MEDIENSPIEGEL 12.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Velokurier@Reitschule
- Stadttauben wieder weggezogen
- Rauchverbot: 1 Jahr und 30 Vergehen
- Narrenkraut. Rappaz ins Inselspital verlegt
- Drogen: Ritalinboom in der CH
- SIP vs Nightlife ZH
- Villa Rosenau: Bald Räumung?
- Revolte Basel: Shoppingmeile immer noch unter Schock
- Knast-Tod VD: 5 Cops verwarnt
- Bundeskriminaltango: 100'000 Franken bei BuKripo weg
- Big Brother: Aufsichtsfrage; Datenschutzfront; Thür-Inti; SP BE will Klarheit; Rolle Bundesrat; Privatisierung
- Juso LU will Pnos verbieten
- Anti-Atom: Schulung für Mühleberg-Super-GAU; Endlager

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REITSCHULE
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Fr 16.07.10
20.00 Uhr - Vorplatz - Albino und Madcap (D) ab 22.00 - Polit-Rap

Do 22.07.10
22.00 Uhr - SLP - CIVET (USA) Rock'n'Roll, Support: Snakebone (CH) - Punkrock

Mi 28.07.10
22.00 Uhr - Vorplatz - SLP-Offene Bühne

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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VELOKURIER@REITSCHULE
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Bund 12.7.10

Urbaner OL mit minimalem Bike

 Ein Sport aus der Velokurierszene findet in Bern Verbreitung: An sogenannten Alleycats messen sich Fixie-Liebhaber im Orientierungslauf auf Rädern.

 Felicie Notter

 Was zum Teufel macht der bärtige Typ mit den vielen Bierflaschen im Gummiboot mitten auf der Aare, mögen sich die Badenden am Samstagnachmittag bei der Felsenau gefragt haben. Die Antwort kommt unvermittelt: Eiligst radelt eine Schar Velofahrer an, wirft die Gefährte hin, rennt an den Strand. Sie lachen, als sie das Gummiboot sehen - ihre Aufgabe ist klar: Unter den Augen der verwunderten Badenden springen sie mitsamt der Kleider ins kühle Nass, schwimmen zum Gummiboot, und der Bärtige reicht eine Flasche Bier zur Belohnung. Geschafft ist Posten eins des Alleycat.

 Gestählte Waden in der Stadt

 Ein Alleycat ist eine Art Schnitzeljagd im urbanen Raum, die aus der Velokurierszene stammt. Alleycats werden etwa im Rahmenprogramm von Velokurier-Meisterschaften durchgeführt, an denen die Kuriere abgesperrte Parcours abfahren und fiktive Aufträge erledigen. Im Gegensatz dazu finden die Alleycats auf offener Strasse statt. Nicht zu verwechseln sind sie mit Mountainbike-Orienteering ("Bike-OL"), in dem die Könizerin Christine Schaffner soeben eine WM-Medaille geholt hat (siehe auch Seite 15).

 In der Velokurierszene wurzelt auch der Trend der sogenannten Fixies - Lust- und Identifikationsobjekt der meist männlichen Fahrer. Das sind Starrgangvelos ("fixed gear"), die nur einen Gang haben und keinen Freilauf - eine sportliche Angelegenheit, welche die Waden stählt: Tretpause gibt es keine. Durch die 1:1-Übersetzung wird mit den Pedalen nicht nur gebremst, sondern auch rückwärtsgefahren. Die minimal ausgestatteten, äusserst wendigen Fahrräder wurden in den letzten Jahren zunehmend populärer - auch im topografisch wenig geeigneten Bern. Die meisten der Teilnehmenden am Samstag haben ein solches Fixie, aber es sind auch "Gümeler" mit von der Partie - diejenigen mit Rennrad.

 Pete - man kennt sich nur mit Vornamen - hat das Alleycat diesmal mitorganisiert. Es geht los, nachdem er die Karten mit den Anweisungen ausgeteilt hat, das Manifest, auf dem die verschiedenen Checkpoints eingezeichnet sind. Am Start sind sechzehn Leute, schätzungsweise zwischen zwanzig und dreissig Jahren, darunter zwei Frauen. Manche sind sportlich gekleidet, andere fahren in Röhrchenjeans.

 Man spornt sich gegenseitig an

 "Es ist eine Herausforderung, sich jedes Mal ein Thema als roten Faden des Alleycat auszudenken", sagt Pete. So mussten sich bei einem "Pink Alleycat" die Teilnehmer an jedem Posten einen Fingernagel lackieren. Oder konnten im "Gamble Alleycat" beim Blackjackspielen wertvolle Minuten dazugewinnen oder verlieren.

 Diesmal ist es ein "Brewery Alleycat", bei dem an weiteren Stationen in Brunnen oder Schachteln versteckte Bierflaschen gefunden und eingepackt werden müssen. Nach dieser ersten, erfrischenden Station teilen sich die Wege: Die Route ist frei wählbar und führt die Orientierungsfahrer nach Reichenbach, zum Gurten, zum Bärengraben und in die Matte, das spätere Ziel - vorerst gibt es hier aber erst einmal nur einen neuen Plan, der auch noch nach Worb führt.

 Die Ersten - einer der beiden ist professioneller Restaurant-Kurier - fahren eineinhalb Stunden nach dem Start ins Ziel in der Matte ein, die Letzten brauchen zweieinhalb Stunden. Die Bilanz: ein ausgerissenes Pedal-Körbchen, eine blutende Schramme am Schienbein, ein geplatzter Reifen - und doch nur zufriedene Gesichter. "Es geht schon um die sportliche Leistung", sagt Pete. "Das Erlebnis, in der Gruppe zu fahren, ist aber fast genauso wichtig. Wir üben zusammen Tricks und spornen einander gegenseitig an. Wir leben das Fixiefahren, es ist fast eine Lebensphilosophie." Vernetzt sind die Fahrer über einen Blog, der die öffentlichen Alleycats wie auch das regelmässig stattfindende Bikepolo ankündigt.

 Bei der Preisverleihung werden die Ersten, die beste Frau und die Letzten ausgezeichnet - diesmal nicht wie andere Male mit gesponsorten Veloteilen, sondern mit Fleisch fürs gemeinsame Bräteln. Später gehts weiter in die Reitschule, wo ein Velofilmabend stattfindet. Das zusammengesammelte Bier ist bis dahin noch nicht ausgetrunken.

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STADTTAUBEN
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bernerzeitung.ch 12.7.10

Wo sind die "Stadttauben" hingezogen?

js

 Im Juni hatten sich die "Stadttauben" mit mehreren Wohnwagen am Niederriedweg bei Matzenried niedergelassen. Nun hat die alternative Wohngruppe das Grundstück wie gefordert geräumt.

 Die Stadtbauten Bern hatten die Stadttauben am 29. Juni aufgefordert das besetzte Grundstück bis am Montag, 12. Juli um 8 Uhr zu räumen.

 Wie ein Augenschein vor Ort zeigte, sei das Ultimatum von den Besetzern eingehalten worden, teilen die Stadtbauten Bern mit. Wohin die Stadttauben weitergezogen sind, ist zurzeit nicht bekannt.

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Bund-Dossiers:
http://www.derbund.ch/bern/Stadttauben-sind-weggezogen-Wohin/inhalt-2/stadttauben/s.html

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RAUCHVERBOT
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Bund 12.7.10

Das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen ist seit einem Jahr in Kraft

 Die Polizei hat etwas über 30 Vergehen von Wirten geahndet

 Jeder achte Betrieb hat ein Fumoir eingerichtet. Das Rauchverbot ist akzeptiert.

 Die Einführung des Rauchverbots scheint reibungslos über die Bühne gegangen zu sein. In der Stadt Bern kam es zu einer Handvoll Anzeigen gegen Wirte und Gäste. Im übrigen Kantonsgebiet registrierte die Polizei 32 Vergehen von Wirten, 2 von Gästen sowie 2 von Personen, die in anderen öffentlich zugänglichen Räumen rauchten, wie bei der Kantonspolizei zu erfahren war.

 Vor der Einführung des Verbots schätzten Fachleute, dass fünf bis zehn Prozent der Gastbetriebe ein Fumoir einrichten werden. Nun steht fest, dass es mehr sind. Aufgrund der Zahlen aus Bern und dem Emmental ergibt sich ein Anteil von gut zwölf Prozent. In Bern haben laut Marc Heeb, Leiter Gewerbepolizei, bisher 72 von gut 600 Betrieben ein Fumoir eingerichtet. Gleich ist das Verhältnis im Emmental (75 von rund 600). Gemäss Markus Grossenbacher, Regierungsstatthalter im Emmental, ist die Einführung des Gesetzes und die Bewilligung von Fumoirs "bisher gut gelaufen". Die Stimmung unter den Wirten reiche von "nicht begeistert" bis "zufrieden". Die Aufregung habe sich gelegt.

 Ob wegen des Rauchverbots bereits Stellen verloren gingen, wie dies Gastrobern, der Verband der Wirte, Ende letzten Jahres befürchtete, ist unklar. Möglicherweise würden sie im Herbst Umsatzerhebungen durchführen, um genau diese Frage zu klären, heisst es beim Verband. Generell lasse sich Folgendes sagen: Während Speiserestaurants kaum etwas spürten, seien es vor allem Kleinbetriebe wie Bars, Pubs oder die klassische Quartierbeiz, die Umsatzeinbussen hinzunehmen hätten (siehe Artikel oben). Vorgesehen sei, beim Kanton "auszuloten", ob sich einige Punkte in der Verordnung nicht etwas "branchenfreundlicher" ausgestalten liessen.

 Von "offensichtlich positiven Effekten" spricht dagegen EVP-Grossrat Ruedi Löffel. Er hatte entscheidenden Anteil daran, dass im Kanton Bern vor Jahresfrist ein Rauchverbot eingeführt wurde. Seine Bilanz sei "durchwegs positiv". Dies zeigten ihm zahlreiche Rückmeldungen. Gerade für Menschen mit Atemwegsproblemen habe das Verbot einen grossen Einfluss auf ihr Wohlbefinden. Der Kanton Bern sei dem Ziel, dass Nichtrauchen im öffentlichen Raum zur Normalität wird, einen grossen Schritt nähergekommen, hält er fest.

 Wirte versus Lungenliga

 Unumstritten ist das Rauchverbot nach wie vor nicht: Die Interessengemeinschaft Freie Schweizer Wirte um den Oberaargauer SVP-Mann David Herzig sammelt Unterschriften für eine eidgenössische Initiative. Kernforderung: Jeder Wirt soll selber entscheiden dürfen, ob in seinem Betrieb geraucht wird oder nicht. "Wir sind mit der Sammlung recht gut auf Kurs", sagt Herzig. Die Sammelfrist läuft in einem Jahr ab.

 Umgekehrt gibt es Bestrebungen, das Verbot auf Bundesebene zu verschärfen: Die Lungenliga hat ihre Initiative bereits eingereicht. Rauchen soll in Fumoirs zwar möglich bleiben, allerdings dürften diese, anders als heute im Kanton Bern, nicht bedient werden. (db)

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 Knackpunkt Fumoir

 Das Gesetz zum Schutz vor Passivrauchen ist am 1. Juli 2009 in Kraft getreten. Seither gilt im Kanton Bern in öffentlich zugänglichen Räumen wie Einkaufszentren, Verwaltungsgebäuden, Kinos, Schulen und in Restaurants ein Rauchverbot. Das Gesetz war weitgehend unumstritten - bis auf die Ausgestaltung von Fumoirs (Raucherstüblis) in Restaurants. Der Regierungsrat wählte hier - zum Missfallen von Gastrobern, dem Arbeitgeberverband der Wirte - eine harte Linie: Die Grösse wurde relativ (maximal ein Drittel der Betriebsfläche) und absolut (60 Quadratmeter) limitiert. Bedienung in Fumoirs ist erlaubt; sie dürfen jedoch keine Ausschankvorrichtungen enthalten (damit sich das Personal nicht dauerhaft im Fumoir aufhalten muss). Zudem ist der Zutritt nur Personen erlaubt, die älter als 18 Jahre sind. Gastrobern ging wegen einiger dieser Punkte bis vor Bundesgericht, hat aber verloren. Ärgerlich für manche Wirte ist, dass das im Mai in Kraft getretene nationale Gesetz zum Schutz vor dem Passivrauchen liberaler ist als das kantonale. So dürfen zum Beispiel spezielle Raucherbeizen geführt werden. Zulässig sind auch Ausschankvorrichtungen in Fumoirs. Allerdings: Der Bund erlaubt es den Kantonen ausdrücklich, strengere Bestimmungen zu erlassen. (db)

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NARRENKRAUT
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sf.tv 12.7.10

Bernard Rappaz ins Inselspital nach Bern verlegt

pd/from

 Seit mehr als 100 Tage verweigert der streitbare Hanfbauer aus dem Wallis, Bernard Rappaz, nun die Nahrungsaufnahme. Deshalb hat Staatsrätin Esther Waeber-Kalbermatten nach Rücksprache mit den Verantwortlichen des Departements sowie medizinischen und juristischen Fachpersonen die Verlegung Rappaz' ins Berner Inselspital angeordnet.

 Die Verlegung ins Inselspital hat zum Ziel, den Strafgefangenen in einer neuen Umgebung und unter neuer Betreuung zu überzeugen, die Nahrungsaufnahme wieder aufzunehmen. Dabei wird das Ärzte- und Pflegeteam Bernard Rappaz erneut über die Folgen dieses Hungerstreiks für seine Gesundheit sensibilisieren.

 Der Hungerstreik von Bernard Rappaz bringt zwei grundlegende Prinzipien der Rechtsordnung in Konflikt: Das Recht auf persönliche Freiheit eines jeden Menschen - und somit eines jeden Strafgefangenen -, und die Pflicht des Staates, das Leben der Strafgefangenen zu schützen.

 Ärzte stimmen Zwangsernährung zu

 Unter Berücksichtigung der besonderen Umstände eines langen Hungerstreiks, ist das Departement für Sicherheit, Sozialwesen und Integration (DSSI) der Überzeugung, dass die Pflicht des Staates, dem Tod von Bernard Rappaz vorzubeugen, der persönlichen Freiheit des Betroffenen vorzuziehen ist.

 Nachdem unterschiedliche Lösungen auf therapeutischer Ebene gesucht wurden, hat das DSSI die grundsätzliche Zustimmung der Ärzte des Inselspitals erhalten, dass notfalls lebensrettende Sofortmassnahmen zum Schutz des Lebens von Bernard Rappaz getroffen werden.

 Schweres Vergehen

Rappaz war im November 2008 wegen schweren Verstosses gegen das Betäubungsmittelgesetz zu fünf Jahren und acht Monaten Gefängnis verurteilt worden.

 Im März 2010 trat er seine Strafe an. Aus medizinischen Gründen infolge seines Hungerstreiks war die Strafe im Mai vorübergehend ausgesetzt worden.

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Aargauer Zeitung 12.7.10

Das eigene Leben als Druckmittel

 Seit rund 60 Tagen ist Biobauer Rappaz im Hungerstreik. Darf der Staat ihn sterben lassen?

 Die Walliser Behörden befinden sich in einem Dilemma. Sollen sie Bernard Rappaz zwangsernähren oder sterben lassen? Experten sind geteilter Meinung.
 
Martin Rupf

 Der 57-jährige Biobauer Bernard Rappaz spielt mit den Walliser Behörden wieder Katz und Maus. Seit März dieses Jahres sitzt er eine knapp sechsjährige Haftstrafe wegen Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz ab. Zurzeit liegt er - geschwächt von rund 60 Tagen Hungerstreik - im Unispital Genf.

