MEDIENSPIEGEL 17.8.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS, Tojo)
- Reitschule bietet mehr als Fuchs&Hess: Müslüm for president (5.8.-17.8.)
- RaBe-Info 16.+17.8.10
- Drogenanlaufstelle: Big Brother, Jugendliche raus
- Ausschaffung: Solidemo SO; Rückschaffung gescheitert
- @-Camp im Val Lumnezia
- Söldnertum goes CH: Schützengrabengerangel
- Anti-Atom: Anzeige gegen AKW Gösgen; Atommüllendlager; Inti mit Axpo-Karrer

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REITSCHULE
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Mi 18.08.10
20.00 Uhr - Dachstock - Portugal. The Man (USA)

Do 19.08.10
21.30 Uhr - Hofkino  - "Allein machen sie dich ein!" Filmzyklus über die Zürcher Häuserbewegung Teil 5 & 6

Fr 20.08.10
20.30 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6 Berner TänzerInnen.

Sa 21.08.10
13.00 Uhr - Grosse Halle   - oder Lorrainebad: Säbeli Bum II integratives Festival von Freaks für Stars. (Bei Schlechtwetter in der Grossen Halle)
20.30 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6 Berner TänzerInnen.

So 22.08.10
19.00 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6 Berner TänzerInnen.

Do 26.08.10
20.00 Uhr - Rössli - Solifest für die kirchliche Gassenarbeit Bern. Lesung von Matto Kämpf, Konzerte von The Frozen Pony & The Hot Skirts, Reverend Beat-Man, u.v.a.
21.30 Uhr - Hofkino - "Allein machen sie dich ein!" Filmzyklus über die Zürcher Häuserbewegung Teil 7 & 8

Fr 27.08.10
20.30 Uhr - Kino - Tatort Reitschule: "Die Falle" - der letzte Ehrlicher!
23.00 Uhr - Dachstock - C'est Berne. Your local Techno-Heroes!

Sa 28.08.10
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: London Elektricity & MC Wrec (UK/Hospital), Flowrian & LaMeduza, Lockee, TS Zodiac, MC Matt

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 16.8.10

Von Gisela Feuz am Montag, den 16. August 2010, um 07:00 Uhr

Kulturbeutel 33/10

Frau Feuz empfiehlt
Am Mittwoch im Dachstock das Konzert von Portugal the Man. Diese spielen sphärischen Indierock und kommen nicht etwa aus Portugal, sondern aus Alaska. (Da soll noch einer drauskommen.) Von ein bisschen weniger weit her kommen die Herren Soulwax aus Belgien, welche ebenfalls am Mittwoch in der Schweiz halt machen und zwar in der Kaserne in Basel. Am Freitag sollte dann keinesfalls der Herr Avignon alias Neoangin verpasst werden, welcher dem Kairo seine Aufwartung macht.

(...)

Signora Pergoletti empfiehlt:
Nichts, denn Portugal. The Man, über die sie beinah delirinös überschwengliche Statements gehört hat, sind hier schon empfohlen worden, ebenso das Spektakel in Zürich. Henusode.

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kulturagenda.be 19.8.10

Sechs Tänzer - sechs Choreografien - eine Heimat

Sechs Heimweh-Berner treffen sich für ein gemeinsames Tanzprojekt in ihrer Heimatstadt. Im Tojo präsentieren die Tänzerinnen und Tänzer ihre Choreografien unter dem Titel "Bern retour".

Sie leben in Paris, London oder Amsterdam. Einige haben die Ausbildung zum Profitänzer bereits abgeschlossen, andere sind auf dem besten Weg dazu. Mindestens einmal pro Jahr zieht es die sechs jungen Tänzerinnen und Tänzer in ihre Heimat nach Bern zurück. Hier sind sie aufgewachsen. Hier machten sie ihre ersten Tanzschritte. Hier schlossen sie Freundschaft. Diesen Sommer treffen sie sich in Bern nicht nur, um in der Aare zu schwimmen, sondern auch für das gemeinsame Tanzprojekt "Bern retour".

Grenzen erfahren

Im akar Dance Studio trainieren Gianna Grünig, Laura und Vera Stierli, Cedric Huss, Manuel Wahlen sowie Michael Wälti für ihr Projekt. Jede und jeder präsentiert im Tojo eine eigene Choreografie. Für viele ist es die erste. Die Stücke widerspiegeln ihre vielfältigen Erfahrungen, Schulen und Tanzrichtungen vom klassischen Ballett bis zum zeitgenössischen Tanz. Diesen unterschiedlichen Hintergrund erleben die sechs alle als Bereicherung. Es sei interessant, andere Arten von Tanz kennen zu lernen, auch wenn sie dabei manchmal an ihre Grenzen kämen.

Mit Humor und Kung Fu

Innerhalb der Gruppe sind alle gleichberechtigt. Beim Üben übernimmt der jeweilige Choreograf die Regie. Im Fall von "Wash my feet, kiss my eyes" ist es Michael Wälti. Sein Stück für fünf Tänzer befasst sich "mit dem menschlichen Verhalten im orientierungslosen Heute ". Wie ein Uhrwerk wiederholen seine Freunde zur eigens für die Choreografie komponierten Musik von Michael Szetlak immer und immer wieder dieselben Bewegungen. Gegensätze treffen aufeinander. Eine rohe Tanzsprache sowie Bewegungsabläufe aus dem Kampfsport - Wälti macht Wushu Kung Fu - vermischen sich mit theatralen Elementen. Die Choreografie wirkt verstörend und witzig zugleich. "Humor ist ein zentrales Element", erklärt Wälti, "er kommt meiner Meinung nach im Tanz allgemein etwas zu kurz." Inspiriert ist das Werk von der amerikanischen Tänzerin und Choreografin Anna Sokolow und dem holländischen Tanz. Der 24-jährige Wälti studiert an der Hogeschool voor de Kunsten in Amsterdam.

Freiräume lassen

Vera Stierli ist knapp 20 und begann ihr Studium im letzten Jahr an der Palucca Schule in Dresden. Im Projekt "Bern retour" präsentiert sie ihre erste eigene Choreografie "Cocoon" zum Song "Bear Hides and Buffalo" von Coco Rosie. Beim Beobachten von Menschen im Park liess sie sich zum Duett animieren, das die Schwierigkeiten und Gefahren der Kommunikation erforscht: Behutsam, aber unermüdlich nähert sich eine Frau (Vera Stierli) einem Mann (Manuel Wahlen). Sie muss alle Register ziehen, damit er sie reinlässt in sein Cocon. Die Kommunikation zwischen den sechs Heimweh-Bernern scheint da ungleich einfacher vonstatten zu gehen. Die Tatsache, dass sie sich sehr gut kennen, mache die Zusammenarbeit leichter. Wichtig sei es, so alle unisono, sich gegenseitig Freiräume zu lassen, damit alle ihre Stärken ausleben könnten. Nach den Vorstellungen werden die sechs wieder in alle Himmelsrichtungen davonziehen, um nächsten Sommer wieder nach Bern zurückzukehren, vielleicht für die zweite Folge von "Bern retour".

Simone Tanner

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Tojo Theater in der Reitschule, Bern
Fr., 20., und Sa., 21.8., 20.30 Uhr sowie So., 22.8., 19 Uhr
(Reservation
unter bernretour@gmail.com)
http://www.tojo-theater.ch

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REITSCHULE BIETET MEHR
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Bund 17.8.10

Thomas Fuchs droht Radio- und TV-Stationen mit Klage

 Per Anzeige gegen Satire: Thomas Fuchs will juristisch gegen Sender vorgehen, die Müslüms Erich-Hess-Song spielen.

 Simona Benovici

 Im Abstimmungskampf um das autonome Kulturzentrum Reitschule wird der Ton schärfer: Der Bund der Steuerzahler des Kantons Bern (BDS), dem SVP-Grossrat Thomas Fuchs als Geschäftsführer vorsteht, droht Radio- und TV-Stationen mit einer Klage, wenn sie Songs der CD "Reitschule beatet mehr" ausstrahlen. Der BDS beruft sich auf die Bestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes, wonach Werbung für Themen, die Gegenstand von Volksabstimmungen sind, unzulässig ist. Der BDS fordert alle Sender auf, "die Reitschulsongs bis am Tage nach der Abstimmung von Ende September nicht mehr auszustrahlen oder im Gegenzug den Befürwortern ebenso viel Sendeplatz einzuräumen". In Letzterem sähe Fuchs keinen Widerspruch. Obgleich er sich mit Inanspruchnahme von Sendezeit auf etwas einlassen würde, was er den Gegnern der Initiative als gesetzeswidrig ankreidet. Mit der Forderung wolle man lediglich sicherstellen, dass gleiches Recht für alle gelte, so Fuchs. "Wenn wir das jetzt einfach so zulassen, könnte die SVP im nächsten Jahr sonst auch einen Ausschaffungssong lancieren." Er sei sich sicher, das dies von der politischen Linken auch nicht einfach so hingenommen würde. Werden die Lieder weiter ausgestrahlt oder wird den Initianten das Gegenrecht auf Sendezeit verwehrt, werde der BDS gegen die entsprechenden Radiostationen Beschwerden und Klagen beim Bundesamt für Kommunikation führen. Dass es dem BDS ernst ist mit seiner Drohung, zeigt die Aufforderung an die Bevölkerung, dem BDS Namen von Radiostationen sowie Zeitangabe der gespielten Songs zu melden.

 In der gleichen Mitteilung gibt der BDS auch bekannt, dass er die Kampagne für den Verkauf der Reitschule "aufgrund der schweizweiten Signalwirkung" mit "mindestens einem fünfstelligen Betrag" unterstützt. Er werde auch eine eigene Kampagne führen.

 "Kreative Gesetzesauslegung"

 Das Abstimmungskomitee "Reitschule bietet mehr" hat von den angekündigten Schritten Kenntnis genommen. Das Komitee hofft, dass sich die Radio- und TV-Stationen nicht einschüchtern lassen von Fuchs' "sehr ‹kreativer› Auslegung des Radio- und Fernsehgesetzes".

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BZ 17.8.10

Reitschule

 Müslüm zeigt Hess den Meister

 Thomas Fuchs will Müslüm vom Äther verbannen. Er droht mit Klagen, falls die Songs zur Reitschulkampagne weiter im Radio und am TV gespielt werden. Medienrechtsexperten räumen solchen Klagen keine Erfolgschancen ein.

 Der Kampf um das Berner Kulturzentrum Reitschule, der am 26. September in einer Volksabstimmung gipfelt, bietet ein unterhaltsames Kräftemessen in populistischer Propaganda. Der Urheber der Initiative, SVP-Grossrat Erich Hess, der sonst selber gekonnt und unzimperlich nach medialer Aufmerksamkeit heischt, sieht sich jetzt mit einem Coup konfrontiert, der alles toppt: Semih Yavsaner alias Müslüm hat auf dem Sampler des Reitschul-Komitees mit "Erich, warum bisch du nid ehrlich" einen Hit lanciert. Mittlerweile ist der Ohrwurm auf Youtube der am siebenthäufigsten heruntergeladene Clip. Und was im Internet zieht, sorgt zunehmend auch in Radio- und TV-Programmen für Furore.

 Drohung an Radiostationen

 Nun eilt Thomas Fuchs, Geschäftsführer des Bundes der Steuerzahler Kanton Bern (BDS), seinem Fraktionskollegen Hess zu Hilfe. Er droht den Radio- und TV-Stationen: Sollten sie nicht damit aufhören, insbesondere diesen Titel, aber auch die anderen Samplerbeiträge zu senden, werde er Beschwerden und Klagen beim Bundesamt für Kommunikation einreichen, heisst es in einer gestern versandten Mitteilung. Denn damit verstiessen sie gegen den Artikel 18 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, wie Fuchs meint. In diesem Gesetz wird politische Werbung im Zusammenhang mit Volksabstimmungen verboten. Der BDS stellt sich selbstredend hinter die Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" und will sie "mit mindestens einem fünfstelligen Betrag" unterstützen.

 Rechtsexperten entwarnen

 Oliver Sidler, Lehrbeauftragter für Medienrecht an der Universität Freiburg und Rechtsanwalt in Zug, sah sich den Müslüm-Beitrag im Internet für diese Zeitung an. Für ihn ist der Song nicht einmal ein Grenzfall. Um Werbung handle es sich nicht, weil die Radiostationen für das Abspielen wohl kein Geld kassierten. Auch als Schleichwerbung könne er eher nicht gelten. "Sofern die Unterhaltung und die Information im Vordergrund stehen und nicht die Propaganda", erläutert er. Sidler geht davon aus, dass der Song vor allem deshalb gespielt wird, weil die Zuhörerinnen und Zuhörer ihn hören wollten. Er kommt zum Schluss: "Solange es um die Musik geht und nicht um die Propaganda, sehe ich kein Problem."

 Heikler könnte es dann werden, wenn die Moderatoren dazu noch ständig die Hintergrundinfos zum Stück oder die Botschaft der Initianten mitlieferten.

 Die Juristen des Bundesamts für Kommunikation (Bakom) sehen im Müslüm-Song nach einem ersten Augenschein keine politische Werbung. Dafür müsste laut Bakom-Sprecher Roberto Rivola an die betreffende Radio- oder Fernsehstation Geld geflossen sein.

 Das Reitschul-Komitee nahm die Drohung zur Kenntnis und bezeichnete sie in einer Mitteilung als "kreative Auslegung" des Gesetzesartikels.

 "Lächerliche" Forderung

 Über Müslüms Videoclip lässt sich eher streiten, wie Oliver Sidler findet. Dort sei die politische Botschaft viel klarer. Doch der angesprochene Gesetzesartikel spiele hier keine Rolle: "Im Internet stellt sich das Problem nicht."

 Die Forderung des BDS, mindestens ebenso viel Sendezeit zu erhalten, sollten die Songs weiterhin gespielt werden, ist für Sidler vor diesem Hintergrund schlicht "lächerlich".

 Christoph Aebischer

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20 Minuten 17.8.10

Müslüm-Song: SVP droht mit Klage gegen Radios

 BERN. Der Kampf ist noch nicht zu Ende: Thomas Fuchs will Radiostationen verklagen, die Songs von der Reitschul-CD spielen.Die Radios lässt dies kalt.

 Die Sender spielen den Chartstürmer-Song von Müslüm rauf und runter, die CD "Reitschule beatet mehr" ging bereits 2000-mal über den Ladentisch. Das legt die Nerven der Reitschul-Gegner blank: SVP-Grossrat Thomas Fuchs will nun sämtliche Radiostationen, die diese Tracks ausstrahlen, verklagen. "Das Radiogesetz verbietet politische Werbung im Vorfeld von Abstimmungen", argumentiert Fuchs. Sein Vorschlag: Er verzichtet auf eine Klage, wenn den Initiativ-Befürwortern ebenso viel Sendeplatz eingeräumt wird.

 Die Radios nehmen diese Drohungen gelassen: "Wir spielen die Songs jetzt umso mehr", ist etwa die Reaktion von Radio-Rabe-Redaktor Martin Schneider. NRJ Bern fühlt sich "ans Bein gepinkelt". Programmleiter Nik Eugster: "Wir haben der Gegenseite eine ebenbürtige Plattform geboten." Juristisch gesehen dürfte Thomas Fuchs auf dünnem Eis stehen: "Die Songs fallen weder unter politische Werbung noch unter Schleichwerbung", sagt Medienrecht-Experte Oliver Sidler. Der Müslüm-Text beinhalte zudem keine Wahlempfehlung. Beim Bakom, das für Fuchs' Beschwerden zuständig wäre, gibt Sprecher Samuel Mumenthaler Auskunft: "Wir haben keine Anhaltspunkte, dass die Ausstrahlung mit Geldfluss verbunden ist."

Bigna Silberschmidt

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 Mehr Geld für Kultur verlangt

 BERN. Die öffentliche Hand soll mehr für Kultur springen lassen, findet die Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Das Gremium von 81 Gemeinden der Region fordert für die Jahre 2012 bis 2015 einen jährlichen Zuschuss von 56 Mio. Franken jährlich - das wären 2,5 Prozent mehr als bisher. Von diesem Teuerungsausgleich würden etwa das Kunstmuseum, das Bernische Historische Museum, das Zentrum Paul Klee sowie das geplante Musik-Theater Bern profitieren.

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Blick am Abend 16.8.10

Fuchs will ein Müslüm-Verbot

 PROPAGANDA

 Der Bund der Steuerzahler droht Radio- und TV-Stationen mit Klage.

 peter.pflugshaupt@ringier.ch

 Für den SVP-Grossrat und Präsidenten des Bundes der Steuerzahler sind die Songs der CD "Reithalle beatet mehr" politische Werbung. Insbesondere der Müslüm-Titel "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" Er will die Songs deshalb aus den Radio- und TV-Stationen der Hauptstadt verbannen.

 Ausser den Befürwortern der Reithallen-Initiative werde ebenso viel Sendeplatz eingeräumt. Sonst klagt Fuchs beim Bundesamt für Kommunikation.

 Bei den Radiomachern stösst Fuchs auf Unverständnis: "Der Song ist bei uns gar nicht in der Playlist", sagt Nik Eugster, Programmleiter von "Energy Bern". Der iTunes-Hit war nur kurz zu hören, als Müslüm Studiogast bei Energy war. "Und am nächsten Tag war Erich Hess bei uns im Studio." Bei "Capital FM" läuft der Song auch nicht. "Er passt nicht ins musikalische Konzept", sagt Musik-Redaktor Sandro Meli. Als einzige Radiostation der Stadt spielt das Kulturradio "Rabe" den Song regelmässig. Musik-Chef Tinu Schneider sind die Drohungen von Fuchs egal: "Wir spielen den Song trotzdem. Im Gegenteil: Wir verdoppeln den Airplay und bringen den Song mindestens zwei-bis dreimal pro Tag!"

 Thomas Fuchs ruft nun die Bevölkerung auf, Radiostationen mit Zeitangabe des gespielten Songs zu melden.

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bernerzeitung.ch 14.8.10

Reitschul-Initiative: Bund der Steuerzahler droht Radiostationen mit Klage

sda / vh

 Im Abstimmungskampf um das autonome Berner Kulturzentrum Reitschule wird der Ton schärfer: Der Bund der Steuerzahler von SVP-Grossrat Thomas Fuchs droht Radio- und TV- Stationen mit einer Klage. Die Radiostationen nehmen es gelassen.

 Thomas Fuchs droht mit einer Klage, falls der Song der CD "Reitschule beatet mehr" ausgestrahlt wird. Im Vorfeld von Abstimmungen sei politische Werbung in Radio- und TV-Sendungen unzulässig, schreibt Fuchs in einer Medienmitteilung vom Montag. Songs wie jener des Berner Komikers "Müslüm" ("Erich, warum bisch du nid Ehrlich?") würden "klar" gegen die Bestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes verstossen, so Fuchs.

 Nicht jeder Song der CD stelle politische Werbung dar, so Fuchs auf Anfrage. Das sei aber dann der Fall, wenn es etwa - im Song von "Müslüm" - heisse: "Erich mein Kollege, komm und hol dir den Schlüssel".

 Eine Klage könnten die Radio- und TV-Stationen vermeiden, wenn sie den Befürwortern der Reitschulinitiative gleich viel Sendezeit einräumten.

 Der Bund der Steuerzahler gibt in der gleichen Mitteilung auch bekannt, dass er die Kampagne für den Verkauf der Reitschule "aufgrund der schweizweiten Signalwirkung" mit "mindestens einem fünfstelligen Betrag" unterstützt. Er werde auch eine eigene Kampagne führen.

 Über die Initiative, die die Schliessung und den Verkauf der Reitschule an den Meistbietenden fordert, wird in der Stadt Bern am 26. September abgestimmt. Urheber der Initiative ist ein rechtsbürgerliches Komitee unter dem Präsidium von JSVP-Grossrat Erich Hess. Thomas Fuchs sitzt ebenfalls im Initiativkomitee.

 Keine Aufregung bei Lokalradios

 Bei den beiden Berner Lokalradiostationen Energy und Capital FM sorgte die Drohung von Fuchs am Montag nicht für Aufregung. Capital- FM-Redaktionsleiterin Bettina Studer sagte auf Anfrage, ihre Station strahle die Songs der fraglichen Station gar nicht aus. Sie passten nicht ins Konzept.

 Die fragliche CD sei aber in einer Sendung zur Sprache gekommen - darin habe die Redaktion aber auch die Reitschulgegner zu Wort kommen lassen. "Wir bemühen uns um Gleichbehandlung."

 Dasselbe sagte ebenfalls auf Anfrage Nik Eugster, Programmleiter des Radios Energy Bern. Zwar führt auch dieses Radio die Songs nicht in der sogenannten Playlist. Doch nachdem "Müslüm" im Studio zu Gast war, durfte sich auch Erich Hess bei Radio Energy äussern. "Wir kennen die journalistischen Grundregeln", so Eugster.

 "Reitschule bietet mehr" nimmt Drohung zur Kenntnis

 Das Abstimmungskomitee "Reitschule bietet mehr" hat die Drohungen von Thomas Fuchs und der BDS gegen die Radiostationen zur Kenntnis genommen. Es hofft, dass die Radiostationen sich von seiner sehr "kreativen" Auslegung des Radio- und Fernsehgesetzes nicht einschüchtern lassen, wie das Komitee in einer Mitteilung schreibt.

 Dass die Kreativität ansonsten nicht zu den Stärken der Reitschul-GegnerInnen gehöre, zeige die Tatsache, dass sie bereits zum vierten Mal versuchen, die Reitschule mittels einer Initiative zu schliessen. "Wir sind überzeugt, dass sie zum vierten Mal grandios scheitern werden und mit ihrer Zwängerei bloss eine Menge städtischer Steuergelder verschleudern - das sollte dem "Bund der Steuerzahler" BDS arg zu denken geben", so das Komitee weiter.

 Der Verkauf der CD "Reitschule beatet mehr" habe die Erwartungen des Komitees bei weitem übertroffen. Die erste Pressung von 2000 Exemplare sei schon beinahe ausverkauft, die nächsten 2000 seien bestellt, führt das Abstimmungskomitee aus.

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bds-schweiz.ch 16.8.10

Mitteilung vom 16. August 2010

Der BDS Bern schaltet sich in den Kampf gegen die Reitschule ein
 
Der Bund der Steuerzahler unterstützt an vorderster Front und mit erheblichen eigenen Mitteln die Bemühungen zur Schliessung der Reitschule

Der Bund der Steuerzahler des Kantons Bern (BDS)  unterstützt die Bestrebungen zur Schliessung und zum Verkauf der Reitschule aktiv mit einer eigenen Kampagne und, dies aufgrund der schweizweiten Signalwirkung, mit mindestens einem fünfstelligen Betrag. Je nach Eingang von Spendengeldern wird nebst einer Flugblattaktion auch noch eine Plakataktion mit den beiden Sujets durchgeführt.

Die Beiträge von Stadtberner Steuergeldern in der Höhe von mehreren hunderttausend Franken, die jährlich für die Reitschule verschleudert werden, sind nicht mehr akzeptabel. Gleichzeitig ist dieser rechtsfreie Raum nun umgehend stillzulegen.

Es bleibt den unzähligen Kulturschaffenden, die für die Reitschule Sympathie verspüren, unbenommen, via eine eigene Trägerschaft selber eine Kaufofferte einzureichen. Anschliessend hätten sie wie alle anderen Hauseigentümer in den engen Maschen der Stadtberner Vorschriften die Möglichkeit, die Reithalle mit eigenen Mitteln umzubauen, ohne dass dabei weiterhin die steuerzahlende Bevölkerung belangt werden muss.

Mit Befremden nimmt der BDS von der Kampagne verschiedener Musiker gegen Exponenten der Reitschulinitiative Kenntnis. Offenbar will man mit gewissen Songs (und verdeckter Aufforderung zur Gewalt) unliebsame Politiker mundtot machen.

Der BDS weist darauf hin, dass mit der Initiative ein rechtmässiges Volksrecht genutzt wurde und von über 5‘000 Bernerinnen und Berner rechtsgültig unterzeichnet wurde. Offenbar hat man im Umfeld der Reitschule mehr Erfahrung mit illegalen und unbewilligten Massnahmen.

Der BDS fordert die Radio- und TV-Stationen auf, die "Reitschulsongs" bis am Tage nach der Abstimmung von Ende September nicht mehr auszustrahlen oder im Gegenzug den Befürwortern eben so viel Sendeplatz einzuräumen. Politische Werbung in Radio und Fernsehen ist gemäss Artikel 18 des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen (RTVG) verboten. Die Songs von Müslim, Tomazobi und weiteren Gruppen verstossen klar gegen die Bestimmungen, wonach politische Werbung im Vorfeld von Abstimmungen unzulässig ist. Ohne Gegenrecht an die Initianten wird der BDS gegen die entsprechenden Radiostationen Beschwerden und Klagen beim Bundesamt für Kommunikation führen, welches neu für solche Beschwerden zuständig ist. Der BDS bittet die Bevölkerung,  entsprechenden Radiostationen mit Zeitangaben der gespielten Songs dem BDS via Internet zu melden.

Bei Rückfragen steht zur Verfügung:
Grossrat Thomas Fuchs,
Geschäftsführer Bund der Steuerzahler Kanton Bern
tf@thomas-fuchs.ch
Tel.  079 302 10 09

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BZ 14.8.10

Reitschule-CD

 "Müslüm geht durchs Dach"

 Wegen des Erich-Hess-Songs von Komiker Müslüm ist der Pro-Reitschule-Sampler nach nur einer Woche fast ausverkauft.

 "Wahnsinnig mutig" sei es gewesen, sagt Nick Werren, als man von der Abstimmungs-CD "Reitschule beatet mehr" 2000 Stück pressen liess. Normalerweise lasse man bloss 1000 Exemplare machen. Doch nun gehen dem Manager des Labels, auf welchem die CD erschien, langsam die Bestände aus: "Am Wochenende werden wir wohl beschliessen, noch einmal 2000 CDs pressen zu lassen." Hauptgrund für den Erfolg sei ganz klar der bereits Kult gewordene Beitrag des Komikers Müslüm. "Erich, warum bisch nid ehrlich?" kletterte in den internationalen iTunes-Charts auf Platz 9, bei Youtube gehört der entsprechende Clip zu den meistgesehenen Beiträgen. "Müslüm geht durchs Dach", resümiert Nick Werren.

 Müslüms Song wendet sich an SVP-Politiker Erich Hess, der die jüngste Initiative zur Reitschule-Schliessung angestossen hat. Die Bernerinnen und Berner können am 26. September über die Initiative befinden.
 azu

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sf.tv 14.8.10

Reitschule-Protest-Song mischt Charts auf

sf/koua

 Der Berner Stadtrat Erich Hess hat mit seiner Initiative zur Schliessung und Umnützung der Reitschule den Zorn der lokalen Künstler auf sich gezogen. Kurz vor der Abstimmung rechnet Komiker Müslüm in einem Song mit dem Initianten der SVP auf ironische Weise ab. Das Lied kletterte inzwischen auf Platz sieben der Schweizer I-Tunes-Charts.

 Im Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?", nehmen Telefonscherz-Mann Müslüm, der mit Scherzanrufen auf "Radio 105" bekannte wurde, und diverse Berner Musiker wie Steff la Cheffe, Greis oder Tomazobi den Präsidenten der Jungen SVP Schweiz aufs Korn.

 Hess selber reagierte gelassen. Der Inhalt sei noch im Rahmen, sagte er gegenüber dem Berner "Bund".

