MEDIENSPIEGEL 8.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Rössli, Tojo)
- Bleiberecht: Bilanz(en); Bootsflüchtlinge
- Narrenkraut: NZZ-Debatte; Rappaz-Hungerstreik
- Big Brother: Reformversprechen; Fichenskandal 2.0
- Antifa-Flugi-Aktion in Burgdorf
- ERK kritisiert Verzicht auf Hitlergruss-Verbot
- Anti-Atom: Gegen Gösgen 2
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REITSCHULE
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Do 08.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter
elektronische
Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ Xylophee, DJ Dunch, DJ
FRATZ, Isabelle, Mike, Nadja & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Kino - Südafrika jenseits des
WM-Taumels: Invictus -
Clint Eastwood, USA 2009
Fr 09.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Sa 10.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
21.00 Uhr - Kino - Velo Filmabend - Premiere! Flat out
CH/FR 2010
Kamera & Regie: Renaud Skyronka
22.00 Uhr - Kino - Quicksilver USA 1986, 105 Min.
So 11.07.10
11.30 Uhr - SousLePont - WM-Beiz im Hof
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
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Bund 9.7.10
Fotoroman
Feuer, Fischer und Happy End
"Ein langer Weg zum grossen Glück" heisst die
Fotoromanze
von Urslé von Mathilde und Manu Friederich, in der eine
Auftragsdiebin ein Hodler-Bild klaut, unterwegs selber bestohlen wird
und in Genua ihr Glück findet. Ein langer Weg war es auch bis zum
fertigen Fotoroman: Eines der eingesetzten Autos fing Feuer, und die
genuesischen Fischer zeigten sich wenig kooperativ. Nun ist er aber da,
der Fotoroman. Samt Happy End. (reg)
Rössli Reitschule Vernissage: 9. Juli, 20 Uhr.
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WoZ 8.7.10
Fotoroman
Die grosse Liebe
Sie waren stets das Highlight der Mädchen- und
Aufklärungshefte, die wir als Teenager verschlangen: Die
Fotolovestorys. Da trafen hübsche Girls auf heldenhafte und gut
aussehende Jungs - auf der Skipiste, auf dem Rummelplatz, auf einer
Party ... - und stets wurde auf Umwegen die grosse Liebe daraus.
Die Berner Künstlerin Urslé von Mat hilde und
der
Berner Fotograf Manu Friederich, der auch für die WOZ
fotografiert, haben nun zusammen einen Fotoroman produziert. In "Ein
langer Weg zum grossen Glück" treiben sie den genretypischen
Kitsch auf die Spitze. Witzig ist, wie sie dabei die typischen
Rollenzuteilungen übergehen und die Heldin eine Frau sein lassen:
Hüntschi ist professionelle Diebin, die im Kunstmuseum Bern das
Bild "Eiger Mönch und Jungfrau" von Ferdinand Hodler klaut: "Sie
ist schnell. Sie ist sicher. Sie wickelt ein. Sie fährt mit Stil.
Sie ist cool. Sie ist eine der Besten. Sie wurde noch nie geschnappt.
Sie hat schon manchen ruiniert."
Doch dieses Mal ist alles anders. Hüntschi fühlt
sich
zu sicher - was ein fataler Fehler ist. Und wie es sich für eine
Fotolovestory gehört, findet auch sie nach einigen Abenteuern und
auf Umwegen ihre grosse Liebe. Die Dialoge klingen dann so: "Du siehst
gut aus." - "Neben dir fühl ich mich auch so." - "Ich werde meine
Ehe im Meer versenken. Und dann mit der Sonne untergehen und im
Mondschein erwachen." süs
"Ein langer Weg zum grossen Glück" in: Bern
Rössli in
der Reitschule, Fr, 9. Juli, 20 Uhr, Vernissage.
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BZ 8.7.10
Schweizer Stücke
Heimatgefühl auf Bühne
"Westside Story", "Evita", "Les Misérables" - alles
Erfolgsmusicals, die rund um den Globus die Kassen klingeln lassen.
Auch die Thuner Seespiele haben in der Vergangenheit auf diese Hits
gesetzt. Nun brechen die Veranstalter mit dieser Tradition und bringen
das neu geschriebene Musical "Dällebach Kari" zur Aufführung.
Damit wird eine Berner Geschichte erzählt, jene vom
Coiffeurmeister Karl Tellenbach, der aufgrund seiner Hasenscharte
ausgelacht wurde und sich diesen Angriffen mit seinem trockenen Humor
widersetzte. Und es soll nicht bei einer Ausnahme bleiben: Bereits
haben die Veranstalter angekündigt, dass nächstes Jahr ein
Gotthelf-Musical uraufgeführt werden soll - wieder ein
urbernischer Stoff.
Auf den Theaterbühnen hat sich dieser Heimattrend
längst etabliert, so Andreas Kotte, Vorsteher des Instituts
für Theaterwissenschaften an der Universität Bern: "Der Ruf
nach schweizerischen Themen währt seit den 1830er-Jahren, seit den
Stadttheatergründungen, die das Bewusstsein für den
Unterschied zwischen Bühnendeutsch und Mundart schärften."
Auch bei Freilichtspielen sind Schweizer Geschichten begehrt -
Beispiele sind etwa die Tellspiele Interlaken und Altdorf.
Auch medienwirksame Musicalproduktionen wie "Ewigi Liebi"
oder
"Dällebach Kari" sind laut Kotte zu begrüssen. Nicht nur,
weil sie sich lokalen Themen widmen, sondern weil sie kritische
Folgeprojekte anregen - wie etwa "Die Dällebach-Macher" im Tojo
Theater Bern, dessen Schreiber die Produktionsbedingungen des Thuner
Musicals durchleuchteten.
stc
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BLEIBERECHT
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WoZ 8.7.10
Sans-Papiers-Camp - Positive Bilanz
"Wir werden zurückkehren"
Das Protestcamp illegalisierter Flüchtlinge und
Sans-Papiers
auf der kleinen Schanze beim Bundeshaus in Bern ging am Freitag letzter
Woche zu Ende. Wie mit der Stadt Bern vereinbart, wurde das Zeltdorf am
Freitagmorgen abgebaut. Waren zu Beginn der Protestwoche noch relativ
wenig direktbetroffene "Illegale" vor Ort - UnterstützerInnen
prägten das Bild des Camps -, so war es gegen Ende der Aktion
genau umgekehrt. Direktbetroffene diskutierten rege das weitere
Vorgehen und übernahmen auch die Küche. Statt Pasta gab es
nun Gerichte vom halben afrikanischen Kontinent.
Für die OrganisatorIn nen des Camps war es eine
erfolgreiche
Woche. "Flüchtlinge und Unterstützende aus allen Teilen der
Schweiz hatten Gelegenheit, Erfahrungen auszutauschen, sich zu
vernetzen und aus der Isolation auszutreten", heisst es in einer
Mitteilung. "Falls Bundesrätin Widmer-Schlumpf nicht sehr bald
konkrete Schritte in Richtung einer kollektiven Regularisierung
unternimmt, werden wir nach Bern zurückkehren", drohen die
Bleiberechtskollektive der Schweiz.
Während am Freitag vor einer Woche die meisten
Illegalisierten zurück in den gesellschaftlichen Schatten ihrer
Nothilfebunker zogen, blieben drei Hungerstreikende aus dem Iran auf
der kleinen Schanze zurück. Die mit einem Grossaufgebot
angerückte Polizei verhaftete sie und brachte sie ins Spital. Die
drei fordern eine Anerkennung als politische Flüchtlinge. Am
Dienstag dieser Woche beendete der 42-jährige Farhad Bazrafkan als
Letzter der Iraner seinen Hungerstreik, den er am 2. Juni begonnen
hatte.
"Wir konnten ihn davon überzeugen, dass weitere
gemeinsame
Aktionen im Rahmen der Bleiberechts bewegung mehr bringen als ein
individuell geführter Hungerstreik", sagt David Soo fali von der
Unterstützungsgruppe Soli.Flüchtlinge. Zudem bestünde
juristisch wieder Hoffnung: Im August rechne man mit einem Vorentscheid
des Bundesverwaltungsgerichts bezüglich Bazrafkans Asylgesuch.
Dinu Gautier
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BZ 8.7.10
Kleine Schanze
Rasen einen Monat gesperrt
Durch das Sans-Papiers-Camp ist die Rasenfläche auf
der
Kleinen Schanze teilweise zerstört worden. Nun wurde neu
angesät.
Der Rasen auf der Kleinen Schanze, wo letzte Woche die
Sans-Papiers campierten, ist teilweise stark beschädigt worden.
"Die Rasenpflanzen wurden durch den Bodendruck des Camps, wegen des
fehlenden Lichts und der mangelnden Sauerstoffversorgung
zerstört", sagte Stadtgärtner Christoph Schaerer. Der Rasen
sei abgestorben.
Gestern haben drei Angestellte von Swiss Green im Auftrag
der
Stadtgärtnerei den Boden gelockert, belüftet und die
abgestorbenen Gräser weggeräumt. "Nur so konnten wir die Erde
für eine neue Saat vorbereiten", sagte
Swiss-Green-Geschäftsführer Fritz Schweizer.
Abgesperrt
In dem zerstörten verdichteten Boden wäre eine
Saat
nicht möglich gewesen. Der angesäte Boden von 1700
Quadratmetern wurde gestern durch Angestellte der Stadtgärtnerei
abgesperrt und bewässert. Ohne Bewässerung in der richtigen
Menge würde der Rasen bei den gegenwärtigen hohen
Temperaturen nicht wachsen. Deshalb muss er jeden Tag mindestens
zweimal bewässert werden. Bis der Rasen wieder betreten werden
kann, dauert es vier Wochen.
Betreten verboten
Die besten Temperaturen für das optimale Wachstum von
Rasengräsern liegen zwischen 10 und 25 Grad. Die momentane grosse
Verdunstung des Wassers erschwert das Wachstum. Deshalb darf der Rasen
nicht betreten werden.
16000 Franken Schaden
Die Instandstellung des Rasens kostet 10 000 Franken.
Hinzu
kommen 6000 Franken für die Bewässerung. Die Totalkosten von
16 000 Franken werden aus dem Budget der Grünflächenpflege
der Stadtgärtnerei bezahlt, das durch Steuergelder finanziert wird.
Jürg Spori
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WoZ 8.7.10
Bootsflüchtlinge - Jährlich sterben Tausende bei der
Überfahrt von Afrika nach Europa. Nun haben sich die
Angehörigen der Opfer einer Überfahrt vom August 2009
zusammengetan.
"Fahrt doch nach Hause"
Von Angela Huemer, Frankfurt
Der 4. Juli war nicht so heiss wie die Tage zuvor.
Zumindest
nicht in Frankfurt, wo die grösste eritreische Gemeinde
Deutschlands zu Hause ist. An jenem Sonntag versammelten sich in der
Frankfurter St.-Hedwig-Kirche rund 300 EritreerInnen und einige
Deutsche. Der Anlass: Ein eritreischer Pries ter war aus Rom angereist
und hielt eine ökumenische Trauerfeier für 77 tote
Bootsflüchtlinge, die im August 2009 auf einer Irrfahrt von Libyen
nach Euro pa ums Leben gekommen waren.
Einige der Angehörigen waren anwesend. Sie sind aus
Süddeutschland, den Niederlanden und Britannien angereist. Aus
Bonn kam Geri*. Einer der toten Bootsflüchtlinge war ihr
Halbbruder. Geri lebt seit über zwanzig Jahren mit ihrer Familie
in Deutschland - und möchte wie andere Angehörige der Opfer
aus Angst vor Einschüchterungen durch die eritreische Regierung
ihren richtigen Namen nicht nennen. Sie hatte die Trauerfeier angeregt
und organisiert.
5 von 82
Geris Halbbruder war zusammen mit 81 weiteren
Flüchtlingen
am 28. Juli 2009 aus Libyen in einem einfachen Gummiboot losgefahren.
Sie kamen mehrheitlich aus Eritrea, wo viele vor der rigiden
Wehrpflicht flüchten, aber auch aus Äthiopien und Nigeria.
Nur vier junge Männer und eine Frau überlebten die Fahrt. Die
anderen verhungerten, verdursteten oder ertranken. Wann genau ihr
Halbbruder starb, weiss Geri nicht, vermutlich Mitte August. Die
Körper der 77 Toten wurden nie geborgen.
Während der über dreiwöchigen Irrfahrt
waren immer
wieder Schiffe nahe an ihrem Gummiboot vorbeigefahren - ohne Hilfe zu
leisten, wie es das internationale Seerecht vorschreibt. Erst am 21.
August wurden die fünf einzigen Überlebenden von der
italienischen Küstenwache geborgen. Zwei Tage zuvor waren sie
bereits von einem Schiff der Marine von Malta angehalten worden. Doch
die Matrosen hatten den ausgezehrten Flüchtlingen nur einige
Flaschen Wasser gegeben, sie angewiesen, "nach Hause" zu fahren, und
sie dann im Stich gelassen. Später veröffentlichte die
maltesische Marine ein Foto des Gummibootes - als Nachweis, dass die
fünf wohlauf und handlungsfähig gewesen seien.
Geri hatte in jenem Juli 2009 Eritrea besucht. Nach ihrer
Rückkehr versuchte sie, ihren Halbbruder in Libyen zu
kontaktieren. Er sei nicht da, sagte man ihr. Sie insistierte und rief
in den folgenden Tagen immer wieder an, bis sie schliesslich
hörte, dass er in einem Boot losgefahren war. Nach einigen
Mühen gelang es ihr, mit dem Schlepper zu sprechen, der ihr
wiederum versicherte, dass die Flüchtlinge "gerade wohlbehalten in
Malta angekommen" seien. Tatsächlich hatte der Schlepper kurz
zuvor einen Anruf vom Satellitentelefon erhalten, das man den
Flüchtlingen mitgegeben hatte. Allerdings war es ein Notruf: Der
Treibstoff ging zur Neige, und der Schlepper riet den
Schiffbrüchigen, Malta anzupeilen. Dann brach die Verbindung ab.
Geri kontaktierte den Flüchtlingsrat in Köln,
den
Suchdienst des Roten Kreuzes, den Malteserorden. Nichts. Weitere
Angehörige schlugen unabhängig voneinander Alarm, so auch
Esaias* aus Britannien, der seinen Bruder vermisste. Nach der Rettung
durch die italienische Küstenwache dann die Gewissheit: Geris
Halbbruder, Esaias Bruder und 75 weitere waren tot.
Mithilfe der Organisation Borderline Europe reiste Geri
nach
Sizilien und traf die Überlebenden. Die Staatsanwaltschaft in
Agrigent erhob Anklage gegen unbekannt wegen "unterlassener
Hilfeleistung". Auch Geri tritt als Zeugin auf. Ob es in diesem Fall
überhaupt zu einem Prozess kommen wird, ist bis heute unklar.
Kein Wort aus Malta und Italien
Nach dem Unglück traten die Angehörigen der
Opfer
miteinander in Kontakt. Sie sind in der ganzen Welt zerstreut, leben in
Kanada, den USA, in Australien und Europa. Gemeinsam verfassten sie ein
Protestschreiben an den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in Strassburg. Darin warfen sie Fragen auf wie: Warum
wurde das Flüchtlingsboot trotz moderner Radarsysteme und
Satellitenüberwachung nicht entdeckt und gerettet? Und sie
stellten fest: Das Leben ihrer Angehörigen hätte gerettet
werden können, wenn die Flüchtlinge als Menschen und nicht
als "illegale afrikanische Immigranten" betrachtet worden wären.
Der Europarat-Menschenrechtskommissar Thomas Hammarberg
richtete
wenige Tage nachdem der Vorfall bekannt geworden war offizielle
Anfragen an Italien und Malta. Da keine ausreichende Aufklärung
erfolgte, wiederholte er seine Anfrage im Dezember und
veröffentlichte in den Medien den Brief. Wieder ohne Ergebnis.
Seit letzten Sommer haben sich auf Geris Initiative hin
weltweit
Hunderte Angehörige der Opfer vernetzt. Sie versuchen, die
Geschichten und Schicksale der Toten und ihrer zu Hause verbliebenen
Familien zu dokumentieren und einer breiteren Öffentlichkeit
zugänglich zu machen.
In Frankfurt trafen sich nun viele Angehörige
erstmals
persönlich. Auch Stefan Schmidt reiste zur Gedenkfeier. Der
Mitbegründer von Borderline Europe und ehemalige Kapitän der
"Cap Anamur" hatte 2004 vor der Insel Lampedusa 37 Flüchtlinge aus
Seenot gerettet und war vom italienischen Staat daraufhin wegen
Schlepperei angeklagt worden. Erst letzten Oktober wurde er
freigesprochen.
Die fünf Überlebenden selbst konnten nicht an
der Feier
teilnehmen. Zur Anreise aus Italien fehlten ihnen Geld und die
nötigen Papiere.
*Name von der Redaktion geändert
http://www.borderline-europe.de
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NARRENKRAUT
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NZZ 8.7.10
Neue Richtlinien für Cannabis
Schwierige Suche nach Grenzwert
dsc. ⋅ In neuen Verordnungen regelt der Bund den Anbau von
Cannabis für medizinische und industrielle Zwecke und schafft
damit mehr Rechtssicherheit für entsprechende landwirtschaftliche
Tätigkeiten. Die Ausarbeitung der Richtlinien hat sich als
komplexer erwiesen als angenommen. Insbesondere die Festlegung eines
Grenzwerts für den Gehalt der berauschenden Substanz THC erscheint
als Knacknuss. Heute beträgt dieser 0,3 Prozent, doch Experten
empfehlen eine Erhöhung. Veränderungen zeichnen sich auch
für Joint-Konsumenten ab. Eine Parlamentskommission erarbeitet ein
Modell mit Ordnungsbussen unter hundert Franken anstelle der
strafrechtlichen Verfolgung.
Schweiz, Seite 11
Meinung & Debatte, Seite 19
--
Neue Cannabis-Debatte nötig
Der Schweiz sind Mut und Pragmatismus in der Drogenpolitik
abhandengekommen. Beim Hanf muss die Diskussion beim Jugendschutz
ansetzen.
Von Davide Scruzzi
Zugegeben, das Volk hat gesprochen, und zwar eindeutig:
Mit
über 60 Prozent Nein-Stimmen wurde im Herbst 2008 die
Hanfinitiative bachab geschickt. Sie verlangte Straffreiheit für
Cannabiskonsumenten und eine Regulierung des Verkaufs jener
berauschenden Produkte. Die Befürworter der Vorlage, neben linken
Parteien war auch die FDP darunter, sind allerdings gar zu brave
Verlierer. Sie liessen das einst heiss diskutierte Thema weitgehend aus
den Traktanden der öffentlichen Debatte fallen. Doch
gesellschaftliche Realitäten lassen sich nicht durch einen
Volksentscheid ändern, und so bleibt der staatliche Umgang mit dem
Konsum von Cannabis ein Kapitel voller Widersprüche - nicht nur,
wenn ein Rebell wie der Walliser Hanfbauer Bernard Rappaz wieder einmal
glaubt, über Gesetz und Justiz stehen zu dürfen, und in den
Hungerstreik tritt.
Gemäss Umfragen lassen sich 3,4 Prozent der
Bevölkerung
ab 15 Jahren zu den Cannabiskonsumenten zählen. Rund ein
Fünftel der Befragten hat mindestens einmal einen Joint
ausprobiert. All diese Menschen tun heute entgegen der breiten
gesellschaftlichen Wahrnehmung etwas strafrechtlich Verbotenes.
Erstaunlich häufig werden sie deswegen tatsächlich von
Ordnungshütern erwischt und verzeigt: Jährlich erfolgt das
allein aufgrund des Konsums in rund 30 000 Fällen.
Bussen und Experimente?
Die psychischen und physischen Risiken eines massiven
Cannabiskonsums sollen nicht kleingeredet werden, sie sind aber
vergleichbar mit den Auswirkungen eines übermässigen Konsums
der legalen Volksdroge Alkohol. Als Hauptübel beim Cannabis
erscheint gerade die für junge Menschen verlockende Natur der
Illegalität. Daraus resultiert dann die Funktion von Cannabis als
Einstiegsdroge, die eben in jenen Kreisen erhältlich ist, wo auch
harte Drogen im Sortiment sind.
Die Diskrepanz zwischen rechtlicher Verfolgung,
gesellschaftlichem Stellenwert und dem Gefahrenpotenzial des
Cannabiskonsums wird immerhin von einer breiten parlamentarischen
Allianz als Missstand erkannt. Abhilfe soll der Rückgriff auf
einen CVP-Vorstoss bieten, der Ordnungsbussen anstelle einer
strafrechtlichen Verfolgung des Konsums anregt - die Nachteile der
Illegalität beim Jugendschutz blieben bestehen. Die Umstellung zum
Ordnungsbussen-System würde für die Ertappten zwar den
Vorteil bringen, dass ihr Konsum nicht registriert wird. Die
Polizeikräfte könnten aber die vereinfachte Praxis zum Anlass
nehmen, die Kontrolldichte und damit die Repression faktisch zu
erhöhen. Auch städtische und kantonale Vorstösse
für eine kontrollierte Abgabe von Cannabis erscheinen noch nicht
als griffige Lösungen. Dieser jüngst wieder in Zürich
geforderte Weg müsste auf einem von verschiedenen Instanzen des
Bundes zu genehmigenden Forschungsprojekt basieren. Ein zweifellos
schwieriges Unterfangen, zumal die ähnlich eingeführte
erfolgreiche kontrollierte Heroinabgabe einer völlig anderen
sozialen und medizinischen Notlage erwuchs. Während damit die
Schweizer Drogenexperten international gesehen Neuland beschritten und
dafür dann vom Volk bei der Abstimmung über das
Betäubungsmittelgesetz 2008 auch gestützt worden sind, wurde
die Schweiz beim Hanf von Ländern wie Tschechien überholt.
Dort ist nun der Anbau von einigen Cannabispflanzen jeweils erlaubt,
und selbst der Besitz von kleinen Mengen harter Drogen ist straffrei.
Antworten auf Ängste finden
Ein Neuanfang der Debatte um eine Liberalisierung des
Cannabiskonsums muss dort ansetzen, wo diese Bestrebungen bereits im
Rahmen der parlamentarischen Beratungen zur Revision des
Betäubungsmittelgesetzes im Jahr 2004 - für viele
überraschend - gescheitert sind: an der plötzlich
weitverbreiteten Angst, dass sich gerade unter Schülern der Konsum
weiter ausbreiten würde, trotz geplanten Alterslimiten für
die Abgabe. Ohne griffige Antworten auf diese Sorgen haben wohl auch
neue Light-Versionen für eine Liberalisierung - etwa die
Straffreiheit des Konsums und Eigenanbaus durch Erwachsene ohne
aufwendige Regulierung des Handels - keine Chancen.
Weitere zielgruppengerechte und effiziente Prävention
ist
ohnehin auch hinsichtlich des jugendlichen Missbrauchs von Alkohol oder
Medikamenten vonnöten, sie muss stoffübergreifend sein und
den richtigen Umgang mit persönlichen Krisen umfassen. Wenn
Jugendliche die richtige Bahn zu einem akzeptablen Umgang mit
Suchtmitteln suchen, dürfen zudem Disziplinierung und Verbote
keine Fremdwörter sein, diese Elemente sollen aber in erster Linie
von Eltern und Schulen angewandt werden. Unklug ist es hingegen, auf
die Wirkung traditioneller staatlicher Instrumente wie das
Cannabisverbot zu setzen, deren grossflächig angelegte Effekte in
vielen Einzelfällen dann gar nicht greifen. Bei den Erwachsenen
soll indes der Staat den Mut, ja die Pflicht haben, der freien
Entscheidung des Einzelnen zu vertrauen.
--
Revision der Hürden für den Anbau von Hanf
Erhöhung des THC-Grenzwerts birgt Konfliktpotenzial -
neue
strenge Richtlinien für medizinische Nutzung
Die Legalisierung von Joints ist seit dem Nein zur
Hanfinitiative
politisch in weiter Ferne. Nun bringt der Bund Klarheit beim Anbau von
Cannabis für Medizin und Industrie. Kopfzerbrechen bereitet die
neue THC-Limite.