 Der Biobauer hält die Walliser Justizbehörden schon seit 1996 auf Trab, als er in grossem Stil Hanf anzubauen begann. 2001 stellte die Polizei auf seinem Hof 50 Tonnen Hanf sicher, wofür er 16 Monate Gefängnis erhielt. Im August 2008 verurteilte ihn das Walliser Kantonsgericht zu knapp 6 Jahren Gefängnis. Das Bundesgericht bestätigte dieses Urteil. Rappaz verlangte eine Revision seines Prozesses. Um seinem Anliegen Nachdruck zu verleihen, hatte er sich in Hungerstreik begeben. Zwischendurch gar mit Erfolg: Im Mai gewährte die Walliser Justizdirektorin Esther Waeber-Kalbermatten dem Biobauern wegen des Hungerstreik einen Haftunterbruch. Kaum war Bernard Rappaz aber frei, hielt er die Behörden zum Narren.

 Juristen und Ärzte in der Zwickmühle

 So erstaunt es denn auch nicht, dass Waeber-Kalbermatten ein zweites Gesuch um Haftunterbruch ablehnte, worauf Rappaz den Hungerstreik fortsetzte. Das Walliser Kantonsgericht lehnte vergangene Woche zudem den Rekurs Rapazz' gegen diesen Entscheid der Justizdirektorin ab. Nun will sein Anwalt vor Bundesgericht gehen.

 Die Behörden stecken im Fall Rappaz einem gewaltigen Dilemma. Lassen sie ihn verhungern, machen sie sich allenfalls der Tötung wegen Unterlassung schuldig. Ordnen sie eine Zwangsernährung an, könnte Rappaz die Behörden wegen Körperverletzung verklagen. Auch die Ärzte stecken in der Zwickmühle. Müssen sie den Willen Rappaz', nicht behandelt werden zu wollen, berücksichtigen?

 "Der Entscheid zum Hungerstreik muss medizinisch respektiert werden - auch im Falle eines beträchtlichen Gesundheitsrisikos." So steht es in den Richtlinien der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW). Mit anderen Worten: Die Ärzte greifen nicht ein, sondern respektieren den Willen des Häftlings. Dies selbstverständlich unter der Voraussetzung, dass der Betroffene urteilsfähig ist, wiederholt über die Risiken aufgeklärt wurde und ihm täglich Nahrung angeboten wird. Der Wille ist selbst dann zu respektieren, wenn der Patient in ein Koma fällt, vorausgesetzt, er hat ausdrückliche Anordnungen für den Fall eines Bewusstseinsverlustes hinterlegt.

 Keine einheitliche Regelung

 Juristisch gestaltet sich die Frage komplizierter, da es in der Schweiz keine einheitliche Regelung gibt. Der Zürcher Strafrechtsprofessor Christian Schwarzenegger tendiert eher dazu, eine Zwangsernährung anzuordnen, wie er in der Sendung "Schweiz aktuell" des Schweizer Fernsehens sagte. Grund: Rappaz habe klar geäussert, dass er leben wolle und er darauf vertraue, dass ihn die Behörden nicht sterben lassen würden. Somit sei Rappaz vom ursprünglichen Willen, zu sterben, abgewichen. Zudem habe der Staat eine Garantenstellung inne, die ihn dazu verpflichte, Rappaz am Leben zu erhalten.

 Diese Einschätzung teilt die Zürcher Strafrechtsprofessorin Brigitte Tag nicht: "Die unklare Rechtslage führt dazu, dass man zwar unterschiedlicher Ansicht sein kann. Ich tendiere aber eher dazu, Rappaz' Willen zu berücksichtigen." Es träfe zwar zu, dass die Behörden eine Garantenstellung hätten. Doch daraus könne nicht zwingend eine Pflicht abgeleitet werden. "Wenn Rappaz ausdrücklich festhält, nicht behandelt werden zu wollen, dann ist das zu respektieren." Brigitte Tag gibt zu bedenken, dass Rappaz nicht zum ersten Mal zum Hungerstreik greife, um die Behörden zu nötigen. "Ich habe Verständnis, dass sich der Staat mit solchen Mitteln nicht erpressen lassen will." Wenn Rappaz sage, er wolle eigentlich leben, sei das mit Vorsicht zu geniessen. "Er möchte unter der Bedingung leben, wieder frei zu sein." Doch diese Bedingung könnten die Behörden nicht erfüllen. Tag: "Von einem absoluten Lebenswillen kann deshalb nicht die Rede sein."

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La Liberté 12.7.10

Bernard Rappaz se contenterait d'une promesse pour interrompre son jeûne

 Détention - Chaque jour qui passe fait monter la pression autour du chanvrier valaisan, dont la grève de la faim est entrée dans une phase très critique.

Eric Felley

 Boris Ryser, l'ami fidèle de Bernard Rappaz, lui a rendu visite hier dans l'après-midi, après un mois, et l'a trouvé dans un état alarmant: "Il m'a fallu une bonne minute pour reconnaître son nouveau visage. Mais il est encore bien dans son combat. Il tiendra encore cette semaine, mais pas plus. C'est la semaine de tous les combats pour lui et pour nous."

 Selon Boris Ryser, le chanvrier pourrait casser son jeûne: "S'il avait une promesse, par l'intermédiaire de son avocat, que les autorités valaisannes réfléchiront à un aménagement dans l'exécution de sa peine, il recommencerait à manger. Simplement une promesse, pas besoin d'une concrétisation immédiate." Les amis de Bernard Rappaz gardent dans cette optique le contact avec la conseillère d'Etat Esther Waeber-Kalbermatten, qui a rencontré le détenu au début juillet à la section carcérale des Hôpitaux universitaires genevois (HUG).

 Il a perdu 30 kilos

 Depuis plus de 100 jours, hormis une courte pause, le chanvrier valaisan a cessé de s'alimenter pour protester contre la peine de 5 ans et 8 mois qu'il doit purger. Il a perdu quelque 30 kilos. La perspective de sa mort se rapproche dangereusement et la pression monte de toute part. Une nouvelle manifestation est prévue mercredi 14 juillet devant les HUG.

 Du côté des autorités, la fermeté prévaut. La conseillère d'Etat ne veut plus lui donner crédit d'une nouvelle interruption de peine. Le Tribunal cantonal valaisan lui a refusé vendredi une nouvelle mise en liberté, décision qui fait déjà l'objet d'un recours d'urgence au Tribunal fédéral. Enfin le Grand Conseil valaisan, saisi d'une grâce, ne se réunit qu'au mois de septembre, où il pourrait discuter du cas en plénum.

 De son côté, Bernard Rappaz, 57 ans, s'il donne des signes alarmants sur le plan physique, garde toute sa tête pour confirmer qu'il ira jusqu'au bout dans sa lutte. La trajectoire de sa vie est entièrement marquée par une escalade dont les événements d'aujourd'hui en sont le paroxysme. Fils unique, "enfant gâté" disent les gens de Saxon où il est né, il n'a cessé d'affronter l'autorité. Les paradoxes sont suffisamment nombreux dans sa vie pour que le personnage peine à trouver l'adhésion dans l'opinion valaisanne. Objecteur de conscience au moment de faire l'armée, fondateur du Mouvement d'action non violent dans les années 70, il ne manquait pas de participer au dynamitage d'un pylône électrique ou de braquer en plein jour et cagoulé, l'agence de la Banque cantonale du Valais dans son village.

 Puis ce furent les années du chanvre, des tisanes, des coussins thérapeutiques, des litières pour chat, des huiles essentielles, mais surtout du commerce pour la consommation récréative et psychotrope. Ce fut le temps aussi des grèves de la faim à répétition lors de chaque séjour en prison préventive. Au début des années 2000, la politique suisse semblait sur la voie de la dépénalisation. Malheureusement pour lui, avec la montée de l'UDC, le tour de vis à droite faisait capoter l'initiative en 2008. Bernard Rappaz y avait cru un peu tôt.

 De Gandhi à Farinet

 Cela dit, le chanvrier valaisan est doté d'une personnalité complexe et égocentrique bien au-delà de la normale. Durant ces dernières années, la mythomanie n'a cessé d'accroître son emprise sur lui. Les figures historiques de Gandhi, du dalaï-lama et du bandit valaisan Farinet se sont imposées. D'abord par des références anecdotiques, voilées, puis de plus en plus par un jeu d'égal à égal. Tout y est. La répression, le combat, la cause, le jeûne, la persécution et l'injustice ont dirigé son esprit dans un cercle de pensées dont il peut difficilement sortir aujourd'hui.

 Certains de ses amis proches craignent que l'autorité décide cette semaine une expertise psychiatrique, pour justifier qu'il soit nourri de force. Ces derniers temps pourtant, il n'a pas manifesté de signes de faiblesse intellectuelle, c'est en tout cas l'avis de Boris Ryser: "Je suis en contact avec lui pour les affaires de la ferme, en ce moment les récoltes. Il est parfaitement au courant de ce qu'il faut faire et tout à fait lucide." Autour de lui, c'est toujours le dilemme: respecter sa volonté exprimée maintes fois sur sa détermination d'aller jusqu'à la mort, ou le sauver malgré lui par devoir d'assistance. L'Etat, dont c'est finalement la responsabilité, n'a plus vraiment de marge de manœuvre pour se déjuger.

 Bernard Rappaz, il l'a répété, n'a pas envie de mourir. Ses proches, plongés de plus en plus dans la tristesse, n'ont pas envie qu'il meurt non plus. Il n'a pas caché ici ou là, sous la confidence, qu'il recommencerait à manger. Un secret espoir qui fait vivre ses amis. Mais d'autres ne cachent pas qu'il a toujours fait ce qu'il a voulu. Et qu'il pourrait bien tout autant se laisser aller jusqu'au bout.

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DROGEN
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Sonntag 11.7.10

Ritalin-Boom: Burkhalter muss sich erklären

 Gesundheitskommission will von Bundesrat jetzt Fakten zur Verschreibungspraxis

von Nadja Pastega

 Die europäische Arzneimittelbehörde hat die Zulassung von Ritalin eingeschränkt: Die Behandlung darf nur noch unter Aufsicht eines Spezialisten durchgeführt werden. Für Erwachsene und Senioren ist Ritalin nicht zugelassen.

 Der Verkauf von Ritalin und anderen Methylphenidaten ist in der Schweiz erneut um 10 Prozent gestiegen - vor allem bei Erwachsenen nimmt der Konsum massiv zu, und sogar Senioren werden damit behandelt. In 189 Fällen führten Methylphenidate zu Zwischenfällen - bis hin zu Hospitalisationen ("Sonntag" vom 4. Juli). Jetzt werden nationale Politiker aktiv: Sie verlangen Auskunft von Gesundheitsminister Didier Burkhalter.

 "Wir werden Bundesrat Burkhalter in die Kommission einladen und ihn fragen, wie er die Verschreibungspraxis einschätzt", sagt der Zürcher SVP-Nationalrat Jürg Stahl, Mitglied der nationalrätlichen Gesundheitskommission. "Geklärt werden muss vor allem die Abgabe von Ritalin an Erwachsene", so Stahl. Falls Burkhalter nicht von sich aus aktiv werden wolle, werde geprüft, ob man Swissmedic zu Gesprächen einlade oder ob es "eine parlamentarische Intervention" brauche. "Wir werden das Thema an unserer nächsten Kommissionssitzung von Anfang September diskutieren."

 Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) hat die boomenden Psychopillen, mit denen Hyperaktivität (ADHS) behandelt wird, im Visier: "Die Gesundheitsbehörden müssen die Entwicklung der Ritalin-Verschreibung im Auge behalten", sagt Mona Neidhart vom BAG.

 Die Europäische Arzneimittelagentur hat bereits reagiert - alarmiert von Berichten über erhöhte Gesundheitsrisiken wie Herzrhythmusstörungen, Schlaganfälle, Wachstumsstörungen und Psychosen. Die Behörde hat die Zulassung von Methylphenidaten bei ADHS eingeschränkt. Es gelten diese Richtlinien:

 "Die Behandlung muss unter Aufsicht eines Spezialisten für Verhaltensstörungen bei Kindern und Jugendlichen erfolgen."

 "Methylphenidat ist nicht zugelassen für die Behandlung von Erwachsenen mit ADHS. Sicherheit und Wirksamkeit sind in dieser Altersgruppe nicht nachgewiesen worden."

 "Methylphenidat darf nicht bei älteren Patienten angewendet werden."

 Das deutsche Bundesinstitut für Arzneimittel hat die Zulassung von Methylphenidat bereits eingeschränkt: Spezialisten müssen eine Ritalin-Behandlung überwachen. Swissmedic war auf Anfrage nicht in der Lage, zu klären, ob die Schweiz die europäischen Richtlinien ebenfalls umgesetzt hat. Klar ist: Ritalin wird hierzulande auch an Erwachsene und Senioren abgegeben - obwohl es keine Langzeitstudien gibt.

 "In der Schweiz gilt Therapiefreiheit, jeder Arzt darf Ritalin verschreiben", sagt CVP-Nationalrätin Ruth Humbel. Das müsse sich ändern, fordert die Gesundheitspolitikerin: "Die Schweiz muss die internationalen Standards umsetzen. Nur Spezialärzte sollen Ritalin verschreiben dürfen." Kommentar Seite 13

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Meinung

 Ritalin: Stoppt die Ärzte!

von Nadja Pastega

 Die Nachricht: Obwohl Langzeitstudien fehlen, boomt der Ritalin-Konsum. Die europäische Arzneimittelbehörde hat die Zulassung des Wirkstoffs eingeschränkt: Die Behandlung muss von einem Spezialisten überwacht werden. In der Schweiz dagegen herrscht Therapiefreiheit.Der Kommentar: Präparate wie Ritalin können bei ADHS helfen, sich im Leben zurechtzufinden. Doch angesichts der jährlich steigenden Zahl von Ritalin-Verschreibungen stellt sich die Frage: Kann es sein, dass immer mehr Schweizer hyperaktiv sind? Oder herrscht bei der Verschreibungspraxis schlicht Wildwuchs?

 Klar ist: Ritalin und Co. sind keine harmlosen Medikamente. Bekannt geworden sind "unerwünschte Nebenwirkungen" wie Herzrhythmusstörungen, Schlaganfälle und Psychosen. Die europäische Arzneimittelbehörde hat reagiert und verfügt, dass die ADHS-Behandlung unter Aufsicht eines Spezialisten erfolgen muss. In der Schweiz dagegen herrscht "Therapiefreiheit": Jeder Arzt darf Ritalin verschreiben.

 Das kann nicht sein. Das Risiko von Fehlbehandlungen ist zu gross. Umso mehr, als die ADHS-Diagnose laut Ärzten komplex ist. Es braucht neue Behandlungsstandards - mit der Garantie, dass auch in der Schweiz nur Spezialärzte eine Ritalin-Behandlung anordnen dürfen. Mit der Überweisung vom Hausarzt zum Spezialisten ist auch sichergestellt, dass eine Zweitmeinung vorliegt. Vorschrift muss zudem sein, dass die Medikamente bei Langzeitbehandlungen periodisch abgesetzt werden, um zu überprüfen, ob die Behandlung fortgesetzt werden muss.

 Aber auch die Kompetenzenregelung zwischen Swissmedic und dem Bundesamt für Gesundheit muss geklärt werden: Beim boomenden Konsum von Psychopillen geht es nicht nur um die medizinische Zulassung von Medikamenten - tangiert sind auch gesundheitspolitische Fragen. Es muss klar sein, wie die Verantwortlichkeiten der beiden Gesundheitsbehörden geregelt sind. Darüber hinaus ist das Konstrukt Swissmedic grundsätzlich zu überprüfen. Denn selbst wenn der Bund die Zulassung von Ritalin einschränken will - gegenüber dem "unabhängigen" Heilmittelinstitut Swissmedic hat er keinerlei Weisungsbefugnis. So lange wird Ritalin weiter ein Mode-Medikament sein.

 nadja.pastega@sonntagonline.ch

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Illegale Ritalin-Importe

 Bisher nicht bekannte Zahlen von Swissmedic zeigen: Ritalin wird illegal über die Grenze in die Schweiz eingeführt. "2008 wurden 8 Sendungen von Ritalin oder Imitationen mit dem Wirkstoff Methylphenidat blockiert, 2009 waren es 16 Sendungen", sagt Ruth Mosimann von Swissmedic. Im ersten Halbjahr 2010 wurden 7 Ritalin-Pakete beschlagnahmt. "Es handelt sich meist um Sendungen mit 70 bis 200 Tabletten, die für den Eigengebrauch von Privatpersonen bestimmt sind", so Mosimann. Die illegalen Ritalin-Importe stammten meist aus Pakistan. Es seien aber auch Sendungen aus Bangladesch, den USA, Sri Lanka, Panama und Grossbritannien abgefangen worden. Laut dem Zürcher Monitoringbericht "Sucht und Drogen 2010" ist der Ritalin-Missbrauch gestiegen. (PAS)

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SOZIALPOLIZEI ZH
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Tagesanzeiger 12.7.10

"Das 24-Stunden-Zürich ist eine Tatsache"

 Alkohol, Gewalt, Naivität: Die Wochenenden stellen die Sip Züri vor grosse Herausforderungen. Unterwegs in einer zeit- und schrankenlosen Stadt.