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St. Galler Tagblatt 14.8.10

Leute

 Der Präsident der Jungen SVP, Erich Hess, ist über Nacht zum Hitparadenstar geworden. Möglich gemacht hat das ausgerechnet der politische Gegner. Denn Akteure der Berner Reitschule führen einen phantasievollen Wahlkampf. Der Komiker Semih Yavsaner ("Müslüm") hat Hess einen skurrilen Türk-Pop-Song gewidmet ("Erich, warum bisch Du nid ehrlich?"), zahlreiche Künstler machen im Video mit. In den nationalen iTunes-Download-Charts ist der Song bereits auf Platz 9 angekommen und hat die aktuellen Hits von Stars wie Eminem hinter sich gelassen. Das Video auf YouTube wurde innert einer Woche mehr als 80 000mal angeklickt.

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Aargauer Zeitung 14.8.10

Erich J. Hess, Hitparadenstar

 Der JSVP-Politiker macht unfreiwillig Karriere

 Erich J. Hess, der Präsident der Jungen SVP, ist über Nacht zum Hitparadenstar geworden. Möglich gemacht hat das ausgerechnet der politische Gegner. Denn die Aktivisten der Berner Reitschule, die mit Hess einmal mehr um die Gunst der Stimmbürger buhlen, führen einen fantasievollen Wahlkampf. Der Komiker Semih Yavsaner ("Müslüm") hat Hess einen skurrilen Türk-Pop-Song gewidmet ("Erich, warum bisch du nid ehrlich"?), zahlreiche Künstler machen im Video mit - der Erfolg ist durchschlagend.

 In den nationalen iTunes-Download-Charts ist der Song bereits auf Platz 9 angekommen. Das Video auf Youtube wurde innert einer Woche über 80000-mal angeklickt. Hess stört sich nicht am Song, wie er verlauten liess. Immerhin bringt Müslüm auch ihn in die Schlagzeilen, wenngleich wenig vorteilhaft. (sda)

 Video: www.youtube.com, Stichwort Erich J. Hess

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Südostschweiz 14.8.10

People

 Erich Hess, der Präsident der Jungen SVP, ist über Nacht zum Hitparadenstar geworden. Möglich gemacht hat das ausgerechnet der politische Gegner. Die Aktivisten der Berner Reitschule, die mit Hess einmal mehr um die Gunst der Stimmbürger buhlen, führten den Komiker Semih Yavsaner alias Müslüm in den Wahlkampf. Dieser hat Hess einen skurrilen Türk-Pop-Song gewidmet ("Erich, warum bisch Du nid ehrlich?") - mit durchschlagendem Erfolg. In den nationalen iTunes-Download-Charts ist der Song bereits auf Platz 9 angekommen. (sda)

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Bund 13.8.10

Alle lieben Müslüm - selbst die Bären

 Der unglaubliche Aufstieg des Berner Komikers Semih Yavsaner zum Liebling der Nation.

 Christoph Lenz

 So schaut einer, der die Welt nicht mehr versteht. Abgekämpft hängt Semih Yavsaner im Aufenthaltsraum des Berner Alternativradios RaBe auf einem Sofa, den Blick starr auf die Wand gerichtet. Es scheint, als suchte er dort nach Erklärungen. Aber er findet keine. Er atmet ein und wieder aus, ein und wieder aus. Wie soll einer seine Gedanken ordnen können, wenn alle Ordnung aus der Welt verschwunden ist? Jetzt dreht er den Kopf zur Seite. Semih Yavsaner sagt: "Eine Woche dauert das jetzt schon." Seine müden Schultern fragen: Wie lange noch?

 Jetzt bräuchte er einen Masseur oder einen Mentalcoach. Jemanden, der ihn wieder aufbaut nach einem Tag wie diesem - mit Videodrehs für das Schweizer Fernsehen, mit Anrufen von Radiostationen, Zeitungen, Künstlern und Plattenfirmen, mit Hunderten Facebook-Anfragen, mit wildfremden Menschen, die ihn in der Stadt anhauen, ihm auf die Schulter klopfen, einen Witz hören möchten. Plötzlich wollen alle ein Stück von ihm. Bis jetzt hat er allen immer gegeben, was sie wollten. Nun fürchtet er sich, dass plötzlich nichts mehr von ihm übrig ist.

 Semih Yavsaner, 30, hat keinen Masseur und keinen Mentalcoach. Woher auch? Er hat auch keinen Manager und keinen Agenten. Er hat nur Müslüm. Und stellt vielleicht gerade jetzt fest, dass sie zu zweit doch zu wenige sind, um das zu meistern, was da auf sie zurollt. Nein, auf ihn zurollt. Denn Semih Yavsaner ist Müslüm. Und Müslüm ist so etwas wie die grösste Schweizer Sensation des Jetzt, der Star der Stunde. Gerade hat ihm eine Plattenfirma drei Verträge zur Unterschrift vorgelegt. Yavsaners Problem: "Ich weiss nicht, welchen ich unterschreiben soll."

 Ein Award von Youtube

 80 000 Mal wurde Müslüms Videoclip "Erich, warum bisch du nid ehrlich" in der letzten Woche auf Youtube angeklickt. Am Freitag rangierte der Song gar auf Platz 35 der meistgesehenen Beiträge bei Youtube - weltweit. Dafür hat Yavsaner sogar einen Award erhalten. In den Schweizer iTunes-Charts ist die Single inzwischen auf Platz 11 geklettert. Tendenz: stark steigend. Ziemlich viel Aufsehen für eine Berner Lokalgeschichte.

 Damit hätte er nicht gerechnet. "Niemals", sagt Yavsaner, der immer noch versucht, herauszufinden, wie es so kommen konnte. Der immer noch versucht, diese veränderte Welt zu begreifen. Fünfzehn Jahre arbeitet er schon als Künstler. Und nun hat ein dreiminütiger Videoclip sein Leben auf den Kopf gestellt. Das soll mal einer verstehen.

 "Die Geschichte kommt mir bekannt vor", sagt Yavsaner. "From zero to hero - wie Rocky Balboa."

 Andererseits: Wer das Video sieht, versteht alles. Müslüm, ein linkischer Immigrant mit starkem Akzent, struppigem Schnauzer und einer Vorliebe für aussergewöhnliche Klamotten erfrecht sich da, dem Fraktionspräsidenten der Stadtberner SVP Erich Hess mal so richtig die Knöpfe reinzutun. "Du bisch immär deprässiv, immer sind di andere schuld", singt Müslüm über einen lüpfigen Türk-Pop-Beat. Und: "Wir sind cheine Drögeler, Erich, warum sagsch du das? Wir sind für de Liebä und gegä de Fremdenhass." Das ist sein Statement zur Abstimmung über die Reitschul-Initiative der SVP: allerfeinste Satire, die zu grossen Vergleichen nötigt. Man denkt an Giacobbos Harry Hasler, an Müllers Mergim Muzzafer und natürlich an den deutsch-türkischen Vorzeige-Komödianten Kaya Yanar. Das Umwerfende daran: Müslüm ist besser. Er bringt die Leute nicht nur zum Lachen. Er bringt sie zum Tanzen.

 Vielleicht ist es kein Wunder

 Und zum Ausflippen. So wie am Mittwoch, als er mit dem Filmteam der SF-Peoplesendung "Glanz & Gloria" am Bärengraben war. Tausende Leute säumten das Gehege. Da verkündete Müslüm den Besuchern, er verfüge über die Fähigkeit, mit den Bären zu kommunizieren. Zum Beweis stellte er sich an die Brüstung und stiess einen Urlaut aus. Die Bären drehten augenblicklich die Köpfe nach ihm um, setzten sich in Bewegung und trabten in seine Richtung, 70 Meter weit. Dann, unmittelbar vor seiner Nase, blieben sie stehen und glotzten ihn an. Die Besucher trauten ihren Augen kaum, sie klatschten, johlten und jubelten. Semih Yavsaner strahlt vor Glück, als er die Geschichte erzählt. Vielleicht war es kein Wunder. Vielleicht ist das ein Gesetz in dieser neuen Welt des Semih Yavsaner: Was Semih auch tut, es gelingt ihm.

 Das war nicht immer so. Semih Yavsaner wird 1979 in Bern als zweites Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie geboren. Die Mutter arbeitet in der Pflege, der Vater ist Abwart, kombiniert zeitweise mehrere Jobs, um die Familie durchzubringen. Semih interessiert sich nicht besonders für die Schule. Nach den obligatorischen neun Jahren verzichtet er darauf, eine Lehre zu machen. Wozu auch, er will ja Künstler werden. Seinen Eltern bereitet er viel Kummer in diesen Jahren. Zwischendurch absolviert er noch die Handelsschule, von seinem Künstlertraum bringt ihn diese indes nicht ab. Um sich über Wasser zu halten, jobbt er mal als Pizzabäcker, mal als Call-Agent. Seine Leidenschaft gilt dem Rap und dem Mikrofon des Berner Radios RaBe. Hier wird er später auch die Figur Müslüm entwickeln. Doch vorerst sammelt er schlechte Erfahrungen.

 Wenn er sich bei Radiostationen bewirbt, wird er nach seinem Abschluss, seinem Hochschuldiplom, seiner Erfahrung gefragt. Semih Yavsaner hat nichts vorzuweisen. Wenn er den Chefs sagt: "Ich bin ein guter Unterhalter", kriegt er fünf Minuten Zeit, sie davon zu überzeugen. Aber lustig sein auf Befehl, das liegt ihm nicht. Später steckt Semih Yavsaner seine Energie in den Soundtrack zum Schweizer Film "The Ring Thing". Die Persiflage auf "Lord of the Rings" wird zum grössten Flop der Schweizer Filmgeschichte. Und Semih Yavsaner verliert allmählich den Mut.

 Die Mächtigen am Draht

 Erst als er zum Radio RaBe zurückkehrt, geht es aufwärts. Yavsaner kriegt eine eigene Sendung: Semih's Supreme Show. Er macht Interviews, Sketche und Telefonscherze. Und hier hat Müslüm seine ersten grossen Auftritte. Müslüm ruft in einer Käserei an und schlägt dem Besitzer vor, das Geschäft gemeinsam zur Kebab-Bude umzubauen. Müslüm erkundigt sich beim Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, warum die Zürcher Langstrasse nicht als Sujet für die neue 20-Franken-Note taugt. Müslüm bewirbt sich bei der Berner Kantonspolizei. Sein Problem, die Sache mit dem Tankstellenüberfall vor vier Jahren. Drei Menschen seien dabei gestorben. "Aber meine Chollege hat geschossen", sagt Müslüm der Personalleiterin. Und dass er ein besserer Mensch geworden sei. Den Job als Polizist kriegt er trotzdem nicht.

 Die Lacher aber hat er auf seiner Seite. Das Geheimnis der Telefonscherze: Müslüm ruft die Mächtigen an, die Respektierten und die Angesehenen. Und dann spricht er mit ihnen, als wären sie seinesgleichen.

 Aber: Was will er denn genau, dieser Müslüm? Semih Yavsaner denkt lange nach. "Müslüm hat ein emotionales ADS. Er liebt alle Menschen und will es ihnen zeigen. Müslüm will die Leute glücklich machen. 364 Tage im Jahr sind die Menschen grob. Dann kommt Weihnachten und sie sind nett zueinander. Müslüm versteht das nicht. Er möchte, dass immer Weihnachten ist."

 Was, wenn nichts kommt?

 Ein gutes Stichwort. Eine Woche dauert Semih Yavsaners Weihnachten nun schon. Später im Interview fragt er gleich selbst: "Wie lange noch?" Der Rummel könnte schnell wieder vorbei sein. Es herrscht eine doppelte Unsicherheit in Semih Yavsaners neuer Welt. Was kommt als Nächstes? Und was, wenn als Nächstes gar nichts kommt? Klar, er hat jetzt einen Hit, aber immer noch keine Hochschuldiplome. Semih Yavsaner spricht von Theaterkursen, die er besuchen will. Vielleicht auch mal in eine Vorlesung gehen. Drehbücher schreiben, das fände er toll. "Aber wie soll das gehen? Ich habe in meinem Leben drei Bücher gelesen. Maximal."

 Die Drehbücher verschiebt Semih dann doch auf später. Im Dezember soll das erste Album von Müslüm erscheinen. Natürlich: ein Weihnachtsalbum. Semih Yavsaner muss sich nur noch einen Manager zulegen und sich für den richtigen Plattenvertrag entscheiden. Tönt eigentlich ganz einfach.

Müslüm auf Youtube: Suche mit den Stichworten "Müslüm" und "Erich".

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Bund 13.8.10

SVP wirbt für Verkauf der Reitschule

 Das Initiativkomitee rund um den Präsidenten Erich J. Hess hat gestern die Abstimmungskampagne zu "Schliessung und Verkauf der Reitschule" lanciert. Im "Bund"-Interview spricht Hess, SVP-Gross- und -Stadtrat, über die Kultur der Reitschule, Angriffe gegen seine Person und die Chancen, dass die Initiative am 26. September von der Berner Stimmbevölkerung angenommen wird. (reh) - Seite 19

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"Bern ohne die Reithalle wäre keine kulturelle Wüste"

 Erich J. Hess, Präsident des Initiativkomitees gegen die Reitschule, hofft, dass aus dem Kulturzentrum etwas "Anständiges" wird.

 Interview: Rahel Bucher

 Viele Berner schätzen die Reitschule für ihr kulturelles Angebot. Waren Sie auch schon an einer Veranstaltung in der Reitschule?

 Nein, ich war noch nie an einem kulturellen Anlass. Erstens, weil die Reithalle keine Kultur bietet, die mich anspricht. Zweitens wäre es wahrscheinlich zu gefährlich, wenn ich mich in der Reithalle zeigen würde. Die Aggressionen gegen meine Person sind etwas hoch.

 Sie haben sich also nie ein eigenes Bild von der Reitschule gemacht?

 Doch, etwa vor drei Jahren. Damals habe ich im Stadtrat einen Wettbewerb gewonnen. Der Preis war die Besichtigung der Reithalle. Ich bin nur gegangen, weil mir die Reitschüler zugesichert haben, dass sie sich um meine Sicherheit sorgen werden. Das haben sie auch gemacht.

 Schon drei Mal - 1990, 2000 und 2005 - haben sich die Berner gegen eine kommerzielle Umnutzung der Reitschule ausgesprochen. 1999 stimmten sie auch einem Sanierungskredit zu. Wieso ist jetzt der richtige Zeitpunkt, zum vierten Mal über die Schliessung abzustimmen?

 Richtige Schliessungsinitiativen gab es seit 20 Jahren nicht mehr. Ich glaube, nach 20 Jahren dürfen wir wieder einmal über die Schliessung der Reithalle diskutieren. Die Reithalle hat immer wieder Verbesserung versprochen, was nie eingetroffen ist. Das beste Beispiel ist der 6. Oktober 2007, als die Reitschüler die Kundgebung gegen die SVP organisierten und dabei die ganze Stadt kurz und klein geschlagen haben. Besserung gibt es erst seit eineinhalb Jahren, also seitdem unsere Initiative eingereicht wurde.

 Ihre Gegner werfen Ihnen vor, die Initiative zur Selbstprofilierung (im Hinblick auf die Grossratswahlen im Frühling 2010) lanciert zu haben. Was sagen Sie dazu?

 Die haben sonst keine oder zu wenig Argumente gegen die Initiative. Deshalb werde ich wahrscheinlich persönlich relativ häufig und stark angegriffen. Dies obwohl auch sehr viele andere Bernerinnen und Berner sehen, dass es an der Zeit ist, die Reithalle zu räumen.

 Kino, Einkaufszentrum oder Sporthalle: Wird die Initiative angenommen, soll die Reitschule vom meistbietenden Käufer umgenutzt werden. Warum lassen Sie die künftige Nutzung der Reitschule offen?

 Wir wissen ja noch nicht, wer schlussendlich am meisten zahlen wird für die Reitschule. Mich würde es natürlich freuen, wenn etwas Anständiges reinkommt. Seien das Büroräumlichkeiten, Einkaufsläden, ein Barbetrieb oder eine Markthalle. Da bestehen viele Möglichkeiten. Sobald jemand die Reithalle gekauft hat, muss der Käufer die Verantwortung dafür tragen. Somit können sich nicht mehr alle herausreden.

 Sie bezeichnen die Reitschule als rechtsfreien Raum und Hort für Gewalt, Terrorismus und linksextremes Gedankengut. Denken Sie, diese Phänomene mit der Schliessung der Reithalle aus Bern zu verbannen?

 Ich glaube, dass sich durch die Schliessung der Reitschule die Probleme aus dem Zentrum heraus verlagern und dadurch massiv kleiner würden. Natürlich müsste die Polizei gerade in der Anfangsphase genug repressiv sein, damit es zu keiner Verlagerung in die Stadt hinein kommt.

 Die Reitschule ist ein Ort, an dem sich Randgruppen und Minderheiten auf- halten können. Wo sollen Sie hin, wenn es die Reitschule nicht mehr gibt?

 Es kann nicht die Aufgabe der Stadt sein, solchen Randgruppen mitten in der Stadt ein Zuhause zu bieten. Zudem kommen viele Leute, die sich in der Reitschule aufhalten, von ausserhalb der Stadt Bern. Ich bin der Meinung, dass Bern nicht auf die ganze Welt aufpassen muss. Jede Gemeinde soll sich um ihre eigenen Randständigen kümmern.

 Mit der Schliessung der Reitschule würden viele Berner einen Ort verlieren, der für sie eine hohe kultur- und gesellschaftspolitische Bedeutung und Tradition hat. Was für Alternativen gibt es?

 In Bern gibt es viele subventionierte und ähnlich gelagerte Kulturbetriebe. So zum Beispiel den Progr, das Wasserwerk, den Gaskessel und . . . Ich glaube nicht, dass Bern ohne Reithalle plötzlich eine kulturelle Wüste wäre. Im Gegenteil: Es würde die privat schaffende Kultur anregen.

 Gemeinderat und Stadtrat lehnten die SVP-Initiative klar ab. Wie schätzen Sie die Chance ein?

 Der Abstimmungskampf ist gerade erst angelaufen, und wir wissen, dass in der Stadt Bern sehr viele Linke wohnen. Wir müssen es schaffen, die Leute über die bestehenden Missstände wie Kriminalität, gewalttätige Demonstrationen, Drogendeal in und rund um die Reithalle aufzuklären. Allenfalls können wir eine knappe Mehrheit erreichen.

 Der Promotor der letzten Anti-Reitschule-Initiative, Stadtrat Simon Glauser (SVP), ist im Initiativkomitee nicht dabei. Ist die Initiative auch in Teilen der SVP umstritten?

 Unsere Botschaft, dass die Reithalle geräumt und an den Meistbietenden verkauft werden soll, ist nicht bestritten.

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 Anti-Reitschule-Initiative

 SVP will Schliessung und Verkauf

 Das Initiativkomitee der Volksinitiative "Ja zu Schliessung und Verkauf der Reitschule" hat gestern seinen Abstimmungskampf eröffnet. Die Initiative fordert die Schliessung und den Verkauf der Reitschule an den Meistbietenden. Erich J. Hess, Grossrat und Stadtrat SVP, Alexander Feuz, Präsident FDP Bern-Kirchenfeld, Roland Jakob, Vizepräsident SVP Stadt Bern, und Kevin Huber, Präsident Junge SVP Stadt Bern, begründen die Initiative damit, dass die jetzigen Zustände in und um die Reitschule unhaltbar seien und sich dringend etwas ändern müsse. Ob die Reitschule als Ort der Angst oder als Ort von kultur- und gesellschaftspolitischer Bedeutung für die Stadt Bern wahrgenommen wird, werden die Berner am 26. September entscheiden. (reh)

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BZ 13.8.10

Reitschule

 "Es herrscht Chaos und Gewalt"

 Die Befürworter einer Reithalle-Schliessung eröffneten gestern ihren Abstimmungskampf für den Urnengang im September.

 Seine Initiative zur Schliessung der Reitschule habe bereits einiges bewirkt, sagte SVP-Stadtrat und Grossrat Erich Hess gestern vor den Medien: "Seit der Lancierung vor anderthalb Jahren herrscht rund um die Reitschule Ruhe." Damit werde es bei einem Nein zur Initiative am 26. September rasch vorbei sein: "Dann gibts in Bern wieder ein Riesenchaos." Denn für Hess und seine Mitstreiter ist klar: Das Kulturangebot in der Reitschule ist bloss ein "Feigenblatt für kriminelle Handlungen". Die Reitschule sei ein rechtsfreier Raum, in und um das Gebäude herrsche Chaos und Gewalt, sagte Alexander Feuz, Präsident der FDP Kirchenfeld. Die städtische FDP hat noch keine Parole gefasst.

 Was gute Kultur ist

 Bei einer Schliessung der Reithalle würde Berns kulturelles Angebot nicht verarmen, sagte Erich Hess: "Progr, Gaskessel und Wasserwerk sprechen ungefähr dieselbe Klientel an." Die Reitschule biete ein tendenziöses Kulturprogramm, welches keine finanzielle Unterstützung durch die Stadt verdiene. "Gute Kultur ist jene Kultur, die sich selber finanziert", schloss Hess.

 Budget von 20 000 Franken

 Roland Jakob, Vizepräsident der städtischen SVP, skizzierte, was aus der Reitschule bei einem Ja am 26. September werden könnte: eine Nutzung durch Gewerbetreibende sei ebenso möglich wie "die erste integrative Wohnform und Begegnungszone für Jung und Alt". Gemäss der Initiative soll das Gebäude an den Meistbietenden verkauft werden.

 Obschon sich die Stadtberner Bevölkerung in den letzten Jahren bereits viermal für den Weiterbestand der Reitschule geäussert hat, sieht Hess eine reale Chance auf ein knappes Ja zu seiner Initiative: "Dafür müssen wir den Sand aus den Augen der Leute kriegen, welche die Reitschüler mit ihrer aufwendigen Kampagne gestreut haben." Hess spielte damit auf die breite Unterstützung der Nein-Kampagne durch Kulturschaffende an, welche unter anderem mit einer CD und Videoclips für die Reitschule Stimmung machen. Hess und sein Komitee verfügen laut eigenen Angaben bloss über ein Budget von 20 000 Franken.
 azu

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20 Minuten 13.8.10

Reitschul-Abstimmung: SVP buhlt nochmals um Stimmen

 BERN. Das Tauziehen um die Berner Reitschule geht in die letzte Runde: Nach dem Anti-Hess-Song von Initiativgegnern schlägt die SVP jetzt nochmals kräftig die Werbetrommel - auch mit linken Ideen.

 Galten bisher die Drogenszene, Vandalismus und Gewalt als Erich Hess' Hauptargumente für den Verkauf der Reitschule, geht der SVPler jetzt einen Schritt weiter, denn seit der Veröffentlichung des Müslüm-Spott-Videos weht ein anderer Wind. "Es kann nicht sein, dass Kultur produziert wird, die niemanden interessiert", provoziert Hess die Kulturschaffenden.

 Die Berner Rapperin Steff la Cheffe kontert: "Die Musik, die in der Reitschule gespielt wird, findet bestimmt ein grösseres junges Publikum als Schwiizerörgeli." Sie würde es begrüssen, wenn Hess als bekennender Freund der Volksmusik mal in die Reitschule kommen und deren vielfältiges Programm kennenlernen würde.

 Das Initiativkomitee betont, es sei der Kultur nicht grundsätzlich abgeneigt, und schlägt vor, aus der Reitschule könnte ein Museum oder ein Mehr-Generationen-Wohnhaus mit Begegnungszone entstehen.

 Trotz kulturfreundlicher Haltung: Auf den Verwendungszweck des Gebäudes hat auch die SVP keinen Einfluss. Würde die Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" angenommen, hätte nämlich der Meistbietende das Sagen.  bigna silberschmidt

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Tagesanzeiger 13.8.10

Semih Yavsaner Die Kunstfigur des Berner Satirikers türkischer Herkunft wird zum Star auf Youtube.

 Müslüm kämpft für die Reitschule

Von Christoph Lenz

 Bis vor zehn Tagen hätten sich höchstens Soziologen für den Fall Semih Yavsaner interessiert: männlich, 30 Jahre alt, mit Handelsschulabschluss und Migrationshintergrund, vorübergehend arbeitslos. Jetzt kennt ihn die ganze Schweiz. Der Berner Semih Yavsaner ist Müslüm, ein linkischer Immigrant mit struppigem Schnauzer, starkem Akzent und einer Vorliebe für ausgefallene Klamotten. Und Müslüm, das ist der helvetische Youtube-Star der Stunde. 80 000-mal wurde sein Videoclip "Erich, warum bisch du nid ehrlich" in einer Woche angeklickt. Am Freitag rangierte der Song auf Platz 35 der meistgesehenen Beiträge bei Youtube. Weltweit. Ziemlich viel Aufsehen für eine Berner Lokalgeschichte.

 Am 28. September stimmt die Stadt Bern über eine Initiative ab, die den Verkauf des alternativen Kulturzentrums Reitschule fordert. Treibende Kraft hinter dem Volksbegehren ist Erich Hess, Fraktionspräsident der Stadtberner SVP. Ein 29-jähriger Politaufsteiger, der rhetorische Zurückhaltung für eher überschätzt hält. Besucher der Reitschule bezeichnet Hess gerne als Terroristen, Drogendealer oder Drögeler.

 Müslüm sieht das etwas anders: "Wir sind cheine Drögeler, Erich, warum sagsch du das? Wir sind für de Liebe und gegen de Fremdenhass." Das singt Müslüm in seinem Videoclip. Der Text ist unterlegt mit lüpfigem Türk-Pop. Der Videoclip: ein schrilles Spektakel aus Boygroup-Choreografie, Agitation und feinster Satire.

 Der Erfolg ist so durchschlagend, dass plötzlich alle ein Stück von ihm wollen. Erst waren es nur die Freunde und Bekannten auf Facebook, dann klopften die Medien an, nun eine Plattenfirma. "Bei mir zu Hause liegen drei unterschriftsreife Plattenverträge", sagt Yavsaner, der nicht weiss, welchen er unterzeichnen soll. Er habe keinen Manager und wenig Ahnung vom Geschäft. Immerhin, diese Geschichte kommt ihm bekannt vor: "From zero to hero - genau wie Rocky Balboa."

 Mit Rocky verbindet ihn nicht nur der rasante Aufstieg, sondern auch die Biografie. Semih Yavsaner ist der Sohn türkischer Gastarbeiter. Nach den obligatorischen neun Schuljahren verzichtete er auf eine Lehre. Warum auch, er wollte ja Künstler werden. Seine Eltern sorgten sich zwar, unterstützten ihn aber trotzdem. Um sich über Wasser zu halten, arbeitete Yavsaner mal als Pizzabäcker, mal als Call-Agent. Am Feierabend rappte er, ausserdem moderierte er eine Radiosendung im Berner Alternativradio RaBe.

 Hier entwickelte Yavsaner die Figur Müslüm. Seine Spezialität: Telefonscherze. Müslüm ruft in einer Käserei an und schlägt dem Besitzer vor, das Geschäft gemeinsam zur Kebab-Bude umzubauen. Müslüm erkundigt sich beim Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, warum die Zürcher Langstrasse nicht als Sujet für die neue 20-Franken-Note taugt. Müslüm bewirbt sich bei der Berner Kantonspolizei. Sein Problem, die Sache mit dem Tankstellenüberfall vor vier Jahren.

 Bei all seinen Gags baut Müslüm auf ein Urprinzip der Satire: Sie zeigt die Lächerlichkeit der Macht. Aber was will er überhaupt, dieser Müslüm? Semih Yavsaner denkt nach. "Müslüm will die Leute glücklich machen. 364 Tage im Jahr sind die Menschen grob. Dann kommt Weihnachten, und sie sind nett zueinander. Müslüm versteht das nicht. Er möchte, dass immer Weihnachten ist."