Davide Scruzzi
Hanf ist nicht bloss Quelle für Drogen, sondern auch
traditionsreicher Rohstoff zur Herstellung von Textilien,
Lebensmitteln, Kosmetika und Heilmitteln. Die Grenze zwischen
gewöhnlicher Nutzpflanze und illegalem Kraut beschäftigt
schon seit vielen Jahren die Justiz - und derzeit das Bundesamt
für Gesundheit (BAG). Nach dem Sommer gehen drei Verordnungen zum
revidierten Betäubungsmittelgesetz in die Anhörung, mit denen
Legalität und Illegalität besser unterschieden werden. Die
Arbeit an diesen Richtlinien hat sich als komplexer und langwieriger
erwiesen als geplant, obwohl brisante Fragen zum Drogenkonsum darin
nicht vorkommen (siehe Zusatztext). Ob sich rebellische Hanfbauern wie
Bernard Rappaz dereinst in dieses neue Korsett werden zwängen
lassen, ist fraglich (siehe Artikel unten auf dieser Seite), die bei
ihm beschlagnahmte Ware übertraf den heute gebräuchlichen
Grenzwert der berauschenden Substanz Tetrahydrocannabinol (THC)
offenbar zum Teil um bis das Hundertfache - in der Praxis wird nach
einem auf Sortenkataloge basierenden Entscheid des Bundesgerichts die
THC-Limite von 0,3 Prozent angewendet.
Von 0,3 auf 1,0 Prozent?
Oft geraten aber auch unauffälligere Landwirte in die
Mühlen der Justiz, wenn die Pflanzen zwar über dem -
gesetzlich nie festgeschriebenen - Grenzwert liegen, der THC-Gehalt
aber trotzdem zu tief erscheint, um für den Drogenkonsum attraktiv
zu sein, der oft auf Pflanzen basiert, die in geschlossenen Räumen
gewachsen sind. Im Toggenburg kam ein Bauer wegen eines THC-Gehalts von
etwa 1,5 Prozent mehrmals mit der Polizei in Konflikt, wurde aber
freigesprochen, weil er bewies, dass sein Industriehanf an eine
Körperpflege-Firma geht. Im immer noch geltenden alten
Betäubungsmittelgesetz ist nämlich der Verwendungszweck
für die Legalität zentral. Der späte Sieg des Bauern vor
Gericht konnte aber nicht verhindern, dass der beschlagnahmte Hanf
nicht mehr zu gebrauchen war.
Seit bald zwei Jahren befasst sich das BAG mit der
Festlegung
einer verbindlichen THC-Limite gemäss dem vom Volk angenommenen,
aber noch nicht in Kraft gesetzten neuen Betäubungsmittelgesetz.
Die Probleme der Justiz bei der Einteilung in legalen oder illegalen
Hanf sowie Empfehlungen von Experten der Schweizerischen Gesellschaft
für Rechtsmedizin (SGRM) weisen den Weg zu einer Erhöhung des
vom Bundesgericht etablierten Grenzwerts von 0,3 Prozent - laut Maria
Saraceni vom BAG wird der Vorschlag der SGRM weiterhin diskutiert, den
Wert auf 1 Prozent zu erhöhen. Doch verlangt das neue Gesetz, "in
der Regel" eine Angleichung an die Standards von internationalen
Institutionen - und in der EU gelte der Wert von 0,2 Prozent, so
Saraceni. Zudem ist man sich beim BAG um die "heikle politische
Signalwirkung" einer Erhöhung bewusst. Der Bundesrat wird nach der
Anhörung entscheiden, welcher Wert in die Verordnung aufgenommen
wird. Ebenfalls ab 2011 geregelt wird die Anwendung von Arzneimitteln
mit natürlichen Cannabis-Extrakten, welche die THC-Limite
überschreiten können. Für die Zulassung der Mittel soll
das ordentliche Registrierungsverfahren für Medikamente
gemäss Heilmittelrecht gelten.
Keine einfache Zulassung
Die Hürde für eine Zulassung wird jedoch hoch
sein.
Genauso wie für die medikamentöse Anwendung anderer
Betäubungsmittel muss unter anderem die Wirksamkeit belegt werden,
und es ist der Beweis eines therapeutischen Mehrwerts zu erbringen. Ein
in Kanada zugelassenes Cannabis-Medikament (Sativex) zur Behandlung von
Symptomen multipler Sklerose wird etwa derzeit in Grossbritannien und
in Spanien für die Zulassung geprüft, so das BAG. In der
Schweiz ist erst in rund 70 Fällen Patienten per
Ausnahmebewilligung die befristete Anwendung von allerdings synthetisch
hergestellten Cannabis-Substanzen erlaubt. Zu den Sicherheitsmassnahmen
der Anbauflächen für Pflanzen, die zu medizinischen
Anwendungen ergiebige THC-Potenziale haben, wird das BAG ebenfalls
Richtlinien publizieren. Bei der Bewilligungspraxis wird man sich auf
kantonale Methoden stützen können. So besteht in St. Gallen
seit Jahresbeginn eine Meldepflicht mit der schon im Voraus
geklärt wird, dass Hanf nicht zur Betäubungsmittel-Gewinnung
verwendet wird. Hanf ohne Bewilligung kann dann von den Behörden
grundsätzlich vernichtet werden.
Meinung & Debatte, Seite 19
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Bis zu hundert Franken Busse fürs Kiffen?
dsc. ⋅ Auch für die Liebhaber illegaler
Cannabis-Produkte
zeichnen sich Veränderungen ab. Noch diesen Sommer erarbeitet eine
Subkommission der nationalrätlichen Gesundheitskommission einen
Entwurf für ein Ordnungsbussen-System gegen Cannabis-Konsumenten.
Wie Jacqueline Fehr (sp., Zürich), Präsidentin der
Subkommission, erklärt, orientiere man sich stark an einem bereits
im Kanton St. Gallen erprobten Modell. Die Polizei soll vor Ort eine
Busse aussprechen können. Die Täter werden nicht registriert,
so dass eine Erhöhung der Bussgelder im Wiederholungsfall wie bei
strafrechtlichen Verfahren nicht möglich sein wird.
Minderjährige sollen nicht in den Genuss dieser
beschleunigten Praxis kommen, weil damit der Handlungsspielraum
für die Justiz eingeschränkt würde, jungen Kiffern
Beratungs- und Therapiemassnahmen anzuordnen. Die ertappten Erwachsenen
sollen künftig zwischen einer Busse und der strafrechtlichen
Verfolgung wählen können. Die Höhe der Bussen müsse
denn unterhalb der heute üblichen Bandbreite strafrechtlicher
Massnahmen liegen, also sicher nicht über hundert Franken
betragen, so Fehr. - Sven Schendekehl vom Verein "Legalize it!", der
für eine Liberalisierung des Cannabis-Konsums steht, hält ein
Bussensystem für eine "leichte Verbesserung", weil die
Erhöhung im Wiederholungsfall wegfällt. Die jetzige
strafrechtliche Praxis sei sehr unterschiedlich, reiche vom Tessin, wo
oft nur Verwarnungen ausgesprochen würden, bis zu Deutschschweizer
Gegenden, wo bei Ersttätern bis zu 200 Franken an Bussen und
Gebühren anfielen.
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Hanfbauer hungert weiterhin für einen Hafturlaub
Zustand des Wallisers Bernard Rappaz ist
"besorgniserregend" -
Solidaritätsbekundungen und politische Kontroversen
Der wegen Anbau und Handel mit Cannabis rechtskräftig
verurteilte Unterwalliser Bernard Rappaz will im Gefängnisspital
von Genf bis zur "bitteren Neige" hungern.
Luzius Theler, Sitten
Bernard Rappaz, der 57-jährige Hanfbauer aus Saxon im
Unterwallis, ist eine schillernde Figur: Den einen gilt er als
nonkonformistischer und rebellischer Vorkämpfer für die
Liberalisierung von weichen Drogen, anderen hingegen - und darunter ist
die Walliser Staatsanwaltschaft - erscheint er als einer, der Drogen im
industriellen Massstab herstellte, und als Gewohnheitsverbrecher, der
immer wieder mit dem Gesetz ihn Konflikt geriet. Er verstiess
gemäss Urteil des Walliser Kantonsgerichts mehrfach gegen das
Betäubungsmittelgesetz, indem er in grösserem Umfang Hanf mit
einem verbotenen THC-Anteil anbaute und verkaufte.
Rappaz ist dafür zu einer Gefängnisstrafe von 5
Jahren
und 8 Monaten verurteilt worden. Mit Hungerstreiks will der
Häftling nun einen weiteren Haftunterbruch erwirken, nachdem ein
Revisionsantrag zu seinem Prozess abgelehnt worden war. Im Mai dieses
Jahres durfte Rappaz für zwei Wochen nach Hause, nachdem er im
Gefängnis einen Schwächeanfall erlitten hatte. Das erneute
Gesuch um Haftunterbruch ist indes von Staatsrätin Esther
Waeber-Kalbermatten abgelehnt worden. Sie besuchte den Gefangenen
letzte Woche im Genfer Gefängnisspital und versuchte ihn - ohne
Erfolg - zur Nahrungsaufnahme zu bewegen. Kritik an der Haltung der
Regierung äussert die SP Oberwallis, der Waeber-Kalbermatten
angehört. Die Partei spricht sich für die Gewährung
eines zweiten Hafturlaubs aus. Der Staat müsse dafür sorgen,
dass ein Gefangener keinen Schaden an Leib und Leben nehme, zumal er
wiederholt seinen Lebenswillen bekundet habe. Es biete sich als Ausweg
einzig der Haftunterbruch an, da eine Zwangsernährung nicht in
Frage komme. Die bürgerlichen Parteien stellen sich auf den
Standpunkt, dass es keinen objektiven Grund für eine
Sonderbehandlung von Rappaz gebe. Bereits der erste Haftunterbruch sei
ein Fehler gewesen; der Staat dürfe sich nicht in einem
Katz-und-Maus-Spiel unter Druck setzen lassen.
Gegen die Verweigerung eines zweiten Haftunterbruchs durch
das
kantonale Justizdepartement hat der Anwalt von Rappaz einen Rekurs beim
Walliser Kantonsgericht hinterlegt. Im Umfeld von Bernard Rappaz deutet
man an, dass der Entscheid angesichts der Schwäche des
Häftlings unter Umständen zu spät komme. Der Zustand von
Rappaz wird nach rund 60 Tagen Hungerstreik als "besorgniserregend"
bezeichnet. Am Mittwoch ist der Walliser Regierung eine Bittschrift
überreicht worden, in der 900 Unterzeichner eine Verkürzung
der Haft und die Freilassung von Bernard Rappaz verlangen.
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Tagesanzeiger 8.7.10
Der unpopuläre Rebell
Der Hungerstreik des verurteilten Hanfbauern Bernard
Rappaz
lässt die meisten Walliser kalt. Ob der Staat den Häftling
wirklich sterben lässt, ist indessen ungewiss.
Von Richard Diethelm, Sitten
Marie-Rose* wuchs unweit von Saxon auf, wo der Hanfbauer
Bernard
Rappaz seinen Hof hat. "Die Leute haben von dieser Geschichte die Nase
voll. Rappaz soll seine Strafe wie jeder andere absitzen", sagt die
Unterwalliserin, die heute in Monthey wohnt. Marie-Rose gibt eine
verbreitete Stimmung unter den Landsleuten von Rappaz wieder, der sich
in der Gefängnisabteilung des Genfer Universitätsspitals zu
Tode hungern will.
"Bei uns ist die Mehrheit der Leute mit Rappaz nicht
einverstanden. Sie unterscheiden klar zwischen seinem Engagement
für den Biolandbau und seinem illegalen Anbau von Hanf für
die Haschproduktion", sagt der Gemeindepräsident von Saxon,
Léo Farquet. Seit der 57-jährige Rappaz nach einem
Haftunterbruch im Mai erneut in den Hungerstreik trat, wurde Farquet
weder von Dorfbewohnern noch von Angehörigen des zu fast sechs
Jahren Gefängnis Verurteilten (vgl. Kasten) um ein Zeichen der
Solidarität ersucht.
Petition mit 883 Unterschriften
Stattdessen unterstützen Organisationen wie
Supportrappaz.org und Cannabis sans Frontières den "politischen
Gefangenen" Bernard Rappaz und rufen zu einem "solidarischen Fasten"
auf. Die Cannabis-Freunde verfassten Standard-bittbriefe an
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf und die Walliser
Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten. Im Bundeshaus ging
letztmals im März eine Handvoll solcher Briefe ein. In Sitten
erhielt Sicherheitsdirektorin Waeber bislang einige Dutzend solcher
Briefe mit der Bitte, Rappaz wenigstens die Halbfreiheit zu
gewähren, bis das Kantonsparlament im Herbst über sein
Begnadigungsgesuch befindet.
Ruth Zwahlen, die vor 15 Jahren in Mellingen AG ein
Hanfmuseum
gegründet hatte, überreichte gestern Staatsrätin Waeber
eine Petition zugunsten des Walliser Hanfbauern. "In allen Kantonen -
ausser dem Wallis - wäre Bernard Rappaz weniger schwer verurteilt
worden", heisst es in der Petition, die 883 Besucherinnen und Besucher
der internationalen Fachmesse für Hanf Cannatrade in Basel
unterschrieben haben.
Ältere vergleichende Studien zwischen Drogenurteilen
von
Westschweizer und Deutschschweizer Gerichten zeigen zwar, dass sich die
restriktivere Haltung der Romands zu leichten Drogen oder zur
Heroinabgabe in der Rechtsprechung widerspiegeln. Der Zürcher
Strafrechtsprofessor Martin Killias warnt aber vor einem Fehlschluss im
Fall Rappaz: "Die grosse Menge (der produzierten Drogen) und der hohe
Gehalt des Wirkstoffes THC in den Hanfpflanzen waren einzigartig. Ich
bin nicht sicher, ob Rappaz in der Deutschschweiz eine geringere Strafe
erhalten hätte."
Der aus dem Val d'Anniviers stammende Soziologe Bernard
Crettaz
erklärt die fehlende Sympathie im Wallis für den Hanfbauern
mit der "negativen Haltung des Volkes zu leichten wie harten Drogen".
Im Gegensatz zum legendären Falschmünzer Farinet sei der von
der 68er-Generation geprägte Rappaz ein "Rebell der neuen Art, den
die konservativen Walliser nicht mögen".
Eine Rebellin der neuen Art ist die
Regionalsekretärin des
WWF im Unterwallis, Marie-Thérèse Sangra. Der
Umweltaktivistin missfällt, dass Rappaz mit seinen wiederholten
Hungerstreiks den Staat zu erpressen versucht. Aber sie kritisiert
gleichzeitig die Gerichte im Kanton, die unkonventionelle Leute hart
anfassten. "Die Walliser haben keine Sympathie für Leute, die aus
der von ihnen definierten Norm fallen", sagt Sangra. Hätte Rappaz
im Weinbau statt mit dem Hanfanbau etwas Illegales getan, wäre er
milder bestraft worden.
Toter Häftling - ein Trauma
Trotz der geringen Sympathie für den Hanfbauern im
Wallis
ist laut dem Soziologen Crettaz eine Kernfrage in seinem Heimatkanton
nicht ausgestanden: Darf der Staat einen Gefangenen im Hungerstreik
wirklich sterben lassen? Der ehemalige Konservator des Genfer
Volkskundemuseums beschäftigt sich seit langem intensiv mit dem
Tod. In einer Feldstudie im Genfer Untersuchungsgefängnis stellte
Crettaz fest, dass Strafverfolgungsbehörden vom Gedanken besessen
sind, was sie tun müssen, falls ein Häftling
Selbstmordabsichten hegt oder in den Hungerstreik tritt.
"Keine Behörde darf sich erlauben, jemanden bewusst
im
Gefängnis sterben zu lassen", sagt der Soziologe. Er erinnert an
den politischen Aufruhr, den der Tod eines Häftlings in der
Waadtländer Strafanstalt Bochuz im Frühjahr ausgelöst
hat. Der Mann hatte nachts in seiner Zelle im Hochsicherheitstrakt
Feuer gelegt und erstickte im Rauch, weil es 90 Minuten dauerte, bis
die unschlüssigen Aufseher das Zellengitter öffneten. "Wenn
die Staatsmacht einen solchen Tod zulässt, verstösst sie
gegen die eigene Ideologie des Strafvollzugs, wonach man jemanden
einsperrt und ihn in dieser Zeit zu einem besseren Menschen machen
will", sagt Crettaz.
Das Dilemma der SP-Staatsrätin
Er hält den Hungerstreik für das "extremste
Druckmittel" eines Häftlings. Dennoch glaubt er, Staatsrätin
Waeber müsse um ihre Wiederwahl fürchten, "wenn sie einen
Toten auf dem Gewissen hat". Gemäss ihrer eigenen Partei, der SP
Oberwallis, "darf grundsätzlich niemand in unserem Rechtsstaat in
einem Gefängnis verhungern". Die Staatsrätin selbst
fühlt sich aus der Bevölkerung in ihrer Haltung
gestützt, Rappaz keinen weiteren Haftunterbruch zu gewähren.
"Die Justiz darf nicht erpressbar weden", sagt Waeber. Im Mai
gewährte sie Rappaz einen Haftunterbruch wegen des Hungerstreiks.
Der Hanfbauer erholte sich im Nu und hielt die Regierung zum Narren.
Waeber steckte ihn am 21. Mai wieder ins Gefängnis und sagte
damals: "Wenn er unbedingt durch den Hungerstreik sterben will, werde
ich seinen Willen respektieren." Letzte Woche besuchte sie Rappaz im
Spitalgefängnis. Sie forderte ihn erneut auf, den Hungerstreik
abzubrechen.
Die Mediziner und der Jurist des Genfer
Universitätsspitals
sagten der Staatsrätin, sie würden Rappaz auf keinen Fall
gegen seinen erklärten Willen zwangsernähren. Die ehemalige
Apothekerin Waeber-Kalbermatten sucht unterdessen einen Ausweg aus
ihrem eingestandenen Dilemma. "Ich bin für lebenserhaltende
Sofortmassnahmen, falls Rappaz den Hungerstreik fortsetzt und ins
Delirium fällt. Aber ich muss erst jemanden finden, der bereit
ist, diese Massnahmen einzuleiten."
* Name der Redaktion bekannt
--
Justiz befasst sich seit 1997 mit Rappaz
Auf 30 Hektaren Hanf angebaut
Bernard Rappaz eckte im konservativen Wallis früh mit
seinem
Einsatz für Dienstverweigerer und seinen Aktionen als
Bauerngewerkschafter an. Die Walliser Justiz beschäftigt sich mit
Rappaz seit 1997, als er in grossem Stil Hanf anzubauen begann. 2001
führten über 100 Polizisten auf seinem Hof Oasis in Saxon
eine Razzia durch und stellten 50 Tonnen Hanf sicher. Der Hanfbauer
wurde zu 16 Monaten Gefängnis unbedingt verurteilt. 2002 erzwang
er nach 72 Tagen im Hungerstreik einen Haftunterbruch, sass den Rest
der Strafe aber später ab.
Im August 2008 sprach das Walliser Kantonsgericht Rappaz
in einem
neuen Verfahren wegen schwerer Verstösse gegen das
Betäubungsmittelgesetz, ungetreuer Geschäftsführung und
anderer Vergehen für schuldig. Gemäss Gericht hatte Rappaz
auf 30 Hektaren Hanf angebaut und 1,7 Tonnen Hanfharz sowie 65 Kilo
Haschisch produziert. Er habe etwa 4,2 Millionen Franken umgesetzt und
dabei 2 Millionen verdient. Das Bundesgericht bestätigte die
Haftstrafe von 5 Jahren und 8 Monaten, strich aber eine vom Staat
Wallis geforderte Ersatzabgabe von 220 000 Franken.
In einer Bittschrift an die Vereinigte Bundesversammlung
bezeichnet sich Rappaz als Opfer eines "Dämonisierungsprozesses"
der Walliser Justiz. Er streicht die Vorteile der "weichen Droge" Hanf
hervor und bestreitet den vom Gericht genannten Marktwert des
konfiszierten Hanflagers. (di)
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BIG BROTHER
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Bund 8.7.10
Der Geheimdienst kündigt baldige Reformen an
Verteidigungsminister Ueli Maurer und Geheimdienstchef
Markus
Seiler haben sich gestern erstmals zur neuen Fichenaffäre
geäussert. Beide räumten ein, dass Fehler gemacht worden
sind. "Korrekturen sind nötig. Der Nachrichtendienst muss weniger
Daten, dafür bessere sammeln", sagte Maurer. Er versicherte, die
Probleme rasch zu beheben. Den Mitarbeitern des Nachrichtendienstes
machte er keine Vorwürfe. Er sieht das Problem in den unklaren
Vorgaben.
Seiler erklärte, er habe seine Mitarbeiter
angewiesen,
Personendaten im Zweifelsfall nicht mehr zu registrieren. Er
erklärte zudem, dass man Pendenzen abbaue und die vorhandenen
Daten überprüfe. Nicht staatsschutzrelevante Daten
würden gelöscht. "Wir sind andauernd am Löschen", sagte
Seiler. Gleichzeitig deutete er aber an, dass gelöschte Daten
nicht einfach verschwinden - sondern ins Bundesarchiv wandern.
(daf/bin) - Seite 2
--
"Im Zweifel werden Daten nicht mehr registriert"
Geheimdienstchef Markus Seiler nennt den Bericht der
Geschäftsprüfungsdelegation einen "heilsamen Schock". Und
erklärt, was künftig besser werden soll.
Interview: Daniel Foppa
Herr Seiler, Sie sind seit Anfang Jahr im Amt. Vor
Amtsantritt
sagten Sie, man habe Ihnen "ausdrücklich versichert, dass in den
Diensten keine heiklen Dossiers schlummern". Hat man Sie hinters Licht
geführt?
Ich bin der Überzeugung, dass der frühere
Inlandgeheimdienst-Chef Urs von Daeniken tatsächlich der
Auffassung war, dass keine heiklen Dossiers vorhanden sind. Er ist
davon ausgegangen, dass seine Handlungen der Sicherheit des Landes
dienten.
Und hat dabei das Gesetz gebrochen, indem er nicht
staatsschutzrelevante Personen fichieren liess.
Ob das Gesetz wirklich gebrochen wurde, wie der Bericht
der
Geschäftsprüfungsdelegation sagt, muss der Bundesrat
beurteilen. Ich begrüsse diesen Bericht aber: Ein solcher Schock,
wie es der Bericht für den Nachrichtendienst darstellt, kann
heilsam sein. Das im Bericht geschilderte Problem ist uns zudem schon
länger bekannt: Man hat zu viele Daten gesammelt und zu wenig
Gewicht auf deren Auswertung gelegt.
Weshalb sagten Sie im Herbst 2009 vor den Medien, beim
Staatsschutz sei alles in Ordnung, wenn das Problem schon länger
bekannt war?
Damals war das ganze Ausmass noch nicht bekannt. Anfang
2010 kam
dann eine interne Untersuchung des Verteidigungsdepartements zum
Schluss, dass beim Nachrichtendienst zum Teil in einer Art und Weise
gearbeitet wurde, wie man es nicht tun sollte.
Am selben Anlass betonte der Chef der Fichen-Datenbank
Isis,
diese sei "keine Verdächtigendatenbank". Gestern sagte Bundesrat
Ueli Maurer, Isis sei sehr wohl eine Verdächtigendatenbank. Was
gilt nun?
Es gilt das, was der Bundesrat sagt.
Dann haben Sie falsch informiert.
Es war keine Falschaussage. Aber möglicherweise eine
Fehleinschätzung.
Welche Massnahmen haben Sie aufgrund des GPDel-Berichts
erlassen?
Ich habe angeordnet, dass nur noch staatsschutzrelevante
Personendaten registriert werden dürfen. Unsere Mitarbeiter
müssen bei der Datenerfassung genauer überprüfen, ob
diese ins Isis-System eingetragen werden. Im Zweifelsfall werden Daten
künftig nicht mehr registriert, sondern gelöscht.
Was heisst staatschutzrelevant?
