MEDIENSPIEGEL 17.8.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS, Tojo)
- Reitschule bietet mehr als Fuchs&Hess: Müslüm
for
president (5.8.-17.8.)
- RaBe-Info 16.+17.8.10
- Drogenanlaufstelle: Big Brother, Jugendliche raus
- Ausschaffung: Solidemo SO; Rückschaffung gescheitert
- @-Camp im Val Lumnezia
- Söldnertum goes CH: Schützengrabengerangel
- Anti-Atom: Anzeige gegen AKW Gösgen;
Atommüllendlager; Inti
mit Axpo-Karrer
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Mi 18.08.10
20.00 Uhr - Dachstock - Portugal. The Man (USA)
Do 19.08.10
21.30 Uhr - Hofkino - "Allein machen sie dich ein!"
Filmzyklus
über die Zürcher Häuserbewegung Teil 5 & 6
Fr 20.08.10
20.30 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6
Berner
TänzerInnen.
Sa 21.08.10
13.00 Uhr - Grosse Halle - oder Lorrainebad:
Säbeli
Bum II integratives Festival von Freaks für Stars. (Bei
Schlechtwetter in der Grossen Halle)
20.30 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6
Berner
TänzerInnen.
So 22.08.10
19.00 Uhr - Tojo - Bern Retour - 6 Choreographien von 6
Berner
TänzerInnen.
Do 26.08.10
20.00 Uhr - Rössli - Solifest für die
kirchliche Gassenarbeit
Bern. Lesung von Matto Kämpf, Konzerte von The Frozen Pony &
The Hot Skirts, Reverend Beat-Man, u.v.a.
21.30 Uhr - Hofkino - "Allein machen sie dich ein!"
Filmzyklus
über die Zürcher Häuserbewegung Teil 7 & 8
Fr 27.08.10
20.30 Uhr - Kino - Tatort Reitschule: "Die Falle" - der
letzte
Ehrlicher!
23.00 Uhr - Dachstock - C'est Berne. Your local
Techno-Heroes!
Sa 28.08.10
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: London
Elektricity & MC
Wrec (UK/Hospital), Flowrian & LaMeduza, Lockee, TS Zodiac, MC Matt
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
---
kulturstattbern.derbund.ch 16.8.10
Von Gisela Feuz am Montag, den 16. August 2010, um 07:00 Uhr
Kulturbeutel 33/10
Frau Feuz empfiehlt
Am Mittwoch im Dachstock das Konzert von Portugal the Man. Diese
spielen sphärischen Indierock und kommen nicht etwa aus Portugal,
sondern aus Alaska. (Da soll noch einer drauskommen.) Von ein bisschen
weniger weit her kommen die Herren Soulwax aus Belgien, welche
ebenfalls am Mittwoch in der Schweiz halt machen und zwar in der
Kaserne in Basel. Am Freitag sollte dann keinesfalls der Herr Avignon
alias Neoangin verpasst werden, welcher dem Kairo seine Aufwartung
macht.
(...)
Signora Pergoletti empfiehlt:
Nichts, denn Portugal. The Man, über die sie beinah
delirinös
überschwengliche Statements gehört hat, sind hier schon
empfohlen worden, ebenso das Spektakel in Zürich. Henusode.
---
kulturagenda.be 19.8.10
Sechs Tänzer - sechs Choreografien - eine Heimat
Sechs Heimweh-Berner treffen sich für ein gemeinsames
Tanzprojekt
in ihrer Heimatstadt. Im Tojo präsentieren die Tänzerinnen
und Tänzer ihre Choreografien unter dem Titel "Bern retour".
Sie leben in Paris, London oder Amsterdam. Einige haben die
Ausbildung
zum Profitänzer bereits abgeschlossen, andere sind auf dem besten
Weg dazu. Mindestens einmal pro Jahr zieht es die sechs jungen
Tänzerinnen und Tänzer in ihre Heimat nach Bern zurück.
Hier sind sie aufgewachsen. Hier machten sie ihre ersten Tanzschritte.
Hier schlossen sie Freundschaft. Diesen Sommer treffen sie sich in Bern
nicht nur, um in der Aare zu schwimmen, sondern auch für das
gemeinsame Tanzprojekt "Bern retour".
Grenzen erfahren
Im akar Dance Studio trainieren Gianna Grünig, Laura und
Vera
Stierli, Cedric Huss, Manuel Wahlen sowie Michael Wälti für
ihr Projekt. Jede und jeder präsentiert im Tojo eine eigene
Choreografie. Für viele ist es die erste. Die Stücke
widerspiegeln ihre vielfältigen Erfahrungen, Schulen und
Tanzrichtungen vom klassischen Ballett bis zum zeitgenössischen
Tanz. Diesen unterschiedlichen Hintergrund erleben die sechs alle als
Bereicherung. Es sei interessant, andere Arten von Tanz kennen zu
lernen, auch wenn sie dabei manchmal an ihre Grenzen kämen.
Mit Humor und Kung Fu
Innerhalb der Gruppe sind alle gleichberechtigt. Beim Üben
übernimmt der jeweilige Choreograf die Regie. Im Fall von "Wash my
feet, kiss my eyes" ist es Michael Wälti. Sein Stück für
fünf Tänzer befasst sich "mit dem menschlichen Verhalten im
orientierungslosen Heute ". Wie ein Uhrwerk wiederholen seine Freunde
zur eigens für die Choreografie komponierten Musik von Michael
Szetlak immer und immer wieder dieselben Bewegungen. Gegensätze
treffen aufeinander. Eine rohe Tanzsprache sowie Bewegungsabläufe
aus dem Kampfsport - Wälti macht Wushu Kung Fu - vermischen sich
mit theatralen Elementen. Die Choreografie wirkt verstörend und
witzig zugleich. "Humor ist ein zentrales Element", erklärt
Wälti, "er kommt meiner Meinung nach im Tanz allgemein etwas zu
kurz." Inspiriert ist das Werk von der amerikanischen Tänzerin und
Choreografin Anna Sokolow und dem holländischen Tanz. Der
24-jährige Wälti studiert an der Hogeschool voor de Kunsten
in Amsterdam.
Freiräume lassen
Vera Stierli ist knapp 20 und begann ihr Studium im letzten Jahr
an der
Palucca Schule in Dresden. Im Projekt "Bern retour" präsentiert
sie ihre erste eigene Choreografie "Cocoon" zum Song "Bear Hides and
Buffalo" von Coco Rosie. Beim Beobachten von Menschen im Park liess sie
sich zum Duett animieren, das die Schwierigkeiten und Gefahren der
Kommunikation erforscht: Behutsam, aber unermüdlich nähert
sich eine Frau (Vera Stierli) einem Mann (Manuel Wahlen). Sie muss alle
Register ziehen, damit er sie reinlässt in sein Cocon. Die
Kommunikation zwischen den sechs Heimweh-Bernern scheint da ungleich
einfacher vonstatten zu gehen. Die Tatsache, dass sie sich sehr gut
kennen, mache die Zusammenarbeit leichter. Wichtig sei es, so alle
unisono, sich gegenseitig Freiräume zu lassen, damit alle ihre
Stärken ausleben könnten. Nach den Vorstellungen werden die
sechs wieder in alle Himmelsrichtungen davonziehen, um nächsten
Sommer wieder nach Bern zurückzukehren, vielleicht für die
zweite Folge von "Bern retour".
Simone Tanner
\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
\ \ \ \
\ \ \ \ \ \ \ \
Tojo Theater in der Reitschule, Bern
Fr., 20., und Sa., 21.8., 20.30 Uhr sowie So., 22.8., 19 Uhr
(Reservation
unter bernretour@gmail.com)
http://www.tojo-theater.ch
-----------------------------------------------
REITSCHULE BIETET MEHR
-----------------------------------------------
Bund 17.8.10
Thomas Fuchs droht Radio- und TV-Stationen mit Klage
Per Anzeige gegen Satire: Thomas Fuchs will juristisch
gegen
Sender vorgehen, die Müslüms Erich-Hess-Song spielen.
Simona Benovici
Im Abstimmungskampf um das autonome Kulturzentrum
Reitschule wird
der Ton schärfer: Der Bund der Steuerzahler des Kantons Bern
(BDS), dem SVP-Grossrat Thomas Fuchs als Geschäftsführer
vorsteht, droht Radio- und TV-Stationen mit einer Klage, wenn sie Songs
der CD "Reitschule beatet mehr" ausstrahlen. Der BDS beruft sich auf
die Bestimmungen des Radio- und Fernsehgesetzes, wonach Werbung
für Themen, die Gegenstand von Volksabstimmungen sind,
unzulässig ist. Der BDS fordert alle Sender auf, "die
Reitschulsongs bis am Tage nach der Abstimmung von Ende September nicht
mehr auszustrahlen oder im Gegenzug den Befürwortern ebenso viel
Sendeplatz einzuräumen". In Letzterem sähe Fuchs keinen
Widerspruch. Obgleich er sich mit Inanspruchnahme von Sendezeit auf
etwas einlassen würde, was er den Gegnern der Initiative als
gesetzeswidrig ankreidet. Mit der Forderung wolle man lediglich
sicherstellen, dass gleiches Recht für alle gelte, so Fuchs. "Wenn
wir das jetzt einfach so zulassen, könnte die SVP im nächsten
Jahr sonst auch einen Ausschaffungssong lancieren." Er sei sich sicher,
das dies von der politischen Linken auch nicht einfach so hingenommen
würde. Werden die Lieder weiter ausgestrahlt oder wird den
Initianten das Gegenrecht auf Sendezeit verwehrt, werde der BDS gegen
die entsprechenden Radiostationen Beschwerden und Klagen beim Bundesamt
für Kommunikation führen. Dass es dem BDS ernst ist mit
seiner Drohung, zeigt die Aufforderung an die Bevölkerung, dem BDS
Namen von Radiostationen sowie Zeitangabe der gespielten Songs zu
melden.
In der gleichen Mitteilung gibt der BDS auch bekannt, dass
er die
Kampagne für den Verkauf der Reitschule "aufgrund der
schweizweiten Signalwirkung" mit "mindestens einem fünfstelligen
Betrag" unterstützt. Er werde auch eine eigene Kampagne
führen.
"Kreative Gesetzesauslegung"
Das Abstimmungskomitee "Reitschule bietet mehr" hat von
den
angekündigten Schritten Kenntnis genommen. Das Komitee hofft, dass
sich die Radio- und TV-Stationen nicht einschüchtern lassen von
Fuchs' "sehr ‹kreativer› Auslegung des Radio- und Fernsehgesetzes".
---
BZ 17.8.10
Reitschule
Müslüm zeigt Hess den Meister
Thomas Fuchs will Müslüm vom Äther
verbannen. Er
droht mit Klagen, falls die Songs zur Reitschulkampagne weiter im Radio
und am TV gespielt werden. Medienrechtsexperten räumen solchen
Klagen keine Erfolgschancen ein.
Der Kampf um das Berner Kulturzentrum Reitschule, der am
26.
September in einer Volksabstimmung gipfelt, bietet ein unterhaltsames
Kräftemessen in populistischer Propaganda. Der Urheber der
Initiative, SVP-Grossrat Erich Hess, der sonst selber gekonnt und
unzimperlich nach medialer Aufmerksamkeit heischt, sieht sich jetzt mit
einem Coup konfrontiert, der alles toppt: Semih Yavsaner alias
Müslüm hat auf dem Sampler des Reitschul-Komitees mit "Erich,
warum bisch du nid ehrlich" einen Hit lanciert. Mittlerweile ist der
Ohrwurm auf Youtube der am siebenthäufigsten heruntergeladene
Clip. Und was im Internet zieht, sorgt zunehmend auch in Radio- und
TV-Programmen für Furore.
Drohung an Radiostationen
Nun eilt Thomas Fuchs, Geschäftsführer des
Bundes der
Steuerzahler Kanton Bern (BDS), seinem Fraktionskollegen Hess zu Hilfe.
Er droht den Radio- und TV-Stationen: Sollten sie nicht damit
aufhören, insbesondere diesen Titel, aber auch die anderen
Samplerbeiträge zu senden, werde er Beschwerden und Klagen beim
Bundesamt für Kommunikation einreichen, heisst es in einer gestern
versandten Mitteilung. Denn damit verstiessen sie gegen den Artikel 18
des Bundesgesetzes über Radio und Fernsehen, wie Fuchs meint. In
diesem Gesetz wird politische Werbung im Zusammenhang mit
Volksabstimmungen verboten. Der BDS stellt sich selbstredend hinter die
Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" und will sie "mit
mindestens einem fünfstelligen Betrag" unterstützen.
Rechtsexperten entwarnen
Oliver Sidler, Lehrbeauftragter für Medienrecht an
der
Universität Freiburg und Rechtsanwalt in Zug, sah sich den
Müslüm-Beitrag im Internet für diese Zeitung an.
Für ihn ist der Song nicht einmal ein Grenzfall. Um Werbung handle
es sich nicht, weil die Radiostationen für das Abspielen wohl kein
Geld kassierten. Auch als Schleichwerbung könne er eher nicht
gelten. "Sofern die Unterhaltung und die Information im Vordergrund
stehen und nicht die Propaganda", erläutert er. Sidler geht davon
aus, dass der Song vor allem deshalb gespielt wird, weil die
Zuhörerinnen und Zuhörer ihn hören wollten. Er kommt zum
Schluss: "Solange es um die Musik geht und nicht um die Propaganda,
sehe ich kein Problem."
Heikler könnte es dann werden, wenn die Moderatoren
dazu
noch ständig die Hintergrundinfos zum Stück oder die
Botschaft der Initianten mitlieferten.
Die Juristen des Bundesamts für Kommunikation (Bakom)
sehen
im Müslüm-Song nach einem ersten Augenschein keine politische
Werbung. Dafür müsste laut Bakom-Sprecher Roberto Rivola an
die betreffende Radio- oder Fernsehstation Geld geflossen sein.
Das Reitschul-Komitee nahm die Drohung zur Kenntnis und
bezeichnete sie in einer Mitteilung als "kreative Auslegung" des
Gesetzesartikels.
"Lächerliche" Forderung
Über Müslüms Videoclip lässt sich eher
streiten, wie Oliver Sidler findet. Dort sei die politische Botschaft
viel klarer. Doch der angesprochene Gesetzesartikel spiele hier keine
Rolle: "Im Internet stellt sich das Problem nicht."
Die Forderung des BDS, mindestens ebenso viel Sendezeit zu
erhalten, sollten die Songs weiterhin gespielt werden, ist für
Sidler vor diesem Hintergrund schlicht "lächerlich".
Christoph Aebischer
---
20 Minuten 17.8.10
Müslüm-Song: SVP droht mit Klage gegen Radios
BERN. Der Kampf ist noch nicht zu Ende: Thomas Fuchs will
Radiostationen verklagen, die Songs von der Reitschul-CD spielen.Die
Radios lässt dies kalt.
Die Sender spielen den Chartstürmer-Song von
Müslüm rauf und runter, die CD "Reitschule beatet mehr" ging
bereits 2000-mal über den Ladentisch. Das legt die Nerven der
Reitschul-Gegner blank: SVP-Grossrat Thomas Fuchs will nun
sämtliche Radiostationen, die diese Tracks ausstrahlen, verklagen.
"Das Radiogesetz verbietet politische Werbung im Vorfeld von
Abstimmungen", argumentiert Fuchs. Sein Vorschlag: Er verzichtet auf
eine Klage, wenn den Initiativ-Befürwortern ebenso viel Sendeplatz
eingeräumt wird.
Die Radios nehmen diese Drohungen gelassen: "Wir spielen
die
Songs jetzt umso mehr", ist etwa die Reaktion von Radio-Rabe-Redaktor
Martin Schneider. NRJ Bern fühlt sich "ans Bein gepinkelt".
Programmleiter Nik Eugster: "Wir haben der Gegenseite eine
ebenbürtige Plattform geboten." Juristisch gesehen dürfte
Thomas Fuchs auf dünnem Eis stehen: "Die Songs fallen weder unter
politische Werbung noch unter Schleichwerbung", sagt
Medienrecht-Experte Oliver Sidler. Der Müslüm-Text beinhalte
zudem keine Wahlempfehlung. Beim Bakom, das für Fuchs' Beschwerden
zuständig wäre, gibt Sprecher Samuel Mumenthaler Auskunft:
"Wir haben keine Anhaltspunkte, dass die Ausstrahlung mit Geldfluss
verbunden ist."
Bigna Silberschmidt
--
Mehr Geld für Kultur verlangt
BERN. Die öffentliche Hand soll mehr für Kultur
springen lassen, findet die Regionalkonferenz Bern-Mittelland. Das
Gremium von 81 Gemeinden der Region fordert für die Jahre 2012 bis
2015 einen jährlichen Zuschuss von 56 Mio. Franken jährlich -
das wären 2,5 Prozent mehr als bisher. Von diesem
Teuerungsausgleich würden etwa das Kunstmuseum, das Bernische
Historische Museum, das Zentrum Paul Klee sowie das geplante
Musik-Theater Bern profitieren.
---
Blick am Abend 16.8.10
Fuchs will ein Müslüm-Verbot
PROPAGANDA
Der Bund der Steuerzahler droht Radio- und TV-Stationen
mit Klage.
peter.pflugshaupt@ringier.ch
Für den SVP-Grossrat und Präsidenten des Bundes
der
Steuerzahler sind die Songs der CD "Reithalle beatet mehr" politische
Werbung. Insbesondere der Müslüm-Titel "Erich, warum bisch du
nid ehrlich?" Er will die Songs deshalb aus den Radio- und TV-Stationen
der Hauptstadt verbannen.
Ausser den Befürwortern der Reithallen-Initiative
werde
ebenso viel Sendeplatz eingeräumt. Sonst klagt Fuchs beim
Bundesamt für Kommunikation.
Bei den Radiomachern stösst Fuchs auf
Unverständnis:
"Der Song ist bei uns gar nicht in der Playlist", sagt Nik Eugster,
Programmleiter von "Energy Bern". Der iTunes-Hit war nur kurz zu
hören, als Müslüm Studiogast bei Energy war. "Und am
nächsten Tag war Erich Hess bei uns im Studio." Bei "Capital FM"
läuft der Song auch nicht. "Er passt nicht ins musikalische
Konzept", sagt Musik-Redaktor Sandro Meli. Als einzige Radiostation der
Stadt spielt das Kulturradio "Rabe" den Song regelmässig.
Musik-Chef Tinu Schneider sind die Drohungen von Fuchs egal: "Wir
spielen den Song trotzdem. Im Gegenteil: Wir verdoppeln den Airplay und
bringen den Song mindestens zwei-bis dreimal pro Tag!"
Thomas Fuchs ruft nun die Bevölkerung auf,
Radiostationen
mit Zeitangabe des gespielten Songs zu melden.
---
bernerzeitung.ch 14.8.10
Reitschul-Initiative: Bund der Steuerzahler droht Radiostationen
mit
Klage
sda / vh
Im Abstimmungskampf um das autonome Berner Kulturzentrum
Reitschule wird der Ton schärfer: Der Bund der Steuerzahler von
SVP-Grossrat Thomas Fuchs droht Radio- und TV- Stationen mit einer
Klage. Die Radiostationen nehmen es gelassen.
Thomas Fuchs droht mit einer Klage, falls der Song der CD
"Reitschule beatet mehr" ausgestrahlt wird. Im Vorfeld von Abstimmungen
sei politische Werbung in Radio- und TV-Sendungen unzulässig,
schreibt Fuchs in einer Medienmitteilung vom Montag. Songs wie jener
des Berner Komikers "Müslüm" ("Erich, warum bisch du nid
Ehrlich?") würden "klar" gegen die Bestimmungen des Radio- und
Fernsehgesetzes verstossen, so Fuchs.
Nicht jeder Song der CD stelle politische Werbung dar, so
Fuchs
auf Anfrage. Das sei aber dann der Fall, wenn es etwa - im Song von
"Müslüm" - heisse: "Erich mein Kollege, komm und hol dir den
Schlüssel".
Eine Klage könnten die Radio- und TV-Stationen
vermeiden,
wenn sie den Befürwortern der Reitschulinitiative gleich viel
Sendezeit einräumten.
Der Bund der Steuerzahler gibt in der gleichen Mitteilung
auch
bekannt, dass er die Kampagne für den Verkauf der Reitschule
"aufgrund der schweizweiten Signalwirkung" mit "mindestens einem
fünfstelligen Betrag" unterstützt. Er werde auch eine eigene
Kampagne führen.
Über die Initiative, die die Schliessung und den
Verkauf der
Reitschule an den Meistbietenden fordert, wird in der Stadt Bern am 26.
September abgestimmt. Urheber der Initiative ist ein
rechtsbürgerliches Komitee unter dem Präsidium von
JSVP-Grossrat Erich Hess. Thomas Fuchs sitzt ebenfalls im
Initiativkomitee.
Keine Aufregung bei Lokalradios
Bei den beiden Berner Lokalradiostationen Energy und
Capital FM
sorgte die Drohung von Fuchs am Montag nicht für Aufregung.
Capital- FM-Redaktionsleiterin Bettina Studer sagte auf Anfrage, ihre
Station strahle die Songs der fraglichen Station gar nicht aus. Sie
passten nicht ins Konzept.
Die fragliche CD sei aber in einer Sendung zur Sprache
gekommen -
darin habe die Redaktion aber auch die Reitschulgegner zu Wort kommen
lassen. "Wir bemühen uns um Gleichbehandlung."
Dasselbe sagte ebenfalls auf Anfrage Nik Eugster,
Programmleiter
des Radios Energy Bern. Zwar führt auch dieses Radio die Songs
nicht in der sogenannten Playlist. Doch nachdem "Müslüm" im
Studio zu Gast war, durfte sich auch Erich Hess bei Radio Energy
äussern. "Wir kennen die journalistischen Grundregeln", so Eugster.
"Reitschule bietet mehr" nimmt Drohung zur Kenntnis
Das Abstimmungskomitee "Reitschule bietet mehr" hat die
Drohungen
von Thomas Fuchs und der BDS gegen die Radiostationen zur Kenntnis
genommen. Es hofft, dass die Radiostationen sich von seiner sehr
"kreativen" Auslegung des Radio- und Fernsehgesetzes nicht
einschüchtern lassen, wie das Komitee in einer Mitteilung schreibt.
Dass die Kreativität ansonsten nicht zu den
Stärken der
Reitschul-GegnerInnen gehöre, zeige die Tatsache, dass sie bereits
zum vierten Mal versuchen, die Reitschule mittels einer Initiative zu
schliessen. "Wir sind überzeugt, dass sie zum vierten Mal grandios
scheitern werden und mit ihrer Zwängerei bloss eine Menge
städtischer Steuergelder verschleudern - das sollte dem "Bund der
Steuerzahler" BDS arg zu denken geben", so das Komitee weiter.
Der Verkauf der CD "Reitschule beatet mehr" habe die
Erwartungen
des Komitees bei weitem übertroffen. Die erste Pressung von 2000
Exemplare sei schon beinahe ausverkauft, die nächsten 2000 seien
bestellt, führt das Abstimmungskomitee aus.
---
bds-schweiz.ch 16.8.10
Mitteilung vom 16. August 2010
Der BDS Bern schaltet sich in den Kampf gegen die Reitschule ein
Der Bund der Steuerzahler unterstützt an vorderster Front
und mit
erheblichen eigenen Mitteln die Bemühungen zur Schliessung der
Reitschule
Der Bund der Steuerzahler des Kantons Bern (BDS)
unterstützt
die Bestrebungen zur Schliessung und zum Verkauf der Reitschule aktiv
mit einer eigenen Kampagne und, dies aufgrund der schweizweiten
Signalwirkung, mit mindestens einem fünfstelligen Betrag. Je nach
Eingang von Spendengeldern wird nebst einer Flugblattaktion auch noch
eine Plakataktion mit den beiden Sujets durchgeführt.
Die Beiträge von Stadtberner Steuergeldern in der Höhe
von
mehreren hunderttausend Franken, die jährlich für die
Reitschule verschleudert werden, sind nicht mehr akzeptabel.
Gleichzeitig ist dieser rechtsfreie Raum nun umgehend stillzulegen.
Es bleibt den unzähligen Kulturschaffenden, die für
die
Reitschule Sympathie verspüren, unbenommen, via eine eigene
Trägerschaft selber eine Kaufofferte einzureichen. Anschliessend
hätten sie wie alle anderen Hauseigentümer in den engen
Maschen der Stadtberner Vorschriften die Möglichkeit, die
Reithalle mit eigenen Mitteln umzubauen, ohne dass dabei weiterhin die
steuerzahlende Bevölkerung belangt werden muss.
Mit Befremden nimmt der BDS von der Kampagne verschiedener
Musiker
gegen Exponenten der Reitschulinitiative Kenntnis. Offenbar will man
mit gewissen Songs (und verdeckter Aufforderung zur Gewalt) unliebsame
Politiker mundtot machen.
Der BDS weist darauf hin, dass mit der Initiative ein
rechtmässiges Volksrecht genutzt wurde und von über 5‘000
Bernerinnen und Berner rechtsgültig unterzeichnet wurde. Offenbar
hat man im Umfeld der Reitschule mehr Erfahrung mit illegalen und
unbewilligten Massnahmen.
Der BDS fordert die Radio- und TV-Stationen auf, die
"Reitschulsongs"
bis am Tage nach der Abstimmung von Ende September nicht mehr
auszustrahlen oder im Gegenzug den Befürwortern eben so viel
Sendeplatz einzuräumen. Politische Werbung in Radio und Fernsehen
ist gemäss Artikel 18 des Bundesgesetzes über Radio und
Fernsehen (RTVG) verboten. Die Songs von Müslim, Tomazobi und
weiteren Gruppen verstossen klar gegen die Bestimmungen, wonach
politische Werbung im Vorfeld von Abstimmungen unzulässig ist.
Ohne Gegenrecht an die Initianten wird der BDS gegen die entsprechenden
Radiostationen Beschwerden und Klagen beim Bundesamt für
Kommunikation führen, welches neu für solche Beschwerden
zuständig ist. Der BDS bittet die Bevölkerung,
entsprechenden Radiostationen mit Zeitangaben der gespielten Songs dem
BDS via Internet zu melden.
Bei Rückfragen steht zur Verfügung:
Grossrat Thomas Fuchs,
Geschäftsführer Bund der Steuerzahler Kanton Bern
tf@thomas-fuchs.ch
Tel. 079 302 10 09
---
BZ 14.8.10
Reitschule-CD
"Müslüm geht durchs Dach"
Wegen des Erich-Hess-Songs von Komiker Müslüm
ist der
Pro-Reitschule-Sampler nach nur einer Woche fast ausverkauft.
"Wahnsinnig mutig" sei es gewesen, sagt Nick Werren, als
man von
der Abstimmungs-CD "Reitschule beatet mehr" 2000 Stück pressen
liess. Normalerweise lasse man bloss 1000 Exemplare machen. Doch nun
gehen dem Manager des Labels, auf welchem die CD erschien, langsam die
Bestände aus: "Am Wochenende werden wir wohl beschliessen, noch
einmal 2000 CDs pressen zu lassen." Hauptgrund für den Erfolg sei
ganz klar der bereits Kult gewordene Beitrag des Komikers
Müslüm. "Erich, warum bisch nid ehrlich?" kletterte in den
internationalen iTunes-Charts auf Platz 9, bei Youtube gehört der
entsprechende Clip zu den meistgesehenen Beiträgen.
"Müslüm geht durchs Dach", resümiert Nick Werren.
Müslüms Song wendet sich an SVP-Politiker Erich
Hess,
der die jüngste Initiative zur Reitschule-Schliessung angestossen
hat. Die Bernerinnen und Berner können am 26. September über
die Initiative befinden.
azu
---
sf.tv 14.8.10
Reitschule-Protest-Song mischt Charts auf
sf/koua
Der Berner Stadtrat Erich Hess hat mit seiner Initiative
zur
Schliessung und Umnützung der Reitschule den Zorn der lokalen
Künstler auf sich gezogen. Kurz vor der Abstimmung rechnet Komiker
Müslüm in einem Song mit dem Initianten der SVP auf ironische
Weise ab. Das Lied kletterte inzwischen auf Platz sieben der Schweizer
I-Tunes-Charts.
Im Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?", nehmen
Telefonscherz-Mann Müslüm, der mit Scherzanrufen auf "Radio
105" bekannte wurde, und diverse Berner Musiker wie Steff la Cheffe,
Greis oder Tomazobi den Präsidenten der Jungen SVP Schweiz aufs
Korn.
