MEDIENSPIEGEL 23.8.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm (Rössli)
- Reitschule bietet mehr: Müslüm Mann der Woche
- (St)Reitschule: Puppe weg aus Sommerloch
- Orte der Wut: Kreativer Zündstoff
- RaBe-Info 23.8.10
- Agassizhorn wird nicht umbenannt
- Ausschaffungstod: Neues Obduktionsgutachten gefordert
- Knast VD: Kameraausfall während Beamtengewalt
- Kulturraum Chur
- Drogenlegalisierungsdebatte Südostschweiz
- Zwischengeschlecht: Aktion vor Kinderspital LU
- Söldnerfirmen: Regularisierung
- Schwuler Fussball mit Stonewall FC

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REITSCHULE
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Do 26.08.10
20.00 Uhr - Rössli - Solifest für die kirchliche Gassenarbeit Bern. Lesung von Matto Kämpf, Konzerte von The Frozen Pony & The Hot Skirts, Reverend Beat-Man, u.v.a.
21.30 Uhr - Hofkino - "Allein machen sie dich ein!" Filmzyklus über die Zürcher Häuserbewegung Teil 7 & 8

Fr 27.08.10
20.30 Uhr - Kino - Tatort Reitschule: "Die Falle" - der letzte Ehrlicher!
23.00 Uhr - Dachstock - C'est Berne. Your local Techno-Heroes!

Sa 28.08.10
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: London Elektricity & MC Wrec (UK/Hospital), Flowrian & LaMeduza, Lockee, TS Zodiac, MC Matt

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 23.8.10

Von Gisela Feuz am Montag, den 23. August 2010, um 07:00 Uhr

Kulturbeutel 34/10

Frau Feuz empfiehlt:
Besuchen Sie am Donnerstag das Solifest für die kirchliche Gassenarbeit im Rössli, weil das eine gute Sache ist. Mit von der Partie werden die Damen von The Frozen Pony And The Hot Skirts, Reverend Beat-Man zusammen mit Mario Capitanio und Matto Kämpf sein. Liebhaber elektronischer, experimentierfreudiger Musik pilgern zudem am Samstagnachmittag in den Botanischen Garten, wo Les Digitales zum ersten Mal in Bern veranstaltet wird.

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http://www.gassenarbeit-bern.ch/solifest.htm

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REITSCHULE BIETET MEHR
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Migros-Magazin 23.8.10

Mann der Woche

 Semih alias Müslüm

 In Bern ist er Kult. Jetzt erobert Semih Yavsaner (30) mit seiner Kunstfigur Müslüm die ganze Schweiz und will damit das Kulturzentrum Reithalle in Bern vor dem Verkauf retten. Sein sozialkritisches und witziges Video "Erich, warum bisch du nid ehrlich", gerichtet an SVP-Politiker Erich Hess, ist ein Hit. 150 000 Leute klickten es auf Youtube bereits an.

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BZ 23.8.10

Komiker Semih Yavsaner

 "Müslüm sagt, was viele denken"

 Mit dem Video zum Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" erobert der Berner Komiker Semih Yavsaner alias Müslüm die Youtube-Charts. Politisches Engagement für die Erhaltung der Reitschule erachtet er als eine Selbstverständlichkeit.

 Im Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" rechnen Sie mit dem JSVP-Politiker Erich Hess ab, der sich für eine Schliessung der Reitschule engagiert. Sind Sie ein politischer Mensch?

 Semih Yavsaner: Ich erachte meinen Entschluss, kulturpolitisch aktiv zu werden, als selbstverständlich. Es ist sozusagen die Pflicht jedes Berner Kulturschaffenden oder Kulturliebenden, sich für den Erhalt des kulturellen Austausches in unserer Stadt zu engagieren. Nicht Sprüche sind es, woran es fehlt in diesen Tagen, sondern Taten.

 Was würden Sie in der Schweiz denn ändern, wenn Sie hier alleiniger Präsident wären?

 Man kann in der Schweiz schon als einfacher Bürger sehr viel verändern, dazu braucht man nicht Präsident zu sein. Mir ist es wichtiger, kulturell viel zu bewegen und mich für Gutes zu engagieren. Die Politik überlasse ich nach meinem kleinen Ausflug in die Hitparade wieder den Politikern - ich beschäftige mich danach wieder mit meiner wahren Liebe, der Unterhaltung. Vorausgesetzt natürlich, die Bernerinnen und Berner stimmen am 26. September mit einem saftigen Nein gegen die Reitschule-Initiative.