Das sind Daten von Personen oder Organisationen, die eine
Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes sein könnten.
Es ist an der Politik, zu definieren, welchen Staatsschutz sie will und
damit auch, was als staatsschutzrelevant gilt.
Wer also ein Gesuch für eine Demo einreicht, die
friedlich
verläuft, wird nicht mehr registriert?
Davon gehe ich aus.
Weshalb brauchte es den GPDel-Bericht, bis Sie tätig
wurden?
Der Bericht hat bei unseren Mitarbeitern grosse
Unsicherheit
ausgelöst. Sie haben gespürt: Etwas stimmt nicht mehr.
Gleichzeitig waren sie an routinierte Abläufe gewöhnt. Mit
meiner internen Weisung wollte ich Sicherheit schaffen, damit die
Mitarbeiter wieder wissen, wie sie vorgehen müssen.
Es bleibt der Eindruck, dass Sie erst auf äusseren
Druck
reagiert haben.
Wie gesagt, kamen bereits interne Untersuchungen zum
Schluss,
dass etwas getan werden muss. Zudem erwarten wir eine neue Verordnung
des Bundesrats. Diese wird präzisieren, was genau der Staatsschutz
tun und lassen soll.
Wie stellen Sie sicher, dass Ihre Weisung eingehalten wird?
Die Zweifelsfälle werden gesammelt. Wöchentlich
sitzen
dann die zuständigen Mitarbeiter zusammen und entscheiden, was
registriert wird und was gelöscht wird. So werden die
Fähigkeiten zur Unterscheidung geschult.
Wie viel wurde bereits gelöscht?
Wir sind andauernd am Löschen. Genaue Auskunft kann
ich
nicht geben.
Wenn Personendaten gelöscht sind, sind sie dann
tatsächlich weg?
Alles, was der Nachrichtendienst macht, muss
nachvollziehbar
sein. Auch der Nachrichtendienst untersteht zum grossen Teil dem
Archivierungsgesetz.
Also: einmal fichiert, immer fichiert.
Für uns sind die Daten nicht mehr greifbar. Und
für die
Archivierung von Daten ist nicht der Nachrichtendienst, sondern das
Bundesarchiv zuständig.
--
Maurer will den Datenhunger der Staatsschützer bändigen
Bundesrat Maurer findet, der Nachrichtendienst solle
"weniger
machen". Welche Daten künftig im Computer des Staatsschutzes
landen, bleibt aber unklar.
Patrick Feuz
Der parlamentarische Bericht zum Datenhunger des
Staatsschutzes
löste letzte Woche Aufregung aus. Es roch nach Enthüllung.
Von den politisch Verantwortlichen wurde subito Remedur verlangt.
Gestern nun bemühte sich der für den Nachrichtendienst
zuständige Verteidigungsminister Ueli Maurer zu demonstrieren,
dass er Herr der Lage sei. Der Bericht der
Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments stützte sich
im Wesentlichen auf zwei Berichte der VBS-internen Aufsicht, sagte er
an einer Medienkonferenz.
Schon Ende Januar 2009 habe man erkannt, dass die grosse
Datenmenge im Staatsschutz-Computer Isis ein Problem sein könnte,
und deshalb eine Inspektion ausgelöst. Im letzten März seien
zwei Millionen Franken für zusätzliches Personal
bereitgestellt worden, um 2010 und 2011 die gesetzlich vorgeschriebene
Überprüfung der Daten abschliessen zu können. "Wir haben
also reagiert."
"Ich teile die Kritik"
Maurer redet die Befunde der
Geschäftsprüfungsdelegation nicht klein. "Ich teile die
Kritik durchaus." Als er sich von einem Mitarbeiter des
Nachrichtendienstes im Computer Einträge zeigen liess, war auch
Maurer "etwas überrascht von der Gründlichkeit". Bei der
Bewirtschaftung der Daten bestehe ein "grosses Verbesserungspotenzial".
Und was das künftige Sammeln von Daten betrifft, steht für
den Verteidigungsminister fest: "Wir müssen weniger machen. Eine
so grosse Datenmenge wie heute ist schon aus technischen Gründen
nicht zu meistern."
Den Mitarbeitern des Nachrichtendienstes macht Maurer
keine
Vorwürfe. Er sieht das Problem in den unklaren Vorgaben. Deshalb
will er jetzt rasch "präzisere" Gesetzesgrundlagen für den
Staatsschutz. In den heutigen Bestimmungen sieht er Widersprüche:
Einerseits sei Isis eine "Verdächtigen-Datenbank" - so zumindest
sehe es die Geschäftsprüfungsdelegation, und deshalb
dürften keine unverdächtigen Personen registriert sein.
Anderseits sei der Staatsschutz verpflichtet, alle Handlungen
aufzuzeichnen, was auch zu nicht staatsschutzrelevanten Einträgen
führe.
Grundsatzdiskussion gefordert
Noch dieses Jahr will Maurer mit einer Revision des
Gesetzes zur
inneren Sicherheit Klarheit schaffen. Das ist offensichtlich dringend
nötig. Denn während der VBS-Chef von einer
"Verdächtigen-Datenbank" spricht, sagte Philipp Kronig - er ist
beim Nachrichtendienst für das Informationsmanagement
zuständig - noch vor kurzem das Gegenteil.
Weiter fordert Maurer eine Grundsatzdiskussion
darüber, was
der Staatsschutz künftig überhaupt noch leisten soll. Der
Nachrichtendienst müsse präventiv ermitteln, das gehöre
zu seinem Wesen. "Doch welche Daten soll er sammeln? In welchem Umfang?
Mit welchen Mitteln?" Solange dies nicht geklärt sei, bleibe die
Arbeit des Nachrichtendienstes schwierig und gleichsam abhängig
von "Konjunkturen".
Telefone abhören?
Werde beispielsweise bekannt, dass irgendwo ein
Gemeinderatskandidat Mitglied der rechtsextremen Pnos sei, werfe man
dem Staatsschutz vor, dass er dies nicht gewusst habe. Komme es an
einer Demonstration zu gewalttätigen Ausschreitungen, klagten
einzelne Kantone, dass ihnen die Teilnehmer früherer
Gewaltanlässe nicht gemeldet worden seien. Gleichzeitig sei aber
die Auffassung verbreitet, der Staatsschutz solle nicht zu viele Daten
sammeln.
Klarheit schaffen will Maurer in den nächsten Wochen
mit
einer Aussprache im Bundesrat und später durch den Beizug externer
Fachleute - vor allem mit Blick auf einen allfälligen Ausbau der
Staatsschutz-Instrumente. Denn seit Jahren schon diskutiert die
Politik, ob es den Staatsschützern künftig erlaubt sein soll,
ohne konkreten Tatverdacht Telefone abzuhören, E-Mails zu lesen
oder Privaträume zu verwanzen.
Bedenken wegen ungenügender Kontrolle und Angst vor
Schaden
für die Privatsphäre verzögerten die Vorlage immer
wieder. Auch Maurer ist nicht Feuer und Flamme - kurz nach seinem
Amtsantritt nahm er Tempo weg. Inzwischen kündigt er an, dem
Parlament "2012 oder 2013" eine entsprechende Revision des Gesetzes zur
inneren Sicherheit zu unterbreiten. Doch gleichzeitig sagt er bereits:
"Es wird schwierig."
---
BZ 8.7.10
Staatsschutz
Ueli Maurer akzeptiert die Kritik
Bundesrat Ueli Maurer verspricht Korrekturen, verteidigt
aber die
Arbeit des Staatsschutzes. Das Gesetz sei widersprüchlich.
Dass er die Probleme beim Nachrichtendienst möglichst
rasch
beheben will, hat Bundesrat Ueli Maurer angekündigt. Um den
immensen Pendenzenberg bei der Staatsschutzdatenbank abzuarbeiten, will
er in den nächsten zwei Jahren zwei Millionen Franken einsetzen.
Er teile die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel),
wonach der Nachrichtendienst die Daten von Zehntausenden Personen
gespeichert habe, ohne zu prüfen, ob diese tatsächlich eine
Gefahr für die Sicherheit der Schweiz darstellen.
Zudem kündigte Maurer noch für das laufende Jahr
eine
grundsätzliche Aussprache um den Nachrichtendienst im Bundesrat
an. Es müsse geklärt werden, was der Nachrichtendienst
können muss. Der Verteidigungsminister spielte den Ball aber auch
an die Politik zurück. Diese hätte früher reagieren
müssen: "Der Nachrichtendienst hat jahrelang so gearbeitet, ohne
dass die Politik intervenierte. Unsere Mitarbeiter konnten davon
ausgehen, dass sie den Job richtig machen."
Im Kanton Bern sind beim Staatsschutz 12 Kantonspolizisten
im
Auftrag des Bundes und gestützt auf das Bundesgesetz über
Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) tätig. Wie
viele Personen im Kanton Bern seit dem Fichenskandal fichiert worden
sind, weiss man bei der Kantonspolizei aber nicht. In der heute
bestehenden Datensammlung sind 1800 Personen registriert.
Übrigens: Im Kanton Bern ist der Staatsschutz auch für den
Hooliganismus-Bereich zuständig.
sda/ue
Seite 3
--
Nachrichtendienst
Ueli Maurer lässt ausmisten
Bundesrat Maurer hat Stellung genommen zur Kritik am
Nachrichtendienst. Er versprach Korrekturen, verteidigte aber
gleichzeitig die Arbeit des Staatsschutzes und bezeichnete die
gesetzlichen Grundlagen als widersprüchlich.
Die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht wiegen
schwer:
Der Nachrichtendienst habe in den vergangenen Jahren im Umgang mit
Daten die Gesetze nicht eingehalten, steht im Bericht der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), der letzte Woche
veröffentlicht wurde. Er habe auf Vorrat Daten gesammelt, ohne
diese auf ihre Relevanz zu prüfen. Bundesrat Ueli Maurer wies die
Vorwürfe gestern nicht zurück: "Ich bin auch etwas
erschrocken, mit welcher Gründlichkeit da Dinge festgehalten
werden", gestand der Verteidigungsminister. Das Verbesserungspotenzial
sei gross.
Zwei Millionen Franken
Maurer versicherte denn auch, die Probleme rasch zu
beheben. Um
den immensen Pendenzenberg bei der Staatsschutzdatenbank abzuarbeiten,
will er im laufenden und im nächsten Jahr je eine Million Franken
einsetzen. Dass es Probleme gebe, habe sein Departement schon vor mehr
als einem Jahr festgestellt, als der ehemalige Inlandnachrichtendienst
ins VBS übersiedelt wurde. Schon damals habe er den Auftrag
für eine Inspektion gegeben und erste Massnahmen eingeleitet,
sagte Maurer.
Die Ergebnisse der Untersuchung hätten im Februar
2010
vorgelegen und in den GPDel-Bericht eingeflossen. "Wir sind an der
Umsetzung", sagte Maurer mit Verweis auf neue Richtlinien und
stärkere Kontrollen. Garantien wollte Maurer aber nicht abgeben.
Der Verteidigungsminister spielte den Ball aber auch an
die
Politik zurück. Diese hätte früher reagieren
müssen. "Der Nachrichtendienst hat jahrelang so gearbeitet, ohne
dass die Politik intervenierte", sagte Maurer. Weiter bezeichnete
Maurer die gesetzlichen Grundlagen als widersprüchlich. So
schreibe das Gesetz vor, zur Beobachtung "alles" zu sammeln.
Gleichzeitig solle nur Staatsschutzrelevantes eingetragen werden.
Maurer kündigte noch für das laufende Jahr eine Aussprache
dazu im Bundesrat an. Der Entwurf für ein neues Gesetz soll in
zwei bis drei Jahren vorliegen. Im Zentrum der Gesetzesrevision steht
dabei die Frage, ob der Nachrichtendienst mehr Spielraum für
präventive Überwachung erhält.
Wie der gestern vorgestellte Bericht des
Nachrichtendienstes NDB
zeigt, gerieten die Schweizer Banken ins Visier ausländischer
Nachrichtendienste. Nach wie vor wird der Terrorismus als "eine der
aktuellsten Bedrohungen" eingestuft.
sda/gr
--
So fichiert die Berner Kantonspolizei
Zwölf Berner Kantonspolizisten sind im Auftrag des
Bundes
für Staatsschutz und Fichierung im Kanton Bern verantwortlich.
Die latente Angst, von dubiosen Gestalten beschattet zu
werden,
die im Auftrag des Bundes Fichen erstellen, ist gemäss Markus
Gisin, Chef Spezialfahndung 4 (inklusive Staatsschutz) der
Kantonspolizei Bern, unbegründet: "Im Fachbereich Staatsschutz
sind zwölf erfahrene Kantonspolizisten im Auftrag des Bundes und
gestützt auf das Bundesgesetz über Massnahmen zur Wahrung der
inneren Sicherheit (BWIS) tätig. Nebst dieser Tätigkeit ist
der Staatsschutz bei der Kantonspolizei Bern auch für den
Hooliganismusbereich zuständig." Diese Stellen würden
mehrheitlich vom Bund finanziert. Ab 1. September wird der Fachbereich
Staatsschutz durch zwei Polizisten ergänzt, welche
hauptsächlich den Hooliganismusbereich verstärken werden.
Wer wird registriert?
Zum Vorwurf des Basler Ständerats und
Präsidenten der
Geschäftsprüfungsdelegation des Parlamentes, Claude Janiak,
wonach viele kantonale Staatsschutzorgane über zusätzliche
eigene Datensammlungen verfügten, kann Gisin sich nicht
äussern. Auf die Frage, ob die Berner Staatsschützer andere
Daten erheben als die Staatsschützer des Bundes, erklärt
Gisin: "Im Rahmen des Staatsschutzes werden alle Daten gestützt
auf das BWIS im Auftrag des Bundes erhoben." Dabei sei klar geregelt,
welche Daten die Staatsschützer erheben müssten. Die
BWIS-Tätigkeitsfelder sind Terrorismus, verbotener
Nachrichtendienst, gewalttätiger Extremismus, rechtswidriger
Handel mit Waffen, radioaktiven Materialien und sensibler Technologie.
Personen werden stets in Verbindung mit einem Ereignis registriert.
Etwa dann, wenn sie an einem extremistischen Treffen teilnehmen.
Wie viele Personen im Kanton Bern seit dem Fichenskandal
vor
zwanzig Jahren fichiert worden sind, kann Gisin nicht sagen. Es sei nur
eine Auskunft über die bestehende Datensammlung möglich. Die
Mehrheit der 1800 Personendaten stamme jedoch aus der Zeit der Berner
Stadtpolizei. "Diese Zahlen wurden unsererseits proaktiv gegenüber
dem Datenschutzbeauftragten offengelegt", ergänzt Gisin. Diese
Aussage erstaunt. Der Berner Datenschützer Markus Siegenthaler
hatte in der "SonntagsZeitung" nämlich gesagt, er gehe davon aus,
dass deutlich mehr Personen erfasst worden seien als die offiziell
deklarierten 1800.
Konsequenzen für Fichierte
Welche Auswirkungen haben die vom Staatsschutz erhobenen
Daten
für die Fichierten? Müssen sie private oder berufliche
Konsequenzen befürchten? Dies sei fallabhängig, erklärt
Gisin. Ein Beispiel aber: Beantragt eine zur Gewalttätigkeit
neigende Person aus extremistischen Kreisen einen Waffenerwerbsschein,
könnte der Staatsschutzes die Empfehlung abgeben, den
Erwerbsschein nicht zu erteilen.
Übrigens: Die administrative Aufsicht über den
Staatsschutz obliegt der kantonalen Polizeidirektion, die materielle
Aufsicht ist Bundessache. Jeder Person steht ein - allerdings stark
eingeschränktes - Auskunftsrecht zu.
Urs Egli
--
Kommentar
Schnüffler kontrollieren
Gregor Poletti
Bundesrat Ueli Maurer ist zugutezuhalten, dass er die
Brisanz der
Fichierungen verdächtiger Personen früh erkannte. Als der
Inlandnachrichtendienst mit dem Auslandnachrichtendienst in seinem
Departement zusammengeführt wurde, liess er ersteren sofort
durchleuchten. Dabei kam ans Tageslicht, dass die Staatsschützer
erneut überbordet hatten. Tatsächlich ist es peinlich, dass
Daten von Toten jahrelang noch liegen bleiben und Leute fichiert
wurden, nur weil sie sich in Ausländerfragen engagierten.
Im Gegensatz zu den zuvor verantwortlichen Eveline
Widmer-Schlumpf oder Christoph Blocher liess er die Zügel nicht
schleifen, sondern hat untersucht und, noch bevor die
Geschäftsprüfungsdelegation ihren Bericht vorgelegt hat,
reagiert.
Doch auch mit der angekündigten strikteren Linie bei
der
Erfassung verdächtiger Personen und dem rigorosen Ausmisten der
Datenbank darf man sich einer Illusion nicht hingeben: dass
künftig nur noch die potenziell ganz gefährlichen
Zeitgenossen erfasst werden. Denn es ist ureigenste Aufgabe des
Staatsschutzes, die Fühler in einer gewissen Breite auszustrecken.
Nur so ist es möglich, präventiv Terroristen oder
Wirtschaftsspione auszumachen.
Um künftig erneute Auswüchse zu verhindern,
bedarf es
einer institutionalisierten, regelmässigen Überprüfung
des Nachrichtendienstes. Nicht nur um den Übereifer im Zaum zu
halten. Sondern vielleicht noch wichtiger: um mit einem Monitoring zu
dokumentieren, ob es den Staatsschützern auch wirklich gelingt,
gefährliche Tendenzen zu erfassen und adäquat zu reagieren.
gregor.poletti@bernerzeitung.ch
---
Woz 8.7.10
Fichenskandal 2.0 - Schon wieder hat eine
Qualitätskontrolle
versagt. Die neue Staatsschutzaffäre zeigt beispielhaft: Es
ändert sich nichts, wenn nur die Aufsicht verbessert wird.
Irrer Erfassungseifer
Von Kaspar Surber (Text) und Luca Schenardi (Illustration)
Müsste man für ein Land einen Staatsschutz erfinden,
man
könnte den Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation
(GPDel) nicht übertreffen. Beschrieben wird nämlich ein
Staatsschutz, der sich selbst erfindet: der Dienst für Analyse und
Prävention DAP mit seinem Chefschnauz Urs von Daeniken und seiner
Datenbank ISIS-NT. Bei der Einführung im Jahr 2005 wurden darin 76
000 Personen gespeichert. 2010 sind es bereits 200 000 Personen, die
die Schweiz gefährden (mit angeblich gewalttätigem
Extremismus, verbotenem Technologietransfer und so weiter).
Die Zahl der Daten ist zum einen gestiegen, weil sie nach den
mechanischen Kriterien eines 556 Seiten starken Handbuchs eingegeben
werden: Drittperso nen beispielsweise rücken bei mehr als zwei
Meldungen automatisch in den inneren Kreis der staatsgefährdenden
Objekte vor. Die Zahl ist zum andern nicht gesunken, weil bis 2008 auf
die vorgeschriebenen Überprüfungen verzichtet wurde: Unter
Christoph Blocher als Justizminister wurde das Personal, das für
die Qualitätssicherung zuständig gewesen wäre, ebenfalls
für die Datenerfassung eingespannt. In einer bewussten
Irreführung wurde später bei allen Einträgen eine
Überprüfung am 31. Dezember 2004 vermerkt.
"Sobald wir mehr Leute haben, wird auch mehr produziert", sagt
ein
DAP-Mitarbeiter im GPDel-Bericht. Die StaatsschützerInnen sehen in
der Datenbank kein Verdachtsregister. Ihr Zweck sei es vielmehr, "einen
Nachweis für die Staatsschutztätigkeit zu liefern". Es wird
also nicht überwacht, weil es einen Staatsschutz gibt. Es wird
überwacht, damit es ihn gibt. Er ist der Grund und er schafft den
Verdacht.
Unheimliche Kontinuität
In der Zentrale in Bern beschäftigt der Staatsschutz
insgesamt 120
Mitarbeiter Innen, weiter verfügt er über kantonale Ableger
mit 84 Vollzeitstellen. Im Bericht dokumentiert sind Basel, Bern und
Genf, jeden zweiten Tag trifft in diesen Städten von der Zentrale
eine Anfrage zur Überprüfung ein. Bern und Genf unterhalten
zusätzlich eigene Datenbanken.
Der unglaublichste Fall, auf den die GPDel bei ihrer
Untersuchung
stiess, ist jener der Basler Flüchtlingshelferin Anni Lanz. Sie
wird mehrmals an den DAP gemeldet - unter anderem mit persönlichen
Mutmassungen, wonach sie eine lockere Ehe führe. Lanz,
Ehrendoktorin an der Uni Basel, wird als "gewaltorientierte
Aktivistin" einer "Kategorie B" zugeordnet. Damit erhält sie auto
matisch den Zusatzeintrag "Verdacht Schwarzer Block".
Und es gibt eine unheimliche Kontinuität in der
Beobachtungsweise
des Staatsschutzes: Sie ist als genuin fremdenfeindlich zu bezeichnen.
Schon in den papierenen Fichen waren zu mehr als zwei Drittel
AusländerInnen erfasst. In der heutigen Datenbank sind es
fünfundneunzig Prozent. Die Kontinuität lässt sich am
Beispiel der fotografischen Erfassung von Reisepässen an der
Grenze zeigen: Diese wurde 1968 bei der Befragung von Ostreisenden zur
Spionageabwehr begründet. Heute wird das Fotopassprogramm für
eine vom Bundesrat definierte Auswahl "bestimmter Staaten" fortgesetzt.
"Es kann mit guten Gründen davon ausgegangen werden, dass
ein
Vielfaches der Fälle, die untersucht wurden, noch aus ISIS
gelöscht werden müssen, da ihre Informationen gar nie
ausreichend relevant waren oder zu lange gespeichert", schreibt die
GPDel. Kurz: Der Grossteil der erfassten Daten ist irrelevant. Die
GPDel schildert einen vom irren Erfassungseifer getriebenen, in den
Kantonen offenbar verdoppelten Staatsschutz, der sich nicht um die
Qualität und die Kontrolle seiner Daten kümmert. Dabei war
dies das grosse Versprechen eines "reformierten Staatsschutzes", als in
den Jahren 1989/1990 der Fichenskandal bekannt wurde.
Leeres Versprechen
In einer Rede auf seinen Schriftstellerkollegen Václav
Havel
bezeichnete Friedrich Dürrenmatt im November 1990 die Schweiz als
Gefängnis. Abgeschottet von der Welt, werde die Illusion der
Freiheit aufrechterhalten, indem die Bewohner Wärter und Gefangene
zugleich seien. In der Rede heisst es: "Weil auch die Wärter
Gefangene sind, kann unter ihnen der Verdacht aufkommen, sie seien
Gefangene und nicht Wärter oder gar frei, weshalb die
Gefängnisverwaltung Akten von jedem anlegen liess, von dem sie
vermutete, er fühle sich gefangen und nicht frei." (...) "Aber da
das Aktengebirge so gewaltig ist, kam die Gefängnisverwaltung zum
Entschluss, dass es sich selber angelegt hat. Wo alle verantwortlich
sind, ist niemand verantwortlich. Die Furcht, im Gefängnis nicht
sicher zu sein, hat das Aktengebirge hervorgebracht."
Die Geschichte wiederholt sich nie gleich, nur ähnlich. An
die
Stelle der militärischen Ordnung der Wärter und ihrer
Bewachung, die 1989 zusammenbrach, ist heute eine andere getreten. Aber
welche? Augenfällig in der im Übrigen ertragreichen
Untersuchung der GPDel ist die Sehnsuchtsmetapher von der "besseren
Kontrolle". Gravierend erscheint weniger, dass der Staatsschutz falsche
Daten gesammelt hat. Sondern dass sie nicht nachträglich
überprüft und gelöscht wurden. Dementsprechend zielen
die Empfehlungen der parlamentarischen Oberaufsicht, die sich selbst an
einer Stelle als "Kontrolle der Kontrolleure" bezeichnet, auf die
Aufsicht: Allfällig betroffene Bürger Innen erhalten nicht
etwa Einsicht in die Daten, stattdessen sollen alle Einträge, die
vor fünf Jahren erstellt worden sind, gesperrt und von einem
Datenschutzbeauftragten geprüft werden.
