MEDIENSPIEGEL 2.8.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Zaffaraya: Party + Sorgen
- Antifa-Abendspaziergang 2.10.10
- Neonazis Burgdorf: Rechte Bar wieder zu
- Pnos BS/BL: Raus aus Jugendparlament
- Bleiberecht: Aktion an Bundesrätin-Rede in Eiken AG
- Sans-Papiers: Heiratsverbot
- Ausschaffung: Amnesty will Untersuchung
- Nothilfe: Migros-Gutscheine-Tausch; Kostenexplosion
- Big Brother: Überwachung BS
- Squat ZH: Luxusklinik immer noch besetzt
- Revolte BS: Versicherungsprobleme
- Antisemitismus: Frepo BS im Rückblick
- Drogen: Neue Legalisierungsdebatte
- Anti-Atom: Mühleberg-Abstimmung

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REITSCHULE
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Do 05.08.10
19.00 Uhr - Vorplatz - Aktion lebendiger Vorplatz "Ping-Pong-Turnier"

Mi 18.08.10
20.00 Uhr - Dachstock - Portugal. The Man (USA)

Fr 20.08.10
20.30 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6 Berner TänzerInnen.

Sa 21.08.10
20.30 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6 Berner TänzerInnen.

So 22.08.10
19.00 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6 Berner TänzerInnen.

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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ZAFFARAYA
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20 Minuten 2.8.10

Zaffaraya: Party - und Zukunftssorgen

 BERN. 25 Jahre nach der Gründung droht den Bewohnern der alternativen Wohnsiedlung Zaffaraya erneut eine Räumung. Doch sie wollen ihr Daheim nicht aufgeben.

 25 Jahre Zaffaraya: Mit einer Party feierten Bewohner und Sympathisanten am Samstag im Neufeld das Jubiläum der alternativen Berner Wohngruppe. Die Freude war jedoch nicht ganz ungetrübt: Auch ein Vierteljahrhundert nach ihrer Gründung auf dem Gaskessel-Areal ist die Zukunft der Wohnwagensiedlung noch immer ungewiss - nach 16 Jahren beim Autobahnzubringer Neufeld droht erneut die Vertreibung. Eine Aufsichtsanzeige von SVP-Grossrat Thomas Fuchs im Namen des Bundes der Steuerzahler fordert die baldige Auflösung der illegalen Siedlung (20 Minuten berichtete).

 Die Stadt Bern sucht derweil auf ihrem Gebiet nach alternativen Standorten, wo verschiedene experimentelle Wohnformen legal Platz finden könnten. In rund einem Jahr soll das Berner Stimmvolk dann entscheiden, ob eine solche Zone eingerichtet werden soll oder nicht. Doch davon halten die Zaffarayaner offenbar nicht allzu viel: "Ich möchte hierbleiben", so Bewohner Christian Stähli gegenüber "Schweiz Aktuell". "Es sei denn, die Alternative wäre ein super Platz mit vielen Möglichkeiten." Doch daran glaube er nicht.

 In der Siedlung war die Anspannung gestern spürbar. Gegenüber 20 Minuten wollte sich aber niemand äussern.  

Nina Jecker

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BZ 2.8.10

Leserbriefe

 Lärmen als Kavaliersdelikt?

 Fest zum 25-Jahr-Jubiläum des Zaffaraya

 Zum zweiten Mal in Folge wurde die Nacht vor dem 1. August von der Zaffaraya-Gruppierung in Bern dazu genutzt, mit einem ausgedehnten Fest die Nachtruhe der Anwohner im nahen und weiteren Umkreis zu stören. Zwischen 23 Uhr und den frühen Morgenstunden dröhnt in vollster Lautstärke Musik durch die Nacht - man wähnt sich an einem Rockkonzert im Stade de Suisse oder ähnlichem.

 Nachfragen bei der Polizei sowie beim Berner Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät haben ergeben, dass es sich um eine nicht bewilligte Veranstaltung handelte. Beide Ansprechpartner sahen sich jedoch nicht imstande, dem Treiben ein Ende zu setzen, was bei der Polizei doch sehr erstaunt. Es scheint, als werde hier bestätigtermassen illegales Treiben (inklusive Parkieren von Heerscharen von Autos rund um das Gelände) von offizieller Seite mit einem Achselzucken geduldet.

 Werden künftig auch bei Berner Durchschnittsbürgern Nachtruhestörung und Wildparkieren als Kavaliersdelikt behandelt?

 Ursula Bähler Dominik Gerber Bremgarten

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Telebärn 1.8.10

Als das Zaffaraya Bern erschütterte
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/als-das-zaffaraya-bern-erschutterte/c=84713&s=989462

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Schweiz Aktuell 31.7.10


Zaffaraya: Alternative Wohnsiedlung in Bern

Vor genau 25 Jahren entstand die illegale Hüttensiedlung Zaffaraya am Berner Aarestrand als Folge der Auseinandersetzungen zwischen rebellierenden Jugendlichen und der Stadt Bern. Die umstrittene Räumung zwei Jahre später wirkt bis heute nach.
http://videoportal.sf.tv/video?id=07c5430c-4917-4056-9ffd-a9e914d79516&referrer=http%3A%2F%2Fwww.sf.tv%2Fsendungen%2Fschweizaktuell%2Findex.php

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Bund 31.7.10

Steuerzahler und Bernaktiv bekämpfen Zaffaraya-Siedlung

 Der Bund der Steuerzahler (BDS) des Kantons Bern und die Vereinigung Bernaktiv (BA) haben gestern wegen der Zaffaraya-Siedlung bei der Autobahnausfahrt Neufeld beim Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland eine Aufsichtsuntersuchung verlangt, wie BDS Bern-Geschäftsführer und BA-Präsident Thomas Fuchs mitteilte. Die Frist für die Zaffaraya-Wohnwagen und weitere Bauten sei "klar abgelaufen", und diese müssten deshalb entfernt werden. Die "Wiederherstellung des rechtmässigen Zustandes" sei "zwingend erforderlich". (pd)

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BZ 31.7.10

Jubiläum

 Zaffaraya wird 25

 Vor genau 25 Jahren haben sich Aktivisten mit Wohnwagen an der Aare im Gaswerkareal niedergelassen. Das Zaffaraya entstand und beschäftigte in der Folge die ganze Stadt. Nach der Stürmung des Geländes im November 1987 durch die Polizei begann ein Nomadenleben, das momentan auf einer Parzelle im Neufeld mit von der Stadt bezahlter Infrastruktur Station macht. Nicht zum ersten Mal versucht die Stadt derzeit für die Zaffarayaner wie für andere Gruppen, die alternativ wohnen wollen, eine Hüttendorfzone einzurichten. Derweil diesen Donnerstag wieder eine Aufsichtsanzeige beim Statthalter eingereicht worden ist, welche die Auflösung der Siedlung verlangt.

 Vorerst wird im Zaffaraya mit dem alljährlichen Fest Geburtstag gefeiert.
 cab

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ANTIFA
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Indmyedia 1.8.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/08/76989.shtml

10. Antifaschister Abendspaziergang Bern 02.10.2010 ::

AutorIn : Bündis Alle gegen Rechts: http://www.buendnis-gegen-rechts.ch

Heraus zum 10. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern!
Vor 11 Jahren hat das Bündnis Alle gegen Rechts (BAgR) zum 1. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern aufgerufen.

Damals hätten sich die Mitglieder der ersten Stunde wohl kaum vorstellen können, dass das Bündnis über 10 Jahre aktiv bleiben sollte und einst zum 10. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern aufrufen würde. Im vergangenen Jahrzehnt, hat das BAgR so einiges erlebt und geleistet: Die Wechsel im Team; die Änderungen der Organisationsform; die Sprayereien und Kreidekritzeleien; die Interviews; die Repression; die Umarmungsversuche und die Kriminalisierung von Seiten der Behörden; die bürgerliche Berichterstattung; über 4000 Leute an den unbewilligten Antifaspaziergängen 4 und 5; einen gewaltigen Dämpfer nach dem Aufgeben der Verschiebetaktik beim 7. Spaziergang; neuer Schwung bei der überregionalen Antifa-Kampagne "die Dinge in Bewegung bringen"; Beteiligung an diversen Bündnissen und Aktionen; unzählige Sitzungen; Solibars; Konzerte; Übungen; Demos; Diskussionen… Alles in Allem "same procedure as every year”. Bei aller Freude über die vielen kleinen Erfolge, die errungen werden konnten: Es gibt keinen Grund sich auszuruhen, denn die Ursachen, die zur Gründung des BAgR bewegt haben, bestehen weiterhin.

Deshalb rufen wir zum 10. Mal zum Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern auf: Erneut wollen wir zeigen, dass es in Bern keinen Platz für FaschistInnen gibt und ein Zeichen gegen den kapitalistischen Alltag setzen.

Denn solange Rassismus, Ausgrenzung, Ausbeutung und Konkurrenz weiter existieren, werden wir auf die Ursachen dafür hinweisen und dagegen angehen.

Die Ideologien und Hetzkampagnen von Rechts verfehlen ihre Wirkung nicht: Fremdenfeindlichkeit ist eine weit verbreitete Reaktion auf die gravierenden Probleme unserer Zeit. Angst um "das Wohl der Nation", die Arbeitsstelle, die Wohnung und sogar um die heimatliche Natur: In der Überfremdung der Eidgenossenschaft sehen viele ZeitgenossInnen das Problem für ihr ganzes Elend. Für sie gibt es kein Problem, für welches sich nicht AusländerInnen als Sündenböcke heranziehen liessen. So beliebt wie diese Schlussfolgerungen sind, so falsch sind sie.

• Es sind nicht die AusländerInnen, welche die Konkurrenz um Arbeitsplätze und Wohnungen eingerichtet haben, sondern die Staaten, welche die kapitalistischen Verhältnisse durchsetzen und garantieren.

• Die ArbeitgeberInnen, nicht die ausländischen Arbeitskräfte, haben Interesse daran, die Löhne zu drücken wo es nur geht, um den Profit zu maximieren.

• Es ist der weltweit eingerichteten, profitorientierten Produktionsweise zu "verdanken", dass rücksichtlos alle natürlichen Ressourcen vernutzt und Natur und Umwelt zerstört werden.

• Es ist der Kapitalismus, welcher die Lebensgrundlage vieler Menschen zerstört und sie zu Flüchtlingen macht.

• Es sind nicht die Flüchtlinge, sondern die Regierungen, die "ihre" Nationen im Kampf um Einfluss, Macht und Ressourcen zum Mittel des Krieges greifen lassen.

• Es ist Unsinn von Überfremdung zu sprechen, weil es die Staaten sind, welche Menschen überhaupt erst zu In- und AusländerInnen machen. Kaum auf der Welt, wird den Menschen auch schon ein Zwangsverhältnis aufgedrückt: Die Volksangehörigkeit per Pass! Durch dieses Herrschaftssystem werden überhaupt In- und AusländerInnen geschaffen.

Wir haben nicht länger Bock, diese Verhältnisse stillschweigend und widerspruchslos zu akzeptieren. Schliess dich dem Kampf gegen Staat, Kapital und Faschismus an!

Antikapitalistisch vorangehen, statt der Welt beim Untergang zusehen.

Heraus zum 10. Antifaschistischen Abendspaziergang, Samstag 02.10.2010, 20.00 Uhr, Heiliggeistkirche Bern

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NEONAZIS BURGDORF
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Bund 31.7.10

Burgdorfer Szenebar der Rechtsradikalen wieder zu

 In der Nacht war sie Ziel von Angriffen - nun ist die Royal Aces Tattoo Bar in Burgdorf erneut geschlossen worden.

 Vermutlich waren es Linksextreme, die in der Nacht auf gestern mehrere Fenster der Royal Aces Tattoo Bar in Burgdorf mit Steinen eingeschlagen haben. Die Bar am südwestlichen Fuss des Schlosshügels gilt als Treffpunkt der rechten Szene. Aufgrund dieses Vorfalls und gestützt auf Einschätzungen der örtlichen Behörden hat die bernische Volkswirtschaftsdirektion gestern entschieden, dass die Bar aus Sicherheitsgründen erneut geschlossen wird. Eine weitere Öffnung der Bar könnte neue Angriffe provozieren, "wobei auch eine Gefährdung von Leib und Leben nicht ausgeschlossen werden kann", steht in einer Polizeimitteilung. Der jüngste Anschlag war bereits der zweite.

 Im Zusammenhang mit dem im Juni eröffneten Lokal war es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen links- und rechtsextremen Gruppen gekommen. Aus Sicherheitsgründen schloss der Statthalter die Bar am 12. Juli. Dagegen führten die Betreiber Beschwerde und erreichten vor Wochenfrist, dass sie die Bar vorläufig wieder öffnen durften (siehe "Bund" vom Donnerstag). Nach dem jüngsten Vorfall hat die Volkswirtschaftsdirektion nun den Antrag der Betreiber auf aufschiebende Wirkung ihrer Beschwerde abgewiesen. (db)

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BZ 31.7.10

Burgdorf

 Bar vorläufig geschlossen

 Gestern wurden bei der Royal Aces Tattoo Bar erneut Scheiben eingeschlagen. Nun haben die Behörden die Bar geschlossen.

 Nach Auseinandersetzungen zwischen links- und rechtsextremen Gruppierungen hat das Regierungsstatthalteramt die Royal Aces Tattoo Bar in Burgdorf Mitte Juli geschlossen. Da die Wirtin Einsprache erhob, konnte sie die Bar wieder eröffnen. Doch gestern früh schlugen Unbekannte zum zweiten Mal die Scheiben ein. Jetzt hat die Volkswirtschaftsdirektion die Bar vorläufig geschlossen.
 jho/nh

 Seite 19

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Burgdorf

 Die Bar ist wieder zu

 Nach dem zweiten Anschlag auf die Royal-Aces-Tattoo-Bar in Burgdorf haben die Behörden die Bar wieder geschlossen.

 Gestern Morgen um 6 Uhr standen Polizisten vor der Royal-Aces-Tattoo-Bar am unteren Ende der Burgdorfer Rütschelengasse. Sie suchten Spuren. Mitten in der Nacht hatte eine unbekannte Täterschaft mehrere Scheiben der umstrittenen Beiz demoliert. Die Kantonspolizei Bern wurde gemäss einer Mitteilung der Medienstelle um 4.40 Uhr über den Vorfall informiert.

 Bereits am 22. Juni hatten laut einem Bekennerschreiben, das auch dieser Zeitung zugestellt wurde, Mitglieder des antifaschistischen Lagers Teile des Gebäudes mit Farbe verschmiert. Schon damals ging Glas in die Brüche. Ob für die jüngste Aktion dieselben Kreise verantwortlich sind, ist unklar. Die Polizei (034 424 80 01) sucht Zeugen. Der Sachschaden beläuft sich auf mehrere Tausend Franken.

