MEDIENSPIEGEL 5.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- (St)Reitschule: Cafete besetzt Cafete und das Sommerloch
- Stadttauben besetzen weiter
- Straf-Bars in Berner Wäldern
- Big Brother: Fichenquatsch schon früh bekannt
- Ausschaffungen: Kritik vom Roten Kreuz
- Sempach: Nazis marschieren; Antifa klaut Gedenkkranz
- Anti-Atom: Tiefenlager-Standorte
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REITSCHULE
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Mo 05.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.30 Uhr - Tojo - "Die Dällebach-Macher" Das
Musical zum
Musical von/mit: Pascal Nater, Michael Glatthard
Di 06.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Mi 07.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Do 08.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter
elektronische
Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ Xylophee, DJ Dunch, DJ
FRATZ, Isabelle, Mike, Nadja & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Kino - Südafrika jenseits des
WM-Taumels: Invictus
Clint Eastwood, USA 2009
Fr 09.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Sa 10.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
21.00 Uhr - Kino - Velo Filmabend - Premiere! Flat out
CH/FR 2010
Kamera & Regie: Renaud Skyronka
22.00 Uhr - Kino - Quicksilver USA 1986, 105 Min.
So 11.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
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kulturstattbern.derbund.ch 5.7.10
Von Manuel Gnos am Montag, den 5. Juli 2010, um 06:45 Uhr
Kulturbeutel 27/10
(...)
Ron Orp empfiehlt:
Im Tojo gibt es das Musical zum Musical des Sommers, zum
"Dällebach Kari", zu sehen. In "Die Dällebach-Macher" wird
uns vorgeführt, wie die Geschichte des Coiffeurmeisters
broadwaytauglich gemacht und die tragische Figur zum Musical-Star
wurde. Zudem: Nutzen Sie das Entspannungspotential beim Schlemmen unter
den alten Kastanienbäumen des Restaurant Zebra - man weiss nie,
wie lange das Wetter das Dinieren im lauschigen Garten noch
zulässt.
-> Ron Orp - deine tägliche Inspiration
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Sonntagszeitung 4.7.10
Diebstahl, Flucht und Liebe
Der Fotoroman über einen Bilderraub in Bern endet im Bett
Eine Auftragsdiebin klaut im Berner Kunstmuseum einen Hodler und
soll ihn nach Genua bringen. Das klappt nur über Umwege der
Geografie - und des Herzens. Der Fotoroman "Ein langer Weg zum grossen
Glück" der Künstlerin Urslé von Mathilde und der
Fotografin Manu Friedrich ist Gangster-Thriller und Lesben-Lovestory
zugleich. Erhältlich an der Vernissage am 9. 7. in der Reitschule
Bern oder online für 19.90 Franken. Romantico! (STH)
http://www.herausgeber.ch
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(ST)REITSCHULE
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derbund.ch 5.7.10
http://www.derbund.ch/bern/Reitschule-Wird-die-Cafete-geschlossen/story/24216833
(mit Fotos)
Reitschule: Wird die "Cafete" geschlossen?
Dies, weil es unmöglich gewesen sei, sich mit dem Betreiberteam
"auf minimale Abmachungen" zu einigen, wie die Reitschüler in der
Berner Zeitung sagen.
Laut einem Veranstalter, der regelmässig Parties in der "Cafete"
organisiert hatte, ist die Situation im kleinen Lokal immer mehr
eskaliert. Es sei zu Messerstechereien gekommen, wie er gegenüber
TeleBärn erzählt. Der junge Mann, der anonym bleiben will,
hat daher bereits vor einigen Monaten seine Tätigkeit als
Party-Organisator an den Nagel gehängt.
Unbekannte hätten die Partygäste zudem mit Pfeffersprays
angegriffen. Im kleinen Raum sei daraufhin Panik ausgebrochen,
erzählt der ehemalige Veranstalter weiter.
(vh)
Mehr Infos
TeleBärn: News ab 18 Uhr.
---
BZ 5.7.10
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Ein-Teil-der-Reitschule-ist-besetzt-/story/27784133
Ein Teil der Reitschule ist besetzt
Die Vollversammlung will die Cafeteria in der Reitschule
schliessen. Die Betreiber protestierten mit einer Besetzung.
Interner Zoff im Berner Kulturzentrum Reitschule: Die
Vollversammlung hatte entschieden, die Cafeteria zu schliessen und eine
neue Nutzung für die Räume zu suchen. Dies, weil es
unmöglich gewesen sei, sich mit dem Betreiberteam "auf minimale
Abmachungen" zu einigen, wie die Reitschüler sagen. Weil aber die
"Cafete"-Betreiber diesen Entscheid nicht akzeptiert hätten, habe
man die Türen schliesslich blockiert.
Am Wochenende kehrten die "Cafete"-Betreiber zurück und
besetzten den Raum für eine Solidaritätsparty. Auf dem
Trottoir wurde Mobiliar in Brand gesteckt. Dies bestätigten
Reitschüler auf Anfrage. Von der Mediengruppe nahm bis
Redaktionsschluss niemand zum weiteren Vorgehen Stellung.
mm
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Indymedia 2.7.10
Cafeteria der Reitschule Bern ::
AutorIn : Cafeteria Reitschule Bern
Widerstand gegen die Schliessung der Cafeteria der Reitschule Bern
Trotz widersprüchlichen Aussagen und Zusicherungen, soll die
Cafeteria der Reitschule Bern geschlossen werden.
Die Türen wurden blockiert und das Inventar wurde im Morgengrauen
des 27.06.2010 versteckt.
Das Cafeteria-Team ist sehr enttäuscht über diese
Vorgehensweise.
Was in Zukunft aus dem Raum werden soll, ist noch unklar. Diverse Ideen
wie Materiallager oder Backstageraum bei Grossanlässen stehen im
Raum.
Die Cafeteria war, bis zur letzten Stunde, ein autonomer Begegnungsort
für ein breit gefächertes Publikum. Eine Plattform für
urbane Künstler aus diversen Bereichen, ein Ort der Begegnung,
wird von der Bildfläche verschwinden.
SO NICHT!
Ein sporadisch genutzter Raum ersetzt keine Kulturstätte!
Aus diesem Anlass findet bei der Cafeteria, am Freitag (02.07.2010) bis
am ? (??.??.2010), eine ungezwungene "Soliparty” statt. Eingeladen sind
natürlich - wie immer - alle Leute.
Um zahlreiches Mitmachen wird gebeten!
Ein motiviertes Team wird zugunsten einer Besenkammer auf die Strasse
gestellt.
In einem einst besetzten Haus autonomer Kulturgeschichte ist dieser
Entscheid unverständlich. Die Cafeteria hat sich stets bemüht
auch noch zu später Stunde möglichst vielen unterschiedlichen
Leuten einen Platz zu bieten - auch jenen, welche anderorts nicht ins
Bild passten. Über all die Jahre gab es viele gute Momente, es
wurden tolle Feste gefeiert. Es gab auch schwierige Situationen, welche
es zu entschärfen galt. Es gab zu reden, es sei lärmig - es
ist ein Ort voller Leben. Dieser Ort wird "eventuell” mit all seinen
guten und schlechten Seiten verschwinden - das alt bekannte Vorgehen
der Politik, wenn es nicht ins Bild passt und nicht nach ihrem
Gutdünken tanzt!
In diesem Sinne. Bis später! ;)
--
Inhaltliche Ergänzungen:
Warum die Cafeteria in der Reitschule geschlossen ist
Die Vollversammlung der Reitschule hat entschieden, die Cafeteria zu
schliessen und eine neue Nutzung für die Räumlichkeiten zu
suchen. Diesen Entscheid, die Cafeteria zu schliessen, haben sich die
BetreiberInnen der Reitschule nicht einfach gemacht und er fiel erst,
nachdem in den letzten Jahren alle Versuche gescheitert sind, sich mit
den BetreiberInnen der Cafeteria auf minimale Abmachungen zu einigen.
Was bleibt ist die Enttäuschung darüber, dass die
Cafeteria-BetreiberInnen sich nicht an den Reitschule-Strukturen
beteiligt haben, und dass sie es ihnen nicht gelungen ist, die
Anforderungen, welche die Reitschule an sie stellte, umzusetzen. Auch
nicht, als an einer Vollversammlung im Frühling 2009 entschieden
wurde, der Cafeteria eine letzte Chance zu geben. Daraufhin
präsentierten die Cafeteria-BetreiberInnen der VV ein neues
Betriebskonzept.
Geändert hat sich seither leider wenig. Die Cafeteria hat ihr
Konzept nicht umgesetzt und sie haben sich nicht an die getroffenen
Vereinbarungen gehalten. Konkret hat sich die Cafeteria kaum an den
Reitschule Sitzungen beteiligt, wo das Zusammenleben und -arbeiten in
der Reitschule koordiniert und organisiert wird. Die Abmachungen
betreffend Öffnungszeiten und Lärm(-schutz) wurden nie
eingehalten. Rechnungen gegenüber der Reitschule und
gegenüber Dritten wurden nur selten beglichen. Dasselbe galt auch
für die (sehr tiefe) monatliche Miete auf das gemeinsame Konto der
Reitschule, was über die letzten Jahren zu einem Schuldenberg von
rund 30'000 Franken führte. Mit der regelmässigen
Rückzahlung der Schulden, wie dies die Cafeteria mehrfach
versprochen hatte, wurde nie begonnen. Der Reitschule wurde kein
Einblick in die Buchhaltung gewährt, obwohl das eine Bedingung
ist, die für alle Arbeitsgruppen gilt.
Beim Entscheid zur Schliessung geht es jedoch nicht in erster Linie um
das Geld von der Cafeteria, das in der Reitschule-Kasse fehlt, sondern
um das fehlende Vertrauen in die BetreiberInnen und mangelnde
Kooperationsbereitschaft und Rücksichtnahme auf das gemeinsame
Projekt Reitschule sowie auf die NachbarInnen. Weil diese Situation
schon seit Jahren so bestanden hat und sich trotz Bemühungen der
Reitschule nichts Wesentliches verbessert hat, ist von Seiten der
Reitschule-BetreiberInnen mit der Schliessung der Cafeteria ein
"Schlussstrich" gezogen worden.
Für die regelmässigen Gäste der Cafeteria, die den
Betrieb geschätzt und genutzt haben, tut es uns leid, dass sie
ihren Treffpunkt verloren haben. Wir hoffen jedoch, dass sie zumindest
ein wenig Verständnis für den Entscheid der Reitschule
aufbringen können.
Weiter möchten wir festhalten, dass die Angebote innerhalb der
Reitschule und die Nutzung der verschiedenen Räume nicht auf alle
Ewigkeit festgeschrieben sind. So wechselten in den 23 Jahren
"Reitschule Bern" viele Räume ihre Nutzung, immer entsprechend den
Ideen und Bedürfnissen der ReitschülerInnen. Das soll auch in
Zukunft so bleiben.
Im Moment starten die Diskussionen um die zukünftige Nutzung der
ehemaligen Räumlichkeiten der Cafeteria und ein
"Projektwettbewerb" ist lanciert worden. Sobald ein Entscheid
gefällt ist, werden wir darüber informieren.
ReitschülerInnen
29. Juni 2010
AutorIn: ReitschülerInnen
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STADTTAUBEN
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bernerzeitung.ch 5.7.10
"Stadttauben" besetzen ein weiteres Grundstück
Die Wohnwagen der "Stadttauben" sorgen einmal mehr für Aufsehen
und rote Köpfe: Stadtbauten Bern hat am Donnerstag, 1. Juli
erfahren, dass ein weiteres Grundstück von den Reisenden besetzt
worden ist.
Die Gruppe von Wohnwagenbesitzern hat sich am Niederriedweg bei
Matzenried niedergelassen, teilt Stadtbauten Bern mit. Die Besetzer
wurden laut Angaben ultimativ aufgefordert, das Gelände bis am
Montag, 12. Juli um 8 Uhr zu räumen.
Die Kantonspolizei Bern wurde informiert und weitere Schritte werden,
falls notwendig, eingeleitet, schreibt Stadtbauten Bern in einer
Medienmitteilung.
"Das Verhalten der ‹Stadttauben› ist inakzeptabel"
Einem stossen die Grundstückbesetzer besonders übel auf.
SVP-Grossrat Thomas Fuchs findet, dass das Verhalten der Stadttauben
inakzeptabel sei. Er fordert zusammen mit BernAktiv ein sofortiges
Handeln vom Berner Polizeidirektor Reto Nause und die Erstattung von
Strafanzeigen. (sgl/pd)
---
Bund 5.7.10
Stadttauben in Matzenried
Am Niederriedweg bei Matzenried (Gemeinde Bern) haben sich
offenbar die Stadttauben mit ihren Wohnwagen niedergelassen. Die SVP
Bümpliz fordert die Räumung des Areals. Laut Präsident
Thomas Fuchs soll es sich beim besetzten Areal um einen jener vier
Standorte handeln, die der Gemeinderat zur Schaffung einer "Zone
für Wohnexperimente" prüft. "Das besetzte Gebiet wurde den
Stadttauben offenbar von der Stadt Bern zugeteilt", folgert Fuchs. (bob)
---
bernaktuell 5.7.10
Pressemitteilung vom 5. Juli 2010
Das Verhalten der "Stadttauben" ist inakzeptabel!
Vereinigung BernAktiv und SVP Bümpliz und Umgebung fordern die
sofortige Räumung der Stadttauben auf dem Areal am Niederriedweg
in Matzenried (Gemeinde Bern)
Das Verhalten der "Stadttauben" ist inakzeptabel! Auf die gewohnt
unfreundliche Art und Weise haben sich die Stadttauben illegal im
Westen von Bern niedergelassen und die Nachbarschaft weder angefragt
noch informiert.
Die "Stadttauben", eine Gruppe von zirka 15 jungen Menschen,
belästigt die Stadt Bern bereits seit vielen Jahren. Mit ihren
abgewrackte Baustellenwagen und ausgemusterten Wohnwagen "wohnten" sie
bereits im Neufeld und besetzten dann z.B. auch die Kiesgrube an der
Murtenstrasse oder die Schrebergärten beim Wankdorf, dann ein
Areal am Centralweg und letztlich ein Gelände in Bümpliz, wo
sogar Anwohner tätlich angegriffen wurden. Sämtliche
hygienischen Vorschriften werden dabei jeweils missachtet.
Die Vereinigung BernAktiv und die SVP Bümpliz sind empört,
dass die Stadt Bern diesem illegalen Treiben bereits seit Jahren
tatenlos zuschaut und verlangt erneut eine genaue Personenkontrolle
aller Besetzer, die Kontrolle der genutzten Fahrzeuge auf deren
Fahrtauglichkeit und Einhaltung der Umweltvorschriften und deren
allfällige Beschlagnahmung sowie die Auferlegung sämtlicher
Kosten im Zusammenhang mit der Besetzung.
Einmal mehr werden Randständige in den Westen Berns abgeschoben,
in der Hoffnung hier sei die politische Empörung am kleinsten. Das
besetzte Gebiet wurde den Stadttauben offenbar von der Stadt Bern
zugeteilt, obwohl die Zone klar illegal ist und trotz klarem
Volksentscheid gegen Hüttendorfzonen. Ungeachtet dessen hat der
Gemeinderat die erneute Prüfung von solchen Zonen in Prüfung
gegeben und will nun offenbar mit der Zuteilung Druck machen.