 Von Stefan Häne (Text) und Reto Oeschger (Bild)

 Zürich - Draussen fällt der Regen in Sturzbächen, drinnen fliesst er in Strömen - der Alkohol. Samstagabend, 21 Uhr. Der Hauptbahnhof hat sich ins grösste Jugendhaus der Schweiz verwandelt. Die Stimmung ist aufgeputscht, ein Mix aus pubertierendem Übermut, der leicht ins Aggressive umschlägt.

 Ein Bub, keine 16, hat eben eine halb leere Flasche im Kübel entsorgt. Nicht ganz freiwillig. Alex und Brigitte haben ihm erklärt, er sei zu jung, um Alkohol trinken zu dürfen. Die beiden arbeiten für die Sip Züri, einen Betrieb des städtischen Sozialdepartements. Vier Zweierpatrouillen sind in dieser Nacht unterwegs. Zu tun gibt es zuhauf: Zehntausende Ausgangshungrige tummeln sich an einem Samstagabend in Zürich.

 Anders als die Polizisten tragen die Sip-Leute weder Pistolen, noch können sie Personen verhaften. Doch auch sie haben eine Waffe: das Wort. "Basis unserer Arbeit ist das offene Gespräch", sagt Sip-Betriebsleiter Christian Fischer. Die Sip vermittelt bei Konflikten im öffentlichen Raum. Dabei versucht sie, das gegenseitige Verständnis zu fördern und gemeinsam Lösungen zu erarbeiten. Zwang übt sie keinen aus. Der Bub konnte eben selber entscheiden, wie sein Abend weiterverläuft: ob er kooperiert und sein Verhalten ändert oder sich mit der Flasche davonstiehlt und damit riskiert, dass die Sip-Leute die Polizei zuziehen.

 Auf trinkende Jungspunde im HB trifft die Patrouille nun am Laufmeter. Am Ausgang zum Bahnhofquai steht ein junger Mann an die Mauer gelehnt, besoffen. Die Sip-Leute fragen ihn, ob er Hilfe benötigt. Was er davon mitkriegt, ist nicht klar. Jedenfalls kann er sich selber auf den Beinen halten; lallend torkelt er weiter. Die Sip-Leute lassen ihn ziehen. Im Extremfall landen solche Jugendliche in der zentralen Ausnüchterungsstelle der Stadtpolizei. Sie wurde im März eröffnet und befindet sich in der Regionalwache City. Bis Ende Mai hat es zwei bis drei solcher Fälle pro Wochenendnacht gegeben. Seither ist es in Fischers Wahrnehmung ruhiger geworden. Weshalb, kann er sich nicht erklären.

 "Immer zügelloser"

 Eine verlässliche Aussage kann er jedoch zum langfristigen Trend machen: "Es wird immer zügelloser Alkohol konsumiert." Sorgen bereitet Fischer auch, dass sich das Phänomen zeitlich auswächst: "Das 24-Stunden-Zürich ist Tatsache." Die Trinkgelage dauern die ganze Nacht, weshalb die Sip seit drei Jahren am Wochenende rund um die Uhr unterwegs ist. Die Sip-Mitarbeiter müssen ein gutes Gespür für die jungen Menschen haben. Gefragt sei vor allem "die Fähigkeit zum Erstkontakt", sagt Fischer. Wie wichtig dies ist, zeigt sich beim Landesmuseum. Neben dem Eingang sitzen einige junge Frauen. Vor ihnen steht ein Kraftprotz, der sie verbal belästigt. Das riecht nach Ärger. Sip-Patrouilleur Benj geht auf ihn zu, findet aber keinen Draht zu ihm. Für einen Augenblick droht der Jugendliche auszuflippen. Er fühlt sich provoziert. Mehr Erfolg hat Maurizio. Er verwickelt ihn geschickt in ein Gespräch. Der junge Mann ist 18, kommt aus dem Kosovo und hat jüngst Bescheid erhalten, dass er wieder ausreisen muss. Er ist aufgebracht. Benjs Sip-Kollege Mauro versucht, ihn zu beruhigen. Er macht ihm klar, dass sein Verhalten die Mädchen in Angst versetzt. Der Kosovare zieht ab. Nächste Station: Bahnhof Hardbrücke, wo die S-Bahn im Fünfminutentakt Hunderte von jungen Menschen ausspuckt. Die Gegend beim Escher-Wyss-Platz gehört wie der HB und das obere Seebecken zu den Brennpunkten der Ausgangsszene. Neu dazugekommen sind letztes Jahr der Wipkingerpark sowie das Niederdorf, wo sich rivalisierende Jugendgruppen teilweise wüste Streite geliefert haben. Im Bauch des Bahnhofs steht eine junge Frau im Minirock. Sie trinkt aus einer rosaroten Wodkaflasche, die fast schon leer ist. Dennoch sagt sie: "Ich habe fast nichts getrunken. Und der Grossteil des Getränks ist Grapefruit." Ihr Kollege ergänzt: "Wir haben alles unter Kontrolle. Eaaaaaaaaasy!"

 "Wir sind keine Puritaner"

 Solche Verharmlosungen sind gang und gäbe. Die Flasche kann die junge Frau gleichwohl behalten. Sie ist älter als 18."Wir sind keine Puritaner, wir sind suchtakzeptierend." Die Sip greife nur ein, wenn jemand zu jung sei oder es "völlig ausartet". Ist Letzteres der Fall, ziehen sich die Sip-Leute zurück. "Wir fassen nie jemanden an", sagt Benj.

 Limmatplatz. Hier stellt sich ein besonderes Problem: die Nähe zum Strassenstrich am Sihlquai. Die Sip-Patrouilleure Benj und Maurizio sprechen vier junge Frauen an, die hinter dem X-tra direkt an der Schwelle zur Sexmeile mit ihren dunklen Hinterhöfen sitzen. Benj erklärt ihnen, es bestehe die Gefahr, dass Freier sie mit Prostituierten verwechseln würden. Die jungen Frauen sind bass erstaunt. Und folgen dem Rat, sich auf die Vorderseite des X-tra zu begeben. Auch weiter vorne, beim Planet 5 am Sihlquai, drohen sich Prostitution mit Jugendkultur zu vermischen. "Wir achten streng darauf, dass dies nicht passiert", sagt Benj.

 Kein Geld für teure Klubs

 Im Klingenpark neben der Zürcher Hochschule der Künste trifft die Patrouille auf mehrere trinkende Jugendliche. Aufgeschreckt durch die Uniformen des Sip-Duos, sagt einer in gebrochenem Deutsch: "Ich bin clean. Ich habe keinen Eintrag im Strafgesetzbuch, Mann!" Viele Jugendliche reagieren im ersten Augenblick irritiert auf die Sip-Leute. Zuerst glauben sie, Polizisten vor sich stehen zu haben. "Dann klären wir sie auf, was wir tun. Und schon ist die Atmosphäre in der Regel entspannter", sagt Maurizio. Neben dem Park, beim Club Flamingo, hat sich eine riesige Traube aus Partygängern gebildet. "Für den Club haben wir kein Geld. Hier zu trinken ist billiger", sagt einer der Jugendlichen. Dass er zu viel intus habe und regelmässig überborde, streitet er wie alle anderen ab: Heute, sagt er mit Nachdruck, sei die grosse Ausnahme. Er habe eben die Lehrabschlussprüfung bestanden. "Das ist doch ein Grund zum Feiern, nicht?" Vor den Toren der Finanzdirektion, gegenüber dem Landesmuseum, liegt ein junger Mann. Auch er: betrunken. Er ist Italiener, seit zwei Monaten in der Schweiz, auf der Suche nach Arbeit. Maurizio gibt ihm die Sip-Broschüre, die Adressen von Beratungsstellen enthält. "Morgen werden wir kontrollieren, ob er wieder da ist." In der Regel kommt es nur zu einmaligen Kontakten. Das ist anders als bei Sozialarbeitern, die die Entwicklung ihrer Klientel mitverfolgen können. Maurizio spricht von einer Sisyphusarbeit. Und ergänzt: "Sie macht aber Sinn."

 Wirkung der Arbeit nicht belegt

 Doch wirkt sie auch? Sip-Chef Fischer hofft auf die Einsicht der Jugendlichen nach einem Gespräch mit der Sip: Er spricht von "Selbstreflexion", welche die Wahrscheinlichkeit erhöhe, dass die Jugendlichen ihr "störendes Verhalten nicht wiederholen". Illusionen über die Wirkung macht sich Fischer aber nicht. Die Probe aufs Exempel liefern die Jugendlichen: Keiner der Befragten sagt, er trinke wegen der Sip besonnener. Einer ruft unter dem Jubel der Kollegen: "Ich lasse mir nichts vorschreiben!"

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 Das ist Sip

 Sip Züri ist dem städtischen Sozialdepartement angegliedert. Sip steht für Sicherheit, Intervention, Prävention. Die Mitarbeiter schlichten Konflikte in öffentlichen Anlagen und intervenieren in Parks und auf Plätzen bei Störungen und Belästigungen. 50 Angestellte zählt das Team. 10 neue sind in den letzten drei Jahren dazugekommen - eine Reaktion auf das 24-Stunden-Zürich. Viele von ihnen sind Quereinsteiger aus dem Sozial-, Gesundheits- und Sicherheitsbereich. Hundert Prozent arbeitet ausser Chef Christian Fischer niemand. "Aus Eigenschutz", wie Sip-Miarbeiter Benj sagt. Ein Einsatz dauert gut zehn Stunden. "Danach ist man geschafft." Dass die Belastung hoch ist, bestätigt Maurizio, der seit 2000 dabei ist: "Es braucht viel innere Ruhe. Sonst brennt man schnell aus." (sth)

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VILLA ROSENAU
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Basellandschaftliche Zeitung 12.7.10

Der Bund will Villa Rosenau "verkaufen"

 Basel könnte das Land um die Villa Rosenau kaufen. Das würde die Ausgangslage für eine Räumung ändern

 Für wenige Millionen Franken soll der Kanton über das Areal, auf dem die Villa Rosenau steht, wieder verfügen können. Baudirektor Wessels sieht Handlungsbedarf - aber erst "langfristig".

 Yen Duong

 Die ehemalige Basler Baudirektorin Barbara Schneider erinnert sich wohl ungern an diesen aussergewöhnlichen Tag: Am 2. September 2004 nahmen rund 70 Personen das Haus an der Neudorfstrasse 93 in Beschlag. Sechs Jahre später ist das Gebäude in der Nähe der Kehrichtverbrennungsanlage im St. Johann immer noch besetzt - bis zu zwölf Linksautonome leben dort. Mehrere Ankündigungen des Basler Bau- und Verkehrsdepartements (BVD) in den letzten Jahren, das Gebäude, das beim Bau der Nordtangente als Bauleitungsbaracke diente, werde bald geräumt und abgerissen, verpufften. Und der Name "Villa Rosenau" geniesst inzwischen in Basel Kultstatus.

 Wie lange dies der Fall bleibt, ist fraglich. Das Haus gehört zwar dem Kanton, das Land aber zu 65 Prozent dem Bundesamt für Strassen (Astra) - noch. Es erwarb die insgesamt 4300 Quadratmeter grosse Parzelle anno 1993 im Zuge des Baus der Nordtangente von Basel-Stadt. Und jetzt will das Astra das Land in der Industrie- und Gewerbezone dem Kanton wieder verkaufen.

 Kaufpreis noch unklar

 Roger Reinauer, Leiter des Tiefbauamts im BVD, bestätigt Informationen der bz: "Wir haben ein Schreiben vom Astra erhalten. Wir werden aufgefordert, dem Bund den Anteil von 65 Prozent zurückzuerstatten - dies, weil die Nordtangente inzwischen fertig erstellt ist und die Parzelle für den Betrieb der Nationalstrasse nicht mehr benötigt wird." Der Kaufpreis sei noch unklar, er befinde sich aber voraussichtlich in einer "einstelligen, kleineren Millionenhöhe". Wahrscheinlich sei, dass der Kanton den Boden zurückkaufen wird. "Das steht aber noch nicht fest. Die Abklärungen laufen", meint Reinauer.

 Würde der Kanton der Forderung des Bundes nachkommen, könnte sich die Ausgangslage für eine Räumung der Villa ändern. Bisher stand die Regierung politisch nicht unter grossem Druck, etwas gegen die Hausbesetzer zu tun und das Land für gewerbliche Nutzung freizugeben. Ihre Hände waren schliesslich gebunden, da sie ohnehin nicht ganz über die Parzelle verfügte.

 Wessels hat es nicht eilig

 Der Basler Baudirektor Hans-Peter Wessels räumt ein: "Bis jetzt gehörte die Parzelle dem Bund - wir konnten nicht handeln. Falls der Boden wieder komplett im Besitz des Kantons ist, dann haben wir eine andere Situation und müssen uns überlegen, was wir machen."

 Während bei den Linken unumstritten ist, dass die Villa Rosenau erhalten bleiben soll, steht für den Basler SVP-Präsidenten Sebastian Frehner das Gegenteil fest: "Der illegale Zustand muss beseitigt werden. Umso mehr, wenn das Land wieder dem Kanton gehören würde." Die Regierung hätte aber ohnehin längstens reagieren müssen. Die CVP, die LDP, die Grünliberalen und die FDP haben - auf Anfrage bei den Parteipräsidenten - keine Mühe mit dem Ist-Zustand. CVP-Chef Markus Lehmann meint: "In der Stadt sollen alle mögliche Wohnformen Platz haben. Ich erwarte aber, dass die Besetzer weggehen, sobald klar ist, wie das Land neu genutzt wird. Das muss dann von den Hausbesetzern akzeptiert werden."

 Bis klar ist, was mit dem Areal geschieht, dauert es voraussichtlich noch eine Weile. SP-Regierungsrat Wessels hat es nicht eilig: "Ich sehe keine Notwendigkeit, dort kurzfristig etwas zu ändern - von mir aus können wir die Villa Rosenau stehen lassen." Langfristig sei eine gewerbliche Nutzung absehbar. "In 50 Jahren wird das Gebäude sicher nicht mehr dort sein."

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 Viel Wirbel um Villa Rosenau

 Die Hausbesetzer leben gratis in der Villa Rosenau. Sie zahlen lediglich für das Wasser, Strom und die Nutzung des Grundstückes. Wie viel, ist aber unklar. Zuletzt geriet das ehemalige Sozialwohnungsgebäude in die Schlagzeilen, als Linksautonome an einem Konzert den Basler Stadtentwickler Thomas Kessler angriffen (die bz berichtete). Die Hausbesetzer stehen zudem im Verdacht, für die beiden Saubannerzüge im Mai in der Innenstadt verantwortlich zu sein. Die ehemalige Baudirektorin Barbara Schneider meinte im Juni 2008 auf eine Interpellation von SP-Grossrätin Ruth Widmer, dass die Villa Rosenau "nur vorerst nicht abgerissen werde". Sobald sich eine Neunutzung des "wertvollen Areals" abzeichne, müsse die Villa verlassen werden, sagte die alt SP-Regierungsrätin damals.