 Was für ein Verhältnis haben Sie denn zur Reitschule?

 Ein sehr intimes. Ich gehe sogar so weit, dass ich sage: Wäre die Reithalle eine Frau, dann würde ich mit ihr permanent Liebe machen. Die Reitschule ist die einzige Schule, die wirklich Spass macht!

 Über 190 000-mal wurde Ihr Video auf der Videoplattform Youtube bereits angeschaut - was geht Ihnen bei dieser Zahl durch den Kopf?

 Dass die Kunst ein wirksames Medikament ist, um unsere "irritierte" Gesellschaft wieder zur Besinnung zu bringen. Zugleich sind diese Besucherzahlen auf Youtube der Beweis dafür, dass sich das Berner Volk nicht von den polemischen Äusserungen unserer Widersacher manipulieren lässt, sondern den kulturellen Austausch, der in der Reithalle stattfindet, schätzt und sich mit uns Kulturschaffenden solidarisiert.

 Auf Youtube sind auch Telefonscherze, die Sie fürs Radio eingespielt haben, online. Warum löste nun gerade "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" so einen Hype aus?

 Ich denke, Müslüm sagt genau das, was viele Menschen hier schon lange mal hören wollten. Direkt und ohne Filter. Und klar, ich hatte unglaublich engagierte und talentierte Freunde um mich. Zum Beispiel Florian Wyss, der Regisseur vom Video. Er hat die Stimmung beim Dreh einfangen und die Energie visuell transportieren können. Er hat grossen Anteil am Erfolg.

 Sie sind nicht der erste Komiker, der mit einem forcierten, türkischen Akzent auf kontroverse Gesellschaftsthemen aufmerksam macht, da gibt es etwa Erkan und Stefan oder Kaya Yanar im deutschen TV. Sind das Ihre Vorbilder?

 Meine Bewunderung gilt den Menschen, die Grosses bewirken und dabei stets Mensch bleiben. Zum Beispiel traf ich mich letztes Jahr mit Kaya Yanar ("Was guckst Du?") zu einem Interview für ein privates Radio. Ein sehr intelligenter und humorvoller Mensch, wirklich beeindruckend. Auch er hat starke Figuren erschaffen, die auf der Bühne wie auch in einem TV-Sketch wunderbar funktionieren.

 Neu kann man Ihren Song auch im Internet kaufen, zudem sind Sie auf dem Album "Reitschule beatet mehr" vertreten. Was stellen Sie mit all dem Ruhm und Geld an, das Sie damit verdienen?

 Am liebsten würde ich dem Erich Hess und dem Thomas Fuchs einen Afrikatrip offerieren, weit weg von der zivilisierten Welt, tief in den Dschungel. Vielleicht würde das bewirken, dass sich ihr menschlicher Horizont erweitern würde und wir in Zukunft über relevantere Themen diskutieren könnten, die unsere wunderschöne Stadt kulturell aufwerten würden, und nicht über die Schliessung des Berner Kulturmekkas. Aber eben, das ist so eine Sache mit dem Musikmachen und Geldverdienen… Daher lässt der Afrikatrip für die beiden Herren wohl noch auf sich warten.

 Haben Sie keine Angst, dass sich nach der Reitschule-Initiative niemand mehr für Müslüm interessiert?

 In einer Zeit, in der Mike Shiva mehr Geld umsetzt als der WWF oder sonst eine Wohltätigkeitsorganisation? In einer Zeit, in der ein Erich Hess es zum Vorsitzenden einer Partei schafft? In so einer Zeit werden sich auch weiterhin viele Menschen für Müslüm interessieren und sich für die Figur begeistern. Hinzu kommt - und das mag jetzt ziemlich einfach klingen, trifft aber völlig zu -, dass ich niemanden kenne, der nicht gerne lacht. Und solange das so bleibt, wird sich der "Hans-Ruedi-Normalverbraucher" für Müslüm begeistern.

