Sicher, die Fichenaffäre II ist nicht mit jener aus den 80er-Jahren vergleichbar. Sie ist nicht von jenem Klima des Misstrauens geprägt, das gleich jeden nicht stramm bürgerlich Auftretenden zum potenziellen Staatsfeind machte. Sie ist vielmehr getragen von einer unbedarften Sammelwut. Diese generiert einen automatischen Datenstrom, der vorab unbrauchbare Daten aus Zollhäuschen und Zivilstandsämtern auf die Festplatten der Staatsschützer spült.

 Man ist versucht, über derlei Einfältigkeit zu lachen, sollte aber nicht.

 Der Nachrichtendienst (NDB) fühlt sich nach wie vor nicht an die Gesetze gebunden. Die Sammler offenbaren zudem eine latente Fremdenfeindlichkeit. Jeder Ausländer aus einer bestimmten Weltgegend ist per se verdächtig.

 Das vergiftet das Klima. Und alles zusammen führt dazu, dass der Staatsschutz sich selbst zersetzt. Denn: 200 000 Fichen sind gar nicht mehr überschaubar. Vor allem, weil der grösste Teil davon - so sehen es selbst die Nachrichtendienstler - irrelevant ist. Wie wollen da die eifrigen Archivierer jenen Extremisten herausfiltern, der vielleicht wirklich Böses plant? Auch der US-Geheimdienst musste erfahren, dass die Attentäter vom 11. September zwar registriert waren, aber in der Datenflut untergingen.

 Die Entlassung des pathologischen Datensammlers Urs von Däniken reicht deshalb nicht, auch nicht die angekündigte Verbesserung der Kontrollen. Es braucht einen grundlegenden, auch personellen Umbau des NDB, der verhindert, dass Datenberge angelegt werden, die nur die Sicht versperren. Vizechef Jürg Bühler zum Beispiel verteidigt noch immer die blinde Sammelwut und scheint kein Mann für die Zukunft.

 Der neue Dienstherr Ueli Maurer muss radikal aufräumen, wenn der NDB einmal dem Prädikat "Intelligence" gerecht werden will, wie es mindestens die englische Sprache von einem Nachrichtendienst verlangt.

---

Sonntag 4.7.10

Fichen-Affäre: Geheimdienst überprüft alle Eingebürgerten

 Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, landet in der Verwaltungsdatenbank Isis02 des Geheimdienstes

von Othmar von Matt und Sandro Brotz

 Die Fichen-Affäre ist gravierender als bisher angenommen und trifft insbesondere Eingebürgerte. Schlagersänger Udo Jürgens, der den Schweizer Pass erhielt, hält das für "ganz furchtbar".

 Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, wird vom Dienst für Analyse und Prävention (DAP) überprüft, dem Inlandgeheimdienst. Das bestätigt das Bundesamt für Migration (BfM) gegenüber dem "Sonntag". "Alle Einbürgerungsgesuche werden systematisch dem DAP unterbreitet", sagt Sprecherin Marie Avet. "Und zwar unabhängig von der Nationalität."

 Einbürgerungswillige werden also nicht nur auf Einträge im Strafregister hin untersucht, sondern auch auf Einträge in der staatsschutzrelevanten Datenbank Isis01 des DAP. Darin sind Personen aufgelistet, die eine Bedrohung der Schweiz darstellen. Dieser Ablauf geschehe aus gesetzlichen Gründen, sagt Avet: "Die Voraussetzungen müssen gegeben sein, dass Eingebürgerte keine Gefahr für die innere und äussere Sicherheit darstellen."

 Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments beweist aber: Selbst Einbürgerungswillige, die keinerlei staatsfeindliche Aktivitäten entfaltet haben, werden vom DAP systematisch in der so genannten Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert, spätestens nach der Anfrage des BfM. "Liegt gegen eine Person kein Eintrag in Isis01 vor, wird das Gesuch in jedem Fall in der Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert", heisst es im GPDel-Bericht. Präsident Claude Janiak bestätigt den Sachverhalt im Interview mit dem "Sonntag". "Ja", sagt Janiak. "Sobald der DAP sie bearbeitet, sind sie dort erfasst."

 Die Registrierung in Isis02 kann sehr schnell heikel werden: Erhält der DAP zu einer Person mehr als zwei Meldungen, wird die Person automatisch in die Datenbank Isis01 überführt und gilt künftig als Gefahr für den Staatsschutz. Der DAP unterliess es, die Meldungen auf ihre Qualität zu überprüfen. Diesen Part übernahm jetzt die GPDel. So lieh sich ein Skinhead dreimal das Auto seines Vaters. Dreimal erfolgte eine Meldung an den Inland-Geheimdienst - und der Vater landete in Isis01. Gleiches widerfuhr einem ausländischen Geschäftsmann: Dreimal registrierte ihn die Fotopasskontrolle beim Grenzübertritt - und schon befand sich sein Name in Isis01. "Das ist gemäss unserem Bericht möglich und praktisch betrachtet sogar wahrscheinlich", sagt die Grüne Therese Frösch dazu, Mitglied der GPDel. Sie spricht von "Schlamperei".

 Damit geraten Personen in den Fokus des Staatsschutzes, die sich das nie hätten träumen lassen. Wie der 75-jährige österreichische Komponist und Schlagersänger Udo Jürgens. Er liess sich 2007 einbürgern. Vom "Sonntag" mit den Recherchen konfrontiert, reagierte Jürgens entsetzt: "Das ist ja grotesk. Wenn dem so ist, wie Sie sagen, ist das ganz furchtbar." Jürgens bat um die Koordinaten von Datenschützer Hanspeter Thür: "Ich will wissen, was da drinsteht." Auch eingebürgerte Nati-Fussballspieler könnten in die Registrierungsmühle geraten sein. Vor allem die Nachwuchsfussballer der U17, die gegen Nigeria Weltmeister geworden sind und danach von Verteidigungsminister Ueli Maurer im Bundeshaus empfangen wurden.

 Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Maurer ist heute Chef des Inlandgeheimdienstes. Sead Hajrovic, einer der Weltmeister aus Birr AG, reagiert verunsichert. "Ich finde es schon komisch, wenn der Geheimdienst die Einbürgerungsgesuche prüft", sagt er. "Aber das ist die Entscheidung der Politik." Irritiert fragt er: "Ich habe keinen Grund, mir Sorgen zu machen, oder?"