Die Vereinigung BernAktiv und die SVP Bümpliz erwarten von
Polizeidirektor Reto Nause ein sofortiges Handeln und die Erstattung
von Strafanzeigen gegen die Verantwortlichen bei den Stadttauben und
auch gegenüber allfälligen städtischen Behörden
oder Politikern, welche sich klar über geltendes Recht
hinwegsetzen. Das Strassenverkehrsamt wird aufgefordert betreffend den
eingelösten Traktoren und Bauwagen aktiv zu werden.
VEREINIGUNG BERNAKTIV sowie SVP Bümpliz und Umgebung
Thomas Fuchs, Grossrat und Präsident, 079 302 10 09
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STRAF-BAR
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Bund 5.7.10
Waldpartys Fast jedes Sommerwochenende finden in Berner
Stadtwäldern etliche Partys statt. Illegal, klandestin - und
trotzdem mordslaut.
Bumbumbum im Unterholz
Christoph Lenz
Die Tanzfläche ist weich wie ein Nadelkissen. Und so dunkel,
dass man kaum seinen Nächsten erkennt. Deshalb muss man jetzt gut
achtgeben auf die Wurzeln, die vor dem DJ-Pult aus dem Boden ragen.
Äste, Baumstrünke, Feuerstellen - es gibt einige
Stolperstellen auf dieser Waldlichtung im Steinhölzliwald, die
gerade der geheime Mittelpunkt der Berner Partyszene ist. Hier steigt
in dieser Samstagnacht der Fuchsbrunnen-Rave II, der "technoärmste
Rave seit der Mayday", wie im Internet versprochen wurde. Ein
verschworenes Grüppchen, vielleicht 100 Seelen, ist gekommen, um
die Nacht durchzufeiern. Und weil die Nacht noch ewig dauert, passt man
jetzt gescheiter auf, wo man hintritt. Hoppla, schon wieder eine Wurzel.
Beinahe jedes Sommerwochenende ziehen Hunderte Berner Jugendliche
in die Stadtwälder um Waldpartys zu feiern. Veranstalter karren
freitags und samstags ihre mobilen DJ-Pulte, Soundanlagen und Bars ins
Unterholz. Dann laden sie via Facebook, Twitter oder SMS ihre Freunde
ein. Wenige Stunden später brummt der Wald. Bumbumbumbum unter
Buchen, Eichen und Erlen. Einer der Hotspots ist der Glasbrunnen im
Bremgartenwald. An Freitag- und Samstagabenden ist er etwa so stark
frequentiert wie eine "Schweizer Familie"-Grillstelle am Sonntagmittag.
Das mussten auch die Veranstalter des Fuchsbrunnen-Raves erfahren. Als
sie vorletztes Wochenende beim Glasbrunnen vorfuhren, hatte sich hier
bereits eine Goa-Party breitgemacht. So verlegten sie ihr Fest spontan
auf einen nahen Spielplatz. Keine grosse Sache. Im Wald gibts Platz
genug für alle.
Vier Damen sitzen auf einem gefällten Baum. Wie ein Joint
geht ein kleines Fläschchen durch die Runde. Ein süsslicher
Geruch wabert durch die Luft. Nein, natürlich keine Drogen:
Anti-Brumm, das ist der Duft der Freiheit. Derweil läuft die Bar,
die in einem Veloanhänger untergebracht ist, wie geschmiert. Bier
gibts für drei Franken, gespritzten Weisswein für vier,
Pastis für fünf und Mixgetränke für sechs. Wer
wollte bei solchen Preisen schon geizig sein. Bereits nach einer
knappen Stunde geht das Bier aus. Ein Mann greift sich einen
Einkaufswagen und stösst ihn in den dunklen Wald. Nachschub holen.
Früher war das anders. Die Jugend feierte in stillgelegten
Industriehallen, unter S-Bahn-Brücken oder in besetzten
Häusern. Doch diese Räume sind heute belegt. In den
Industriehallen wohnen Yuppies. Die illegalen Bars wurden ausgehoben.
Besetzte Häuser sind ziemlich aus der Mode. Was bleibt da noch
übrig für die Jugend, die sich ihre eigenen Räume nehmen
will? Zuhause bleiben oder ab in den Wald. Den kennt sie noch von ihrer
Kindheit. Nur findet sie ihr Vergnügen nicht mehr im trauten
Innern einer selbstgebauten Hütte, sondern im Tanz, im Rausch, im
Sound aus den Metropolen der Welt. Kaum je war eine klandestine
Versammlung so mordslaut. Denn, natürlich: Es ist illegal. Aber
das ist ja das Schöne daran.
Die zwei Polizisten sehen das natürlich anders. Um 2.30 Uhr
stehen sie auf der Lichtung und blenden mit ihren Taschenlampen in die
tanzende Menge. Die Musik stirbt. Der Gastgeber entschuldigt sich: "Mir
müesse fertigmache." Zwischenruf: "Ist es eine Geldfrage?". Der
Veranstalter: "Nein, es ist keine Geldfrage." Die Leute schimpfen. Wo
ist nur der Beat? Kann man einen Wald besetzen? Oder wenigstens eine
Lichtung? Und wie haben es diese Sans-Papiers schon wieder gemacht?
Bald packen die ersten Besucher ihre Sachen. Es wird still. Nur der
Stromgenerator furzt einsam und zuverlässig in den finsteren Wald
hinaus. Das wird er nächstes Wochenende bestimmt wieder tun.
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BIG BROTHER
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Bund 5.7.10
Justizdepartement wusste über die Fichierung Bescheid
In der Fichenaffäre verdeutlicht sich durch die Untersuchung
der Geschäftsprüfungskommission (GPDel), dass in der
Vergangenheit vom Geheimdienst bis hin zum Bundesrat nachweislich
falsche Angaben gemacht wurden. Gegenüber dem Justizdepartement
(EJPD) hatte der frühere Inlandgeheimdienst (DAP) bereits im Juli
2008 Probleme mit den Isis-Daten einräumen müssen. Diese
Tatsache war jedoch, wie sich nun nachträglich herausstellte, bei
der Antwort des Bundesrates auf eine Anfrage der
SP-Ständerätin Anita Feuz verschwiegen worden. Ebenfalls im
Oktober 2008 war das Bundesamt für Justiz in einem Gutachten zum
Schluss gekommen, dass die gesammelten Informationen des DAP "wenig
solide und teilweise nicht staatsschutzrelevant waren". (fri) - Seite 5
--
Bundesrat verschwieg das Fichen-Problem
Das Justizdepartement wusste früh, dass es beim
Informationssystem Isis Probleme gab - und behauptete trotzdem das
Gegenteil.
Daniel Friedli
Die neue Fichenaffäre beim Bund ist nicht nur eine
Geschichte von übereifrigen Spionen und trägen Aufsehern,
sondern auch eine von Lug und Trug - und zwar vom Geheimdienst bis hin
zum Bundesrat. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des
Parlaments hat schon letzte Woche kritisiert, dass der frühere
Inlandgeheimdienst (DAP) Daten über seine Kontrolltätigkeit
manipuliert hat.
So schrieb dieser 2008 nachträglich in alle Dossiers, dass
man diese vier Jahr zuvor auf ihre Rechtfertigung überprüft
habe - obwohl in Zehntausenden von Fällen gar keine solche
Kontrolle stattgefunden hatte. "Dort hat man uns an der Nase
herumgeführt", sagt GPDel-Präsident Claude Janiak dazu in
einem Interview in der Zeitung "Sonntag".
Die genau Analyse der Vorgänge zeigt nun, dass selbst der
Bundesrat in der Sache geschummelt hat. Dabei geht es um die Frage, ob
der DAP die Personendaten zu Recht sammelte, ob dazu also der
gemäss Bundesgesetz zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS)
nötige "begründete Verdacht" vorlag.
Probleme waren bekannt
Dies wollte SP-Ständerätin Anita Fetz bereits vor zwei
Jahren wissen und erhielt darauf am 26. November 2008 vom Bundesrat
folgende Antwort: "Bisher liegen keine Anhaltspunkte vor, dass der DAP
die in Artikel 3 BWIS festgelegten Schranken nicht eingehalten
hätte."
Diese Antwort war, wie der GPDel-Bericht nun zeigt, nachweislich
falsch. Tatsächlich wusste zumindest das Justizdepartement (EJPD)
von Eveline Widmer-Schlumpf zum fraglichen Zeitpunkt bereits, dass es
bei den Isis-Daten Probleme gab. Denn gegenüber der GPDel musste
das Departement schon im Juli 2008 einräumen, dass die Fichierung
von zwei Basler Grossräten zumindest in einem Fall nicht
gerechtfertigt war. Die Akte wurde in der Folge gelöscht.
Die GPDel gab sich damit indes nicht zufrieden und hakte auch
bezüglich des zweiten Kantonsparlamentariers nach. Und auch hier
musste der Geheimdienst zurückkrebsen: Im Oktober 2008 kam das
Bundesamt für Justiz in einem Gutachten zum Schluss, dass die
Informationen des DAP "wenig solide und teilweise nicht
staatsschutzrelevant" waren.
Parlament hinters Licht geführt
Es bestehe daher für die weitere Bearbeitung der Daten keine
Grundlage. Der Geheimdienst musste also auch diesen Eintrag
löschen; er tat dies gemäss GPDel-Bericht am 3. November
2008, also gut drei Wochen bevor der Bundesrat der
Ständerätin Anita Fetz antwortete, es gebe keinerlei
Anzeichen für Probleme. Die Basler SP-Ständerätin
fühlt sich nach dieser Aufarbeitung erst recht düpiert. Der
Bundesrat habe sie mit seiner Antwort hinters Licht geführt, sagte
Fetz gestern auf Anfrage. "Ich werde mir nun bis zur nächsten
Session überlegen, wie ich damit umgehen werde."
Klar ist für Fetz, was auch andere Politiker in den letzten
Tagen antönten: Ein weiterer Ausbau des Staatsschutzes, wie ihn
der Geheimdienst wünscht, ist nach dem GPDel-Bericht noch weiter
in die Ferne gerückt.
Der Geheimdienst reagiert
Eine Vorlage zum präventiven Überwachen von Telefon-
und E-Mail-Verkehr ist schon 2009 gescheitert und von VBS-Chef Ueli
Maurer unterdessen auf 2013 verschoben worden. Aber auch die geplante
kleine BWIS-Revision, die demnächst kommen soll, dürfte es
schwer haben. SP-Nationalrätin Anita Thanei (ZH) kündigt
jedenfalls bereits präventiv an, ihre Seite werde wohl nur
mitmachen, wenn darin verstärkte Kontrollmechanismen enthalten
sind.
Der Geheimdienst hat derweil auf die Kritik reagiert. Direktor
Markus Seiler wies seine Mitarbeiter an, beim Fichieren ab sofort
restriktiver vorzugehen.
--
Auch Ex-Geheimdienstchef Peter Regli ist fichiert
Wegen Südafrika-Kontakten
Die Datensammler des Staatsschutzes machen auch vor früheren
Chefs nicht Halt. So kommt es, dass selbst der ehemalige
Geheimdienstchef Peter Regli als Drittperson im Informationssystem Isis
fichiert ist. Der Grund liegt in den Kontakten Reglis zum
Waffenhändler Jürg Jacomet. Dieser hatte 1993 - auf Anraten
von Peter Regli - auf der Autobahnraststätte Kemptthal 13
Kilogramm schwach radioaktives Uran deponiert, das er loswerden wollte.
Der Geheimdienst nahm den Fall ins Isis auf und sammelte, auch
nachdem Jacomet 1998 gestorben war, weiter Berichte über dessen
Verbindungen zum südafrikanischen Apartheidregime. Und weil darin
auch Reglis Verbindungen zu Südafrika Thema waren, wurde dieser
ebenfalls automatisch fichiert. Den ehemaligen Geheimdienstchef Regli
kümmert dies wenig: "Diese Tatsache stört mich überhaupt
nicht", sagte er der Zeitung "Sonntag". Wo gearbeitet werde,
würden Fehler gemacht; und wer ein reines Gewissen habe,
müsse nichts befürchten. (fri)
---
BZ 5.7.10
Staatsschutz
1800 Fichen in Bern
Nicht nur beim Nachrichtendienst des Bundes lagern heikle Fichen:
Die Kantone haben Tausende von Daten.
"Viele kantonale Staatsschutzorgane verfügen über
zusätzliche eigene Datensammlungen, über die es keinerlei
Kontrolle gibt." Dies sagte Claude Janiak, Präsident der
Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments (GPDel),
gegenüber der "SonntagsZeitung". Bei der Erarbeitung des Berichts
über den Bundes-Staatsschutz stiess Janiaks Behörde in den
Kantonen Basel, Bern und Genf, die sie stichprobenweise inspizierte,
auf zusätzliche Daten. Die Sammlung in Bern umfasst rund 1800
Einträge. Berns Datenschützer Markus Siegenthaler geht sogar
davon aus, dass deutlich mehr Personen erfasst sind. Er sagt: "Ich kann
nicht sicherstellen, dass unter den fichierten Personen in meinem
Kanton keine Leute sind, die unschuldig verdächtigt werden."
Wie gestern ebenfalls bekannt wurde, wird jeder, der sich in der
Schweiz einbürgern lassen will, vom Staatsschutz
überprüft. Jedes Gesuch wird in der Verwaltungsdatenbank
Isis02 registriert. Diese Registrierung kann gemäss einen Bericht
der Zeitung "Sonntag" heikel werden: Erhält der Staatsschutz zu
einer Person mehr als zwei Meldungen, wird diese automatisch in die
Datenbank Isis01 überführt und gilt dann als Gefahr für
den Staatsschutz. Die kantonalen Datenschützer möchten die
Fichen kontrollieren - doch das verweigert der Nachrichtendienst.
mic
Seite 2
--
Datenaffäre in den Kantonen
Datenschützer verlangen Einsicht
Kantonale Staatsschutzorgane verfügen über
Datensammlungen, über die es keinerlei Kontrolle gibt. Gemäss
Stichproben gibt es in Bern 1800 Einträge. Der Nachrichtendienst
will ab sofort vorsichtiger bei der Fichierung vorgehen.
In den Kantonen Bern, Basel und Genf hat die
Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes (GPDel) bei ihrer
Untersuchung zum Umgang des Staatsschutzes mit Personendaten
Stichproben gemacht. Nach Auskunft von GPDel-Präsident Claude
Janiak (SP, BL) kamen dabei Tausende zusätzliche Daten zum
Vorschein. Die Sammlung in Genf umfasst demnach "mehrere Hundert
Personen", in Bern sind es über 1800 Einträge. Wie der Berner
Datenschützer Markus Siegenthaler gegenüber der
"SonntagsZeitung" sagte, gehe er allerdings davon aus, das noch
deutlich mehr Personen erfasst seien. Laut Janiak verfügen "viele
kantonale Staatsschutzorgane über zusätzliche eigene
Datensammlungen, über die es keinerlei Kontrolle gibt".
Wie den Sonntagsmedien zu entnehmen ist, möchten die
Datenschützer die Fichen einsehen. Dies werde vom
Nachrichtendienst aber verweigert, heisst es. Die Datenschützer
klären nun ab, ob sie auch ohne Zustimmung des Bundes Einblick
nehmen können.