Interview: Stefanie Christ

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 Zur Person

 Vom Radio in die Charts

 Hinter Müslüm steckt der 30-jährige Berner Komiker Semih Yavsaner. Aufgewachsen in einer türkischen Gastarbeiterfamilie, wusste er früh, dass er Unterhalter werden wollte. Zuerst jobbte er beim Radio, wo er als Müslüm unter anderem Telefonscherze machte. Für den Schweizer Kinofilm "The Ring Thing" schrieb er den Soundtrack. Mit "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" schrieb der nachdenkliche Komiker einen Song gegen die Reitschule-Initiative und landete damit prompt einen Hit auf der Videoplattform Youtube.com. In der Radio-Hitparade könnte sein Hit erstmals am kommenden Sonntag auftauchen.
 stc

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NZZ am Sonntag 22.8.10

Ein Hit für die Reitschule

 Semih Yavsaner, Schöpfer der Kultfigur Müslüm, will die Berner Reitschule retten. Und landet dabei einen Hit.

Von Christine Brand

 Auf der Terrasse des Berner Restaurants Du Nord sitzt ein gutaussehender junger Mann. Dunkler Sakko, dunkelblaue Jeans, Gel in den schwarzen Locken. Zumindest äusserlich ist keine Ähnlichkeit mit der Figur feststellbar, die den Komiker Semih Yavsaner zu einer kleinen Berühmtheit gemacht hat. Yavsaner, 30-jähriger Berner und Türke, ist der Schöpfer von Müslüm, einem gebrochen Deutsch sprechenden, dick beschnurrbarteten und dichtbehaarten Türken mit beflecktem Vorstrafenregister. Ein Klischee-Türke, wie Harry Hasler einst ein Klischee-Schwamendinger war. Nur besser.

 In der Rolle von Müslüm nahm Yavsaner mit bestechender Schlagfertigkeit zunächst für ein Berner, dann für ein Zürcher Privatradio alle und jede auf die Schippe, die er an den Draht bekam. Zum Beispiel die Frau vom Personaldienst der Polizei, bei der er sich als Aspirant bewerben wollte - obwohl er an einem Überfall mit Todesopfern beteiligt war. Oder die Angestellte bei der Samenbank, die erklärte, dass Samenspenden von Türken unerwünscht seien.

 Müslüm, "der Mann mit dem Telefonscherz", ist in der Radiohörergemeinde längst Kult. Jetzt aber hat der rotzfreche Türke über Nacht ein Gesicht bekommen und sich auf eine weit grössere Bühne katapultiert. So rasant, dass der Mann hinter Müslüm gar nicht recht weiss, wie ihm geschieht. "Das, was hier abgeht", sagt Semih Yavsaner, "ist nicht real." Er wird plötzlich von Anfragen überflutet und kommt sich zuweilen vor wie im falschen Film.

 Ein durchaus sehenswerter Film. Der damit beginnt, dass die Stadtberner zum x-ten Mal über die Zukunft des Kulturzentrums Reitschule abstimmen müssen. Weil die Berner SVP - allen voran Fraktionspräsident Erich Hess - erneut eine Initiative lanciert hat, die die Schliessung verlangt. Darum gibt das Kulturzentrum als Gegenkampagne eine CD heraus: 22 Künstler und Bands wie Züri West, Patent Ochsner oder Steff la Cheffe machen sich darauf für die Reitschule stark. Auch Müslüm singt ein Lied. Zum ersten Mal. Das Video dazu zeigt ihn im pinkfarbenen Anzug, Bollywood-mässig zum türkischen Beat die Hüfte schwingend. "Erich, warum bisch nid eerlich?", fragt Müslüm den Initianten Hess trällernd. "Wir sind doch nicht gefährlich!" Der Klamauksong wird zum Hit. Er erklimmt die Charts bei iTunes. 185 000 Personen schauen sich das Video auf Youtube an. Der Versuch des SVP-Manns Thomas Fuchs, den Song zu verbieten, bewirkt das Gegenteil; er wird jetzt noch öfter gespielt. Somit wird die SVP-Initiative - so paradox es klingen mag - irgendwie zu Semih Yavsaners persönlichem Glück: Sie verhilft Müslüm zum Durchbruch.

