MEDIENSPIEGEL 8.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Rössli, Tojo)
- Bleiberecht: Bilanz(en); Bootsflüchtlinge
- Narrenkraut: NZZ-Debatte; Rappaz-Hungerstreik
- Big Brother: Reformversprechen; Fichenskandal 2.0
- Antifa-Flugi-Aktion in Burgdorf
- ERK kritisiert Verzicht auf Hitlergruss-Verbot
- Anti-Atom: Gegen Gösgen 2

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REITSCHULE
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Do 08.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter   elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ Xylophee, DJ Dunch, DJ FRATZ, Isabelle, Mike, Nadja & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Kino - Südafrika jenseits des WM-Taumels: Invictus - Clint Eastwood, USA 2009

Fr 09.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Sa 10.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
21.00 Uhr - Kino - Velo Filmabend - Premiere! Flat out CH/FR 2010 Kamera & Regie: Renaud Skyronka
22.00 Uhr - Kino - Quicksilver USA 1986, 105 Min.

So 11.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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Bund 9.7.10

Fotoroman

 Feuer, Fischer und Happy End

 "Ein langer Weg zum grossen Glück" heisst die Fotoromanze von Urslé von Mathilde und Manu Friederich, in der eine Auftragsdiebin ein Hodler-Bild klaut, unterwegs selber bestohlen wird und in Genua ihr Glück findet. Ein langer Weg war es auch bis zum fertigen Fotoroman: Eines der eingesetzten Autos fing Feuer, und die genuesischen Fischer zeigten sich wenig kooperativ. Nun ist er aber da, der Fotoroman. Samt Happy End. (reg)

 Rössli Reitschule Vernissage: 9. Juli, 20 Uhr.

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WoZ 8.7.10

Fotoroman

 Die grosse Liebe

 Sie waren stets das Highlight der Mädchen- und Aufklärungshefte, die wir als Teenager verschlangen: Die Fotolovestorys. Da trafen hübsche Girls auf heldenhafte und gut aussehende Jungs - auf der Skipiste, auf dem Rummelplatz, auf einer Party ... - und stets wurde auf Umwegen die grosse Liebe daraus.

 Die Berner Künstlerin Urslé von Mat hilde und der Berner Fotograf Manu Friederich, der auch für die WOZ fotografiert, haben nun zusammen einen Fotoroman produziert. In "Ein langer Weg zum grossen Glück" treiben sie den genretypischen Kitsch auf die Spitze. Witzig ist, wie sie dabei die typischen Rollenzuteilungen übergehen und die Heldin eine Frau sein lassen: Hüntschi ist professionelle Diebin, die im Kunstmuseum Bern das Bild "Eiger Mönch und Jungfrau" von Ferdinand Hodler klaut: "Sie ist schnell. Sie ist sicher. Sie wickelt ein. Sie fährt mit Stil. Sie ist cool. Sie ist eine der Besten. Sie wurde noch nie geschnappt. Sie hat schon manchen ruiniert."

 Doch dieses Mal ist alles anders. Hüntschi fühlt sich zu sicher - was ein fataler Fehler ist. Und wie es sich für eine Fotolovestory gehört, findet auch sie nach einigen Abenteuern und auf Umwegen ihre grosse Liebe. Die Dialoge klingen dann so: "Du siehst gut aus." - "Neben dir fühl ich mich auch so." - "Ich werde meine Ehe im Meer versenken. Und dann mit der Sonne untergehen und im Mondschein erwachen." süs

 "Ein langer Weg zum grossen Glück" in: Bern Rössli in der Reitschule, Fr, 9. Juli, 20 Uhr, Vernissage.

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BZ 8.7.10

Schweizer Stücke

 Heimatgefühl auf Bühne

 "Westside Story", "Evita", "Les Misérables" - alles Erfolgsmusicals, die rund um den Globus die Kassen klingeln lassen. Auch die Thuner Seespiele haben in der Vergangenheit auf diese Hits gesetzt. Nun brechen die Veranstalter mit dieser Tradition und bringen das neu geschriebene Musical "Dällebach Kari" zur Aufführung. Damit wird eine Berner Geschichte erzählt, jene vom Coiffeurmeister Karl Tellenbach, der aufgrund seiner Hasenscharte ausgelacht wurde und sich diesen Angriffen mit seinem trockenen Humor widersetzte. Und es soll nicht bei einer Ausnahme bleiben: Bereits haben die Veranstalter angekündigt, dass nächstes Jahr ein Gotthelf-Musical uraufgeführt werden soll - wieder ein urbernischer Stoff.

 Auf den Theaterbühnen hat sich dieser Heimattrend längst etabliert, so Andreas Kotte, Vorsteher des Instituts für Theaterwissenschaften an der Universität Bern: "Der Ruf nach schweizerischen Themen währt seit den 1830er-Jahren, seit den Stadttheatergründungen, die das Bewusstsein für den Unterschied zwischen Bühnendeutsch und Mundart schärften." Auch bei Freilichtspielen sind Schweizer Geschichten begehrt - Beispiele sind etwa die Tellspiele Interlaken und Altdorf.

 Auch medienwirksame Musicalproduktionen wie "Ewigi Liebi" oder "Dällebach Kari" sind laut Kotte zu begrüssen. Nicht nur, weil sie sich lokalen Themen widmen, sondern weil sie kritische Folgeprojekte anregen - wie etwa "Die Dällebach-Macher" im Tojo Theater Bern, dessen Schreiber die Produktionsbedingungen des Thuner Musicals durchleuchteten.
 stc

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BLEIBERECHT
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WoZ 8.7.10

Sans-Papiers-Camp - Positive Bilanz

 "Wir werden zurückkehren"

 Das Protestcamp illegalisierter Flüchtlinge und Sans-Papiers auf der kleinen Schanze beim Bundeshaus in Bern ging am Freitag letzter Woche zu Ende. Wie mit der Stadt Bern vereinbart, wurde das Zeltdorf am Freitagmorgen abgebaut. Waren zu Beginn der Protestwoche noch relativ wenig direktbetroffene "Illegale" vor Ort - UnterstützerInnen prägten das Bild des Camps -, so war es gegen Ende der Aktion genau umgekehrt. Direktbetroffene diskutierten rege das weitere Vorgehen und übernahmen auch die Küche. Statt Pasta gab es nun Gerichte vom halben afrikanischen Kontinent.

 Für die OrganisatorIn nen des Camps war es eine erfolgreiche Woche. "Flüchtlinge und Unterstützende aus allen Teilen der Schweiz hatten Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen, sich zu vernetzen und aus der Isolation auszutreten", heisst es in einer Mitteilung. "Falls Bundesrätin Widmer-Schlumpf nicht sehr bald konkrete Schritte in Richtung einer kollektiven Regularisierung unternimmt, werden wir nach Bern zurückkehren", drohen die Bleiberechtskollektive der Schweiz.

 Während am Freitag vor einer Woche die meisten Illegalisierten zurück in den gesellschaftlichen Schatten ihrer Nothilfebunker zogen, blieben drei Hungerstreikende aus dem Iran auf der kleinen Schanze zurück. Die mit einem Grossaufgebot angerückte Polizei verhaftete sie und brachte sie ins Spital. Die drei fordern eine Anerkennung als politische Flüchtlinge. Am Dienstag dieser Woche beendete der 42-jährige Farhad Bazrafkan als Letzter der Iraner seinen Hungerstreik, den er am 2. Juni begonnen hatte.

 "Wir konnten ihn davon überzeugen, dass weitere gemeinsame Aktionen im Rahmen der Bleiberechts bewegung mehr bringen als ein individuell geführter Hungerstreik", sagt David Soo fali von der Unterstützungsgruppe Soli.Flüchtlinge. Zudem bestünde juristisch wieder Hoffnung: Im August rechne man mit einem Vorentscheid des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich Bazrafkans Asylgesuch.  

Dinu Gautier

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BZ 8.7.10

Kleine Schanze

 Rasen einen Monat gesperrt

 Durch das Sans-Papiers-Camp ist die Rasenfläche auf der Kleinen Schanze teilweise zerstört worden. Nun wurde neu angesät.

 Der Rasen auf der Kleinen Schanze, wo letzte Woche die Sans-Papiers campierten, ist teilweise stark beschädigt worden. "Die Rasenpflanzen wurden durch den Bodendruck des Camps, wegen des fehlenden Lichts und der mangelnden Sauerstoffversorgung zerstört", sagte Stadtgärtner Christoph Schaerer. Der Rasen sei abgestorben.

 Gestern haben drei Angestellte von Swiss Green im Auftrag der Stadtgärtnerei den Boden gelockert, belüftet und die abgestorbenen Gräser weggeräumt. "Nur so konnten wir die Erde für eine neue Saat vorbereiten", sagte Swiss-Green-Geschäftsführer Fritz Schweizer.

 Abgesperrt

 In dem zerstörten verdichteten Boden wäre eine Saat nicht möglich gewesen. Der angesäte Boden von 1700 Quadratmetern wurde gestern durch Angestellte der Stadtgärtnerei abgesperrt und bewässert. Ohne Bewässerung in der richtigen Menge würde der Rasen bei den gegenwärtigen hohen Temperaturen nicht wachsen. Deshalb muss er jeden Tag mindestens zweimal bewässert werden. Bis der Rasen wieder betreten werden kann, dauert es vier Wochen.

 Betreten verboten

 Die besten Temperaturen für das optimale Wachstum von Rasengräsern liegen zwischen 10 und 25 Grad. Die momentane grosse Verdunstung des Wassers erschwert das Wachstum. Deshalb darf der Rasen nicht betreten werden.

 16000 Franken Schaden

 Die Instandstellung des Rasens kostet 10 000 Franken. Hinzu kommen 6000 Franken für die Bewässerung. Die Totalkosten von 16 000 Franken werden aus dem Budget der Grünflächenpflege der Stadtgärtnerei bezahlt, das durch Steuergelder finanziert wird.

Jürg Spori

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WoZ 8.7.10

Bootsflüchtlinge - Jährlich sterben Tausende bei der Überfahrt von Afrika nach Europa. Nun haben sich die Angehörigen der Opfer einer Überfahrt vom August 2009 zusammengetan.

 "Fahrt doch nach Hause"

 Von Angela Huemer, Frankfurt

 Der 4. Juli war nicht so heiss wie die Tage zuvor. Zumindest nicht in Frankfurt, wo die grösste eritreische Gemeinde Deutschlands zu Hause ist. An jenem Sonntag versammelten sich in der Frankfurter St.-Hedwig-Kirche rund 300 EritreerInnen und einige Deutsche. Der Anlass: Ein eritreischer Pries ter war aus Rom angereist und hielt eine ökumenische Trauerfeier für 77 tote Bootsflüchtlinge, die im August 2009 auf einer Irrfahrt von Libyen nach Euro pa ums Leben gekommen waren.

 Einige der Angehörigen waren anwesend. Sie sind aus Süddeutschland, den Niederlanden und Britannien angereist. Aus Bonn kam Geri*. Einer der toten Bootsflüchtlinge war ihr Halbbruder. Geri lebt seit über zwanzig Jahren mit ihrer Familie in Deutschland - und möchte wie andere Angehörige der Opfer aus Angst vor Einschüchterungen durch die eritreische Regierung ihren richtigen Namen nicht nennen. Sie hatte die Trauerfeier angeregt und organisiert.

 5 von 82

 Geris Halbbruder war zusammen mit 81 weiteren Flüchtlingen am 28. Juli 2009 aus Libyen in einem einfachen Gummiboot losgefahren. Sie kamen mehrheitlich aus Eritrea, wo viele vor der rigiden Wehrpflicht flüchten, aber auch aus Äthiopien und Nigeria. Nur vier junge Männer und eine Frau überlebten die Fahrt. Die anderen verhungerten, verdursteten oder ertranken. Wann genau ihr Halbbruder starb, weiss Geri nicht, vermutlich Mitte August. Die Körper der 77 Toten wurden nie geborgen.

 Während der über dreiwöchigen Irrfahrt waren immer wieder Schiffe nahe an ihrem Gummiboot vorbeigefahren - ohne Hilfe zu leisten, wie es das internationale Seerecht vorschreibt. Erst am 21. August wurden die fünf einzigen Überlebenden von der italienischen Küstenwache geborgen. Zwei Tage zuvor waren sie bereits von einem Schiff der Marine von Malta angehalten worden. Doch die Matrosen hatten den ausgezehrten Flüchtlingen nur einige Flaschen Wasser gegeben, sie angewiesen, "nach Hause" zu fahren, und sie dann im Stich gelassen. Später veröffentlichte die maltesische Marine ein Foto des Gummibootes - als Nachweis, dass die fünf wohlauf und handlungsfähig gewesen seien.

 Geri hatte in jenem Juli 2009 Eritrea besucht. Nach ihrer Rückkehr versuchte sie, ihren Halbbruder in Libyen zu kontaktieren. Er sei nicht da, sagte man ihr. Sie insistierte und rief in den folgenden Tagen immer wieder an, bis sie schliesslich hörte, dass er in einem Boot losgefahren war. Nach einigen Mühen gelang es ihr, mit dem Schlepper zu sprechen, der ihr wiederum versicherte, dass die Flüchtlinge "gerade wohlbehalten in Malta angekommen" seien. Tatsächlich hatte der Schlepper kurz zuvor einen Anruf vom Satellitentelefon erhalten, das man den Flüchtlingen mitgegeben hatte. Allerdings war es ein Notruf: Der Treibstoff ging zur Neige, und der Schlepper riet den Schiffbrüchigen, Malta anzupeilen. Dann brach die Verbindung ab.

 Geri kontaktierte den Flüchtlingsrat in Köln, den Suchdienst des Roten Kreuzes, den Malteserorden. Nichts. Weitere Angehörige schlugen unabhängig voneinander Alarm, so auch Esaias* aus Britannien, der seinen Bruder vermisste. Nach der Rettung durch die italienische Küstenwache dann die Gewissheit: Geris Halbbruder, Esaias Bruder und 75 weitere waren tot.

 Mithilfe der Organisation Borderline Europe reiste Geri nach Sizilien und traf die Überlebenden. Die Staatsanwaltschaft in Agrigent erhob Anklage gegen unbekannt wegen "unterlassener Hilfeleistung". Auch Geri tritt als Zeugin auf. Ob es in diesem Fall überhaupt zu einem Prozess kommen wird, ist bis heute unklar.

 Kein Wort aus Malta und Italien

 Nach dem Unglück traten die Angehörigen der Opfer miteinander in Kontakt. Sie sind in der ganzen Welt zerstreut, leben in Kanada, den USA, in Australien und Europa. Gemeinsam verfassten sie ein Protestschreiben an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg. Darin warfen sie Fragen auf wie: Warum wurde das Flüchtlingsboot trotz moderner Radarsysteme und Satellitenüberwachung nicht entdeckt und gerettet? Und sie stellten fest: Das Leben ihrer Angehörigen hätte gerettet werden können, wenn die Flüchtlinge als Menschen und nicht als "illegale afrikanische Immigranten" betrachtet worden wären.

 Der Europarat-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg richtete wenige Tage nachdem der Vorfall bekannt geworden war offizielle Anfragen an Italien und Malta. Da keine ausreichende Aufklärung erfolgte, wiederholte er seine Anfrage im Dezember und veröffentlichte in den Medien den Brief. Wieder ohne Ergebnis.

 Seit letzten Sommer haben sich auf Geris Initiative hin weltweit Hunderte Angehörige der Opfer vernetzt. Sie versuchen, die Geschichten und Schicksale der Toten und ihrer zu Hause verbliebenen Familien zu dokumentieren und einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen.

 In Frankfurt trafen sich nun viele Angehörige erstmals persönlich. Auch Stefan Schmidt reiste zur Gedenkfeier. Der Mitbegründer von Borderline Europe und ehemalige Kapitän der "Cap Anamur" hatte 2004 vor der Insel Lampedusa 37 Flüchtlinge aus Seenot gerettet und war vom italienischen Staat daraufhin wegen Schlepperei angeklagt worden. Erst letzten Oktober wurde er freigesprochen.

 Die fünf Überlebenden selbst konnten nicht an der Feier teilnehmen. Zur Anreise aus Italien fehlten ihnen Geld und die nötigen Papiere.

 *Name von der Redaktion geändert
http://www.borderline-europe.de

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NARRENKRAUT
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NZZ 8.7.10

Neue Richtlinien für Cannabis

 Schwierige Suche nach Grenzwert

 dsc. ⋅ In neuen Verordnungen regelt der Bund den Anbau von Cannabis für medizinische und industrielle Zwecke und schafft damit mehr Rechtssicherheit für entsprechende landwirtschaftliche Tätigkeiten. Die Ausarbeitung der Richtlinien hat sich als komplexer erwiesen als angenommen. Insbesondere die Festlegung eines Grenzwerts für den Gehalt der berauschenden Substanz THC erscheint als Knacknuss. Heute beträgt dieser 0,3 Prozent, doch Experten empfehlen eine Erhöhung. Veränderungen zeichnen sich auch für Joint-Konsumenten ab. Eine Parlamentskommission erarbeitet ein Modell mit Ordnungsbussen unter hundert Franken anstelle der strafrechtlichen Verfolgung.

 Schweiz, Seite 11

 Meinung & Debatte, Seite 19

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Neue Cannabis-Debatte nötig

 Der Schweiz sind Mut und Pragmatismus in der Drogenpolitik abhandengekommen. Beim Hanf muss die Diskussion beim Jugendschutz ansetzen.

Von Davide Scruzzi

 Zugegeben, das Volk hat gesprochen, und zwar eindeutig: Mit über 60 Prozent Nein-Stimmen wurde im Herbst 2008 die Hanfinitiative bachab geschickt. Sie verlangte Straffreiheit für Cannabiskonsumenten und eine Regulierung des Verkaufs jener berauschenden Produkte. Die Befürworter der Vorlage, neben linken Parteien war auch die FDP darunter, sind allerdings gar zu brave Verlierer. Sie liessen das einst heiss diskutierte Thema weitgehend aus den Traktanden der öffentlichen Debatte fallen. Doch gesellschaftliche Realitäten lassen sich nicht durch einen Volksentscheid ändern, und so bleibt der staatliche Umgang mit dem Konsum von Cannabis ein Kapitel voller Widersprüche - nicht nur, wenn ein Rebell wie der Walliser Hanfbauer Bernard Rappaz wieder einmal glaubt, über Gesetz und Justiz stehen zu dürfen, und in den Hungerstreik tritt.

 Gemäss Umfragen lassen sich 3,4 Prozent der Bevölkerung ab 15 Jahren zu den Cannabiskonsumenten zählen. Rund ein Fünftel der Befragten hat mindestens einmal einen Joint ausprobiert. All diese Menschen tun heute entgegen der breiten gesellschaftlichen Wahrnehmung etwas strafrechtlich Verbotenes. Erstaunlich häufig werden sie deswegen tatsächlich von Ordnungshütern erwischt und verzeigt: Jährlich erfolgt das allein aufgrund des Konsums in rund 30 000 Fällen.

 Bussen und Experimente?

 Die psychischen und physischen Risiken eines massiven Cannabiskonsums sollen nicht kleingeredet werden, sie sind aber vergleichbar mit den Auswirkungen eines übermässigen Konsums der legalen Volksdroge Alkohol. Als Hauptübel beim Cannabis erscheint gerade die für junge Menschen verlockende Natur der Illegalität. Daraus resultiert dann die Funktion von Cannabis als Einstiegsdroge, die eben in jenen Kreisen erhältlich ist, wo auch harte Drogen im Sortiment sind.

 Die Diskrepanz zwischen rechtlicher Verfolgung, gesellschaftlichem Stellenwert und dem Gefahrenpotenzial des Cannabiskonsums wird immerhin von einer breiten parlamentarischen Allianz als Missstand erkannt. Abhilfe soll der Rückgriff auf einen CVP-Vorstoss bieten, der Ordnungsbussen anstelle einer strafrechtlichen Verfolgung des Konsums anregt - die Nachteile der Illegalität beim Jugendschutz blieben bestehen. Die Umstellung zum Ordnungsbussen-System würde für die Ertappten zwar den Vorteil bringen, dass ihr Konsum nicht registriert wird. Die Polizeikräfte könnten aber die vereinfachte Praxis zum Anlass nehmen, die Kontrolldichte und damit die Repression faktisch zu erhöhen. Auch städtische und kantonale Vorstösse für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis erscheinen noch nicht als griffige Lösungen. Dieser jüngst wieder in Zürich geforderte Weg müsste auf einem von verschiedenen Instanzen des Bundes zu genehmigenden Forschungsprojekt basieren. Ein zweifellos schwieriges Unterfangen, zumal die ähnlich eingeführte erfolgreiche kontrollierte Heroinabgabe einer völlig anderen sozialen und medizinischen Notlage erwuchs. Während damit die Schweizer Drogenexperten international gesehen Neuland beschritten und dafür dann vom Volk bei der Abstimmung über das Betäubungsmittelgesetz 2008 auch gestützt worden sind, wurde die Schweiz beim Hanf von Ländern wie Tschechien überholt. Dort ist nun der Anbau von einigen Cannabispflanzen jeweils erlaubt, und selbst der Besitz von kleinen Mengen harter Drogen ist straffrei.

 Antworten auf Ängste finden

 Ein Neuanfang der Debatte um eine Liberalisierung des Cannabiskonsums muss dort ansetzen, wo diese Bestrebungen bereits im Rahmen der parlamentarischen Beratungen zur Revision des Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2004 - für viele überraschend - gescheitert sind: an der plötzlich weitverbreiteten Angst, dass sich gerade unter Schülern der Konsum weiter ausbreiten würde, trotz geplanten Alterslimiten für die Abgabe. Ohne griffige Antworten auf diese Sorgen haben wohl auch neue Light-Versionen für eine Liberalisierung - etwa die Straffreiheit des Konsums und Eigenanbaus durch Erwachsene ohne aufwendige Regulierung des Handels - keine Chancen.

 Weitere zielgruppengerechte und effiziente Prävention ist ohnehin auch hinsichtlich des jugendlichen Missbrauchs von Alkohol oder Medikamenten vonnöten, sie muss stoffübergreifend sein und den richtigen Umgang mit persönlichen Krisen umfassen. Wenn Jugendliche die richtige Bahn zu einem akzeptablen Umgang mit Suchtmitteln suchen, dürfen zudem Disziplinierung und Verbote keine Fremdwörter sein, diese Elemente sollen aber in erster Linie von Eltern und Schulen angewandt werden. Unklug ist es hingegen, auf die Wirkung traditioneller staatlicher Instrumente wie das Cannabisverbot zu setzen, deren grossflächig angelegte Effekte in vielen Einzelfällen dann gar nicht greifen. Bei den Erwachsenen soll indes der Staat den Mut, ja die Pflicht haben, der freien Entscheidung des Einzelnen zu vertrauen.

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Revision der Hürden für den Anbau von Hanf

 Erhöhung des THC-Grenzwerts birgt Konfliktpotenzial - neue strenge Richtlinien für medizinische Nutzung

 Die Legalisierung von Joints ist seit dem Nein zur Hanfinitiative politisch in weiter Ferne. Nun bringt der Bund Klarheit beim Anbau von Cannabis für Medizin und Industrie. Kopfzerbrechen bereitet die neue THC-Limite.