 Darauf arbeitet Yavsaner hin. Im Dezember soll das erste Album von Müslüm erscheinen. Natürlich: ein Weihnachtsalbum. Yavsaner muss sich nur noch für den richtigen Plattenvertrag entscheiden.

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Telebärn 12.8.10

Reitschul-Komitee bläst zum Angriff
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/reitschulkomitee-blast-zum-angriff/c=84713&s=999305

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Blick am Abend 12.8.10

"Die Melodie gefällt mir"

 KAMPF

 Erich Hess findet den Müslüm-Song über ihn und die Reithalle gut - nur der Text sei schwach.

 Heute startete das Komitee, das die Reithalle an den Meistbietenden verkaufen möchte, den Abstimmungskampf. "Für Flyer und Plakate haben wir ein Budget von rund 20 000 Franken", sagt Initiant und SVP-Grossrat Erich Hess.

 Für Aufsehen sorgten im Abstimmungskampf bisher vor allem die Initiativ-Gegner mit dem Müslüm-Song "Erich, warum bisch Du nid ehrlich", der in der iTunes-Hitparade bereits auf Platz 13 ist. Was sagt Hess zum Song? "Die Melodie gefällt mir, aber der Text ist schwach. Offenbar müssen die Gegner auf meine Person zielen, weil ihnen Argumente gegen die Initiative fehlen." ehi

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bzonline.ch 12.8.10

Komitee wirbt für Schliessung und Verkauf der Reitschule

sda / vh

 Die Stimmberechtigten der Stadt Bern entscheiden im September ein fünftes Mal über das Schicksal der Reitschule. Ein Verkauf der Reitschule würde das Budget der Stadt entlasten, argumentiert das Initiativkomitee.

 Rechtsbürgerlichen Kreisen ist das alternative Kulturzentrum schon lange ein Dorn im Auge, sie haben am Donnerstag einmal mehr dessen Schliessung und Verkauf gefordert.

 Die Reitschul-Verantwortlichen setzten sich über Vorschriften des Rechtsstaats hinweg. Unter dem Deckmantel des kulturellen Angebots werde aber Extremismus, Drogenhandel und Kriminalität gefördert, schreiben die Vertreter des Initiativkomitees in einer Mitteilung vom Donnerstag.

 Deshalb müsse die Reitschule geschlossen und verkauft werden, wie dies die entsprechende Initiative verlange. In der Reitschule und um die Reitschule herrsche Chaos und Gewalt, sagte Alexander Feuz, Präsident der FDP Bern-Kirchenfeld, dessen Sektion die Initiative unterstützt. Die FDP-Stadtpartei hat noch keine Parole gefasst.

 Verkauf würde das Budget der Stadt entlasten

 Hinter dem Initiativkomitee steht insbesondere die Junge SVP. Der Berner SVP-Stadtrat und Grossrat Erich Hess sagte, in Bern gebe es ohnehin schon zu viele Kulturbetriebe, die mit Steuern subventioniert würden. Ein Verkauf der Reitschule würde das Budget der Stadt entlasten.

 Die Reitschul-Sympathisanten sind ebenfalls schon in den Abstimmungskampf gezogen. Unterstützung erhalten sie unter anderem von verschiedenen Berner Künstlern, die jüngst eine CD unter dem Titel "Reitschule beatet mehr" herausgegeben haben.

 Das alternative Kulturzentrum erregt seit Jahren die Stadtberner Gemüter. Für manche ist sie ein Schandfleck mitten in der Stadt, für andere eine seltene Kulturoase. Die Stadtberner Stimmberechtigten haben sich bereits viermal mit der Schliessung der Reitschule befasst und sie jedes Mal abgelehnt.

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WoZ 12.8.10

Noch ein Bundesratskandidat? - Der Klischeetürke Müslüm hat mit einem Lied für die Berner Reitschule einen Hit gelandet. Ein Gespräch mit Müslüm und seinem Erfinder oder Manager Semih Yavsaner.

 Flügeli auch für Erich

 Von Dinu Gautier (Text) und Manu Friederich (Foto)

 Wer ist der Mann, der einen rosaroten Armani-Anzug und einen struppigen Schnurrbart trägt? Der Mann heisst Müslüm, zur Begrüssung jault er auf, gestikuliert, zieht Grimassen, redet von "Adrenalin", "Aggressione" und "Schlegele".

 Dennoch hat man das Gefühl, der würde keinem Lämmli etwas zuleide tun. Falsch: Müslüm ist 0ausgebildeter Metzger. In die Schweiz ausgewandert, musste er erfahren, dass sein Diplom hierzulande wenig wert ist. Bei der Polizei wollte man ihn nicht anstellen. Er geriet auf die schiefe Bahn. Arbeitslosigkeit, Alkohol- und Spielsucht. Für die Gehilfenschaft bei einem Tankstellen überfall sass er gar vier Jahre im Gefängnis. Heute sagt er: "Roulette, Roulette, du hasch mini Lebe kaputt gemacht." Müslüm ist verheiratet mit Roswitha, einer Schweizerin. Auf die Frage nach der Anzahl Kinder weicht er aus: "Da fühl ich mich ein birrebitzeli wie ein Meterolog, der unsicher isch, wie das Wetter denn morge isch."

 Müslüm sei keine real existierende Person, behaupten böse Zungen. Semih Yavsaner, in Bern geborener Sohn türkischer MigrantInnen, habe die Figur im Rahmen seiner Sendung im alternativen Lokalradio Rabe erfunden, um Telefonscherze zu produzieren.

 Dort isch de Subchultur

 Gegenüber der WOZ bestreitet Müslüm diese Darstellung: "Semih hat mich zwar erschaffen, er isch aber eher eine Art Manager von mir." Momentan ist Müslüm sein eigener Erfolg wichtiger: Noch muss er sich daran gewöhnen, auf der Strasse von Fremden erkannt zu werden. Vor einer Woche veröffentlichte er im Internet den Videoclip zu seinem ersten Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?". Es ist seither über 70 000 Mal angeschaut worden - ein Selbstläufer. Das Lied mit Hitpotenzial wirbt für ein Nein zur zigsten SVP-Initiative für eine Schliessung des alternativen Kulturzentrums Reitschule (siehe WOZ Nr. 31/10). SVP-Jungspund Erich Hess hatte die Initiative lanciert, Müslüm zeigt ihm im Videoclip, wie richtige Lokalpolitik funktioniert, wie man die Massen für skurrile Vorstösse begeistern kann.

 Müslüm zur WOZ: "Die Politiker wollen die Reitschule schliesse, dort isch de Subchultur. Aber die Kasino und die Rotlichtmilieu isch geöffnet. Wo gehen denn unsere Chinder häre, nach zehn Uhr, wenn der Mehmet sein Döner nicht mehr verchouft und der Hansueli seine Käserei schon lange zu hat?"

 Die Leute in der Reitschule seien nicht wie der Lokalpolitiker Hess "mit seine wunderschöne Haarfrisur", der sich nicht getraue, "füdeliblutt auf eine grosse Haufe zu liege und Liebe zu mache". Müslüm vertritt ein der SVP radikal entgegengesetztes politisches Programm: "Generell sind wir für die Friede, für die Liebe, für die Vielfalt, für das wir alle in einem Boot sitze. Auch wenn der Erich Hess rausfliegt, werden wir ihm eine Schwimmflügeli hintenache schiesse und sage: ‹Erich chomm, für dich hat es auch eine Plätzli!›"

 Plötzlich ist Müslüm verschwunden und Semih Yavsaner sitzt da. Von der einen auf die andere Sekunde verwandelt sich die Sprache, die Tonlage, die Gestik, der Blick. Yavsaner spricht Berndeutsch, spricht schnell und mit grosser Ernsthaftigkeit. Der Schalk aus Müslüms Augen ist weg, nicht aber die rhetorische Energie.

 Yavsaner erzählt von einer "sehr schönen Kindheit" im Berner Wylerquartier, von seinen Eltern, die als Saisonniers in die Schweiz gekommen und hier geblieben sind. Die Mutter, die für die Spitex arbeite, der Vater, der diverse Abwartsstellen kombiniert und bis zu sechzehn Stunden am Tag gearbeitet habe, bis er vor ein paar Jahren einen Herzinfarkt erlitt. Semih Yavsaner spielte Fussball, war beim Nachwuchs der Young Boys, die Schule sei ihm weniger gelegen. Er habe rebelliert, das sei nicht einfach gewesen, seinen Eltern gegenüber. Sie, die so hart gearbeitet hätten, und er, der ihnen sagte, er wolle es als Künstler, als Schauspieler versuchen.

 Wenn die SVP über Ausländer oder IV-Bezüger herziehe, mache ihn das richtig wütend. Mit seiner Figur Müslüm teilt er die Abneigung gegen das Gleichgeschaltete, gegen die "Robocops", die alle wie ferngesteuert in eine Richtung gingen, sich nie berührten. "Es kann nur Leben entstehen, wenn man durcheinander geht, auch einmal aufeinanderprallt." Er selber habe viel Party gefeiert, auch mal "Scheisse gebaut", langweilige Gelegenheitsjobs gemacht. Ein Handelsschuldiplom erlangte Yavsaner dann doch noch. Es folgten ein paar Jobs in der Telekommunikationsbranche.

 1998 war Semih Yavsaner zum ersten Mal am Berner Kulturradio Rabe zu hören. "Ich bin hingestanden und habe irgendetwas erzählt. Mein Prinzip war: Nicht überlegen, machen!" Die Sendung wurde abgesetzt. "Ich war wohl ein bisschen zu primitiv", sagt Semih heute. Neun Jahre danach kehrte er zurück. "Semih Supreme Show" hiess die Sendung. Hier wurde Müslüm geboren, zunächst noch als namenlose Stimme. Müslüm machte Telefonscherze, der wohl beste ist im Internet zu finden: Müslüm ruft bei der Kantonspolizei Bern an: "Personaldienst, Kündig." Müslüm: "Guten Tag Frau Kündig, bitte nid kündigen, i wott frage für Arbeit." Es folgen sechs Minuten skurriler Dialog mit einer zunehmend irritierten Frau Kündig, die, als sie vom Tankstellenraub (mit Toten!) hört, sagt: "Dir heit haut scho grad öppis e chli Schlimms gmacht."

 Müslüm for President

 Das Zürcher Privatradio "105" warb Yavsaner ab. "Müslüm - der Mann mit dem Telefonscherz" ging täglich auf Sendung, über 150 Mal. "Eine Leidenschaft wurde zur Arbeit." Mit dem Druck umzugehen, jeden Tag einen Telefonscherz hinzubekommen, der auch noch lustig sein muss, sei nicht einfach gewesen. "Das Schlimmste für einen Komödianten ist es, wenn er sein eigenes Material nicht lustig findet und es trotzdem ausgestrahlt werden muss", so Yavsaner. Seit Juni arbeitet er nicht mehr für das Radio. In diesen Tagen hat sich eine neue berufliche Perspektive für den Vater eines kleinen Kindes aufgetan: "Es haben sich Plattenfirmen bei mir gemeldet, die den Videoclip gesehen haben."

 Plötzlich ist Müslüm wieder da. Er gibt "anatolische Weisheite" von sich: "Die Lebe isch wie eine Fussballspiel, wenn du in der erste Halbzeit hinten liegsch, dann musst du in der zweiten Halbzeit viele Tore schiesse - auch ohne Georges Bregy." Eine letzte Frage an den Mann, der wohl bald die Charts stürmt: Wie ernst ist es ihm mit seinem Slogan "Müslüm for President"? Schielt er auf die frei werdenden Bundesratssitze? Müslüm: "Motivitation isch gross, aber ich habe mich gar nicht informiert über das. Darum am beste i gehe mal in de Internet, und dann schau ich mal an."

 Der Müslüm-Song ist auf dem Reitschule­Sampler (www.reitschulebeatetmehr.ch) und auf iTunes zu finden.

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Bund 11.8.10

Leserbriefe

Reitschule Im Herbst entscheiden die Berner, ob das Zentrum geschlossen wird, diverse Artikel im "Bund"

 Verantwortung für die Reitschule übernehmen

 Mit Interesse verfolge ich, welche prominenten Künstler und Musiker sich zurzeit hinter die Reitschule stellen. Ihr Engagement zeigt: Das von Polemikern gerne als "Schandfleck" verteufelte Jugendkulturzentrum ist ein Ort der Inspiration für gestandene Musikgrössen wie Kuno Lauener oder Nachwuchstalente wie Steff la Cheffe. In kultureller Hinsicht hat die Reitschule ohne Zweifel viel zu bieten.

 All jene Prominenten, welche die kulturelle Schaffenskraft der Reitschule betonen, verschweigen aber deren Schattenseiten. Es gehört leider genauso zur Geschichte - und auch zur Gegenwart - der Reitschule, dass eine Minderheit von ihr der gewalttätigen, linksextremen Szene angehört. So wird das Jugendkulturzentrum noch immer von Demochaoten als Planungs- und Rückzugsort missbraucht. Auch finden immer noch Attacken aus der Reitschule auf Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und sogar Sanität statt.

 Die grosse Mehrheit von friedlichen Kulturschaffenden rund um die Reitschule hat es bisher versäumt, sich gegen diese gewalttätigen Gruppierungen zur Wehr zu setzen.

 Insofern bietet die vorliegende Reitschul-Initiative eine Chance: Die grösstenteils wohlhabenden Prominenten könnten zeigen, dass ihre Begeisterung für die Reitschule über müde Lippenbekenntnisse hinausreicht. Sie könnten das Jugendkulturzentrum gemeinsam kaufen und damit einen Wendepunkt seiner über 20-jährigen Geschichte einleiten.

 Erstens wäre damit die Reitschule definitiv als kultureller Freiraum in Bern verankert, und die ewigen politischen Zankereien wären beendet. Zweitens könnten die neuen Eigentümer Verantwortung übernehmen und der kleinen, gewalttätigen Minderheit den Kampf ansagen. Wäre ihr Engagement dabei nur halb so gross wie zurzeit gegen die Initiative, würde wohl schon bald Ruhe einkehren.

 Dass der Kauf und Erhalt eines Kulturzentrums möglich ist, hat jüngst die Künstlerinitiative Pro Progr gezeigt. Also, Kuno Lauener und Co.: Steht hin für eure Ideale und übernehmt Verantwortung.

 Bernhard Eicher Stadtrat FDP, Bern

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Blick am Abend 10.8.10

Müslüm jetzt auf iTünes

 SÜPER

 Komiker Müslüm gibts jetzt auch auf iTunes. Sein Song fliegt über Nacht in die Hitparade.

 Der Anti-Hess-Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich" ist der Renner auf Youtube. Jetzt gibts Kult-Komiker Müslüm aber auch schon auf iTunes zu kaufen. Für 1.60 Franken ist die Single zu haben.

 Der Song hat auch bei den Downloads eingeschlagen wie eine Bombe.

 Erst seit Dienstagabend erhältlich, lag der Titel heute Morgen um 6 Uhr schon auf Platz 23 der Single-Charts, Tendenz steigend. Die iTunes-Gemeinde hat Müslüm schon ins Herz geschlossen: "Love it! Schlichtweg der Sommerhit für den Berner Herbst", lautet ein Kommentar. Müslüm ist begeistert: "Dieser Erfolg ist der Beweis, dass die Leute immer noch ein Herzeli haben für die Liebe."

 Mit dem Riesenerfolg hat niemand gerechnet, auch Müslüm selbst nicht. Doch jetzt hat der Komiker schon wieder einen neuen Traum: "Dass alle meine Brüder den Song kaufen. Dann machen wir eine richtige Party, aber ohne Drögeli." pp

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20 Minuten 10.8.10

Schweizer Musikszene setzt sich für die Reitschule ein

 Various, "Reitschule beatet mehr", Endorphin Entertainment/Irascible.

 POP. Wenn sich die hiesige Musikszene für eine gemeinsame Sache - in diesem Fall gegen die Schliessung der Reithalle einsetzt, kann das Werk gross werden. Auf der politischen Scheibe rappen Baze, Steff la Cheffe und Allschwil Posse, singen Züri West, Patent Ochsner und Sophie Hunger und laden die Kummerbuben zum Tanz. Der Silberling vereint diverse Musikstile für einen politischen Zweck. Ebenfalls auf der CD befindet sich der Song von Müslüm "Erich, warum bisch du nid ehrlich". Der Clip zum Song erfreut sich auch auf YouTube grosser Beliebtheit. In drei Tagen wurde das Video fast 50 000-mal angeschaut. LSP

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Blick am Abend 10.8.10

Müslüm for Bundesrat

 REITHALLE

 Sein Anti-Hess-Video ist ein Hit auf Youtube. Jetzt spricht "Müslüm" Klartext.

 peter.pflugshaupt@ringier.ch

 Ein Youtube-Video erobert die Hauptstadt: "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" Gemeint ist SVP-Stadtrat Erich Hess. Konkret geht es um den Abstimmungskampf zur Reithalle-Schliessung vom 26. September, der jetzt schon hart und emotional geführt wird. Hess und sein Komitee wollen die Schliessung der Reitschule an der Urne erzwingen. Jetzt kontern Freunde der Reithalle mit einer scharf gewürzten Antwort in Form einer absolut tanzbaren Videobotschaft auf Youtube. Mit Erfolg. "Der Song geht ab wie Usain Bolt", sagt Protagonist Müslüm. Der freche Clip hat sensationelle Downloadzahlen. Telefonscherz-Mann "Müslüm" verhöhnt dabei den Präsidenten der jungen SVP. Im Video mit dabei sind Berner Musiker wie Greis, Tomazobi oder Steff La Cheffe.

 Hätte "Müslüm" den Schweizer Pass, er würde natürlich gegen die SVP-Initiative stimmen. Mehr noch: "Ich würde als Bundesrat kandidieren! Wenn einer wie Hess Parteipräsident wird, dann kann ich auch Bundesrat werden."

 Bis vor Kurzem kannte ihn nur eine eingefleischte Fangruppe - jetzt hat Müslüm Kultstatus.

 Er kämpft aus Überzeugung an der Seite der Reithallen-Freunde. Wie weit würde er bei seinem Engagement für die umstrittene Berner Kulturstätte gehen? Müslüm: "Bis ans Ende der Welt!"

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BZ 7.8.10

Reitschul-abstimmung vom 26.September

 Der geliebte "Schandfleck"

 Musikerinnen und Musiker setzen sich für die Reitschule ein: Auf der CD "Reitschule beatet mehr" gibt es 22 Bekenntnisse für den alternativen Berner Kulturort. Es ist eine Liebeserklärung an den "Schandfleck von Bern".

 Als David Flach, MC von Churchhill, den Refrain anstimmt, fängt das Publikum an mitzunicken. "Du bisch mi Schandfläck vo Bärn. Du bisch so randständig, bisch so unanständig."

 Es ist eine Hymne an die Reitschule. Sie steht in ihrem 5. Abstimmungskampf in 23 Jahren und hat davon unverdrossen zu einer fröhlichen Charmeoffensive angesetzt. Zu dieser gehören Fan-Artikel wie Badetücher und Fahnen, wöchentliche, vor allem von älteren Semestern besuchte Führungen und jetzt eine CD mit 22 Bekenntnissen zur Reitschule. 16 davon waren bisher unveröffentlicht und werden exklusiv auf der Kompilation mit dem spielerischen Namen "Reitschule beatet mehr" veröffentlicht.

 Neuentdeckungen

 Die Vielfalt zeigt, dass die Reitschule weit mehr als ein Ort bestimmter randständiger Gruppierungen ist, zu dem sie von manchen stigmatisiert wird. Von Stiller Has über Sophie Hunger zu Patent Ochsner liessen sich Musikerinnen und Musiker von der Idee begeistern. In weniger als drei Monaten ist so ein abwechslungsreiches Album entstanden, das mit politischem Inhalt aufwartet und erst noch die eine oder andere Neuentdeckung erlaubt. Erwähnt sei an dieser Stelle der herrlich absurde Track "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" von Müslüm. Müslüm, eine Kunstfigur, ist mit Telefonscherzen auf Radio RaBe bekannt geworden. Zu diesem Song gibt es übrigens auch ein Video zum Krummlachen.

 Züri West hat eine Live-Aufnahme von "Lue zersch wohär dass dr Wind wääit" von 2001 aus dem Dachstock beigesteuert. "Die Reitschule ist bei uns eine ältere Geschichte", sagte Sänger Kuno Lauener an der Release-Party im Frauenraum. Er und Gitarrist Küse Fehlmann waren 1987 bei der Wiederbesetzung der Reitschule an vorderster Front dabei. Auch heute noch findet Kuno Lauener es "wunderbar, dass Bern sich so etwas wie die Reitschule leistet".

 Ein Experimentierfeld

 Die Rapperin Steff la Cheffe ist ebenso von der Reitschule geprägt worden - wenn auch Jahre später. "Ich war als 16-Jährige erstmals hier, es war für mich so etwas wie eine Erleuchtung", sagt die 23-Jährige. Sie habe an der Offenen Bühne im Restaurant Sous le Pont und an Hip-Hop-Jams in der damaligen I-Fluss-Bar ihre ersten Auftritte absolviert. Dieses Experimentierfeld schätzt sie an der Reitschule. "Und dass man sich hier auch ohne entsprechende Ausbildung einbringen kann."

 Für David Flach schliesslich bietet die Reitschule eine "riesige Vielfältigkeit, von einer Druckerei über Musiklokale zu Restaurants". Deshalb sei es für ihn klar gewesen, dass er den vermeintlichen "Schandfleck", den Touristen als Erstes sehen, wenn sie in die Stadt einfahren, besingen wolle. Als David Flach zum zweiten Mal den Refrain anstimmt, singt das Publikum mit.

 Marina Bolzli

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Telebärn 6.8.10

Musiker singen für Reitschule
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/musiker-singen-fur-reitschule/c=84713&s=994325

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derbund.ch 6.8.10

22 Bands sagen Nein zur Reitschul-Initiative

Der Bund / Christoph Lenz

 Jetzt schalten sich die Künstler ein: Mit einer CD wehren sich 22 Berner Bands und Musiker gegen den Verkauf der Reitschule. Steff La Cheffe und Kuno Lauener erklärten gestern Abend, warum.

 Vielleicht hat es auch für die Kulturschaffenden in der Reitschule sein Gutes, dass der Fortbestand ihres Zentrums mit schöner Regelmässigkeit durch eine Volksinitiative bedroht ist. Es könnte ihnen beispielsweise das Ausrichten eines Jubiläums ersparen. Die bei runden Geburtstagen obligaten Fragen - woher man kommt, wozu man eigentlich da ist und wohin der Weg noch führen könnte - stellt man sich im Kulturzentrum ohnehin immer dann, wenn eine Abstimmung ins Haus steht. Also: sehr oft in letzter Zeit.

 Gedächtnis, Herz und Verstand

 Auch die gestrige CD-Vernissage im Frauenraum war eine Sache für das Gedächtnis, den Verstand und das Herz. Zuerst ging es aber um den Bauch - genauer: die Wut daselbst. Denn, so erklärt Kollektivmitglied David Böhner den geladenen Medienvertretern: "Es scheisst schon an, ständig solche Abstimmungskämpfe führen zu müssen. Aber wir müssen halt." Weil sich die Reitschule einerseits bei vielen Musikern in Bern grosser Beliebtheit erfreut, andererseits so ein Abstimmungskampf viel Geld kostet, das irgendwie wieder reinkommen muss - deshalb hat man sich in der Reitschule entschlossen, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden und eine CD mit Beiträgen von 22 zugewandten Berner Bands zu veröffentlichen (siehe Box). Übrigens der erste CD-Release in der Geschichte der Reitschule.

 "Saubere Büez"

 Vom allerersten Konzert in der Reitschule berichtet anschliessend Zeitzeuge und Züri-West-Frontmann Kuno Lauener. Die Erzählung dreht sich um einen kanarienvogelgelben Ford Transit, neblige Nächte, 1000 unruhige Jugendliche, ein aufgebrochenes Türschloss und rauschende illegale Partys. Weil ihm seine Rolle als Geschichtenonkel dann aber doch nicht ganz geheuer zu sein scheint, kürzt Lauener, gerade als es so richtig gemütlich zu werden droht, ab: "Eine alte Geschichte" sei die Beziehung zwischen Züri West und der Reitschule. Beide seien sie schon seit langem da. Beide machten sie immer noch eine, wie er findet, "saubere Büez". Und beide gehörten sie einfach zu Bern dazu: "Hopp Reitschule! Hopp Züri West! Hopp YB!" Das Gedächtnis, oder bei den jungen Besuchern die Fantasie, ist ausreichend stimuliert. Danke.

 Ans Herz und den Verstand appellierte zuvor die Berner Rapperin Steff La Cheffe, die wie Züri West einen bisher unveröffentlichten Song zum "Reitschule beatet mehr"-Sampler beigesteuert hat. So etwas wie eine Erleuchtung habe sie bei ihrem ersten Besuch in der Reitschule erlebt. Sie erinnert sich an die vielen spannenden Leute, die sie kennen lernen, und an die Möglichkeiten, die sie an dieser Adresse entdecken durfte. "Die Reitschule ist ein ideales Umfeld, um sich zu engagieren, um zu diskutieren und um Kultur zu machen." Letzteres liegt Steff La Cheffe besonders am Herzen: Ihre ersten musikalischen Gehversuche hat sie an der Offenen Bühne im Restaurant Sous Le Pont und an den Hip-Hop-Jams in der Einfluss-Bar gemacht. "Die Reitschule ist einer der wichtigsten kulturellen Schauplätze Berns. Und das soll auch so bleiben." Damit waren auch Küse Fehlmann und Gert Stäuble von Züri West einverstanden: Und zwar "mindestens für die nächsten 30 oder 40 Jahre".

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derbund.ch 6.8.10

Erich Hess wird in Video verspottet

Jonathan Spirig

 Der Berner Stadtrat Erich Hess hat mit seiner Initiative zur Schliessung der Reitschule den Zorn vieler Künstler auf sich gezogen. Kurz vor der Abstimmung rechnen Müslüm, Steff la Cheffe, Tomazobi und andere in einem Song mit dem SVP-Mann ab.

 Am 26. September entscheidet das Stadtberner Stimmvolk, ob die Reitschule geschlossen wird. Lanciert wurde die Initiative einst von SVP-Stadtrat Erich Hess. Er und sein Komitee haben 5000 Personen gefunden, die das Vorhaben unterstützen.

 Fast zwei Monate vor der Abstimmung erhält Hess von Freunden der Reitschule eine musikalische Retourkutsche für seine Initiative. Im Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?", nehmen Telefonscherz-Mann Müslüm und diverse Berner Musiker den Präsidenten der Jungen SVP Schweiz aufs Korn.

 Sampler mit 22 Songs

 Im professionell gemachten Videoclip fragt Müslüm den Politiker in gebrochenem Deutsch, ob dieser nicht genug Liebe bekommen habe, wieso immer die anderen schuld seien und wieso er immer so aggressiv sei. Er solle doch bitte mal ruhig bleiben. Unterstützt wird Müslüm im Clip von Berner Musikern wie Steff la Cheffe, Greis oder Tomazobi.

 Musikalisch unterstützt wird die Reitschule aber nicht nur von Müslüm. Viele prominente Berner Musiker haben einen Song für die CD "Reitschule 'beatet' mehr" beigesteuert, die am Donnerstagabend präsentiert wurde.