Die Regeln ändern
Es lassen sich durchaus Parallelen zwischen der Demokratiekrise
durch
den Staatsschutz zur Demokratiekrise wegen des Finanzplatzes ziehen:
Auch dort hat mit der Finma eine Institution versagt, die die Aufsicht
schon im Namen trägt. Auch dort drehen sich die Diskussionen nur
um eine Verbesserung der Kontrolle, beispielsweise der Eigenmittel. Der
systembedingte Eifer der Staatsschützer, die systembedingte Gier
der Banker ...
Die Wiederholung des Fichenskandals ist Warnung genug. Nicht die
Aufsicht, sondern die Regeln müssen geändert werden: Das
heisst Einsicht für die Betroffenen und die Abschaffung des
Staatsschutzes. Stattdessen strafrechtliche Verfahren, wenn
tatsächlich ein begründeter Anfangsverdacht besteht.
An die Stelle der Ordnung der Wärter und ihrer
gegenseitigen
Bewachung ist eine der Kontrolleure und ihrer wechselseitigen
Evaluation getreten. Der Veränderungswille beschränkt sich
gegenwärtig auf die Verbesserung der Kontrolle.
Es ist wie bei der Fussball-WM: Dort wird auch zuerst über
die
Schiedsrichter diskutiert.
--
Fichenskandal 2.0
Die Folgen der Fichierung - Bekannt ist erst, wie der
Staatsschutz Daten erfasst. Nicht aber, wie er sie beschafft und
auswertet - und welche fatalen Auswirkungen das auf die Betroffenen
hat, etwa bei Einbürgerungen.
Der Kreislauf des Mülls
Von Dinu Gautier
Warnung: Dieser Artikel wurde von einem Autor verfasst,
der laut
Inlandgeheimdienst die innere Sicherheit der Schweiz bedrohen
könnte (vgl. Text unten). Weiterlesen auf eigene Gefahr!
Eine Informatikerweisheit besagt: Speist man in ein System
Müll ein, dann kommt hinten auch wieder Müll raus. Der letzte
Woche veröffentlichte Untersuchungsbericht erbringt den Nachweis,
dass der Inlandgeheimdienst DAP wissentlich Unmengen Müll in
seiner Fichierungsdatenbank abgelegt hat. Die
Geschäftsprüfungsdelegation GPDel hat aber (noch) nicht
untersucht, mit welchen Methoden die kantonalen
StaatsschützerInnen den Müll erzeugen, das heisst, wie sie
ihre Informatio nen vor Ort beschaffen, wie der Müll beschaffen
ist und was geschieht, wenn sich StaatsschutzanalystInnen aus dem
Müllhaufen bedienen.
Der Bericht der GPDel zeichnet ein vernichtendes Bild des
Inlandgeheimdienstes, wenn es um die Erfassung und die über Jahre
nicht erfolgte Qualitätsüberprüfung von Daten in der
Staatsschutzdatenbank ISIS geht. Gesetzliche Schranken haben den
ehemaligen Inlandgeheimdienst DAP (heute ein Teil des neuen NDB, vgl.
Kasten) nicht im Geringsten interessiert. Kontrollinstan zen wurden
bewusst getäuscht; absurde technische Richtlinien führten zur
automatisierten Fichierung von Abertausenden Personen und
Organisationen, die bereits oberflächlich betrachtet nicht von
staatsschützerischem Interesse sein können. Der Staatsschutz
wird so zum Selbstzweck (vgl. Artikel Seite 1).
Zu vielem fähig
Operativ tätig sind vor allem
StaatsschützerInnen aus
den Kantonen. Sie beobachten Demonstrationen, versu chen InformantInnen
zu rekrutieren, beschaffen sich "Szenekenntnis", schreiben Meldungen
und Berichte, die einerseits in separaten kantonalen Datenbanken
gespeichert werden, andererseits an den Inlandgeheimdienst in Bern
geliefert werden. Pflegen diese AgentInnen in den Kantonen auch nur
annähernd ein ähnliches Rechtsverständnis wie jenes der
ChefInnen in der Zentrale, dann sind sie zu vielem fähig. Sie
befinden sich in einer kontrollfreien Festung, in die kein
Datenschützer eindringen darf und um die sich keine Aufsicht
kümmern kann. Geht es nach dem Bundesamt für Justiz, so ist
für die Aufsicht in den Kantonen nämlich ebenfalls die mit
ihren Bundesaufgaben überlas tete GPDel zuständig.
Jürg Bühler, der ehemalige stellvertretende
DAP-Chef
und heutige Vize direktor des NDB, sagte der GPDel, dass die
Bearbeitung von nicht relevanten und falschen Daten noch keine "schwere
Persönlichkeitsverletzung" darstelle, vor allem solange die
Information intern sei und nicht gegen die Person verwendet werde. In
dieser Logik gibt es für Staatsschützer auch bei der
Beschaffung keinerlei Schranken mehr. Es ist, als ob man einem
notorischen Spanner sagen würde, er dürfe das Geschehen in
fremden Schlafzimmern filmen, sofern er die Videos dann nicht ins
Internet stelle.
Im Fall der Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz, der
im
GPDel- Bericht vertieft beschrieben wird, hat der kantonale
Staatsschutz Basel-Stadt herausgefunden, dass sie "eine äusserst
lockere Ehe führe". Hier fragt sich: Wie gelangen die kantonalen
Agenten zu solchen Informationen? Befragen sie Nachbarn, Freundinnen?
Gucken sie durchs Schlüsselloch? Hören sie Tele fonate ab?
"Du willst doch keine Probleme …"
Operative StaatsschützerInnen gibt es auch auf
Bundesebene.
Hinter vorgehaltener Hand sprechen ihre Kolleg Innen aus der
Auslandsabteilung (früher SND) von deren haarsträubendem
Dilettantismus. Das heisst aber nicht, dass sie für Betroffene
nicht zur Bedrohung werden können: Die WOZ weiss, dass Schweizer
StaatsschutzagentInnen nicht vor Drohungen zurückschrecken: "Du
willst doch keine Probleme am Arbeitsplatz bekommen", "Dir ist doch
dein Studium wichtig", "Entweder du arbeitest mit uns, oder wir
bürgern dich nicht ein" und so weiter. Es gibt Fälle von
jungen AusländerInnen, die seit Jahren nicht eingebürgert
werden, weil sie sich weigern, zu Spitzeln zu werden.
Die Informationen, die von der Beschaffung zum
Inlandgeheimdienst
wanderten und dort praktisch ungefiltert in der Datenbank ISIS
landeten, bleiben nicht einfach dort liegen. Die Datenbank ist ein
wichtiges Instrument für die sogenannte "eigentliche
Staatsschutztätigkeit". Geheimdienstler Innen, die nichts mit der
Beschaffung und der Fichierung zu tun haben, beziehen daraus
Informationen für Analysen und Synthesen zu Ereignissen,
Organisationen und Personen. Sie scheinen der Datenbank blind zu
vertrauen: "Soweit der GPDel bekannt, scheint niemand die groben
Fehlleistungen der Voranalyse (...) beanstandet zu haben." Unklar ist,
in welchem System die Analyseberichte abgelegt werden. Im ISIS landen
sie laut GPDel nicht.
Über die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz wurde in
den
letzten Jahren zwar eine Fiche geführt, für nüchterne
BetrachterInnen kann sie aber offensichtlich keine Gefahr für die
innere Sicherheit darstellen. Deswegen (und weil sie ein
Einsichtsgesuch gestellt hat) ist ihre Fiche inzwischen auch
gelöscht worden. Was ist aber mit Personen, bei denen rein anhand
der Fiche nicht auf den ersten Blick ersichtlich ist, dass sie
ungefährlich sind? Der eidgenössische Datenschutzbeauftragte
Hanspeter Thür im Jahr 2005 zur GPDel: "In der Regel ist es
unmöglich, den Wahrheitsgehalt der Einträge ohne
zusätzliche Angaben der gesuchstellenden Person zu kontrollieren.
Diese können aber nicht zu den in ISIS gespeicherten Sachverhalten
konsultiert werden."
Die grosse Mehrheit der Stichproben, mit der sich die
GPDel
befasst hat, betreffen 450 Fichen, die der DAP selbst zwischen Oktober
2008 und Dezember 2009 gelöscht hat. In einer Mail von Jürg
Bühler an eine Stelle im Justizdepartement hatte es zuvor
geheissen: "Ich wäre froh, wenn wir der GPDel ein paar Resultate
liefern könnten."
Frösch: "Direkte Einsicht!"
Mit anderen Worten: Jene Fichen, die der DAP behalten
wollte,
wurden (noch) nicht näher angeschaut. GPDel-Mitglied Therese
Frösch sagt zur WOZ: "Das volle Ausmass des heutigen
Fichenskandals kann erst beurteilt werden, wenn aussenstehende
Datenschützer sich der 200 000 Fichen annehmen und die Betroffenen
direktes Einsichtsrecht erhalten."
Sollte es ein Einheitsrecht geben, dann wird uns der
Fichenskandal 2.0 noch lange beschäftigen. Wenn aber zur
Beruhigung der Öffentlichkeit zahlreiche Fichen einfach
gelöscht werden, werden Missstände bei Beschaffung und
Analyse nie bekannt. Die Maschine Staatsschutz wird weiterlaufen:
Müll beschaffen, Müll speichern, Müll analysieren,
aufgrund der Müllanalyse die Beschaffung weiteren Mülls
beantragen, Müll beschaffen …
--
Gewalt von der Härte einer Sahnetorte
Im Sommer 2008 nutzte der Eidgenössische
Datenschutzbeauftragte erstmals eine Ausnahmeklausel des Bundesgesetzes
über Massnahmen zur Wahrung der Inneren Sicherheit. Er erteilte
einigen wenigen Personen Auskunft über den Inhalt ihrer Fichen.
Unter ihnen war auch Dinu Gautier, seit Anfang 2008 Redaktor der WOZ.
Die Auskunft enthielt nur die Überschriften der Einträge.
Dennoch zeigt sie klar und deutlich: Die Staatsschutzdaten sind eine
verfälschte Version der Wirklichkeit - verfälscht durch die
Brille einer Behörde, die ohne die ständige Warnung vor
Staatsfeinden nicht auskommt. Um ihre eigene Existenz zu rechtfertigen,
muss sie die lästigen Mücken des politischen und sozialen
Protests zu einer wild gewordenen Elefantenhorde des
"gewalttätigen Extremismus" aufblasen. Diese Daten rufen nach
einer Gegendarstellung. Hier ist sie:
≥ 1. September 2003: Zwei Wochen vor dem WTO-Gipfel in
Cancun
"besetzt" ein gutes Dutzend Leute - darunter Gautier - ein
Büro des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco) in Bern.
Sie hängen ein Transparent "Fairtrade statt WTO" aus dem Fenster
und verlangen eine Diskussion. Das Seco schreibt in seiner
Medienmitteilung von einem "Besuch von Globalisierungskritikern", der
zu einem "Dialog über Globalisierung und WTO" geführt habe.
Anzeigen erstattet das Seco keine. Die draussen wartende Polizei nimmt
jedoch die Personalien der BesucherInnen auf und reicht sie an den
Staatsschutz weiter. Kein Schloss wurde aufgebrochen, kein Mobiliar
beschädigt, niemand bedroht. "Gewalttätiger Linksextremismus"?
≥ 24. Januar 2004: Auf dem Bahnhof Landquart räumt
die
Polizei mit massiver Gewalt einen Zug. Tausend Leute, die von einer
friedlichen Anti-Wef-Demo in Chur zurückkehren, werden
zusammengetrieben und in einer stundenlangen Prozedur registriert. Die
Bündner Kantonspolizei gibt die Daten an den Inlandsgeheimdienst.
Gautiers Daten landen erneut im Staatsschutzcomputer und werden nicht
wieder gelöscht, weil er dort bereits fichiert ist.
≥ 3. Mai 2004: Gewalt von der Härte einer Sahnetorte.
Bundesrat Hans-Rudolf Merz wirbt in Gümligen für die
steuerliche Entlastung von Unternehmen. Gautiers Tortenwurf verfehlt
sein Ziel. Merz nimmts sportlich und erstattet keine Anzeige: "Ich bin
halt noch fit und konnte mich ducken", erzählt er vier Jahre
später, kurz vor seinem Kollaps, in einem Interview. Die
Bundesanwaltschaft ermittelt wegen "Gewalt und Drohung gegen Beamte"
gegen den damals 20-jährigen Gautier. 600 Franken Busse.
≥ 6. Oktober 2007: "Ausschreitungen in Bern
anlässlich einer
unbewilligten Gegenveranstaltung" heisst es in der Fiche. Gautier ist
aber nicht an der Nydeggbrücke, wo der SVP-"Marsch auf Bern"
blockiert wird, sondern bei der nicht bewilligten, aber tolerierten
friedlichen Kundgebung auf dem Münsterplatz, wo er als
Kontaktperson zur Polizei Ausschreitungen verhindert. Für diese
Rolle wird er später mit 300 Franken gebüsst.
≥ 26. Oktober 2007: Zwei Dutzend Personen klettern
über den
Zaun der Residenz des schwedischen Botschafters in Bern, um im
ausländerfreundlichsten Land Europas einen Asylantrag zu stellen -
ein Protest gegen die rassistische Stimmung im schweizerischen
Wahlkampf. Der Botschafter mag zwar kein Asyl gewähren, lädt
die GesuchstellerInnen aber zu einem Gespräch in einen Tea-Room
ein.
Heiner Busch
--
DAP, SND und NDB
Dienst für Analyse und Prävention (DAP) hiess
der
Inlandgeheimdienst bis Ende letztes Jahr. Laut NZZ beschäftigte er
zuletzt 120 Angestellte. Angesiedelt war der DAP im Justiz- und
Polizeidepartement; bis zu seiner Abwahl im Dezember 2007 trug
Bundesrat Christoph Blocher die Verantwortung, danach
Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Der DAP ging Anfang Jahr
zusammen mit dem Auslandnachrichtendienst SND (Strategischer
Nachrichtendienst) im neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) auf. Der
NDB ist in Ueli Maurers Verteidigungs departement angesiedelt.
Zusätzlich führen die Kantone Staatsschutzstellen,
eigentliche Aussenposten des NDB. Im Jahr 2009 beschäftigten sie
rund 130 Personen, die sich 84 Stellen teilten. Der Bund zahlte den
Kantonen hierfür jährlich 8,4 Millionen Franken.
--
Fichenskandal 2.0
Datenschutz vs. Staatsschutz - Die Einsichtsgesuche
für die
ISIS-Datenbank landen auf seinem Schreibtisch. Wer ist Hanspeter
Thür, der oberste Schweizer Datenschützer, wirklich - und was
meint er zum neuen Fichenskandal?
Mit angezogener Handbremse
Von Jan Jirát
"Der Beauftragte". Das ist nicht der Titel eines neuen
Politthrillers, sondern die Bezeichnung von Hanspeter Thür,
oberster Schweizer Datenschützer, auf der offiziellen Website des
Bundes. Die politisch korrekte Bezeichnung lautet anders:
Eidgenössischer Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragter
- kurz EDÖB. Doch "der Beauftragte" passt im Falle des
Fichenskandals 2.0 und von Thürs Rolle darin eindeutig besser.
Austritte und Eintritte
Der 61-jährige Hanspeter Thür hat sich
jahrzehntelang
auf juristischem und politischem Parkett bewegt und dabei in seiner
Karriere auch Brüche vollzogen. Er wuchs im St. Galler Rheintal
auf. Später studierte er in Basel Rechtswissenschaften und trat
der Poch (Progressive Organisationen der Schweiz) bei, was ihm prompt
eine Fichierung durch den Staatsschutz eintrug. Anfang der achtziger
Jahre war er dann massgebend am Aufbau der Grünen Partei im Kanton
Aargau beteiligt. René Schuhmacher, Jurist und Heraus geber
diverser Zeitschriften (unter anderem "K-Tipp"), der damals gemeinsam
mit Thür eine Anwalts praxis in Zürich führte, erinnert
sich: "Ich habe ihn als vielseitigen Juristen und äusserst
engagierten Parteipolitiker kennen und schätzen gelernt. Er hat
eine gewaltige Lebensarbeitszeit in den Aufbau der Grünen Partei
gesteckt."
Thürs Einsatz machte sich bald bezahlt: 1985 erfolgte
seine
Wahl in den Grossen Rat des Kantons Aargau, zwei Jahre später
gehörte er dem Nationalrat an, und zu Beginn der neunziger Jahre
war er Vorsitzender der Grünen Fraktion im Bundeshaus, von 1995
bis 1997 sogar Parteipräsident.
Es gab in Bern aber auch persönliche politische
Niederlagen:
Thür verpasste die Wahl zum ersten grünen
Nationalratspräsidenten, und seinen Ambitionen auf den Posten des
nebenamtlichen Bundesrichters erteilte seine Partei wegen der
Frauenquote eine Absage. Als Konsequenz trat er 1999 aus dem
Nationalrat aus. Sein Abschied aus der Parteipolitik, der nicht ohne
Misstöne blieb, ebnete ihm schliesslich den Weg zum obersten
Datenschützer.
Auf ausdrückliche Empfehlung des Bundesrates trat
Thür
im September 2001 die Nachfolge des vormaligen Oberwalliser
CVP-Ständerats Odilo Guntern an, der das Amt seit der
Einführung im Jahre 1993 bekleidet hatte. Thür bringe grosse
Fähigkeiten im Verhandeln, Vermitteln und Kommunizieren mit, hiess
es. Das Grollen aus dem bürgerlichen Lager blieb angesichts der
Wahl des ehemaligen Poch-Mitglieds erstaunlich leise: Thür fiel im
Bundeshaus eben "nicht als oppositioneller Polterer, sondern als
integrativer Pragmatiker" auf, urteilte ein NZZ-Journalist damals.
Seit neun Jahren ist Hanspeter Thür der Beauftragte,
mit
einem Pensum von sechzig Prozent. Sein wichtigster Auftrag lautet:
"Aufsicht der Bundesorgane", wozu fundamental der Staatsschutz
gehört.
WOZ: Wieso sind das beunruhigende Ausmass der
Personenregistrierung und die groben Mängel der
Qualitätssicherung erst jetzt aufgeflogen? Beide Tendenzen waren
seit Längerem bekannt, die WOZ hat im Rahmen der Verhaftung von
Dinu Gautier (vgl. Artikel auf Seite 3) bereits vor zwei Jahren von
einer "neuen Fichenaffäre" berichtet.
Hanspeter Thür: Die WOZ konnte 2008 deshalb von einer
neuen
Fichenaffäre schreiben, weil die Information indirekt von uns
stammte. Wir haben nämlich damals einzelne Gesuchsteller über
Fichierungen informiert, die aus unserer Sicht nicht gesetzeskonform
waren. Das haben wir der GPDel gemeldet. Diese Fälle waren mit ein
Grund, weshalb die GPDel im gleichen Jahr entschied, eine umfassende
Kontrolle an die Hand zu nehmen. Es zeigt, dass die Aufsicht
grundsätzlich funktionierte.
Sie sprechen das sogenannte indirekte Auskunftsrecht an.
Im
entsprechenden Gesetzesartikel steht, dass Sie die GesuchstellerInnen
in Ausnahmefällen über Fichierungen informieren dürfen.
Vor 2008 haben Sie diese Ausnahmeregelung nie angewandt. Ihnen ist
deshalb mangelnde Initiative vorgeworfen worden.
Ich habe stets betont, dass das indirekte Auskunftsrecht
abgeschafft werden sollte. Leider hat der Gesetzgeber bis heute nicht
reagiert. Er hat zudem selber eine sehr restriktive Anwendung dieser
Ausnahmebestimmung verlangt. Als Aufsichtsbehörde müssen wir
das akzeptieren. Seit 2008 haben wir aber mit Rückendeckung der
Gerichte, die die Konformität des indirekten Auskunftsrechts mit
der Europäischen Menschenrechtskonvention bezweifelten, in
zahlreichen Fällen von der Ausnahmebestimmung Gebrauch gemacht.
Weiter wird kritisiert, dass die generelle Kontrolle von
ISIS,
also unabhängig von den Auskunftsgesuchen, nicht konsequent genug
stattgefunden habe.
Mit unseren personellen Ressourcen - mir stehen 24,6
Stellen zur
Verfügung - können wir nur stichprobenweise vorgehen und sind
auf Zufallsfunde angewiesen. Meine Botschaft ist klar, die
Aufsichtsorgane EDÖB und GPDel müssen diesbezüglich
verstärkt werden, um eine ständige und umfassende Aufsicht zu
garantieren. Da ist nun die Politik gefordert.
Gesucht: ein Polterer
Fakt ist: Der Beauftragte kann seinen Auftrag nur in einem
gesetzlich stark eingeengten und personell unbefriedigenden Rahmen
wahrnehmen. Thürs langjähriger Kollege Schuhmacher bringt es
auf den Punkt: "Die Bundespolitik degradiert den obersten
Datenschützer zu jemandem, der mit angezogener Handbremse arbeiten
muss."
Die Frage bleibt, ob für den Job des Beauftragten,
der
seinem Auftrag kaum nachkommen kann, ein "oppositioneller Polterer"
nicht besser geeignet wäre als ein "integrativer Pragmatiker".
Vielleicht ist es Zeit für einen nächsten Bruch in
Hanspeter
Thürs Biografie.
--
Hanspeter Thür, oberster Datenschützer.
Der Anfang des Skandals
Der aktuelle Fichenskandal nahm seinen Anfang im
Frühjahr
2008, als die Fichierung von Grossrät Innen aus dem Kanton
Basel-Stadt bekannt wurde. Die Geschäftsprüfungsdelegation
GPDel begann sich näher mit der Staatsschutzdatenbank zu
beschäftigen, und der Eidgenössische Datenschutzbeauftragte
Hanspeter Thür machte zum ersten Mal Gebrauch von einer
Ausnahmeklausel der sehr restriktiven Ficheneinsichtsbestimmungen. In
einem halben Dutzend Fällen informierte er GesuchstellerInnen
summarisch über den Inhalt ihrer Fichen. So erfuhr auch die WOZ,
dass sie als "staatsschutzrelevantes Objekt" in der Datenbank ISIS
geführt wird. Alle Berichte finden sich im Dossier auf:
www.woz.ch/dossier
---
NZZ 8.7.10
Bundesrat Maurer verlangt Korrekturen
Reaktion auf Fichenaffäre
nn. ⋅ Verteidigungsminister Ueli Maurer hat am Mittwoch
vor den
Medien erstmals Stellung zur Kritik am Staatsschutz genommen. Er
anerkannte die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht, wonach der
Staatsschutz zu viele und irrelevante Daten angehäuft habe.
Maurer, der erst seit kurzem für den neuen Nachrichtendienst des
Bundes (NDB) zuständig ist, präsentierte Sofortmassnahmen,
die er aufgrund interner Inspektionen bereits im Frühling
veranlasst hatte: So sprach er zusätzliche Ressourcen zur
Kontrolle und Bereinigung der angehäuften Daten. Weiter zeigte er
sich offen für die Empfehlungen der Aufsicht und befürwortete
auch ein weiter gehendes Einsichtsrecht für vom Staatsschutz
erfasste Personen.
Schweiz, Seite 9
--
Bundesrat Maurer gelobt rasche Besserung
Der VBS-Chef und der Nachrichtendienst des Bundes teilen
die
Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation an zu extensiver
Datensammlung
Bundesrat Maurer teilt die Kritik der GPDel an der
Sammel-Praxis
des Staatsschutzes. Erste Verbesserungen seien eingeleitet, weitere -
wie ein offeneres Einsichtsrecht - könnten folgen.
Niklaus Nuspliger, Bern
Die Kritik der Geschäftsprüfungskommission
(GPDel) des
Parlaments war letzte Woche hart: Der frühere Inlandgeheimdienst
DAP (Dienst für Analyse und Prävention) habe im
Staatsschutz-Informations-System (ISIS) zu viele und irrelevante Daten
angehäuft und deren gesetzlich vorgeschriebene
Überprüfung oft nicht vorgenommen. Aufgrund von
Informatikproblemen und schlechtem Ressourcen-Einsatz kam es zu einer
Anhäufung von 200 000 Daten. Am Mittwoch nahm
Verteidigungsminister Maurer, dem der Nachrichtendienst seit 2009
unterstellt ist, vor den Medien in Bern erstmals Stellung zur Kritik.