 Davide Scruzzi

 Hanf ist nicht bloss Quelle für Drogen, sondern auch traditionsreicher Rohstoff zur Herstellung von Textilien, Lebensmitteln, Kosmetika und Heilmitteln. Die Grenze zwischen gewöhnlicher Nutzpflanze und illegalem Kraut beschäftigt schon seit vielen Jahren die Justiz - und derzeit das Bundesamt für Gesundheit (BAG). Nach dem Sommer gehen drei Verordnungen zum revidierten Betäubungsmittelgesetz in die Anhörung, mit denen Legalität und Illegalität besser unterschieden werden. Die Arbeit an diesen Richtlinien hat sich als komplexer und langwieriger erwiesen als geplant, obwohl brisante Fragen zum Drogenkonsum darin nicht vorkommen (siehe Zusatztext). Ob sich rebellische Hanfbauern wie Bernard Rappaz dereinst in dieses neue Korsett werden zwängen lassen, ist fraglich (siehe Artikel unten auf dieser Seite), die bei ihm beschlagnahmte Ware übertraf den heute gebräuchlichen Grenzwert der berauschenden Substanz Tetrahydrocannabinol (THC) offenbar zum Teil um bis das Hundertfache - in der Praxis wird nach einem auf Sortenkataloge basierenden Entscheid des Bundesgerichts die THC-Limite von 0,3 Prozent angewendet.

 Von 0,3 auf 1,0 Prozent?

 Oft geraten aber auch unauffälligere Landwirte in die Mühlen der Justiz, wenn die Pflanzen zwar über dem - gesetzlich nie festgeschriebenen - Grenzwert liegen, der THC-Gehalt aber trotzdem zu tief erscheint, um für den Drogenkonsum attraktiv zu sein, der oft auf Pflanzen basiert, die in geschlossenen Räumen gewachsen sind. Im Toggenburg kam ein Bauer wegen eines THC-Gehalts von etwa 1,5 Prozent mehrmals mit der Polizei in Konflikt, wurde aber freigesprochen, weil er bewies, dass sein Industriehanf an eine Körperpflege-Firma geht. Im immer noch geltenden alten Betäubungsmittelgesetz ist nämlich der Verwendungszweck für die Legalität zentral. Der späte Sieg des Bauern vor Gericht konnte aber nicht verhindern, dass der beschlagnahmte Hanf nicht mehr zu gebrauchen war.

 Seit bald zwei Jahren befasst sich das BAG mit der Festlegung einer verbindlichen THC-Limite gemäss dem vom Volk angenommenen, aber noch nicht in Kraft gesetzten neuen Betäubungsmittelgesetz. Die Probleme der Justiz bei der Einteilung in legalen oder illegalen Hanf sowie Empfehlungen von Experten der Schweizerischen Gesellschaft für Rechtsmedizin (SGRM) weisen den Weg zu einer Erhöhung des vom Bundesgericht etablierten Grenzwerts von 0,3 Prozent - laut Maria Saraceni vom BAG wird der Vorschlag der SGRM weiterhin diskutiert, den Wert auf 1 Prozent zu erhöhen. Doch verlangt das neue Gesetz, "in der Regel" eine Angleichung an die Standards von internationalen Institutionen - und in der EU gelte der Wert von 0,2 Prozent, so Saraceni. Zudem ist man sich beim BAG um die "heikle politische Signalwirkung" einer Erhöhung bewusst. Der Bundesrat wird nach der Anhörung entscheiden, welcher Wert in die Verordnung aufgenommen wird. Ebenfalls ab 2011 geregelt wird die Anwendung von Arzneimitteln mit natürlichen Cannabis-Extrakten, welche die THC-Limite überschreiten können. Für die Zulassung der Mittel soll das ordentliche Registrierungsverfahren für Medikamente gemäss Heilmittelrecht gelten.

 Keine einfache Zulassung

 Die Hürde für eine Zulassung wird jedoch hoch sein. Genauso wie für die medikamentöse Anwendung anderer Betäubungsmittel muss unter anderem die Wirksamkeit belegt werden, und es ist der Beweis eines therapeutischen Mehrwerts zu erbringen. Ein in Kanada zugelassenes Cannabis-Medikament (Sativex) zur Behandlung von Symptomen multipler Sklerose wird etwa derzeit in Grossbritannien und in Spanien für die Zulassung geprüft, so das BAG. In der Schweiz ist erst in rund 70 Fällen Patienten per Ausnahmebewilligung die befristete Anwendung von allerdings synthetisch hergestellten Cannabis-Substanzen erlaubt. Zu den Sicherheitsmassnahmen der Anbauflächen für Pflanzen, die zu medizinischen Anwendungen ergiebige THC-Potenziale haben, wird das BAG ebenfalls Richtlinien publizieren. Bei der Bewilligungspraxis wird man sich auf kantonale Methoden stützen können. So besteht in St. Gallen seit Jahresbeginn eine Meldepflicht mit der schon im Voraus geklärt wird, dass Hanf nicht zur Betäubungsmittel-Gewinnung verwendet wird. Hanf ohne Bewilligung kann dann von den Behörden grundsätzlich vernichtet werden.

 Meinung & Debatte, Seite 19

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 Bis zu hundert Franken Busse fürs Kiffen?

 dsc. ⋅ Auch für die Liebhaber illegaler Cannabis-Produkte zeichnen sich Veränderungen ab. Noch diesen Sommer erarbeitet eine Subkommission der nationalrätlichen Gesundheitskommission einen Entwurf für ein Ordnungsbussen-System gegen Cannabis-Konsumenten. Wie Jacqueline Fehr (sp., Zürich), Präsidentin der Subkommission, erklärt, orientiere man sich stark an einem bereits im Kanton St. Gallen erprobten Modell. Die Polizei soll vor Ort eine Busse aussprechen können. Die Täter werden nicht registriert, so dass eine Erhöhung der Bussgelder im Wiederholungsfall wie bei strafrechtlichen Verfahren nicht möglich sein wird.

 Minderjährige sollen nicht in den Genuss dieser beschleunigten Praxis kommen, weil damit der Handlungsspielraum für die Justiz eingeschränkt würde, jungen Kiffern Beratungs- und Therapiemassnahmen anzuordnen. Die ertappten Erwachsenen sollen künftig zwischen einer Busse und der strafrechtlichen Verfolgung wählen können. Die Höhe der Bussen müsse denn unterhalb der heute üblichen Bandbreite strafrechtlicher Massnahmen liegen, also sicher nicht über hundert Franken betragen, so Fehr. - Sven Schendekehl vom Verein "Legalize it!", der für eine Liberalisierung des Cannabis-Konsums steht, hält ein Bussensystem für eine "leichte Verbesserung", weil die Erhöhung im Wiederholungsfall wegfällt. Die jetzige strafrechtliche Praxis sei sehr unterschiedlich, reiche vom Tessin, wo oft nur Verwarnungen ausgesprochen würden, bis zu Deutschschweizer Gegenden, wo bei Ersttätern bis zu 200 Franken an Bussen und Gebühren anfielen.

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Hanfbauer hungert weiterhin für einen Hafturlaub

 Zustand des Wallisers Bernard Rappaz ist "besorgniserregend" - Solidaritätsbekundungen und politische Kontroversen

 Der wegen Anbau und Handel mit Cannabis rechtskräftig verurteilte Unterwalliser Bernard Rappaz will im Gefängnisspital von Genf bis zur "bitteren Neige" hungern.

 Luzius Theler, Sitten

 Bernard Rappaz, der 57-jährige Hanfbauer aus Saxon im Unterwallis, ist eine schillernde Figur: Den einen gilt er als nonkonformistischer und rebellischer Vorkämpfer für die Liberalisierung von weichen Drogen, anderen hingegen - und darunter ist die Walliser Staatsanwaltschaft - erscheint er als einer, der Drogen im industriellen Massstab herstellte, und als Gewohnheitsverbrecher, der immer wieder mit dem Gesetz ihn Konflikt geriet. Er verstiess gemäss Urteil des Walliser Kantonsgerichts mehrfach gegen das Betäubungsmittelgesetz, indem er in grösserem Umfang Hanf mit einem verbotenen THC-Anteil anbaute und verkaufte.

 Rappaz ist dafür zu einer Gefängnisstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten verurteilt worden. Mit Hungerstreiks will der Häftling nun einen weiteren Haftunterbruch erwirken, nachdem ein Revisionsantrag zu seinem Prozess abgelehnt worden war. Im Mai dieses Jahres durfte Rappaz für zwei Wochen nach Hause, nachdem er im Gefängnis einen Schwächeanfall erlitten hatte. Das erneute Gesuch um Haftunterbruch ist indes von Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten abgelehnt worden. Sie besuchte den Gefangenen letzte Woche im Genfer Gefängnisspital und versuchte ihn - ohne Erfolg - zur Nahrungsaufnahme zu bewegen. Kritik an der Haltung der Regierung äussert die SP Oberwallis, der Waeber-Kalbermatten angehört. Die Partei spricht sich für die Gewährung eines zweiten Hafturlaubs aus. Der Staat müsse dafür sorgen, dass ein Gefangener keinen Schaden an Leib und Leben nehme, zumal er wiederholt seinen Lebenswillen bekundet habe. Es biete sich als Ausweg einzig der Haftunterbruch an, da eine Zwangsernährung nicht in Frage komme. Die bürgerlichen Parteien stellen sich auf den Standpunkt, dass es keinen objektiven Grund für eine Sonderbehandlung von Rappaz gebe. Bereits der erste Haftunterbruch sei ein Fehler gewesen; der Staat dürfe sich nicht in einem Katz-und-Maus-Spiel unter Druck setzen lassen.

 Gegen die Verweigerung eines zweiten Haftunterbruchs durch das kantonale Justizdepartement hat der Anwalt von Rappaz einen Rekurs beim Walliser Kantonsgericht hinterlegt. Im Umfeld von Bernard Rappaz deutet man an, dass der Entscheid angesichts der Schwäche des Häftlings unter Umständen zu spät komme. Der Zustand von Rappaz wird nach rund 60 Tagen Hungerstreik als "besorgniserregend" bezeichnet. Am Mittwoch ist der Walliser Regierung eine Bittschrift überreicht worden, in der 900 Unterzeichner eine Verkürzung der Haft und die Freilassung von Bernard Rappaz verlangen.

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Tagesanzeiger 8.7.10

Der unpopuläre Rebell

 Der Hungerstreik des verurteilten Hanfbauern Bernard Rappaz lässt die meisten Walliser kalt. Ob der Staat den Häftling wirklich sterben lässt, ist indessen ungewiss.

 Von Richard Diethelm, Sitten

 Marie-Rose* wuchs unweit von Saxon auf, wo der Hanfbauer Bernard Rappaz seinen Hof hat. "Die Leute haben von dieser Geschichte die Nase voll. Rappaz soll seine Strafe wie jeder andere absitzen", sagt die Unterwalliserin, die heute in Monthey wohnt. Marie-Rose gibt eine verbreitete Stimmung unter den Landsleuten von Rappaz wieder, der sich in der Gefängnisabteilung des Genfer Universitätsspitals zu Tode hungern will.

 "Bei uns ist die Mehrheit der Leute mit Rappaz nicht einverstanden. Sie unterscheiden klar zwischen seinem Engagement für den Biolandbau und seinem illegalen Anbau von Hanf für die Haschproduktion", sagt der Gemeindepräsident von Saxon, Léo Farquet. Seit der 57-jährige Rappaz nach einem Haftunterbruch im Mai erneut in den Hungerstreik trat, wurde Farquet weder von Dorfbewohnern noch von Angehörigen des zu fast sechs Jahren Gefängnis Verurteilten (vgl. Kasten) um ein Zeichen der Solidarität ersucht.

 Petition mit 883 Unterschriften

 Stattdessen unterstützen Organisationen wie Supportrappaz.org und Cannabis sans Frontières den "politischen Gefangenen" Bernard Rappaz und rufen zu einem "solidarischen Fasten" auf. Die Cannabis-Freunde verfassten Standard-bittbriefe an Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf und die Walliser Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten. Im Bundeshaus ging letztmals im März eine Handvoll solcher Briefe ein. In Sitten erhielt Sicherheitsdirektorin Waeber bislang einige Dutzend solcher Briefe mit der Bitte, Rappaz wenigstens die Halbfreiheit zu gewähren, bis das Kantonsparlament im Herbst über sein Begnadigungsgesuch befindet.

 Ruth Zwahlen, die vor 15 Jahren in Mellingen AG ein Hanfmuseum gegründet hatte, überreichte gestern Staatsrätin Waeber eine Petition zugunsten des Walliser Hanfbauern. "In allen Kantonen - ausser dem Wallis - wäre Bernard Rappaz weniger schwer verurteilt worden", heisst es in der Petition, die 883 Besucherinnen und Besucher der internationalen Fachmesse für Hanf Cannatrade in Basel unterschrieben haben.

 Ältere vergleichende Studien zwischen Drogenurteilen von Westschweizer und Deutschschweizer Gerichten zeigen zwar, dass sich die restriktivere Haltung der Romands zu leichten Drogen oder zur Heroinabgabe in der Rechtsprechung widerspiegeln. Der Zürcher Strafrechtsprofessor Martin Killias warnt aber vor einem Fehlschluss im Fall Rappaz: "Die grosse Menge (der produzierten Drogen) und der hohe Gehalt des Wirkstoffes THC in den Hanfpflanzen waren einzigartig. Ich bin nicht sicher, ob Rappaz in der Deutschschweiz eine geringere Strafe erhalten hätte."

 Der aus dem Val d'Anniviers stammende Soziologe Bernard Crettaz erklärt die fehlende Sympathie im Wallis für den Hanfbauern mit der "negativen Haltung des Volkes zu leichten wie harten Drogen". Im Gegensatz zum legendären Falschmünzer Farinet sei der von der 68er-Generation geprägte Rappaz ein "Rebell der neuen Art, den die konservativen Walliser nicht mögen".

 Eine Rebellin der neuen Art ist die Regionalsekretärin des WWF im Unterwallis, Marie-Thérèse Sangra. Der Umweltaktivistin missfällt, dass Rappaz mit seinen wiederholten Hungerstreiks den Staat zu erpressen versucht. Aber sie kritisiert gleichzeitig die Gerichte im Kanton, die unkonventionelle Leute hart anfassten. "Die Walliser haben keine Sympathie für Leute, die aus der von ihnen definierten Norm fallen", sagt Sangra. Hätte Rappaz im Weinbau statt mit dem Hanfanbau etwas Illegales getan, wäre er milder bestraft worden.

 Toter Häftling - ein Trauma

 Trotz der geringen Sympathie für den Hanfbauern im Wallis ist laut dem Soziologen Crettaz eine Kernfrage in seinem Heimatkanton nicht ausgestanden: Darf der Staat einen Gefangenen im Hungerstreik wirklich sterben lassen? Der ehemalige Konservator des Genfer Volkskundemuseums beschäftigt sich seit langem intensiv mit dem Tod. In einer Feldstudie im Genfer Untersuchungsgefängnis stellte Crettaz fest, dass Strafverfolgungsbehörden vom Gedanken besessen sind, was sie tun müssen, falls ein Häftling Selbstmordabsichten hegt oder in den Hungerstreik tritt.

 "Keine Behörde darf sich erlauben, jemanden bewusst im Gefängnis sterben zu lassen", sagt der Soziologe. Er erinnert an den politischen Aufruhr, den der Tod eines Häftlings in der Waadtländer Strafanstalt Bochuz im Frühjahr ausgelöst hat. Der Mann hatte nachts in seiner Zelle im Hochsicherheitstrakt Feuer gelegt und erstickte im Rauch, weil es 90 Minuten dauerte, bis die unschlüssigen Aufseher das Zellengitter öffneten. "Wenn die Staatsmacht einen solchen Tod zulässt, verstösst sie gegen die eigene Ideologie des Strafvollzugs, wonach man jemanden einsperrt und ihn in dieser Zeit zu einem besseren Menschen machen will", sagt Crettaz.

 Das Dilemma der SP-Staatsrätin

 Er hält den Hungerstreik für das "extremste Druckmittel" eines Häftlings. Dennoch glaubt er, Staatsrätin Waeber müsse um ihre Wiederwahl fürchten, "wenn sie einen Toten auf dem Gewissen hat". Gemäss ihrer eigenen Partei, der SP Oberwallis, "darf grundsätzlich niemand in unserem Rechtsstaat in einem Gefängnis verhungern". Die Staatsrätin selbst fühlt sich aus der Bevölkerung in ihrer Haltung gestützt, Rappaz keinen weiteren Haftunterbruch zu gewähren. "Die Justiz darf nicht erpressbar weden", sagt Waeber. Im Mai gewährte sie Rappaz einen Haftunterbruch wegen des Hungerstreiks. Der Hanfbauer erholte sich im Nu und hielt die Regierung zum Narren. Waeber steckte ihn am 21. Mai wieder ins Gefängnis und sagte damals: "Wenn er unbedingt durch den Hungerstreik sterben will, werde ich seinen Willen respektieren." Letzte Woche besuchte sie Rappaz im Spitalgefängnis. Sie forderte ihn erneut auf, den Hungerstreik abzubrechen.

 Die Mediziner und der Jurist des Genfer Universitätsspitals sagten der Staatsrätin, sie würden Rappaz auf keinen Fall gegen seinen erklärten Willen zwangsernähren. Die ehemalige Apothekerin Waeber-Kalbermatten sucht unterdessen einen Ausweg aus ihrem eingestandenen Dilemma. "Ich bin für lebenserhaltende Sofortmassnahmen, falls Rappaz den Hungerstreik fortsetzt und ins Delirium fällt. Aber ich muss erst jemanden finden, der bereit ist, diese Massnahmen einzuleiten."

 * Name der Redaktion bekannt

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 Justiz befasst sich seit 1997 mit Rappaz

 Auf 30 Hektaren Hanf angebaut

 Bernard Rappaz eckte im konservativen Wallis früh mit seinem Einsatz für Dienstverweigerer und seinen Aktionen als Bauerngewerkschafter an. Die Walliser Justiz beschäftigt sich mit Rappaz seit 1997, als er in grossem Stil Hanf anzubauen begann. 2001 führten über 100 Polizisten auf seinem Hof Oasis in Saxon eine Razzia durch und stellten 50 Tonnen Hanf sicher. Der Hanfbauer wurde zu 16 Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt. 2002 erzwang er nach 72 Tagen im Hungerstreik einen Haftunterbruch, sass den Rest der Strafe aber später ab.

 Im August 2008 sprach das Walliser Kantonsgericht Rappaz in einem neuen Verfahren wegen schwerer Verstösse gegen das Betäubungsmittelgesetz, ungetreuer Geschäftsführung und anderer Vergehen für schuldig. Gemäss Gericht hatte Rappaz auf 30 Hektaren Hanf angebaut und 1,7 Tonnen Hanfharz sowie 65 Kilo Haschisch produziert. Er habe etwa 4,2 Millionen Franken umgesetzt und dabei 2 Millionen verdient. Das Bundesgericht bestätigte die Haftstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten, strich aber eine vom Staat Wallis geforderte Ersatzabgabe von 220 000 Franken.

 In einer Bittschrift an die Vereinigte Bundesversammlung bezeichnet sich Rappaz als Opfer eines "Dämonisierungsprozesses" der Walliser Justiz. Er streicht die Vorteile der "weichen Droge" Hanf hervor und bestreitet den vom Gericht genannten Marktwert des konfiszierten Hanflagers. (di)

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BIG BROTHER
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Bund 8.7.10

Der Geheimdienst kündigt baldige Reformen an

 Verteidigungsminister Ueli Maurer und Geheimdienstchef Markus Seiler haben sich gestern erstmals zur neuen Fichenaffäre geäussert. Beide räumten ein, dass Fehler gemacht worden sind. "Korrekturen sind nötig. Der Nachrichtendienst muss weniger Daten, dafür bessere sammeln", sagte Maurer. Er versicherte, die Probleme rasch zu beheben. Den Mitarbeitern des Nachrichtendienstes machte er keine Vorwürfe. Er sieht das Problem in den unklaren Vorgaben.

 Seiler erklärte, er habe seine Mitarbeiter angewiesen, Personendaten im Zweifelsfall nicht mehr zu registrieren. Er erklärte zudem, dass man Pendenzen abbaue und die vorhandenen Daten überprüfe. Nicht staatsschutzrelevante Daten würden gelöscht. "Wir sind andauernd am Löschen", sagte Seiler. Gleichzeitig deutete er aber an, dass gelöschte Daten nicht einfach verschwinden - sondern ins Bundesarchiv wandern. (daf/bin) - Seite 2

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"Im Zweifel werden Daten nicht mehr registriert"

 Geheimdienstchef Markus Seiler nennt den Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation einen "heilsamen Schock". Und erklärt, was künftig besser werden soll.

 Interview: Daniel Foppa

 Herr Seiler, Sie sind seit Anfang Jahr im Amt. Vor Amtsantritt sagten Sie, man habe Ihnen "ausdrücklich versichert, dass in den Diensten keine heiklen Dossiers schlummern". Hat man Sie hinters Licht geführt?

 Ich bin der Überzeugung, dass der frühere Inlandgeheimdienst-Chef Urs von Daeniken tatsächlich der Auffassung war, dass keine heiklen Dossiers vorhanden sind. Er ist davon ausgegangen, dass seine Handlungen der Sicherheit des Landes dienten.

 Und hat dabei das Gesetz gebrochen, indem er nicht staatsschutzrelevante Personen fichieren liess.

 Ob das Gesetz wirklich gebrochen wurde, wie der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation sagt, muss der Bundesrat beurteilen. Ich begrüsse diesen Bericht aber: Ein solcher Schock, wie es der Bericht für den Nachrichtendienst darstellt, kann heilsam sein. Das im Bericht geschilderte Problem ist uns zudem schon länger bekannt: Man hat zu viele Daten gesammelt und zu wenig Gewicht auf deren Auswertung gelegt.

 Weshalb sagten Sie im Herbst 2009 vor den Medien, beim Staatsschutz sei alles in Ordnung, wenn das Problem schon länger bekannt war?

 Damals war das ganze Ausmass noch nicht bekannt. Anfang 2010 kam dann eine interne Untersuchung des Verteidigungsdepartements zum Schluss, dass beim Nachrichtendienst zum Teil in einer Art und Weise gearbeitet wurde, wie man es nicht tun sollte.

 Am selben Anlass betonte der Chef der Fichen-Datenbank Isis, diese sei "keine Verdächtigendatenbank". Gestern sagte Bundesrat Ueli Maurer, Isis sei sehr wohl eine Verdächtigendatenbank. Was gilt nun?

 Es gilt das, was der Bundesrat sagt.

 Dann haben Sie falsch informiert.

 Es war keine Falschaussage. Aber möglicherweise eine Fehleinschätzung.

 Welche Massnahmen haben Sie aufgrund des GPDel-Berichts erlassen?