 Politiker aus Überzeugung

 "Ich habe sehr viel Liebe bekommen von meiner Familie und bekomme auch heute noch viel Liebe", sagt Erich Hess am Freitagmorgen lachend. Er unterstütze die freie Meinungsäusserung, auch wenn er vom Song nur die Hälfte verstanden habe.

 Ob die Künstler der Reitschule mit dem Song aber wirklich dienen, wisse er nicht. Er politisiere aber definitiv nicht um Frust abzubauen, sondern aus Überzeugung.

 Reaktion von Hess auf Youtube gesperrt

 Der Inhalt störe ihn nicht gross, der Text sei "henusohaut... noch im Rahmen", berichtet Hess weiter. Ganz auf sich sitzen lassen wollte er den Song aber anscheinend nicht. Auf Youtube veröffentlichte er umgehend "seine" Version des Songs - er zeigte zum Song Bilder, die seiner Meinung nach die Reitschulinitiative unterstützen.

 Zugänglich ist das Video allerdings nicht mehr - es wurde "aufgrund des Urheberrechtsanspruchs von Semih Yavsaner (Müslüm, A. d. R.)" von Youtube entfernt.

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Bund 6.8.10

"Für die nächsten 30 oder 40 Jahre"

 Jetzt schalten sich die Künstler ein: Mit einer CD wehren sich 22 Berner Bands und Musiker gegen den Verkauf der Reitschule. Steff La Cheffe und Kuno Lauener erklärten gestern Abend, warum.

 Christoph Lenz

 Vielleicht hat es auch für die Kulturschaffenden in der Reitschule sein Gutes, dass der Fortbestand ihres Zentrums mit schöner Regelmässigkeit durch eine Volksinitiative bedroht ist. Es könnte ihnen beispielsweise das Ausrichten eines Jubiläums ersparen. Die bei runden Geburtstagen obligaten Fragen - woher man kommt, wozu man eigentlich da ist und wohin der Weg noch führen könnte - stellt man sich im Kulturzentrum ohnehin immer dann, wenn eine Abstimmung ins Haus steht. Also: sehr oft in letzter Zeit.

 Gedächtnis, Herz und Verstand

 Auch die gestrige CD-Vernissage im Frauenraum war eine Sache für das Gedächtnis, den Verstand und das Herz. Zuerst ging es aber um den Bauch - genauer: die Wut daselbst. Denn, so erklärt Kollektivmitglied David Böhner den geladenen Medienvertretern: "Es scheisst schon an, ständig solche Abstimmungskämpfe führen zu müssen. Aber wir müssen halt." Weil sich die Reitschule einerseits bei vielen Musikern in Bern grosser Beliebtheit erfreut, andererseits so ein Abstimmungskampf viel Geld kostet, das irgendwie wieder reinkommen muss - deshalb hat man sich in der Reitschule entschlossen, das Schöne mit dem Nützlichen zu verbinden und eine CD mit Beiträgen von 22 zugewandten Berner Bands zu veröffentlichen (siehe Box). Übrigens der erste CD-Release in der Geschichte der Reitschule.

 "Saubere Büez"

 Vom allerersten Konzert in der Reitschule berichtet anschliessend Zeitzeuge und Züri-West-Frontmann Kuno Lauener. Die Erzählung dreht sich um einen kanarienvogelgelben Ford Transit, neblige Nächte, 1000 unruhige Jugendliche, ein aufgebrochenes Türschloss und rauschende illegale Partys. Weil ihm seine Rolle als Geschichtenonkel dann aber doch nicht ganz geheuer zu sein scheint, kürzt Lauener, gerade als es so richtig gemütlich zu werden droht, ab: "Eine alte Geschichte" sei die Beziehung zwischen Züri West und der Reitschule. Beide seien sie schon seit langem da. Beide machten sie immer noch eine, wie er findet, "saubere Büez". Und beide gehörten sie einfach zu Bern dazu: "Hopp Reitschule! Hopp Züri West! Hopp YB!" Das Gedächtnis, oder bei den jungen Besuchern die Fantasie, ist ausreichend stimuliert. Danke.

 Ans Herz und den Verstand appellierte zuvor die Berner Rapperin Steff La Cheffe, die wie Züri West einen bisher unveröffentlichten Song zum "Reitschule beatet mehr"-Sampler beigesteuert hat. So etwas wie eine Erleuchtung habe sie bei ihrem ersten Besuch in der Reitschule erlebt. Sie erinnert sich an die vielen spannenden Leute, die sie kennen lernen, und an die Möglichkeiten, die sie an dieser Adresse entdecken durfte. "Die Reitschule ist ein ideales Umfeld, um sich zu engagieren, um zu diskutieren und um Kultur zu machen." Letzteres liegt Steff La Cheffe besonders am Herzen: Ihre ersten musikalischen Gehversuche hat sie an der Offenen Bühne im Restaurant Sous Le Pont und an den Hip-Hop-Jams in der Einfluss-Bar gemacht. "Die Reitschule ist einer der wichtigsten kulturellen Schauplätze Berns. Und das soll auch so bleiben." Damit waren auch Küse Fehlmann und Gert Stäuble von Züri West einverstanden: Und zwar "mindestens für die nächsten 30 oder 40 Jahre".

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 22 gut klingende Gründe

 Alle da! Die Crème der Berner Pop- und Rockmusikszene hat sich praktisch ohne Ausnahme auf dem Sampler "Reitschule beatet mehr" (Irascible, 25 Fr.) versammelt. Die Altvorderen von Züri West, Patent Ochsner und Stiller Has setzen sich hier ebenso für das Kulturzentrum ein wie die lokale Nachwuchsabteilung um Steff La Cheffe, Lily Yellow und Müslüm. Und immerhin 16 Künstler haben sogar einen bisher unveröffentlichten Song zu diesem schönen Stück einheimischen Schaffens beigesteuert. Darunter nicht wenige mit konkret politischem Inhalt: Pedro Lenz collagiert in "Dr Buebli-Troum" bedrückende Slogans des Kommerzdenkens, Tomazobi lassen den Initianten Erich Hess gleich selbst Ansagen durchgeben, und der formidable Rapper Müslüm fragt ganz naiv: "Erich, warum bisch nid ehrlich?" (len)

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20 Minuten 6.8.10

CH-Musiker machen Anti-Hess-Song

 BERN. Schweizer Musiker machen gegen Erich Hess mobil: Müslüm, Greis und Steff La Cheffe nahmen den Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" auf. Der Berner Politiker reagierte umgehend.

 Der Präsident der Jungen SVP empört die Schweizer Kulturschaffenden: Weil Erich Hess eine Initiative für die Schliessung der Berner Reitschule lanciert hat, bekommt er nun den Groll der Künstler zu spüren. Unter der Führung von Telefonscherz-Mann Müslüm setzen sich gestandene Musiker wie Greis, Steff La Cheffe oder die Gamebois für den Verbleib der Kulturstätte ein - und nahmen dafür extra ein Lied auf.

 Den Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" erklärt Müslüm wie folgt: "Wer gegen Kultur arbeitet, der hat seine Liebe verloren. Auch Hess muss sich integrieren." Der Politiker gibt sich gelassen und findet: "Die können aufnehmen, was sie wollen. Mich stört das nicht." Dennoch lancierte der 29-Jährige sogleich einen YouTube-Clip als Gegenoffensive. Darin unterlegt er den Track mit einem selbst gemachten Video. Müslüms höhnische Reaktion: "Anscheinend findet er den Song ja selber gut."

 Hess muss sich indes nicht zum ersten Mal mit dem Showbiz auseinandersetzen - letztes Jahr lieferte er sich auch mit Model Alena Gerber einen öffentlichen Disput. Die beiden versöhnten sich - dies wird diesmal kaum der Fall sein. Denn auch mit der Musik von Greis und Co. als solches kann Hess nicht viel anfangen: "Ich stehe eher auf Schweizer Handörgeli."  

DAVID CAPPELLINI

 Den Videoclip zum Müslüm-und-Friends-Song gibt es ab heute auf http://www.müslüm.ch zu sehen.

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Bund 5.8.10

CD-Vernissage Reitschule

 Abstimmungskampf auf CD

 Dass die Reitschule nicht ein Hallenbad werden soll, finden über 20 Berner Musikschaffende, die für den CD-Sampler "Reitschule beatet mehr!" zum Teil unveröffentlichte Songs beigesteuert haben - etwa Züri West, Stiller Has, Kummerbuben, Sophie Hunger oder Steff La Cheffe. Das Gemeinschaftswerk wird heute der Öffentlichkeit vorgestellt, mit Showcases von Lily Yellow (Bild) und Churchhill. (reg)

 Frauenraum Reitschule Do, 5. 8., 20 Uhr.

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20 Minuten 5.8.10

Berner Stars für die Reitschule

 BERN. Berner Musikgrössen machen sich stark für die Berner Reitschule. Auf der CD "Reitschule beatet mehr" finden sich bisher unveröffentlichte Tracks unter anderem von Züri West, Steff la Cheffe, Reverend Beat-Man und Greis. Die Scheibe ist eine von vielen Aktionen des Kulturzentrums, dem wegen einer SVP-Initiative die Schliessung droht. Heute Abend ab 20 Uhr wird sie mit einer Party im Frauenraum der Öffentlichkeit vorgestellt.

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WoZ 5.8.10

Reitschule Bern - Wieder einmal müssen die Berner StimmbürgerInnen über die Zukunft des autonomen Kulturzentrums abstimmen. Ein rechtsbürgerliches Bündnis will es an den Meistbietenden verkaufen.

 "Erich, hast du keine Herzeli?"

 Von Silvia Süess

 Sie tun es also wieder: Alle paar Jahre versucht ein rechtsbürgerliches Bündnis in Bern den "Schandfleck von Bern", die Reitschule, irgendwie loszuwerden. Und dies stets erfolglos: Seit 1990 hat sich das Stimmvolk viermal gegen die Ideen der bürgerlichen Rechten gestellt, die Reitschule umzufunktionieren oder gar zu schliessen. Und trotzdem versuchen sie es wieder.

 Am 26. September müssen die Berner StimmbürgerInnen erneut über die Zukunft der Reitschule abstimmen. Präsident des überparteilichen Komitees zur Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule!", die am 1. April 2009 dem Gemeinderat eingereicht wurde, ist der notorische Reitschule-Gegner Erich J.   Hess. Der Kampf gegen die Reitschule scheint für den Lastwagenführer, Gross rat, Stadtrat und Präsidenten der SVP/JSVP- Stadtratsfraktion zu einer Herzensangelegenheit geworden zu sein: "Ich habe mir in den Kopf gesetzt, dass die Reitschule weg muss", sagte Hess in einem Artikel im "Bund" vor drei Jahren und lancierte gut ein Jahr später seinen neusten Coup.

 "Eigentlich haben wir genug Kultur"

 "Verkauf der Berner Reitschule im Baurecht (Baurechtdauer 99 Jahre) auf den 31. März 2012 an den Meistbietenden. Die Liegenschaft ist bis zum 31. Dezember 2011 zu räumen, damit sie nutzungsfrei übergeben werden kann", lautet der Initiativtext. Vorschläge, was in der Reitschule künftig Platz finden soll, bringt das Initiativkomitee auch gleich: "Kultur, die für jeden zugänglich ist", wie zum Beispiel eine Parkanlage mit integriertem Restaurantbetrieb als Treffpunkt für Jung und Alt, ein Mu seum oder ein Hallenbad mit Wellnessbereich. Wobei das mit der Kultur für Hess selber, der gemäss eigenen Aussagen noch nie einen kulturellen Anlass in der Reitschule besucht hat, nicht zwingend ist. "Wir haben eigentlich genug Kultur in der Stadt Bern, wir sind auf die Reithalle nicht angewiesen", sagt er der WOZ. Bezüglich der Abstimmung zeigt er sich zuversichtlich: "Ich hoffe, dass das Berner Stimmvolk endlich einsieht, dass die Reitschule ein Übel ist vom Dreck, von den Drogen, vom Chaos, das wir in der Stadt Bern haben. Denn von der Reitschule aus werden alle Demonstra tionen organisiert, und rund um die Reitschule ist immer ein Chaos."

 Während der bleiche junge Mann, der mit seiner Igelfrisur eher wie ein pubertierender Mofafahrer als wie ein polternder Jungpolitiker aussieht, verbissen in den Abstimmungskampf steigt - er bezeichnet die Reitschule-Besucher Innen gerne auch als Terroristen -, haben die BetreiberInnen der Reitschule unter dem Slogan "Die Reitschule bietet mehr!" lustvoll eine originelle Gegenkampagne lanciert. Dazu gehören professionell gemachte Werbespots, in denen unter anderem bekannte SchauspielerInnen wie Gilles Tschudi, Esther Gemsch oder Andreas Matti mitspielen, und öffentliche Führungen durch die Reitschule; auch wird Kampagnenmaterial wie ein Badetuch oder Fahnen angeboten.

 Berner Musikschaffen

Ausserdem erscheint diesen Donnerstag mit "Reitschule beatet mehr" eine CD zur Abstimmung. Darauf sind 22 Stücke von Berner MusikerInnen versammelt, sechzehn davon sind exklusive, bisher unveröffentlichte Tracks. Einerseits bietet die CD einen Einblick in das vielseitige Musikschaffen der Hauptstadt - zu hören sind unter anderen Züri West, Patent Ochsner, Stiller Has, Filewile, Reverend Beat Man, Steff la Cheffe -, andererseits hat es auf der CD ein paar sehr witzige, extra für die Gegenkampagne geschriebene Stücke. "Dr Erich wott für alli Shopping-Halligalli", singt das Trio Tomazobi, "Hey Erich, i frage
 mi, wohär du die Zue versicht nimmsch, hesch du würklich s'Gfühl, dass du die Abstimmig gwinnsch", rappt Churchhill, und Müslüm singt in einem orien talisch angehauchten Song: "Erich, warum bist du so, hast du keine Herzeli, hast du keine Liebe übercho?"

 Den Auftakt der CD macht Pedro Lenz, musikalisch begleitet von Paed Conca. In "Dr Buebli-Troum" erzählt Lenz von der Versteigerung der Reitschule: "Wer am meischte het, cha se ha." Dummerweise kommt es nicht so, wie sich dies die "stramme Buebli" mit "de chline Äugli, wo so wenig wit gseh o so schlächt luege" vorgestellt haben: Der Käufer der Reitschule eröffnet in Pedros Traum auf dem Areal nämlich eine Koranschule.

 "Reitschule beatet mehr" CD-Taufe in: Bern, Reitschule Frauenraum, Do, 5. August, 20 Uhr. http://www.reitschulebietetmehr.ch

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RABE-INFO
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Di. 17. August 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._August_2010.mp3
- Keine Gefahr für Radios: BAKOM nimmt Stellung zum Fall "Thomas Fuchs gegen Reitschul-Sampler"
- Neuorientierung bei der Berner Suchthilfe Contact Netz: Weniger Anonymität für bessere Unterstützung
- Kann man ohne höhere Lohnabzüge die Arbeitslosenkasse sanieren? Gegner des Referendums lancieren den Abstimmungskampf

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Mo. 16. August 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_16._August_2010.mp3
- Der "Bund der Steuerzahler des Kantons Bern" BDS will verhindern, dass die Radios weiterhin Songs ab dem Reitschule- Sampler abspielen, und erwägt eine Klage beim BAKOM
- Seit 60 Jahren besteht zwischen der Schweiz und China eine "spezielle Freundschaft"- ein Historiker erklärt
- Kopf der Woche: Lejla Mamut kämpft für die Aufklärung der Kriegsverbrechen in Ex- Jugoslawien

Links:
http://www.reitschulebeatetmehr.ch
http://www.dodis.ch/d/datenbank.asp
http://www.trial-ch.org

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DROGENANLAUFSTELLE
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Bund 17.8.10

Neue Spielregeln im Fixerstübli an der Hodlerstrasse

 Die Anonymität der Klienten wird aufgehoben und Zutritt erhalten nur noch Personen über 18 Jahre.

 Rahel Bucher

 Die Berner Drogenberatungsstelle Contact-Netz hat gestern zusammen mit Vertretern aus Politik und Polizei eine neue Strategie im Bereich der Schadensminderung präsentiert. Beabsichtigt wird einerseits die wirksamere Unterstützung von Drogenabhängigen. Andererseits soll der öffentliche Raum noch mehr entlastet werden, wie Jakob Huber, Geschäftsleiter Contact-Netz, sagte. Insbesondere betroffen von den Veränderungen ist die Kontakt- und Anlaufstelle (K & A) an der Hodlerstrasse. Der Zutritt zum Fixerstübli wird ab November an ein Einlassgespräch und die Aufhebung der Anonymität geknüpft.

 Das gilt auch für die rund 250 Drogenabhängigen, welche die K & A momentan täglich nutzen. Sie werden im September und Oktober zu einem Gespräch eingeladen. Dieses dient laut Huber der Standortbestimmung und soll die Entwicklung der Konsumenten verbindlicher fördern. Angestrebt werden die bessere soziale Integration Drogenabhängiger und eine Reduktion des Konsums bis hin zur Abstinenz. Das Standortgespräch wird halbjährlich wiederholt.

 Daten bleiben bei Contact-Netz

 Gleichzeitig wird die Aufhebung der Anonymität eingeführt. So ist der Eintritt in die K & A neu an eine interne Registrierung geknüpft. Damit hat Bern neben Biel die einzige K & A in der Schweiz, die nicht anonym betreten werden darf (siehe Zweittext). "Wollen wir die Betreuung verbessern, müssen wir wissen, wer die Leute sind", sagt Huber. Aus den erhobenen Daten resultierten keine Sanktionen und sie blieben intern bei Contact-Netz. Dass dieser Schritt die Niederschwelligkeit des Versorgungsangebots gefährden und einige Drogenabhängige von der Überlebenshilfe ausschliessen und zurück auf die Gasse drängen könnte, glauben die Verantwortlichen nicht.

 Huber meint, dass die meisten Drogenabhängigen von den Vorteilen der Veränderungen überzeugt werden können. Zudem würden bereits heute 75 Prozent der Klienten freiwillig persönliche Angaben machen. Bei einer ersten Information der Betroffenen habe es unterschiedliche Reaktionen bis hin zu Widerstand gegeben, sagte Ines Bürge, Leiterin der Kontakt- und Anlaufstelle Contact-Netz.

 Veränderungen gibt es auch bezüglich Betreuung. Sie soll differenzierter nach Zielgruppen erfolgen. Älteren, "chronifizierten Drogenabhängigen" soll das Fixerstübli weiterhin eine Tagesstruktur bieten. Für junge, "nicht chronifizierte" Drogenkonsumenten dagegen soll die K & A nur eine Durchgangsstation sein. Huber: "Sie müssen so schnell wie möglich in anderweitige Angebote integriert werden." So werden Minderjährige - im Moment seien das zwischen einer und drei Personen pro Jahr - künftig nur in Ausnahmefällen befristet und unter Einhaltung bestimmter Bedingungen in der K & A aufgenommen.

 "Trennung wäre besser"

 Ansonsten gilt im Fixerstübli neu das Eintrittsalter von 18 Jahren. "Die Trennung von älteren und jüngeren Konsumenten wäre besser, doch dafür fehlen die finanziellen Mittel", sagt Huber, angesprochen auf die Schaffung eines Raums für jüngere Konsumenten. Ebenso steht es bezüglich Schaffung einer zweiten Anlaufstelle.

 Die Anpassungen in der Schadensminderung werden in Absprache mit Kanton und Stadt Bern umgesetzt. "Fachliche Einschätzungen und politische Entwicklungen haben die Optimierungen notwendig gemacht", begründete Huber die Neuausrichtung.

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 Kontakt- und Anlaufstellen in Basel und Zürich

 Andere Städte, andere Eintrittsbedingungen

 Die Suchthilfe Region Basel betreibt in der Stadt Basel drei Kontakt- und Anlaufstellen (K&A). Im Unterschied zu Bern gewährleisten die K&A in Basel die Anonymität der Besucher. "Trotzdem kennen die Mitarbeitenden die Konsumenten und sind mit diesen in Kontakt", sagt Eveline Bohnenblust, Abteilungsleiterin Sucht bei den Gesundheitsdiensten Basel-Stadt. Die K&A stehen Personen von Basel-Stadt und Baselland zur Verfügung. Personen mit Wohnsitz in der Schweiz sind bisher nicht ausgeschlossen worden. "Tourismusprobleme gab es trotz der Zulassung von Abhängigen aus der ganzen Schweiz bisher nur marginal", sagt Bohnenblust. Im Ausland wohnhafte Personen, szenenfremde Personen, Minderjährige und Neueinsteiger erhalten zudem keinen Zutritt. Sie werden aber angesprochen und nach Möglichkeit weitervermittelt, wie Bohnenblust sagt. Gerade bei Minderjährigen sei es oberstes Ziel, sie so schnell wie möglich in Betreuung zu bringen. Wie in Bern gibt es laut Bohnenblust auch in Basel keine speziellen Orte für minderjährige Drogenabhängige. Allerdings stellten die jugendlichen Konsumenten ebenso wie in Bern kein grosses Problem dar.

 So ist das auch in Zürich, wie Michael Herzig, Leiter Geschäftsbereich Sucht und Drogen des Sozialdepartements der Stadt Zürich, bestätigt. Auch in Zürich gibt es keine spezialisierten Angebote für jugendliche Konsumenten harter Drogen. Stattdessen würden diese durch die Gassenarbeiter von Streetwork erreicht. Wer in eine der vier K&A in Zürich will, muss beim Eingang eine Kopie seines Niederlassungsausweises sowie den Personalausweis zeigen. Zutritt haben nur Unterstützungsberechtigte aus der Stadt Zürich. Allerdings werden die Klienten nirgendwo registriert. "Würde man die Anonymität ganz aufheben, gäbe es immer eine Gruppe, die dann nicht mehr in die K&A kommen könnte", sagt Herzig. Sobald jemand weiterführende Angebote wie Beratungen in Anspruch nimmt, wird die Anonymität jedoch aufgehoben.

 Auch bezüglich Umgang mit dem Raum draussen vor der jeweiligen K&A gibt es Unterschiede. Während es in Zürich keine Vorhöfe gibt und in Basel solche ohne Zeltdach, gibt es in Bern einen gedeckten Hof. Dieser dient als Aufenthaltsraum. "Für die Entlastung des öffentlichen Raums ist das die beste Lösung", sagt Jakob Huber, Geschäftsleiter Contact Netz. (reh)

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Kommentar

 Höhere Hürde für Eintritt ins Fixerstübli

Rahel Bucher

 Jede Leistungsgesellschaft muss sich der Frage stellen, wie sie randständige und drogenabhängige Menschen sozial integriert. Denn einerseits ist sie durch das von ihr produzierte und gelebte Wertesystem mitverantwortlich für Ausschluss und Suchttendenzen einiger Mitmenschen. Andererseits dringt die Suchtproblematik immer wieder in den öffentlichen Raum vor, was zu Konflikten führt. Gewalt, Kriminalität, aber auch Elend und Verwahrlosung bleiben niemandem verborgen. Und drogenabhängige Menschen fallen auf - sowohl durch ihr Aussehen als auch durch ihr Verhalten.

 Umso wichtiger sind Angebote wie die Kontakt- und Anlaufstelle - ein Überlebenshilfeangebot der Contact-Netz Bern -, die auch die Menschen abholt, die nicht mehr viel zu verlieren haben. Zudem trägt das Fixerstübli wesentlich dazu bei, dass die Drogenszene im öffentlichen Raum in der Stadt Bern auf ein Minimum reduziert wird. Dementsprechend niederschwellig sollten die Eintrittsbedingungen sein.

 Mit der Aufhebung der Anonymität könnte diese Niederschwelligkeit in Gefahr geraten. Denn Drogenabhängige, die ihren Namen nicht preisgeben, werden nicht mehr ins Fixerstübli gehen können. Wie die Konsumierenden mit den höheren Eintrittshürden umgehen werden, wird sich zeigen. Es bleibt zu hoffen, dass dieser Schritt nicht ohne die erhoffte Wirkung - der Entlastung des öffentlichen Raums sowie der unkomplizierten Überlebenshilfe für abhängige Menschen -bleibt.

 Umgekehrt ist es richtig, dass die Drogenabhängigen über Standortgespräche besser begleitet werden sollen. Auch die Heraufsetzung des Eintrittsalters von 16 auf 18 Jahre sowie die Fokussierung auf minderjährige Konsumierende ist positiv. Trotzdem stehen punkto Umgang mit jungen Konsumierenden nach wie vor zwei Fragen im Zentrum: Braucht es nicht ein Jugendkonzept und einen separaten Raum für minderjährige Drogenabhängige? Dies um sie von älteren, langjährigen Konsumenten zu trennen. Und müsste man nicht den Präventionsbereich weiter ausbauen? Auch um den gesellschaftlichen Diskurs und die Sensibilisierung bezüglich Suchtthematik zu fördern.

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BZ 17.8.10

Contact-Netz

 Verbesserte Angebote

 Zugang erst ab 18 Jahren, besser vernetzte, ergänzte und verbindlichere Angebote: Berner Drogenanlaufstellen im Wandel.

 Contact-Netz will mit seinen Kontakt- und Anlaufstellen den öffentlichen Raum weiter entlasten und Drogenabhängige besser unterstützen. Ermöglichen sollen dies Massnahmen, die gestern an einer Medienkonferenz präsentiert wurden.

 Junge sollen schnell weiter

 So soll mehr Verbindlichkeit im Umgang die Betreuung der Drogenabhängigen verbessern. Junge, nicht chronische Drogenabhängige will man künftig gezielter ansprechen und dank vernetzter Behandlungsangebote möglichst schnell aus der Kontroll- und Anlaufstelle hinausführen. Einlass erhalten ausschliesslich volljährige Süchtige. Minderjährige sind nur noch befristet und bei Kooperation der Eltern zugelassen.

 Abhängige, die durch alle Maschen der aktuellen Angebote gefallen sind, sollen mit einem Pilot-Brückenprojekt angesprochen werden: Künftig würden sie mit Methadon bereits an der Kontakt- und Anlaufstelle in der Hodlerstrasse versorgt und blieben am vertrauten Ort in Behandlung.

 Schliesslich soll zur Entlastung des öffentlichen Raums zusammen mit den anderen Akteuren im Bereich Schadensminderung ein einheitlicher Verhaltenskodex erarbeitet werden.

 Aufhebung der Anonymität

 "Wollen wir die Betreuung verbessern, müssen wir wissen, wer die Leute sind", sagte Jakob Huber, Geschäftsleiter von Contact-Netz. Dies bedinge, dass die Anonymität der Drogenabhängigen aufgehoben werde.

 Damit bricht Contact-Netz mit einem Dogma aus den 1980er-Jahren. Um die Betroffenen überhaupt mit Suchthilfeangeboten erreichen zu können, war deren Anonymität damals eine wichtige Bedingung. Heute gehen die Verantwortlichen davon aus, dass die Aufhebung der Anonymität keinen grossen Widerstand provozieren werde. Zwischen den Kontakt- und Anlaufstellen und den Drogenabhängigen bestehe ein Vertrauensverhältnis, sagte Robert Hämmig, Leiter des Funktionsbereichs Sucht bei den Universitären Psychiatrischen Diensten Bern. Zudem blieben die Daten innerhalb des Contact-Netz und würden in keinem Fall zu Sanktionen führen.

 Die Massnahmen, die ab Herbst umgesetzt werden sollen, nehmen Ergebnisse einer Studie der Uni Lausanne auf, sagte Therese Frösch, Präsidentin der Stiftung Contact-Netz. Sie seien kostenneutral und anschlussfähig, insbesondere mit dem Instrument des Case-Managements, das Kanton und Stadt bald einführen wollen.
 hae

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20 Minuten 17.8.10

Drogenanlaufstellen: Schluss mit anonym

 BERN. Wer Drogen konsumiert, wird registriert: Das Contact Netz sammelt Daten von Süchtigen, um diese künftig gezielter betreuen zu können.