 Das Gebäude beschäftigt derzeit SVP-Grossrat Samuel Wyss intensiv. Er will mit einer Interpellation Fragen rund um die Villa Rosenau beantwortet haben. So etwa, was die Regierung über die Besetzer der Villa wisse, wie er vorgehen müsse, damit er auch ein "Gratishaus" von der Regierung gesponsert bekomme, und ob die Hausbesetzer auch Steuern bezahlen würden. Eine Antwort der Regierung gibt es voraussichtlich im September. (YDU)

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REVOLTE BASEL
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Basler Zeitung 12.7.10

Schock bei Geschäftsinhabern sitzt noch tief

 Basel. Sieben Wochen sind seit dem Saubannerzug in der Freien Strasse vergangen - die Ermittlung läuft weiter

 Mischa Hauswirth

 Am 21. Mai hinterliessen Chaoten in Basels exklusiver Shoppingmeile ein Bild der Verwüstung. Noch heute zeugen behelfsmässig geflickte Fensterscheiben von der Zerstörung. Von den Tätern fehlt nach wie vor jede Spur.

 Innert fünf Minuten zertrümmerten vermummte Chaoten mit Zimmermannshämmern mehrere Schaufenster in der Freien Strasse. Zudem schmierten sie antikapitalistische Parolen sowie Kommunismussymbole an die Fassaden. Als der Mob flüchtete, gab es kaum einen Laden, der nicht Opfer dieses Anschlags geworden war. Der Schaden beläuft sich auf über eine halbe Million Franken. Basel erlitt einen Schock und die Polizei kündigte Sofortmassnahmen an (BaZ berichtete).

 Seit jenem Freitagabend suchen die Ermittler nach den Verursachern. In Verdacht stehen Linksautonome der Hausbesetzerszene, welche die Village Sauvage neben der Bell AG in Beschlag genommen haben. Von den Bewohnern der Village Sauvage wollte gegenüber der BaZ niemand etwas zu den Vorwürfen sagen. Zu gross die Gefahr, in etwas hineingezogen zu werden, bei dem es um Schadenersatzklagen in Höhe von über einer halben Million Franken geht. In der Szene kursieren Geschichten von beschlagnahmten Autos, von Verdächtigen, die von der Polizei rund um die Uhr observiert worden seien, auch hätte es mehrere Vorladungen gegeben, heisst es gerüchteweise.

 Informationsbedarf

Die Ermittler versuchen, über die Sprayereien an die Täter heranzukommen. Gibt es erste Erfolge? Peter Gill, Mediensprecher der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt: "Die Ermittlungen laufen nach wie vor. Zum Stand geben wir keine Auskunft."

 Der Saubannerzug zerstörte auch Schaufenster der Bijouterie Mezger. Inhaber Urs Mezger stört sich daran, dass er von den Behörden keinerlei Informationen über den Ermittlungsstand bekommt: "Das finde ich sehr schade."

 Urs Welten, Präsident von Pro Innerstadt, kennt weitere Geschäftsinhaber, die so denken: "Man will wissen, ob die Staatsanwaltschaft jemanden gefasst hat und ob es Verdächtige gibt." Die Schäden und die Unsicherheit seien eine emotionale Angelegenheit, so Urs Welten.

 Die Strafverfolgungsbehörden können dem Wunsch nur begrenzt nachkommen. Gill: "Auf Anfrage erhalten Geschädigte im Rahmen der Strafprozessordnung Auskunft, sofern dadurch die Ermittlungen nicht gefährdet werden."

 Polizeipräsenz

Nach dem Saubannerzug hatte die Polizei angekündigt, ihre Präsenz zu verstärken. Ist davon etwas zu spüren? Einige der von der BaZ befragten Geschäfte sagen Nein, einige Ja. Jürg Welti, Mediensprecher von Herrenglobus: "Wir stellen fest, dass vor allem am Abend mehr Patrouillen unterwegs sind." Laut Klaus Mannhart, Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt, setzt die Polizei bei der Überwachung auf sichtbare und unsichtbare Präsenz. Definitiv vom Tisch ist die Frage, ob die Polizei auf dem Barfi einen Polizeicontainer wie an der Herbstmesse aufstellen wird. Das sei kein Thema mehr, sagt Mannhart.

 Langes Prozedere

Für Urs Welten ist klar: Der Schock bei den Geschäftsinhabern sitzt nach wie vor tief. "Zur Ruhe wird die Freie Strasse wohl erst kommen, wenn die letzten Spuren der Zerstörung verschwunden sind", sagt Welten. Das dürfte der Fall sein, wenn die letzten Schaufensterscheiben ausgewechselt worden sind.

 Die Bijouterie Mezger hat in den vergangenen Tagen die neuen Schaufenster erhalten. Bei Visilab kommen die kaputten Schaufenster diese Woche weg. Warum dauert das Prozedere so lange? Eric Marti, Montageleiter bei Blaser Bauglas AG: "Alle diese Schaufenster sind Sonderanfertigungen. Komplexe Gläser brauchen eine Weile, bis sie hergestellt sind. Zudem ging es bei einigen Geschäften lange, bis die Versicherungen der Kostendeckung zustimmten."

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KNAST-TOD VD
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Zürichsee-Zeitung 12.7.10

Strafanstalt Bochuz

 Fünf Polizisten verwarnt

 Fünf Polizeibeamte der Waadtländer Kantonspolizei haben eine Verwarnung erhalten. Sie hatten sich im Zusammenhang mit dem Todesfall eines Häftlings in der Strafanstalt Bochuz am 11. März dieses Jahres abschätzig geäussert. "Ich begrüsse diesen Schritt", sagte Polizeidirektorin Jacqueline de Quattro in einem Interview mit der Tageszeitung "24 heures" vom Samstag. "Auch wenn gewisse verbale Ausrutscher durch Stress erklärt werden können. Eine Entschuldigung ist das nicht." Solche Aussagen von Polizisten seien nicht tolerierbar.

 Statt den Häftling aus der Zelle zu holen, wo er an Rauch erstickte, hatten die Gefängniswärter beim Polizeinotruf 117 Verstärkung angefordert. Auf den Aufnahmen der Gespräche zwischen Strafanstalt und Polizeiposten sind Gelächter und abschätzige Bemerkungen über den Häftling zu hören.

 Harsche Kritik am Haftregime

 Westschweizer und französische Medien hatten die Aufnahmen nach dem tragischen Todesfall veröffentlicht. Der Tod des Häftlings ist vom ehemaligen Bundesgerichtspräsidenten Claude Rouiller untersucht worden. Sein letzte Woche publizierter Bericht übte harsche Kritik am Haftregime in Bochuz. So haben mangelhafte Ausbildung und eine bis ins Absurde getriebene Weisungshörigkeit des Personals zum Tod des Häftlings in der Waadtländer Strafanstalt geführt. Als erste politische Konsequenz aus dem Fall muss die Waadtländer Vorsteherin des Strafvollzugs gehen. (sda)

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La Liberté 12.7.10

Mort à Bochuz
 
 Policiers sanctionnés pour propos injurieux

 Cinq policiers vaudois ont écopé d'une "mise en garde formelle" après les propos injurieux prononcés au sujet de Skander Vogt, le détenu mort au pénitencier de Bochuz le 11 mars dernier. Ces propos avaient été publiés le 16 avril par "Le Matin" et, plus récemment, la bande-son avait été diffusée par des médias français.

 "Le stress n'excuse pas de tels dérapages verbaux", a déclaré samedi dans "24 heures" la conseillère d'Etat Jacqueline de Quattro. La responsable du Département vaudois de la sécurité et de l'environnement a souligné qu'elle "approuve sans réserve" la sanction prononcée cette semaine par le commandant de la police. Les agents ont un travail difficile, mais "ils ne peuvent attendre du respect de la société que si eux-mêmes sont respectueux en toutes circonstances".

 Après la publicité donnée à l'affaire par les médias, un des policiers en cause, un adjudant, a sombré dans une profonde dépression qui a nécessité son hospitalisation. "Sa dépression m'afflige fortement; c'est un homme droit, un très bon gendarme qui a rendu d'éminents services à la société et c'est pourquoi il prend tant sur ses épaules", a relevé Jacqueline de Quattro.

 AP

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Le Matin Dimanche 11.7.10

"Enfin un peu de justice!"

Dominique Botti

 Dominique Bottidominique. botti@edipresse. ch

 En quatre mois, la version officielle sur la mort par asphyxie du détenu Skander Vogt à Bochuz (VD), est passée d'un extrême à l'autre. Le 11   mars, quelques heures après le décès, les autorités affirmaient que les gardiens n'avaient rien à se reprocher. Jeudi dernier, le rapport interne à l'Etat de Vaud, mené par l'ex-juge fédéral Claude Rouiller, déclarait le contraire. Le personnel aurait pu sauver la vie de ce prisonnier, décédé à l'âge de 30 ans après avoir mis le feu au matelas de sa cellule du quartier de haute sécurité.

 Le rapport va même plus loin. Partant de ce drame, l'ex-juge dresse un constat accablant du système pénitentiaire qui a broyé la vie de ce jeune homme. Condamné à 20 mois de prison, Skander Vogt a subi un régime d'internement à durée illimitée. Parce qu'il était dangereux et instable psychologiquement, selon la version officielle. Le prisonnier est ainsi entré à Bochuz en 2000, à l'âge de 20 ans. Il en est ressorti mort dix ans plus tard.

 Le rapport de l'ex-juge souligne que ce détenu n'avait pas été condamné pour des délits d'une extrême gravité. Il n'était pas un malade mental. Il n'était pas dangereux et n'aurait jamais dû rester aussi longtemps dans un pénitencier. Mais plutôt dans une institution adaptée à son cas.

 Ces conclusions sont une bouffée d'oxygène pour Senda Vogt, 34 ans. La sœur du défunt se bat depuis dix ans pour sauver son frère du pénitencier. Elle a tout autant combattu la version officielle sur son décès.

 • Comment réagissez-vous?

 C'est un petit miracle qui s'est produit. Pour une fois, quelqu'un d'honnête se prononce sur le cas de mon frère. C'est la première fois qu'on lui donne la parole et qu'on l'écoute. Il a fallu sa mort pour lui donner raison. C'est terrible, mais cela me rassure quand même sur l'état de la justice dans mon pays, la Suisse. Je remercie l'ex-juge Claude Rouiller pour son travail, qui confirme ce que mon frère a toujours défendu. Je trouve dommage qu'il n'ait pas pu prendre en charge plus tôt le dossier de mon frère. Il serait peut-être toujours en vie aujourd'hui

 • Votre frère n'aurait-il jamais dû aller derrière les barreaux?

 Mon frère a été condamné à 20 mois, à l'âge de 18 ans. Il a payé en prison. Mais il n'en est jamais sorti. C'est cela qui est inadmissible. Il n'aurait pas dû prendre "perpète". Il n'a jamais compris les raisons de son internement à durée illimitée. Comme moi, d'ailleurs.

 • Les conclusions de ce rapport sont-elles une délivrance?

 Justice, enfin! Mon frère n'aurait jamais fait de mal à personne. Il aurait été le premier à se jeter dans une cellule en feu pour sauver une vie. Je le répète: mon frère n'a jamais été fou et dangereux. Ou plutôt oui: il était dangereux pour le service pénitentiaire. S'il était sorti. Il aurait dénoncé ses conditions carcérales inhumaines.

 • Vous semblez dire que cette affaire est un énorme gâchis?

 Ils ont détruit la vie de mon frère. Dès l'âge de 18 ans, les autorités ne lui ont jamais donné une deuxième chance pour vivre une vie normale après la prison, comme tout adolescent. Il était comme tout le monde, d'ailleurs. Avant la prison, nous avons vécu des moments formidables ensemble. Il aimait le rap. Il jouait au baby-foot. Il aimait la piscine, les chevaux. Il avait des amis. Il aimait rigoler. Il était plein de vie.

 C'est un énorme gâchis pour moi et mon mari aussi. Qu'allons-nous faire maintenant, sans lui? Cela fait dix ans que nous souffrons. Et aujourd'hui, il a disparu. Mais il reste présent dans mon cœur, au quotidien. Il me manque. Il est toute ma vie. Il est mon bébé.

 • Suite à la publication de ce rapport, le conseiller d'Etat en charge des prisons, Philippe Leuba, a déjà pris une mesure: il a démissionné la cheffe du Service pénitentiaire, Catherine Martin. Cela vous rassure-t-il?

 J'étais tellement émue, lorsque mon avocat m'a dit qu'elle avait été virée. Catherine Martin ne nous a jamais pris au sérieux. Elle ne nous a jamais donné d'explications sensées sur cet internement injuste. Elle ne voulait rien savoir. Elle disait: "Votre frère ne joue pas le jeu. " Je ne savais pas que la prison est un jeu. . .

 Il y a d'autres responsables qui doivent payer. Je veux un grand procès(ndlr: une enquête pénale est en cours). Je ne lâcherai pas le morceau, vous savez. Les gardiens et leur chef présents sur place lors de son décès doivent être jugés. Le directeur de Bochuz aussi.

 • Le directeur Sébastien Aeby? Pourquoi?

 Parce qu'il est le responsable de Bochuz. C'est lui, d'ailleurs, qui nous a annoncé la mort de mon frère par téléphone. Il nous a dit: "Il s'est suicidé. " A nouveau, il a essayé de le faire passer pour un malade, il a essayé d'étouffer l'affaire. Mais cette fois, le mensonge était trop gros.

 • Les déclarations du conseiller l'Etat Philippe Leuba, faites le lendemain du décès, vous ont aussi blessée?

 Et comment! Il a prétendu que mon frère était le détenu le plus dangereux et que les gardiens avaient respecté la procédure lors du drame. Or, le rapport dit le contraire. Je n'ai pas encore digéré ces déclarations. Mais bon, un jour j'irai le rencontrer pour en parler. Philippe Leuba est un politicien qui bouge dans le sens du vent. Maintenant, il retourne sa veste. Il ne peut pas faire autrement devant l'évidence.

 • Vous semblez ressentir une profonde injustice. Allez-vous demander des dommages et intérêts?

 Pourquoi pas, si l'argent récolté permet de créer une fondation en faveur des détenus qui, aujourd'hui, vivent la même situation carcérale que mon frère. Mais bon, l'argent en soi ne m'intéresse pas. J'aurai dépensé des millions de francs si cela avait pu le sauver. Tout l'argent du monde ne rendra pas mon frère à la vie. Sa vie n'a pas de prix. Y

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Commentaire

 Une vie jetée aux oubliettes

Dominique Botti

 Le parcours carcéral de Skander Vogt ressemble à une autre époque. Celle où les seigneurs jetaient les petits délinquants aux oubliettes. Skander Vogt a été condamné en 2000. Pour des délits certes peu recommandables, mais pas d'une extrême gravité. Plutôt que de purger ses 20 mois ferme et ensuite tenter de refaire sa vie, il a été interné pour une durée indéterminée dans des conditions de détention extrêmes (isolement cellulaire, quartier de haute sécurité). Sans perspective de sortie. Parce qu'il était malade et donc dangereux pour la société, selon les autorités. Il s'est battu contre ces raisons. En vain. Le rapport de l'ex-juge Claude Rouiller, sorti cette semaine, lui donne entièrement raison pour la première fois. A en croire ce document, la justice et la prison n'ont pas tout fait pour réintégrer ce détenu dans la société. Il a payé, parce que c'était une grande gueule et qu'il n'a jamais accepté son internement. Sa mort se lit ainsi comme l'aboutissement d'un énorme gâchis humain.