Hess selber reagierte gelassen. Der Inhalt sei noch im
Rahmen,
sagte er gegenüber dem Berner "Bund".
---
St. Galler Tagblatt 14.8.10
Leute
Der Präsident der Jungen SVP, Erich Hess, ist
über
Nacht zum Hitparadenstar geworden. Möglich gemacht hat das
ausgerechnet der politische Gegner. Denn Akteure der Berner Reitschule
führen einen phantasievollen Wahlkampf. Der Komiker Semih Yavsaner
("Müslüm") hat Hess einen skurrilen Türk-Pop-Song
gewidmet ("Erich, warum bisch Du nid ehrlich?"), zahlreiche
Künstler machen im Video mit. In den nationalen
iTunes-Download-Charts ist der Song bereits auf Platz 9 angekommen und
hat die aktuellen Hits von Stars wie Eminem hinter sich gelassen. Das
Video auf YouTube wurde innert einer Woche mehr als 80 000mal
angeklickt.
---
Aargauer Zeitung 14.8.10
Erich J. Hess, Hitparadenstar
Der JSVP-Politiker macht unfreiwillig Karriere
Erich J. Hess, der Präsident der Jungen SVP, ist
über
Nacht zum Hitparadenstar geworden. Möglich gemacht hat das
ausgerechnet der politische Gegner. Denn die Aktivisten der Berner
Reitschule, die mit Hess einmal mehr um die Gunst der Stimmbürger
buhlen, führen einen fantasievollen Wahlkampf. Der Komiker Semih
Yavsaner ("Müslüm") hat Hess einen skurrilen
Türk-Pop-Song gewidmet ("Erich, warum bisch du nid ehrlich"?),
zahlreiche Künstler machen im Video mit - der Erfolg ist
durchschlagend.
In den nationalen iTunes-Download-Charts ist der Song
bereits auf
Platz 9 angekommen. Das Video auf Youtube wurde innert einer Woche
über 80000-mal angeklickt. Hess stört sich nicht am Song, wie
er verlauten liess. Immerhin bringt Müslüm auch ihn in die
Schlagzeilen, wenngleich wenig vorteilhaft. (sda)
Video: www.youtube.com, Stichwort Erich J. Hess
---
Südostschweiz 14.8.10
People
Erich Hess, der Präsident der Jungen SVP, ist
über
Nacht zum Hitparadenstar geworden. Möglich gemacht hat das
ausgerechnet der politische Gegner. Die Aktivisten der Berner
Reitschule, die mit Hess einmal mehr um die Gunst der Stimmbürger
buhlen, führten den Komiker Semih Yavsaner alias Müslüm
in den Wahlkampf. Dieser hat Hess einen skurrilen Türk-Pop-Song
gewidmet ("Erich, warum bisch Du nid ehrlich?") - mit durchschlagendem
Erfolg. In den nationalen iTunes-Download-Charts ist der Song bereits
auf Platz 9 angekommen. (sda)
---
Bund 13.8.10
Alle lieben Müslüm - selbst die Bären
Der unglaubliche Aufstieg des Berner Komikers Semih
Yavsaner zum
Liebling der Nation.
Christoph Lenz
So schaut einer, der die Welt nicht mehr versteht.
Abgekämpft hängt Semih Yavsaner im Aufenthaltsraum des Berner
Alternativradios RaBe auf einem Sofa, den Blick starr auf die Wand
gerichtet. Es scheint, als suchte er dort nach Erklärungen. Aber
er findet keine. Er atmet ein und wieder aus, ein und wieder aus. Wie
soll einer seine Gedanken ordnen können, wenn alle Ordnung aus der
Welt verschwunden ist? Jetzt dreht er den Kopf zur Seite. Semih
Yavsaner sagt: "Eine Woche dauert das jetzt schon." Seine müden
Schultern fragen: Wie lange noch?
Jetzt bräuchte er einen Masseur oder einen
Mentalcoach.
Jemanden, der ihn wieder aufbaut nach einem Tag wie diesem - mit
Videodrehs für das Schweizer Fernsehen, mit Anrufen von
Radiostationen, Zeitungen, Künstlern und Plattenfirmen, mit
Hunderten Facebook-Anfragen, mit wildfremden Menschen, die ihn in der
Stadt anhauen, ihm auf die Schulter klopfen, einen Witz hören
möchten. Plötzlich wollen alle ein Stück von ihm. Bis
jetzt hat er allen immer gegeben, was sie wollten. Nun fürchtet er
sich, dass plötzlich nichts mehr von ihm übrig ist.
Semih Yavsaner, 30, hat keinen Masseur und keinen
Mentalcoach.
Woher auch? Er hat auch keinen Manager und keinen Agenten. Er hat nur
Müslüm. Und stellt vielleicht gerade jetzt fest, dass sie zu
zweit doch zu wenige sind, um das zu meistern, was da auf sie zurollt.
Nein, auf ihn zurollt. Denn Semih Yavsaner ist Müslüm. Und
Müslüm ist so etwas wie die grösste Schweizer Sensation
des Jetzt, der Star der Stunde. Gerade hat ihm eine Plattenfirma drei
Verträge zur Unterschrift vorgelegt. Yavsaners Problem: "Ich weiss
nicht, welchen ich unterschreiben soll."
Ein Award von Youtube
80 000 Mal wurde Müslüms Videoclip "Erich, warum
bisch
du nid ehrlich" in der letzten Woche auf Youtube angeklickt. Am Freitag
rangierte der Song gar auf Platz 35 der meistgesehenen Beiträge
bei Youtube - weltweit. Dafür hat Yavsaner sogar einen Award
erhalten. In den Schweizer iTunes-Charts ist die Single inzwischen auf
Platz 11 geklettert. Tendenz: stark steigend. Ziemlich viel Aufsehen
für eine Berner Lokalgeschichte.
Damit hätte er nicht gerechnet. "Niemals", sagt
Yavsaner,
der immer noch versucht, herauszufinden, wie es so kommen konnte. Der
immer noch versucht, diese veränderte Welt zu begreifen.
Fünfzehn Jahre arbeitet er schon als Künstler. Und nun hat
ein dreiminütiger Videoclip sein Leben auf den Kopf gestellt. Das
soll mal einer verstehen.
"Die Geschichte kommt mir bekannt vor", sagt Yavsaner.
"From zero
to hero - wie Rocky Balboa."
Andererseits: Wer das Video sieht, versteht alles.
Müslüm, ein linkischer Immigrant mit starkem Akzent,
struppigem Schnauzer und einer Vorliebe für aussergewöhnliche
Klamotten erfrecht sich da, dem Fraktionspräsidenten der
Stadtberner SVP Erich Hess mal so richtig die Knöpfe reinzutun.
"Du bisch immär deprässiv, immer sind di andere schuld",
singt Müslüm über einen lüpfigen
Türk-Pop-Beat. Und: "Wir sind cheine Drögeler, Erich, warum
sagsch du das? Wir sind für de Liebä und gegä de
Fremdenhass." Das ist sein Statement zur Abstimmung über die
Reitschul-Initiative der SVP: allerfeinste Satire, die zu grossen
Vergleichen nötigt. Man denkt an Giacobbos Harry Hasler, an
Müllers Mergim Muzzafer und natürlich an den
deutsch-türkischen Vorzeige-Komödianten Kaya Yanar. Das
Umwerfende daran: Müslüm ist besser. Er bringt die Leute
nicht nur zum Lachen. Er bringt sie zum Tanzen.
Vielleicht ist es kein Wunder
Und zum Ausflippen. So wie am Mittwoch, als er mit dem
Filmteam
der SF-Peoplesendung "Glanz & Gloria" am Bärengraben war.
Tausende Leute säumten das Gehege. Da verkündete
Müslüm den Besuchern, er verfüge über die
Fähigkeit, mit den Bären zu kommunizieren. Zum Beweis stellte
er sich an die Brüstung und stiess einen Urlaut aus. Die
Bären drehten augenblicklich die Köpfe nach ihm um, setzten
sich in Bewegung und trabten in seine Richtung, 70 Meter weit. Dann,
unmittelbar vor seiner Nase, blieben sie stehen und glotzten ihn an.
Die Besucher trauten ihren Augen kaum, sie klatschten, johlten und
jubelten. Semih Yavsaner strahlt vor Glück, als er die Geschichte
erzählt. Vielleicht war es kein Wunder. Vielleicht ist das ein
Gesetz in dieser neuen Welt des Semih Yavsaner: Was Semih auch tut, es
gelingt ihm.
Das war nicht immer so. Semih Yavsaner wird 1979 in Bern
als
zweites Kind einer türkischen Gastarbeiterfamilie geboren. Die
Mutter arbeitet in der Pflege, der Vater ist Abwart, kombiniert
zeitweise mehrere Jobs, um die Familie durchzubringen. Semih
interessiert sich nicht besonders für die Schule. Nach den
obligatorischen neun Jahren verzichtet er darauf, eine Lehre zu machen.
Wozu auch, er will ja Künstler werden. Seinen Eltern bereitet er
viel Kummer in diesen Jahren. Zwischendurch absolviert er noch die
Handelsschule, von seinem Künstlertraum bringt ihn diese indes
nicht ab. Um sich über Wasser zu halten, jobbt er mal als
Pizzabäcker, mal als Call-Agent. Seine Leidenschaft gilt dem Rap
und dem Mikrofon des Berner Radios RaBe. Hier wird er später auch
die Figur Müslüm entwickeln. Doch vorerst sammelt er
schlechte Erfahrungen.
Wenn er sich bei Radiostationen bewirbt, wird er nach
seinem
Abschluss, seinem Hochschuldiplom, seiner Erfahrung gefragt. Semih
Yavsaner hat nichts vorzuweisen. Wenn er den Chefs sagt: "Ich bin ein
guter Unterhalter", kriegt er fünf Minuten Zeit, sie davon zu
überzeugen. Aber lustig sein auf Befehl, das liegt ihm nicht.
Später steckt Semih Yavsaner seine Energie in den Soundtrack zum
Schweizer Film "The Ring Thing". Die Persiflage auf "Lord of the Rings"
wird zum grössten Flop der Schweizer Filmgeschichte. Und Semih
Yavsaner verliert allmählich den Mut.
Die Mächtigen am Draht
Erst als er zum Radio RaBe zurückkehrt, geht es
aufwärts. Yavsaner kriegt eine eigene Sendung: Semih's Supreme
Show. Er macht Interviews, Sketche und Telefonscherze. Und hier hat
Müslüm seine ersten grossen Auftritte. Müslüm ruft
in einer Käserei an und schlägt dem Besitzer vor, das
Geschäft gemeinsam zur Kebab-Bude umzubauen. Müslüm
erkundigt sich beim Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank,
warum die Zürcher Langstrasse nicht als Sujet für die neue
20-Franken-Note taugt. Müslüm bewirbt sich bei der Berner
Kantonspolizei. Sein Problem, die Sache mit dem
Tankstellenüberfall vor vier Jahren. Drei Menschen seien dabei
gestorben. "Aber meine Chollege hat geschossen", sagt Müslüm
der Personalleiterin. Und dass er ein besserer Mensch geworden sei. Den
Job als Polizist kriegt er trotzdem nicht.
Die Lacher aber hat er auf seiner Seite. Das Geheimnis der
Telefonscherze: Müslüm ruft die Mächtigen an, die
Respektierten und die Angesehenen. Und dann spricht er mit ihnen, als
wären sie seinesgleichen.
Aber: Was will er denn genau, dieser Müslüm?
Semih
Yavsaner denkt lange nach. "Müslüm hat ein emotionales ADS.
Er liebt alle Menschen und will es ihnen zeigen. Müslüm will
die Leute glücklich machen. 364 Tage im Jahr sind die Menschen
grob. Dann kommt Weihnachten und sie sind nett zueinander.
Müslüm versteht das nicht. Er möchte, dass immer
Weihnachten ist."
Was, wenn nichts kommt?
Ein gutes Stichwort. Eine Woche dauert Semih Yavsaners
Weihnachten nun schon. Später im Interview fragt er gleich selbst:
"Wie lange noch?" Der Rummel könnte schnell wieder vorbei sein. Es
herrscht eine doppelte Unsicherheit in Semih Yavsaners neuer Welt. Was
kommt als Nächstes? Und was, wenn als Nächstes gar nichts
kommt? Klar, er hat jetzt einen Hit, aber immer noch keine
Hochschuldiplome. Semih Yavsaner spricht von Theaterkursen, die er
besuchen will. Vielleicht auch mal in eine Vorlesung gehen.
Drehbücher schreiben, das fände er toll. "Aber wie soll das
gehen? Ich habe in meinem Leben drei Bücher gelesen. Maximal."
Die Drehbücher verschiebt Semih dann doch auf
später.
Im Dezember soll das erste Album von Müslüm erscheinen.
Natürlich: ein Weihnachtsalbum. Semih Yavsaner muss sich nur noch
einen Manager zulegen und sich für den richtigen Plattenvertrag
entscheiden. Tönt eigentlich ganz einfach.
Müslüm auf Youtube: Suche mit den Stichworten
"Müslüm" und "Erich".
---
Bund 13.8.10
SVP wirbt für Verkauf der Reitschule
Das Initiativkomitee rund um den Präsidenten Erich J.
Hess
hat gestern die Abstimmungskampagne zu "Schliessung und Verkauf der
Reitschule" lanciert. Im "Bund"-Interview spricht Hess, SVP-Gross- und
-Stadtrat, über die Kultur der Reitschule, Angriffe gegen seine
Person und die Chancen, dass die Initiative am 26. September von der
Berner Stimmbevölkerung angenommen wird. (reh) - Seite 19
--
"Bern ohne die Reithalle wäre keine kulturelle Wüste"
Erich J. Hess, Präsident des Initiativkomitees gegen
die
Reitschule, hofft, dass aus dem Kulturzentrum etwas "Anständiges"
wird.
Interview: Rahel Bucher
Viele Berner schätzen die Reitschule für ihr
kulturelles Angebot. Waren Sie auch schon an einer Veranstaltung in der
Reitschule?
Nein, ich war noch nie an einem kulturellen Anlass.
Erstens, weil
die Reithalle keine Kultur bietet, die mich anspricht. Zweitens
wäre es wahrscheinlich zu gefährlich, wenn ich mich in der
Reithalle zeigen würde. Die Aggressionen gegen meine Person sind
etwas hoch.
Sie haben sich also nie ein eigenes Bild von der
Reitschule
gemacht?
Doch, etwa vor drei Jahren. Damals habe ich im Stadtrat
einen
Wettbewerb gewonnen. Der Preis war die Besichtigung der Reithalle. Ich
bin nur gegangen, weil mir die Reitschüler zugesichert haben, dass
sie sich um meine Sicherheit sorgen werden. Das haben sie auch gemacht.
Schon drei Mal - 1990, 2000 und 2005 - haben sich die
Berner
gegen eine kommerzielle Umnutzung der Reitschule ausgesprochen. 1999
stimmten sie auch einem Sanierungskredit zu. Wieso ist jetzt der
richtige Zeitpunkt, zum vierten Mal über die Schliessung
abzustimmen?
Richtige Schliessungsinitiativen gab es seit 20 Jahren
nicht
mehr. Ich glaube, nach 20 Jahren dürfen wir wieder einmal
über die Schliessung der Reithalle diskutieren. Die Reithalle hat
immer wieder Verbesserung versprochen, was nie eingetroffen ist. Das
beste Beispiel ist der 6. Oktober 2007, als die Reitschüler die
Kundgebung gegen die SVP organisierten und dabei die ganze Stadt kurz
und klein geschlagen haben. Besserung gibt es erst seit eineinhalb
Jahren, also seitdem unsere Initiative eingereicht wurde.
Ihre Gegner werfen Ihnen vor, die Initiative zur
Selbstprofilierung (im Hinblick auf die Grossratswahlen im
Frühling 2010) lanciert zu haben. Was sagen Sie dazu?
Die haben sonst keine oder zu wenig Argumente gegen die
Initiative. Deshalb werde ich wahrscheinlich persönlich relativ
häufig und stark angegriffen. Dies obwohl auch sehr viele andere
Bernerinnen und Berner sehen, dass es an der Zeit ist, die Reithalle zu
räumen.
Kino, Einkaufszentrum oder Sporthalle: Wird die Initiative
angenommen, soll die Reitschule vom meistbietenden Käufer
umgenutzt werden. Warum lassen Sie die künftige Nutzung der
Reitschule offen?
Wir wissen ja noch nicht, wer schlussendlich am meisten
zahlen
wird für die Reitschule. Mich würde es natürlich freuen,
wenn etwas Anständiges reinkommt. Seien das
Büroräumlichkeiten, Einkaufsläden, ein Barbetrieb oder
eine Markthalle. Da bestehen viele Möglichkeiten. Sobald jemand
die Reithalle gekauft hat, muss der Käufer die Verantwortung
dafür tragen. Somit können sich nicht mehr alle herausreden.
Sie bezeichnen die Reitschule als rechtsfreien Raum und
Hort
für Gewalt, Terrorismus und linksextremes Gedankengut. Denken Sie,
diese Phänomene mit der Schliessung der Reithalle aus Bern zu
verbannen?
Ich glaube, dass sich durch die Schliessung der Reitschule
die
Probleme aus dem Zentrum heraus verlagern und dadurch massiv kleiner
würden. Natürlich müsste die Polizei gerade in der
Anfangsphase genug repressiv sein, damit es zu keiner Verlagerung in
die Stadt hinein kommt.
Die Reitschule ist ein Ort, an dem sich Randgruppen und
Minderheiten auf- halten können. Wo sollen Sie hin, wenn es die
Reitschule nicht mehr gibt?
Es kann nicht die Aufgabe der Stadt sein, solchen
Randgruppen
mitten in der Stadt ein Zuhause zu bieten. Zudem kommen viele Leute,
die sich in der Reitschule aufhalten, von ausserhalb der Stadt Bern.
Ich bin der Meinung, dass Bern nicht auf die ganze Welt aufpassen muss.
Jede Gemeinde soll sich um ihre eigenen Randständigen kümmern.
Mit der Schliessung der Reitschule würden viele
Berner einen
Ort verlieren, der für sie eine hohe kultur- und
gesellschaftspolitische Bedeutung und Tradition hat. Was für
Alternativen gibt es?
In Bern gibt es viele subventionierte und ähnlich
gelagerte
Kulturbetriebe. So zum Beispiel den Progr, das Wasserwerk, den
Gaskessel und . . . Ich glaube nicht, dass Bern ohne Reithalle
plötzlich eine kulturelle Wüste wäre. Im Gegenteil: Es
würde die privat schaffende Kultur anregen.
Gemeinderat und Stadtrat lehnten die SVP-Initiative klar
ab. Wie
schätzen Sie die Chance ein?
Der Abstimmungskampf ist gerade erst angelaufen, und wir
wissen,
dass in der Stadt Bern sehr viele Linke wohnen. Wir müssen es
schaffen, die Leute über die bestehenden Missstände wie
Kriminalität, gewalttätige Demonstrationen, Drogendeal in und
rund um die Reithalle aufzuklären. Allenfalls können wir eine
knappe Mehrheit erreichen.
Der Promotor der letzten Anti-Reitschule-Initiative,
Stadtrat
Simon Glauser (SVP), ist im Initiativkomitee nicht dabei. Ist die
Initiative auch in Teilen der SVP umstritten?
Unsere Botschaft, dass die Reithalle geräumt und an
den
Meistbietenden verkauft werden soll, ist nicht bestritten.
--
Anti-Reitschule-Initiative
SVP will Schliessung und Verkauf
Das Initiativkomitee der Volksinitiative "Ja zu
Schliessung und
Verkauf der Reitschule" hat gestern seinen Abstimmungskampf
eröffnet. Die Initiative fordert die Schliessung und den Verkauf
der Reitschule an den Meistbietenden. Erich J. Hess, Grossrat und
Stadtrat SVP, Alexander Feuz, Präsident FDP Bern-Kirchenfeld,
Roland Jakob, Vizepräsident SVP Stadt Bern, und Kevin Huber,
Präsident Junge SVP Stadt Bern, begründen die Initiative
damit, dass die jetzigen Zustände in und um die Reitschule
unhaltbar seien und sich dringend etwas ändern müsse. Ob die
Reitschule als Ort der Angst oder als Ort von kultur- und
gesellschaftspolitischer Bedeutung für die Stadt Bern wahrgenommen
wird, werden die Berner am 26. September entscheiden. (reh)
---
BZ 13.8.10
Reitschule
"Es herrscht Chaos und Gewalt"
Die Befürworter einer Reithalle-Schliessung
eröffneten
gestern ihren Abstimmungskampf für den Urnengang im September.
Seine Initiative zur Schliessung der Reitschule habe
bereits
einiges bewirkt, sagte SVP-Stadtrat und Grossrat Erich Hess gestern vor
den Medien: "Seit der Lancierung vor anderthalb Jahren herrscht rund um
die Reitschule Ruhe." Damit werde es bei einem Nein zur Initiative am
26. September rasch vorbei sein: "Dann gibts in Bern wieder ein
Riesenchaos." Denn für Hess und seine Mitstreiter ist klar: Das
Kulturangebot in der Reitschule ist bloss ein "Feigenblatt für
kriminelle Handlungen". Die Reitschule sei ein rechtsfreier Raum, in
und um das Gebäude herrsche Chaos und Gewalt, sagte Alexander
Feuz, Präsident der FDP Kirchenfeld. Die städtische FDP hat
noch keine Parole gefasst.
Was gute Kultur ist
Bei einer Schliessung der Reithalle würde Berns
kulturelles
Angebot nicht verarmen, sagte Erich Hess: "Progr, Gaskessel und
Wasserwerk sprechen ungefähr dieselbe Klientel an." Die Reitschule
biete ein tendenziöses Kulturprogramm, welches keine finanzielle
Unterstützung durch die Stadt verdiene. "Gute Kultur ist jene
Kultur, die sich selber finanziert", schloss Hess.
Budget von 20 000 Franken
Roland Jakob, Vizepräsident der städtischen SVP,
skizzierte, was aus der Reitschule bei einem Ja am 26. September werden
könnte: eine Nutzung durch Gewerbetreibende sei ebenso
möglich wie "die erste integrative Wohnform und Begegnungszone
für Jung und Alt". Gemäss der Initiative soll das
Gebäude an den Meistbietenden verkauft werden.
Obschon sich die Stadtberner Bevölkerung in den
letzten
Jahren bereits viermal für den Weiterbestand der Reitschule
geäussert hat, sieht Hess eine reale Chance auf ein knappes Ja zu
seiner Initiative: "Dafür müssen wir den Sand aus den Augen
der Leute kriegen, welche die Reitschüler mit ihrer aufwendigen
Kampagne gestreut haben." Hess spielte damit auf die breite
Unterstützung der Nein-Kampagne durch Kulturschaffende an, welche
unter anderem mit einer CD und Videoclips für die Reitschule
Stimmung machen. Hess und sein Komitee verfügen laut eigenen
Angaben bloss über ein Budget von 20 000 Franken.
azu
---
20 Minuten 13.8.10
Reitschul-Abstimmung: SVP buhlt nochmals um Stimmen
BERN. Das Tauziehen um die Berner Reitschule geht in die
letzte
Runde: Nach dem Anti-Hess-Song von Initiativgegnern schlägt die
SVP jetzt nochmals kräftig die Werbetrommel - auch mit linken
Ideen.
Galten bisher die Drogenszene, Vandalismus und Gewalt als
Erich
Hess' Hauptargumente für den Verkauf der Reitschule, geht der
SVPler jetzt einen Schritt weiter, denn seit der Veröffentlichung
des Müslüm-Spott-Videos weht ein anderer Wind. "Es kann nicht
sein, dass Kultur produziert wird, die niemanden interessiert",
provoziert Hess die Kulturschaffenden.
Die Berner Rapperin Steff la Cheffe kontert: "Die Musik,
die in
der Reitschule gespielt wird, findet bestimmt ein grösseres junges
Publikum als Schwiizerörgeli." Sie würde es begrüssen,
wenn Hess als bekennender Freund der Volksmusik mal in die Reitschule
kommen und deren vielfältiges Programm kennenlernen würde.
Das Initiativkomitee betont, es sei der Kultur nicht
grundsätzlich abgeneigt, und schlägt vor, aus der Reitschule
könnte ein Museum oder ein Mehr-Generationen-Wohnhaus mit
Begegnungszone entstehen.
Trotz kulturfreundlicher Haltung: Auf den Verwendungszweck
des
Gebäudes hat auch die SVP keinen Einfluss. Würde die
Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" angenommen,
hätte nämlich der Meistbietende das Sagen. bigna
silberschmidt
---
Tagesanzeiger 13.8.10
Semih Yavsaner Die Kunstfigur des Berner Satirikers
türkischer
Herkunft wird zum Star auf Youtube.
Müslüm kämpft für die Reitschule
Von Christoph Lenz
Bis vor zehn Tagen hätten sich höchstens
Soziologen
für den Fall Semih Yavsaner interessiert: männlich, 30 Jahre
alt, mit Handelsschulabschluss und Migrationshintergrund,
vorübergehend arbeitslos. Jetzt kennt ihn die ganze Schweiz. Der
Berner Semih Yavsaner ist Müslüm, ein linkischer Immigrant
mit struppigem Schnauzer, starkem Akzent und einer Vorliebe für
ausgefallene Klamotten. Und Müslüm, das ist der helvetische
Youtube-Star der Stunde. 80 000-mal wurde sein Videoclip "Erich, warum
bisch du nid ehrlich" in einer Woche angeklickt. Am Freitag rangierte
der Song auf Platz 35 der meistgesehenen Beiträge bei Youtube.
Weltweit. Ziemlich viel Aufsehen für eine Berner Lokalgeschichte.
Am 28. September stimmt die Stadt Bern über eine
Initiative
ab, die den Verkauf des alternativen Kulturzentrums Reitschule fordert.
Treibende Kraft hinter dem Volksbegehren ist Erich Hess,
Fraktionspräsident der Stadtberner SVP. Ein 29-jähriger
Politaufsteiger, der rhetorische Zurückhaltung für eher
überschätzt hält. Besucher der Reitschule bezeichnet
Hess gerne als Terroristen, Drogendealer oder Drögeler.
Müslüm sieht das etwas anders: "Wir sind cheine
Drögeler, Erich, warum sagsch du das? Wir sind für de Liebe
und gegen de Fremdenhass." Das singt Müslüm in seinem
Videoclip. Der Text ist unterlegt mit lüpfigem Türk-Pop. Der
Videoclip: ein schrilles Spektakel aus Boygroup-Choreografie, Agitation
und feinster Satire.
Der Erfolg ist so durchschlagend, dass plötzlich alle
ein
Stück von ihm wollen. Erst waren es nur die Freunde und Bekannten
auf Facebook, dann klopften die Medien an, nun eine Plattenfirma. "Bei
mir zu Hause liegen drei unterschriftsreife Plattenverträge", sagt
Yavsaner, der nicht weiss, welchen er unterzeichnen soll. Er habe
keinen Manager und wenig Ahnung vom Geschäft. Immerhin, diese
Geschichte kommt ihm bekannt vor: "From zero to hero - genau wie Rocky
Balboa."
Mit Rocky verbindet ihn nicht nur der rasante Aufstieg,
sondern
auch die Biografie. Semih Yavsaner ist der Sohn türkischer
Gastarbeiter. Nach den obligatorischen neun Schuljahren verzichtete er
auf eine Lehre. Warum auch, er wollte ja Künstler werden. Seine
Eltern sorgten sich zwar, unterstützten ihn aber trotzdem. Um sich
über Wasser zu halten, arbeitete Yavsaner mal als
Pizzabäcker, mal als Call-Agent. Am Feierabend rappte er,
ausserdem moderierte er eine Radiosendung im Berner Alternativradio
RaBe.
Hier entwickelte Yavsaner die Figur Müslüm.
Seine
Spezialität: Telefonscherze. Müslüm ruft in einer
Käserei an und schlägt dem Besitzer vor, das Geschäft
gemeinsam zur Kebab-Bude umzubauen. Müslüm erkundigt sich
beim Präsidenten der Schweizerischen Nationalbank, warum die
Zürcher Langstrasse nicht als Sujet für die neue
20-Franken-Note taugt. Müslüm bewirbt sich bei der Berner
Kantonspolizei. Sein Problem, die Sache mit dem
Tankstellenüberfall vor vier Jahren.
Bei all seinen Gags baut Müslüm auf ein
Urprinzip der
Satire: Sie zeigt die Lächerlichkeit der Macht. Aber was will er
überhaupt, dieser Müslüm? Semih Yavsaner denkt nach.