 Sicherheitsbedenken

 Am 14. Juli hatte der Emmentaler Regierungsstatthalter Markus Grossenbacher das am 11. Mai eröffnete Lokal geschlossen. Die Antifa Bern bezeichnete die Royal-Aces-Bar von Anfang an als "Neonazitreffpunkt". Im Internet lieferten sich extreme Linke und Rechte deshalb hitzige Wortgefechte. Grossenbacher sah die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit gefährdet. Gegen die Schliessung erhob Sophie Güntensperger, die Betreiberin des Lokals, Einspruch. Sie sagte, in ihrem Lokal sei jedermann - Rechtsradikale inbegriffen - willkommen.

 Vorläufig geschlossen

 Mit dem Einspruch war der Schliessungsbeschluss des Statthalters aufgeschoben; Güntensperger konnte die Bar wieder öffnen. Nach dem zweiten Anschlag von gestern Morgen hat die Volkswirtschaftsdirektion aber entschieden, dass die Royal-Aces-Tattoo-Bar vorläufig geschlossen bleibt. "Die Gefahr einer weiteren Eskalation wird als hoch eingestuft", schreibt die Volkswirtschaftsdirektion in einer Medienmitteilung. Eine weitere Öffnung der Bar könnte neue Angriffe provozieren, wobei auch eine Gefährdung von Leib und Leben nicht ausgeschlossen werden könne, heisst es weiter.

 Vor diesem Hintergrund hat die Volkswirtschaftsdirektion Güntenspergers Antrag auf eine aufschiebende Wirkung der Beschwerde abgewiesen. Die Bar darf vorläufig nicht mehr öffnen.
 jho/pd

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Telebärn 30.7.10

Burgdorfer Bar bleibt geschlossen
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/burgdorfer-bar-bleibt-geschlossen/c=84713&s=988491

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PNOS
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Basellandschaftliche Zeitung 31.7.10

Auch die Grünliberalen wollen die Pnos jetzt ausschliessen

 Die Rechtspartei Pnos soll nicht mehr dem Baselbieter Jugendparlament angehören

 Nach der Verurteilung eines Pnos-Mitglieds wegen Rassendiskriminierung soll die ganze Partei aus dem Jugendparlament ausgeschlossen werden. Das verlangen die jungen Grünliberalen.

 Esther Jundt

 Die Grünliberale Fraktion (glp) im Baselbieter Jugendparlament ändert ihre Meinung: Nachdem sie vorerst keine Einwände gegen eine Mitgliedschaft der Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) im Baselbieter Jugendparlament hatte, strebt die Fraktion nun deren Ausschluss an. Der Grund für diese Forderung liegt in der Verurteilung des Pnos-Mitglieds Philippe Eglin wegen Rassendiskriminierung. Dieser hatte auf der Website der Partei das Tagebuch der Anne Frank als eine geschichtliche Lüge bezeichnet. Deswegen wurde der frühere Vorsitzende der Basler Pnos-Sektion Mitte Juli vom Basler Strafgericht zu einer unbedingten Geldstrafe verurteilt. Eglin kündigte Berufung an. Sollte er die Revision einreichen, ist das Urteil nicht rechtskräftig.

 Glp-Vizepräsident Dennis Schwaninger sagte gestern zur bz, mit der Verurteilung Eglins sei eine neue Situation entstanden. Die Pnos habe sich nie von den umstrittenen Äusserungen Eglins distanziert. Damit bewege sich die ganze Gruppierung nicht mehr im demokratischen und rechtsstaatlichen Rahmen. Schwaninger sagte weiter, er sei an der Gerichtsverhandlung gewesen. Das Verhalten Eglins - keine Reue oder Einsicht - habe ihn erschüttert. Ob die Pnos weiter dem Jugendparlament angehören wird, sei davon abhängig, "wie die Mehrheit der Jungparteien entscheidet".

 Die internen Regeln des Jugendparlaments schreiben vor, dass der Jugendrat mit einer Zweidrittelmehrheit über den sofortigen Ausschluss von Mitgliedern entscheiden kann (bz vom 23. Juli). Dies könne der Fall sein, wenn eine rechtskräftige Verurteilung aufgrund einer unerlaubten politischen Äusserung vorliege. Den Ausschluss Eglins könnte der neun Mitglieder zählende Jugendrat beschliessen. Dieser ist eine regierungsrätliche Kommission des Kantons Baselland, die die Schirmherrschaft über das Jugendparlament übernommen hatte.

 Mit Juso und Grünen

 Nun gelangt die glp an diesen Rat mit der Bitte "um die Einberufung und Durchführung einer offiziellen Vorbereitungssitzung der Fraktionsvertreter des Jugendparlaments". An der Versammlung sollen alle im Parlament vertretenen Fraktionen sowie die Jungsozialisten und die Jungen Grünen teilnehmen. Diskutiert werden soll die weitere Mitgliedschaft der Pnos. Eine Neubeurteilung sei nötig, schreibt die glp in ihrem Antrag. Auch müsse ein entsprechender Beschluss gefasst werden. "Nur mit einem klaren Grundsatzentscheid der Jungparteien können wir das Jugendparlament als repräsentative Plattform für die junge Generation erhalten und positiv nutzen", schreiben die Grünliberalen. Sie sind allerdings auch der Meinung, dass der Ausschluss der Pnos oder Eglins erst nach einem rechtskräftigen Urteil erfolgen kann. Die bürgerlichen Jungparteien sagten nach der Verurteilung Eglins, dass Person und Partei getrennt werden müssten.

 Die Mitgliedschaft der Pnos im Jugendparlament löste schon einen grossen Wirbel aus. Die Jungsozialisten und die Jungen Grünen blieben aus Protest den Parlamentssitzungen fern. Allerdings scheinen die Linken inzwischen zur Einsicht gelangt zu sein, dass die Abwesenheit nichts bringt. Eine Aussprache für nach den Sommerferien war schon früher geplant.

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BLEIBERECHT
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Aargauer Zeitung 2.8.10

Sans-Papiers an der Bundesfeier

 Friedliche Kundgebung mit Spannungen bei der Rede der Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf in Eiken

 Rund 115 Personen haben gestern bei einer Rede von Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in Eiken AG auf die Situation der Sans-Papiers aufmerksam gemacht. Widmer-Schlumpf empfing eine Delegation der Gruppe. Die Justizministerin gab gleich zu Beginn ihrer Rede den Menschen von den Bleiberecht-Kollektiven der Schweiz den Tarif durch. Haben sie Respekt vor der Bundesfeier, sagte sie - und erntete Applaus der Bevölkerung.

 Die Polizei hatte die rund 115 Demonstrierenden zuvor beim Bahnhof eingekesselt. Sie mussten ihr Megaphon abgeben und zur Kenntnis nehmen, dass Widmer-Schlumpf nur eine Delegation von fünf Personen treffen würde.

 Im Gegenzug verzichtete die Polizei auf die für die zahlreichen anwesenden Sans-Papiers verhängnisvollen Personenkontrollen, wie Stephan Reinhardt, Kommandant der Aargauer Kantonspolizei, auf Anfrage sagte.

 Weil die Demonstranten zu Beginn Parolen skandierten, drohte Widmer-Schlumpf mehrmals, das Treffen zu streichen. Es fand schliesslich ungefähr eine halbe Stunde nach der Ansprache unter Ausschluss der Öffentlichkeit und der Medien statt. Ansonsten verlief die Kundgebung gemäss Reinhardt friedlich.

 Die Justizministerin vermied in ihrer Rede - entgegen ihrer Ankündigung nach dem Auftritt in Grimentz VS - weitgehend die Situation der Ausländer in der Schweiz zu thematisieren. Das Wort Bleiberecht erwähnte sie ein einziges Mal. "Das ist das Merkmal unserer politischen Schweiz, dass das Volk mit einer Mehrheit bestimmt, was laufen soll in unserem Land, zum Beispiel auch, wer ein Bleiberecht hat, wer da sein kann." Das Volk bestimme die Spielregeln.

 Nach der Rede sagte sie vor den Medien, dass sie es unfair von den Organisatoren dieser Demonstration finde, dass sie die Bundesfeier der Bevölkerung von Eiken in dieser Art und Weise störten. "Das gehört nicht zu unserer politischen Kultur." Eiken habe sehr viel für diesen Abend gemacht. Sie werde der Delegation sagen, dass die Schweiz für die berechtigten Fälle eine Härtefallregelung habe und diese auch anwende.

 Man sei jedoch nicht bereit, einfach alle, die hier bleiben wollten, auch hier zu lassen. Sie nehme es für die Eidgenossenschaft in Anspruch, dass sie sehr fair und humanitär auch mit schwierigen Fällen umgehe. Das habe man verschiedentlich auch bewiesen. (SDA)

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Souveränität und Mitspracherecht

 An der Eiker Bundesfeier regte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zum Nachdenken an

 Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf machte in Eiken deutlich, dass sich die Schweiz der internationalen Frage nicht verschliessen kann. Dabei gilt es, die Souveränität zu bewahren und sich ein Mitspracherecht zu sichern.

 Susanne Hörth

 Die Schweiz feiert ihren 719. Geburtstag. Mehr als ein Jahrhundert älter ist die Gemeinde Eiken. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf kam höchstpersönlich, um als Festrednerin an der Bundesfeier der Eiker Bevölkerung zu ihrem 850-Jahr-Jubiläum zu gratulieren. Begrüsst wurde der hohe Besuch aus Bern vom Eiker Gemeindeammann Georges Collin und Regierungsrat Roland Brogli. In ihrer Ansprache beleuchtete die Justizministerin die Rolle der Schweiz auf dem internationalen Parkett. Auf dieser Ebene nehme die Unsicherheit zu, wenn es darum gehe, Souveränität und Eigenständigkeit bei einem gleichzeitig grossen internationalen Engagement zu wahren. "Der bilaterale Weg ist problematischer geworden. Man kann die Probleme jedoch selbstbewusst mit dem bewährten Modell Schweiz bewältigen", so die Rednerin. Sie hob hervor, dass die internationale Frage diskutiert werden müsse - und man werde auch klare Antworten finden. Eveline Widmer-Schlumpf lieferte keine Lösungen, sondern betonte, dass das Thema angegangen und darüber diskutiert werden muss, wo sich die Schweiz auf dem internationalen Spielplan positionieren soll. "Wandel gehört zum Leben, und wenn man den Wandel mitgestaltet, dann resultiert auch etwas Positives. Wir kommen nur weiter, wenn wir erkennen, dass der Kompromiss Stärke und nicht Schwäche bedeutet", endete die Bundesrätin ihre Rede. Zuvor gab es noch viele lobende Worte für Eiken, dessen Schönheit und die engagierte Bevölkerung.

 "Sans-Papiers" in Eiken

 Das Motto der Gemeinde, "Eiken für alle", wurde an der Bundesfeier in Eiken mit hohem Besuch aus Bern als bare Münze genommen. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf mahnte zu Beginn ihrer Rede mit freundlichen, aber deutlichen Worten die angereisten, zirka 150 demonstrierenden Sans-Papier, die Feier nicht zu stören. Sie werde sich nach dem Anlass unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit einer Delegation der Gruppe "Bleiberecht-Kollektive" unterhalten.

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Basler Zeitung 2.8.10

Demonstration bei der Bundesrätin

Rund 150 Sans-Papiers tauchten plötzlich in Eiken auf

 Franziska Laur

 Die friedliche 1.-August-Feier im fricktalischen Eiken wurde gestört von Sans-Papiers, die bei der Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf Rechte einfordern wollten.

 Fast ein bisschen zerbrechlich wirkte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zwischen ihren Gastgebern Georges Collin, Gemeindeammann von Eiken, und Roland Brogli, Aargauer Regierungsrat. Doch als sie vor dem Mikrofon stand und ihre Stimme erhob, um den rund 150 Sans-Papiers, die zur Feier marschiert waren, Paroli zu bieten, schien sie zu wachsen. "Hier ist ein Dorf, das seinen 850. Geburtstag feiert, und ich bitte Sie um Respekt. Verhalten Sie sich ruhig. Dann werde ich am Schluss der Veranstaltung mit Ihnen reden", richtete sie sich an die Demonstranten.

 Und tatsächlich schafften es die Organisatoren der spontanen Kundgebung, die sich anbahnende Missstimmung so weit zu beruhigen, dass die Reden gehalten werden konnten. Eveline Widmer-Schlumpf erwähnte das eigenständige Wesen der Eikerinnen und Eiker, das nicht zuletzt aus ihrer 850-jährigen Geschichte entstanden sei. Sie sprach jedoch auch von Veränderungen, die stets wieder anstehen, und rief zur Mitgestaltung bei diesem Prozess auf. Tatsächlich aber wollten die Sans-Papiers genau dieses Mitwirkungsrecht in Eiken einfordern. Vom Motto "Eiken für alle" hätten sie sich angesprochen gefühlt und die Einladung angenommen, um endlich von Eveline Widmer-Schlumpf Antwort auf einen vor längerer Zeit überreichten Brief zu bekommen. Ob sie diese gestern bekommen haben, blieb geheim. Widmer-Schlumpf sprach unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit den Demonstranten.

 "Eigentlich ist das meine Welt"

 Eveline Widmer-Schlumpf politisiert am liebsten an einem Tisch mit Leuten, die konstruktive Vorschläge und Ideen einbringen.

 BaZ: Warum haben Sie für eine Ihrer 1.-August-Reden diesen Ort ausgewählt?

 Eveline Widmer-Schlumpf: Der Gemeindeammann hat mich angefragt, ob ich hier in Eiken den 850-Jahre-Geburtstag der Gemeinde mitfeiern würde. Da ich noch nie im Aargau beziehungsweise im Fricktal die 1.-August-Rede hielt und Regierungsrat Roland Brogli zudem ein guter Kollege von mir ist, habe ich gerne zugesagt.

 In der Nordwestschweiz pflegt man gute Beziehungen zu den EU-Staaten. Ist das nicht vorbildlich?

 Ich bewundere den guten Kontakt mit den Gemeinden des grenznahen Deutschlands und finde es tatsächlich sehr vorbildlich, wie man hier in der Region über die Grenzen hinweg zusammenarbeitet und sich kennt. Auch ich selber komme aus einer Gegend, wo man eine Partnergemeinde in Deutschland hat.

 Wo politisieren Sie lieber, in Bundesbern oder an Anlässen wie Bundesfeiern? Heute müssen Sie sich ja noch mit den Sans-Papiers auseinandersetzen.

 Ja, Sie haben mir versprochen, dass sie ruhig und anständig ihre Argumente vorbringen. Allerdings politisiere ich am liebsten an einem Tisch mit Leuten, die konstruktive Vorschläge und Ideen einbringen. Eigentlich ist das meine Welt.

 Ihr Kontrahent, alt Bundesrat Christoph Blocher, spricht in Grindel. Spornt Sie das an?

 Ich kenne den Terminkalender von Christoph Blocher nicht, und tatsächlich interessiert er mich auch nicht.

