MEDIENSPIEGEL 15.7.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (SLP)
- Burgdorf: Behörden schliessen "Royal Aces Bar"
- Sempach: Mittelalterfest vs Rechtsextreme
- JSVP verklagt Hans Stutz
- Knasttod VD: Skander Vogt vs Justiz VD
- Ausschaffungen: Superpuma-Sonderflug; BfM in Nigeria; Aufschub für TschetschenInnen; Protokoll Ausschaffungstod
- Randstand LU: Mister Schweiz disst Gassenküche
- Nachtleben SG: Bändigungsversuche
- Nachtleben CH: 24h-Stunden-Betrieb konfliktreich
- bblackboxx Basel
- Stadtentwicklung: Treffen in der Roten Fabrik
- Big Brother: Einsichtsgesuche; Traditionen; Datenbanken
- Big Brother Sport: Videokameras statt Cops in LU
- Linksaussen 1957-1985
- Kokain: Wasserproben-Einsichten
- Zwischengeschlecht: Ethikrat; Sport
- Anti-Atom: Bvger will Mühlebergakten; Hitzewellen; GLP vs Aves

----------------------
REITSCHULE
----------------------

Fr 16.07.10
20.00 Uhr - Vorplatz - Albino und Madcap (D) ab 22.00 - Polit-Rap

Do 22.07.10
22.00 Uhr - SLP - CIVET (USA) Rock'n'Roll, Support: Snakebone (CH) - Punkrock

Mi 28.07.10
22.00 Uhr - Vorplatz - SLP-Offene Bühne

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

---

Bund 15.7.10

Civet

 Vorsicht, bissiger Punk

 Sie haben den Viervierteltakt im Blut, die Wut im Bauch und etwas Schalk im Nacken: Civet, die vier tätowierten Drive-in-Kellnerinnen aus Los Angeles, haben sich schon vor einigen Jahren zum Quartett formiert, um ihren musikalischen Helden Motörhead oder Rancid nachzueifern. Benannt haben sie sich nach einem katzenähnlichen Nager, der Angreifer mit einem übel riechenden Duft vertreibt. Also Vorsicht. (reg)

 Sous Le Pont Reitschule Do, 22. Juli, 22 Uhr.

-------------
ANTIFA
-------------

Bund 15.7.10

Behörden schliessen umstrittene Bar

 Burgdorf - Erst am 11. Mai hatte die Royal Aces Tattoo Bar an der Rütschelengasse in Burgdorf die Bewilligung erhalten. Gestern haben die Behörden dem Lokal die Bewilligung bereits wieder entzogen und die Bar geschlossen. Die Bar war als Treffpunkt der rechtsextremen Szene bekannt. Die Antifa hatte am 22. Juni einen Anschlag auf die Bar ausgeübt: Dabei wurden Fenster eingeschlagen und wurde ein Farbkübel ins Lokal geworfen. Regierungsstatthalter, Polizei und Stadtbehörden stufen die Situation als riskant ein und rechnen mit weiteren Anschlägen. "Der Barbetrieb ist unter diesen Voraussetzungen eine erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit", heisst es in einer Mitteilung. "Das Gefahrenpotenzial ist zu gross", sagte Regierungsstatthalter Markus Grossenbacher. Im Internet seien von Rechts- und Linksradikalen gegenseitig Drohungen ausgestossen worden. "Wir sind erleichtert, wenn rechtzeitig reagiert wird. Wir stehen hinter dem Entscheid des Regierungsstatthalters", sagte Burgdorfs Stadtpräsidentin Elisabeth Zäch (SP). Nach dessen Einschätzung könne sich die Situation hochschaukeln und "sehr explosiv" werden. (wal)

---

neo1.ch 14.7.10
http://www.neo1.ch/home/article/2/royal-aces-b.html?no_cache=1&cHash=888dcc74aa

Royal Aces Bar in Burgdorf behördlich geschlossen

Die Bar gilt als Treff von Rechtsextremen und wurde von Linksextremen angegriffen. Aus Furcht vor weiteren Auseinandersetzungen wurde die Bar nun geschlossen.

Die Royal Aces Tattoo Bar an der Rütschelengasse in Burgdorf war seit dem 11. Mai geöffnet, kurz darauf erhob die Antifa Vorwürfe, wonach sie ein Treffpunkt Rechtsextremer sei. Ende Juni wurde auf die Bar ein Anschlag verübt (siehe Bild).

http://www.neo1.ch/uploads/pics/royal_aces.jpg
Bild: bernerzeitung.ch

Regierungsstatthalter Markus Grossenbacher hat nun auf Antrag der Stadt Burgdorf und zusammen mit der Polizei eine Lagebeurteilung vorgenommen. Die Lage sei riskant und mit weiteren Anschlägen sei zu rechnen, heisst der Schluss. Per Mittwoch 14. Juli wurde der Bar nun die Betriebsbewilligung entzogen. Der Betreiberin steht der Rechtsweg offen.

---

http://www.facebook.com/profile.php?id=100000860992687&v=wall
http://www.royalaces.ch

---

Indymedia 8.7.10

Medienmitteilung: Antifaschistische Flugblatt-Verteilaktion

AutorIn : **
    
Sehr geehrte Medienschaffende

Aktivistinnen und Aktivisten haben heute Abend in Burgdorf Tausende von Flugblättern (siehe Anhang) gegen das Nazi-Lokal "Royal Aces Tattoo-Bar" verteilt. Darin fordern wir die Bewohnerinnen und Bewohner von Burgdorf auf, sich gegen den rechtsextremen Treffpunkt an der Rütschelengasse 27 zu wehren.

Es ist stossend, dass Neonazis in der Emmestadt eine öffentliche Bar betreiben können. Wir lassen nicht locker, bis der Treff Geschichte ist!

Kein m2 den Nazis - die "Royal Aces Tattoo-Bar" dichtmachen!

Mit freundlichen Grüssen

Antifa Bern, Antifa Oberland, Augenauf Bern, Bündnis Alle gegen Rechts, DAB, RJG, Repro     

Flugblatt: http://ch.indymedia.org/media/2010/07//76767.pdf

---

linksunten.indymedia.org 30.6.10

"Royal Aces Tattoo-Bar" neu mit Hakenkreuz-Tätowierer
http://linksunten.indymedia.org/de/node/22204

------------------
SEMPACH
------------------

NZZ 15.7.10

Die Eidgenossen haben ausgedient

 Mittelalterfest als Dialog-Anlass soll Rechtsextreme von Sempacher Feier abhalten

 Das Wort Schlacht fällt weg, ebenso der farbenprächtige Zug der Krieger zum Denkmal: Die Sempacher Gedenkfeier 2011 wird zum Dialog-Anlass. Ziel der Neuorientierung ist es, die Rechtsextremen abzuhalten.

 Martin Merki, Luzern

 Blau-weisse Hellebardiere in den Luzerner Farben, am Helmband ein Büschel Eichenblätter als Siegeszeichen, rote Lanzenträger und gelb-schwarze Bauernkrieger mit Rauschebärten: Ein Element der Sempacher Schlachtjahrzeit war seit Jahrzehnten der Zug von historisch eingepackten Kriegern vom "Städtli" Sempach zum Winkelried-Denkmal oben auf der Anhöhe an einem Samstag Ende Juni. Bis zu 250 Männer einer historischen Zunft und wenige Frauen - als Marketenderinnen verkleidet - machten jeweils bei dem Living-History-Projekt mit, bei dem nur noch wenig an einen Gedenkanlass für die Schlacht von 1386 zwischen Eidgenossen und Habsburgern gemahnte. Doch mit dem Zug der Krieger in Strumpfhosen und den kratzigen Filzgewändern ist es 2011 vorbei.

 Paradigmenwechsel

 Stattdessen wird der folkloristische Umzug zu einem Mittelalterfest mit Mittelaltermarkt in Sempach ausgebaut, vielleicht sogar mit einer Bühne auf dem Sempachersee. Die martialischen Krieger dürfen zwar bleiben, aber ihre Hellebarden verschwinden zwischen Händlern, Gauklern und Handwerkern. Zudem sollen zum Anlass neue Elemente hinzukommen mit dem Ziel, den Kanton Luzern, seine Regionen und seine Bevölkerung in einem Dialog zusammenzuführen. Das Ziel sei ein Paradigmenwechsel: Neu stehen gemäss Regierungsrat das Gedenken an die Ursprünge des Territorialstaates Luzern und das Nachdenken über Gegenwart und Zukunft im Zentrum. Statt Mythen sollen neue historische Erkenntnisse fruchtbar gemacht werden. Wie genau dies geschehen soll, ist offen. Es gibt ein Grobkonzept, das die Luzerner Regierung verabschiedet hat und das bis Ende Jahr weiter entwickelt und in die Details verfeinert werden soll. Die Jugend soll eine wichtige Rolle spielen, auch die Stadt Sempach und die bisherigen Akteure, heisst es. Der ökumenische Gottesdienst mit anschliessendem Umtrunk und der sportliche Anlass (Sempacher Lauf) bleiben erhalten.

 "Gedenkfeier light"

 Grund für die Neuorientierung ist, dass in den letzten Jahren Rechtsextreme mitmarschierten und nach der offiziellen Feier einen eigenen Kranz niederlegten. Für staatspolitische Reden oder die Darbietungen von Schulkindern schienen sie sich ebenso wenig zu interessieren wie die Linksextremen, denen ein Dorn im Auge ist, dass die Polizei die "Rechten" nicht stärker in die Schranken weist. Vor einem Jahr konnte nur ein massives Polizeiaufgebot für Ruhe zwischen Rechts- und Linksextremisten sorgen. Die Luzerner Regierung beschloss für 2010 eine "Gedenkfeier light" in der Stadtkirche ohne Umzug und eine Denkpause.

---

NLZ 15.7.10

Sempach

 Grosses Fest soll Extreme abhalten

Von Harry Tresch

 Mit einem grossen Fest will der Kanton den Fokus der Schlachtfeier anders legen. Extreme Gruppierungen sollen so das Interesse an Demonstrationen verlieren.

 Die Gedenkfeier für die Schlacht bei Sempach wird zu einem Mittelalter-Spektakel: Das zumindest lässt das erste Grobkonzept für die Schlachtjahrzeit 2011, das vom Regierungsrat genehmigt und gestern den Medien vorgestellt wurde, vermuten. Traditionelle Elemente sollen weitergeführt werden, jedoch in anderer Form.

 • Der ökumenische Gottesdienst mit anschliessendem Umtrunk und auch der Sempacherlauf sollen ihren Platz behalten.

 • Neu wird jedoch der Festumzug in ein Mittelalterfest umgestaltet.

 • Das Morgenbrot und das Städtlifest sollen in die Feier integriert werden.

 • Geprüft werden zudem eine Seebühne und ein Mittelaltermarkt.

 • Ein weiterer Fokus liegt auf der Musik. In Sempach soll sich Luzern musikalisch präsentieren können.

 Diskussionsplattform Sempach

 Eine Projektgruppe unter der Leitung von Staatsschreiber Markus Hodel wird bis Ende Jahr ein Detailkonzept erarbeiten. "Das neue Fest soll auf die Restschweiz ausstrahlen und Luzern als traditionsreichen, auf die Zukunft ausgerichteten Kanton darstellen. Das Fest soll zum Nachdenken über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft des Kantons Luzern anregen", sagte Hodel gestern. Die Gedenkfeier könne so zu einer Diskussionsplattform werden, wo speziell auch die Jungen sich einbringen können. So ist etwa eine Kinder- und Jugendlandsgemeinde angedacht.

 Im kommenden Jahr ist die 625-Jahr-Feier. "Wir hoffen, dass wir möglichst viel von unseren Ideen umsetzen können", sagte Hodel. Wie viel das Fest kosten wird, ist unklar. Dies soll ebenfalls im Rahmen des Detailkonzepts geklärt werden. Die Kosten soll aber nicht nur der Kanton tragen. Die Neuorientierung der Schlachtjahrzeit wurde nötig, weil immer wieder Grossaufmärsche von Rechtsextremen die Feier störten. Im vergangenen Jahr gipfelte die politische Instrumentalisierung: Linksorientierte demonstrierten gegen Rechtsextreme. Ein Grossaufgebot der Polizei war nötig. Politiker jedweder Couleur waren sich einig: Dies ist einer Gedenkfeier unwürdig.

 Nun stellt sich die Frage: Was sieht das Konzept vor, solche Szenen künftig zu verhindern? Kann eine grössere Feier mit mehr Medienpräsenz nicht genau zum Gegenteil führen? Markus Hodel: "Mit der Übungsanlage eines grossen Festes mit verschiedenen Programmpunkten ist der Anlass politisch weniger aufgeladen. Wir glauben, das Risiko so stark zu minimieren." Auch Franz Schwegler, Sempacher Stadtpräsident und Mitglied der Projektgruppe, ist derselben Meinung: "Die Verzettelung und die verschiedenen Inhalte machen die Feier für extreme Exponenten weniger interessant." Ein Sicherheitskonzept gibt es derzeit noch nicht. Dafür sei es noch zu früh, sagte der Luzerner Polizeikommandant Beat Hensler. "Zuerst muss das Fest stehen, dann können wir Sicherheitsfragen klären."

 Auch redimensioniert möglich

 Die Grösse des Festes stösst nicht überall auf Wohlwollen. Stadtpräsident Schwegler hat zumindest gewisse Vorbehalte. "Es darf nicht ausufern", sagte er gestern. "Die Bevölkerung - insbesondere die vielen Vereine - muss die Lasten tragen." Im Oktober will der Sempacher Stadtrat die Bevölkerung informieren. Wehren sich die Sempacher gegen das jetzige Konzept, könne er sich auch eine redimensionierte Schlachtjahrfeier vorstellen.

 harry.tresch@neue-lz.ch

--

Kommentar

 Rütli-Effekt

Harry Tresch

 Der Kanton Luzern gestaltet die Schlachtjahrzeit in Sempach neu. Der Grund dafür ist einschlägig bekannt: Der Anlass wurde von radikalen Gruppierungen für ihre Zwecke instrumentalisiert. Die Kosten für den Sicherheitsaufwand stiegen ins Unverhältnismässige.

 Eine Reorganisation des "Sempachers" ist dringend nötig, und die Anstrengungen sind lobenswert. Extremen Bewegungen darf keine Plattform geboten werden. Das Fest soll darum grösser, vielfältiger und somit sicherer werden.

 Diese Strategie der Projektgruppe wirft Fragen auf: Schafft der Kanton mit einer grösseren Feier nicht auch eine grössere Plattform? Bringt ein Fest mit schweizweiter Ausstrahlung nicht noch mehr mediale Präsenz, die Radikale auszunützen wissen?

 Erinnerungen an die Rütli-Feier werden wach. Diese war ein überschaubares, friedliches Fest, bis Rechtsextreme und daraufhin die Medien auftauchten. Danach explodierten die Kosten, lief das Fest aus dem Ruder. Es bleibt zu hoffen, dass der Rütli-Effekt nicht auch in Sempach eintritt.

 harry.tresch@neue-lz.ch

--

Luzerner Zeitung Forum

 Sempach: Ein Zentrum Rechtsextremer

 "Pnos droht Linksextremen", Ausgabe vom 9. Juli

 Bereits seit dem Überfall auf das Festival für Völkerfreundschaft in Hochdorf Ende 1995 und dem Angriff auf die bewilligte "Kundgebung gegen Rechts" in Willisau 2004 ist das Gewaltpotenzial der Rechtsextremisten, auch der Pnos, im Kanton Luzern bekannt. Immer wieder kommen Menschen bei Angriffen Rechtsextremer zu Schaden. Gerade Sempach ist immer wieder ein Brennpunkt rechtsextremer Aktivitäten. Die rechtsextreme Gruppierung Morgenstern ist in Sempach zu Hause, und 2008 führte die Pnos ihren Parteitag in Sempach durch. Dabei durfte der Rechtsextremist und Antisemit Richard Melisch auftreten. So weit die Gründe, wieso sich SP und Juso gegen die Schlachtfeier Sempach in der bisherigen Form ausgesprochen haben. Denn diese Schlachtfeier wurde in den letzten Jahren zur grössten (Rekrutierungs-)Veranstaltung von Rechtsextremen in der Schweiz und Sempach zu einem Zentrum Schweizer Neonazis.

 Die nun ausgesprochenen Drohungen und Ankündigungen von Gewalt seitens der Pnos und Michael Vonäschs zeigen: Bei den rund 200 Personen, die jeweils an der unbewilligten Kranzniederlegung teilnehmen, handelt es sich um gewalttätige Extremisten. Wer die Positionen der Pnos liest, sieht, dass sie die Demokratie und den Rechtsstaat Schweiz ablehnen. Diese Leute schrecken offensichtlich nicht davor zurück, für ihre Ziele Gewalt anzuwenden. Erschreckend ist, dass sogar Parlamentarier und andere Vertreter bürgerlicher Parteien die Rechtsextremisten immer noch als Patrioten verharmlosen.

 Bei einem nächsten Angriff Rechtsextremer auf Personen, Anlässe oder Einrichtungen wird nach den jüngsten Drohungen niemand mehr sagen können, man hätte es nicht kommen sehen. Daher wird es Zeit, dass der Bekämpfung des Rechtsextremismus eine höhere Priorität eingeräumt wird. Gemeinden wie Malters hatten in der Vergangenheit Probleme mit Rechtsextremismus und konnten diese lösen. Broschüren zum Thema, auf die Arbeit von Gemeinden gegen Rechtsextremismus zugeschnitten, werden von der Fachstelle für Rassismusbekämpfung herausgegeben. Der Kanton muss selber tätig werden und Gemeinden wie Sempach aktiv unterstützen. Für gewalttätige Extremisten darf es in diesem Kanton keinen Platz mehr haben.

Daniel Gähwiler, Vizepräsident SP Kanton Luzern, Luzern

---

20 Minuten 15.7.10

Sempach: Volksfest soll Schlachtfeier ablösen

SEMPACH. Die Gedenkfeier von Sempach wird umgekrempelt: Auf den traditionellen Umzug wird gänzlich verzichtet. Die Reaktionen darauf fallen unterschiedlich aus.

 Das Grobkonzept für die Sempacher Schlachtfeier 2011 enthält eine bunte Sammlung verschiedenster Ideen. Vorgesehen sind eine Messe, Jazz-, Klassik- und Jodelkonzerte auf einer Seebühne, Foren für politische Diskussionen und ein Mittelaltermarkt. "Wir hoffen auf ein gut durchmischtes Publikum", sagt Harry Sivec, Sprecher der Projektgruppe, die die 625. Sempacher Schlachtfeier organisieren wird. Auf einen Umzug in historischen Gewändern wird verzichtet. "Es soll nicht mehr die Schlacht im Fokus stehen, sondern der Alltag in dieser Zeit", begründet Sivec den Entscheid.

 Eine Idee, die bei David Roth, Vorstandsmitglied der Juso Luzern, gut ankommt. "Wir sind froh, dass der Kanton eingesehen hat, dass es so nicht weitergehen kann. Es ist richtig, künftig auf die kriegerische Atmosphäre zu verzichten", sagt Roth. Anders sieht das Anian Liebrand, Präsident der JSVP Luzern. Es gelte unbedingt zu verhindern, dass die Feier einen "Chilbi-Charakter" bekomme. "Wir werden allenfalls eine zeitlich versetzte Feier als Ergänzung organisieren", so Liebrand. Bei der Pnos gibt man sich zurückhaltend. "Dass auf einen Umzug verzichtet wird, hatten wir erwartet. Der Kanton wurde wegen unserer Präsenz unter Druck gesetzt, obwohl es nie zu Gewalttätigkeiten kam", sagt Mediensprecher Dominic Lüthard.

Lena Berger

---

Blick am Abend 14.7.10

Ritter statt Neonazis

 SEMPACH

 Nun ist klar, wie die Feier künftig aussehen soll. Sogar eine Seebühne ist möglich.

 michael.graber@ringier.ch

 Musik, Mittelalterfest und Diskussionen: So soll die Sempacher Schlachtjahrzeit ab nächstem Jahr aussehen. Im Vordergrund soll der Kanton Luzern, seine Geschichte und Vielfalt stehen. Durch dieses Konzept soll verhindert werden, dass es an der Feier, wie in den letzten Jahren, zum Aufmarsch von Extremisten kommt. "Das jetzt angedachte Konzept macht es für Rechtsund Linksradikale unattraktiv", sagt Markus Hodel, Staatsschreiber von Luzern. Dadurch, dass die Feier deutlich grösser wird, sollen Auftritte der Radikalen untergehen.

 Auch eine Seebühne ist angedacht, auf der Konzerte und Aufführungen stattfinden. Diese würde auch länger als die eigentliche Schlachtfeier stehen bleiben.