 Die Berner Drogenfachleute denken um. Bisher holten sie die Süchtigen mit niederschwelligen Angeboten von der Strasse. Jetzt stellen sie Zutrittsschranken für die Kontakt- und Anlaufstellen auf: Die Benützer müssen über 18 Jahre alt sein und ihre Anonymität aufgeben. Mindestens alle sechs Monate verlangt man von ihnen persönliche Angaben, die in einer Drögeler-Datenbank erfasst werden.

 "Die Angst vor Fichierung ist unbegründet", versichert Jakob Huber vom Contact Netz: "Die Daten werden nicht weitergegeben und niemand muss aufgrund seiner Angaben mit Sanktionen rechnen."

 Das Ziel sei vielmehr, den Drogenabhängigen gezielter helfen zu können. So will man etwa die Langzeitkonsumenten besser von den Jugendlichen trennen und diese mit vernetzten Behandlungsangeboten rasch wieder aus der Sucht führen. Stadträtin Lea Bill (JA!) befürchtet, dass Abhängige nun auf der Gasse landen, wenn sie die neuen Auflagen nicht erfüllen: "Die Junge Alternative bereitet einen Vorstoss vor, um solche negativen Folgen abzumildern." Die Benutzer der Anlaufstellen wurden über die neuen Spielregeln informiert. Ihre Reaktionen reichten von Beifall bis zu deutlicher Ablehnung.  

Patrick Marbach

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derbund.ch 16.8.10

Contact will junge Drogenabhängige besser betreuen

sda / bs

 Die Drogenberatungsstelle Contact ändert die Spielregeln in den Kontakt- und Anlaufstellen: Die Anonymität wird aufgehoben, Zutritt erhalten nur noch Personen über 18 Jahre, und junge Drogenabhängig werden gezielter betreut.

 Mit diesen Massnahmen, die ab kommendem Herbst umgesetzt werden, will Contact mehr Verbindlichkeit in der Betreuung der Drogenabhängigen erreichen, sie wirksamer unterstützen und den öffentlichen Raum besser entlasten, wie die Verantwortlichen vor den Medien in Bern erklärten.

 Keine Angst vor Widerstand

 Zusätzlich zum Eintrittsgespräch erfolgt alle sechs Monate eine Standortbestimmung. Angst, dass man mit der Aufhebung der Anonymität die Leute abschreckt und zurück auf die Gasse drängt, hat man beim Contact Netz nicht.

 Bereits heute würden 75 Prozent der Klienten freiwillig persönliche Angaben machen, sagte Geschäftsleiter Jakob Huber. Die erhobenen Daten blieben bei Contact und würden nicht weitergegeben.

 Bei einer ersten Information der Betroffenen habe es unterschiedliche Reaktionen gegeben, sagte Iris Burger von Contact Netz. Nun werde man mit den Betroffenen das Gespräch suchen.

 Tagesstruktur für schwere Fälle

 Die Kontakt- und Anlaufstellen (KA) sollen künftig vor allem "älteren, chronifizierten Drogenabhängigen" zur Verfügung stehen und ihnen eine Tagesstruktur anbieten.

 Jüngere, "nicht chronifizierte" Drogenkonsumenten will man so schnell wie möglich aus den KA hinausführen. Viele dieser jüngeren Betroffenen schätzten die Beziehungsarbeit, die man mit ihnen leistet, betonte Huber. Hier will er künftig noch stärker ansetzen.

 Eltern einbinden

 Minderjährige werden aber künftig nur noch in Ausnahmefällen befristet und unter Einhaltung bestimmter Bedingungen aufgenommen. Dazu gehört, dass die Erziehungsverantwortlichen stärker eingebunden werden und mit Contact kooperieren müssen.

 Diese Strategie entspreche der Haltung des Gemeinderates, betonte die städtische Sozialdirektorin Edith Olibet. Sie sei froh, dass die heutige Politik weiterverfolgt und weiterentwickelt werde. Eine radikale Kehrtwende hätte das fragile Zusammenwirken aller Betroffenen gefährdet.

 Kein zweiter Standort in Sicht

 Ein zweiter Standort für eine Anlaufstelle in der Stadt Bern ist indessen nicht in Sicht, wie Olibet weiter ausführte. Dagegen sprechen derzeit finanzielle Gründe, aber auch die Schwierigkeit, eine geeignete Örtlichkeit zu finden.

 Die KA an der Berner Hodlerstrasse wird täglich von rund 250 drogenabhängigen Menschen besucht.

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AUSSCHAFFUNG
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Oltner Tagblatt 17.8.10

Solothurn Solidaritätskundgebung

 Auf dem Märetplatz in Solothurn haben gestern Montag rund 50 Personen gegen die Ausschaffung des 32-jährigen Togolesen Boris Awume demonstriert. Der Mann, der im Mai 2006 in der Schweiz ein inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht endgültig abgelehntes Asylgesuch gestellt hat, befindet sich seit letztem Donnerstag im Solothurner Untersuchungsgefängnis in Ausschaffungshaft. Heute Dienstag soll Awume ausgeflogen werden. (mzr) Seite 10

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Breite Solidarität mit Ausschaffungshäftling

 Kundgebung Auf dem Solothurner Märetplatz demonstrierten 50 Personen für ein Bleiberecht von Boris Awume

 Rund 50 Personen haben gestern in Solothurn gegen die für heute angesagte Ausschaffung eines 32-jährigen Togolesen demonstriert.

 Elisabeth Seifert

 Seit letztem Donnerstag sitzt der 32-jährige Boris Awume aus Togo im Solothurner Untersuchungsgefängnis in Ausschaffungshaft. Heute soll er zurück in seine Heimat geflogen werden. Dagegen demonstrierten gestern auf dem Märetplatz in Solothurn rund 50 Personen. Organisiert wurde die Kundgebung von der Gewerkschaft Unia, dem Gewerkschaftsbund Kanton Solothurn, der togolesischen Gemeinschaft in Solothurn sowie einer Organisation, die sich für die Demokratie in Afrika starkmacht.

 Peter Gomm schaltet sich ein

 Der Togolese hatte im Mai 2006 in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Im vergangenen Dezember erhielt er vom Bundesverwaltungsgericht den endgültigen Bescheid, dass sein Asylgesuch abgelehnt worden sei. Awume, der im letzten Herbst eine Ausbildung zum Informatiker begonnen und sich in den letzten Jahren in der Region breit vernetzt hat, kämpft seither für ein Bleiberecht in der Schweiz. Bis jetzt ohne Erfolg. Die breite Solidarität mit Boris Awume zeigt aber erste Früchte. Auf Veranlassung von Peter Gomm, Vorsteher des Departements des Innern, hat die kantonale Migrationsbehörde Awume gestern folgenden Vorschlag unterbreitet: Er solle freiwillig nach Togo zurückkehren und dort auf der Schweizer Botschaft ein Ausbildungsvisum beantragen. Peter Gomm: "Dadurch könnte er seine in der Schweiz begonnene Ausbildung beenden. Zudem würde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass er sich in der Schweiz gut integriert hat." Nach dem Ende der Ausbildung müsste er allerdings nach Togo zurückkehren. Boris Awume ist noch gestern nicht auf diesen Vorschlag eingegangen. Eine weitere Alternative des Kantons liegt gemäss gut orientierten Quellen bereits auf dem Tisch. Bis heute Vormittag muss sich Awume dazu äussern.

 "Bin ein sehr politischer Mensch"

 Vor gut vier Jahren, im Mai 2006, hat Awume in der Schweiz um politisches Asyl ersucht - und wurde für die Dauer des Verfahrens dem Kanton Solothurn zugeteilt. Den Grund für sein Asylbegehren schilderte Boris Awume im Gespräch mit dieser Zeitung folgendermassen: Sein Vater, einer von drei hohen Polizeioffizieren in Togo, war Ende der 90er-Jahre in Ungnade gefallen, wurde daraufhin verhaftet und beinahe vergiftet. Einige Jahre später kam er, Boris, in den Besitz einer Liste, auf der sein Vater als gefährlicher Regimegegner figurierte. Anfang Jahr 2005 nahm er an einer Demonstration teil, um zu verhindern, dass der Sohn des verstorbenen Regenten auf Druck der Armee das Zepter übernimmt. "Ich wurde verhaftet und kam nur dank glücklicher Umstände eine Woche später frei." Er fühlte sich daraufhin aber nicht mehr sicher in seinem Heimatland, flüchtete zunächst nach Ghana - und reiste schliesslich in die Schweiz.

 In Solothurn angekommen, suchte er schnell Anschluss und trat unter anderem in den Chor der Nationen ein. Neue Freunde fand er auch in einem französischen Kulturzirkel. Zudem wurde er Mitglied von Amnesty International und bald auch der Gewerkschaft Unia. "Ich bin ein sehr politischer Mensch", bekennt Boris Awume. Bald wurde er auch bei der Arbeitssuche fündig, zuerst bei der Firma Gehrig in Balsthal und später bei der Bell AG in Oensingen. Durch ein Problem an der Hand musste er seine Tätigkeit im Schlachthaus aber aufgeben. Im vergangenen September startete er dann eine Ausbildung zum Informatiker an der Höheren Fachschule für Technik in Grenchen. "Er ist ein sympathischer, angenehmer Mensch, der sich für sein Studium sehr engagiert", meinte Schulleiter Willi Lindner auf Anfrage. Das nötige Rüstzeug für sein Studium hat Boris Awume in Togo erworben, wo er die Matura absolvierte. Nach dem Giftanschlag auf seinen Vater arbeitete bis zu seiner Flucht für eine Umweltorganisation als Projektleiter.

 Finanzielle Unterstützung während seines Studiums erhält Awume von einer gemeinnützige Organisation sowie von verschiedenen Privatpersonen - unter anderem auch von seiner Lebenspartnerin Maria Krekels, einer Schweizerin mit holländischen Wurzeln. Die beiden haben sich im Chor der Nationen kennen gelernt und sind seit gut zwei Jahren ein Paar. Seit letztem April wohnen sie auch, in der Stadt Solothurn, offiziell zusammen. Anfang 2010 haben sie beim Solothurner Zivilstandsamt sämtliche Unterlagen für ein Ehevorbereitungsverfahren eingereicht, ohne Erfolg, das Verfahren wurde eingestellt. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass Boris Awume im Dezember 2009 vom Bundesverwaltungsgericht den - endgültigen - Bescheid erhielt, dass sein Asylgesuch abgelehnt worden sei.

 In Strassburg hängig

 Einen ersten, abschlägigen, Entscheid hatte das Bundesamt für Migration im September 2006 erteilt. Dagegen legte Boris Awume Rekurs ein. Gut drei Jahre später folgte das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts. Die Solothurner Migrationsbehörde, die für den Vollzug verantwortlich ist, wies den Togolesen daraufhin an, bis 20. Januar 2010 die Schweiz zu verlassen. Einem Gesuch beim Bundesverwaltungsgericht um Aussetzung des Vollzugs wurde Ende Januar nicht stattgegeben. Und auf ein letztes Revisionsgesuch, das Awume im Februar eingereicht hat, wurde nicht eingetreten. Im Frühling hat er sich schliesslich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gewandt, wo sein Anliegen hängig ist.

 "Im Entscheid des Bundsamts für Migration wurde der Kanton Solothurn mit dem Vollzug der Wegweisung beauftragt", hielt Peter Hayoz, Leiter der kantonalen Migrationsbehörde, auf Anfrage fest. "Ausnahmen können nur dann gemacht werden, wenn sich ein Asylsuchender mindestens fünf Jahre ununterbrochen in der Schweiz aufhält." Dies aber sei hier nicht der Fall.

 Für Awume selbst steht fest, sollte er ausgeschafft werden, muss er in Togo mit einer erneuten Festnahme rechnen. Um seiner Verzweiflung Ausdruck zu verleihen, ist er am Freitagnachmittag in den Hungerstreik getreten. "Die Situation in Togo ist schlimm", sagt er. Erst kürzlich sei ein Bekannter, ein Togolese, der über die Schweizer Staatsbürgerschaft verfügt, in Togo verhaftet worden, als er sich für eine Verbesserung der politischen Situation engagierte. Und über das Rote Kreuz sei ihn mitgeteilt worden, dass jetzt auch sein Bruder um Asyl ersucht habe, und zwar in Belgien.

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20 Minuten 16.8.10

Rückschaffung missglückt

 BERN. Der erste nach einem Unterbruch wieder durchgeführte Rückschaffungsflug von abgewiesenen Asylbewerbern nach Afrika ist gescheitert. Der für Bamako in Mali bestimmte Auszuschaffende konnte noch problemlos den Behörden übergeben werden. Als das Flugzeug aber dann im gambischen Banjul landen wollte, verweigerten die dortigen Zivilluftfahrtbehörden die Landeerlaubnis, wie Jonas Montani, Sprecher des Bundesamts für Migration, der "NZZ am Sonntag" sagte. Das Flugzeug musste nach Zürich zurückkehren. Kostenpunkt: 110 000 Franken.

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Landbote 16.8.10

Ausschaffungsflug abgewiesen

 Oliver Graf

 Das Bundesamt für Migration hat Ende Juli die Sonderflüge nach Afrika wiederaufgenommen. Allerdings ohne Erfolg und nur auf gut Glück: Die Maschine mit fünf abgewiesenen Asylbewerbern hat in Gambia keine Landeerlaubnis erhalten.

 BERN - Das sei skandalös, sagt SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. Der Flug habe am 28. Juli stattgefunden, erst jetzt sei die misslungene Ausschaffungsaktion durch Medienberichte publik geworden. "Es scheint, als ob das Ganze unter dem Deckel gehalten werden sollte."

 Das sei keineswegs der Fall, sagt Jonas Montani, Sprecher des zuständigen Bundesamtes für Migration (BFM). Dass über den Flug nicht informiert wurde, sei für das Bundesamt nichts Aussergewöhnliches. "Das war ein Sonderflug wie jeder andere auch", sagt Montani. Vor dem Flug wird aus Sicherheitsgründen nicht informiert, im Nachhinein in der Regel auch nicht.

 Etwas Besonderes war der Flug indes schon: Es war der erste Sonderflug nach Afrika seit Ende März. Damals wurden die Transporte ausgesetzt, nachdem auf dem Flughafen Zürich ein gefesselter Nigerianer kurz vor dem Start gestorben war. Zudem gestaltete sich der Erstflug nach Mali und Gambia nicht sonderlich erfolgreich. Mit einer gecharterten Maschine der Airline Hello, die gemäss ihrer Homepage nur über die 167-plätzige Boeing MD 90 verfügt, sollten sechs abgewiesene Asylbewerber ausgeschafft werden.

 Keine Landeerlaubnis

 Gemäss "NZZ am Sonntag" konnte eine Person in Bamako (Mali) wie geplant den Behörden übergeben werden. Die fünf Gambier mussten indes wieder nach Zürich geflogen werden. Die Maschine hatte von der gambischen Luftfahrtbehörde keine Landeerlaubnis erhalten.

 Die Schweizer Seite überrascht dies: Gründe, weshalb das Flugzeug nicht landen durfte, sind ihr keine bekannt. Gemäss Jonas Montani hätte eine mündliche Zusage für die Übernahme der fünf abgewiesenen Asylbewerber vorgelegen. Der Flug sei sowohl mit dem gambischen Aussenministerium als auch mit den Immigrationsbehörden abgesprochen gewesen. Letztere sei auch mit dem Zeitpunkt des Fluges einverstanden gewesen.

 Bei früheren Aktionen hat die Zusammenarbeit mit Gambia laut Montani immer problemlos geklappt, obwohl mit diesem afrikanischen Staat kein Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde.

 Für Nationalrätin Natalie Rickli ist klar, dass "illegale Asylbewerber ausgewiesen gehören". Das Vorgehen des Bundesamtes versteht sie aber nicht: Eine mündliche Zusage reiche nicht aus. Die zuständigen Stellen und der Bundesrat seien nun gefordert, die Ausschaffungen erfolgreich durchzuführen. Das Bundesamt für Migration räumte gegenüber der "NZZ am Sonntag" ein, dass das Vorgehen unüblich sei: "Gambia ist diesbezüglich eine Ausnahme." Normalerweise liege vor dem Abflug eine Landeerlaubnis vor. Dass sie oft nur ganz kurzfristig vorliege, sei aber nicht aussergewöhnlich und habe "mit den internen Abläufen in Gambia" zu tun.

 Die fünf abgewiesenen Asylbewerber befinden sich nach ihrem Sonderflug wieder in einem Schweizer Ausschaffungsgefängnis. Sie sollen noch in diesem Monat erneut ausgeflogen werden. Über den Zeitpunkt schweigt sich das BFM aus. Der Flug soll wiederum über ein weiteres afrikanisches Land führen und ebenfalls rund 110 000 Franken kosten.lOLIVER GRAF

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NZZ am Sonntag 15.8.10

Asylbewerber nach Afrika und zurück - für 110000 Franken

 Mit einem Sonderflug sollten am 28. Juli sechs abgewiesene Asylbewerber nach Mali und Gambia ausgeschafft werden. Die geheime Mission des Bundesamts für Migration (BFM) scheiterte: Während in Mali ein Asylbewerber den Behörden übergeben werden konnte, verweigerte Gambia der vom Bund gecharterten Maschine die Landung. Der Sonderflug musste mit den fünf Asylbewerbern nach Zürich zurückkehren, wie das BfM der "NZZ am Sonntag" bestätigt. Die Kosten der Aktion belaufen sich auf 110 000 Franken. Gambia hat die Gründe für die Verweigerung der Landerechte bis heute nicht mitgeteilt. (sbü.)

 ►Seite 7

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Afrika retour für Asylbewerber

 Gambia verweigert Sonderflug mit abgewiesenen Asylbewerbern die Landung

 Mit dem ersten Sonderflug nach Afrika seit März sollten sechs abgewiesene Asylbewerber ausgeschafft werden. Fünf kehrten in dem vom Bund gecharterten Flugzeug nach Zürich zurück.

 Stefan Bühler

 Nachdem im März ein Nigerianer kurz vor seiner Ausschaffung im Flughafen Kloten gestorben war, stoppte das Bundesamt für Migration (BFM) alle Sonderflüge. Später zeigte sich, dass der 29-jährige Nigerianer an einem Herzfehler gelitten hatte. Darauf nahm das BFM im Juni die Sonderflüge wieder auf, vorerst nur in Europa.

 Wie jetzt bekannt wird, startete am 28. Juli erstmals wieder ein vom Bund gechartertes Flugzeug mit abgewiesenen Asylbewerbern Richtung Afrika: Eine Person sollte in Bamako, Mali, den Behörden übergeben werden. Fünf abgewiesene Asylbewerber sollten nach Gambia ausgeschafft werden. Doch die von den Behörden geheim gehaltene Mission endete in einem Misserfolg. Wie das BFM Recherchen der "NZZ am Sonntag" bestätigt, flog die Maschine der Fluggesellschaft Hello zuerst Mali an: "Die Übergabe in Bamako verlief planmässig und ohne Hindernisse", heisst es in einem internen Protokoll des BFM. Dann ging die Reise weiter nach Gambia, wo die "fünf Zurückzuführenden nicht übergeben werden konnten", wie es weiter heisst. Grund: "Trotz mündlicher Zusage der Landebewilligung wurden dem Flugzeug beim Anflug in Banjul die Landerechte von der Zivilluftfahrtbehörde verwehrt." Der Sonderflug "musste somit wieder nach Zürich zurückkehren", schreibt das BFM - mitsamt den fünf gambischen Asylbewerbern. Und dies obwohl gemäss dem internen Protokoll "das gambische Aussenministerium und die Immigrationsdienste mit der Aktion einverstanden und in die Planung eingebunden waren".

 Wie das BFM in einer schriftlichen Stellungnahme festhält, hat Gambia die Gründe für die Verweigerung der Landerechte bis heute nicht mitgeteilt. "Es gilt zu unterstreichen, dass keine immigrationstechnischen oder personenbezogenen Hindernisse vorlagen", schreibt das BFM. Dass allein aufgrund einer mündlichen Zusage der Behörden eines Ziellandes von der Schweiz aus Ausschaffungsflüge gestartet werden, ist jedoch unüblich: "Gambia ist diesbezüglich eine Ausnahme", räumt das BFM ein, normalerweise erhalte die zuständige Fluggesellschaft die Landeerlaubnis einige Tage im Voraus, schriftlich. Dass aber die Landebewilligung für die Destination Banjul stets spät eintreffe, "ist nicht aussergewöhnlich und hängt mit den internen Abläufen in Gambia zusammen", wie das BFM sein Vorgehen rechtfertigt.

 Ungeachtet des Zwischenfalls betont das Bundesamt: "Die Zusammenarbeit mit den gambischen Behörden klappt sehr gut, und es gab bisher noch nie Probleme mit der Landeerlaubnis." Dies obwohl mit Gambia kein Rückübernahmeabkommen besteht. So plant das BFM bereits den nächsten Flug nach Banjul: Die fünf abgewiesenen Asylbewerber, die seit ihrer Rückkehr nach Zürich wieder in Ausschaffungshaft sitzen, sollen noch im August in ihre Heimat gebracht werden. Geplant ist, dass dieser Flug auch noch in ein anderes Land führt, in das weitere Asylbewerber ausgeschafft werden sollen. Das BFM nennt weder Land noch die Zahl der Personen oder das Datum des Flugs. Bloss den Aufwand für die gescheiterten und die geplanten Ausschaffungen legt es offen: "Die Kosten für beide Sonderflüge sind identisch und liegen bei rund 110 000 Franken."

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@-CAMP
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Südostschweiz 16.8.10

Anarchisten sind nicht chaotisch

 Degen. - Das anarchistische Sommercamp in Degen ist nicht das, was man vielleicht davon erwartet hat. Ein Augenschein der "Südostschweiz" hat nämlich klar gezeigt, dass das am Freitag gestartete einwöchige Camp sehr organisiert abläuft - und dies obwohl es keine Leitung und auch keine Organisationsstruktur gibt. "Anarchie bedeutet Ordnung ohne Herrschaft", sagt eine Lagerteilnehmerin, und das bedeute nicht Chaos. Seite 2

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Gelebte anarchistische Visionen in der Val Lumnezia

 Seit Freitag findet im Lugnez ein anarchistisches Sommercamp statt. Junge engagierte Anarchisten wollen ihre Visionen des herrschaftsfreien Zusammenlebens in der Praxis erproben - und tun das durchaus organisiert.

 Von Jara Uhricek (Text und Bilder)

 Degen. - Anarchie bedeutet Herrschafts- und Gesetzeslosigkeit ohne eine feste Ordnung oder auch ein Chaos in jeglicher gesellschaftlicher Hinsicht - so die Definition des Dudens. Wer das einwöchige Camp in Degen besucht, lernt, dass das zwar zutrifft, aber anders, als es sich ein Aussenstehender vorstellt. Vor allem mit dem Chaos haben es die jungen Frauen und Männer nicht so.

 Bis zu 60 Anarchisten erwartet

 Bis Samstagnachmittag haben wegen des kühlen, regnerischen Wetters gerademal 20 bis 30 Anarchisten den Weg auf das Gelände des Ferienhauses "Turatscha" gefunden - bis zu 60 sollen es an Spitzentagen werden. Ihre kleinen, tropfenden Iglu-Zelte drängen sich verlassen um ein hohes Tipi-Zelt. Die meisten Campteilnehmer sitzen an Festbänken unter einer zwischen den zwei "Turatscha"-Gebäuden gespannten Plastikplache. Sie plaudern, einzelne probieren die zuvor in einem Workshop gebastelten Spray-Schablonen mit revolutionären Slogans auf grossen Tüchern aus. Aus Spanien angereiste Gleichgesinnte bereiten das Abendessen zu, in der Scheune findet der Soundcheck für gesellschaftskritische Konzerte statt.

 Plenum, Protokoll und Programm

 An den Hauseingängen hängen selbstgemalte Rauchverbotsschilder, drinnen gilt Schuhverbot und zur Sicherheit hat man die Holztreppe in schützenden Schaumstoff verpackt. Es gibt eine Stellwand mit dem politischen und kulturellen Workshop-Programm und ein Anschlagbrett mit den anfallenden Aufgaben. Vom Einkauf über die Herstellung von Aschenbechern bis zum Shuttle-Fahrdienst nach Ilanz ist alles geregelt. Sogar die vorhandenen Allergien sind zwecks Rücksichtsnahme aufgelistet: Neben Hundehaaren finden sich auf der Liste auch Intoleranz und Neonazis.

 Wären nicht die sorgfältig ausgelegten politischen Schriften, einzelne Anarchie-Symbole und die vorherrschende Kleiderfarbe schwarz, man wähnte sich in einem ganz normalen Ferienlager. Von Chaos ist einfach nichts zu finden - obwohl das Camp keine Leitung, keinen Chef und auch keine Organisationsstruktur hat.

 Ordnung ohne Herrschaft

 "Anarchie bedeutet Ordnung ohne Herrschaft", sagt Rahel, eine 27-jährige Medizinstudentin. Nur weil sie gegen das bestehende System wären, seien sie keine Chaoten. "Wir treffen uns täglich im Plenum und diskutieren den Campverlauf, die Aufgaben und wer sie übernimmt", erklärt Sandra. Die Anarchisten führen darüber sogar Protokoll.

 Wie Rahel gehörte die 20-jährige Soziologiestudentin Sandra zur Organisations-Gruppe. Mit dem Eintreffen der ersten Teilnehmer hat sich das OK aufgelöst. Das führerlose Camp funktioniere bestens, wie schon fünf Mal zuvor an anderen Orten der Schweiz.

 Die Anarchisten wissen eben nicht nur genau, was sie nicht wollen, sondern auch, was sie wollen: Selbstverantwortung, Eigeninitiative, Solidarität und Freiheit - mehrheitsfähige Werte also. Heikler wird es beim Nicht-Wollen. Die Aktivisten lehnen jede Herrschaft und Hierarchie ab, wollen das bestehende System stürzen. In der aktuell vorherrschenden Gesellschaftsform seien kaum selbstgestaltete, unabhängige Freiräume für ein Leben ohne Zwänge vorhanden.

 Keine Gewalt

 Wie weit sind die belesenen, vor Tatendrang und Diskutierlust sprühenden Aktivisten aber bereit, für ihre Vision zu gehen? "Gewalt gegen Personen oder Tiere ist ausser Frage", sagt der 25-jährige Temporärarbeiter Marcel und erntet allseitiges Nicken. Schmerzzufügung lehnen die am Gespräch Beteiligten ab. Und Sachbeschädigung? Die Aktivisten drucksen etwas herum. "Ich distanziere mich nicht von Gewalt gegen Dinge", sagt Rahel. Es komme aber auf die Umstände an, betont sie und erhält breite Zustimmung. Zerstörung als Frustventil sieht die Gruppe nicht gern.

 Zur Frage nach dem Zweck des Bastelkurses von Steinschleudern meint augenzwinkernd der 27-jährige Marco, Arbeitsagoge in einer Behindertenwerkstatt: "Der Kurs dient der Klischee-Erhaltung." Er erntet unbeschwerte Lacher. Das sei halt Tradition und es mache einfach Spass, damit auf Zielscheiben zu schiessen.

 Aus Angst vor Repressalien, nicht zuletzt am Arbeitsplatz, wollen sich die Anarchisten nicht fotografieren lassen. Sie betonen aber, im Camp jeden herzlich willkommen zu heissen, der sie kennenlernen wolle.