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 Reden der Kontrahenten Eiken/Grindel. Die zwei Gegenspieler Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf und alt Bundesrat Christoph Blocher hielten beide in der Nordwestschweiz eine 1.-August-Ansprache - die eine in Eiken im Fricktal, der andere in Grindel im Schwarzbubenland. Die BaZ nutzte die Gelegenheit, um beiden dieselben Fragen zur Region und zum Kontra-henten zu stellen.

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bleiberecht.ch 1.8.10

1. August-Aktion: Bleiberecht besucht Widmer-Schlumpf in Eiken

Auch während der Rede von Widmer-Schlumpf zeigten wir unsere Präsenz

Am 1. August feiert sich die Schweiz als Land der Freiheit und Demokratie. Die Bleiberechtsbewegung nutzt diesen Tag, um zu zeigen, dass hunderttausenden Papierlosen und abgewiesenen Asylsuchenden in der Schweiz genau dies vorenthalten wird.

Aktion in Eiken

Die heutige Aktion für ein Bleiberecht für alle fand in Eiken (AR) anlässlich der 1. August-Rede von Bundesrätin Widmer-Schlumpf statt. Das Motto der Veranstalter der Feier lautet "Eiken für alle". Als die circa 150 AktivistInnen am Bahnhof Eiken eintrafen, wurden sie von einem Grosssaufgebot der Polizei empfangen und eingekesselt. Nach längeren Verhandlungen wurde uns schliesslich der Zugang zum Fest erlaubt, unter der Bedingung, dass wir das Fest nicht stören.

Die AktivistInnen waren die gleichen Personen, die vom 26. Juni bis zum 2. Juli in Bern die kleine Schanze besetzt hielten. Im Rahmen der Besetzung wurde Bundesrätin Widmer-Schlumpf ein Brief mit Forderungen (vgl. Anhang) geschickt. Darauf hat sie bisher nicht geantwortet.

Singend und mit Transparenten zogen wir auf dem Gelände ein und hörten der Rede von Bundesrätin Widmer-Schlumpf zu, ohne sie zu stören. Der Forderung, unsere eigene Rede zu halten, wurde leider nicht entsprochen. Wir verurteilen, dass an einem Tag, an dem die Freiheit und Demokratie in der Schweiz gefeiert wird, Personen ohne Papiere offenbar keine Stimme haben dürfen. Nach der Rede verliessen wir friedlich das Gelände.

Gespräch mit Widmer-Schlumpf

Momentan spricht eine Fünf-Personen-Delegation von Flüchtlingen mit Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Über allfällige Resultate dieses Gesprächs werden wir Sie informieren. Wir bezweifeln aber, dass die verantwortliche Bundesrätin ihre unmenschliche Haltung gegenüber den weit über  hunderttausend Sans-papiers ändert.

Ziel der heutigen Aktion war es, Frau Widmer-Schlumpf nochmals auf Situation von Papierlosen und abgewiesenen Asylsuchenden in der Schweiz aufmerksam zu machen und die Bundesrätin direkt mit der Forderung nach einer kollektiven Regularisierung und dem Recht auf Arbeit für alle zu konfrontieren.

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1. August-Rede der Bleiberecht-Kollektive

Folgende Rede wollten die Bleiberecht-Kollektive anlässlich der 1. August-Feier in Eiken AG halten, um sich bei der anwesenden Bundesrätin Widmer-Schlumpf und der Bevölkerung in Erinnerung zu rufen. Leider wurde uns dies vom Organisationskommitee verweigert.

Liebe Bewohnerinnen und Bewohner des Stücks Erde, das "Schweiz" genannt wird

"Eiken für alle" heisst das Motto der 1.-August-Feier in Eiken. Wir - Menschen mit und ohne Papiere, die sich in der Bleiberecht-Bewegung vereinigt haben - nehmen diese Einladung gerne an. Denn wir kämpfen für ein Bleiberecht, gleiche Rechte für alle. Da fühlten wir uns  angesprochen.

Die Gründungsgeschichte der Schweiz erzählt von mutigen Menschen, die nicht länger gewillt waren, die Unterdrückung und die Arroganz ihrer Herren zu akzeptieren, weil sie in Freiheit und Demokratie leben wollten. Mit dieser Haltung können wir uns identifizieren. Auch wir kämpfen für Freiheit und Demokratie. Auch wir verweigern uns. Wir sind nicht länger bereit, die fremdenfeindliche und entwürdigende Migrationspolitik der Schweiz still zu ertragen. Darum haben wir im Juni die Kleine Schanze in Bern besetzt, darum sind wir heute hier.

Doch die Gründungsgeschichte der Schweiz ist nicht viel mehr als ein Mythos. Und auch von den Idealen, die sie propagiert, findet sich in der Realität herzlich wenig. Heute Abend wird Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf zur Feier des Tages eine Rede halten. Sie verficht energisch eine Politik der Fremdenfeindlichkeit und des Ausschlusses von AusländerInnen aus der Gesellschaft. Bundesrätin Widmer-Schlumpf und mit ihr eine Unzahl von Politikerinnen und Politikern von der SVP bis zum rechten Rand der Grünen und der SP wollen eine Schweiz für wenige, oder anders gesagt: eine Schweiz für alle, die Profit bringen. Sie stehen nicht für die Freiheit und Demokratie, die wir meinen.

Unter den "profitablen" Arbeitskräften gibt es hunderttausend bis dreihunderttausend, die ohne Aufenthaltsbewilligung  unentbehrliche Arbeit in Haushalten, Restaurants, Fabriken und in Landwirtschaftsbetrieben leisten. Sie tun dies unter ausbeuterischen Bedingungen und ohne sozialen Schutz. Jederzeit können sie verhaftet werden. Ständig sind sie von Ausschaffung bedroht. In einem heuchlerischen Doppelspiel brauchen die herrschenden Kreise der Schweiz diese Menschen und drangsalieren sie gleichzeitig. Sie sperren sie bis zu zwei Jahre in ihre Gefängnisse ein, nur weil sie ihren Fuss auf dieses Stück Erde gesetzt haben. Diese Menschen haben nichts verbrochen. Sie versuchen nur, ein würdiges Leben zu leben. Die Schweiz, die sich gern mit ihrer "humanitären Tradition" brüstet, verwehrt es ihnen.

Für die abgewiesenen Asylsuchenden hat die schweizerische Migrationspolitik einige stossende Spezialitäten bereit.  Sie leben von einer minimalsten Nothilfe. Sie dürfen nicht arbeiten und haben keine Perspektive. Zum Teil werden sie in unterirdische Massenunterkünfte eingepfercht. Viele von ihnen kommen aus Ländern mit extremer Armut oder schweren politischen Problemen. Dennoch dürfen sie gemäss den Behörden nicht hier bleiben.

Während der Besetzung der Kleinen Schanze haben wir Bundesrätin Widmer-Schlumpf einen Brief mit unseren Forderungen übergeben. Bis heute haben wir von ihr keine Antwort erhalten. Da bleibt uns nichts anderes übrig als uns bei ihr nachdrücklich in Erinnerung zu rufen. Das machen wir heute in Eiken. Wir wollen, dass Bundesrätin Widmer-Schlumpf zu unseren Forderungen Stellung nimmt und konkrete Schritte unternimmt, damit die Sans-Papiers und Asylsuchenden ein würdiges Leben in der Schweiz führen können. Diese Forderungen sind:

•    Kollektive Regularisierung der Sans-Papiers und Sans-Papières
•    Sofortige Annahme aller Asylanträge
•    Sofortiger Ausschaffungsstopp
•    Abschaffung des Arbeitsverbots
•    Abschaffung des Nothilferegimes
•    Recht auf Heirat und Recht auf Familienzusammenführung
•    Recht auf Bildung
•    Respektierung der Gewerkschaftsrechte
•    Respekt der übergeordneten und grundlegenden Menschenrechte

Es muss ein Ende haben mit der fremdenfeindlichen Grundhaltung, von der grosse Teile der Justiz und der Behörden durchdrungen sind. In diesem Sinn wünschen wir Ihnen ein schönes Fest und freuen uns über interessante Begegnungen.

Die Bleiberecht-Kollektive der Schweiz

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SANS-PAPIERS
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Le Temps 31.7.10

Sans papiers, pas de mariage

 Dès 2011, les personnes sans statut légal ne pourront plus se marier, au nom de la lutte contre les mariages fictifs. Un couple témoigne de la difficulté à s'unir et des soupçons qui pesaient sur lui

Valérie de Graffenried

 Ils n'auront plus le droit de se marier en Suisse. Dès le 1er   janvier 2011, les clandestins et les requérants d'asile définitivement déboutés ne pourront plus épouser une Suissesse ou un Suisse, faute de permis de séjour ou de visa valables. Toni Brunner (UDC/SG), auteur d'une initiative déposée en 2005 pour "empêcher les mariages fictifs", a gagné une bataille. Le parlement l'a suivi, le Conseil fédéral aussi. Parmi les partis gouvernementaux, seul le PS s'y est opposé. Et lors de la procédure de consultation, cinq cantons seulement - Vaud, Genève, Neuchâtel, Berne et Schaffhouse - ont jugé la disposition trop restrictive. Et cela alors que la nouvelle loi sur les étrangers de 2008 permet déjà aux officiers de l'état civil de refuser de célébrer des unions en cas de soupçons.

 Les fiancés qui ne sont pas citoyens suisses devront désormais apporter la preuve qu'ils ont le droit de séjourner en Suisse jusqu'à la date prévue du mariage: voilà ce que prévoient les nouvelles dispositions. Autre nouveauté: les autorités de l'état civil devront communiquer aux services de migration compétents l'identité des personnes qui ne peuvent pas prouver la légalité de leur présence. C'est-à-dire les dénoncer.

 Ces restrictions sont contestées par certains juristes, le droit au mariage et à la famille étant garantis par la Constitution fédérale (art. 12 et 14) et la Cour européenne des droits de l'homme. Elles dénotent surtout une volonté de compliquer encore davantage l'accès au mariage pour les étrangers extra-européens. Et de rendre leur parcours plus kafkaïen.

 Bien sûr, des abus existent. Selon l'Office fédéral de l'état civil, il y aurait entre 500 et 1000 mariages "suspects" par année. Le Tribunal fédéral traite, chaque année, environ 100 recours en relation avec des mariages de complaisance. Mais personne n'est en mesure d'affirmer que tous les clandestins en Suisse - ils seraient entre 100 000 et 300 000 - cherchent à se marier, avec la complicité ou non d'un tiers, dans le seul but de rester en Suisse ou d'obtenir une naturalisation facilitée. Par ailleurs, ce sont au total près de 15   000 unions mixtes qui sont célébrées par an, ce qui relativise le chiffre brandi par l'Office fédéral de l'état civil.

 Lors des débats parlementaires, la gauche et une petite poignée d'élus de droite, comme Claude Ruey (PLR/VD), ont, en vain, dénoncé le caractère discriminatoire du projet. "Quand tous les fiancés étrangers sont présumés coupables, où est la proportionnalité? Une police qui met tout le monde en prison, sous prétexte que les voleurs existent, est-elle une police efficace et mesurée?" s'est interrogée Liliane Maury Pasquier (PS/GE). Elle réagissait au fait que le Conseil fédéral, dans ses arguments, a souligné que les dispositions seraient appliquées dans le respect du principe de proportionnalité. Donc en tenant compte de certains cas particuliers.

 L'ancienne conseillère nationale libérale Suzette Sandoz, spécialiste du droit du mariage, est, elle aussi, choquée par un aspect de ces dispositions. "L'utilisation d'une autorité civile pour dénoncer à la police une personne même si celle-ci est en situation illégale en Suisse équivaut à la mise sur pied d'une police d'Etat comme dans les pires régimes totalitaires", a-t-elle récemment écrit dans une de ses chroniques pour par la NZZ am Sonntag.

 Elle précise sa pensée au Temps. "Ce qui me gêne vraiment est que les officiers d'état civil soient poussés à la délation", souligne-t-elle. "Je peux par contre comprendre qu'ils ne célèbrent pas le mariage de personnes dont ils ne peuvent pas vérifier l'identité et l'état civil, et donc si elles sont déjà mariées. Car si c'est le cas, et même si une annulation de l'union est possible, cela provoquerait des complications juridiques importantes, notamment pour les enfants."

 Concrètement, un sans-papiers peut rentrer dans son pays, chercher les documents nécessaires et revenir légalement en Suisse, avec un visa, argumentent les défenseurs du projet. Un scénario dans les faits pas très réaliste, les clandestins étant peu enclins à prendre ce genre de risque. Autre obstacle: certains pays ne peuvent ou ne veulent pas fournir les documents exigés.

 Un Suisse pourra par ailleurs continuer à épouser un étranger hors de Suisse et faire reconnaître son mariage si ce dernier a été "valablement célébré" et sans intention frauduleuse. Mais le mariage n'a aucune incidence sur l'obligation du visa qui dépend de la nationalité de l'étranger, précise Marie Avet, porte-parole de l'Office fédéral des migrations. Le conjoint étranger devra donc déposer une demande de visa auprès du consulat suisse avec les documents d'état civil pour la transcription du mariage dans le canton d'origine de l'époux. Ensuite, il obtiendra en principe un visa D qui lui permettra d'entrer en Suisse. Dès qu'il aura déclaré son arrivée à la commune, il obtiendra un permis B, renouvelable chaque année.

 Autre cas de figure: la personne étrangère qui réside à l'étranger et qui souhaite se marier en Suisse. Elle devra d'abord demander un visa si sa nationalité l'oblige à le faire. Ce sésame lui sera délivré pour la durée de la procédure préparatoire du mariage. Si celle-ci n'est pas achevée au bout de trois mois, une autorisation de séjour de courte durée est accordée après l'entrée en Suisse.

 Les dispositions qui entreront en vigueur dès l'an prochain ne devraient rien changer pour ces deux cas de figure. Mais elles contribuent à renforcer le soupçon qui pèse sur les étrangers. Un jeune Gambien de 20   ans aura toujours plus de peine à obtenir un visa qu'une Indienne d'âge mûr…

 Une chose est sûre, en adoptant ces mesures la Suisse rejoint les rangs des pays les plus restrictifs en la matière. La France a bien durci ces dernières années sa législation, mais sans aller aussi loin. Les maires peuvent refuser de célébrer un mariage "suspect" et saisir le procureur de la République. Mais le Conseil constitutionnel s'est érigé en 2003 contre l'idée que l'irrégularité du séjour puisse être une entrave au mariage.

 La nouvelle réglementation suisse se calque en revanche sur celles du Royaume-Uni, des Pays-Bas, de la Norvège et du Danemark. Au Danemark, une loi de 2007 précise que le mariage ne peut être célébré que si les fiancés sont citoyens danois ou au bénéfice d'un titre de séjour valable. Idem en Norvège, avec une loi qui date de 1994 déjà.