 Noch ist das Konzept nicht definitiv. Mahnende Worte gab es vom Sempacher Stadtpräsidenten Franz Schwegler: "Man soll das Fuder einfach nicht überladen", sagte dieser.

------------
JSVP
------------

20 Minuten 15.7.10

JSVP-Klage gegen grünen Grossrat

 LUZERN. Dem Grossstadtrat Hans Stutz (Grüne) flattert demnächst dicke Post ins Haus: Anian Liebrand, Präsident der Jungen SVP, hat gestern eine Verleumdungsklage gegen den Luzerner Journalisten eingereicht. Grund: Stutz hat in seinem Internet-Blog "Meldungen zu Rechtsextremismus und Rassismus in der Schweiz" geschrieben, es sei "gut so!", dass Liebrand bei der Armee nicht befördert worden war. Die Beförderung war diesem verweigert worden, weil gegen ihn ein Strafverfahren wegen Widerhandlung gegen die Rassismus-Strafnorm lief. Das Verfahren gegen Liebrand wurde im November 2009 eingestellt. "Stutz hat mit seinem Bericht meinem Ansehen geschadet", findet Liebrand. Stutz liess verlauten, er sehe der Anzeige mit Gelassenheit entgegen."Wenn Liebrand sich politisch exponiert, muss er sich auch Kritik gefallen lassen", so Stutz.  BER

---------------------------
KNASTTOD VD
---------------------------

WOZ 15.7.10

Skander Vogt - Der Bericht zum Fall erschüttert die Justiz der Waadt.

 "Wie Roboter"

 In der Nacht vom 10. auf den 11. März starb ein Häftling im Waadtländer Gefängnis Bochuz an einer Rauchvergiftung. Der 30-jährige Skander Vogt hatte seine Matratze in Brand gesteckt. Das Personal kam ihm nicht zu Hilfe. Während neunzig Minuten liess es ihn in seiner Zelle mit dem Tod ringen (vgl. WOZ Nr. 19/10). Zum Skandal ist nun ein mehr als hundert Seiten starker Untersuchungsbericht erschienen: Darin zeigt der mit der Untersuchung betraute ehemalige Bundesgerichtspräsident Claude Rouiller auf, wie ein Jugendlicher von Justiz und Strafvollzug zum sogenannt "gefährlichen" Insassen eines Hochsicherheitstrakts gemacht wurde.

 Skander Vogt, nach dem Tod der Mutter vom Vater im Stich gelassen und von Verwandten und in Institutionen erzogen, wurde im Alter von neunzehn Jahren wegen kleinerer Delikte zu zwanzig Monaten Haft verurteilt. Durch ein psychiatrisches Gutachten wurde er ein Jahr später als potenziell gewalttätig eingestuft und seine Strafe durch eine Verwahrung ersetzt. Statt eine Schulbildung nachholen oder einen Beruf erlernen zu können, sass Vogt auf unbestimmte Zeit im Gefängnis fest.

 Fragile Persönlichkeit

 Alle Versuche, aus der Verwahrung freizukommen, bewirkten das Gegenteil. Die Zuständigen verstanden sie nicht als Ausdruck der Verzweiflung, sondern als Bestätigung von Renitenz und Gefährlichkeit. Doch Skander Vogt war "weder geisteskrank noch ein gefährlicher Krimineller", stellt Claude Rouiller heute fest. Vogt habe zwar eine "fragile Persönlichkeit" gehabt, die sich aber positiv hätte entwickeln können, wenn Justiz und Strafvollzug auf Deeskalation gesetzt hätten. Doch sie haben Vogts Gesuche um ein neues psychiatrisches Gutachten während zehn Jahren abgelehnt und seine Verwahrung wegen Bagatellzwischenfällen immer wieder verlängert.

 So sinnlos wie Vogts Verwahrung war auch sein Tod: Er starb gemäss Rouiller als Opfer einer Sicherheitsvorschrift. Als gefährlich eingestufte Häftlinge dürfen nur von Mitgliedern einer Spezialeinheit aus der Zelle geholt werden. Als diese anrückte, war es zu spät. Die Wärter, die Skander Vogt zu Hilfe eilen sollten, hätten sich "wie Roboter hinter der Direktive verschanzt", aus Angst, entlassen zu werden. Selbst das medizinische Hilfspersonal habe sich der Vorschrift "blind unterworfen", schreibt Rouiller.

 Den Strafvollzug humanisieren

 Rouillers Rapport erschüttert die Waadtländer Justiz. Justizdirektor Philippe Leuba verspricht Reformen. Die Leiterin des Strafvollzugs, Catherine Martin, die er ursprünglich mit der Untersuchung des Todesfalls beauftragen wollte, hat er entlassen. Doch nicht nur die Waadtländer Justiz- und Strafvollzugsbehörden haben versagt. Rouiller lässt durchblicken, dass sowohl das Hochsicherheitsregime wie auch die Verwahrungspraxis überdacht werden müssen. "Humanisiert", schreibt Rouiller.

 Skander Vogts Schicksal ist nur verständlich vor dem Hintergrund der herrschenden Sicherheitshysterie, die auch für die Annahme der Volksinitiative für eine "lebenslange Verwahrung" gefährlicher Täter im Jahr 2004 verantwortlich ist. In der linken Genfer Tageszeitung "Le Courrier" äussert sich die ehemalige Nationalrätin Anne- Catherine Menétrey zum Fall Vogt: Das neue Strafrecht, dessen Revision unter Bundesrat Blocher beendet wurde, bestrafe Verwahrte nicht nur für die Taten, die sie begangen haben. Sondern auch für die Taten, von denen man annimmt, dass sie sie womöglich begehen könnten.

Helen Brügger  , Genf

---

L'Hebdo 15.7.10

Affaire Skander Vogt

 LES MESURES, ENFIN

 PAR  FLORENCE PERRET  ET  TASHA RUMLEY

 LES FAITS

 Les dysfonctionnements carcéraux relevés dans le rapport de l'ancien juge fédéral Claude Rouiller, quatre mois après la mort du détenu Skander Vogt dans une cellule enfumée de Bochuz, sont tels qu'ils ont eu raison de la cheffe du service pénitentiaire vaudois. Catherine Martin quitte ses fonctions "d'un commun accord" avec le conseiller d'Etat Philippe Leuba. Une "mise en garde formelle" a été faite aux cinq gendarmes qui ont tenu des propos injurieux durant l'agonie du détenu.

 LES COMMENTAIRES

 "Belle revanche d'outre-tombe pour Skander Vogt, écrit Fati Mansour dans Le Temps. (...) Le rapport Rouiller confirme que cette mort est bien plus qu'un tragique fait divers. Au niveau cantonal, l'éviction logique de la cheffe du service pénitentiaire doit désormais s'accompagner d'une sérieuse réforme." Jérome Cachin, dans La Liberté, trouve "étonnant que seule la cheffe du Service pénitentiaire fasse les frais du désastre". "Qu'en est-il, par exemple, de l'avenir du directeur de la prison de Bochuz? Sous la pression de l'opinion publique, Philippe Leuba a trop lentement percé l'abcès carcéral vaudois qu'il connaît si bien." Daniel Audétat de 24 heures, estime, lui, que le ministre "a parcouru du chemin" et que l'on peut "compter" sur lui "pour tirer les leçons de l'affaire Skander". "Il a commencé sur le plan administratif. Reste à trouver les moyens financiers dont la prison a besoin pour accomplir ses missions avec la dignité indispensable." Et Dominique Botti du Matin Dimanche de conclure: la mort de Skander Vogt "se lit ainsi comme l'aboutissement d'un énorme gâchis humain".

 À SUIVRE

 Un rapport accablant, des premières sanctions, en attendant une large réflexion sur les solutions à apporter à ces dysfonctionnements.?

---

Lausanne Cité 15.7.10

EDITORIAL

 Indigne d'un Etat de droit

 Philippe Kottelat

 Le moins qu'on puisse dire, c'est qu'on ne pensait pas qu'une telle chose pouvait se produire sous nos latitudes, au sein d'un pays qui pousse l'art de la démocratie à l'extrême et s'enorgueillit d'être parmi les Nations les plus respectueuses des droits de l'Homme.... Et pourtant: le récent rapport du juge Rouiller sur les circonstances du décès de Skander Vogt, à Bochuz en mars dernier, jette une lumière cruelle sur des procédés et des procédures qui ne semblaient pas être de mise chez nous, en Suisse, et plus particulièrement dans ce bon Pays de Vaud.

 Car que ressort-il grossièrement résumé des propos du juge Rouiller? Que des gardiens ont manqué de bon sens et ont, notamment, omis d'appeler les pompiers comme le stipule les directives d'urgence. Que le personnel médical est resté les bras croisés. Que des policiers ont tenu des propos incompatibles avec leur fonction. Et, plus généralement, qu'il y a eu un vaste dysfonctionnement au terme duquel un homme, oublié au fond d'une cellule au terme d'un parcours indigne d'un Etat de droit, est mort pour rien.

 Première mesure prise par les autorités: l'éviction de la cheffe du service pénitentiaire vaudois, Catherine Martin. Au terme de l'enquête pénale en cours, d'autres têtes pourraient tomber. Reste pour l'heure comme un sentiment de malaise dans l'attente d'une véritable réflexion du monde politique sur la nécessaire refonte du service carcéral vaudois, au-delà de toute récupération idéologique, afin d'éviter qu'un tel drame ne se reproduise.

----------------------------
AUSSCHAFFUNG
----------------------------

Bund 15.7.10

Von Bern-Belp im Super-Puma ausgeschafft

 Um einen Palästinenser nach Mailand auszuweisen, griff das Bundesamt zum Militärhelikopter. Mit dabei waren Berner Polizisten.

 Matthias Raaflaub

 Vergangene Woche ist vom Flughafen Bern-Belp ein Asylbewerber nach Italien zwangsausgeschafft worden. Das Aussergewöhnliche: Für den Transport nach Mailand sorgte ein Super-Puma der Schweizer Armee. Begleitet wurde der Asylbewerber von Berner Kantonspolizisten. Das Bundesamt für Migration (BFM) bestätigte einen entsprechenden Bericht von Schweizer Radio DRS.

 Der Mann, ein Palästinenser mit Jahrgang 1991, war über Italien in die Schweiz gelangt. Seit Einführung des Dublin-Abkommens im Dezember 2008 entscheidet dasjenige Land über einen Asylantrag, wo ein Asylbewerber zuerst ankommt. Deshalb forderten die Schweizer Behörden den Mann auf, nach Italien auszureisen. Trotz mehrmaligen Aufforderungen tat er dies nicht. Am 5. Juli dann fand der Helikopterflug statt. Es war laut Michael Glauser, Mediensprecher des Bundesamts für Migration, ein Ausschaffungsfall auf "Stufe 4". Das heisst: Der Mann wurde unter Zwang, in Begleitung eines Arztes und eines Polizisten übergeführt, da er sich gegen die Ausschaffung gewehrt hatte. "Der Mann war besonders renitent und hatte bereits hohe Kosten verursacht", sagte Glauser.

 Nicht der erste Super-Puma

 Weshalb aber schickten die Schweizer Behörden den Mann per Militärhelikopter nach Mailand? Das Dublin-Abkommen sieht für Ausschaffungen den Luftweg vor. Normalerweise kommen gecharterte Flugzeuge zum Einsatz. Die Flüge schreibt der Bund öffentlich-rechtlich aus. Der Super-Puma sei mit 5500 Franken die günstigste Variante gewesen, sagte Michael Glauser. Jürg Nussbaum, Chef Kommunikation der Luftwaffe, erklärte schriftlich: "Es war nicht der erste Ausschaffungsflug mit dem Super-Puma."

 Die Zuständigkeiten im Ausschaffungsprozedere sind kompliziert. Grundsätzlich vollziehen die Kantone die Asylentscheide des Bundes. Die Eidgenossenschaft unterstütze die Kantone jedoch eng dabei, heisst es beim BFM. Dennoch hatte der Migrationsdienst des Kantons Bern mit der Ausschaffung nichts zu tun. "Ab Bern-Belp fliegen nicht nur Ausschaffungsfälle aus dem Kanton Bern", sagte Abteilungsvorsteher Florian Düblin auf Anfrage. Offenbar war die Ausschaffung noch in weiterer Hinsicht aussergewöhnlich. Obwohl der Flug ab Belp und in Begleitung von Berner Kantonspolizisten startete, war der Palästinenser im Kanton Zürich registriert. Die Zürcher Kantonspolizisten waren laut Glauser "ausgelastet". Bei den Berner Kollegen fand man Ersatz. "Wir arbeiten bei Ausschaffungen im Auftrag des Bundes", hiess es bei der Medienstelle der Kantonspolizei Bern. Für weitere Auskünfte verwies sie auf das BFM.

 Behörden hatten es eilig

 Erklären lässt sich die spezielle Konstellation der Ausschaffung damit, dass es die Behörden offenbar eilig hatten, den jungen Mann aus dem Land zu schaffen. Die Aufnahme in Italien war gemäss den Bedingungen des Dublin-Abkommens nur binnen sechs Monaten garantiert. Hätte das BFM den Mann den italienischen Behörden innerhalb dieses Zeitraums nicht übergeben, wäre die Schweiz für das Asylverfahren verantwortlich geworden. Diese Grenze nahte im Fall des Palästinensers. Und "mit hoher Wahrscheinlichkeit" hätte der junge Mann beim Asylverfahren in der Schweiz nicht kooperiert und wiederum viel gekostet, sagte Glauser.

 Dass sogenannte Dublin-Fälle mit Zwang ausgeschafft werden müssen, sei übrigens äusserst selten. Meistens kooperierten die Migranten mit den Behörden. "Sie wissen, dass ihr Asylverfahren im Erstaufnahmeland erst noch bevorsteht", sagte Glauser.

---

Südostschweiz 15.7.10

"Bin zuversichtlich, dass wir bald wieder fliegen können"

 Alard du Bois-Reymond, Chef des Bundesamts für Migration, hat sich in Nigeria für den Tod eines Ausschaffungshäftlings erklären müssen (siehe Kasten). Gestern ist er von der heiklen Mission zurückgekehrt, die er als Erfolg bezeichnet.

 Mit Alard du Bois-Reymond sprach Simon Fischer

 Herr du Bois-Reymond, Sie haben den Behörden in Nigeria erklärt, wie es am 17. März zum tragischen Tod eines nigerianischen Ausschaffungshäftlings kommen konnte. Auf welcher Ebene haben die Treffen stattgefunden?

 Alard du Bois-Reymond: Das wichtigste Treffen war jenes mit dem Staatssekretär des Aussenministeriums. Es gab aber noch weitere Gespräche, etwa mit Vertretern der Migrationsbehörden und der nigerianischen Diaspora.

 Wie haben die Nigerianer auf Ihre Erklärungen reagiert?

 Zu Beginn war die Atmosphäre emotional sehr aufgeladen und angespannt. Es war wichtig, als Verantwortlicher des Bundesamts für Migration selber vor Ort zu sein, denn der Todesfall ist in Nigeria ein grosses Thema. Ich konnte einerseits mein Bedauern über den tragischen Zwischenfall zum Ausdruck bringen. Wichtig war auch, die vorhandenen Informationen transparent weiterzugeben und zu erklären, welche Massnahmen die Schweiz nun getroffen hat, damit solche Vorfälle künftig möglichst vermieden werden können. Nach den anfänglichen Schwierigkeiten haben wir deshalb doch noch zu einem sehr konstruktiven Dialog gefunden, was ein Erfolg ist.

Ab wann können die Sonderflüge nach Nigeria wieder aufgenommen werden?

 Ein genaues Datum kann ich noch nicht nennen. Es wäre auch nicht sehr anständig gewesen, in dieser emotional aufgeladenen Situation auf eine sofortige Wiederaufnahme der Flüge zu drängen. Aufgrund des Verlaufs der Gespräche bin ich aber sehr zuversichtlich, dass wir bald wieder fliegen können.

 Neu wird bei jedem Ausschaffungsflug ein medizinisches Begleit-Team dabei sein. Hätte der Tod des Nigerianers verhindert werden können, wenn diese Massnahme schon früher getroffen worden wäre?

 Mit Gewissheit werden wir das wohl nie wissen. Wichtig ist, dass wir erkannt haben, dass es bei den Abläufen noch Löcher gibt, die wir jetzt stopfen wollen.

 Wie hoch werden die Mehrkosten sein, die durch die zusätzliche medizinische Betreuung bei Zwangsausschaffungen anfallen?

 Einen genauen Betrag kann ich nicht nennen, ganz billig wird das aber nicht. Allerdings muss dies im Verhältnis zu jenen Kosten gesehen werden, die ein Asylsuchender in der Schweiz verursacht. Unter diesem Gesichtspunkt sind die Mehrkosten klein. Man kann also von einem sehr guten Kosten-Nutzen-Verhältnis sprechen.

 Ab nächstem Jahr sollen auch unabhängige Beobachter Zugang zu den Sonderflügen haben. Aus welchen Bereichen könnten diese kommen?

 Diese Neuregelung ist Teil einer Schengen-Weiterentwicklung, welche die Schweiz sowieso übernehmen würde. Als Beobachter kommen etwa Vertreter von Nichtregierungsorganisationen in Frage, mit denen wir bereits in Kontakt sind. Ich hoffe, dass wir diese Massnahme im Verlauf des ersten Halbjahres 2011 werden umsetzen können.

 Haben die Nigerianer weitere Forderungen gestellt, die Sie nicht erfüllen konnten?

 Sie hatten die Vorstellung, dass wir eine Quote von jährlich 500 bis 1000 Arbeitsbewilligungen für Nigerianer einführen könnten. Da habe ich ihnen erklären müssen, dass dies aufgrund der politischen Gegebenheiten in der Schweiz völlig unrealistisch ist.

--

 Bessere Zusammenarbeit geplant

 Bern. - Neben dem Fall des 29-jährigen Nigerianers, der am 17. März während seiner Ausschaffung auf dem Flughafen Zürich starb, ist beim Besuch der Delegation des Bundesamtes für Migration (BfM) in Nigeria auch eine Migrationspartnerschaft der Schweiz mit dem westafrikanischen Staat thematisiert worden. Das BfM spricht von einem Vorreiterprojekt. Im Oktober wird eine Delegation aus Nigeria in der Schweiz erwartet.

 Die geplante Partnerschaft soll weiter gehen als das bereits bestehende Rückübernahmeabkommen. So soll etwa die Integration von Nigerianern in der Schweiz verbessert werden. In Nigeria wiederum wollen die beiden Länder vermehrt dazu beitragen, dass Vertriebene nicht zu Flüchtlingen werden. Dabei sollen Auswanderungswillige laut dem BfM besser informiert werden, damit sie ihr Land nicht mit falschen Erwartungen verlassen. (sf)

---

St. Galler Tagblatt 15.7.10

Ausschaffung: Gespräche in Nigeria

 Wann die Sonderflüge für Zwangsausschaffungen nach Nigeria wieder aufgenommen werden, ist weiterhin offen. Eine Schweizer Delegation hat deswegen Gespräche geführt in Nigeria.

 bern. Die Schweiz und Nigeria stünden in engem Kontakt, um den Zeitpunkt für die Wiederaufnahme der Flüge zu bestimmen, so das Bundesamt für Migration (BFM). Alle Sonderflüge für Ausschaffungen waren nach dem Tod eines nigerianischen Ausschaffungshäftlings im März gestoppt worden.

 Sehr emotional aufgenommen

 Nachdem sich herausgestellt hatte, dass der 29jährige Mann an einer unbekannten, schweren und zu Lebzeiten praktisch nicht diagnostizierbaren Herzkrankheit gelitten hatte, wurden die Flüge im Juni wieder aufgenommen - ausser nach Nigeria.

 Eine von BFM-Direktor Alard du Bois-Reymond geleitete Delegation des BFM kehrte gestern aus Nigeria zurück. Du Bois-Reymond habe dabei sein Bedauern über den tragischen Vorfall zum Ausdruck gebracht. Das Bundesamt für Migration hat inzwischen auf den Todesfall reagiert. Ab sofort bietet es für jeden Sonderflug einen Arzt auf. Ausserdem stellen die Kantone die Übermittlung medizinischer Daten sicher. Ab 2011 sollen auch unabhängige Beobachter Zugang zu den Flügen haben.

 Bald Vertreter Nigerias an Bord?