 Ich habe angeordnet, dass nur noch staatsschutzrelevante Personendaten registriert werden dürfen. Unsere Mitarbeiter müssen bei der Datenerfassung genauer überprüfen, ob diese ins Isis-System eingetragen werden. Im Zweifelsfall werden Daten künftig nicht mehr registriert, sondern gelöscht.

 Was heisst staatschutzrelevant?

 Das sind Daten von Personen oder Organisationen, die eine Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes sein könnten. Es ist an der Politik, zu definieren, welchen Staatsschutz sie will und damit auch, was als staatsschutzrelevant gilt.

 Wer also ein Gesuch für eine Demo einreicht, die friedlich verläuft, wird nicht mehr registriert?

 Davon gehe ich aus.

 Weshalb brauchte es den GPDel-Bericht, bis Sie tätig wurden?

 Der Bericht hat bei unseren Mitarbeitern grosse Unsicherheit ausgelöst. Sie haben gespürt: Etwas stimmt nicht mehr. Gleichzeitig waren sie an routinierte Abläufe gewöhnt. Mit meiner internen Weisung wollte ich Sicherheit schaffen, damit die Mitarbeiter wieder wissen, wie sie vorgehen müssen.

 Es bleibt der Eindruck, dass Sie erst auf äusseren Druck reagiert haben.

 Wie gesagt, kamen bereits interne Untersuchungen zum Schluss, dass etwas getan werden muss. Zudem erwarten wir eine neue Verordnung des Bundesrats. Diese wird präzisieren, was genau der Staatsschutz tun und lassen soll.

 Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Weisung eingehalten wird?

 Die Zweifelsfälle werden gesammelt. Wöchentlich sitzen dann die zuständigen Mitarbeiter zusammen und entscheiden, was registriert wird und was gelöscht wird. So werden die Fähigkeiten zur Unterscheidung geschult.

 Wie viel wurde bereits gelöscht?

 Wir sind andauernd am Löschen. Genaue Auskunft kann ich nicht geben.

 Wenn Personendaten gelöscht sind, sind sie dann tatsächlich weg?

 Alles, was der Nachrichtendienst macht, muss nachvollziehbar sein. Auch der Nachrichtendienst untersteht zum grossen Teil dem Archivierungsgesetz.

 Also: einmal fichiert, immer fichiert.

 Für uns sind die Daten nicht mehr greifbar. Und für die Archivierung von Daten ist nicht der Nachrichtendienst, sondern das Bundesarchiv zuständig.

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Maurer will den Datenhunger der Staatsschützer bändigen

 Bundesrat Maurer findet, der Nachrichtendienst solle "weniger machen". Welche Daten künftig im Computer des Staatsschutzes landen, bleibt aber unklar.

 Patrick Feuz

 Der parlamentarische Bericht zum Datenhunger des Staatsschutzes löste letzte Woche Aufregung aus. Es roch nach Enthüllung. Von den politisch Verantwortlichen wurde subito Remedur verlangt. Gestern nun bemühte sich der für den Nachrichtendienst zuständige Verteidigungsminister Ueli Maurer zu demonstrieren, dass er Herr der Lage sei. Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments stützte sich im Wesentlichen auf zwei Berichte der VBS-internen Aufsicht, sagte er an einer Medienkonferenz.

 Schon Ende Januar 2009 habe man erkannt, dass die grosse Datenmenge im Staatsschutz-Computer Isis ein Problem sein könnte, und deshalb eine Inspektion ausgelöst. Im letzten März seien zwei Millionen Franken für zusätzliches Personal bereitgestellt worden, um 2010 und 2011 die gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung der Daten abschliessen zu können. "Wir haben also reagiert."

 "Ich teile die Kritik"

 Maurer redet die Befunde der Geschäftsprüfungsdelegation nicht klein. "Ich teile die Kritik durchaus." Als er sich von einem Mitarbeiter des Nachrichtendienstes im Computer Einträge zeigen liess, war auch Maurer "etwas überrascht von der Gründlichkeit". Bei der Bewirtschaftung der Daten bestehe ein "grosses Verbesserungspotenzial". Und was das künftige Sammeln von Daten betrifft, steht für den Verteidigungsminister fest: "Wir müssen weniger machen. Eine so grosse Datenmenge wie heute ist schon aus technischen Gründen nicht zu meistern."

 Den Mitarbeitern des Nachrichtendienstes macht Maurer keine Vorwürfe. Er sieht das Problem in den unklaren Vorgaben. Deshalb will er jetzt rasch "präzisere" Gesetzesgrundlagen für den Staatsschutz. In den heutigen Bestimmungen sieht er Widersprüche: Einerseits sei Isis eine "Verdächtigen-Datenbank" - so zumindest sehe es die Geschäftsprüfungsdelegation, und deshalb dürften keine unverdächtigen Personen registriert sein. Anderseits sei der Staatsschutz verpflichtet, alle Handlungen aufzuzeichnen, was auch zu nicht staatsschutzrelevanten Einträgen führe.

 Grundsatzdiskussion gefordert

 Noch dieses Jahr will Maurer mit einer Revision des Gesetzes zur inneren Sicherheit Klarheit schaffen. Das ist offensichtlich dringend nötig. Denn während der VBS-Chef von einer "Verdächtigen-Datenbank" spricht, sagte Philipp Kronig - er ist beim Nachrichtendienst für das Informationsmanagement zuständig - noch vor kurzem das Gegenteil.

 Weiter fordert Maurer eine Grundsatzdiskussion darüber, was der Staatsschutz künftig überhaupt noch leisten soll. Der Nachrichtendienst müsse präventiv ermitteln, das gehöre zu seinem Wesen. "Doch welche Daten soll er sammeln? In welchem Umfang? Mit welchen Mitteln?" Solange dies nicht geklärt sei, bleibe die Arbeit des Nachrichtendienstes schwierig und gleichsam abhängig von "Konjunkturen".

 Telefone abhören?

 Werde beispielsweise bekannt, dass irgendwo ein Gemeinderatskandidat Mitglied der rechtsextremen Pnos sei, werfe man dem Staatsschutz vor, dass er dies nicht gewusst habe. Komme es an einer Demonstration zu gewalttätigen Ausschreitungen, klagten einzelne Kantone, dass ihnen die Teilnehmer früherer Gewaltanlässe nicht gemeldet worden seien. Gleichzeitig sei aber die Auffassung verbreitet, der Staatsschutz solle nicht zu viele Daten sammeln.

 Klarheit schaffen will Maurer in den nächsten Wochen mit einer Aussprache im Bundesrat und später durch den Beizug externer Fachleute - vor allem mit Blick auf einen allfälligen Ausbau der Staatsschutz-Instrumente. Denn seit Jahren schon diskutiert die Politik, ob es den Staatsschützern künftig erlaubt sein soll, ohne konkreten Tatverdacht Telefone abzuhören, E-Mails zu lesen oder Privaträume zu verwanzen.

 Bedenken wegen ungenügender Kontrolle und Angst vor Schaden für die Privatsphäre verzögerten die Vorlage immer wieder. Auch Maurer ist nicht Feuer und Flamme - kurz nach seinem Amtsantritt nahm er Tempo weg. Inzwischen kündigt er an, dem Parlament "2012 oder 2013" eine entsprechende Revision des Gesetzes zur inneren Sicherheit zu unterbreiten. Doch gleichzeitig sagt er bereits: "Es wird schwierig."

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BZ 8.7.10

Staatsschutz

 Ueli Maurer akzeptiert die Kritik

 Bundesrat Ueli Maurer verspricht Korrekturen, verteidigt aber die Arbeit des Staatsschutzes. Das Gesetz sei widersprüchlich.

 Dass er die Probleme beim Nachrichtendienst möglichst rasch beheben will, hat Bundesrat Ueli Maurer angekündigt. Um den immensen Pendenzenberg bei der Staatsschutzdatenbank abzuarbeiten, will er in den nächsten zwei Jahren zwei Millionen Franken einsetzen. Er teile die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), wonach der Nachrichtendienst die Daten von Zehntausenden Personen gespeichert habe, ohne zu prüfen, ob diese tatsächlich eine Gefahr für die Sicherheit der Schweiz darstellen.

 Zudem kündigte Maurer noch für das laufende Jahr eine grundsätzliche Aussprache um den Nachrichtendienst im Bundesrat an. Es müsse geklärt werden, was der Nachrichtendienst können muss. Der Verteidigungsminister spielte den Ball aber auch an die Politik zurück. Diese hätte früher reagieren müssen: "Der Nachrichtendienst hat jahrelang so gearbeitet, ohne dass die Politik intervenierte. Unsere Mitarbeiter konnten davon ausgehen, dass sie den Job richtig machen."

 Im Kanton Bern sind beim Staatsschutz 12 Kantonspolizisten im Auftrag des Bundes und gestützt auf das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) tätig. Wie viele Personen im Kanton Bern seit dem Fichenskandal fichiert worden sind, weiss man bei der Kantonspolizei aber nicht. In der heute bestehenden Datensammlung sind 1800 Personen registriert. Übrigens: Im Kanton Bern ist der Staatsschutz auch für den Hooliganismus-Bereich zuständig.
 sda/ue

 Seite 3

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Nachrichtendienst

 Ueli Maurer lässt ausmisten

 Bundesrat Maurer hat Stellung genommen zur Kritik am Nachrichtendienst. Er versprach Korrekturen, verteidigte aber gleichzeitig die Arbeit des Staatsschutzes und bezeichnete die gesetzlichen Grundlagen als widersprüchlich.

 Die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht wiegen schwer: Der Nachrichtendienst habe in den vergangenen Jahren im Umgang mit Daten die Gesetze nicht eingehalten, steht im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), der letzte Woche veröffentlicht wurde. Er habe auf Vorrat Daten gesammelt, ohne diese auf ihre Relevanz zu prüfen. Bundesrat Ueli Maurer wies die Vorwürfe gestern nicht zurück: "Ich bin auch etwas erschrocken, mit welcher Gründlichkeit da Dinge festgehalten werden", gestand der Verteidigungsminister. Das Verbesserungspotenzial sei gross.

 Zwei Millionen Franken

 Maurer versicherte denn auch, die Probleme rasch zu beheben. Um den immensen Pendenzenberg bei der Staatsschutzdatenbank abzuarbeiten, will er im laufenden und im nächsten Jahr je eine Million Franken einsetzen. Dass es Probleme gebe, habe sein Departement schon vor mehr als einem Jahr festgestellt, als der ehemalige Inlandnachrichtendienst ins VBS übersiedelt wurde. Schon damals habe er den Auftrag für eine Inspektion gegeben und erste Massnahmen eingeleitet, sagte Maurer.

 Die Ergebnisse der Untersuchung hätten im Februar 2010 vorgelegen und in den GPDel-Bericht eingeflossen. "Wir sind an der Umsetzung", sagte Maurer mit Verweis auf neue Richtlinien und stärkere Kontrollen. Garantien wollte Maurer aber nicht abgeben.

 Der Verteidigungsminister spielte den Ball aber auch an die Politik zurück. Diese hätte früher reagieren müssen. "Der Nachrichtendienst hat jahrelang so gearbeitet, ohne dass die Politik intervenierte", sagte Maurer. Weiter bezeichnete Maurer die gesetzlichen Grundlagen als widersprüchlich. So schreibe das Gesetz vor, zur Beobachtung "alles" zu sammeln. Gleichzeitig solle nur Staatsschutzrelevantes eingetragen werden. Maurer kündigte noch für das laufende Jahr eine Aussprache dazu im Bundesrat an. Der Entwurf für ein neues Gesetz soll in zwei bis drei Jahren vorliegen. Im Zentrum der Gesetzesrevision steht dabei die Frage, ob der Nachrichtendienst mehr Spielraum für präventive Überwachung erhält.

 Wie der gestern vorgestellte Bericht des Nachrichtendienstes NDB zeigt, gerieten die Schweizer Banken ins Visier ausländischer Nachrichtendienste. Nach wie vor wird der Terrorismus als "eine der aktuellsten Bedrohungen" eingestuft.
 sda/gr

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 So fichiert die Berner Kantonspolizei

 Zwölf Berner Kantonspolizisten sind im Auftrag des Bundes für Staatsschutz und Fichierung im Kanton Bern verantwortlich.

 Die latente Angst, von dubiosen Gestalten beschattet zu werden, die im Auftrag des Bundes Fichen erstellen, ist gemäss Markus Gisin, Chef Spezialfahndung 4 (inklusive Staatsschutz) der Kantonspolizei Bern, unbegründet: "Im Fachbereich Staatsschutz sind zwölf erfahrene Kantonspolizisten im Auftrag des Bundes und gestützt auf das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) tätig. Nebst dieser Tätigkeit ist der Staatsschutz bei der Kantonspolizei Bern auch für den Hooliganismusbereich zuständig." Diese Stellen würden mehrheitlich vom Bund finanziert. Ab 1. September wird der Fachbereich Staatsschutz durch zwei Polizisten ergänzt, welche hauptsächlich den Hooliganismusbereich verstärken werden.

 Wer wird registriert?

 Zum Vorwurf des Basler Ständerats und Präsidenten der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes, Claude Janiak, wonach viele kantonale Staatsschutzorgane über zusätzliche eigene Datensammlungen verfügten, kann Gisin sich nicht äussern. Auf die Frage, ob die Berner Staatsschützer andere Daten erheben als die Staatsschützer des Bundes, erklärt Gisin: "Im Rahmen des Staatsschutzes werden alle Daten gestützt auf das BWIS im Auftrag des Bundes erhoben." Dabei sei klar geregelt, welche Daten die Staatsschützer erheben müssten. Die BWIS-Tätigkeitsfelder sind Terrorismus, verbotener Nachrichtendienst, gewalttätiger Extremismus, rechtswidriger Handel mit Waffen, radioaktiven Materialien und sensibler Technologie. Personen werden stets in Verbindung mit einem Ereignis registriert. Etwa dann, wenn sie an einem extremistischen Treffen teilnehmen.

 Wie viele Personen im Kanton Bern seit dem Fichenskandal vor zwanzig Jahren fichiert worden sind, kann Gisin nicht sagen. Es sei nur eine Auskunft über die bestehende Datensammlung möglich. Die Mehrheit der 1800 Personendaten stamme jedoch aus der Zeit der Berner Stadtpolizei. "Diese Zahlen wurden unsererseits proaktiv gegenüber dem Datenschutzbeauftragten offengelegt", ergänzt Gisin. Diese Aussage erstaunt. Der Berner Datenschützer Markus Siegenthaler hatte in der "SonntagsZeitung" nämlich gesagt, er gehe davon aus, dass deutlich mehr Personen erfasst worden seien als die offiziell deklarierten 1800.

 Konsequenzen für Fichierte

 Welche Auswirkungen haben die vom Staatsschutz erhobenen Daten für die Fichierten? Müssen sie private oder berufliche Konsequenzen befürchten? Dies sei fallabhängig, erklärt Gisin. Ein Beispiel aber: Beantragt eine zur Gewalttätigkeit neigende Person aus extremistischen Kreisen einen Waffenerwerbsschein, könnte der Staatsschutzes die Empfehlung abgeben, den Erwerbsschein nicht zu erteilen.

 Übrigens: Die administrative Aufsicht über den Staatsschutz obliegt der kantonalen Polizeidirektion, die materielle Aufsicht ist Bundessache. Jeder Person steht ein - allerdings stark eingeschränktes - Auskunftsrecht zu.
 Urs Egli

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Kommentar

 Schnüffler kontrollieren

 Gregor Poletti

 Bundesrat Ueli Maurer ist zugutezuhalten, dass er die Brisanz der Fichierungen verdächtiger Personen früh erkannte. Als der Inlandnachrichtendienst mit dem Auslandnachrichtendienst in seinem Departement zusammengeführt wurde, liess er ersteren sofort durchleuchten. Dabei kam ans Tageslicht, dass die Staatsschützer erneut überbordet hatten. Tatsächlich ist es peinlich, dass Daten von Toten jahrelang noch liegen bleiben und Leute fichiert wurden, nur weil sie sich in Ausländerfragen engagierten.

 Im Gegensatz zu den zuvor verantwortlichen Eveline Widmer-Schlumpf oder Christoph Blocher liess er die Zügel nicht schleifen, sondern hat untersucht und, noch bevor die Geschäftsprüfungsdelegation ihren Bericht vorgelegt hat, reagiert.

 Doch auch mit der angekündigten strikteren Linie bei der Erfassung verdächtiger Personen und dem rigorosen Ausmisten der Datenbank darf man sich einer Illusion nicht hingeben: dass künftig nur noch die potenziell ganz gefährlichen Zeitgenossen erfasst werden. Denn es ist ureigenste Aufgabe des Staatsschutzes, die Fühler in einer gewissen Breite auszustrecken. Nur so ist es möglich, präventiv Terroristen oder Wirtschaftsspione auszumachen.

 Um künftig erneute Auswüchse zu verhindern, bedarf es einer institutionalisierten, regelmässigen Überprüfung des Nachrichtendienstes. Nicht nur um den Übereifer im Zaum zu halten. Sondern vielleicht noch wichtiger: um mit einem Monitoring zu dokumentieren, ob es den Staatsschützern auch wirklich gelingt, gefährliche Tendenzen zu erfassen und adäquat zu reagieren.

 gregor.poletti@bernerzeitung.ch

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Woz 8.7.10

Fichenskandal 2.0 - Schon wieder hat eine Qualitätskontrolle versagt. Die neue Staatsschutzaffäre zeigt beispielhaft: Es ändert sich nichts, wenn nur die Aufsicht verbessert wird.

Irrer Erfassungseifer

Von Kaspar Surber (Text) und Luca Schenardi (Illustration)

Müsste man für ein Land einen Staatsschutz erfinden, man könnte den Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) nicht übertreffen. Beschrieben wird nämlich ein Staatsschutz, der sich selbst erfindet: der Dienst für Analyse und Prävention DAP mit seinem Chefschnauz Urs von Daeniken und seiner Datenbank ISIS-NT. Bei der Einführung im Jahr 2005 wurden darin 76 000 Personen gespeichert. 2010 sind es bereits 200 000 Personen, die die Schweiz gefährden (mit angeblich gewalttätigem Extremismus, verbotenem Technologietransfer und so weiter).

Die Zahl der Daten ist zum einen gestiegen, weil sie nach den mechanischen Kriterien eines 556 Seiten starken Handbuchs eingegeben werden: Drittperso nen beispielsweise rücken bei mehr als zwei Meldungen automatisch in den inneren Kreis der staatsgefährdenden Objekte vor. Die Zahl ist zum andern nicht gesunken, weil bis 2008 auf die vorgeschriebenen Überprüfungen verzichtet wurde: Unter Christoph Blocher als Justizminister wurde das Personal, das für die Qualitätssicherung zuständig gewesen wäre, ebenfalls für die Datenerfassung eingespannt. In einer bewussten Irreführung wurde später bei allen Einträgen eine Überprüfung am 31. Dezember 2004 vermerkt.

"Sobald wir mehr Leute haben, wird auch mehr produziert", sagt ein DAP-Mitarbeiter im GPDel-Bericht. Die StaatsschützerInnen sehen in der Datenbank kein Verdachtsregister. Ihr Zweck sei es vielmehr, "einen Nachweis für die Staatsschutztätigkeit zu liefern". Es wird also nicht überwacht, weil es einen Staatsschutz gibt. Es wird überwacht, damit es ihn gibt. Er ist der Grund und er schafft den Verdacht.

Unheimliche Kontinuität

In der Zentrale in Bern beschäftigt der Staatsschutz insgesamt 120 Mitarbeiter Innen, weiter verfügt er über kantonale Ableger mit 84 Vollzeitstellen. Im Bericht dokumentiert sind Basel, Bern und Genf, jeden zweiten Tag trifft in diesen Städten von der Zentrale eine Anfrage zur Überprüfung ein. Bern und Genf unterhalten zusätzlich eigene Datenbanken.

Der unglaublichste Fall, auf den die GPDel bei ihrer Untersuchung stiess, ist jener der Basler Flüchtlingshelferin Anni Lanz. Sie wird mehrmals an den DAP gemeldet - unter anderem mit persönlichen Mutmassungen, wonach sie eine lockere Ehe führe. Lanz, Ehrendoktorin an der Uni Basel, wird als "gewalt­orientierte Aktivistin" einer "Kategorie B" zugeordnet. Damit erhält sie auto matisch den Zusatzeintrag "Verdacht Schwarzer Block".

Und es gibt eine unheimliche Kontinuität in der Beobachtungsweise des Staatsschutzes: Sie ist als genuin fremdenfeindlich zu bezeichnen. Schon in den papierenen Fichen waren zu mehr als zwei Drittel AusländerInnen erfasst. In der heutigen Datenbank sind es fünfundneunzig Prozent. Die Kontinuität lässt sich am Beispiel der fotografischen Erfassung von Reisepässen an der Grenze zeigen: Diese wurde 1968 bei der Befragung von Ostreisenden zur Spionageabwehr begründet. Heute wird das Fotopassprogramm für eine vom Bundesrat definierte Auswahl "bestimmter Staaten" fortgesetzt.

"Es kann mit guten Gründen davon ausgegangen werden, dass ein Vielfaches der Fälle, die untersucht wurden, noch aus ISIS gelöscht werden müssen, da ihre Informationen gar nie ausreichend relevant waren oder zu lange gespeichert", schreibt die GPDel. Kurz: Der Grossteil der erfassten Daten ist irrelevant. Die GPDel schildert einen vom irren Erfassungseifer getriebenen, in den Kantonen offenbar verdoppelten Staatsschutz, der sich nicht um die Qualität und die Kontrolle seiner Daten kümmert. Dabei war dies das grosse Versprechen eines "reformierten Staatsschutzes", als in den Jahren 1989/1990 der Fichenskandal bekannt wurde.

Leeres Versprechen

In einer Rede auf seinen Schriftstellerkollegen Václav Havel bezeichnete Friedrich Dürrenmatt im November 1990 die Schweiz als Gefängnis. Abgeschottet von der Welt, werde die Illusion der Freiheit aufrechterhalten, indem die Bewohner Wärter und Gefangene zugleich seien. In der Rede heisst es: "Weil auch die Wärter Gefangene sind, kann unter ihnen der Verdacht aufkommen, sie seien Gefangene und nicht Wärter oder gar frei, weshalb die Gefängnisverwaltung Akten von jedem anlegen liess, von dem sie vermutete, er fühle sich gefangen und nicht frei." (...) "Aber da das Aktengebirge so gewaltig ist, kam die Gefängnisverwaltung zum Entschluss, dass es sich selber angelegt hat. Wo alle verantwortlich sind, ist niemand verantwortlich. Die Furcht, im Gefängnis nicht sicher zu sein, hat das Aktengebirge hervorgebracht."

Die Geschichte wiederholt sich nie gleich, nur ähnlich. An die Stelle der militärischen Ordnung der Wärter und ihrer Bewachung, die 1989 zusammenbrach, ist heute eine andere getreten. Aber welche? Augenfällig in der im Übrigen ertragreichen Untersuchung der GPDel ist die Sehnsuchtsmetapher von der "besseren Kontrolle". Gravierend erscheint weniger, dass der Staatsschutz falsche Daten gesammelt hat. Sondern dass sie nicht nachträglich überprüft und gelöscht wurden. Dementsprechend zielen die Empfehlungen der parlamentarischen Oberaufsicht, die sich selbst an einer Stelle als "Kontrolle der Kontrolleure" bezeichnet, auf die Aufsicht: Allfällig betroffene Bürger Innen erhalten nicht etwa Einsicht in die Daten, stattdessen sollen alle Einträge, die vor fünf Jahren erstellt worden sind, gesperrt und von einem Datenschutzbeauftragten geprüft werden.