Udo Jürgens fichiert
Wie in Berichten am Wochenende bekannt wurde, gerieten in den
letzten Jahren Bürgerinnen und Bürger auf fragwürdige
Weise in den Fokus des Staatsschutzes. Demzufolge wird jeder, der sich
hierzulande einbürgern lassen will, vom Dienst für Analyse
und Prävention (DAP) überprüft. Aus dem Bericht der
GPDel geht hervor, dass Gesuche in jedem Fall in der
Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert werden.
Einbürgerungswillige werden jedoch nicht nur auf Einträge im
Strafregister hin untersucht, sondern auch auf Einträge in der
staatsschutzrelevanten Datenbank Isis01 des DAP für Personen, die
eine Bedrohung der Schweiz darstellen. Dies geschehe aus gesetzlichen
Gründen, hiess es beim Bundesamt für Migration (BfM): "Die
Voraussetzungen müssen gegeben sein, dass Eingebürgerte keine
Gefahr für die innere und äussere Sicherheit darstellen."
Eine Prüfung kann gemäss Medienberichten indes heikel werden:
Erhalte der DAP zu einer Person nämlich mehr als zwei Meldungen,
werde diese automatisch in die heikle Datenbank Isis01
überführt und gelte künftig als Gefahr für den
Staatsschutz. Damit gerieten Personen in den Fokus des Staatsschutzes,
die sich das nie hätten träumen lassen. Dazu gehöre auch
der Schlagersänger Udo Jürgens.
Staatsschutz vorsichtiger
Wie inzwischen bekannt wurde, will der Nachrichtendienst (NDB) ab
sofort vorsichtiger vorgehen. Der Direktor des NDB, Markus Seiler, hat
am Freitag per Weisung eine "restriktivere Linie" für den Umgang
mit der Staatsschutz-Datenbank Isis verordnet. Sebastian Hueber,
Sprecher des Departementes für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), bestätigte gestern eine
Meldung der "NZZ am Sonntag".
Neue Informationen dürfen demnach nur in der Datenbank
erfasst werden, wenn sie wirklich für den Staatsschutz relevant
sind. Im Klartext heisst dies: Die betroffenen Personen müssen
eine Gefahr darstellen für die innere oder äussere Sicherheit
der Schweiz. So sieht es auch das Gesetz vor. Weitere Massnahmen sind
laut Hueber nicht ausgeschlossen. Am Zug ist nun aber der
Gesamtbundesrat, der bis Ende Oktober eine Antwort auf den
GPDel-Bericht finden muss. Noch vor dem Herbst will die GPDel laut
Janiak mit dem VBS über die Datenbank sprechen.
In den letzten Jahren hatte der Nachrichtendienst Informationen
gesammelt, die er erst Jahre später oder gar nicht auf ihre
Relevanz prüfte. Insgesamt verwaltet der Dienst rund 200 000
registrierte Personen.
mic/sda
---
20 Minuten 5.7.10
Einbürgerungen wurden fichiert
BERN. Nachdem letzte Woche herauskam, dass der
Inland-Geheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention)
Daten von 200 000 Personen gesammelt hat, bestätigt nun das
Bundesamt für Migration gegenüber der Zeitung "Sonntag":
"Alle Einbürgerungsgesuche werden systematisch dem DAP
unterbreitet. Und zwar unabhängig von der Nationalität."
Konkret werden alle Einbürgerungswilligen, auch
Unverdächtige, auf der so genannten Verwaltungsdatenbank Isis02
erfasst. Wer mehr als zwei Meldungen beim DAP hat, kommt automatisch in
die Datenbank Isis01 und gilt damit als Gefahr für den
Staatsschutz. Dies bestätigt Claude Janiak, Präsident der
Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments, gegenüber
"Sonntag". Der Nachrichtendienst NDB will ab sofort vorsichtiger
vorgehen. Registriert werden soll nur noch, wer in einer Prüfung
als Gefahr für die Sicherheit der Schweiz taxiert wurde.
---
Basler Zeitung 5.7.10
Geheimdienst zieht die Zügel an
Nachrichtendienst-Chef Markus Seiler verordnet neues Regime beim
Datensammeln
Beat Rechsteiner
Nur noch wer in einer Prüfung als Gefahr für die
Sicherheit der Schweiz taxiert wird, soll neu fichiert werden. Damit
zieht der Nachrichtendienst NDB die Konsequenzen. Neu ist bekannt, dass
auch in den Kantonen Daten gesammelt wurden.
Die heftige Kritik am Inlandgeheimdienst zeigt Wirkung: Ab sofort
gilt im Umgang mit dem Staatsschutz-Informationssystem (ISIS01) eine
"restriktive Linie". Im Zweifelsfall sollen bereits vorhandene
Einträge gelöscht und neue Informationen nur dann erfasst
werden, wenn sie tatsächlich für den Staatsschutz von
Bedeutung sind. Der Sprecher des Verteidigungsdepartements
bestätigte gestern einen entsprechenden Bericht der "NZZ am
Sonntag".
Mit diesen Massnahmen reagiert der Chef des Nachrichtendienstes
(NDB), Markus Seiler, auf den vernichtend ausgefallenen Bericht der
Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments. Diese hatte in
der vergangenen Woche aufgedeckt, dass beim früheren
Inlandgeheimdienst DAP über Jahre hinweg Daten auf Vorrat
gesammelt wurden. Auch die vorgeschriebene, periodische
Überprüfung auf ihre Relevanz hin wurde in vielen Fällen
nicht durchgeführt. Auf diese Weise gelangten Personen in die
Datenbank, von denen keinerlei Gefahr für den Staat ausging. Und
ihre Einträge wurden bis heute nicht gelöscht.
Provisorisch sperren
Insgesamt verwaltet der Nachrichtendienst in seiner Datenbank rund 200
000 Einträge. Die Geschäftsprüfungsdelegation fordert
nun, dass sämtliche Daten, die in den letzten fünf Jahren
erfasst und keiner Überprüfung unterzogen wurden,
provisorisch gesperrt werden.
Wie die Zeitung "Sonntag" berichtet, werden auch alle
Einbürgerungswilligen vom Geheimdienst kontrolliert. Ungeachtet
der Nationalität der Gesuchsteller werden die Anträge mit den
Daten des Nachrichtendienstes abgeglichen.
Das entspricht zwar dem Gesetz, kann für die Betroffenen
wegen der mangelnden Qualitätskontrolle aber heikel werden: Die
Kandidaten landen vorerst in der Verwaltungsdatenbank ISIS02.
Erhält der Dienst mehr als zwei Meldungen zu einer Person, wird
ihr Eintrag automatisch in die Staatsschutzdatenbank ISIS01
überführt. Damit gilt die Person für den Staat als
gefährlich, ob sie es nun tatsächlich ist oder nicht - und
der rote Pass bleibt ein Traum.
Wie schnell man in diese Datenbank kommen kann, zeigt das
Beispiel eines ausländischen Geschäftsmanns. Dreimal
registrierte ihn die sogenannte Fotopasskontrolle beim
Grenzübertritt, und schon befand sich sein Name in der ISIS01. Bei
der Fotopasskontrolle werden Personen aus einigen ausgewählten
Staaten einzig aufgrund ihrer Herkunft erfasst und fichiert.
Bis Ende Oktober muss nun der Bundesrat zum Bericht der
Delegation Stellung nehmen. Deren Präsident, SP-Ständerat
Claude Janiak, will aber nicht so lange warten. Man werde mit
Verteidigungsminister Ueli Maurer nach den Sommerferien das
Gespräch suchen, sagte er im Interview mit dem "Sonntag". Janiak
konkretisierte dabei auch die Vorwürfe an den ehemaligen DAP-Chef
Urs von Daeniken. Zwar unterstellt er diesem nicht, ein Lügner zu
sein.
"Grenzwertig"
Die Informationen an die Aufsichtsinstanz seien aber "kurz vor der
Unwahrheit" gewesen. Man habe das Problem mit den periodischen
Qualitätsüberprüfungen kleiner machen wollen, als es
war. So sei es bedenklich, dass alle Kontrolldaten auf den 31. Dezember
2004 gesetzt wurden. "Auf diese Weise wurde suggeriert, man hätte
eine Kontrolle gemacht." Dieses Vorgehen ist laut Janiak
"strafrechtlich zumindest grenzwertig".
Chaos auch in den Kantonen. Das von der
Geschäftsprüfungsdelegation kritisierte Datenchaos
beschränkt sich gemäss "Sonntagszeitung" nicht auf den Bund.
Auch in den Kantonen sollen Tausende von Daten über Personen und
Organisationen registriert sein, die nie von einer unabhängigen
Stelle kontrolliert wurden.
Wie viele Einträge sich in diesen Sammlungen befinden, ist
unklar. Allein im Kanton Bern sollen es aber deutlich mehr als die vor
zwei Jahren festgestellten 1800 Datensätze sein. Die kantonalen
Datenschutzbeauftragten fordern Akteneinsicht. Das wurde vom
Nachrichtendienst bisher verweigert.
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St. Galler Tagblatt 5.7.10
Jeder fahndet für sich allein
Es gibt unzählige Verwaltungsstellen, die gegen die
Internetkriminalität kämpfen. Parlamentarier finden das
ineffizient. Mit Hilfe einer parlamentarischen Initiative streben sie
nun eine Gesamtkoordination an.
Marcello Odermatt
Bern. Das kriminelle Potenzial im Internet hat in den letzten
Jahren zugenommen. Dabei geht es nicht nur um jihadistische und
extremistische Internetseiten, sondern auch um
Wirtschaftskriminalität, Hacker, Datenklau, Kreditkartenbetrug,
Internetpornographie, Cyberbullying (Mobben und Stalken im Netz).
Ebenso mannigfaltig wie der Deliktkatalog in den letzten Jahren
gewachsen ist, haben sich die Verwaltungsstellen ausgebreitet, die sich
des Problems annehmen, etwa das Bundesamt für Kommunikation, die
Melde- und Analysestelle Informationssicherung (Melani) im
Nachrichtendienst des Bundes, die Koordinationsstelle zur
Bekämpfung der Internetkriminalität (Kobik) im Bundesamt
für Polizei (fedpol), das Staatssekretariat für Wirtschaft,
das Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV), der
Eidgenössische Datenschützer, die kantonale Fachstelle
Schweizerische Kriminalprävention (SPK), kantonale und kommunale
Polizeien. Für Krisensituationen gibt es noch den Sonderstab
Information Assurance. Den Behörden vorzuwerfen, sie täten
nichts, wäre also falsch.
"Es fehlt die Koordination"
Doch tun sie es richtig? "Die einzelnen Stellen leisten gute
Arbeit", sagt die Zürcher CVP-Nationalrätin Barbara
Schmid-Federer. Doch: "Jeder macht etwas für sich. Es fehlt die
Koordination." Ebenso sehen es die Kantone, zumindest deren Fachstelle
SKP. Martin Boess, SKP-Geschäftsleiter: "Auf vielen Ebenen
passiert viel. Doch alles beisst sich am Schluss in den Schwanz."
Jüngstes Beispiel sind die Anstrengungen für den
Jugendmedienschutz. Sowohl Bakom wie auch BSV erarbeiteten eine Studie
zur Medienkompetenz. Der BSV-Bericht gelang zur Entscheidfindung in den
Bundesrat, der Bakom-Bericht wurde schubladisiert. "Es fehlt der Plan,
eine Strategie", sagt auch Ronja Tschümperlin von Kinderschutz
Schweiz.
Obschon beim Bundesrat Vorstösse hängig sind, mag
Schmid-Federer nicht länger warten. Sie hat in der Sommersession
eine parlamentarische Initiative eingereicht, damit das Parlament das
Problem selbst anpacken kann. Die Initiative unterschrieben zahlreiche
Politikerinnen und Politiker aus allen Parteien. Eine ähnliche
Initiative reichte Ivo Bischofberger (AI) im Ständerat ein.
Bund soll koordinieren
Konkret soll eine gesetzliche Grundlage erarbeitet werden, die
dem Bund die Koordinationsaufgabe zuschreibt, um den Kampf "effizienter
und kostengünstiger" zu machen. Schmid-Federer möchte
zugleich die Strafgesetze, die aus den internetfreien 1990er- Jahren
stammen, aktualisieren. Vorab geht es aber um die Schaffung einer
zentralen Stelle, die koordiniert, Ressourcen und Geld verteilt.
Know-how weitergeben
Auch der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen,
Mitunterzeichner der Initiative, findet eine bessere "Koordination auf
Bundesebene" sinnvoll. Davon profitierten auch KMU, die bei
Hackerangriffen auf den Bund betroffen sein könnten. Das Know-how,
das der Bund habe, müsse weitergegeben werden. Ob es dafür
ein neues Gesetz braucht, lässt Wasserfallen indes offen.
Für Ronja Tschümperlin vom Kinderschutz müsste die
übergeordnete Sichtweise aber auch die Förderung des
verantwortungsvollen Umgangs mit dem Internet beinhalten. Dies sei
"unerlässlich", da die Gesellschaft durch komplexe
Informationssysteme "verwundbar" geworden sei.
Bundesrat: Gesetz genügt
Der Bundesrat stellte solche Argument zwar nie in Abrede. Doch er
hielt stets fest, die bisherigen Gesetze genügten. Auf Nachfrage
bestätigte das Fedpol dies und verweist auf die neue
Strafprozessordnung, das Fernmeldegesetz und die geplante Revision des
Bundesgesetzes betreffend die Überwachung des Post- und
Fernmeldeverkehrs.
Und bezüglich Koordination hielt das Justizdepartement in
einem Vorstoss fest: Die Schweiz verfüge über "ein
umfassendes, flexibles und kostengünstiges Modell zum Schutz der
kritischen Informationsinfrastrukturen und zur Bekämpfung der
Internetkriminalität".
Mehr Personal eingestellt
Auf Druck des Parlaments stockte der Bundesrat vor zwei Jahren
gleichwohl den Personalbestand auf. Heute heisst es beim Fedpol, die
vorhandenen Ressourcen würden "möglichst zweckmässig"
eingesetzt und es werde derzeit ein Konzept zur Bekämpfung der
Internet- und Netzwerkkriminalität vorbereitet.
Auch dazu musste sich der Bundesrat allerdings zwingen lassen.
Die entsprechende Motion wurde im Juni 2009 gegen seinen Willen
überwiesen. Indes: In der gleichen Session lehnte der Nationalrat
eine Motion von Jakob Büchler (CVP, SG) ab. Er forderte eine
"eigene Abteilung zur effizienten und raschen Verfolgung von
Internetkriminalität".