 GDPel-Mitglied Frösch glaubt, "dass die Staatsschützer intelligent genug waren, Udo Jürgens nicht in der Verwaltungsdatenbank zu registrieren". Und vielleicht seien die Geheimdienstler auch Fussballfans und hätten deshalb die eingebürgerten U17-Nationalspieler nicht erfasst. Frösch: "Man weiss es einfach nicht genau." Für GPDel-Präsident Claude Janiak ist klar, dass "die Problematik der Drittpersonen gesetzlich geregelt" werden müsse. Und Sprecherin Avet betont, das Bundesamt für Migration habe "keine Kenntnis" von diesen Registrierungen gehabt.Seiten 2, 3, 10

--

Geheimdienst: Eingebürgerte U17- und Showstars im Visier

 Bundesamt für Migration führt alle 1,7 Millionen Ausländer in einer Datenbank - Geheimdienst registriert trotzdem

von Othmar von Matt und Sandro Brotz

 Für Insider ist es unverständlich: Das Bundesamt für Migration führt seit 2008 die umfassende Ausländerdatenbank Zemis. Trotzdem registriert der Geheimdienst systematisch alle Eingebürgerten.

 Udo Jürgens kann es nicht fassen. "Das ist ja grotesk", sagt der 75-jährige österreichische Komponist und Schlagerstar. Der "Sonntag" hat ihn mit den Recherchen konfrontiert, dass der Inlandgeheimdienst DAP alle Eingbürgerungswilligen kontrolliert und sie systematisch in der Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert. Jürgens hatte sich 2007 in der Schweiz einbürgern lassen. "Wenn dem so ist, wie Sie sagen, ist das ganz furchtbar." Jürgens bat um die Koordinaten von Datenschützer Hanspeter Thür. "Ich will wissen, was da drinsteht."

 Auch U17-Fussball-Nationalspieler Sead Hajrovic aus Birr AG reagiert irritiert. "Ich finde es schon komisch, wenn der Geheimdienst die Einbürgerungsgesuche prüft", sagt der Weltmeister. Zwar sei das eine Entscheidung der Politik, in die er sich nicht einmischen wolle. "Was meine Einbürgerung vor zwei Jahren betrifft, bin ich nicht beunruhigt: Wer es verdient hat, Schweizer zu werden, wird es auch." Ein Gesuch an den Datenschutzbeauftragten werde er nicht stellen. Verunsichert fragt er dennoch: "Ich habe keinen Grund, mir Sorgen zu machen, oder?"

 Er hat allen Grund. Die Geschäftsprüfungskommission (GPDel) hat in ihrem Bericht nachgewiesen, wie schnell Personendaten von der Verwaltungsdatenbank Isis02 in die Datenbank Isis01 wandern. Dort sind Personen registriert, die als Gefahr für die Schweiz betrachtet werden. Mit zwei weiteren Meldungen zur selben Person geschieht dieser Datentransfer automatisch.

 GPDel-Präsident Claude Janiak bestätigt den Sachverhalt (siehe Interview): "Ja. Wenn die Qualität der Meldungen nicht kontrolliert wird." Der DAP hatte diese Kontrollen in den letzten Jahren sträflich vernachlässigt. So lieh sich ein Skinhead dreimal das Auto seines Vaters. Dreimal erfolgte eine Meldung an den Inland-Geheimdienst - und der Vater landete in Isis01.

 Gleiches widerfuhr einem ausländischen Geschäftsmann: Dreimal registrierte ihn die Fotopasskontrolle beim Grenzübertritt - und schon befand sich sein Name in Isis01. "Das ist gemäss unserem Bericht möglich und praktisch betrachtet sogar wahrscheinlich", sagt die grüne Nationalrätin und GPDel-Mitglied Therese Frösch dazu.

 Dass der Inlandgeheimdienst alle Einbürgerungswilligen registriert, ist auch für Leute aus dem Bundesamt für Migration (BfM) unverständlich. "Wir haben ja bereits eine erschöpfende Datenbank", sagt ein Insider. Sprecherin Marie Avet bestätigt das. "In der Datenbank Zemis, dem Zentralen Migrationsinformationssystem, sind die Fakten und Personendaten von 1,7 Millionen Ausländern mit B- und C-Status enthalten sowie von Asylbewerbern."

 Zemis gilt als Prestigeprojekt des BfM. Die Entwicklung des Systems begann 1998. Am 3. März 2008 löste es die veraltenden Systeme ZAR3 und Auper2 ab. Die Entwicklung von Zemis hatte 43,5 Millionen gekostet. Auf das zentrale elektronische Arbeitsinstrument für das Ausländer- und Asylwesen haben behördenübergreifend Tausende von Benutzern Zugriff.

 Für Datenschützer Hanspeter Thür ist klar, dass künftig "keine punktuelle, sondern eine permanente Kontrolltätigkeit" des DAP nötig ist. "Dafür müssen parlamentarische und datenschutzrechtliche Aufsicht besser ausgestattet und verstärkt werden." Es sei ein politischer Entscheid gewesen, diese Staatsschutzinformationssysteme mit vorhandenen Leuten zu betreiben. Thür: "Zu was es geführt hat, zeigen die Fehlleistungen. Das Gesetz wurde nicht vollzogen." Jetzt sei das Parlament gefordert. Gefordert ist auch Thür selbst. "Wir haben bereits einige Anfragen um Dateneinsicht", sagt der Datenschützer.

 Und es werden täglich mehr.

 KOMMENTAR SEITE 10

--

Ex-Geheimdienstchef Peter Regli in Schnüffel-Datei

 Die Pointe versteckt sich auf Seite 28 des Berichts der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Dort wird dargelegt, wie Unterlagen der Bundesanwaltschaft im Staatsschutzinformationssystem ISIS erfasst wurden: "Einer dieser Berichte erwähnte auch die Kontakte des früheren USC-ND nach Südafrika, was zu dessen Erfassung in ISIS als Drittperson führte." USC-ND steht für Unterstabschef Nachrichtendienst. Damit gemeint ist der damalige Geheimdienstchef Peter Regli. Er wurde mit diesem Eintrag selbst zu einer staatsgefährdenden Person. "Diese Tatsache stört mich überhaupt nicht", sagt Regli gegenüber dem "Sonntag": "Wo gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht." Wenn man ein gutes Gewissen habe, so Regli, "muss man bekanntlich nichts befürchten". Regli hatte in seiner Amtszeit von 1991 bis 1999 Kontakte zum südafrikanischen Geheimdienstchef Wouter Basson. Der überzeugte Rassist Basson wurde wegen angeblicher B- und C-Waffenprojektezur Eliminierung von Schwarzen auch "Dr. Tod" genannt. Der Bundesrat versetzte Regli im Jahr 2000 in den vorzeitigen Ruhestand. Er wurde später rehabilitiert und arbeitet heute als Berater für Sicherheitsfragen. (BRO)

--

"Sie wurden von uns ertappt"

 Claude Janiak, Präsident der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), zur neuen Fichen-Affäre und zu den Konsequenzen

von Othmar von Matt und Sandro Brotz

 Herr Janiak, der Inlandgeheimdienst DAP versprach immer wieder Dinge,die er nicht einhielt.