Die Regeln ändern

Es lassen sich durchaus Parallelen zwischen der Demokratiekrise durch den Staatsschutz zur Demokratiekrise wegen des Finanzplatzes ziehen: Auch dort hat mit der Finma eine Institution versagt, die die Aufsicht schon im Namen trägt. Auch dort drehen sich die Diskussionen nur um eine Verbesserung der Kontrolle, beispielsweise der Eigenmittel. Der systembedingte Eifer der Staatsschützer, die systembedingte Gier der Banker ...

Die Wiederholung des Fichenskandals ist Warnung genug. Nicht die Aufsicht, sondern die Regeln müssen geändert werden: Das heisst Einsicht für die Betroffenen und die Abschaffung des Staatsschutzes. Stattdessen strafrechtliche Verfahren, wenn tatsächlich ein begründeter Anfangsverdacht besteht.

An die Stelle der Ordnung der Wärter und ihrer gegenseitigen Bewachung ist eine der Kontrolleure und ihrer wechselseitigen Evaluation getreten. Der Veränderungswille beschränkt sich gegenwärtig auf die Verbesserung der Kontrolle.

Es ist wie bei der Fussball-WM: Dort wird auch zuerst über die Schiedsrichter diskutiert.

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Fichenskandal 2.0

 Die Folgen der Fichierung - Bekannt ist erst, wie der Staatsschutz Daten erfasst. Nicht aber, wie er sie ­beschafft und auswertet - und welche fatalen Auswirkungen das auf die Betroffenen hat, etwa bei Einbürgerungen.

 Der Kreislauf des Mülls

 Von Dinu Gautier

 Warnung: Dieser Artikel wurde von einem Autor verfasst, der laut Inlandgeheimdienst die innere Sicherheit der Schweiz bedrohen könnte (vgl. Text unten). Weiterlesen auf eigene Gefahr!

 Eine Informatikerweisheit besagt: Speist man in ein System Müll ein, dann kommt hinten auch wieder Müll raus. Der letzte Woche veröffentlichte Untersuchungsbericht erbringt den Nachweis, dass der Inlandgeheimdienst DAP wissentlich Unmengen Müll in seiner Fichierungsdatenbank abgelegt hat. Die Geschäftsprüfungsdelegation GPDel hat aber (noch) nicht untersucht, mit welchen Methoden die kantonalen StaatsschützerInnen den Müll erzeugen, das heisst, wie sie ihre Informatio nen vor Ort beschaffen, wie der Müll beschaffen ist und was geschieht, wenn sich StaatsschutzanalystInnen aus dem Müllhaufen bedienen.

 Der Bericht der GPDel zeichnet ein vernichtendes Bild des Inlandgeheimdienstes, wenn es um die Erfassung und die über Jahre nicht erfolgte Qualitätsüberprüfung von Daten in der Staatsschutzdatenbank ISIS geht. Gesetzliche Schranken haben den ehemaligen Inlandgeheimdienst DAP (heute ein Teil des neuen NDB, vgl. Kasten) nicht im Geringsten interessiert. Kontrollinstan zen wurden bewusst getäuscht; absurde technische Richtlinien führten zur automatisierten Fichierung von Abertausenden Personen und Organisationen, die bereits oberflächlich betrachtet nicht von staatsschützerischem Interesse sein können. Der Staatsschutz wird so zum Selbstzweck (vgl. Artikel Seite 1).

 Zu vielem fähig

 Operativ tätig sind vor allem StaatsschützerInnen aus den Kantonen. Sie beobachten Demonstrationen, versu chen InformantInnen zu rekrutieren, beschaffen sich "Szenekenntnis", schreiben Meldungen und Berichte, die einerseits in separaten kantonalen Datenbanken gespeichert werden, andererseits an den Inlandgeheimdienst in Bern geliefert werden. Pflegen diese AgentInnen in den Kantonen auch nur annähernd ein ähnliches Rechtsverständnis wie jenes der ChefInnen in der Zentrale, dann sind sie zu vielem fähig. Sie befinden sich in einer kontrollfreien Festung, in die kein Datenschützer eindringen darf und um die sich keine Aufsicht kümmern kann. Geht es nach dem Bundesamt für Justiz, so ist für die Aufsicht in den Kantonen nämlich ebenfalls die mit ihren Bundesaufgaben überlas tete GPDel zuständig.

 Jürg Bühler, der ehemalige stellvertretende DAP-Chef und heutige Vize direktor des NDB, sagte der GPDel, dass die Bearbeitung von nicht relevanten und falschen Daten noch keine "schwere Persönlichkeitsverletzung" darstelle, vor allem solange die Information intern sei und nicht gegen die Person verwendet werde. In dieser Logik gibt es für Staatsschützer auch bei der Beschaffung keinerlei Schranken mehr. Es ist, als ob man einem notorischen Spanner sagen würde, er dürfe das Geschehen in fremden Schlafzimmern filmen, sofern er die Videos dann nicht ins Internet stelle.

 Im Fall der Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz, der im GPDel- Bericht vertieft beschrieben wird, hat der kantonale Staatsschutz Basel-Stadt herausgefunden, dass sie "eine äusserst lockere Ehe führe". Hier fragt sich: Wie gelangen die kantonalen Agenten zu solchen Informationen? Befragen sie Nachbarn, Freundinnen? Gucken sie durchs Schlüsselloch? Hören sie Tele fonate ab?

 "Du willst doch keine Probleme …"

 Operative StaatsschützerInnen gibt es auch auf Bundesebene. Hinter vorgehaltener Hand sprechen ihre Kolleg Innen aus der Auslandsabteilung (früher SND) von deren haarsträubendem Dilettantismus. Das heisst aber nicht, dass sie für Betroffene nicht zur Bedrohung werden können: Die WOZ weiss, dass Schweizer StaatsschutzagentInnen nicht vor Drohungen zurückschrecken: "Du willst doch keine Probleme am Arbeitsplatz bekommen", "Dir ist doch dein Studium wichtig", "Entweder du arbeitest mit uns, oder wir bürgern dich nicht ein" und so weiter. Es gibt Fälle von jungen AusländerInnen, die seit Jahren nicht eingebürgert werden, weil sie sich weigern, zu Spitzeln zu werden.

 Die Informationen, die von der Beschaffung zum Inlandgeheimdienst wanderten und dort praktisch ungefiltert in der Datenbank ISIS landeten, bleiben nicht einfach dort liegen. Die Datenbank ist ein wichtiges Instrument für die sogenannte "eigentliche Staatsschutztätigkeit". Geheimdienstler Innen, die nichts mit der Beschaffung und der Fichierung zu tun haben, beziehen daraus Informationen für Analysen und Synthesen zu Ereignissen, Organisationen und Personen. Sie scheinen der Datenbank blind zu vertrauen: "Soweit der GPDel bekannt, scheint niemand die groben Fehlleistungen der Voranalyse (...) beanstandet zu haben." Unklar ist, in welchem System die Analyseberichte abgelegt werden. Im ISIS landen sie laut GPDel nicht.

 Über die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz wurde in den letzten Jahren zwar eine Fiche geführt, für nüchterne BetrachterInnen kann sie aber offensichtlich keine Gefahr für die innere Sicherheit darstellen. Deswegen (und weil sie ein Einsichtsgesuch gestellt hat) ist ihre Fiche inzwischen auch gelöscht worden. Was ist aber mit Personen, bei denen rein anhand der Fiche nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass sie ungefährlich sind? Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür im Jahr 2005 zur GPDel: "In der Regel ist es unmöglich, den Wahrheitsgehalt der Einträge ohne zusätzliche Angaben der gesuchstellenden Person zu kontrollieren. Diese können aber nicht zu den in ISIS gespeicherten Sachverhalten konsultiert werden."

 Die grosse Mehrheit der Stichproben, mit der sich die GPDel befasst hat, betreffen 450 Fichen, die der DAP selbst zwischen Oktober 2008 und Dezember 2009 gelöscht hat. In einer Mail von Jürg Bühler an eine Stelle im Justizdepartement hatte es zuvor geheissen: "Ich wäre froh, wenn wir der GPDel ein paar Resultate liefern könnten."

 Frösch: "Direkte Einsicht!"

 Mit anderen Worten: Jene Fichen, die der DAP behalten wollte, wurden (noch) nicht näher angeschaut. GPDel-Mitglied Therese Frösch sagt zur WOZ: "Das volle Ausmass des heutigen Fichen­skandals kann erst beurteilt werden, wenn aussenstehende Datenschützer sich der 200 000 Fichen annehmen und die Betroffenen direktes Einsichtsrecht erhalten."

 Sollte es ein Einheitsrecht geben, dann wird uns der Fichenskandal 2.0 noch lange beschäftigen. Wenn aber zur Beruhigung der Öffentlichkeit zahlreiche Fichen einfach gelöscht werden, werden Missstände bei Beschaffung und Analyse nie bekannt. Die Maschine Staatsschutz wird weiterlaufen: Müll beschaffen, Müll speichern, Müll analysieren, aufgrund der Müllanalyse die Beschaffung weiteren Mülls beantragen, Müll beschaffen …

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 Gewalt von der Härte einer Sahnetorte

 Im Sommer 2008 nutzte der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte erstmals eine Ausnahmeklausel des Bundesgesetzes über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit. Er erteilte einigen wenigen Personen Auskunft über den Inhalt ihrer Fichen. Unter ihnen war auch Dinu Gautier, seit Anfang 2008 Redaktor der WOZ. Die Auskunft enthielt nur die Überschriften der Einträge. Dennoch zeigt sie klar und deutlich: Die Staatsschutzdaten sind eine verfälschte Version der Wirklichkeit - verfälscht durch die Brille einer Behörde, die ohne die ständige Warnung vor Staatsfeinden nicht auskommt. Um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen, muss sie die lästigen Mücken des politischen und sozialen Protests zu einer wild gewordenen Elefantenhorde des "gewalttätigen Extremismus" aufblasen. Diese Daten rufen nach einer Gegendarstellung. Hier ist sie:

 ≥ 1. September 2003: Zwei Wochen vor dem WTO-Gipfel in Cancun "besetzt" ein gutes Dutzend Leute   - darunter Gautier - ein Büro des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Bern. Sie hängen ein Transparent "Fairtrade statt WTO" aus dem Fenster und verlangen eine Diskussion. Das Seco schreibt in seiner Medienmitteilung von einem "Besuch von Globalisierungskritikern", der zu einem "Dialog über Globalisierung und WTO" geführt habe. Anzeigen erstattet das Seco keine. Die draussen wartende Polizei nimmt jedoch die Personalien der BesucherInnen auf und reicht sie an den Staatsschutz weiter. Kein Schloss wurde aufgebrochen, kein Mobiliar beschädigt, niemand bedroht. "Gewalttätiger Linksextremismus"?

 ≥ 24. Januar 2004: Auf dem Bahnhof Landquart räumt die Polizei mit massiver Gewalt einen Zug. Tausend Leute, die von einer friedlichen Anti-Wef-Demo in Chur zurückkehren, werden zusammengetrieben und in einer stundenlangen Prozedur registriert. Die Bündner Kantonspolizei gibt die Daten an den Inlandsgeheimdienst. Gautiers Daten landen erneut im Staatsschutzcomputer und werden nicht wieder gelöscht, weil er dort bereits fichiert ist.

 ≥ 3. Mai 2004: Gewalt von der Härte einer Sahnetorte. Bundesrat Hans-Rudolf Merz wirbt in Gümligen für die steuerliche Entlastung von Unternehmen. Gautiers Tortenwurf verfehlt sein Ziel. Merz nimmts sportlich und erstattet keine Anzeige: "Ich bin halt noch fit und konnte mich ducken", erzählt er vier Jahre später, kurz vor seinem Kollaps, in einem Interview. Die Bundesanwaltschaft ermittelt wegen "Gewalt und Drohung gegen Beamte" gegen den damals 20-jährigen Gautier. 600 Franken Busse.

 ≥ 6. Oktober 2007: "Ausschreitungen in Bern anlässlich einer unbewilligten Gegenveranstaltung" heisst es in der Fiche. Gautier ist aber nicht an der Nydeggbrücke, wo der SVP-"Marsch auf Bern" blockiert wird, sondern bei der nicht bewilligten, aber tolerierten friedlichen Kundgebung auf dem Münsterplatz, wo er als Kontaktperson zur Polizei Ausschreitungen verhindert. Für diese Rolle wird er später mit 300 Franken gebüsst.

 ≥ 26. Oktober 2007: Zwei Dutzend Personen klettern über den Zaun der Residenz des schwedischen Botschafters in Bern, um im ausländerfreundlichsten Land Europas einen Asylantrag zu stellen - ein Protest gegen die rassistische Stimmung im schweizerischen Wahlkampf. Der Botschafter mag zwar kein Asyl gewähren, lädt die GesuchstellerInnen aber zu einem Gespräch in einen Tea-Room ein.

Heiner Busch

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 DAP, SND und NDB

 Dienst für Analyse und Prävention (DAP) hiess der Inlandgeheimdienst bis Ende letztes Jahr. Laut NZZ beschäftigte er zuletzt 120 Angestellte. Angesiedelt war der DAP im Justiz- und Polizeidepartement; bis zu seiner Abwahl im Dezember 2007 trug Bundesrat Christoph Blocher die Verantwortung, danach Bundesrätin­ Eveline Widmer-Schlumpf. Der DAP ging Anfang Jahr zusammen mit dem Auslandnachrichtendienst SND (Strategischer Nachrichtendienst) im neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) auf. Der NDB ist in Ueli Maurers Verteidigungs departement angesiedelt. Zusätzlich führen die Kantone Staatsschutzstellen, eigentliche Aussenposten des NDB. Im Jahr 2009 beschäftigten sie rund 130 Personen, die sich 84 Stellen teilten. Der Bund zahlte den Kantonen hierfür jährlich 8,4 Millionen Franken.

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Fichenskandal 2.0

 Datenschutz vs. Staatsschutz - Die Einsichtsgesuche für die ISIS-Datenbank landen auf seinem Schreibtisch. Wer ist Hanspeter Thür, der oberste Schweizer Datenschützer, wirklich - und was meint er zum neuen Fichenskandal?

 Mit angezogener Handbremse

 Von Jan Jirát

 "Der Beauftragte". Das ist nicht der Titel eines neuen Politthrillers, sondern die Bezeichnung von Hanspeter Thür, oberster Schweizer Datenschützer, auf der offiziellen Website des Bundes. Die politisch korrekte Bezeichnung lautet anders: Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter - kurz EDÖB. Doch "der Beauftragte" passt im Falle des Fichenskandals 2.0 und von Thürs Rolle darin eindeutig besser.

 Austritte und Eintritte

 Der 61-jährige Hanspeter Thür hat sich jahrzehntelang auf juristischem und politischem Parkett bewegt und dabei in seiner Karriere auch Brüche vollzogen. Er wuchs im St. Galler Rheintal auf. Später studierte er in Basel Rechtswissenschaften und trat der Poch (Progressive Organisationen der Schweiz) bei, was ihm prompt eine Fichierung durch den Staatsschutz eintrug. Anfang der achtziger Jahre war er dann massgebend am Aufbau der Grünen Partei im Kanton Aargau beteiligt. René Schuhmacher, Jurist und Heraus geber diverser Zeitschriften (unter anderem "K-Tipp"), der damals gemeinsam mit Thür eine Anwalts praxis in Zürich führte, erinnert sich: "Ich habe ihn als vielseitigen Juristen und äusserst engagierten Parteipolitiker kennen und schätzen gelernt. Er hat eine gewaltige Lebensarbeitszeit in den Aufbau der Grünen Partei gesteckt."

 Thürs Einsatz machte sich bald bezahlt: 1985 erfolgte seine Wahl in den Grossen Rat des Kantons Aargau, zwei Jahre später gehörte er dem Nationalrat an, und zu Beginn der neunziger Jahre war er Vorsitzender der Grünen Fraktion im Bundeshaus, von 1995 bis 1997 sogar Parteipräsident.

 Es gab in Bern aber auch persönliche politische Niederlagen: Thür verpasste die Wahl zum ersten grünen Nationalratspräsidenten, und seinen Ambitionen auf den Posten des nebenamtlichen Bundesrichters erteilte seine Partei wegen der Frauenquote eine Absage. Als Konsequenz trat er 1999 aus dem Nationalrat aus. Sein Abschied aus der Parteipolitik, der nicht ohne Misstöne blieb, ebnete ihm schliesslich den Weg zum obersten Datenschützer.

 Auf ausdrückliche Empfehlung des Bundesrates trat Thür im September 2001 die Nachfolge des vormaligen Oberwalliser CVP-Ständerats Odilo Guntern an, der das Amt seit der Einführung im Jahre 1993 bekleidet hatte. Thür bringe grosse Fähigkeiten im Verhandeln, Vermitteln und Kommunizieren mit, hiess es. Das Grollen aus dem bürgerlichen Lager blieb angesichts der Wahl des ehemaligen Poch-Mitglieds erstaunlich leise: Thür fiel im Bundeshaus eben "nicht als oppositioneller Polterer, sondern als integrativer Pragmatiker" auf, urteilte ein NZZ-Journalist damals.

 Seit neun Jahren ist Hanspeter Thür der Beauftragte, mit einem Pensum von sechzig Prozent. Sein wichtigster Auftrag lautet: "Aufsicht der Bundesorgane", wozu fundamental der Staatsschutz gehört.

 WOZ: Wieso sind das beunruhigende Ausmass der Personenregistrierung und die groben Mängel der Qualitätssicherung erst jetzt aufgeflogen? Beide Tendenzen waren seit Längerem bekannt, die WOZ hat im Rahmen der Verhaftung von Dinu Gautier (vgl. Artikel auf Seite 3) bereits vor zwei Jahren von einer "neuen Fichenaffäre" berichtet.

 Hanspeter Thür: Die WOZ konnte 2008 deshalb von einer neuen Fichenaffäre schreiben, weil die Information indirekt von uns stammte. Wir haben nämlich damals einzelne Gesuchsteller über Fichierungen informiert, die aus unserer Sicht nicht gesetzeskonform waren. Das haben wir der GPDel gemeldet. Diese Fälle waren mit ein Grund, weshalb die GPDel im gleichen Jahr entschied, eine umfassende Kontrolle an die Hand zu nehmen. Es zeigt, dass die Aufsicht grundsätzlich funktionierte.

 Sie sprechen das sogenannte indirekte Auskunftsrecht an. Im entsprechenden Gesetzesartikel steht, dass Sie die GesuchstellerInnen in Ausnahmefällen über Fichierungen informieren dürfen. Vor 2008 haben Sie diese Ausnahmeregelung nie angewandt. Ihnen ist deshalb mangelnde Initiative vorgeworfen worden.

 Ich habe stets betont, dass das indirekte Auskunftsrecht abgeschafft werden sollte. Leider hat der Gesetzgeber bis heute nicht reagiert. Er hat zudem selber eine sehr restriktive Anwendung dieser Ausnahmebestimmung verlangt. Als Aufsichtsbehörde müssen wir das akzeptieren. Seit 2008 haben wir aber mit Rückendeckung der Gerichte, die die Konformität des indirekten Auskunftsrechts mit der Europäischen Menschenrechtskonvention bezweifelten, in zahlreichen Fällen von der Ausnahmebestimmung Gebrauch gemacht.

 Weiter wird kritisiert, dass die generelle Kontrolle von ISIS, also unabhängig von den Auskunftsgesuchen, nicht konsequent genug stattgefunden habe.

 Mit unseren personellen Ressourcen - mir stehen 24,6 Stellen zur Verfügung - können wir nur stichprobenweise vorgehen und sind auf Zufallsfunde angewiesen. Meine Botschaft ist klar, die Aufsichtsorgane EDÖB und GPDel müssen diesbezüglich verstärkt werden, um eine ständige und umfassende Aufsicht zu garantieren. Da ist nun die Politik gefordert.

 Gesucht: ein Polterer

 Fakt ist: Der Beauftragte kann seinen Auftrag nur in einem gesetzlich stark eingeengten und personell unbefriedigenden Rahmen wahrnehmen. Thürs langjähriger Kollege Schuhmacher bringt es auf den Punkt: "Die Bundespolitik degradiert den obersten Datenschützer zu jemandem, der mit angezogener Handbremse arbeiten muss."

 Die Frage bleibt, ob für den Job des Beauftragten, der seinem Auftrag kaum nachkommen kann, ein "oppositioneller Polterer" nicht besser geeignet wäre als ein "integrativer Pragmatiker".

Vielleicht ist es Zeit für einen nächsten Bruch in Hanspeter Thürs Biografie.

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 Hanspeter Thür, oberster Datenschützer.

 Der Anfang des Skandals

 Der aktuelle Fichenskandal nahm seinen Anfang im Frühjahr 2008, als die Fichierung von Grossrät Innen aus dem Kanton Basel-Stadt bekannt wurde. Die Geschäftsprüfungsdelegation GPDel begann sich näher mit der Staatsschutzdatenbank zu beschäftigen, und der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte Hanspeter Thür machte zum ersten Mal Gebrauch von einer Ausnahmeklausel der sehr restriktiven Ficheneinsichtsbestimmungen. In einem halben Dutzend Fällen informierte er GesuchstellerInnen summarisch über den Inhalt ihrer Fichen. So erfuhr auch die WOZ, dass sie als "staatsschutzrelevantes Objekt" in der Datenbank ISIS geführt wird. Alle Berichte finden sich im Dossier auf: www.woz.ch/dossier

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NZZ 8.7.10

Bundesrat Maurer verlangt Korrekturen

Reaktion auf Fichenaffäre

 nn. ⋅ Verteidigungsminister Ueli Maurer hat am Mittwoch vor den Medien erstmals Stellung zur Kritik am Staatsschutz genommen. Er anerkannte die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht, wonach der Staatsschutz zu viele und irrelevante Daten angehäuft habe. Maurer, der erst seit kurzem für den neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) zuständig ist, präsentierte Sofortmassnahmen, die er aufgrund interner Inspektionen bereits im Frühling veranlasst hatte: So sprach er zusätzliche Ressourcen zur Kontrolle und Bereinigung der angehäuften Daten. Weiter zeigte er sich offen für die Empfehlungen der Aufsicht und befürwortete auch ein weiter gehendes Einsichtsrecht für vom Staatsschutz erfasste Personen.

 Schweiz, Seite 9

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Bundesrat Maurer gelobt rasche Besserung

 Der VBS-Chef und der Nachrichtendienst des Bundes teilen die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation an zu extensiver Datensammlung

 Bundesrat Maurer teilt die Kritik der GPDel an der Sammel-Praxis des Staatsschutzes. Erste Verbesserungen seien eingeleitet, weitere - wie ein offeneres Einsichtsrecht - könnten folgen.