"Müslüm will die Leute glücklich machen. 364 Tage im
Jahr sind die Menschen grob. Dann kommt Weihnachten, und sie sind nett
zueinander. Müslüm versteht das nicht. Er möchte, dass
immer Weihnachten ist."
Darauf arbeitet Yavsaner hin. Im Dezember soll das erste
Album
von Müslüm erscheinen. Natürlich: ein Weihnachtsalbum.
Yavsaner muss sich nur noch für den richtigen Plattenvertrag
entscheiden.
---
Telebärn 12.8.10
Reitschul-Komitee bläst zum Angriff
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/reitschulkomitee-blast-zum-angriff/c=84713&s=999305
---
Blick am Abend 12.8.10
"Die Melodie gefällt mir"
KAMPF
Erich Hess findet den Müslüm-Song über ihn
und die
Reithalle gut - nur der Text sei schwach.
Heute startete das Komitee, das die Reithalle an den
Meistbietenden verkaufen möchte, den Abstimmungskampf. "Für
Flyer und Plakate haben wir ein Budget von rund 20 000 Franken", sagt
Initiant und SVP-Grossrat Erich Hess.
Für Aufsehen sorgten im Abstimmungskampf bisher vor
allem
die Initiativ-Gegner mit dem Müslüm-Song "Erich, warum bisch
Du nid ehrlich", der in der iTunes-Hitparade bereits auf Platz 13 ist.
Was sagt Hess zum Song? "Die Melodie gefällt mir, aber der Text
ist schwach. Offenbar müssen die Gegner auf meine Person zielen,
weil ihnen Argumente gegen die Initiative fehlen." ehi
---
bzonline.ch 12.8.10
Komitee wirbt für Schliessung und Verkauf der Reitschule
sda / vh
Die Stimmberechtigten der Stadt Bern entscheiden im
September ein
fünftes Mal über das Schicksal der Reitschule. Ein Verkauf
der Reitschule würde das Budget der Stadt entlasten, argumentiert
das Initiativkomitee.
Rechtsbürgerlichen Kreisen ist das alternative
Kulturzentrum
schon lange ein Dorn im Auge, sie haben am Donnerstag einmal mehr
dessen Schliessung und Verkauf gefordert.
Die Reitschul-Verantwortlichen setzten sich über
Vorschriften des Rechtsstaats hinweg. Unter dem Deckmantel des
kulturellen Angebots werde aber Extremismus, Drogenhandel und
Kriminalität gefördert, schreiben die Vertreter des
Initiativkomitees in einer Mitteilung vom Donnerstag.
Deshalb müsse die Reitschule geschlossen und verkauft
werden, wie dies die entsprechende Initiative verlange. In der
Reitschule und um die Reitschule herrsche Chaos und Gewalt, sagte
Alexander Feuz, Präsident der FDP Bern-Kirchenfeld, dessen Sektion
die Initiative unterstützt. Die FDP-Stadtpartei hat noch keine
Parole gefasst.
Verkauf würde das Budget der Stadt entlasten
Hinter dem Initiativkomitee steht insbesondere die Junge
SVP. Der
Berner SVP-Stadtrat und Grossrat Erich Hess sagte, in Bern gebe es
ohnehin schon zu viele Kulturbetriebe, die mit Steuern subventioniert
würden. Ein Verkauf der Reitschule würde das Budget der Stadt
entlasten.
Die Reitschul-Sympathisanten sind ebenfalls schon in den
Abstimmungskampf gezogen. Unterstützung erhalten sie unter anderem
von verschiedenen Berner Künstlern, die jüngst eine CD unter
dem Titel "Reitschule beatet mehr" herausgegeben haben.
Das alternative Kulturzentrum erregt seit Jahren die
Stadtberner
Gemüter. Für manche ist sie ein Schandfleck mitten in der
Stadt, für andere eine seltene Kulturoase. Die Stadtberner
Stimmberechtigten haben sich bereits viermal mit der Schliessung der
Reitschule befasst und sie jedes Mal abgelehnt.
---
WoZ 12.8.10
Noch ein Bundesratskandidat? - Der Klischeetürke
Müslüm
hat mit einem Lied für die Berner Reitschule einen Hit gelandet.
Ein Gespräch mit Müslüm und seinem Erfinder oder Manager
Semih Yavsaner.
Flügeli auch für Erich
Von Dinu Gautier (Text) und Manu Friederich (Foto)
Wer ist der Mann, der einen rosaroten Armani-Anzug und
einen
struppigen Schnurrbart trägt? Der Mann heisst Müslüm,
zur Begrüssung jault er auf, gestikuliert, zieht Grimassen, redet
von "Adrenalin", "Aggressione" und "Schlegele".
Dennoch hat man das Gefühl, der würde keinem
Lämmli etwas zuleide tun. Falsch: Müslüm ist
0ausgebildeter Metzger. In die Schweiz ausgewandert, musste er
erfahren, dass sein Diplom hierzulande wenig wert ist. Bei der Polizei
wollte man ihn nicht anstellen. Er geriet auf die schiefe Bahn.
Arbeitslosigkeit, Alkohol- und Spielsucht. Für die Gehilfenschaft
bei einem Tankstellen überfall sass er gar vier Jahre im
Gefängnis. Heute sagt er: "Roulette, Roulette, du hasch mini Lebe
kaputt gemacht." Müslüm ist verheiratet mit Roswitha, einer
Schweizerin. Auf die Frage nach der Anzahl Kinder weicht er aus: "Da
fühl ich mich ein birrebitzeli wie ein Meterolog, der unsicher
isch, wie das Wetter denn morge isch."
Müslüm sei keine real existierende Person,
behaupten
böse Zungen. Semih Yavsaner, in Bern geborener Sohn
türkischer MigrantInnen, habe die Figur im Rahmen seiner Sendung
im alternativen Lokalradio Rabe erfunden, um Telefonscherze zu
produzieren.
Dort isch de Subchultur
Gegenüber der WOZ bestreitet Müslüm diese
Darstellung: "Semih hat mich zwar erschaffen, er isch aber eher eine
Art Manager von mir." Momentan ist Müslüm sein eigener Erfolg
wichtiger: Noch muss er sich daran gewöhnen, auf der Strasse von
Fremden erkannt zu werden. Vor einer Woche veröffentlichte er im
Internet den Videoclip zu seinem ersten Song "Erich, warum bisch du nid
ehrlich?". Es ist seither über 70 000 Mal angeschaut worden - ein
Selbstläufer. Das Lied mit Hitpotenzial wirbt für ein Nein
zur zigsten SVP-Initiative für eine Schliessung des alternativen
Kulturzentrums Reitschule (siehe WOZ Nr. 31/10). SVP-Jungspund Erich
Hess hatte die Initiative lanciert, Müslüm zeigt ihm im
Videoclip, wie richtige Lokalpolitik funktioniert, wie man die Massen
für skurrile Vorstösse begeistern kann.
Müslüm zur WOZ: "Die Politiker wollen die
Reitschule
schliesse, dort isch de Subchultur. Aber die Kasino und die
Rotlichtmilieu isch geöffnet. Wo gehen denn unsere Chinder
häre, nach zehn Uhr, wenn der Mehmet sein Döner nicht mehr
verchouft und der Hansueli seine Käserei schon lange zu hat?"
Die Leute in der Reitschule seien nicht wie der
Lokalpolitiker
Hess "mit seine wunderschöne Haarfrisur", der sich nicht getraue,
"füdeliblutt auf eine grosse Haufe zu liege und Liebe zu mache".
Müslüm vertritt ein der SVP radikal entgegengesetztes
politisches Programm: "Generell sind wir für die Friede, für
die Liebe, für die Vielfalt, für das wir alle in einem Boot
sitze. Auch wenn der Erich Hess rausfliegt, werden wir ihm eine
Schwimmflügeli hintenache schiesse und sage: ‹Erich chomm,
für dich hat es auch eine Plätzli!›"
Plötzlich ist Müslüm verschwunden und Semih
Yavsaner sitzt da. Von der einen auf die andere Sekunde verwandelt sich
die Sprache, die Tonlage, die Gestik, der Blick. Yavsaner spricht
Berndeutsch, spricht schnell und mit grosser Ernsthaftigkeit. Der
Schalk aus Müslüms Augen ist weg, nicht aber die rhetorische
Energie.
Yavsaner erzählt von einer "sehr schönen
Kindheit" im
Berner Wylerquartier, von seinen Eltern, die als Saisonniers in die
Schweiz gekommen und hier geblieben sind. Die Mutter, die für die
Spitex arbeite, der Vater, der diverse Abwartsstellen kombiniert und
bis zu sechzehn Stunden am Tag gearbeitet habe, bis er vor ein paar
Jahren einen Herzinfarkt erlitt. Semih Yavsaner spielte Fussball, war
beim Nachwuchs der Young Boys, die Schule sei ihm weniger gelegen. Er
habe rebelliert, das sei nicht einfach gewesen, seinen Eltern
gegenüber. Sie, die so hart gearbeitet hätten, und er, der
ihnen sagte, er wolle es als Künstler, als Schauspieler versuchen.
Wenn die SVP über Ausländer oder IV-Bezüger
herziehe, mache ihn das richtig wütend. Mit seiner Figur
Müslüm teilt er die Abneigung gegen das Gleichgeschaltete,
gegen die "Robocops", die alle wie ferngesteuert in eine Richtung
gingen, sich nie berührten. "Es kann nur Leben entstehen, wenn man
durcheinander geht, auch einmal aufeinanderprallt." Er selber habe viel
Party gefeiert, auch mal "Scheisse gebaut", langweilige
Gelegenheitsjobs gemacht. Ein Handelsschuldiplom erlangte Yavsaner dann
doch noch. Es folgten ein paar Jobs in der Telekommunikationsbranche.
1998 war Semih Yavsaner zum ersten Mal am Berner
Kulturradio Rabe
zu hören. "Ich bin hingestanden und habe irgendetwas erzählt.
Mein Prinzip war: Nicht überlegen, machen!" Die Sendung wurde
abgesetzt. "Ich war wohl ein bisschen zu primitiv", sagt Semih heute.
Neun Jahre danach kehrte er zurück. "Semih Supreme Show" hiess die
Sendung. Hier wurde Müslüm geboren, zunächst noch als
namenlose Stimme. Müslüm machte Telefonscherze, der wohl
beste ist im Internet zu finden: Müslüm ruft bei der
Kantonspolizei Bern an: "Personaldienst, Kündig."
Müslüm: "Guten Tag Frau Kündig, bitte nid kündigen,
i wott frage für Arbeit." Es folgen sechs Minuten skurriler Dialog
mit einer zunehmend irritierten Frau Kündig, die, als sie vom
Tankstellenraub (mit Toten!) hört, sagt: "Dir heit haut scho grad
öppis e chli Schlimms gmacht."
Müslüm for President
Das Zürcher Privatradio "105" warb Yavsaner ab.
"Müslüm - der Mann mit dem Telefonscherz" ging täglich
auf Sendung, über 150 Mal. "Eine Leidenschaft wurde zur Arbeit."
Mit dem Druck umzugehen, jeden Tag einen Telefonscherz hinzubekommen,
der auch noch lustig sein muss, sei nicht einfach gewesen. "Das
Schlimmste für einen Komödianten ist es, wenn er sein eigenes
Material nicht lustig findet und es trotzdem ausgestrahlt werden muss",
so Yavsaner. Seit Juni arbeitet er nicht mehr für das Radio. In
diesen Tagen hat sich eine neue berufliche Perspektive für den
Vater eines kleinen Kindes aufgetan: "Es haben sich Plattenfirmen bei
mir gemeldet, die den Videoclip gesehen haben."
Plötzlich ist Müslüm wieder da. Er gibt
"anatolische Weisheite" von sich: "Die Lebe isch wie eine
Fussballspiel, wenn du in der erste Halbzeit hinten liegsch, dann musst
du in der zweiten Halbzeit viele Tore schiesse - auch ohne Georges
Bregy." Eine letzte Frage an den Mann, der wohl bald die Charts
stürmt: Wie ernst ist es ihm mit seinem Slogan "Müslüm
for President"? Schielt er auf die frei werdenden Bundesratssitze?
Müslüm: "Motivitation isch gross, aber ich habe mich gar
nicht informiert über das. Darum am beste i gehe mal in de
Internet, und dann schau ich mal an."
Der Müslüm-Song ist auf dem
ReitschuleSampler
(www.reitschulebeatetmehr.ch) und auf iTunes zu finden.
---
Bund 11.8.10
Leserbriefe
Reitschule Im Herbst entscheiden die Berner, ob das Zentrum
geschlossen
wird, diverse Artikel im "Bund"
Verantwortung für die Reitschule übernehmen
Mit Interesse verfolge ich, welche prominenten
Künstler und
Musiker sich zurzeit hinter die Reitschule stellen. Ihr Engagement
zeigt: Das von Polemikern gerne als "Schandfleck" verteufelte
Jugendkulturzentrum ist ein Ort der Inspiration für gestandene
Musikgrössen wie Kuno Lauener oder Nachwuchstalente wie Steff la
Cheffe. In kultureller Hinsicht hat die Reitschule ohne Zweifel viel zu
bieten.
All jene Prominenten, welche die kulturelle Schaffenskraft
der
Reitschule betonen, verschweigen aber deren Schattenseiten. Es
gehört leider genauso zur Geschichte - und auch zur Gegenwart -
der Reitschule, dass eine Minderheit von ihr der gewalttätigen,
linksextremen Szene angehört. So wird das Jugendkulturzentrum noch
immer von Demochaoten als Planungs- und Rückzugsort missbraucht.
Auch finden immer noch Attacken aus der Reitschule auf
Einsatzkräfte von Polizei, Feuerwehr und sogar Sanität statt.
Die grosse Mehrheit von friedlichen Kulturschaffenden rund
um die
Reitschule hat es bisher versäumt, sich gegen diese
gewalttätigen Gruppierungen zur Wehr zu setzen.
Insofern bietet die vorliegende Reitschul-Initiative eine
Chance:
Die grösstenteils wohlhabenden Prominenten könnten zeigen,
dass ihre Begeisterung für die Reitschule über müde
Lippenbekenntnisse hinausreicht. Sie könnten das
Jugendkulturzentrum gemeinsam kaufen und damit einen Wendepunkt seiner
über 20-jährigen Geschichte einleiten.
Erstens wäre damit die Reitschule definitiv als
kultureller
Freiraum in Bern verankert, und die ewigen politischen Zankereien
wären beendet. Zweitens könnten die neuen Eigentümer
Verantwortung übernehmen und der kleinen, gewalttätigen
Minderheit den Kampf ansagen. Wäre ihr Engagement dabei nur halb
so gross wie zurzeit gegen die Initiative, würde wohl schon bald
Ruhe einkehren.
Dass der Kauf und Erhalt eines Kulturzentrums möglich
ist,
hat jüngst die Künstlerinitiative Pro Progr gezeigt. Also,
Kuno Lauener und Co.: Steht hin für eure Ideale und übernehmt
Verantwortung.
Bernhard Eicher Stadtrat FDP, Bern
---
Blick am Abend 10.8.10
Müslüm jetzt auf iTünes
SÜPER
Komiker Müslüm gibts jetzt auch auf iTunes. Sein
Song
fliegt über Nacht in die Hitparade.
Der Anti-Hess-Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich" ist
der
Renner auf Youtube. Jetzt gibts Kult-Komiker Müslüm aber auch
schon auf iTunes zu kaufen. Für 1.60 Franken ist die Single zu
haben.
Der Song hat auch bei den Downloads eingeschlagen wie eine
Bombe.
Erst seit Dienstagabend erhältlich, lag der Titel
heute
Morgen um 6 Uhr schon auf Platz 23 der Single-Charts, Tendenz steigend.
Die iTunes-Gemeinde hat Müslüm schon ins Herz geschlossen:
"Love it! Schlichtweg der Sommerhit für den Berner Herbst", lautet
ein Kommentar. Müslüm ist begeistert: "Dieser Erfolg ist der
Beweis, dass die Leute immer noch ein Herzeli haben für die Liebe."
Mit dem Riesenerfolg hat niemand gerechnet, auch
Müslüm
selbst nicht. Doch jetzt hat der Komiker schon wieder einen neuen
Traum: "Dass alle meine Brüder den Song kaufen. Dann machen wir
eine richtige Party, aber ohne Drögeli." pp
---
20 Minuten 10.8.10
Schweizer Musikszene setzt sich für die Reitschule ein
Various, "Reitschule beatet mehr", Endorphin
Entertainment/Irascible.
POP. Wenn sich die hiesige Musikszene für eine
gemeinsame
Sache - in diesem Fall gegen die Schliessung der Reithalle einsetzt,
kann das Werk gross werden. Auf der politischen Scheibe rappen Baze,
Steff la Cheffe und Allschwil Posse, singen Züri West, Patent
Ochsner und Sophie Hunger und laden die Kummerbuben zum Tanz. Der
Silberling vereint diverse Musikstile für einen politischen Zweck.
Ebenfalls auf der CD befindet sich der Song von Müslüm
"Erich, warum bisch du nid ehrlich". Der Clip zum Song erfreut sich
auch auf YouTube grosser Beliebtheit. In drei Tagen wurde das Video
fast 50 000-mal angeschaut. LSP
---
Blick am Abend 10.8.10
Müslüm for Bundesrat
REITHALLE
Sein Anti-Hess-Video ist ein Hit auf Youtube. Jetzt
spricht
"Müslüm" Klartext.
peter.pflugshaupt@ringier.ch
Ein Youtube-Video erobert die Hauptstadt: "Erich, warum
bisch du
nid ehrlich?" Gemeint ist SVP-Stadtrat Erich Hess. Konkret geht es um
den Abstimmungskampf zur Reithalle-Schliessung vom 26. September, der
jetzt schon hart und emotional geführt wird. Hess und sein Komitee
wollen die Schliessung der Reitschule an der Urne erzwingen. Jetzt
kontern Freunde der Reithalle mit einer scharf gewürzten Antwort
in Form einer absolut tanzbaren Videobotschaft auf Youtube. Mit Erfolg.
"Der Song geht ab wie Usain Bolt", sagt Protagonist Müslüm.
Der freche Clip hat sensationelle Downloadzahlen. Telefonscherz-Mann
"Müslüm" verhöhnt dabei den Präsidenten der jungen
SVP. Im Video mit dabei sind Berner Musiker wie Greis, Tomazobi oder
Steff La Cheffe.
Hätte "Müslüm" den Schweizer Pass, er
würde
natürlich gegen die SVP-Initiative stimmen. Mehr noch: "Ich
würde als Bundesrat kandidieren! Wenn einer wie Hess
Parteipräsident wird, dann kann ich auch Bundesrat werden."
Bis vor Kurzem kannte ihn nur eine eingefleischte
Fangruppe -
jetzt hat Müslüm Kultstatus.
Er kämpft aus Überzeugung an der Seite der
Reithallen-Freunde. Wie weit würde er bei seinem Engagement
für die umstrittene Berner Kulturstätte gehen?
Müslüm: "Bis ans Ende der Welt!"
---
BZ 7.8.10
Reitschul-abstimmung vom 26.September
Der geliebte "Schandfleck"
Musikerinnen und Musiker setzen sich für die
Reitschule ein:
Auf der CD "Reitschule beatet mehr" gibt es 22 Bekenntnisse für
den alternativen Berner Kulturort. Es ist eine Liebeserklärung an
den "Schandfleck von Bern".
Als David Flach, MC von Churchhill, den Refrain anstimmt,
fängt das Publikum an mitzunicken. "Du bisch mi Schandfläck
vo Bärn. Du bisch so randständig, bisch so unanständig."
Es ist eine Hymne an die Reitschule. Sie steht in ihrem 5.
Abstimmungskampf in 23 Jahren und hat davon unverdrossen zu einer
fröhlichen Charmeoffensive angesetzt. Zu dieser gehören
Fan-Artikel wie Badetücher und Fahnen, wöchentliche, vor
allem von älteren Semestern besuchte Führungen und jetzt eine
CD mit 22 Bekenntnissen zur Reitschule. 16 davon waren bisher
unveröffentlicht und werden exklusiv auf der Kompilation mit dem
spielerischen Namen "Reitschule beatet mehr" veröffentlicht.
Neuentdeckungen
Die Vielfalt zeigt, dass die Reitschule weit mehr als ein
Ort
bestimmter randständiger Gruppierungen ist, zu dem sie von manchen
stigmatisiert wird. Von Stiller Has über Sophie Hunger zu Patent
Ochsner liessen sich Musikerinnen und Musiker von der Idee begeistern.
In weniger als drei Monaten ist so ein abwechslungsreiches Album
entstanden, das mit politischem Inhalt aufwartet und erst noch die eine
oder andere Neuentdeckung erlaubt. Erwähnt sei an dieser Stelle
der herrlich absurde Track "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" von
Müslüm. Müslüm, eine Kunstfigur, ist mit
Telefonscherzen auf Radio RaBe bekannt geworden. Zu diesem Song gibt es
übrigens auch ein Video zum Krummlachen.
Züri West hat eine Live-Aufnahme von "Lue zersch
wohär
dass dr Wind wääit" von 2001 aus dem Dachstock beigesteuert.
"Die Reitschule ist bei uns eine ältere Geschichte", sagte
Sänger Kuno Lauener an der Release-Party im Frauenraum. Er und
Gitarrist Küse Fehlmann waren 1987 bei der Wiederbesetzung der
Reitschule an vorderster Front dabei. Auch heute noch findet Kuno
Lauener es "wunderbar, dass Bern sich so etwas wie die Reitschule
leistet".
Ein Experimentierfeld
Die Rapperin Steff la Cheffe ist ebenso von der Reitschule
geprägt worden - wenn auch Jahre später. "Ich war als
16-Jährige erstmals hier, es war für mich so etwas wie eine
Erleuchtung", sagt die 23-Jährige. Sie habe an der Offenen
Bühne im Restaurant Sous le Pont und an Hip-Hop-Jams in der
damaligen I-Fluss-Bar ihre ersten Auftritte absolviert. Dieses
Experimentierfeld schätzt sie an der Reitschule. "Und dass man
sich hier auch ohne entsprechende Ausbildung einbringen kann."
Für David Flach schliesslich bietet die Reitschule
eine
"riesige Vielfältigkeit, von einer Druckerei über Musiklokale
zu Restaurants". Deshalb sei es für ihn klar gewesen, dass er den
vermeintlichen "Schandfleck", den Touristen als Erstes sehen, wenn sie
in die Stadt einfahren, besingen wolle. Als David Flach zum zweiten Mal
den Refrain anstimmt, singt das Publikum mit.
Marina Bolzli
---
Telebärn 6.8.10
Musiker singen für Reitschule
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/musiker-singen-fur-reitschule/c=84713&s=994325
---
derbund.ch 6.8.10
22 Bands sagen Nein zur Reitschul-Initiative
Der Bund / Christoph Lenz
Jetzt schalten sich die Künstler ein: Mit einer CD
wehren
sich 22 Berner Bands und Musiker gegen den Verkauf der Reitschule.
Steff La Cheffe und Kuno Lauener erklärten gestern Abend, warum.
Vielleicht hat es auch für die Kulturschaffenden in
der
Reitschule sein Gutes, dass der Fortbestand ihres Zentrums mit
schöner Regelmässigkeit durch eine Volksinitiative bedroht
ist. Es könnte ihnen beispielsweise das Ausrichten eines
Jubiläums ersparen. Die bei runden Geburtstagen obligaten Fragen -
woher man kommt, wozu man eigentlich da ist und wohin der Weg noch
führen könnte - stellt man sich im Kulturzentrum ohnehin
immer dann, wenn eine Abstimmung ins Haus steht. Also: sehr oft in
letzter Zeit.
Gedächtnis, Herz und Verstand
Auch die gestrige CD-Vernissage im Frauenraum war eine
Sache
für das Gedächtnis, den Verstand und das Herz. Zuerst ging es
aber um den Bauch - genauer: die Wut daselbst. Denn, so erklärt
Kollektivmitglied David Böhner den geladenen Medienvertretern: "Es
scheisst schon an, ständig solche Abstimmungskämpfe
führen zu müssen. Aber wir müssen halt." Weil sich die
Reitschule einerseits bei vielen Musikern in Bern grosser Beliebtheit
erfreut, andererseits so ein Abstimmungskampf viel Geld kostet, das
irgendwie wieder reinkommen muss - deshalb hat man sich in der
Reitschule entschlossen, das Schöne mit dem Nützlichen zu
verbinden und eine CD mit Beiträgen von 22 zugewandten Berner
Bands zu veröffentlichen (siehe Box). Übrigens der erste
CD-Release in der Geschichte der Reitschule.
"Saubere Büez"
Vom allerersten Konzert in der Reitschule berichtet
anschliessend
Zeitzeuge und Züri-West-Frontmann Kuno Lauener. Die Erzählung
dreht sich um einen kanarienvogelgelben Ford Transit, neblige
Nächte, 1000 unruhige Jugendliche, ein aufgebrochenes
Türschloss und rauschende illegale Partys. Weil ihm seine Rolle
als Geschichtenonkel dann aber doch nicht ganz geheuer zu sein scheint,
kürzt Lauener, gerade als es so richtig gemütlich zu werden
droht, ab: "Eine alte Geschichte" sei die Beziehung zwischen Züri
West und der Reitschule. Beide seien sie schon seit langem da. Beide
machten sie immer noch eine, wie er findet, "saubere Büez". Und
beide gehörten sie einfach zu Bern dazu: "Hopp Reitschule! Hopp
Züri West! Hopp YB!" Das Gedächtnis, oder bei den jungen
Besuchern die Fantasie, ist ausreichend stimuliert. Danke.
Ans Herz und den Verstand appellierte zuvor die Berner
Rapperin
Steff La Cheffe, die wie Züri West einen bisher
unveröffentlichten Song zum "Reitschule beatet mehr"-Sampler
beigesteuert hat. So etwas wie eine Erleuchtung habe sie bei ihrem
ersten Besuch in der Reitschule erlebt. Sie erinnert sich an die vielen
spannenden Leute, die sie kennen lernen, und an die Möglichkeiten,
die sie an dieser Adresse entdecken durfte. "Die Reitschule ist ein
ideales Umfeld, um sich zu engagieren, um zu diskutieren und um Kultur
zu machen." Letzteres liegt Steff La Cheffe besonders am Herzen: Ihre
ersten musikalischen Gehversuche hat sie an der Offenen Bühne im
Restaurant Sous Le Pont und an den Hip-Hop-Jams in der Einfluss-Bar
gemacht. "Die Reitschule ist einer der wichtigsten kulturellen
Schauplätze Berns. Und das soll auch so bleiben." Damit waren auch
Küse Fehlmann und Gert Stäuble von Züri West
einverstanden: Und zwar "mindestens für die nächsten 30 oder
40 Jahre".
---
derbund.ch 6.8.10
Erich Hess wird in Video verspottet
Jonathan Spirig
Der Berner Stadtrat Erich Hess hat mit seiner Initiative
zur
Schliessung der Reitschule den Zorn vieler Künstler auf sich
gezogen. Kurz vor der Abstimmung rechnen Müslüm, Steff la
Cheffe, Tomazobi und andere in einem Song mit dem SVP-Mann ab.
Am 26. September entscheidet das Stadtberner Stimmvolk, ob
die
Reitschule geschlossen wird. Lanciert wurde die Initiative einst von
SVP-Stadtrat Erich Hess. Er und sein Komitee haben 5000 Personen
gefunden, die das Vorhaben unterstützen.
Fast zwei Monate vor der Abstimmung erhält Hess von
Freunden
der Reitschule eine musikalische Retourkutsche für seine
Initiative. Im Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?", nehmen
Telefonscherz-Mann Müslüm und diverse Berner Musiker den
Präsidenten der Jungen SVP Schweiz aufs Korn.
Sampler mit 22 Songs
Im professionell gemachten Videoclip fragt
Müslüm den
Politiker in gebrochenem Deutsch, ob dieser nicht genug Liebe bekommen
habe, wieso immer die anderen schuld seien und wieso er immer so
aggressiv sei. Er solle doch bitte mal ruhig bleiben. Unterstützt
wird Müslüm im Clip von Berner Musikern wie Steff la Cheffe,
Greis oder Tomazobi.
Musikalisch unterstützt wird die Reitschule aber
nicht nur
von Müslüm. Viele prominente Berner Musiker haben einen Song
für die CD "Reitschule 'beatet' mehr" beigesteuert, die am
Donnerstagabend präsentiert wurde.
Politiker aus Überzeugung
"Ich habe sehr viel Liebe bekommen von meiner Familie und
bekomme
auch heute noch viel Liebe", sagt Erich Hess am Freitagmorgen lachend.