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Jahr für Jahr mehr Fälle
In seinem jüngsten Bericht stellt das Bundesamt für
Polizei (fedpol) eine erneute Zunahme der Internetkriminalität
fest. Bei der Koordinationsstelle zur Bekämpfung der
Internetkriminalität (Kobik) gingen 2009 7747 Meldungen ein - 16
Prozent mehr als im Vorjahr. Zugenommen hätten die täglichen
Hackerangriffe auf Unternehmen und Bundesverwaltung. Weiter stellte
Kobik einen "signifikanten Anstieg" der Meldungen betreffend
kinderpornographischem Material fest. Aufgefallen sind dem Fedpol auch
die sozialen Netzwerke, die "eine Fülle von Gefahren" und "einen
Nährboden für neue Deliktsformen" darstellen. Das Fedpol
betont im Bericht die Schwierigkeiten der Kontrolle: Technologien
entwickelten sich kontinuierlich. Fazit des Fedpols: "Die Entwicklung
verlangt eine laufende Anpassung von Taktik und Technik, aber auch der
rechtlichen Grundlagen, um in Zukunft erfolgreich
Schwerstkriminalität verfolgen zu können." (mob)
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NLZ 5.7.10
Fichen-Affäre
Nachrichtendienst fichiert "restriktiver"
Der Nachrichtendienst will ab sofort vorsichtiger bei der
Fichierung vorgehen - und sich damit so verhalten, wie es das Gesetz
vorsieht.
sda. Der Direktor des Nachrichtendienstes NDB, Markus Seiler, hat
am Freitag per Weisung eine "restriktivere Linie" für den Umgang
mit der Staatsschutz-Datenbank Isis verordnet. Sebastian Hueber,
Sprecher des Departementes für Verteidigung,
Bevölkerungsschutz und Sport (VBS), bestätigte gestern eine
entsprechende Meldung der "NZZ am Sonntag". Neue Informationen
dürfen demnach nur in der Datenbank erfasst werden, wenn sie
wirklich für den Staatsschutz relevant sind. Im Klartext heisst
dies: Die betroffenen Personen müssen eine Gefahr darstellen
für die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz. So sieht
es auch das Gesetz vor.
Nichts aus Fichen-Skandal gelernt
In den letzten Jahren hatte der Nachrichtendienst Informationen
gesammelt, die er erst Jahre später oder gar nicht auf ihre
Relevanz prüfte. Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel)
kritisierte die vernachlässigte Kontrolle am Mittwoch in einem
Bericht als gesetzeswidrig. 20 Jahre nach dem Fichen-Skandal sei es
nicht zu einem Kulturwandel gekommen.
Weitere Massnahmen sind laut Hueber nicht ausgeschlossen. Am Zug
ist nun aber der Gesamtbundesrat, der bis Ende Oktober eine Antwort auf
den GPDel-Bericht finden muss. Die GPDel hatte unter anderem eine
Sperre jener Daten gefordert, die widerrechtlich nie geprüft
wurden. Sie verlangte, dass alle Isis-Informationen, die älter als
fünf Jahre sind und nicht einer Gesamtbeurteilung unterzogen
wurden, bis zu einer Prüfung nicht verwendet werde dürfen.
Betroffen wären die Daten von mehreren zehntausend registrierten
Personen. Eine solche Sperre sei nicht verordnet worden, sagte Hueber.
Noch vor dem Herbst will die GPDel mit dem VBS über die
Datenbank sprechen. "Nach den Sommerferien suchen wir das Gespräch
mit Bundesrat Ueli Maurer", sagte der GPDel-Präsident und
Baselbieter Ständerat Claude Janiak (SP) der Zeitung "Sonntag".
"Strafrechtlich grenzwertig"
Eine Konsequenz aus der harschen Kritik hatte am Freitag das
Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) gezogen. Bundesrätin Eveline
Widmer-Schlumpf (BDP) enthob den Chef des ehemaligen
Inlandnachrichtendienstes DAP, Urs von Daeniken, seiner neuen Funktion
im EJPD. Die Geschäftsprüfungskommission hatte dem einstigen
Verantwortlichen zuvor das Vertrauen entzogen. Widerstand aus dem
Parlament war offenbar auch ein Grund, dass von Daeniken nicht
NDB-Leiter wurde. "Bei der Zusammenlegung der Nachrichtendienste sagten
wir klar, dass wir von Daeniken nicht mehr wollten", sagte Janiak. Er
wirft von Daeniken zudem "strafrechtlich zumindest grenzwertiges"
Verhalten vor. Um die vernachlässigten Kontrollen zu vertuschen,
habe er falsche Daten in die Datenbank eintragen lassen.
Insgesamt verwaltet der Nachrichtendienst in seiner Datenbank
rund 200 000 registrierte Personen. Darunter sind rund 80 000 so
genannte Drittpersonen, die lediglich einen Bezug zu einer
staatsschutzrelevanten Person haben. Ende 2009 waren 6000 der
Registrierten Schweizer und Bürger.
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Schweizer Illustrierte 5.7.10
NOTABENE
Schutz vor dem Staatsschutz
Helmut Hubacher
Staatsschutzorgane haben in den letzten Jahren, wie jetzt
ausgekommen ist, 200 000 "Verdächtige" auf der Datenbank
gespeichert. Das hatten wir doch schon einmal. Mit dem Fichenskandal
von 1989.
Auslöser war der Rücktritt von Elisabeth Kopp gewesen.
Die erste Frau im Bundesrat hatte ein brisantes Telefon an ihren Mann
zuerst geleugnet, dann als Notlüge zugeben müssen. Diese
Lappalie reichte aus, ihren Abgang zu erzwingen.
Dazu fiel Frank A. Meyer eine begnadete Idee ein. Die er mir als
Nationalrat und Parteipräsident telefonisch mitteilte. Er nahm den
Rücktritt Kopp als Anlass für eine Parlamentarische
Untersuchungskommission. Um endlich mal die Dunkelkammer der
Bundespolizei durchleuchten zu können. Das Drehbuch dazu hatte er
im Kopf. Daran habe ich mich gehalten. Mit den Fraktionschefs der drei
bürgerlichen Bundesratsparteien wurde beschlossen, eine PUK
einzusetzen. Am 22. November 1989 erschien deren Bericht: "Vorkommnisse
im EJPD". Im Eidgenössischen Justizund Polizeidepartement von
Elisabeth Kopp.
900 000 Frauen und Männer waren in den 40 Nachkriegsjahren
fichiert worden. Die Fiche ist eine Karteikarte. 900 000 angeblich
subversive "Elemente" wurden observiert und als Staatsfeinde
registriert: Rote, Grüne, AKW-Gegner, Feministinnen,
Friedensaktivisten, Liberale, Journalisten, Gewerkschafter,
Kulturschaffende und so weiter. Es war der totale Schnüffelstaat.
Den dürfe es nie mehr geben, tönte es von rechts bis links.
Und nun dies.
Schon wieder sind 200 000 Verdächtigte "im Kasten". Diesmal
meistens Ausländer, die längst nicht alle bei uns wohnen.
"Unser" Geheimdienst ist operativ halt weltweit tätig. Früher
hiess der Feind Sowjetunion. Ihre Agenten gefährdeten Land und
Volk. Das wurde uns noch und noch eingetrichtert. Diesmal ist es wohl
der Islam.
Dem Grossen Rat von Basel gehören sechs ehemalige Kurden an.
Fünf Männer und eine Frau. Natürlich haben sie alle den
Schweizer Pass. Aber ihre Herkunft können sie halt nicht
auslöschen. Kandidiert haben sie für Rot und Grün. Da
wird der Staatsschutz hellwach. Und hat zugeschlagen. Die sechs
landeten in der Datenbank. Absolut willkürlich. Nur weil sie so
komische kurdische Namen haben. Erst als die Basler Behörden im
Bundeshaus auf den Tisch hauten, gabs Entwarnung. Der Staatsschutz
musste die Namen löschen. Er konnte ihnen nicht einen einzigen
Misston nachweisen.
Das Strickmuster für die 200 000 nun elektronisch Fichierten
ist das gleiche geblieben. Der Kalte Krieg ist zwar vorbei. Der
Staatsschutz aber ist geblieben. Das Problem ist: Wo steckt der Feind?
Die Armee ist ohne ihn verloren. Verteidigungsminister Ueli Maurer hat
Mühe, Sinn und Zweck "seiner" Armee zu erklären. Man weiss
nicht mehr so recht, für was es sie braucht. Wie wenig schon genug
ist. Das Militär hat sich im politischen Niemandsland verlaufen.
Und findet den Weg zurück nicht mehr.
Unter so viel militärischem Leerlauf leidet auch der
Geheimdienst. Die Schlapphüte üben noch immer den Ernstfall.
Am Sandkasten. Friedenszeiten sind für sie hartes Brot. Das muss
einer erst mal mental durchstehen. Da hilft es, unerschütterlich
zu glauben. An den Feind. Ohne ihn kann ein Geheimdienst nicht arbeiten.
Zum Glück gibt es die Islamisten. Und wer einen kurdischen
Namen trägt, ist selber schuld. Der sollte sich lieber nicht auch
noch politisch betätigen. Schon gar nicht am linken Ufer. Was
haben denn ehemalige Kurden in einem Grossen Rat zu suchen? Was
bezwecken sie? Bestimmt nichts Gutes. Also muss man sie im Auge
behalten. So denken nun mal Geheimdienstler. Sie haben etwas vom
Maulwurf. Der ist auch emsig. Aber blind. Blind für die
Realität.
Was bleibt zu tun?
Beim Wort Staatsschutz werde ich schon fast zynisch. Oder
ironisch. Es macht mir Mühe, das Staatsschutztheater
überhaupt noch ernst zu nehmen. Nur, das geht auch nicht. Der
Staatsschutz drangsaliert uns mit seinem Unwesen. Ein
Staatsschützer kann nicht nichts tun. Er lebt vom Feind. Gibt es
keinen, schafft er einen. Wie sonst sollte er ihn bekämpfen?
Staatsschutz, Geheimdienst, Inlandnachrichtendienst oder wie
sonst die Aufpasserorgane heissen, sind Selbstläufer. Sie sind
unkontrollierbar. Weil sie im Geheimen, im Dunst des Dubiosen
operieren. Ihre Agenten sind unheimlich fleissig. Nur: 200 000
Fichierte in wenigen Jahren sind der Beweis für Ineffizienz. Masse
statt Klasse. Akten statt Fakten. Staatsschutz wird so zum
Sicherheitsrisiko.
HELMUT HUBACHER, 84, ehemaliger SP-Präsident und Buchautor
---
Sonntagszeitung 4.7.10
Auch Kantone fichieren - völlig unkontrolliert
Datenschützer greifen ein und verlangen Einsicht in die
bisher geheimen Akten
Von Catherine Boss und Andreas Windlinger
Zürich Nicht nur beim Nachrichtendienst des Bundes gibt es
heikle Fichen: In den Kantonen lagern Tausende von Daten über
Personen und Organisationen, die keine unabhängige Stelle je
kontrolliert. "Viele kantonale Staatsschutzorgane verfügen
über zusätzliche eigene Datensammlungen, über die es
keinerlei Kontrolle gibt", bestätigt Claude Janiak, Präsident
der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments.
Bei der Erarbeitung des Berichts über den
Bundes-Staatsschutz stiess Janiaks Behörde in den Kantonen Basel,
Bern und Genf, die sie stichprobenweise inspizierte, überall auf
zusätzliche Daten. Die Sammlung in Genf umfasst "mehrere Hundert
Personen", in Bern über 1800 Einträge. Berns
Datenschützer geht jedoch davon aus, dass noch deutlich mehr
Personen erfasst sind.
Die kantonalen Datenschützer möchten die Fichen
kontrollieren - doch das verweigert der Nachrichtendienst. Wie viele
Personen in den Kantonen registriert sind, weiss deshalb niemand. "Wir
können das nicht abschätzen", sagt Janiak. Die kantonalen
Datenschützer klären nun ab, ob sie auch ohne Zustimmung des
Bundes Einblick nehmen können. Seite 3, Kommentar Seite 23
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Kantonale Datenschützer wollen endlich Fichen sehen
Staatsschutzskandal: Nachrichtendienst soll Einsicht in die Akten
gewähren
Catherine Boss
Zürich Jetzt haben die kantonalen Datenschutzbeauftragten
genug: Seit Jahren fichieren Staatsschutzbeamte in den Kantonen
Personen und Organisationen, doch den Datenschützern wird
jeglicher Einblick in diese Arbeit verwehrt. Zwei- bis dreimal pro
Woche erhalten die Polizisten einen Auftrag vom Nachrichtendienst des
Bundes (NDB) - dies geht aus dem GPDel-Bericht hervor, dessen
Publikation den Fichenskandal vergangene Woche auslöste.
Im Auftrag des NDB fichieren die Polizisten schweizweit
Zehntausende von Personen und Gruppen. Gleichzeitig existieren in
vielen Kantonen auch kantonale Staatsschutzdatenbanken. Die genaue Zahl
dieser Fichen kennen die kantonalen Datenschützer nicht. "Im
Kanton Bern waren es vor zwei Jahren rund 1800 Datensätze - doch
es sind sicher mehr fichierte Personen", sagt der
Datenschutzbeauftragte Markus Siegenthaler. Für den Kanton Aargau
sagt die Datenschutzbeauftragte Gunhilt Kersten: "Wir kennen die Zahl
der Datensätze nicht."
Nachrichtendienst behauptet, Daten gehörten ihm
Nicht nur das bleibt geheim. Die Datenschützer dürfen
nicht prüfen, ob überhaupt sinnvoll ist, was die Beamten
fichieren. Der Basler Datenschutzbeauftragte Beat Rudin: "Es ist
eigentlich unsere Aufgabe, zu prüfen, ob die Arbeit dieser
Polizisten datenschutzkonform ist. Das ist sie aber nur, wenn auch
staatsschutzrelevant ist, was sie nach Bern liefern. Dass dem nicht so
ist, zeigt das Beispiel der fichierten Basler Grossräte oder einer
Ehrendoktorin der Rechtsfakultät der Uni Basel."
Rudins Berner Kollege Siegenthaler sagt: "Ich kann nicht
sicherstellen, dass unter den fichierten Personen in meinem Kanton
keine Leute sind, die unschuldig verdächtigt werden."
Die Einsichtsverweigerung begründet der NDB gegenüber
den Datenschützern so: Weil er den Auftrag erteile, gehörten
die Daten ihm - auch wenn sie von einer kantonalen Stelle beschafft
worden seien.
Falsch, kontert die Datenschutzbeauftragte Ursula Stucki (BL):
"Diese Beamten erhalten zwar die Aufträge aus Bern, sie
unterstehen aber dem Personalrecht und damit auch unserer kantonalen
Verfassung. Ich muss ihre Arbeit kontrollieren können."
"Bern entscheidet nicht, was ich sehen darf und was nicht"
Weil die Aufsicht beim NDB versagt hat, wie der GPDel-Bericht
zeigt, wollen die Datenschützer jetzt handeln. Sie verlangen eine
starke Aufsicht im Kanton. Deshalb haben sie eine Arbeitsgruppe "Innere
Sicherheit" eingesetzt. "Es muss die Frage geklärt werden, welche
Kompetenzen die Datenschützer auch ohne Zustimmung vom Bund haben,
um Daten zu prüfen", sagt Aargaus Datenschützerin Kersten,
Leiterin der Arbeitsgruppe. Bis zum Herbst soll ein Bericht vorliegen.
Vor einem Monat haben die kantonalen Justiz- und
Polizeidirektoren erreicht, dass ihnen der NDB wenigstens eine Liste
der Tätigkeitsfelder des Nachrichtendienstes zustellt. Das reicht
aber nicht - die Datenschützer wollen die Fichen sehen.
Offenbar steigt jetzt der Druck auf den Nachrichtendienst.