 Claude Janiak: Wir wunderten uns, weshalb die Zahlen der Registrierungen stets steigen. Der DAP betrachtete die Zahlen bis 2004 als sehr geheim. Das war das Problem mit dem früheren DAP-Chef Urs von Daeniken. Er war sehr misstrauisch gegenüber der Oberaufsicht. Wir mussten stets nachhaken. Dann wurden die Daten in die neue Datenbank migriert. Und ab einem gewissen Zeitpunkt wurde die Kontrolle der Daten praktisch eingestellt. Das ist das Verheerende.

 Und auch die Aufsicht war inexistent?

 Eigentlich gibt es im EJPD ein Inspektorat. Dieses bestimmt seinen jährlichen Untersuchungsplan mit dem Vorsteher EJPD. Eine vertiefte Inspektion zum System Isis fand aber nie statt.

 Weshalb verhinderte der DAP-Chef das Ganze nicht?

 Herr von Daeniken ist sehr selbstbewusst, überzeugt von seiner Sache. Er hatte eine Mission.

 Welche Mission?

 Die Staatssicherheit zu garantieren.

 Auch Jürg Bühler, sein Stellvertreter, kommt im Bericht nicht gut weg.

 Er war Stellvertreter von Herrn von Daeniken. Es ist jetzt die Aufgabe von NDB-Chef Markus Seiler, den Kulturwandel durchzusetzen. Dass die Bearbeitung von nicht relevanten Daten keine Persönlichkeitsverletzung sei, solange diese intern blieben, können wir nicht akzeptieren. Es gibt im Gesetz keine Grundlage zur Generierung von Daten auf Vorrat. Stellt eine Person keine Gefahr dar, hat sie in einer solchen Datenbank nichts zu suchen. Punkt.

 Ist Bühler noch tragbar?

 Rücktritte zu fordern ist nicht unsere Aufgabe. Bei der Zusammenlegung der beiden Nachrichtendienste sagten wir aber klar, dass wir von Daeniken nicht mehr wollten. Wir begleiteten die Zusammenlegung der Dienste bis heute sehr eng, intervenierten mehrfach, weil man Gesetzesbestimmungen auf dem Verordnungsweg ändern wollte. Etwa bei der Telefonüberwachung. Wir mussten stur bleiben. Bei Bundesrat Maurer stelle ich nun eine grosse Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit uns fest.

 Es arbeiten noch dieselben Leute dort.

 Markus Seiler kommt von aussen. Er sollte nicht betriebsblind sein. Viele Inlandgeheimdienst-Mitarbeiter fühlten sich als Polizisten, obwohl sie das in dieser Funktion nicht sind. Früher liefen viele bewaffnet herum. Das wurde abgestellt, als Seiler Direktor wurde.

 Ausländer aus bestimmten Ländern werden bei der Einreise fotografiert. Aus welchen Ländern?

 Es gibt eine Liste dieser Staaten. Sie ist geheim. Aber man kann sich ausrechnen, welche Länder davon betroffen sind. Diese Daten werden in einer Datei erfasst, die suggeriert, diese Personen seien eine Gefahr für die innere und äussere Sicherheit. Das geht nicht.

 Gemäss Bundesamt für Migration übergibt es dem DAP systematisch alle Einbürgerungsgesuche. Der DAP prüft sie. Damit sind deren Namen automatisch in der Verwaltungsdatenbank?

 Ja. Sobald der DAP sie bearbeitet, sind sie dort erfasst. In Isis dürfen aber nur Personen erfasst sein, bei denen ein konkreter Gefährdungsverdacht besteht. Wir verlangen, dass die Problematik der Drittpersonen gesetzlich geregelt wird.

 Mit drei Meldungen rutscht man automatisch in Isis01?

 Ja. Wenn die Qualität der Meldungen nicht kontrolliert wird.

 Sind Sofortmassnahmen nötig?

 Alle Isis-Daten, die vor fünf Jahren oder früher erfasst und keiner Gesamtbeurteilung unterzogen wurden, müssen provisorisch gesperrt werden.

 Der Bundesrat will die Situation aber erst im Herbst besprechen.

 Nach den Sommerferien suchen wir das Gespräch mit Bundesrat Maurer.

 Bei ihm haben Sie ein gutes Gefühl?

 Wir verlangten, dass er eine Aufsicht etabliert. Das tat er. Teile unseres Berichts basieren auf einem Bericht dieses Inspektorates, das hervorragende Arbeit leistet, aber personell aufdotiert werden muss.

 Wer trägt die politische Verantwortung für die Missstände?

 Die jeweiligen Vorsteher des EJPD.

 Also Ruth Metzler, Christoph Blocher, Eveline Widmer-Schlumpf...

 ...meines Erachtens lag der Beginn bei Arnold Koller. Er hat Urs von Daeniken weiter beschäftigt. Mit ihm konnte aber kein Kulturwandel erwartet werden.

 Was ist die Rolle von Herrn Blocher?

 Er hat sich ja schon über Tele-Blocher gemeldet...

 ...mit einer Verschwörungstheorie:Sie hätten bewusst vor den Ferien ein Sommertheater gegen ihn gestartet.

 (Lacht) Jetzt bin halt ich für eine Verschwörung auserkoren, wohl weil ich anfänglich auch beim Fall Roschacher dabei war. Dabei haben wir in unserer Delegation nur von einer Partei mehr als eine Person, nämlich zwei von der SVP. Das sind Leute, die selber denken können. Ich finde es eine Frechheit, wenn man ihnen unterstellt, sie hätten sich ans Gängelband nehmen lassen.

 Welche Rolle spielte Blocher?

 Er hatte Fedpol zwischen dem DAP und sich, er schien sich nicht gross darum zu kümmern. Und Fedpol übernahm einfach, was von von Daeniken kam.

 Der GPDel-Bericht hält fest, derZustand der Isis-Daten könne die Sicherheit des Lands gefährden.

 Das ist die Konsequenz aus einer Unmenge von Daten, bei denen man nicht weiss, ob sie relevant sind oder nicht. Am Schluss findet man das, was man eigentlich finden sollte, garantiert nicht.

 Man muss den DAP neu aufgleisen?

 Er muss grundlegend neu organisiert werden. Es muss sichergestellt sein, dass die qualifizierten Leute am Anfang eines Vorgangs stehen. Nicht am Schluss.

 Haben die Staatsschützer gelogen?

 Es war bisweilen kurz vor der Unwahrheit. Das muss ich in dieser Deutlichkeit sagen. Es wurde gesagt, man habe es bis dann und dann im Griff. Der Termin wurde aber immer wieder verschoben. Selbst Blocher liess sich vertrösten.

 War es Vertrösten oder bewusst gewählte Strategie?

 Man wollte das Problem mit den Kontrollen, die man nicht im Griff hatte, kleiner machen, als es war. Ein sehr bedenklicher Vorgang ist, dass alle Kontrolldaten auf den 31. Dezember 2004 gesetzt wurden. Es wurde so suggeriert, man hätte eine Kontrolle gemacht.

 Das ist Betrug oder zumindest Manipulation.