Er unterstütze die freie Meinungsäusserung, auch wenn er vom
Song nur die Hälfte verstanden habe.
Ob die Künstler der Reitschule mit dem Song aber
wirklich
dienen, wisse er nicht. Er politisiere aber definitiv nicht um Frust
abzubauen, sondern aus Überzeugung.
Reaktion von Hess auf Youtube gesperrt
Der Inhalt störe ihn nicht gross, der Text sei
"henusohaut... noch im Rahmen", berichtet Hess weiter. Ganz auf sich
sitzen lassen wollte er den Song aber anscheinend nicht. Auf Youtube
veröffentlichte er umgehend "seine" Version des Songs - er zeigte
zum Song Bilder, die seiner Meinung nach die Reitschulinitiative
unterstützen.
Zugänglich ist das Video allerdings nicht mehr - es
wurde
"aufgrund des Urheberrechtsanspruchs von Semih Yavsaner
(Müslüm, A. d. R.)" von Youtube entfernt.
---
Bund 6.8.10
"Für die nächsten 30 oder 40 Jahre"
Jetzt schalten sich die Künstler ein: Mit einer CD
wehren
sich 22 Berner Bands und Musiker gegen den Verkauf der Reitschule.
Steff La Cheffe und Kuno Lauener erklärten gestern Abend, warum.
Christoph Lenz
Vielleicht hat es auch für die Kulturschaffenden in
der
Reitschule sein Gutes, dass der Fortbestand ihres Zentrums mit
schöner Regelmässigkeit durch eine Volksinitiative bedroht
ist. Es könnte ihnen beispielsweise das Ausrichten eines
Jubiläums ersparen. Die bei runden Geburtstagen obligaten Fragen -
woher man kommt, wozu man eigentlich da ist und wohin der Weg noch
führen könnte - stellt man sich im Kulturzentrum ohnehin
immer dann, wenn eine Abstimmung ins Haus steht. Also: sehr oft in
letzter Zeit.
Gedächtnis, Herz und Verstand
Auch die gestrige CD-Vernissage im Frauenraum war eine
Sache
für das Gedächtnis, den Verstand und das Herz. Zuerst ging es
aber um den Bauch - genauer: die Wut daselbst. Denn, so erklärt
Kollektivmitglied David Böhner den geladenen Medienvertretern: "Es
scheisst schon an, ständig solche Abstimmungskämpfe
führen zu müssen. Aber wir müssen halt." Weil sich die
Reitschule einerseits bei vielen Musikern in Bern grosser Beliebtheit
erfreut, andererseits so ein Abstimmungskampf viel Geld kostet, das
irgendwie wieder reinkommen muss - deshalb hat man sich in der
Reitschule entschlossen, das Schöne mit dem Nützlichen zu
verbinden und eine CD mit Beiträgen von 22 zugewandten Berner
Bands zu veröffentlichen (siehe Box). Übrigens der erste
CD-Release in der Geschichte der Reitschule.
"Saubere Büez"
Vom allerersten Konzert in der Reitschule berichtet
anschliessend
Zeitzeuge und Züri-West-Frontmann Kuno Lauener. Die Erzählung
dreht sich um einen kanarienvogelgelben Ford Transit, neblige
Nächte, 1000 unruhige Jugendliche, ein aufgebrochenes
Türschloss und rauschende illegale Partys. Weil ihm seine Rolle
als Geschichtenonkel dann aber doch nicht ganz geheuer zu sein scheint,
kürzt Lauener, gerade als es so richtig gemütlich zu werden
droht, ab: "Eine alte Geschichte" sei die Beziehung zwischen Züri
West und der Reitschule. Beide seien sie schon seit langem da. Beide
machten sie immer noch eine, wie er findet, "saubere Büez". Und
beide gehörten sie einfach zu Bern dazu: "Hopp Reitschule! Hopp
Züri West! Hopp YB!" Das Gedächtnis, oder bei den jungen
Besuchern die Fantasie, ist ausreichend stimuliert. Danke.
Ans Herz und den Verstand appellierte zuvor die Berner
Rapperin
Steff La Cheffe, die wie Züri West einen bisher
unveröffentlichten Song zum "Reitschule beatet mehr"-Sampler
beigesteuert hat. So etwas wie eine Erleuchtung habe sie bei ihrem
ersten Besuch in der Reitschule erlebt. Sie erinnert sich an die vielen
spannenden Leute, die sie kennen lernen, und an die Möglichkeiten,
die sie an dieser Adresse entdecken durfte. "Die Reitschule ist ein
ideales Umfeld, um sich zu engagieren, um zu diskutieren und um Kultur
zu machen." Letzteres liegt Steff La Cheffe besonders am Herzen: Ihre
ersten musikalischen Gehversuche hat sie an der Offenen Bühne im
Restaurant Sous Le Pont und an den Hip-Hop-Jams in der Einfluss-Bar
gemacht. "Die Reitschule ist einer der wichtigsten kulturellen
Schauplätze Berns. Und das soll auch so bleiben." Damit waren auch
Küse Fehlmann und Gert Stäuble von Züri West
einverstanden: Und zwar "mindestens für die nächsten 30 oder
40 Jahre".
--
22 gut klingende Gründe
Alle da! Die Crème der Berner Pop- und
Rockmusikszene hat
sich praktisch ohne Ausnahme auf dem Sampler "Reitschule beatet mehr"
(Irascible, 25 Fr.) versammelt. Die Altvorderen von Züri West,
Patent Ochsner und Stiller Has setzen sich hier ebenso für das
Kulturzentrum ein wie die lokale Nachwuchsabteilung um Steff La Cheffe,
Lily Yellow und Müslüm. Und immerhin 16 Künstler haben
sogar einen bisher unveröffentlichten Song zu diesem schönen
Stück einheimischen Schaffens beigesteuert. Darunter nicht wenige
mit konkret politischem Inhalt: Pedro Lenz collagiert in "Dr
Buebli-Troum" bedrückende Slogans des Kommerzdenkens, Tomazobi
lassen den Initianten Erich Hess gleich selbst Ansagen durchgeben, und
der formidable Rapper Müslüm fragt ganz naiv: "Erich, warum
bisch nid ehrlich?" (len)
---
20 Minuten 6.8.10
CH-Musiker machen Anti-Hess-Song
BERN. Schweizer Musiker machen gegen Erich Hess mobil:
Müslüm, Greis und Steff La Cheffe nahmen den Song "Erich,
warum bisch du nid ehrlich?" auf. Der Berner Politiker reagierte
umgehend.
Der Präsident der Jungen SVP empört die
Schweizer
Kulturschaffenden: Weil Erich Hess eine Initiative für die
Schliessung der Berner Reitschule lanciert hat, bekommt er nun den
Groll der Künstler zu spüren. Unter der Führung von
Telefonscherz-Mann Müslüm setzen sich gestandene Musiker wie
Greis, Steff La Cheffe oder die Gamebois für den Verbleib der
Kulturstätte ein - und nahmen dafür extra ein Lied auf.
Den Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" erklärt
Müslüm wie folgt: "Wer gegen Kultur arbeitet, der hat seine
Liebe verloren. Auch Hess muss sich integrieren." Der Politiker gibt
sich gelassen und findet: "Die können aufnehmen, was sie wollen.
Mich stört das nicht." Dennoch lancierte der 29-Jährige
sogleich einen YouTube-Clip als Gegenoffensive. Darin unterlegt er den
Track mit einem selbst gemachten Video. Müslüms
höhnische Reaktion: "Anscheinend findet er den Song ja selber gut."
Hess muss sich indes nicht zum ersten Mal mit dem Showbiz
auseinandersetzen - letztes Jahr lieferte er sich auch mit Model Alena
Gerber einen öffentlichen Disput. Die beiden versöhnten sich
- dies wird diesmal kaum der Fall sein. Denn auch mit der Musik von
Greis und Co. als solches kann Hess nicht viel anfangen: "Ich stehe
eher auf Schweizer Handörgeli."
DAVID CAPPELLINI
Den Videoclip zum Müslüm-und-Friends-Song gibt
es ab
heute auf http://www.müslüm.ch
zu sehen.
---
Bund 5.8.10
CD-Vernissage Reitschule
Abstimmungskampf auf CD
Dass die Reitschule nicht ein Hallenbad werden soll,
finden
über 20 Berner Musikschaffende, die für den CD-Sampler
"Reitschule beatet mehr!" zum Teil unveröffentlichte Songs
beigesteuert haben - etwa Züri West, Stiller Has, Kummerbuben,
Sophie Hunger oder Steff La Cheffe. Das Gemeinschaftswerk wird heute
der Öffentlichkeit vorgestellt, mit Showcases von Lily Yellow
(Bild) und Churchhill. (reg)
Frauenraum Reitschule Do, 5. 8., 20 Uhr.
---
20 Minuten 5.8.10
Berner Stars für die Reitschule
BERN. Berner Musikgrössen machen sich stark für
die
Berner Reitschule. Auf der CD "Reitschule beatet mehr" finden sich
bisher unveröffentlichte Tracks unter anderem von Züri West,
Steff la Cheffe, Reverend Beat-Man und Greis. Die Scheibe ist eine von
vielen Aktionen des Kulturzentrums, dem wegen einer SVP-Initiative die
Schliessung droht. Heute Abend ab 20 Uhr wird sie mit einer Party im
Frauenraum der Öffentlichkeit vorgestellt.
---
WoZ 5.8.10
Reitschule Bern - Wieder einmal müssen die Berner
StimmbürgerInnen über die Zukunft des autonomen
Kulturzentrums abstimmen. Ein rechtsbürgerliches Bündnis will
es an den Meistbietenden verkaufen.
"Erich, hast du keine Herzeli?"
Von Silvia Süess
Sie tun es also wieder: Alle paar Jahre versucht ein
rechtsbürgerliches Bündnis in Bern den "Schandfleck von
Bern", die Reitschule, irgendwie loszuwerden. Und dies stets erfolglos:
Seit 1990 hat sich das Stimmvolk viermal gegen die Ideen der
bürgerlichen Rechten gestellt, die Reitschule umzufunktionieren
oder gar zu schliessen. Und trotzdem versuchen sie es wieder.
Am 26. September müssen die Berner
StimmbürgerInnen
erneut über die Zukunft der Reitschule abstimmen. Präsident
des überparteilichen Komitees zur Initiative "Schliessung und
Verkauf der Reitschule!", die am 1. April 2009 dem Gemeinderat
eingereicht wurde, ist der notorische Reitschule-Gegner Erich
J. Hess. Der Kampf gegen die Reitschule scheint für
den Lastwagenführer, Gross rat, Stadtrat und Präsidenten der
SVP/JSVP- Stadtratsfraktion zu einer Herzensangelegenheit geworden zu
sein: "Ich habe mir in den Kopf gesetzt, dass die Reitschule weg muss",
sagte Hess in einem Artikel im "Bund" vor drei Jahren und lancierte gut
ein Jahr später seinen neusten Coup.
"Eigentlich haben wir genug Kultur"
"Verkauf der Berner Reitschule im Baurecht (Baurechtdauer
99
Jahre) auf den 31. März 2012 an den Meistbietenden. Die
Liegenschaft ist bis zum 31. Dezember 2011 zu räumen, damit sie
nutzungsfrei übergeben werden kann", lautet der Initiativtext.
Vorschläge, was in der Reitschule künftig Platz finden soll,
bringt das Initiativkomitee auch gleich: "Kultur, die für jeden
zugänglich ist", wie zum Beispiel eine Parkanlage mit integriertem
Restaurantbetrieb als Treffpunkt für Jung und Alt, ein Mu seum
oder ein Hallenbad mit Wellnessbereich. Wobei das mit der Kultur
für Hess selber, der gemäss eigenen Aussagen noch nie einen
kulturellen Anlass in der Reitschule besucht hat, nicht zwingend ist.
"Wir haben eigentlich genug Kultur in der Stadt Bern, wir sind auf die
Reithalle nicht angewiesen", sagt er der WOZ. Bezüglich der
Abstimmung zeigt er sich zuversichtlich: "Ich hoffe, dass das Berner
Stimmvolk endlich einsieht, dass die Reitschule ein Übel ist vom
Dreck, von den Drogen, vom Chaos, das wir in der Stadt Bern haben. Denn
von der Reitschule aus werden alle Demonstra tionen organisiert, und
rund um die Reitschule ist immer ein Chaos."
Während der bleiche junge Mann, der mit seiner
Igelfrisur
eher wie ein pubertierender Mofafahrer als wie ein polternder
Jungpolitiker aussieht, verbissen in den Abstimmungskampf steigt - er
bezeichnet die Reitschule-Besucher Innen gerne auch als Terroristen -,
haben die BetreiberInnen der Reitschule unter dem Slogan "Die
Reitschule bietet mehr!" lustvoll eine originelle Gegenkampagne
lanciert. Dazu gehören professionell gemachte Werbespots, in denen
unter anderem bekannte SchauspielerInnen wie Gilles Tschudi, Esther
Gemsch oder Andreas Matti mitspielen, und öffentliche
Führungen durch die Reitschule; auch wird Kampagnenmaterial wie
ein Badetuch oder Fahnen angeboten.
Berner Musikschaffen
Ausserdem erscheint diesen Donnerstag mit "Reitschule beatet
mehr" eine
CD zur Abstimmung. Darauf sind 22 Stücke von Berner MusikerInnen
versammelt, sechzehn davon sind exklusive, bisher
unveröffentlichte Tracks. Einerseits bietet die CD einen Einblick
in das vielseitige Musikschaffen der Hauptstadt - zu hören sind
unter anderen Züri West, Patent Ochsner, Stiller Has, Filewile,
Reverend Beat Man, Steff la Cheffe -, andererseits hat es auf der CD
ein paar sehr witzige, extra für die Gegenkampagne geschriebene
Stücke. "Dr Erich wott für alli Shopping-Halligalli", singt
das Trio Tomazobi, "Hey Erich, i frage
mi, wohär du die Zue versicht nimmsch, hesch du
würklich s'Gfühl, dass du die Abstimmig gwinnsch", rappt
Churchhill, und Müslüm singt in einem orien talisch
angehauchten Song: "Erich, warum bist du so, hast du keine Herzeli,
hast du keine Liebe übercho?"
Den Auftakt der CD macht Pedro Lenz, musikalisch begleitet
von
Paed Conca. In "Dr Buebli-Troum" erzählt Lenz von der
Versteigerung der Reitschule: "Wer am meischte het, cha se ha."
Dummerweise kommt es nicht so, wie sich dies die "stramme Buebli" mit
"de chline Äugli, wo so wenig wit gseh o so schlächt luege"
vorgestellt haben: Der Käufer der Reitschule eröffnet in
Pedros Traum auf dem Areal nämlich eine Koranschule.
"Reitschule beatet mehr" CD-Taufe in: Bern, Reitschule
Frauenraum, Do, 5. August, 20 Uhr. http://www.reitschulebietetmehr.ch
--------------------
RABE-INFO
---------------------
Di. 17. August 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._August_2010.mp3
- Keine Gefahr für Radios: BAKOM nimmt Stellung zum Fall
"Thomas
Fuchs gegen Reitschul-Sampler"
- Neuorientierung bei der Berner Suchthilfe Contact Netz:
Weniger
Anonymität für bessere Unterstützung
- Kann man ohne höhere Lohnabzüge die
Arbeitslosenkasse
sanieren? Gegner des Referendums lancieren den Abstimmungskampf
---
Mo. 16. August 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_16._August_2010.mp3
- Der "Bund der Steuerzahler des Kantons Bern" BDS will
verhindern,
dass die Radios weiterhin Songs ab dem Reitschule- Sampler abspielen,
und erwägt eine Klage beim BAKOM
- Seit 60 Jahren besteht zwischen der Schweiz und China eine
"spezielle
Freundschaft"- ein Historiker erklärt
- Kopf der Woche: Lejla Mamut kämpft für die
Aufklärung
der Kriegsverbrechen in Ex- Jugoslawien
Links:
http://www.reitschulebeatetmehr.ch
http://www.dodis.ch/d/datenbank.asp
http://www.trial-ch.org
-------------------------------------------
DROGENANLAUFSTELLE
-------------------------------------------
Bund 17.8.10
Neue Spielregeln im Fixerstübli an der Hodlerstrasse
Die Anonymität der Klienten wird aufgehoben und
Zutritt
erhalten nur noch Personen über 18 Jahre.
Rahel Bucher
Die Berner Drogenberatungsstelle Contact-Netz hat gestern
zusammen mit Vertretern aus Politik und Polizei eine neue Strategie im
Bereich der Schadensminderung präsentiert. Beabsichtigt wird
einerseits die wirksamere Unterstützung von Drogenabhängigen.
Andererseits soll der öffentliche Raum noch mehr entlastet werden,
wie Jakob Huber, Geschäftsleiter Contact-Netz, sagte. Insbesondere
betroffen von den Veränderungen ist die Kontakt- und Anlaufstelle
(K & A) an der Hodlerstrasse. Der Zutritt zum Fixerstübli wird
ab November an ein Einlassgespräch und die Aufhebung der
Anonymität geknüpft.
Das gilt auch für die rund 250 Drogenabhängigen,
welche
die K & A momentan täglich nutzen. Sie werden im September und
Oktober zu einem Gespräch eingeladen. Dieses dient laut Huber der
Standortbestimmung und soll die Entwicklung der Konsumenten
verbindlicher fördern. Angestrebt werden die bessere soziale
Integration Drogenabhängiger und eine Reduktion des Konsums bis
hin zur Abstinenz. Das Standortgespräch wird halbjährlich
wiederholt.
Daten bleiben bei Contact-Netz
Gleichzeitig wird die Aufhebung der Anonymität
eingeführt. So ist der Eintritt in die K & A neu an eine
interne Registrierung geknüpft. Damit hat Bern neben Biel die
einzige K & A in der Schweiz, die nicht anonym betreten werden darf
(siehe Zweittext). "Wollen wir die Betreuung verbessern, müssen
wir wissen, wer die Leute sind", sagt Huber. Aus den erhobenen Daten
resultierten keine Sanktionen und sie blieben intern bei Contact-Netz.
Dass dieser Schritt die Niederschwelligkeit des Versorgungsangebots
gefährden und einige Drogenabhängige von der
Überlebenshilfe ausschliessen und zurück auf die Gasse
drängen könnte, glauben die Verantwortlichen nicht.
Huber meint, dass die meisten Drogenabhängigen von
den
Vorteilen der Veränderungen überzeugt werden können.
Zudem würden bereits heute 75 Prozent der Klienten freiwillig
persönliche Angaben machen. Bei einer ersten Information der
Betroffenen habe es unterschiedliche Reaktionen bis hin zu Widerstand
gegeben, sagte Ines Bürge, Leiterin der Kontakt- und Anlaufstelle
Contact-Netz.
Veränderungen gibt es auch bezüglich Betreuung.
Sie
soll differenzierter nach Zielgruppen erfolgen. Älteren,
"chronifizierten Drogenabhängigen" soll das Fixerstübli
weiterhin eine Tagesstruktur bieten. Für junge, "nicht
chronifizierte" Drogenkonsumenten dagegen soll die K & A nur eine
Durchgangsstation sein. Huber: "Sie müssen so schnell wie
möglich in anderweitige Angebote integriert werden." So werden
Minderjährige - im Moment seien das zwischen einer und drei
Personen pro Jahr - künftig nur in Ausnahmefällen befristet
und unter Einhaltung bestimmter Bedingungen in der K & A
aufgenommen.
"Trennung wäre besser"
Ansonsten gilt im Fixerstübli neu das Eintrittsalter
von 18
Jahren. "Die Trennung von älteren und jüngeren Konsumenten
wäre besser, doch dafür fehlen die finanziellen Mittel", sagt
Huber, angesprochen auf die Schaffung eines Raums für jüngere
Konsumenten. Ebenso steht es bezüglich Schaffung einer zweiten
Anlaufstelle.
Die Anpassungen in der Schadensminderung werden in
Absprache mit
Kanton und Stadt Bern umgesetzt. "Fachliche Einschätzungen und
politische Entwicklungen haben die Optimierungen notwendig gemacht",
begründete Huber die Neuausrichtung.
--
Kontakt- und Anlaufstellen in Basel und Zürich
Andere Städte, andere Eintrittsbedingungen
Die Suchthilfe Region Basel betreibt in der Stadt Basel
drei
Kontakt- und Anlaufstellen (K&A). Im Unterschied zu Bern
gewährleisten die K&A in Basel die Anonymität der
Besucher. "Trotzdem kennen die Mitarbeitenden die Konsumenten und sind
mit diesen in Kontakt", sagt Eveline Bohnenblust, Abteilungsleiterin
Sucht bei den Gesundheitsdiensten Basel-Stadt. Die K&A stehen
Personen von Basel-Stadt und Baselland zur Verfügung. Personen mit
Wohnsitz in der Schweiz sind bisher nicht ausgeschlossen worden.
"Tourismusprobleme gab es trotz der Zulassung von Abhängigen aus
der ganzen Schweiz bisher nur marginal", sagt Bohnenblust. Im Ausland
wohnhafte Personen, szenenfremde Personen, Minderjährige und
Neueinsteiger erhalten zudem keinen Zutritt. Sie werden aber
angesprochen und nach Möglichkeit weitervermittelt, wie
Bohnenblust sagt. Gerade bei Minderjährigen sei es oberstes Ziel,
sie so schnell wie möglich in Betreuung zu bringen. Wie in Bern
gibt es laut Bohnenblust auch in Basel keine speziellen Orte für
minderjährige Drogenabhängige. Allerdings stellten die
jugendlichen Konsumenten ebenso wie in Bern kein grosses Problem dar.
So ist das auch in Zürich, wie Michael Herzig, Leiter
Geschäftsbereich Sucht und Drogen des Sozialdepartements der Stadt
Zürich, bestätigt. Auch in Zürich gibt es keine
spezialisierten Angebote für jugendliche Konsumenten harter
Drogen. Stattdessen würden diese durch die Gassenarbeiter von
Streetwork erreicht. Wer in eine der vier K&A in Zürich will,
muss beim Eingang eine Kopie seines Niederlassungsausweises sowie den
Personalausweis zeigen. Zutritt haben nur
Unterstützungsberechtigte aus der Stadt Zürich. Allerdings
werden die Klienten nirgendwo registriert. "Würde man die
Anonymität ganz aufheben, gäbe es immer eine Gruppe, die dann
nicht mehr in die K&A kommen könnte", sagt Herzig. Sobald
jemand weiterführende Angebote wie Beratungen in Anspruch nimmt,
wird die Anonymität jedoch aufgehoben.
Auch bezüglich Umgang mit dem Raum draussen vor der
jeweiligen K&A gibt es Unterschiede. Während es in Zürich
keine Vorhöfe gibt und in Basel solche ohne Zeltdach, gibt es in
Bern einen gedeckten Hof. Dieser dient als Aufenthaltsraum. "Für
die Entlastung des öffentlichen Raums ist das die beste
Lösung", sagt Jakob Huber, Geschäftsleiter Contact Netz. (reh)
--
Kommentar
Höhere Hürde für Eintritt ins
Fixerstübli
Rahel Bucher
Jede Leistungsgesellschaft muss sich der Frage stellen,
wie sie
randständige und drogenabhängige Menschen sozial integriert.
Denn einerseits ist sie durch das von ihr produzierte und gelebte
Wertesystem mitverantwortlich für Ausschluss und Suchttendenzen
einiger Mitmenschen. Andererseits dringt die Suchtproblematik immer
wieder in den öffentlichen Raum vor, was zu Konflikten führt.
Gewalt, Kriminalität, aber auch Elend und Verwahrlosung bleiben
niemandem verborgen. Und drogenabhängige Menschen fallen auf -
sowohl durch ihr Aussehen als auch durch ihr Verhalten.
Umso wichtiger sind Angebote wie die Kontakt- und
Anlaufstelle -
ein Überlebenshilfeangebot der Contact-Netz Bern -, die auch die
Menschen abholt, die nicht mehr viel zu verlieren haben. Zudem
trägt das Fixerstübli wesentlich dazu bei, dass die
Drogenszene im öffentlichen Raum in der Stadt Bern auf ein Minimum
reduziert wird. Dementsprechend niederschwellig sollten die
Eintrittsbedingungen sein.
Mit der Aufhebung der Anonymität könnte diese
Niederschwelligkeit in Gefahr geraten. Denn Drogenabhängige, die
ihren Namen nicht preisgeben, werden nicht mehr ins Fixerstübli
gehen können. Wie die Konsumierenden mit den höheren
Eintrittshürden umgehen werden, wird sich zeigen. Es bleibt zu
hoffen, dass dieser Schritt nicht ohne die erhoffte Wirkung - der
Entlastung des öffentlichen Raums sowie der unkomplizierten
Überlebenshilfe für abhängige Menschen -bleibt.
Umgekehrt ist es richtig, dass die Drogenabhängigen
über Standortgespräche besser begleitet werden sollen. Auch
die Heraufsetzung des Eintrittsalters von 16 auf 18 Jahre sowie die
Fokussierung auf minderjährige Konsumierende ist positiv. Trotzdem
stehen punkto Umgang mit jungen Konsumierenden nach wie vor zwei Fragen
im Zentrum: Braucht es nicht ein Jugendkonzept und einen separaten Raum
für minderjährige Drogenabhängige? Dies um sie von
älteren, langjährigen Konsumenten zu trennen. Und müsste
man nicht den Präventionsbereich weiter ausbauen? Auch um den
gesellschaftlichen Diskurs und die Sensibilisierung bezüglich
Suchtthematik zu fördern.
---
BZ 17.8.10
Contact-Netz
Verbesserte Angebote
Zugang erst ab 18 Jahren, besser vernetzte, ergänzte
und
verbindlichere Angebote: Berner Drogenanlaufstellen im Wandel.
Contact-Netz will mit seinen Kontakt- und Anlaufstellen
den
öffentlichen Raum weiter entlasten und Drogenabhängige besser
unterstützen. Ermöglichen sollen dies Massnahmen, die gestern
an einer Medienkonferenz präsentiert wurden.
Junge sollen schnell weiter
So soll mehr Verbindlichkeit im Umgang die Betreuung der
Drogenabhängigen verbessern. Junge, nicht chronische
Drogenabhängige will man künftig gezielter ansprechen und
dank vernetzter Behandlungsangebote möglichst schnell aus der
Kontroll- und Anlaufstelle hinausführen. Einlass erhalten
ausschliesslich volljährige Süchtige. Minderjährige sind
nur noch befristet und bei Kooperation der Eltern zugelassen.
Abhängige, die durch alle Maschen der aktuellen
Angebote
gefallen sind, sollen mit einem Pilot-Brückenprojekt angesprochen
werden: Künftig würden sie mit Methadon bereits an der
Kontakt- und Anlaufstelle in der Hodlerstrasse versorgt und blieben am
vertrauten Ort in Behandlung.
Schliesslich soll zur Entlastung des öffentlichen
Raums
zusammen mit den anderen Akteuren im Bereich Schadensminderung ein
einheitlicher Verhaltenskodex erarbeitet werden.
Aufhebung der Anonymität
"Wollen wir die Betreuung verbessern, müssen wir
wissen, wer
die Leute sind", sagte Jakob Huber, Geschäftsleiter von
Contact-Netz. Dies bedinge, dass die Anonymität der
Drogenabhängigen aufgehoben werde.
Damit bricht Contact-Netz mit einem Dogma aus den
1980er-Jahren.
Um die Betroffenen überhaupt mit Suchthilfeangeboten erreichen zu
können, war deren Anonymität damals eine wichtige Bedingung.
Heute gehen die Verantwortlichen davon aus, dass die Aufhebung der
Anonymität keinen grossen Widerstand provozieren werde. Zwischen
den Kontakt- und Anlaufstellen und den Drogenabhängigen bestehe
ein Vertrauensverhältnis, sagte Robert Hämmig, Leiter des
Funktionsbereichs Sucht bei den Universitären Psychiatrischen
Diensten Bern. Zudem blieben die Daten innerhalb des Contact-Netz und
würden in keinem Fall zu Sanktionen führen.
Die Massnahmen, die ab Herbst umgesetzt werden sollen,
nehmen
Ergebnisse einer Studie der Uni Lausanne auf, sagte Therese
Frösch, Präsidentin der Stiftung Contact-Netz. Sie seien
kostenneutral und anschlussfähig, insbesondere mit dem Instrument
des Case-Managements, das Kanton und Stadt bald einführen wollen.
hae
---
20 Minuten 17.8.10
Drogenanlaufstellen: Schluss mit anonym
BERN. Wer Drogen konsumiert, wird registriert: Das Contact
Netz
sammelt Daten von Süchtigen, um diese künftig gezielter
betreuen zu können.