Flankiert wurde er von Markus Seiler, dem Direktor des neuen
Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), in dem der DAP Anfang 2010
aufgegangen war. Maurer wie Seiler teilten die Kritik der GPDel: "Es
gibt Verbesserungspotenzial", sagte Maurer. Die Datenmenge sei zu
reduzieren, schon nur wegen der technischen Handhabbarkeit.
Sofortmassnahmen eingeleitet
Der VBS-Chef gelobte rasche Besserung und gab sich als
tatkräftiger Problemlöser: Er sei selber über die
Sammel-Praxis "erschrocken" und habe Anfang 2009 eine interne
Inspektion veranlasst. Die Resultate lagen im Februar 2010 vor und
dienten der GPDel als Basis, was diese in ihrem Bericht mit grossem Lob
quittierte (NZZ 1. 7. 10). Im März 2010 leitete Maurer
Sofortmassnahmen ein: Er sprach je 1 Million Franken für 2010 und
2011, um die Pendenzen mit zusätzlichen Mitarbeitern zu
bereinigen. Auch die Kontrolle habe er personell aufgestockt. Technisch
seien aber die Abarbeitung und die Löschung der Daten komplex,
weshalb dies Monate oder Jahre dauern könne. Auch das
"ungeeignete" und "komplizierte" EDV-System lässt Maurer
überprüfen. - Die 19 Empfehlungen der GPDel werde der
Bundesrat im Herbst diskutieren, womöglich könnten sie in die
fast spruchreife Minirevision des Bundesgesetzes über die Wahrung
der inneren Sicherheit (BWIS) einfliessen. Zur geforderten Sperrung und
externen Überprüfung der Daten will Maurer die technische
Machbarkeit abklären. "Persönlich vorstellen" könne er
sich auch ein offeneres Einsichtsrecht für im ISIS erfasste
Personen. Und eine Verordnungsänderung für ein Einsichtsrecht
der Kantone will Maurer dem Bundesrat gleich nach der Sommerpause
vorlegen.
Gesetzliche Widersprüche
Politisch könnte der GPDel-Bericht dem jüngst
glücklos agierenden Maurer willkommene Profilierungschancen
eröffnen, zumal er für seine skizzierten Massnahmen mit
Beifall und politischen Mehrheiten rechnen kann. Auch der neue NDB-Chef
Seiler begrüsste den GPDel-Bericht als "Ohrfeige", die den von ihm
angestrebten Kulturwandel beschleunigen könne. Maurer räumte
aber ein, dass der Tatbeweis für einen echten Kulturwandel im
Staatsschutz mit kontrollierbaren Fakten zu erbringen sei.
Für personelle Konsequenzen sieht Maurer nach der
Entmachtung des früheren DAP-Chefs Urs von Daeniken durch das
Justizdepartement indes keinen Anlass: Die NDB-Mitarbeiter hätten
jahrelang nach bestem Gewissen gearbeitet, ohne dass die politisch
Verantwortlichen interveniert hätten. Dieser Vorwurf trifft auch
alt Bundesrat Christoph Blocher, auch wenn Maurer "keine Schuldigen
benennen" wollte.
Weiter sprach er von gesetzlichen Widersprüchen: So
sei der
NDB verpflichtet, jeden Arbeitsschritt zu erfassen, ISIS sei aber nur
als "Verdächtigen-Datenbank" zu betrachten, wie aus dem
GPDel-Bericht klar hervorgehe. Diesen Widerspruch gelte es zu
klären, zumal die Schweiz einen Nachrichtendienst brauche. Im
Bundesrat will Maurer daher rasch eine grundsätzliche Aussprache
über die Aufgaben des NDB führen - auch im Hinblick auf die
Neuauflage der vom Parlament als "Lauschangriff" zurückgewiesenen
BWIS-Revision, die per 2012 oder 2013 zu erwarten sei.
--
Terrorismus, Proliferation, Ausspionieren des Finanzplatzes
met. ⋅ Vom "Bericht Innere Sicherheit der Schweiz" zum
Dokument
"Sicherheit Schweiz": Die Zusammenlegung des Inland- und des
Auslandnachrichtendienstes auf Anfang des Jahres schlägt sich auch
in der jährlichen Berichterstattung nieder. Thematisiert wird
nicht mehr nur die Lage der inneren Sicherheit, sondern beschrieben
werden auch Entwicklungen auf globaler Ebene, die zu Bedrohungen der
Schweiz führen können. So lesen wir, die Entstehung neuer
geoökonomischer und geopolitischer Schwergewichte in Asien (vor
allem China) relativiere die traditionell starke Stellung der Schweiz
als Wirtschafts- und Finanzstandort und schränke unsere politische
Handlungsfreiheit vor allem in Bezug auf unser engeres Umfeld, die EU,
ein. Langfristig könne das durchaus ein strategisches
Schadenspotenzial in sich bergen.
Als eine der aktuellsten Bedrohungen wird der Terrorismus
beschrieben, auch wenn dieser derzeit nicht als staatsgefährdend
eingestuft wird. Im Auge zu behalten gelte es die Problematik der
Proliferation von Massenvernichtungswaffen und weitreichender
Trägersysteme. Die Schweiz sei hier sowohl unter dem
Sicherheitsaspekt als auch als Industriestandort und Forschungsplatz
betroffen. Geschildert werden zwei Fälle mit Schweizer Bezug; die
Destinationen für im Wesentlichen unterbundene Lieferungen
sogenannter Dual-Use-Güter waren Syrien und Pakistan.
Immer raffinierter wird das Instrumentarium für
Cyber-Attacken. Die Autoren schreiben, Angriffe auf kritische
Informationsinfrastrukturen könnten potenziell
systemgefährdende Ausmasse annehmen. Im Kapitel über den
verbotenen Nachrichtendienst wird deutlicher als im vergangenen Jahr
auf das Ausspionieren von Banken hingewiesen. "Einzelne
ausländische Staaten" hätten aktiv - unter Nutzung
nachrichtendienstlicher Mittel - Informationen beschafft (Käufe
von CD mit Bankkundendaten?), um nach möglicherweise
unversteuertem Geld ihrer Bürger zu fahnden.
Kriminalität und Gewalt, heisst es summarisch, seien
auch in
der Schweiz tägliche Realität, nähmen aber kein
staatsgefährdendes Ausmass an. Bei den linksextremistisch
beziehungsweise rechtsextremistisch motivierten Vorfällen hielten
sich die Zahlen etwa auf Vorjahreshöhe.
---
Basler Zeitung 8.7.10
Ueli Maurer will Kulturwandel
Kritik am Staatsschutz
fichenaffäre. Eigentlich hätte an der gestrigen
Medienkonferenz des Nachrichtendienstes nur der Jahresbericht
präsentiert werden sollen. Doch der Bericht der
Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) von letzter Woche zur
neuen Fichenaffäre hat das Programm auf den Kopf gestellt.
Bundesrat Ueli Maurer nutzte die Gelegenheit, um zum Fichenskandal
Stellung zu nehmen: "Die GPDel hat völlig recht - eine
Kulturänderung ist nötig." Seiner Meinung nach müssten
weniger Daten gesammelt werden. Und Nachrichtendienst-Chef Markus
Seiler meint: "Wir können nun nicht Schritt für Schritt
vorangehen. Vielmehr braucht es jetzt schnell substanzielle
Änderungen." Personelle Konsequenzen will Maurer aber nicht
ziehen: "Das löst die Probleme nicht." rus > Seiten
2, 5
--
"So viele Daten sind nicht zu handeln"
SVP-Bundesrat Ueli Maurer sieht beim Staatsschutz grosses
Verbesserungspotenzial
Aufgezeichnet: Ruedi Studer, Bern
Letzte Woche deckte die
Geschäftsprüfungsdelegation
(GPDel) der eidgenössischen Räte mit ihrem Bericht enorme
Mängel beim Staatsschutz auf. Bundesrat Ueli Maurer teilt die
Kritik.
Herr Maurer, die GPDel sagt, beim Staatsschutz habe im
Vergleich
zum Fichenskandal von 1989 kein Kulturwandel stattgefunden. Ihr Urteil?
Ueli Maurer: Die GPDel hat völlig recht - eine
Kulturänderung ist nötig. Ich habe mir die Datenbearbeitung
einmal zeigen lassen und bin auch etwas erschrocken, mit welcher
Gründlichkeit Daten festgehalten wurden. Das ist meiner Meinung
nach so nicht nötig. Das ist aber kein Vorwurf an die Mitarbeiter:
Die haben während Jahren so gearbeitet, und es wurde für gut
befunden.
Der GPDel-Bericht zeigt aber klar auf, dass die
Staatsschützer Fehler begangen haben.
Während Jahren hat der Staatsschutz so gearbeitet,
und
während Jahren hat die Politik nicht dagegen interveniert. Also
konnte unser Mitarbeiter vor dem Computer davon ausgehen, dass er
seinen Job richtig macht. Wenn wir nun weniger registrieren wollen,
wird der Beamte auch so handeln. Da braucht es nun die entsprechenden
Korrekturen.
Sie stellen sich hinter Ihre Mitarbeiter am Computer. Aber
wie
steht es um die Führungsetage? Der ehemalige Staatsschutz-chef Urs
von Daeniken ist schon weg. Sehen Sie weitere personelle Konsequenzen?
Ich werde nicht einzelne Leute blossstellen. Ich bin nicht
hier,
um die Schuldigen zu suchen, sondern um die Probleme zu lösen. Und
ich bin der Meinung, dass wir dies im Grundsatz mit den jetzigen Leuten
im Nachrichtendienst machen können. Diese arbeiten nach bestem
Wissen und Gewissen für dieses Land. Aber teilweise werden sie
neue Aufträge erhalten.
Also kein Köpferollen?
Ein grosses Köpferollen löst die Probleme nicht.
Im
Moment sehe ich keine personellen Konsequenzen, da hätte die
Politik früher reagieren müssen. Es braucht aber politische
Korrekturen.
Wo sehen Sie den dringendsten Handlungsbedarf?
Wir haben schon letztes Jahr erste Massnahmen eingeleitet
und
zwei Inspektionsberichte in Auftrag gegeben, auf denen nun auch der
GPDel-Bericht basiert. Zudem haben wir etwa die interne Kontrolle
aufgestockt und zusammen mit den Kantonen eine Verordnungsänderung
erarbeitet, die den Kantonen ein Einsichts- und gewisses Kontrollrecht
einräumt. Diese Änderung wird dem Bundesrat unmittelbar nach
den Sommerferien zur Genehmigung vorgelegt und kann noch im vierten
Quartal dieses Jahres in Kraft gesetzt werden.
Wo werden Sie nun weiter möglichst rasch ansetzen?
Wir haben grosses Verbesserungspotenzial bei der
Datenbewirtschaftung und müssen nun die Pendenzen so rasch wie
möglich abbauen. Dafür haben wir bereits finanzielle Mittel
freigemacht: In den nächsten zwei Jahren werden wir
zusätzlichen Manpower für mindestens zwei Millionen Franken
dafür einsetzen. Der Abbau der Altlasten wird aber noch
längere Zeit in Anspruch nehmen.
Hat der Staatsschutz bisher zu viel gesammelt?
Persönlich bin ich der Meinung, dass wir weniger
machen
müssen. Schon alleine aus technischen Gründen werden wir die
Datenmenge verdünnen müssen. So viele Daten sind einfach
nicht zu handeln. Hinzu kommt die politische Frage: Was gefährdet
den Staat tatsächlich, was ist relevant für den Staatsschutz?
Das muss politisch nun breit diskutiert werden. Wir werden im Bundesrat
noch dieses Jahr eine Aussprache über die Aufgaben des
Nachrichtendienstes führen.
Die GPDel hat 17 Empfehlungen abgegeben. Werden Sie diese
berücksichtigen?
In der Grundstossrichtung teile ich die Kritik der GPDel
und
erachte ähnliche Massnahmen als richtig. Sie müssen aber noch
auf ihre technische Umsetzbarkeit geprüft werden sowie auf die
personellen und finanziellen Mittel, die zur Verfügung stehen
müssen.
Dann ist etwa die geforderte provisorische Sperrung
älterer
Daten und die Einsetzung eines externen Datenschutzbeauftragten eine
Option?
Diese Lösung sehe ich grundsätzlich. Wir
müssen
nun aber die technische Machbarkeit abklären und werden dem
Bundesrat entsprechend Antrag stellen.
Wie steht es um ein besseres Einsichtsrecht für
Fichierte?
Im Moment ist das Einsichtsrecht relativ restriktiv
geregelt.
Persönlich könnte ich mir vorstellen, dass man hier offener
wird und Betroffene direkt Einsicht verlangen können und ihnen
Auskunft erteilt wird. Für mich ist vorstellbar, dass das
Einsichtsrecht bereits in die erste Etappe der Revision des
Bundesgesetzes zur Wahrung der inneren Sicherheit aufgenommen wird. Da
ist eine politische Mehrheit möglich.
> Tageskommentar Seite 2
--
Tageskommentar
Maurer sieht seine Chance
Ruedi Studer
Der Staatsschutz ist im Grundsatz notwendig, doch es
braucht
klare Korrekturen bei der Datenbearbeitung. Mit dieser Botschaft ging
Bundesrat Ueli Maurer gestern vor den Medien in die Offensive. Der
SVP-Mann machte deutlich, dass er den Staatsschutz-Auftrag klarer
definieren und die praktisch unkontrollierte Sammelwut der
Staatsschützer bremsen will. Damit nimmt er den Ball auf, den ihm
die Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen
Räte letzte Woche mit ihrem Staatsschutz-Bericht zugespielt hat.
Während sich Maurer bei der Armee im
Mängel-Dschungel
weitgehend verirrt hat, bietet ihm der neue Fichenskandal die
Gelegenheit, sich als Reformer und Problemlöser zu beweisen - und
damit politisch wieder Boden gutzumachen.
Dass er gewillt ist, diese Chance zu packen, hat er
bereits
angedeutet: Die interne Staatsschutzkontrolle wurde aufgestockt, ein
gewisses Kontrollrecht für die Kantone aufgegleist, ein
verbessertes Einsichtsrecht für die Betroffenen in Aussicht
gestellt, und dem Datensammeln auf Vorrat will Maurer den Riegel
schieben.
In der schwierigen Güterabwägung zwischen
persönlicher Freiheit und mehr Sicherheit steht der SVP-Bundesrat
im Zweifelsfall für die Freiheit ein. Maurer wird damit zum
Schrittmacher für den geforderten Mentalitätswandel beim
Staatsschutz.
Nun müssen ihm aber auch Bundesrat und Parlament auf
diesem
Weg folgen und dürfen ihm keine Stöcke zwischen die Beine
werfen. Denn nur ein reformierter Staatsschutz, der die
Bürgerrechte ernst nimmt und wieder höher gewichtet, kann das
verlorene Vertrauen zurückgewinnen.
ruedi.studer@baz.ch
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NLZ 8.7.10
Bundesrat Ueli Maurer
"Ich stufte das als eine Zeitbombe ein"
Interview von Eva Novak, Bern
Erstmals äussert sich Bundesrat Ueli Maurer
ausführlich
zur jüngsten Datensammel-Affäre. Ein Kulturwandel sei
unabdingbar, sagt er.
Sie bestätigen weitgehend die Kritik der
Geschäftsprüfungsdelegation an der Datensammlung des
Staatsschutzes. Rennt die Delegation bei Ihnen offene Türen ein?
Ueli Maurer: Wir haben die Inspektionen bereits Anfang
letzten
Jahres angeordnet, da ich diese Sache aufgrund meiner politischen
Erfahrung schon immer als eine Zeitbombe eingestuft hatte und
möglichst rasch Klarheit wollte. Das Ausmass war grösser, als
ich es mir gedacht hatte. Die Geschäftsprüfungsdelegation
rennt insofern keine offenen Türen ein, als jetzt der Druck auch
vom Parlament und von der Oberaufsicht kommt. Das erleichtert die
Umsetzung der Massnahmen. Deshalb bin ich froh über die
Stossrichtung der Empfehlungen.
Die parlamentarischen Oberaufseher helfen Ihnen bei Ihrer
Aufgabe, einen Kulturwandel im Nachrichtendienst herbeizuführen?
Maurer: Jawohl, denn dieser Kulturwandel ist wirklich
nötig.
Wir hatten ein intensives Jahr und trafen uns immer wieder mit den
Mitgliedern der Geschäftsprüfungsdelegation. Die
Zusammenarbeit hat gut funktioniert.
Warum haben Sie die Fehler noch nicht korrigiert?
Maurer: Es ist etwas komplexer, als man meint - man kann
das
nicht von einem Tag auf den anderen ändern. Wir haben bereits
frühzeitig Massnahmen eingeleitet. Um aber alle Mängel, die
durch den Bericht der Delegation aufgedeckt wurden, zu bereinigen,
braucht es Monate, wenn nicht Jahre.
Welche Defizite sehen Sie persönlich?
Maurer: Aus meiner Sicht haben wir tatsächlich zu
viele
Daten gesammelt, die nicht mehr ordentlich bewirtschaftet werden
konnten. Daraus entstanden unbearbeitete Pendenzenberge, die nicht mehr
gelöscht werden konnten. Es ist also ein Mengenproblem.
Zusätzlich halte ich das EDV-System für wenig geeignet, da es
sehr kompliziert zu bedienen ist.
Sie nehmen die Beamten des Nachrichtendienstes in Schutz
und
geben die Schuld ihrer politischen Führung. Sind die drei
früheren EJPD-Vorsteher Arnold Koller, Ruth Metzler und Christoph
Blocher schuld, denen der Inlandnachrichtendienst früher
unterstand?
Maurer: Das wäre zu einfach. Auch über diese
drei hatte
die Geschäftsprüfungsdelegation die Oberaufsicht, welche
offenbar auch nicht tiefer ging. Auch bei der Führung der
Nachrichtendienste wurde offenbar nicht tiefer gebohrt, und von den
Finanzen aus wurde ebenfalls nicht besser gesteuert. Es gäbe also
viele Verantwortliche. Das bringt aber nichts mehr, denn im Nachhinein
ist man immer gescheiter. Ich habe Probleme zu lösen und nicht
Fehler zu suchen.
Schauen wir nach vorn: Soll der "Lauschangriff",
namentlich die
präventive Überwachung des Telefon- und E-Mail-Verkehrs auch
ohne richterlichen Beschluss, künftig möglich sein?
Maurer: Sehr viele Erfolge ausländischer
Nachrichtendienste
beruhen zwar darauf, dass man im Verdachtsmoment rechtzeitig Massnahmen
ergreifen konnte. Bei uns ist die letzte Revision des Bundesgesetzes
zur Wahrung der inneren Sicherheit an dieser Frage gescheitert. Ich
sehe keine grosse Möglichkeit, das jetzt einzubringen. Denn man
hat Angst vor dem Staat. Ohne grosse Kontrolle halte ich das für
politisch nicht realisierbar.
Möchten Sie persönlich einen solchen
Lauschangriff denn?
Maurer: Nein. Es ist immer eine Güterabwägung
zwischen
der Freiheit des Einzelnen und der Sicherheit der Gemeinschaft. Der
Nachrichtendienst tendiert immer dazu, möglichst viele Daten zu
sammeln, das ist auch seine Aufgabe.
Sind Sie demnach für die Zweitauflage der
"Fichenaffäre" - in kleinerem Rahmen - dankbar?
Maurer: Ja, denn der Grundsatz, dass wir einen
Staatsschutz
brauchen, ist unbestritten. Mit welchen Mitteln dieser aber in welchem
Zeitraum sichergestellt werden muss, wird immer eine politisch heiss
umkämpfte Frage sein, deren Antwort auch von der Konjunktur
abhängt: Je nachdem, was passiert, ist man für mehr oder
für weniger.
Sie selber sind eher für weniger?
Maurer: Ja, selber werte ich die persönliche Freiheit
höher.
eva.novak@neue-lz.ch
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Steuersünder
Spione zapfen unsere Banken an
Kari Kälin
Schon zweimal hat Deutschland CDs mit gestohlenen
Kundendaten von
Schweizer Banken gekauft. Nun zeigt der gestern veröffentlichte
Jahresbericht des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB), dass der Kampf
gegen die Steuerflucht mit immer härteren Bandagen ausgefochten
wird. Denn offenbar jagen ausländische Staaten Steuersünder
mit geheimdienstlichen Methoden. "Die Finanzkrise und die damit
einhergehenden Verluste von Steuergeldern bewogen einzelne
ausländische Staaten, aktiv Informationen zu beschaffen, um in der
Schweiz nach im Ausland respektive im Wohnland möglicherweise
unversteuertem Geld ihrer Bürger zu suchen", schreibt der
Nachrichtendienst.
Informanten angeworben
Fremde Nachrichtendienste, heisst es weiter, könnten
zudem
Telefongespräche und den E-Mail-Verkehr von Schweizer Banken und
deren Kunden abfangen. Auch werben sie offenbar aktiv Informanten in
Schweizer Banken im In- und Ausland an. Mit anderen Worten: Treffen die
Feststellungen des Nachrichtendienstes zu, haben sich hierzulande
ausländische Spitzel eingenistet, die Steuersünder
aufspüren.
Auf Wirtschaft spezialisiert
Dass ausländische Nachrichtendienste auf helvetischem
Boden
agieren sollen, überrascht Reiner Eichenberger, Professor für
Finanzwissenschaften an der Universität Freiburg, nicht: "Seit dem
Ende des Kalten Krieges suchen die Geheimdienste ein neues
Betätigungsfeld. Eines davon ist der Kampf gegen Fluchtgeld." So
sei zum Beispiel der deutsche Nachrichtendienst auf Wirtschaftsspionage
spezialisiert.
Derweil fühlt sich Thomas Fleiner, emeritierter
Professor
für Staats- und Verwaltungsrecht, bestätigt, dass der
Bundesrat Deutschland wegen des Kaufs der ominösen CD beim
internationalen Gerichtshof in Den Haag verklagen muss. Auch die
Zürcher FDP-Nationalrätin Doris Fiala plädiert
dafür. Sie verlangt vom Bundesrat in einem Vorstoss, eine
Staatsklage gegen Deutschland wegen Verletzung des Völkerrechts zu
deponieren.
kari.kaelin@neue-lz.ch
Die Schweiz als "Feindin des Islams"
Gestern hat der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) seinen
Jahresbericht vorgestellt. Darin beurteilten die Staatsschützer
die Bedrohungen und Gefahren für die Schweiz. Als "eine der
aktuellsten Bedrohungen" betrachtet der Nachrichtendienst den
Terrorismus. Dabei warnt der Nachrichtendienst aber auch vor
Überreaktionen.
Die Annahme der Anti-Minarett-Initiative hat laut dem
Nachrichtendienst die Bedrohungslage "nur unwesentlich" verändert.
Festzustellen sei allerdings seither eine Propagierung und Wahrnehmung
der Schweiz als "Feindin des Islams", schreibt der Nachrichtendienst.
Setze sich diese Sichtweise durch, nehme die Terrorismusgefahr zu.
Im vergangenen Jahr beschäftigten sich die
Staatsschützer aber primär mit Aktionen anderer Art. Im
Dezember 2010 besetzten 50 Personen kurdischer Herkunft während
dreier Stunden Räumlichkeiten des Schweizer Fernsehens. Sie
forderten einen TV-Beitrag über die Haftbedingungen von Abdullah
Öcalan. 44 Personen wurden vorübergehend festgenommen, wie
dem Bericht zu entnehmen ist.
Stabile Szene
Leicht zugenommen hat die Zahl rechtsextremer Ereignisse.
Der
Nachrichtendienst zählte 85 davon, 9 mehr als im Vorjahr. Die
Szene blieb aber stabil: Der Nachrichtendienst geht von einem harten
Kern mit 1200 Personen und 600 Mitläufern aus. Ebenfalls eine
leichte Zunahme verzeichnete der Dienst bei den linksextremen
Ereignissen. Deren Anzahl betrug 220 gegenüber 214 im Vorjahr.