 Den nigerianischen Gesprächspartnern bot du Bois-Reymond weiter an, dass künftig Vertreter der nigerianischen Migrationsbehörden mitfliegen können. Dieser Vorschlag sei in Nigeria gut aufgenommen worden, sagte er. Er werde nun in Partnerschaft mit den kantonalen Behörden vertieft. Einen Termin für die Wiederaufnahme der Flüge nannte du Bois-Reymond nicht. Amnesty International (AI) dagegen will, dass unabhängige Beobachter ab sofort an Zwangsausschaffungen auf dem Luftweg teilnehmen können. Anstelle von nigerianischen Behördenvertretern brauche es Vertreter von Schweizer Behörden und NGO. (sda)

---

Le Temps 15.7.10

"Annoncer maintenant la reprise des vols spéciaux vers le Nigeria aurait été indécent"

Propos recueillis par Valérie de Graffenried

 Alard du Bois-Reymond vient de passer deux jours au Nigeria dans un contexte difficile. Sa double mission consistait à expliquer les causes du décès d'un Nigérian lors de son rapatriement forcé en mars dernier à Zurich et à faire avancer les négociations pour conclure un "partenariat migratoire". Le directeur de l'Office fédéral des migrations commente son délicat mandat

 Il vient de passer deux jours au Nigeria dans un contexte difficile. Sa double mission consistait à expliquer les causes du décès d'un Nigérian, survenu en mars dernier à Zurich, lors de son rapatriement forcé, et à faire avancer les négociations pour conclure un "partenariat migratoire". Le directeur de l'Office fédéral des migrations commente son délicat mandat.

 Le Temps: Revenez-vous de votre voyage satisfait?

 Alard du Bois-Reymond: Oui, très. Le climat était empreint d'émotion en raison de la mort tragique du Nigérian à l'aéroport de Zurich, mais nous avons pu mener des débats constructifs. Le fait que je me sois déplacé à Abuja en reconnaissant la gravité de l'incident et qu'il fallait prendre des mesures urgentes a contribué à détendre l'atmosphère.

 - Vous avez exprimé des "regrets" à propos du mort, dont la famille a été indemnisée à hauteur de 50 000 francs. Vous êtes-vous aussi excusé pour vos propos concernant les Nigérians criminels qui abusent de l'asile?

 - Cet élément a à peine été évoqué. Il en a brièvement été question au deuxième jour de notre visite. Mais pas lors de la rencontre avec le secrétaire d'Etat aux Affaires étrangères, Martin Uhomoibhi. L'affaire avait déjà été réglée avec lui à Genève fin avril, lorsqu'il m'a demandé des explications. Le dramatique incident de ce printemps a bien davantage marqué les discussions.

 - Justement: les vols spéciaux ont repris le mois dernier, sauf vers le Nigeria. Où se situe le blocage?

 - Il n'y en a pas. Après analyse de la situation, des mesures urgentes ont été prises pour éviter de nouveaux drames: désormais, une équipe médicale participera aux rapatriements forcés et des observateurs indépendants pourront embarquer sur des vols de ce type dès 2011. Mais il aurait été indécent de se déplacer au Nigeria pour exprimer nos regrets à propos du drame et annoncer aussitôt la reprise de ces vols vers le pays. L'émotion est encore trop forte. J'ai par contre suggéré que des représentants des autorités nigérianes participent à l'avenir à ces vols. Je suis confiant: ils devraient reprendre rapidement.

 - Le "partenariat migratoire" avec le Nigeria n'a toujours pas été scellé: quels sont les derniers obstacles à sa signature?

 - Depuis quelques semaines, le dossier avance en fait rapidement. Micheline Calmy-Rey avait lancé les négociations en avril 2009, lors d'une visite au Nigeria. Ce sont ensuite les Nigérians qui ont pris une année avant de nous faire des contre-propositions. Ils n'avaient pas bien compris ce que nous voulions. En octobre, une délégation nigériane viendra en Suisse. J'espère que le partenariat sera scellé à ce moment-là.

 - Les Nigérians revendiquent-ils toujours un quota d'immigration légale ("employment quota allocation")?

 - Non. Nous leur avons expliqué que ce n'était pas possible, que cela ne faisait pas partie de notre réalité politique. Ils ont compris. Nous essayons plutôt de trouver des "niches" dans le domaine de la formation. Une idée serait par exemple d'accorder des permis de travail temporaires à une trentaine d'employés nigérians d'entreprises suisses, pour qu'ils puissent bénéficier d'une formation supplémentaire en Suisse.

 - En quoi ce partenariat diffère-t-il de l'accord de réadmission conclu en 2003?

 - Il est plus large. Son but est à la fois de lutter contre les problèmes liés à la migration irrégulière et de favoriser les effets bénéfiques des migrations. Nous voulons par exemple aider la diaspora nigériane, qui souffre de préjugés, à mieux s'intégrer. Une autre piste serait d'assister les Nigérians victimes dans leur pays de déplacements internes. En les aidant, nous pouvons éviter qu'ils deviennent des migrants internationaux. Tout le monde a à y gagner.

---

NZZ 15.7.10

Bundesverwaltungsgericht

 Aufschub für Familie aus Tschetschenien
 
Rekursrecht im Dublin-Verfahren

 C. W. ⋅ Das Bundesamt für Migration (BfM) muss sich nochmals mit den Asylgesuchen einer Familie aus Tschetschenien befassen. Diese hatte schon in Frankreich - erfolglos - um Asyl ersucht und war deshalb dorthin zurückgeschickt worden. Das Bundesverwaltungsgericht hat jene Wegweisungsverfügung nun aber aufgehoben, da bei sofortigem Vollzug kein effektiver Rechtsschutz bestand.

 Das Gericht hatte bereits im Februar grundsätzlich entschieden, dass auch im Dublin-Verfahren - bei der Rückweisung in den zuständigen europäischen Aufnahmestaat - die Möglichkeit bestehen müsse, noch in der Schweiz eine Beschwerde einzulegen. Das jetzt publizierte Urteil ist vor allem von Interesse, weil auf die Betroffenen schon öffentlich aufmerksam gemacht worden ist. In der Gemeinde, wo die Tschetschenen seit dem Frühjahr 2009 (mit dem kurzen Unterbruch durch die Ausschaffung nach Frankreich) provisorisch leben, erhalten sie Unterstützung.

 Das Verfahren geht nun in eine neue Runde. Es bleibt strittig, ob bei Anwendung des Dublin-Rechts die Gefahr der Rückschiebung in eine Verfolgungssituation besteht. Von Frankreich müssten die Tschetschenen offenbar nach Polen zurück, wo sie auf ihrer längeren Reise ebenfalls registriert worden waren. Die Schweiz kann auch das ganze Asylverfahren selber durchführen.

 Urteil E-6237/2009 vom 6. 7. 2010.

---

NLZ 15.7.10

Bundesverwaltungsgericht

 Tschetschenen dürfen bleiben

Urs-Peter Inderbitzinund Daniel Schriber

 Die tschetschenische Familie aus Greppen darf weiterhin in der Schweiz bleiben. Ihre Zukunft bleibt aber ungewiss.

 Im September 2009 wurde die sechsköpfige tschetschenische Familie Bersaev von Greppen aus nach Frankreich abgeschoben. Drei Tage später kehrte sie illegal in die Schweiz zurück - nur um umgehend erneut abgeschoben zu werden.

 Dagegen erhob die Familie Einsprache beim Bundesverwaltungsgericht. Dieses entschied nun zu Gunsten der Familie und erhebt schwere Vorwürfe gegen die Migrationsbehörden.

 Schwere Verfahrensverletzung

 Das Bundesverwaltungsgericht hat die Wegweisungsverfügung des Bundesamtes für Migration (BFM) gegen die Familie Bersaev aufgehoben. Das Gericht wirft den Migrationsbehörde vor, gegen das Gebot des effektiven Rechtsschutzes und damit gegen die Bundesverfassung und auch gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verstossen zu haben. Sie hätte die Familie nicht wegweisen dürfen, bevor eine zweite Instanz über das Schicksal der Familie entschieden hat. Gegenüber unserer Zeitung wollte sich gestern niemand vom Bundesamt für Migration zu dem Urteil äussern. Der Fall würde nun zuerst von den zuständigen Juristen geprüft, so ein Sprecher des BFM.

 "Ein Etappensieg"

 Nun also erhält die Familie eine Gnadenfrist. Das Bundesamt muss erneut über das Asylgesuch der Familie befinden. Bis dieses Verfahren abgeschlossen ist, darf die Familie in der Schweiz bleiben. In ihrem Kampf gegen die Behörden wurde die betroffene Familie auch von Bürgern aus ihrem Wohnort Greppen unterstützt. Ein Sprecher dieser Gruppe, der nicht namentlich genannt werden wollte, zeigte sich gestern glücklich über den Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts. Das Urteil beweise, dass die Familie zu Recht kämpfe. "Es handelt sich jedoch bloss um einen Etappensieg", so der Sprecher. Fest steht, dass die Geschichte der Familie Bersaev mit dem aktuellen Urteil in eine neue Runde geht.

 Angefangen hatte alles im Februar 2009. Nachdem die tschetschenische Familie 16 Monate lang durch verschiedene Länder gezogen war, landete sie schliesslich in Greppen. Dort galten sie innert kürzester Zeit als gut integriert, zwei der sechs Kinder besuchten bereits die Schule in Greppen.

 Dennoch trat das Bundesamt für Migration nicht auf das Asylgesuch der Familie ein. Die Begründung: Die Familie ersuchte zuvor bereits in Frankreich Asyl. Das Bundesamt ordnete daraufhin unter Verweis auf das Dublin-Abkommen die Wegweisung nach Frankreich an. Dieses Abkommen besagt, dass in der Regel nur der Staat, in dem der Asylbewerber nachweislich zuerst eingereist ist, ein Asylverfahren durchführt. Fakt ist jedoch: Die Schweiz kann der Flüchtlingsfamilie - beispielsweise aus humanitären Gründen - Asyl gewähren; das Dublin-Abkommen steht dem nicht entgegen.

 kanton@neue-lz.ch

---

WoZ 15.7.10

Ausschaffungen

 Das Protokoll

 Diese Woche weilte Alard du Bois-Reymond in der nigerianischen Hauptstadt Abuja. Der Direktor des Bundesamtes für Migration (BFM) informierte dort die Behörden über den Tod des 29-jährigen Joseph Ndukaku Chiakwa, der im März während einer Zwangsausschaffung auf dem Flughafen Zürich gestorben ist. Nach dem Todesfall hatte die Schweiz sämtliche Ausschaffungsflüge ausgesetzt. Nigeria erklärte, dass es künftig nur noch Flüchtlinge zurücknehme, die eine Freiwilligkeitserklärung unterschrieben hätten.

 In die übrigen Länder wurden die Ausschaffungsflüge Anfang Juli wieder aufgenommen. Neu ist stets auch ein medizinisches Begleitteam dabei, was unter ÄrztInnen allerdings umstritten ist. Bei seinem Besuch in Nigeria hat du Bois-Reymond angeboten, dass auch VertreterInnen der dortigen Migrationsbehörden mit an Bord sein können. Eine Wiederaufnahme der Ausschaffungsflüge hat er allerdings noch nicht erreicht.

 Was in der Nacht vom 17. März am Flughafen Zürich passiert ist, erhellt WOZ-Redaktor Carlos Hanimann. Aus Gesprächsprotokollen der Menschenrechtsgruppe Augenauf mit anderen zur Ausschaffung vorgesehenen Flüchtlingen und Interviews mit den Behörden ist eine packende und erschütternde Rekonstruktion der Schweizer Ausschaffungspraxis entstanden. ks

--

Protokoll einer Ausschaffung

Tod bei Ausschaffung-Was geschah in der Nacht des 17. März am Flughafen Zürich, als ein 29-jähriger Flüchtling starb? Eine Rekonstruktion anhand von Augenzeugenberichten und Interviews.
 
Im Grenzgebiet des Rechts

Von Carlos Hanimann

 Joseph Ndukaku Chiakwa war geschwächt. Seit über einem Monat befand sich der 29-jährige Flüchtling aus Nigeria im Hungerstreik, weil die Behörden ihm das Aufenthaltsrecht in der Schweiz verweigert und ihn in Ausschaffungshaft gesetzt hatten. Bereits zuvor hatte er während längerer Zeit in unregelmässigen Abständen abgelehnt, etwas zu essen.

 Als er am Nachmittag des 17. März im Flughafengefängnis II in Kloten aus seiner Zelle im zweiten Stock gerufen wurde, wusste er nicht, was folgen würde: dass er in wenigen Augenblicken von einem Polizeikommando überwältigt, gefesselt und in eine Zelle gesteckt, dass er und fünfzehn andere Ausschaffungshäftlinge in eine Halle beim Werkhof des Flughafens Zürich gebracht, dort anschliessend an Händen, Armen, Hüfte, Oberschenkeln und Füssen gefesselt würden, um schliesslich nach Lagos, Nigeria, ausgeschafft zu werden.

 Der Charter der Airline Hello stand bereit. Ein Teil der Abgeschobenen befand sich schon an Bord. Kurz vor Mitternacht hätte die Maschine nach Lagos abheben sollen.

 Aber so weit kam es nicht. Joseph Ndukaku Chiakwa starb noch auf dem Gelände des Flughafens - wann genau und wie ist Gegenstand laufender Untersuchungen. Die Oberstaatsanwaltschaft Zürich teilte vor zwei Wochen mit, dass Chiakwa, der in der Schweiz auch unter dem Namen Alex Khamma bekannt war, an einem Herzfehler gelitten habe. Sein Tod stehe zudem in Verbindung mit dem Hungerstreik und dem ausserordentlichen Stress, dem er wegen der Ausschaffung ausgesetzt war.

 Warum starb Joseph Ndukaku Chiakwa in jener Nacht? War es ein unglücklicher Zufall? Oder belegt sein Tod, dass dieses System der Zwangsausschaffungen grausam, falsch konzipiert und am Ende tödlich ist?

 Die WOZ hat versucht, mit verschiedenen Personen und Behörden zu sprechen, die in diesen Fall involviert sind: mit dem Bundesamt für Migration (BFM) und ihrem Direktor Alard du Bois-Reymond, der an jenem Flug teilnehmen wollte; mit der Kantonspolizei Zürich, die auf dem Flughafen gelände die Verantwortung trägt; mit Hans-Rudolf Gerber, dem Direktor des Flughafengefängnisses II; mit der Staatsanwaltschaft Zürich, die den Fall untersucht; mit dem Regierungsrat Hans Hollenstein, der die politische Verantwortung für die Ausschaffungen am Flughafen Zürich trägt; mit Roger Schneeberger, dem Präsidenten der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD), die mit dem BFM einen gemeinsamen Massnahmenkatalog für Zwangsausschaffungen erstellt hat; mit der Menschenrechtsgruppe Augenauf; und mit den Flüchtlingen, die am 17. März gemeinsam mit Chiakwa hätten ausgeschafft werden sollen.

 Nur Augenauf und Urs von Arb, Chef der Abteilung Rückkehr beim BFM, wollten ausführlich sprechen. Die anderen zogen es vor, zu schweigen, verwiesen gegenseitig aufeinander oder auf schriftliche Richtlinien. Ausserdem liegt die Antwort des Zürcher Regierungsrates zu einer Interpellation zu Zwangsausschaffungen vor.

 Auch die Flüchtlinge, soweit sie überhaupt noch auffindbar waren, mochten mit der Presse nicht mehr über den Todesfall sprechen. Und doch lässt sich teilweise rekonstruieren, was in jener Nacht geschehen ist - nicht lückenlos, nicht im Detail. Aber die Menschenrechtsgruppe Augenauf hat nach dem Todesfall mit einem halben Dutzend Asylsuchenden, die in jener Nacht ebenfalls hätten ausgeschafft werden sollen, Interviews geführt.

 Eine Montage aller vorliegenden Aussagen zeichnet ein ziemlich genaues Bild, wie die Schweiz mit unerwünschten Flüchtlingen umgeht.

 Antwort des Zürcher Regierungsrats auf eine Interpellation zum Todesfall: Bei den rückzuführenden Personen handelt es sich nicht um Flüchtlinge, sondern um Personen, deren Asylgesuch abgelehnt worden ist, oder andere sich illegal in der Schweiz aufhaltende Personen, die das Land verlassen müssen.

 Urs von Arb, Bundesamt für Migration (BFM): Die Leute werden ja gefragt, ob sie freiwillig ausreisen. Die kantonale Beratungsstelle führt ein Ausreisegespräch. Wir geben lieber jemandem Hilfe, als ihn zur Rückkehr zu zwingen. Das ist billiger, vor allem auch nachhaltiger. Es ist eine Win-win-Situation.

 Aber es gibt leider Leute, die nicht freiwillig gehen wollen. Also sagen wir: Hör zu, wir buchen dir einen Flug. Aber die Person weigert sich noch immer. Sie lässt sich nicht von der Polizei auf ein Flugzeug begleiten. Dann sagt die Polizei: So geht das nicht. Die Person muss auf Level 4 ausgeschafft werden.

 Mediensprecher der Kantons polizei Zürich: Leider können wir keine Auskunft erteilen. Sie werden das verstehen... Die Staatsanwaltschaft untersucht diesen Fall. Wir möchten auch nicht, dass ein Polizist aus Zürich zu diesem Fall Stellung nimmt. Dann entstünde der Eindruck, dass es sich um einen Zürcher Fall handelt. Das ist aber nicht so. Die Polizisten kommen ja aus der ganzen Schweiz, wie die Auszuschaffenden auch. Fragen Sie beim Bundesamt für Migration nach. Die haben die Oberaufsicht.

 Urs von Arb, BFM: Als Chef der Abteilung Rückkehr bin ich sowohl für die freiwillige Rückkehr wie auch für die Zwangsausschaffungen zuständig. Die Sonderflüge, also Ausschaffungen auf Level 4, sind ein spezieller Teil dieser Arbeit. Wir organisieren den Flug, koordinieren die Rückkehr mit den Kantonen, ernennen die Teamleader der Polizei, kontaktieren die Botschafter im Herkunftsland und beantragen die Landebewilligung.

 Zürcher Regierungsrat: Der zwangsweise Rückführungsvollzug wird in drei verschiedenen Levels durchgeführt. Level 1: Die sich illegal in der Schweiz aufhaltende Person, welche die Schweiz nicht freiwillig verlässt, wird durch die Polizei bis zum Flugzeug begleitet. Die Rückreise erfolgt ohne Fesselung und ohne polizeiliche Begleitung. Level 2: Nur wenn sich die rückzuführende Person derart widersetzt, dass eine solche Rückführung nicht möglich ist, wird sie gefesselt und von zwei Polizisten begleitet mit einem gewöhnlichen Linienflug zurückgeführt. Level 4: Wenn die rückzuführende Person so renitent ist, dass auch diese Form der Rückführung nicht möglich ist, wird sie in einem Sonderflug mit einer verstärkten Fesselung zurückgeführt.

 Urs von Arb, BFM: Früher gab es auch Level-3-Ausschaffungen. Heute sind sie sehr selten. Die Massnahmen sind dieselben wie bei Level 4, allerdings finden sie auf Linienflügen statt. Das Problem dabei sind renitente Rückzuführende. Sie schreien, spucken oder beissen gar. Das ist für alle Beteiligten unangenehm - auf einem Linienflug mit zahlenden Gästen besonders.

 Walter Angst, Augenauf: Bis jemand auf Level 4 ausgeschafft werden kann, muss in der Regel ein Versuch vorausgegangen sein, den Auszuschaffenden auf einem tieferen Level auszuschaffen. Aber oft reicht es, dass der Auszuschaffende gefragt wird, ob er einen Flug gebucht hat. Wenn nicht, dann gilt sofort Level 4.

 Urs von Arb, BFM: Es ist nicht so, dass ein Auszuschaffender nur einmal sagt: Ich gehe nicht, und - zack! - Ausschaffungshaft, Level 4. So läuft das einfach nicht. Das wäre auch nicht in unserem Interesse.

 Aus dem Protokoll des Gesprächs von Augenauf mit U.: Er wurde zum Flughafen gebracht und sollte unbegleitet mit einem Linienflug nach Nigeria reisen (Level 1). Er sollte ein Papier unterschreiben, welches bestätigt, dass er seine Sachen zurückbekommen habe. Er wollte dieses Papier nicht unterschreiben. Darauf wurde der Ausschaffungsversuch abgebrochen und er wieder zurück ins Flughafengefängnis gebracht.

 Urs von Arb, BFM: Der Bund zahlt den Kantonen 140 Franken pro Gefängnistag. Das macht im Monat 4200 Franken. Im Schnitt kostet die Rückführung pro Person 8000 bis 10 000 Franken, darin eingerechnet sind die Kosten für die Polizei. Vergleichen Sie das mal mit den Gefängniskosten: Nach zwei, drei Monaten kommt uns ein Sonderflug bereits billiger.