Die Berner Drogenfachleute denken um. Bisher holten sie
die
Süchtigen mit niederschwelligen Angeboten von der Strasse. Jetzt
stellen sie Zutrittsschranken für die Kontakt- und Anlaufstellen
auf: Die Benützer müssen über 18 Jahre alt sein und ihre
Anonymität aufgeben. Mindestens alle sechs Monate verlangt man von
ihnen persönliche Angaben, die in einer Drögeler-Datenbank
erfasst werden.
"Die Angst vor Fichierung ist unbegründet",
versichert Jakob
Huber vom Contact Netz: "Die Daten werden nicht weitergegeben und
niemand muss aufgrund seiner Angaben mit Sanktionen rechnen."
Das Ziel sei vielmehr, den Drogenabhängigen gezielter
helfen
zu können. So will man etwa die Langzeitkonsumenten besser von den
Jugendlichen trennen und diese mit vernetzten Behandlungsangeboten
rasch wieder aus der Sucht führen. Stadträtin Lea Bill (JA!)
befürchtet, dass Abhängige nun auf der Gasse landen, wenn sie
die neuen Auflagen nicht erfüllen: "Die Junge Alternative bereitet
einen Vorstoss vor, um solche negativen Folgen abzumildern." Die
Benutzer der Anlaufstellen wurden über die neuen Spielregeln
informiert. Ihre Reaktionen reichten von Beifall bis zu deutlicher
Ablehnung.
Patrick Marbach
---
derbund.ch 16.8.10
Contact will junge Drogenabhängige besser betreuen
sda / bs
Die Drogenberatungsstelle Contact ändert die
Spielregeln in
den Kontakt- und Anlaufstellen: Die Anonymität wird aufgehoben,
Zutritt erhalten nur noch Personen über 18 Jahre, und junge
Drogenabhängig werden gezielter betreut.
Mit diesen Massnahmen, die ab kommendem Herbst umgesetzt
werden,
will Contact mehr Verbindlichkeit in der Betreuung der
Drogenabhängigen erreichen, sie wirksamer unterstützen und
den öffentlichen Raum besser entlasten, wie die Verantwortlichen
vor den Medien in Bern erklärten.
Keine Angst vor Widerstand
Zusätzlich zum Eintrittsgespräch erfolgt alle
sechs
Monate eine Standortbestimmung. Angst, dass man mit der Aufhebung der
Anonymität die Leute abschreckt und zurück auf die Gasse
drängt, hat man beim Contact Netz nicht.
Bereits heute würden 75 Prozent der Klienten
freiwillig
persönliche Angaben machen, sagte Geschäftsleiter Jakob
Huber. Die erhobenen Daten blieben bei Contact und würden nicht
weitergegeben.
Bei einer ersten Information der Betroffenen habe es
unterschiedliche Reaktionen gegeben, sagte Iris Burger von Contact
Netz. Nun werde man mit den Betroffenen das Gespräch suchen.
Tagesstruktur für schwere Fälle
Die Kontakt- und Anlaufstellen (KA) sollen künftig
vor allem
"älteren, chronifizierten Drogenabhängigen" zur
Verfügung stehen und ihnen eine Tagesstruktur anbieten.
Jüngere, "nicht chronifizierte" Drogenkonsumenten
will man
so schnell wie möglich aus den KA hinausführen. Viele dieser
jüngeren Betroffenen schätzten die Beziehungsarbeit, die man
mit ihnen leistet, betonte Huber. Hier will er künftig noch
stärker ansetzen.
Eltern einbinden
Minderjährige werden aber künftig nur noch in
Ausnahmefällen befristet und unter Einhaltung bestimmter
Bedingungen aufgenommen. Dazu gehört, dass die
Erziehungsverantwortlichen stärker eingebunden werden und mit
Contact kooperieren müssen.
Diese Strategie entspreche der Haltung des Gemeinderates,
betonte
die städtische Sozialdirektorin Edith Olibet. Sie sei froh, dass
die heutige Politik weiterverfolgt und weiterentwickelt werde. Eine
radikale Kehrtwende hätte das fragile Zusammenwirken aller
Betroffenen gefährdet.
Kein zweiter Standort in Sicht
Ein zweiter Standort für eine Anlaufstelle in der
Stadt Bern
ist indessen nicht in Sicht, wie Olibet weiter ausführte. Dagegen
sprechen derzeit finanzielle Gründe, aber auch die Schwierigkeit,
eine geeignete Örtlichkeit zu finden.
Die KA an der Berner Hodlerstrasse wird täglich von
rund 250
drogenabhängigen Menschen besucht.
----------------------------
AUSSCHAFFUNG
----------------------------
Oltner Tagblatt 17.8.10
Solothurn Solidaritätskundgebung
Auf dem Märetplatz in Solothurn haben gestern Montag
rund 50
Personen gegen die Ausschaffung des 32-jährigen Togolesen Boris
Awume demonstriert. Der Mann, der im Mai 2006 in der Schweiz ein
inzwischen vom Bundesverwaltungsgericht endgültig abgelehntes
Asylgesuch gestellt hat, befindet sich seit letztem Donnerstag im
Solothurner Untersuchungsgefängnis in Ausschaffungshaft. Heute
Dienstag soll Awume ausgeflogen werden. (mzr) Seite 10
--
Breite Solidarität mit Ausschaffungshäftling
Kundgebung Auf dem Solothurner Märetplatz
demonstrierten 50
Personen für ein Bleiberecht von Boris Awume
Rund 50 Personen haben gestern in Solothurn gegen die
für
heute angesagte Ausschaffung eines 32-jährigen Togolesen
demonstriert.
Elisabeth Seifert
Seit letztem Donnerstag sitzt der 32-jährige Boris
Awume aus
Togo im Solothurner Untersuchungsgefängnis in Ausschaffungshaft.
Heute soll er zurück in seine Heimat geflogen werden. Dagegen
demonstrierten gestern auf dem Märetplatz in Solothurn rund 50
Personen. Organisiert wurde die Kundgebung von der Gewerkschaft Unia,
dem Gewerkschaftsbund Kanton Solothurn, der togolesischen Gemeinschaft
in Solothurn sowie einer Organisation, die sich für die Demokratie
in Afrika starkmacht.
Peter Gomm schaltet sich ein
Der Togolese hatte im Mai 2006 in der Schweiz ein
Asylgesuch
gestellt. Im vergangenen Dezember erhielt er vom
Bundesverwaltungsgericht den endgültigen Bescheid, dass sein
Asylgesuch abgelehnt worden sei. Awume, der im letzten Herbst eine
Ausbildung zum Informatiker begonnen und sich in den letzten Jahren in
der Region breit vernetzt hat, kämpft seither für ein
Bleiberecht in der Schweiz. Bis jetzt ohne Erfolg. Die breite
Solidarität mit Boris Awume zeigt aber erste Früchte. Auf
Veranlassung von Peter Gomm, Vorsteher des Departements des Innern, hat
die kantonale Migrationsbehörde Awume gestern folgenden Vorschlag
unterbreitet: Er solle freiwillig nach Togo zurückkehren und dort
auf der Schweizer Botschaft ein Ausbildungsvisum beantragen. Peter
Gomm: "Dadurch könnte er seine in der Schweiz begonnene Ausbildung
beenden. Zudem würde auch dem Umstand Rechnung getragen, dass er
sich in der Schweiz gut integriert hat." Nach dem Ende der Ausbildung
müsste er allerdings nach Togo zurückkehren. Boris Awume ist
noch gestern nicht auf diesen Vorschlag eingegangen. Eine weitere
Alternative des Kantons liegt gemäss gut orientierten Quellen
bereits auf dem Tisch. Bis heute Vormittag muss sich Awume dazu
äussern.
"Bin ein sehr politischer Mensch"
Vor gut vier Jahren, im Mai 2006, hat Awume in der Schweiz
um
politisches Asyl ersucht - und wurde für die Dauer des Verfahrens
dem Kanton Solothurn zugeteilt. Den Grund für sein Asylbegehren
schilderte Boris Awume im Gespräch mit dieser Zeitung
folgendermassen: Sein Vater, einer von drei hohen Polizeioffizieren in
Togo, war Ende der 90er-Jahre in Ungnade gefallen, wurde daraufhin
verhaftet und beinahe vergiftet. Einige Jahre später kam er,
Boris, in den Besitz einer Liste, auf der sein Vater als
gefährlicher Regimegegner figurierte. Anfang Jahr 2005 nahm er an
einer Demonstration teil, um zu verhindern, dass der Sohn des
verstorbenen Regenten auf Druck der Armee das Zepter übernimmt.
"Ich wurde verhaftet und kam nur dank glücklicher Umstände
eine Woche später frei." Er fühlte sich daraufhin aber nicht
mehr sicher in seinem Heimatland, flüchtete zunächst nach
Ghana - und reiste schliesslich in die Schweiz.
In Solothurn angekommen, suchte er schnell Anschluss und
trat
unter anderem in den Chor der Nationen ein. Neue Freunde fand er auch
in einem französischen Kulturzirkel. Zudem wurde er Mitglied von
Amnesty International und bald auch der Gewerkschaft Unia. "Ich bin ein
sehr politischer Mensch", bekennt Boris Awume. Bald wurde er auch bei
der Arbeitssuche fündig, zuerst bei der Firma Gehrig in Balsthal
und später bei der Bell AG in Oensingen. Durch ein Problem an der
Hand musste er seine Tätigkeit im Schlachthaus aber aufgeben. Im
vergangenen September startete er dann eine Ausbildung zum Informatiker
an der Höheren Fachschule für Technik in Grenchen. "Er ist
ein sympathischer, angenehmer Mensch, der sich für sein Studium
sehr engagiert", meinte Schulleiter Willi Lindner auf Anfrage. Das
nötige Rüstzeug für sein Studium hat Boris Awume in Togo
erworben, wo er die Matura absolvierte. Nach dem Giftanschlag auf
seinen Vater arbeitete bis zu seiner Flucht für eine
Umweltorganisation als Projektleiter.
Finanzielle Unterstützung während seines
Studiums
erhält Awume von einer gemeinnützige Organisation sowie von
verschiedenen Privatpersonen - unter anderem auch von seiner
Lebenspartnerin Maria Krekels, einer Schweizerin mit holländischen
Wurzeln. Die beiden haben sich im Chor der Nationen kennen gelernt und
sind seit gut zwei Jahren ein Paar. Seit letztem April wohnen sie auch,
in der Stadt Solothurn, offiziell zusammen. Anfang 2010 haben sie beim
Solothurner Zivilstandsamt sämtliche Unterlagen für ein
Ehevorbereitungsverfahren eingereicht, ohne Erfolg, das Verfahren wurde
eingestellt. Ein wesentlicher Grund dafür war, dass Boris Awume im
Dezember 2009 vom Bundesverwaltungsgericht den - endgültigen -
Bescheid erhielt, dass sein Asylgesuch abgelehnt worden sei.
In Strassburg hängig
Einen ersten, abschlägigen, Entscheid hatte das
Bundesamt
für Migration im September 2006 erteilt. Dagegen legte Boris Awume
Rekurs ein. Gut drei Jahre später folgte das Urteil des
Bundesverwaltungsgerichts. Die Solothurner Migrationsbehörde, die
für den Vollzug verantwortlich ist, wies den Togolesen daraufhin
an, bis 20. Januar 2010 die Schweiz zu verlassen. Einem Gesuch beim
Bundesverwaltungsgericht um Aussetzung des Vollzugs wurde Ende Januar
nicht stattgegeben. Und auf ein letztes Revisionsgesuch, das Awume im
Februar eingereicht hat, wurde nicht eingetreten. Im Frühling hat
er sich schliesslich an den Europäischen Gerichtshof für
Menschenrechte in Strassburg gewandt, wo sein Anliegen hängig ist.
"Im Entscheid des Bundsamts für Migration wurde der
Kanton
Solothurn mit dem Vollzug der Wegweisung beauftragt", hielt Peter
Hayoz, Leiter der kantonalen Migrationsbehörde, auf Anfrage fest.
"Ausnahmen können nur dann gemacht werden, wenn sich ein
Asylsuchender mindestens fünf Jahre ununterbrochen in der Schweiz
aufhält." Dies aber sei hier nicht der Fall.
Für Awume selbst steht fest, sollte er ausgeschafft
werden,
muss er in Togo mit einer erneuten Festnahme rechnen. Um seiner
Verzweiflung Ausdruck zu verleihen, ist er am Freitagnachmittag in den
Hungerstreik getreten. "Die Situation in Togo ist schlimm", sagt er.
Erst kürzlich sei ein Bekannter, ein Togolese, der über die
Schweizer Staatsbürgerschaft verfügt, in Togo verhaftet
worden, als er sich für eine Verbesserung der politischen
Situation engagierte. Und über das Rote Kreuz sei ihn mitgeteilt
worden, dass jetzt auch sein Bruder um Asyl ersucht habe, und zwar in
Belgien.
---
20 Minuten 16.8.10
Rückschaffung missglückt
BERN. Der erste nach einem Unterbruch wieder
durchgeführte
Rückschaffungsflug von abgewiesenen Asylbewerbern nach Afrika ist
gescheitert. Der für Bamako in Mali bestimmte Auszuschaffende
konnte noch problemlos den Behörden übergeben werden. Als das
Flugzeug aber dann im gambischen Banjul landen wollte, verweigerten die
dortigen Zivilluftfahrtbehörden die Landeerlaubnis, wie Jonas
Montani, Sprecher des Bundesamts für Migration, der "NZZ am
Sonntag" sagte. Das Flugzeug musste nach Zürich zurückkehren.
Kostenpunkt: 110 000 Franken.
---
Landbote 16.8.10
Ausschaffungsflug abgewiesen
Oliver Graf
Das Bundesamt für Migration hat Ende Juli die
Sonderflüge nach Afrika wiederaufgenommen. Allerdings ohne Erfolg
und nur auf gut Glück: Die Maschine mit fünf abgewiesenen
Asylbewerbern hat in Gambia keine Landeerlaubnis erhalten.
BERN - Das sei skandalös, sagt SVP-Nationalrätin
Natalie Rickli. Der Flug habe am 28. Juli stattgefunden, erst jetzt sei
die misslungene Ausschaffungsaktion durch Medienberichte publik
geworden. "Es scheint, als ob das Ganze unter dem Deckel gehalten
werden sollte."
Das sei keineswegs der Fall, sagt Jonas Montani, Sprecher
des
zuständigen Bundesamtes für Migration (BFM). Dass über
den Flug nicht informiert wurde, sei für das Bundesamt nichts
Aussergewöhnliches. "Das war ein Sonderflug wie jeder andere
auch", sagt Montani. Vor dem Flug wird aus Sicherheitsgründen
nicht informiert, im Nachhinein in der Regel auch nicht.
Etwas Besonderes war der Flug indes schon: Es war der
erste
Sonderflug nach Afrika seit Ende März. Damals wurden die
Transporte ausgesetzt, nachdem auf dem Flughafen Zürich ein
gefesselter Nigerianer kurz vor dem Start gestorben war. Zudem
gestaltete sich der Erstflug nach Mali und Gambia nicht sonderlich
erfolgreich. Mit einer gecharterten Maschine der Airline Hello, die
gemäss ihrer Homepage nur über die 167-plätzige Boeing
MD 90 verfügt, sollten sechs abgewiesene Asylbewerber ausgeschafft
werden.
Keine Landeerlaubnis
Gemäss "NZZ am Sonntag" konnte eine Person in Bamako
(Mali)
wie geplant den Behörden übergeben werden. Die fünf
Gambier mussten indes wieder nach Zürich geflogen werden. Die
Maschine hatte von der gambischen Luftfahrtbehörde keine
Landeerlaubnis erhalten.
Die Schweizer Seite überrascht dies: Gründe,
weshalb
das Flugzeug nicht landen durfte, sind ihr keine bekannt. Gemäss
Jonas Montani hätte eine mündliche Zusage für die
Übernahme der fünf abgewiesenen Asylbewerber vorgelegen. Der
Flug sei sowohl mit dem gambischen Aussenministerium als auch mit den
Immigrationsbehörden abgesprochen gewesen. Letztere sei auch mit
dem Zeitpunkt des Fluges einverstanden gewesen.
Bei früheren Aktionen hat die Zusammenarbeit mit
Gambia laut
Montani immer problemlos geklappt, obwohl mit diesem afrikanischen
Staat kein Rückübernahmeabkommen geschlossen wurde.
Für Nationalrätin Natalie Rickli ist klar, dass
"illegale Asylbewerber ausgewiesen gehören". Das Vorgehen des
Bundesamtes versteht sie aber nicht: Eine mündliche Zusage reiche
nicht aus. Die zuständigen Stellen und der Bundesrat seien nun
gefordert, die Ausschaffungen erfolgreich durchzuführen. Das
Bundesamt für Migration räumte gegenüber der "NZZ am
Sonntag" ein, dass das Vorgehen unüblich sei: "Gambia ist
diesbezüglich eine Ausnahme." Normalerweise liege vor dem Abflug
eine Landeerlaubnis vor. Dass sie oft nur ganz kurzfristig vorliege,
sei aber nicht aussergewöhnlich und habe "mit den internen
Abläufen in Gambia" zu tun.
Die fünf abgewiesenen Asylbewerber befinden sich nach
ihrem
Sonderflug wieder in einem Schweizer Ausschaffungsgefängnis. Sie
sollen noch in diesem Monat erneut ausgeflogen werden. Über den
Zeitpunkt schweigt sich das BFM aus. Der Flug soll wiederum über
ein weiteres afrikanisches Land führen und ebenfalls rund 110 000
Franken kosten.lOLIVER GRAF
---
NZZ am Sonntag 15.8.10
Asylbewerber nach Afrika und zurück - für 110000
Franken
Mit einem Sonderflug sollten am 28. Juli sechs abgewiesene
Asylbewerber nach Mali und Gambia ausgeschafft werden. Die geheime
Mission des Bundesamts für Migration (BFM) scheiterte:
Während in Mali ein Asylbewerber den Behörden übergeben
werden konnte, verweigerte Gambia der vom Bund gecharterten Maschine
die Landung. Der Sonderflug musste mit den fünf Asylbewerbern nach
Zürich zurückkehren, wie das BfM der "NZZ am Sonntag"
bestätigt. Die Kosten der Aktion belaufen sich auf 110 000
Franken. Gambia hat die Gründe für die Verweigerung der
Landerechte bis heute nicht mitgeteilt. (sbü.)
►Seite 7
--
Afrika retour für Asylbewerber
Gambia verweigert Sonderflug mit abgewiesenen
Asylbewerbern die
Landung
Mit dem ersten Sonderflug nach Afrika seit März
sollten
sechs abgewiesene Asylbewerber ausgeschafft werden. Fünf kehrten
in dem vom Bund gecharterten Flugzeug nach Zürich zurück.
Stefan Bühler
Nachdem im März ein Nigerianer kurz vor seiner
Ausschaffung
im Flughafen Kloten gestorben war, stoppte das Bundesamt für
Migration (BFM) alle Sonderflüge. Später zeigte sich, dass
der 29-jährige Nigerianer an einem Herzfehler gelitten hatte.
Darauf nahm das BFM im Juni die Sonderflüge wieder auf, vorerst
nur in Europa.
Wie jetzt bekannt wird, startete am 28. Juli erstmals
wieder ein
vom Bund gechartertes Flugzeug mit abgewiesenen Asylbewerbern Richtung
Afrika: Eine Person sollte in Bamako, Mali, den Behörden
übergeben werden. Fünf abgewiesene Asylbewerber sollten nach
Gambia ausgeschafft werden. Doch die von den Behörden geheim
gehaltene Mission endete in einem Misserfolg. Wie das BFM Recherchen
der "NZZ am Sonntag" bestätigt, flog die Maschine der
Fluggesellschaft Hello zuerst Mali an: "Die Übergabe in Bamako
verlief planmässig und ohne Hindernisse", heisst es in einem
internen Protokoll des BFM. Dann ging die Reise weiter nach Gambia, wo
die "fünf Zurückzuführenden nicht übergeben werden
konnten", wie es weiter heisst. Grund: "Trotz mündlicher Zusage
der Landebewilligung wurden dem Flugzeug beim Anflug in Banjul die
Landerechte von der Zivilluftfahrtbehörde verwehrt." Der
Sonderflug "musste somit wieder nach Zürich zurückkehren",
schreibt das BFM - mitsamt den fünf gambischen Asylbewerbern. Und
dies obwohl gemäss dem internen Protokoll "das gambische
Aussenministerium und die Immigrationsdienste mit der Aktion
einverstanden und in die Planung eingebunden waren".
Wie das BFM in einer schriftlichen Stellungnahme
festhält,
hat Gambia die Gründe für die Verweigerung der Landerechte
bis heute nicht mitgeteilt. "Es gilt zu unterstreichen, dass keine
immigrationstechnischen oder personenbezogenen Hindernisse vorlagen",
schreibt das BFM. Dass allein aufgrund einer mündlichen Zusage der
Behörden eines Ziellandes von der Schweiz aus
Ausschaffungsflüge gestartet werden, ist jedoch unüblich:
"Gambia ist diesbezüglich eine Ausnahme", räumt das BFM ein,
normalerweise erhalte die zuständige Fluggesellschaft die
Landeerlaubnis einige Tage im Voraus, schriftlich. Dass aber die
Landebewilligung für die Destination Banjul stets spät
eintreffe, "ist nicht aussergewöhnlich und hängt mit den
internen Abläufen in Gambia zusammen", wie das BFM sein Vorgehen
rechtfertigt.
Ungeachtet des Zwischenfalls betont das Bundesamt: "Die
Zusammenarbeit mit den gambischen Behörden klappt sehr gut, und es
gab bisher noch nie Probleme mit der Landeerlaubnis." Dies obwohl mit
Gambia kein Rückübernahmeabkommen besteht. So plant das BFM
bereits den nächsten Flug nach Banjul: Die fünf abgewiesenen
Asylbewerber, die seit ihrer Rückkehr nach Zürich wieder in
Ausschaffungshaft sitzen, sollen noch im August in ihre Heimat gebracht
werden. Geplant ist, dass dieser Flug auch noch in ein anderes Land
führt, in das weitere Asylbewerber ausgeschafft werden sollen. Das
BFM nennt weder Land noch die Zahl der Personen oder das Datum des
Flugs. Bloss den Aufwand für die gescheiterten und die geplanten
Ausschaffungen legt es offen: "Die Kosten für beide
Sonderflüge sind identisch und liegen bei rund 110 000 Franken."
-----------------
@-CAMP
----------------
Südostschweiz 16.8.10
Anarchisten sind nicht chaotisch
Degen. - Das anarchistische Sommercamp in Degen ist nicht
das,
was man vielleicht davon erwartet hat. Ein Augenschein der
"Südostschweiz" hat nämlich klar gezeigt, dass das am Freitag
gestartete einwöchige Camp sehr organisiert abläuft - und
dies obwohl es keine Leitung und auch keine Organisationsstruktur gibt.
"Anarchie bedeutet Ordnung ohne Herrschaft", sagt eine
Lagerteilnehmerin, und das bedeute nicht Chaos. Seite 2
--
Gelebte anarchistische Visionen in der Val Lumnezia
Seit Freitag findet im Lugnez ein anarchistisches
Sommercamp
statt. Junge engagierte Anarchisten wollen ihre Visionen des
herrschaftsfreien Zusammenlebens in der Praxis erproben - und tun das
durchaus organisiert.
Von Jara Uhricek (Text und Bilder)
Degen. - Anarchie bedeutet Herrschafts- und
Gesetzeslosigkeit
ohne eine feste Ordnung oder auch ein Chaos in jeglicher
gesellschaftlicher Hinsicht - so die Definition des Dudens. Wer das
einwöchige Camp in Degen besucht, lernt, dass das zwar zutrifft,
aber anders, als es sich ein Aussenstehender vorstellt. Vor allem mit
dem Chaos haben es die jungen Frauen und Männer nicht so.
Bis zu 60 Anarchisten erwartet
Bis Samstagnachmittag haben wegen des kühlen,
regnerischen
Wetters gerademal 20 bis 30 Anarchisten den Weg auf das Gelände
des Ferienhauses "Turatscha" gefunden - bis zu 60 sollen es an
Spitzentagen werden. Ihre kleinen, tropfenden Iglu-Zelte drängen
sich verlassen um ein hohes Tipi-Zelt. Die meisten Campteilnehmer
sitzen an Festbänken unter einer zwischen den zwei
"Turatscha"-Gebäuden gespannten Plastikplache. Sie plaudern,
einzelne probieren die zuvor in einem Workshop gebastelten
Spray-Schablonen mit revolutionären Slogans auf grossen
Tüchern aus. Aus Spanien angereiste Gleichgesinnte bereiten das
Abendessen zu, in der Scheune findet der Soundcheck für
gesellschaftskritische Konzerte statt.
Plenum, Protokoll und Programm
An den Hauseingängen hängen selbstgemalte
Rauchverbotsschilder, drinnen gilt Schuhverbot und zur Sicherheit hat
man die Holztreppe in schützenden Schaumstoff verpackt. Es gibt
eine Stellwand mit dem politischen und kulturellen Workshop-Programm
und ein Anschlagbrett mit den anfallenden Aufgaben. Vom Einkauf
über die Herstellung von Aschenbechern bis zum Shuttle-Fahrdienst
nach Ilanz ist alles geregelt. Sogar die vorhandenen Allergien sind
zwecks Rücksichtsnahme aufgelistet: Neben Hundehaaren finden sich
auf der Liste auch Intoleranz und Neonazis.
Wären nicht die sorgfältig ausgelegten
politischen
Schriften, einzelne Anarchie-Symbole und die vorherrschende
Kleiderfarbe schwarz, man wähnte sich in einem ganz normalen
Ferienlager. Von Chaos ist einfach nichts zu finden - obwohl das Camp
keine Leitung, keinen Chef und auch keine Organisationsstruktur hat.
Ordnung ohne Herrschaft
"Anarchie bedeutet Ordnung ohne Herrschaft", sagt Rahel,
eine
27-jährige Medizinstudentin. Nur weil sie gegen das bestehende
System wären, seien sie keine Chaoten. "Wir treffen uns
täglich im Plenum und diskutieren den Campverlauf, die Aufgaben
und wer sie übernimmt", erklärt Sandra. Die Anarchisten
führen darüber sogar Protokoll.
Wie Rahel gehörte die 20-jährige
Soziologiestudentin
Sandra zur Organisations-Gruppe. Mit dem Eintreffen der ersten
Teilnehmer hat sich das OK aufgelöst. Das führerlose Camp
funktioniere bestens, wie schon fünf Mal zuvor an anderen Orten
der Schweiz.
Die Anarchisten wissen eben nicht nur genau, was sie nicht
wollen, sondern auch, was sie wollen: Selbstverantwortung,
Eigeninitiative, Solidarität und Freiheit - mehrheitsfähige
Werte also. Heikler wird es beim Nicht-Wollen. Die Aktivisten lehnen
jede Herrschaft und Hierarchie ab, wollen das bestehende System
stürzen. In der aktuell vorherrschenden Gesellschaftsform seien
kaum selbstgestaltete, unabhängige Freiräume für ein
Leben ohne Zwänge vorhanden.
Keine Gewalt
Wie weit sind die belesenen, vor Tatendrang und
Diskutierlust
sprühenden Aktivisten aber bereit, für ihre Vision zu gehen?
"Gewalt gegen Personen oder Tiere ist ausser Frage", sagt der
25-jährige Temporärarbeiter Marcel und erntet allseitiges
Nicken. Schmerzzufügung lehnen die am Gespräch Beteiligten
ab. Und Sachbeschädigung? Die Aktivisten drucksen etwas herum.
"Ich distanziere mich nicht von Gewalt gegen Dinge", sagt Rahel. Es
komme aber auf die Umstände an, betont sie und erhält breite
Zustimmung. Zerstörung als Frustventil sieht die Gruppe nicht gern.
Zur Frage nach dem Zweck des Bastelkurses von
Steinschleudern
meint augenzwinkernd der 27-jährige Marco, Arbeitsagoge in einer
Behindertenwerkstatt: "Der Kurs dient der Klischee-Erhaltung." Er
erntet unbeschwerte Lacher. Das sei halt Tradition und es mache einfach
Spass, damit auf Zielscheiben zu schiessen.