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BUNDESKRIMINALTANGO
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Sonntagszeitung 11.7.10

Anzeige gegen Bundespolizei wegen Diebstahl

 Es fehlen 100000 Franken - die Bundesanwaltschaft klärt Verdacht ab

 Von Catherine Boss

 Bern Die Bundesanwaltschaft klärt eine Diebstahlsanzeige ab mit schweren Vorwürfen gegen die Bundeskriminalpolizei. Ein Zürcher Geschäftsmann hat im Lausanner Büro der Bundesanwaltschaft am 22. Juni Anzeige erstattet. Vorwurf: Nach einer Hausdurchsuchung in seinem Büro an der Zürcher Goldküste fehlten 100000 Euro in grossen Noten.

 Am 22. Juli 2009 stürmten 13 Polizisten den Firmensitz des Mannes - während Stunden durchsuchten die Ermittler sein Büro. Nach der Hausdurchsuchung verhafteten sie ihn. Er sass während drei Monaten in Lausanne in Untersuchungshaft. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm Geldwäscherei und Unterstützung einer kriminellen Organisation vor.

 Nach seiner Freilassung im Oktober 2009 bemerkte er den Diebstahl. Seine Geschäftspartner versicherten ihm, dass seit seiner Verhaftung niemand sein Büro betreten habe. Sein Anwalt riet ihm damals von einer Anzeige ab - als Angeschuldigter in einem Verfahren der Bundesanwaltschaft habe er keine Chance. Der Anwalt bestätigt dies gegenüber der SonntagsZeitung.

 Pikant: Dieselben Bundeskriminalpolizisten durchsuchten einen Monat später - am 27. 8. 2009 - das Büro eines Kadermanns der Bankfiliale von Crédit Agricole in Zürich. Auch ihn verdächtigt die Bundesanwaltschaft im Rahmen desselben Ermittlungsverfahrens der Geldwäscherei. Die Polizisten führten den Mann nach der Durchsuchung ab. Er sass einen Monat in Haft. Nach seiner Freilassung stellte er fest, dass in seinem Büro zwei Luxusuhren im Wert von insgesamt 65000 Franken fehlten. Die Bank hat den Vorfall angeblich intern mit viel Aufwand untersucht - ohne Erfolg. Gegenüber der SonntagsZeitung will Crédit Agricole keine Stellung nehmen.

 Verdächtige Bundespolizisten ermitteln gegen sich selbst

 Da sich bankintern kein Dieb finden liess und die Uhren weiterhin verschollen bleiben, hat der Geschädigte Ende Juni 2010 gegen unbekannt Anzeige erstattet. Die Oberstaatsanwaltschaft des Kantons Zürich bestätigt, dass die Staatsanwaltschaft Zürich-Sihl eine Strafuntersuchung führt.

 Die Bundesanwaltschaft ist über beide Fälle orientiert. "Wir klären Zuständigkeiten ab", sagt BA-Sprecherin Jeannette Balmer. Es sei zu prüfen, meint die Zürcher Oberstaatsanwaltschaft auf Anfrage, ob bei Abtreten durch die Bundesbehörden die beiden Fälle Parallelen aufwiesen und deshalb in Zürich zusammengelegt zu untersuchen seien.

 Zurzeit ermitteln die verdächtigten Beamten in eigener Sache. Ein Bundespolizist, der bei den Hausdurchsuchungen zugegen war, hat bereits Auskunftspersonen zum Verschwinden der 100000 Franken befragt. "Ungeheuerlich", meint dazu der Zürcher Anwalt Bruno Steiner. Er hat Erfahrung mit Verfahren gegen Beamte. Die Polizisten müssten sofort in den Ausstand treten: Es gehe nicht, dass sie selbst untersuchten. "Das wird aber bei Anschuldigungen gegen Bundespolizisten oder Bundesanwälte systematisch so gemacht, deshalb werden solche Verfahren in fast aller Regel eingestellt", sagt Steiner. Beschwerden dagegen sind nicht möglich.

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BIG BROTHER
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NZZ 12.7.10

Die neue Aufsicht der Bundesanwaltschaft vor ihrer Kür

 Ausreichend Interessenten für das auf Anfang 2011 zu schaffende Gremium

 Im Bund wird eine neue siebenköpfige Instanz geschaffen, welche die Bundesanwaltschaft beaufsichtigen soll. Das Parlament wird die Wahl für das prestigeträchtige Amt diesen Herbst vornehmen. Der Bundesanwalt wird ein Jahr später gewählt.

 fon. Bern ⋅ Die Bundesanwaltschaft bricht organisatorisch zu neuen Ufern auf. Auf Anfang 2011 wird sie aus dem Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartement herausgelöst und verwaltet sich künftig selber. So will es das neue Strafbehördenorganisationsgesetz, das im Januar in Kraft tritt.

 Kein bundesrätlicher Einfluss

 Für die Bundesanwaltschaft bringt die Entlassung in die Unabhängigkeit grosse Umstellungen punkto Budget, Logistik oder Personalrecht mit sich; die Arbeiten wurden bis vor kurzem vom früheren Staatsschützer Urs von Daeniken geführt, der wegen der jüngsten Fichen-Aufregung seiner Aufgabe enthoben worden ist. Massgeblich beeinflusst wurde das neue Strafbehördenorganisationsgesetz von der Blocher-Roschacher-Affäre und der Aktenvernichtung im Atomschmuggel-Fall Tinner. Diese Turbulenzen liessen im Parlament Misstrauen gegenüber der Landesregierung aufkommen und förderten die Überzeugung, dass man die Bundesanwaltschaft - die heute fachlich dem Bundesstrafgericht und administrativ dem Bundesrat untersteht - dem Einflussbereich der Exekutive völlig entziehen müsse.

 Wahl im Herbst

 Aus diesem Grund werden der Bundesanwalt sowie seine Stellvertreter laut Gesetz nicht mehr von der Exekutive, also dem Bundesrat, sondern vom Parlament gewählt. Auch bei der Aufsicht über die Bundesanwaltschaft mit ihren rund 130 Mitarbeitern hat die Regierung nichts mehr zu sagen. Diese Aufgabe wird einem neu zu schaffenden siebenköpfigen Gremium übertragen, dessen Mitglieder ebenfalls vom Parlament zu wählen sind.

 Während der Bundesanwalt und seine Stellvertreter erst Ende nächsten Jahres zur Wahl in der Vereinigten Bundesversammlung antreten müssen (vgl. Kasten), soll die neue Aufsichtsinstanz bereits Anfang 2011 eingesetzt werden. Ihre Aufgabe ist es, die Bundesanwaltschaft, die als untersuchende und anklagende Behörde mit weitreichenden Eingriffsrechten und einer grossen Machtfülle ausgestattet ist, zu kontrollieren. Eine vom freisinnigen Tessiner Ständerat Dick Marty präsidierte Subkommission der Gerichtskommission ist daran, das Wahlgeschäft vorzubereiten; es soll in der Herbstsession der eidgenössischen Räte über die Bühne gehen.

 Breite Zusammensetzung

 Um Leute für das prestigeträchtige Amt zu finden, hat die Subkommission Fachorganisationen wie den Anwaltsverband oder die Kriminalistische Gesellschaft sowie die Rechtsfakultäten angeschrieben. Interessenten hat es laut Marty genug; derzeit werden die Bewerbungen gesichtet. Die Aufsichtsbehörde, die für eine Amtsdauer von vier Jahren gewählt wird und deren Personalkosten pro Jahr auf schätzungsweise rund 400 000 Franken veranschlagt werden, muss sich aus je einem Richter des Bundesgerichts und des Bundesstrafgerichts, zwei Anwälten und drei weiteren Fachpersonen zusammensetzen. Bei der Wahl der Kandidaten geht es nicht einfach nur darum, die Bestgeeigneten zu finden. Vielmehr spielen zahlreiche andere Kriterien ebenfalls eine Rolle.

 Angemessene Vertretung aller

 So wird erwartet, dass im neuen Gremium die Frauen angemessen vertreten sind, auch sollen Vertreter der verschiedenen Sprachregionen Einsitz nehmen. Vor allem aber gilt es, die Ansprüche der Parteien zu berücksichtigen, die gemäss ihrer Stärke in der neuen Instanz vertreten sein wollen. Für Marty darf es aber nicht zu viele Konzessionen geben: Hauptkriterium müsse die Kompetenz der Bewerber sein. Sie müssten die Bundesanwaltschaft gut kennen und zeitlich verfügbar sein.

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 Wahl mit parteipolitischer Note

 fon. ⋅ Die Regelung, wonach der Bundesanwalt künftig von der Bundesversammlung (statt vom Bundesrat) gewählt werden soll, ist im Parlament nicht nur auf Zustimmung gestossen. Kritische Stimmen wandten ein, dass die Wahl durch das Parlament zu einer Verpolitisierung des Amtes führen würde. Tatsächlich ist absehbar, dass für die Besetzung dieser grundsätzlich "unpolitischen" Stelle parteipolitische Motive eine ganz wesentliche Rolle spielen werden und die Fraktionen versuchen werden, die Funktion des Bundesanwalts in den Postenschacher beim Bund einzubeziehen.

 Die Wahl des Bundesanwalts sowie seiner Stellvertreter findet erstmals in der Wintersession 2011 statt. Der jetzige Amtsinhaber Erwin Beyeler, der seit bald drei Jahren der Bundesanwaltschaft vorsteht und FDP-Mitglied ist, will im kommenden Jahr zur Wahl antreten, wie er gegenüber den Medien erklärt hat. Ob er im Amt bestätigt wird, ist allerdings offen. Im Parlament ist Beyeler nämlich nicht unumstritten.

 Die SVP hat ihn verschiedentlich harsch kritisiert, so wegen des Verfahrens gegen Privatbankier Oskar Holenweger, und auch bei der Linken ist er, der frühere Chef der Bundeskriminalpolizei, nicht unbedingt wohlgelitten. Insofern wäre es nicht erstaunlich, wenn noch andere Bewerber ins Rennen geschickt würden.

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Südostschweiz 12.7.10

Genug geficht: Jetzt wird direkte Auskunft gefordert

 Der Nachrichtendienst NDB hat es bei der Fichenprüfung nicht so genau genommen. Deshalb wehren sich jetzt die Datenschützer im Verbund.

 Von Willi Meissner

 Der Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation (GPdel) über die Fichensammlung des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB) verunsichert viele Menschen in der Region. Von 200 000 Personen sollen in den Datenbanken des Staatsschutzes geheime Datensätze schlummern.

 Wie viele Menschen aus dem Linthgebiet betroffen sind, ist geheim. Auch vor der kantonalen Stelle für Datenschutz. Das wollen die Datenschützer nun gemeinsam ändern.

 Das gabs doch schon einmal ...

 Die GPdel geht in ihrem Bericht davon aus, dass viele der erhobenen Daten gelöscht werden müssen. Das, weil die gespeicherten Informationen "nicht ausreichend relevant oder zu lange gespeichert waren". Offensichtlich haben Staatsschützer also Informationen gesammelt, die keine Gefährdung der inneren Sicherheit nahelegen.

 Das musste der Uzner Reallehrer Alex Tomaschett bereits in den 70er- Jahren erfahren. Wegen eines Inserates wurde er fichiert und zur Polizei bestellt. Berichte Seite 3

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Wegen Zeitungsinserat auf den Polizeiposten

 Der Uzner Reallehrer Alex Tomaschett wurde in den 70er-Jahren fichiert. Weil er in den Ostblock reisen wollte, suchte er vorgängig per Zeitungs- inserat Leute aus Rumänien und Ungarn. Das gefiel den Staatsschützern gar nicht.

 Von Stefan Breitenmoser

 Uznach. - "Interrail lag Ende der 70er-Jahre bei vielen jungen Erwachsenen sehr im Trend", erklärt Alex Tomaschett. Auch er und seine damalige Freundin und jetzige Frau Christine wollten Europa erkunden. Allerdings interessierte sie das damals noch kommunistische Osteuropa mehr als der Westen.

 Von einem Kollegen bekamen sie den Tipp, vorgängig mit Leuten aus dieser Region Kontakt aufzunehmen, um sich auf die Reise vorzubereiten und ein allfälliges Beziehungsnetz aufzubauen.

 Vom Dorfpolizisten ausgefragt

 Gesagt getan. Rund einen Monat vor der Reise schaltete Tomaschett ein Inserat im "Tages-Anzeiger" mit etwa folgendem Inhalt: "Schweizer, der demnächst nach Ungarn und Rumänien reist, überbringt Ihren Verwandten gerne Glückwünsche und Geschenke." Auf die Anzeige meldete sich niemand. Die Tomaschetts zogen also ohne nähere Kontakte los, um Osteuropa zu erkunden.

 Doch als sie wieder zurück in der Schweiz waren, meldete sich doch noch jemand auf die Anzeige. Es war der damalige Dorfpolizist von Ebnat-Kappel - Tomaschett arbeitete damals im Dorf als Lehrer -, der ihn zu einem Gespräch auf den Polizeiposten vorlud. Völlig verdutzt folgte Tomaschett der Aufforderung. "Auf dem Polizeiposten fragte mich der Polizist dann aus, warum ich nach Osteuropa gereist sei, was ich dort gemacht habe und noch vieles mehr", so der Uzner Reallehrer. Folgen hatte dies für ihn aber keine. Als dann Ende der 80er-Jahre der Fichenskandal ins Rollen kam, wurde Tomaschett auf einmal stutzig. "Damals war ich auch politisch interessierter, als noch zu der Zeit, als wir nach Osteuropa reisten." Deshalb fragte er nach, ob eine Fiche über ihn existiere, und verlangte, als dies bejaht wurde, Einsicht. "Es war ein unglaublich mühsames Prozedere, an die Fiche zu kommen, ein Riesentheater. Ich habe unzählige Briefe an die verschiedensten Ämter geschrieben."

 Schliesslich bekam er aber Einsicht. "Ich habe allerdings nicht alles gesehen. Gewisse Teile waren abgedeckt. Auch die fichierende Person war nicht ersichtlich", erzählt Tomaschett. Klar war allerdings, dass die Fiche einzig und allein wegen seiner Anzeige im "Tages-Anzeiger" angelegt wurde. Bis heute hat sich Tomaschett nämlich nichts zu Schulden kommen lassen.

 Fürs "Falsche" interessiert

 Den Gedanken an die missliche Episode erregt noch heute sein Gemüt. "Man muss sich das mal vorstellen. Da hockt jemand irgendwo und sieht alle Anzeigen aller Zeitungen durch. Dann gibt dieser 'Schnüffler' seine 'Entdeckung' weiter, so dass schliesslich der Dorfpolizist in Ebnat-Kappel jemanden vorladen muss. Das ist einfach unglaublich. Über mich wurde eine Fiche erstellt, nur weil ich mich für den Osten interessierte."

 Dass dieser damals im wahrsten Sinne des Wortes ein rotes Tuch für die Schweiz gewesen sei, kann er noch nachvollziehen. "Aber wie die selbsternannten Staatsschützer damals vorgegangen sind, regt mich heute noch auf." Scheinbar hat sich auch bis heute nicht viel geändert.

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St. Galler Staatsschützer fichen nur für die Berner Datenbank

 Wenn Datenschutz zum Thema wird, ist meistens etwas falsch gelaufen. Wegen der mangelnden Prüfung von Fichen erhöhen die kantonalen Beauftragten für Datenschutz gemeinsam den Druck auf Nachrichtendienst und Bund.

 Von Willi Meissner

 Wie viele Menschen aus dem Linthgebiet vom Staatsschutz beobachtet werden, wissen nicht einmal die kantonalen Datenschutzbeauftragten. Ein Dauerzustand soll das aber nicht bleiben. Weil die Datenschützer in den Kantonen im Alleingang kein Durchkommen erwarten, prüfen sie bereits seit 2009 im Rahmen der Vereinigung Privatim - Mitglieder sind alle Fachstellen für Datenschutz der Kantone - die Lage im Einsichtsrecht.