 Les règles des Pays-Bas sont plus précises. Un article du Code civil néerlandais prévoit l'obligation de présenter à l'officier de l'état civil une déclaration du chef de l'autorité compétente en matière d'étrangers sur la régularité du séjour du futur époux. Une déclaration qui n'est pas requise si les futurs époux ou pacsés ont leur résidence à l'étranger, ni pour ceux qui viennent d'un pays membre de l'UE ou de l'AELE.

 Au Royaume-Uni, un résident qui ne vient pas d'un pays de l'EEE doit être titulaire d'un "visa pour mariage", d'un "visa de fiancé" ou être détenteur d'une autorisation de mariage appelée "certificate of approval" délivrée par le Home Office avant de pouvoir effectuer une déclaration de mariage. Et cela depuis 2004. Mais il y a une exception: en Angleterre et dans le pays de Galles, ces dispositions ne sont pas applicables aux mariages célébrés selon les rites de l'Eglise anglicane et qui sont précédés de la publication des bans.

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 "La lutte contre les mariages blancs manque de vision"
 
Serge Michel

 Pour Taiba Rahim,la différence enrichit

 Il y a quinze ans, Taiba Rahim, fille de berger afghan et enseignante de formation, était employée locale du CICR à Kaboul. Elle y rencontre Pierre Krähenbühl, à l'époque chef adjoint de la délégation, désormais directeur des opérations de l'institution. Projet de mariage, récolte acrobatique dans une capitale en guerre des cinq documents exigés par Berne, visa délivré au Pakistan, mariage en Suisse, permis B, puis C et, enfin, la naturalisation.

 Aujourd'hui, Taiba anime l'association Nai-Qala qui a déjà construit deux écoles en Afghanistan, chacune pour un millier d'élèves. Elle a reçu pour cela le Prix 2010 "femme exilée, femme engagée" de la Ville de Genève. Une troisième école est en construction, une clinique est en projet. Les fonds, Taiba les a obtenus en allant parler de son pays dans les écoles de Suisse romande, où la mobilisation des enfants et des enseignants l'a bouleversée. "Ils ont vendu des biscuits, ciré des chaussures, lavé des voitures pour les enfants afghans", dit-elle. Elle se passionne pour l'histoire de la pauvreté dans les vallées alpines et ne cesse de tisser des liens entre la Suisse et l'Afghanistan. Mais la nouvelle loi suisse sur les mariages l'inquiète. "La différence est un enrichissement, plaide-t-elle. Quelle image la Suisse donne-t-elle aux nouvelles générations? La peur. Ne devrait-on pas s'occuper de sujets plus importants, plus visionnaires, que de lutter contre quelques mariages blancs?"

 De la difficulté d'épouser l'homme qu'on aime

 Julie et Modou ont suivila procédure qui sera la norme en 2011…

 C'était en 2006, la soirée du match France-Brésil de la Coupe du monde. Les rues de Lausanne étaient pleines de supporters heureux ou déçus. Julie croise Modou dans la foule. Ils se parlent et ils se plaisent. Ils se revoient. Quelques mois plus tard, Julie déménage à Lausanne, pour vivre avec Modou. Julie est Vaudoise, étudiante. Modou est Gambien, sans papiers. Sa demande d'asile a été refusée mais il a évité jusque-là l'expulsion, en fournissant des renseignements inexacts.

 En 2008, la nouvelle loi sur les étrangers rend sa situation plus précaire encore. Pour préserver leurs chances de vivre ensemble, Julie et Modou décident de se marier. En Suisse? "C'était risqué, dit Julie. Cela pouvait réveiller la procédure d'expulsion." Le jeune couple opte pour la Gambie. Ils atterrissent à Banjul en juin 2008 et passent devant l'officier d'état civil quelques jours plus tard. Puis sautent dans un taxi collectif pour Dakar, afin de faire enregistrer leur union à l'ambassade de Suisse la plus proche et déposer une demande de visa pour Modou, au titre de regroupement familial.

 Il doit alors fournir ses empreintes digitales et expliquer dans quelles circonstances il a déjà séjourné six ans en Suisse. Modou retourne attendre en Gambie et Julie rentre chez elle, d'où elle ne cesse d'appeler l'ambassade à Dakar pour que la demande suive son cours. Or il ne semble pas y avoir de cours pour des demandes pareilles. "Il a fallu deux mois pour que les documents soient envoyés à Berne", dit-elle, dépitée.

 De là, le dossier est transmis à sa commune d'origine, pour enregistrement, puis au Service de la population à Lausanne (SPOP), chargée de statuer sur la demande de visa du mari. Cinq mois s'écoulent, rien ne bouge. Julie appelle des responsables qui prétendent ne pas être là. Elle se rend à des rendez-vous qui, le jour venu, n'auraient pas été fixés. Elle fait et refait la queue au guichet et subit, au mieux, la froideur, au pire le mépris et l'agressivité des fonctionnaires.

 "Ils me regardaient comme une victime dont la naïveté avait été abusée. Je ressortais à chaque fois en morceaux." Tout est toujours flou: "Les versions sur l'état du dossier changeaient d'un fonctionnaire à l'autre, d'un jour à l'autre, se souvient-elle. C'est de ma vie qu'il s'agissait et c'étaient eux qui en disposaient."

 Le temps passe, comme entre parenthèses. Julie a pris, en se mariant, l'une des décisions les plus importantes de sa vingtaine d'années et rien ne lui permet d'être certaine de revoir son mari en Suisse. Elle l'appelle souvent. Elle craque et va deux semaines le voir en Gambie. Elle se démène pour trouver des relais qui mentionnent son cas à des responsables haut placés du SPOP.

 Enfin, en décembre 2008, elle reçoit une lettre, qui lui pose trois questions, plutôt intimes. Elle se fend de longues réponses, parle d'amour et d'avenir. Et continue d'attendre. En février 2009, elle apprend par la bande que le visa attend son mari à l'ambassade suisse de Dakar depuis trois semaines. Personne n'a jugé bon de l'avertir. Modou va chercher le visa, retourne à Banjul, monte dans l'avion, reprend sa place dans l'appartement commun, trouve un travail. Happy end? "C'est plutôt un départ à zéro", estime la jeune mariée.

 La vie de Modou n'était pas en danger en Gambie, comme pour d'autres déboutés de l'asile. Il n'a pas subi de pressions de sa famille ou de son entourage. "On a eu de la chance", conclut Julie.

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AUSSCHAFFUNG
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Sonntagszeitung 1.8.10

Amnesty fordert Untersuchung einer brutalen Ausschaffung

 Eine kurdisch-syrische Familie wurde in Chur wie Schwerverbrecher abgeführt

 Chur Die Gefangenen im Churer Gefängnis Sennhof waren geschockt. Durch ihre Zellenfenster mussten sie am 14. Juli mit ansehen, wie eine Frau und ein Mann gepackt wurden, wie ihnen ein Helm und eine Gesichtsmaske übergestülpt und sie an Händen und Füssen gefesselt wurden. Beide schrien. Ihre vier kleinen Kinder standen daneben und weinten fürchterlich. "Dann hob ein Polizeibeamter die Frau hoch und warf sie wie ein Spielzeug in den Bus", berichtet ein Insasse der SonntagsZeitung. Zwei der Kinder seien "wie Puppen" zu ihr in den Bus geworfen worden. Die anderen Kinder und der Mann, der im Sonnenhof seit Monaten in Auslieferungshaft sass, mussten in den zweiten Bus.

 Diese Schilderung stützt neben dem kurdisch-syrischen Ehepaar der katholische Gefängnisseelsorger Josef Erdin. "Ich bin selbst nicht dabei gewesen", sagt Erdin. "Aber ich habe gehört, dass es zu Szenen gekommen ist, die sich so niemals wiederholen dürfen." Wohl auch, weil die Insassen lauthals protestierten, Kaffeetassen und brennendes WC-Papier aus den Zellenfenstern warfen und die Situation zu eskalieren drohte.

 Amnesty International (AI) verlangt jetzt in einem Schreiben, das der SonntagsZeitung vorliegt, Aufklärung von Regierungsrätin Barbara Janom Steiner. Die Bündner Justizministerin, die prüfen soll, ob das Vorgehen mit der Kinderrechts- und der Folterkonvention vereinbar ist, weilt derzeit in China. Sie war deshalb für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

 Laut Amnesty sind die Kinder schwer traumatisiert

 Das Bundesamt für Migration (BFM) bestätigt, dass die Frau beim Besuch des Mannes im Ausschaffungsgefängnis samt der Familie gepackt und zwangsausgeschafft worden ist. Entgegen der Schilderung der Gefangenen sagt BFM-Sprecher Michael Glauser, Gesichtsmasken würden bei Level-IV-Ausschaffungen von Familien nie verwendet. Die Helme hätten sie nur bei der Festnahme und beim Einstieg ins Flugzeug in Belpmoos tragen müssen. Die 2- bis 7-jährigen Kinder hätten sich im Flugzeug frei bewegt.

 AI hingegen sagt, die Eltern hätten keinen Augenkontakt mit den schreienden Kindern aufnehmen können. Der Bündner Fremdenpolizeichef Heinz Brand gibt zu, dass Eltern und Kinder im Flugzeug getrennt waren.

 Laut AI sind die Kinder schwer traumatisiert. Das Zweitjüngste soll in Syrien tagelang die Nahrungsaufnahme verweigert haben, worauf es ins Spital eingeliefert werden musste.

 Die Ausschaffungshaft wäre in drei Monaten vorbei gewesen. Laut "Südostschweiz" hätten sich Private der Familie annehmen wollen. Jetzt lebt die Frau mit den Kindern bei ihrem Bruder. Den Mann will er nicht beherbergen.

 Schon vor der Einreise in die Schweiz hatte der Ehemann einen schweren Unfall erlitten. Er ist auf Medikamente angewiesen. Die Bündner haben ihm nur eine Minidosis mitgegeben. Zur medizinischen Versorgung sei man nicht verpflichtet, so Brand.

Pascal Tischhauser

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NOTHILFE
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Rundmail 2.8.10

MIGROS-Gutschein Tauschaktion am Dienstag

Liebe Freunde

Wie ihr wahrscheinlich schon wisst, hat das Flüchtlingscafé bis Ende  
August (24.08.10) Sommerpause. Trotzdem werden wir diesen Dienstag,  
den 3. August im Kasama (Militärstrasse 87a, ZH) von 10:00-15:00  
Migros-Gutscheine tauschen.
Da sich seit Beginn der Pause ziemlich viele Gutscheine angesammelt  
haben, wären wir diese Woche besonders froh um eine breite Abnahme.

Es würde uns also freuen, wenn die eine oder der andere Zeit finden  
würde am Dienstag vorbeizukommen.

Solidarische Grüsse
Flüchtlingscafé REFUGEES WELCOME

Verein Refugees Welcome
Postfach 1132
8026 Zürich
Email: refugees-welcome@immerda.ch
Mailing List: refugees-welome@list.immerda.ch
http://www.refugees-welcome.ch
PC-85-787217-5 (Spenden-Konto)
PC-85-706512-2 (Migrosgutschein-Konto)

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Sonntagszeitung 1.8.10

Nothilfekosten explodieren

 Schuld sind immer mehr negative Asylentscheide

 Bern Die Kosten der Nothilfe für abgewiesene Asylbewerber steigen rasant. Während im Jahr 2008 für neue Fälle 9,5 Millionen Franken ausgegeben wurden, kosteten diese laut Monitoring Sozialhilfestopp im vergangenen Jahr 17,4 Millionen. Insgesamt verursachte das neue, seit 2008 geltende Regime 2009 29,5 Millionen. Laut Bundesamt für Migration (BfM) bewirken "mehr negative Asylentscheide und ein Anstieg der durchschnittlichen Bezugsdauer" den Anstieg. Der Bund vergütet den Kantonen die Nothilfe mit einer Pauschale pro Asylentscheid. Da viele Abgewiesene nicht ausreisen und Nothilfe erhalten, gehen die Reserven zur Neige. "Die neue Pauschale des Bundes wird zur Deckung der Kosten bald nicht mehr reichen", so der Zürcher Sozialamtsvorsteher Ruedi Hofstetter. Der Kanton zahle für die Nothilfe 9 Millionen aus der eigenen Tasche. "Die Pauschale reicht für die Kantone gesamthaft gesehen aus", kontert BfM-Sprecher Jonas Mon- tani. Die Kantone würden damit einen Überschuss erzielen. Dies sei notwendig, damit die Kosten auch künftig gedeckt werden könnten.  

Joel Widmer

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BIG BROTHER
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Basler Zeitung 31.7.10

Vom Staat überwacht

 Basel. Maya Heuschmann ist Mitglied bei Amnesty International und setzt sich für kurdischstämmige Türken ein. Wegen ihres Engagements wurde die Linksaktivistin vom Staatsschutz überwacht. Erfahren hat sie davon erst im Zuge der Basler Fichenaffäre von 2008. Im Gespräch mit der BaZ erzählt sie von ihrer Fichierung und von der Repression des türkischen Staats. > Seite 27

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"Der Staatsschutz hat nichts gelernt"

 Die Basler Linksaktivistin Maya Heuschmann wurde 2002 fichiert

Maria Krummenacher

 Als Linksaktivistin ist Maya Heuschmann in den Fokus des Staatsschutzes geraten. Mit der BaZ sprach sie über die Fichierung, ihr Engagement für Kurden und darüber, dass sie eigentlich lieber im Hintergrund bleibt.

 Die Fichierung von sechs türkisch- und kurdischstämmigen Basler Grossräten im Jahr 2008 liess Maya Heuschmann (65) aufhorchen. Sie war in Erscheinung getreten als Gründungsmitglied der privaten Städtepartnerschaft Basel und Van, einer Stadt im von Kurden bewohnten Südosten der Türkei, und als Aktivistin für kurdischstämmige Türken. Zudem war sie im Zusammenhang mit ihrem Engagement bei Amnesty International mehrfach in die Türkei gereist. Eine Fiche auf ihren Namen war mehr als wahrscheinlich.

 Maya Heuschmann sitzt an einem regnerischen Nachmittag im Schmalen Wurf und erzählt von ihrer Fichierung. Für das Treffen mit der BaZ hat sie das Traditionslokal am Rhein vorgeschlagen. Sie fühle sich hier einfach wohl, sagt sie und bestellt einen Espresso. Heuschmann war sich der möglichen Folgen einer Fichierung bewusst. "Ich befürchtete aufgrund des Austauschs zwischen den türkischen und schweizerischen Geheimdiensten Repressionen in der Türkei", erklärt sie. Bereits einmal wurde sie über Nacht an einem Checkpoint in kurdischem Gebiet festgehalten. Ohne stichhaltige Begründung war ihr die Weiterreise verwehrt worden. "Das war kein gutes Gefühl", sagt sie.

 "Privilegierte Fichierte".

Als sie beim Dienst für Analyse und Prävention des Bundes (DAP) um Auskunft über ihre Fiche bat, erfuhr sie, dass diese bereits im Jahr 2002 angelegt und mittlerweile gelöscht worden war. Der Eintrag stand im Zusammenhang mit einer Liste mutmasslicher Linksaktivisten. Heuschmanns Reaktion auf den Bescheid des DAP: "Ich bin keine mutmassliche Linksaktivistin. Ich bin tatsächlich eine."