 Augenauf-Protokoll zu O.: Am Mittwoch, 17. März, wird O. von der Stockwerk-Chefin des Flughafengefängnisses aus der Zelle geholt. Sie sagt, sie wolle ihn ins Büro im Parterre bringen. Dort angekommen, klopft sie an das Durchgangstor, das zu einem Korridor mit den angrenzenden Büros und Einzelzellen (Bunkern) führt, und tritt einige Schritte zurück. O. wird von mehreren uniformierten Polizisten gepackt, und seine Arme werden in Sekundenschnelle hinter dem Rücken gefesselt.

 Augenauf-Protokoll zu J.: Um 15 Uhr kommt ein Aufseher in die Zelle, der J. sagt, er solle runterkommen. Die Polizei wolle mit ihm reden. Als er den Raum betritt, wo normalerweise die Interviews mit der Polizei stattfinden, wird er von fünf bis sechs schwarz gekleideten, sehr grossen und kräftigen Polizisten überfallen, die ihm brutal die Arme hinter den Rücken drehen, Handschellen anlegen und einen Boxhelm aufsetzen. Dann wird J. in den Bunker gebracht.

 Walter Angst, Augenauf: Diese Bunker liegen im unteren Stock. Dorthin kommt sonst nur, wer gegen die Hausordnung verstossen hat. Es folgt ein äusserst demütigendes Prozedere. Die Häftlinge werden ausgezogen, und Beamte kontrollieren alle Körperöffnungen. Sie suchen nach Nadeln, Rasierklingen, et cetera ...

 Urs von Arb, BFM: Natürlich kann man die Verhältnismässigkeit immer diskutieren. Der Blickwinkel desjenigen, der sich wehrt, ist ein anderer als desjenigen, der die Massnahmen durchsetzen muss. Das liegt in der Natur der Sache.

 Augenauf-Protokoll zu O.: Die Überwältigung geschieht im Korridor, wo es seines Wissens keine Kameras gibt. Anschliessend wird O. in den Bunker gebracht, Fesseln und Helm werden entfernt. Er muss sich nackt ausziehen, wird durchsucht und erhält dann Gefängniskleider. Er sagt den Polizisten, er wolle keine Schrammen. Antwort: Dann musst du kooperieren.

 Zwischen zirka 16 und 20 Uhr bleibt er in diesem Bunker, ohne Fesseln oder Helm. Er ist allein.

 Augenauf-Protokoll zu J.: Um zirka 16.30 Uhr erhält J. etwas zu essen. Niemand erklärt ihm, warum er im Bunker ist.

 Walter Angst, Augenauf: Die Beamten wollen sicherstellen, dass die Häftlinge keine Gegenstände "schmuggeln" können. Im Jargon heisst das dann: Sie sind "sauber für den Transport".

 Augenauf-Protokoll zu K.: Er wird nach dem Mittagessen gerufen. Die Polizei wolle ihn sehen. K. geht mit dem Aufseher in den 1. Stock. Kaum öffnet sich die Tür, wird er von mehreren Polizisten in den Raum gezogen und mit der Brust an die Wand gedrückt. In der Zelle muss er sich nackt ausziehen. Danach wird er in eine zweite Zelle gebracht. Hier muss er einen Gefängnistrainer anziehen. Essen wird ihm angeboten. Er wird an Händen und Füssen gefesselt. Nun wird er in einen Bus gebracht und fährt alleine mit mehreren Beamten zu einem Gebäude auf dem Flughafen.

 Augenauf-Protokoll zu U.: Um zirka 18 Uhr kommen der Stockchef des Gefängnisses und vier Polizisten in den Bunker. U. wird aufgefordert mitzukommen. In einem Bus fährt er mit sechs Polizisten zum Flughafen.

 Augenauf-Protokoll zu J.: J. versucht zu schlafen. Rund ein bis zwei Stunden später kommen mehrere Polizisten. Sie stürzen sich auf ihn ("ils sont sautés au-dessus de moi") und bringen ihn, ungefesselt!, in einem kleinen Bus zum Flughafen.

 Augenauf-Protokoll zu O.: Um 20 Uhr kommen zirka zwanzig Polizisten und die Vizedirektorin des Flughafengefängnisses in seine Zelle [in den Bunker]. Er muss die "Deportationskleider" anziehen. Alle Auszuschaffenden erhalten dieselbe Kleidung, ein T-Shirt sowie Jeans mit einem speziellen Gürtel, an den die gefesselten Arme gebunden werden können. Der Helm wird O. wieder übergestülpt. So wird er von den Polizisten begleitet auf das Flughafengelände gebracht.

 Augenauf-Protokoll zu K.: Die definitive Fesselung findet in einer Halle beim Werkhof statt. Vorne befindet sich ein Eingangsbereich und hinten durch Stoff (Vorhänge) abgetrennte Kabinen. Die Fesseln liegen sorgfältig vorbereitet auf einem Tisch. K. hört Schreie ("shouting and crying"). Erst hier wird klar, dass die Polizei versucht, ihn auszuschaffen.

 Augenauf-Protokoll zu O: Er wird auf einen Stuhl gesetzt und folgendermassen gefesselt: an den Knöcheln, an den Unterschenkeln, oberhalb der Knie, unterhalb der Hüfte, mit einer speziellen Seilvorrichtung um die Schultern. Er kann sich nicht mehr bewegen.

 Urs von Arb, BFM: Es geht nicht um Demütigung oder Einschüchterung. Die Polizei ist vorsichtig. Sie sieht zu, dass sie die Fesseln immer schnell lösen kann. Bei einem Sonderflug nach Lagos im November 2009 wurden die Fesseln gelöst. Und prompt wurde das erbarmungslos ausgenützt. Wäre das nicht geschehen, wenn die Häftlinge stärker gefesselt worden wären? Tatsache ist: Die Häftlinge konnten sich damals befreien. Es kam zu einem Tumult.

 Walter Angst, Augenauf: Die Auszuschaffenden sprechen davon, dass sie zusammengeschnürt werden wie ein Paket.

 Urs von Arb, BFM: Ich habe eine Zeichnung von Augenauf gesehen, die darstellt, wie die Leute gefesselt werden. Das sind Impressionen von Leuten, die das so gesehen haben. Aber ich kann das nicht kommentieren.

 Zürcher Regierungsrat: Nur Rückzuführende, die nicht gewillt sind, auf eigenen Füssen zu gehen, werden bei grosser Renitenz auf einem sogenannten Flugzeugrollstuhl zum Flugzeug transportiert. Um ein Herunterfallen zu vermeiden, werden die dafür vorgesehenen Sitzgurte angelegt.

 Augenauf-Protokoll zu K.: Mit einem breiten Band um die Brust wird er hinten auf einen Rollstuhl fixiert.

 Augenauf-Protokoll zu O.: Nach der Fesselung trifft er auf die anderen Auszuschaffenden, die auf die gleiche Weise gekleidet und gefesselt sind. Auf ihren Helmen steht eine Nummer.

 Augenauf-Protokoll zu J.: Der Boxhelm, der J. übergezogen wurde, war so eng, dass er starke Kopfschmerzen bekam. Er sagt, er habe sich die ganze Zeit sehr ruhig verhalten und sich nicht gewehrt. In der Halle habe es etwa vierzig bis fünfzig Polizisten gehabt, die ständig hin und her rannten. Manche der gefesselten Leute hätten geschrien und geweint. In diesem Raum blieb er etwa vier bis fünf Stunden. Einmal sei er mit einem Sandwich gefüttert worden.

 Urs von Arb, BFM: Natürlich sind die Level-4-Ausschaffungen heftig. Ich habe das selber auch schon beobachtet. Das sind Eingriffe in die Freiheit eines Menschen. Man tut das nicht leichtfertig. Wenn man zusieht, wie die Leute gefesselt werden und einen Helm übergezogen bekommen, dann hinterlässt das einen starken Eindruck - vor allem das erste Mal, auch bei mir.

 Augenauf-Protokoll zu U.: Wenn U. aufs Klo muss, kann er in Begleitung eines Polizisten, welcher ihn an einem Seil hält, hinschlurfen.

 Zürcher Regierungsrat: Für einen Toilettengang werden den Rückzuführenden die Fesselungen soweit nötig entfernt bzw. gelockert.

 Augenauf-Protokoll zu U.: Die Kabelbinder zu den Beinen werden durchgeschnitten. Der Polizist öffnet den Reissverschluss der Hose und holt U.s Penis raus.

 Walter Angst, Augenauf: Das ist eine unglaubliche Demütigung. Die Polizei demonstriert ihre brutale Übermacht. Die Häftlinge werden so sehr eingeschüchtert, dass sie alle ruhig sind. Die Polizei sagt natürlich nicht, dass es um eine Machtdemonstration geht. Für sie geht es um die Sicherheit.

 Urs von Arb, BFM: Ich weiss nicht, was im Einzelfall passiert ist. Ich kann das nicht kommentieren. Aber selbst wenn das geschehen wäre, es ist sicher nicht Standard.

 Was danach geschah, ist nicht ganz klar. Laut Aussagen der Flüchtlinge ereignete sich in der Nacht von Mittwoch auf Donnerstag Folgendes: Die Nummern der sechzehn Auszuschaffenden wurden aufgerufen. Die Polizei brachte einen nach dem anderen auf das Rollfeld, wo die Chartermaschine wartete. Einige Flüchtlinge wurden auf einem Rollstuhl gefesselt von Polizisten in das Flugzeug getragen, andere an der Seilvorrichtung an ihrem Oberkörper die Treppen hochgehievt. Im Flugzeug setzten sich jeweils zwei oder drei Polizisten neben und hinter die Flüchtlinge und banden sie an der Rückenlehne fest.

 Der Abflug verzögerte sich. Einem Flüchtling, der um 23.45 Uhr ins Flugzeug getragen wurde, sagte die Polizei, der Flug sei annulliert worden, sie wüssten aber nicht, warum. Daraufhin wurden die Flüchtlinge wieder ins Flughafengefängnis gefahren. Es hiess, der Flug gehe vielleicht am nächsten Tag.

 Augenauf-Protokoll zu C.: C. kann sich an keinerlei Details erinnern. Ihm fehlen die Worte. Er möchte nicht mehr darüber reden. Er sagt, niemand habe sie darüber informiert, was passiert sei. Erst am Fernsehen habe er dann gesehen, dass ein Mann gestorben sei.

 Augenauf-Protokoll zu O.: Um zirka 1 Uhr morgens kommt die Vizedirektorin des Flughafengefängnisses und sagt, es habe Probleme gegeben.

 Augenauf-Protokoll zu K.: Den Rest der Nacht schlafen sie gemeinsam in einer grossen Zelle. Erst am nächsten Tag werden sie dann auf die Stockwerke verteilt.

 Augenauf-Protokoll zu O: Am Morgen kommen Gefängnisdirektor und Vizedirektorin und sagen, der Flug sei gestoppt. Am Fernsehen sieht O. später, was passiert ist.

 Augenauf-Protokoll zu C.: Der Direktor kam erst auf schriftliches Verlangen der Gefangenen zu ihnen, um sie zu informieren.

 Augenauf-Protokoll zu O.: Am Freitag, 19. März, kommt der Direktor, als sie auf dem Spazierhof sind, und informiert über den Todesfall. Er inszeniert eine Schweigeminute und sagt, der Tod sei nicht im Gefängnis, sondern auf dem Weg, das heisst unter der Verantwortung der Polizei, eingetreten.

 Pressesprecher, Direktion Flug hafen ge fängnis Zürich: Da zu diesem Vorfall ein Verfahren läuft, können wir leider keine Auskunft erteilen.

 Urs von Arb, BFM: Nach dem 17. März war ich natürlich bestürzt. Ich war nicht vor Ort. Ich wollte wissen, was passiert war. War es ein Herzfehler? Ein Fehler der Polizei? Das darf nicht passieren, aber es geschieht trotzdem - nicht nur in der Schweiz. Der Tod wird derzeit untersucht, die strafrechtliche Verantwortung abgeklärt. Ich kann mich dazu nicht äussern. Nur so viel: Ein Arzt war da. Aber er konnte, soviel ich weiss, nichts machen. Die Rega kam sehr schnell. Aber mehr kann ich wirklich nicht sagen. Die Untersuchungen laufen.

 Rolf Zopfi, Augenauf: Um das geltende Recht durchzusetzen, wer in der Schweiz bleiben darf und wer nicht, haben die Behörden Tote in Kauf genommen. Und sie tun es noch immer. Die Ausschaffungsflüge wurden ja bereits wieder aufgenommen.

 Urs von Arb, BFM: In einem Rechtsstaat muss sich das Recht durchsetzen können. Sonst ist das fatal. Wenn wir sagen: Okay, du hast dich zweimal gewehrt, du kannst hier bleiben - da könnten wir ja gleich sagen: Wer dreimal die Steuern nicht zahlt, muss sie gar nie bezahlen... Dann kapitulieren wir. Und das geht nicht.

 Klar, wir befinden uns an den Grenzen des Rechtsstaats. Es ist wichtig, dass in diesem Grenzgebiet auch die Zwangsmassnahmen unter der Wahrung der Menschenwürde vollzogen werden. Wir machen unsere Arbeit nach bestem Wissen und Gewissen. Aber wie geht man mit diesen Leuten um? Welche anderen Massnahmen gibt es denn? Wenn wir das nicht so machen, wie dann?

 Rolf Zopfi, Augenauf: Wir werden bestimmt keine Tipps geben, wie die Polizei die Ausschaffungen zu vollziehen hat! Wir stellen einfach fest: Es ist eine unmenschliche und erniedrigende Behandlung, die gegen die Antifolterkonvention verstösst - und eventuell gar zu Toten führt.

 Urs von Arb, BFM: Die Leute wurden zuvor aufgefordert, in das Flugzeug zu steigen. Aber das hat nicht funktioniert. Sie haben das Gesetz missachtet. Sie sind ihrer Pflicht, die Schweiz zu verlassen, nicht nachgekommen.

 Wenn sie freiwillig gegangen wären, wäre es nie so weit gekommen.

--

Protokoll einer Ausschaffung Protokoll einer Ausschaffung

 Quellen

 Folgende Quellen liegen dieser Montage zugrunde:

 ≥ Interview mit Urs von Arb, Bundesamt für Migration

 ≥ Interview mit Walter Angst, Menschenrechtsgruppe Augenauf

 ≥ Interview mit Rolf Zopfi, Menschenrechtsgruppe Augenauf

 ≥ Protokolle der Gespräche von Augenauf mit den Flüchtlingen O., K., J., U. und C. (Namen der Redaktion bekannt)

 ≥ Antwort des Zürcher Regierungsrats vom 19. Mai auf eine Interpellation zu Zwangsausschaffungen von Markus Bischoff und Matthias Kestenholz

 ≥ Telefonat mit einem Pressesprecher der Zürcher Kantonspolizei

 ≥ E-Mail mit der Direktion des Flughafengefängnisses

----------------------------
RANDSTAND LU
-----------------------------

NLZ 15.7.10

Jan Bühlmann

 Mister Schweiz brüskiert die Gassenküche

Andreas Bättig

 In einem Interview äussert sich der schönste Schweizer despektierlich über die Gassenküche Luzern - und entschuldigt sich jetzt.

 Wo trifft man den Mister Schweiz abends garantiert nicht? In einem Interview mit dem "Migrosmagazin" antwortet der Buchrainer Jan Bühlmann auf diese Frage: "In der Luzerner Gassenküche beim Servieren." Ziemlich daneben fand das Pius Strassmann aus Luzern und gründete kurz darauf im Internet die Facebook-Gruppe "Jan Bühlmann zu Besuch in der Gassenküche Luzern".

 Dort heisst es: "Es steht dem amtierenden Mister Schweiz schlecht an, sich auf diese Art und Weise lustig zu machen über eine Gruppe von Menschen, die weder Zeit noch die existenziellen Möglichkeiten hat, sich um Schönheitswettbewerbe zu kümmern." Strassmann stellt auf Anfrage unserer Zeitung klar: "Ich habe absolut nichts gegen Herrn Bühlmann. Die Antwort war einfach unbedarft." Strassmann würde sich freuen, wenn Bühlmann die Gassenküche besuchen würde.

 "Das war nicht meine Absicht"

 Laut Jan Bühlmann kam es folgendermassen zur Antwort im "Migrosmagazin": "Meine ursprüngliche Antwort war offenbar nicht genug speziell." Da es dem "Migrosmagazin" um etwas Einmaliges ging, habe er sich zu einer solch falschen Aussage verleiten lassen. "Im Nachhinein bereue ich meine Unüberlegtheit, denn wirklich so empfinden tue ich nicht", sagt Bühlmann. In jenem Moment habe er über die Wirkung seiner Aussage nicht nachgedacht. "Es war absehbar, dass meine Aussage beleidigend wirkte. Das tut mir leid, denn das war nicht meine Absicht."

 Für Fridolin Wyss, Leiter der Gassenarbeit Luzern, kann man die Aussage von Jan Bühlmann auf zwei Arten verstehen. "Vielleicht wollte er damit sagen, dass er das schlicht nicht kann." Oder aber er habe eine Abwehrhaltung gegenüber der Institution und randständigen Menschen, was in den Augen von Wyss sehr schade wäre. Für Wyss ist das aber nicht überraschend: "Viele Leute hätten Mühe, sich in der Gassenküche aufzuhalten oder gar zu bedienen." Völlig zu Unrecht, wie er findet. "Die Leute sind einfach verunsichert, weil sie die randständigen Menschen nicht kennen."

 Tatsächlich ist Jan Bühlmann schon einmal in der Gassenküche gewesen. Für ihn wäre es gut möglich, dort zu servieren, wie er klarstellt: "Ich habe kein Problem mit Randständigen und würde deshalb diese Aufgabe als Bereicherung ansehen."

 Mittagessen für 5 Franken

 Fridolin Wyss hat schon erlebt, dass Besucher, sobald sie mit den suchtbetroffenen Menschen in Kontakt getreten sind, eine Überraschung erleben und merken, dass gar nichts dabei ist, in der Gassenküche zu sein. Deshalb lädt Wyss den schönsten Schweizer auch ein. "Er ist bei uns für ein Mittagessen herzlich willkommen. Gerne würde ich mit ihm dort essen, und sicher würde es ein Gespräch mit unseren GasseChuchi-Gästen geben", sagt Wyss. Pro Tag sind rund 100 bis 150 Personen in der Gassenküche, ein Mittagessen kostet 5 Franken.

 andreas.baettig@neue-lz.ch

--

 Video-Überwachung

 Gemeinden entscheiden

 Über den Einsatz von Überwachungskameras im öffentlichen Raum können die Gemeinden in eigener Regie entscheiden - wenn sie die entsprechenden Reglemente ausgearbeitet haben. Datenschützerische Mindeststandards müssen eingehalten werden.

 Eine einheitliche kantonale Regelung gibt es in Luzern noch nicht. Es ist jedoch eine Gesetzesvorlage zur Frage der Videoüberwachung auf öffentlichem Grund im Kantonsrat hängig. Sagt das Parlament zu einer solchen Ja, dürften künftig nicht nur kommunale, sondern auch kantonale Behörden Überwachungskameras im öffentlichen Raum einsetzen.

----------------------------
NACHTLEBEN SG
-----------------------------

St. Galler Tagblatt 15.7.10

Wo Jugendliche Party feiern

Reto Voneschen

 Das St. Galler Stadtzentrum ist heute Ausgehmeile für Jugendliche aus der ganzen Ostschweiz. Die mobile Jugendarbeit beobachtet diese Szene und versucht, beruhigend auf sie einzuwirken.

 Wem gehört der öffentliche Raum der Stadt St. Gallen? Unter diesem Titel beleuchtet das Sommerprogramm der SP-Stadtpartei Aspekte des Lebens in der Innenstadt. Am Dienstag ging's auf einem Spaziergang um das Ausgehverhalten der Jugendlichen und die Aufgabe der mobilen Jugendarbeit im Zentrum.

 Treffpunkt für die ganze Region

 Jugendliche im Ausgang. Das Thema wird - bei Medien und Innenstadt-Bewohnern - immer aktuell, wenn die warme Jahreszeit naht. Dann finden sich an schönen Wochenenden Hunderte Jugendlicher aus der weiteren Region an informellen Treffpunkten im öffentlichen Raum ein, hängen, diskutieren, flirten, streiten und konsumieren - natürlich - Alkohol und Cannabis. Lärm in den Nachtstunden und die Abfalllawine, die am Morgen danach sichtbar wird, sorgen immer wieder für rote Köpfe. Diskutiert wird in dem Zusammenhang allerdings meist nur über Jugendliche. Obwohl - natürlich - auch ältere Semester aus der ganzen Region im Wochenendausgang im Zentrum über die Stränge hauen.