 Datenschützer verlangen Einsicht

 "Momentan ist es einfach zu undeutlich geregelt, was die Datenschutzbeauftragten prüfen dürfen", sagt Privatim-Präsident Bruno Baeriswyl. Ziel sei ein umfassendes Einsichtsrecht für die kontrollierende Behöre sowie ein direktes Auskunftsrecht für betroffene Personen. Jede Person soll sich per Einsichtsgesuch informieren können, ob und welche Daten über sie vom NDB bearbeitet werden. "Wir haben ein grosses Interesse an der Klärung der Rechtsgrundlage", so Baeriswyl. Es könne nicht sein, dass die unabhängigen Beauftragten für Datenschutz eine Zustimmung zur Einsicht in die Daten vom NDB benötigen, welchen sie eigentlich kontrollieren sollen. "Der zu Kontrollierende bestimmt damit die Kontrolle", kritisiert Baeriswyl.

 Aktuelles Auskunftsrecht nutzlos?

 Gestützt wird die Geheimniskrämerei des NDB durch das Bundesrecht. Die Zeilen im Auskunftsrecht lesen sich wie eine Arbeitsanweisung für denjenigen, der eigentlich den Datenschutz sicherstellen soll. Der Datenschutzbeauftragte des Bundes ist verpflichtet, der gesuchstellenden Person "in einer stets gleichlautenden Antwort" mitzuteilen, ob unrechtmässig personenbezogene Daten bearbeitet werden. Wenn das zutrifft, wird dem NDB eine Empfehlung zugestellt, "allfälllige Fehler in der Datenbearbeitung" zu beheben. Der Gesuchsteller erfährt allerdings fast nie, welche Daten über ihn gespeichert sind. Die Datenschutzbeauftragten informieren nur, und auch das nicht immer, wenn ein Gesuch von einem Betreffenden vorliegt. "Damit wir oder die Betroffenen Einsicht in die Fichen erhalten, braucht es die Zustimmung des NDB", so Baeriswyl.

 Keine Datenbank in St. Gallen

 "Die Datenherrschaft liegt aus unserer Sicht beim Bund", sagt der Jurist und Generalsekretär des kantonalen Sicherheits- und Justizdepartements, Hans-Rudolf Arta. Im Gegensatz zu anderen Kantonen, etwa Bern oder Genf, unterhalte der Kanton St. Gallen aber keine eigene Datenbank mit kantonalen Informationen der Staatsschützer. Die insgesamt drei beim Kanton angestellten Staatsschützer würden zwar ihrem Auftrag für Bern nachkommen. "Die Ergebnisse liefern sie direkt nach Bern", erklärt Baeriswyl.

 Eine Speicherung und Sammlung in einer Datenbank des Kantons erfolge nicht. Das deshalb, weil der Staatsschutz eine Bundesaufgabe sei. "Für St. Gallen ist es deshalb selbstverständlich, keine eigene Datenbank zu unterhalten", so Arta. Keine Datenbank bedeute in diesem Fall auch, dass die kantonalen Staatsschützer auch selbstständig gewonnene Erkenntnisse ohne Bundesauftrag - etwa die Beobachtung eines lokalen Treffens von Rechtsextremen - direkt nach Bern senden. Beim Thema Datenschutz bestehe deshalb in St. Gallen kein Handlungsbedarf.

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Migros-Magazin 12.7.10

Datenschutz

 "Man hat Leute fichiert, die ihre Rechte ausübten"

 20 Jahre nach dem Fichenskandal kommt eine neue Staatsschnüffelei ans Tageslicht: Von mehr als 200 000 Menschen wurden Dossiers angelegt. Wer Einsicht in seine Fiche haben will, der wendet sich an den Eidgenössischen Datenschützer, Hanspeter Thür (60).

 Hanspeter Thür, der Staatsschutz hat Daten von 200 000 Personen gesammelt. Wer wird fichiert?

 Sehr viele Ausländer. Vor allem solche, die sich einbürgern lassen wollen.

 Warum gerade die?

 Das müssen Sie die Verantwortlichen fragen. Aufgepasst: Es sind natürlich auch Schweizer darunter. Solche, die in einer auffälligen politischen Weise aktiv sind oder waren.

 Also wieder Linke wie 1990, als 900 000 fichiert wurden?

 Grundsätzlich können nur Daten von Personen oder Organisationen fichiert werden, die mit terroris- tischen, nachrichtendienstlichen oder gewalttätigen extremistischen Tätigkeiten in Verbindung stehen. Ich kenne nur die Fichen, für die ein Einsichtsgesuch gestellt wurde. Ein Betroffener etwa hat eine Bewilligung für eine Palästinademonstration eingeholt.

 Wie erhält man als Bürger Einblick in seine Akte?

 Schriftlich beim Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeits-beauftragten in Bern. Dazu brauchen wir eine Pass- oder ID-Kopie. Die Bearbeitung dauert in der Regel zwei bis drei Monate.

 Ein Aufschrei wie anno 1990 blieb bisher aus. Weshalb?

 Bisher gingen in den letzten Tagen einige Dutzend Anfragen ein - überdurchschnittlich viel. Die Medienreaktion war breit und pointiert. Viele Schweizer aber sind bereits in den Ferien. Von der Zahl her sind die Ereignisse natürlich auch nicht vergleichbar mit 1990. Dennoch ist der Vorfall ernst zu nehmen.

 Was ist so schlimm an der Fichenaffäre?

 Inakzeptabel ist, dass die Staatsschutzbehörden diejenigen Gesetze, die nach der letzten Fichenaffäre erlassen worden sind, im grossen Stil missachtet haben.

 Welche Gesetze?

 Die Eintragungen wurden nicht in der vorgeschriebenen Frist auf deren Notwendigkeit und Richtigkeit hin überprüft. So wurde eine Vielzahl von schlechten Informationen gesammelt, die niemandem nützen und den Betroffenen Schaden zufügen können. Man hat zudem Leute fichiert, die von ihren demokratischen Rechten Gebrauch machten, indem sie zum Beispiel eine legale Demonstration organisierten.

 Ist unser Staat bedroht?

 Überhaupt nicht. Der Staatsschutz funktioniert mit einer gewissen Eigendynamik. Die Führung fällte falsche Entscheide.

 Sie meinen den inzwischen abgesetzten Geheimdienstchef, Urs von Daeniken?

 Die Frage ist mit der vorherigen Antwort bereits beantwortet.

 Haben wir heute ein grösseres Bedürfnis nach Sicherheit?

 Das wird zwar immer wieder behauptet, aber ich glaube das nicht. Fest steht, dass das Parlament die Vorlage zur Verschärfung des Staatsschutzgesetzes auf Eis gelegt hat.

 Welches ist der Auftrag des Staatsschutzes?

 Der Staatsschutz muss relevante Ereignisse, welche die innere und äussere Sicherheit gefährden könnten, frühzeitig erkennen und bekämpfen. Und dazu muss man natürlich auch Leute be- obachten. Aber das erlaubt kein Schnüffeln im Privatbereich, nur das Auswerten von öffentlich zugänglichen Quellen. Niemand muss davon ausgehen, bei der Ausübung demokratischer Rechte fichiert zu werden - ausser man nutzt diese als Vorwand für terroristische oder nachrichtendienstliche Tätigkeiten.

 Öffentlich zugänglich und zugleich privat ist Facebook, wo sich Tausende Schweizer als gläserne Menschen zeigen.

 Jeder ist frei, sich dort zu entblös-sen. Aber wenn der Staat hinter unserem Rücken gesetzwidrig handelt, ist das etwas völlig anderes. Weil dies so ist, sind effiziente Kontrollen derart wichtig.

 Sind Sie auch bei Facebook?

 Nein.

Interview Mathias Haehl

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Langenthaler Tagblatt 12.7.10

Grosser Rat SP will Klarheit über bernische Fichen

 Die "mindestens 1800 Datensätze", die seit der letzten Fichen-Affäre auch im Kanton Bern gesammelt wurden (vgl. Ausgabe vom 7. Juli), werden bald im Grossen Rat zum Thema. Die SP zeigt sich in einer Mitteilung konsterniert über die Fichierung unter der Mitarbeit von Police Bern. Habe die Kapo beim unrechtmässigen Datensammeln des nationalen Nachrichtendienstes mitgemacht, müsse dies Konsequenzen haben, fordert Fraktionschefin Margreth Schär (Lyss). (sat)

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20 Minuten 12.7.10

Fichen: SP fordert eine Untersuchung

 BERN. Der Fichenskandal schlägt im Kanton Bern hohe Wellen: Dass die Kantonspolizei Bern dem Inlandgeheimdienst Daten zur Fichierung von 1800 Personen aus dem Kanton zugetragen hat, stösst der SP sauer auf. Per Vorstoss fordert Fraktionspräsidentin Margreth Schär Klarheit darüber, nach welchen Kriterien die Kapo solche Daten gesammelt und weitergegeben hat. Insbesondere soll geklärt werden, ob auch Angaben darunter waren, die über den gesetzlichen Auftrag der Polizei gegenüber dem Geheimdienst hinausgehen.

 Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, müsse der Regierungsrat rasch handeln. "Wenn Police Bern als Wasserträger des Schweizer Nachrichtendienstes bei unrechtmässigen Datensammlungen mitgemacht hat, muss das Konsequenzen haben", so Schär. Die SP-Frau will zudem wissen, ob der Kanton Bern zusätzlich noch eine eigene Datenbank angelegt hat.  NJ

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20min.ch 11.7.10

Bern

Fichen: SP fordert eine Untersuchung

Der Fichenskandal schlägt im Kanton Bern hohe Wellen: Dass die Kantonspolizei Bern dem Inlandgeheimdienst Daten zur Fichierung von 1800 Personen aus dem Kanton zugetragen hat, stösst der SP sauer auf.

Per Vorstoss fordert Fraktionspräsidentin Margreth Schär Klarheit darüber, nach welchen Kriterien die Kapo solche Daten gesammelt und weitergegeben hat. Insbesondere soll geklärt werden, ob auch Angaben darunter waren, die über den gesetzlichen Auftrag der Polizei gegenüber dem Geheimdienst hinausgehen.

Sollte sich dieser Verdacht bestätigen, müsse der Regierungsrat rasch handeln. "Wenn Police Bern als Wasserträger des Schweizer Nachrichtendienstes bei unrechtmässigen Datensammlungen mitgemacht hat, muss das Konsequenzen haben", so Schär. Die SP-Frau will zudem wissen, ob der Kanton Bern zusätzlich noch eine eigene Datenbank angelegt hat.

(nj/20 Minuten)

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sp-be.ch 11.7.10

Fichen-Affäre: Auch Bernerinnen und Berner haben ein Recht auf Datenschutz

Die SP des Kantons Bern ist konsterniert über die unrechtmässige und widersinnige Fichierung, offenbar unter Mitarbeit von Police Bern. In einer Interpellation fragt die Präsidentin der SP-Fraktion, Margreth Schär, wie die Berner Regierung die Rechte der Menschen im Kanton durchsetzen will.

Laut der Geschäftsprüfungsdelegation des eidgenössischen Parlaments sind auch 1800 Personen aus dem Kanton Bern betroffen. Involviert sind zudem kantonale Dienststellen, denn Police Bern diente als Zulieferer der Daten. Die SP des Kantons Bern verlangt von der Berner Regierung die Durchsetzung des Datenschutzes. Es darf auch nicht sein, dass wertvolle Arbeitszeit der Berner Polizei  mit unrechtmässigem und widersinnigem Sammeln von Daten  verbracht wird.

Die Interpellantin, Margreth Schär, meint dazu:

Wenn Police Bern als Wasserträger des Schweizer Nachrichtendienstes bei unrechtmässigen Datensammlungen mitgemacht hat, muss das Konsequenzen haben. Wir wollen auch wissen, ob sogar eine eigene, kantonale Datensammlung angelegt wurde. Ich erwarte vom Regierungsrat rasche und klare Antworten auf unsere Fragen.

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http://www.sp-be.ch/fileadmin/user_upload/sp-be/sp-kanton-bern-de/pdf/20100709_Interpellation_Fichenskandal.pdf

Interpellation

Fichenskandal auch im Kanton Bern?
Wer hat die Übersicht über Datenerhebungen/Fichierung?

Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des eidgenössischen Parlaments hat bei ihrer Untersuchung herausgefunden, dass der Inlandgeheimdienst unrechtmässig Daten gesammelt hat. Es wurden über Personen Fichen angelegt, obschon die zugehörenden Daten keine staatsrechtliche Relevanz haben. Davon betroffen sind gemäss GPDel auch 1800 Personen aus dem Kanton Bern. Zulieferer der Daten aus dem Kanton Bern ist die Police Bern.

In der Interpellation Arm 187/2008 fragte der SP-Grossrat, ob bernische GrossrätInnen fichiert wurden. In der Antwort hielt der Regierungsrat fest, dass die Kantonspolizei Informationspflichten bzw. -aufträge gegenüber dem Dienst für Analyse und Prävention (DAP) zu erfüllen habe. Offenbar hat aber der DAP die gesetzlichen Vorgaben bei der Datensammlung nicht eingehalten. Deshalb stellen sich in Bezug auf die vom Regierungsrat erwähnten Informationspflichten bzw. -aufträge folgende Fragen:

1. Wurden von der Berner Kantonspolizei Daten geliefert, die über den gesetzlichen Auftrag hinausgehen?

2. Wenn ja, nach welchen Kriterien wurden die Daten weiter geleitet?

3. Wie wird die parlamentarische Kontrolle resp. die Oberaufsicht über die von der Police Bern erhobenen Daten sichergestellt?

4. Wie gewährleistet der Regierungsrat, dass vom DAP angeforderte Daten den gesetzlichen Vorgaben entsprechen?

5. Welche Möglichkeit hat der Regierungsrat, Personen aus dem Kanton Bern vor willkürlicher Fichierung zu schützen?

6. Welche Möglichkeiten sieht der Regierungsrat, sich gegenüber den verantwortlichen eidgenössischen Dienststellen für die Rechte der unrechtmässig fichierten Bernerinnen und Berner einzusetzen?

7. Wer bezahlt die Datenerhebung für den Bund im Kanton Bern?

Margreth Schär

Lyss, 8.Juli 2010

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NZZ am Sonntag 11.7.10

Bundesrat wusste von Fichenproblem

 Der Bundesrat wusste seit 2008 vom Daten-Wildwuchs beim Staatsschutz. Kantone hatten auf das Problem hingewiesen.

 Benjamin Tommer, Katharina Bracher

 Der Bundesrat wurde bereits im Jahr 2008 von Kantonen darüber informiert, dass der Inlandnachrichtendienst planlos Personendaten erfasste. Dies zeigen Dokumente, die der "NZZ am Sonntag" vorliegen. Namentlich die baselstädtische Regierung hatte 2007 festgestellt, dass ihre eigenen Beamten auf Geheiss des Bundes Fichen anlegten, welche sie selbst nicht einsehen durfte. So sei keine Aufsicht möglich, lautete die Kritik der Basler, die sie 2008 bei Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf deponierten. Der Bundesrat schlug eine weitere Warnung in den Wind: In der Antwort auf eine Interpellation der Basler SP-Ständerätin Anita Fetz hielt er im November 2008 fest, es gebe keine Anhaltspunkte, dass der Geheimdienst gesetzeswidrig handle.

 Eine parlamentarische Kommission hat der überraschten Öffentlichkeit vor knapp zwei Wochen dargelegt, wie der Inlandnachrichtendienst bis in die Gegenwart praktisch ziellos Personen erfasste. Zudem haben die Staatsschützer entgegen der gesetzlichen Vorgabe gespeicherte Daten nicht periodisch überprüft. Der zuständige Bundesrat Ueli Maurer gab sich über den neuen Fichenskandal "erschrocken" und überrascht. Jetzt zeigt sich, dass er bereits davon wissen musste.

 Derweil ist bekanntgeworden, dass selbst elektronische Daten, die der Staatsschutz gelöscht hat, dem Bundesarchiv überlassen werden. Dort bleiben sie für die nächsten 50 Jahre unangetastet. Was aufbewahrt wird, bestimmt das Bundesarchiv selbst.