 Im ersten Moment habe sie der Fichierungsgrund amüsiert. Doch bald sei die Belustigung grosser Entrüstung gewichen. "Es hat mich wahnsinnig wütend gemacht, dass der Staatsschutz seit den 1980er-Jahren nichts dazugelernt hat", sagt Heuschmann. Sie ist in Basel aufgewachsen und kennt viele, die fichiert worden sind. "Das waren skurrile Zeiten", sagt sie. Meterlange Papiere mit den geschwärzten Namen der Informanten seien ihren Freunden ausgehändigt worden. Sie selber hat sich damals nicht nach einer möglichen Fiche erkundigt. "Das kümmerte mich nicht", sagt sie mit einem Lachen.

 Heuschmann bezeichnet sich als "privilegierte Fichierte". Sie steht nicht gerne im Mittelpunkt und möchte viel lieber über andere als sich selber sprechen. Zum Beispiel über die Migranten, deren Einbürgerungsverfahren sich wegen einer Fichierung unnötig in die Länge ziehen, ohne dass sie über den Grund informiert würden. Heuschmann begleitet diese Menschen auf ihrer beschwerlichen Reise durch den Schweizer Bürokratiedschungel.

Schockiert von Folter

Seit März 2010 ist Heuschmann Länderkoordinatorin für die Türkei bei der Schweizer Sektion von Amnesty International. Auf ihren Reisen habe sie immer wieder erlebt, wie die Rechte und die Würde von Menschen mit Füssen getreten werden. Besonders die Folgen von Folter haben sie schockiert. "Mit Folter wird ein Mensch gebrochen", sagt Heuschmann. Diese brutalste Form der Entwürdigung dürfe nirgends geduldet werden. Mit Amnesty International hat sie in der Türkei ein Rehabilitationszentrum für Folteropfer besucht. Der Eindruck sitzt tief: "Was ich dort gesehen habe, hat mich nie mehr losgelassen." Wenn Maya Heuschmann darauf von der Bedeutung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte spricht, sind Gedanken an gönnerhaftes Gutmenschentum beim Zuhörer weit weg. Nennt sie die Menschenrechte eine "riesige Errungenschaft", so ist das keine Floskel, sondern eine simple Tatsache. Diese Frau ist keine Missionarin.

Geheimer Name.

Heuschmanns Türkei-Reisen haben sie oft in kurdischdominierte Gebiete geführt. Dort ist sie Zeugin von Repression des türkischen Staates gegen kurdischstämmige Türken geworden. "Der türkische Staat hat seine Versprechen gegenüber den Kurden nie eingelöst", sagt Heuschmann.

 Neben der Arbeit bei Amnesty leistet Heuschmann mit dem Verein Städtepartnerschaft Basel-Van Hilfe im Kleinen. Im kurdischen Van eröffnete der Verein eine Wäscherei sowie eine Teppich- und Keramikwerkstatt. Den Namen der Wäscherei erwähnt Heuschmann mit keinem Wort. Aus gutem Grund, wie die BaZ herausfand. Die Wäscherei Maya ist nach ihr benannt und rückt Heuschmann dorthin, wo sie eigentlich nie sein wollte: in den Mittelpunkt.

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SQUAT ZH
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Tagesanzeiger 2.8.10

Küsnacht für zwei Stunden ohne Strom

Huber Marius

 Küsnacht - In weiten Teilen Küsnachts ging am Freitagabend plötzlich gar nichts mehr. Ein Stromunterbruch genau um 20 Uhr vermieste vielen den Fernsehabend und zwang sie zu einem Alternativprogramm. Erst zwei Stunden später, die Sonne war längst untergegangen und die Hauptsendezeit vorbei, gingen die Lichter wieder an. Etwas länger dauerte es bei den Strassenlaternen: Wer etwa auf der Seestrasse die Gemeindegrenze nach Küsnacht überquerte, fand sich laut Zeugen schlagartig von ungewohnter Dunkelheit umgeben. Schuld am Ausnahmezustand war nach Angaben der Werke am Zürichsee ein Defekt an einer Leitung in Itschnach, in der Nähe der besetzten Klinik St. Raphael. Die Hausbesetzer hätten mit dem Vorfall aber offenbar nichts zu tun, sagte Küsnachts Sicherheitsvorstand Arnold Reithaar (SVP) auf Anfrage. (hub)

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Tagesanzeiger 31.7.10

"Lieber Hausbesetzer als Asylanten"

 In der Nachbarschaft der besetzten Küsnachter Klinik St. Raphael hält sich die Aufregung über die friedlichen Neuzuzüger in Grenzen. Die Polizei war vor Ort und hält sich vorderhand zurück.

 Von Michel Wenzler und Patrik Berger

 Küsnacht - Gestern Nachmittag im Hof der besetzten Klinik St. Raphael in Küsnacht. Die Sonne scheint angenehm warm, es ist ruhig. Von den zehn Besetzern, die sich in der Klinik einquartiert haben (TA von gestern), ist nichts zu sehen. Nur ein Transparent deutet darauf hin, dass die leer stehende Luxusklinik seit Mittwoch von einem unbekannten Künstlerkollektiv bewohnt ist.

 Plötzlich knirscht der Kies in der Einfahrt. Ein schwarzer Range Rover mit dunklen Scheiben fährt im Schritttempo vor. Eine blonde Frau um die fünfzig lässt die Scheibe runter und schaut sich um. Ein Fenster öffnet sich im ersten Stock, ein junger Mann lugt nervös heraus. Die Autofahrerin gibt sich als Nachbarin zu erkennen. "Was ist denn hier los?", fragt sie den Sprecher der Künstlergruppe, der einen weissen Arztkittel mit dem Kliniklogo trägt.

 Übers Wochenende toleriert

 Der Hausbesetzer rückt nur spärlich mit Informationen heraus. Die Klinik sei vom Collective Saint Raphael besetzt worden, man wolle hier Wohn- und Arbeitsräume einrichten. Viel mehr ist dem jungen Mann nicht zu entlocken. Er will nicht einmal sagen, ob die Hausbesetzer Strom haben. "Wir leben einigermassen komfortabel", sagt er lediglich.

 Auch die Identität der Eindringlinge ist unklar. Gemäss Küsnachts Sicherheitsvorstand Arnold Reithaar (SVP) blieb der Polizei gestern der Zutritt zur Klinik weiterhin verwehrt. "Die Lage ist aber entspannt, die Besetzer sind friedlich", sagt der Gemeinderat. "Links-autonome Chaoten sind das nicht."

 Die Gemeindepolizei beschränkt sich deshalb vorerst darauf, die Situation über das 1.-August-Wochenende zu beobachten. "Das Know-how, um das Haus zu räumen, hätten wir als fünfköpfige Truppe ohnehin nicht", sagt Reithaar. Eine Hausräumung geschehe nur in Absprache mit der Kantonspolizei. Und solange sich die Anwohner nicht gestört fühlten, greife die Polizei nicht ein.

 Gestört fühle sie sich überhaupt nicht, sagt die Frau im Range Rover. Im Gegenteil, eigentlich sei es gut, dass es wieder Leben im Gebäude gebe. "Und Künstler sind mir lieber als Roma oder Asylsuchende", sagt die Nachbarin. Wichtig sei ihr aber, dass es ruhig bleibe. Bis jetzt war es das: Von der Hausbesetzung selber hat die Frau nämlich nichts mitbekommen. Auch ihr Gärtner, der mehrere Privatgärten im noblen Wohnviertel pflegt, hat nichts bemerkt. Und die Hausbesetzer versprechen, dass es weiterhin ruhig bleiben wird. Er habe keine Angst, dass die mediale Aufmerksamkeit eine Schar Festfreudiger aus der Zürcher Hausbesetzerszene anlocke, sagt der Sprecher der Künstlergruppe.

 Besitzer verhandeln nicht

 Das Collective Saint Raphael hofft, mit den Besitzern der Klinik einen Zwischennutzungsvertrag auszuhandeln. Das Gebäude gehört zu einem Teil der Zürcher Klinik Pyramide, zu einem anderen Teil einer Gruppe von Belegärzten. Nach eigenen Angaben stehen die Künstler mit den Eigentümern in Kontakt.

 Dies dementiert Beat Huber, der Direktor der Klinik Pyramide. "Weder der Verwaltungsrat noch die Geschäftsleitung wurden kontaktiert", sagt er. Huber geht nicht davon aus, dass es zu Verhandlungen kommt - geschweige denn, dass ein Vertrag abgeschlossen wird. Wie es weitergeht, ist allerdings noch unklar. Am Montag kehre ein Teil der Verwaltungsräte aus den Ferien zurück und werde sich dann beraten. Bisher hätten sie sich noch nie mit solchen Problemen herumschlagen müssen.

 Überhaupt kommt es an der Goldküste nicht oft zu Hausbesetzungen. Vor knapp drei Jahren hatten sieben Personen mit acht Hunden ein leer stehendes Haus an der Seestrasse in Zollikon besetzt, um für den Winter ein Dach über dem Kopf zu haben. Die Polizei räumte das Haus umgehend, die Besetzer leisteten keinen Widerstand. Ebenfalls in Zol-likon quartierten sich 1996 Studenten in der verlassenen Blauen Villa im Dorfzentrum ein. Nach Ablauf des Ultimatums, das ihnen der Besitzer gestellt hatte, zogen sie friedlich von dannen.

 Gemeinde vermutet Insider

 Arnold Reithaar, seit acht Jahren Sicherheitsvorstand in Küsnacht, kann sich dagegen an keine Hausbesetzung in seiner Gemeinde erinnern. Er vermutet, dass bei der Klinik St. Raphael Insider am Werk sind. "Das Gebäude liegt abgeschieden und ist nicht einfach zu finden", sagt er. "Die Besetzer müssen die Liegenschaft gut ausgekundschaftet haben." Vermutlich wussten sie Bescheid darüber, dass die Klinik seit dem Sommer 2008 leer steht. Ursprünglich war geplant, das Gebäude abzubrechen und einen Neubau zu erstellen. Die Ärzte scheuten aber das finanzielle Risiko.

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Zürichsee-Zeitung 31.7.10

Küsnacht Besetzer wollen "verhandeln" - Eigentümer winkt ab

 Künstler besetzen Privatklinik

 Neuer Wirbel um die alte Klinik St. Raphael: Studenten nehmen das zum Verkauf stehende Gebäude in Beschlag.

 Anna Moser

 Der Küsnachter Sicherheitsvorstand verbringt seine Sommerferien zuhause. Zum Glück, denn unversehens ist er in diesen trägen Juli-Tagen zum gefragten Mann geworden: Seit Donnerstagmorgen muss sich Arnold Reithaar mit einer Hausbesetzung mitten im Itschnacher Villenquartier befassen. Ein zehnköpfiges Künstlerkollektiv hat die leer stehende Privatklinik St. Raphael in Beschlag genommen. Die Gemeindepolizei sei von der Gruppe per Fax informiert worden, berichtet Reithaar. Man habe sich "umgehend" ein Bild von der Situation gemacht - ein vorerst beruhigendes Bild, wie der SVP-Sicherheitsvorstand versichert: "Nichts erinnert an Hausbesetzungen wie in Zürich mit Linksautonomen, die alles kaputtmachen."

 Ringen um Denkmalschutz

 Pikant ist: In ihrem Bekenner-Fax schreiben die Besetzer auch, dass sie mit den Klinik-Eigentümern in Verhandlungen bezüglich einer "Zwischennutzung" stünden. Dem widerspricht auf Anfrage Beat Huber, Delegierter des Verwaltungsrats der Klinik St. Raphael AG: "Wir verhandeln nicht mit Hausbesetzern." Man nehme aber die Angelegenheit "relativ gelassen", betont Huber. Übers Wochenende werde nichts unternommen, ausser dass ein Hauswart hie und da zum Rechten sehe. Die Klinik St. Raphael gehört zur Zürcher Pyramide-Gruppe. Bis vor anderthalb Jahren plante diese in Küsnacht einen Neubau der medizinischen Luxusklasse. Dann ging das Geld aus, und die Wirtschaftskrise brach herein. Seither wird für das Areal ein Käufer gesucht. Die Situation ist verworren - denn die Gemeinde Küsnacht, die sich selber für einen Kauf interessiert, hat das Klinikgebäude im September 2009 unter Schutz gestellt. Dagegen ist eine Beschwerde hängig. Seite 3

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Küsnacht Zukunft der Klinik St. Raphael ist ungewiss - in mehrfacher Hinsicht

 Seilziehen um ein altes Gemäuer

 Um die ausgediente Klinik St. Raphael wird es nicht ruhig: Nach der umstrittenen Unterschutzstellung machen nun Hausbesetzer Schlagzeilen.

 Anna Moser

 Man wähnt sich vor einer verlassenen toskanischen Villa - oder im stillen Innenhof eines Klosters. Die sandfarbene Fassade zieren schmale Fenster mit gelb-roten Butzenscheiben. Auf dem Dach wächst Moos, auf dem Kiesplatz liegen Föhrennadeln. Doch wer näher tritt, vernimmt Stimmen und erheischt gar hinter der massiven Glastür einen Blick auf einen jungen Mann im Doktorkittel. Seit über zwei Jahren ist hier, in der ehemaligen Privatklinik St. Raphael in Küsnacht-Itschnach, kein Patient mehr ein- und ausgegangen. Und der Mann in Weiss ist auch kein Arzt - sondern ein Künstler.

 Auf das Klopfen der Journalistin reagiert er kaum, gibt bloss zurück: "Es kommt gleich jemand." Dann öffnet sich ein Fenster im ersten Stock, ein Mann im hellblauen Polo-Hemd und ein weiterer "Doktor" schauen heraus. Nein, auf Provokation hätten sie es nicht abgesehen, beteuert der Wortführer in Hellblau. Das augenfällige "Besetzt"-Transparent hätten sie nur angebracht, damit niemand hier Einbrecher vermute. Nein, Namen könnten sie keine preisgeben. Ja, sie seien eine Gruppe von Kunststudenten, etwa zu zehnt, mit der Absicht, in der alten Klinik "zu wohnen und zu arbeiten". Und ja, sie seien "irgendwie hier reingekommen". Er grinst, fast verlegen, winkt und schliesst das Fenster.

 "Das macht man so"

 Wortkarg sind die Mitglieder des "Collective Saint Raphael", wie sich die Gruppe laut einem Artikel des "Tages-Anzeigers" nennt. Die Zurückhaltung hat einen Grund: Man will es sich mit den Eigentümern der Klinik nicht verscherzen. Auf die Frage, weshalb sie denn die entsprechenden Verhandlungen nicht vor dem Einzug geführt hätten, gibt der Künstler-Anführer zur Antwort: "Das macht man so bei einer Besetzung" - um jedoch gleich anzufügen, dass sie nicht aus der einschlägigen Szene stammten.