 Semih Yavsaner glaubt daran, dass er dereinst als Komiker genug Geld zum Leben verdienen wird. Weil die Figur Müslüm facettenreich und wandelbar sei. "Müslüm traut man nichts zu, aber er schafft trotzdem alles", sagt Yavsaner. Es könnte eine Aussage über ihn selbst sein. Über Semih Yavsaner, Kind einer Gastarbeiterfamilie, aufgewachsen in einer Welt der kulturellen Gegensätze. Die Mutter arbeitet in der Pflege, der Vater war Abwart, schuftete über 35 Jahre lang bis 16 Stunden am Tag, bis sein Herz nicht mehr mitmachte. Jetzt bezieht er IV-Gelder. Und ist kein Scheininvalider. "Es verletzt mich, dass man alles darauf herunterbricht, dass die Ausländer der Schweiz Böses wollten", sagt Yavsaner. "Dabei lieben auch wir dieses Land." Gegen das Schubladendenken wehrt er sich. Seine Erfahrungen fliessen in seine Arbeit ein.

 So ist Semih Yavsaner ein Teil von Müslüm und umgekehrt. Bald sollen auf den singenden Müslüm Sketches folgen. Und dann, irgendwann, ein Film. Aber zuvor hat Yavsaner ein dringenderes Ziel: den Kampf um die Reitschule. Er selbst- Ausländerausweis C - kann keine Stimme abgeben. Aber bestimmt hat er schon etliche Stimmen gewonnen.

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Südostschweiz 22.8.10

Aus Berner Sicht

 Müslüm und der Zorn der Stadtberner SVP

 Von Simon Fischer

 Das Stimmvolk der Stadt Bern ist wahrlich nicht zu beneiden. Am 26. September muss es entscheiden, ob das Kulturzentrum Reithalle geschlossen werden soll. Es ist nicht etwa das erste Mal, dass sich der beliebte Treffpunkt für Künstler, Musiker, Schauspieler und Tanzwütige gegen einen Angriff per Volksinitiative verteidigen muss. Nein, die armen Berner müssen sich nun schon zum fünften Mal innert elf Jahren zu dieser Frage äussern. Initiant Erich Hess, Stadtrat und Präsident der Jungen SVP Schweiz, kümmert dies herzlich wenig. Denn seiner Ansicht nach ist die Reithalle nichts als ein Unterschlupf für Drogensüchtige, Penner, Terroristen und sonstiges linkes Pack.

 Nun schlägt die Reithalle zurück, unterstützt von Müslüm. Das Alter Ego des schweizerisch-türkischen Doppelbürgers Semih Yavsaner ist bisher nur durch Telefonscherze bei verschiedenen Radiosendern aufgefallen. Mit dem Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich" startet er nun aber richtig durch. Im Text wird Hess von Müslüm in gebrochenem Deutsch gefragt, warum dieser so aggressiv sei und ob er allenfalls zu wenig Liebe bekommen habe. Auf der Internetplattform Youtube hat sich der Ohrwurm prompt zu einem Renner entwickelt, und auch im Radio wird er ab und an gespielt.

 Das hat Hess' Partei-, Rats- und auch sonstigen Kollegen Thomas Fuchs dazu verleitet, den Radiostationen mit einer Klage zu drohen, sollten diese den Song weiter spielen. Politische Propaganda im Äther sei verboten, so seine schlüssige Argumentation. Wo er Recht hat, hat er Recht. Denn Popmusik ist schliesslich seit jeher eine völlig apolitische Angelegenheit - abgesehen vielleicht von John Lennons "Give Peace A Chance", Bob Dylans "Masters Of War", Bob Marleys "Redemption Song", U2s "Sunday Bloody Sunday" und einigen weiteren zehntausend Beispielen ...

 Simon Fischer ist Bundeshausredaktor der "Südostschweiz".

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Blick am Abend 20.8.10

Müslüm startet durch!

 HELVETIA

 Jetzt spielt Müslüm die nationale Karte! Hitparade und TV sind nicht mehr vor ihm sicher.

 peter.pflugshaupt@ringier.ch

 Der Müslüm-Hit "Erich, warum bisch du nid ehrlich" schlug ein wie eine Bombe. Auf Youtube, im iTunes-Store und jetzt wohl auch in der offziellen Schweizer Hitparade. Am nächsten Sonntag, 29. August, ist sein Hit mit grösster Wahrscheinlichkeit in den landesweiten Charts. "Die Chancen stehen tatsächlich gut", sagt Sylvie Widmer von der Plattenfirma Soundservice.