Auch hier blieb die Szene stabil. Ihr werden 2000 Personen zugerechnet,
wobei der Nachrichtendienst die Hälfte als gewalttätig
einstuft.
Sorgen bereiten dem Nachrichtendienst schliesslich
Cyber-Attacken. In letzter Zeit sei es vermehrt zu konzertierten
Angriffen auf die Informatikinfrastruktur des Bundes gekommen, heisst
es im Jahresbericht.
Jahresbericht: Denn vollständigen Bericht gibt es auf
www.zisch.ch/bonus
http://www.news.admin.ch/NSBSubscriber/message/attachments/19840.pdf
--
Kommentar
Flucht nach vorn
Eva Novak
Der Herr über die Nachrichtendienste ergreift die
Flucht
nach vorn. Statt zu beschönigen, räumt Bundesrat Ueli Maurer
in aller Offenheit ein, dass Fehler begangen wurden. Er verspricht,
Remedur zu schaffen, und gibt zu, dass das nicht heute oder morgen,
sondern erst übermorgen gelingen wird. Das ist gut so, denn alles
andere wäre unehrlich.
Mindestens ebenso gut ist, dass der VBS-Chef die
Mitarbeiter des
ehemaligen Dienstes für Analyse und Prävention in Schutz
nimmt. Für den Pfusch macht er nicht sie verantwortlich, sondern
die politische Führung. Damit spielt SVP-Bundesrat Ueli Maurer
nicht zuletzt auf SVP-Bundesrat Christoph Blocher an. Was ganz
schön mutig ist, obwohl er begreiflicherweise keine Namen nennt.
Fraglich bleibt allerdings, was die vom
Verteidigungsminister
verlangte "breite Diskussion" über die Aufgaben des Staatsschutzes
an neuen Erkenntnissen bringen soll. Schliesslich wird diese seit der
Fichenaffäre auf breitester Front geführt und erhielt mit den
Terroranschlägen neue Nahrung. Nach den Auseinandersetzungen um
die Sicherheitspolitik und die Armee liegt der Verdacht nahe, dass am
Ende nur ein weiterer schwammiger Bericht ohne erkennbare Strategie
herausschauen wird.
Denn die Grundfrage lautet weiterhin, was der Staatsschutz
im
Zeitalter des Terrorismus dürfen soll und was ihm weiterhin
verwehrt bleiben muss. Und die Antwort darauf hängt nach wie vor
von der Weltanschauung ab - sowie vom Vertrauen in die schützende
Wirkung des Staatsschutzes, das mit jeder Fehlleistung sinkt. Es
braucht jetzt keinen neuen Bericht, sondern endlich eine Kontrolle, die
den Namen verdient und auch befolgt wird. Und zwar auf allen Stufen.
eva.novak@neue-lz.ch
---
St. Galler Tagblatt 8.7.10
Staatsschutz soll Pendenzen abbauen
BERN. Bundesrat Ueli Maurer hat Stellung genommen zur
Kritik am
Nachrichtendienst. Er verteidigte die Arbeit des Staatsschutzes,
versprach aber gleichzeitig Korrekturen. Die Vorwürfe der
parlamentarischen Aufsicht wies Maurer nicht zurück. Um den
Pendenzenberg bei der Staatsschutz-Datenbank abzuarbeiten, will Maurer
im laufenden und im nächsten Jahr je eine Million Franken
einsetzen. (red.)
Inland 3
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"Staatsschutz ist notwendig"
Bundesrat Maurer will die Sammelwut der
Staatsschützer
stoppen, nennt aber keine Schuldigen für die jüngste
Fichenaffäre. Unklar bleibt auch, wie sich der Nachrichtendienst
entwickeln soll.
Marcello Odermatt
BERN. Angesagt war der erste Jahresbericht des neuen
Nachrichtendienstes des Bundes (NDB). Doch nach dem Bekanntwerden der
neusten Fichenaffäre letzte Woche drehte sich an der gestrigen
Medienkonferenz des NDB alles um die Frage, wie es 20 Jahre nach dem
grossen Fichenskandal wieder zu einer solchen Datensammelwut kommen
konnte.
"Eine philosophische Frage"
Ueli Maurer, als Verteidigungsminister für den seit
2010 in
seinem Departement angesiedelten NDB zuständig, hob die Diskussion
von Anfang an auf die politische Ebene. Die Präsentation des
Tätigkeitsberichts überliess er NDB-Direktor Markus Seiler
(siehe Kasten). Maurer sah keinen Anlass, die bisherige
Schnüffelpraxis zu verteidigen. Dies dürfte ihm einfach
gefallen sein, da er nicht für die Tätigkeiten des damaligen
Geheimdienstes verantwortlich gemacht werden kann. Der
Inlandgeheimdienst unterstand vor der Reorganisation dem Justiz- und
Polizeidepartement. Die politischen Verantwortlichen waren Ruth
Metzler, Christoph Blocher und Eveline Widmer-Schlumpf.
"Wir teilen die Kritik der
Geschäftsprüfungsdelegation", sagte Maurer. Im Bereich des
Staatsschutzes besteht tatsächlich Verbesserungspotenzial. Die von
der Aufsicht beanstandeten Mängel seien dem NDB und ihm bekannt
gewesen, erste Verbesserungen würden umgesetzt. Der Staatsschutz
sei aber notwendig, betonte Maurer. Es gehe darum, die Sicherheit des
Landes zu gewährleisten. Wie diese Tätigkeit ausgestaltet
sein muss, sei indes eine "philosophische Frage".
Keinen Schuldigen genannt
Wer für das Sammeln von 200 000 Personendaten,
für die
fehlende Qualitätskontrolle und für die Rechtsbrüche
geradestehen muss, liess Maurer hingegen offen. Der damalige Leiter des
Inlandgeheimdienstes, Urs von Däniken, ist nicht mehr im
Staatsschutz tätig und wurde letzte Woche auch von anderen
Aufgaben zumindest vorübergehend entbunden. Andere
Inlandgeheimdienstler, die während der beanstandeten Zeit für
die Fichierungen zuständig waren, sind weiter im NDB tätig,
etwa der heutige Vizechef Jürg Bühler.
Erste Massnahmen umgesetzt
Der neue NDB-Chef Seiler indes hat die Aufgabe erst im
letzten
Jahr übernommen und war vorher VBS-Generalsekretär. Maurer
nahm seine Mitarbeitenden ohnehin in Schutz: "Sie tun das, was die
Politik ihnen vorgibt." Wer aber politisch verantwortlich ist, sagte
Maurer nicht: "Es ist nicht meine Aufgabe, Schuldige zu nennen, sondern
die Fehler zu korrigieren."
Gleichwohl sei er der Meinung, der Staatsschutz müsse
"weniger machen", sagte Maurer. Im Nachrichtendienst sei ein
Kulturwandel nötig. NDB-Chef Seiler beteuerte, dass er sich dieser
"schwierigsten" und "wichtigsten" Aufgabe in den nächsten Jahren
annehmen wolle. Bereits Ende letzter Woche habe er eine Weisung
erlassen, wonach die Datensammlung ab sofort restriktiver zu handhaben
sei.
Unumstrittene Verbesserungen
Bereits stehen neue Pläne im Raum, um die
Staatsschutztätigkeit auszubauen. Voraussichtlich in diesem Jahr
kommt ein erster Teil des revidierten Bundesgesetzes zur Wahrung der
inneren Sicherheit. Darin werden Verbesserungen vorgeschlagen, die
politisch unumstritten sind. Zudem wird ein verbessertes Auskunfts- und
Einsichtsrecht für Privatpersonen sowie für die Kantone
geschaffen. Die grosse, heikle Vorlage, in der es um konkrete neue
Mittel für den Staatsschutz geht - darunter zum Beispiel das
präventive Überwachen - soll erst 2012 vorliegen.
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Terrorgefahr bleibt aktuell
Die Schweizer Banken sind 2009 ins Visier
ausländischer
Geheimdienste geraten. Das hält der Nachrichtendienst des Bundes
(NDB) in seinem gestern veröffentlichten Jahresbericht fest. Laut
NDB können Geheimdienste für die Beschaffung von CDs mit
Bankkundendaten verantwortlich sein.
Spione hielten den NDB nicht nur im Zusammenhang mit den
Banken
auf Trab. Laut dem NDB führen unter anderem Spuren eines
Nato-Spionagefalls in die Schweiz: Ein russischer Führungsoffizier
benutzte die Schweiz als logistische Basis.
Besetzung von TV-Räumen
Als "eine der aktuellsten Bedrohungen" betrachtet der NDB
den
Terrorismus. Das Ja zur Minarett-Initiative habe die Bedrohungslage
zwar "nur unwesentlich" verändert. Seither werde die Schweiz
allerdings verstärkt als "Feindin des Islams" propagiert. 2009
beschäftigten sich die Staatsschützer aber primär mit
anderen Ereignissen. Im Dezember besetzten 50 Kurden Räume des
Schweizer Fernsehens. Sie forderten einen TV-Beitrag über die
Haftbedingungen von Abdullah Öcalan. 44 Personen wurden dabei
festgenommen. Den NDB auf den Plan gerufen hat auch die Schändung
von Gräbern der Familie Vasella in Chur. Diese ging mutmasslich
auf das Konto von Tierrecht-Extremisten.
Politischer Extremismus
Leicht zugenommen hat die Zahl rechtsextremer
Vorfälle. 85
wurden 2009 gezählt, 9 mehr als im Vorjahr. Die Szene blieb aber
stabil: Der NDB geht von einem harten Kern mit 1200 Personen und 600
Mitläufern aus. Eine Zunahme verzeichnete der NDB auch bei den
linksextremen Vorfällen. Deren Zahl betrug 220 (Vorjahr: 214) Auch
hier blieb die Szene stabil. Ihr werden 2000 Personen zugerechnet, die
Hälfte davon gilt als gewalttätig. (sda/red.)
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Südostschweiz 8.7.10
Der ungeliebte Hoffnungsträger
Markus Seiler soll den Nachrichtendienst aus der Krise
führen. Doch ist er der richtige Mann dafür?
Von Beat Rechsteiner
Bern. - Das ist der Hoffnungsträger. Jetzt, da die
übereifrigen Datensammler vom Nachrichtendienst in der
Bevölkerung eher als Bedrohung denn als Beschützer
wahrgenommen werden, soll dieser Mann die Wende bringen und das
verlorene Vertrauen zurückgewinnen. Unscheinbar wirkt Markus
Seiler, grau trotz der bunten Krawatte. Im Medienzentrum des
Bundeshauses nimmt er Platz neben seinem Chef, Bundesrat Ueli Maurer.
Nervös suchen seine Augen den Raum ab, maulwurfartig wirken sie
hinter den dicken Brillengläsern. Und man fragt sich: Ist dieser
Mann der Richtige für diesen Job? Kann er jene Zäsur
bewirken, die nach dem Fichen-Skandal vor 20 Jahren ausblieb?
Zwangsheirat mitten im Sturm
Es sei noch zu früh, den Neuen zu beurteilen, heisst
es in
Geheimdienstkreisen. Gelobt wird Seiler dennoch - von allen Seiten.
Selbst jene, die dem Quereinsteiger ohne nachrichtendienstliche
Erfahrung zu Beginn null Kredit gaben, sagen nun, er mache seine
Aufgabe bisher ordentlich. Dabei geht es nicht nur um die Aufarbeitung
der Kritik, die seit letzter Woche auf den Geheimdienst niederprasselt.
Mitten im Sturm muss Seiler eine Zwangsheirat organisieren. Zwischen
zweien, die seit Jahren verfeindet sind. Die seit Januar vollzogene
Fusion des Inland- und des Auslandnachrichtendienstes zum neuen
Nachrichtendienst des Bundes (NDB) ist der Zusammenschluss zweier
Unternehmen, die gegensätzliche Prinzipien pflegen und sich bisher
gegenseitig konkurriert statt unterstützt haben.
Dass Markus Seiler Qualitäten hat, wagen selbst seine
Feinde
nicht zu bestreiten. Er gilt als ausserordentlich intelligent und
präzis. Er kann sich rasch auf neue Aufgaben einstellen, und
offenbar ist er in der Lage, sich selbst in diesem schwierigen neuen
Umfeld durchzusetzen.
Er wird gelobt, aber nicht gemocht
So sehr Seiler gelobt wird, gemocht wird er nicht.
"Karrieregeil"
sei er, sagt ein Mitarbeiter des Verteidigungsdepartements über
ihn. Als "ambitiös, zackig, forsch" beschreiben ihn andere. Hinter
der unauffälligen Fassade stecke ein Machtmensch, der seine Ziele
berechnend verfolge. Seit 16 Jahren treibt der 41-jährige
vierfache Familienvater seine Karriere voran, vom Sekretariat der FDP
bis zum Direktor eines Bundesamtes.
Dass man ihn nicht mag, war dabei nie ein Hinderungsgrund
- im
Gegenteil. Er steht jetzt auch deshalb im Rampenlicht, weil ihn Maurer
vom Generalsekretär seines Departements zum Geheimdienstchef
wegbefördert hat. "Seiler passt nicht zu mir", soll der
SVP-Bundesrat einst zu Vertrauten in der eigenen Partei gesagt haben.
Das hat mit dem Ruf des FDP-Mannes Seiler zu tun, ein "SVP-Hasser" zu
sein. Und mit seinen engen Banden zu Maurers Vorgänger Samuel
Schmid, der ihn 2005 zum Generalsekretär machte.
Zudem geriet Seiler in die Kritik, weil er als Mitglied
der
Findungskommission die Beförderung von Roland Nef zum Armeechef
mit verantwortete. Da sei es klar gewesen, dass ihn Maurer nicht ewig
in seinem engsten Umfeld haben wollte. Da sei der neue Posten an der
Geheimdienstspitze wie gerufen gekommen, um Seiler elegant auf Distanz
zu halten.
"Chlapf" ist eine Chance
An der gestrigen Medienkonferenz blitzt diese Distanz nur
kurz
auf, als der Bundesrat Fragen beantwortet, die eigentlich an den
Amtsdirektor gerichtet sind. Seiler mag sich ohnehin nicht gross zu den
aktuellen Vorwürfen äussern. Und wenn er doch Auskunft gibt,
sagt er etwa: Dass es jetzt einen "Chlapf" gegeben habe, sei für
ihn auch eine Chance. Nun muss er jedoch beweisen, dass er diese auch
packen kann. Alles andere würde die Karriereplanung über den
Haufen werfen.
--
Maurer verspricht Besserung
Ueli Maurer hat gestern Stellung genommen zur Kritik am
Nachrichtendienst. Er versprach Korrekturen.
Die Vorwürfe der parlamentarischen Aufsicht wiegen
schwer:
Der Nachrichtendienst habe im Umgang mit Daten die Gesetze nicht
eingehalten, steht im Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation
(GPDel), der letzte Woche veröffentlicht wurde. Bundesrat Ueli
Maurer wies die Vorwürfe nicht zurück: "Ich bin auch etwas
erschrocken, mit welcher Gründlichkeit da Dinge festgehalten
werden", gestand der Verteidigungsminister. Dass es Probleme gebe, habe
sein Departement schon vor mehr als einem Jahr festgestellt. Maurer
versicherte denn auch, die Probleme rasch zu beheben. Dazu will er im
laufenden und im nächsten Jahr je eine Million Franken einsetzen.
Zudem kündigte Maurer noch für das laufende Jahr eine
entsprechende Aussprache im Bundesrat an. "Wir müssen klären,
was der Nachrichtendienst dürfen muss", sagte Maurer.
Auch der Chef des Nachrichtendienstes, Markus Seiler, nahm
Stellung zu den Vorwürfen. Die Kritik der GPDel habe einen
positiven Effekt, sagte er. "Manchmal ist eine Ohrfeige besser, dann
kommt der Kulturwandel." (sda)
--
Schweizer Banken werden beobachtet
Die Schweizer Banken sind im vergangenen Jahr ins Visier
ausländischer Nachrichtendienste geraten. Dies zumindest behauptet
der Schweizer Nachrichtendienst. Demnach könnten Geheimdienste
für die Beschaffung von CDs mit Bankkundendaten verantwortlich
sein. Die Finanzkrise hätte "einzelne ausländische Staaten"
dazu bewogen, "aktiv" Informationen zu beschaffen, um in der Schweiz
nach unversteuertem Geld ihrer Bürger zu suchen, heisst es im
gestern veröffentlichten Jahresbericht des Nachrichtendienstes.
Konkrete Anhaltspunkte werden nicht genannt. (sda)
---
Blick 8.7.10
Fichenaffäre
Maurer will jetzt aufräumen
VBS-Chef Ueli Maurer will wegen der Fichenaffäre kein
Köpferollen. Er will eine Debatte über die Geheimdienste.
Zwanzig Jahre nach der ersten Fichenaffäre hat der
Schweizer
Inlandgeheimdienst wieder 200 000 Personen fichiert. Mit welcher
Gründlichkeit der Staatsschutz ans Werk ging, darüber "bin
ich selber auch erschrocken", sagt Verteidigungsminister Ueli Maurer
gestern, bei der Vorstellung des ersten Jahresberichtes der neuen
Nachrichtendienste des Bundes (NDB). Er selber habe zu einer Kontrolle
angeregt, nachdem der Inlandgeheimdienst vor eineinhalb Jahren ins VBS
übersiedelte. "Wenn man so lange in der Politik ist, weiss man, wo
der Hund begraben ist." Maurer betonte zudem mehrmals: Die Untersuchung
der Geschäftsprüfungsdelegation stütze sich auf die
Kontrollberichte des VBS. Und: "Wir haben Massnahmen beschlossen und
sind jetzt bei der Umsetzung." Er verwies dabei unter anderem auf
strengere Kontrollen und Gesetzesänderungen. Um die Fichen zu
bereinigen, will er in den nächsten zwei Jahren 2 Millionen
Franken ausgeben.
Maurer will wegen der neuen Fichenaffäre aber kein
Köpferollen. "Beim Nachrichtendienst arbeiten keine
Schlapphüte", erklärte er. Das seien alles gute Mitarbeiter,
die das tun, was die Politik ihnen vorgebe. Er will eine Diskussion
darüber, was die Nachrichtendienste in Zukunft tun oder nicht tun
sollen.
Der Verteidigungsminister und sein Chefspion Markus Seiler
gaben
zudem bekannt, dass sich ausländische Geheimdienste für
Schweizer Banken interessieren. Sie würden wegen des Verlusts von
Steuergeldern aktiv Informationen beschaffen.
Hubert Mooser
---
L'Express / L'Impartial 8.7.10
AFFAIRE DES FICHES
Ueli Maurer renvoie la balle dans le camp des politiques
BERNE MAGALIE GOUMAZ
Le conseiller fédéral Ueli Maurer
reconnaît
les déficiences du système de fichage, mais renvoie la
responsabilité aux politiciens.
Oui, le fichage est mal fichu! Oui, des mesures ont
déjà été prises pour remettre sur les rails
Isis. Cette banque de données relative à la protection de
l'Etat s'est emballée ces dernières années, allant
jusqu'à enregistrer près de 200 000 noms, dont une bonne
part d'informations erronées ou inutiles. Mais non, les
têtes ne vont pas tomber.
Pour Ueli Maurer, venu s'expliquer hier après-midi,
les
responsables des cafouillages relevés la semaine dernière
par une commission parlementaire ne sont pas à rechercher
à l'intérieur de sa maison. En résumé, ce
sont les politiciens qui n'ont jamais dit jusque-là que le
Service d'analyse et de prévention (SAP) faisait mal son travail.
Telle est la ligne de défense du ministre qui
choisit de
protéger les siens, mais aussi l'ancien ministre responsable et
collègue de parti Christoph Blocher, tout en admettant le
problème. De la même manière, il veut bien tenter
de mettre de l'ordre dans ces fichiers - car il admet qu'il y a un
"potentiel d'amélioration" - mais appelle également
à un débat de fond sur ce que doit inclure la protection
de l'état, renvoyant la balle plus loin, c'est-à-dire
à la révision de la loi sur la sûreté
intérieure à l'horizon 2012-2013. Chez Ueli Maurer, cette
posture commence à devenir un style. Avec lui, quand quelqu'un
pointe du doigt la lune, il ne faut regarder ni la lune ni le doigt,
mais les étoiles filantes.
Le conseiller fédéral UDC a une bonne raison
de
rester serein: il a réagi dès son entrée en
fonction, début 2009. Le rapport de la Délégation
des Commissions de gestion des Chambres fédérales est
venu confirmer son propre constat. D'ailleurs, un budget a
déjà été débloqué pour
améliorer le fonctionnement d'Isis. Le changement prendra du
temps, a néanmoins avoué Ueli Maurer.
Hier, son Département rappelait également
les
grandes étapes d'Isis, de son introduction en 1994 à son
renouvellement technologique complet en 2005. Manière d'indiquer
les priorités de ces dernières années, auxquelles
il faudrait ajouter le raccordement des cantons au système, les
problèmes de coordination entre services de renseignements et
les changements de ministres responsables (Koller, Metzler, Blocher,
Widmer-Schlumpf et enfin Maurer). Ce qui ne change rien au fait que les
dispositions légales n'ont pas été
respectées, que la culture n'a pas changé. Le mandat du
SAP, aujourd'hui Service de renseignement de la
Confédération (SRC) après sa fusion avec le
Service de renseignement stratégique, est d'analyser les menaces
qui pèsent sur la Suisse. Parmi ces menaces, sont cités
le terrorisme, le service de renseignement prohibé,
l'extrémisme violent et la prolifération de certaines
armes. Isis est l'outil de prédilection du SAP. Mais l'examen
régulier de la pertinence des données qu'il contient n'a
pas été effectué sérieusement, ni au moment
de la collecte des informations, ni cinq ans après leur
enregistrement puis tous les trois ans jusqu'au délai de
péremption.
Et les politiciens s'en sont déjà
préoccupés. En juin 2008, des membres du Grand Conseil
bâlois apprenaient qu'ils étaient fichés et dans la
foulée, la conseillère aux Etats socialiste Anita Fetz
interpellait le Conseil fédéral sur la gestion d'Isis par
les organes concernés. Le 26 novembre 2008, le Conseil
fédéral lui répond que "pour l'instant, aucun
indice ne permet de conclure que le SAP n'aurait pas respecté
les limites du traitement des données définies par la
loi".
Sur la base de la même affaire, la commission
parlementaire
a néanmoins ouvert une enquête. Et c'est la publication de
son rapport qui a révélé au grand public cette
nouvelle affaire, vingt ans après la première. Hier, ses
auteurs n'ont pas voulu réagir aux déclarations et
critiques d'Ueli Maurer. /MAG
---
L'Hebdo 8.7.10
Affaire des fiches
LE RETOUR DE L'ÉTAT FOUINEUR
PAR JULIE ZAUGG ET PATRICK
VALLÉLIAN
LES FAITS
Vingt ans après le scandale de l'Etat fouineur,
voilà que nos James Bond à croix blanche refont parler
d'eux. Durant des années, ils ont fiché des milliers de
personnes sans respecter la loi, dénonce le conseiller aux Etats
Claude Janiak (PS/BL). Selon le président de la
Délégation des commissions de gestion des Chambres
fédérales (DélCdG), 110 000 données sur les
200 000 que contient le système d'information relatif à
la protection de l'Etat (ISIS) n'ont pas fait l'objet des
contrôles prévus. Pire, ISIS est rempli de données
non pertinentes, erronées et inutiles qui concernent en grande
majorité des personnes ou institutions étrangères.