 Die jungen Leute streben nach eigenen Worten eine "Zwischennutzung" an. Denn die Klinik St. Raphael steht derzeit zum Verkauf, nachdem ein aufwändiges Neubauprojekt zuerst jahrelang durch Rekurse verzögert und dann an Geldmangel gescheitert ist. Dass es zu einer vertraglich geregelten Zwischennutzung kommt, kann sich Beat Huber, Verwaltungsrat der Klinik St. Raphael AG, allerdings "fast nicht vorstellen". Denkbar sei eher, dass man den Besetzern eine Kulanzfrist zum Verlassen der Gebäude einräume. Am Montag soll sich der Verwaltungsratspräsident ein genaueres Bild der Lage machen.

 Polizei verstärkt Patrouillen

 Laut dem Küsnachter Sicherheitsvorstand Arnold Reithaar könnten die Eigentümer Anzeige wegen Hausfriedensbruchs erstatten. Die Gemeindepolizei sei vorderhand "auf Stand-by" und verstärke ihre Patrouillen im Hinterzelg. Man sei auch auf Hinweise aus der Bevölkerung angewiesen, was etwa die Nachtruhe angehe. Ausserdem stellt Reithaar die Frage, die sich wohl viele stellen: "Wie kommen die jungen Leute gerade auf diese Liegenschaft? Steckt da mehr dahinter?" In der Tat bietet die Klinik, obwohl leerstehend, einiges an Brisanz. Seit Januar 2009 versucht der Verwaltungsrat das Land zu verkaufen. Künftige Nutzer wären in ihren Plänen jedoch stark eingeschränkt, denn die 18 000 Quadratmeter grosse bebaubare Fläche liegt in der Zone für öffentliche Bauten. Hinzu kommt, dass der Gemeinderat das ehemalige Hauptgebäude, die "Villa Nager" aus dem Jahr 1938, unter Schutz gestellt hat - gegen den Willen der Klinik-Verantwortlichen, die dagegen Rekurs erhoben haben. Ein Entscheid der kantonalen Baurekurskommission steht noch aus.

 Auch die Gemeinde Küsnacht hat Interesse, das Klinikareal zu erwerben. Konkrete Pläne liegen laut Reithaar keine vor. Rein "prophylaktisch" wurden aber im diesjährigen Budget 30 Millionen Franken für den Posten eingesetzt.

 "Wir haben genug Schnauf"

 Darauf angesprochen, äussert sich Beat Huber vorsichtig: Die unerwartete Unterschutzstellung habe sich "eher negativ auf die Motivation ausgewirkt", weiter mit der Gemeinde als mögliche Käuferin zu verhandeln. Auch zu anderen Interessenten gebe es "unverbindliche Kontakte". - Wie es längerfristig mit der alten Klinik St. Raphael weitergeht, ist also völlig offen. Derzeit gilt es vor allem den Rekursentscheid abzuwarten. Sicher ist für Huber nur eines: "Wir haben genug Schnauf, um nicht an den Nächstbesten zu verkaufen." Und nicht ohne Galgenhumor fügt er an: "Wir haben Zeit - da muss man vielleicht auch mal eine Hausbesetzung riskieren."

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REVOLTE BS
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Sonntag 1.8.10

Versicherer wollen nicht mehr zahlen

 Basler Gewerbeverband schlägt Alarm: Nach mehreren Saubannerzügen hätten Gesellschaften angekündigt, Schäden nicht mehr zu versichern

 Von Daniel Ballmer

 Weiterer Schreck für Gewerbetreibende: Werden Schäden nicht mehr versichert, haben viele ein Problem. Der Gewerbedirektor sieht auch den Staat in der Pflicht.

 "Das wäre eine nackte Katastrophe", klagt Urs Welten. Noch immer ist der Präsident von Pro Innerstadt geschockt über den Saubannerzug vom Pfingstfreitag - und befürchtet noch Schlimmeres. Innert Minuten hatten vermummte Chaoten zahlreiche Schaufenster in der Freien Strasse zertrümmert. Schmierten antikapitalistische Parolen und Kommunismussymbole an Fassaden. Schadensbilanz: rund 600000 Franken. Und das dicke Ende könnte für die Ladenbesitzer erst noch folgen.

 Denn der Basler Gewerbeverband schlägt Alarm: "Verschiedene Versicherungsgesellschaften haben angekündigt, das Risiko ‹Glasbruch aufgrund von Dritteinwirkung› nicht mehr zu versichern", schreibt der Verband an seine Mitglieder. Die Versicherer scheinen endgültig genug zu haben: Der Zug der Verwüstung vom 21. Mai war bereits der dritte in diesem Jahr. Schon am 1. Mai und an der Anti-WEF-Demo kam es zu massiven Sachbeschädigungen. "Und wieder zahlt das Basler Gewerbe!", ärgert sich der Gewerbeverband. Wegen gestiegener Versicherungsprämien müssten viele Detailhändler ihre Schaufenster selber berappen. Kosten: 20000 bis 30000 Franken.

 Versicherer wollten die Leistung entweder ganz ausschliessen oder nur noch gegen eine massive Erhöhung der Prämien oder mit zusätzlichen Auflagen wie Sicherheitsglas anbieten, präzisiert Gewerbedirektor Peter Malama. Von diesen Massnahmen betroffen wären vorab kleinere Geschäfte. Bei den grossen Ladenketten zeigten sich die Versicherungen kulanter. "Die massive Prämienerhöhung wäre für viele kleinere Gewerbler aber ein grosses Problem", betont Malama. "Dabei haben sie mit den Demonstrationen gar nichts zu tun."

 "Die Versicherer wollen eben eigentlich nur Kunden, bei denen alles in Ordnung ist", ergänzt Welten. "Es ist wie bei den Krankenkassen: Die versichern auch lieber gesunde Menschen." Eine Schaufensterscheibe auf eigene Kosten zu ersetzen, könne aber rasch zigtausend Franken kosten. Hinzu kämen grosse Umtriebe und Einnahmeausfälle. Welten: "Was sollen wir denn tun? Sollen wir die Läden zumauern?" Noch sei vereinbart, die Namen der betroffenen Versicherungsgesellschaften nicht zu nennen, sagt Malama. Im Oktober will sich der Gewerbeverband mit der Vereinigung der Basler Versicherungsgesellschaften zu einer Aussprache treffen.

 Als "paradox" bezeichnet der Gewerbeverband, dass Basel auf der einen Seite Millionen für das Stadtbild und ein positives Image ausgibt. "Andererseits aber werden aufgrund der von der Polizei gepflegten ‹Verhältnismässigkeit› Gewaltexzesse, Sachbeschädigungen und Störungen der öffentlichen Sicherheit zugelassen", ärgert sich der Verband. "Mitten in diesem Widerspruch steht das Basler Gewerbe, das den Schaden Mal für Mal ausbaden darf." Die Basler Polizei aber wolle jeweils nicht zu früh eingreifen, um nicht noch mehr Gewalt zu provozieren, weiss Malama. "In Zürich greift sie viel rascher durch."

 In der Pflicht sieht Malama hier auch den Staat, der viele Demos "grosszügig" bewillige: "Kann der verantwortliche Veranstalter für die Sachschäden nicht zur Kasse gebeten werden, könnte künftig auch eine Staatshaftung zum Tragen kommen", überlegt sich der Basler Gewerbedirektor. "Wenn der Staat mitverantwortlich ist, wieso sollte er denn nicht subsidiär für Schäden aufkommen?" Problematischer sei dies natürlich bei unbewilligten Anlässen.

 Nach dem Saubannerzug hatte die Polizei angekündigt, ihre Präsenz zu verstärken. "Vorerst sind wir zufrieden mit dieser Massnahme", sagt Welten. Die Situation habe sich bereits verbessert. "Und auch die geplante Videoüberwachung dürfte dazu beitragen, dass der Vandalismus eingedämmt werden kann." Noch in diesem Jahr will das Justiz- und Sicherheitsdepartement die Installation von Kameras an 20 neuralgischen Hotspots beantragen. "Die guten Erfahrungen mit der Videoüberwachung in Trams lassen hoffen", sagt Welten. "Ich hoffe, dass sich das Vandalismus-Problem damit für uns erledigt."

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 Die Ermittlungen laufen nach wie vor

 Rund zehn Wochen sind vergangen, seitdem Chaoten in Basels exklusiver Shoppingmeile ein Bild der Verwüstung hinterlassen haben. Von den Tätern fehlt nach wie vor jede Spur. Die Ermittlungen laufen weiter. In Verdacht stehen sollen Linksautonome, welche die Villa Sauvage neben der Bell AG in Beschlag genommen haben. Details zum aktuellen Stand kann Markus Melzl von der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt keine nennen. "Auch die betroffenen Geschäftsinhaber haben nichts mehr gehört", klagt Urs Welten. Für den Präsidenten von Pro Innerstadt unbefriedigend: "Man will wissen, ob es Verdächtige gibt." Auf Anfrage erhielten Geschädigte im Rahmen der Strafprozessordnung Auskunft, versichert Melzl. Sofern die Ermittlungen dadurch nicht gefährdet werden. Denn noch geben die Behörden nicht auf: "Auch wenn ein Fall zwischenzeitlich ad acta gelegt werden sollte, kann es im Zusammenhang mit weiteren Ermittlungen plötzlich neue Hinweise geben." (db)

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ANTISEMITISMUS
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Sonntag 1.8.10

"Basler Fremdenpolizei war antisemitisch"

 Die Historikerin Noëmi Sibold hat ein Buch über die Geschichte der Basler Juden vor, im und nach dem Zweiten Weltkrieg geschrieben

Von Bojan Stula

 Mit ihrer Doktorarbeit "Bewegte Zeiten" ist die Nichtjüdin Noëmi Sibold auf der Basler Bestsellerliste gelandet.

 Noëmi Sibold, wieso hat es über 60 Jahre gedauert, ehe die Juden in Basel dank Ihnen zu einer historischen Würdigung gekommen sind?

 Noemi Sibold: Es gab schon früher kleinere historische Schriften aus den Reihen der jüdischen Gemeinde, doch blieb diesen verständlicherweise eine grössere Öffentlichkeit verwehrt. Für die lange Wartezeit einer Aussendarstellung gibt es mehrere Gründe. Zum einen legt die Aktensperrfrist von 50 Jahren stets eine natürliche Beschränkung auf. Zum anderen ist in Basel erst in den 1990er-Jahren das Interesse an alltags- oder sozialgeschichtlichen Darstellungen mit einem Fokus auf Minderheiten erwacht. Gerade in Bezug auf die jüdische Geschichte war Professor Heiko Haumann an der Uni Basel eine wichtige Triebfeder, später Professor Jacques Picard.

 Der frühere Präsident der Israelitischen Gemeinde Basel, Alfred Goetschel, sagte einmal, seine Generation habe wie keine andere im Ersten und im Zweiten Weltkrieg "bewegte Zeiten" erlebt. Das ist auch der Titel Ihres Buches. Welches grundlegende Fazit konnten Sie über die Basler Juden im Zweiten Weltkrieg ziehen?

 Der aufkommende Antisemitismus und die Verpflichtung, die Finanzierung und Organisation der jüdischen Flüchtlingshilfe zu übernehmen, machte den Basler Juden ihre Aussenseiterrolle bewusst - dies war eine sehr schmerzhafte Erfahrung. Doch da Basel seit 1935 von einer SP-Mehrheit in der Regierung geführt wurde, das "rote Basel", lebten die Jüdinnen und Juden hier in einem vergleichsweise angenehmen gesellschaftlichen Klima. Dies in deutlichem Gegensatz zu anderen Kantonen.

 Woran lässt sich dieses "angenehme Klima" festmachen?

 Die jüdische Gemeinde Basels unterhielt gute Beziehungen zu den SP-geführten Departementen, die Universität setzte sich für ihre jüdischen Studierenden ein. Aber auch in den bürgerlichen Parteien waren Juden vertreten, die sich als integrierter Teil der Basler Gesellschaft verstanden. Man kann den Quellen entnehmen, dass in Basel parteiübergreifend eine starke Abneigung gegenüber dem Nationalsozialismus bestand. Dennoch bedeutete die Ablehnung der von den Nazis propagierten Judenfeindschaft nicht, dass man selber ganz frei von antijüdischen Ressentiments war.

 Wie reagierten die Basler Juden auf den aufkommenden Antisemitismus und das Fröntlertum zu Beginn der 1930er-Jahre?

 Zuerst gab sich das Abwehrkomitee der jüdischen Gemeinde kämpferisch und wollte als Reaktion auf den Boykott jüdischer Geschäfte in Deutschland am 1.April 1933 einen Gegenboykott deutscher Geschäfte organisieren. Doch das ging dem Zentralorgan, dem Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), zu weit. Gegen das Kampfblatt der Fröntler ging man mit juristischen Mitteln vor. Als aber rechtliche Schritte scheiterten, zogen sich die Basler Juden immer mehr zurück, vermieden ungewollte Öffentlichkeit, demonstrierten aber gegen aussen Einigkeit und setzten sich so gegenseitig unter einen hohen Konformitätsdruck.

 Kurz vor und nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs wurde auch Basel von der Welle der jüdischen Flüchtlinge aus Nazi-Deutschland erfasst. Sie beschreiben, wie das restriktive Verhalten der Basler Fremdenpolizeizu schweren Konflikten führte.

 Man kann eindeutig feststellen, dass die Basler Fremdenpolizei eine antisemitische Politik betrieb. Jüdische Flüchtlinge und auch Studierende wurden schikaniert, beispielsweise durch einen sehr restriktiven Meldezwang. Man gab den Flüchtlingen durch zahlreiche Auflagen und Beschränkungen zu jedem Zeitpunkt deutlich zu verstehen, dass sie in Basel bestenfalls geduldet waren. Auch im kantonalen Vergleich handelte die Basler Fremdenpolizei restriktiver als anderswo.

 War die antisemitische Haltung der Basler Fremdenpolizei hausgemacht oder wurde sie von Bern gesteuert?

 Sicher bestand ein eidgenössischer Einfluss. Allerdings verfügen kantonale Behörden in einem föderalistischen System über einen grossen Handlungsspielraum. Die Basler Fremdenpolizei verteidigte ihre harte Haltung durch die exponierte Grenzlage und die Nähe zu Nazi-Deutschland. Aber auch bürgerliche Kreise forderten eine Beschränkung der jüdischen Flüchtlingskontingente. Dies mit der Begründung, die eigenen Juden vor einem Ansteigen der antisemitischen Stimmung schützen zu wollen, wenn zu viele fremde Juden ins Land kommen. Das war natürlich wiederum in sich eine antisemitische Haltung.

 Gab es Widerstand gegen die offizielle Flüchtlingspolitik?