Insider sagen, es komme bereits Bewegung in die Sache, der NDB zeige
seit kurzem Kompromissbereitschaft. Jedenfalls findet im Kanton
Zürich nach anfänglich massivem Widerstand des NDB eine erste
Kontrolle statt. Unklar ist, wie viel Einblick die Zürcher
Kontrolleure erhalten. Der Datenschutzbeauftragte des Kantons
Zürich, Bruno Baeriswyl, will sich zur Sache nicht äussern.
Seit gestern ist entschieden, dass auch der Basler
Datenschutzbeauftragte Rudin dem NDB ein Gesuch stellen wird, um in
Basel die Fichen zu prüfen.
In Genf will die Datenschutzbeauftragte Isabelle Dubois forsch
vorgehen: "Mein Ziel ist es, bis Ende Jahr die Fichen zu kontrollieren
- dabei wird nicht Bern entscheiden, was ich sehen darf und was nicht."
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Staatsschutz-Aufsicht verlangt mehr Personal
Auf Bundesebene müsse die Aufsicht über den
Staatsschutz massiv ausgebaut werden. Das fordern
Geschäftsprüfungsdelegations-Chef Claude Janiak und
Datenschützer Hanspeter Thür.
Einerseits müsse die unmittelbare Staatsschutz-Aufsicht im
zuständigen Verteidigungsdepartement (VBS) ausgebaut werden,
verlangt Claude Janiak, Präsident der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments.
Andererseits brauche es für eine wirksame Kontrolle und die
Verhinderung weiterer Staatsschutz-Skandale in Zukunft "eine deutliche
personelle Aufstockung" von GPDel und
Geschäftsprüfungskommission, damit diese ihre
Oberaufsichtsfunktion "besser wahrnehmen können". Auch der
eidgenössische Datenschützer Hanspeter Thür fordert mehr
Mittel für die Beaufsichtigung des Staatsschutzes. "Es ist eine
verstärkte Aufsicht nötig mit ausreichenden Ressourcen und
Kompetenzen, insbesondere mit echten Ermittlungskompetenzen." Anstelle
der punktuellen Überwachung brauche es eine systematische
Überwachung.
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Politiker fordern von Daenikens Entlassung Hauptverantwortlicher des
Fichenskandals soll Bundesdienst quittieren - weitere Kader in der
Kritik
Bern Der Hauptverantwortliche für den neuen
Staatsschutz-Skandal, der frühere Inland-Geheimdienst-Chef Urs von
Daeniken, soll den Bundesdienst ganz verlassen. Das fordert
FDP-Nationalrat Philipp Müller. Von Daeniken, der schon
mitverantwortlich war für den Fichenskandal der Neunzigerjahre,
habe schon zum zweiten Mal "fachlich massiv versagt". "Ich kann nicht
verstehen, dass man ihn nicht einfach entlässt."
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat sich am Freitag
damit begnügt, von Daeniken den wichtigsten Auftrag zu entziehen:
Er arbeitet seit seiner Entmachtung im Generalsekretariat von
Widmer-Schlumpf. Nun muss er seine Projektleiter-Rolle bei der
Ausgliederung der Bundesanwaltschaft aus dem EJPD per sofort abgeben.
Damit hat er kaum mehr konkrete Dossiers - seine verbleibenden
Funktionen im Krisenstab und beim Risikomanagement des EJPD sind wenig
aufwendig. Laut EJPD-Sprecher Philippe Piatti will das Departement aber
prüfen, "welche neuen Aufgaben man Herrn von Daeniken geben kann".
Nach dem Vorwurf der Geschäftsprüfungsdelegation, von
Daeniken habe als Staatsschutz-Chef rechtswidrig gehandelt, ist es
jedoch schwer vorstellbar, dass dieser im Departement nochmals ein
grösseres Projekt erhält - zumal jede neue Aufgabe zu
Interessenkonflikten mit seinen beiden anderen Tätigkeiten
führen könnte. Von Daeniken ist auch als Rechtskonsulent in
einem Berner Anwaltsbüro tätig. Daneben hat er letztes Jahr
eine Sicherheitsberatungsfirma gegründet.
Geplanter Kompetenz-Ausbau für Staatsschutz ist
gefährdet
Unter Druck geraten auch andere Mitverantwortliche der neusten
Staatsschutzaffäre - insbesondere Fedpol-Direktor Jean-Luc Vez,
der von Daenikens direkter Chef war, sowie Geheimdienst-Vize Jürg
Bühler. "Es müssen alle Verantwortlichen überprüft
werden", fordert der grüne Nationalrat und Rechtsanwalt Daniel
Vischer.
Einen noch schwereren Stand als bisher werden die
Staatsschützer nun mit ihrem Anliegen haben, künftig ohne
Tatverdacht ermitteln zu können. Vischer und SP-Nationalrätin
Anita Thanei sagen, nach dem neusten Skandal habe auch die
angekündigte abgespeckte Vorlage bei der Linken kaum Chancen. Und
von SVP-Seite kündigt Nationalrat Pirmin Schwander an, man
müsse hier "sehr vorsichtig" sein.
Andreas Windlinger
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Latente Fremdenfeindlichkeit
Denis von Burg über die Daten-Sammelwut des
Nachrichtendienstes
Sicher, die Fichenaffäre II ist nicht mit jener aus den
80er-Jahren vergleichbar. Sie ist nicht von jenem Klima des Misstrauens
geprägt, das gleich jeden nicht stramm bürgerlich
Auftretenden zum potenziellen Staatsfeind machte. Sie ist vielmehr
getragen von einer unbedarften Sammelwut. Diese generiert einen
automatischen Datenstrom, der vorab unbrauchbare Daten aus
Zollhäuschen und Zivilstandsämtern auf die Festplatten der
Staatsschützer spült.
Man ist versucht, über derlei Einfältigkeit zu lachen,
sollte aber nicht.
Der Nachrichtendienst (NDB) fühlt sich nach wie vor nicht an
die Gesetze gebunden. Die Sammler offenbaren zudem eine latente
Fremdenfeindlichkeit. Jeder Ausländer aus einer bestimmten
Weltgegend ist per se verdächtig.
Das vergiftet das Klima. Und alles zusammen führt dazu, dass
der Staatsschutz sich selbst zersetzt. Denn: 200 000 Fichen sind gar
nicht mehr überschaubar. Vor allem, weil der grösste Teil
davon - so sehen es selbst die Nachrichtendienstler - irrelevant ist.
Wie wollen da die eifrigen Archivierer jenen Extremisten herausfiltern,
der vielleicht wirklich Böses plant? Auch der US-Geheimdienst
musste erfahren, dass die Attentäter vom 11. September zwar
registriert waren, aber in der Datenflut untergingen.
Die Entlassung des pathologischen Datensammlers Urs von
Däniken reicht deshalb nicht, auch nicht die angekündigte
Verbesserung der Kontrollen. Es braucht einen grundlegenden, auch
personellen Umbau des NDB, der verhindert, dass Datenberge angelegt
werden, die nur die Sicht versperren. Vizechef Jürg Bühler
zum Beispiel verteidigt noch immer die blinde Sammelwut und scheint
kein Mann für die Zukunft.
Der neue Dienstherr Ueli Maurer muss radikal aufräumen, wenn
der NDB einmal dem Prädikat "Intelligence" gerecht werden will,
wie es mindestens die englische Sprache von einem Nachrichtendienst
verlangt.
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Sonntag 4.7.10
Fichen-Affäre: Geheimdienst überprüft alle
Eingebürgerten
Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, landet in
der Verwaltungsdatenbank Isis02 des Geheimdienstes
von Othmar von Matt und Sandro Brotz
Die Fichen-Affäre ist gravierender als bisher angenommen und
trifft insbesondere Eingebürgerte. Schlagersänger Udo
Jürgens, der den Schweizer Pass erhielt, hält das für
"ganz furchtbar".
Wer sich in der Schweiz einbürgern lassen will, wird vom
Dienst für Analyse und Prävention (DAP) überprüft,
dem Inlandgeheimdienst. Das bestätigt das Bundesamt für
Migration (BfM) gegenüber dem "Sonntag". "Alle
Einbürgerungsgesuche werden systematisch dem DAP unterbreitet",
sagt Sprecherin Marie Avet. "Und zwar unabhängig von der
Nationalität."
Einbürgerungswillige werden also nicht nur auf Einträge
im Strafregister hin untersucht, sondern auch auf Einträge in der
staatsschutzrelevanten Datenbank Isis01 des DAP. Darin sind Personen
aufgelistet, die eine Bedrohung der Schweiz darstellen. Dieser Ablauf
geschehe aus gesetzlichen Gründen, sagt Avet: "Die Voraussetzungen
müssen gegeben sein, dass Eingebürgerte keine Gefahr für
die innere und äussere Sicherheit darstellen."
Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des
Parlaments beweist aber: Selbst Einbürgerungswillige, die
keinerlei staatsfeindliche Aktivitäten entfaltet haben, werden vom
DAP systematisch in der so genannten Verwaltungsdatenbank Isis02
registriert, spätestens nach der Anfrage des BfM. "Liegt gegen
eine Person kein Eintrag in Isis01 vor, wird das Gesuch in jedem Fall
in der Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert", heisst es im
GPDel-Bericht. Präsident Claude Janiak bestätigt den
Sachverhalt im Interview mit dem "Sonntag". "Ja", sagt Janiak. "Sobald
der DAP sie bearbeitet, sind sie dort erfasst."
Die Registrierung in Isis02 kann sehr schnell heikel werden:
Erhält der DAP zu einer Person mehr als zwei Meldungen, wird die
Person automatisch in die Datenbank Isis01 überführt und gilt
künftig als Gefahr für den Staatsschutz. Der DAP unterliess
es, die Meldungen auf ihre Qualität zu überprüfen.
Diesen Part übernahm jetzt die GPDel. So lieh sich ein Skinhead
dreimal das Auto seines Vaters. Dreimal erfolgte eine Meldung an den
Inland-Geheimdienst - und der Vater landete in Isis01. Gleiches
widerfuhr einem ausländischen Geschäftsmann: Dreimal
registrierte ihn die Fotopasskontrolle beim Grenzübertritt - und
schon befand sich sein Name in Isis01. "Das ist gemäss unserem
Bericht möglich und praktisch betrachtet sogar wahrscheinlich",
sagt die Grüne Therese Frösch dazu, Mitglied der GPDel. Sie
spricht von "Schlamperei".
Damit geraten Personen in den Fokus des Staatsschutzes, die sich
das nie hätten träumen lassen. Wie der 75-jährige
österreichische Komponist und Schlagersänger Udo
Jürgens. Er liess sich 2007 einbürgern. Vom "Sonntag" mit den
Recherchen konfrontiert, reagierte Jürgens entsetzt: "Das ist ja
grotesk. Wenn dem so ist, wie Sie sagen, ist das ganz furchtbar."
Jürgens bat um die Koordinaten von Datenschützer Hanspeter
Thür: "Ich will wissen, was da drinsteht." Auch eingebürgerte
Nati-Fussballspieler könnten in die Registrierungsmühle
geraten sein. Vor allem die Nachwuchsfussballer der U17, die gegen
Nigeria Weltmeister geworden sind und danach von Verteidigungsminister
Ueli Maurer im Bundeshaus empfangen wurden.
Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie: Maurer ist heute Chef
des Inlandgeheimdienstes. Sead Hajrovic, einer der Weltmeister aus Birr
AG, reagiert verunsichert. "Ich finde es schon komisch, wenn der
Geheimdienst die Einbürgerungsgesuche prüft", sagt er. "Aber
das ist die Entscheidung der Politik." Irritiert fragt er: "Ich habe
keinen Grund, mir Sorgen zu machen, oder?"
GDPel-Mitglied Frösch glaubt, "dass die Staatsschützer
intelligent genug waren, Udo Jürgens nicht in der
Verwaltungsdatenbank zu registrieren". Und vielleicht seien die
Geheimdienstler auch Fussballfans und hätten deshalb die
eingebürgerten U17-Nationalspieler nicht erfasst. Frösch:
"Man weiss es einfach nicht genau." Für GPDel-Präsident
Claude Janiak ist klar, dass "die Problematik der Drittpersonen
gesetzlich geregelt" werden müsse. Und Sprecherin Avet betont, das
Bundesamt für Migration habe "keine Kenntnis" von diesen
Registrierungen gehabt.Seiten 2, 3, 10
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Geheimdienst: Eingebürgerte U17- und Showstars im Visier
Bundesamt für Migration führt alle 1,7 Millionen
Ausländer in einer Datenbank - Geheimdienst registriert trotzdem
von Othmar von Matt und Sandro Brotz
Für Insider ist es unverständlich: Das Bundesamt
für Migration führt seit 2008 die umfassende
Ausländerdatenbank Zemis. Trotzdem registriert der Geheimdienst
systematisch alle Eingebürgerten.
Udo Jürgens kann es nicht fassen. "Das ist ja grotesk", sagt
der 75-jährige österreichische Komponist und Schlagerstar.
Der "Sonntag" hat ihn mit den Recherchen konfrontiert, dass der
Inlandgeheimdienst DAP alle Eingbürgerungswilligen kontrolliert
und sie systematisch in der Verwaltungsdatenbank Isis02 registriert.
Jürgens hatte sich 2007 in der Schweiz einbürgern lassen.
"Wenn dem so ist, wie Sie sagen, ist das ganz furchtbar." Jürgens
bat um die Koordinaten von Datenschützer Hanspeter Thür. "Ich
will wissen, was da drinsteht."
Auch U17-Fussball-Nationalspieler Sead Hajrovic aus Birr AG
reagiert irritiert. "Ich finde es schon komisch, wenn der Geheimdienst
die Einbürgerungsgesuche prüft", sagt der Weltmeister. Zwar
sei das eine Entscheidung der Politik, in die er sich nicht einmischen
wolle. "Was meine Einbürgerung vor zwei Jahren betrifft, bin ich
nicht beunruhigt: Wer es verdient hat, Schweizer zu werden, wird es
auch." Ein Gesuch an den Datenschutzbeauftragten werde er nicht
stellen. Verunsichert fragt er dennoch: "Ich habe keinen Grund, mir
Sorgen zu machen, oder?"
Er hat allen Grund. Die Geschäftsprüfungskommission
(GPDel) hat in ihrem Bericht nachgewiesen, wie schnell Personendaten
von der Verwaltungsdatenbank Isis02 in die Datenbank Isis01 wandern.
Dort sind Personen registriert, die als Gefahr für die Schweiz
betrachtet werden. Mit zwei weiteren Meldungen zur selben Person
geschieht dieser Datentransfer automatisch.
GPDel-Präsident Claude Janiak bestätigt den Sachverhalt
(siehe Interview): "Ja. Wenn die Qualität der Meldungen nicht
kontrolliert wird." Der DAP hatte diese Kontrollen in den letzten
Jahren sträflich vernachlässigt. So lieh sich ein Skinhead
dreimal das Auto seines Vaters. Dreimal erfolgte eine Meldung an den
Inland-Geheimdienst - und der Vater landete in Isis01.
Gleiches widerfuhr einem ausländischen Geschäftsmann:
Dreimal registrierte ihn die Fotopasskontrolle beim Grenzübertritt
- und schon befand sich sein Name in Isis01. "Das ist gemäss
unserem Bericht möglich und praktisch betrachtet sogar
wahrscheinlich", sagt die grüne Nationalrätin und
GPDel-Mitglied Therese Frösch dazu.