Aus Angst vor Repressalien, nicht zuletzt am Arbeitsplatz,
wollen
sich die Anarchisten nicht fotografieren lassen. Sie betonen aber, im
Camp jeden herzlich willkommen zu heissen, der sie kennenlernen wolle.
-------------------------
SÖLDNERTUM
-------------------------
Bund 16.8.10
Justizministerin prüft Kontrollpflicht für
Söldnerfirmen
Die Verlegung des Sitzes der britischen Privatarmee Aegis
nach
Basel löst bei Eveline Widmer-Schlumpf zwar Unbehagen aus. Doch
die Neutralität sei nicht tangiert.
Romeo Regenass
Seit Anfang August ist die britische Privatarmee Aegis
Defence,
die unter anderem im Irak und in Afghanistan tätig ist, eine
Schweizer Holding mit Sitz in Basel ("Bund" vom Dienstag). Nach
Protesten diverser Politiker, die auch parlamentarische Vorstösse
angekündigt haben, hat sich Justizministerin Eveline
Widmer-Schlumpf in der Sonntagspresse erstmals dazu geäussert. Sie
sieht laut der "NZZ am Sonntag" keinen dringenden Handlungsbedarf, die
Sitzverlegung stehe im Einklang mit schweizerischem und internationalem
Recht. Auch das Neutralitätsrecht werde nicht tangiert, weil
dieses nur die Parteinahme der Schweiz zugunsten einer Krieg
führenden Macht verbiete. Die Konflikte im Irak und in Afghanistan
seien aber "innerstaatliche Auseinandersetzungen und keine Kriege
zwischen zwei oder mehreren Staaten".
Die Schweiz müsse jedoch gut darauf achten, dass sich
die
Präsenz international tätiger Militär- und
Sicherheitsfirmen nicht negativ auf die Aussenpolitik und das
humanitäre Engagement der Schweiz auswirke. Im "SonntagsBlick"
machte sich die Justizministerin für eine gesamtschweizerische
Lösung stark, etwa eine Bewilligungs- und Kontrollpflicht. "Es
kann nicht sein, dass Firmen, die in einem zweifelhaften Bereich
tätig sind, im einen Kanton wirken dürfen und im anderen
nicht." Das Schweizer Söldnerverbot sei nicht tangiert, solange
die Firma für ihre Tätigkeiten keine Schweizer rekrutiere.
Aegis Defence selbst bekräftigte am Wochenende in
einer
Mitteilung, dass die Verlegung der Holding aus rein pragmatischen
Überlegungen erfolgte und dass die Schweiz kein Ausgangspunkt
für operative Tätigkeiten sein werde.
In der "SonntagsZeitung" erklärte der Experte
für
private Sicherheitsfirmen Rolf Uesseler, dass sich von der neutralen
Schweiz aus gut Sicherheits-, Intelligence- und IT-Aufträge in
westlichen Staaten und aus der Wirtschaft akquirieren liessen. Aegis
könne sich zudem durch den Umzug der zunehmenden Kontrolle durch
London entziehen. Der Publizist wies auch darauf hin, dass der illegale
Waffenhandel seit dem Auftauchen von Militärfirmen mehr oder
weniger zum Erliegen gekommen ist. "Waffengeschäfte werden heute
von diesen privaten Firmen eingefädelt, aber offiziell von den
staatlichen Auftraggebern abgewickelt." Auch für solche
Geschäfte empfehle sich die Schweiz.
---
BZ 16.8.10
Britische Privatarmee
Widmer-Schlumpfs Bedenken gegenüber Söldnerfirmen
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf will eine
einheitliche
Bewilligungspflicht von Sicherheitsfirmen prüfen.
Dass die britische Privatarmee Aegis Defence ihren
Hauptsitz nach
Basel verlegt hat, löst auch bei Justizministerin Eveline
Widmer-Schlumpf Unbehagen aus. Die Ansiedelung verstösst nicht
gegen das Gesetz, für die operativen Tätigkeiten gilt nach
wie vor die britische Rechtsprechung. "Eine andere Frage ist die
Vereinbarkeit mit unseren Werten, für die auch das humanitäre
Völkerrecht eine wichtige Rolle spielt", sagte Widmer-Schlumpf in
einem Interview mit dem "SonntagsBlick".
Neutralität nicht verletzt
Technisch gesehen werde das Schweizer
Neutralitätsrecht
nicht verletzt, und auch das Schweizer Söldnerverbot werde nicht
tangiert, solange die Firma keine Schweizer rekrutiere. "Wir
müssen jedoch darauf achten, dass sich die Präsenz
international tätiger Militär- und Sicherheitsfirmen nicht
auf unsere Aussenpolitik und unser humanitäres Engagement
auswirkt."
Die Regelungskompetenz liegt derzeit bei den Kantonen.
"Heute
müssen wir eine bundesrechtliche Lösung diskutieren", sagt
die Justizministerin. Sie könnte sich eine Bewilligungs- und
Kontrollpflicht vorstellen. Dabei wäre im Einzelfall zu
prüfen, ob eine Firma die gesetzlichen Voraussetzungen
erfülle, "etwa, ob sie nur Support- und Logistikdienstleistungen
erbringt oder auch in Kampfhandlungen involviert ist".
Aegis Defence selbst bekräftigte in einer
Medienmitteilung,
dass die Verlegung der Holding nach Basel rein nach pragmatischen
Überlegungen erfolgte und dass die Schweiz kein Ausgangspunkt
für operative Tätigkeiten sein wird. Wie auch immer: "Wir
brauchen auf jeden Fall eine gesamtschweizerische Lösung", betont
Widmer-Schlumpf. Es könne nicht sein, dass Firmen, die in einem
zweifelhaften Bereich tätig seien, im einen Kanton wirken
dürften und im anderen nicht.
Kein Einzelfall
Nach Recherchen der "SonntagsZeitung" ist Aegis Defence
nicht das
einzige Sicherheitsunternehmen, das in der Schweiz Zuflucht sucht. Der
Publizist und Experte für private Sicherheitsfirmen Rolf Uesseler
erklärt gegenüber der "SonntagsZeitung", dass sich von der
neutralen Schweiz aus gut Sicherheits-, Intelligence- und
IT-Aufträge akquirieren liessen. Uesseler weist auch darauf hin,
dass der illegale Waffenhandel seit dem Auftauchen von
Militärfirmen mehr oder weniger zum Erliegen gekommen ist.
"Waffengeschäfte werden heute von diesen privaten Firmen
eingefädelt, aber offiziell von den staatlichen Auftraggebern
abgewickelt." Auch für solche Geschäfte empfehle sich die
Schweiz.
sda
---
sf.tv 15.8.10
Basler Söldner-Firma: Im Visier des Bundesrats
Seit Anfang Woche ist bekannt, dass die umstrittene
Söldner-Firma Aegis ihren Sitz legal in die Schweiz verlegt hat.
Der Bundesrat lässt die Firma vorerst gewähren, will sie aber
genau beobachten.
sf/muei
Zwar sei es ein Fakt, dass "ein grosser Akteur, der unter
anderem
bewaffnete Mandate in Afghanistan und im Irak wahrnimmt, seinen
Geschäftssitz in die Schweiz verlegt hat", sagte Bundesrätin
Eveline Widmer-Schlumpf gegenüber der "NZZ am Sonntag".
Es handle sich aber um einen Einzelfall, weshalb es
verfrüht
sei, konkrete Massnahmen zu prüfen.
Neutralität wird nicht tangiert
Die Befürchtung, ein solches Unternehmen schade dem
Ansehen
der Schweiz, weist Justizministerin Widmer-Schlumpf zurück. "Die
blosse Sitzverlegung von Aegis gefährdet unsere Aussenpolitik und
unseren guten internationalen Ruf als verlässlicher,
humanitär engagierter Staat sicher noch nicht."
Auch die Neutralität werde nicht tangiert, da es sich
bei
den Konflikten im Irak und in Afghanistan um innerstaatliche
Auseinandersetzungen handle. Aegis wolle zudem in der Schweiz nicht
operativ tätig sein, schreibt das Blatt weiter.
Gesetzeslücke ausgenützt
Politiker verschiedener Lager sowie der Sicherheitsexperte
Albert
A. Stahel schätzen die Lage jedoch anders ein: Sie sehen die
Neutralität des Landes gefährdet. Stahel warnt gar, der Zuzug
von Aegis könne Schweizer Bürger und Organisationen in
Afghanistan und im Irak in Gefahr bringen.
Für Stahel ist klar, dass Aegis in der Schweiz
bewusst eine
Gesetzeslücke ausnutzt: Es gebe hier weder Zulassungsverfahren
noch Regeln für private Militärfirmen.
Nationalräte der FDP, der Grünen und der SP
wollen
deshalb auf parlamentarischen und ausserparlamentarischen Wegen gegen
die Niederlassung von Aegis vorgehen.
---
NZZ am Sonntag 15.8.10
Bundesrat will Söldner-Firma in Basel genau beobachten
Für Widmer-Schlumpf Neutralität nicht
gefährdet -
Kritiker sehen Risiken für Schweiz
Die umstrittene Söldner-Firma Aegis darf ihren Sitz
in die
Schweiz verlegen. Nationalräte wollen trotzdem einschreiten.
Christine Brand
Bundesrätin Widmer-Schlumpf will die britische
Militär-Firma Aegis in der Schweiz gewähren lassen. Das
hält sie gegenüber der "NZZ am Sonntag" fest. Zwar sei es ein
Fakt, dass "ein grosser Akteur, der unter anderem bewaffnete Mandate in
Afghanistan und im Irak wahrnimmt, seinen Geschäftssitz in die
Schweiz verlegt hat", sagt die Justizministerin. Es handle sich aber um
einen Einzelfall, weshalb es verfrüht sei, konkrete Massnahmen zu
prüfen.
Die Sicherheitsfirma Aegis hat kürzlich den
Holding-Sitz von
London nach Basel verlegt. Sie beschäftigt rund 20 000
Söldner und setzt diese im Auftrag von Regierungen, aber auch
privaten Organisationen in Kriegsgebieten ein. Befürchtungen, ein
solches Unternehmen schade dem Ansehen der Schweiz, weist
Widmer-Schlumpf zurück. "Die blosse Sitzverlegung von Aegis
gefährdet unsere Aussenpolitik und unseren guten internationalen
Ruf als verlässlicher, humanitär engagierter Staat sicher
noch nicht." Die Neutralität werde ebenfalls nicht tangiert, da es
sich bei den Konflikten im Irak und in Afghanistan um innerstaatliche
Auseinandersetzungen handle. Aegis wolle zudem in der Schweiz nicht
operativ tätig sein - eine Aussage, welche die Firma
gegenüber der "NZZ am Sonntag" bestätigt. Politiker
verschiedener Lager sowie der Sicherheitsexperte Albert A. Stahel
schätzen die Lage jedoch anders ein: Sie sehen die
Neutralität der Schweiz gefährdet. Stahel warnt gar, der
Zuzug von Aegis könne Schweizer Bürger und Organisationen in
Afghanistan und im Irak in Gefahr bringen. Nationalräte der FDP,
der Grünen und der SP wollen deshalb auf parlamentarischen und
ausserparlamentarischen Wegen gegen die Niederlassung von Aegis
vorgehen.
►Seite 21
--
Unter Feuer
Die private Sicherheits- und Militärfirma Aegis
verdient mit
rund 20 000 Söldnern vorwiegend im Irak und in Afghanistan
Hunderte Millionen Dollar. Seit kurzem ist Aegis eine Schweizer Holding
mit Sitz in Basel. Jetzt laufen Politiker Sturm. Sie sehen die
Neutralität der Schweiz in Gefahr.
Von Christine Brand
Wir haben ein Problem." Mit "wir" meint
Militärexperte
Albert A. Stahel die Schweiz. Mit "Problem" eine Firma, deren Holding
sich in Basel niedergelassen und die seiner Meinung nach hier nichts zu
suchen hat. Es handelt sich um das private britische Sicherheits- und
Militärunternehmen Aegis. Eine Firma, die mit Krieg ihr Geld
verdient. Viel Geld.
Aegis bietet in erster Linie Regierungen militärische
Dienstleistungen an. Geschätzte 20 000 Aegis-Mitarbeiter -
Söldner im modernen Sinne - stehen vorwiegend im Irak und in
Afghanistan im Einsatz. Sie übernehmen logistische Aufgaben,
Ausbildungsaufträge, erarbeiten Operationspläne. Sie leisten
aber auch bewaffneten Objekt- und Personenschutz - und wohl ebenfalls
Kampfhandlungen. Wie breit ihr Dienstleistungsangebot genau ist, bleibt
unklar. Sicher ist: Der Kopf von Aegis, Tim Spicer, stand mit seiner
früheren Firma Sandline in Sierra Leone wegen Vergehen gegen die
Menschenrechte in der Kritik. Und im Irak tauchten Videos auf, die
angeblich Aegis-Leute zeigten, die auf Zivilisten schossen. Kriege und
Krisen sind das Geschäft solcher Privatarmeen. Sie setzen dabei
Milliarden um. Aegis gilt als eine der grössten und aktivsten
überhaupt. Allein im Irak hat sich Aegis seit 2004 Aufträge
von 790 Millionen Franken gesichert. 2009 erzielte sie einen Umsatz von
252 Millionen Franken.
Dass Aegis ihren Holding-Sitz von London nun ausgerechnet
an die
Gartenstrasse 22 in Basel verlegt hat, löst auch bei Politikern
Empörung aus. Selbst bei Nationalrat Peter Malama (fdp.,
Basel-Stadt), der als Direktor des Basler Gewerbeverbands eigentlich
Interesse an Neuansiedlungen haben müsste. "Ich bin befremdet,
dass sich eine Firma in der Schweiz niederlassen kann, die in
Konfliktgebieten Söldner einsetzt", sagt er. "Ich finde das
verwerflich." Sein grüner Ratskollege Geri Müller (Aargau)
meint, "man müsste dieser Firma auch auf ausserparlamentarischem
Weg die Hölle heiss machen". Man werde sich Aktionen
überlegen.
Schweiz als Image-Pflege
Über die Gründe für den Umzug nach Basel
lässt sich spekulieren. Offiziell nennt es Firmensprecherin Sara
Pearson einen "pragmatischen Geschäftsentscheid". Als Vorzüge
der Schweiz zählt sie die "transparente Rechnungslegung" und das
"stabile Steuersystem" auf. Auch sei die Wahl wegen der Herkunft ihres
Revisors auf Basel gefallen. Gemeint ist der Anwalt Marc Bauen aus
Oberwil (BL), der in London lebt. Er und Kristian Meier, Partner bei
der Basler Treuhandfirma Atag, amtieren als Verwaltungsräte der
Holding. Die Vermutung, Aegis habe sich mit der Verlegung der
kritischen Aufmerksamkeit der britischen Öffentlichkeit entzogen,
weist Pearson zurück.
Für Albert A. Stahel hingegen ist klar, dass Aegis in
der
Schweiz bewusst eine Gesetzeslücke ausnutzt: Es gebe hier weder
Zulassungsverfahren noch Regeln für private Militärfirmen,
was seines Erachtens zwingend nötig wäre. Und er vermutet
hinter dem Sitzwechsel ein weiteres Motiv: "Es ist durchaus
imagefördernd, wenn sich eine Firma wie Aegis plötzlich als
Schweizer Firma verkaufen kann." Auch Firmen und
Nichtregierungsorganisationen nähmen deren Dienste in Anspruch,
zum Beispiel für den Personenschutz. "Eine Schweizer Firma hat
grössere Chancen, den Job zu bekommen." Der Kommentar von
Aegis-Sprecherin Pearson dazu: "Die Schweiz ist bei unseren Hauptkunden
hoch angesehen."
Um dieses hohe Ansehen ist Albert A. Stahel besorgt. Die
Schweiz
habe im Irak und in Afghanistan bisher als neutral gegolten. Diese
Neutralität werde nun tangiert, es bestehe die Gefahr, dass es mit
dem Wohlwollen gegenüber der Schweiz vorbei sei: "Die Präsenz
dieser Firma kann Schweizer Bürger und Organisationen in
Krisengebieten gefährden." Dass die Aegis-Sprecherin faktisch
zugibt, dass es sich bei der Holding bloss um eine Briefkastenfirma
handelt - "die Aegis-Holding wird kein Personal beschäftigen" -,
macht für Stahel keinen Unterschied.
Für Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hingegen
schon.
Es gebe bis jetzt keine Anhaltspunkte, dass die britische Firma
über ihren Sitz in der Schweiz Kombattanten oder anderes Personal
rekrutieren wolle. Die Sitzverlegung stehe im Einklang mit
schweizerischem und internationalem Recht. "Auch das
Neutralitätsrecht wird nicht tangiert", sagt Widmer-Schlumpf.
Dieses verbiete nur die Parteinahme der Schweiz zugunsten einer
kriegführenden Macht. Die Konflikte im Irak und in Afghanistan
seien aber innerstaatliche Auseinandersetzungen und keine Kriege
zwischen zwei oder mehreren Staaten. Eveline Widmer-Schlumpf betont,
die blosse Sitzverlegung von Aegis gefährde die Aussenpolitik der
Schweiz und ihren guten internationalen Ruf als verlässlicher,
humanitär engagierter Staat "sicher noch nicht". Die
Justizministerin sieht denn auch keinen dringenden Handlungsbedarf; sie
verweist auf einen Bericht von 2008, der zum Schluss kommt, dass
für private Sicherheits- und Militärfirmen kein
Zulassungsverfahren nötig sei - die Schweiz sei für solche
Firmen unbedeutend. "Ein Grund für eine Neubeurteilung wäre
zweifellos dann gegeben, wenn es sich zeigen sollte, dass die Schweiz
für international tätige Militär- und Sicherheitsfirmen
attraktiver wird", räumt Widmer-Schlumpf ein. "Aber es wäre
verfrüht, über konkrete Massnahmen zu reden."
Verbot gefordert
Genau solche werden jetzt jedoch verlangt. Nationalrat
Peter
Malama sagt, er sehe keinen Unterschied darin, ob Waffen oder
Söldner über die Schweiz in Kriegsgebiete gesendet
würden. Daher sei es nicht nachzuvollziehen, dass für private
Sicherheitsfirmen nicht die gleichen restriktiven Vorschriften
gälten wie beim Rüstungsexport. Er wird eine Motion
einreichen, die auf eidgenössischer Ebene ein Zulassungsverfahren
und Kontrollsystem für Firmen wie Aegis fordert. Seine grünen
Ratskollegen Geri Müller (Aargau) und Jo Lang (Zug) gehen noch
einen Schritt weiter: Sie verlangen in ihren Motionen, dass die
Niederlassung von Privatarmeen in der Schweiz verboten wird.
Dabei hätten die Politiker bereits eine günstige
Gelegenheit gehabt, gerade noch rechtzeitig ein Zeichen zu setzen: Am
3. März 2010 stimmte der Nationalrat über eine Motion von Evi
Allemann (sp., Bern) ab, die verlangte, was Malama jetzt fordert; dass
"für private Anbieter von Dienstleistungen im Militär- oder
Sicherheitsbereich, die von der Schweiz aus in Konfliktgebieten
tätig sind, ein Zulassungssystem eingeführt wird". Ihre
Motion wurde klar abgelehnt - 15 Tage bevor sich die Aegis-Holding ins
Schweizer Handelsregister eintrug. Malama drückte damals
übrigens den Nein-Knopf. Müller und Lang enthielten sich.
Allemann wird ihre Motion erneut einreichen.
--
Söldner
Aus dem Schützengraben in die Konferenzzimmer
Wie er als Südafrikaner denn in Sierra Leones
Nordosten
zurechtkomme, wollten wir wissen. Unten am Fluss standen Sierra-Leoner
und suchten in der schwülen Hitze nach Diamanten. In Angola sei es
leichter gewesen, erwiderte der Söldner. Da habe er Ruhe schaffen
können, indem er Angolanern zur Abschreckung in den Kopf
geschossen habe. Der Söldner von der Firma Executive Outcomes
verteidigte damals, vor 14 Jahren, die Diamantenfelder um die Stadt
Yengema gegen die Rebellen der Revolutionary United Front. Diese
hackten den Einheimischen Arme und Beine ab, und sie wurden von
Liberias Präsident Charles Taylor unterstützt. Der steht
dafür jetzt in Den Haag vor Gericht.
Heute würde wohl kein Söldner mehr so prahlen,
denn er
müsste ein Strafverfahren fürchten. Oberst Tim Spicer, der
Direktor von Aegis, hat damals mit angesehen, wie die Kollegen von
Executive Outcomes ihren Betrieb einstellen mussten, weil sie für
ihre Einsätze in Angola und Sierra Leone heftig kritisiert wurden.
Das schützte ihn nicht vor Fehlern, als er mit ehemaligen Kollegen
von Executive Outcomes die Firma Sandline betrieb: Weil bei einem von
der britischen Regierung bezahlten Einsatz von Spicers Leuten in Sierra
Leone ein Uno-Waffenembargo gebrochen wurde, liess Downing Street die
Firma fallen. Ein militärischer Einsatz in Papua-Neuguinea endete
mit der Verhaftung Spicers.
Heute sucht sich der 58-jährige Brite lieber
seriöse
Geschäftspartner: das Pentagon etwa, das ihm lukrative
Bewachungsaufträge im Irak bescherte. Seine
Öffentlichkeitsarbeit lässt er wohlweislich von der schicken
PR-Firma TheSpaWay in London machen.
Dieser Weg von den "killing fields" in Angola, Sierra
Leone oder
Kongo-Kinshasa in die Konferenzzimmer von Washington D. C. oder London
spiegelt aber auch die gewandelte öffentliche Wahrnehmung der PMC,
der Private Military Companies. Die Söldner tun Dinge, die der
Staat nicht kann oder darf. Das muss nicht immer schlecht sein:
Söldner wie der brutale Südafrikaner in Yengema halfen, den
blutigen Bürgerkrieg in Sierra Leone zu beenden. Christoph Plate
---
Sonntagszeitung 15.8.10
Etliche Söldnerfirmen in der Schweiz
Sicherheitsunternehmen werben hierzulande mit ihrer
Erfahrung aus
dem Irak-Krieg
Pascal Tischhauser und Matthias Halbeis
Bern Die wegen ihres Umzugs in die Schweiz in die
Schlagzei-len
geratene Militärfirma Aegis ist nicht das einzige private
Sicherheitsunternehmen, das in der Schweiz Zuflucht sucht. Mindestens
fünf weitere britische und amerikanische Firmen bieten nach
Recherchen der SonntagsZeitung aus der Schweiz heraus
Sicherheitsdienstleistungen an.
"Die Tätigkeit solcher Firmen auf Schweizer Boden
stellt ein
Problem für den Grundrechtsschutz im humanitären
Völkerrecht und für die Neutralität dar", betont
Polizeirechtler Markus Mohler. Für ihn stehen de- ren
Aktivitäten im Konflikt zum Montreux-Document, das die Schweiz
unterschrieben hat. Dieses fordert, Sicherheitsfirmen Ver-
haltensregeln vorzugeben.
Für Kenner der Nachrichtendienste ist klar, weshalb
Militärfirmen in die Schweiz umsiedeln. Schon von Gesetzes wegen
haben sie hier kaum Kontrollen zu fürchten. Anders als in
Grossbritannien hat der Schweizer Geheimdienst auch keine Mittel, die
Tätigkeiten der Firmen zu überwachen. Die laschen Schweizer
Waffengesetze ermöglichen es paramilitärischen Gruppierungen,
ungestört in der Schweiz Schusswaffentrainings abzuhalten.
Parlamentarier fordern eine Bewilligungspflicht
Nicht wenige der in der Schweiz tätigen Firmen werben
mit
ihrer Kriegserfahrung im Irak. So die New Century in Genf, die
Trainings für Polizeieinheiten und Nachrichtendienste anbietet. In
Genf findet sich auch die Salamanca, deren Kunden von den Erfahrungen
ihrer Sicherheits- und Geheimdienstexperten profitieren. Mit "Unsere
Firma operiert unterhalb des Radars" brüstet sich die ebenfalls in
der Rhonestadt ansässige Diligence, die von einem CIA-Offizier und
einem früheren MI5-Spion gegründet wurde. Einen Genfer Sitz
unterhält auch die als US-Anwaltsfirma firmierende Shook, Hardy
& Bacon. Eher ungewöhnlich ist, dass ihr Krisenmanagement-Team
laut Eigenwerbung eng mit "FBI und Homeland Security" zusammenarbeitet.
Von Basel aus operiert Agility, eine Logistikfirma, die einen Grossteil
des Nachschubs für die US-Truppen im Irak und in Afghanistan
organisiert.
Nicht mehr in der Schweiz verfügbar sind die Dienste
von
DynCorp, welche die Leibgarde des afghanischen Präsidenten Hamid
Karzai stellt. Bis letztes Jahr gehörte die Söldnerfirma zum
US-Softwarekonzern CSC, der in der Schweiz mehrere Niederlassungen hat.
DynCorp war in die Schlagzeilen geraten, weil sich mehrere ihrer
Helikoptermechaniker 1999 in Bosnien 13- bis 14-jährige
Mädchen als Sexsklavinnen gehalten haben. Die US-Armee, in deren
Auftrag die DynCorp-Männer Helikopter warteten, bestätigte
die Straftatbestände der Sklaverei und Vergewaltigung. Die
Männer wurden aber nicht verurteilt. Die Taten fielen nicht unter
US-Recht.
Immer mehr Parlamentarier fordern jetzt eine
Bewilligungspflicht
für Militärfirmen, unter ihnen Nationalrat Peter Malama (FDP,
BS). Bereits 2005 gab es solche Forderungen. Der Bundesrat sah damals
Handlungsbedarf.
Zweieinhalb Jahre später drehte sich der Wind. Laut
einem im
Bundesamt für Justiz angefertigten Bericht seien
Militärfirmen kein Problem. SP-Fraktionschefin Ursula Wyss hatte
2005 einen Vorstoss zu solchen Firmen eingereicht. Für sie ist es
klar, dass jetzt etwas passieren muss: "Aus der SP wird es einen
Vorstoss geben."
Kommentar Seite 13
--
"Militärfirmen wollen sich der Kontrolle entziehen"
Der Publizist und Experte für private
Sicherheitsfirmen Rolf
Uesseler zu den Vorteilen, die die Schweiz Söldnerfirmen bietet
Herr Uesseler, was ist Aegis für eine Firma?
Eine private Sicherheits- und Militärfirma mit
Niederlassungen in verschiedenen Teilen der Welt. Aegis expandiert
immer mehr in nicht militärische Bereiche wie Intelligence, also
die Informationsbeschaffung. Der Chef, Tim Spicer, ist jemand, der von
jeher mit staatlichen Intelligence-Organisationen erfolgreich
zusammenarbeitet.
Warum siedelt eine britische Militärfirma in die
Schweiz um?
Mit dem Umzug kann sie sich der zunehmenden Kontrolle
durch
London entziehen.
Gibt es weitere Vorteile?
Von der neutralen Schweiz aus lassen sich gut
Sicherheits-,
Intelligence- und IT-Aufträge in westlichen Staaten und aus der
Wirtschaft akquirieren. Ausserdem glauben die Firmen, die NGOs
überwachen zu müssen, von denen viele wie die internationalen
Organisationen und das Rote Kreuz ihren Sitz in Genf haben. Ein
Beispiel: Verletzte Taliban-Kämpfer in Afghanistan müssen in
Krankenhäuser. So wissen die Ärzte ohne Grenzen Dinge
über sie, die die Armeen herausfinden möchten.
Sandline, die frühere Firma von Tim Spicer, soll
trotz eines
Embargos Waffen nach Sierra Leone geliefert haben.
Ja, in diesem Zusammenhang ist interessant, dass der
illegale
Waffenhandel seit Auftauchen der Militärfirmen mehr oder weniger
zum Erliegen gekommen ist. Waffengeschäfte werden heute von diesen
privaten Firmen eingefädelt, aber offiziell von den staatlichen
Auftraggebern abgewickelt. Auch für solche Geschäfte
empfiehlt sich die Schweiz. Sie ist schliesslich selbst ein bedeutender
Waffenlieferant.
Pascal Tischhauser
--
Fokus
Beihilfe zu Kriegsverbrechen
Pascal Tischhauser zur Duldung von Söldnerfirmen in
der
Schweiz
2005 sah der Bundesrat Handlungsbedarf, weil sich private
Sicherheitsdienste in der Schweiz breitmachten. Er liess einen Bericht
ausarbeiten, aufgrund dessen das EJPD 2008 Entwarnung gab. Die Schweiz
sei für private Militärfirmen unbedeutend. Der
Kontrollaufwand sei "unverhältnismässig". Der Arbeitsgruppe
war es bei diesem Freipass für die Söldner aber nicht wohl:
Als Rückversicherung hielt sie fest, sie befürworte eine
Regelung, die sich am Kriegsmaterialgesetz orientiere. Vor jedem Export
von Sicherheitsdienstleistungen solle der Bundessegen eingeholt werden.