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Kantone warnten vor Fichenproblem
 
Dokumente belegen, dass der Bundesrat bereits seit 2008 Bescheid wusste

 Er sei "erschrocken" über die Art, wie in der Schweiz wieder Staatsschutz-Daten gesammelt würden, sagte Bundesrat Maurer letzte Woche. Dabei hatten die Kantone seit Jahren gewarnt.

 Benjamin Tommer

 Die Schweizer Öffentlichkeit war überrascht und erstaunt, als vor knapp zwei Wochen eine Parlamentariergruppe um Claude Janiak eine Fichenaffäre 2010 bekanntmachte. Schliesslich hat das Thema Staatsschutz in der Schweiz eine Geschichte: Schon 1989 hatte ein Fichenskandal das Land politisch erschüttert - offenbar ohne läuternde Wirkung: Laut der Delegation der Geschäftsprüfungskommission werden in der Schweiz nach wie vor planlos Daten in grossen Mengen gesammelt und archiviert. Auch der zuständige Bundesrat Ueli Maurer gab sich vor den Medien "erschrocken" und überrascht und gelobte vergangene Woche rasche Besserung.

 Zumindest im Fall des Bundesrates ist die Überraschung aber gespielt: Der "NZZ am Sonntag" liegen verschiedene Dokumente vor, die belegen, dass dem Bundesrat die neuen Probleme um den Staatsschutz spätestens 2008 bekannt waren. Eine Regierungsdelegation des Kantons Basel-Stadt war im Dezember 2008 beim EJPD von Eveline Widmer-Schlumpf vorstellig geworden. Thema: Wildwuchs beim Sammeln von Staatsschutz-Daten.

 Anlass zum Besuch gab 2007 ein in Basel kursierendes Gerücht, wonach sechs Mitglieder des Grossen Rates vom Staatsschutz beobachtet würden. Die Basler Regierung und die Geschäftsprüfungskommission des Parlamentes wollten mehr wissen, mussten aber rasch feststellen, dass sie die Fichen nicht ansehen durften. Denn obwohl kantonale Angestellte fichierten, handelt es sich bei deren Aufzeichnungen um geheime Bundesakten. Spätestens in diesem Moment sei bei den Basler Behörden der Verdacht aufgekommen, beim Sammeln von Staatsschutz-Daten gebe es einen neuen Wildwuchs, sagt Roger Schneeberger, der Generalsekretär der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). Basel - allein am kurzen Hebel - schaltete die KKJPD ein.

 Bis Ende 2008 verhandelten Vertreter der Kantone mit Eveline Widmer-Schlumpf über eine griffigere kantonale Aufsicht beim Sammeln von Daten. Ab 2009, die Verantwortung für den Staatsschutz war unterdessen vom EJPD auf das VBS übergegangen, war Bundesrat Ueli Maurer ihr Ansprechpartner. Ziel der Kantone war es, das staatsschützerische Treiben ihrer eigenen Mitarbeiter selber beaufsichtigen zu können. Basel-Stadt setzte sich kurzzeitig über Vorgaben des Bundes hinweg, wie aus Protokollen der KKJPD hervorgeht: Auf eigene Faust gestattete der Kanton kantonalen Behörden ein gewisses Einsichtsrecht, geriet damit aber umgehend mit Bundesrecht in Konflikt. Im Herbst 2009 setzten das VBS und die KKJPD in einem Schlichtungsversuch eine gemeinsame Arbeitsgruppe ein, die einen Vorschlag machen sollte, wie die Verordnung über den Nachrichtendienst des Bundes geändert werden kann. Das Papier liegt seit März 2010 vor. Kernstück ist eine Liste, die der Bund den Kantonen abgeben muss und die zeigt, welche Beobachtungsaufträge der Bundesnachrichtendienst den kantonalen Stellen erteilt hat. Gestützt auf die Liste, können die Kantone kontrollieren, wie die kantonalen Datensammler ihre Arbeit erledigen. Sie können anhand der Liste aber auch Einsicht in die Fichen verlangen und dieses Begehren bis vor Bundesgericht tragen.

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Einmal fichiert, immer fichiert

 Wer einmal eine Schweizer Staatsschutzakte hat, bleibt ein Leben lang archiviert - und sogar darüber hinaus.
 
Katharina Bracher

 Gelöschte Einträge aus der Staatsschutz-Datenbank (Isis) werden im Regelfall dem Bundesarchiv zur Archivierung überlassen. "Der Nachrichtendienst muss uns gelöschte Daten und solche, die er nicht mehr braucht, anbieten", sagt Guido Koller vom Bundesarchiv. Dort bleiben sie unangetastet für die nächsten fünfzig Jahre. Während dieser Schutzfrist können Betroffene Einblick beantragen. Zugang haben allenfalls auch Historiker, wenn sie ihr Forschungsvorhaben begründen können. Den Entscheid über Anträge fällt das für den Staatsschutz zuständige Departement. Für die Staatsschutzakten bis zum Jahr 2004 ist das Justiz- und Polizeidepartement (EJPD) zuständig. "Wer Einsicht in archivierte Staatsschutzakten erhält, entscheidet das Generalsekretariat des EJPD", so Koller. Die von der parlamentarischen Aufsicht kritisierten Isis-Daten sind jedoch nur bis zum Jahr 2004 archiviert. Auf die Einträge, welche seit 2004 vom Staatsschutz gelöscht wurden, wartet das Bundesarchiv seit einigen Jahren. "Der Nachrichtendienst hat zehn Jahre Zeit, um uns gelöschte oder nicht mehr gebrauchte Daten zu übermitteln", sagt Koller. Diese Frist sei jedoch noch im Papier-Zeitalter bestimmt worden. "In Zeiten des elektronischen Datenverkehrs kann man eigentlich eine kürzere Frist erwarten." Was archivierungswürdig ist, bestimmt das Bundesarchiv selbst. Entscheidend ist dabei der Informationswert der Akten. Bei Daten des Staatsschutzes ist dieser selbstredend hoch. Auch das von der parlamentarischen Aufsicht scharf kritisierte Register mit Drittpersonen wird laut Bundesarchiv aller Voraussicht nach archiviert.

 Nach der fünfzigjährigen Schutzfrist werden die Akten veröffentlicht. Die Öffnung des Archivs für die 900 000 Fichen, welche 1989 für einen Skandal sorgten, erfolgt im Jahr 2040.

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Meinungen

 Showdown

 Francesco Benini

 Es sind wieder 200 000 Fichen angelegt worden in der Schweiz. Viele Leute sind darüber entsetzt. Ich auch. Bei einer Einwohnerzahl von fast acht Millionen Menschen scheinen mir 200 000 Fichen eher wenig. Beim sogenannten Fichenskandal vor zwanzig Jahren waren es 900 000 Karteikarten. Eine bedenkliche Trägheit hat den Nachrichtendienst erfasst. Der Output der Spitzel-Division ist eingebrochen.

 Der Nachrichtendienst hatte vor zwanzig Jahren für Aufsehen gesorgt, als er von einer SP-Nationalrätin notierte: "Trinkt abends gerne ein Bier." Die Öffentlichkeit war empört. Zu Recht. Der Ficheneintrag zeugte von ausgeprägter Stümperei. Was soll das heissen, "ein Bier"? Reden wir von ei- nem Feldschlösschen oder einem Heineken? Ein helles Bier oder ein dunkles Weizen? Machte der Nachrichtendienst Angaben über die Stammwürze? Nein. Beschrieb er Antrunk, Mittelteil und Abgang? Nein. Vermerkte er den Alkoholgehalt? Nicht einmal das. Mit solchen Schnüfflern ist Hopfen und Malz verloren. Die Sicherheit des Landes steht auf dem Spiel.

 Der Nachrichtendienst braucht personelle Verstärkung. Man muss verhindern, dass die Schweiz von subversiven Elementen unterwandert wird. Fachkräfte gibt es genug. In jedem Mietblock überwacht mindestens ein inoffizieller Hauspolizist die Mitbewohner. Die Schweiz ist das einzige Land auf der Welt, in dem ein Strafverfahren zu gewärtigen hat, wer den Müllsack am falschen Tag auf die Strasse stellt. Wer jemanden ermordet, handelt unschön. Moralisch fragwürdig. Aber wer das Altpapier nicht mit Schnüren gebunden, sondern in Tragsäcken vors Haus legt - der begeht eine Todsünde. Hier sollte der Nachrichtendienst ansetzen. Brächte er die wachsamen Geister in den Quartieren dazu, Abfallentsorgungs- Delinquenten umgehend zu melden, könnte die Fichensammlung bald wieder ein respektables Niveau erreichen.

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Zentralschweiz am Sonntag 11.7.10

Experte Albert Stahel

 Geheimdienst privatisieren

 ff. Fehlerhafte Führung und Mangel an Effizienz: Auf diese Schwächen des Schweizer Geheimdiensts deutet die jüngste Fichendiskussion in der Schweiz hin, findet Strategieexperte Albert Stahel. Er macht eine brisante Empfehlung in der Diskussion über die Zukunft der Geheimdienstkontrolle: Die Schweiz soll ihren Nachrichtendienst privatisieren. Das Beispiel der USA zeige, dass private Nachrichtendienste effizienter und risikoärmer arbeiteten als staatliche, schreibt Stahel in einem exklusiven Gastbeitrag in der "Zentralschweiz am Sonntag": Die Firma Stratfor etwa biete ausgezeichnete Analysen an, während die staatliche CIA ihre Erfolgsquote nicht zu heben vermocht hätte.

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Meinung

 Privatisiert die Nachrichtendienste!

Albert Stahel* über die Arbeit der Geheimdienste in der Schweiz

 Die Aufgabe eines Nachrichtendienstes besteht im Wesentlichen im Sammeln und Auswerten von Informationen, die als Grundlage für die aussen- und innenpolitische Lagebeurteilung und damit Entscheidungsfindung einer Regierung zu dienen haben. Diese Informationen stammen mehrheitlich aus allgemein zugänglichen, aber auch aus geheimen Quellen. Eine weiterführende Unterscheidung der Quellen ist jene des früheren CIA-Mitarbeiters Robert M. Clark: Er hat die Kategorien Open Source Intelligence (Medien, Expertenwissen usw.), Human Intelligence (Informanten, Spione), Communications Intelligence (Abhören von elektronischen Kommunikationsverbindungen), Imagery Intelligence (Spionagesatelliten) und Specialized Technical Collection identifiziert.

 Liegen die Informationenbeziehungsweise Nachrichten vor, dann müssen sie bezüglich Zuverlässigkeit ausgewertet und analysiert und für die Entscheidungsträger mundgerecht verarbeitet werden. Viele Nachrichtendienste, so auch der Strategische Nachrichtendienst der Schweiz, sehen die politischen Entscheidungsträger als die eigentlichen Auftraggeber der Nachrichtenbeschaffung. Aufgrund deren Informationsbedürfnisse soll ein Nachrichtendienst Informationen beschaffen. Diese Annahme muss aber als falsch bezeichnet werden.

 Würden Nachrichtendienstejeweils nur auf die Bedürfnisse ihrer politischen Auftraggeber warten, dann würden sie mit Sicherheit bei jeder eintretenden aussen- oder innenpolitischen Krise mit ihren Beurteilungen zu spät kommen. Aus diesem Grunde haben Nachrichtendienste präventiv zu agieren und Krisen zu antizipieren. Dies bedeutet, dass ein Nachrichtendienst Informationen über kriminelle Organisationen und Terroristen laufend und damit rechtzeitig zu beschaffen hat.

 Allerdings besteht die Gefahr, dass überflüssige oder unsinnige Informationen durch einen Nachrichtendienst wie den Schweizer Inlandgeheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention) auf Halde gesammelt werden - wie das mit der Fichenuntersuchung der Geschäftsprüfungsdelegation zum Vorschein gekommen ist. Dies ist ein Hinweis auf die fehlende Effizienz und fehlerhafte Führung einer solchen Organisation. Hier würde sich eine Nutzen-Kosten-Analyse der Führung, Organisation und Tätigkeit des DAP aufdrängen.

 Aber selbst wenn genügend oder gar zu viel Informationen beschafft werden, kann ein Nachrichtendienst versagen, wie die CIA bei den Anschlägen vom 9. September 2001 in New York bewiesen hat. Diese Katastrophe hat nicht nur den Beweis erbracht, dass die Organisation der CIA und die Zusammenarbeit mit anderen Nachrichtendiensten wie FBI und NSA (National Security Agency) nicht funktionierte, sondern dass die CIA und ihre Führung nicht in der Lage waren, aus früheren Fehlern zu lernen, die Aktionen der el Kaida zu antizipieren und sich auf diesen neuen Gegner auszurichten. Diese dreistufige Versagenskette ist viel gravierender als die Beschaffung von Nachrichten und Fichen auf Halde durch den DAP.

 Für das Vermeiden von fehlerhaften Analysen und Beurteilungen, die zu Katastrophen wie jene vom 9. September 2001 führten, aber auch für das Einsparen der enormen Ausgaben durch den Staat - die Aufrechterhaltung von Nachrichtendiensten ist sehr teuer - und für die Effizienzsteigerung drängt sich eine Lösung auf: die Privatisierung unserer Nachrichtendienste. Die Erfahrungen der USA nach dem 11. September 2001 weisen darauf hin, dass staatliche Nachrichtendienste wie die CIA nicht reformiert werden können. Die CIA ist immer noch eine schwerfällige Organisation, und ihre Erfolgsquote ist nicht besser geworden.

 Dagegen hebt sich der private Nachrichtendienst Stratfor unter der Führung von George Friedman wohltuend von der CIA ab. Die im Abonnement zugänglichen Lagebeurteilungen von Stratfor sind ausgezeichnet und weisen eine geringe Fehlerquote auf. Abgesehen davon, dass sowieso 95 Prozent der Informationen eines Nachrichtendienstes aus offenen Quellen stammen und damit jedermann zugänglich sind, könnte der Bund durch die Privatisierung seiner Nachrichtendienste Kosten einsparen, politische Peinlichkeiten vermeiden und würde über einen effizienteren Dienst verfügen.

 Hinweis: * Albert Stahel (67) ist Leiter des Instituts für Strategische Studien in Wädenswil.

 nachrichten@neue-lz.ch

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Sonntag 11.7.10

Fichen-Affäre: Sind sie registriert?

 Jetzt schalten sich die sechs Mitgliederder interparlamentarischen Gruppe der Eingebürgerten in die Fichen-Affäre ein. Sie wollen wissen, was es mit der Überprüfung von Einbürgerungsgesuchen durch den Geheimdienst auf sich hat ("Sonntag" vom 11. Juli). "Dass Daten nach Belieben gesammelt werden, geht nicht an", sagt der grüne Nationalrat Geri Müller: "Man weiss nicht, was drinsteht." In einem Brief der Gruppe an Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf und an VBS-Vorsteher Ueli Maurer wird um ein Treffen gebeten, "um dieser Sache auf den Grund zu gehen". Eine Antwort steht noch aus. Der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) behauptet, in der ISIS-Datenbank würde nur nachgeschaut, ob die Einbürgerungswilligen registriert seien. "Ist die betreffende Person nicht verzeichnet, geschieht grundsätzlich nichts", sagt NDB-Sprecher Felix Endrich. Ein Widerspruch zum Berichtder Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel), wo auf Seite 17 festgehalten wird: "Das Gesuch wird in jedem Fall in der Verwaltungsdatenbank ISIS02 registriert." Sandro Brotz

 bilder: keystone

- Ada Marra, SP,  hat italienische Wurzeln.

- Olivier Français, FDP, ist gebürtiger Franzose.

- Antonio Hodgers, Grüne, stammt aus Argentinien.

- Ricardo Lumengo, SP, ist in Angola geboren.

- Jacques Neirynck, CVP, hat belgische Wurzeln.

- Geri Müller, Grüne. Vater: Deutscher, Mutter: Französin und Schweizerin.