 Niklaus Nuspliger, Bern

 Die Kritik der Geschäftsprüfungskommission (GPDel) des Parlaments war letzte Woche hart: Der frühere Inlandgeheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention) habe im Staatsschutz-Informations-System (ISIS) zu viele und irrelevante Daten angehäuft und deren gesetzlich vorgeschriebene Überprüfung oft nicht vorgenommen. Aufgrund von Informatikproblemen und schlechtem Ressourcen-Einsatz kam es zu einer Anhäufung von 200 000 Daten. Am Mittwoch nahm Verteidigungsminister Maurer, dem der Nachrichtendienst seit 2009 unterstellt ist, vor den Medien in Bern erstmals Stellung zur Kritik. Flankiert wurde er von Markus Seiler, dem Direktor des neuen Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), in dem der DAP Anfang 2010 aufgegangen war. Maurer wie Seiler teilten die Kritik der GPDel: "Es gibt Verbesserungspotenzial", sagte Maurer. Die Datenmenge sei zu reduzieren, schon nur wegen der technischen Handhabbarkeit.

 Sofortmassnahmen eingeleitet

 Der VBS-Chef gelobte rasche Besserung und gab sich als tatkräftiger Problemlöser: Er sei selber über die Sammel-Praxis "erschrocken" und habe Anfang 2009 eine interne Inspektion veranlasst. Die Resultate lagen im Februar 2010 vor und dienten der GPDel als Basis, was diese in ihrem Bericht mit grossem Lob quittierte (NZZ 1. 7. 10). Im März 2010 leitete Maurer Sofortmassnahmen ein: Er sprach je 1 Million Franken für 2010 und 2011, um die Pendenzen mit zusätzlichen Mitarbeitern zu bereinigen. Auch die Kontrolle habe er personell aufgestockt. Technisch seien aber die Abarbeitung und die Löschung der Daten komplex, weshalb dies Monate oder Jahre dauern könne. Auch das "ungeeignete" und "komplizierte" EDV-System lässt Maurer überprüfen. - Die 19 Empfehlungen der GPDel werde der Bundesrat im Herbst diskutieren, womöglich könnten sie in die fast spruchreife Minirevision des Bundesgesetzes über die Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) einfliessen. Zur geforderten Sperrung und externen Überprüfung der Daten will Maurer die technische Machbarkeit abklären. "Persönlich vorstellen" könne er sich auch ein offeneres Einsichtsrecht für im ISIS erfasste Personen. Und eine Verordnungsänderung für ein Einsichtsrecht der Kantone will Maurer dem Bundesrat gleich nach der Sommerpause vorlegen.

 Gesetzliche Widersprüche

 Politisch könnte der GPDel-Bericht dem jüngst glücklos agierenden Maurer willkommene Profilierungschancen eröffnen, zumal er für seine skizzierten Massnahmen mit Beifall und politischen Mehrheiten rechnen kann. Auch der neue NDB-Chef Seiler begrüsste den GPDel-Bericht als "Ohrfeige", die den von ihm angestrebten Kulturwandel beschleunigen könne. Maurer räumte aber ein, dass der Tatbeweis für einen echten Kulturwandel im Staatsschutz mit kontrollierbaren Fakten zu erbringen sei.

 Für personelle Konsequenzen sieht Maurer nach der Entmachtung des früheren DAP-Chefs Urs von Daeniken durch das Justizdepartement indes keinen Anlass: Die NDB-Mitarbeiter hätten jahrelang nach bestem Gewissen gearbeitet, ohne dass die politisch Verantwortlichen interveniert hätten. Dieser Vorwurf trifft auch alt Bundesrat Christoph Blocher, auch wenn Maurer "keine Schuldigen benennen" wollte.

 Weiter sprach er von gesetzlichen Widersprüchen: So sei der NDB verpflichtet, jeden Arbeitsschritt zu erfassen, ISIS sei aber nur als "Verdächtigen-Datenbank" zu betrachten, wie aus dem GPDel-Bericht klar hervorgehe. Diesen Widerspruch gelte es zu klären, zumal die Schweiz einen Nachrichtendienst brauche. Im Bundesrat will Maurer daher rasch eine grundsätzliche Aussprache über die Aufgaben des NDB führen - auch im Hinblick auf die Neuauflage der vom Parlament als "Lauschangriff" zurückgewiesenen BWIS-Revision, die per 2012 oder 2013 zu erwarten sei.

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 Terrorismus, Proliferation, Ausspionieren des Finanzplatzes

 met. ⋅ Vom "Bericht Innere Sicherheit der Schweiz" zum Dokument "Sicherheit Schweiz": Die Zusammenlegung des Inland- und des Auslandnachrichtendienstes auf Anfang des Jahres schlägt sich auch in der jährlichen Berichterstattung nieder. Thematisiert wird nicht mehr nur die Lage der inneren Sicherheit, sondern beschrieben werden auch Entwicklungen auf globaler Ebene, die zu Bedrohungen der Schweiz führen können. So lesen wir, die Entstehung neuer geoökonomischer und geopolitischer Schwergewichte in Asien (vor allem China) relativiere die traditionell starke Stellung der Schweiz als Wirtschafts- und Finanzstandort und schränke unsere politische Handlungsfreiheit vor allem in Bezug auf unser engeres Umfeld, die EU, ein. Langfristig könne das durchaus ein strategisches Schadenspotenzial in sich bergen.

 Als eine der aktuellsten Bedrohungen wird der Terrorismus beschrieben, auch wenn dieser derzeit nicht als staatsgefährdend eingestuft wird. Im Auge zu behalten gelte es die Problematik der Proliferation von Massenvernichtungswaffen und weitreichender Trägersysteme. Die Schweiz sei hier sowohl unter dem Sicherheitsaspekt als auch als Industriestandort und Forschungsplatz betroffen. Geschildert werden zwei Fälle mit Schweizer Bezug; die Destinationen für im Wesentlichen unterbundene Lieferungen sogenannter Dual-Use-Güter waren Syrien und Pakistan.

 Immer raffinierter wird das Instrumentarium für Cyber-Attacken. Die Autoren schreiben, Angriffe auf kritische Informationsinfrastrukturen könnten potenziell systemgefährdende Ausmasse annehmen. Im Kapitel über den verbotenen Nachrichtendienst wird deutlicher als im vergangenen Jahr auf das Ausspionieren von Banken hingewiesen. "Einzelne ausländische Staaten" hätten aktiv - unter Nutzung nachrichtendienstlicher Mittel - Informationen beschafft (Käufe von CD mit Bankkundendaten?), um nach möglicherweise unversteuertem Geld ihrer Bürger zu fahnden.

 Kriminalität und Gewalt, heisst es summarisch, seien auch in der Schweiz tägliche Realität, nähmen aber kein staatsgefährdendes Ausmass an. Bei den linksextremistisch beziehungsweise rechtsextremistisch motivierten Vorfällen hielten sich die Zahlen etwa auf Vorjahreshöhe.

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Basler Zeitung 8.7.10

Ueli Maurer will Kulturwandel

 Kritik am Staatsschutz

 fichenaffäre. Eigentlich hätte an der gestrigen Medienkonferenz des Nachrichtendienstes nur der Jahresbericht präsentiert werden sollen. Doch der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) von letzter Woche zur neuen Fichenaffäre hat das Programm auf den Kopf gestellt. Bundesrat Ueli Maurer nutzte die Gelegenheit, um zum Fichenskandal Stellung zu nehmen: "Die GPDel hat völlig recht - eine Kulturänderung ist nötig." Seiner Meinung nach müssten weniger Daten gesammelt werden. Und Nachrichtendienst-Chef Markus Seiler meint: "Wir können nun nicht Schritt für Schritt vorangehen. Vielmehr braucht es jetzt schnell substanzielle Änderungen." Personelle Konsequenzen will Maurer aber nicht ziehen: "Das löst die Probleme nicht."  rus  > Seiten 2, 5

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"So viele Daten sind nicht zu handeln"

 SVP-Bundesrat Ueli Maurer sieht beim Staatsschutz grosses Verbesserungspotenzial

 Aufgezeichnet: Ruedi Studer, Bern

 Letzte Woche deckte die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der eidgenössischen Räte mit ihrem Bericht enorme Mängel beim Staatsschutz auf. Bundesrat Ueli Maurer teilt die Kritik.

 Herr Maurer, die GPDel sagt, beim Staatsschutz habe im Vergleich zum Fichenskandal von 1989 kein Kulturwandel stattgefunden. Ihr Urteil?

 Ueli Maurer: Die GPDel hat völlig recht - eine Kulturänderung ist nötig. Ich habe mir die Datenbearbeitung einmal zeigen lassen und bin auch etwas erschrocken, mit welcher Gründlichkeit Daten festgehalten wurden. Das ist meiner Meinung nach so nicht nötig. Das ist aber kein Vorwurf an die Mitarbeiter: Die haben während Jahren so gearbeitet, und es wurde für gut befunden.

 Der GPDel-Bericht zeigt aber klar auf, dass die Staatsschützer Fehler begangen haben.

 Während Jahren hat der Staatsschutz so gearbeitet, und während Jahren hat die Politik nicht dagegen interveniert. Also konnte unser Mitarbeiter vor dem Computer davon ausgehen, dass er seinen Job richtig macht. Wenn wir nun weniger registrieren wollen, wird der Beamte auch so handeln. Da braucht es nun die entsprechenden Korrekturen.

 Sie stellen sich hinter Ihre Mitarbeiter am Computer. Aber wie steht es um die Führungsetage? Der ehemalige Staatsschutz-chef Urs von Daeniken ist schon weg. Sehen Sie weitere personelle Konsequenzen?

 Ich werde nicht einzelne Leute blossstellen. Ich bin nicht hier, um die Schuldigen zu suchen, sondern um die Probleme zu lösen. Und ich bin der Meinung, dass wir dies im Grundsatz mit den jetzigen Leuten im Nachrichtendienst machen können. Diese arbeiten nach bestem Wissen und Gewissen für dieses Land. Aber teilweise werden sie neue Aufträge erhalten.

 Also kein Köpferollen?

 Ein grosses Köpferollen löst die Probleme nicht. Im Moment sehe ich keine personellen Konsequenzen, da hätte die Politik früher reagieren müssen. Es braucht aber politische Korrekturen.

 Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?

 Wir haben schon letztes Jahr erste Massnahmen eingeleitet und zwei Inspektionsberichte in Auftrag gegeben, auf denen nun auch der GPDel-Bericht basiert. Zudem haben wir etwa die interne Kontrolle aufgestockt und zusammen mit den Kantonen eine Verordnungsänderung erarbeitet, die den Kantonen ein Einsichts- und gewisses Kontrollrecht einräumt. Diese Änderung wird dem Bundesrat unmittelbar nach den Sommerferien zur Genehmigung vorgelegt und kann noch im vierten Quartal dieses Jahres in Kraft gesetzt werden.

 Wo werden Sie nun weiter möglichst rasch ansetzen?

 Wir haben grosses Verbesserungspotenzial bei der Datenbewirtschaftung und müssen nun die Pendenzen so rasch wie möglich abbauen. Dafür haben wir bereits finanzielle Mittel freigemacht: In den nächsten zwei Jahren werden wir zusätzlichen Manpower für mindestens zwei Millionen Franken dafür einsetzen. Der Abbau der Altlasten wird aber noch längere Zeit in Anspruch nehmen.

 Hat der Staatsschutz bisher zu viel gesammelt?

 Persönlich bin ich der Meinung, dass wir weniger machen müssen. Schon alleine aus technischen Gründen werden wir die Datenmenge verdünnen müssen. So viele Daten sind einfach nicht zu handeln. Hinzu kommt die politische Frage: Was gefährdet den Staat tatsächlich, was ist relevant für den Staatsschutz? Das muss politisch nun breit diskutiert werden. Wir werden im Bundesrat noch dieses Jahr eine Aussprache über die Aufgaben des Nachrichtendienstes führen.

 Die GPDel hat 17 Empfehlungen abgegeben. Werden Sie diese berücksichtigen?

 In der Grundstossrichtung teile ich die Kritik der GPDel und erachte ähnliche Massnahmen als richtig. Sie müssen aber noch auf ihre technische Umsetzbarkeit geprüft werden sowie auf die personellen und finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen müssen.

 Dann ist etwa die geforderte provisorische Sperrung älterer Daten und die Einsetzung eines externen Datenschutzbeauftragten eine Option?

 Diese Lösung sehe ich grundsätzlich. Wir müssen nun aber die technische Machbarkeit abklären und werden dem Bundesrat entsprechend Antrag stellen.

 Wie steht es um ein besseres Einsichtsrecht für Fichierte?

 Im Moment ist das Einsichtsrecht relativ restriktiv geregelt. Persönlich könnte ich mir vorstellen, dass man hier offener wird und Betroffene direkt Einsicht verlangen können und ihnen Auskunft erteilt wird. Für mich ist vorstellbar, dass das Einsichtsrecht bereits in die erste Etappe der Revision des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit aufgenommen wird. Da ist eine politische Mehrheit möglich.

 > Tageskommentar Seite 2

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Tageskommentar

 Maurer sieht seine Chance
 
Ruedi Studer

 Der Staatsschutz ist im Grundsatz notwendig, doch es braucht klare Korrekturen bei der Datenbearbeitung. Mit dieser Botschaft ging Bundesrat Ueli Maurer gestern vor den Medien in die Offensive. Der SVP-Mann machte deutlich, dass er den Staatsschutz-Auftrag klarer definieren und die praktisch unkontrollierte Sammelwut der Staatsschützer bremsen will. Damit nimmt er den Ball auf, den ihm die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte letzte Woche mit ihrem Staatsschutz-Bericht zugespielt hat.

 Während sich Maurer bei der Armee im Mängel-Dschungel weitgehend verirrt hat, bietet ihm der neue Fichenskandal die Gelegenheit, sich als Reformer und Problemlöser zu beweisen - und damit politisch wieder Boden gutzumachen.

 Dass er gewillt ist, diese Chance zu packen, hat er bereits angedeutet: Die interne Staatsschutzkontrolle wurde aufgestockt, ein gewisses Kontrollrecht für die Kantone aufgegleist, ein verbessertes Einsichtsrecht für die Betroffenen in Aussicht gestellt, und dem Datensammeln auf Vorrat will Maurer den Riegel schieben.

 In der schwierigen Güterabwägung zwischen persönlicher Freiheit und mehr Sicherheit steht der SVP-Bundesrat im Zweifelsfall für die Freiheit ein. Maurer wird damit zum Schrittmacher für den geforderten Mentalitätswandel beim Staatsschutz.

 Nun müssen ihm aber auch Bundesrat und Parlament auf diesem Weg folgen und dürfen ihm keine Stöcke zwischen die Beine werfen. Denn nur ein reformierter Staatsschutz, der die Bürgerrechte ernst nimmt und wieder höher gewichtet, kann das verlorene Vertrauen zurückgewinnen.

 ruedi.studer@baz.ch

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NLZ 8.7.10

Bundesrat Ueli Maurer

 "Ich stufte das als eine Zeitbombe ein"

Interview von Eva Novak, Bern

 Erstmals äussert sich Bundesrat Ueli Maurer ausführlich zur jüngsten Datensammel-Affäre. Ein Kulturwandel sei unabdingbar, sagt er.

 Sie bestätigen weitgehend die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation an der Datensammlung des Staatsschutzes. Rennt die Delegation bei Ihnen offene Türen ein?

 Ueli Maurer: Wir haben die Inspektionen bereits Anfang letzten Jahres angeordnet, da ich diese Sache aufgrund meiner politischen Erfahrung schon immer als eine Zeitbombe eingestuft hatte und möglichst rasch Klarheit wollte. Das Ausmass war grösser, als ich es mir gedacht hatte. Die Geschäftsprüfungsdelegation rennt insofern keine offenen Türen ein, als jetzt der Druck auch vom Parlament und von der Oberaufsicht kommt. Das erleichtert die Umsetzung der Massnahmen. Deshalb bin ich froh über die Stossrichtung der Empfehlungen.

 Die parlamentarischen Oberaufseher helfen Ihnen bei Ihrer Aufgabe, einen Kulturwandel im Nachrichtendienst herbeizuführen?

 Maurer: Jawohl, denn dieser Kulturwandel ist wirklich nötig. Wir hatten ein intensives Jahr und trafen uns immer wieder mit den Mitgliedern der Geschäftsprüfungsdelegation. Die Zusammenarbeit hat gut funktioniert.

 Warum haben Sie die Fehler noch nicht korrigiert?

 Maurer: Es ist etwas komplexer, als man meint - man kann das nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Wir haben bereits frühzeitig Massnahmen eingeleitet. Um aber alle Mängel, die durch den Bericht der Delegation aufgedeckt wurden, zu bereinigen, braucht es Monate, wenn nicht Jahre.

 Welche Defizite sehen Sie persönlich?

 Maurer: Aus meiner Sicht haben wir tatsächlich zu viele Daten gesammelt, die nicht mehr ordentlich bewirtschaftet werden konnten. Daraus entstanden unbearbeitete Pendenzenberge, die nicht mehr gelöscht werden konnten. Es ist also ein Mengenproblem. Zusätzlich halte ich das EDV-System für wenig geeignet, da es sehr kompliziert zu bedienen ist.

 Sie nehmen die Beamten des Nachrichtendienstes in Schutz und geben die Schuld ihrer politischen Führung. Sind die drei früheren EJPD-Vorsteher Arnold Koller, Ruth Metzler und Christoph Blocher schuld, denen der Inlandnachrichtendienst früher unterstand?

 Maurer: Das wäre zu einfach. Auch über diese drei hatte die Geschäftsprüfungsdelegation die Oberaufsicht, welche offenbar auch nicht tiefer ging. Auch bei der Führung der Nachrichtendienste wurde offenbar nicht tiefer gebohrt, und von den Finanzen aus wurde ebenfalls nicht besser gesteuert. Es gäbe also viele Verantwortliche. Das bringt aber nichts mehr, denn im Nachhinein ist man immer gescheiter. Ich habe Probleme zu lösen und nicht Fehler zu suchen.

 Schauen wir nach vorn: Soll der "Lauschangriff", namentlich die präventive Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs auch ohne richterlichen Beschluss, künftig möglich sein?

 Maurer: Sehr viele Erfolge ausländischer Nachrichtendienste beruhen zwar darauf, dass man im Verdachtsmoment rechtzeitig Massnahmen ergreifen konnte. Bei uns ist die letzte Revision des Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit an dieser Frage gescheitert. Ich sehe keine grosse Möglichkeit, das jetzt einzubringen. Denn man hat Angst vor dem Staat. Ohne grosse Kontrolle halte ich das für politisch nicht realisierbar.

 Möchten Sie persönlich einen solchen Lauschangriff denn?

 Maurer: Nein. Es ist immer eine Güterabwägung zwischen der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit der Gemeinschaft. Der Nachrichtendienst tendiert immer dazu, möglichst viele Daten zu sammeln, das ist auch seine Aufgabe.

 Sind Sie demnach für die Zweitauflage der "Fichenaffäre" - in kleinerem Rahmen - dankbar?

 Maurer: Ja, denn der Grundsatz, dass wir einen Staatsschutz brauchen, ist unbestritten. Mit welchen Mitteln dieser aber in welchem Zeitraum sichergestellt werden muss, wird immer eine politisch heiss umkämpfte Frage sein, deren Antwort auch von der Konjunktur abhängt: Je nachdem, was passiert, ist man für mehr oder für weniger.

 Sie selber sind eher für weniger?

 Maurer: Ja, selber werte ich die persönliche Freiheit höher.

 eva.novak@neue-lz.ch

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 Steuersünder

 Spione zapfen unsere Banken an
 
Kari Kälin

 Schon zweimal hat Deutschland CDs mit gestohlenen Kundendaten von Schweizer Banken gekauft. Nun zeigt der gestern veröffentlichte Jahresbericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), dass der Kampf gegen die Steuerflucht mit immer härteren Bandagen ausgefochten wird. Denn offenbar jagen ausländische Staaten Steuersünder mit geheimdienstlichen Methoden. "Die Finanzkrise und die damit einhergehenden Verluste von Steuergeldern bewogen einzelne ausländische Staaten, aktiv Informationen zu beschaffen, um in der Schweiz nach im Ausland respektive im Wohnland möglicherweise unversteuertem Geld ihrer Bürger zu suchen", schreibt der Nachrichtendienst.

 Informanten angeworben

 Fremde Nachrichtendienste, heisst es weiter, könnten zudem Telefongespräche und den E-Mail-Verkehr von Schweizer Banken und deren Kunden abfangen. Auch werben sie offenbar aktiv Informanten in Schweizer Banken im In- und Ausland an. Mit anderen Worten: Treffen die Feststellungen des Nachrichtendienstes zu, haben sich hierzulande ausländische Spitzel eingenistet, die Steuersünder aufspüren.

 Auf Wirtschaft spezialisiert

 Dass ausländische Nachrichtendienste auf helvetischem Boden agieren sollen, überrascht Reiner Eichenberger, Professor für Finanzwissenschaften an der Universität Freiburg, nicht: "Seit dem Ende des Kalten Krieges suchen die Geheimdienste ein neues Betätigungsfeld. Eines davon ist der Kampf gegen Fluchtgeld." So sei zum Beispiel der deutsche Nachrichtendienst auf Wirtschaftsspionage spezialisiert.

 Derweil fühlt sich Thomas Fleiner, emeritierter Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, bestätigt, dass der Bundesrat Deutschland wegen des Kaufs der ominösen CD beim internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagen muss. Auch die Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala plädiert dafür. Sie verlangt vom Bundesrat in einem Vorstoss, eine Staatsklage gegen Deutschland wegen Verletzung des Völkerrechts zu deponieren.

 kari.kaelin@neue-lz.ch

 Die Schweiz als "Feindin des Islams"

 Gestern hat der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seinen Jahresbericht vorgestellt. Darin beurteilten die Staatsschützer die Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz. Als "eine der aktuellsten Bedrohungen" betrachtet der Nachrichtendienst den Terrorismus. Dabei warnt der Nachrichtendienst aber auch vor Überreaktionen.

 Die Annahme der Anti-Minarett-Initiative hat laut dem Nachrichtendienst die Bedrohungslage "nur unwesentlich" verändert. Festzustellen sei allerdings seither eine Propagierung und Wahrnehmung der Schweiz als "Feindin des Islams", schreibt der Nachrichtendienst. Setze sich diese Sichtweise durch, nehme die Terrorismusgefahr zu.

 Im vergangenen Jahr beschäftigten sich die Staatsschützer aber primär mit Aktionen anderer Art. Im Dezember 2010 besetzten 50 Personen kurdischer Herkunft während dreier Stunden Räumlichkeiten des Schweizer Fernsehens. Sie forderten einen TV-Beitrag über die Haftbedingungen von Abdullah Öcalan. 44 Personen wurden vorübergehend festgenommen, wie dem Bericht zu entnehmen ist.