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SÖLDNERTUM
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Bund 16.8.10

Justizministerin prüft Kontrollpflicht für Söldnerfirmen

 Die Verlegung des Sitzes der britischen Privatarmee Aegis nach Basel löst bei Eveline Widmer-Schlumpf zwar Unbehagen aus. Doch die Neutralität sei nicht tangiert.

 Romeo Regenass

 Seit Anfang August ist die britische Privatarmee Aegis Defence, die unter anderem im Irak und in Afghanistan tätig ist, eine Schweizer Holding mit Sitz in Basel ("Bund" vom Dienstag). Nach Protesten diverser Politiker, die auch parlamentarische Vorstösse angekündigt haben, hat sich Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf in der Sonntagspresse erstmals dazu geäussert. Sie sieht laut der "NZZ am Sonntag" keinen dringenden Handlungsbedarf, die Sitzverlegung stehe im Einklang mit schweizerischem und internationalem Recht. Auch das Neutralitätsrecht werde nicht tangiert, weil dieses nur die Parteinahme der Schweiz zugunsten einer Krieg führenden Macht verbiete. Die Konflikte im Irak und in Afghanistan seien aber "innerstaatliche Auseinandersetzungen und keine Kriege zwischen zwei oder mehreren Staaten".

 Die Schweiz müsse jedoch gut darauf achten, dass sich die Präsenz international tätiger Militär- und Sicherheitsfirmen nicht negativ auf die Aussenpolitik und das humanitäre Engagement der Schweiz auswirke. Im "SonntagsBlick" machte sich die Justizministerin für eine gesamtschweizerische Lösung stark, etwa eine Bewilligungs- und Kontrollpflicht. "Es kann nicht sein, dass Firmen, die in einem zweifelhaften Bereich tätig sind, im einen Kanton wirken dürfen und im anderen nicht." Das Schweizer Söldnerverbot sei nicht tangiert, solange die Firma für ihre Tätigkeiten keine Schweizer rekrutiere.

 Aegis Defence selbst bekräftigte am Wochenende in einer Mitteilung, dass die Verlegung der Holding aus rein pragmatischen Überlegungen erfolgte und dass die Schweiz kein Ausgangspunkt für operative Tätigkeiten sein werde.

 In der "SonntagsZeitung" erklärte der Experte für private Sicherheitsfirmen Rolf Uesseler, dass sich von der neutralen Schweiz aus gut Sicherheits-, Intelligence- und IT-Aufträge in westlichen Staaten und aus der Wirtschaft akquirieren liessen. Aegis könne sich zudem durch den Umzug der zunehmenden Kontrolle durch London entziehen. Der Publizist wies auch darauf hin, dass der illegale Waffenhandel seit dem Auftauchen von Militärfirmen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen ist. "Waffengeschäfte werden heute von diesen privaten Firmen eingefädelt, aber offiziell von den staatlichen Auftraggebern abgewickelt." Auch für solche Geschäfte empfehle sich die Schweiz.

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BZ 16.8.10

Britische Privatarmee

 Widmer-Schlumpfs Bedenken gegenüber Söldnerfirmen

 Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf will eine einheitliche Bewilligungspflicht von Sicherheitsfirmen prüfen.

 Dass die britische Privatarmee Aegis Defence ihren Hauptsitz nach Basel verlegt hat, löst auch bei Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf Unbehagen aus. Die Ansiedelung verstösst nicht gegen das Gesetz, für die operativen Tätigkeiten gilt nach wie vor die britische Rechtsprechung. "Eine andere Frage ist die Vereinbarkeit mit unseren Werten, für die auch das humanitäre Völkerrecht eine wichtige Rolle spielt", sagte Widmer-Schlumpf in einem Interview mit dem "SonntagsBlick".

 Neutralität nicht verletzt

 Technisch gesehen werde das Schweizer Neutralitätsrecht nicht verletzt, und auch das Schweizer Söldnerverbot werde nicht tangiert, solange die Firma keine Schweizer rekrutiere. "Wir müssen jedoch darauf achten, dass sich die Präsenz international tätiger Militär- und Sicherheitsfirmen nicht auf unsere Aussenpolitik und unser humanitäres Engagement auswirkt."

 Die Regelungskompetenz liegt derzeit bei den Kantonen. "Heute müssen wir eine bundesrechtliche Lösung diskutieren", sagt die Justizministerin. Sie könnte sich eine Bewilligungs- und Kontrollpflicht vorstellen. Dabei wäre im Einzelfall zu prüfen, ob eine Firma die gesetzlichen Voraussetzungen erfülle, "etwa, ob sie nur Support- und Logistikdienstleistungen erbringt oder auch in Kampfhandlungen involviert ist".

 Aegis Defence selbst bekräftigte in einer Medienmitteilung, dass die Verlegung der Holding nach Basel rein nach pragmatischen Überlegungen erfolgte und dass die Schweiz kein Ausgangspunkt für operative Tätigkeiten sein wird. Wie auch immer: "Wir brauchen auf jeden Fall eine gesamtschweizerische Lösung", betont Widmer-Schlumpf. Es könne nicht sein, dass Firmen, die in einem zweifelhaften Bereich tätig seien, im einen Kanton wirken dürften und im anderen nicht.

 Kein Einzelfall

 Nach Recherchen der "SonntagsZeitung" ist Aegis Defence nicht das einzige Sicherheitsunternehmen, das in der Schweiz Zuflucht sucht. Der Publizist und Experte für private Sicherheitsfirmen Rolf Uesseler erklärt gegenüber der "SonntagsZeitung", dass sich von der neutralen Schweiz aus gut Sicherheits-, Intelligence- und IT-Aufträge akquirieren liessen. Uesseler weist auch darauf hin, dass der illegale Waffenhandel seit dem Auftauchen von Militärfirmen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen ist. "Waffengeschäfte werden heute von diesen privaten Firmen eingefädelt, aber offiziell von den staatlichen Auftraggebern abgewickelt." Auch für solche Geschäfte empfehle sich die Schweiz.
 sda

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sf.tv 15.8.10

Basler Söldner-Firma: Im Visier des Bundesrats

 Seit Anfang Woche ist bekannt, dass die umstrittene Söldner-Firma Aegis ihren Sitz legal in die Schweiz verlegt hat. Der Bundesrat lässt die Firma vorerst gewähren, will sie aber genau beobachten.

sf/muei

 Zwar sei es ein Fakt, dass "ein grosser Akteur, der unter anderem bewaffnete Mandate in Afghanistan und im Irak wahrnimmt, seinen Geschäftssitz in die Schweiz verlegt hat", sagte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gegenüber der "NZZ am Sonntag".

 Es handle sich aber um einen Einzelfall, weshalb es verfrüht sei, konkrete Massnahmen zu prüfen.

 Neutralität wird nicht tangiert

 Die Befürchtung, ein solches Unternehmen schade dem Ansehen der Schweiz, weist Justizministerin Widmer-Schlumpf zurück. "Die blosse Sitzverlegung von Aegis gefährdet unsere Aussenpolitik und unseren guten internationalen Ruf als verlässlicher, humanitär engagierter Staat sicher noch nicht."

 Auch die Neutralität werde nicht tangiert, da es sich bei den Konflikten im Irak und in Afghanistan um innerstaatliche Auseinandersetzungen handle. Aegis wolle zudem in der Schweiz nicht operativ tätig sein, schreibt das Blatt weiter.

 Gesetzeslücke ausgenützt

 Politiker verschiedener Lager sowie der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel schätzen die Lage jedoch anders ein: Sie sehen die Neutralität des Landes gefährdet. Stahel warnt gar, der Zuzug von Aegis könne Schweizer Bürger und Organisationen in Afghanistan und im Irak in Gefahr bringen.

 Für Stahel ist klar, dass Aegis in der Schweiz bewusst eine Gesetzeslücke ausnutzt: Es gebe hier weder Zulassungsverfahren noch Regeln für private Militärfirmen.

 Nationalräte der FDP, der Grünen und der SP wollen deshalb auf parlamentarischen und ausserparlamentarischen Wegen gegen die Niederlassung von Aegis vorgehen.

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NZZ am Sonntag 15.8.10

Bundesrat will Söldner-Firma in Basel genau beobachten

 Für Widmer-Schlumpf Neutralität nicht gefährdet - Kritiker sehen Risiken für Schweiz

 Die umstrittene Söldner-Firma Aegis darf ihren Sitz in die Schweiz verlegen. Nationalräte wollen trotzdem einschreiten.

 Christine Brand

 Bundesrätin Widmer-Schlumpf will die britische Militär-Firma Aegis in der Schweiz gewähren lassen. Das hält sie gegenüber der "NZZ am Sonntag" fest. Zwar sei es ein Fakt, dass "ein grosser Akteur, der unter anderem bewaffnete Mandate in Afghanistan und im Irak wahrnimmt, seinen Geschäftssitz in die Schweiz verlegt hat", sagt die Justizministerin. Es handle sich aber um einen Einzelfall, weshalb es verfrüht sei, konkrete Massnahmen zu prüfen.

 Die Sicherheitsfirma Aegis hat kürzlich den Holding-Sitz von London nach Basel verlegt. Sie beschäftigt rund 20 000 Söldner und setzt diese im Auftrag von Regierungen, aber auch privaten Organisationen in Kriegsgebieten ein. Befürchtungen, ein solches Unternehmen schade dem Ansehen der Schweiz, weist Widmer-Schlumpf zurück. "Die blosse Sitzverlegung von Aegis gefährdet unsere Aussenpolitik und unseren guten internationalen Ruf als verlässlicher, humanitär engagierter Staat sicher noch nicht." Die Neutralität werde ebenfalls nicht tangiert, da es sich bei den Konflikten im Irak und in Afghanistan um innerstaatliche Auseinandersetzungen handle. Aegis wolle zudem in der Schweiz nicht operativ tätig sein - eine Aussage, welche die Firma gegenüber der "NZZ am Sonntag" bestätigt. Politiker verschiedener Lager sowie der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel schätzen die Lage jedoch anders ein: Sie sehen die Neutralität der Schweiz gefährdet. Stahel warnt gar, der Zuzug von Aegis könne Schweizer Bürger und Organisationen in Afghanistan und im Irak in Gefahr bringen. Nationalräte der FDP, der Grünen und der SP wollen deshalb auf parlamentarischen und ausserparlamentarischen Wegen gegen die Niederlassung von Aegis vorgehen.

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Unter Feuer

 Die private Sicherheits- und Militärfirma Aegis verdient mit rund 20 000 Söldnern vorwiegend im Irak und in Afghanistan Hunderte Millionen Dollar. Seit kurzem ist Aegis eine Schweizer Holding mit Sitz in Basel. Jetzt laufen Politiker Sturm. Sie sehen die Neutralität der Schweiz in Gefahr.

Von Christine Brand

 Wir haben ein Problem." Mit "wir" meint Militärexperte Albert A. Stahel die Schweiz. Mit "Problem" eine Firma, deren Holding sich in Basel niedergelassen und die seiner Meinung nach hier nichts zu suchen hat. Es handelt sich um das private britische Sicherheits- und Militärunternehmen Aegis. Eine Firma, die mit Krieg ihr Geld verdient. Viel Geld.

 Aegis bietet in erster Linie Regierungen militärische Dienstleistungen an. Geschätzte 20 000 Aegis-Mitarbeiter - Söldner im modernen Sinne - stehen vorwiegend im Irak und in Afghanistan im Einsatz. Sie übernehmen logistische Aufgaben, Ausbildungsaufträge, erarbeiten Operationspläne. Sie leisten aber auch bewaffneten Objekt- und Personenschutz - und wohl ebenfalls Kampfhandlungen. Wie breit ihr Dienstleistungsangebot genau ist, bleibt unklar. Sicher ist: Der Kopf von Aegis, Tim Spicer, stand mit seiner früheren Firma Sandline in Sierra Leone wegen Vergehen gegen die Menschenrechte in der Kritik. Und im Irak tauchten Videos auf, die angeblich Aegis-Leute zeigten, die auf Zivilisten schossen. Kriege und Krisen sind das Geschäft solcher Privatarmeen. Sie setzen dabei Milliarden um. Aegis gilt als eine der grössten und aktivsten überhaupt. Allein im Irak hat sich Aegis seit 2004 Aufträge von 790 Millionen Franken gesichert. 2009 erzielte sie einen Umsatz von 252 Millionen Franken.

 Dass Aegis ihren Holding-Sitz von London nun ausgerechnet an die Gartenstrasse 22 in Basel verlegt hat, löst auch bei Politikern Empörung aus. Selbst bei Nationalrat Peter Malama (fdp., Basel-Stadt), der als Direktor des Basler Gewerbeverbands eigentlich Interesse an Neuansiedlungen haben müsste. "Ich bin befremdet, dass sich eine Firma in der Schweiz niederlassen kann, die in Konfliktgebieten Söldner einsetzt", sagt er. "Ich finde das verwerflich." Sein grüner Ratskollege Geri Müller (Aargau) meint, "man müsste dieser Firma auch auf ausserparlamentarischem Weg die Hölle heiss machen". Man werde sich Aktionen überlegen.

 Schweiz als Image-Pflege

 Über die Gründe für den Umzug nach Basel lässt sich spekulieren. Offiziell nennt es Firmensprecherin Sara Pearson einen "pragmatischen Geschäftsentscheid". Als Vorzüge der Schweiz zählt sie die "transparente Rechnungslegung" und das "stabile Steuersystem" auf. Auch sei die Wahl wegen der Herkunft ihres Revisors auf Basel gefallen. Gemeint ist der Anwalt Marc Bauen aus Oberwil (BL), der in London lebt. Er und Kristian Meier, Partner bei der Basler Treuhandfirma Atag, amtieren als Verwaltungsräte der Holding. Die Vermutung, Aegis habe sich mit der Verlegung der kritischen Aufmerksamkeit der britischen Öffentlichkeit entzogen, weist Pearson zurück.

 Für Albert A. Stahel hingegen ist klar, dass Aegis in der Schweiz bewusst eine Gesetzeslücke ausnutzt: Es gebe hier weder Zulassungsverfahren noch Regeln für private Militärfirmen, was seines Erachtens zwingend nötig wäre. Und er vermutet hinter dem Sitzwechsel ein weiteres Motiv: "Es ist durchaus imagefördernd, wenn sich eine Firma wie Aegis plötzlich als Schweizer Firma verkaufen kann." Auch Firmen und Nichtregierungsorganisationen nähmen deren Dienste in Anspruch, zum Beispiel für den Personenschutz. "Eine Schweizer Firma hat grössere Chancen, den Job zu bekommen." Der Kommentar von Aegis-Sprecherin Pearson dazu: "Die Schweiz ist bei unseren Hauptkunden hoch angesehen."

 Um dieses hohe Ansehen ist Albert A. Stahel besorgt. Die Schweiz habe im Irak und in Afghanistan bisher als neutral gegolten. Diese Neutralität werde nun tangiert, es bestehe die Gefahr, dass es mit dem Wohlwollen gegenüber der Schweiz vorbei sei: "Die Präsenz dieser Firma kann Schweizer Bürger und Organisationen in Krisengebieten gefährden." Dass die Aegis-Sprecherin faktisch zugibt, dass es sich bei der Holding bloss um eine Briefkastenfirma handelt - "die Aegis-Holding wird kein Personal beschäftigen" -, macht für Stahel keinen Unterschied.

 Für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hingegen schon. Es gebe bis jetzt keine Anhaltspunkte, dass die britische Firma über ihren Sitz in der Schweiz Kombattanten oder anderes Personal rekrutieren wolle. Die Sitzverlegung stehe im Einklang mit schweizerischem und internationalem Recht. "Auch das Neutralitätsrecht wird nicht tangiert", sagt Widmer-Schlumpf. Dieses verbiete nur die Parteinahme der Schweiz zugunsten einer kriegführenden Macht. Die Konflikte im Irak und in Afghanistan seien aber innerstaatliche Auseinandersetzungen und keine Kriege zwischen zwei oder mehreren Staaten. Eveline Widmer-Schlumpf betont, die blosse Sitzverlegung von Aegis gefährde die Aussenpolitik der Schweiz und ihren guten internationalen Ruf als verlässlicher, humanitär engagierter Staat "sicher noch nicht". Die Justizministerin sieht denn auch keinen dringenden Handlungsbedarf; sie verweist auf einen Bericht von 2008, der zum Schluss kommt, dass für private Sicherheits- und Militärfirmen kein Zulassungsverfahren nötig sei - die Schweiz sei für solche Firmen unbedeutend. "Ein Grund für eine Neubeurteilung wäre zweifellos dann gegeben, wenn es sich zeigen sollte, dass die Schweiz für international tätige Militär- und Sicherheitsfirmen attraktiver wird", räumt Widmer-Schlumpf ein. "Aber es wäre verfrüht, über konkrete Massnahmen zu reden."

 Verbot gefordert

 Genau solche werden jetzt jedoch verlangt. Nationalrat Peter Malama sagt, er sehe keinen Unterschied darin, ob Waffen oder Söldner über die Schweiz in Kriegsgebiete gesendet würden. Daher sei es nicht nachzuvollziehen, dass für private Sicherheitsfirmen nicht die gleichen restriktiven Vorschriften gälten wie beim Rüstungsexport. Er wird eine Motion einreichen, die auf eidgenössischer Ebene ein Zulassungsverfahren und Kontrollsystem für Firmen wie Aegis fordert. Seine grünen Ratskollegen Geri Müller (Aargau) und Jo Lang (Zug) gehen noch einen Schritt weiter: Sie verlangen in ihren Motionen, dass die Niederlassung von Privatarmeen in der Schweiz verboten wird.

 Dabei hätten die Politiker bereits eine günstige Gelegenheit gehabt, gerade noch rechtzeitig ein Zeichen zu setzen: Am 3. März 2010 stimmte der Nationalrat über eine Motion von Evi Allemann (sp., Bern) ab, die verlangte, was Malama jetzt fordert; dass "für private Anbieter von Dienstleistungen im Militär- oder Sicherheitsbereich, die von der Schweiz aus in Konfliktgebieten tätig sind, ein Zulassungssystem eingeführt wird". Ihre Motion wurde klar abgelehnt - 15 Tage bevor sich die Aegis-Holding ins Schweizer Handelsregister eintrug. Malama drückte damals übrigens den Nein-Knopf. Müller und Lang enthielten sich. Allemann wird ihre Motion erneut einreichen.

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Söldner

 Aus dem Schützengraben in die Konferenzzimmer

 Wie er als Südafrikaner denn in Sierra Leones Nordosten zurechtkomme, wollten wir wissen. Unten am Fluss standen Sierra-Leoner und suchten in der schwülen Hitze nach Diamanten. In Angola sei es leichter gewesen, erwiderte der Söldner. Da habe er Ruhe schaffen können, indem er Angolanern zur Abschreckung in den Kopf geschossen habe. Der Söldner von der Firma Executive Outcomes verteidigte damals, vor 14 Jahren, die Diamantenfelder um die Stadt Yengema gegen die Rebellen der Revolutionary United Front. Diese hackten den Einheimischen Arme und Beine ab, und sie wurden von Liberias Präsident Charles Taylor unterstützt. Der steht dafür jetzt in Den Haag vor Gericht.

 Heute würde wohl kein Söldner mehr so prahlen, denn er müsste ein Strafverfahren fürchten. Oberst Tim Spicer, der Direktor von Aegis, hat damals mit angesehen, wie die Kollegen von Executive Outcomes ihren Betrieb einstellen mussten, weil sie für ihre Einsätze in Angola und Sierra Leone heftig kritisiert wurden. Das schützte ihn nicht vor Fehlern, als er mit ehemaligen Kollegen von Executive Outcomes die Firma Sandline betrieb: Weil bei einem von der britischen Regierung bezahlten Einsatz von Spicers Leuten in Sierra Leone ein Uno-Waffenembargo gebrochen wurde, liess Downing Street die Firma fallen. Ein militärischer Einsatz in Papua-Neuguinea endete mit der Verhaftung Spicers.

 Heute sucht sich der 58-jährige Brite lieber seriöse Geschäftspartner: das Pentagon etwa, das ihm lukrative Bewachungsaufträge im Irak bescherte. Seine Öffentlichkeitsarbeit lässt er wohlweislich von der schicken PR-Firma TheSpaWay in London machen.

 Dieser Weg von den "killing fields" in Angola, Sierra Leone oder Kongo-Kinshasa in die Konferenzzimmer von Washington D. C. oder London spiegelt aber auch die gewandelte öffentliche Wahrnehmung der PMC, der Private Military Companies. Die Söldner tun Dinge, die der Staat nicht kann oder darf. Das muss nicht immer schlecht sein: Söldner wie der brutale Südafrikaner in Yengema halfen, den blutigen Bürgerkrieg in Sierra Leone zu beenden. Christoph Plate

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Sonntagszeitung 15.8.10

Etliche Söldnerfirmen in der Schweiz

 Sicherheitsunternehmen werben hierzulande mit ihrer Erfahrung aus dem Irak-Krieg
 
Pascal Tischhauser und Matthias Halbeis

 Bern Die wegen ihres Umzugs in die Schweiz in die Schlagzei-len geratene Militärfirma Aegis ist nicht das einzige private Sicherheitsunternehmen, das in der Schweiz Zuflucht sucht. Mindestens fünf weitere britische und amerikanische Firmen bieten nach Recherchen der SonntagsZeitung aus der Schweiz heraus Sicherheitsdienstleistungen an.

 "Die Tätigkeit solcher Firmen auf Schweizer Boden stellt ein Problem für den Grundrechtsschutz im humanitären Völkerrecht und für die Neutralität dar", betont Polizeirechtler Markus Mohler. Für ihn stehen de- ren Aktivitäten im Konflikt zum Montreux-Document, das die Schweiz unterschrieben hat. Dieses fordert, Sicherheitsfirmen Ver- haltensregeln vorzugeben.

 Für Kenner der Nachrichtendienste ist klar, weshalb Militärfirmen in die Schweiz umsiedeln. Schon von Gesetzes wegen haben sie hier kaum Kontrollen zu fürchten. Anders als in Grossbritannien hat der Schweizer Geheimdienst auch keine Mittel, die Tätigkeiten der Firmen zu überwachen. Die laschen Schweizer Waffengesetze ermöglichen es paramilitärischen Gruppierungen, ungestört in der Schweiz Schusswaffentrainings abzuhalten.

 Parlamentarier fordern eine Bewilligungspflicht

 Nicht wenige der in der Schweiz tätigen Firmen werben mit ihrer Kriegserfahrung im Irak. So die New Century in Genf, die Trainings für Polizeieinheiten und Nachrichtendienste anbietet. In Genf findet sich auch die Salamanca, deren Kunden von den Erfahrungen ihrer Sicherheits- und Geheimdienstexperten profitieren. Mit "Unsere Firma operiert unterhalb des Radars" brüstet sich die ebenfalls in der Rhonestadt ansässige Diligence, die von einem CIA-Offizier und einem früheren MI5-Spion gegründet wurde. Einen Genfer Sitz unterhält auch die als US-Anwaltsfirma firmierende Shook, Hardy & Bacon. Eher ungewöhnlich ist, dass ihr Krisenmanagement-Team laut Eigenwerbung eng mit "FBI und Homeland Security" zusammenarbeitet. Von Basel aus operiert Agility, eine Logistikfirma, die einen Grossteil des Nachschubs für die US-Truppen im Irak und in Afghanistan organisiert.

 Nicht mehr in der Schweiz verfügbar sind die Dienste von DynCorp, welche die Leibgarde des afghanischen Präsidenten Hamid Karzai stellt. Bis letztes Jahr gehörte die Söldnerfirma zum US-Softwarekonzern CSC, der in der Schweiz mehrere Niederlassungen hat. DynCorp war in die Schlagzeilen geraten, weil sich mehrere ihrer Helikoptermechaniker 1999 in Bosnien 13- bis 14-jährige Mädchen als Sexsklavinnen gehalten haben. Die US-Armee, in deren Auftrag die DynCorp-Männer Helikopter warteten, bestätigte die Straftatbestände der Sklaverei und Vergewaltigung. Die Männer wurden aber nicht verurteilt. Die Taten fielen nicht unter US-Recht.

 Immer mehr Parlamentarier fordern jetzt eine Bewilligungspflicht für Militärfirmen, unter ihnen Nationalrat Peter Malama (FDP, BS). Bereits 2005 gab es solche Forderungen. Der Bundesrat sah damals Handlungsbedarf.

 Zweieinhalb Jahre später drehte sich der Wind. Laut einem im Bundesamt für Justiz angefertigten Bericht seien Militärfirmen kein Problem. SP-Fraktionschefin Ursula Wyss hatte 2005 einen Vorstoss zu solchen Firmen eingereicht. Für sie ist es klar, dass jetzt etwas passieren muss: "Aus der SP wird es einen Vorstoss geben."

 Kommentar Seite 13

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"Militärfirmen wollen sich der Kontrolle entziehen"

 Der Publizist und Experte für private Sicherheitsfirmen Rolf Uesseler zu den Vorteilen, die die Schweiz Söldnerfirmen bietet

 Herr Uesseler, was ist Aegis für eine Firma?

 Eine private Sicherheits- und Militärfirma mit Niederlassungen in verschiedenen Teilen der Welt. Aegis expandiert immer mehr in nicht militärische Bereiche wie Intelligence, also die Informationsbeschaffung. Der Chef, Tim Spicer, ist jemand, der von jeher mit staatlichen Intelligence-Organisationen erfolgreich zusammenarbeitet.

 Warum siedelt eine britische Militärfirma in die Schweiz um?

 Mit dem Umzug kann sie sich der zunehmenden Kontrolle durch London entziehen.

 Gibt es weitere Vorteile?

 Von der neutralen Schweiz aus lassen sich gut Sicherheits-, Intelligence- und IT-Aufträge in westlichen Staaten und aus der Wirtschaft akquirieren. Ausserdem glauben die Firmen, die NGOs überwachen zu müssen, von denen viele wie die internationalen Organisationen und das Rote Kreuz ihren Sitz in Genf haben. Ein Beispiel: Verletzte Taliban-Kämpfer in Afghanistan müssen in Krankenhäuser. So wissen die Ärzte ohne Grenzen Dinge über sie, die die Armeen herausfinden möchten.

 Sandline, die frühere Firma von Tim Spicer, soll trotz eines Embargos Waffen nach Sierra Leone geliefert haben.

 Ja, in diesem Zusammenhang ist interessant, dass der illegale Waffenhandel seit Auftauchen der Militärfirmen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen ist. Waffengeschäfte werden heute von diesen privaten Firmen eingefädelt, aber offiziell von den staatlichen Auftraggebern abgewickelt. Auch für solche Geschäfte empfiehlt sich die Schweiz. Sie ist schliesslich selbst ein bedeutender Waffenlieferant.  

Pascal Tischhauser

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Fokus

 Beihilfe zu Kriegsverbrechen

 Pascal Tischhauser zur Duldung von Söldnerfirmen in der Schweiz

 2005 sah der Bundesrat Handlungsbedarf, weil sich private Sicherheitsdienste in der Schweiz breitmachten. Er liess einen Bericht ausarbeiten, aufgrund dessen das EJPD 2008 Entwarnung gab. Die Schweiz sei für private Militärfirmen unbedeutend. Der Kontrollaufwand sei "unverhältnismässig". Der Arbeitsgruppe war es bei diesem Freipass für die Söldner aber nicht wohl: Als Rückversicherung hielt sie fest, sie befürworte eine Regelung, die sich am Kriegsmaterialgesetz orientiere. Vor jedem Export von Sicherheitsdienstleistungen solle der Bundessegen eingeholt werden.