 Das ist ein schwerwiegender Vorgang. Wir haben das nur herausgefunden, weil wir mit dem EDV-Spezialisten des EJPD gesprochen haben. Er hatte einen entsprechenden Auftrag vom DAP. Wir haben ein E-Mail gesehen und sind so darauf gestossen.

 Nimmt die Regierung Ihre Kritik ernst?

 Das kann ich erst sagen, wenn ich eine Antwort vom Bundesrat habe. Sie können aber sicher sein, dass wir uns nicht einfach abwimmeln lassen.

 Ist dieses Vorgehen strafbar?

 Eine Datei hat den Charakter einer Urkunde, die man nicht fälschen darf. Diese Datierung auf den 31. Dezember 2004 war strafrechtlich zumindest grenzwertig. Dort hat man uns an der Nase herumgeführt.

 Wie haben die Verantwortlichen darauf reagiert?

 Sie haben moniert, wir seien in unserem Urteil zu hart.

 Aber hatten sie Gegenargumente?

 Nein, sie wurden von uns ertappt.

--

Ex-Geheimdienstler: "Sie werden weiterhin ungestraft lügen"

 Die Schweiz braucht kompetente Nachrichtendienste. Auch nach dem Zusammenbruch der gewaltsamen Zweiteilung der Welt in West und Ost sowie der Gegenwart, in der unser Land von "Freunden" umzingelt ist. Die aktuellen Risiken und Gefahren - Terrorismus, Fundamentalismus, illegale Migration, Proliferation - erfordern nachrichtendienstliche Instrumente. Die asymmetrische Gefahrensituation bedingt grenzüberschreitende, koordinierte Präventions- und Abwehrmassnahmen. Die Nachrichtendienste müssen jedoch ihren Auftrag auf der Basis von Gesetz und Recht erfüllen. Immer wieder werden die Nachrichtendienstler beim sträflichen Missbrauch ihrer Möglichkeiten ertappt. In der Regel bleiben die Täter gegen Recht und Gesetz ungestraft. Das System will es so.

 Der Fichenskandal wurde vor rund zwanzig Jahren per Zufall aufgedeckt. Die verkündete Lehre aus den bedenklichen Erkenntnissen: Nie wieder! Die Beziehungen der Schweiz zu Südafrika und die Rolle des Nachrichtendienstes sowie die "Bellasi-Affäre" rüttelten die Schweiz auf. Die parlamentarische Oberaufsicht versuchte Licht in den nachrichtendienstlichen Dunstkreis zu bringen. Vor rund zehn Jahren wurde der Auslandnachrichtendienst neu ausgerichtet. Wenig später schneite es aus heiterem Himmel einen ominösen ägyptischen Fax. Die "Profis" wollten wohl beweisen, dass der Dienst zu was taugt, und machten das ominöse Ding publik.

 Die USA waren verärgert. Wie auch in den Fällen neuester Zeit. Der Goliath setzt den David unter Druck. Man gibt immer klein bei. Die "CIA-Fax-Affäre" ist ein Schulbeispiel. Dieser Skandal trägt Namen aller Gewalten. VBS-Chef Samuel Schmid, sein Generalsekretär Markus Seiler, SND-Chef Hans Wegmüller, CdA Christoph Keckeis und die hauseigene Militärjustiz unter Dieter Weber konstruierten und erlogen aus Staatsräson kurzum eine militärische Geheimnisverletzung. Im Verbund aller möglichen staatlichen Gewaltmittel - und dies im 21. Jahrhundert - und auf der Grundlage eines Lügenkonstruktes hiess der Auftrag: Journalisten und unschuldige Bürger sind zu verfolgen, mundtot zu machen und sollen eingekerkert werden. Das Konstrukt machtaus ihnen völlig unbegründet Landesverräter.

 Die nachrichtendienstlichen Dilettanten haben ihre eigenen Beschaffer und Computer natürlich bewusst nicht unter Kontrolle. Nach dem geheimdienstlichen Prinzip des Tauschhandels und auf Geheiss des Stärkeren ging es darum, die Wahrheit über die CIA-Praktiken zu vertuschen und die USA-Gefangenentransporte über unser Schweizer Territorium vergessen zu machen. Es braucht Opfer, als Entschuldigung für ein selbst zu verantwortendes Leck. Journalisten und unschuldige Bürger will man mit kafkaesker Methodik wie auch kaltkriegerischer Geheimdienst- und Justizpraxis überführen und hinrichten. Die Militärjustiztäter mit ihrer dunklen Absicht wurden dann aber glücklicherweise entlarvt. Die GPDel überprüfte 2007 auch diesen Skandal. Man rügte die bedenklich operierende Militärjustiz und ihre bundespolizeilichen Hilfskräfte. Diejenigen, die das staatliche System mit Arglist missbraucht haben, liess man aber laufen. Sie fabrizieren in Bundesanwaltschaft und Militärjustiz munter weiter ihre Konstrukte.

 Die mit dieser Kontrolle betraute GPDel basiert auf dem Vertrauen von Volk und Parlament, das der GPDel eine Stellvertreter-Rolle einräumt. Es geht letztlich um die Glaubwürdigkeit der Geschäftsprüfungsdelegation. Der Untersuchung der GPDel zum Trotz. Die gleichen Leute der Nachrichtendienste können weiterhin ungestraft lügen oder Fichen anlegen. Die Wette gilt: Sie tun es auch in Zukunft. Der Bürger versteht dieses System einer falsch verstandenen Staatsräson nicht. Gründe der Politverdrossenheit?

 Vor dem Hintergrund des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit: Die parlamentarische Kontrolle muss die Handschuhe endlich ausziehen und der Regierung die Pflicht zum Handeln befehlen. Apropos Vertrauen in das System, in die Justiz, die Nachrichtendienste und die demokratische Rolle der parlamentarischen Aufsicht: Mir fehlt der Glaube, und das Vertrauen wurde mir als einem, der in Politik und Staat, in Exekutive und Parlament Verantwortung getragen hat, genommen.

 Roman Weissen war Infochef des Auslandnachrichtendienstes SND. Er sass zu Unrecht eine Woche in U-Haft, weil er inder CIA-Fax-Affäre beschuldigt wurde, geheime Papiere an Journalisten weitergegeben zu haben.Alle Instanzen sprachen den Walliser Ex-Grossrat frei. Er ist heute bei den Seilbahnen Schweiz für Public Affairs zuständig.

---

NZZ am Sonntag 4.7.10

Geheimdienstchef verordnet "restriktive Linie" beim Fichieren

 Der Nachrichtendienst reagiert auf die Kritik an der Staatsschutz-Datenbank und gibt Anweisung, die Personenfichen im Zweifelsfalle zu löschen.

 Katharina Bracher

 Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat seine Mitarbeiter angewiesen, im Umgang mit den im Staatsschutzinformationssystem (Isis) gespeicherten Personendaten ab sofort eine "restriktive Linie" einzuhalten und Einträge "im Zweifelsfall" zu löschen. Neue Informationen sollen ausserdem nur dann erfasst werden, wenn deren Relevanz für den Staatsschutz wirklich gegeben sei.