 Der SP-Spaziergang mit Mitarbeitern des Jugendsekretariats führte am Dienstagabend zu informellen Treffpunkten Jugendlicher in der Innenstadt - ins rote Bleicheli, ins Bahnhof-, Graben- und Mangenpärklein. Die vier Orte haben Gemeinsamkeiten, jeder hat aber auch seine Eigenheiten. Diese stellte Hans Ueli Salzmann, Chef der mobilen Jugendarbeit, vor (siehe unten).

 Gesprächspartner für Junge

 Es gibt in der Stadt kaum jemanden, der das Ausgehverhalten Jugendlicher so gut kennt, wie Salzmann. Schon im fünften Sommer besucht sein Team in Zweiergruppen in warmen Nächten informelle Treffs, von denen es in der Innenstadt etliche gibt. Die Jugendarbeiter beobachten das Ausgehverhalten, suchen das Gespräch und helfen in Notlagen. Im Dialog versuchen sie auch, Verständnis für Anwohneranliegen zu wecken, positiv Einfluss auf das Verhalten der Jungen zu nehmen, heikle Situationen zu entschärfen. Nicht ihre Aufgabe ist es, Vorschriften durchzusetzen. Dafür ist die Stadtpolizei da, die seit einigen Jahren an Wochenenden in der Innenstadt verstärkt patrouilliert.

--

 Noch eine "Tankstelle"

 Junge treffen sich im Ausgang nicht in Restaurants und Bars, sie bevorzugen den öffentlichen Raum. Informelle Treffs bilden sich oft in der Nähe von Läden, die bis in die Nacht hinein Alkohol verkaufen. Beispiele sind der "Avec" am Hauptbahnhof oder der Tankstellenshop am Unteren Graben 24. Neu soll es so einen Laden auch an der Kornhausstrasse geben. Wie auf einer SP-Führung am Dienstagabend bekanntwurde, ist ein Baugesuch für einen Pronto-Shop von Coop an der Kornhausstrasse gegenüber der Kantonalbank hängig. (vre)

--

 Raiffeisen is watching you

 Der Rote Platz im Bleicheli gehört zu zwei Dritteln der Stadt, zu einem Drittel den benachbarten Grundeigentümern, in erster Linie der Raiffeisen-Gruppe. Dass sie hier ihre Bürohäuser hat, wirkt sich auf die jugendliche Partyszene überraschend aus: Hier verkehren vor allem ganz Junge und Jüngere. Darunter sind gemäss Beobachtung der städtischen Jugendarbeiter viele Gruppen junger Frauen. Sie fühlten sich hier - anders als auf anderen Plätzen der Stadt - offenbar auch in der Nacht vor Belästigungen sicher. Die Szene auf dem Roten Platz gilt im Vergleich zu anderen informellen Treffs im Zentrum als eher ruhig. Dass das so ist, dürfte zu einem schönen Teil den Sicherheitsmassnahmen der Bank zu verdanken sein. So werden die Raiffeisen-Gebäude videoüberwacht, und in "heiklen" Nächten ist die Securitas ständig präsent.

 Wo Szenen sich mischen

 Das Bahnhofpärklein ist für Jugendliche, die im Stadtzentrum in den Ausgang gehen, im wahrsten Sinne des Wortes ein zentraler Ort. Dies trotz des verstaubten Designs Typ "Farbige Blumenrabatte mit Kleinkunstwerk". Wer hier sitzt, weiss immer, welche Personen und Gruppen im Ausgang sind: Alle, die vom Bahnhofplatz in die Altstadt wollen, müssen hier vorbei. Und das zweite Plus für die Nachtschwärmer: Die "Tankstelle" liegt mit dem "Avec" gegenüber. Für die mobile Jugendarbeit nicht unbedenklich ist, dass sich hier am frühen Abend Jugendliche und Randständige mischen, was zu "Risikobekanntschaften" führen könne, wie es am Dienstag auf dem SP-Spaziergang hiess. Der Ort lädt zu Pöbeleien ein - aufgrund der Anordnung der Sitzbänke und weil jeder weiss, dass er hier jeden, mit dem er eine offene Rechnung hat, treffen kann.

 Etappenziel für Betrunkene

 Keine guten Noten bezüglich Gestaltung bekommt das Grabenpärklein an der Poststrasse von den Jugendarbeitern. Was tagsüber eine lauschig grüne Oase in der Sommerhitze ist, wird in der Nacht dank viel Grünzeug und miserabler Beleuchtung zu einer dunklen, unübersichtlichen Ecke. Das Plätzchen sei nächtens bei Erwachsenen wie Jugendlichen unbeliebt, sagen die Jugendarbeiter. Viele machen einen grossen Bogen darum herum. Am frühen Abend ist die Grünfläche mit dem Fassbrunnen von Roman Signer eine Nische für Liebespaare, die ungestört sein wollen. Später in der Nacht stranden hier oft Betrunkene aller Altersgruppen, die es nicht mehr in einem Zug von der Altstadt zum Hauptbahnhof schaffen. Immerhin: Die Baudirektion hat versprochen, dass die Beleuchtung mit der Aufwertung der Poststrasse besser wird.

 Party zwischen Kirche und Shop

 Der Klassiker unter den informellen Treffs für Jugendliche im Wochenendausgang: Das Pärklein war eine der ersten Freiflächen im Zentrum, die von jugendlichen Nachtschwärmern zur Partyzone umfunktioniert wurde. Das löste damals den Vorstoss "Sodom und Gomorrha zu St. Mangen" eines FDP-Stadtparlamentariers aus. So ganz falsch ist der theologisch angehauchte Titel nicht: Südlich der Grünfläche liegen Kirche und Kirchgemeindezentrum St. Mangen. Auf der Nordseite ist der dicht befahrene Untere Graben mit dem bekanntesten Tankstellenshop der Stadt, dem "UG 24". Rund um den Park gibt es viele Anwohner. Wer auf der Mauer an der Westseite sitzt, "kontrolliert" die von jungem Partyvolk begangene Strasse zwischen Marktplatz und Tankstellenshop, was gemäss den Fachleuten des Jugendsekretariats Konfliktpotenzial hat. (vre)

-----------------------------
NACHTLEBEN CH
-----------------------------

swissinfo 15.7.10

"Mehr Gewalt durch 24-Stunden-Betrieb"

 Gejohle, Vandalismus und Schlägereien biertrinkender Jugendlicher auf der Strasse - das ist am Wochenende in den Städten Courant normal. Der 24-Stunden-Betrieb führe zu einer Zunahme der Gewaltdelikte, sagt Strafrechtsprofessor Martin Killias.

 Tatsache ist: Heute gehen viel mehr Jugendliche als früher in den Ausgang. Und ihr Ausgehverhalten hat sich verändert: Sie verabreden sich oft erst spät, bleiben bis zum Morgengrauen - und trinken zum Teil sehr viel Alkohol. "Wir haben starke Indizien dafür, dass die Jugendgewalt massiv zurückgehen würde, wenn die Jugendlichen nicht mehr bis in alle Nacht hinein im Ausgang wären", sagt Martin Killias im Tages-Anzeiger. "Wenn der Staat also gewillt ist, die Jugendgewalt abzubauen, wären die Polizeistunde oder Zeitlimiten für Kinder taugliche Massnahmen."

 "Mehr Gewalt durch Angebot"

 Für Killias ist die Ausgeh-Gesellschaft "nicht in Stein gemeisselt". Er könne sich durchaus vorstellen, dass der 24-Stunden-Betrieb der Kernstädte heruntergefahren würde. Oder der Alkoholverkauf ab Mitternacht verboten wäre. Der oft pauschale Vorwurf, die Eltern würden ihre Erziehungsaufgabe nicht wahrnehmen und die Kinder nicht früh genug ins Bett schicken, hält Killias für verfehlt. Angesichts des grossen Freizeitangebotes am Abend und in der Nacht werde es ihnen sehr schwer gemacht, sich durchzusetzen. Der Anteil jener Jugendlicher, die sich nicht an die Zeitvorgaben der Eltern hielten, habe in den letzten 15 Jahren massiv zugenommen. Zudem sagten Jugendliche ihren Eltern auch häufig nicht mehr, mit wem sie ausgingen.

 "Verantwortung wird abgeschoben"

 Was hält man in Zürich von diesen Vorschlägen? "Ich glaube nicht, dass ein solcher Ansatz im Moment politisch den Hauch einer Chance hätte", sagt Reto Casanova, Sprecher des Polizeidepartements der Stadt Zürich gegenüber swissinfo.ch.Natürlich könne man die Frage aufwerfen, inwiefern die Städte Verantwortung übernehmen sollten. Man könne auch darüber diskutieren, ob etwa nachts die Verkehrs-Dienstleistungen abzubauen wären. "Doch es ist etwas einfach zu sagen, die Städte müssten Verantwortung übernehmen. Auf diese Weise wird die Verantwortung abgeschoben, damit ist niemandem gedient", sagt Casanova. "Im Grunde genommen müsste jeder Bürger selber überlegen, was er tun kann." Casanova sieht drastischere Massnahmen nicht als Lösung zur Eindämmung der Jugendgewalt: "Die Polizei kann im Grunde genommen nur Symptome behandeln, an den Ursachen kann sie nichts ändern."

 "Konflikte programmiert"

 Der gleichen Meinung ist Alexander Tschäppät, Stadtpräsident von Bern, wo man im Gegensatz zu Zürich eine Sperrstunde kennt: "Nicht die Städte, sondern die ganze Gesellschaft trägt Verantwortung." Bei den nächtlichen Alkohol-Exzessen gehe es um ein gesellschaftliches Phänomen, eine Erscheinung einer wohlstandsgeprägten Gesellschaft. In Bern habe man zwar eine Sperrstunde, trotzdem gebe es Probleme. Der Jugendalkoholismus und die Parties zu später Stunde nähmen zu. Infolge des Rauchverbots hielten sich die Leute zudem vermehrt auf den Strassen auf, wodurch zusätzlicher Lärm entstehe. "Damit sind Konflikte programmiert."

 Preiszerfall beim Alkohol

 Klar müsse sich jede Stadt überlegen, wie viel Nachtleben sie bieten wolle, doch sei das Angebot einer Stadt nicht attraktiv genug, würden die Leute einfach weiterziehen. Laut Tschäppät braucht es in den Städten nicht nur eine bessere und öffentlich sichtbare Polizei, sondern sind auch drakonische Strafen für Lokale, die sich nicht an die Auflagen halten, unerlässlich."Die Städte können Schliessungszeiten verschärfen, Polizeikontrollen verstärken, an neuralgischen Stellen Videoüberwachung einführen - doch im Grunde genommen ist das alles Symptombekämpfung", so Tschäppät. Die Städte könnten unmöglich alles kontrollieren. So gingen in Bern die Jugendlichen häufig Alkohol einkaufen und dann an den Ufern der Aare zum Feiern. In einem liberalen Land wie der Schweiz könne und wolle man ja schliesslich kein Trinkverbot in der Öffentlichkeit einführen. Als "Katastrophe bezeichnet der Berner Stadtpräsident den Preiszerfall beim Alkohol, den er für den zunehmenden Jugendalkoholismus mit als Grund sieht. Heute könnten sich ein halbes Dutzend Jugendliche mit ein paar Büchsen Redbull und einer Flasche Wodka zum Preis von einem Kinobillet zudröhnen. "Würde der Alkohol wieder teurer werden, würde auch weniger getrunken", ist Tschäppät überzeugt.

Corinne Buchser, swissinfo.ch

------------------------
BBLACKBOXX
--------------------------

WoZ 15.7.10

bblackboxx aus Basel

 Die Angst geteilt

 Die ersten Tage der zweiten Aktionswoche der bblackboxx (siehe WOZ Nr. 24/10) waren überschattet von internen Differenzen und der Abreise eines Teils der beteiligten Künstler. Dafür sind alte Bekannte wieder aufgetaucht. So zeigt sich die Nachhaltigkeit einiger Projekte, die in den vergangenen Jahren hier durchgeführt wurden, etwa die des Picture Service 2008. In einem Asylheim in Allschwil ist kürzlich während einer Razzia ein Mann zu Tode gekommen, als er aus einem Fenster stürzte. Selbstmord oder Unfall, jedenfalls erinnerte sich einer seiner Freunde an die Bilder, die hier gemacht worden waren, und kam in der bblackboxx vorbei, um sie zu kopieren, für sich und für die Familie des Toten.

 Einer der Sans-Papiers im benachbarten Ausschaffungsgefängnis hat einen Text verfasst, in dem er zu ergründen sucht, welche Beweggründe die Entscheidungsträger antreiben: "Es ist die Angst davor zu helfen, auf der diese Verurteilung basiert. Vielleicht ist es auch nur die Angst davor, etwas zu geben, ohne etwas zurückzubekommen, weil sie die Armut fürchten." Das entbehrt bei aller Tragik nicht einer gewissen Komik: Derjenige, welcher vor der Armut geflüchtet ist, und diejenigen, die ihren Besitzstand wahren wollen, teilen dieselbe Angst.

 Mit etwas Glück begegnet man hier auch Anni Lanz, einer seit über zwanzig Jahren engagierten Menschenrechts aktivistin und Initiantin des Basler Solinet (siehe WOZ Nr. 27/10). Nachdem sie mit politischen Vorstössen immer wieder verloren hatte, beschloss sie, "näher an die Sache ranzugehen", und berät seither Insassen des Ausschaffungsgefängnisses in Rechtsfragen, oft ohne positives Resultat. Auf die Frage, wie sie die ständige Frustration aushalten konnte, antwortet sie lächelnd: "Die Gesetze sind immer komplizierter geworden, deshalb musste ich dranbleiben. Wenn ich mal Pause gemacht hätte, wäre ich rausgefallen." Seit etwa fünf Jahren besucht sie regelmässig Insass Innen und erteilt ihnen Deutschunterricht. Sie wird von einer Gruppe älterer Frauen und einem Jesuiten sekundiert. Nein, nichtchristliche Männer haben wir unter den unbezahlten Freiwilligen bisher keine getroffen. Suzanne Zahnd

 Die bblackboxx ist bis 12. September geöffnet. Nächste Aktionswoche: 2. bis 8. August. Öffnungszeiten und Anfahrtswege unter http://www.bblackboxx.ch

-------------------------------------
STADTENTWICKLUNG
-------------------------------------

WoZ 15.7.10

Stadtentwicklung-Die Stadt wird zur Ware, warnen Stadtforscherinnen und Aktivisten. An einem Treffen in Zürich zeigten sie erste Resultate eines Städtevergleichs und suchten nach den Trends, die heute die Entwicklung der meisten Städte bestimmen.

 Jedem Land sein Dubai-City

 Von Daniel Stern

 So viele Plakate. 35 Städte aus der ganzen Welt werden auf jeweils mehreren Postern porträtiert. Die Stellwände ziehen sich durch verschiedene Räume der Roten Fabrik. Im Zürcher Kulturzentrum hat Ende Juni der 20. Kongress des International Network for Urban Research and Action (Inura) stattgefunden. Dem Netzwerk gehören Leute aus Wissenschaft und Verwaltung ebenso an wie AktivistInnen aus städtischen Umwelt- und Basisgruppen. Ihnen gemeinsam ist eine kritische Haltung gegenüber aktuellen Trends der Stadtentwicklung, die sich weltweit manifestieren. Im Fokus stehen etwa grosse Stadterneuerungsprojekte, Entwicklungen an der Peripherie, Verkehr, Wohnungsbau, Partizipation und soziale Bewegungen. Seit 2008 arbeiten die verschiedenen Inura-Gruppen an einem Städtevergleich: Was sind die Trends im "New Metropolitan Mainstream"? Ende Juni haben rund achtzig Wissenschaftlerinnen und Aktivisten erste Resultate ihrer Studien in Zürich vorgestellt und mit einer interessierten Öffentlichkeit diskutiert.

 Die Plakate in der Roten Fabrik sind einheitlich gestaltet. Sie basieren auf Informationen und Daten, welche die Inura-Mitglieder aus ihren Städten zusammengetragen und in Google -Stadtpläne eingespeist haben. Und sie erzählen Geschichten: Geschichten von Prestigeprojekten, die die Stadt konkurrenzfähiger machen sollen; Geschichten von QuartierbewohnerInnen, die vertrieben worden sind, weil sie nicht ins Bild und in die Verwertungs logik passen; Geschichten aber auch vom Widerstand gegen eine Stadtplanung von oben. Plakate über explodierende Megastädte wie Mexiko-Stadt und Kairo mit jeweils rund zwanzig Millionen EinwohnerInnen finden sich neben solchen von Bern oder der US-Stadt Green Bay, die kaum 100 000 EinwohnerInnen zählt.

 Trend 1: Interurbane Konkurrenz

 Die Stadt Zürich zeigt sich während der Konferenz von ihrer besten Seite. In der Roten Fabrik herrscht eine entspann te Atmosphäre. Die Sonne scheint, der angrenzende See lädt zum Bade. Auch Stadtpräsidentin Corine Mauch hält eine Rede - sie gleicht einem Werbespot für Zürich: Die Stadt sei erfolgreich und wachse, von "Urbanität und Diversität" geprägt, "ein Schmelztiegel diverser Lebensstile". Auch Zürich könne sich allerdings "vor der internationalen Konkurrenz nicht abschotten", betont Mauch.

 "Konkurrenzfähigkeit" ist ein Begriff, der im Verlauf der Diskussionen und in der Ausstellung immer wieder auftaucht. Städte stehen in Konkurrenz zu anderen Städten - eine Ansicht, die kommunale Behörden weltweit zu beherrschen scheint. Die eigene Stadt muss deshalb aus der Masse der andern Städte herausragen. Sogenannte "Flaggschiff"-Projekte - ein neues Stadion, ein Wolkenkratzer, ein Kongresszentrum - sollen dazu beitragen, über die Stadtgrenzen hinaus wahrgenommen zu werden. Man hofft auf den "Bilbao-Effekt". Der baskischen Stadt gelang mit dem 1997 fertiggestellten Guggenheim-Museum ein tiefgreifender Imagewandel. Das spektakuläre Bauwerk des Stararchitekten Frank Gehry machte die Industriestadt zu einer Tourismusdestination mit jährlich einer Million BesucherInnen.

 "Die Stadt ist nicht mehr nur der Ort, wo Waren gehandelt werden, sie ist selber zur Ware geworden", fasst Inura-Mitgründer und ETH-Professor Chris tian Schmid den Trend zusammen. Dabei werden sowohl die Megastädte des Südens wie auch eher durchschnittliche Städte im Norden von diesem Trend erfasst. In einem Inura-Arbeitspapier heisst es: "Jede Stadt hat heute ihre Sehenswürdigkeiten, Festivals und Events, trendige Quartiere und standardmetropolitane Architektur. Paradoxerweise führt dies jedoch wieder zur Uniformierung und zu einem Verlust von Qualität."

 Trend 2: Die Stadt "aufwerten"

 Zum Warencharakter der Stadt gehört auch das Bestreben vieler Stadtbehörden, das Stadtleben "aufzuwerten". Aus Slums oder Arbeiterquartieren entstehen Zonen für den Mittelstand und die Oberschicht. Immer mehr breiten sich auch sogenannte "gated communities" aus: mit Mauern und Zäunen abgeschlossene und bewachte Quartiere, in denen sich privilegierte Bevölkerungsteile abschotten. Solch soziale Umschichtungs- und Segregationsprozesse laufen teils angestossen durch staatliche Investitionen, teils mit privaten Geldern ab. Sie können brachial durchgesetzt werden, wie kürzlich die polizeiliche Räumung von Slums im südafrikanischen Bundesstaat Kwazulu-Natal. Sie folgen aber auch subtileren Entwicklungen wie etwa der sogenannten Gentrifizierung: Billige Mieten ziehen Pioniere der Umgestaltung - Studentinnen und Künstler - an. Diese machen ein Quartier zum In-Treffpunkt und attraktiv für weitere, auch kaufkräftigere NeuzuzügerInnen. Als Folge steigen die Mieten, und SpekulantInnen entwickeln Bauprojekte, die das Quartier verändern.

 In der Plakatausstellung finden sich zahlreiche Beispiele von Stadtteilen, die sich gentrifizieren. Allerdings ist das schwer messbar, weil vergleichbare Daten fehlen - Schmid spricht von "qualitativer Einschätzung". Wie unterschiedlich solche Einschätzungen sein können, zeigt das Beispiel St. Petersburg: Zu dieser Stadt haben zwei Gruppen unabhängig voneinander Informationen zusammengetragen. Während die eine grosse Gebiete als "vernachlässigt" eingezeichnet hat, sieht die andere Gruppe am selben Ort erste Anzeichen eines Wandlungsprozesses.