 Der Basler Gemeindepräsident Alfred Goetschel hat stets bei den Behörden interveniert, wenn er von drohenden Abweisungen jüdischer Flüchtlinge erfuhr. Allerdings ermahnte der SIG die Basler Juden, nicht zu vielen Flüchtlingen in die Schweiz zu verhelfen, um nicht die Betreuungskosten ins Unermessliche ansteigen zu lassen. Die Finanzierung des jüdischen Flüchtlingswerks wurde den Schweizer Juden aufgebürdet, welche diese dank der Hilfe von amerikanischen Juden zustande brachten.

 Sie beschreiben das Dilemma vieler Juden in der Flüchtlingsfrage zwischen loyalem Schweizer Staatsbürger und solidarischem Glaubensgenossen. Gab es diesen inneren Konflikt auch nach der Staatsgründung Israels 1948?

 Ja, sehr stark sogar. Auf der einen Seite stärkte die Nachricht der Staatsgründung das jüdische Selbstbewusstsein, vor allem auch in den Reihen der jüdischen Basler Jugendorganisationen. Auf der anderen Seite wollten sich die Repräsentanten der Gemeinde nicht dem Vorwurf der doppelten Loyalität aussetzen. Man verstand sich in erster Linie als Schweizer beziehungsweise als Schweizer Jude.

 Wie reagierten die Basler Jüdinnen und Juden, als immer mehr Nachrichten über die Gräuel der Schoah, der Judenvernichtung durch die Nazis, durchdrangen?

 In den Basler Quellen sind fast keine Reaktionen auf die Schoah beschrieben. Man weiss aber, dass der SIG danach kämpferischer auftrat. In den Reihen der jüdischen Jugendorganisationen machte sich zum Teil Resignation breit.

 Welche Ihrer Forschungsergebnisse haben Sie selber überrascht?

 Die starke Rolle, welche die jüdischen Basler Jugendorganisationen im jüdischen Basel spielten. Diese war bisher in der wissenschaftlichen Literatur unbekannt.

 Und welches grundlegende Fazit können Sie über die Basler Juden vor und während des Zweiten Weltkriegs ziehen?

 Eine schwierige Frage. Wohl jenes, dass es in Basel kein jüdisches Kollektiv gab. Die "Basler Juden" gab und gibt es nicht. Von der jüdischen Gemeinde Basels hatte man bisher eher das Bild eines Männervereins. Doch gab und gibt es neben der Gemeinde zahlreiche andere Gruppierungen, und innerhalb der Gemeinde vielfältige Haltungen. Zwar erfolgte ab 1933 eine Sammlung der Kräfte im Kampf gegen den Antisemitismus. Dabei traten persönliche Differenzen vorübergehend in den Hintergrund. Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieg brachen aber all diese Konflikte wieder auf.

 Zum Beispiel?

 Es gab einen schweren Konflikt über die politische Haltung der Jugendorganisation Haschomer Hazair, der man - nicht ganz zu Unrecht - Nähe zum Kommunismus vorwarf. Schliesslich strich die Israelitische Gemeinde Basels die Subventionen an diesen Jugendbund.

 Da nun eine Darstellung über diese Zeit vorliegt: Wie hat die jüdische Gemeinde Basels auf die Veröffentlichung Ihrer Dissertation reagiert?

 Eine offizielle Stellungnahme habe ich bisher noch nicht erhalten. Es gab vereinzelte Reaktionen von jüdischen Privatpersonen, die überwiegend positiv waren. Vor allem ehemalige Mitglieder der Jugendbünde haben mir dazu gratuliert, dass ihre Geschichte endlich einmal erzählt wird.

 Warum haben Sie sich als Nichtjüdin für so ein spezifisches Thema interessiert?

 Da haben verschiedene Gründe zusammengespielt. Nicht zuletzt dieser, dass ich im Basler Staatsarchiv auf den frisch erschlossenen Aktenbestand der Israelitischen Gemeinde aufmerksam gemacht worden bin.

 Hatten Sie nie Angst, dass Sie als Nichtjüdin an diesem Thema scheitern könnten?

 Vor allem zu Beginn habe ich an mir gezweifelt, ob ich diesem Thema überhaupt gerecht werden könne. Im Nachhinein hat es sich aber vielleicht als Vorteil erwiesen, dass ich unbefangen an das Thema herangehen konnte und mich nicht etwa aufgrund eines persönlichen Familienschicksals mit dem Thema überidentifiziert habe. Womit ich aber nicht sagen will, dass nicht auch jüdische Historikerinnen ein solches Buch hätten schreiben können.

 Wie sind Sie mit dem Verkaufserfolg Ihres Buches zufrieden?

 Ich war sehr erstaunt, als es plötzlich in den Top Ten der Basler Bestsellerliste auftauchte. Offensichtlich spricht es gewisse Leserkreise an, was mich sehr freut.

 Und wie viel verdienen Sie daran?

 Ich verdiene nichts am Verkauf meiner Bücher. Ich musste aber auch nicht für die Druckkosten aufkommen. Ich hatte das Glück, dass meine Darstellung vom SIG herausgegeben wurde, und dieser den Druck finanziert hat.

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 Zur Person

 Die 37-jährige Historikerin Noëmi Sibold wuchs in Münchenstein auf, absolvierte ihre Schulzeit in Basel und studierte an den Universitäten Basel und Bern Geschichte, Politologie und Rechte. An der Uni Basel bekleidet die verheiratete Mutter von zwei Töchtern die Stelle einer Wissenschaftlichen Mitarbeiterin auf dem Dekanat der Philosophisch-Historischen Fakultät. Von 2004 bis 2007 vertrat Sibold als SP-Grossrätin den Wahlkreis Kleinbasel, ehe sie aus beruflichen Gründen aus dem Basler Parlament zurücktrat. Ihre Dissertation "Bewegte Zeiten. Zur Geschichte der Juden in Basel" ist in diesem Frühjahr im Zürcher Chronos-Verlag in der Schriftenreihe des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds in einer Auflage von 600 Exemplaren erschienen. (bos)

 Das Buch

 Die auch für Laien gut lesbare Darstellung über die Geschichte der Juden in Baselist in der Buchhandlung Lüdin in Liestalfür 48 Franken erhältlich.

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DROGEN
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Bund 2.8.10

Neue Debatte über die Legalisierung von Drogen lanciert

 Fachgruppe des Bundes propagiert Straffreiheit auch für harte Drogen und löst damit Kritik aus.

 Daniel Friedli

 Geri Müller ist begeistert. In einem neuen Leitbild für die künftige Suchtpolitik der Schweiz schlägt eine vom Bund beauftragte Expertengruppe vor, wofür der grüne Nationalrat schon lange plädiert: die Entkriminalisierung aller Drogen und damit den straffreien Konsum auch der heute illegalen Stoffe von Hanf bis Heroin.

 "Ein Public-Health-Ansatz verzichtet auf die gesundheitspolitisch wenig hilfreiche Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Substanzen", heisst es im Bericht, den das Bundesamt für Gesundheit (BAG) Anfang Juni von der Öffentlichkeit unbemerkt vorgestellt hat. Stattdessen plädieren die Autoren für legale Märkte, auf denen noch genauer zu bestimmen wäre, wer unter welchen Bedingungen welche Substanzen kaufen oder verkaufen dürfte.

 Rote Köpfe bei Bürgerlichen

 "Das ist eine kohärente Suchtpolitik, die alle psychoaktiven Substanzen und auch anderes Suchtverhalten umfasst", sagt Co-Autor François van der Linde. Bei den Bürgerlichen sorgt das Konzept freilich für rote Köpfe. "Das ist chancenlos", ärgert sich CVP-Nationalrätin Ruth Humbel, die sich gegen eine "Verharmlosung" von harten Drogen wehrt.

 Auch SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler kann die Offensive der Experten aus den eidgenössischen Kommissionen für Alkohol-, Drogen- und Tabakfragen nicht verstehen. Die Süchtigen wollten nichts als weg von den Drogen, da sei deren erleichterte Abgabe sicher der falsche Weg. Zumal das Volk schon die Entkriminalisierung von Cannabis wuchtig abgelehnt habe.

 BAG hilft mit bei Umsetzung

 Trotzdem scheint das BAG gewillt, dem neuen Konzept Leben einzuhauchen. Es will mithelfen, das Leitbild nun zu vermitteln, zu vertiefen und zu verankern. Dazu werden alle betroffenen Akteure in die Diskussion einbezogen. Und laut François van der Linde sollen sich bald Arbeitsgruppen an die Umsetzung der einzelnen Punkte machen. - Seite 6

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Entkriminalisierung vom Hanf bis zum Heroin

 Eine Expertengruppe unter Führung des Bundes will in der Drogen- und Suchtpolitik neue Wege einschlagen.

 Daniel Friedli

 Pascal Strupler wählte ein Bild aus dem Fussball, um die Richtung vorzugeben. "Das ist eine Steilvorlage", sagte der Chef des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), als er Anfang Juni vor Experten das neue Leitbild "Herausforderung Sucht" präsentierte. Und wie steil dieser Pass ist, den eine Gruppe von Fachleuten mithilfe und im Auftrag des BAG da spielt, zeigt sich daran, dass man nichts weniger als "grundsätzlich neue Regulierungsfragen" diskutieren will.

 Die grundsätzlichste dieser Fragen ist dabei wohl jene, die am heutigen Verbot von harten Drogen rüttelt: "Das suchtpolitische Handeln (…) verabschiedet sich von einer vereinfachenden Unterscheidung zwischen legalen und illegalen Substanzen", lautet der Leitsatz dazu. Denn der Verzicht auf einen legalen Markt rechtfertige sich auch bei sehr gefährlichen Stoffen nur dann, wenn Minderjährige so wirksamer geschützt werden könnten. Und dies wiederum sei nur möglich, wenn das Verbot das Drogenangebot weitestgehend reduziere.

 Da dies heute nicht der Fall ist, läuft das Leitbild, wie Co-Autor François van der Linde erklärt, faktisch auf die Entkriminalisierung aller Drogen hinaus - vom Cannabis bis zum Heroin. "Verbote im Sinne des Strafrechts bringen nichts", sagt der Präsident der Eidgenössischen Kommission für Drogenfragen. Vielmehr erschwere es die Illegalität, die Qualität der Substanzen zu kontrollieren und die Süchtigen für eine Therapie zu erreichen. Stattdessen plädiert van der Linde dafür, die Suchtpolitik auf die tatsächliche Problemlast auszurichten, die nun einmal bei legalen Suchtmitteln höher sei als bei illegalen. Dazu möchte er die Verfügbarkeit der Stoffe generell durch einen Markt regeln, in dem der Konsum nicht verboten, das Angebot aber je nach Substanz unterschiedlich eingeschränkt ist: für harte Drogen wie Heroin oder Kokain strikter als etwa für Hanf. Für diesen kann sich der Chef der Steuerungsgruppe für das Leitbild etwa das holländische Modell der Coffee-Shops vorstellen, in denen Hasch gekauft und konsumiert werden darf. Oder eine staatlich kontrollierte Abgabe, wie sie das Stadtzürcher Parlament in einem Versuch getestet haben möchte.

 Umgekehrt heisst dies für die Experten, dass die Hersteller, Händler und Verkäufer von Suchtmitteln stärker in die Verantwortung zu nehmen sind. Sie sollen vom Gesetz zu einer engeren Steuerung von Angebot und Nachfrage verpflichtet werden. Laut Co-Autor Bruno Erni, dem Präsidenten des Fachverbandes Sucht, denkt man dabei in erster Linie an Tabak und Alkohol - und an Massnahmen wie etwa staatliche Mindestpreise. Darüber hinaus soll das Leitbild aber für alle Suchtmittel gelten, also auch für Medikamente, Doping oder Glücksspiele. Auch ihr Missbrauch soll als Krankheit anerkannt und durch den Aufbau eines integrierten Angebots zur Früherkennung, Beratung und Unterstützung beim Ausstieg und der sozialen Wiedereingliederung behandelt werden. Und zwar auch dann, wenn dies zusätzliche finanzielle Mittel erfordere.

 Angst um die Jugend

 So weit der Pass, für den die Gegner freilich bereits die Abwehr in Stellung bringen. "Die Entkriminalisierung ist der falsche Weg", sagt SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler. Das Konsumverbot sei heute für viele Menschen ein entscheidender Grund, die Finger von Drogen zu lassen. Bei einer Entkriminalisierung würde diese Hemmschwelle sinken. Die Berner Polizistin bezweifelt auch, dass mit einem legalen Markt der schwarze Markt zu besiegen wäre. Sie befürchtet vielmehr, dass die Dealer dann noch aggressiver die Jungen bedrängen würden, für die der Zugang zum Stoff ja verboten bliebe. Zudem wehrt sie sich dagegen, jede Sucht per se als Krankheit zu definieren. Dies hätte letztlich zur Folge, dass die ohnehin schon stark belasteten Prämienzahler auch noch für die Abgabe von Kokain oder Hasch bezahlen müssten.

 Mit dieser Skepsis ist Geissbühler nicht allein. Andere bürgerliche Parlamentarier verweisen darauf, dass das Volk erst im November 2008 das Betäubungsmittelgesetz bestätigt und sich damit auch für eine Repression mit abschreckenden Strafen ausgesprochen habe. Für die Autoren des Leitbilds besteht darin indes kein Widerspruch zu ihrem Konzept. Auch dieses komme nicht ohne Repression aus. Denn jemand müsse letztlich kontrollieren, dass nur jene Suchtmittel kauften und verkauften, die dazu berechtigt wären.

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 Drogenkonsum

 Warten auf die Arbeitsgruppe

 Auch der Bundesrat zeigte sich beunruhigt: Die Quote der 15-Jährigen, die bereits ein- oder mehrmals Heroin konsumiert hätten, sei zwischen 2003 und 2007 von 0,6 auf 1,4 Prozent gestiegen, antwortete er im Frühling auf eine Anfrage von SP-Nationalrat Hans Widmer (LU). Der Prozentsatz der gleichaltrigen Kokain-Konsumenten habe in der gleichen Zeit gar von 1,4 auf 3,2 Prozent zugenommen. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) versprach darum, es werde eine Arbeitsgruppe einsetzen, welche diesen Trend zur Zunahme analysieren und bis Ende dieses Jahres Vorschläge für politische Gegenmassnahmen ausarbeiten sollte.

 Passiert ist seither indes nichts. Wie beim BAG zu erfahren ist, hat sich die entsprechende Fachgruppe noch nicht konstituiert und hat dementsprechend auch noch nie getagt. Auch mit allfälligen Resultaten ist dieses Jahr nicht mehr zu rechnen. Die Experten wollen dazu die ersten Zahlen aus der nächsten Monitoring-Periode abwarten. Und diese werden frühestens für Mitte 2011 erwartet, heisst es. (fri)

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Kommentar

 Mutig, aber riskant

Daniel Friedli

 Es klingt nach einem kühnen Vorhaben, das die Drogenexperten des Bundes da planen. Keine drei Jahre nachdem das Volk nur schon die Entkriminalisierung von Cannabis wuchtig verworfen hat, gehen sie noch einen Schritt weiter und propagieren in einem neuen Leitbild legale Märkte für alle Drogen. Das mag - je nach Blickwinkel - mutig bis realitätsfremd erscheinen, gleichwohl ist es sachlich richtig.