 Stabile Szene

 Leicht zugenommen hat die Zahl rechtsextremer Ereignisse. Der Nachrichtendienst zählte 85 davon, 9 mehr als im Vorjahr. Die Szene blieb aber stabil: Der Nachrichtendienst geht von einem harten Kern mit 1200 Personen und 600 Mitläufern aus. Ebenfalls eine leichte Zunahme verzeichnete der Dienst bei den linksextremen Ereignissen. Deren Anzahl betrug 220 gegenüber 214 im Vorjahr. Auch hier blieb die Szene stabil. Ihr werden 2000 Personen zugerechnet, wobei der Nachrichtendienst die Hälfte als gewalttätig einstuft.

 Sorgen bereiten dem Nachrichtendienst schliesslich Cyber-Attacken. In letzter Zeit sei es vermehrt zu konzertierten Angriffen auf die Informatikinfrastruktur des Bundes gekommen, heisst es im Jahresbericht.

Jahresbericht: Denn vollständigen Bericht gibt es auf www.zisch.ch/bonus
http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/19840.pdf

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Kommentar

 Flucht nach vorn

Eva Novak

 Der Herr über die Nachrichtendienste ergreift die Flucht nach vorn. Statt zu beschönigen, räumt Bundesrat Ueli Maurer in aller Offenheit ein, dass Fehler begangen wurden. Er verspricht, Remedur zu schaffen, und gibt zu, dass das nicht heute oder morgen, sondern erst übermorgen gelingen wird. Das ist gut so, denn alles andere wäre unehrlich.

 Mindestens ebenso gut ist, dass der VBS-Chef die Mitarbeiter des ehemaligen Dienstes für Analyse und Prävention in Schutz nimmt. Für den Pfusch macht er nicht sie verantwortlich, sondern die politische Führung. Damit spielt SVP-Bundesrat Ueli Maurer nicht zuletzt auf SVP-Bundesrat Christoph Blocher an. Was ganz schön mutig ist, obwohl er begreiflicherweise keine Namen nennt.

 Fraglich bleibt allerdings, was die vom Verteidigungsminister verlangte "breite Diskussion" über die Aufgaben des Staatsschutzes an neuen Erkenntnissen bringen soll. Schliesslich wird diese seit der Fichenaffäre auf breitester Front geführt und erhielt mit den Terroranschlägen neue Nahrung. Nach den Auseinandersetzungen um die Sicherheitspolitik und die Armee liegt der Verdacht nahe, dass am Ende nur ein weiterer schwammiger Bericht ohne erkennbare Strategie herausschauen wird.

 Denn die Grundfrage lautet weiterhin, was der Staatsschutz im Zeitalter des Terrorismus dürfen soll und was ihm weiterhin verwehrt bleiben muss. Und die Antwort darauf hängt nach wie vor von der Weltanschauung ab - sowie vom Vertrauen in die schützende Wirkung des Staatsschutzes, das mit jeder Fehlleistung sinkt. Es braucht jetzt keinen neuen Bericht, sondern endlich eine Kontrolle, die den Namen verdient und auch befolgt wird. Und zwar auf allen Stufen.

 eva.novak@neue-lz.ch

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St. Galler Tagblatt 8.7.10

Staatsschutz soll Pendenzen abbauen

 BERN. Bundesrat Ueli Maurer hat Stellung genommen zur Kritik am Nachrichtendienst. Er verteidigte die Arbeit des Staatsschutzes, versprach aber gleichzeitig Korrekturen. Die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht wies Maurer nicht zurück. Um den Pendenzenberg bei der Staatsschutz-Datenbank abzuarbeiten, will Maurer im laufenden und im nächsten Jahr je eine Million Franken einsetzen. (red.)
Inland 3

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"Staatsschutz ist notwendig"

 Bundesrat Maurer will die Sammelwut der Staatsschützer stoppen, nennt aber keine Schuldigen für die jüngste Fichenaffäre. Unklar bleibt auch, wie sich der Nachrichtendienst entwickeln soll.

 Marcello Odermatt

 BERN. Angesagt war der erste Jahresbericht des neuen Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Doch nach dem Bekanntwerden der neusten Fichenaffäre letzte Woche drehte sich an der gestrigen Medienkonferenz des NDB alles um die Frage, wie es 20 Jahre nach dem grossen Fichenskandal wieder zu einer solchen Datensammelwut kommen konnte.

 "Eine philosophische Frage"

 Ueli Maurer, als Verteidigungsminister für den seit 2010 in seinem Departement angesiedelten NDB zuständig, hob die Diskussion von Anfang an auf die politische Ebene. Die Präsentation des Tätigkeitsberichts überliess er NDB-Direktor Markus Seiler (siehe Kasten). Maurer sah keinen Anlass, die bisherige Schnüffelpraxis zu verteidigen. Dies dürfte ihm einfach gefallen sein, da er nicht für die Tätigkeiten des damaligen Geheimdienstes verantwortlich gemacht werden kann. Der Inlandgeheimdienst unterstand vor der Reorganisation dem Justiz- und Polizeidepartement. Die politischen Verantwortlichen waren Ruth Metzler, Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf.

 "Wir teilen die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation", sagte Maurer. Im Bereich des Staatsschutzes besteht tatsächlich Verbesserungspotenzial. Die von der Aufsicht beanstandeten Mängel seien dem NDB und ihm bekannt gewesen, erste Verbesserungen würden umgesetzt. Der Staatsschutz sei aber notwendig, betonte Maurer. Es gehe darum, die Sicherheit des Landes zu gewährleisten. Wie diese Tätigkeit ausgestaltet sein muss, sei indes eine "philosophische Frage".

 Keinen Schuldigen genannt

 Wer für das Sammeln von 200 000 Personendaten, für die fehlende Qualitätskontrolle und für die Rechtsbrüche geradestehen muss, liess Maurer hingegen offen. Der damalige Leiter des Inlandgeheimdienstes, Urs von Däniken, ist nicht mehr im Staatsschutz tätig und wurde letzte Woche auch von anderen Aufgaben zumindest vorübergehend entbunden. Andere Inlandgeheimdienstler, die während der beanstandeten Zeit für die Fichierungen zuständig waren, sind weiter im NDB tätig, etwa der heutige Vizechef Jürg Bühler.

 Erste Massnahmen umgesetzt

 Der neue NDB-Chef Seiler indes hat die Aufgabe erst im letzten Jahr übernommen und war vorher VBS-Generalsekretär. Maurer nahm seine Mitarbeitenden ohnehin in Schutz: "Sie tun das, was die Politik ihnen vorgibt." Wer aber politisch verantwortlich ist, sagte Maurer nicht: "Es ist nicht meine Aufgabe, Schuldige zu nennen, sondern die Fehler zu korrigieren."

 Gleichwohl sei er der Meinung, der Staatsschutz müsse "weniger machen", sagte Maurer. Im Nachrichtendienst sei ein Kulturwandel nötig. NDB-Chef Seiler beteuerte, dass er sich dieser "schwierigsten" und "wichtigsten" Aufgabe in den nächsten Jahren annehmen wolle. Bereits Ende letzter Woche habe er eine Weisung erlassen, wonach die Datensammlung ab sofort restriktiver zu handhaben sei.

 Unumstrittene Verbesserungen

 Bereits stehen neue Pläne im Raum, um die Staatsschutztätigkeit auszubauen. Voraussichtlich in diesem Jahr kommt ein erster Teil des revidierten Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit. Darin werden Verbesserungen vorgeschlagen, die politisch unumstritten sind. Zudem wird ein verbessertes Auskunfts- und Einsichtsrecht für Privatpersonen sowie für die Kantone geschaffen. Die grosse, heikle Vorlage, in der es um konkrete neue Mittel für den Staatsschutz geht - darunter zum Beispiel das präventive Überwachen - soll erst 2012 vorliegen.

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 Terrorgefahr bleibt aktuell

 Die Schweizer Banken sind 2009 ins Visier ausländischer Geheimdienste geraten. Das hält der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in seinem gestern veröffentlichten Jahresbericht fest. Laut NDB können Geheimdienste für die Beschaffung von CDs mit Bankkundendaten verantwortlich sein.

 Spione hielten den NDB nicht nur im Zusammenhang mit den Banken auf Trab. Laut dem NDB führen unter anderem Spuren eines Nato-Spionagefalls in die Schweiz: Ein russischer Führungsoffizier benutzte die Schweiz als logistische Basis.

 Besetzung von TV-Räumen

 Als "eine der aktuellsten Bedrohungen" betrachtet der NDB den Terrorismus. Das Ja zur Minarett-Initiative habe die Bedrohungslage zwar "nur unwesentlich" verändert. Seither werde die Schweiz allerdings verstärkt als "Feindin des Islams" propagiert. 2009 beschäftigten sich die Staatsschützer aber primär mit anderen Ereignissen. Im Dezember besetzten 50 Kurden Räume des Schweizer Fernsehens. Sie forderten einen TV-Beitrag über die Haftbedingungen von Abdullah Öcalan. 44 Personen wurden dabei festgenommen. Den NDB auf den Plan gerufen hat auch die Schändung von Gräbern der Familie Vasella in Chur. Diese ging mutmasslich auf das Konto von Tierrecht-Extremisten.

 Politischer Extremismus

 Leicht zugenommen hat die Zahl rechtsextremer Vorfälle. 85 wurden 2009 gezählt, 9 mehr als im Vorjahr. Die Szene blieb aber stabil: Der NDB geht von einem harten Kern mit 1200 Personen und 600 Mitläufern aus. Eine Zunahme verzeichnete der NDB auch bei den linksextremen Vorfällen. Deren Zahl betrug 220 (Vorjahr: 214) Auch hier blieb die Szene stabil. Ihr werden 2000 Personen zugerechnet, die Hälfte davon gilt als gewalttätig. (sda/red.)

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Südostschweiz 8.7.10

Der ungeliebte Hoffnungsträger

 Markus Seiler soll den Nachrichtendienst aus der Krise führen. Doch ist er der richtige Mann dafür?

 Von Beat Rechsteiner

 Bern. - Das ist der Hoffnungsträger. Jetzt, da die übereifrigen Datensammler vom Nachrichtendienst in der Bevölkerung eher als Bedrohung denn als Beschützer wahrgenommen werden, soll dieser Mann die Wende bringen und das verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Unscheinbar wirkt Markus Seiler, grau trotz der bunten Krawatte. Im Medienzentrum des Bundeshauses nimmt er Platz neben seinem Chef, Bundesrat Ueli Maurer. Nervös suchen seine Augen den Raum ab, maulwurfartig wirken sie hinter den dicken Brillengläsern. Und man fragt sich: Ist dieser Mann der Richtige für diesen Job? Kann er jene Zäsur bewirken, die nach dem Fichen-Skandal vor 20 Jahren ausblieb?

 Zwangsheirat mitten im Sturm

 Es sei noch zu früh, den Neuen zu beurteilen, heisst es in Geheimdienstkreisen. Gelobt wird Seiler dennoch - von allen Seiten. Selbst jene, die dem Quereinsteiger ohne nachrichtendienstliche Erfahrung zu Beginn null Kredit gaben, sagen nun, er mache seine Aufgabe bisher ordentlich. Dabei geht es nicht nur um die Aufarbeitung der Kritik, die seit letzter Woche auf den Geheimdienst niederprasselt. Mitten im Sturm muss Seiler eine Zwangsheirat organisieren. Zwischen zweien, die seit Jahren verfeindet sind. Die seit Januar vollzogene Fusion des Inland- und des Auslandnachrichtendienstes zum neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist der Zusammenschluss zweier Unternehmen, die gegensätzliche Prinzipien pflegen und sich bisher gegenseitig konkurriert statt unterstützt haben.

 Dass Markus Seiler Qualitäten hat, wagen selbst seine Feinde nicht zu bestreiten. Er gilt als ausserordentlich intelligent und präzis. Er kann sich rasch auf neue Aufgaben einstellen, und offenbar ist er in der Lage, sich selbst in diesem schwierigen neuen Umfeld durchzusetzen.

 Er wird gelobt, aber nicht gemocht

 So sehr Seiler gelobt wird, gemocht wird er nicht. "Karrieregeil" sei er, sagt ein Mitarbeiter des Verteidigungsdepartements über ihn. Als "ambitiös, zackig, forsch" beschreiben ihn andere. Hinter der unauffälligen Fassade stecke ein Machtmensch, der seine Ziele berechnend verfolge. Seit 16 Jahren treibt der 41-jährige vierfache Familienvater seine Karriere voran, vom Sekretariat der FDP bis zum Direktor eines Bundesamtes.

 Dass man ihn nicht mag, war dabei nie ein Hinderungsgrund - im Gegenteil. Er steht jetzt auch deshalb im Rampenlicht, weil ihn Maurer vom Generalsekretär seines Departements zum Geheimdienstchef wegbefördert hat. "Seiler passt nicht zu mir", soll der SVP-Bundesrat einst zu Vertrauten in der eigenen Partei gesagt haben. Das hat mit dem Ruf des FDP-Mannes Seiler zu tun, ein "SVP-Hasser" zu sein. Und mit seinen engen Banden zu Maurers Vorgänger Samuel Schmid, der ihn 2005 zum Generalsekretär machte.

 Zudem geriet Seiler in die Kritik, weil er als Mitglied der Findungskommission die Beförderung von Roland Nef zum Armeechef mit verantwortete. Da sei es klar gewesen, dass ihn Maurer nicht ewig in seinem engsten Umfeld haben wollte. Da sei der neue Posten an der Geheimdienstspitze wie gerufen gekommen, um Seiler elegant auf Distanz zu halten.

 "Chlapf" ist eine Chance

 An der gestrigen Medienkonferenz blitzt diese Distanz nur kurz auf, als der Bundesrat Fragen beantwortet, die eigentlich an den Amtsdirektor gerichtet sind. Seiler mag sich ohnehin nicht gross zu den aktuellen Vorwürfen äussern. Und wenn er doch Auskunft gibt, sagt er etwa: Dass es jetzt einen "Chlapf" gegeben habe, sei für ihn auch eine Chance. Nun muss er jedoch beweisen, dass er diese auch packen kann. Alles andere würde die Karriereplanung über den Haufen werfen.

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 Maurer verspricht Besserung

 Ueli Maurer hat gestern Stellung genommen zur Kritik am Nachrichtendienst. Er versprach Korrekturen.

 Die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht wiegen schwer: Der Nachrichtendienst habe im Umgang mit Daten die Gesetze nicht eingehalten, steht im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), der letzte Woche veröffentlicht wurde. Bundesrat Ueli Maurer wies die Vorwürfe nicht zurück: "Ich bin auch etwas erschrocken, mit welcher Gründlichkeit da Dinge festgehalten werden", gestand der Verteidigungsminister. Dass es Probleme gebe, habe sein Departement schon vor mehr als einem Jahr festgestellt. Maurer versicherte denn auch, die Probleme rasch zu beheben. Dazu will er im laufenden und im nächsten Jahr je eine Million Franken einsetzen. Zudem kündigte Maurer noch für das laufende Jahr eine entsprechende Aussprache im Bundesrat an. "Wir müssen klären, was der Nachrichtendienst dürfen muss", sagte Maurer.

 Auch der Chef des Nachrichtendienstes, Markus Seiler, nahm Stellung zu den Vorwürfen. Die Kritik der GPDel habe einen positiven Effekt, sagte er. "Manchmal ist eine Ohrfeige besser, dann kommt der Kulturwandel." (sda)

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 Schweizer Banken werden beobachtet

 Die Schweizer Banken sind im vergangenen Jahr ins Visier ausländischer Nachrichtendienste geraten. Dies zumindest behauptet der Schweizer Nachrichtendienst. Demnach könnten Geheimdienste für die Beschaffung von CDs mit Bankkundendaten verantwortlich sein. Die Finanzkrise hätte "einzelne ausländische Staaten" dazu bewogen, "aktiv" Informationen zu beschaffen, um in der Schweiz nach unversteuertem Geld ihrer Bürger zu suchen, heisst es im gestern veröffentlichten Jahresbericht des Nachrichtendienstes. Konkrete Anhaltspunkte werden nicht genannt. (sda)
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Blick 8.7.10

Fichenaffäre

 Maurer will jetzt aufräumen

 VBS-Chef Ueli Maurer will wegen der Fichenaffäre kein Köpferollen. Er will eine Debatte über die Geheimdienste.

 Zwanzig Jahre nach der ersten Fichenaffäre hat der Schweizer Inlandgeheimdienst wieder 200 000 Personen fichiert. Mit welcher Gründlichkeit der Staatsschutz ans Werk ging, darüber "bin ich selber auch erschrocken", sagt Verteidigungsminister Ueli Maurer gestern, bei der Vorstellung des ersten Jahresberichtes der neuen Nachrichtendienste des Bundes (NDB). Er selber habe zu einer Kontrolle angeregt, nachdem der Inlandgeheimdienst vor eineinhalb Jahren ins VBS übersiedelte. "Wenn man so lange in der Politik ist, weiss man, wo der Hund begraben ist." Maurer betonte zudem mehrmals: Die Untersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation stütze sich auf die Kontrollberichte des VBS. Und: "Wir haben Massnahmen beschlossen und sind jetzt bei der Umsetzung." Er verwies dabei unter anderem auf strengere Kontrollen und Gesetzesänderungen. Um die Fichen zu bereinigen, will er in den nächsten zwei Jahren 2 Millionen Franken ausgeben.

 Maurer will wegen der neuen Fichenaffäre aber kein Köpferollen. "Beim Nachrichtendienst arbeiten keine Schlapphüte", erklärte er. Das seien alles gute Mitarbeiter, die das tun, was die Politik ihnen vorgebe. Er will eine Diskussion darüber, was die Nachrichtendienste in Zukunft tun oder nicht tun sollen.

 Der Verteidigungsminister und sein Chefspion Markus Seiler gaben zudem bekannt, dass sich ausländische Geheimdienste für Schweizer Banken interessieren. Sie würden wegen des Verlusts von Steuergeldern aktiv Informationen beschaffen.

 Hubert Mooser

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L'Express / L'Impartial 8.7.10

AFFAIRE DES FICHES

 Ueli Maurer renvoie la balle dans le camp des politiques

 BERNE MAGALIE GOUMAZ

 Le conseiller fédéral Ueli Maurer reconnaît les déficiences du système de fichage, mais renvoie la responsabilité aux politiciens.

 Oui, le fichage est mal fichu! Oui, des mesures ont déjà été prises pour remettre sur les rails Isis. Cette banque de données relative à la protection de l'Etat s'est emballée ces dernières années, allant jusqu'à enregistrer près de 200 000 noms, dont une bonne part d'informations erronées ou inutiles. Mais non, les têtes ne vont pas tomber.

 Pour Ueli Maurer, venu s'expliquer hier après-midi, les responsables des cafouillages relevés la semaine dernière par une commission parlementaire ne sont pas à rechercher à l'intérieur de sa maison. En résumé, ce sont les politiciens qui n'ont jamais dit jusque-là que le Service d'analyse et de prévention (SAP) faisait mal son travail.

 Telle est la ligne de défense du ministre qui choisit de protéger les siens, mais aussi l'ancien ministre responsable et collègue de parti Christoph Blocher, tout en admettant le problème. De la même manière, il veut bien tenter de mettre de l'ordre dans ces fichiers - car il admet qu'il y a un "potentiel d'amélioration" - mais appelle également à un débat de fond sur ce que doit inclure la protection de l'état, renvoyant la balle plus loin, c'est-à-dire à la révision de la loi sur la sûreté intérieure à l'horizon 2012-2013. Chez Ueli Maurer, cette posture commence à devenir un style. Avec lui, quand quelqu'un pointe du doigt la lune, il ne faut regarder ni la lune ni le doigt, mais les étoiles filantes.

 Le conseiller fédéral UDC a une bonne raison de rester serein: il a réagi dès son entrée en fonction, début 2009. Le rapport de la Délégation des Commissions de gestion des Chambres fédérales est venu confirmer son propre constat. D'ailleurs, un budget a déjà été débloqué pour améliorer le fonctionnement d'Isis. Le changement prendra du temps, a néanmoins avoué Ueli Maurer.

 Hier, son Département rappelait également les grandes étapes d'Isis, de son introduction en 1994 à son renouvellement technologique complet en 2005. Manière d'indiquer les priorités de ces dernières années, auxquelles il faudrait ajouter le raccordement des cantons au système, les problèmes de coordination entre services de renseignements et les changements de ministres responsables (Koller, Metzler, Blocher, Widmer-Schlumpf et enfin Maurer). Ce qui ne change rien au fait que les dispositions légales n'ont pas été respectées, que la culture n'a pas changé. Le mandat du SAP, aujourd'hui Service de renseignement de la Confédération (SRC) après sa fusion avec le Service de renseignement stratégique, est d'analyser les menaces qui pèsent sur la Suisse. Parmi ces menaces, sont cités le terrorisme, le service de renseignement prohibé, l'extrémisme violent et la prolifération de certaines armes. Isis est l'outil de prédilection du SAP. Mais l'examen régulier de la pertinence des données qu'il contient n'a pas été effectué sérieusement, ni au moment de la collecte des informations, ni cinq ans après leur enregistrement puis tous les trois ans jusqu'au délai de péremption.

 Et les politiciens s'en sont déjà préoccupés. En juin 2008, des membres du Grand Conseil bâlois apprenaient qu'ils étaient fichés et dans la foulée, la conseillère aux Etats socialiste Anita Fetz interpellait le Conseil fédéral sur la gestion d'Isis par les organes concernés. Le 26 novembre 2008, le Conseil fédéral lui répond que "pour l'instant, aucun indice ne permet de conclure que le SAP n'aurait pas respecté les limites du traitement des données définies par la loi".

 Sur la base de la même affaire, la commission parlementaire a néanmoins ouvert une enquête. Et c'est la publication de son rapport qui a révélé au grand public cette nouvelle affaire, vingt ans après la première. Hier, ses auteurs n'ont pas voulu réagir aux déclarations et critiques d'Ueli Maurer. /MAG

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L'Hebdo 8.7.10

Affaire des fiches

 LE RETOUR DE L'ÉTAT FOUINEUR

 PAR  JULIE ZAUGG  ET  PATRICK VALLÉLIAN

 LES FAITS

 Vingt ans après le scandale de l'Etat fouineur, voilà que nos James Bond à croix blanche refont parler d'eux. Durant des années, ils ont fiché des milliers de personnes sans respecter la loi, dénonce le conseiller aux Etats Claude Janiak (PS/BL). Selon le président de la Délégation des commissions de gestion des Chambres fédérales (DélCdG), 110 000 données sur les 200 000 que contient le système d'information relatif à la protection de l'Etat (ISIS) n'ont pas fait l'objet des contrôles prévus. Pire, ISIS est rempli de données non pertinentes, erronées et inutiles qui concernent en grande majorité des personnes ou institutions étrangères.