LES COMMENTAIRES
Comment en est-on arrivé à un tel fiasco, se
demande Le Temps. Celui de considérer des morts comme des
dangers pour la sécurité de l'Etat? Celui de
soupçonner des milliers d'étrangers ou de
naturalisés comme de vulgaires terroristes? Ces fichages
"absurdes" sont le fruit d'une "mentalité du soupçon",
tonne Werner Carobbio, interrogé par Swissinfo. L'ancien
conseiller national socialiste tessinois sait de quoi il parle. Il
avait enquêté sur la première affaire des fiches
dans les années 90. Mis sous pression, le Service de
renseignement (SRC) vont corriger le tir. Seuls seront fichés
ceux qui seront considérés, après examen, comme
dangereux, promet dans la NZZ am Sonntag Markus Seiler, directeur du
SRC. Quant au Conseil fédéral, il attend le rapport de la
DélCdG pour se prononcer, même si une première
tête est tombée. L'ancien chef du Service d'analyse et de
prévention, Urs von Däniken, a été
remplacé à la tête de la réorganisation du
Ministère public de la Confédération. Christoph
Blocher est également dans le viseur. En tant que ministre de la
Justice, il avait fermé les yeux sur ces pratiques "pas si
graves", estime-t-il sur TéléBlocher. Cette affaire ne
vise qu'à détourner l'attention de l'affaire libyenne,
dit-il.
À SUIVRE
Le Conseil fédéral avance à pas de
Sioux sur
ce terrain miné. Et pour cause: cet automne, il
présentera au Parlement son second message sur la
révision de la loi sur la sûreté intérieure.
Une loi qui devrait renforcer les pouvoirs du SRC en permettant
notamment des écoutes préventives. La première
mouture, jugée trop "fouineuse", lui avait été
renvoyée par les Chambres.
--
OPINION
LA CHRONIQUE DE JACQUES PILET
CAPHARNAÜM POLICIER
Ce qu'il y a de bien, dans une société
amnésique comme la nôtre, captivée par les spasmes
de l'actualité, c'est qu'on se sent plus léger. On passe
d'une affaire à l'autre sans en faire tout un plat.
Il eût été piquant néanmoins,
lorsque
furent découvertes les dernières fiches folles de la
Police fédérale, de mieux se souvenir du scandale
précédent, celui des années 90. Il était,
du moins en nombre, d'une autre ampleur: 900 000 personnes et
institutions avaient été répertoriées pour
le danger présumé qu'elles faisaient peser sur la
sécurité de l'Etat. Toute une bureaucratie de fouineurs
fut mise à jour. Elle comptait sur les contributions des Polices
cantonales mais aussi sur les délations de citoyens qui, par
centaines de milliers, dénonçaient d'hypothétiques
subversifs.
Quand, par la suite, furent nettoyées les
écuries,
les fichés purent consulter la prose policière les
concernant. Ils se souviennent de tant de notations rocambolesques, des
suspicions imbéciles, des noms des mouchards barrés de
noir. Quelques-uns s'indignèrent, la plupart prirent le parti
d'en rire.
Ils n'imaginaient pas que tout allait recommencer. Le
conseiller
fédéral Arnold Koller qui succéda à
Elisabeth Kopp avait pourtant tout fait pour que ces méthodes
dignes des temps de la guerre froide soient bannies. Il avait
même constitué une Commission consultative,
composée de personnalités indépendantes de tous
bords: celle-ci devait écouter les responsables de la Police
fédérale, des services de renseignement et s'entretenir
avec eux des objets de leur curiosité, de leurs
priorités, tenter de faire le tri entre menaces réelles
et fantasmatiques. Un regard extérieur, pensait Koller, serait
utile pour éviter les possibles dérapages de certains
fonctionnaires enfermés dans une vision étroite et
obsessionnelle de leur tâche. Ruth Metzler maintint cet usage.
Mais Christoph Blocher, que cet exercice horripilait, décida de
dissoudre cet organe.
Si quelqu'un ne s'en plaignit pas, c'est Urs von Daeniken,
ficheur en chef de vieille date. Un personnage de roman. Petit,
effacé, lunettes rondes et moustache fine, pas un mot plus haut
que l'autre, cet avocat était entré à 28 ans au
service de la Police fédérale dont il devint le
numéro deux, puis le chef après la tourmente de 1989.
L'inventaire des "extrémistes" et des trublions de tous poils
était pour lui une mission jouissive. Avec son armée de
collaborateurs, il eut beaucoup de travail à épier les
gauchistes d'après 1968. Il s'intéressa aussi aux groupes
néo-nazis. Ce qu'il semblait préférer,
c'était l'observation des groupes étrangers liés
à des conflits internationaux: Kurdes, Tamouls, Africains...
Jamais il ne révélait ses penchants idéologiques.
Il voulait être un fonctionnaire modèle. Minutieux,
laborieux. Et c'est ce zèle-même qui le conduisit à
répéter sans cesse ce qu'il savait et aimait faire,
sûr de lui, sans états d'âme, insensible aux mises
en garde parlementaires qui ne manquèrent pas au long de son
parcours.
Plus d'une fois on le crut ébranlé par les
scandales, la guerre des polices, les questions gênantes,
pourtant le personnage, dans sa fadeur et son obstination (deux atouts
dans l'administration fédérale!), paraissait
insubmersible.
Mais les dernières révélations de la
Commission de gestion lui ont été fatales. A 57 ans, sa
retraite est en vue. On ne peut s'empêcher de se demander
à quelle autre passion tatillonne il se vouera.
Restent les questions clés. Ficher les gens
à tort
et à travers n'est pas bien, mais l'angélisme n'est pas
de mise non plus. Qui contrôlera enfin cette Police
fédérale? Qui veillera à son efficacité?
Car la boulimie fouineuse n'en est nullement la garante. Mettre le plus
d'étrangers possible dans le collimateur, c'est absurde.
Prévenir les nombreux dangers nouveaux est un exercice autrement
plus exigeant. Mafias internationales, manipulateurs
cybernétiques, réseaux criminels... Il y a de quoi faire!
Mais dans ce pays, personne ne sait au juste qui fait quoi.
Confédération et cantons s'entendent mal. Les divers
services fédéraux sont mal intégrés. Les
polices restent souvent mal équipées face aux nouveaux
truands.
Si pour mettre de l'ordre dans ce capharnaüm, on se
tourne
vers le brave Ueli Maurer, ministre confus, chaotique, bourré de
préjugés, alors on peut être sûr que d'autres
aberrations apparaîtront un jour. A la prochaine.
Qui contrôlera enfin cette Police
fédérale?
Qui veillera à son efficacité?
Retrouvez cette chronique dans "L'air du large", le blog
de
Jacques Pilet, enrichie de références et d'informations
complémentaires.
---
24 Heures 8.7.10
Ueli Maurer veut réduire le nombre de fiches
Gumy Serge
RENSEIGNEMENT - Le ministre de la Défenseadmet une
partie
des reprochesfaits par le parlement au Service de renseignement
fédéral. Mais il affirme ne pas avoir attendu la nouvelle
affaire des fiches pour faire le ménage.
SERGE GUMYBERNE
Ueli Maurer a lancé l'opération Canadair.
Hier, le
ministre de la Défense est sorti du bois pour tenter
d'éteindre l'incendie qui menace la Berne fédérale
en ce début d'été. L'étincelle qui a mis le
feu? Le brûlot publié la semaine dernière par la
Délégation des Commissions de gestion. Dans un rapport
très critique, les six parlementaires chargés de la
surveillance du Service de renseignement de la
Confédération (SRC) accusent ce dernier de ne pas
vérifier la qualité des informations personnelles
stockées dans son système d'information relatif à
la sûreté de l'Etat (ISIS).
Sur le fond, le conseiller fédéral UDC
partage une
bonne partie des critiques émises dans le rapport. "J'ai
été un peu surpris par la masse de données
contenues dans ISIS(ndlr: 200 000 noms, dont moins de la moitié
ont fait l'objet des contrôles légaux de qualité).
Une telle quantité de données n'est pas gérable. "
Et d'annoncer qu'à l'avenir ISIS ne devra recenser que des
personnes réellement suspectes - ce qui devrait réduire
sa taille.
Malgré les couacs dénoncés, "parler
d'une
affaire des fiches me paraît exagéré", ajoute le
Zurichois, en se lançant dans une vaste entreprise d'absolution.
Il commence par s'absoudre lui-même: les problèmes
dénoncés par la Délégation des Commissions
de gestion avaient déjà été
détectés en janvier 2009 par des inspections internes
à son département. En conséquence, le
contrôle de la qualité des données ISIS a
été renforcé, des fiches sujettes à caution
ont été effacées. La grande lessive a son prix:
2 millions de francs.
Dans son élan de mansuétude, le conseiller
fédéral passe aussi l'éponge sur l'ardoise des
collaborateurs du Service de renseignement de la
Confédération. "Ils travaillent bien. Comme le pouvoir
politique n'est pas intervenu pendant des années, ils pouvaient
légitimement se dire qu'ils faisaient correctement leur travail.
" Ueli Maurer admet néanmoins qu'un changement de
mentalité s'impose. "On a depuis toujours noté tous les
détails de façon très minutieuse. Mais les agents
faisaient ce qu'on leur disait de faire. "
Blocher est ménagé
Et là, le ministre de la Défense
dénonce les
lacunes passées dans la conduite du SRC. Suivez son regard: il
mène sans doute vers Urs von Daeniken, l'ancien patron des
services de renseignement intérieur. Et que dire de Christoph
Blocher? La Délégation des Commissions de gestion
reproche à l'ex-conseiller fédéral UDC d'avoir
refusé d'engager du personnel supplémentaire pour
contrôler la qualité des données d'ISIS. Ueli
Maurer coupe court à la polémique: "Il faudrait remonter
aux précédents chefs du Département de justice et
police. Cependant, ma mission n'est pas de dénoncer les
responsables, mais de résoudre les problèmes. "
Des solutions, Ueli Maurer en esquisse quelques-unes: un
fichier
ISIS revu à la baisse, un droit de regard étendu des
individus sur les informations les concernant. Le ministre de tutelle
en appelle aussi à un vaste débat sur la mission des
services de renseignement, sans se faire d'illusions: entre les
défenseurs des libertés individuelles et les partisans de
la sécurité, le compromis sera difficile à
trouver. •
--
L'espionnage actuel vise la finance
Avec la crise financière, "l'économie et les
banques helvétiques sont devenues la cible de l'espionnage
étranger", a indiqué hier Markus Seiler,chef du Service
de renseignement de la Confédération (SRC), dans son
rapport annuel livré hier. Certains Etats recherchent activement
des informations concernant de l'argent de leurs citoyens soustrait au
fisc. Les services de renseignements étrangers peuvent
intercepter des communications entre les banques suisses et leurs
clients, engager des informateurs au sein de ces établissements
ou obtenir des données via des prestataires indépendants.
Le terrorisme constitue par ailleurs une menace toujours
actuelle. Mais la Suisse n'est toujours pas considérée
comme une cible principale, selon le SRC. ATS
---
La Liberté 8.7.10
Maurer blanchit ses hommes
Affaire des fiches ● Le conseiller fédéral
Ueli
Maurer reconnaît les déficiences du système de
fichage, mais renvoie la responsabilité aux politiciens.
Magalie Goumaz
Oui, le fichage est mal fichu! Oui, des mesures ont
déjà été prises pour remettre sur les rails
ISIS. Cette banque de données relative à la protection de
l'Etat s'est emballée ces dernières années, allant
jusqu'à enregistrer près de 200 000 noms, dont une bonne
part d'informations erronées ou inutiles. Mais non, les
têtes ne vont pas tomber.
La faute aux politiciens
Pour Ueli Maurer, venu s'expliquer hier dans
l'après-midi,
les responsables des cafouillages relevés la semaine
dernière par une commission parlementaire ne sont pas à
rechercher à l'intérieur de sa maison. En
résumé, ce sont les politiciens qui n'ont jamais dit
jusque-là que le Service d'analyse et de prévention (SAP)
faisait mal son travail.
Telle est la ligne de défense du ministre qui
choisit de
protéger les siens, mais aussi l'ancien ministre responsable et
collègue de parti Christoph Blocher, tout en admettant le
problème. De la même manière, il veut bien tenter
de mettre de l'ordre dans ces fichiers - car il admet qu'il y a un
"potentiel d'amélioration" - mais appelle également
à un débat de fond sur ce que doit inclure la protection
de l'Etat, renvoyant la balle plus loin, c'est-à-dire à
la révision de la loi sur la sûreté
intérieure à l'horizon 2012-2013.
Ueli Maurer a déjà réagi
Chez Ueli Maurer, cette posture commence à devenir
un
style. Avec lui, quand quelqu'un pointe du doigt la lune, il ne faut
regarder ni la lune ni le doigt, mais les étoiles filantes. Le
conseiller fédéral UDC a une bonne raison de rester
serein: il a réagi dès son entrée en fonction, au
début 2009. Le rapport de la Délégation des
commissions de gestion des Chambres fédérales est venu
confirmer son propre constat. D'ailleurs, un budget a
déjà été débloqué pour
améliorer le fonctionnement d'ISIS. Le changement prendra du
temps, a néanmoins avoué Ueli Maurer, dont l'objectif
premier est assez modeste: ne pas aggraver le problème.
Hier, son département rappelait également
les
grandes étapes d'ISIS, de son introduction en 1994 à son
renouvellement technologique complet en 2005. Manière d'indiquer
les priorités de ces dernières années, auxquelles
il faudrait ajouter le raccordement des cantons au système, les
problèmes de coordination entre services de renseignements et
les changements de ministres responsables (Koller, Metzler, Blocher,
Widmer-Schlumpf et enfin Maurer).
La patate chaude
Ce qui ne change rien au fait que les dispositions
légales
n'ont pas été respectées, que la culture n'a pas
changé. Le mandat du SAP, aujourd'hui Service de renseignement
de la Confédération (SRC) après sa fusion avec le
Service de renseignement stratégique, est d'analyser les menaces
qui pèsent sur la Suisse. Parmi ces menaces, sont cités
le terrorisme, le service de renseignement prohibé,
l'extrémisme violent et la prolifération de certaines
armes. ISIS est l'outil de prédilection du SAP. Mais l'examen
régulier de la pertinence des données qu'il contient n'a
pas été effectué sérieusement, ni au moment
de la collecte des informations, ni cinq ans après leur
enregistrement puis tous les trois ans jusqu'au délai de
péremption.
Et les politiciens s'en sont déjà
préoccupés. Certes, ils ont aussi été
accaparés par les péripéties citées. Mais
en juin 2008, des membres du Grand Conseil bâlois apprenaient
qu'ils étaient fichés et dans la foulée, la
conseillère aux Etats socialiste Anita Fetz interpellait le
Conseil fédéral sur la gestion d'ISIS par les organes
concernés. Le 26 novembre 2008, le Conseil fédéral
lui répond que "pour l'instant, aucun indice ne permet de
conclure que le SAP n'aurait pas respecté les limites du
traitement des données définies par la loi".
Sur la base de la même affaire, la commission
parlementaire
a néanmoins ouvert une enquête. Et c'est la publication de
son rapport qui a révélé au grand public cette
nouvelle affaire des fiches, vingt ans après la première.
Hier, ses auteurs n'ont pas voulu réagir aux déclarations
et critiques d'Ueli Maurer. I
--
Les banques suisses espionnées
Le vote antiminarets n'a pas placé la Suisse dans
la ligne
de mire des terroristes. Mais avec la crise financière,
l'économie et les banques helvétiques sont devenues la
cible de l'espionnage étranger, constate le Service de
renseignement de la Confédération (SRC).
Les services secrets d'autres pays ne se contentent plus
d'observer l'opposition exilée et les organisations
internationales, note le SRC dans son premier rapport sur la
sécurité. La crise financière et les pertes
fiscales qui en ont résulté ont incité certains
Etats à rechercher activement des informations concernant de
l'argent de leurs citoyens soustrait au fisc.
D'autres pays ont recouru à l'espionnage pour
empêcher la fuite de capitaux et renforcer leur place
financière. Les services de renseignement étrangers
peuvent intercepter des communications entre les banques suisses et
leurs clients, engager des informateurs au sein de ces
établissements ou obtenir des données via des
prestataires indépendants. ATS
---
Le Matin 8.7.10
Maurer botte en touche
scandale des fichesLe ministre de la Défense
reconnaît que des erreurs ont été commises. Mais
pour la solution, il faudra repasser dans… trois ans!
Muhieddine
"Nous travaillons à résoudre le
problème des
fiches, mais cela est beaucoup plus difficile que ça n'en a
l'air. Il est impossible de tirer la prise. " La réponse d'Ueli
Maurer paraissait hier bien légère devant les accusations
avancées la semaine dernière par la
Délégation des commissions de gestion (DelCdG),
chargée de surveiller les services de renseignements suisses.
Son rapport fustigeait la base de données ISIS, censée
ficher les individus susceptibles de représenter une menace pour
la Suisse.
La délégation avait découvert un
véritable capharnaüm. Les services secrets suisses ne
vérifiaient plus comme la loi l'exige la pertinence des
données existantes. Pire, ils n'ont effectué aucun
contrôle avant le fichage de dizaines de milliers de personnes.
En fait, les services secrets suisses semblaient être pris d'une
furie de ficher: en quatre ans, le nombre de personnes
enregistrées dans ISIS est passé de 100 000 à
près de 200 000 (dont 11% de résidents suisses).
Bref, tout laisse à croire que si les
parlementaires de la
DelCdG n'avaient pas arrêté cette machine qui s'emballait,
cela aurait recommencé comme il y a vingt ans, avant le premier
scandale des fiches.
mérite et bonne volonté
Du coup, une réaction claire du Conseil
fédéral était attendue. Après le
traumatisme du premier scandale, les têtes des responsables de
cette nouvelle affaire des fiches allaient rouler et des mesures
être prises sur-le-champ. Rien, ou presque de tout cela, n'a
été annoncé hier par Ueli Maurer, le ministre en
charge des services de renseignements.
Il n'a pas été question de l'ancien chef des
services de renseignements suisses Urs von Daeniken ou de l'ancien
conseiller fédéral Christoph Blocher, tous les deux en
poste alors que le fichage chaotique avait commencé. "Je ne suis
pas ici pour désigner les coupables, mais pour corriger les
erreurs du passé", affirmait hier Ueli Maurer.
Soit. Le ministre de la Défense a eu le
mérite de
reconnaître que des fautes avaient été commises.
Mais en guise de solution, il n'avait que sa bonne volonté
à proposer.
irrégularités connues
Il a révélé que le Conseil
fédéral avait déjà constaté les
irrégularités grâce à deux rapports internes
qu'il a demandés début 2009. Depuis, des mesures ont
été prises pour diminuer la quantité des fiches et
améliorer les contrôles. Pour cela, deux millions ont
été débloqués: le premier pour 2010 et un
autre pour 2011. Une somme qui semble bien dérisoire face
à l'immensité de la tâche.
Pas de quoi garantir qu'une troisième affaire des
fiches
n'éclate de nouveau. Ueli Maurer a avoué qu'il n'avait
"aucun moyen d'assurer qu'ISIS ne restera pas un électron libre".
Pour le reste, le patron de la Défense a
préféré passer la patate chaude un peu plus loin…
C'est désormais, selon lui, au Conseil fédéral,
puis au Parlement de mener un large débat de fond sur les
missions des services secrets et de déterminer qui doit
être fiché et selon quels critères. Le débat
n'est prévu aux chambres qu'en 2012, voire en 2013.
S'agit-il vraiment d'un flou juridique comme le laisse
sous-entendre Ueli Maurer ou est-ce simplement la loi qui n'a pas
été appliquée? Car la discussion qu'Ueli Maurer
entend lancer a déjà eu lieu il y a vingt ans en Suisse.
Résultat: les services secrets sont censés s'occuper des
dangers liés au terrorisme, aux services de renseignements
prohibés, à l'extrémisme violent, au commerce
illicite d'armes et de matières radioactives. Pourra-t-on
être plus précis?
Hier les membres de la DelCdG, pour la plupart en
vacances, n'ont
pas voulu trancher. Ils attendent la réponse officielle que le
Conseil fédéral devrait leur adresser en automne. Mais
pas sûr qu'Ueli Maurer ait réussi à
désamorcer le dossier.
--
LA SUISSE, NOUVEL ELDORADO DES ESPIONS
Ce n'est pas un hasard si Ueli Maurer est venu parler hier
de
l'affaire des fiches. Il s'est présenté aux
côtés de Markus Seiler, le chef du service de
renseignements de la Confédération, venu présenter
pour la première fois le rapport annuel des services secrets
suisses. Le patron des renseignements semblait aligner les menaces qui
pèsent sur la Suisse comme autant d'arguments pour le maintien
des fiches.
En résumé, "la situation est stable". La
Suisse
connaît toujours trois types principaux d'extrémismes
violents: les groupes d'extrême gauche, ceux d'extrême
droite et les défenseurs de la cause animale. Un attentat
terroriste ou une cyberattaque sont toujours envisageables, mais la
votation antiminarets n'a pas aggravé la situation. La
nouveauté: la crise financière a provoqué un
afflux massif d'espions étrangers dans le milieu bancaire. Mais
Markus Seiler a refusé de confirmer s'il s'agissait de pays
voisins, comme la France ou l'Italie ou les Etats-Unis.
---
Le Temps 8.7.10
La responsabilité des politiques
Denis Masmejan, Berne
Le ministre de la Défense, Ueli Maurer,
reconnaît
que le service de renseignement intérieur, dont les
dérapages viennent d'être dénoncés par un
rapport, n'avait pas été suffisamment
contrôlé. Une première série de mesures sera
soumise au parlement
"Le pouvoir politique ne s'est pas soucié de
vérifier si ceux qui étaient chargés du
renseignement travaillaient correctement. Comme on ne leur a rien dit,
ils ont pu partir de l'idée qu'ils faisaient bien leur travail."
Adhérant sans réserve aux conclusions de la
délégation parlementaire de surveillance des services
secrets, Ueli Maurer a reconnu une responsabilité de la
hiérarchie et de l'échelon politique dans les
dérapages du service de renseignement intérieur
dénoncés par le rapport rendu public la semaine
dernière. Le ministre UDC de la Défense s'est
soigneusement abstenu de donner des noms - il aurait pu être
amené à citer celui de Christoph Blocher -, mais ses
propos ont visé sans ambiguïté certains de ses
prédécesseurs au Conseil fédéral.
Venu présenter, mercredi, le premier rapport annuel
du
Service de renseignement de la Confédération (SRC), qui
regroupe désormais sous la direction du Département de la
défense le renseignement intérieur, auparavant
rattaché à Justice et police, et le renseignement
extérieur, Ueli Maurer s'est engagé à
régulariser la situation aussi vite que possible. Mais la
tâche n'est pas simple et prendra un certain temps, a-t-il
relevé sans plus de précisions. La masse d'informations
qui doit être traitée et extraite du système est en
effet considérable. Il en coûtera un million de francs
pour 2010 et autant pour 2011.
Les manquements ont été rapidement
identifiés après l'intégration du renseignement
intérieur au sein du Département de la défense au
début de l'an dernier, a rappelé Ueli Maurer, qui s'est
toutefois refusé à sanctionner les responsables. "Mon
rôle est de trouver des solutions et non de faire rouler des
têtes."
Le nombre d'informations enregistrées dans le
fichier de
la protection de l'Etat va probablement baisser à l'avenir, a
pronostiqué le conseiller fédéral. Une
première série de mesures devrait être
présentée au parlement cette année encore. Le
droit des personnes fichées d'être informées
pourrait ainsi être étendu, conformément aux
recommandations formulées par la délégation
parlementaire.
Une réforme plus ambitieuse, touchant à un
éventuel renforcement des moyens d'investigation à
disposition du renseignement, est également prévue mais
ne sera pas prête avant 2012. Elle devra faire l'objet au
préalable d'une discussion approfondie, a insisté Ueli
Maurer. Un premier projet qui prévoyait d'autoriser les
écoutes téléphoniques à des fins de
renseignement - elles ne sont possibles aujourd'hui que dans le cadre
d'une enquête judiciaire - avait échoué devant le
parlement en raison de l'opposition conjointe de la gauche et de l'UDC.
S'exprimant sur l'évaluation des menaces qui
pèsent
sur la Suisse, le chef du SRC, Markus Seiler, a confirmé de son
côté que la place financière était la cible
d'opérations d'espionnage au profit de services de renseignement
étrangers.
--
Urs von Daeniken, l'homme par qui le scandale est
arrivé
Après le rapport de la délégation
parlementaire, les questions fusent. Comment le patron du renseignement
intérieur a-t-il pu déraper sans que personne
n'intervienne?