 Die Schweizer Drogenpolitik krankt seit je an einem inneren Widerspruch. Gegen harte Drogen wird mit dem Strafrecht hart vorgegangen, bei weichen Suchtmitteln hält man sich mit Repression zurück. Dabei fällt die tatsächliche Schadensbilanz gerade umgekehrt aus: Unter dem Missbrauch von Alkohol, Tabak oder Medikamenten leiden deutlich mehr Menschen als unter jenem von harten Drogen. Auch der soziale und wirtschaftliche Schaden für die Gesellschaft ist grösser. Trotzdem käme es niemandem in den Sinn, Alkoholikern mit Gefängnis zu drohen.

 Dies zeigt, dass die Schweizer Suchtpolitik zu sehr ideologisch geprägt ist. Im Zentrum sollten die Süchtigen stehen, nicht die Suchtmittel. Und diesen wäre mit einem kontrollierten, legalen Markt besser geholfen. Die Entkriminalisierung würde es einfacher machen, das Angebot zu kontrollieren, Süchtige zu erkennen und zu therapieren und den Schaden zu mindern.

 Politisch dürfte dies indes auf absehbare Zeit ein frommer Wunsch bleiben. Zum einen, weil es einfacher und populärer ist, mit Verboten Härte und Sicherheit vorzugaukeln. Zum anderen, weil auch die heutige Politik trotz aller Inkohärenz nicht schlecht funktioniert. Reformen erscheinen nicht dringlich, das Gute wird zum Feind des Besseren.

 Dies wissen auch die Autoren des neuen Leitbilds. Sie müssen sich darum die Frage gefallen lassen, ob eine solche Legalisierungsdebatte jetzt wirklich nötig ist - oder ob sie damit nicht viel eher die kleinen Fortschritte gefährden, die zumindest beim Hanfkonsum mit dem Übergang zu einem Bussensystem derzeit vorbereitet werden. Denn leider ist in der aktuellen politischen Konstellation die Gefahr gross, dass letztlich das Bessere zum Feind des Guten wird.

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ANTI-ATOM
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Bund 2.8.10

Mühleberg-Abstimmung 2011

 Noch ist offen, wie BKW werben wird

 Der Energiekonzern soll sich am Abstimmungskampf beteiligen können, sagt Regierungsrätin Simon.

 Noch will sich der Energieversorger BKW nicht offiziell dazu äussern, wie er den Bernerinnen und Bernern in den nächsten Monaten sein neues Atomkraftwerk (AKW) schmackhaft machen möchte. Diese Frage wird sich aber schon bald nach den Sommerferien stellen, denn am 13. Februar 2011 dürfte im Kanton die konsultative Abstimmung darüber stattfinden, ob das heutige AKW Mühleberg ersetzt werden soll.

 Nachdem die propagandistische Einmischung des Energiekonzerns in einen Abstimmungskampf in der Waadt 2009 für Aufsehen gesorgt hat (siehe Kasten), muss sich die BKW nicht zuletzt Gedanken über ihr Budget machen und darüber, ob sie dieses bekannt geben sollte. Zudem muss sie sich überlegen, wie ihre Kampagne den Vorwurf unsachlicher Propaganda mit dem Geld der Stromkunden umgehen kann. Hinter den Kulissen werden solche Fragen jetzt diskutiert. Über Plakate, Flugblätter und Geld will BKW-Sprecher Antonio Sommavilla aber noch nicht sprechen. Klar sei bisher lediglich, dass BKW-Leute sich an Veranstaltungen für die Atomenergie aussprechen würden. Die SP stellt schon jetzt eindeutige Forderungen. "Wir wollen im Hinblick auf die Abstimmung keine BKW-Plakate und Flugblätter sehen. Ferner dürfen keine BKW-Gelder in Pro-Mühleberg-Komitees fliessen. Das verstehen wir unter Zurückhaltung", sagt die Langenthaler Grossrätin Nadine Masshardt. Die BKW dürfe überhaupt kein Geld der Stromkonsumenten für politische Propaganda verwenden. Klare Forderungen stellt Masshardt auch an den Kanton, im BKW-Verwaltungsrat vertreten durch SP-Energiedirektorin Barbara Egger und BDP-Finanzdirektorin Beatrice Simon: "Der Kanton sollte sich unseres Erachtens im BKW-Verwaltungsrat dafür einsetzen, dass die Grundsätze, an die sich der Konzern in Abstimmungskampagnen halten muss, verschärft werden."

 Egger weilt zurzeit in den Ferien. Simon - deren Partei betont AKW-freundlich ist und deren Parteipräsident Urs Gasche auch als BKW-Verwaltungsratspräsident amtet - sagt, sie trage die Entscheidung der Regierung, das Verhalten der BKW vor Abstimmungen unter die Lupe zu nehmen, "selbstverständlich" mit. "Ich halte mich ans Kollegialitätsprinzip. Grundsätzlich ist es aber sicher gerechtfertigt, dass sich die BKW am Abstimmungskampf beteiligt und die Wichtigkeit eines neues AKWs für den Wirtschaftsstandort Bern betont." Zur Frage, ob der Energiekonzern sein Propaganda-Budget offenlegen sollte, meint Simon: "Generell ist es besser, wenn Unternehmen proaktiv kommunizieren." Noch hat der BKW-Verwaltungsrat die Arbeit am Papier zum Verhalten des Konzerns vor Abstimmungen nicht aufgenommen. (sn)

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Der Fall Aareschutz-Initiative

 Vor der Abstimmung über ein neues AKW Mühleberg lohnt ein Blick zurück: wie die BKW 1993 in den Abstimmungskampf zur Aare-Initiative eingriff , was ihr eine (folgenlose) bundesgerichtliche Rüge eintrug.

 Stefan Wyler

 Wenn das Bernervolk demnächst seine Meinung zu einem neuen Atomkraftwerk Mühleberg äussern darf, dann will, so hat sie es angekündigt, auch die Bernische Kraftwerke AG (BKW) im Abstimmungskampf mittun und für ihr AKW-Projekt werben (siehe Zweittext). Die SP hat schon präventiv protestiert. Die Diskussion, ob und wie weit ein Konzern, der mehrheitlich dem Staat gehört, mit öffentlichen Geldern einen Abstimmungskampf in eigener Sache führen darf, dürfte intensiv werden.

 Unübersehbar sind dabei die Parallelen zu einer Auseinandersetzung, die Mitte der 1990er-Jahre auf politischer und juristischer Ebene den Kanton Bern bewegte: der Streit um die Aareschutz-Initiative. Mit dieser wollten Naturschützer die Aarelandschaft einem strengeren Schutz unterstellen - was umstrittene Projekte wie den Ausbau des Grimselkraftwerks oder eine Grundwasserfassung in der Belpau erschwert bis verunmöglicht hätte. Die BKW, der Wasserverbund Region Bern und mehrere öffentliche Elektrizitätsunternehmen führten eine recht intensive Gegenkampagne.

 Linke beklagt "Desinformation"

 Die Berner Stimmberechtigten haben die Initiative am 26. September 1993 mit 158 246 Ja zu 117 505 Nein deutlich abgelehnt. Mehrere Initiativbefürworter klagten darauf, die BKW und ihre öffentlichen Mitstreiter hätten mit ihrer irreführenden Kampagne die Abstimmung unzulässig beeinflusst. Sie forderten mit mehreren Beschwerden, das Resultat sei für ungültig zu erklären und die Abstimmung sei zu wiederholen.

 Beurteilen musste die Sache der Grosse Rat - und hier gingen Linke und Grüne, die die Beschwerden gutheissen wollten, mit der BKW hart ins Gericht. Die Polit-Werbung des Stromkonzerns sei "jenseits aller Grenzen" gewesen, sagte der damalige SP-Präsident Jürg Schärer, grüne Grossrätinnen geisselten die "Angstmacherkampagne", beklagten "Desinformation": Es gehe nicht an, so befand die Ratslinke, dass staatlich beherrschte Unternehmen mit öffentlichen Geldern den Volkswillen beeinflussten. Der Schriftsteller und Freie-Liste-Grossrat Ernst Eggimann sah durch die Werbung des Stromkonzerns die Demokratie "unterhöhlt". Und er sprach jene Frage an, die etlichen Leuten Unbehagen bereitete: den Umstand, dass die BKW ihre Kampagne mit Mitteln bestritt, an die alle Stromkunden beisteuern. Eggimann: "Ist es nicht absurd, wenn die Befürworter der Initiative notgedrungen auch die Kampagne der Gegner mitfinanzieren mussten? Ist es naiv, wenn ich noch meine, das Heftchen ‹Strom› hätte nach demokratischen Verständnis beiden Seiten gleich viel Platz für ihre Argumente zur Verfügung stellen müssen?"

 Das Muribad-Argument

 Die bürgerliche Ratsmehrheit aber setzte sich durch und lehnte die Abstimmungsbeschwerden ab. Sie hielt die Kampagne der öffentlichen Stromproduzenten und des Wasserverbunds in finanzieller Hinsicht für verhältnismässig, und sie wollte auch die meisten umstrittenen Propaganda-Aussagen nicht beanstanden. In zwei Punkten allerdings rügte auch die Grossratsmehrheit die parastaatliche Gegnerkampagne. Ausdrücklich kritisierte sie dabei das umstrittenste Argument der Initiativgegner: In einem Bild-Bericht in der Kundenzeitschrift "Strom" hatte die BKW behauptet, bei strenger Auslegung der Aare-Initiative müssten auch Freibäder wie das Muribad oder das Aarebad Münsingen "entfernt" werden. Hier habe die BKW die Grundsätze der Sachlichkeit und der Zurückhaltung verletzt, zu der sie als halbstaatliches Unternehmen in ihrer Informationstätigkeit verpflichtet sei, urteilte der Grosse Rat. SVP-Grossrat Hermann Weyeneth hatte sich vergeblich gegen diese "Schein-Verurteilung dem politischen Frieden zuliebe" gewehrt.

 Im Endergebnis aber lehnte die Grossratsmehrheit die Beschwerden ab: Die Stimmberechtigten, so argumentierte sie, seien insgesamt durchaus in der Lage gewesen, die Argumente von Befürwortern und Gegnern und auch die beiden unsachlichen Aussagen von BKW und Wasserverbund "richtig einzuordnen". Und: Die Möglichkeit, dass die Abstimmung ohne diese Mängel anders ausgefallen wäre, erscheine angesichts der grossen Differenz zwischen Ja- und Nein-Stimmen als "derart gering, dass sie nicht in Betracht kommt".

 Mehr Kritik aus Lausanne

 Die Initianten zogen den Fall ans Bundesgericht. Und dieses äusserte sich in seinem Urteil im Mai 1995 in mehreren Punkten strenger gegenüber der Kampagne der BKW und ihren Mitstreitern als der Grosse Rat: So taxierte es mehr als nur zwei Behauptungen als "unsachlich" und "falsch". Die Bundesrichter aber befanden, die kritisierten Unwahrheiten wögen "objektiv nicht schwer"; sie seien "bei unvoreingenommenem Vergleich mit der Propaganda der Befürworter als teilweise unsachlich zu erkennen" gewesen.

 Kritischer als der Grosse Rat wertete das Bundesgericht das finanzielle Engagement der BKW und ihrer öffentlichen Mitstreiter. Diese hatten mit rund 250 000 Franken etwa gleich viel ausgegeben wie das Initiativkomitee. Allein die BKW hatte drei Inserate über 100 Mal in 50 Zeitungen und Zeitschriften erscheinen lassen. Dazu das Bundesgericht: "Die Beeinflussung der Meinungsbildung im Abstimmungskampf ist in einer Demokratie grundsätzlich den Parteien, (privaten) Organisationen und Interessierten, ihren Komitees, der freien Presse etc. vorbehalten. Gemischtwirtschaftliche und öffentliche Unternehmen dürfen zwar, wenn sie von der Materie besonders betroffen sind, auf sachliche und zurückhaltende Art ihren Standpunkt darlegen und allfällige von den Abstimmungsgegnern verbreitete Fehlinformationen berichtigen. Die Beschwerdegegner, die dem ideell ausgerichteten Initiativkomitee an Finanzkraft weit überlegen sind, haben dessen Abstimmungskampagne allein mit ihrer Gegenpropaganda etwa aufgewogen. Damit dürften sie zu weit gegangen sein."

 Nicht matchentscheidend

 Am Ende aber wies auch das Bundesgericht die Beschwerden mit demselben Argument ab wie der Grosse Rat. Zwar möchten, so erwog es, die teils unsachlichen Argumente und "der beträchtliche Einsatz finanzieller Mittel" einen gewissen Einfluss auf das Abstimmungsergebnis gehabt haben. Es sei aber angesichts des sehr deutlichen Resultats "äusserst unwahrscheinlich", dass die teilweise unzulässige Einmischung für das Ergebnis entscheidend gewesen sei.

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 BKW-Propaganda

 Die umstrittene Intervention in der Waadt

 Rund 250 000 Franken hatten die BKW und andere öffentliche Unternehmen 1993 im Kampf gegen die Aare-Initiative aufgewendet, was dem Bundesgericht schon etwas gar viel schien. 250 000 Franken aber (inflationsbereinigt: rund 290 000 Franken) sind kein sonderlich beeindruckender Betrag mehr, vergleicht man ihn mit den rund 500 000 Franken, die die BKW, die zu 52,5 Prozent dem Kanton Bern gehört, letztes Jahr in eine Abstimmungskampagne im Kanton Waadt gesteckt hat: Es ging um eine Konsultativabstimmung zur Verlängerung der Betriebsbewilligung für das heutige AKW Mühleberg. Die BKW-Intervention nützte allerdings wenig, die Waadtländer votierten mit 64 Prozent Nein-Stimmen gegen eine verlängerte Bewilligung für das AKW. (Der Bund hat diese später dennoch gewährt.) Er habe nichts davon gewusst, dass die BKW mit 500 000 Franken im Waadtländer Abstimmungskampf involviert sei, schrieb der Berner Regierungsrat kürzlich in seiner Antwort auf eine Interpellation von SP-Grossrat Roland Näf. Er sei aber der Ansicht, so hielt der Regierungsrat fest, dass "Unternehmen wie die BKW, die mehrheitlich der öffentlichen Hand gehören, bei Volksabstimmungen grundsätzlich keine Informations- und Kommunikationsmassnahmen finanzieren" sollten. Der Regierungsrat erklärte allerdings auch, er habe auf die als Aktiengesellschaft privatrechtlich organisierte BKW "keine direkten Eingriffsmöglichkeiten". Er wolle sich jedoch via Kantonsvertreter im BKW-Verwaltungsrat für eine Überprüfung der BKW-internen "Grundsätze zur Information bei Volksabstimmungen" einsetzen. (sw)