 LES COMMENTAIRES

 Comment en est-on arrivé à un tel fiasco, se demande Le Temps. Celui de considérer des morts comme des dangers pour la sécurité de l'Etat? Celui de soupçonner des milliers d'étrangers ou de naturalisés comme de vulgaires terroristes? Ces fichages "absurdes" sont le fruit d'une "mentalité du soupçon", tonne Werner Carobbio, interrogé par Swissinfo. L'ancien conseiller national socialiste tessinois sait de quoi il parle. Il avait enquêté sur la première affaire des fiches dans les années 90. Mis sous pression, le Service de renseignement (SRC) vont corriger le tir. Seuls seront fichés ceux qui seront considérés, après examen, comme dangereux, promet dans la NZZ am Sonntag Markus Seiler, directeur du SRC. Quant au Conseil fédéral, il attend le rapport de la DélCdG pour se prononcer, même si une première tête est tombée. L'ancien chef du Service d'analyse et de prévention, Urs von Däniken, a été remplacé à la tête de la réorganisation du Ministère public de la Confédération. Christoph Blocher est également dans le viseur. En tant que ministre de la Justice, il avait fermé les yeux sur ces pratiques "pas si graves", estime-t-il sur TéléBlocher. Cette affaire ne vise qu'à détourner l'attention de l'affaire libyenne, dit-il.

 À SUIVRE

 Le Conseil fédéral avance à pas de Sioux sur ce terrain miné. Et pour cause: cet automne, il présentera au Parlement son second message sur la révision de la loi sur la sûreté intérieure. Une loi qui devrait renforcer les pouvoirs du SRC en permettant notamment des écoutes préventives. La première mouture, jugée trop "fouineuse", lui avait été renvoyée par les Chambres.

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OPINION

 LA CHRONIQUE DE JACQUES PILET

 CAPHARNAÜM POLICIER

 Ce qu'il y a de bien, dans une société amnésique comme la nôtre, captivée par les spasmes de l'actualité, c'est qu'on se sent plus léger. On passe d'une affaire à l'autre sans en faire tout un plat.

 Il eût été piquant néanmoins, lorsque furent découvertes les dernières fiches folles de la Police fédérale, de mieux se souvenir du scandale précédent, celui des années 90. Il était, du moins en nombre, d'une autre ampleur: 900 000 personnes et institutions avaient été répertoriées pour le danger présumé qu'elles faisaient peser sur la sécurité de l'Etat. Toute une bureaucratie de fouineurs fut mise à jour. Elle comptait sur les contributions des Polices cantonales mais aussi sur les délations de citoyens qui, par centaines de milliers, dénonçaient d'hypothétiques subversifs.

 Quand, par la suite, furent nettoyées les écuries, les fichés purent consulter la prose policière les concernant. Ils se souviennent de tant de notations rocambolesques, des suspicions imbéciles, des noms des mouchards barrés de noir. Quelques-uns s'indignèrent, la plupart prirent le parti d'en rire.

 Ils n'imaginaient pas que tout allait recommencer. Le conseiller fédéral Arnold Koller qui succéda à Elisabeth Kopp avait pourtant tout fait pour que ces méthodes dignes des temps de la guerre froide soient bannies. Il avait même constitué une Commission consultative, composée de personnalités indépendantes de tous bords: celle-ci devait écouter les responsables de la Police fédérale, des services de renseignement et s'entretenir avec eux des objets de leur curiosité, de leurs priorités, tenter de faire le tri entre menaces réelles et fantasmatiques. Un regard extérieur, pensait Koller, serait utile pour éviter les possibles dérapages de certains fonctionnaires enfermés dans une vision étroite et obsessionnelle de leur tâche. Ruth Metzler maintint cet usage. Mais Christoph Blocher, que cet exercice horripilait, décida de dissoudre cet organe.

 Si quelqu'un ne s'en plaignit pas, c'est Urs von Daeniken, ficheur en chef de vieille date. Un personnage de roman. Petit, effacé, lunettes rondes et moustache fine, pas un mot plus haut que l'autre, cet avocat était entré à 28 ans au service de la Police fédérale dont il devint le numéro deux, puis le chef après la tourmente de 1989. L'inventaire des "extrémistes" et des trublions de tous poils était pour lui une mission jouissive. Avec son armée de collaborateurs, il eut beaucoup de travail à épier les gauchistes d'après 1968. Il s'intéressa aussi aux groupes néo-nazis. Ce qu'il semblait préférer, c'était l'observation des groupes étrangers liés à des conflits internationaux: Kurdes, Tamouls, Africains... Jamais il ne révélait ses penchants idéologiques. Il voulait être un fonctionnaire modèle. Minutieux, laborieux. Et c'est ce zèle-même qui le conduisit à répéter sans cesse ce qu'il savait et aimait faire, sûr de lui, sans états d'âme, insensible aux mises en garde parlementaires qui ne manquèrent pas au long de son parcours.

 Plus d'une fois on le crut ébranlé par les scandales, la guerre des polices, les questions gênantes, pourtant le personnage, dans sa fadeur et son obstination (deux atouts dans l'administration fédérale!), paraissait insubmersible.

 Mais les dernières révélations de la Commission de gestion lui ont été fatales. A 57 ans, sa retraite est en vue. On ne peut s'empêcher de se demander à quelle autre passion tatillonne il se vouera.

 Restent les questions clés. Ficher les gens à tort et à travers n'est pas bien, mais l'angélisme n'est pas de mise non plus. Qui contrôlera enfin cette Police fédérale? Qui veillera à son efficacité? Car la boulimie fouineuse n'en est nullement la garante. Mettre le plus d'étrangers possible dans le collimateur, c'est absurde. Prévenir les nombreux dangers nouveaux est un exercice autrement plus exigeant. Mafias internationales, manipulateurs cybernétiques, réseaux criminels... Il y a de quoi faire! Mais dans ce pays, personne ne sait au juste qui fait quoi. Confédération et cantons s'entendent mal. Les divers services fédéraux sont mal intégrés. Les polices restent souvent mal équipées face aux nouveaux truands.

 Si pour mettre de l'ordre dans ce capharnaüm, on se tourne vers le brave Ueli Maurer, ministre confus, chaotique, bourré de préjugés, alors on peut être sûr que d'autres aberrations apparaîtront un jour. A la prochaine.

 Qui contrôlera enfin cette Police fédérale? Qui veillera à son efficacité?

 Retrouvez cette chronique dans "L'air du large", le blog de Jacques Pilet, enrichie de références et d'informations complémentaires.

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24 Heures 8.7.10

Ueli Maurer veut réduire le nombre de fiches

Gumy Serge

 RENSEIGNEMENT - Le ministre de la Défenseadmet une partie des reprochesfaits par le parlement au Service de renseignement fédéral. Mais il affirme ne pas avoir attendu la nouvelle affaire des fiches pour faire le ménage.

 SERGE GUMYBERNE

 Ueli Maurer a lancé l'opération Canadair. Hier, le ministre de la Défense est sorti du bois pour tenter d'éteindre l'incendie qui menace la Berne fédérale en ce début d'été. L'étincelle qui a mis le feu? Le brûlot publié la semaine dernière par la Délégation des Commissions de gestion. Dans un rapport très critique, les six parlementaires chargés de la surveillance du Service de renseignement de la Confédération (SRC) accusent ce dernier de ne pas vérifier la qualité des informations personnelles stockées dans son système d'information relatif à la sûreté de l'Etat (ISIS).

 Sur le fond, le conseiller fédéral UDC partage une bonne partie des critiques émises dans le rapport. "J'ai été un peu surpris par la masse de données contenues dans ISIS(ndlr: 200 000 noms, dont moins de la moitié ont fait l'objet des contrôles légaux de qualité). Une telle quantité de données n'est pas gérable. " Et d'annoncer qu'à l'avenir ISIS ne devra recenser que des personnes réellement suspectes - ce qui devrait réduire sa taille.

 Malgré les couacs dénoncés, "parler d'une affaire des fiches me paraît exagéré", ajoute le Zurichois, en se lançant dans une vaste entreprise d'absolution. Il commence par s'absoudre lui-même: les problèmes dénoncés par la Délégation des Commissions de gestion avaient déjà été détectés en janvier 2009 par des inspections internes à son département. En conséquence, le contrôle de la qualité des données ISIS a été renforcé, des fiches sujettes à caution ont été effacées. La grande lessive a son prix: 2   millions de francs.

 Dans son élan de mansuétude, le conseiller fédéral passe aussi l'éponge sur l'ardoise des collaborateurs du Service de renseignement de la Confédération. "Ils travaillent bien. Comme le pouvoir politique n'est pas intervenu pendant des années, ils pouvaient légitimement se dire qu'ils faisaient correctement leur travail. " Ueli Maurer admet néanmoins qu'un changement de mentalité s'impose. "On a depuis toujours noté tous les détails de façon très minutieuse. Mais les agents faisaient ce qu'on leur disait de faire. "

 Blocher est ménagé

 Et là, le ministre de la Défense dénonce les lacunes passées dans la conduite du SRC. Suivez son regard: il mène sans doute vers Urs von Daeniken, l'ancien patron des services de renseignement intérieur. Et que dire de Christoph Blocher? La Délégation des Commissions de gestion reproche à l'ex-conseiller fédéral UDC d'avoir refusé d'engager du personnel supplémentaire pour contrôler la qualité des données d'ISIS. Ueli Maurer coupe court à la polémique: "Il faudrait remonter aux précédents chefs du Département de justice et police. Cependant, ma mission n'est pas de dénoncer les responsables, mais de résoudre les problèmes. "

 Des solutions, Ueli Maurer en esquisse quelques-unes: un fichier ISIS revu à la baisse, un droit de regard étendu des individus sur les informations les concernant. Le ministre de tutelle en appelle aussi à un vaste débat sur la mission des services de renseignement, sans se faire d'illusions: entre les défenseurs des libertés individuelles et les partisans de la sécurité, le compromis sera difficile à trouver. •

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 L'espionnage actuel vise la finance

 Avec la crise financière, "l'économie et les banques helvétiques sont devenues la cible de l'espionnage étranger", a indiqué hier Markus Seiler,chef du Service de renseignement de la Confédération (SRC), dans son rapport annuel livré hier. Certains Etats recherchent activement des informations concernant de l'argent de leurs citoyens soustrait au fisc. Les services de renseignements étrangers peuvent intercepter des communications entre les banques suisses et leurs clients, engager des informateurs au sein de ces établissements ou obtenir des données via des prestataires indépendants.

 Le terrorisme constitue par ailleurs une menace toujours actuelle. Mais la Suisse n'est toujours pas considérée comme une cible principale, selon le SRC. ATS

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La Liberté 8.7.10

Maurer blanchit ses hommes

 Affaire des fiches ● Le conseiller fédéral Ueli Maurer reconnaît les déficiences du système de fichage, mais renvoie la responsabilité aux politiciens.

 Magalie Goumaz

 Oui, le fichage est mal fichu! Oui, des mesures ont déjà été prises pour remettre sur les rails ISIS. Cette banque de données relative à la protection de l'Etat s'est emballée ces dernières années, allant jusqu'à enregistrer près de 200 000 noms, dont une bonne part d'informations erronées ou inutiles. Mais non, les têtes ne vont pas tomber.

 La faute aux politiciens

 Pour Ueli Maurer, venu s'expliquer hier dans l'après-midi, les responsables des cafouillages relevés la semaine dernière par une commission parlementaire ne sont pas à rechercher à l'intérieur de sa maison. En résumé, ce sont les politiciens qui n'ont jamais dit jusque-là que le Service d'analyse et de prévention (SAP) faisait mal son travail.

 Telle est la ligne de défense du ministre qui choisit de protéger les siens, mais aussi l'ancien ministre responsable et collègue de parti Christoph Blocher, tout en admettant le problème. De la même manière, il veut bien tenter de mettre de l'ordre dans ces fichiers - car il admet qu'il y a un "potentiel d'amélioration" - mais appelle également à un débat de fond sur ce que doit inclure la protection de l'Etat, renvoyant la balle plus loin, c'est-à-dire à la révision de la loi sur la sûreté intérieure à l'horizon 2012-2013.

 Ueli Maurer a déjà réagi

 Chez Ueli Maurer, cette posture commence à devenir un style. Avec lui, quand quelqu'un pointe du doigt la lune, il ne faut regarder ni la lune ni le doigt, mais les étoiles filantes. Le conseiller fédéral UDC a une bonne raison de rester serein: il a réagi dès son entrée en fonction, au début 2009. Le rapport de la Délégation des commissions de gestion des Chambres fédérales est venu confirmer son propre constat. D'ailleurs, un budget a déjà été débloqué pour améliorer le fonctionnement d'ISIS. Le changement prendra du temps, a néanmoins avoué Ueli Maurer, dont l'objectif premier est assez modeste: ne pas aggraver le problème.

 Hier, son département rappelait également les grandes étapes d'ISIS, de son introduction en 1994 à son renouvellement technologique complet en 2005. Manière d'indiquer les priorités de ces dernières années, auxquelles il faudrait ajouter le raccordement des cantons au système, les problèmes de coordination entre services de renseignements et les changements de ministres responsables (Koller, Metzler, Blocher, Widmer-Schlumpf et enfin Maurer).

 La patate chaude

 Ce qui ne change rien au fait que les dispositions légales n'ont pas été respectées, que la culture n'a pas changé. Le mandat du SAP, aujourd'hui Service de renseignement de la Confédération (SRC) après sa fusion avec le Service de renseignement stratégique, est d'analyser les menaces qui pèsent sur la Suisse. Parmi ces menaces, sont cités le terrorisme, le service de renseignement prohibé, l'extrémisme violent et la prolifération de certaines armes. ISIS est l'outil de prédilection du SAP. Mais l'examen régulier de la pertinence des données qu'il contient n'a pas été effectué sérieusement, ni au moment de la collecte des informations, ni cinq ans après leur enregistrement puis tous les trois ans jusqu'au délai de péremption.

 Et les politiciens s'en sont déjà préoccupés. Certes, ils ont aussi été accaparés par les péripéties citées. Mais en juin 2008, des membres du Grand Conseil bâlois apprenaient qu'ils étaient fichés et dans la foulée, la conseillère aux Etats socialiste Anita Fetz interpellait le Conseil fédéral sur la gestion d'ISIS par les organes concernés. Le 26 novembre 2008, le Conseil fédéral lui répond que "pour l'instant, aucun indice ne permet de conclure que le SAP n'aurait pas respecté les limites du traitement des données définies par la loi".

 Sur la base de la même affaire, la commission parlementaire a néanmoins ouvert une enquête. Et c'est la publication de son rapport qui a révélé au grand public cette nouvelle affaire des fiches, vingt ans après la première. Hier, ses auteurs n'ont pas voulu réagir aux déclarations et critiques d'Ueli Maurer. I

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 Les banques suisses espionnées

 Le vote antiminarets n'a pas placé la Suisse dans la ligne de mire des terroristes. Mais avec la crise financière, l'économie et les banques helvétiques sont devenues la cible de l'espionnage étranger, constate le Service de renseignement de la Confédération (SRC).

 Les services secrets d'autres pays ne se contentent plus d'observer l'opposition exilée et les organisations internationales, note le SRC dans son premier rapport sur la sécurité. La crise financière et les pertes fiscales qui en ont résulté ont incité certains Etats à rechercher activement des informations concernant de l'argent de leurs citoyens soustrait au fisc.

 D'autres pays ont recouru à l'espionnage pour empêcher la fuite de capitaux et renforcer leur place financière. Les services de renseignement étrangers peuvent intercepter des communications entre les banques suisses et leurs clients, engager des informateurs au sein de ces établissements ou obtenir des données via des prestataires indépendants. ATS

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Le Matin 8.7.10

Maurer botte en touche

 scandale des fichesLe ministre de la Défense reconnaît que des erreurs ont été commises. Mais pour la solution, il faudra repasser dans… trois ans!

Muhieddine

 "Nous travaillons à résoudre le problème des fiches, mais cela est beaucoup plus difficile que ça n'en a l'air. Il est impossible de tirer la prise. " La réponse d'Ueli Maurer paraissait hier bien légère devant les accusations avancées la semaine dernière par la Délégation des commissions de gestion (DelCdG), chargée de surveiller les services de renseignements suisses. Son rapport fustigeait la base de données ISIS, censée ficher les individus susceptibles de représenter une menace pour la Suisse.

 La délégation avait découvert un véritable capharnaüm. Les services secrets suisses ne vérifiaient plus comme la loi l'exige la pertinence des données existantes. Pire, ils n'ont effectué aucun contrôle avant le fichage de dizaines de milliers de personnes. En fait, les services secrets suisses semblaient être pris d'une furie de ficher: en quatre ans, le nombre de personnes enregistrées dans ISIS est passé de 100 000 à près de 200 000 (dont 11% de résidents suisses).

 Bref, tout laisse à croire que si les parlementaires de la DelCdG n'avaient pas arrêté cette machine qui s'emballait, cela aurait recommencé comme il y a vingt ans, avant le premier scandale des fiches.

 mérite et bonne volonté

 Du coup, une réaction claire du Conseil fédéral était attendue. Après le traumatisme du premier scandale, les têtes des responsables de cette nouvelle affaire des fiches allaient rouler et des mesures être prises sur-le-champ. Rien, ou presque de tout cela, n'a été annoncé hier par Ueli Maurer, le ministre en charge des services de renseignements.

 Il n'a pas été question de l'ancien chef des services de renseignements suisses Urs von Daeniken ou de l'ancien conseiller fédéral Christoph Blocher, tous les deux en poste alors que le fichage chaotique avait commencé. "Je ne suis pas ici pour désigner les coupables, mais pour corriger les erreurs du passé", affirmait hier Ueli Maurer.

 Soit. Le ministre de la Défense a eu le mérite de reconnaître que des fautes avaient été commises. Mais en guise de solution, il n'avait que sa bonne volonté à proposer.

 irrégularités connues

 Il a révélé que le Conseil fédéral avait déjà constaté les irrégularités grâce à deux rapports internes qu'il a demandés début 2009. Depuis, des mesures ont été prises pour diminuer la quantité des fiches et améliorer les contrôles. Pour cela, deux millions ont été débloqués: le premier pour 2010 et un autre pour 2011. Une somme qui semble bien dérisoire face à l'immensité de la tâche.

 Pas de quoi garantir qu'une troisième affaire des fiches n'éclate de nouveau. Ueli Maurer a avoué qu'il n'avait "aucun moyen d'assurer qu'ISIS ne restera pas un électron libre".

 Pour le reste, le patron de la Défense a préféré passer la patate chaude un peu plus loin… C'est désormais, selon lui, au Conseil fédéral, puis au Parlement de mener un large débat de fond sur les missions des services secrets et de déterminer qui doit être fiché et selon quels critères. Le débat n'est prévu aux chambres qu'en 2012, voire en 2013.

 S'agit-il vraiment d'un flou juridique comme le laisse sous-entendre Ueli Maurer ou est-ce simplement la loi qui n'a pas été appliquée? Car la discussion qu'Ueli Maurer entend lancer a déjà eu lieu il y a vingt ans en Suisse. Résultat: les services secrets sont censés s'occuper des dangers liés au terrorisme, aux services de renseignements prohibés, à l'extrémisme violent, au commerce illicite d'armes et de matières radioactives. Pourra-t-on être plus précis?

 Hier les membres de la DelCdG, pour la plupart en vacances, n'ont pas voulu trancher. Ils attendent la réponse officielle que le Conseil fédéral devrait leur adresser en automne. Mais pas sûr qu'Ueli Maurer ait réussi à désamorcer le dossier.

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 LA SUISSE, NOUVEL ELDORADO DES ESPIONS

 Ce n'est pas un hasard si Ueli Maurer est venu parler hier de l'affaire des fiches. Il s'est présenté aux côtés de Markus Seiler, le chef du service de renseignements de la Confédération, venu présenter pour la première fois le rapport annuel des services secrets suisses. Le patron des renseignements semblait aligner les menaces qui pèsent sur la Suisse comme autant d'arguments pour le maintien des fiches.

 En résumé, "la situation est stable". La Suisse connaît toujours trois types principaux d'extrémismes violents: les groupes d'extrême gauche, ceux d'extrême droite et les défenseurs de la cause animale. Un attentat terroriste ou une cyberattaque sont toujours envisageables, mais la votation antiminarets n'a pas aggravé la situation. La nouveauté: la crise financière a provoqué un afflux massif d'espions étrangers dans le milieu bancaire. Mais Markus Seiler a refusé de confirmer s'il s'agissait de pays voisins, comme la France ou l'Italie ou les Etats-Unis.

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Le Temps 8.7.10

La responsabilité des politiques

Denis Masmejan, Berne

 Le ministre de la Défense, Ueli Maurer, reconnaît que le service de renseignement intérieur, dont les dérapages viennent d'être dénoncés par un rapport, n'avait pas été suffisamment contrôlé. Une première série de mesures sera soumise au parlement

 "Le pouvoir politique ne s'est pas soucié de vérifier si ceux qui étaient chargés du renseignement travaillaient correctement. Comme on ne leur a rien dit, ils ont pu partir de l'idée qu'ils faisaient bien leur travail." Adhérant sans réserve aux conclusions de la délégation parlementaire de surveillance des services secrets, Ueli Maurer a reconnu une responsabilité de la hiérarchie et de l'échelon politique dans les dérapages du service de renseignement intérieur dénoncés par le rapport rendu public la semaine dernière. Le ministre UDC de la Défense s'est soigneusement abstenu de donner des noms - il aurait pu être amené à citer celui de Christoph Blocher -, mais ses propos ont visé sans ambiguïté certains de ses prédécesseurs au Conseil fédéral.

 Venu présenter, mercredi, le premier rapport annuel du Service de renseignement de la Confédération (SRC), qui regroupe désormais sous la direction du Département de la défense le renseignement intérieur, auparavant rattaché à Justice et police, et le renseignement extérieur, Ueli Maurer s'est engagé à régulariser la situation aussi vite que possible. Mais la tâche n'est pas simple et prendra un certain temps, a-t-il relevé sans plus de précisions. La masse d'informations qui doit être traitée et extraite du système est en effet considérable. Il en coûtera un million de francs pour 2010 et autant pour 2011.

 Les manquements ont été rapidement identifiés après l'intégration du renseignement intérieur au sein du Département de la défense au début de l'an dernier, a rappelé Ueli Maurer, qui s'est toutefois refusé à sanctionner les responsables. "Mon rôle est de trouver des solutions et non de faire rouler des têtes."

 Le nombre d'informations enregistrées dans le fichier de la protection de l'Etat va probablement baisser à l'avenir, a pronostiqué le conseiller fédéral. Une première série de mesures devrait être présentée au parlement cette année encore. Le droit des personnes fichées d'être informées pourrait ainsi être étendu, conformément aux recommandations formulées par la délégation parlementaire.

 Une réforme plus ambitieuse, touchant à un éventuel renforcement des moyens d'investigation à disposition du renseignement, est également prévue mais ne sera pas prête avant 2012. Elle devra faire l'objet au préalable d'une discussion approfondie, a insisté Ueli Maurer. Un premier projet qui prévoyait d'autoriser les écoutes téléphoniques à des fins de renseignement - elles ne sont possibles aujourd'hui que dans le cadre d'une enquête judiciaire - avait échoué devant le parlement en raison de l'opposition conjointe de la gauche et de l'UDC.

 S'exprimant sur l'évaluation des menaces qui pèsent sur la Suisse, le chef du SRC, Markus Seiler, a confirmé de son côté que la place financière était la cible d'opérations d'espionnage au profit de services de renseignement étrangers.

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 Urs von Daeniken, l'homme par qui le scandale est arrivé

 Après le rapport de la délégation parlementaire, les questions fusent. Comment le patron du renseignement intérieur a-t-il pu déraper sans que personne n'intervienne?