 Wohlgemerkt: Sicherheits-, nicht Kriegsdienstleistungen. Schliesslich dürfen von der Schweiz laut Gesetz keine "Feindseligkeiten gegen einen Kriegsführenden" ausgehen.

 Klar: Die Söldner, die in den Kriegs- und Krisenherden tätig sind, haben keine Schweizer Arbeitsverträge. Sie sind bei Tochterfirmen im Ausland beschäftigt. Bei der Aegis Group, die ihren Sitz neu in Basel hat, sind nach eigenen Angaben gar keine Mitarbeiter tätig. Das operative Geschäft blieb in Grossbritannien.

 Aegis betont, man halte sich ans Montreux Document, ein Regelwerk, für das sich Aussenministerin Micheline Calmy-Rey starkmacht. Doch hier liegt das Problem: Das Regelwerk dient den Söldnerfirmen als Feigenblatt. Sie verschanzen sich hinter dem Versprechen, sich an den Kodex zu halten, und ihre Truppen verrichten weiterhin die Drecksarbeit auf den Kriegsschauplätzen im Irak und in Afghanistan. Ganz im Sinne der kriegsführenden Staaten, deren Truppenverbände die offiziell saubere Wiederaufbauarbeit verrichten.

 Wollen wir dieses Handeln nicht länger unterstützen, müssen wir die Ansiedlung international tätiger Militärfirmen verbieten und strikte kontrollieren. Tun wir das nicht und gewähren wir den Söldnerfirmen weiterhin rechtliches Asyl, machen wir uns der Beihilfe zu deren Verbrechen in den Krisengebieten schuldig.

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Sonntagsblick 15.8.10

Mister Spicers blutiges Business

 VON  JOHANNES VON DOHNÁNYI

 Tim Spicer war Elite-Offizier. Dann schuf er sich eine riesige Privatarmee. Jetzt ist seine Aegis Group Holding in Basel registriert.

 Marcy Kaptur war empört. "Kann mir hier vielleicht mal jemand sagen, wer dieser Mister Spicer eigentlich ist?" fragte die demokratische Kongressabgeordnete im US-Ermittlungsausschuss über den Irak-Krieg. Das war im Februar 2005. Und Mrs. Kaptur hatte gerade erfahren, dass das US-Verteidigungsministerium einen 300-Millionen-Dollar-Auftrag an Spicers Privatarmee-Firma Aegis Group vergeben hatte.

 Etwa zur gleichen Zeit waren auch Videoaufnahmen aufgetaucht, in denen Aegis-Männer aus fahrenden Geländewagen auf irakische Zivilisten feuerten.

 "Was machen 20 000 Aegis-Mitarbeiter im Irak?" wollte die Abgeordnete wissen. Und: "Wie kann ein britischer Unternehmer mehr Bewaffnete in den Krieg schicken als seine eigene Regierung?"

 Antworten auf Fragen wie jene von Marcy Kaptur gibt es erst seit dem Ende der Präsidentschaft von George W. Bush. Zusammen mit dessen Vize Dick Cheney und dem damaligen Verteidigungsminister Donald Rumsfeld ist Spicer einer der Hauptverantwortlichen für die Privatisierung des Krieges.

 Anfangs war Aegis im Irak für den Schutz der Wiederaufbau-Ingenieure des Marine Corps zuständig. Mit anderen Worten: Soldaten der schlagkräftigsten Armee der Welt brauchten private Söldner, um sich gegen Angriffe irakischer Aufständischer zu schützen.

 Zugleich sah sich die Aegis-Truppe im Irak auch als "eyes and ears" (Augen und Ohren) der Briten und Amerikaner. Die Nachrichtenbeschaffung und geheimdienstliche Analyse sei eine Stärke seiner Organisation, betonte Oberstleutnant a. D. Spicer während einer Anhörung vor dem US-Kongress.

 Seit vier Jahren und nach Söldnerskandalen etwa im irakischen Foltergefängnis von Abu Ghraib hat die bis dahin vergleichsweise unbelastete Aegis - für weitere Hunderte Millionen Dollar - die Koordination aller im Irak operierenden Privatarmeen übernommen.

 So zufrieden sind seine Kunden, dass Aegis-Chef Spicer seine schwer bewaffnete Truppe gleich in den nächsten Krieg mitschicken durfte, nach Afghanistan. "Das Geschäft boomt", brüstete sich der ehemalige Special-Forces-Offizier während einer Anhörung vor dem britischen Unterhaus. Krieg sei in Zukunft ohne Privatarmeen wie seine nicht mehr denkbar, sagte Spicer bei anderer Gelegenheit. Und vieles Superspricht dafür, dass der Mann recht behält.

 Die Stunde der Söldnerheere schlug mit dem Fall der Berliner Mauer am 9. November 1989. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden staatliche Armeen verkleinert und Rüstungsgüter ausgemustert. Euphorisch war die Rede von einer Friedensdividende. Ein Irrtum.

 Denn die Welt wurde nicht friedlicher. Neue und oft bürgerkriegsähnliche Konflikte wie etwa in Kroatien und Bosnien-Herzegowina brachen aus. Kriege, in die die westlichen Staaten offiziell nicht eingreifen wollten. Da kamen Männer wie Spicer und ihre privaten Militärorganisationen gerade recht.

 Elf Jahre nach dem letzten Balkankrieg im Kosovo ist bewiesen, dass amerikanische und britische Söldner die Armeen der rebellierenden Teilrepubliken Jugoslawiens ausbildeten und in einigen Fällen auch im aktiven Kampf unterstützten.

 Aus Abu Ghraib und zahllosen Massakern an irakischen Zivilisten hat Aegis-Chef Spicer eine Lehre gezogen: Damit der private Militärsektor eine Zukunft hat, braucht er strikte Regeln. Offiziell zumindest ist Aegis bereit, sich nicht nur den Genfer Kriegskonventionen, sondern auch dem von der Schweiz und dem Internationalen Roten Kreuz vorgeschlagenen Kodex für Privatarmeen zu unterwerfen. Deswegen, lässt der Söldnerkönig wissen, könne er gar nicht verstehen, was die Schweiz gegen die Ansiedlung seiner Privatarmee-Holding in Basel haben könnte.

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Tim Spicer in Sierra Leone

 Die Spur zu Naomis Blutdiamanten

 VON  JOHANNES VON DOHNÁNYI

 Für Edelsteine tat der Söldnerkönig alles: Im Bürgerkrieg von Sierra Leone verkauften seine Firmen Waffen an beide Konfliktparteien.

 Im Januar 1998 hatte Oberstleutnant a. D. Tim Spicer einmal wieder ein todsicheres Geschäft abgeschlossen: Sierra Leones gestürzter Präsident Ahmet Kabbah gab Spicers damaligem Unternehmen Sandline den Auftrag, die Vereinte Revolutionsfront (RUF) von den Diamantenfeldern des westafrikanischen Staates zu vertreiben und ihn wieder an die Macht zu bringen. Bezahlen wollte Kabbah die Söldner mit Edelsteinen.

 Unter Westafrikas Rebellengruppen war die RUF die grausamste. "Trägst du lange oder kurze Ärmel?", fragten ihre oft minderjährigen Kämpfer, bevor sie Opfern entweder die rechte Hand oder den Unterarm abschlugen. Hinter der RUF stand der liberianische Diktator Charles Taylor, der von ihr mit Diamanten versorgt wurde.

 Um solche Blutdiamanten geht es auch beim Kriegsverbrecherprozess gegen Taylor in Den Haag. Einige Steine soll er Naomi Campbell geschenkt haben. Das Supermodel allerdings leugnet, den Namen des "grosszügigen Spenders" je gekannt zu haben.

 Was Ex-Präsident Kabbah nicht wusste: Auch die RUF bezahlte Firmen und Partner von Spicer mit Diamanten aus den Minen, die der Söldner jetzt für ihn zurückerobern sollte. Und die RUF-Rebellen beglichen damit Rechnungen für Waffen- und Munitionslieferungen.

 Verwaltet wurden Spicers Firmen von den auf der Kanalinsel Guernsey registrierten Hansard Management Services: die inzwischen geschlossene Sandline ebenso wie die Sicherheitsfirma Lifeguard, das Rohstoffunternehmen Branch Energy und einige mehr. So diversifiziert aufgestellt mache man die besten Geschäfte, hat Söldnerkönig Spicer einmal gesagt.

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 POLITIKER-STIMMEN ZUR AEGIS-AFFÄRE

 "Es ist im höchsten Mass verwerflich, dass eine Firma, die Truppen im Ausland vermittelt und finanziert, in die Schweiz kommt. Das ist aussen- und neutralitätspolitisch nicht hinnehmbar. In diesem Bereich herrscht ein regulatorisches Vakuum. Ich werde in der Herbstsession eine entsprechende Motion einreichen. Sie verlangt, dass ein solches Unternehmen ein Zulassungsverfahren über sich ergehen lassen muss, bevor sie sich in der Schweiz ansiedeln kann"

 FDP-Nationalrat Peter Malama, Basel

 "Wir sollten alles tun, um die Ansiedlung von Firmen wie Aegis in der Schweiz zu verhindern. Das steht im Gegensatz zu unserer Neutralität und Sicherheitspolitik. Ich bin froh, dass Eveline Widmer Schlumpf vorwärts macht, dem einen Riegel zu schieben"

 Anita Fetz, SP-Ständerätin, Basel

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Angriff auf britische Privatarmee

 Bewilligungspflicht für Söldnerfirmen

 VON  MARCEL ODERMATT  UND  REZA RAFI

 Der Umzug von Aegis Defence nach Basel stösst auf Gegenwehr. Justizministerin Widmer-Schlumpf verlangt rechtliche Hürden, andere Politiker ein Verbot.

 In Basel stehen die Zeichen auf Sturm - wegen einer Briefkastenfirma. Von der rot-grünen Stadtregierung unbemerkt, hat das britische Unternehmen Aegis Defence den Sitz seiner Holding ans Rheinknie verlegt. Aegis ist nichts anderes als eine Söldnertruppe, die Geld mit Kriegen macht. "Ich habe aus der Zeitung davon erfahren", sagt Christoph Brutschin (52, SP), Vorsteher des basel-städtischen Wirtschaftsdepartements.

 Dass ein grosses Unternehmen, das auf Kriegsschauplätzen Millionenumsätze macht, von neutralem Schweizer Boden aus geschäftet, ist in diesem Ausmass völlig neu. Und die Vorstellung, dass die Schweiz zum Mekka für internationale Söldnerbetriebe wird, mehr als heikel.

 Auf höchster Ebene herrscht Alarmstufe Rot. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf (54) stellt im Interview mit Sonntags-Blick besorgt die Frage, ob der Zuzug von Aegis "mit unseren Werten vereinbar" sei. Sie will rechtliche Hürden gegen Söldnerfirmen aufbauen und fordert eine Bewilligungs- und Kontrollpflicht. Klare Ansage aus Bern: Stopp den Privatarmeen!

 Basel begrüsst das. "Derzeit fehlt uns nämlich eine rechtliche Handhabe", so Brutschin. "Das Unternehmen verstösst nicht gegen die Handels- und Gewerbefreiheit. Wir können die Ansiedlung deshalb nicht verhindern."

 Die Basler Regierung wird Widmer-Schlumpf am Dienstag in einem Brief darum bitten, den Söldnern auf Bundesebene einen Riegel vorzuschieben. Support kommt auch von CVP-Nationalrat Jakob Büchler (58, SG), Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission (SiK). "Wir tolerieren keine Privatarmeen auf Schweizer Boden", sagt er. "Das Unternehmen greift ausserdem in die Polizeihoheit des Kantons Basel-Stadt ein." Nächste Woche berät die SiK über Gegenmassnahmen. "Auch ein Verbot wird diskutiert werden." Die Linke möchte sogar noch weiter gehen: GSoA-Aktivist und Grünen-Nationalrat Jo Lang (56, ZG) will per Vorstoss ein Verbot von Privatarmeen lancieren. Nationalrat Geri Müller (49, Grüne/ AG) bringt dasselbe Anliegen morgen in der Aussenpolitischen Kommission ein. Und seine Basler Parteifreunde streben mit einer Motion eine Standesinitiative für ein Verbot von Privatarmeen an.

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EDITORIAL

 Bye-bye, Mister Spicer!

 Phillipe Pfister  Stv. Chefredaktor

 MANCHMAL GIBT UNS DER SONNTAG Gelegenheit, am Frühstückstisch ein paar Fakten zu ordnen. Fakten, die uns im Lauf der Wochen beschäftigt haben.

 IN DIESER WOCHE SIND ES Fakten rund um die britische Firma Aegis Defence Services, über die es sich einige Augenblicke nachzudenken lohnt.

 AEGIS HAT IHREN HAUPTSITZ von London nach Basel verlegt. Sie unterhält eine der grössten Privatarmeen der Welt. 20 000 Söldner, so die Schätzung, beziehen ihren Lohn bei Aegis. Haupteinsatzgebiete: Irak und Afghanistan. Hauptauftraggeber: das Pentagon, welches Amerikas Kriege steuert. Geschätzter jährlicher Umsatz: rund 200 Millionen Dollar.

 AEGIS BETREIBT IN BASEL eine Holding. Holding-Organisationen, so lehrt die Betriebswirtschaft, sind "ein Instrument zur Verschaffung von Steuervorteilen". Das Steuernsparen wird gern vom sogenannten operativen Geschäft getrennt. Im Falle Aegis ist es genau so. "Operative Tätigkeiten von Basel aus sind nicht geplant", lässt Tim Spicers Söldnertruppe durch eine Pressedame ausrichten.

 SO SPRECHEN SIE, die Bürokraten, die Technokraten, die Legalisten dieser Welt. Und so lenken sie unser Denken subtil, aber wirksam auf den Weg ihrer perversen Logik. Der deutsche Anwalt Dr. Kristian Meier, der von Basel aus die Holding überwacht, hat ja nichts mit dem blutigen Geschäft des Herrn Spicer zu tun. Im Übrigen: Alle Schweizer Gesetze werden eingehalten. Wo also liegt das Problem?

 DARIN, DASS diese Sprache die Fakten vernebelt: Ein Unternehmen, das mit den Kriegen dieser Welt Hunderte Millionen Dollar macht, will mit Hilfe der Schweiz weitere Millionen Dollar machen. Um noch mehr Söldner anzuheuern. Um noch mehr Geld zu machen.

 RAUSSCHMEISSEN KÖNNEN wir Tim Spicer nicht. Den Druck auf ihn erhöhen schon: Es ist richtig, wie Eveline Widmer-Schlumpf fordert, dass Privatarmeen einer einheitlichen Bewilligungs- und Kontrollpflicht unterstellt werden. So bleiben sie auf den Traktandenlisten der Politiker. Und Thema am Frühstückstisch. Dass möglichst viele Menschen in diesem Land Herrn Spicer einen herzlichen Un-Willkommensgruss entbieten, kann ja nicht schaden.

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ANTI-ATOM
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Solothurner Zeitung 17.8.10

Die Meldepflicht zu spät wahrgenommen

 "Störfall" Nuklearsicherheitsinspektorat zeigt AKW Gösgen beim Bundesamt für Energie an

 Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat hat eine Strafanzeige gegen das Atomkraftwerk Gösgen eingereicht. Grund ist ein Vorfall vom 24. Juni 2008.

 "AKW Gösgen - wird Gesetz verletzt und Sicherheit gefährdet?", fragt Philipp Hadorn (SP/Gerlafingen) in einer Interpellation. Grund ist eine Strafanzeige des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) gegen das Kernkraftwerk Gösgen (KKG) der Alpiq vom am 21. April 2010 wegen eines Vorfalls vom 24. Juni 2008 beim Wiederanfahren nach einer Revision. In der Anzeige beim Bundesamt für Energie rügt das Ensi, dass das KKG nach dem gleichartigen Ausfall der vier 48-Volt-Gleichrichter des Notstandsystems seine Meldepflicht verspätet wahrgenommen habe. Offen ist, ob die Meldung fahrlässig verzögert wurde.

 Der Vorfall wurde vom Ensi auf der tiefsten Stufe 1 ("Anomalie") der siebenstufigen internationalen Skala eingestuft. Dies war laut dem Regierungsrat - der sich für die Beantwortung der Interpellation mit dem Ensi kurzgeschlossen hatte - nicht technisch begründet. Grund sei vielmehr "der nicht sicherheitsgerichtete Umgang der Verantwortlichen mit einem Mehrfachversagen durch denselben Fehlermechanismus" gewesen. Konkret kritisiere das Ensi, dass das KKG "nicht frühzeitig das Vorliegen mehrerer gleichartiger Fehler erkannte".

 Regierung: "Kein Störfall"

 Der Vorfall sei kein "Störfall" gewesen, hält die Regierung in ihrer Antwort fest. Denn: Es sei kein Eingreifen von Sicherheitssystemen erforderlich gewesen. Es sei zu keiner unzulässigen Abgabe von Radioaktivität an die Umgebung und zu keiner Gefährdung der Bevölkerung gekommen. Die Stromversorgung sei jederzeit sichergestellt gewesen. Das Ensi habe in der Folge des Vorfalls seine Inspektionstätigkeit in Gösgen intensiviert und dabei auch die vom KKG eingeleiteten Massnahmen, die es als zweckmässig beurteile, einer Inspektion unterzogen.

 Eine Vorverurteilung will der Regierungsrat, dessen Mitglied Christian Wanner Vertreter des Kantons im Alpiq-Verwaltungsrat ist, nicht vornehmen. "Es versteht sich aber von selbst, dass wir grundsätzlich jedes gesetzwidrige Verhalten verurteilen." Unabhängig dieser Frage ist störend, dass der Vorfall von der Alpiq erst im Dezember 2009 öffentlich gemacht wurde. (cva, mz)

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Tagesanzeiger 17.8.10

Atommüll: Weiche Faktoren sind wichtig

Lanner Alexander

 Bülach - Der Ausschuss der Kantone (AdK) nimmt laut einer Stellungnahme zur ersten Etappe der geplanten Tiefenlager für Atommüll zur Kenntnis, dass sechs Standortgebiete für schwach radioaktive und drei Gebiete für hoch aktive Abfälle weiter bearbeitet werden sollen. Unter den möglichen Standorten ist auch die Region "Nördlich Lägern" im Zürcher Unterland. Verbleibende Ungewissheiten sollen mit den nötigen Felduntersuchungen in den Standortgebieten ausgeräumt werden. Zudem empfiehlt der AdK "die zusätzliche Durchführung regionaler, zwischen den Standortregionen vergleichbarer Studien zu den Themen gesellschaftlicher Zusammenhalt und Image".

 Hanspeter Lienhart, Stadtrat von Bülach und Präsident des Forums Lägern Nord, teilt die Meinung, dass "weitere Untersuchungen für die Vergleichbarkeit der Standorte" notwendig sind. "Nur wenn man überall den gleichen Massstab anwendet, kann man die richtigen Schlüsse ziehen", so Lienhart. Ebenso wichtig sei es, dass neben der geologischen Beschaffenheit auch "weiche Faktoren" der sozioökonomisch-ökologischen Wirkungsstudien zum Zug kommen. Diese seien aber aufwendiger zu eruieren. (all)

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Landbote 17.8.10

Kantone wollen zusätzliche Abklärungen

 Thomas Schraner

 Die Suche nach Endlagern für radioaktive Abfälle verlaufe zufriedenstellend, sagen die involvierten acht Kantone. Sie verlangen aber vergleichende Zusatzstudien.

 Zürich - Das Gremium der acht Kantone heisst Ausschuss der Kantone (AdK) und äussert sich zu den sechs Standortvorschlägen, welche die Nagra 2008 präsentierte: Benken im Weinland (ZH und TG), Nördlich Lägern (ZH und AG), Bözberg (AG), Jura-Südfuss (AG, SO), Wellenberg (NW, OW) und Südranden (SH).

 Die Suche sei bis jetzt "zielführend" verlaufen, schreibt der AdK unter dem Vorsitz des Zürcher Baudirektors Markus Kägi (SVP). Das Gremium empfiehlt aber, zusätzliche Untersuchungen zu machen, um Unsicherheiten auszuräumen. "Erst mit zusätzlichen Untersuchungen kann eine fundierte und vergleichbare Bewertung aller geologischen Standortgebiete vorgenommen werden", heisst es in der Mitteilung. Zum geplanten Partizipationsverfahren, das im September beginnt und bei dem alle Betroffenen mitreden können, äussert sich der Ausschuss positiv: "Aufwendig, aber zweckdienlich." Wie Baudirektor Kägi auf Anfrage sagte, legt der AdK vor allem Wert auf Untersuchungen, die den Vergleich der Standorte ermöglichen. Ebenso wünscht er, dass es weiterhin möglich bleibt, zusätzliche Gemeinden ins Verfahren einzubeziehen.

 Regierung sagt weiter Nein

 Als Vorsitzender des AdK und Kantonsvertreter ist Kägi in einer speziellen Situation. Denn die Zürcher Regierung lehnt ein Endlager auf ihrem Gebiet ab, wie sie bereits im November 2008 klargemacht hat. "Das ist immer noch so, aber wir akzeptieren das Verfahren", sagt Kägi. Als Kantonsvertreter ist er mit seinem Nein aber nicht allein. Auch die Schaffhauser und die Nidwaldner Regierungskollegen lehnen die Endlager auf ihrem Territorium ab. Was der AdK veröffentlichte, ist nur der kleinste gemeinsame Nenner der am Prozess Beteiligten.

 Gemäss dem federführenden Bundesamt für Energie nimmt die Standortsuche für ein Endlager zehn Jahre in Anspruch. Sie ist geregelt im "Sachplan geologische Tiefenlager" und soll in drei Etappen ablaufen. Zu jeder Etappe darf sich auch der AdK, das politische Leitgremium des Sachplans, äussern. Mit der aktuellen Verlautbarung des AdK zur ersten Etappe sind die Stellungnahmen der einzelnen Kantone noch nicht vorweggenommen, wird in der Mitteilung präzisiert. Die Kantone äussern sich im Verlauf des nächsten Halbjahrs.

 Jean-Jacques Fasnacht, Arzt in Benken und Sprecher der Endlagergegner, hat nichts gegen zusätzliche Abklärungen, wie sie der Ausschuss verlangt. Er findet aber, die relevanten Sicherheitsfragen würden damit nicht erfasst. Beim geplanten Partizipationsverfahren handle es sich um Scheindemokratie, da Mitsprache nur in Nebensachen wie Gebäudefarbe möglich sei. "Ein Endlager in einem bewohnten Gebiet ist eine Erbsünde, die wir nachkommenden Generationen hinterlassen", sagt er. (tsc)

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Oltner Tagblatt 17.8.10

"Tiefenbohrungen auch am Jurasüdfuss nötig"

 Radioaktive Abfälle Kantone fordern Zusatzuntersuchen, bevor einzelne Standorte aus dem Rennen ausscheiden

 Die acht möglichen Standortkantone von Tiefenlagern für radioaktive Abfälle fordern zusätzliche Felduntersuchungen über die vorgeschlagenen Standortgebiete. Das hiesse: Tiefenbohrungen auch am Jurasüdfuss.

 Das Auswahlverfahren für je ein geologisches Tiefenlager für schwach und mittelradioaktive sowie für hochradioaktive Abfälle befindet sich in der ersten von drei Etappen. Gestern hat sich der "Ausschuss der Kantone" (AdK) zum Stand des Verfahrens geäussert. Der AdK besteht aus je einem Regierungsmitglied der acht potenziellen Tiefenlager-Standortkantone AG, BL, NW, OW, SH, SO, TG und ZH. Solothurn wird von Landammann Walter Straumann vertreten.

 Die Kantonsregierungen verlangen, dass "die verbleibenden relevanten Ungewissheiten durch gezielte Untersuchungen geklärt" werden. Bevor einzelne Gebiete aus dem Verfahren ausgeschlossen oder priorisiert werden, müsse über alle ein vergleichbarer Kenntnisstand erreicht werden. Die nötigen Felduntersuchungen seien vor Ende von Etappe 2 durchzuführen, also bis 2014/15.

 "Zu wenig genaue Kenntnis"

 Auf Anfrage erklärte Rolf Glünkin vom Solothurner Amt für Raumplanung, dass das Standortgebiet Jurasüdfuss weniger gut untersucht sei als dasjenige im Zürcher Weinland, wo Tiefenbohrungen durchgeführt wurden. Die grösste Ungewissheit betreffe die Tektonik. "Im Bereich Born-Engelberg gibt es relativ junge, lokale Störungen der Tektonik, von denen man bisher nie genau untersucht hat, wie weit nach Osten sie reichen."

 Zu dieser Frage könnten nur Tiefenbohrungen Aufschluss geben. Die Vermutung liegt nahe, dass der Kanton Solothurn von solchen Untersuchungen eher Argumente gegen das Standortgebiet Jurasüdfuss erwartet.

 "Zusammenhalt und Image"

 Nach der Abklärung der sicherheitstechnischen Eignung in der laufenden Etappe 1 sind in der Etappe 2 unter anderem so genannte "sozioökonomisch-ökologische Wirkungsstudien" vorgesehen. Der Ausschuss der Kantone empfiehlt zusätzlich die Durchführung regionaler, zwischen den Standortregionen vergleichbarer Studien zu den Themen "gesellschaftlicher Zusammenhalt" und "Image". Mit dem "gesellschaftlichen Zusammenhalt" sei die Frage gemeint, ob der Bau eines Tiefenlagers eine betroffene Region derart entzweien würde, dass bleibende Gräben in der Gesellschaft aufgerissen würden, erklärte Glünkin dazu.

 Selbstverständlich bestehen zwischen den acht Standortkantonen wesentliche Differenzen, denn schliesslich fürchtet bisher jeder Kanton die negativen Auswirkungen eines Tiefenlagers und hofft, dass er letztlich nicht Standort sein werde. Darum ist die gemeinsame Stellungnahme des AdK - wie in der Medienmitteilung ausdrücklich betont wird - keine Vorwegnahme der Stellungnahmen der einzelnen Kantone. Diese werden im Lauf des Herbstes folgen.

 Anhörung ab 1. September

 Der Fahrplan für die nächsten Schritte des Auswahlverfahrens präsentiert sich wie folgt. Am kommenden Montag, 23. August, wird das Bundesamt für Energie (BFE) mit einer Medienkonferenz die Anhörung zu Etappe 1 des Sachplans Geologisches Tiefenlager eröffnen. Während dreier Monate, vom 1. September bis am 30. November, werden die Dokumente zu allen in der Etappe 1 vorgesehenen Aufgaben öffentlich aufgelegt. Dazu kann jedermann Stellung nehmen.

 Für das in der Region Aarau-Olten liegende Standortgebiet Jurasüdfuss führt das Bundesamt für Energie am Montag, 6. September, von 19 bis 21 Uhr, eine Informationsveranstaltung zu dieser Anhörung in der Mehrzweckhalle Niedergösgen durch. (cva)

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Schaffhauser Nachrichten 17.8.10

Endlager: Weitere Untersuchungen gefordert

 Um mögliche Standorte von Atommüll-Endlagern zu ermitteln, brauche es noch zusätzliche geologische Abklärungen. Das erklärt der Ausschuss der Kantone in einer Stellungnahme.