 NDB-Direktor Markus Seiler reagierte mit dieser Weisung am Freitag auf die vernichtende Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) an der bestehenden Praxis im Umgang mit dem Staatsschutzregister. Der am Mittwoch veröffentlichte Bericht der parlamentarischen Aufsicht stellte fest, dass der Staatsschutz die vorgeschriebene Qualitätssicherung über Jahre vernachlässigt habe. Die Daten würden zu lange aufbewahrt und deren Relevanz für den Staatsschutz nicht wie vorgeschrieben periodisch überprüft.

 Für GPDel-Präsident Claude Janiak gehen die neuen Weisungen von NDB-Chef Seiler jedoch zu wenig weit. "Alle Daten, welche vor fünf Jahren oder noch früher erfasst wurden und seither keiner Gesamtbeurteilung mehr unterzogen wurden, müssen provisorisch gesperrt werden", fordert er.

 Janiak wirft ausserdem mehreren Chefbeamten und Politikern vor, ihre Aufsichtsfunktion nicht wahrgenommen zu haben. So habe "die direkte Aufsicht über den DAP (Fedpol) offenbar von Anfang an nicht funktioniert". Der damit kritisierte Fedpol-Direktor Jean-Luc Vez nimmt dazu vorderhand keine Stellung. Doch auch andere Entscheidungsträger stehen in der Kritik, insbesondere der ehemalige Justizminister Christoph Blocher. "Er hat nicht dafür gesorgt, dass die Aufsicht über den DAP wahrgenommen wurde", so Janiak. Alt Bundesrat Blocher konterte die Kritik der GPDel am Freitag via seinen Internetkanal "Teleblocher": "Janiak will von der Diskussion um die Libyen-Affäre ablenken", warf er dem Baselbieter SP-Ständerat vor. Dieser hält den Vorwurf Blochers für "absurd". Wenn jemand Interesse habe, von der Libyen-Affäre abzulenken, dann sei es der Bundesrat, so Janiak.

 Im Streit mit Blocher erhält Janiak jetzt selbst aus der SVP Support: Pierre-François Veillon, SVP-Nationalrat und Vizepräsident der GPDel, wehrt sich gegen die Vorwürfe aus seiner Partei, die Delegation habe sich mit dem Bericht an Blocher rächen wollen: "Die GPDel steht über der Politik. Wir sind sechs Leute, die ihrer Arbeit unabhängig von der Parteizugehörigkeit nachgehen", so Veillon.

 Die Hauptkritik der GPDel gilt ohnehin nicht alt Bundesrat Blocher, sondern Urs von Daeniken, der bereits im Nachrichtendienst tätig war, als die erste Fichenaffäre im Jahr 1989 aufflog. Er war damals Stellvertreter von Peter Huber, der als Chef des inländischen Nachrichtendienstes Herr über die 900 000 Einträge umfassende Fichensammlung war. Die Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats bezeichnete von Daeniken am Freitag als einen der Hauptschuldigen am neuerlichen Versagen des Staatsschutzes.

 Nachdem Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf von Daeniken in einer ersten Reaktion auf den GPDel-Bericht noch in Schutz genommen hatte, entschied sie am Freitag, dass von Daeniken seine derzeitige Funktion als Projektleiter für die Reform der Bundesanwaltschaft abgeben müsse.

 ►Seite 21

 ►Kommentar Seite 13

--

 Staatsschutz-Fichen

 "Führt eine lockere Ehe"

 Im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) sind beispielhaft die Fichen von den zwei registrierten Personen beschrieben - anonymisiert als A. L. und M. H. Wie Recherchen nun zeigen, handelt es sich dabei um die Basler Menschenrechtsaktivistinnen Anni Lanz und Maya Heuschmann.

 Beide gerieten aufgrund ihres Berufes ins Visier des Staatsschutzes. Ihre Einträge im Register Isis waren mit der Bemerkung "Verdacht Schwarzer Block" versehen. Dies, obwohl die beiden Frauenrein altersmässig kaum als Mitglieder einer gewaltorientierten Organisation in Frage kommen. Anni Lanz (Jahrgang 1945) zog mit ihrer Tätigkeit als Fürsprecherin für Flüchtlinge die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes auf sich. Dieser hegte den nicht weiter begründeten Verdacht, dass Lanz Kontakte zu "extremistisch-islamistischen Gruppierungen" pflege. Obwohl die Staatsschützer gemäss Eintrag zum Schluss kamen, dass es sich bei Lanz um eine "sehr gutmütige Person ohne kriminelle Neigungen" handelte, blieb sie für Jahre als Gefahr für den Schweizer Staat in der Datenbank eingetragen. Dem Staatsschutz fiel zudem auf, dass Lanz "eine äusserst lockere Ehe" führe und das Ehepaar oft räumlich getrennt leben würde, ohne dass "irgendwelche Schwierigkeiten" bestünden.

 Auch Maya Heuschmann (Jahrgang 1945) wurde ihr Einsatz für die Menschenrechte zum Verhängnis. Die Aktivistin von Amnesty International erhielt vom Nachrichtendienst folgende Informationen über ihren Eintrag in der Datenbank Isis: "Der NDB erhielt eine Anfrage der Staatsanwaltschaft mit einer Liste mutmasslicher Linksaktivisten, auf der Ihr Name figurierte." Das Verdachtsmoment, vermutet Heusch- mann, sei wohl ihr Engagement für die Kurden gewesen. Sie bereiste mehrmals Kurdengebiete in der Türkei. Was ihr der Staatsschutz konkret vorwarf, war auch nach Intervention der GPDel nicht in Erfahrung zu bringen. (brk.)

--

Unter Beobachtung

 Von rund 200 000 Personen hat der Nachrichtendienst Fichen angelegt. Eine Überprüfung zeigt: Er sammelte viele Daten illegal. Die wichtigsten Fragen rund um die neue Fichen-Affäre und dazu, wie der Nachrichtendienst funktioniert.

Von Christine Brand

 Warum legt der Staat Fichen über Bürger an?

 Fiche ist die französische Bezeichnung für Karteikarte - in der Schweiz wird darunter ein Eintrag über eine Person in der Staatsschutzdatenbank Isis verstanden. Diese wird vom Nachrichtendienst des Bundes geführt, um Gefährdungen durch Terrorismus, verbotenen Nachrichtendienst, Handel mit Waffen, verbotenen Technologietransfer, gewalttätigen Extremismus und Gewalt an Sportanlässen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen.

 Wer wird vom Staatsschutz beobachtet?