Wohlgemerkt: Sicherheits-, nicht Kriegsdienstleistungen.
Schliesslich dürfen von der Schweiz laut Gesetz keine
"Feindseligkeiten gegen einen Kriegsführenden" ausgehen.
Klar: Die Söldner, die in den Kriegs- und
Krisenherden
tätig sind, haben keine Schweizer Arbeitsverträge. Sie sind
bei Tochterfirmen im Ausland beschäftigt. Bei der Aegis Group, die
ihren Sitz neu in Basel hat, sind nach eigenen Angaben gar keine
Mitarbeiter tätig. Das operative Geschäft blieb in
Grossbritannien.
Aegis betont, man halte sich ans Montreux Document, ein
Regelwerk, für das sich Aussenministerin Micheline Calmy-Rey
starkmacht. Doch hier liegt das Problem: Das Regelwerk dient den
Söldnerfirmen als Feigenblatt. Sie verschanzen sich hinter dem
Versprechen, sich an den Kodex zu halten, und ihre Truppen verrichten
weiterhin die Drecksarbeit auf den Kriegsschauplätzen im Irak und
in Afghanistan. Ganz im Sinne der kriegsführenden Staaten, deren
Truppenverbände die offiziell saubere Wiederaufbauarbeit
verrichten.
Wollen wir dieses Handeln nicht länger
unterstützen,
müssen wir die Ansiedlung international tätiger
Militärfirmen verbieten und strikte kontrollieren. Tun wir das
nicht und gewähren wir den Söldnerfirmen weiterhin
rechtliches Asyl, machen wir uns der Beihilfe zu deren Verbrechen in
den Krisengebieten schuldig.
---
Sonntagsblick 15.8.10
Mister Spicers blutiges Business
VON JOHANNES VON DOHNÁNYI
Tim Spicer war Elite-Offizier. Dann schuf er sich eine
riesige
Privatarmee. Jetzt ist seine Aegis Group Holding in Basel registriert.
Marcy Kaptur war empört. "Kann mir hier vielleicht
mal
jemand sagen, wer dieser Mister Spicer eigentlich ist?" fragte die
demokratische Kongressabgeordnete im US-Ermittlungsausschuss über
den Irak-Krieg. Das war im Februar 2005. Und Mrs. Kaptur hatte gerade
erfahren, dass das US-Verteidigungsministerium einen
300-Millionen-Dollar-Auftrag an Spicers Privatarmee-Firma Aegis Group
vergeben hatte.
Etwa zur gleichen Zeit waren auch Videoaufnahmen
aufgetaucht, in
denen Aegis-Männer aus fahrenden Geländewagen auf irakische
Zivilisten feuerten.
"Was machen 20 000 Aegis-Mitarbeiter im Irak?" wollte die
Abgeordnete wissen. Und: "Wie kann ein britischer Unternehmer mehr
Bewaffnete in den Krieg schicken als seine eigene Regierung?"
Antworten auf Fragen wie jene von Marcy Kaptur gibt es
erst seit
dem Ende der Präsidentschaft von George W. Bush. Zusammen mit
dessen Vize Dick Cheney und dem damaligen Verteidigungsminister Donald
Rumsfeld ist Spicer einer der Hauptverantwortlichen für die
Privatisierung des Krieges.
Anfangs war Aegis im Irak für den Schutz der
Wiederaufbau-Ingenieure des Marine Corps zuständig. Mit anderen
Worten: Soldaten der schlagkräftigsten Armee der Welt brauchten
private Söldner, um sich gegen Angriffe irakischer
Aufständischer zu schützen.
Zugleich sah sich die Aegis-Truppe im Irak auch als "eyes
and
ears" (Augen und Ohren) der Briten und Amerikaner. Die
Nachrichtenbeschaffung und geheimdienstliche Analyse sei eine
Stärke seiner Organisation, betonte Oberstleutnant a. D. Spicer
während einer Anhörung vor dem US-Kongress.
Seit vier Jahren und nach Söldnerskandalen etwa im
irakischen Foltergefängnis von Abu Ghraib hat die bis dahin
vergleichsweise unbelastete Aegis - für weitere Hunderte Millionen
Dollar - die Koordination aller im Irak operierenden Privatarmeen
übernommen.
So zufrieden sind seine Kunden, dass Aegis-Chef Spicer
seine
schwer bewaffnete Truppe gleich in den nächsten Krieg mitschicken
durfte, nach Afghanistan. "Das Geschäft boomt", brüstete sich
der ehemalige Special-Forces-Offizier während einer Anhörung
vor dem britischen Unterhaus. Krieg sei in Zukunft ohne Privatarmeen
wie seine nicht mehr denkbar, sagte Spicer bei anderer Gelegenheit. Und
vieles Superspricht dafür, dass der Mann recht behält.
Die Stunde der Söldnerheere schlug mit dem Fall der
Berliner
Mauer am 9. November 1989. Nach dem Ende des Kalten Krieges wurden
staatliche Armeen verkleinert und Rüstungsgüter ausgemustert.
Euphorisch war die Rede von einer Friedensdividende. Ein Irrtum.
Denn die Welt wurde nicht friedlicher. Neue und oft
bürgerkriegsähnliche Konflikte wie etwa in Kroatien und
Bosnien-Herzegowina brachen aus. Kriege, in die die westlichen Staaten
offiziell nicht eingreifen wollten. Da kamen Männer wie Spicer und
ihre privaten Militärorganisationen gerade recht.
Elf Jahre nach dem letzten Balkankrieg im Kosovo ist
bewiesen,
dass amerikanische und britische Söldner die Armeen der
rebellierenden Teilrepubliken Jugoslawiens ausbildeten und in einigen
Fällen auch im aktiven Kampf unterstützten.
Aus Abu Ghraib und zahllosen Massakern an irakischen
Zivilisten
hat Aegis-Chef Spicer eine Lehre gezogen: Damit der private
Militärsektor eine Zukunft hat, braucht er strikte Regeln.
Offiziell zumindest ist Aegis bereit, sich nicht nur den Genfer
Kriegskonventionen, sondern auch dem von der Schweiz und dem
Internationalen Roten Kreuz vorgeschlagenen Kodex für Privatarmeen
zu unterwerfen. Deswegen, lässt der Söldnerkönig wissen,
könne er gar nicht verstehen, was die Schweiz gegen die Ansiedlung
seiner Privatarmee-Holding in Basel haben könnte.
--
Tim Spicer in Sierra Leone
Die Spur zu Naomis Blutdiamanten
VON JOHANNES VON DOHNÁNYI
Für Edelsteine tat der Söldnerkönig alles:
Im
Bürgerkrieg von Sierra Leone verkauften seine Firmen Waffen an
beide Konfliktparteien.
Im Januar 1998 hatte Oberstleutnant a. D. Tim Spicer
einmal
wieder ein todsicheres Geschäft abgeschlossen: Sierra Leones
gestürzter Präsident Ahmet Kabbah gab Spicers damaligem
Unternehmen Sandline den Auftrag, die Vereinte Revolutionsfront (RUF)
von den Diamantenfeldern des westafrikanischen Staates zu vertreiben
und ihn wieder an die Macht zu bringen. Bezahlen wollte Kabbah die
Söldner mit Edelsteinen.
Unter Westafrikas Rebellengruppen war die RUF die
grausamste.
"Trägst du lange oder kurze Ärmel?", fragten ihre oft
minderjährigen Kämpfer, bevor sie Opfern entweder die rechte
Hand oder den Unterarm abschlugen. Hinter der RUF stand der
liberianische Diktator Charles Taylor, der von ihr mit Diamanten
versorgt wurde.
Um solche Blutdiamanten geht es auch beim
Kriegsverbrecherprozess
gegen Taylor in Den Haag. Einige Steine soll er Naomi Campbell
geschenkt haben. Das Supermodel allerdings leugnet, den Namen des
"grosszügigen Spenders" je gekannt zu haben.
Was Ex-Präsident Kabbah nicht wusste: Auch die RUF
bezahlte
Firmen und Partner von Spicer mit Diamanten aus den Minen, die der
Söldner jetzt für ihn zurückerobern sollte. Und die
RUF-Rebellen beglichen damit Rechnungen für Waffen- und
Munitionslieferungen.
Verwaltet wurden Spicers Firmen von den auf der Kanalinsel
Guernsey registrierten Hansard Management Services: die inzwischen
geschlossene Sandline ebenso wie die Sicherheitsfirma Lifeguard, das
Rohstoffunternehmen Branch Energy und einige mehr. So diversifiziert
aufgestellt mache man die besten Geschäfte, hat
Söldnerkönig Spicer einmal gesagt.
--
POLITIKER-STIMMEN ZUR AEGIS-AFFÄRE
"Es ist im höchsten Mass verwerflich, dass eine
Firma, die
Truppen im Ausland vermittelt und finanziert, in die Schweiz kommt. Das
ist aussen- und neutralitätspolitisch nicht hinnehmbar. In diesem
Bereich herrscht ein regulatorisches Vakuum. Ich werde in der
Herbstsession eine entsprechende Motion einreichen. Sie verlangt, dass
ein solches Unternehmen ein Zulassungsverfahren über sich ergehen
lassen muss, bevor sie sich in der Schweiz ansiedeln kann"
FDP-Nationalrat Peter Malama, Basel
"Wir sollten alles tun, um die Ansiedlung von Firmen wie
Aegis in
der Schweiz zu verhindern. Das steht im Gegensatz zu unserer
Neutralität und Sicherheitspolitik. Ich bin froh, dass Eveline
Widmer Schlumpf vorwärts macht, dem einen Riegel zu schieben"
Anita Fetz, SP-Ständerätin, Basel
--
Angriff auf britische Privatarmee
Bewilligungspflicht für Söldnerfirmen
VON MARCEL ODERMATT UND REZA RAFI
Der Umzug von Aegis Defence nach Basel stösst auf
Gegenwehr.
Justizministerin Widmer-Schlumpf verlangt rechtliche Hürden,
andere Politiker ein Verbot.
In Basel stehen die Zeichen auf Sturm - wegen einer
Briefkastenfirma. Von der rot-grünen Stadtregierung unbemerkt, hat
das britische Unternehmen Aegis Defence den Sitz seiner Holding ans
Rheinknie verlegt. Aegis ist nichts anderes als eine
Söldnertruppe, die Geld mit Kriegen macht. "Ich habe aus der
Zeitung davon erfahren", sagt Christoph Brutschin (52, SP), Vorsteher
des basel-städtischen Wirtschaftsdepartements.
Dass ein grosses Unternehmen, das auf
Kriegsschauplätzen
Millionenumsätze macht, von neutralem Schweizer Boden aus
geschäftet, ist in diesem Ausmass völlig neu. Und die
Vorstellung, dass die Schweiz zum Mekka für internationale
Söldnerbetriebe wird, mehr als heikel.
Auf höchster Ebene herrscht Alarmstufe Rot.
Justizministerin
Eveline Widmer-Schlumpf (54) stellt im Interview mit Sonntags-Blick
besorgt die Frage, ob der Zuzug von Aegis "mit unseren Werten
vereinbar" sei. Sie will rechtliche Hürden gegen
Söldnerfirmen aufbauen und fordert eine Bewilligungs- und
Kontrollpflicht. Klare Ansage aus Bern: Stopp den Privatarmeen!
Basel begrüsst das. "Derzeit fehlt uns nämlich
eine
rechtliche Handhabe", so Brutschin. "Das Unternehmen verstösst
nicht gegen die Handels- und Gewerbefreiheit. Wir können die
Ansiedlung deshalb nicht verhindern."
Die Basler Regierung wird Widmer-Schlumpf am Dienstag in
einem
Brief darum bitten, den Söldnern auf Bundesebene einen Riegel
vorzuschieben. Support kommt auch von CVP-Nationalrat Jakob
Büchler (58, SG), Präsident der Sicherheitspolitischen
Kommission (SiK). "Wir tolerieren keine Privatarmeen auf Schweizer
Boden", sagt er. "Das Unternehmen greift ausserdem in die Polizeihoheit
des Kantons Basel-Stadt ein." Nächste Woche berät die SiK
über Gegenmassnahmen. "Auch ein Verbot wird diskutiert werden."
Die Linke möchte sogar noch weiter gehen: GSoA-Aktivist und
Grünen-Nationalrat Jo Lang (56, ZG) will per Vorstoss ein Verbot
von Privatarmeen lancieren. Nationalrat Geri Müller (49,
Grüne/ AG) bringt dasselbe Anliegen morgen in der
Aussenpolitischen Kommission ein. Und seine Basler Parteifreunde
streben mit einer Motion eine Standesinitiative für ein Verbot von
Privatarmeen an.
--
EDITORIAL
Bye-bye, Mister Spicer!
Phillipe Pfister Stv. Chefredaktor
MANCHMAL GIBT UNS DER SONNTAG Gelegenheit, am
Frühstückstisch ein paar Fakten zu ordnen. Fakten, die uns im
Lauf der Wochen beschäftigt haben.
IN DIESER WOCHE SIND ES Fakten rund um die britische Firma
Aegis
Defence Services, über die es sich einige Augenblicke nachzudenken
lohnt.
AEGIS HAT IHREN HAUPTSITZ von London nach Basel verlegt.
Sie
unterhält eine der grössten Privatarmeen der Welt. 20 000
Söldner, so die Schätzung, beziehen ihren Lohn bei Aegis.
Haupteinsatzgebiete: Irak und Afghanistan. Hauptauftraggeber: das
Pentagon, welches Amerikas Kriege steuert. Geschätzter
jährlicher Umsatz: rund 200 Millionen Dollar.
AEGIS BETREIBT IN BASEL eine Holding.
Holding-Organisationen, so
lehrt die Betriebswirtschaft, sind "ein Instrument zur Verschaffung von
Steuervorteilen". Das Steuernsparen wird gern vom sogenannten
operativen Geschäft getrennt. Im Falle Aegis ist es genau so.
"Operative Tätigkeiten von Basel aus sind nicht geplant",
lässt Tim Spicers Söldnertruppe durch eine Pressedame
ausrichten.
SO SPRECHEN SIE, die Bürokraten, die Technokraten,
die
Legalisten dieser Welt. Und so lenken sie unser Denken subtil, aber
wirksam auf den Weg ihrer perversen Logik. Der deutsche Anwalt Dr.
Kristian Meier, der von Basel aus die Holding überwacht, hat ja
nichts mit dem blutigen Geschäft des Herrn Spicer zu tun. Im
Übrigen: Alle Schweizer Gesetze werden eingehalten. Wo also liegt
das Problem?
DARIN, DASS diese Sprache die Fakten vernebelt: Ein
Unternehmen,
das mit den Kriegen dieser Welt Hunderte Millionen Dollar macht, will
mit Hilfe der Schweiz weitere Millionen Dollar machen. Um noch mehr
Söldner anzuheuern. Um noch mehr Geld zu machen.
RAUSSCHMEISSEN KÖNNEN wir Tim Spicer nicht. Den Druck
auf
ihn erhöhen schon: Es ist richtig, wie Eveline Widmer-Schlumpf
fordert, dass Privatarmeen einer einheitlichen Bewilligungs- und
Kontrollpflicht unterstellt werden. So bleiben sie auf den
Traktandenlisten der Politiker. Und Thema am Frühstückstisch.
Dass möglichst viele Menschen in diesem Land Herrn Spicer einen
herzlichen Un-Willkommensgruss entbieten, kann ja nicht schaden.
---------------------
ANTI-ATOM
-------------------
Solothurner Zeitung 17.8.10
Die Meldepflicht zu spät wahrgenommen
"Störfall" Nuklearsicherheitsinspektorat zeigt AKW
Gösgen beim Bundesamt für Energie an
Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat hat
eine
Strafanzeige gegen das Atomkraftwerk Gösgen eingereicht. Grund ist
ein Vorfall vom 24. Juni 2008.
"AKW Gösgen - wird Gesetz verletzt und Sicherheit
gefährdet?", fragt Philipp Hadorn (SP/Gerlafingen) in einer
Interpellation. Grund ist eine Strafanzeige des Eidgenössischen
Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi) gegen das Kernkraftwerk
Gösgen (KKG) der Alpiq vom am 21. April 2010 wegen eines Vorfalls
vom 24. Juni 2008 beim Wiederanfahren nach einer Revision. In der
Anzeige beim Bundesamt für Energie rügt das Ensi, dass das
KKG nach dem gleichartigen Ausfall der vier 48-Volt-Gleichrichter des
Notstandsystems seine Meldepflicht verspätet wahrgenommen habe.
Offen ist, ob die Meldung fahrlässig verzögert wurde.
Der Vorfall wurde vom Ensi auf der tiefsten Stufe 1
("Anomalie")
der siebenstufigen internationalen Skala eingestuft. Dies war laut dem
Regierungsrat - der sich für die Beantwortung der Interpellation
mit dem Ensi kurzgeschlossen hatte - nicht technisch begründet.
Grund sei vielmehr "der nicht sicherheitsgerichtete Umgang der
Verantwortlichen mit einem Mehrfachversagen durch denselben
Fehlermechanismus" gewesen. Konkret kritisiere das Ensi, dass das KKG
"nicht frühzeitig das Vorliegen mehrerer gleichartiger Fehler
erkannte".
Regierung: "Kein Störfall"
Der Vorfall sei kein "Störfall" gewesen, hält
die
Regierung in ihrer Antwort fest. Denn: Es sei kein Eingreifen von
Sicherheitssystemen erforderlich gewesen. Es sei zu keiner
unzulässigen Abgabe von Radioaktivität an die Umgebung und zu
keiner Gefährdung der Bevölkerung gekommen. Die
Stromversorgung sei jederzeit sichergestellt gewesen. Das Ensi habe in
der Folge des Vorfalls seine Inspektionstätigkeit in Gösgen
intensiviert und dabei auch die vom KKG eingeleiteten Massnahmen, die
es als zweckmässig beurteile, einer Inspektion unterzogen.
Eine Vorverurteilung will der Regierungsrat, dessen
Mitglied
Christian Wanner Vertreter des Kantons im Alpiq-Verwaltungsrat ist,
nicht vornehmen. "Es versteht sich aber von selbst, dass wir
grundsätzlich jedes gesetzwidrige Verhalten verurteilen."
Unabhängig dieser Frage ist störend, dass der Vorfall von der
Alpiq erst im Dezember 2009 öffentlich gemacht wurde. (cva, mz)
---
Tagesanzeiger 17.8.10
Atommüll: Weiche Faktoren sind wichtig
Lanner Alexander
Bülach - Der Ausschuss der Kantone (AdK) nimmt laut
einer
Stellungnahme zur ersten Etappe der geplanten Tiefenlager für
Atommüll zur Kenntnis, dass sechs Standortgebiete für schwach
radioaktive und drei Gebiete für hoch aktive Abfälle weiter
bearbeitet werden sollen. Unter den möglichen Standorten ist auch
die Region "Nördlich Lägern" im Zürcher Unterland.
Verbleibende Ungewissheiten sollen mit den nötigen
Felduntersuchungen in den Standortgebieten ausgeräumt werden.
Zudem empfiehlt der AdK "die zusätzliche Durchführung
regionaler, zwischen den Standortregionen vergleichbarer Studien zu den
Themen gesellschaftlicher Zusammenhalt und Image".
Hanspeter Lienhart, Stadtrat von Bülach und
Präsident
des Forums Lägern Nord, teilt die Meinung, dass "weitere
Untersuchungen für die Vergleichbarkeit der Standorte" notwendig
sind. "Nur wenn man überall den gleichen Massstab anwendet, kann
man die richtigen Schlüsse ziehen", so Lienhart. Ebenso wichtig
sei es, dass neben der geologischen Beschaffenheit auch "weiche
Faktoren" der sozioökonomisch-ökologischen Wirkungsstudien
zum Zug kommen. Diese seien aber aufwendiger zu eruieren. (all)
---
Landbote 17.8.10
Kantone wollen zusätzliche Abklärungen
Thomas Schraner
Die Suche nach Endlagern für radioaktive Abfälle
verlaufe zufriedenstellend, sagen die involvierten acht Kantone. Sie
verlangen aber vergleichende Zusatzstudien.
Zürich - Das Gremium der acht Kantone heisst
Ausschuss der
Kantone (AdK) und äussert sich zu den sechs
Standortvorschlägen, welche die Nagra 2008 präsentierte:
Benken im Weinland (ZH und TG), Nördlich Lägern (ZH und AG),
Bözberg (AG), Jura-Südfuss (AG, SO), Wellenberg (NW, OW) und
Südranden (SH).
Die Suche sei bis jetzt "zielführend" verlaufen,
schreibt
der AdK unter dem Vorsitz des Zürcher Baudirektors Markus
Kägi (SVP). Das Gremium empfiehlt aber, zusätzliche
Untersuchungen zu machen, um Unsicherheiten auszuräumen. "Erst mit
zusätzlichen Untersuchungen kann eine fundierte und vergleichbare
Bewertung aller geologischen Standortgebiete vorgenommen werden",
heisst es in der Mitteilung. Zum geplanten Partizipationsverfahren, das
im September beginnt und bei dem alle Betroffenen mitreden können,
äussert sich der Ausschuss positiv: "Aufwendig, aber
zweckdienlich." Wie Baudirektor Kägi auf Anfrage sagte, legt der
AdK vor allem Wert auf Untersuchungen, die den Vergleich der Standorte
ermöglichen. Ebenso wünscht er, dass es weiterhin
möglich bleibt, zusätzliche Gemeinden ins Verfahren
einzubeziehen.
Regierung sagt weiter Nein
Als Vorsitzender des AdK und Kantonsvertreter ist
Kägi in
einer speziellen Situation. Denn die Zürcher Regierung lehnt ein
Endlager auf ihrem Gebiet ab, wie sie bereits im November 2008
klargemacht hat. "Das ist immer noch so, aber wir akzeptieren das
Verfahren", sagt Kägi. Als Kantonsvertreter ist er mit seinem Nein
aber nicht allein. Auch die Schaffhauser und die Nidwaldner
Regierungskollegen lehnen die Endlager auf ihrem Territorium ab. Was
der AdK veröffentlichte, ist nur der kleinste gemeinsame Nenner
der am Prozess Beteiligten.
Gemäss dem federführenden Bundesamt für
Energie
nimmt die Standortsuche für ein Endlager zehn Jahre in Anspruch.
Sie ist geregelt im "Sachplan geologische Tiefenlager" und soll in drei
Etappen ablaufen. Zu jeder Etappe darf sich auch der AdK, das
politische Leitgremium des Sachplans, äussern. Mit der aktuellen
Verlautbarung des AdK zur ersten Etappe sind die Stellungnahmen der
einzelnen Kantone noch nicht vorweggenommen, wird in der Mitteilung
präzisiert. Die Kantone äussern sich im Verlauf des
nächsten Halbjahrs.
Jean-Jacques Fasnacht, Arzt in Benken und Sprecher der
Endlagergegner, hat nichts gegen zusätzliche Abklärungen, wie
sie der Ausschuss verlangt. Er findet aber, die relevanten
Sicherheitsfragen würden damit nicht erfasst. Beim geplanten
Partizipationsverfahren handle es sich um Scheindemokratie, da
Mitsprache nur in Nebensachen wie Gebäudefarbe möglich sei.
"Ein Endlager in einem bewohnten Gebiet ist eine Erbsünde, die wir
nachkommenden Generationen hinterlassen", sagt er. (tsc)
---
Oltner Tagblatt 17.8.10
"Tiefenbohrungen auch am Jurasüdfuss nötig"
Radioaktive Abfälle Kantone fordern
Zusatzuntersuchen, bevor
einzelne Standorte aus dem Rennen ausscheiden
Die acht möglichen Standortkantone von Tiefenlagern
für
radioaktive Abfälle fordern zusätzliche Felduntersuchungen
über die vorgeschlagenen Standortgebiete. Das hiesse:
Tiefenbohrungen auch am Jurasüdfuss.
Das Auswahlverfahren für je ein geologisches
Tiefenlager
für schwach und mittelradioaktive sowie für hochradioaktive
Abfälle befindet sich in der ersten von drei Etappen. Gestern hat
sich der "Ausschuss der Kantone" (AdK) zum Stand des Verfahrens
geäussert. Der AdK besteht aus je einem Regierungsmitglied der
acht potenziellen Tiefenlager-Standortkantone AG, BL, NW, OW, SH, SO,
TG und ZH. Solothurn wird von Landammann Walter Straumann vertreten.
Die Kantonsregierungen verlangen, dass "die verbleibenden
relevanten Ungewissheiten durch gezielte Untersuchungen geklärt"
werden. Bevor einzelne Gebiete aus dem Verfahren ausgeschlossen oder
priorisiert werden, müsse über alle ein vergleichbarer
Kenntnisstand erreicht werden. Die nötigen Felduntersuchungen
seien vor Ende von Etappe 2 durchzuführen, also bis 2014/15.
"Zu wenig genaue Kenntnis"
Auf Anfrage erklärte Rolf Glünkin vom
Solothurner Amt
für Raumplanung, dass das Standortgebiet Jurasüdfuss weniger
gut untersucht sei als dasjenige im Zürcher Weinland, wo
Tiefenbohrungen durchgeführt wurden. Die grösste Ungewissheit
betreffe die Tektonik. "Im Bereich Born-Engelberg gibt es relativ
junge, lokale Störungen der Tektonik, von denen man bisher nie
genau untersucht hat, wie weit nach Osten sie reichen."
Zu dieser Frage könnten nur Tiefenbohrungen
Aufschluss
geben. Die Vermutung liegt nahe, dass der Kanton Solothurn von solchen
Untersuchungen eher Argumente gegen das Standortgebiet Jurasüdfuss
erwartet.
"Zusammenhalt und Image"
Nach der Abklärung der sicherheitstechnischen Eignung
in der
laufenden Etappe 1 sind in der Etappe 2 unter anderem so genannte
"sozioökonomisch-ökologische Wirkungsstudien" vorgesehen. Der
Ausschuss der Kantone empfiehlt zusätzlich die Durchführung
regionaler, zwischen den Standortregionen vergleichbarer Studien zu den
Themen "gesellschaftlicher Zusammenhalt" und "Image". Mit dem
"gesellschaftlichen Zusammenhalt" sei die Frage gemeint, ob der Bau
eines Tiefenlagers eine betroffene Region derart entzweien würde,
dass bleibende Gräben in der Gesellschaft aufgerissen würden,
erklärte Glünkin dazu.
Selbstverständlich bestehen zwischen den acht
Standortkantonen wesentliche Differenzen, denn schliesslich
fürchtet bisher jeder Kanton die negativen Auswirkungen eines
Tiefenlagers und hofft, dass er letztlich nicht Standort sein werde.
Darum ist die gemeinsame Stellungnahme des AdK - wie in der
Medienmitteilung ausdrücklich betont wird - keine Vorwegnahme der
Stellungnahmen der einzelnen Kantone. Diese werden im Lauf des Herbstes
folgen.
Anhörung ab 1. September
Der Fahrplan für die nächsten Schritte des
Auswahlverfahrens präsentiert sich wie folgt. Am kommenden Montag,
23. August, wird das Bundesamt für Energie (BFE) mit einer
Medienkonferenz die Anhörung zu Etappe 1 des Sachplans
Geologisches Tiefenlager eröffnen. Während dreier Monate, vom
1. September bis am 30. November, werden die Dokumente zu allen in der
Etappe 1 vorgesehenen Aufgaben öffentlich aufgelegt. Dazu kann
jedermann Stellung nehmen.
Für das in der Region Aarau-Olten liegende
Standortgebiet
Jurasüdfuss führt das Bundesamt für Energie am Montag,
6. September, von 19 bis 21 Uhr, eine Informationsveranstaltung zu
dieser Anhörung in der Mehrzweckhalle Niedergösgen durch.
(cva)
---
Schaffhauser Nachrichten 17.8.10
Endlager: Weitere Untersuchungen gefordert
Um mögliche Standorte von Atommüll-Endlagern zu
ermitteln, brauche es noch zusätzliche geologische
Abklärungen. Das erklärt der Ausschuss der Kantone in einer
Stellungnahme.