 Doch Müslüm erobert nicht nur die Ohren der Schweizer. Bald könnte er auch die Bildschirme in den Wohnstuben entern. Der begnadete Berner Komiker hat auch schon Anfragen von nationalen Fernsehstationen. Bescheiden wie immer sagt Müslüm: "Falls ich nicht Bundesrat werde, ist das auch eine interessante Option."

 Vor 10 Tagen posierte Müslüm exklusiv für Blick am Abend vor der Reithalle. Erstmals wurde eine breite Öffentlichkeit auf den Pink Panter der Comedy-Szene aufmerksam. Inzwischen hetzt Müslüm von Interview zu Fotoshooting und zurück. "Das Leben ist wie ein Fussballspiel. Wenn du in der Pause zurückliegst, musst du in der zweiten Halbzeit so richtig viele Tore schiessen."

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(ST)REITSCHULE
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Bund 21.8.10

Reitschule: Die Puppe auf dem Dach ist weg

 Gestern Mittag ist die ans Kreuz geschlagene Puppe vom Dach der Reitschule entfernt worden (siehe "Bund" von gestern). Die Mediengruppe der Reitschule verneint auf Anfrage einen Zusammenhang mit dem aufkommenden öffentlichen Interesse am streitbaren Kunstobjekt. Es sei bereits am Dienstag beschlossen worden, die Puppe vom Dach zu nehmen, jedoch sei erst für gestern ein "höhentauglicher Klettermeister" gefunden worden. Für die Betreiber wäre der Zeitpunkt für eine Polemik wegen der Abstimmung über den Verkauf der Reitschule Ende September ungünstig.

 Kirchenvertreter kritisierten die gekreuzigte, nackte Frauenpuppe mit umgebundenem Dildo als "Verletzung der religiösen Gefühle". Installiert worden war die Puppe von externen Partyveranstaltern als Dekoration. (bro)

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ORTE DER WUT
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Bund 23.8.10

Ein Streifzug durch Berns "Orte der Wut"

 Ein Erlebnis der besonderen Art ist der Stadtrundgang von Stattland. Der im Rahmen der Biennale Bern konzipierte Rundgang führt Besuchende an Orte, die in der Vergangenheit Wut oder gar Krawalle ausgelöst haben. Eindrücke vom Eröffnungsrundgang.

 Fiona Ziegler

 Samstagnachmittag, 14 Uhr. Die Augustsonne brennt. Vor dem Münster haben sich 30 Personen versammelt. Sie sind gekommen, um am Eröffnungsrundgang durch Berns "Orte der Wut" teilzunehmen. Ausgangspunkt ist das Münster: Hinter einer Nische des Seitenportals tritt eine ganz in Rot gekleidete Frau hervor, Schauspielerin und Projektleiterin Katharina Lienhard. Mit grossen Augen und wütender Stimme liest sie aus der Bibel, zitiert Zwingli und ruft in seinem Namen zum Bildersturm auf.

 Wo einst Skulpturen die Nischen der Seitenportale schmückten, ist heute nichts als ein leerer, gotischer Torbogen zu sehen. Die Skulpturen wurden im Zuge der Reformation von 1528 vom Volk abgerissen und entfernt. Das Münster zeigt sich damit als Ort, an dem auch heute noch die Spuren der Wut vergangener Zeiten sichtbar sind.

 Im Auftrag der dritten Biennale Bern konzipiert, soll der Stadtrundgang die Besucher an Orte in Bern führen, die in der Vergangenheit heftige Diskussionen sowie Krawalle und politische Debatten ausgelöst haben.

 Vor dem Lischetti-Brunnen hüpft die "rote Frau", die wie ein roter Faden durch den Rundgang führt, und fordert die Besucher auf: "Hüpfen Sie! Schlürfen Sie! Pirouettieren Sie!" Die Stadtführerin erklärt: "Das ist der Vorschlag des Berner Künstlers Eduardo Lischetti, sich dem gesellschaftlichen Zwang zu entziehen, normal laufen zu müssen." Seine Kunstwerke hätten Unmut, gar Wut in Berns Bevölkerung ausgelöst, erklärt Franziska Fankhauser, die seit sechs Jahren Stadtführerin bei Stattland ist.