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Meinung

 Schizophrener Umgang mit der Privatsphäre

 Gastbeitrag

Von Santosh Brivio*

 Die Nachricht: Bundesrat Ueli Maurer teilt die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) an der Sammelwut des Staatsschutzes und hat Sofortmassnahmen eingeleitet.

 Der Kommentar: Die Frage, wie weit Staatsschutz gehen darf, ist gegenwärtig omnipräsent. Wieder einmal. Eines ist indes klar: Es geht um weit mehr als um die Diskussion um Fichen und staatliche Überwachung. Es geht um unser ambivalentes Verhältnis zum Schutz der Privatsphäre.

 Wollen wir einen Staat, der geheime Akten über uns anlegt? Natürlich nicht. Wissen ist Macht und gerade in der traditionell subsidiär aufgebauten Schweiz herrscht einer mächtigen Obrigkeit gegenüber tiefster Argwohn. Demokratie im eidgenössischen Verständnis ist die Staatsform des Misstrauens - und zwar des Misstrauens des Volks gegenüber dem Behördenapparat und nicht umgekehrt. Der Schutz der Privatsphäre ist eine der tragenden Säulen der nach liberalen Grundsätzen konzipierten Schweiz.

 Im gleichen Atemzug, wie wir uns über das Gebaren staatsschützender Organe erzürnen, haben wir jedoch keine Hemmung, intimste Details unseres Privatlebens Konzernen preiszugeben, die aus ihrem laschen Umgang mit den sensiblen Daten keinen Hehl machen und ausserhalb jeglicher politischer Kontrolle operieren. Fotos von der feucht-fröhlichen Betriebsfeier? Am nächsten Morgen auf Facebook. Was wir für den Sonntagsschmaus einkaufen? Die Grossverteiler ahnen es - Cumulus und Supercard sei Dank. Frisch verliebt? Sofort auf Twitter gepostet.

 Es ist paradox: Wir sträuben uns gegen das staatliche Sammeln privater Informationen und teilen diese doch mit kommerziellen Firmen und der Öffentlichkeit. Man fragt sich, ob der Staatsschutz die gewünschte Person nicht ebenso gut googeln könnte, um legal und ohne politisches Brimborium zum gleichen Resultat zu gelangen.

 Auch auf politischer Ebene wird mit dem Schutz der Privatsphäre selektiv umgegangen. Wehren sich vornehmlich Vertreter des linken Spektrums gegen willkürliches Fichieren, sind es die gleichen Kreise, die keine Mühe damit bekunden, für den automatischen Informationsaustausch einzustehen. Für sie stellt das Fichieren eine unverhältnismässige Beschneidung der Grundrechte dar, während das automatische Sammeln von kleinsten Details der persönlichen finanziellen Situation sowie deren Weitergabe absolut rechtens sein soll. Logische Stringenz sieht - wie oft in der Politik - anders aus.

 Gerne wird in diesem Zusammenhang mit der Gerechtigkeit argumentiert. Es sei nicht gerecht, wenn die Mehrheit die Steuern ordnungsgemäss bezahlt und eine Minderheit die Steuerpflicht umgehen könne, nur weil dem Staat die entsprechenden Informationen nicht vorlägen. Mit diesem Argument werden die Aufhebung der Unschuldsvermutung und strafrechtlich fragwürdiges Ermitteln ohne Anfangsverdacht gerechtfertigt.

 Akzeptiert man dieses Argumentationsschema, so ist konsequenterweise auch das Fichieren legitimiert. Denn ist es gerecht, wenn sich die Mehrheit an Recht und Ordnung hält und eine Minderheit ihre Bürger- und Gesellschaftspflichten umgehen kann, nur weil dem Staat die entsprechenden Informationen nicht vorliegen?

 Die Beispiele zeigen, dass der Vorstellung eines gläsernen Bürgers endlich eine Abfuhr zu erteilen ist. Glaube an das Volk bedeutet immer auch das Eingestehen von Schlupflöchern und das Wissen, dass einige diese Schlupflöcher ausnutzen werden. Es beweist der Mehrheit aber auch immer wieder das in sie gesetzte Vertrauen. Das Vertrauen in das Pflicht- und Ordnungsbewusstsein der Bürger; das Vertrauen, dass diese den Schutz der Privatsphäre nicht ausnutzen.

 Aber auch der Einzelne sollte ein Bewusstsein für die Privatheit entwickeln, sodass er den Schutz der Privatsphäre durch den Staat auch zu schätzen weiss. Erst wenn der Bürger spürt, dass dem Staat der Schutz der Persönlichkeit ein echtes Anliegen ist, wird ein möglichst umfassendes Einhalten der gesellschaftsvertraglichen Spielregeln gewährleistet. Etwas, das mit Kontrollfanatismus - seien es nun Fichen oder automatischer Informationsaustausch - nie erreicht werden kann.

 * Santosh Brivio studierte Politikwissenschaft und arbeitete lange Zeit als freischaffender Journalist. Heute ist er als wissenschaftlicher Mitarbeiter bei einer Privatbank tätig.

 Die externen Kolumnisten und Kommentatoren des "Sonntags" äussern in ihren Beiträgen ihre persönliche Meinung.

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PNOS
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Zofinger Tagblatt 12.7.10

Juso will Pnos verbieten

 Kanton Nach der Drohung sei das Fass voll

 Die neusten Drohungen der Partei National Orientierter Schweizer von vergangenem Mittwoch zeigen, dass die rechtsradikale Pnos bereit ist, ihr gefährliches Gedankengut auch mit Gewalt zu verbreiten. Dies teilte die Juso des Kanton Luzerns gestern mit und forderte den Kanton Luzern auf, die Pnos schweizweit zu verbieten. Die Pnos hat angedroht, dass die "Linksaktivisten im Kanton Luzern in den nächsten Monaten nichts zu lachen haben werden". Zudem will die Pnos Sprengfallen anbringen, was nach den Worten der Juso das Gewaltpotenzial aufzeige.

 Gewaltpotenzial aufgezeigt

 "Mit den aktuellen Drohungen zeigt die Pnos ihre wahre Gestalt und es wird einmal mehr klar, dass sie an öffentlichen Anlässen jeweils ihr Sonntagsgesicht präsentiert", schreibt die Juso weiter.

 Mit dem verschmierten Denkmal auf dem Schlachtfeld in Sempach und den Vorkommnissen vom 3. Juli habe die Juso Kanton Luzern nichts zu tun. Vielmehr verurteile sie alle Straftaten in diesem Zusammenhang. Michael Vonäsch hingegen, der Präsident der Pnos Willisau, sei schon verurteilt worden. Die Polizei hat nun wiederum eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet, Verdacht auf Drohung und Erschreckung der Bevölkerung.

 Er und die Pnos würden den Rechtsstaat nicht akzeptieren, teilt die Juso weiter mit. "Eine solche Partei ist einer Demokratie unwürdig und muss verboten werden." Der Kanton Luzern sei speziell gefordert, da die Pnos sich stark auf Sempach konzentriere und die aktuellen Drohungen aus der Luzerner Pnos stammen würden. (pd/ln)

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NLZ 12.7.10

Juso fordert Verbot der Pnos

 red. "Die Partei National Orientierter Schweizer ist einer Demokratie unwürdig und muss verboten werden." Das fordert Priska Lorenz, Präsidentin der Juso Kanton Luzern und SP-Kantonsrätin. Lorenz bezieht sich auf die jüngsten Drohungen der Pnos, Sektion Willisau, sie würden die Linksaktivisten, die das Denkmal bei der Schlacht verschmiert hatten, mit Sippenhaft bestrafen und Sprengfallen anbringen (wir berichteten). Die Juso fordert nun den Kanton auf, alle nötigen Schritte einzuleiten, um ein schweizweites Verbot zu erwirken.

 "Gefährliches Gedankengut"

 "Die Pnos ist eine rechtsradikale Partei, welche ein gefährliches Gedankengut vertritt", so Lorenz. Mit den aktuellen Drohungen zeige sie das Gewaltpotenzial. Die Luzerner Polizei prüft derzeit, ob ein Strafverfahren eingeleitet wird. Pnos-Sektionspräsident Michael Vonäsch sagte gegenüber unserer Zeitung, es sei ihm egal, wenn es zu einem Strafverfahren komme.

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20 Minuten 12.7.10

Juso Luzern wollen Pnos verbieten

 LUZERN. Nach den Drohungen der rechtsextremen Partei Pnos ist den Jungsozialisten im Kanton Luzern der Kragen geplatzt. "Das Fass ist übervoll", so Juso-Präsidentin Priska Lorenz. Sie fordert den Kanton Luzern auf, die nötigen Schritte einzuleiten, um die Pnos schweizweit zu verbieten. "Diese Partei zeigt immer wieder, dass sie bereit ist, ihr gefährliches Gedankengut auch mit Gewalt zu verbreiten", so Lorenz weiter. Die Pnos akzeptiere den Rechtsstaat nicht und müsse verboten werden. Weil sich die Partei stark auf Sempach konzentriere, sei speziell der Kanton Luzern gefordert.

 Letzten Donnerstag liess die Pnos-Sektion Willisau verlauten, dass Linksaktivisten in den nächsten Monaten im Kanton Luzern nichts zu lachen hätten. Grund für die Drohung war das Verschmieren des Winkelried-Denk- mals in Sempach durch Unbekannte.  MGI

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ANTI-ATOM
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BZ 12.7.10

AKW Mühleberg

 Schulung für Super-GAU

 Der Kanton Bern zeigt den Sicherheitsverantwortlichen grosser Firmen, was bei einem Störfall im AKW Mühleberg zu tun wäre.

 "Trotz hoher Sicherheitskultur in den Kernkraftwerken bleibt immer ein kleines Restrisiko." Das schreibt das bernische Amt für Bevölkerungsschutz, Sport und Militär in einem Brief an die grossen Unternehmen im Kanton Bern. Mit diesem lädt der Kanton die Sicherheitsverantwortlichen der Firmen mit mehr als 400 bis 500 Angestellten innerhalb der Zonen 1 und 2 des AKW Mühleberg zu Informationsanlässen ein. Diese Zonen umfassen einen Kreis von bis zu 20 Kilometern rund ums AKW.

 "Periodisch" informieren

 An den Informationsanlässen, die im Oktober in Köniz und Ostermundigen stattfinden, lernen die Teilnehmer, was nach einem Zwischenfall im AKW zu tun wäre. Gemäss der Alarmierungsverordnung des Bundes müssen die Kantone die Bevölkerung und die Notfallorganisationen innerhalb der Zonen 1 und 2 "periodisch" über die Massnahmen bei einem Störfall und das Verhalten bei Gefahr informieren. Der Bund hat dafür eine Dokumentation mit Checklisten herausgegeben. Diese beschreiben das Verhalten von zivilen Führungsorganen, Schulen, Spitälern, Heimen und Betrieben bei einem Zwischenfall.

 "Schlüsselpersonen"

 Im vergangenen Jahr hat der Kanton damit begonnen, die politischen Entscheidungsträger auszubilden. Jetzt sind die Firmen an der Reihe. Diese Schulung leiste "einen wichtigen Beitrag zur laufenden Verbesserung der Einsatzbereitschaft der Notfallorgane", heisst es im Brief. Die Sicherheitsverantwortlichen grosser Betriebe seien "Schlüsselpersonen und Multiplikatoren bei der Umsetzung von Massnahmen". Denn bei einer Einwohnerzahl von rund 450 000 Personen in den Zonen 1 und 2 seien die Möglichkeiten für individuelle Unterstützungen sehr eingeschränkt, und in der Regel bleibe dazu auch keine Zeit.
 drh

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Sonntagszeitung 11.7.10

Atommüll-Lager: Kantone verlangen Bohrungen Untersuchungen an vier weiteren Standorten würden 100 Millionen Franken kosten - die Nagra will nicht einlenken

 Zürich Neue Runde im Streit um die Standortsuche für ein Atommüll-Lager. Die Kantone verlangen von der Nagra weitere Bohrungen. Dies hat der Regierungsausschuss der Standortkantone an seiner Sitzung am 29. Juni beschlossen. Das hätte Kosten in der Höhe von 100 Millionen Franken und eine Verzögerung der Lagersuche von bis zu sieben Jahren zur Folge.

 Bloss der Wellenberg und Benken im Zürcher Weinland seien ausreichend untersucht - nun müssten Bohrungen an den vier restlichen Standorten folgen, verlangen die Kantone.

 Dies betrifft:

 → Jura-Südfuss (SO/AG)

 → Bözberg (AG)

 → Nördliche Lägern (ZH/AG)

 → Südranden (SH)

 Die Kantonalen Geologen und die Regierungsräte sind sich einig, dass es jetzt weitere erdwissenschaftliche Abklärungen braucht, um die sechs vorgeschlagenen Standorte vergleichen zu können. Nur so seien die provisorischen Sicherheitsanalysen der Standorte möglich, wie sie der Sachplan für die nächste Etappe vorsehe. "Das ist die offizielle Doktrin des Regierungsausschusses", sagt Walter Straumann (CVP), Regierungsrat des Kantons Solothurn.

 Auch Thomas Flüeler, Sekretär des Ausschusses aller Standortkantone bestätigt: Weil die Datenlage nicht an allen Standorten ausreichend sei, seien "weitere erdwissenschaftliche Abklärungen nötig". Flüeler arbeitet für das Zürcher Umweltamt.

 Bohrungen zwingend nötig - "alles andere ist unseriös"

 Geologen der Kommission für nukleare Sicherheit, die den Bundesrat berät sowie Wissenschaftler der Nagra teilen diese Auffassung. Es brauche die Untersuchungen nicht erst in der Etappe 3, wenn einzelne Standorte bereits ausgeschieden seien - wie dies die Nagra plant. Ein Geologe, der nicht mit Namen genannt werden möchte, sagt: "Erfahrungen im Tunnelbau zeigen: Der Untergrund kann nur mit Bohrungen abgetastet werden, alles andere ist unseriös."

 Die Situation ist politisch heikel, das Image der Nagra in der Bevölkerung hängt von ihren nächsten Schritten ab. Dennoch will Nagra-Chef Thomas Ernst nicht einlenken: "Es braucht jetzt keinen Gleichstand der Datenlage in allen Gebieten." Die vorhandenen Daten seien aussagekräftig genug, um die Standorte für eine provisorische Sicherheitsanalysen vergleichen zu können. Im September wird die Nagra einen Bericht vorlegen. "Dann können wir diskutieren", sagt Ernst.

 Laut Expertenschätzung dürfte jede Bohrung 20 bis 25 Millionen Franken kosten - die lokalen Bewilligungverfahren könnten die Lagersuche um bis zu sieben Jahre verzögern.

 Die Regierungsräte werden über ihren Beschluss am 15. August informieren.  

Catherine Boss

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Sonntag 11.7.10

Alleingang in der Kritik

 Tiefenlager: Nationalrat Miesch rüffelt Kanton Schaffhausen

 Christian Miesch ärgert sich über den Kanton Schaffhausen. Mit einer eigenen Studie zu Auswirkungen von Lagern für radioaktive Abfälle sei dieser vorgeprescht, kritisiert der Baselbieter SVP-Nationalrat. In dem Ende April veröffentlichten Papier werden mögliche wirtschaftliche Schäden wegen radioaktiver Abfälle beziffert. Der Alleingang missachte und torpediere die laufende Standortsuche. Miesch möchte nun in seiner Interpellation vom Bundesrat wissen, wie er die Schaffhauser Regierung wieder "auf den gemeinsamen Weg" führen will.

 Noch immer ist der Bund daran, zu prüfen, wo unsere radioaktiven Abfälle dereinst gelagert werden sollen. Ausgeschieden wurden sechs mögliche Standorte, darunter der benachbarte Jurasüdfuss sowie der Bözberg. Für Aufregung in der Region gesorgt hatte im vergangenen Jahr die Meldung, dass der Zugang zu einem atomaren Endlager am Jurasüdfuss im Baselbiet zu liegen kommen könnte. Das Szenario ist seit Ende 2009 aber wieder vom Tisch. (db)