 Auf den ausgestellten Postern werden auch "Projekte des Widerstandes" identifiziert. In Zürich ist das - laut Plakat - die Rote Fabrik. Tatsächlich hat sich die Zürcher Jugendbewegung Anfang der achtziger Jahre die Rote Fabrik als alternatives Kulturzentrum erkämpft. Heute ist sie ein etablierter Kulturbetrieb, und es darf gefragt werden, ob solche Projekte nicht selber wieder zur Gentrifizierung beitragen. Die erkämpften Räume von damals sind heute Argumente für Standortqualität: Wenn Stadtpräsidentin Mauch vom urbanen Ambiente Zürichs schwärmt, dient ihr die Rote Fabrik als Beleg dafür.

 Trend 3: Die "Dubaiisierung"

 Für besonders viel Diskussionsstoff sorgt am Inura-Kongress die Entwicklung der Städte in den Entwicklungsländern. "Dort liegen die herausragenden Metropolen des 21. Jahrhunderts", ist etwa die Urbanismusforscherin Ananya Roy von der University of California in Berkeley überzeugt. "Für viele StadtplanerInnen des Südens gelten Singapur, Schanghai und Dubai als Vorbilder", sagt Christian Schmid. Das bestätigt auch Ezana Yoseph, Stadtforscher aus Addis Abeba: "Es gibt eine Dubaiisierung von Addis Abeba: Die Reichen in der Stadt wollen kopieren, was in Dubai gebaut wird." Die äthiopische Hauptstadt zählt rund sechs Millionen EinwohnerInnen. Achtzig Prozent von ihnen wohnen in Hütten. Jetzt errichten chinesische Baufirmen Autobahnen und grosse Wohnblöcke.

 Auch in Kairo, einer Stadt mit annähernd zwanzig Millionen Einwohner Innen, seien viele StädtebauerInnen speziell von Dubai beeindruckt, sagt die Stadtforscherin Constanza la Mantia. Die Stadt drohe zunehmend ihre Identität zu verlieren. "Der öffentliche Raum verschwindet", sagt sie, "selbst für das Spazierengehen am Nil muss man heute Eintritt bezahlen."

 Für Ananya Roy sind die Städte des Südens Zonen für Experimente geworden. Sie erläutert das am Beispiel des chinesischen Shenzhen, das sich zur Weltproduktionsstätte für Computer und Handys entwickelt hat. "Hier ist die erste Sonderwirtschaftszone Chinas entstanden", sagt sie, "und die wird nun von vielen Ländern kopiert." Shenzhen zeige durch den Umgang mit WanderarbeiterInnen und deren Entrechtung auch auf, wohin solche Entwicklungen führen können, sagt sie mit Verweis auf die Suizidwelle unter den Beschäftigten im Shenzhener Werk der Firma Foxconn, die kürzlich bekannt geworden ist.

 Roy macht auf einen weiteren Trend in vielen Städten des Südens aufmerksam, der im Inura-Städtevergleich noch keinen Niederschlag gefunden hat: "Die urbanen Eliten entscheiden oft im informellen Rahmen über Bauprojekte - auch gegen bestehende Gesetze." Zudem spiele in Stadtentwicklungskonzepten oft der Populismus eine Rolle. Als Beispiel nennt sie die Hisbollah-Partei in Beirut: Sie trage zwar durchaus zum Aufbau eines vom Krieg zerstörten Gebietes bei, beherrsche jedoch gleichzeitig den Prozess und hindere dadurch die Bevölkerung daran, sich kollektiv am Wiederaufbau zu beteiligen.

 Zwei Tage öffentliche Veranstaltun gen, ein Tag Expeditionen durch Zürich und drei Tage, an denen die Inura-Mitglieder in Workshops weiterdiskutierten; nach dem Zürcher Kongress ziehen die OrganisatorInnen, die gleichzeitig MitgründerInnen der Inura sind, eine positive Bilanz: "Es war nicht, wie so oft, einfach nur ein Vorstellen der eigenen Arbeit", sagt Christian Schmid. "Die Leute arbeiteten hier wirklich am Thema weiter." Die Suche nach dem neuen metropolitanen Mainstream hat weiteren Schwung bekommen. In einem nächs ten Schritt werden die Plakate über arbeitet, sagt der Sozialwissenschaftler Richard Wolff. Die einzelnen Stadtpläne sollen mit weiteren Informationen auf eine Website gestellt und so öffentlich zugänglich gemacht werden.

 Wolff ist überzeugt, dass der Städtevergleich den Blick auf die eigene Stadt schärft. Ausserdem können Basisgruppen so erkennen, dass sie mit ihren Anliegen nicht allein sind. "In vielen Städten wird an ähnlichen Themen gearbeitet, werden ähnliche Kämpfe geführt. Die Karten können gerade für diese Gruppen Anstösse und Beispiele bieten."

--------------------------
BIG BROTHER
--------------------------

BZ 15.7.10

Fichen: Skandal oder Theater?

 Eine Untersuchung zum Schweizer Staatsschutz zeigt zwanzig Jahre nach der Fichenaffäre diverse Missstände auf: Der Nachrichtendienst hat erneut Daten von 200 000 Personen gesammelt und dabei zum Teil gesetzliche Vorgaben nicht eingehalten. Es diskutieren: Peter Regli, ehemaliger Chef des Nachrichtendienstes, und Alec von Graffenried, Nationalrat Grüne. BZ-Newschef Stefan Geissbühler leitet das Gespräch.

 TeleBärn, heute ab 19.30 Uhr

---

WoZ 15.7.10

Fichenskandal 2.0 - So können Sie Einsicht fordern.

 Bereits hundert Gesuche

 Sie wurden an einer politischen Veranstaltung von der Polizei kontrolliert oder festgenommen? Sie haben ein Einbürgerungsgesuch gestellt? Sie haben bei der Polizei um eine Demonstrationsbewilligung ersucht? Sind Sie Mitglied eines kurdischen Vereins? Gut möglich, dass Sie in der Datenbank ISIS des Inlandgeheimdienstes fichiert sind. Stellen Sie ein Einsichtsgesuch.

 Kurze Zusammenfassungen

 "Wer ein Einsichtsgesuch einreicht, kann einen Beitrag dazu leisten, mehr Licht ins Dunkel der Geheimdienstkeller zu bringen", sagt Viktor Györrfy, Anwalt und Präsident von grundrechte.ch.

 Das Gesuch richten Sie an den eidgenössischen Datenschutzbeauftragten Hanspeter Thür. Seit die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) mit einem Untersuchungsbericht den Fichenskandal 2.0 losgetreten hat, sind bei ihm gut hundert Gesuche eingegangen. Erhält der Datenschützer ein Gesuch, so gehen er oder seine MitarbeiterInnen beim Inlandgeheimdienst vorbei. "Wir schauen uns allfällige Einträge im ISIS genau an", so Thür. Da es (noch) kein Einsichtsrecht gibt, erfahren die meisten Gesuchsteller Innen nicht, ob er etwas gefunden hat oder nicht. Der Datenschützer kann lediglich die Löschung oder Berichtigung der Einträge verlangen.

 Es gibt im Staatsschutzgesetz aber auch eine Ausnahmeklausel: dass ausnahmsweise Einsicht gewährt werden kann, "wenn der gesuchstellenden Person sonst ein erheblicher, nicht wieder gutzumachender Schaden erwächst". Seit 2004 konnte Thür daher rund sechzig GesuchstellerInnen mitteilen, ob sie fichiert waren oder nicht. "Der Grossteil dieser Personen war nicht fichiert", sagt Thür. Laut GPDel bestätigte er in mindestens sechs Fällen, dass eine Fiche vorhanden ist. Diese Personen erhielten auch eine kurze Zusammenfassung des Inhaltes ihrer ISIS-Einträge.

 Belege liefern

 Hanspeter Thür: "Ich kann die Ausnahmebestimmung nicht zum Normalfall umfunktionieren." Entscheidend sei, dass GesuchstellerInnen nachvollziehbar begründen, wieso sie glauben, fichiert worden zu sein. "Wenn jemand dies etwa aufgrund einer Verhaftung annimmt, so sollte er Belege liefern, etwa ein ausgehändigtes Polizeiprotokoll." Der zweite entscheidende Punkt sei, gut zu begründen, warum man durch eine Fichierung einen Schaden erleiden könnte. "Wenn etwa ein Ausländer ein Einbürgerungsgesuch gestellt hat und befürchtet, dass eine mögliche Fichierung der Einbürgerung im Wege steht, dann könnte das ein Grund sein."

 Bei jedem Einsichtsgesuch erfährt der Inlandgeheimdienst den Namen der GesuchstellerIn: "Es gibt keine Anhaltspunkte dafür, dass Leute fichiert worden wären, weil sie ein Einsichtsgesuch gestellt haben", sagt Thür.

 Dinu Gautier

 Einsichtsgesuche sind zu richten an den Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten, Feldeggweg 1, 3003 Bern. Eine Vorlage als Word-Datei ist unter http://www.grundrechte.ch zu finden.

---

Tagesanzeiger 15.7.10

Fichen Eine gutschweizerische Tradition von Ernst Cincera bis heute.

 Schweizer Mentalität des Fichierens

Von Aviva Guttmann*

 Die Geschäftsprüfungsdelegation hat enthüllt, dass der schweizerische Staatsschutz 200 000 Fichen erstellt hat. Bereits 21 Jahre zuvor hatte eine Parlamentarische Untersuchungskommission aufgedeckt, dass vom Staatsschutz im Laufe des Kalten Krieges 900 000 Fichen verfasst wurden. Der Staatsschutz war allerdings nicht die einzige Instanz, die damals fichierte. Am 24. November 1976 wurde das Archiv des selbst ernannten "Subversiven-Jägers" Ernst Cincera und seine Tätigkeit als privater Staatsschützer publik. In den 1960er-Jahren war ein weiterer privater Staatsschützer im Wallis tätig: Marc-Edmond Chantre eröffnete sein persönliches Anti-Subversions-Büro, fichierte linke Aktivisten und gab die Informationen weiter an seine Bekannten in der Privatwirtschaft und an gewisse Behörden.

 Kann man bei dieser Häufung von Fichenaffären von einer Schweizer "Kultur" des Fichierens sprechen? Vergleicht man den heutigen Fall mit Ernst Cinceras Datensammlung, sieht man, dass vieles noch so ist wie damals.

 Ende der 1960er-Jahre begann Ernst Cincera aus Angst vor einem kommunistischen revolutionären Krieg, sein eigenes Fichen-Archiv aufzubauen. Mitte der 1970er-Jahre hatte er ein schweizweit organisiertes Spitzelwesen, das ihn über Aktivitäten der linken Szene unterrichtete. Dadurch erfasste Cincera über 10 000 Namen. Eine revolutionäre Gesinnung vermutete er beispielsweise bei Mitgliedern der POCH und anderen linken Organisationen, bei linken Parlamentariern, Künstlern, progressiven Christen, Schülern, Studenten, Lehrern, unfolgsamen Rekruten, Militärdienstverweigerern, Gewerkschaftern und unzähligen Journalisten.

 "Behauptet, nicht links zu sein"

 Cincera witterte überall Gefahr und unterschied nicht zwischen legitimen Protesten der demokratischen Meinungsäusserung und Tätigkeiten, die diese Ordnung wirklich bedrohten. Cincera hatte deshalb Mühe abzuschätzen, welche Informationen relevant waren. Auf den Fichen hiess es etwa: "Bezieht Post direkt aus Moskau." Oder: "Verbindungen mit UdSSR- und DDR-Botschaft". Und: "Macht marxistischen Eindruck, behauptet aber von sich, nicht links zu sein."

 Obwohl sein Archiv grösstenteils auf Vermutungen beruhte, herrschte eine beträchtliche Nachfrage nach Ernst Cinceras Informationen. Zum Beispiel hatte er eine Anfrage der Personalabteilung der Nestlé Alimenta über 13 linksgerichtete Personen. Wie ein Gerichtsverfahren in einem anderen Fall später zeigte, brauchte Nestlé diese Angaben damals, um Gegnern im Babymilch-Prozess besser Paroli bieten zu können.

 Ein wichtiges Anliegen war damals, die Unterwanderung von Schulen zu verhindern, weshalb Lehrer gerne mit Cincera zusammenarbeiteten. Als 1976 die Kollaboration zwischen dem Rektor H. E. der Sekundarschule in Kehrsatz und Cincera bekannt wurde, klagten viele über die Informationen, die herumgereicht wurden. Wegen Verletzung des Amtsgeheimnisses wurde H. E. von einem Gericht für 14 Tage Gefängnis auf Bewährung bestraft.

 Private und Offizielle

 Cinceras private Tätigkeiten waren den Methoden des offiziellen Staatsschutzes verblüffend ähnlich. Die Politische Polizei Zürich zum Beispiel unterhielt genauso wie Cincera ein Spitzelwesen, bei dem sich die Informanten in linksgerichtete Organisationen einschleusten. Sie konzentrierte sich ebenfalls undifferenziert auf linke Aktivisten und erfassten auch Material aus ungesicherten Quellen.

 Die Geschäftsprüfungsdelegation kritisiert am heutigen Staatsschutz die gleichen Mängel. Nicht nur sammelte er unnütze Daten, sondern übernahm auch fehlerhafte Informationen. Noch immer besteht das Risiko, dass diese die Grundlage von Entscheidungen bilden, die weitreichende Folgen für den Fichierten haben können.

 Der Staatsschutz hat als Reaktion auf die Kritik "restriktive Massnahmen" bei der Verarbeitung der Fichen angekündigt. Das ist nicht sehr konkret und legt den Fokus auf das Falsche. Die Hauptursache für die Fülle an Fichen liegt nicht allein in der Datenverarbeitung, sondern in der Datengewinnung. Wie wir von Ernst Cincera, aber auch vom offiziellen Staatsschutz zur Zeit des Kalten Krieges wissen, hatten die Datensammler Mühe, die echten Gefahren wirklich zu erkennen. Es fehlten ihnen klare Kriterien. Und dies führte zum wahllosen Sammeln von allen möglichen Indizien, egal, aus welcher Quelle.

 Vielleicht liegt das Malaise allerdings auch an der diffusen Gefahrenlage, mit der ein kleines neutrales Land wie die Schweiz konfrontiert ist. Jedenfalls zieht sich die Tendenz, alle möglichen Daten zu sammeln und die Bevökerung zu überfichieren, von Ernst Cinceras Archiv bis heute.

 Man könnte von einer etwas ineffizienten, aber gutschweizerischen Tradition reden.

 * Aviva Guttmann studiert am Institut de Hautes Etudes Internationales et du Développement in Genf und hat den Nachrichtendienst von Ernst Cincera erforscht.

---

Die Zeit 15.7.10

"Man merkt, wo die Post abgeht"

Der Schweizer Staatsschutz hat wie wild Daten von scheinbar verdächtigen Bürgern gesammelt. Professor David Gugerli sagt, die Datenmassen gerieten bald völlig außer Kontrolle

Das Gespräch führte Ralph Pöhner

 DIE ZEIT: Herr Gugerli, Sie erforschen die Geschichte der Datenbanken und des gesellschaftlichen Umgangs mit Informationen. Nun wurde bekannt, dass der Schweizer Staatsschutz erneut. massenhaft Personendaten sammelte. Was ist der Unterschied zum "Fichenskandal" von 1989?

David Gugerli: Es gibt eine Menge Unterschiede. Da wäre zunächst mal die Größenordnung: 1989 wurden fast eine Million Bürger erfasst, jetzt geht es um 200 000.
Zweitens gibt es heute eine klare Regelung Wir wissen zumindest, was der Staatsschutz hätte tun sollen und was nicht. Drittens haben wir es mit ganz anderen Bedrohungsszenarien zu tun als vor zwanzig Jahren.

 ZEIT: Vor 1989 waren dies der Ostblock und der Kommunismus, heute sind es eher Terrorismus und Radikalismus.

 Gugerli: Ja. Damals gab es die Blöcke des Kalten Krieges, und für Staatsschützer war klar, wo die Guten und wo die Bösen sind. Inzwischen erscheinen die wahrgenommenen Bedrohungen vielfältiger: Terrorismus, Handel mit Pornografle, Organisiertes Verbrechen, Waffenschmuggel, Geldwäscherei, Steuerflucht

ZEIT: ... letzte Woche meldete Nachrichtendienst-Chef Markus Seiler, es gebe mehr Spionage im Zusammenhang mit der Finanzkrise.

 Gugerli: Wir haben es mit einer breiteren und diffuseren Bedrohungslage zu tun. Da ist es fast erstaunlich, dass in den Datenbanken nicht noch mehr Personen erfasst wurden.

 ZEIT: Eine nebulöse Lage verlangt nach umfassenderen Staatsschutz-Datenbanken?

Gugerli: Jedenfalls kommt die Größenordnung der 200 000 Überwachten damit in eine andere Perspektive. Es gibt noch einen vierten Unterschied zu 1989: Die Sammeltätigkeit privater Dienste und Firmen ist heute wesentlich umfangreicher und intensiver.

 ZELT: Sie denken an all die Phänomene, wo wir selber unsere Spuren hinierlassen, von Facebook bis zur Cumulus-Karte?

Gugerli: Genau. Daran hat man sich gewöhnt.
 Im Grunde zeigt der aktuelle Fichenskandal — wenn man das überhaupt so nennen will — doch auch, wie sehr die staatliche Regierungsweise an Bedeutung verloren hat.

 ZEIT: Wie wirkt sich das konkret aus?

Gugerli: Ein Beispiel: Was ist relevant zur Beurteilung der ‚Zahlungsfähigkeit einer Person? Heute geht man dafür doch nicht mehr aufs Betreibungsamt, sondern man beauftragt eine Inkassofirma mit der Uberprüfung heikler Kunden.

 ZEIT: Wir haben also inzwischen ein recht lockeres Verhältnis zu unseren Daten.

 Gugerli: Ja, die Datenbank prägt uns. Wir setzen dieses Instrument heute immer voraus, es ist überall präsent in der alltäglichen Praxis.

 ZEIT: Wie sehr spiegelt diese Lockerheit die zunehmend gesicherte Erfahrung mit der Demokratie? Als George Orwell in 1984 einen Kontrollstaat ausmalte, hatte er den Stalinismus vor sich. Heute hat man nicht mal mehr 1984 vor Augen.

 Gugerli: Wir sind da vielleicht wirklich etwas sorglos geworden. Aber man merkt eben auch, dass die Post nicht dort abgeht, wo staatliche Behörden in einem halbwegs vertrauenswürdigen Rahmen handeln. Das Problem der Schweiz sind jedenfalls nicht wild gewordene Geheimdienste, das Problem sind höchstens unfähige oder überforderte Geheimdienste. Und wenn man schon Angst vor solchen Daten-Instanzen hat, so wohl vor Google oder vor irgendwelchen Kreditkartenunternehmen mit ihren Absuchmöglichkeiten. Häufig werden die Uberwachungsängste auch weit weg projiziert. Dann fühlt man sich lieber bedroht durch die Kontrolimöglichkeiten irgendwelcher US-Dienste mit KürzeIn wie NSA, CIA und FBI.

 ZEIT: Andererseits verleitet die Technik zwangsläufig dazu, Daten anzuhäufen. Denn durch Verknüpfung können ständig neue Fragen gelöst werden: je mehr Daten, desto mehr Antworten.

 Gugerli: Das Muster zeigt sich im jüngsten Fall. Zwischen etwa 1995 und 2005 blieb es ruhig in diesem Bereich. Die Bundesbehörden bauten die neue Staatsschutz-Datenbank Isis auf; diese war hierarchisch strukturiert. Ab Ende 2004 wurde Isis in eine relationale Datenbank namens Isis-NT überführt. Das hatte ein paar fatale Konsequenzen. Erstens war die Uberführung äußerst arbeitsintensiv; man musste alles Personal für die Erfassung von Daten einsetzen, niemand kümmerte sich um deren Qualität. Zweitens: Wenn man in einer relationalen Datenbank einen Eintrag über eine Person löscht, bleiben die Bezüge erhalten, die diese Person zwischen andern Personen gestiftet hat. Ist also jemand in einer Datenbank intensiv vernetzt, bringen Sie seine Spuren ohne großen Aufwand gar nicht mehr raus.

 ZEIT: Wie kam es aber, dass der Nachrichtendienst DAP wieder irgendwelche BaslerGroßräte fichierte, nur weil sie kurdischer Abstammung sind? Oder einen Zürcher Lokalpolitiker, weil er eine bewilligte Demo mitorganisierte?