 Weit mehr Wut ausgelöst habe aber ein weiterer Schauplatz der Führung: Der Meret Oppenheim-Brunnen. 1982 vom Stadtrat mit dem Bau des Brunnens beauftragt, beabsichtigte Meret Oppenheim die Aufwertung des Waisenhausplatzes. Bei der Eröffnung aber ertönten laute Buhrufe aus der Masse. Es sehe aus wie eine Zigarre, ein Fabrikturm oder gar ein Minarett, meint die "rote Frau" und bringt damit die öffentliche Debatte der 1980er-Jahre zum Ausdruck, die hitzig in der Presse geführt wurde. Nachdem eine Vielzahl Berner den Brunnen aus dem Stadtzentrum entfernen wollte, entschied der Stadtrat 1987 zugunsten des Brunnens.

 Orte politischen Aufruhrs

 Ein anderer Ort, der mit einem historischen Krawall in Verbindung gebracht wird, ist der Käfigturm: Am 19. Juni 1893 zogen hundert erzürnte Bauarbeiter vom Bahnhof zum Kirchenfeld. Ihr Zorn galt den italienischen Gastarbeitern, die ihnen die Arbeit wegnehmen würden. Einige der Protestierenden wurden im Käfigturm, dem ehemaligen Männergefängnis, eingesperrt. An einem aktuellen politischen Anknüpfungspunkt - der Reitschule - endet der Rundgang: Es sei ein Ort, wo "die Wut auch kreatives ausgelöst" habe, sagt Fankhauser, der aber bis heute ein Ort geblieben sei, der für Zündstoff in der Bevölkerung sorge.

 Angeregt, nicht wütend, applaudierten die Premieren-Besucher und erfrischten sich im Hof der Reitschule.

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 Stattland Im Progr feiert der Verein sein 20-jähriges Bestehen

 Der aus 70 Mitgliedern bestehende Verein Stattland führt seit 1990 in alternativen Stadtrundgängen durch Bern. Hervorgegangen ist der Verein aus den Diskussionen über alternative Tourismusformen in den 1980er-Jahren. In Deutschland führte dies zur Gründung von "StattReisen"-Vereinen für unkonventionelle Stadtführungen. Geschichts- und Geografiestudenten brachten das Konzept 1989 von Berlin nach Bern.

 Auf rund 600 Rundgängen führt Stattland jährlich über 10 000 Besucher durch Bern. Die Führungen enthalten schauspielerische Interventionen und sind thematisch angelegt. Es gibt jährlich zwei neue Führungen: So widmet sich eine Führung ab November den "Berner Essensgeschichten".

 Am 4. September 2010 feiert Stattland im Progr Bern sein 20-jähriges Bestehen. Das Jubiläumsfest ist gleichzeitig auch die Vernissage des neuen Buches (siehe Kasten rechts). Ab 16.45 Uhr wird das Buchkapitel "Bern in Person" in drei Gratisrundgängen vorgestellt: Sieben Schauspieler lassen Berner Berühmtheiten wiederaufleben. Im Anschluss an den Rundgang findet um 19 Uhr die Buchvernissage mit der Textperformerin Nicolette Kretz, Stadtpräsident Alexander Tschäppät und Präsident der Burgergemeinde Bern, Franz von Graffenried, statt. Ab 22 Uhr lädt DJ Bobby Baguette zum Tanzen in die Turnhalle. (fio)

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 Das Buch: "Bern statt fern"

 Zum zwanzigjährigen Jubiläum legt Stattland seine neue Publikation vor. Das Buch mit dem Titel "Bern statt fern - Fünf thematische Stadtspaziergänge" ist wie ein Reiseführer konzipiert. In fünf Kapitel unterteilt, führt das Buch in fünf Stadtspaziergängen durch Bern: Von der Altstadt bis nach Bern West werden über fünfzig Standorte zwischen der Elfenau und Brünnen vorgestellt. Wie die Stadtführungen von Stattland will auch die neue Buchpublikation andere Stadtansichten vermitteln. Die Stadtrundgänge sind deshalb auch für Leute interessant, die Bern bereits kennen. Zur Buch-Vernissage am 4. September wird "Bern statt fern" in szenischen Rundgängen der Öffentlichkeit vorgestellt. (fio)

 Der Rundgang Orte der Wut findet während der "Biennale Bern" vom 10. bis 18. September täglich um 18 Uhr statt.