Von Erwin Künzi
Die Etappe 1 des Auswahlverfahrens für ein
Atommüll-Endlager ist akzeptabei verlaufen. Das teilte gestern der
Ausschuss der Kantone (AdK) mit, in dem die Regierungen der acht
Kantone vertreten sind, die mögliche Standorte für ein
Endlager sind. Die Anforderungen in Bezug auf Fairness, Transparenz und
partizipativer Mitwirkung seien erfüllt worden, insgesamt
beurteilt der AdK die Prozesse der Etappe 1 als "zielführend".
Trotzdem gibt es Vorbehalte. Der bedeutendste betrifft die geologischen
Untersuchungen. Bei diesen müsse, so heisst es in der Mitteilung,
unbedingt den vier folgenden Grundsätzen nachgelebt werden:
Vier Grundsätze
"1. Alle möglichen Wirtgesteine und geologischen
Konfigurationen
müssen berücksichtigt werden. Bei ungenügender Datenlage
müssen die erforderlichen Untersuchungen nachgeholt werden. 2.
Ausschlüsse von Wirtgesteinen dürfen nur auf der Basis eines
robusten Kenntnisstandes vorgenommen werden. Sie müssen
wissenschaftlich begründet und transparent dargestellt werden. 3.
Verfrühte, auf unsicheren und inhomogenen Datengrundlagen
basierende Bewertungen und Rangierungen von Standortgebleten
müssten vermieden werden. 4. Alle potenziellen Standortgebiete
sollen beibehalten werden, bis die verbleibenden relevanten
Ungewissheiten durch gezielte Untersuchungen geklärt sind, d. h.
keine Ausschlüsse oder Priorisierungen, bevor Einschätzungen
und Vermutungen wissenschaftlich erhärtet sind und ein
vergleichbarer Kenntnisstand erreicht ist." Auf die Einhaltung vor
allem des 4.Grundsatzes pocht Regierungsrätin Ursula Hafner-Wipf,
die den Kanton Schaffhausen im AdK vertritt: "Wir befürchten, dass
Benken als Standort für ein Endlager gewählt wird, und zwar
nur darum, weil dort die Daten bereits vorhanden sind. Das darf nicht
sein, und darum hat der Kanton Schaffhausen wiederholt gefordert, dass
alle möglichen Standorte gleichermassen intensiv geologisch
abgeklärt werden müssen."
AdK unterstützt Schaffhausen
Der AdK stellt sich jetzt hinter die Schaffhauser Forderungen,
indem er
zuhanden des Bundes schreibt: "Der AdK nimmt zur Kenntnis, dass sechs
Standortgebiete für schwach- und mittelradioaktive Abfälle
und drei Gebiete für hochradioaktive Abfälle weiter
bearbeitet werden sollen. Er empfiehlt aber, die verbleibenden
Ungewissheiten in den geologischen Standortgebieten mit den dafür
nötigen Felduntersuchungen vor Ende von Etappe 2 auszuräumen.
Erst mit zusätzlichen Untersuchungen kann eine fundierte und
vergleichbare Bewertung aller geologischen Standortgebiete vorgenommen
werden."
Schaffhauser Studie als Muster
Eine weitere Forderung des AdK, die er vom Kanton Schaffhausen
übernommen hat, betrifft die Studien zu den
sozioökonomisch-ökologischen Auswirkungen, die der Bau eines
Endlagers auf die Standortregion hat. Diese will der Bund in Etappe 2
des Auswahlverfahrens durchführen lassen. Der Kanton Schaffhausen
wollte nicht so lange warten und gab eine eigene Studie in Auftrag.
"Wir bekamen daraufhin vom Bund den Vorwurf zu hören, wir seien
vorgeprellt", erklärte Ursula Hafner-Wipf. "Aber so konnten wir
die Kriterien, die bei der Studie eine Rolle spielen sollten, selber
mitbestimmen und mussten sie nicht einfach dem Bund überlassen."
Auch der AdK setzt sich jetzt für eine Ausweitung der Themen
dieser Studien ein: "Der AdK empfiehlt die zusätzliche
Durchführung regionaler, zwischen den Standortregionen
vergleichbarer Studien zu den Th& men <gesellschaftlicher
Zusammenhalt> und <Image>." "Ich habe immer wieder verlangt,
dass das auch untersucht wird", so Hafner-Wipf, "die Schaffhauser
Studie könnte als Muster für andere dienen."
"Kein Präjudiz"
Auch wenn der AdK, dem neben Schaffhausen unter anderen auch die
Kantone Aargau, Basel-Landschaft. Nidwalden, Obwalden, Solothurn,
Thurgau und Zürich angehören, in seiner Mitteilung einige
Forderungen des Kantons Schaffhausen übernommen hat, folgt die
eigentliche Schaffhauser Stellungnahme erst noch: "Das, was gestern
veröffentlicht wurde, ist kein Präjudiz für das, was wir
Ende November einreichen werden", betonte Hafner-Wipf. Am 23. August
eröffnet das Bundesamt für Energie die Anhörung zur
Etappe 1 des Auswahlverfahrens, Ab diesem Datum werden auch in
Schaffhausen sämtliche Unterlagen zu diesem Auswahlverfahren
öffentlich aufgelegt.
---
Aargauer Zeitung 16.8.10
"Windturbinen will keiner vor dem Haus"
Axpo-Chef Heinz Karrer über die drohende
Stromlücke,
steigende Energiepreise und sein Image als "Mister AKW"
Herr Karrer, Sie warnen immer wieder vor der drohenden
Stromlücke in der Schweiz. Wünschen Sie sich manchmal den
totalen Stromausfall, damit die Bevölkerung spürt, wie das
ist?
Heinz Karrer: Nein, auf keinen Fall. Wir sehen auch so,
was ein
Blackout für Folgen hat. Es gibt immer wieder lokale, aber auch
grossregionale Ausfälle.
Woran denken Sie?
Karrer: Zuerst an Kalifornien, Südafrika, aber auch
an
Deutschland, Frankreich oder Italien. In der Schweiz ist es das Wallis,
das nicht gerade in einer stabilen Situation ist.
Was heisst das?
Karrer: Im Wallis gibt es Kapazitätsengpässe,
dort
droht das Stromnetz zeitweise zusammenzubrechen. Aber allgemein
profitiert die Schweiz von einem stabilen Netz.
Was macht die Axpo, wenn es zu einem Blackout kommt?
Karrer: Es gibt Notfallkonzepte, die besagen, wie und wo
man
zuerst "Last" abwerfen müsste. Im Extremfall könnten ganze
Regionen davon betroffen sein.
Um die Stromlücke zu verhindern, wollen Sie zwei neue
Atomkraftwerke bauen. Können wir den künftigen Strombedarf
nicht über erneuerbare Energien und effizienteren Verbrauch decken?
Karrer: Wir brauchen genügend
Produktionskapazitäten zu
jedem Zeitpunkt. Im Moment haben wir diese, aber wir müssen auch
langfristig unsere eigene Stromversorgung sicherstellen. Das
können wir, nebst allen Anstrengungen bei der Energieeffizienz und
beim Zubau von erneuerbaren Energien, nur mit Ersatzkernkraftwerken.
Aber mit effizienten Geräten lässt sich doch
Strom
sparen?
Karrer: Es ist eine paradoxe Situation: Geräte wie
Computer
und Kühlschränke werden zwar immer effizienter, aber es gibt
gleichzeitig immer mehr, dann laufen sie immer länger und zudem
verfügen sie über eine höhere Leistung. Wir verbrauchen
insgesamt nicht weniger Strom, sondern mehr.
Was ist mit erneuerbaren Energien?
Karrer: Die Axpo glaubt an das Potenzial der erneuerbaren
Energien. Bis 2030 wollen wir in der Schweiz rund 2,2 Terawattstunden
an das vom Bundesamt für Energie definierte Ziel von
zusätzlichen 5,4 Terawattstunden Strom aus erneuerbaren Energien
beitragen. Das sind 40 Prozent! Dafür sind Investitionen von rund
3 Milliarden Franken bis 2030 vorgesehen, alleine seit 2006 wurden 500
Millionen Franken investiert. Auch im Ausland investieren wir zum
Beispiel in die Windkraft.
Dennoch gelten Sie als "Mister AKW". Stört Sie dieses
Image?
Karrer: Ich orientiere mich an meiner Aufgabe. Als Chef
eines
Stromunternehmens hat man immer mit Konflikt-Situationen zu tun. Es ist
ein Irrglaube, dass es in der Bevölkerung nur Widerstand gegen KKW
gibt, das ist ebenso bei Wasser-, Wind- oder Holzkraftwerken der Fall.
Niemand will eine Windturbine vor dem eigenen Haus. Ein Teil der
betroffenen Bevölkerung ist immer gegen solche Projekte, aus
nachvollziehbaren Gründen. Diesen Konflikt zu lösen, finde
ich eine spannende Aufgabe.
Wie viel mehr Strom brauchen wir in Zukunft?
Karrer: Jedes Jahr 1 bis 2 Prozent mehr. Das bestreitet
mittlerweile niemand mehr.
Warum muss die Schweiz die ganze Stromversorgung selber
sicherstellen, statt mehr zu importieren?
Karrer: In Europa gilt, dass jedes Land die
Stromversorgung
primär für sich selber sicherstellen soll. Zudem ist
importierter Strom teurer.
Ist das nicht ein veraltetes Reduitdenken?
Karrer: Nein, bei der Energieversorgung will und kann kein
europäisches Land für ein anderes sorgen. Das
europäische Regime besagt, dass jedes Land seine Stromversorgung
primär selber gewährleisten muss. Das führt dazu, dass
wir vor Jahren in Frankreich in Kernkraftwerke und Netze investiert
haben. Diese Energie, die zwar uns gehört, können wir aber
aufgrund der EU-Regeln nicht mehr privilegiert importieren.
Was bedeutet das?
Karrer: Solche Langfristverträge sind künftig
nicht
mehr möglich, und der importierte Strom wird um das Doppelte
teurer.
Die Schweiz könnte sich als internationale
Stromdrehscheibe
positionieren, um in diesem umkämpften Markt unverzichtbar zu
werden.
Karrer: Das sind wir bereits. Wir haben ausgeprägte
Transitachsen. Aber bei den Stromnetzen ist es ähnlich wie bei den
Strassen: Irgendwann ist das Netz voll, die Transitleistung ausgereizt.
Importierter Strom wird teurer. Die Axpo hat aber
kommuniziert,
dass sie die Preise jetzt um 1,2 Rappen erhöhen wird. Warum?
Karrer: Wir mussten diese Anpassung vornehmen. Wir haben
einerseits weniger Einnahmen für Strom, den wir ins Ausland
verkaufen, das führt zu einer deutlichen Gewinnschmälerung.
Andererseits haben wir seit Jahren eine massive Zunahme von Ersatz- und
Neubauinvestitionen, zusätzliche Finanzierungs- sowie höhere
Beschaffungskosten am Markt. Zudem sind die Produktionskosten bei der
Wasserkraft und Kernenergie gestiegen.
Sie brauchen Geld für neue AKW?
Karrer: Diese Preiserhöhung hat nichts mit den
möglichen Ersatzkraftwerken zu tun.
Die Axpo hat 2009 zu Ihrem Bedauern "nur" 568 Millionen
Franken
Gewinn gemacht, im Jahr vorher über eine Milliarde. Wofür
brauchen Sie Riesengewinne auf Vorrat?
Karrer: Das hat gar nichts mit Vorrat zu tun. Schauen Sie
in
unsere Rechnung. Wir brauchen einen Gewinn, denn wir investieren ja
beispielsweise in die Wasserkraft. Allein im Ausbauprojekt Linthal 2015
beträgt das Investitionsvolumen rund 2,1 Milliarden Franken.
Kostet das die Axpo so viel?
Karrer: Wir haben beispielsweise gerade für 1,75
Milliarden
Franken Fremdkapital aufgenommen, das muss mit rund 40 Millionen
Franken verzinst werden. Zudem müssen viele Wasserkraftwerke jetzt
saniert und die Kapazitäten ausgebaut werden.
Ein neues AKW wird 6 bis 7 Milliarden Franken kosten.
Finanzieren
das die Banken mit?
Karrer: Wir gehen davon aus, dass sich die Banken bei
einem
Volks-Ja zur Kernenergie an der Finanzierung beteiligen. Zudem gibt es
verschiedene Finanzierungsmöglichkeiten.
Drei Gesuche für neue AKW sind hängig, es
braucht nach
Ihrer Rechnung zwei. Wer verzichtet, Sie in Mühleberg oder Alpiq
in Gösgen?
Karrer: Ich gehe nach wie vor davon aus, dass wir uns mit
Alpiq
einigen werden.
Das sagen Sie schon lange.
Karrer: Wir sind uns in vielen Punkten einig, aber leider
noch
nicht in allen.
Was passiert, wenn das Volk Nein zu neuen Atomkraftwerken
sagt?
Karrer: Wir hätten zu wenig
Produktionskapazitäten in
der Schweiz, und die Strompreise würden noch stärker steigen.
Wir hätten "italienische Zustände". Und es dürfte zu
Instabilitäten im Netz führen.
Zurück zum Strompreis. Die Gewinne der Axpo fliessen
in die
Kassen der Kantone. Warum sollen die Bürger über den Strom
noch mehr versteckte Steuern zahlen?
Karrer: Die Bürgerinnen und Bürger bezahlen
keine
versteckten Steuern über den Strompreis. Die Axpo befindet sich in
einem Spannungsfeld zwischen dem öffentlichen Auftrag und dem
Markt. Das heisst: Wir müssen günstig sein, wir müssen
aber trotzdem eine vernünftige Rendite erreichen, um die laufenden
Investitionen tätigen zu können. Dieses Spannungsfeld ist
eine Herausforderung. Es ist deshalb wichtig, dass wir transparent sind.
Die Interessenverbände werden gegen die Erhöhung
beim
Preisüberwacher klagen. Mit Erfolg?
Karrer: Da habe ich keine Sorgen. Die Axpo hat schweizweit
immer
noch die günstigsten Preise. Zudem sind die Gründe mehr als
nur nachvollziehbar.
Sind Sie so günstig, weil Sie den grössten
Anteil an
Atomstrom haben?
Karrer: Ja, das ist entscheidend für die
günstige
Preiskonstellation.
Wie entwickelt sich der Strompreis?
Karrer: Die Preise für Energie werden weiter steigen,
weil
alles zu Mehrkosten führt: Wir müssen CO2-Zertifikate zahlen,
die Wasserzinsen steigen, es warten Investitionen. Auch die Abgaben auf
dem Strom werden höher, unter anderem durch die Förderung
erneuerbarer Energien oder die Renaturierung von Flüssen.
Hat das einen Effekt auf den Stromverbrauch?
Karrer: Nein. Die Erfahrung zeigt, dass es ausser bei den
stromintensiven Kunden einen sehr grossen Preissprung braucht, bis sich
das auf den Verbrauch auswirkt. Wir sehen das ja auch beim Benzinpreis.
Heinz Karrer gilt als hartnäckiger Kämpfer
für den
Bau neuer AKW in der Schweiz. Durchhaltewillen braucht der Axpo-Chef
auch bei seinem Hobby, dem Bezwingen von Viertausendern.
Sabina Sturzenegger, Hans Lüthi
Im Büro des Axpo-Chefs hängen verschiedene
Bergbilder
an den Wänden. Heinz Karrer beginnt sogleich, mit den Gästen
von seinen letzten Hochtouren im Wallis zu reden. Diesen Sommer hat er
die beiden Gipfel des Grand Combin, 4184 und 4314 Meter über Meer,
bestiegen. Damit hat er "etwas über 40" Viertausender bezwungen,
wie er sagt.
--
Zur Person
Seit 2002 ist Heinz Karrer (51) Chef der Axpo-Holding. Der
studierte Ökonom war unter anderem als Marketingleiter bei der
Swisscom und als Chef von Ringier Schweiz tätig. Zuvor leitete er
die Intersport-Holding. Er sitzt unter anderem im Verwaltungsrat der
Netzgesellschaft Swissgrid, der SRG und von Kuoni. Karrer hat drei
Söhne und lebt in Münsingen. (sas)
---
Tagesanzeiger 16.8.10
Politischer Grenzgang
Atommülllager: Schaffhauser Gemeinde Rüdlingen
macht
bei den Zürcher Nachbarn mit
Schaffhausen kämpft gegen die Standorte im Klettgau
und im
Weinland. Doch auch Rüdlingen und Buchberg könnten von einem
Endlager betroffen sein.
Von Daniel Schurter
Rüdlingen - Die Schaffhauser Regierung soll sich mit
allen
rechtlichen und politischen Mitteln gegen ein Atommülllager
wehren. Die 1983 verfügte gesetzliche "Widerstandspflicht der
Behörden" wird nicht mehr auf das Hoheitsgebiet beschränkt
sein, sondern auf die "angrenzende Nachbarschaft" erweitert. Ende Mai
sind Regierung und Parlament einem Vorstoss des SP-Politikers und
Nationalrats Hans-Jürg Fehr gefolgt.
Ursprünglich hatten die Schaffhauser zwei der sechs
Standorte im Visier, die sich laut geologischen Vorabklärungen der
Nagra für ein Atommüll-Lager eignen: das Schaffhauser Gebiet
Südranden (Klettgau) und das Zürcher Weinland (Benken).
Sollte an diesen Orten ein "Endlager" gebaut werden, hätte dies
gravierende Folgen für die ganze Region, mahnt eine im April
publizierte Studie im Auftrag des Schaffhauser Regierungsrates.
Wirtschaft und Bevölkerungsentwicklung würden über
Jahrzehnte markant geschwächt, heisst es darin. Zudem nähme
das Image des Kantons Schaden. Die Schaffhauser wollen sich als
Förderer von alternativen Energiequellen positionieren.
Langfristig strebt man gar einen Ausstieg aus der Atomenergie an.
Die vergessenen Gemeinden
Hat Schaffhausen beim Kampf gegen Atommülllager seine
beiden
Gemeinden im Süden vergessen? Die Betroffenheit des Kantons werde
auf die beiden Standorte Benken und Südranden beschränkt,
kritisierte der Rüdlinger Gemeinderat in seinem letzten
Mitteilungsblatt. Der Schaffhauser Regierungsrat solle sich nicht nur
gegen zwei, sondern gegen drei Standorte wehren, findet man im unteren
Kantonsteil. Denn Rüdlingen und Buchberg wären als einzige
Schaffhauser Gemeinden auch von einem Atommülllager im
Zürcher Unterland betroffen. Sie kommen zwar nicht als
Standortgemeinde infrage. Dort könnte aber ein Zugangsstollen oder
eine Verpackungsanlage gebaut werden. Dies zeigen die Perimeter des
Bundes für Anlagen an der Erdoberfläche.
Rüdlingen und Buchberg haben sich deshalb dem Forum
Lägern Nord angeschlossen. Dieses Gremium besteht aus Vertretern
der 42 betroffenen Gemeinden. Die allermeisten liegen im
nördlichen Teil der Zürcher Bezirke Bülach und Dielsdorf.
Auch für dieses Gebiet sollen die gesellschaftlichen
und
ökonomischen Auswirkungen eines Atommülllagers untersucht
werden. Das werde mit Geldern der Nagra gemacht und mit grösster
Wahrscheinlichkeit auch mit einer eigenen Studie, schreibt der
Rüdlinger Gemeinderat in seiner Stellungnahme. Er schliesst:
"Interessant wird es dann zu erfahren, ob sich der Kanton Schaffhausen
finanziell daran beteiligt."
Mitwirkung ist erwünscht
Frühestens in zehn Jahren steht fest, wo die Schweiz
ihren
radioaktiven Müll dereinst vergraben wird. Das mehrstufige
Auswahlverfahren steht unter Aufsicht des Bundes. Als nächstes
sollen die betroffenen Gebiete eine öffentliche Diskussion
über die Vor- und Nachteile "ihres" Standorts führen. So will
es das vom Bund vorgeschriebene Auswahlverfahren für das
Atommülllager. Hanspeter Kern, der Gemeindepräsident von
Buchberg, vertritt auch Rüdlingen in einem "Startteam". Dieses
bereitet zurzeit den Mitwirkungsprozess ("regionale Partizipation") vor.
---
Sonntag 15.8.10
"Eine Million Jahre als kurze Zeitspanne"
Ensi-Direktor Ulrich Schmocker im Gespräch über
das
geplante Tiefenlager und die Sicherheit aller Atomanlagen in der Schweiz
Von Hans Lüthi
Sind die fünf Schweizer Atomkraftwerke sicher genug?
Das
Ensi (Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat) muss die Frage
laufend neu beantworten. Die Behörde behandelt neue AKW-Gesuche
und überwacht die radioaktiven Abfälle bis hin zum
Tiefenlager.
Noch immer ist der Bund daran, zu prüfen, wo unsere
radioaktiven Abfälle dereinst gelagert werden sollen.
Ausgeschieden wurden sechs mögliche Standorte, darunter der
benachbarte Jurasüdfuss sowie der Bözberg. Für Aufregung
in der Region gesorgt hatte im letzten Jahr die Meldung, dass der
Zugang zu einem atomaren Endlager am Jurasüdfuss im Baselbiet zu
liegen kommen könnte. Das Szenario ist seit Ende 2009 aber wieder
vom Tisch. Nahe zu liegen kommen könnte das Tiefenlager dennoch.
Fast die Hälfte der Bevölkerung sagt Nein zu
Atomkraftwerken. Rückblickend auf die letzten 40 Jahre scheint die
Stromproduktion doch sicher zu sein.
Ulrich Schmocker: Ein Grund könnte sein, dass
für die
radioaktiven Abfälle immer noch kein Schweizer Endlager in Betrieb
ist. Das sage ich, obwohl ich überzeugt bin, dass wir mit dem
Sachplan auf dem richtigen Weg sind. Wenn ich mit der Bevölkerung
rede, merke ich, dass die Sicherheit der Kernkraftwerke kein grosses
Thema ist. Dafür wird aber oft die Entsorgung der Abfälle
angesprochen.
Und die Strahlung löst Ängste aus.
Strahlung löst grundsätzlich Angst aus, obwohl
es
natürliche Strahlung gibt und jedermann dauernd davon tangiert
ist. Die natürliche Strahlung ist auch viel höher als die
Strahlung, die im Normalfall von den Kraftwerken abgegeben wird.
Sind die fünf Schweizer Atomkraftwerke und das
Zwischenlager
genügend sicher?
Im internationalen Vergleich haben unsere Kernkraftwerke
einen
hohen Sicherheitsstand, was die Technik, die Organisation und die
Situation der Mitarbeiter betrifft. Letzteres ist ein wichtiger Aspekt.
Denn in der Vergangenheit hat man sich vor allem auf die Technik
konzentriert. Heute weiss man, dass die Sicherheit sehr stark auch von
den Menschen abhängt, welche die Anlage bedienen, und von der
Organisation, in der die Mitarbeiter eingebettet sind.
Trotzdem gibt es immer wieder Zwischenfälle, rauben
diese
Ihren Schlaf?
Nein. Die eingetretenen Vorkommnisse sind alle im Rahmen
der
Auslegung abgelaufen. Das heisst, wenn wir die Meldung von einer
Störung oder Reaktorabschaltung erhielten, war die Anlage schon in
einem sicheren Zustand. Es ging dann nur noch um die Aufarbeitung des
Vorkommnisses.
Und die Information der Bevölkerung?
Wir legen sehr grossen Wert auf rasche und gute
Information, denn
nichts ist schlimmer, als wenn Gerüchte verbreitet werden. In der
Schweiz müssen die Betreiber selbst kleinste Störungen melden
und darüber informieren, wie etwa die Abschaltung einer Pumpe. Die
meisten Störungen sind sicherheitstechnisch nicht relevant und auf
der internationalen Ereignisskala als Ines 0 klassifiziert, also nur
von Interesse für die Behörden. Zwischen 20 bis 30 solcher
Vorkommnisse jährlich sind in der Schweiz üblich.
Weltweit sind über 50 neue AKW geplant oder im Bau.
Hat das
einen Einfluss auf die Schweizer Gesuche für drei neue AKW und
jene für ein Tiefenlager?
Ja, denn wir sind international sehr eng vernetzt mit
anderen
Aufsichtsbehörden, speziell in Europa und Amerika, wo neue Anlagen
geplant oder bereits im Bau sind. Wir wollen europaweit eine
Angleichung der Sicherheitsanforderungen erreichen. Davon profitiert
die Schweiz natürlich auch stark.
Und die Nachteile des Baubooms?
Das Bewilligungsverfahren in der Schweiz ist sehr lang.
Wenn
weltweit wirklich so viele Kernkraftwerke gebaut werden, kann es
durchaus sein, dass die Hersteller volle Auftragsbücher haben und
nicht in der Lage sind, rechtzeitig einen Reaktordruckbehälter in
die Schweiz zu liefern. Es gibt für Grosskomponenten nur noch
wenige Firmen, die solche überhaupt herstellen können.
Das Ensi hat das Tiefenlagerkonzept der Nagra abgesegnet.
Wir haben die Unterlagen der Nagra sehr genau und
detailliert
geprüft und eine Reihe eigener Untersuchungen durchgeführt.
Dabei sind wir zum Ergebnis gekommen, dass die Nagra die von uns
gestellten sicherheitstechnischen Vorgaben umgesetzt hat. Den sechs
Standorten für ein Lager mit schwach- und mittelaktiven und den
drei für hochradioaktive Abfälle können wir deshalb
zustimmen.
Technisch ist ein Tiefenlager kein Problem, aber ist es
politisch
machbar?
Wir sind für die Sicherheit zuständig, darum
kann ich
nichts zur politischen Machbarkeit sagen. Entscheiden wird das
Schweizervolk. Ich bin persönlich der Ansicht, dass ein Lager nur
schwer gegen den Willen der Standortregion gebaut werden kann. Es ist
aber auch eine ethische Frage, denn unsere Generation steht in der
Pflicht, diese Abfälle sicher zu entsorgen.
Warum die Gesellschaft und nicht die Betreiber der
Atomkraftwerke?
Wir haben Abfälle in der Schweiz, unabhängig
davon, ob
wir weiter Kernkraftwerke betreiben oder nicht. Unsere Generation
profitiert vom Strom, den die Atomkraftwerke erzeugen. Wir werden auch
in 100 Jahren radioaktive Abfälle haben, aus der Medizin,
Forschung und Industrie. Wir brauchen also so oder so eine Lösung.
Ich empfinde es als nicht ehrlich, wenn man sich grundsätzlich
gegen ein Tiefenlager wehrt. Die Sicherheit muss aber immer
gewährleistet sein, und das ist Aufgabe der Betreiber. Wir vom
Ensi wachen darüber, dass bei der Sicherheit keine Kompromisse
gemacht werden.
Und die Sicherheit können Sie für eine Million
Jahre
gewährleisten?
Weil man die radioaktiven Abfälle über einen so
langen
Zeitraum sicher lagern muss, braucht es geologische Tiefenlager, 400
bis 900 Meter unter der Oberfläche. Die geologische Zeit tickt
ganz anders als die biologische auf der Erdoberfläche. Die
Prozesse in der Tiefe sind unendlich viel langsamer - zum Glück,
denn sonst wäre die Erde gar nicht bewohnbar.
Eine Million Jahre übersteigen unsere
Vorstellungskraft bei
weitem.
Ja, das ist wirklich schwer vorstellbar. Der Opalinuston
im
Zürcher Weinland ist vor 175 Millionen Jahren in einem flachen
Meer entstanden. Alpen gab es noch keine. Der Opalinuston war also
schon da, als die Alpen und der Jura entstanden sind, er hat viele
Eiszeiten und schwere Erdbeben überlebt und ist immer noch da. Das
zeigt die völlig andere zeitliche Dimension in der Geologie. Da
ist eine Million Jahre eine relativ kleine Zeitspanne. Dieses Argument
bringe ich an öffentlichen Diskussionen immer wieder. Und es
verleitet zumindest zum Nachdenken.
--
Die Instanz für Sicherheit
Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat
(Ensi) ist
seit Anfang 2009 eine unabhängige Anstalt und direkt dem Bundesrat
unterstellt. Hauptzweck ist die Aufsicht des Bundes über die
Kernenergie, um Menschen und Umwelt vor Schäden durch die
Radioaktivität zu schützen. Neben der Beaufsichtigung
gehört auch der Schutz von Atomanlagen vor Sabotage und
Terrorakten zu den Aufgaben, ebenso die Gesuche für neue AKW und
die Tiefenlager. Der 63-jährige Ulrich Schmocker ist seit acht
Jahren Direktor des Ensi. Der Autor vieler Publika-tionen zur
Reaktorsicherheit geht Ende August nach intensiven Jahren in Pension.
Neuer Direktor wird Hans Wanner. (Lü.)