Dass der Inlandgeheimdienst alle Einbürgerungswilligen
registriert, ist auch für Leute aus dem Bundesamt für
Migration (BfM) unverständlich. "Wir haben ja bereits eine
erschöpfende Datenbank", sagt ein Insider. Sprecherin Marie Avet
bestätigt das. "In der Datenbank Zemis, dem Zentralen
Migrationsinformationssystem, sind die Fakten und Personendaten von 1,7
Millionen Ausländern mit B- und C-Status enthalten sowie von
Asylbewerbern."
Zemis gilt als Prestigeprojekt des BfM. Die Entwicklung des
Systems begann 1998. Am 3. März 2008 löste es die veraltenden
Systeme ZAR3 und Auper2 ab. Die Entwicklung von Zemis hatte 43,5
Millionen gekostet. Auf das zentrale elektronische Arbeitsinstrument
für das Ausländer- und Asylwesen haben
behördenübergreifend Tausende von Benutzern Zugriff.
Für Datenschützer Hanspeter Thür ist klar, dass
künftig "keine punktuelle, sondern eine permanente
Kontrolltätigkeit" des DAP nötig ist. "Dafür müssen
parlamentarische und datenschutzrechtliche Aufsicht besser ausgestattet
und verstärkt werden." Es sei ein politischer Entscheid gewesen,
diese Staatsschutzinformationssysteme mit vorhandenen Leuten zu
betreiben. Thür: "Zu was es geführt hat, zeigen die
Fehlleistungen. Das Gesetz wurde nicht vollzogen." Jetzt sei das
Parlament gefordert. Gefordert ist auch Thür selbst. "Wir haben
bereits einige Anfragen um Dateneinsicht", sagt der Datenschützer.
Und es werden täglich mehr.
KOMMENTAR SEITE 10
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Ex-Geheimdienstchef Peter Regli in Schnüffel-Datei
Die Pointe versteckt sich auf Seite 28 des Berichts der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel). Dort wird dargelegt, wie
Unterlagen der Bundesanwaltschaft im Staatsschutzinformationssystem
ISIS erfasst wurden: "Einer dieser Berichte erwähnte auch die
Kontakte des früheren USC-ND nach Südafrika, was zu dessen
Erfassung in ISIS als Drittperson führte." USC-ND steht für
Unterstabschef Nachrichtendienst. Damit gemeint ist der damalige
Geheimdienstchef Peter Regli. Er wurde mit diesem Eintrag selbst zu
einer staatsgefährdenden Person. "Diese Tatsache stört mich
überhaupt nicht", sagt Regli gegenüber dem "Sonntag": "Wo
gearbeitet wird, werden auch Fehler gemacht." Wenn man ein gutes
Gewissen habe, so Regli, "muss man bekanntlich nichts befürchten".
Regli hatte in seiner Amtszeit von 1991 bis 1999 Kontakte zum
südafrikanischen Geheimdienstchef Wouter Basson. Der
überzeugte Rassist Basson wurde wegen angeblicher B- und
C-Waffenprojektezur Eliminierung von Schwarzen auch "Dr. Tod" genannt.
Der Bundesrat versetzte Regli im Jahr 2000 in den vorzeitigen
Ruhestand. Er wurde später rehabilitiert und arbeitet heute als
Berater für Sicherheitsfragen. (BRO)
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"Sie wurden von uns ertappt"
Claude Janiak, Präsident der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), zur neuen
Fichen-Affäre und zu den Konsequenzen
von Othmar von Matt und Sandro Brotz
Herr Janiak, der Inlandgeheimdienst DAP versprach immer wieder
Dinge,die er nicht einhielt.
Claude Janiak: Wir wunderten uns, weshalb die Zahlen der
Registrierungen stets steigen. Der DAP betrachtete die Zahlen bis 2004
als sehr geheim. Das war das Problem mit dem früheren DAP-Chef Urs
von Daeniken. Er war sehr misstrauisch gegenüber der Oberaufsicht.
Wir mussten stets nachhaken. Dann wurden die Daten in die neue
Datenbank migriert. Und ab einem gewissen Zeitpunkt wurde die Kontrolle
der Daten praktisch eingestellt. Das ist das Verheerende.
Und auch die Aufsicht war inexistent?
Eigentlich gibt es im EJPD ein Inspektorat. Dieses bestimmt
seinen jährlichen Untersuchungsplan mit dem Vorsteher EJPD. Eine
vertiefte Inspektion zum System Isis fand aber nie statt.
Weshalb verhinderte der DAP-Chef das Ganze nicht?
Herr von Daeniken ist sehr selbstbewusst, überzeugt von
seiner Sache. Er hatte eine Mission.
Welche Mission?
Die Staatssicherheit zu garantieren.
Auch Jürg Bühler, sein Stellvertreter, kommt im Bericht
nicht gut weg.
Er war Stellvertreter von Herrn von Daeniken. Es ist jetzt die
Aufgabe von NDB-Chef Markus Seiler, den Kulturwandel durchzusetzen.
Dass die Bearbeitung von nicht relevanten Daten keine
Persönlichkeitsverletzung sei, solange diese intern blieben,
können wir nicht akzeptieren. Es gibt im Gesetz keine Grundlage
zur Generierung von Daten auf Vorrat. Stellt eine Person keine Gefahr
dar, hat sie in einer solchen Datenbank nichts zu suchen. Punkt.
Ist Bühler noch tragbar?
Rücktritte zu fordern ist nicht unsere Aufgabe. Bei der
Zusammenlegung der beiden Nachrichtendienste sagten wir aber klar, dass
wir von Daeniken nicht mehr wollten. Wir begleiteten die Zusammenlegung
der Dienste bis heute sehr eng, intervenierten mehrfach, weil man
Gesetzesbestimmungen auf dem Verordnungsweg ändern wollte. Etwa
bei der Telefonüberwachung. Wir mussten stur bleiben. Bei
Bundesrat Maurer stelle ich nun eine grosse Bereitschaft zur
Zusammenarbeit mit uns fest.
Es arbeiten noch dieselben Leute dort.
Markus Seiler kommt von aussen. Er sollte nicht betriebsblind
sein. Viele Inlandgeheimdienst-Mitarbeiter fühlten sich als
Polizisten, obwohl sie das in dieser Funktion nicht sind. Früher
liefen viele bewaffnet herum. Das wurde abgestellt, als Seiler Direktor
wurde.
Ausländer aus bestimmten Ländern werden bei der
Einreise fotografiert. Aus welchen Ländern?
Es gibt eine Liste dieser Staaten. Sie ist geheim. Aber man kann
sich ausrechnen, welche Länder davon betroffen sind. Diese Daten
werden in einer Datei erfasst, die suggeriert, diese Personen seien
eine Gefahr für die innere und äussere Sicherheit. Das geht
nicht.
Gemäss Bundesamt für Migration übergibt es dem DAP
systematisch alle Einbürgerungsgesuche. Der DAP prüft sie.
Damit sind deren Namen automatisch in der Verwaltungsdatenbank?
Ja. Sobald der DAP sie bearbeitet, sind sie dort erfasst. In Isis
dürfen aber nur Personen erfasst sein, bei denen ein konkreter
Gefährdungsverdacht besteht. Wir verlangen, dass die Problematik
der Drittpersonen gesetzlich geregelt wird.
Mit drei Meldungen rutscht man automatisch in Isis01?
Ja. Wenn die Qualität der Meldungen nicht kontrolliert wird.
Sind Sofortmassnahmen nötig?
Alle Isis-Daten, die vor fünf Jahren oder früher
erfasst und keiner Gesamtbeurteilung unterzogen wurden, müssen
provisorisch gesperrt werden.
Der Bundesrat will die Situation aber erst im Herbst besprechen.
Nach den Sommerferien suchen wir das Gespräch mit Bundesrat
Maurer.
Bei ihm haben Sie ein gutes Gefühl?
Wir verlangten, dass er eine Aufsicht etabliert. Das tat er.
Teile unseres Berichts basieren auf einem Bericht dieses Inspektorates,
das hervorragende Arbeit leistet, aber personell aufdotiert werden muss.
Wer trägt die politische Verantwortung für die
Missstände?
Die jeweiligen Vorsteher des EJPD.
Also Ruth Metzler, Christoph Blocher, Eveline Widmer-Schlumpf...
...meines Erachtens lag der Beginn bei Arnold Koller. Er hat Urs
von Daeniken weiter beschäftigt. Mit ihm konnte aber kein
Kulturwandel erwartet werden.
Was ist die Rolle von Herrn Blocher?
Er hat sich ja schon über Tele-Blocher gemeldet...
...mit einer Verschwörungstheorie:Sie hätten bewusst
vor den Ferien ein Sommertheater gegen ihn gestartet.
(Lacht) Jetzt bin halt ich für eine Verschwörung
auserkoren, wohl weil ich anfänglich auch beim Fall Roschacher
dabei war. Dabei haben wir in unserer Delegation nur von einer Partei
mehr als eine Person, nämlich zwei von der SVP. Das sind Leute,
die selber denken können. Ich finde es eine Frechheit, wenn man
ihnen unterstellt, sie hätten sich ans Gängelband nehmen
lassen.
Welche Rolle spielte Blocher?
Er hatte Fedpol zwischen dem DAP und sich, er schien sich nicht
gross darum zu kümmern. Und Fedpol übernahm einfach, was von
von Daeniken kam.
Der GPDel-Bericht hält fest, derZustand der Isis-Daten
könne die Sicherheit des Lands gefährden.
Das ist die Konsequenz aus einer Unmenge von Daten, bei denen man
nicht weiss, ob sie relevant sind oder nicht. Am Schluss findet man
das, was man eigentlich finden sollte, garantiert nicht.
Man muss den DAP neu aufgleisen?
Er muss grundlegend neu organisiert werden. Es muss
sichergestellt sein, dass die qualifizierten Leute am Anfang eines
Vorgangs stehen. Nicht am Schluss.
Haben die Staatsschützer gelogen?
Es war bisweilen kurz vor der Unwahrheit. Das muss ich in dieser
Deutlichkeit sagen. Es wurde gesagt, man habe es bis dann und dann im
Griff. Der Termin wurde aber immer wieder verschoben. Selbst Blocher
liess sich vertrösten.
War es Vertrösten oder bewusst gewählte Strategie?
Man wollte das Problem mit den Kontrollen, die man nicht im Griff
hatte, kleiner machen, als es war. Ein sehr bedenklicher Vorgang ist,
dass alle Kontrolldaten auf den 31. Dezember 2004 gesetzt wurden. Es
wurde so suggeriert, man hätte eine Kontrolle gemacht.
Das ist Betrug oder zumindest Manipulation.
Das ist ein schwerwiegender Vorgang. Wir haben das nur
herausgefunden, weil wir mit dem EDV-Spezialisten des EJPD gesprochen
haben. Er hatte einen entsprechenden Auftrag vom DAP. Wir haben ein
E-Mail gesehen und sind so darauf gestossen.
Nimmt die Regierung Ihre Kritik ernst?
Das kann ich erst sagen, wenn ich eine Antwort vom Bundesrat
habe. Sie können aber sicher sein, dass wir uns nicht einfach
abwimmeln lassen.
Ist dieses Vorgehen strafbar?
Eine Datei hat den Charakter einer Urkunde, die man nicht
fälschen darf. Diese Datierung auf den 31. Dezember 2004 war
strafrechtlich zumindest grenzwertig. Dort hat man uns an der Nase
herumgeführt.
Wie haben die Verantwortlichen darauf reagiert?
Sie haben moniert, wir seien in unserem Urteil zu hart.
Aber hatten sie Gegenargumente?
Nein, sie wurden von uns ertappt.
--
Ex-Geheimdienstler: "Sie werden weiterhin ungestraft lügen"
Die Schweiz braucht kompetente Nachrichtendienste. Auch nach dem
Zusammenbruch der gewaltsamen Zweiteilung der Welt in West und Ost
sowie der Gegenwart, in der unser Land von "Freunden" umzingelt ist.
Die aktuellen Risiken und Gefahren - Terrorismus, Fundamentalismus,
illegale Migration, Proliferation - erfordern nachrichtendienstliche
Instrumente. Die asymmetrische Gefahrensituation bedingt
grenzüberschreitende, koordinierte Präventions- und
Abwehrmassnahmen. Die Nachrichtendienste müssen jedoch ihren
Auftrag auf der Basis von Gesetz und Recht erfüllen. Immer wieder
werden die Nachrichtendienstler beim sträflichen Missbrauch ihrer
Möglichkeiten ertappt. In der Regel bleiben die Täter gegen
Recht und Gesetz ungestraft. Das System will es so.
Der Fichenskandal wurde vor rund zwanzig Jahren per Zufall
aufgedeckt. Die verkündete Lehre aus den bedenklichen
Erkenntnissen: Nie wieder! Die Beziehungen der Schweiz zu
Südafrika und die Rolle des Nachrichtendienstes sowie die
"Bellasi-Affäre" rüttelten die Schweiz auf. Die
parlamentarische Oberaufsicht versuchte Licht in den
nachrichtendienstlichen Dunstkreis zu bringen. Vor rund zehn Jahren
wurde der Auslandnachrichtendienst neu ausgerichtet. Wenig später
schneite es aus heiterem Himmel einen ominösen ägyptischen
Fax. Die "Profis" wollten wohl beweisen, dass der Dienst zu was taugt,
und machten das ominöse Ding publik.
Die USA waren verärgert. Wie auch in den Fällen
neuester Zeit. Der Goliath setzt den David unter Druck. Man gibt immer
klein bei. Die "CIA-Fax-Affäre" ist ein Schulbeispiel. Dieser
Skandal trägt Namen aller Gewalten. VBS-Chef Samuel Schmid, sein
Generalsekretär Markus Seiler, SND-Chef Hans Wegmüller, CdA
Christoph Keckeis und die hauseigene Militärjustiz unter Dieter
Weber konstruierten und erlogen aus Staatsräson kurzum eine
militärische Geheimnisverletzung. Im Verbund aller möglichen
staatlichen Gewaltmittel - und dies im 21. Jahrhundert - und auf der
Grundlage eines Lügenkonstruktes hiess der Auftrag: Journalisten
und unschuldige Bürger sind zu verfolgen, mundtot zu machen und
sollen eingekerkert werden. Das Konstrukt machtaus ihnen völlig
unbegründet Landesverräter.
Die nachrichtendienstlichen Dilettanten haben ihre eigenen
Beschaffer und Computer natürlich bewusst nicht unter Kontrolle.
Nach dem geheimdienstlichen Prinzip des Tauschhandels und auf Geheiss
des Stärkeren ging es darum, die Wahrheit über die
CIA-Praktiken zu vertuschen und die USA-Gefangenentransporte über
unser Schweizer Territorium vergessen zu machen. Es braucht Opfer, als
Entschuldigung für ein selbst zu verantwortendes Leck.
Journalisten und unschuldige Bürger will man mit kafkaesker
Methodik wie auch kaltkriegerischer Geheimdienst- und Justizpraxis
überführen und hinrichten. Die Militärjustiztäter
mit ihrer dunklen Absicht wurden dann aber glücklicherweise
entlarvt. Die GPDel überprüfte 2007 auch diesen Skandal. Man
rügte die bedenklich operierende Militärjustiz und ihre
bundespolizeilichen Hilfskräfte. Diejenigen, die das staatliche
System mit Arglist missbraucht haben, liess man aber laufen. Sie
fabrizieren in Bundesanwaltschaft und Militärjustiz munter weiter
ihre Konstrukte.