Von Erwin Künzi

 Die Etappe 1 des Auswahlverfahrens für ein Atommüll-Endlager ist akzeptabei verlaufen. Das teilte gestern der Ausschuss der Kantone (AdK) mit, in dem die Regierungen der acht Kantone vertreten sind, die mögliche Standorte für ein Endlager sind. Die Anforderungen in Bezug auf Fairness, Transparenz und partizipativer Mitwirkung seien erfüllt worden, insgesamt beurteilt der AdK die Prozesse der Etappe 1 als "zielführend". Trotzdem gibt es Vorbehalte. Der bedeutendste betrifft die geologischen Untersuchungen. Bei diesen müsse, so heisst es in der Mitteilung, unbedingt den vier folgenden Grundsätzen nachgelebt werden:

Vier Grundsätze

"1. Alle möglichen Wirtgesteine und geologischen Konfigurationen müssen berücksichtigt werden. Bei ungenügender Datenlage müssen die erforderlichen Untersuchungen nachgeholt werden. 2. Ausschlüsse von Wirtgesteinen dürfen nur auf der Basis eines robusten Kenntnisstandes vorgenommen werden. Sie müssen wissenschaftlich begründet und transparent dargestellt werden. 3. Verfrühte, auf unsicheren und inhomogenen Datengrundlagen basierende Bewertungen und Rangierungen von Standortgebleten müssten vermieden werden. 4. Alle potenziellen Standortgebiete sollen beibehalten werden, bis die verbleibenden relevanten Ungewissheiten durch gezielte Untersuchungen geklärt sind, d. h. keine Ausschlüsse oder Priorisierungen, bevor Einschätzungen und Vermutungen wissenschaftlich erhärtet sind und ein vergleichbarer Kenntnisstand erreicht ist." Auf die Einhaltung vor allem des 4.Grundsatzes pocht Regierungsrätin Ursula Hafner-Wipf, die den Kanton Schaffhausen im AdK vertritt: "Wir befürchten, dass Benken als Standort für ein Endlager gewählt wird, und zwar nur darum, weil dort die Daten bereits vorhanden sind. Das darf nicht sein, und darum hat der Kanton Schaffhausen wiederholt gefordert, dass alle möglichen Standorte gleichermassen intensiv geologisch abgeklärt werden müssen."

AdK unterstützt Schaffhausen

Der AdK stellt sich jetzt hinter die Schaffhauser Forderungen, indem er zuhanden des Bundes schreibt: "Der AdK nimmt zur Kenntnis, dass sechs Standortgebiete für schwach- und mittelradioaktive Abfälle und drei Gebiete für hochradioaktive Abfälle weiter bearbeitet werden sollen. Er empfiehlt aber, die verbleibenden Ungewissheiten in den geologischen Standortgebieten mit den dafür nötigen Felduntersuchungen vor Ende von Etappe 2 auszuräumen. Erst mit zusätzlichen Untersuchungen kann eine fundierte und vergleichbare Bewertung aller geologischen Standortgebiete vorgenommen werden."
Schaffhauser Studie als Muster

Eine weitere Forderung des AdK, die er vom Kanton Schaffhausen übernommen hat, betrifft die Studien zu den sozioökonomisch-ökologischen Auswirkungen, die der Bau eines Endlagers auf die Standortregion hat. Diese will der Bund in Etappe 2 des Auswahlverfahrens durchführen lassen. Der Kanton Schaffhausen wollte nicht so lange warten und gab eine eigene Studie in Auftrag. "Wir bekamen daraufhin vom Bund den Vorwurf zu hören, wir seien vorgeprellt", erklärte Ursula Hafner-Wipf. "Aber so konnten wir die Kriterien, die bei der Studie eine Rolle spielen sollten, selber mitbestimmen und mussten sie nicht einfach dem Bund überlassen." Auch der AdK setzt sich jetzt für eine Ausweitung der Themen dieser Studien ein: "Der AdK empfiehlt die zusätzliche Durchführung regionaler, zwischen den Standortregionen vergleichbarer Studien zu den Th& men <gesellschaftlicher Zusammenhalt> und <Image>." "Ich habe immer wieder verlangt, dass das auch untersucht wird", so Hafner-Wipf, "die Schaffhauser Studie könnte als Muster für andere dienen."

"Kein Präjudiz"

Auch wenn der AdK, dem neben Schaffhausen unter anderen auch die Kantone Aargau, Basel-Landschaft. Nidwalden, Obwalden, Solothurn, Thurgau und Zürich angehören, in seiner Mitteilung einige Forderungen des Kantons Schaffhausen übernommen hat, folgt die eigentliche Schaffhauser Stellungnahme erst noch: "Das, was gestern veröffentlicht wurde, ist kein Präjudiz für das, was wir Ende November einreichen werden", betonte Hafner-Wipf. Am 23. August eröffnet das Bundesamt für Energie die Anhörung zur Etappe 1 des Auswahlverfahrens, Ab diesem Datum werden auch in Schaffhausen sämtliche Unterlagen zu diesem Auswahlverfahren öffentlich aufgelegt.

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Aargauer Zeitung 16.8.10

"Windturbinen will keiner vor dem Haus"

 Axpo-Chef Heinz Karrer über die drohende Stromlücke, steigende Energiepreise und sein Image als "Mister AKW"

 Herr Karrer, Sie warnen immer wieder vor der drohenden Stromlücke in der Schweiz. Wünschen Sie sich manchmal den totalen Stromausfall, damit die Bevölkerung spürt, wie das ist?

 Heinz Karrer: Nein, auf keinen Fall. Wir sehen auch so, was ein Blackout für Folgen hat. Es gibt immer wieder lokale, aber auch grossregionale Ausfälle.

 Woran denken Sie?

 Karrer: Zuerst an Kalifornien, Südafrika, aber auch an Deutschland, Frankreich oder Italien. In der Schweiz ist es das Wallis, das nicht gerade in einer stabilen Situation ist.

 Was heisst das?

 Karrer: Im Wallis gibt es Kapazitätsengpässe, dort droht das Stromnetz zeitweise zusammenzubrechen. Aber allgemein profitiert die Schweiz von einem stabilen Netz.

 Was macht die Axpo, wenn es zu einem Blackout kommt?

 Karrer: Es gibt Notfallkonzepte, die besagen, wie und wo man zuerst "Last" abwerfen müsste. Im Extremfall könnten ganze Regionen davon betroffen sein.

 Um die Stromlücke zu verhindern, wollen Sie zwei neue Atomkraftwerke bauen. Können wir den künftigen Strombedarf nicht über erneuerbare Energien und effizienteren Verbrauch decken?

 Karrer: Wir brauchen genügend Produktionskapazitäten zu jedem Zeitpunkt. Im Moment haben wir diese, aber wir müssen auch langfristig unsere eigene Stromversorgung sicherstellen. Das können wir, nebst allen Anstrengungen bei der Energieeffizienz und beim Zubau von erneuerbaren Energien, nur mit Ersatzkernkraftwerken.

 Aber mit effizienten Geräten lässt sich doch Strom sparen?

 Karrer: Es ist eine paradoxe Situation: Geräte wie Computer und Kühlschränke werden zwar immer effizienter, aber es gibt gleichzeitig immer mehr, dann laufen sie immer länger und zudem verfügen sie über eine höhere Leistung. Wir verbrauchen insgesamt nicht weniger Strom, sondern mehr.

 Was ist mit erneuerbaren Energien?

 Karrer: Die Axpo glaubt an das Potenzial der erneuerbaren Energien. Bis 2030 wollen wir in der Schweiz rund 2,2 Terawattstunden an das vom Bundesamt für Energie definierte Ziel von zusätzlichen 5,4 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien beitragen. Das sind 40 Prozent! Dafür sind Investitionen von rund 3 Milliarden Franken bis 2030 vorgesehen, alleine seit 2006 wurden 500 Millionen Franken investiert. Auch im Ausland investieren wir zum Beispiel in die Windkraft.

 Dennoch gelten Sie als "Mister AKW". Stört Sie dieses Image?

 Karrer: Ich orientiere mich an meiner Aufgabe. Als Chef eines Stromunternehmens hat man immer mit Konflikt-Situationen zu tun. Es ist ein Irrglaube, dass es in der Bevölkerung nur Widerstand gegen KKW gibt, das ist ebenso bei Wasser-, Wind- oder Holzkraftwerken der Fall. Niemand will eine Windturbine vor dem eigenen Haus. Ein Teil der betroffenen Bevölkerung ist immer gegen solche Projekte, aus nachvollziehbaren Gründen. Diesen Konflikt zu lösen, finde ich eine spannende Aufgabe.

 Wie viel mehr Strom brauchen wir in Zukunft?

 Karrer: Jedes Jahr 1 bis 2 Prozent mehr. Das bestreitet mittlerweile niemand mehr.

 Warum muss die Schweiz die ganze Stromversorgung selber sicherstellen, statt mehr zu importieren?

 Karrer: In Europa gilt, dass jedes Land die Stromversorgung primär für sich selber sicherstellen soll. Zudem ist importierter Strom teurer.

 Ist das nicht ein veraltetes Reduitdenken?

 Karrer: Nein, bei der Energieversorgung will und kann kein europäisches Land für ein anderes sorgen. Das europäische Regime besagt, dass jedes Land seine Stromversorgung primär selber gewährleisten muss. Das führt dazu, dass wir vor Jahren in Frankreich in Kernkraftwerke und Netze investiert haben. Diese Energie, die zwar uns gehört, können wir aber aufgrund der EU-Regeln nicht mehr privilegiert importieren.

 Was bedeutet das?

 Karrer: Solche Langfristverträge sind künftig nicht mehr möglich, und der importierte Strom wird um das Doppelte teurer.

 Die Schweiz könnte sich als internationale Stromdrehscheibe positionieren, um in diesem umkämpften Markt unverzichtbar zu werden.

 Karrer: Das sind wir bereits. Wir haben ausgeprägte Transitachsen. Aber bei den Stromnetzen ist es ähnlich wie bei den Strassen: Irgendwann ist das Netz voll, die Transitleistung ausgereizt.

 Importierter Strom wird teurer. Die Axpo hat aber kommuniziert, dass sie die Preise jetzt um 1,2 Rappen erhöhen wird. Warum?

 Karrer: Wir mussten diese Anpassung vornehmen. Wir haben einerseits weniger Einnahmen für Strom, den wir ins Ausland verkaufen, das führt zu einer deutlichen Gewinnschmälerung. Andererseits haben wir seit Jahren eine massive Zunahme von Ersatz- und Neubauinvestitionen, zusätzliche Finanzierungs- sowie höhere Beschaffungskosten am Markt. Zudem sind die Produktionskosten bei der Wasserkraft und Kernenergie gestiegen.

 Sie brauchen Geld für neue AKW?

 Karrer: Diese Preiserhöhung hat nichts mit den möglichen Ersatzkraftwerken zu tun.

 Die Axpo hat 2009 zu Ihrem Bedauern "nur" 568 Millionen Franken Gewinn gemacht, im Jahr vorher über eine Milliarde. Wofür brauchen Sie Riesengewinne auf Vorrat?

 Karrer: Das hat gar nichts mit Vorrat zu tun. Schauen Sie in unsere Rechnung. Wir brauchen einen Gewinn, denn wir investieren ja beispielsweise in die Wasserkraft. Allein im Ausbauprojekt Linthal 2015 beträgt das Investitionsvolumen rund 2,1 Milliarden Franken.

 Kostet das die Axpo so viel?

 Karrer: Wir haben beispielsweise gerade für 1,75 Milliarden Franken Fremdkapital aufgenommen, das muss mit rund 40 Millionen Franken verzinst werden. Zudem müssen viele Wasserkraftwerke jetzt saniert und die Kapazitäten ausgebaut werden.

 Ein neues AKW wird 6 bis 7 Milliarden Franken kosten. Finanzieren das die Banken mit?

 Karrer: Wir gehen davon aus, dass sich die Banken bei einem Volks-Ja zur Kernenergie an der Finanzierung beteiligen. Zudem gibt es verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten.

 Drei Gesuche für neue AKW sind hängig, es braucht nach Ihrer Rechnung zwei. Wer verzichtet, Sie in Mühleberg oder Alpiq in Gösgen?

 Karrer: Ich gehe nach wie vor davon aus, dass wir uns mit Alpiq einigen werden.

 Das sagen Sie schon lange.

 Karrer: Wir sind uns in vielen Punkten einig, aber leider noch nicht in allen.

 Was passiert, wenn das Volk Nein zu neuen Atomkraftwerken sagt?

 Karrer: Wir hätten zu wenig Produktionskapazitäten in der Schweiz, und die Strompreise würden noch stärker steigen. Wir hätten "italienische Zustände". Und es dürfte zu Instabilitäten im Netz führen.

 Zurück zum Strompreis. Die Gewinne der Axpo fliessen in die Kassen der Kantone. Warum sollen die Bürger über den Strom noch mehr versteckte Steuern zahlen?

 Karrer: Die Bürgerinnen und Bürger bezahlen keine versteckten Steuern über den Strompreis. Die Axpo befindet sich in einem Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Auftrag und dem Markt. Das heisst: Wir müssen günstig sein, wir müssen aber trotzdem eine vernünftige Rendite erreichen, um die laufenden Investitionen tätigen zu können. Dieses Spannungsfeld ist eine Herausforderung. Es ist deshalb wichtig, dass wir transparent sind.

 Die Interessenverbände werden gegen die Erhöhung beim Preisüberwacher klagen. Mit Erfolg?

 Karrer: Da habe ich keine Sorgen. Die Axpo hat schweizweit immer noch die günstigsten Preise. Zudem sind die Gründe mehr als nur nachvollziehbar.

 Sind Sie so günstig, weil Sie den grössten Anteil an Atomstrom haben?

 Karrer: Ja, das ist entscheidend für die günstige Preiskonstellation.

 Wie entwickelt sich der Strompreis?

 Karrer: Die Preise für Energie werden weiter steigen, weil alles zu Mehrkosten führt: Wir müssen CO2-Zertifikate zahlen, die Wasserzinsen steigen, es warten Investitionen. Auch die Abgaben auf dem Strom werden höher, unter anderem durch die Förderung erneuerbarer Energien oder die Renaturierung von Flüssen.

 Hat das einen Effekt auf den Stromverbrauch?

 Karrer: Nein. Die Erfahrung zeigt, dass es ausser bei den stromintensiven Kunden einen sehr grossen Preissprung braucht, bis sich das auf den Verbrauch auswirkt. Wir sehen das ja auch beim Benzinpreis.

 Heinz Karrer gilt als hartnäckiger Kämpfer für den Bau neuer AKW in der Schweiz. Durchhaltewillen braucht der Axpo-Chef auch bei seinem Hobby, dem Bezwingen von Viertausendern.

 Sabina Sturzenegger, Hans Lüthi

 Im Büro des Axpo-Chefs hängen verschiedene Bergbilder an den Wänden. Heinz Karrer beginnt sogleich, mit den Gästen von seinen letzten Hochtouren im Wallis zu reden. Diesen Sommer hat er die beiden Gipfel des Grand Combin, 4184 und 4314 Meter über Meer, bestiegen. Damit hat er "etwas über 40" Viertausender bezwungen, wie er sagt.

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 Zur Person

 Seit 2002 ist Heinz Karrer (51) Chef der Axpo-Holding. Der studierte Ökonom war unter anderem als Marketingleiter bei der Swisscom und als Chef von Ringier Schweiz tätig. Zuvor leitete er die Intersport-Holding. Er sitzt unter anderem im Verwaltungsrat der Netzgesellschaft Swissgrid, der SRG und von Kuoni. Karrer hat drei Söhne und lebt in Münsingen. (sas)

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Tagesanzeiger 16.8.10

Politischer Grenzgang

 Atommülllager: Schaffhauser Gemeinde Rüdlingen macht bei den Zürcher Nachbarn mit

 Schaffhausen kämpft gegen die Standorte im Klettgau und im Weinland. Doch auch Rüdlingen und Buchberg könnten von einem Endlager betroffen sein.

 Von Daniel Schurter

 Rüdlingen - Die Schaffhauser Regierung soll sich mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen ein Atommülllager wehren. Die 1983 verfügte gesetzliche "Widerstandspflicht der Behörden" wird nicht mehr auf das Hoheitsgebiet beschränkt sein, sondern auf die "angrenzende Nachbarschaft" erweitert. Ende Mai sind Regierung und Parlament einem Vorstoss des SP-Politikers und Nationalrats Hans-Jürg Fehr gefolgt.

 Ursprünglich hatten die Schaffhauser zwei der sechs Standorte im Visier, die sich laut geologischen Vorabklärungen der Nagra für ein Atommüll-Lager eignen: das Schaffhauser Gebiet Südranden (Klettgau) und das Zürcher Weinland (Benken). Sollte an diesen Orten ein "Endlager" gebaut werden, hätte dies gravierende Folgen für die ganze Region, mahnt eine im April publizierte Studie im Auftrag des Schaffhauser Regierungsrates. Wirtschaft und Bevölkerungsentwicklung würden über Jahrzehnte markant geschwächt, heisst es darin. Zudem nähme das Image des Kantons Schaden. Die Schaffhauser wollen sich als Förderer von alternativen Energiequellen positionieren. Langfristig strebt man gar einen Ausstieg aus der Atomenergie an.

 Die vergessenen Gemeinden

 Hat Schaffhausen beim Kampf gegen Atommülllager seine beiden Gemeinden im Süden vergessen? Die Betroffenheit des Kantons werde auf die beiden Standorte Benken und Südranden beschränkt, kritisierte der Rüdlinger Gemeinderat in seinem letzten Mitteilungsblatt. Der Schaffhauser Regierungsrat solle sich nicht nur gegen zwei, sondern gegen drei Standorte wehren, findet man im unteren Kantonsteil. Denn Rüdlingen und Buchberg wären als einzige Schaffhauser Gemeinden auch von einem Atommülllager im Zürcher Unterland betroffen. Sie kommen zwar nicht als Standortgemeinde infrage. Dort könnte aber ein Zugangsstollen oder eine Verpackungsanlage gebaut werden. Dies zeigen die Perimeter des Bundes für Anlagen an der Erdoberfläche.

 Rüdlingen und Buchberg haben sich deshalb dem Forum Lägern Nord angeschlossen. Dieses Gremium besteht aus Vertretern der 42 betroffenen Gemeinden. Die allermeisten liegen im nördlichen Teil der Zürcher Bezirke Bülach und Dielsdorf.

 Auch für dieses Gebiet sollen die gesellschaftlichen und ökonomischen Auswirkungen eines Atommülllagers untersucht werden. Das werde mit Geldern der Nagra gemacht und mit grösster Wahrscheinlichkeit auch mit einer eigenen Studie, schreibt der Rüdlinger Gemeinderat in seiner Stellungnahme. Er schliesst: "Interessant wird es dann zu erfahren, ob sich der Kanton Schaffhausen finanziell daran beteiligt."

 Mitwirkung ist erwünscht

 Frühestens in zehn Jahren steht fest, wo die Schweiz ihren radioaktiven Müll dereinst vergraben wird. Das mehrstufige Auswahlverfahren steht unter Aufsicht des Bundes. Als nächstes sollen die betroffenen Gebiete eine öffentliche Diskussion über die Vor- und Nachteile "ihres" Standorts führen. So will es das vom Bund vorgeschriebene Auswahlverfahren für das Atommülllager. Hanspeter Kern, der Gemeindepräsident von Buchberg, vertritt auch Rüdlingen in einem "Startteam". Dieses bereitet zurzeit den Mitwirkungsprozess ("regionale Partizipation") vor.

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Sonntag 15.8.10

"Eine Million Jahre als kurze Zeitspanne"

 Ensi-Direktor Ulrich Schmocker im Gespräch über das geplante Tiefenlager und die Sicherheit aller Atomanlagen in der Schweiz

Von Hans Lüthi

 Sind die fünf Schweizer Atomkraftwerke sicher genug? Das Ensi (Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat) muss die Frage laufend neu beantworten. Die Behörde behandelt neue AKW-Gesuche und überwacht die radioaktiven Abfälle bis hin zum Tiefenlager.

 Noch immer ist der Bund daran, zu prüfen, wo unsere radioaktiven Abfälle dereinst gelagert werden sollen. Ausgeschieden wurden sechs mögliche Standorte, darunter der benachbarte Jurasüdfuss sowie der Bözberg. Für Aufregung in der Region gesorgt hatte im letzten Jahr die Meldung, dass der Zugang zu einem atomaren Endlager am Jurasüdfuss im Baselbiet zu liegen kommen könnte. Das Szenario ist seit Ende 2009 aber wieder vom Tisch. Nahe zu liegen kommen könnte das Tiefenlager dennoch.

 Fast die Hälfte der Bevölkerung sagt Nein zu Atomkraftwerken. Rückblickend auf die letzten 40 Jahre scheint die Stromproduktion doch sicher zu sein.

 Ulrich Schmocker: Ein Grund könnte sein, dass für die radioaktiven Abfälle immer noch kein Schweizer Endlager in Betrieb ist. Das sage ich, obwohl ich überzeugt bin, dass wir mit dem Sachplan auf dem richtigen Weg sind. Wenn ich mit der Bevölkerung rede, merke ich, dass die Sicherheit der Kernkraftwerke kein grosses Thema ist. Dafür wird aber oft die Entsorgung der Abfälle angesprochen.

 Und die Strahlung löst Ängste aus.

 Strahlung löst grundsätzlich Angst aus, obwohl es natürliche Strahlung gibt und jedermann dauernd davon tangiert ist. Die natürliche Strahlung ist auch viel höher als die Strahlung, die im Normalfall von den Kraftwerken abgegeben wird.

 Sind die fünf Schweizer Atomkraftwerke und das Zwischenlager genügend sicher?

 Im internationalen Vergleich haben unsere Kernkraftwerke einen hohen Sicherheitsstand, was die Technik, die Organisation und die Situation der Mitarbeiter betrifft. Letzteres ist ein wichtiger Aspekt. Denn in der Vergangenheit hat man sich vor allem auf die Technik konzentriert. Heute weiss man, dass die Sicherheit sehr stark auch von den Menschen abhängt, welche die Anlage bedienen, und von der Organisation, in der die Mitarbeiter eingebettet sind.

 Trotzdem gibt es immer wieder Zwischenfälle, rauben diese Ihren Schlaf?

 Nein. Die eingetretenen Vorkommnisse sind alle im Rahmen der Auslegung abgelaufen. Das heisst, wenn wir die Meldung von einer Störung oder Reaktorabschaltung erhielten, war die Anlage schon in einem sicheren Zustand. Es ging dann nur noch um die Aufarbeitung des Vorkommnisses.

 Und die Information der Bevölkerung?

 Wir legen sehr grossen Wert auf rasche und gute Information, denn nichts ist schlimmer, als wenn Gerüchte verbreitet werden. In der Schweiz müssen die Betreiber selbst kleinste Störungen melden und darüber informieren, wie etwa die Abschaltung einer Pumpe. Die meisten Störungen sind sicherheitstechnisch nicht relevant und auf der internationalen Ereignisskala als Ines 0 klassifiziert, also nur von Interesse für die Behörden. Zwischen 20 bis 30 solcher Vorkommnisse jährlich sind in der Schweiz üblich.

 Weltweit sind über 50 neue AKW geplant oder im Bau. Hat das einen Einfluss auf die Schweizer Gesuche für drei neue AKW und jene für ein Tiefenlager?

 Ja, denn wir sind international sehr eng vernetzt mit anderen Aufsichtsbehörden, speziell in Europa und Amerika, wo neue Anlagen geplant oder bereits im Bau sind. Wir wollen europaweit eine Angleichung der Sicherheitsanforderungen erreichen. Davon profitiert die Schweiz natürlich auch stark.

 Und die Nachteile des Baubooms?

 Das Bewilligungsverfahren in der Schweiz ist sehr lang. Wenn weltweit wirklich so viele Kernkraftwerke gebaut werden, kann es durchaus sein, dass die Hersteller volle Auftragsbücher haben und nicht in der Lage sind, rechtzeitig einen Reaktordruckbehälter in die Schweiz zu liefern. Es gibt für Grosskomponenten nur noch wenige Firmen, die solche überhaupt herstellen können.

 Das Ensi hat das Tiefenlagerkonzept der Nagra abgesegnet.

 Wir haben die Unterlagen der Nagra sehr genau und detailliert geprüft und eine Reihe eigener Untersuchungen durchgeführt. Dabei sind wir zum Ergebnis gekommen, dass die Nagra die von uns gestellten sicherheitstechnischen Vorgaben umgesetzt hat. Den sechs Standorten für ein Lager mit schwach- und mittelaktiven und den drei für hochradioaktive Abfälle können wir deshalb zustimmen.

 Technisch ist ein Tiefenlager kein Problem, aber ist es politisch machbar?

 Wir sind für die Sicherheit zuständig, darum kann ich nichts zur politischen Machbarkeit sagen. Entscheiden wird das Schweizervolk. Ich bin persönlich der Ansicht, dass ein Lager nur schwer gegen den Willen der Standortregion gebaut werden kann. Es ist aber auch eine ethische Frage, denn unsere Generation steht in der Pflicht, diese Abfälle sicher zu entsorgen.

 Warum die Gesellschaft und nicht die Betreiber der Atomkraftwerke?

 Wir haben Abfälle in der Schweiz, unabhängig davon, ob wir weiter Kernkraftwerke betreiben oder nicht. Unsere Generation profitiert vom Strom, den die Atomkraftwerke erzeugen. Wir werden auch in 100 Jahren radioaktive Abfälle haben, aus der Medizin, Forschung und Industrie. Wir brauchen also so oder so eine Lösung. Ich empfinde es als nicht ehrlich, wenn man sich grundsätzlich gegen ein Tiefenlager wehrt. Die Sicherheit muss aber immer gewährleistet sein, und das ist Aufgabe der Betreiber. Wir vom Ensi wachen darüber, dass bei der Sicherheit keine Kompromisse gemacht werden.

 Und die Sicherheit können Sie für eine Million Jahre gewährleisten?

 Weil man die radioaktiven Abfälle über einen so langen Zeitraum sicher lagern muss, braucht es geologische Tiefenlager, 400 bis 900 Meter unter der Oberfläche. Die geologische Zeit tickt ganz anders als die biologische auf der Erdoberfläche. Die Prozesse in der Tiefe sind unendlich viel langsamer - zum Glück, denn sonst wäre die Erde gar nicht bewohnbar.

 Eine Million Jahre übersteigen unsere Vorstellungskraft bei weitem.

 Ja, das ist wirklich schwer vorstellbar. Der Opalinuston im Zürcher Weinland ist vor 175 Millionen Jahren in einem flachen Meer entstanden. Alpen gab es noch keine. Der Opalinuston war also schon da, als die Alpen und der Jura entstanden sind, er hat viele Eiszeiten und schwere Erdbeben überlebt und ist immer noch da. Das zeigt die völlig andere zeitliche Dimension in der Geologie. Da ist eine Million Jahre eine relativ kleine Zeitspanne. Dieses Argument bringe ich an öffentlichen Diskussionen immer wieder. Und es verleitet zumindest zum Nachdenken.

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 Die Instanz für Sicherheit

 Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) ist seit Anfang 2009 eine unabhängige Anstalt und direkt dem Bundesrat unterstellt. Hauptzweck ist die Aufsicht des Bundes über die Kernenergie, um Menschen und Umwelt vor Schäden durch die Radioaktivität zu schützen. Neben der Beaufsichtigung gehört auch der Schutz von Atomanlagen vor Sabotage und Terrorakten zu den Aufgaben, ebenso die Gesuche für neue AKW und die Tiefenlager. Der 63-jährige Ulrich Schmocker ist seit acht Jahren Direktor des Ensi. Der Autor vieler Publika-tionen zur Reaktorsicherheit geht Ende August nach intensiven Jahren in Pension. Neuer Direktor wird Hans Wanner. (Lü.)