D. M.
Après le rapport de la délégation
parlementaire, les questions fusent. Comment le patron du renseignement
intérieur a-t-il pu déraper sans que personne
n'intervienne?
Urs von Daeniken aura su durer, mais son talent à
se
maintenir en place paraît s'être, cette fois,
définitivement évanoui. Pour l'ancien chef du
renseignement intérieur, la chance a tourné la semaine
dernière, avec la publication du rapport accablant de la
délégation parlementaire chargée du contrôle
des services secrets. Aujourd'hui, sa disgrâce est
complète. Elle l'est d'autant plus que la
longévité même du personnage au sein de l'appareil
de sécurité de l'Etat est devenue tout à coup
très difficile à assumer pour ses supérieurs,
actuels mais aussi passés.
Sans ce rapport, sans l'exposé public de la gestion
désastreuse du Service d'analyse et de prévention (SAP)
durant de longues années, la carrière d'Urs von Daeniken
se serait terminée dans l'indifférence
générale. A défaut de partir avec les honneurs, ce
Soleurois aux faux airs de notaire de province aurait quitté la
scène sur la pointe des pieds, en homme habitué à
la discrétion, à près de 60 ans.
Il avait été mis sur la touche en 2008
déjà, sans éclats, au moment du regroupement des
services secrets. Le renseignement intérieur, sur lequel il
régnait depuis dix-huit ans et qui dépendait
historiquement du Département de justice et police, a alors
passé au Département de la défense. Son
éviction s'est déroulée avec le minimum de
publicité possible. Le patron du SAP restait au service du DFJP,
tandis que son second, Jürg Bühler, reprenait les rênes
du renseignement intérieur dans la nouvelle structure au sein de
la Défense. La continuité, en somme.
Un vernis que les événements de la semaine
dernière ont fait éclater. Jürg Bühler, qui
s'est montré totalement solidaire de son ancien chef devant la
délégation parlementaire, est désormais lui aussi
sur la sellette. Quant à Urs von Daeniken, Eveline
Widmer-Schlumpf lui a promptement retiré le mandat qu'elle lui
avait confié ce printemps, consistant à superviser
l'intégration administrative des juges d'instruction
fédéraux au sein du Ministère public en vue de
l'entrée en vigueur, l'an prochain, de la nouvelle
procédure pénale fédérale. La ministre de
la Justice a fait machine arrière vendredi, dans les heures qui
ont suivi un communiqué courroucé de la Commission de
gestion du Conseil national manifestant sa "stupeur" à
l'idée qu'une tâche aussi délicate puisse continuer
à être confiée à quelqu'un qui n'avait pas
dit toute la vérité à la délégation
parlementaire. Des voix éparses commencent même à
s'élever au parlement pour qu'Urs von Daeniken, qui dispose par
ailleurs de mandats privés, ait l'élégance de
quitter le service de la Confédération avant le terme de
ses engagements contractuels à fin 2011.
A cette date, il y aura trente ans exactement qu'Urs von
Daeniken
a intégré la police fédérale. C'est en 1981
qu'il y est entré comme juriste, avant de grimper rapidement les
échelons. Il est déjà un homme du sérail
quand éclate le scandale des fiches, mis au jour en novembre
1989 par la commission d'enquête parlementaire sur l'affaire
Kopp. A ce moment, il est même depuis deux ans l'adjoint de Peter
Huber, le chef de la police fédérale,
éjecté sous la pression du scandale. Arnold Koller ne
voit pas d'obstacle à confier les destinées du service
à un homme fortement lié à ce passé sur
lequel on se jure désormais de vouloir tirer un trait. Urs von
Daeniken est confirmé en 1993 dans un poste qu'il occupe ad
interim depuis 1990.
C'est le début d'un règne dont la
durée,
dans une fonction par définition exposée, suscite
rétrospectivement beaucoup de questions. Ni Ruth Metzler, qui a
pourtant réussi à lui imposer une profonde
restructuration, ni surtout Christoph Blocher, en poste au plus fort
des dérapages reprochés à Urs von Daeniken, n'ont
su empêcher le désastre. Pas davantage, d'ailleurs, que
Jean-Luc Vez, le directeur de l'Office fédéral de la
police et supérieur direct du chef du SAP.
Parmi les recettes pouvant expliquer une telle
longévité, ceux qui l'ont vu travailler citent en
particulier le climat de loyauté à toute épreuve
qu'il a créé autour de lui. Quand Ruth Metzler veut
scinder la police fédérale en deux, la police judiciaire
d'un côté, le renseignement de l'autre, Urs von Daeniken
se lève au beau milieu d'une séance pour relayer
l'opposition de la base. Il n'aura pas gain de cause, mais qu'importe,
il aura gagné encore davantage l'estime de ses
subordonnés.
L'autre explication réside dans
l'indifférence
qu'en dépit du scandale des fiches les responsables politiques
ont continué à vouer au renseignement. Le pouvoir
politique, vient de reconnaître Ueli Maurer (lire ci-dessus), ne
s'est pas soucié de savoir comment travaillait le service. Urs
von Daeniken a été assez habile pour faire croire qu'il
tenait la maison afin d'avoir les coudées franches. A
l'extérieur, il a su donner l'image d'un homme parfaitement
conscient que la Suisse et ses services de sécurité ne
peuvent plus se permettre une nouvelle affaire des fiches. En 1998,
alors que le peuple suisse s'apprête à se prononcer sur
une initiative voulant supprimer la police "fouineuse", Urs von
Daeniken assure au Temps que depuis l'affaire des fiches "tout a
changé, l'approche politique, les méthodes de travail, le
traitement des données, les bases légales".
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ANTIFA
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antifa.ch 7.7.10
Medienmitteilung: Antifaschistische Flugblatt-Verteilaktion in
Burgdorf
Sehr geehrte Medienschaffende
Aktivistinnen und Aktivisten haben heute Abend in Burgdorf
Tausende von Flugblättern (siehe Anhang) gegen das
Nazi-Lokal "Royal Aces Tattoo-Bar" verteilt. Darin fordern wir
die Bewohnerinnen und Bewohner von Burgdorf auf, sich gegen den
rechtsextremen Treffpunkt an der Rütschelengasse 27 zu
wehren.
Es ist stossend, dass Neonazis in der Emmestadt eine
öffentliche
Bar betreiben können. Wir lassen nicht locker, bis der Treff
Geschichte ist!
Kein m2 den Nazis - die "Royal Aces Tattoo-Bar" dichtmachen!
Mit freundlichen Grüssen
Antifa Bern, Antifa Oberland, Augenauf Bern, Bündnis Alle
gegen Rechts, DAB, RJG, Rep
ro
--
Flugi
Courage zeigen!
Den Burgdorfer Neonazi-Treff dichtmachen!
Mitte Mai hat in Burgdorf die rechtsextreme "Royal Aces Tattoo-
Bar"
ihre Türen geöffnet und - einmal mehr - die Emmestadt in ein
ungünstiges Licht gerückt. Die Bar an der
Rütschelengasse 29 ist eine Premiere in der Schweiz: Noch nie
verfügten Neonazis hierzulande über ein öffentliches
Lokal. Dies ist stossend. Kämpfen wir gemeinsam für eine
Schliessung des Treffs!
Hinschauen....
"Eine Bar für Jung und Alt": Auf der Website des Lokals
geben sich
die Betreiberinnen und Betreiber betont brav und unverdächtig.
Doch die akten lassen keinen Zweifel offen, wer sich in den
Räumlichkeiten des ehemaligen "Coffee-Shop" eingemietet hat:
Inhaberin des Treffs ist laut dem Schweizerischen Handelsamtsblatt
Sophie Güntensperger, die Freundin des langjährigen
Burgdorfer Naziskins Reto Siegenthaler, mit dem sie auch die Wohnung
teilt. Der Name der Bar, "Royal Aces Tattoo-Bar", nimmt Bezug auf den
Song "Royal Aces" der deutschen Rechtsrock- Band "Barking Dogs", der
von "stolzen und tätowierten Rebellen" handelt und den
Strassenkampf zum "Heiligen Krieg" erklärt.
Beim Umbau der Bar in diesem Frühling hat Sophie
Güntenspergers rechtsextremes Umfeld kräftig Hand angelegt:
So wurde unter anderem der Burgdorfer Gitarrist der Neonazi-Band
"Indiziert", Alex Rohrbach, gesichtet. Die - mittlerweile nicht mehr
öffentlich zugängliche - Facebook-Seite des Lokals zeigt, wer
zur (potenziellen) Kundschaft des Lokals zählt: Unter den rund 280
"Freunden" findet sich das Who is Who der gegenwärtig aktiven
Nazis, u.a. Denise Friederich und Michael Herrmann von der
Führungsriege der Partei National Orientierter Schweizer (PNOS),
der Hammerskin und Präsident der...
(Rest momentan verschollen... ☺ )
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RECHTSEXTREM
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Bund 8.7.10
Kommission kritisiert Verzicht auf Hitlergruss-Verbot
Die Schweiz könnte ein "Hort rechtsextremer
Materialien"
werden, befürchtet die Eidgenössische Rassismuskommission.
Sie kritisiert den Entscheid des Bundesrates, der den Hitlergruss und
andere rechtsextreme Symbole wie das Hakenkreuz nicht verbieten will.
Heute ist der Gebrauch von Symbolen wie Hitlergruss oder Hakenkreuzen
untersagt, wenn damit öffentlich für eine rassistische
Ideologie geworben werden soll. Der Bundesrat beschloss Ende Juni,
nichts daran zu ändern. Damit laufe die Schweiz gegen den Trend -
in den Nachbarländern liefen Anstrengungen zur Verschärfung
der Gesetze gegen Rechtsradikalismus, stellte die Rassismuskommission
fest. (sda)
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ANTI-ATOM
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Oltner Tagblatt 8.7.10
Abbruch der Richtplananpassung gefordert
Grüne Region Olten Partei sagt grundsätzlich
Nein zu
einem neuen Standort für Gösgen 2
In ihrer Stellungnahme zur Anpassung des kantonalen
Richtplans
bezüglich Gösgen 2 verlangen die Grünen der Region
Olten, dass der Kanton Solothurn keine Änderungen vornimmt. Sie
fordern, dass auf die Festsetzung eines Standortes für ein
eventuelles neues Atomkraftwerk im Niederamt ersatzlos verzichtet wird.
Dies teilt die Partei in ihrer gestrigen Medienmitteilung mit. Die
Grünen der Region Olten verlangen, dass der Kanton Solothurn keine
Änderungen im Richtplan vornimmt und fordern, dass auf die
Festsetzung eines Standortes für ein eventuelles neues
Atomkraftwerk im Niederamt ersatzlos verzichtet wird.
Die wichtigsten Ablehnungsgründe sind für die
Grünen die regionalwirtschaftlichen Auswirkungen sowie die
spezifischen Gefahren und Risiken von Atomkraftwerken. Aber auch die
Auswirkungen auf Natur und Landschaft, Bodenverbrauch,
Verkehrsaufkommen sowie die Belastungen durch das Kühlsystem
lassen nur einen Schluss zu: Die Region Niederamt kann für ein
weiteres Atomkraftwerk nicht in Frage kommen.
Standortnachteil für eine grosse Region
"Ein solches Werk wäre ein massiver Standortnachteil
für die ganze Region Niederamt-Olten, hält doch die Nähe
eines AKW - erst Recht eines Doppel-AKW - viele potenziell gute
Steuerzahlerinnen und -zahler davon ab, in die Region zu ziehen, obwohl
sie den Vorteil kürzerer Arbeitswege und günstigen Wohnraumes
hätten", führen die Grünen aus, "Bisher werden die
scheinbaren Standortvorteile (Steuerertrag) von den Behörden und
der Wirtschaftsförderung überschätzt, die
Standortnachteile jedoch hartnäckig tabuisiert. Zu diesen
Nachteilen gehören auch Ungerechtigkeit und Neid innerhalb der
Region. Atomenergie nützt dem regionalen Gewerbe wenig, da bei
dieser Technologie der Hauptanteil der Aufträge an hoch
spezialisierte Unternehmen ausserhalb des Kantons und der Schweiz geht.
Ganz anders bei den Alternativen zur Atomkraft, d.h. Investitionen in
Energieeffizienz und in einheimische erneuerbare Energiequellen: Sie
bieten der Region eine wesentlich höhere, längerfristigere
Wertschöpfung und vielseitigere, dezentrale Struktur."
Darüber hinaus werde beispielsweise auch der Bildungssektor
gefördert: Das erforderliche Know-how werde in der Region
benötigt, was etwa in Olten die Aus- und
Weiterbildungsinstitutionen stärkt.
Gefahren und Risiken berücksichtigen
Die Grünen vermissen im Bericht des Kantons und im
Formular
zum Mitwirkungsverfahren die spezifischen Aspekte eines
Atomkraftwerkprojekts, das heisst Strahlenschutz sowie nukleare
Gefahren und Risiken. Dazu müssten sich die Behörden der
Region und die Bevölkerung unbedingt auch äussern
können. "Es fehlen im kantonalen Bericht jegliche
Ausführungen zur Katastrophenschutzplanung", monieren die
Grünen. Mit einem zusätzlichen AKW Gösgen 2 würde
das Strahlengefahrenpotenzial gegenüber heute rund verdoppelt. Ein
atomarer Unfall mit dem Entweichen von grossen Mengen an
Radioaktivität könne auch heute nicht völlig
ausgeschlossen werden. Betroffen wäre aber nicht nur die
Bevölkerung im Umkreis von 10 Kilometern, sondern auch jene
zwischen Freiburg und Schaffhausen, sowie zwischen dem
französischen Mulhouse und Luzern. Informationen über
Massnahmen des Katastrophenschutzes müssten darum einen Umkreis
von mindestens 80-120 km Radius betreffen.
Weiter würden die Grünen jeden Bezug zur
Tatsache
vermissen, dass Atomkraftwerke unvermeidlich Abfälle mit grossen
Mengen an Radioaktivität produzieren, die über derart lange
Zeiträume strahlen können und kontrolliert werden
müssen, dass es jedes menschliche Vorstellungsvermögen
übersteigt. Auch kurzfristig seien die Folgen beträchtlich:
"Jeder Wegtransport, aber auch alle nötigen Zwischenlagerungen
dieser Abfälle stellen zusätzliche Belastungen mit Gefahren
und Folgekosten für die Region dar, zum Beispiel Aufwendungen
für die öffentliche Sicherheit."
Beeinträchtigung der Lebensqualität
Bereits während eines Baus wäre die
Lebensqualität
massiv beeinträchtigt. Die Grünen weisen auf das zu
erwartende zusätzliche Verkehrsaufkommen hin: Über die
gesamte Bauzeit müsste mit 400 000 Lastwagenfahrten sowie mit dem
zusätzlichen Berufspendelverkehr von bis zu 3000
Beschäftigten gerechnet werden Alle denkbaren Zu- und Wegfahrten
führen durch Ortschaften bzw. Wohnquartiere. Auch der
Landverbrauch wäre immens: 25 Hektaren würden dauerhaft und
sogar 49 Hektaren während der Bauzeit beansprucht. Nicht nur
Landwirtschaftsflächen, sondern Auenwald und Naherholungsgebiete
würden geopfert. Die zusätzliche Gross-anlage hätte
negative Auswirkungen auf das Mikroklima und die
Grundwasserqualität. Und schliesslich würde das
Kühlsystem zu einer neuen Belastung für die nähere
Region. Ein weiterer hoher Kühlturm mit Dampffahne kommt wegen der
Flusswassererwärmung nicht in Frage; ein etwas flacherer
Hybrid-Kühlturm verschlingt jedoch unglaublich viel Energie,
verursacht Dauerlärm und ist mit seinen riesigen Ventilatoren
zusätzlich störungsanfällig." (mgt/otr)
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"Richtplan-anpassung fallen lassen"
Die Allianz "Nein zu neuen AKW" hat beim Kanton Solothurn
ihre
Einwendungen zur Richtplananpassung für den Standort eines zweiten
Kernkraftwerks im Niederamt deponiert. Ihre Hauptforderung lautet, die
Richtplananpassung sei ersatzlos fallen zu lassen. Eine
"vorgängige kantonale Standortentscheidung" vor einer
Rahmenbewilligung des Bundes für ein neues AKW sei aufgrund des
Kernenergiegesetzes ausgeschlossen. Die vom Kanton Solothurn aufgelegte
Richtplananpassung sei somit ein "planungsrechtlicher Leerlauf",
schreibt die Allianz "Nein zu neuen AKW". Sie wirft den Solothurner
Behörden vor, den Standortentscheid voranzutreiben, sich aber zu
weigern, die Diskussion um die mit der Atomkraft verbundenen
Sicherheits- und Strahlenschutzfragen zu führen. Der thematische
Bereich, zu welchem die Behörden Einwendungen entgegennehmen, sei
"auf einige wenige, gegenüber den atomaren Gefahren eines AKWs
nebensächliche Thematiken" beschränkt. Für die Allianz
"Nein zu neuen AKW" steht darum fest: "Das Richtplanverfahren im Kanton
Solothurn dient einzig und allein dazu, bei der Solothurner
Bevölkerung ohne echte inhaltliche Diskussion sion einen positiven
Bescheid zu Gösgen II abzuholen." Die Allianz kündigt an, mit
einer Abstimmungskampagne gegen die Rahmenbewilligung eine Mehrheit der
Bevölkerung gegen neue AKW mobilisieren zu wollen. Die Allianz
"Nein zu neuen AKW" um-fasst rund 35 atomkritische Organisationen der
Schweiz, darunter SP, Grüne, VCS, WWF, Greenpeace, Pro natura, Nie
wieder Atomkraftwerke, Schweizerische Energie-Stiftung, Ökozentrum
Langenbruck und andere. (mgt)
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Niederamt
Im Wesentlichen der Planungskommission gefolgt
Winznau Der Gemeinderat beriet die Richtplananpassung
für
ein neues Kernkraftwerk im Niederamt (KKN)
Der Gemeinderat Winznau hat die Richtplananpassungen
für ein
neues Kernkraftwerk im Niederamt (KKN) diskutiert. Dabei wurden die
Einwendungen präzisiert und komplettiert.
Der Winznauer Gemeinderat hat sich mit der Anpassung des
kantonalen Richtplans betreffend Standort für ein neues
Kernkraftwerk im Niederamt auseinander gesetzt. Bereits in der
Vorkonsultationsphase im Frühjahr hatte sich der Rat zur
beabsichtigten Richtplananpassung vernehmen lassen. Nun wurden
während der offiziellen Auflagefrist die Einwendungen
präzisiert und komplettiert. Der Gemeinderat folgte dabei im
Wesentlichen den von der Planungskommission eingebrachten Anträgen.
Wertvolle Auenwaldbestände
Der Rat beantragte, dass die Uferschutzzone während
der
Projekt- und Betriebsphase aus dem Projektperimeter zu nehmen sei und
als Vorranggebiet Natur und Landschaft nicht durch das KKN tangiert
werden dürfe. In seiner Begründung wies der Rat darauf hin,
dass die Alte Aare gemäss Naturinventar und Waldstandortkartierung
aufgrund des Vorkommens von seltenen und sehr wertvollen
Auenwaldbeständen nationale Bedeutung geniesse.
Weiter beantragte der Rat, dass der Ausgleich von
allenfalls
durch das Projekt KKN verlorener Fruchtfolgeflächen, dem
Verursacherprinzip folgend, in den Standortgemeinden zu erfolgen habe.
Die übrigen Gemeinden des Niederamtes dürften nicht dazu
herangezogenen werden, beispielsweise aus kompensatorischen
Gründen allfällige Verluste von Fruchtfolge- und
Bauzonenflächen regional auszugleichen.
An ÖV anbinden
Zudem verlangte der Gemeinderat, das KKN zwingend an das
öffentliche Busnetz anzubinden, wobei die Kosten für den Bau
und Betrieb von Haltestellen oder Linienerweiterungen
verursachergerecht vom KKN zu übernehmen seien. Ausserdem sei das
bestehende Wegnetz für den Langsamverkehr während der Bau-
und Betriebsphase ohne Einschränkungen zu erhalten.
Betreffend Kühlsystem, beziehungsweise Abwärme,
verlangte der Rat das Festschreiben der sinnvollen Nutzung der beim
Betrieb des KKN anfallenden Abwärme. Das diesbezügliche
Konzept sei vor Baubeginn aufzuzeigen und habe ökologischen und
wirtschaftlichen Kriterien zu genügen.
Der Rat verlangte, dass die Zwischenlagerung radioaktiver
Abfälle im Richtplan separat und unmissverständlich
auszuweisen sei. Ein geologisches Tiefenlager für schwach- und
mittelradioaktive Abfälle lehnte der Rat, mit Hinweis auf
Regionen, die im Gegensatz zum Jurasüdfuss das Prädikat "gut"
aufweisen, ab.
Faire finanzielle Abgeltung
Das geplante Kernkraftwerk Niederamt vermittelt bereits in
seinem
Namen die regionale Bedeutung. Die Auswirkungen durch Bau und Betrieb
werden regional deutlich spürbar sein. Alle allfälligen
Abgeltungen, Abgaben und Steuern müssten im Sinn eines fairen
Ausgleichs regional verteilt werden. Unterschiede von über 50
Prozent bei den Steuerfüssen, wie sie derzeit aus allseits
bekannten Gründen in den Gemeinden des Niederamts vorhanden seien,
müssten deutlich verringert werden können. Keinesfalls
dürften die Unterschiede durch das Projekt KKN und seine direkten
und indirekten Auswirkungen weiter verschärft werden.
In diesem Sinn erachtete der Rat Abgeltungen, respektive
deren
Regelung in der Region mittel- und längerfristig durchaus als
entwicklungswirksame und damit raumrelevante Faktoren. Konkret
beantragte der Gemeinderat, dass die Abgeltungen an den Strompreis
anzubinden und zu 40 Prozent an die vorgesehenen drei Standortgemeinden
sowie zu 60 Prozent an die übrigen Gemeinden der Zone 1 zu
entrichten seien. Der diesbezügliche Schlüssel müsse zum
Zeitpunkt der Genehmigung des Rahmenbewilligungsgesuches durch den
Bundesrat vorliegen.
Für die Begleitung des Planungsprozesses
wünschte der
Rat die Bildung einer geeigneten Organisation, die den
Informationsfluss zwischen Bund, Kanton, Standortgemeinden und weiteren
interessierten Gemeinden des Niederamtes sicherzustellen habe.
In Kürze
· Der Gemeinderat beschloss auf Antrag der
Planungskommission die öffentliche Auflage des geänderten
Gestaltungsplanes Brunnacker.
· Der Rat beauftragte die Umweltschutzkommission
mit dem
Unterhalt der Gewässer. Die in diesem Zusammenhang anfallenden
Forst- und Gärtnerarbeiten werden mit der Werkkommission
koordiniert. (msw)
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Solothurner Zeitung 8.7.10
AKW-Opposition macht mobil
Gösgen II Grüne und Gegner- Allianz wollen
Übungsabbruch
Die nationale Allianz "Nein zu neuen AKW" und die
Grünen
Region Olten verlangen in ihren Stellungnahmen zur Anpassung des
Richtplans, dass der Kanton Solothurn auf die Festsetzung eines
Standortes für ein eventuelles neues Atomkraftwerk im Niederamt
ersatzlos verzichten soll.
Die Allianz "Nein zu neuen AKW" - ihr gehören unter
anderen
die nationalen Organisationen WWF, VCS, Greenpeace, Christlich-soziale
Partei und Grüne Partei an - macht formale Einwände geltend.
Grundlage für die kantonale Richtplanung bilde laut
Kernenergiegesetz (KEG) das Vorliegen einer Rahmenbewilligung für
ein neues AKW auf Bundesebene. "Eine vorgängige kantonale
Standortentscheidung ist aufgrund der klaren Ordnung des KEG
ausgeschlossen. Das gilt auch für den Kanton Solothurn. Die
kantonale Richtplananpassung ist somit ein planungsrechtlicher
Leerlauf."
Die Grünen Region Olten machen primär negative
regionalwirtschaftliche Auswirkungen sowie spezifische Gefahren und
Risiken von Atomkraftwerken geltend. (szr)