 Der Nachrichtendienst darf gemäss Gesetz Informationen über Personen sammeln, gegen die der "begründete Verdacht" besteht, dass sie die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz gefährden. Die diese Woche präsentierte Untersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen Räte (GPDel) belegt allerdings, dass der Dienst etliche Daten unrechtmässig sammelte. Ungerechtfertigt war beispielsweise die Fichierung von türkischstämmigen Grossräten aus dem Kanton Basel-Stadt. Weil die der Kurdischen Arbeiterpartei nahestehende Zeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) freudig über deren Einzug ins Basler Parlament berichtete, wurden die Politiker registriert und beobachtet. Die GPDel zeigt weitere Beispiele gesetzeswidriger Fichierungen auf. So stand eine Basler Seniorin, die sich für Asylbewerber einsetzt, mehrere Jahre unter Beobachtung: Sie geriet ins Visier des Staatsschutzes, weil sie in Kontakt mit Migranten war, über die Anfragen aus dem Ausland eingingen. Ihre Fiche enthielt unter anderem Angaben darüber, wie sie ihre Ehe lebte. Andere Personen wurden verzeichnet, weil sie an Demonstrationen teilnahmen. Unter Beobachtung stehen auch Mitglieder und Exponenten verdächtigter Organisationen; beispielsweise rechts- oder linksextremer sowie islamistischer Gruppen. Menschen, die mit Registrierten in Kontakt stehen, werden als "Drittpersonen" fichiert.

 Wer sammelt die Informationen?

 Die Informationen werden von Mitarbeitern des Nachrichtendienstes des Bundes und von kantonalen Staatsschutzgruppen gesammelt. Diese sind den Polizeikorps oder den Staatsanwaltschaften der Kantone angegliedert. Der Personalbestand des Nachrichtendienstes in Bern ist geheim - bekannt ist, dass der Bund 8,4 Millionen Franken an die 84 Vollzeitstellen in den Kantonen bezahlt. Überdies sind etliche Amtsstellen - unter anderem Strafverfolgungsorgane, Militärstellen, Fremdenpolizei, Einwohnerkontrollen - verpflichtet, dem Nachrichtendienst bei Verdachtssituationen unaufgefordert Meldung zu erstatten.

 Wie gelangt der Nachrichtendienst an Daten?

 Gemäss dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit beschafft sich der Nachrichtendienst Informationen über Personen, indem er "öffentlich zugängliche Quellen auswertet, amtliche Akten einsieht, Auskünfte einholt, Nachforschungen anstellt und Beobachtungen an allgemein zugänglichen Orten - auch mit Bild- und Ton-Aufzeichnungen - vornimmt". Viele Fichierungen erfolgen nach Anfragen aus dem Ausland über bestimmte Personen - laut der GPDel selbst dann, wenn die Anfrage nicht begründet wird und es keinen Grund für einen Verdacht gibt. Zahlreiche Personen werden auch aufgrund von "Fotopasskontrollen" am Zoll registriert: Personen aus bestimmten Staaten werden erfasst und fichiert. Diese Vorgehen dürften mit ein Grund sein, warum der Ausländeranteil derart hoch ist: Nur fünf Prozent der registrierten Personen sind Schweizer (vgl. Grafik). Auch bei bestimmten Ereignissen werden Daten gesammelt: So hat der Basler Staatsschutz 2001 nach den Terroranschlägen in den USA alle Flugpassagiere und Hotelgäste fichiert, die eine Woche vor den Anschlägen und eine Woche danach in Basel haltgemacht hatten. 2002 erstellte die Basler Gruppe im Auftrag des Nachrichtendienstes eine Liste von Personen, die als Aktivisten bei Demonstrationen gegen die Globalisierung bekannt waren. 2004 fand in einer Westschweizer Moschee eine Veranstaltung einer verdächtigten Organisation statt: Alle Autohalter, die in der Nähe parkierten und dem Profil der Teilnehmer entsprechen konnten, wurden registriert.

 Was passiert mit den gespeicherten Daten?

 In einer Qualitätskontrolle müssten die eingegangenen Daten daraufhin geprüft werden, ob sie "staatsschutzrelevant" sind, das heisst, ob es gesetzlich gerechtfertigt ist, dass sie in der Staatsschutzdatenbank gespeichert sind. Überdies müssten die Dossiers periodisch erneut daraufhin überprüft werden, ob die Person noch immer eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt. Die GPDel stellt in ihrem Bericht fest, dass die Prüfungen in etlichen Fällen nicht termingerecht stattfanden. Die registrierten Daten werden schliesslich für die Erstellung von Bedrohungsanalysen oder für den Informationsaustausch mit dem Ausland genutzt. Maximal 15 Jahre nach Eingang der ersten Meldung müssen Fichen von Personen gelöscht werden - sofern keine jüngeren staatschutzrelevanten Meldungen zu der Person vorliegen. Die GPDel stellte fest, dass etliche Personen mehrere Jahre - in einem Fall gar zehn Jahre - nach ihrem Tod noch immer nicht gelöscht worden waren.

 Wie erfahre ich, ob über mich eine Fiche existiert?

 Derzeit gibt es keine Möglichkeit, zu erfahren, ob eine Fiche über die eigene Person existiert. Zwar kann jeder beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür ein Prüfungsgesuch einreichen. Von Gesetzes wegen darf Thür aber - ausser in Ausnahmefällen - dem Antragsteller nicht mitteilen, ob er fündig geworden ist. Er klärt jedoch ab, ob eine Fiche vorhanden ist und ob der Nachrichtendienst gesetzeskonform vorgegangen ist. Ist dies nicht der Fall, veranlasst Thür eine Korrektur oder Löschung des Eintrages. Jeder Antragsteller erhält als Antwort einen Standardbrief, in dem steht: "Wir teilen Ihnen mit, dass in Bezug auf Sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden oder dass wir bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den Nachrichtendienst des Bundes gerichtet haben." Einen Vorstoss, der ein direktes Auskunftsrecht zur eigenen Fiche verlangte, lehnte der Nationalrat im März ab. Eveline Widmer-Schlumpf erklärte, dass sie das Auskunftsrecht trotzdem ausbauen will. Auch Hanspeter Thür und die GPDel fordern dies.

--

Im Privaten lauern die grössten Gefahren für unsere Daten

 Der Staat hat illegal Daten gesammelt, das ist unschön. Der wahre Pfusch passiert aber woanders. Banken lassen sich Daten stehlen - und wir geben im Internet fast alles selber preis, schreibt Chanchal Biswas

 Die Schweiz erlebt wieder einen Fichenskandal. Der Inlandgeheimdienst hat illegal Daten erfasst und es in seiner Sammelwut dann versäumt, die gespeicherten Daten zu überprüfen. Informationen über irrelevante, weil ungefährliche Personen wurden nicht gelöscht.