Gugerli: Man muss solche Betriebsunfälle in aller Form verurteilen. Aber erklären kann man sie trotzdem. In einem diffusen Bedrohungsszenario kann auch in den Köpfen der Leute vom Staatsschutz allerlei zusammenkommen: Hooligans, Randalierer, Neonazis, Nachdemo 1. Mai, PKK und so weiter. Das alles ist als Bedrohung unklar abgegrenzt, und dann schreibt man halt zur Sicherheit etwas auf — die entscheidenden Differenzen und die Ränder gehen verloren. Wenn dann noch die Qualitätskontrolle ausfällt, bleibt auch einmal ein Großrat in der Datenbank Das extremste Beispiel, das die Geschäftsprüfungsdelegation ans Licht brachte, handelt ja von einer Person, die noch nach ihrem Tod zweimal als staatsschutzrelevant taxiert wurde. Wirklich eine intensive Karteileiche.

 ZEIT: Es gibt ein weiteres Argument für die Sammlung großer Datenmengen: Bei gewissen Methoden der Fahndung muss man Muster bilden können — das erlaubt dann die sogenannte Rasterfahndung.

 Gugerli: Ein schwieriges Feld. Wenn man nur schon sieht, welche Mühe private Organisationen mit ihren Dateien haben, so ahnt man, dass sich aus so vielen Daten nur schwer Sinn generieren liisst: Was weiß man, wenn eine Person heute in Filiale A ein Joghurt und ein Päckchen Gummibärchen kauft und sich zwei Wochen später ein Taschenmesser und ein Feuerzeug in den Einkaufswagen legt? Was haben Sie von dieser Information? Ist das ein Hinweis auf steigende Gewaltbereitschaft? Und wenn Sie jetzt noch die Zahl der Artikel, Einkäufe, Filialen und Kunden berücksichtigen, kriegen Sie schnell eine überkomplexe Informationslage. Das können Sie nicht auswerten.

ZEIT: In Deutschland wurden im Gefolge des 11. September 8,3 Millionen Datensätze durchforstet. Am Ende konnten die Fahnder mit dem Material ein einziges Ermittlungsverfahren einleiten, und auch das wurde am Ende eingestellt. Eine sehr produktive Maschine ist die Datenbank offenbar nicht.

 Gugerli: Es ist schon so: Der Grenznutzen von Datenbanken kann mit ihrer Größe auch sinken.
 Ein historisches Beispiel dafür sind die Informationsmengen, die das deutsche BKA unter seinem Chef Horst Herold aufrubauen begann. Sie erlaubten Fahndungserfolge im Kampf gegen die RAF, aber letztlich wurde in Wiesbaden auch ein unglaublich großer Apparat aus Menschen und Maschinen aufgebaut. Und so konnte es passieren, dass der Zettel mit dem Hinweis auf die Wohnung, in der sich der entführte Arbeitgeberpräsident Schleyer befand, einfach verloren ging. Ganz simpel. Da zeigt sich, dass Geheimdienste bei ihrer Arbeit wohl besser mit der Pinzette vorgehen. Aber dies ist ja auch beruhigend.

 ZEIT: Wo sind die Bedrohungen der Zukunft?

Gugerli: Cloud Computing, die Zusammenfassung von Datenmassen übers Internet, könnte zu einem gesellschaftlichen Problem werden. Da weiß niemand mehr so genau, wer was hat. Heute kann man noch eine Parlamentskommission auf eine Amtsstelle hetzen. Aber wer ist zuständig, wenn irgendwo in der sogenannten Cloud Daten abhandenkommen oder ein Eigenleben führen? Welche Kommission wollen Sie da vorbeischicken? Wen zur Rechenschaft ziehen? Darüber will ich gar nicht nachdenken müssen.

 ZEIT: Heißt das auch: Zum Problem werden weniger die Datensammlungen, sondern eher die Lecks in den Datenbanken? Das trifft sich mit dem neuen Phänomen, dass das Bankgeheimnis durch Bankangestellte sabotiert wird, die ihre Kundendaten auf Disketten verkaufen.

 Gugerli: Bei Lecks und bei Rückständen "gelöschter" Daten zeigt sich der Kontrollverlust.
Wir bekommen es mit wild gewordenen Daten zu tun. Keiner weiß; wer sie hat, wo sie herkommen, wie sie abgelegt wurden. Sie sind einfach vorhanden. Daraus lassen sich schon Horrorszenarien ableiten. Es klingt paradox, aber das politische Problem rechnergestützter Datenbanken ist heute nicht die Überwachung der Bürger, sondern der Verlust der Kontrolle über Daten.

Das Gespräch führte Ralph Pöhner

 David Gugerli ist Professor für Technikgeschichte an der ETH Zürich. Er veröffentlichte unter anderem das Buch "Suchmaschinen.  Die Welt als Datenbank", Suhrkamp Verlag 2009

-------------------------------------
BIG BROTHER SPORT
-------------------------------------

NLZ 15.7.10

Sportarena Allmend

 Weniger Polizisten dank Videokameras

Von Andreas Bättig

 Was in Bern rund ums Stade de Suisse geplant ist, soll es auch in Luzern geben: Videoüberwachung für den Kampf gegen Fussballchaoten. Die Gesuche fehlen aber noch.

 Die Berner Polizei will Kameras rund um das Stade de Suisse aufstellen. "Das entspricht einem Bedürfnis der Polizei und hilft mit, die Polizeiaufgebote bei den Matches zu begrenzen", sagt der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause in der "Berner Zeitung".

 Auch in Luzern sind installierte Kameras zur Überwachung der Fussballspiele ein Thema: Bei der künftigen unterirdischen S-Bahn-Haltestelle, wo viele Fussballfans ein- und aussteigen werden, sind Kameras vorgesehen, wie die Zentralbahn-Planer auf Anfrage bestätigen. Und Videoüberwachung steht auch in und um die neue Swissporarena zur Disposition; diese wird im Juli 2011 eröffnet. "Wir werden im neuen Stadion und bei den Eingängen Kameras aufstellen", sagt Mike Hauser, Sicherheitschef des FC Luzern. Videoüberwachung im grösseren Stil ist neu: Im Gersag-Stadion, wo der FCL bis zur Eröffnung der Swissporarena spielt, werden nur mobile Kameras eingesetzt. Das war auch im alten FCL-Stadion vorwiegend so.

 Wie viele fest installierte Kameras im neuen Stadion tatsächlich Bilder aufzeichnen werden, will Sicherheitschef Hauser nicht sagen. Ebenso verschweigt er, welche Summe die Stadion Luzern AG, bei welcher der FCL Minderheitsaktionär ist, in die Kameraüberwachung investieren will.

 Polizei ist für den Kameraeinsatz

 Auch die Luzerner Polizei befürwortet den Einsatz von Kameras im und um das Stadion. So sagt Beat Hensler, Kommandant der Luzerner Polizei, auf Anfrage: "Aus unserer Sicht ist der temporäre Einsatz von Kameras für die Überwachung von Sportveranstaltungen wünschenswert. Denn Kameras helfen uns bei der Überwachung vor, während und nach den Fussballspielen und bei der Aufklärung von Straftaten."

 Die Zuschauer werden laut Hensler auf genau bestimmten Routen ins Stadion geleitet. Für die Überwachung dieser Zuschauerströme würden Kameras die Arbeit der Polizei erleichtern, ist er überzeugt. Zudem könne die Polizei allfällige Unruheherde frühzeitig erkennen und rasch mit Polizeikräften intervenieren. Wenn Straftaten begangen werden, würden Videos bei der Identifizierung der Täter und bei der Beweissicherung helfen, so Hensler. Und: "Grundsätzlich ist eine gute technische Ausstattung geeignet, Personal einzusparen."

 Druck auf Vereine wächst

 Der FCL hat guten Grund, sich noch gezielter um die Sicherheit der Zuschauer zu kümmern. Eben haben sich Kantone, Fussballverband und Profiliga geeinigt, dass die Klubs härter gegen randalierende Chaoten vorgehen und enger mit den Behörden zusammenarbeiten müssen. Es gibt auch einen handfesten Kostenhintergrund, wie die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren errechnet haben: Bis zu 250 000 Franken kosten die Polizeieinsätze während eines Hochrisikospiels (siehe Ausgabe vom Samstag).

 Doch auch ohne diesen Druck hat der FCL alles Interesse, Fussballchaoten das Handwerk zu legen. Denn dadurch lassen sich die eigenen Auslagen fürs Polizeiaufgebot verringern. Heute investiert der FCL gemäss Präsident Walter Stierli "weit über eine Million Franken" in die Sicherheit. Die Verhandlungen über den Beitrag an die öffentliche Hand - gewünscht sind vom Kanton 800 000 Franken - sind kurz vor Abschluss.

 Mike Hauser nennt einen weiteren Grund für die Erhöhung der Sicherheit: "Es ist in unserem eigenen Interesse, dass wir vor voller Tribüne spielen können und nicht die Hälfte der Leute aus Angst vor randalierenden Fans wegbleibt."

 Stadtbehörden warten ab

 Alles, was die Installation von Kameras auf öffentlichem Grund rund ums Stadion betrifft, unterliegt laut FCL-Sicherheitschef Mike Hauser der Entscheidungshoheit der Stadt Luzern. Am 1. Juni 2008 hat das städtische Stimmvolk Ja zum Videoreglement gesagt und damit einer Überwachung des öffentlichen Raums mit Kameras zugestimmt (siehe Kasten). Bei der Stadt Luzern wurde der Kameraeinsatz rund ums Stadion allerdings noch nicht thematisiert. "Darüber müsste der Stadtrat entscheiden", sagt Daniel Deicher, Stabschef der Direktion Umwelt, Verkehr und Sicherheit. Weder der FCL noch die Luzerner Polizei seien bisher aber mit diesem Anliegen an die Stadt gelangt. Will heissen: FC Luzern und Polizei müssen ihre Videopläne noch offiziell beim Stadtrat deponieren.

 andreas.baettig@neue-lz.ch

-------------------------
LINKSAUSSEN
-------------------------

WoZ 15.7.10

Buch

 Links aussen

 "Woher hatte ich meine Unverfrorenheit gegenüber dem System? Woher hatte ich meine Frechheit gegenüber Autoritäten?" Diese Fragen beantwortet der 1933 geborene Zürcher Publizist Franz Rueb mit einem Rückblick auf seine rebellischen Jahre - ein zeitgeschichtliches Dokument.

 Den Anstoss zu Ruebs Erinnerungen gab das "Zehnkilopaket" aus Bern mit seinen Fichenakten von 1957 bis 1985, für ihn so etwas wie ein "behördliches Tagebuch". Die Aufzeichnungen seiner Beschatter führen durch die Episoden des rebellischen Zeitgenossen, der in verschiedenen Rollen auftritt: unbotmässiger Sanitätssoldat, neugieriger Ostermarschierer, fragender Kommunist ("Vorwärts"-Redaktor und Exponent der "Jungen Sektion" der PdA), unbequemer Kantonsrat (der sich unter anderem für die Abschaffung des Konkubinatsverbots einsetzt), militanter Achtundsechziger und Antifaschist (der 1969 anlässlich einer Demonstration gegen das griechische Obristenregime in Bern festgenommen wird).

 Zwischen den Kapiteln über Ruebs  politische Tätigkeit im mer wie der Erinnerungsbilder aus sei ner har ten Kindheits- und Jugend zeit - zu erst bei strengen katholi schen Nonnen und dann sechs Jahre lang in der Hölle eines evangelischen Heims für Schwererziehbare - grauenhaft. Dort bekam Rueb den Übernamen "Rübezahl" und hielt nur dank Fussball und Geschichtenerfinden durch.

 1969 wurde Rueb aus der PdA ausgeschlossen. Der "eingefleischte Autodidakt" kam nach Westberlin, als Dramaturg an der Schaubühne. Die DDR erliess gegen ihn ein Einreiseverbot. Seit Mitte der siebziger Jahre lebt Franz Rueb wieder im Land seiner Beschatter. In seinen Erin nerungen ist kein verbitterter Eiferer zu hören. Rueb schaut gelassen zurück, kritisch und schalkhaft, sogar dankbar für sein politisches Scheitern. Am interessantesten ist er dort, wo er Begegnungen mit ZeitgenossInnen schildert - vom tyrannischen Heimleiter aus der Kriegszeit über linke Ikonen wie Theo Pinkus und Konrad Farner bis zum Kommunistenjäger Ernst Cincera.

 Paul L. Walser

 Franz Rueb: "Rübezahl spielte links aussen. Erinnerungen eines Politischen." Autobiografisches aus der edition 8. Zürich 2009. 309 Seiten. 35 Franken.

----------------
KOKAIN
----------------

Lausanne Cité 15.7.10

De la cocaïne dans les eaux suisses

 Des chiffres inquiétants

 Un projet pilote de l'Université de Berne montre que les eaux usées des centres urbains contiennent des quantités surprenantes de cocaïne. Une étude qui permet par ailleurs d'en estimer la consommation.

 Nicole della Pietra, swissinfo.ch

 La consommation de cocaïne prend de plus en plus d'ampleur en Suisse. Jusqu'ici, seules des estimations approximatives reposant notamment sur les volumes de drogue saisis par les polices cantonales ou des questionnaires anonymes, avaient pu être faites. C'était avant la conduite d'un projet pilote mené durant l'été 2009 par un étudiant en chimie de l'Université de Berne. Christoph Mathieu a décidé de consacrer sa thèse de diplôme à l'analyse des eaux usées de plusieurs grands centres urbains du pays, soit Zurich, Genève, Berne, Bâle et Lucerne.

 "Les résultats de cette étude, qui devrait être publiée avant la fin de cette année, prouvent d'ores et déjà que la méthode de dépistage épidémiologique fonctionne avec une grande précision en matière de détection de cocaïne", se réjouit le professeur Rudolf Brenneisen, du département de pharmacologie de l'Université de Berne, sous le contrôle duquel le travail de diplôme à été réalisé.

 Analyse pointue

 Grâce à deux instruments de mesure - dont l'un, hautement sophistiqué, est situé dans le Laboratoire de la protection des eaux et du sol du canton de Berne (LPES) - des échantillons d'un demi-litre de liquide chacun ont été prélevés pour analyser leur teneur en cocaïne. Le travail a été réalisé en collaboration avec les ingénieurs responsables des stations d'épuration sélectionnées. "Nos instruments ont fait l'objet d'un réglage (tuning) extrêmement pointu, qui nous permet de déceler la substance à l'échelle d'un milliardième de gramme par litre" (1 nano-gramme par litre), explique le professeur Brenneisen. "Les échantillons d'eaux usées ont d'abord dû faire l'objet de plusieurs filtrages et procédures d'extraction avant de pouvoir être analysés par notre équipement", précise le spécialiste. D'autres pays (Espagne, Italie, Allemagne, Benelux, etc.) ont déjà procédé à des analyses similaires, mais l'étude menée par l'Université de Berne est sans doute la plus pointue à ce jour.

 Cocaïne omniprésente

 L'auteur de l'étude Christoph Mathieu s'est dit lui-même étonné par les résultats et les quantités de cocaïne présentes dans les prélèvements. Un problème inattendu a d'ailleurs compliqué sa tâche: la difficulté de trouver un échantillon comparatif exempt de traces de cocaïne. Seules les eaux d'une petite station d'épuration située près du lac de Thoune étaient vierges de cette drogue. Pour le reste, tous les échantillons prélevés dans le cadre du projet pilote ont montré la présence de cocaïne.

 Pics de consommation

 Les analyses conduites durant les douze mois qu'a duré le projet ont ainsi montré que 3% de la population bernoise (140'000 habitants) âgée entre 16 et 64 ans, "sniffe" une ligne (environ 0,1 gramme) de cocaïne par jour. Conformément à sa réputation de "drogue récréative", c'est durant les week-ends ou en marge de grands événements - les festivals notamment - que la consommation monte en flèche.Les quantités détectées par les chercheurs de benzoylecgonine, le principal métabolite de la cocaïne excrété par l'urine ont atteint des sommets lors de la Street Parade de Zurich en août dernier, avec trois microgrammes par litre d'eau usée examinée.

 La recherche continue

 Pour le professeur Rudolf Brenneisen, pas question d'en rester là. Le chercheur et le Laboratoire de la protection des eaux et du sol du canton de Berne s'attaquent à d'autres produits toxiques pour élargir le spectre des analyses des eaux usées en Suisse. Les scientifiques ont ainsi ouvert la chasse à une vingtaine d'autres substances, dont la morphine et les amphétamines qui, avec diverses substances hormonales détectées par d'autres laboratoires universitaires, inquiètent tout particulièrement le professeur Brenneisen.

 La pointe de l'iceberg

 Une fois filtrées, même par les stations d'épuration les plus performantes du pays, les eaux sont destinées à retourner dans la nappe phréatique ou les plans d'eau. "A terme, elles seront à nouveau consommées par les citoyens, notamment à travers la chaîne alimentaire (poissons)", relève le professeur, qui se défend de vouloir jouer les alarmistes. Autrement dit, les traditionnelles analyses bactériologiques et des résidus chimiques conduites par les laboratoires cantonaux ne dévoilent peut-être que la pointe de l'iceberg quant à la qualité des eaux helvétiques. La question se pose de savoir si elles suffisent à la connaissance des secrets de l'eau du robinet, que les Suisses consomment pourtant volontiers.

----------------------------------------
ZWISCHENGESCHLECHT
-----------------------------------------

zwischengeschlecht 15.7.10

Intersexuelle enttäuscht vom Ethikrat - "kein Handlungsbedarf" bei Genitalverstümmelung?!

zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

P R E S S E M I T T E I L U N G

Tag für Tag wird in Deutschlands Kinderkliniken mindestens ein wehrloses Kleinkind irreversibel chirurgisch genitalverstümmelt.

Seit 14 Jahren gibt es als Reaktion auf die öffentlichen Klagen überlebender Erwachsener alle Jahre wieder ExpertInnenrunden, Fachgespräche, Foren, Publikationen, Absichtserklärungen, Versprechungen, Vertröstungen - während die Täter unbehelligt weiterverstümmeln.

Zahllose genitalverstümmelte "Intersexuelle", Hermaphroditen oder Zwitter und ihre Organsiationen setzten grosse Hoffnungen auf den Deutschen Ethikrat, als er nach Jahre langen Anfragen versprach, die Anliegen der Überlebenden an seinem "Forum Bioethik" vom 23.6.2010 endlich aufzugreifen.

Diese Hoffnungen bewahrheiteten sich leider nicht: Nach einer Plenarsitzung am Folgetag des Forums gab der Ethikrat bekannt, er habe mit der Ermöglichung der Veranstaltung seine Schuldigkeit getan und sehe aktuell keinen weiteren Handlungsbedarf - die Genitalabschneider danken.

Die konkreten Taten der Verstümmler und deren Folgen mochte der Ethikrat auch nach der Veranstaltung nicht beim Namen nennen, ja noch nicht einmal die Tatsache, dass es um chirurgische Eingriffe an Genitalien von Kleinkindern geht.

Noch in der anschliessenden Pressmitteilung frönte der Deutsche Ethikrat der Tätersprache; statt dem zentralen Anliegen der Überlebenden nach Beendigung der Verstümmelungen stellte er weiterhin schwulenpolitische Forderungen dritter Interessegruppen ins Zentrum.

Intersexuelle und ihre Interessegruppen verurteilten die Untätigkeit des Deutschen Ethikrates einhellig und zeigten sich enttäuscht vom tatenlosen Ausgang ihrer Bemühungen.

Intersexuelle Menschen e.V. hat dem Ethikrat gegenüber schriftlich sein "Bedauern darüber ausgedrückt, dass es den Vortragenenen offenbar nicht gelungen ist, die Dringlichkeit der Belange deutlich zu machen", wie der Verein auf seiner Homepage mitteilt.

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org hatte schon am "Forum Bioethik" in einem Diskussionsvotum kritisiert, der Deutsche Ethikrat wie auch die ebenfalls am Forum vertretene "Arbeitsgruppe Ethik" der Medizinerinteressengruppe "Netzwerk Intersexualität/DSD" würden bei den Genitalverstümmelungen beide "nur zuschauen", dies sei untragbar und "Ethik als Feigenblatt".

Der Ethikrat selbst nimmt's weiterhin gemächlich: Auch drei Wochen nach dem "Forum Bioethik" sind noch nicht einmal die Hälfte der versprochenen Wortprotokolle zur Veranstaltung online.

Hintergrundinformationen: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von genitalen Zwangsoperationen an zwischengeschlechtlichen Menschen und "Menschenrechte auch für Zwitter!".


Freundliche Grüsse

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info

---

zwischengeschlecht.info 14.7.10

Caster Semeny rehabilitiert - und Santi Soundarajan???

zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!