Die mit dieser Kontrolle betraute GPDel basiert auf dem Vertrauen
von Volk und Parlament, das der GPDel eine Stellvertreter-Rolle
einräumt. Es geht letztlich um die Glaubwürdigkeit der
Geschäftsprüfungsdelegation. Der Untersuchung der GPDel zum
Trotz. Die gleichen Leute der Nachrichtendienste können weiterhin
ungestraft lügen oder Fichen anlegen. Die Wette gilt: Sie tun es
auch in Zukunft. Der Bürger versteht dieses System einer falsch
verstandenen Staatsräson nicht. Gründe der
Politverdrossenheit?
Vor dem Hintergrund des Vertrauens und der Glaubwürdigkeit:
Die parlamentarische Kontrolle muss die Handschuhe endlich ausziehen
und der Regierung die Pflicht zum Handeln befehlen. Apropos Vertrauen
in das System, in die Justiz, die Nachrichtendienste und die
demokratische Rolle der parlamentarischen Aufsicht: Mir fehlt der
Glaube, und das Vertrauen wurde mir als einem, der in Politik und
Staat, in Exekutive und Parlament Verantwortung getragen hat, genommen.
Roman Weissen war Infochef des Auslandnachrichtendienstes SND. Er
sass zu Unrecht eine Woche in U-Haft, weil er inder CIA-Fax-Affäre
beschuldigt wurde, geheime Papiere an Journalisten weitergegeben zu
haben.Alle Instanzen sprachen den Walliser Ex-Grossrat frei. Er ist
heute bei den Seilbahnen Schweiz für Public Affairs zuständig.
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NZZ am Sonntag 4.7.10
Geheimdienstchef verordnet "restriktive Linie" beim Fichieren
Der Nachrichtendienst reagiert auf die Kritik an der
Staatsschutz-Datenbank und gibt Anweisung, die Personenfichen im
Zweifelsfalle zu löschen.
Katharina Bracher
Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) hat seine Mitarbeiter
angewiesen, im Umgang mit den im Staatsschutzinformationssystem (Isis)
gespeicherten Personendaten ab sofort eine "restriktive Linie"
einzuhalten und Einträge "im Zweifelsfall" zu löschen. Neue
Informationen sollen ausserdem nur dann erfasst werden, wenn deren
Relevanz für den Staatsschutz wirklich gegeben sei.
NDB-Direktor Markus Seiler reagierte mit dieser Weisung am
Freitag auf die vernichtende Kritik der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) an der bestehenden Praxis
im Umgang mit dem Staatsschutzregister. Der am Mittwoch
veröffentlichte Bericht der parlamentarischen Aufsicht stellte
fest, dass der Staatsschutz die vorgeschriebene Qualitätssicherung
über Jahre vernachlässigt habe. Die Daten würden zu
lange aufbewahrt und deren Relevanz für den Staatsschutz nicht wie
vorgeschrieben periodisch überprüft.
Für GPDel-Präsident Claude Janiak gehen die neuen
Weisungen von NDB-Chef Seiler jedoch zu wenig weit. "Alle Daten, welche
vor fünf Jahren oder noch früher erfasst wurden und seither
keiner Gesamtbeurteilung mehr unterzogen wurden, müssen
provisorisch gesperrt werden", fordert er.
Janiak wirft ausserdem mehreren Chefbeamten und Politikern vor,
ihre Aufsichtsfunktion nicht wahrgenommen zu haben. So habe "die
direkte Aufsicht über den DAP (Fedpol) offenbar von Anfang an
nicht funktioniert". Der damit kritisierte Fedpol-Direktor Jean-Luc Vez
nimmt dazu vorderhand keine Stellung. Doch auch andere
Entscheidungsträger stehen in der Kritik, insbesondere der
ehemalige Justizminister Christoph Blocher. "Er hat nicht dafür
gesorgt, dass die Aufsicht über den DAP wahrgenommen wurde", so
Janiak. Alt Bundesrat Blocher konterte die Kritik der GPDel am Freitag
via seinen Internetkanal "Teleblocher": "Janiak will von der Diskussion
um die Libyen-Affäre ablenken", warf er dem Baselbieter
SP-Ständerat vor. Dieser hält den Vorwurf Blochers für
"absurd". Wenn jemand Interesse habe, von der Libyen-Affäre
abzulenken, dann sei es der Bundesrat, so Janiak.
Im Streit mit Blocher erhält Janiak jetzt selbst aus der SVP
Support: Pierre-François Veillon, SVP-Nationalrat und
Vizepräsident der GPDel, wehrt sich gegen die Vorwürfe aus
seiner Partei, die Delegation habe sich mit dem Bericht an Blocher
rächen wollen: "Die GPDel steht über der Politik. Wir sind
sechs Leute, die ihrer Arbeit unabhängig von der
Parteizugehörigkeit nachgehen", so Veillon.
Die Hauptkritik der GPDel gilt ohnehin nicht alt Bundesrat
Blocher, sondern Urs von Daeniken, der bereits im Nachrichtendienst
tätig war, als die erste Fichenaffäre im Jahr 1989 aufflog.
Er war damals Stellvertreter von Peter Huber, der als Chef des
inländischen Nachrichtendienstes Herr über die 900 000
Einträge umfassende Fichensammlung war. Die
Geschäftsprüfungskommission des Nationalrats bezeichnete von
Daeniken am Freitag als einen der Hauptschuldigen am neuerlichen
Versagen des Staatsschutzes.
Nachdem Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf von Daeniken in
einer ersten Reaktion auf den GPDel-Bericht noch in Schutz genommen
hatte, entschied sie am Freitag, dass von Daeniken seine derzeitige
Funktion als Projektleiter für die Reform der Bundesanwaltschaft
abgeben müsse.
►Seite 21
►Kommentar Seite 13
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Staatsschutz-Fichen
"Führt eine lockere Ehe"
Im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) sind
beispielhaft die Fichen von den zwei registrierten Personen beschrieben
- anonymisiert als A. L. und M. H. Wie Recherchen nun zeigen, handelt
es sich dabei um die Basler Menschenrechtsaktivistinnen Anni Lanz und
Maya Heuschmann.
Beide gerieten aufgrund ihres Berufes ins Visier des
Staatsschutzes. Ihre Einträge im Register Isis waren mit der
Bemerkung "Verdacht Schwarzer Block" versehen. Dies, obwohl die beiden
Frauenrein altersmässig kaum als Mitglieder einer
gewaltorientierten Organisation in Frage kommen. Anni Lanz (Jahrgang
1945) zog mit ihrer Tätigkeit als Fürsprecherin für
Flüchtlinge die Aufmerksamkeit des Geheimdienstes auf sich. Dieser
hegte den nicht weiter begründeten Verdacht, dass Lanz Kontakte zu
"extremistisch-islamistischen Gruppierungen" pflege. Obwohl die
Staatsschützer gemäss Eintrag zum Schluss kamen, dass es sich
bei Lanz um eine "sehr gutmütige Person ohne kriminelle Neigungen"
handelte, blieb sie für Jahre als Gefahr für den Schweizer
Staat in der Datenbank eingetragen. Dem Staatsschutz fiel zudem auf,
dass Lanz "eine äusserst lockere Ehe" führe und das Ehepaar
oft räumlich getrennt leben würde, ohne dass "irgendwelche
Schwierigkeiten" bestünden.
Auch Maya Heuschmann (Jahrgang 1945) wurde ihr Einsatz für
die Menschenrechte zum Verhängnis. Die Aktivistin von Amnesty
International erhielt vom Nachrichtendienst folgende Informationen
über ihren Eintrag in der Datenbank Isis: "Der NDB erhielt eine
Anfrage der Staatsanwaltschaft mit einer Liste mutmasslicher
Linksaktivisten, auf der Ihr Name figurierte." Das Verdachtsmoment,
vermutet Heusch- mann, sei wohl ihr Engagement für die Kurden
gewesen. Sie bereiste mehrmals Kurdengebiete in der Türkei. Was
ihr der Staatsschutz konkret vorwarf, war auch nach Intervention der
GPDel nicht in Erfahrung zu bringen. (brk.)
--
Unter Beobachtung
Von rund 200 000 Personen hat der Nachrichtendienst Fichen
angelegt. Eine Überprüfung zeigt: Er sammelte viele Daten
illegal. Die wichtigsten Fragen rund um die neue Fichen-Affäre und
dazu, wie der Nachrichtendienst funktioniert.
Von Christine Brand
Warum legt der Staat Fichen über Bürger an?
Fiche ist die französische Bezeichnung für Karteikarte
- in der Schweiz wird darunter ein Eintrag über eine Person in der
Staatsschutzdatenbank Isis verstanden. Diese wird vom Nachrichtendienst
des Bundes geführt, um Gefährdungen durch Terrorismus,
verbotenen Nachrichtendienst, Handel mit Waffen, verbotenen
Technologietransfer, gewalttätigen Extremismus und Gewalt an
Sportanlässen frühzeitig zu erkennen und zu bekämpfen.
Wer wird vom Staatsschutz beobachtet?
Der Nachrichtendienst darf gemäss Gesetz Informationen
über Personen sammeln, gegen die der "begründete Verdacht"
besteht, dass sie die innere oder äussere Sicherheit der Schweiz
gefährden. Die diese Woche präsentierte Untersuchung der
Geschäftsprüfungsdelegation der Eidgenössischen
Räte (GPDel) belegt allerdings, dass der Dienst etliche Daten
unrechtmässig sammelte. Ungerechtfertigt war beispielsweise die
Fichierung von türkischstämmigen Grossräten aus dem
Kanton Basel-Stadt. Weil die der Kurdischen Arbeiterpartei nahestehende
Zeitung "Özgür Politika" (Freie Politik) freudig über
deren Einzug ins Basler Parlament berichtete, wurden die Politiker
registriert und beobachtet. Die GPDel zeigt weitere Beispiele
gesetzeswidriger Fichierungen auf. So stand eine Basler Seniorin, die
sich für Asylbewerber einsetzt, mehrere Jahre unter Beobachtung:
Sie geriet ins Visier des Staatsschutzes, weil sie in Kontakt mit
Migranten war, über die Anfragen aus dem Ausland eingingen. Ihre
Fiche enthielt unter anderem Angaben darüber, wie sie ihre Ehe
lebte. Andere Personen wurden verzeichnet, weil sie an Demonstrationen
teilnahmen. Unter Beobachtung stehen auch Mitglieder und Exponenten
verdächtigter Organisationen; beispielsweise rechts- oder
linksextremer sowie islamistischer Gruppen. Menschen, die mit
Registrierten in Kontakt stehen, werden als "Drittpersonen" fichiert.
Wer sammelt die Informationen?
Die Informationen werden von Mitarbeitern des Nachrichtendienstes
des Bundes und von kantonalen Staatsschutzgruppen gesammelt. Diese sind
den Polizeikorps oder den Staatsanwaltschaften der Kantone
angegliedert. Der Personalbestand des Nachrichtendienstes in Bern ist
geheim - bekannt ist, dass der Bund 8,4 Millionen Franken an die 84
Vollzeitstellen in den Kantonen bezahlt. Überdies sind etliche
Amtsstellen - unter anderem Strafverfolgungsorgane,
Militärstellen, Fremdenpolizei, Einwohnerkontrollen -
verpflichtet, dem Nachrichtendienst bei Verdachtssituationen
unaufgefordert Meldung zu erstatten.
Wie gelangt der Nachrichtendienst an Daten?
Gemäss dem Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der
inneren Sicherheit beschafft sich der Nachrichtendienst Informationen
über Personen, indem er "öffentlich zugängliche Quellen
auswertet, amtliche Akten einsieht, Auskünfte einholt,
Nachforschungen anstellt und Beobachtungen an allgemein
zugänglichen Orten - auch mit Bild- und Ton-Aufzeichnungen -
vornimmt". Viele Fichierungen erfolgen nach Anfragen aus dem Ausland
über bestimmte Personen - laut der GPDel selbst dann, wenn die
Anfrage nicht begründet wird und es keinen Grund für einen
Verdacht gibt. Zahlreiche Personen werden auch aufgrund von
"Fotopasskontrollen" am Zoll registriert: Personen aus bestimmten
Staaten werden erfasst und fichiert. Diese Vorgehen dürften mit
ein Grund sein, warum der Ausländeranteil derart hoch ist: Nur
fünf Prozent der registrierten Personen sind Schweizer (vgl.
Grafik). Auch bei bestimmten Ereignissen werden Daten gesammelt: So hat
der Basler Staatsschutz 2001 nach den Terroranschlägen in den USA
alle Flugpassagiere und Hotelgäste fichiert, die eine Woche vor
den Anschlägen und eine Woche danach in Basel haltgemacht hatten.
2002 erstellte die Basler Gruppe im Auftrag des Nachrichtendienstes
eine Liste von Personen, die als Aktivisten bei Demonstrationen gegen
die Globalisierung bekannt waren. 2004 fand in einer Westschweizer
Moschee eine Veranstaltung einer verdächtigten Organisation statt:
Alle Autohalter, die in der Nähe parkierten und dem Profil der
Teilnehmer entsprechen konnten, wurden registriert.
Was passiert mit den gespeicherten Daten?
In einer Qualitätskontrolle müssten die eingegangenen
Daten daraufhin geprüft werden, ob sie "staatsschutzrelevant"
sind, das heisst, ob es gesetzlich gerechtfertigt ist, dass sie in der
Staatsschutzdatenbank gespeichert sind. Überdies müssten die
Dossiers periodisch erneut daraufhin überprüft werden, ob die
Person noch immer eine Gefahr für die innere Sicherheit darstellt.
Die GPDel stellt in ihrem Bericht fest, dass die Prüfungen in
etlichen Fällen nicht termingerecht stattfanden. Die registrierten
Daten werden schliesslich für die Erstellung von
Bedrohungsanalysen oder für den Informationsaustausch mit dem
Ausland genutzt. Maximal 15 Jahre nach Eingang der ersten Meldung
müssen Fichen von Personen gelöscht werden - sofern keine
jüngeren staatschutzrelevanten Meldungen zu der Person vorliegen.
Die GPDel stellte fest, dass etliche Personen mehrere Jahre - in einem
Fall gar zehn Jahre - nach ihrem Tod noch immer nicht gelöscht
worden waren.
Wie erfahre ich, ob über mich eine Fiche existiert?
Derzeit gibt es keine Möglichkeit, zu erfahren, ob eine
Fiche über die eigene Person existiert. Zwar kann jeder beim
Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür ein
Prüfungsgesuch einreichen. Von Gesetzes wegen darf Thür aber
- ausser in Ausnahmefällen - dem Antragsteller nicht mitteilen, ob
er fündig geworden ist. Er klärt jedoch ab, ob eine Fiche
vorhanden ist und ob der Nachrichtendienst gesetzeskonform vorgegangen
ist. Ist dies nicht der Fall, veranlasst Thür eine Korrektur oder
Löschung des Eintrages. Jeder Antragsteller erhält als
Antwort einen Standardbrief, in dem steht: "Wir teilen Ihnen mit, dass
in Bezug auf Sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet
werden oder dass wir bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der
Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den
Nachrichtendienst des Bundes gerichtet haben." Einen Vorstoss, der ein
direktes Auskunftsrecht zur eigenen Fiche verlangte, lehnte der
Nationalrat im März ab. Eveline Widmer-Schlumpf erklärte,
dass sie das Auskunftsrecht trotzdem ausbauen will. Auch Hanspeter
Thür und die GPDel fordern dies.