 Ein ernstzunehmender Staatsschutz soll Personen registrieren, aber er muss dabei Regeln einhalten und Kontrollen zulassen. Die Schweiz hat nach dem Fichenskandal in den achtziger Jahren zum Glück bereits vorgekehrt. Das Bundesgesetz über die Wahrung der inneren Sicherheit schreibt dem Staatsschutz genau vor, welche Daten er erfassen darf, wie er mit diesen Informationen umzugehen hat und wie oft er die Relevanz zu überprüfen hat. Die Geschäftsprüfungsdelegation verfügt - wie die Aufdeckung des neuen Fichenskandals zeigt - über weitreichende Kompetenzen, diese geheimen Tätigkeiten zu kontrollieren. Der eidgenössische Datenschützer hat immerhin beschränkten Zugriff auf die Staatsschutz-Datenbank: Jede Person kann abklären lassen, ob der Nachrichtendienst korrekt mit ihren Daten umgegangen ist. Ob wirklich eine Fiche angelegt ist, erfährt sie allerdings nicht.

 Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf muss jetzt sicherstellen, dass der Staatsschutz diese Regeln auch einhält und wieder im kontrollierten Rahmen operiert. Denn es bereitet uns zu Recht Unbehagen, wenn der Staat unsere Privatsphäre verletzt und zu viel über uns weiss - oder zu wissen glaubt. Hoheit über Daten bedeutet Macht, und der Staat verfügt über die Gewalt, diese Macht anzuwenden oder zu missbrauchen. In der Schweiz sind zwar noch keine derartigen Fälle aufgetreten: Aber in den USA durfte die 6-jährige Alyssa Thomas am letzten Wochenende das Flugzeug von Cleveland nach Minneapolis nicht besteigen, weil ihr Name auf die Terror-Beobachtungsliste der Homeland Security geraten war.

 In der Aufregung um staatliche Schnüffelei geht gerne vergessen, dass heute die grösste Bedrohung unserer Privatsphäre vom privaten Sektor, von Firmen, ausgeht. So gelingt es Mitarbeitern von Banken in der Schweiz, unbemerkt Daten-CDs mit Kundennamen, Kontoständen und -Bewegungen zu brennen. Schlimm genug, dass ausländische Steuerbehörden diese willkürlich erfassten Datensätze kaufen, um ohne jeglichen Anfangsverdacht Jagd auf angebliche Steuersünder zu machen. Noch stossender ist die Idee, gleich einen automatischen Informationsaustausch einzuführen, wie ihn die EU von der Schweiz fordert. Die Behörden erhielten Zugang auf alle Finanzdaten von allen Bankkunden und könnten so in den privaten Finanztransaktionen der Bürger herumschnüffeln. Paradox, dass gerade die politischen Kreise den automatischen Informationsaustausch fordern, die jetzt am lautesten über den neuen Fichenskandal lamentieren.

 Datenerfassung und Verarbeitung waren früher das Privileg von Staaten und wenigen Grosskonzernen. Seit die Preise für Rechenkapazität und Speicherplatz aber ins Bodenlose gefallen sind und die Welt über das Internet vernetzt ist, kann jedes Unternehmen seinen eigenen Datenberg anhäufen. Die Wirtschaft lebt das Motto "Erst sammeln, dann prüfen" hemmungslos. In privaten Datenbanken liegen Informationen, nach denen sich die Staatsschützer die Finger lecken würden. Apple etwa kennt die genauen Standort-Daten von Benutzern des neuen iPhone 4. Suchmaschinen-Betreiber Google und Online-Buchhändler Amazon wissen, welche Art von politischer Literatur einen interessiert. Und die Mitglieder des sozialen Netzwerks Facebook teilen der Welt gleich selber mit, wer ihre Freunde und Feinde sind - beispielsweise, indem sie Gruppen wie "Ich bin stolz auf das Resultat der Minarett-Initiative!" beitreten.

 Man male sich aus, was passiert, wenn ein Mitarbeiter diese Informationen auf eine CD brennt und an irgendeinen Staat verkauft.

 Seltsamerweise scheint es kaum jemanden zu stören, dass es im privaten Sektor - anders als im Staatsschutz - keine Kontrolle gibt. Unsere Daten liegen auf Firmen-Servern am anderen Ende der Welt. Es gibt keine Gesetze, die Erfassung, Verarbeitung und Löschung regeln. Die Unternehmen verkaufen ihr Wissen über uns an Dritte weiter, und wir haben keine Übersicht, was wo über uns verzeichnet ist. Auch die Datenschützer beissen auf Granit: "Privatsphäre ist ein überholtes Konzept", so bringt der 26-jährige Facebook-Gründer Mark Zuckerberg die Haltung der Informationsriesen auf den Punkt.

 Bundesrätin Widmer-Schlumpf sagt, sie nehme den Fichenskandal und den Datenschutz sehr ernst. Das sollten wir auch tun - und sorgsamer mit unseren Daten umgehen. Denn von Google, Apple, Facebook und Co. dürfen wir das nicht erwarten.

---

Sonntagsblick 4.7.10

Fichenaffäre holt Bundesanwalt ein

 Daguet fordert Beyelers Kopf

 VON  BEAT KRAUSHAAR

 RÜCKTRITT

 Bundesanwalt Erwin Beyeler gerät in den Sog der Fichenaffäre. Er schlug Oberschnüffler Urs von Daeniken für einen wichtigen Job vor.

 Seit ein paar Tagen hat die Schweiz einen neuen Fichenskandal. Im Zentrum: Urs von Daeniken (58), ein Mann mit unauffälliger Brille und Bart. Er war jahrzehntelang der oberste Geheimdienstler im Land. Von 2001 bis 2008 leitete er den Inlandgeheimdienst DAP. Als die parlamentarische Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) diesen unter die Lupe nahm, fand sie Ungeheuerliches: Unter von Daenikens Führung legte der DAP (58) blindwütig und unter Missachtung der Gesetze 200 000 neue Fichen an.

 Als Oberschnüffler der Nation ist von Daeniken zwar weg. Trotzdem war er bereits wieder in neuer Mission unterwegs: Er leitete seit April dieses Jahres das Projekt Reorganisation der Bundesanwaltschaft (siehe Box).

 Dass ausgerechnet von Daeniken diesen Job bekommen hatte, war für die Aufsichtsbehörde, die Geschäftsprüfungskommission (GPK), ein weiterer Skandal. Sie entzog ihm letzten Freitag das Vertrauen - via Communiqué.

 Gerichtet war das Schreiben vor allem an Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf (54). Sie hatte von Daeniken den Job zugesprochen. Die GPK forderte die Bundesrätin auf, ihren Entscheid zu überdenken. Lange brauchte sie nicht: Noch am gleichen Abend musste von Daeniken zurücktreten.

 Doch mit dem abrupten Abgang ist die Sache nicht ausgestanden. Jetzt gerät Bundesanwalt Erwin Beyeler (58) in den Sog der Affäre. Beyeler war es, der von Daeniken der Justizministerin als Projektleiter für die Reorganisation der obersten Strafverfolgungsbehörde vorschlug. Was diese akzeptierte.

 Für Fichenopfer, SP-Nationalrat und GPK-Mitglied André Daguet (63) ein unglaublicher Vorgang. "Beyeler wusste, dass der Ex-Inlandgeheimdienst-Chef seit Jahren wegen seiner Schnüffelei und anderen Skandalen in der Kritik steht."