D. M.

 Après le rapport de la délégation parlementaire, les questions fusent. Comment le patron du renseignement intérieur a-t-il pu déraper sans que personne n'intervienne?

 Urs von Daeniken aura su durer, mais son talent à se maintenir en place paraît s'être, cette fois, définitivement évanoui. Pour l'ancien chef du renseignement intérieur, la chance a tourné la semaine dernière, avec la publication du rapport accablant de la délégation parlementaire chargée du contrôle des services secrets. Aujourd'hui, sa disgrâce est complète. Elle l'est d'autant plus que la longévité même du personnage au sein de l'appareil de sécurité de l'Etat est devenue tout à coup très difficile à assumer pour ses supérieurs, actuels mais aussi passés.

 Sans ce rapport, sans l'exposé public de la gestion désastreuse du Service d'analyse et de prévention (SAP) durant de longues années, la carrière d'Urs von Daeniken se serait terminée dans l'indifférence générale. A défaut de partir avec les honneurs, ce Soleurois aux faux airs de notaire de province aurait quitté la scène sur la pointe des pieds, en homme habitué à la discrétion, à près de 60 ans.

 Il avait été mis sur la touche en 2008 déjà, sans éclats, au moment du regroupement des services secrets. Le renseignement intérieur, sur lequel il régnait depuis dix-huit   ans et qui dépendait historiquement du Département de justice et police, a alors passé au Département de la défense. Son éviction s'est déroulée avec le minimum de publicité possible. Le patron du SAP restait au service du DFJP, tandis que son second, Jürg Bühler, reprenait les rênes du renseignement intérieur dans la nouvelle structure au sein de la Défense. La continuité, en somme.

 Un vernis que les événements de la semaine dernière ont fait éclater. Jürg Bühler, qui s'est montré totalement solidaire de son ancien chef devant la délégation parlementaire, est désormais lui aussi sur la sellette. Quant à Urs von Daeniken, Eveline Widmer-Schlumpf lui a promptement retiré le mandat qu'elle lui avait ­confié ce printemps, consistant à superviser l'intégration administrative des juges d'instruction fédéraux au sein du Ministère public en vue de l'entrée en vigueur, l'an prochain, de la nouvelle procédure pénale fédérale. La ministre de la Justice a fait machine arrière vendredi, dans les heures qui ont suivi un communiqué courroucé de la Commission de gestion du Conseil national manifestant sa "stupeur" à l'idée qu'une tâche aussi délicate puisse continuer à être confiée à quelqu'un qui n'avait pas dit toute la vérité à la délégation parlementaire. Des voix éparses commencent même à s'élever au parlement pour qu'Urs von Daeniken, qui dispose par ailleurs de mandats privés, ait l'élégance de quitter le service de la Confédération avant le terme de ses engagements contractuels à fin 2011.

 A cette date, il y aura trente ans exactement qu'Urs von Daeniken a intégré la police fédérale. C'est en 1981 qu'il y est entré comme juriste, avant de grimper rapidement les échelons. Il est déjà un homme du sérail quand éclate le scandale des fiches, mis au jour en novembre 1989 par la commission d'enquête parlementaire sur l'affaire Kopp. A ce moment, il est même depuis deux ans l'adjoint de Peter Huber, le chef de la police fédérale, éjecté sous la pression du scandale. Arnold Koller ne voit pas d'obstacle à confier les destinées du service à un homme fortement lié à ce passé sur lequel on se jure désormais de vouloir tirer un trait. Urs von Daeniken est confirmé en 1993 dans un poste qu'il occupe ad interim depuis 1990.

 C'est le début d'un règne dont la durée, dans une fonction par définition exposée, suscite rétrospectivement beaucoup de questions. Ni Ruth Metzler, qui a pourtant réussi à lui imposer une profonde restructuration, ni surtout Christoph Blocher, en poste au plus fort des dérapages reprochés à Urs von Daeniken, n'ont su empêcher le désastre. Pas davantage, d'ailleurs, que Jean-Luc Vez, le directeur de l'Office fédéral de la police et supérieur direct du chef du SAP.

 Parmi les recettes pouvant expliquer une telle longévité, ceux qui l'ont vu travailler citent en particulier le climat de loyauté à toute épreuve qu'il a créé autour de lui. Quand Ruth Metzler veut scinder la police fédérale en deux, la police judiciaire d'un côté, le renseignement de l'autre, Urs von Daeniken se lève au beau milieu d'une séance pour relayer l'opposition de la base. Il n'aura pas gain de cause, mais qu'importe, il aura gagné encore davantage l'estime de ses subordonnés.

 L'autre explication réside dans l'indifférence qu'en dépit du scandale des fiches les responsables politiques ont continué à vouer au renseignement. Le pouvoir politique, vient de reconnaître Ueli Maurer (lire ci-dessus), ne s'est pas soucié de savoir comment travaillait le service. Urs von Daeniken a été assez habile pour faire croire qu'il tenait la maison afin d'avoir les coudées franches. A l'extérieur, il a su donner l'image d'un homme parfaitement conscient que la Suisse et ses services de sécurité ne peuvent plus se permettre une nouvelle affaire des fiches. En 1998, alors que le peuple suisse s'apprête à se prononcer sur une initiative voulant supprimer la police "fouineuse", Urs von Daeniken assure au Temps que depuis l'affaire des fiches "tout a changé, l'approche politique, les méthodes de travail, le traitement des données, les bases légales".

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ANTIFA
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antifa.ch 7.7.10

Medienmitteilung: Antifaschistische Flugblatt-Verteilaktion in Burgdorf

Sehr geehrte Medienschaffende

Aktivistinnen und Aktivisten haben heute Abend in Burgdorf Tausende  von Flugblättern (siehe Anhang) gegen das Nazi-Lokal "Royal Aces  Tattoo-Bar" verteilt. Darin fordern wir die Bewohnerinnen und Bewohner  von Burgdorf auf, sich gegen den rechtsextremen Treffpunkt an der  Rütschelengasse 27 zu wehren.

Es ist stossend, dass Neonazis in der Emmestadt eine öffentliche Bar  betreiben können. Wir lassen nicht locker, bis der Treff Geschichte ist!

Kein m2 den Nazis - die "Royal Aces Tattoo-Bar" dichtmachen!

Mit freundlichen Grüssen

Antifa Bern, Antifa Oberland, Augenauf Bern, Bündnis Alle gegen  Rechts, DAB, RJG, Rep
ro

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Flugi

Courage zeigen!
Den Burgdorfer Neonazi-Treff dichtmachen!

Mitte Mai hat in Burgdorf die rechtsextreme "Royal Aces Tattoo- Bar" ihre Türen geöffnet und - einmal mehr - die Emmestadt in ein ungünstiges Licht gerückt. Die Bar an der Rütschelengasse 29 ist eine Premiere in der Schweiz: Noch nie verfügten Neonazis hierzulande über ein öffentliches Lokal. Dies ist stossend. Kämpfen wir gemeinsam für eine Schliessung des Treffs!

Hinschauen....

"Eine Bar für Jung und Alt": Auf der Website des Lokals geben sich die Betreiberinnen und Betreiber betont brav und unverdächtig. Doch die akten lassen keinen Zweifel offen, wer sich in den Räumlichkeiten des ehemaligen "Coffee-Shop" eingemietet hat: Inhaberin des Treffs ist laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatt Sophie Güntensperger, die Freundin des langjährigen Burgdorfer Naziskins Reto Siegenthaler, mit dem sie auch die Wohnung teilt. Der Name der Bar, "Royal Aces Tattoo-Bar", nimmt Bezug auf den Song "Royal Aces" der deutschen Rechtsrock- Band "Barking Dogs", der von "stolzen und tätowierten Rebellen" handelt und den Strassenkampf zum "Heiligen Krieg" erklärt.

Beim Umbau der Bar in diesem Frühling hat Sophie Güntenspergers rechtsextremes Umfeld kräftig Hand angelegt: So wurde unter anderem der Burgdorfer Gitarrist der Neonazi-Band "Indiziert", Alex Rohrbach, gesichtet. Die - mittlerweile nicht mehr öffentlich zugängliche - Facebook-Seite des Lokals zeigt, wer zur (potenziellen) Kundschaft des Lokals zählt: Unter den rund 280 "Freunden" findet sich das Who is Who der gegenwärtig aktiven Nazis, u.a. Denise Friederich und Michael Herrmann von der Führungsriege der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS), der Hammerskin und Präsident der...
(Rest momentan verschollen... ☺ )

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RECHTSEXTREM
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Bund 8.7.10

Kommission kritisiert Verzicht auf Hitlergruss-Verbot

 Die Schweiz könnte ein "Hort rechtsextremer Materialien" werden, befürchtet die Eidgenössische Rassismuskommission. Sie kritisiert den Entscheid des Bundesrates, der den Hitlergruss und andere rechtsextreme Symbole wie das Hakenkreuz nicht verbieten will. Heute ist der Gebrauch von Symbolen wie Hitlergruss oder Hakenkreuzen untersagt, wenn damit öffentlich für eine rassistische Ideologie geworben werden soll. Der Bundesrat beschloss Ende Juni, nichts daran zu ändern. Damit laufe die Schweiz gegen den Trend - in den Nachbarländern liefen Anstrengungen zur Verschärfung der Gesetze gegen Rechtsradikalismus, stellte die Rassismuskommission fest. (sda)

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ANTI-ATOM
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Oltner Tagblatt 8.7.10

Abbruch der Richtplananpassung gefordert

 Grüne Region Olten Partei sagt grundsätzlich Nein zu einem neuen Standort für Gösgen 2

 In ihrer Stellungnahme zur Anpassung des kantonalen Richtplans bezüglich Gösgen 2 verlangen die Grünen der Region Olten, dass der Kanton Solothurn keine Änderungen vornimmt. Sie fordern, dass auf die Festsetzung eines Standortes für ein eventuelles neues Atomkraftwerk im Niederamt ersatzlos verzichtet wird. Dies teilt die Partei in ihrer gestrigen Medienmitteilung mit. Die Grünen der Region Olten verlangen, dass der Kanton Solothurn keine Änderungen im Richtplan vornimmt und fordern, dass auf die Festsetzung eines Standortes für ein eventuelles neues Atomkraftwerk im Niederamt ersatzlos verzichtet wird.

 Die wichtigsten Ablehnungsgründe sind für die Grünen die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen sowie die spezifischen Gefahren und Risiken von Atomkraftwerken. Aber auch die Auswirkungen auf Natur und Landschaft, Bodenverbrauch, Verkehrsaufkommen sowie die Belastungen durch das Kühlsystem lassen nur einen Schluss zu: Die Region Niederamt kann für ein weiteres Atomkraftwerk nicht in Frage kommen.

 Standortnachteil für eine grosse Region

 "Ein solches Werk wäre ein massiver Standortnachteil für die ganze Region Niederamt-Olten, hält doch die Nähe eines AKW - erst Recht eines Doppel-AKW - viele potenziell gute Steuerzahlerinnen und -zahler davon ab, in die Region zu ziehen, obwohl sie den Vorteil kürzerer Arbeitswege und günstigen Wohnraumes hätten", führen die Grünen aus, "Bisher werden die scheinbaren Standortvorteile (Steuerertrag) von den Behörden und der Wirtschaftsförderung überschätzt, die Standortnachteile jedoch hartnäckig tabuisiert. Zu diesen Nachteilen gehören auch Ungerechtigkeit und Neid innerhalb der Region. Atomenergie nützt dem regionalen Gewerbe wenig, da bei dieser Technologie der Hauptanteil der Aufträge an hoch spezialisierte Unternehmen ausserhalb des Kantons und der Schweiz geht. Ganz anders bei den Alternativen zur Atomkraft, d.h. Investitionen in Energieeffizienz und in einheimische erneuerbare Energiequellen: Sie bieten der Region eine wesentlich höhere, längerfristigere Wertschöpfung und vielseitigere, dezentrale Struktur." Darüber hinaus werde beispielsweise auch der Bildungssektor gefördert: Das erforderliche Know-how werde in der Region benötigt, was etwa in Olten die Aus- und Weiterbildungsinstitutionen stärkt.

 Gefahren und Risiken berücksichtigen

 Die Grünen vermissen im Bericht des Kantons und im Formular zum Mitwirkungsverfahren die spezifischen Aspekte eines Atomkraftwerkprojekts, das heisst Strahlenschutz sowie nukleare Gefahren und Risiken. Dazu müssten sich die Behörden der Region und die Bevölkerung unbedingt auch äussern können. "Es fehlen im kantonalen Bericht jegliche Ausführungen zur Katastrophenschutzplanung", monieren die Grünen. Mit einem zusätzlichen AKW Gösgen 2 würde das Strahlengefahrenpotenzial gegenüber heute rund verdoppelt. Ein atomarer Unfall mit dem Entweichen von grossen Mengen an Radioaktivität könne auch heute nicht völlig ausgeschlossen werden. Betroffen wäre aber nicht nur die Bevölkerung im Umkreis von 10 Kilometern, sondern auch jene zwischen Freiburg und Schaffhausen, sowie zwischen dem französischen Mulhouse und Luzern. Informationen über Massnahmen des Katastrophenschutzes müssten darum einen Umkreis von mindestens 80-120 km Radius betreffen.

 Weiter würden die Grünen jeden Bezug zur Tatsache vermissen, dass Atomkraftwerke unvermeidlich Abfälle mit grossen Mengen an Radioaktivität produzieren, die über derart lange Zeiträume strahlen können und kontrolliert werden müssen, dass es jedes menschliche Vorstellungsvermögen übersteigt. Auch kurzfristig seien die Folgen beträchtlich: "Jeder Wegtransport, aber auch alle nötigen Zwischenlagerungen dieser Abfälle stellen zusätzliche Belastungen mit Gefahren und Folgekosten für die Region dar, zum Beispiel Aufwendungen für die öffentliche Sicherheit."

 Beeinträchtigung der Lebensqualität

 Bereits während eines Baus wäre die Lebensqualität massiv beeinträchtigt. Die Grünen weisen auf das zu erwartende zusätzliche Verkehrsaufkommen hin: Über die gesamte Bauzeit müsste mit 400 000 Lastwagenfahrten sowie mit dem zusätzlichen Berufspendelverkehr von bis zu 3000 Beschäftigten gerechnet werden Alle denkbaren Zu- und Wegfahrten führen durch Ortschaften bzw. Wohnquartiere. Auch der Landverbrauch wäre immens: 25 Hektaren würden dauerhaft und sogar 49 Hektaren während der Bauzeit beansprucht. Nicht nur Landwirtschaftsflächen, sondern Auenwald und Naherholungsgebiete würden geopfert. Die zusätzliche Gross-anlage hätte negative Auswirkungen auf das Mikroklima und die Grundwasserqualität. Und schliesslich würde das Kühlsystem zu einer neuen Belastung für die nähere Region. Ein weiterer hoher Kühlturm mit Dampffahne kommt wegen der Flusswassererwärmung nicht in Frage; ein etwas flacherer Hybrid-Kühlturm verschlingt jedoch unglaublich viel Energie, verursacht Dauerlärm und ist mit seinen riesigen Ventilatoren zusätzlich störungsanfällig." (mgt/otr)

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"Richtplan-anpassung fallen lassen"

 Die Allianz "Nein zu neuen AKW" hat beim Kanton Solothurn ihre Einwendungen zur Richtplananpassung für den Standort eines zweiten Kernkraftwerks im Niederamt deponiert. Ihre Hauptforderung lautet, die Richtplananpassung sei ersatzlos fallen zu lassen. Eine "vorgängige kantonale Standortentscheidung" vor einer Rahmenbewilligung des Bundes für ein neues AKW sei aufgrund des Kernenergiegesetzes ausgeschlossen. Die vom Kanton Solothurn aufgelegte Richtplananpassung sei somit ein "planungsrechtlicher Leerlauf", schreibt die Allianz "Nein zu neuen AKW". Sie wirft den Solothurner Behörden vor, den Standortentscheid voranzutreiben, sich aber zu weigern, die Diskussion um die mit der Atomkraft verbundenen Sicherheits- und Strahlenschutzfragen zu führen. Der thematische Bereich, zu welchem die Behörden Einwendungen entgegennehmen, sei "auf einige wenige, gegenüber den atomaren Gefahren eines AKWs nebensächliche Thematiken" beschränkt. Für die Allianz "Nein zu neuen AKW" steht darum fest: "Das Richtplanverfahren im Kanton Solothurn dient einzig und allein dazu, bei der Solothurner Bevölkerung ohne echte inhaltliche Diskussion sion einen positiven Bescheid zu Gösgen II abzuholen." Die Allianz kündigt an, mit einer Abstimmungskampagne gegen die Rahmenbewilligung eine Mehrheit der Bevölkerung gegen neue AKW mobilisieren zu wollen. Die Allianz "Nein zu neuen AKW" um-fasst rund 35 atomkritische Organisationen der Schweiz, darunter SP, Grüne, VCS, WWF, Greenpeace, Pro natura, Nie wieder Atomkraftwerke, Schweizerische Energie-Stiftung, Ökozentrum Langenbruck und andere. (mgt)

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Niederamt

 Im Wesentlichen der Planungskommission gefolgt

 Winznau Der Gemeinderat beriet die Richtplananpassung für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt (KKN)

 Der Gemeinderat Winznau hat die Richtplananpassungen für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt (KKN) diskutiert. Dabei wurden die Einwendungen präzisiert und komplettiert.

 Der Winznauer Gemeinderat hat sich mit der Anpassung des kantonalen Richtplans betreffend Standort für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt auseinander gesetzt. Bereits in der Vorkonsultationsphase im Frühjahr hatte sich der Rat zur beabsichtigten Richtplananpassung vernehmen lassen. Nun wurden während der offiziellen Auflagefrist die Einwendungen präzisiert und komplettiert. Der Gemeinderat folgte dabei im Wesentlichen den von der Planungskommission eingebrachten Anträgen.

 Wertvolle Auenwaldbestände

 Der Rat beantragte, dass die Uferschutzzone während der Projekt- und Betriebsphase aus dem Projektperimeter zu nehmen sei und als Vorranggebiet Natur und Landschaft nicht durch das KKN tangiert werden dürfe. In seiner Begründung wies der Rat darauf hin, dass die Alte Aare gemäss Naturinventar und Waldstandortkartierung aufgrund des Vorkommens von seltenen und sehr wertvollen Auenwaldbeständen nationale Bedeutung geniesse.

 Weiter beantragte der Rat, dass der Ausgleich von allenfalls durch das Projekt KKN verlorener Fruchtfolgeflächen, dem Verursacherprinzip folgend, in den Standortgemeinden zu erfolgen habe. Die übrigen Gemeinden des Niederamtes dürften nicht dazu herangezogenen werden, beispielsweise aus kompensatorischen Gründen allfällige Verluste von Fruchtfolge- und Bauzonenflächen regional auszugleichen.

 An ÖV anbinden

 Zudem verlangte der Gemeinderat, das KKN zwingend an das öffentliche Busnetz anzubinden, wobei die Kosten für den Bau und Betrieb von Haltestellen oder Linienerweiterungen verursachergerecht vom KKN zu übernehmen seien. Ausserdem sei das bestehende Wegnetz für den Langsamverkehr während der Bau- und Betriebsphase ohne Einschränkungen zu erhalten.

 Betreffend Kühlsystem, beziehungsweise Abwärme, verlangte der Rat das Festschreiben der sinnvollen Nutzung der beim Betrieb des KKN anfallenden Abwärme. Das diesbezügliche Konzept sei vor Baubeginn aufzuzeigen und habe ökologischen und wirtschaftlichen Kriterien zu genügen.

 Der Rat verlangte, dass die Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle im Richtplan separat und unmissverständlich auszuweisen sei. Ein geologisches Tiefenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle lehnte der Rat, mit Hinweis auf Regionen, die im Gegensatz zum Jurasüdfuss das Prädikat "gut" aufweisen, ab.

 Faire finanzielle Abgeltung

 Das geplante Kernkraftwerk Niederamt vermittelt bereits in seinem Namen die regionale Bedeutung. Die Auswirkungen durch Bau und Betrieb werden regional deutlich spürbar sein. Alle allfälligen Abgeltungen, Abgaben und Steuern müssten im Sinn eines fairen Ausgleichs regional verteilt werden. Unterschiede von über 50 Prozent bei den Steuerfüssen, wie sie derzeit aus allseits bekannten Gründen in den Gemeinden des Niederamts vorhanden seien, müssten deutlich verringert werden können. Keinesfalls dürften die Unterschiede durch das Projekt KKN und seine direkten und indirekten Auswirkungen weiter verschärft werden.

 In diesem Sinn erachtete der Rat Abgeltungen, respektive deren Regelung in der Region mittel- und längerfristig durchaus als entwicklungswirksame und damit raumrelevante Faktoren. Konkret beantragte der Gemeinderat, dass die Abgeltungen an den Strompreis anzubinden und zu 40 Prozent an die vorgesehenen drei Standortgemeinden sowie zu 60 Prozent an die übrigen Gemeinden der Zone 1 zu entrichten seien. Der diesbezügliche Schlüssel müsse zum Zeitpunkt der Genehmigung des Rahmenbewilligungsgesuches durch den Bundesrat vorliegen.

 Für die Begleitung des Planungsprozesses wünschte der Rat die Bildung einer geeigneten Organisation, die den Informationsfluss zwischen Bund, Kanton, Standortgemeinden und weiteren interessierten Gemeinden des Niederamtes sicherzustellen habe.

 In Kürze

 · Der Gemeinderat beschloss auf Antrag der Planungskommission die öffentliche Auflage des geänderten Gestaltungsplanes Brunnacker.

 · Der Rat beauftragte die Umweltschutzkommission mit dem Unterhalt der Gewässer. Die in diesem Zusammenhang anfallenden Forst- und Gärtnerarbeiten werden mit der Werkkommission koordiniert. (msw)

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Solothurner Zeitung 8.7.10

AKW-Opposition macht mobil

Gösgen II Grüne und Gegner- Allianz wollen Übungsabbruch

 Die nationale Allianz "Nein zu neuen AKW" und die Grünen Region Olten verlangen in ihren Stellungnahmen zur Anpassung des Richtplans, dass der Kanton Solothurn auf die Festsetzung eines Standortes für ein eventuelles neues Atomkraftwerk im Niederamt ersatzlos verzichten soll.

 Die Allianz "Nein zu neuen AKW" - ihr gehören unter anderen die nationalen Organisationen WWF, VCS, Greenpeace, Christlich-soziale Partei und Grüne Partei an - macht formale Einwände geltend. Grundlage für die kantonale Richtplanung bilde laut Kernenergiegesetz (KEG) das Vorliegen einer Rahmenbewilligung für ein neues AKW auf Bundesebene. "Eine vorgängige kantonale Standortentscheidung ist aufgrund der klaren Ordnung des KEG ausgeschlossen. Das gilt auch für den Kanton Solothurn. Die kantonale Richtplananpassung ist somit ein planungsrechtlicher Leerlauf."

 Die Grünen Region Olten machen primär negative regionalwirtschaftliche Auswirkungen sowie spezifische Gefahren und Risiken von Atomkraftwerken geltend. (szr)