P R E S S E M I T T E I L U N G

>>> Onlineversion mit Hintergrund-Links
http://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Caster-Semenya-rehabilitiert-und-Santhi-Soundarajan

Die indische Läuferin Santhi Soundarajan wartet immer noch auf Gerechtigkeit. Wie Caster Semenya war sie nach einem willkürlichen und undurchsichtigen Gentest "auf Verdacht hin" ausgeschlossen und weltweit diffamiert worden.

Im Gegensatz zu Caster wurde Santhi von ihrem eigenen Athletikverband und den eigenen Behörden von Anfang an schmählich im Stich gelassen.

Der für das Debakel direkt verantwortliche Olympic Council of Asia (OCA) wie auch das Nationale Olympische Komitee Indiens (Indian Olympic Association IOA) denunzierten Santhi nach bekanntem Muster in den Medien als "Mann" und "Betrügerin". Weltweit wurde Santhi öffentlich erniedrigt und verspottet und ihre Persönlichkeits- und Menschenrechte von den Olympia-Verbänden mit Füssen getreten, ohne dass jemand eine Stimme dagegen erhob.


IOC und IAAF: Willkür und Erpressung

Das Internationale Olympische Komitee (IOC) lässt seine Unterorganisationen dabei bis auf den heutigen Tag widerspruchslos gewähren und stahl sich stets mit billigen Ausreden aus jeder Verantwortung.

Auch künftig will das Internationale Olympische Komitee (IOC) - wie auch der für das Caster Semenya angetane Unrecht verantwortliche Athletikweltverband (IAAF) - weibliche Athletinnen, die sie als "Inters*xuelle" / Hermaphroditen / Zwitter verdächtigen, in willkürlichen und intransparenten Verfahren nach Gutdünken ausschliessen können. Beide Sportweltverbände lassen dazu aktuell ihre Vorschriften entsprechend aufrüsten.


GenitalverstümmlerInnen als SchiedrichterInnen

Als "ExpertInnen" und VollzugsgehilfInnen engagierten IOC und IAAF dazu gemeinsam mit dem Weltfussballverband FIFA Anfang 2010 eine Handvoll von "ÄrztInnen", die auch sonst "Inters*xualität" a.k.a. "Disorders of S*x Development DSD" 'behandeln' und 'erforschen'.

Von den Betroffenen selbst werden diese MedizynerInnen seit langem weltweit als "GenitalverstümmlerInnen" und "VerbrecherInnen" angeklagt. Auch unter JuristInnen, EthikerInnen, Frauen- und Menschenrechtsorganisationen sind sie bekannt und alles andere als unumstritten.

Wenig überraschend fordern die MedizynerInnen nun - ihrer täglichen Praxis entsprechend - im Namen von IOC und IAAF öffentlich obligatorische Genitaloperationen, Kastrationen und Hormonzwangstherapien für "verdächtige" Athletinnen. Wer sich nicht 'behandeln' lassen will, soll ausgeschlossen werden. Im Herbst wollen IOC und IAAF ihre neuen "Regeln" offiziell absegnen, damit sie auf 2011 in Kraft treten sollen.

Den Betroffenen selbst und ihren Organisationen verweigern IOC und IAAF das Gehör bis auf den heutigen Tag.


Die tragische Geschichte von Santhi Soundarajan

Caster Semenya darf morgen Donnerstag nach 11 Monaten Sperre zum ersten Mal wieder an einem bescheidenen Wettkampf teilnehmen.

Santhi Soundarajan wartet auch nach 4 Jahren immer noch darauf, nur schon ihre Medaille zurückzuerhalten.

Kein Anwaltsteam kam Santhi Soundrajan zu Hilfe, die indische Regierung setzte sich kein einziges Mal bei den selbstherrlichen Verantwortlichen in den Sportverbänden für sie ein, und auch die indische Öffentlichkeit versagte ihr die Unterstützung. Santhi verlor ihre Arbeit, wollte nicht mehr leben und landete mit einer Überdosis Veterinärmedizin im Spital. Einzig die Lokalregierung von Tamil Nadu erbarmte sich ihrer und verschaffte ihr eine Stelle als Trainerin mittelloser junger AthletInnen.

Santhi Soundarajan hatte sich wiederholt öffentlich mit Caster Semenya solidarisiert. Sie erhoffte sich von einer möglichen Rehabilitierung von Caster Semenya, dass dadurch auch ihr eventuell Gerechtigkeit widerfahren würde.

Bisher sieht es leider allerdings nicht danach aus. Aktuell ist ein einziger (englischer) Zeitungsartikel auf indianexpress.com online, der nach Caster Semenyas Freigabe durch den Internationalen Athletikverband IAAF Santhi Soundarajans ungerechtes Schicksal und ihr Recht auf ein transparentes Revisionsverfahren prominent aufgriff.

Darin wiederholte Santhi Soundarajan ihre Klage, dass der indische Athletikverband AFI und die indische Regierung sich nie für sie eingesetzt haben: "Ausser meiner Familie stand niemand auf und bot mir Hilfe und Unterstützung."

AFI-Sekretär Lalit Bhanot bestätigt Santhis Vorwürfe indirekt, indem er von Santhi geforderte Anstrengungen zu einer Revision kurzerhand abtut mit der Allerweltsausrede "das sind zwei verschiedene Fälle" - obwohl er seinerzeit noch grossspurig angekündigt hatte, bei einer Rehabilitierung Caster Semenyas Santhis "Fall" noch einmal auf die Tagesordnung zu bringen ...


Justice for Santhi Soundarajan!

Auch Frauenorganisationen, welche seinerzeit die spanische Hürdenläuferin María José Martínez-Patiño unterstützt hatten, die unter vergleichbar willkürlichen und undurchsichtigen Umständen disqualifiziert und der Sensationspresse als "betrügerischer Mann" zum Frass vorgeworfen worden war, mochten sich für Santhi Soundarajan nicht in die Bresche stellen.

Nach wie vor stellt sich die unangenehme Frage, ob Santhis Schicksal wohl nicht ein ganz anderes gewesen wäre, hätte es sich bei ihr um eine weisse Europäerin mit guten Verbindungen gehandelt, statt um eine arme Tamilin ...

>>> Gerechtigkeit für Santhi Soundarajan!

Hintergrundinformationen: http://zwischengeschlecht.org
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von genitalen Zwangsoperationen an zwischengeschlechtlichen Menschen und "Menschenrechte auch für Zwitter!".


Freundliche Grüsse

n e l l a
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Schweizerische Selbsthilfegruppe Inters*x.ch
Mitglied Inters*xuelle Menschen e.V.
Mitglied XY-Frauen
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info

----------------------
ANTI-ATOM
-----------------------

Bund 15.7.10

Bundesverwaltungsgericht verlangt Mühleberg-Akten

 Das Bundesverwaltungsgericht hat verlangt, dass ihm das Departement Leuenberger Sicherheitsakten über das AKW Mühleberg aushändigt. Dies teilten Mühleberg-Gegner gestern mit. Es handelt sich um jene Unterlagen, die das Departement und die Atomaufsicht beim Entscheid über die unbefristete Betriebsbewilligung für den Reaktor als Grundlage verwendet hatten.

 Noch offen ist, ob die Mühleberg-Gegner nun Einsicht in die Sicherheitsakten erhalten. Sie hatten die Akteneinsicht im Rahmen ihrer Beschwerde gegen die unbefristete Betriebsbewilligung gefordert. Der Etappenerfolg der Mühleberg-Gegner könnte sich nicht nur auf das Verfahren zum bestehenden Kraftwerk auswirken, sondern auch auf die Bewilligung neuer AKW. (st) - Seite 17

--

Mühleberg-Gegner erzielen Etappenerfolg

 Das Departement von Energieminister Moritz Leuenberger muss dem Bundesverwaltungsgericht Sicherheitsakten zum AKW Mühleberg aushändigen. Der Entscheid könnte Folgen auch für die Verfahren um neue AKW haben.

 Simon Thönen

 Es ist nur ein formaler Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts über Prozessakten, den die Gegner des Atomkraftwerks Mühleberg gestern per Medienmitteilung bekannt machten. Doch er könnte Folgen für das Rekursverfahren gegen die unbefristete Betriebsbewilligung für Mühleberg haben - und darüber hinaus für die Bewilligung von neuen AKW. Denn es handelt sich um das erste Verfahren nach dem neuen Kernenergiegesetz.

 Das Bundesverwaltungsgericht hat Ende Juni verfügt, dass das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) dem Gericht Unterlagen zur Beurteilung der Sicherheit des Kernkraftwerks Mühleberg aushändigen muss. Konkret geht es laut Mitteilung des Komitees "Mühleberg Ver-fahren" um nicht weniger als 56 Bundesordner mit Sicherheits- und Risikoanalysen.

 Uvek will Akten abliefern

 Auf diese Unterlagen hatten sich die Atomaufsicht Ensi und das Uvek abgestützt, um die Sicherheit von Mühleberg zu beurteilen, bevor das Uvek am 21. Dezember 2009 eine unbefristete Betriebsbewilligung für den Reaktor erteilte. Das Uvek muss nun auch begründen, welche dieser Akten allenfalls aus Sicherheitsgründen nicht veröffentlicht werden dürfen.

 Von einem "bahnbrechenden Erfolg" sprechen die Mühleberg-Gegner in ihrer Mitteilung. Zwar seien die Sicherheitsakten mit dem Entscheid noch nicht öffentlich, aber sie seien erstmals, so die Mitteilung, der "Geheimbruderschaft von Atomkontrolleuren und Atombetreibern" entzogen. Nach dem für sie positiven Zwischenentscheid erwarten die Mühleberg-Gegner, dass sie diesen Herbst Einsicht in die Sicherheitsakten erhalten werden.

 Das Uvek will die Aktenherausgabe nicht anfechten. "Wir werden der Aufforderung des Bundesverwaltungsgerichts nachkommen und die gewünschten Dokumente nachliefern", sagt der Sprecher des Bundesamtes für Energie (BFE), Matthias Kägi, auf Anfrage. Bisher sei man davon ausgegangen, dass diese Dokumente nicht Teil des Verfahrens seien. "Wir nehmen die Entwicklung zur Kenntnis", sagt auf Anfrage Antonio Sommavilla, Sprecher der Mühleberg-Betreiberin BKW Energie AG.

 Suche nach Sicherheitslücken

 Sollten die Mühleberg-Gegner in der Folge tatsächlich Akteneinsicht erhalten, dann können sie ihre Beschwerde gegen die unbefristete Betriebsbewilligung des Atomkraftwerks auf die Sicherheitsunterlagen abstützen.

 Die Betreiberin und die Bewilligungsbehörden seien, so mutmasst das Komitee "Mühleberg Ver-fahren", "von einem Eilverfahren" ausgegangen und hätten nur mangelhafte Sicherheitsunterlagen erstellt. So etwa bei der Erdbebensicherheit und den Rissen im Kernmantel. Zu diesen Mutmassungen wollten gestern weder die BKW noch das BFE Stellung nehmen.

 Das Komitee "Mühleberg Ver-fahren" will laut Präsident Jürg Joss erreichen, dass unabhängige Institute die Sicherheitsfragen prüfen. "Höchst wahrscheinlich werden wir das Ökoinstitut Darmstadt mit einem Gutachten beauftragen." Die Mühleberg-Gegner hatten die unbefristete Bewilligung im Februar 2010 gerichtlich angefochten. Sollten sie vor Gericht obsiegen, dann müsste Mühleberg 2012 abgeschaltet werden (siehe Kasten Mühleberg-Verfahren).

 Folgen für neue AKW?

 Die formalen Entscheide im Mühleberg-Verfahren könnten auch Folgen für die Bewilligung von neuen AKW haben. Dies zumindest erwarten die Mühleberg-Gegner: "Jetzt wird sich auch entscheiden, welche Akten in künftigen Verfahren zu Atommülllagern und neuen AKW offen gelegt werden und wie seriös Einspracheverfahren angegangen werden."

 Anders sieht dies BFE-Sprecher Kägi: "Das sind vollständig unabhängige Verfahren, die man nicht miteinander vergleichen kann." Auch diese würden allerdings nach den Regeln des neuen Kernenergiegesetzes ablaufen.

 Das Gesetz sieht für neue Kernkraftwerke ein zweistufiges Verfahren vor (siehe Kasten Verfahren neue AKW). Gegenwärtig ist nur die erste Phase im Gespräch: Die generellen Rahmenbewilligungen, über die letztlich das Schweizer Volk entscheiden wird.

 Doch die Verfahren für die Bau- und Betriebsbewilligungen von konkreten Reaktoren würden erst danach beginnen - und könnten vor Gericht angefochten werden. Ob die Bewilligungsbehörden ihre Entscheidungsgrundlagen vor Gericht offenlegen müssen, ist deshalb auch bei neuen Reaktoren relevant.

--

 Aare-Temperatur

 Mühleberg muss Betrieb wegen Hitze drosseln

 Die Hitze wirkt sich auch auf die Stromproduktion aus. Die Kernkraftwerke Mühleberg und Beznau mussten ihre Leistungen wegen der bereits hohen Aare-Temperatur leicht drosseln. Mit der Massnahme soll erreicht werden, dass sich der Fluss nicht weiter erwärmt und dass Fische und Natur nicht gefährdet werden.

 BKW-Sprecher Antonio Sommavilla sagte im "Regionaljournal Bern, Freiburg, Wallis" von Radio DRS, die Leistung von Mühleberg sei gestern um fünf bis zehn Prozent verringert worden. Leistungseinbussen seien aber im Hochsommer nicht aussergewöhnlich und hätten keinen Einfluss auf die Stromversorgung. (sda)

 Mühleberg-Verfahren

 Am 21. Dezember 2009 hat das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) dem AKW Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung erteilt. Zuvor war sie bis Ende 2012 befristet gewesen.

 Gegen die Aufhebung der Befristung haben 108 Anwohner im Februar 2010 Beschwerde beim Bundesverwaltungsgericht eingereicht. In einer Zwischenverfügung hat das Gericht nun entschieden, dass das Uvek bis Ende August 56 Bundesordner mit Sicherheits- und Risikoanalysen zum Reaktor beim Gericht hinterlegen muss. Auf diese Unterlagen hatten sich die Behörden gestützt, um die Sicherheit zu beurteilen.

 Später wird das Bundesverwaltungsgericht entscheiden, ob und in welchem Umfang es den Beschwerdeführern Einsicht in die Sicherheitsakten gewährt. Ein Entscheid des Bundesverwaltungsgerichts zur unbefristeten Betriebsbewilligung für Mühleberg kann von Mühleberg-Gegnern, Behörden und der Betreiberin bis vor Bundesgericht weitergezogen werden. (st)

 Verfahren für neue AKW

 Im Juni 2008 hatte die Alpiq ein Rahmenbewilligungsgesuch für ein neues AKW in Gösgen eingereicht, im Dezember 2008 folgten Gesuche der Axpo und der BKW für neue Kernkraftwerke in Beznau und Mühleberg. Die Stromkonzerne reichten ihre Gesuche im Oktober 2009 erneut ein, nachdem sie diese auf Geheiss der Behörden überarbeitet hatten.

 Das Verfahren ist zweistufig: Über die generelle Rahmenbewilligung entscheiden Bundesrat, Parlament und, falls ein Referendum ergriffen wird, das Schweizervolk. Die Kantone und Nachbarstaaten werden angehört. Das bernische Volk wird voraussichtlich am 13. Februar 2011 einen konsultativen Entscheid über Mühleberg II fällen.

 Die eigentlichen Bau- und Betriebsbewilligungen für die konkreten Atomkraftwerke werden erst danach vom Fachdepartement Uvek erteilt. Diese technischen und juristischen Entscheide können Anwohner und der Standortkanton beim Bundesverwaltungsgericht und danach beim Bundesgericht anfechten. (st)

---

BZ 15.7.10

AKW Mühleberg

 Erfolg für die Gegner

 Die Gegner des Atomkraftkraftwerks Mühleberg können im Kampf um Akteneinsicht einen ersten Erfolg verbuchen.

 Das Bundesverwaltungsgericht hat im Streit um die unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg einen ersten Entscheid gefällt: In einer Verfügung zwingt es das eidgenössische Umweltdepartement Uvek, dem Gericht alle Akten vorzulegen und zu begründen, weshalb diese bisher geheim gehalten wurden. Für die AKW-Gegner ist dies ein erster Erfolg. Wie sie selber relativieren, sind die Sicherheitsakten des AKW damit zwar noch nicht öffentlich. Das Bundesverwaltungsgericht wird nun entscheiden müssen, ob die in das Verfahren involvierten Parteien - sprich: die AKW-Gegner - die Akten auch einsehen dürfen.

 Das Uvek hat der BKW Energie AG im Dezember 2009 eine unbefristete Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg erteilt. Gegen diesen Entscheid haben die AKW-Gegner im Februar 2010 beim Bundesverwaltungsgericht Beschwerde eingereicht. Bereits im Juni 2008, während der öffentlichen Auflage des Gesuchs der BKW um Aufhebung der Befristung der Betriebsbewilligung, hatten die AKW-Gegner beim Bund Einsicht in die Sicherheitsberichte des AKW verlangt. Den abschlägigen Bescheid fochten sie beim Bundesverwaltungsgericht an. Sie argumentieren, dass sie Einsicht in die Dokumente bräuchten, um ihre Einsprache begründen zu können.

 Die BKW und das Uvek begründen ihre Weigerung, die Akten offenzulegen, unter anderem mit dem grossen Aufwand, der dafür nötig sei.
 drh

--

AKW Mühleberg

 Hitze drosselt Produktion

 Die grosse Hitze hatte gestern Mittwoch auch Auswirkungen auf die Stromproduktion einiger Schweizer Atomkraftwerke. Sowohl das AKW in Mühleberg wie auch jenes in Beznau mussten ihre Leistungen wegen der hohen Aaretemperatur leicht drosseln. Die Leistung in Mühleberg sei um fünf bis zehn Prozent verringert worden, sagte BKW-Sprecher Antonio Sommavilla gegenüber Schweizer Radio DRS. Mit der Massnahme soll erreicht werden, dass sich die Aare nicht noch weiter erwärmt und dass Fische und Natur nicht gefährdet werden.

 Leistungseinbussen in diesem Ausmass seien mitten im Sommer allerdings nichts Aussergewöhnliches und sie hätten zudem keinerlei Einfluss auf die Stromversorgung, betonte der BKW-Sprecher.
 sda

---

Aargauer Zeitung 15.7.10

Hitzewelle setzt AKW Beznau zu

Zu heiss: AKW hat Leistung gedrosselt

 Das Atomkraftwerk Beznau im aargauischen Döttingen hat am Dienstag wegen der hohen Temperaturen leicht weniger Strom produzieren können. Die Kühlwasserversorgung reichte nicht mehr aus, weil die Aare wärmer als 22 Grad war. "Die Leistung musste am Dienstag zwischen 16 und 22 Uhr um 0,3 Prozent reduziert werden", sagte Anahid Rickmann, Mediensprecherin der Betreiberin Axpo, gestern. Auf die Stromversorgung hatte dieser marginale Rückgang keine Auswirkungen. Das AKW Beznau besitzt keinen Kühlturm, sondern wird von der Aare gekühlt. (sda)

---

Thurgauer Zeitung 15.7.10

Grünliberale gegen neue AKWs

 Romanshorn - Die Grünliberalen erachten es als unverantwortbar, eine Technologie zu erhalten, die grosse Risiken beinhaltet und hochradioaktive Abfälle hinterlässt, die die Natur und unsere Nachkommen auf Jahrhunderte schädigen können. Mit der Forderung, es müssen zwei neue Atomkraftwerke in der Schweiz gebaut werden, hat die Thurgauer Regionalgruppe der Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves), an ihrer 1. GV aufgezeigt, dass sie die Zeichen der Zeit nicht erkannt habe, wie die Partei mitteilt. Sie setzen auch weiterhin auf eine rückwärtsgewandte Technologie, die unter echten Marktbedingungen ökonomisch gar nicht konkurrenzfähig wäre.

 Aves-Präsident Rolf Schweigert, Geschäftsleiter der Organisation Nuklearforum, spreche immer wieder von einer angeblichen Stromlücke, die nur durch Atomkraft gedeckt werden könne. Dies ist reine Spekulation, findet die GLP. Die McKinsey-Studie vom April zeige: 100 Prozent Strom aus erneuerbaren Energien im Jahr 2050 sei realistisch, nicht teurer und ebenso verlässlich wie die heutige Versorgung. Die Grünliberale Partei Schweiz prüft ein neues Konzept für eine ökologische Steuerreform. Eine Energiesteuer soll die Mehrwertsteuer als Ertragsquelle des Bundes ersetzen. (tz)