 Dass Beyeler ausgerechnet den obersten Schlapphut für dieses politisch äusserst heikle Projekt vorgeschlagen habe, sei "unverzeihlich". Für Daguet ist deshalb klar: "Am besten würde man Beyeler raschmöglichst ersetzen. Spätestens mit Abschluss der Reorganisation im Januar 2011 muss der Posten neu besetzt werden. Zuständig für die Wahl ist neu sowieso die Bundesversammlung." Daguet spielt den Ball damit dem Parlament zu: Dieses soll Beyeler in die Wüste schicken und einen neuen Bundesanwalt einsetzen.

 Kritik muss sich auch Justizministerin Widmer-Schlumpf gefallen lassen. Daguet: "Dass sie dem Vorschlag Beyelers, den Ex-Inlandgeheimdienst-Chef als Projektleiter einzusetzen, zugestimmt hat, zeugt nicht gerade von Weitsicht. Sie wusste seit ein paar Wochen über die neue Fichenaffäre von Daenikens Bescheid", sagt der Berner SP-Nationalrat.

 Zudem sei bekannt, dass die Justizministerin und der Bundesanwalt das Heu nicht auf der gleichen Bühne hätten. Beyeler gilt als führungsschwach und muss deshalb regelmässig bei Widmer-Schlumpf antraben. Daguet hofft, dass sie jetzt auch im Fall Beyeler die notwendigen Konsequenzen zieht - und nicht zuwartet, bis sie wie bei von Daeniken die Notbremse ziehen muss.

--

 Bundesanwaltschaft: Das wird neu

 Am 1. Januar 2011 tritt eine umfassende Neuorganisation der Bundesanwaltschaft in Kraft. Das Eidgenössische Untersuchungsrichteramt wird aufgehoben und in die Bundesanwaltschaft integriert. Das soll verhindern, dass sich die beiden Behörden die Fälle zuschieben und es Jahre dauert, bis ein Fall zur Anklage kommt. Gleichzeitig wird die bisher geteilte Aufsicht (EJPD und Bundesstrafgericht) aufgehoben. Zuständig ist künftig eine Aufsichtsbehörde, die von der Bundesversammlung gewählt wird. Neu übt also ab 2011 das Parlament die Oberaufsicht über die Bundesanwaltschaft und deren Aufsichtsbehörde aus.

----------------------------------
AUSSCHAFFUNGEN
-----------------------------------

Sonntagszeitung 4.7.10

Schweizerisches Rotes Kreuz kritisiert Ausschaffungen

 Widmer-Schlumpf: "Als letztes Mittel nötig"

 BERN Für das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) sind die Zwangsausschaffungen nicht mit der Menschenwürde vereinbar. SRK-Sprecher Beat Wagner kritisiert die vollständige Fesselung der Auszuschaffenden und dass ihnen ein Boxhelm auf den Kopf gestülpt wird.

 Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf macht gegenüber der SonntagsZeitung nun aber klar, dass sie an den sogenannten Level-4-Rückführungen festhält, bei denen am 17. März 2009 ein 29-jähriger Nigerianer starb. Diese seien als Teil einer konsequenten und glaubwürdigen Asyl- und Ausländerpolitik "auch in Zukunft als letztes Mittel nötig".

 Die Bundesrätin weist darauf hin, dass die Schweiz 2011 die EU-Richtlinie übernehme, die ein unabhängiges Monitoring vorsieht. Damit geht es bis Ende Jahr weiter wie bisher.

 Bei den Sonderflügen, die dieser Tage wieder stattfinden, soll einzig die medizinische Betreuung besser werden. Mit der Ärzteschaft ist dies aber noch nicht geklärt, wie FMH-Präsident Jacques de Haller in der "Südostschweiz" sagte.  

Pascal Tischhauser

--------------------
SEMPACH
----------------------

20 Minuten 5.7.10

Rechtsextreme in Sempach

 SEMPACH. Eine Woche nach dem offiziellen Gedenken an die Schlachtfeier haben sich am Samstagnachmittag in Sempach rund 200 Personen zu einer gemeinsamen Kranzniederlegung beim Schlachtdenkmal getroffen. Laut Indymedia.ch handelte es sich dabei um Neonazis. Die Luzerner Polizei war vor Ort. Wie Pikettoffizier Pius Ludin gestern auf Anfrage sagte, wurden keine Gesetzesverstösse registriert. Es sei lediglich der alte Schweizerpsalm gesungen worden. Nach der Kranzniederlegung habe sich ein grosser Teil der Rechtsextremen an ein Konzert in Oberarig mit zwei Berliner Rechts-Rockbands begeben, heisst es auf Indymedia.ch weiter.

---

Indymedia 3.7.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/07/76690.shtml

Communique zur Schlachtfeier von Sempach 03.07.2010 ::

AutorIn : Antifa Kränzchen         

Heute fand im Mittelalterstädtchen Sempach eine Neonazi- Demonstration mit anschliessendem Konzert in Oberarig bei Nottwil statt.     
    
Nachdem der Luzerner Kantonsrat die diesjährige Schlachtfeier abgesagt, sowie jeglichen Umzug zum Schlachtdenkmal in Sempach verboten hatte, blieb es in Sempach letztes Wochenende ruhig - nicht jedoch heute.
Um 16.00 Uhr versammelten sich etwa 150 Neonazis auf einem Parkplatz auf halbem Weg zum Schlachtfeld. Gegen 16.30 Uhr marschierten sie in geschlossener Formation zum Gedenkstein von Arnold von Winkelried, wo diverse Reden gehalten wurden.
Nach der Kranzniederlegung begab sich ein grosser Teil der Rechtsextremen an ein Konzert in Oberarig mit zwei Berliner Rechtsrockbands.
Während die Neonazis ihrer Hassmusik frönten kümmerten wir uns um ihren wunderbaren teuren Kranz und entfernten die pseudopetischen rechten Parolen.

Kein Raum für Nazis, keine Kränze für nationale Mythen!     

---------------------
ANTI-ATOM
---------------------

NZZ 5.7.10

Detailplanung für Tiefenlager

 (sda) ⋅ Die sechs potenziellen Standorte für ein Atommüll-Tiefenlager werden nun auch oberirdisch unter die Lupe genommen. Begehungen vor Ort sollen aufzeigen, wo die nötigen Gebäude, das Portal des Zugangsstollens sowie die Anschlüsse an Strasse und Schiene gebaut werden könnten. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) will ab Juli Feldbegehungen durchführen, wie das Bundesamt für Energie meldet. Pro Standort will die Nagra mehrere Vorschläge ausarbeiten. Diese werden voraussichtlich im zweiten Halbjahr 2011 vor Ort zur Diskussion gestellt. Für die oberirdischen Anlagen ist eine Fläche von bis zu acht Hektaren - das wären 200 mal 400 Meter - nötig.