--
Im Privaten lauern die grössten Gefahren für unsere Daten
Der Staat hat illegal Daten gesammelt, das ist unschön. Der
wahre Pfusch passiert aber woanders. Banken lassen sich Daten stehlen -
und wir geben im Internet fast alles selber preis, schreibt Chanchal
Biswas
Die Schweiz erlebt wieder einen Fichenskandal. Der
Inlandgeheimdienst hat illegal Daten erfasst und es in seiner Sammelwut
dann versäumt, die gespeicherten Daten zu überprüfen.
Informationen über irrelevante, weil ungefährliche Personen
wurden nicht gelöscht.
Ein ernstzunehmender Staatsschutz soll Personen registrieren,
aber er muss dabei Regeln einhalten und Kontrollen zulassen. Die
Schweiz hat nach dem Fichenskandal in den achtziger Jahren zum
Glück bereits vorgekehrt. Das Bundesgesetz über die Wahrung
der inneren Sicherheit schreibt dem Staatsschutz genau vor, welche
Daten er erfassen darf, wie er mit diesen Informationen umzugehen hat
und wie oft er die Relevanz zu überprüfen hat. Die
Geschäftsprüfungsdelegation verfügt - wie die Aufdeckung
des neuen Fichenskandals zeigt - über weitreichende Kompetenzen,
diese geheimen Tätigkeiten zu kontrollieren. Der
eidgenössische Datenschützer hat immerhin beschränkten
Zugriff auf die Staatsschutz-Datenbank: Jede Person kann abklären
lassen, ob der Nachrichtendienst korrekt mit ihren Daten umgegangen
ist. Ob wirklich eine Fiche angelegt ist, erfährt sie allerdings
nicht.
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf muss jetzt
sicherstellen, dass der Staatsschutz diese Regeln auch einhält und
wieder im kontrollierten Rahmen operiert. Denn es bereitet uns zu Recht
Unbehagen, wenn der Staat unsere Privatsphäre verletzt und zu viel
über uns weiss - oder zu wissen glaubt. Hoheit über Daten
bedeutet Macht, und der Staat verfügt über die Gewalt, diese
Macht anzuwenden oder zu missbrauchen. In der Schweiz sind zwar noch
keine derartigen Fälle aufgetreten: Aber in den USA durfte die
6-jährige Alyssa Thomas am letzten Wochenende das Flugzeug von
Cleveland nach Minneapolis nicht besteigen, weil ihr Name auf die
Terror-Beobachtungsliste der Homeland Security geraten war.
In der Aufregung um staatliche Schnüffelei geht gerne
vergessen, dass heute die grösste Bedrohung unserer
Privatsphäre vom privaten Sektor, von Firmen, ausgeht. So gelingt
es Mitarbeitern von Banken in der Schweiz, unbemerkt Daten-CDs mit
Kundennamen, Kontoständen und -Bewegungen zu brennen. Schlimm
genug, dass ausländische Steuerbehörden diese
willkürlich erfassten Datensätze kaufen, um ohne jeglichen
Anfangsverdacht Jagd auf angebliche Steuersünder zu machen. Noch
stossender ist die Idee, gleich einen automatischen
Informationsaustausch einzuführen, wie ihn die EU von der Schweiz
fordert. Die Behörden erhielten Zugang auf alle Finanzdaten von
allen Bankkunden und könnten so in den privaten
Finanztransaktionen der Bürger herumschnüffeln. Paradox, dass
gerade die politischen Kreise den automatischen Informationsaustausch
fordern, die jetzt am lautesten über den neuen Fichenskandal
lamentieren.
Datenerfassung und Verarbeitung waren früher das Privileg
von Staaten und wenigen Grosskonzernen. Seit die Preise für
Rechenkapazität und Speicherplatz aber ins Bodenlose gefallen sind
und die Welt über das Internet vernetzt ist, kann jedes
Unternehmen seinen eigenen Datenberg anhäufen. Die Wirtschaft lebt
das Motto "Erst sammeln, dann prüfen" hemmungslos. In privaten
Datenbanken liegen Informationen, nach denen sich die
Staatsschützer die Finger lecken würden. Apple etwa kennt die
genauen Standort-Daten von Benutzern des neuen iPhone 4.
Suchmaschinen-Betreiber Google und Online-Buchhändler Amazon
wissen, welche Art von politischer Literatur einen interessiert. Und
die Mitglieder des sozialen Netzwerks Facebook teilen der Welt gleich
selber mit, wer ihre Freunde und Feinde sind - beispielsweise, indem
sie Gruppen wie "Ich bin stolz auf das Resultat der
Minarett-Initiative!" beitreten.
Man male sich aus, was passiert, wenn ein Mitarbeiter diese
Informationen auf eine CD brennt und an irgendeinen Staat verkauft.
Seltsamerweise scheint es kaum jemanden zu stören, dass es
im privaten Sektor - anders als im Staatsschutz - keine Kontrolle gibt.
Unsere Daten liegen auf Firmen-Servern am anderen Ende der Welt. Es
gibt keine Gesetze, die Erfassung, Verarbeitung und Löschung
regeln. Die Unternehmen verkaufen ihr Wissen über uns an Dritte
weiter, und wir haben keine Übersicht, was wo über uns
verzeichnet ist. Auch die Datenschützer beissen auf Granit:
"Privatsphäre ist ein überholtes Konzept", so bringt der
26-jährige Facebook-Gründer Mark Zuckerberg die Haltung der
Informationsriesen auf den Punkt.
Bundesrätin Widmer-Schlumpf sagt, sie nehme den
Fichenskandal und den Datenschutz sehr ernst. Das sollten wir auch tun
- und sorgsamer mit unseren Daten umgehen. Denn von Google, Apple,
Facebook und Co. dürfen wir das nicht erwarten.
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Sonntagsblick 4.7.10
Fichenaffäre holt Bundesanwalt ein
Daguet fordert Beyelers Kopf
VON BEAT KRAUSHAAR
RÜCKTRITT
Bundesanwalt Erwin Beyeler gerät in den Sog der
Fichenaffäre. Er schlug Oberschnüffler Urs von Daeniken
für einen wichtigen Job vor.
Seit ein paar Tagen hat die Schweiz einen neuen Fichenskandal. Im
Zentrum: Urs von Daeniken (58), ein Mann mit unauffälliger Brille
und Bart. Er war jahrzehntelang der oberste Geheimdienstler im Land.
Von 2001 bis 2008 leitete er den Inlandgeheimdienst DAP. Als die
parlamentarische Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) diesen
unter die Lupe nahm, fand sie Ungeheuerliches: Unter von Daenikens
Führung legte der DAP (58) blindwütig und unter Missachtung
der Gesetze 200 000 neue Fichen an.
Als Oberschnüffler der Nation ist von Daeniken zwar weg.
Trotzdem war er bereits wieder in neuer Mission unterwegs: Er leitete
seit April dieses Jahres das Projekt Reorganisation der
Bundesanwaltschaft (siehe Box).
Dass ausgerechnet von Daeniken diesen Job bekommen hatte, war
für die Aufsichtsbehörde, die
Geschäftsprüfungskommission (GPK), ein weiterer Skandal. Sie
entzog ihm letzten Freitag das Vertrauen - via Communiqué.
Gerichtet war das Schreiben vor allem an Justizministerin Eveline
Widmer-Schlumpf (54). Sie hatte von Daeniken den Job zugesprochen. Die
GPK forderte die Bundesrätin auf, ihren Entscheid zu
überdenken. Lange brauchte sie nicht: Noch am gleichen Abend
musste von Daeniken zurücktreten.
Doch mit dem abrupten Abgang ist die Sache nicht ausgestanden.
Jetzt gerät Bundesanwalt Erwin Beyeler (58) in den Sog der
Affäre. Beyeler war es, der von Daeniken der Justizministerin als
Projektleiter für die Reorganisation der obersten
Strafverfolgungsbehörde vorschlug. Was diese akzeptierte.
Für Fichenopfer, SP-Nationalrat und GPK-Mitglied
André Daguet (63) ein unglaublicher Vorgang. "Beyeler wusste,
dass der Ex-Inlandgeheimdienst-Chef seit Jahren wegen seiner
Schnüffelei und anderen Skandalen in der Kritik steht."
Dass Beyeler ausgerechnet den obersten Schlapphut für dieses
politisch äusserst heikle Projekt vorgeschlagen habe, sei
"unverzeihlich". Für Daguet ist deshalb klar: "Am besten
würde man Beyeler raschmöglichst ersetzen. Spätestens
mit Abschluss der Reorganisation im Januar 2011 muss der Posten neu
besetzt werden. Zuständig für die Wahl ist neu sowieso die
Bundesversammlung." Daguet spielt den Ball damit dem Parlament zu:
Dieses soll Beyeler in die Wüste schicken und einen neuen
Bundesanwalt einsetzen.
Kritik muss sich auch Justizministerin Widmer-Schlumpf gefallen
lassen. Daguet: "Dass sie dem Vorschlag Beyelers, den
Ex-Inlandgeheimdienst-Chef als Projektleiter einzusetzen, zugestimmt
hat, zeugt nicht gerade von Weitsicht. Sie wusste seit ein paar Wochen
über die neue Fichenaffäre von Daenikens Bescheid", sagt der
Berner SP-Nationalrat.
Zudem sei bekannt, dass die Justizministerin und der Bundesanwalt
das Heu nicht auf der gleichen Bühne hätten. Beyeler gilt als
führungsschwach und muss deshalb regelmässig bei
Widmer-Schlumpf antraben. Daguet hofft, dass sie jetzt auch im Fall
Beyeler die notwendigen Konsequenzen zieht - und nicht zuwartet, bis
sie wie bei von Daeniken die Notbremse ziehen muss.
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Bundesanwaltschaft: Das wird neu
Am 1. Januar 2011 tritt eine umfassende Neuorganisation der
Bundesanwaltschaft in Kraft. Das Eidgenössische
Untersuchungsrichteramt wird aufgehoben und in die Bundesanwaltschaft
integriert. Das soll verhindern, dass sich die beiden Behörden die
Fälle zuschieben und es Jahre dauert, bis ein Fall zur Anklage
kommt. Gleichzeitig wird die bisher geteilte Aufsicht (EJPD und
Bundesstrafgericht) aufgehoben. Zuständig ist künftig eine
Aufsichtsbehörde, die von der Bundesversammlung gewählt wird.
Neu übt also ab 2011 das Parlament die Oberaufsicht über die
Bundesanwaltschaft und deren Aufsichtsbehörde aus.
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AUSSCHAFFUNGEN
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Sonntagszeitung 4.7.10
Schweizerisches Rotes Kreuz kritisiert Ausschaffungen
Widmer-Schlumpf: "Als letztes Mittel nötig"
BERN Für das Schweizerische Rote Kreuz (SRK) sind die
Zwangsausschaffungen nicht mit der Menschenwürde vereinbar.
SRK-Sprecher Beat Wagner kritisiert die vollständige Fesselung der
Auszuschaffenden und dass ihnen ein Boxhelm auf den Kopf gestülpt
wird.
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf macht gegenüber der
SonntagsZeitung nun aber klar, dass sie an den sogenannten
Level-4-Rückführungen festhält, bei denen am 17.
März 2009 ein 29-jähriger Nigerianer starb. Diese seien als
Teil einer konsequenten und glaubwürdigen Asyl- und
Ausländerpolitik "auch in Zukunft als letztes Mittel nötig".
Die Bundesrätin weist darauf hin, dass die Schweiz 2011 die
EU-Richtlinie übernehme, die ein unabhängiges Monitoring
vorsieht. Damit geht es bis Ende Jahr weiter wie bisher.
Bei den Sonderflügen, die dieser Tage wieder stattfinden,
soll einzig die medizinische Betreuung besser werden. Mit der
Ärzteschaft ist dies aber noch nicht geklärt, wie
FMH-Präsident Jacques de Haller in der "Südostschweiz" sagte.
Pascal Tischhauser
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SEMPACH
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20 Minuten 5.7.10
Rechtsextreme in Sempach
SEMPACH. Eine Woche nach dem offiziellen Gedenken an die
Schlachtfeier haben sich am Samstagnachmittag in Sempach rund 200
Personen zu einer gemeinsamen Kranzniederlegung beim Schlachtdenkmal
getroffen. Laut Indymedia.ch handelte es sich dabei um Neonazis. Die
Luzerner Polizei war vor Ort. Wie Pikettoffizier Pius Ludin gestern auf
Anfrage sagte, wurden keine Gesetzesverstösse registriert. Es sei
lediglich der alte Schweizerpsalm gesungen worden. Nach der
Kranzniederlegung habe sich ein grosser Teil der Rechtsextremen an ein
Konzert in Oberarig mit zwei Berliner Rechts-Rockbands begeben, heisst
es auf Indymedia.ch weiter.
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Indymedia 3.7.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/07/76690.shtml
Communique zur Schlachtfeier von Sempach 03.07.2010 ::
AutorIn : Antifa Kränzchen
Heute fand im Mittelalterstädtchen Sempach eine Neonazi-
Demonstration mit anschliessendem Konzert in Oberarig bei Nottwil
statt.
Nachdem der Luzerner Kantonsrat die diesjährige Schlachtfeier
abgesagt, sowie jeglichen Umzug zum Schlachtdenkmal in Sempach verboten
hatte, blieb es in Sempach letztes Wochenende ruhig - nicht jedoch
heute.
Um 16.00 Uhr versammelten sich etwa 150 Neonazis auf einem Parkplatz
auf halbem Weg zum Schlachtfeld. Gegen 16.30 Uhr marschierten sie in
geschlossener Formation zum Gedenkstein von Arnold von Winkelried, wo
diverse Reden gehalten wurden.
Nach der Kranzniederlegung begab sich ein grosser Teil der
Rechtsextremen an ein Konzert in Oberarig mit zwei Berliner
Rechtsrockbands.
Während die Neonazis ihrer Hassmusik frönten kümmerten
wir uns um ihren wunderbaren teuren Kranz und entfernten die
pseudopetischen rechten Parolen.
Kein Raum für Nazis, keine Kränze für nationale Mythen!
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ANTI-ATOM
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NZZ 5.7.10
Detailplanung für Tiefenlager
(sda) ⋅ Die sechs potenziellen Standorte für ein
Atommüll-Tiefenlager werden nun auch oberirdisch unter die Lupe
genommen. Begehungen vor Ort sollen aufzeigen, wo die nötigen
Gebäude, das Portal des Zugangsstollens sowie die Anschlüsse
an Strasse und Schiene gebaut werden könnten. Die Nationale
Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra)
will ab Juli Feldbegehungen durchführen, wie das Bundesamt
für Energie meldet. Pro Standort will die Nagra mehrere
Vorschläge ausarbeiten. Diese werden voraussichtlich im zweiten
Halbjahr 2011 vor Ort zur Diskussion gestellt. Für die
oberirdischen Anlagen ist eine Fläche von bis zu acht Hektaren -
das wären 200 mal 400 Meter - nötig.