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RABE-INFO
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Mo. 23. August 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_23._August_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_23._August_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2023.%20August%202010
- Reitschule Rundgang- zu Besuch in der grossen Halle
- Kopf der Woche- Bill Ayers, vom militanten Bürgerrechtler zum Pädagogik- Professor

Links:
http://www.grossehalle.ch/reitschule/grossehalle
http://billayers.org
http://www.quiet.ch/books

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AGASSIZHORN
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Bund 21.8.10

Agassizhorn bleibt nach Rassentheoretiker benannt

 Die Gemeinden Grindelwald, Guttannen und Fiescherwald lehnen eine Petition des Komitees "Démonter Louis Agassiz" ab. Das Komitee verlangte die Umbenennung in Rentyhorn, weil der Schweizer Naturforscher Louis Agassiz nach seiner Auswanderung in die USA auch rassentheoretische Schriften veröffentlicht hatte, in denen er die Minderwertigkeit der schwarzen Rasse postulierte. Renty war ein kongolesischer Sklave, den Agassiz 1850 in den USA untersuchte und fotografierte. "Wir verurteilen seine Rassentheorien", sagt der Grindelwalder Gemeindepräsident Emanuel Schläppi. Jeder Mensch habe jedoch Sonnen- und Schattenseiten. Agassiz habe wichtige Forschungen betrieben und sei ein führender Wissenschaftler des 19. Jahrhunderts gewesen. (wal) — Seite 31

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Agassizhorn wird nicht in Rentyhorn umgetauft

 Standortgemeinden lehnen eine Petition und einen Kompromiss ab.

 Simon Wälti

 Das Agassizhorn im Berner Oberland behält seinen Namen: Die drei Gemeinden Grindelwald, Guttannen und Fieschertal haben die Petition zur Umbenennung abgelehnt. Das Komitee "Démonter Louis Agassiz" wollte den 3953 Meter hohen Berggipfel im Unesco-Weltnaturerbe Jungfrau-Aletsch in Rentyhorn umtaufen. Louis Agassiz (1807 bis 1873) war nicht nur ein führender Glaziologe, sondern auch ein Rassentheoretiker, der von der Minderwertigkeit der Schwarzen überzeugt war. Er sei ein Vordenker der Apartheid gewesen, betonen die Kritiker um den St. Galler Historiker Hans Fässler, die sich für den Namenswechsel stark gemacht haben. Renty war ein afrikanischer Sklave aus dem Kongo, den Agassiz in den USA zur Untermauerung seiner Rassentheorie fotografieren liess. Fässler zeigte sich über die Ablehnung der von rund 2600 Menschen unterschriebenen Petition enttäuscht.

 "Wir verurteilen seine Theorien"

 "Aus heutiger Sicht sind seine Vorstellungen völlig unverständlich und wir verurteilen seine Theorien", sagt der Grindelwaldner Gemeindepräsident Emanuel Schläppi. Jeder Mensch habe jedoch Sonnen- und Schattenseiten. Agassiz habe im 19. Jahrhundert wichtige Forschungen betrieben und sei ein führender Wissenschaftler gewesen. Er sei jedoch froh, dass nun auch das rassistische Gedankengut des Naturforschers, der 1846 in die USA auswanderte, ans Tageslicht gekommen sei. Eine Ausstellung im Grindelwaldner Heimatmuseum im Sommer 2012 soll diese problematischen Seiten beleuchten.

 Als Agassiz zusammen mit anderen Wissenschaftlern in den 1840er-Jahren durch die hehre Bergwelt im Berner Oberland zog, waren viele Gipfel noch ohne Namen. Was lag da näher, als sich selber zu verewigen? So gibt es denn unweit des Agassizhorns auch das Grunerhorn, das Studerhorn oder das Scheuchzerhorn. Schläppi wäre nicht unglücklich, wenn dies nie geschehen wäre. "Berge sollten nicht nach Menschen benannt werden", findet er. Der höchste Berg der Schweiz, die Dufourspitze, trägt den Namen des Generals und Kartografen Dufour. "Was ist, wenn man auch bei ihm einen dunklen Punkt finden sollte?", fragt Schläppi.

 Das Komitee hatte als Kompromiss vorgeschlagen, einen noch nicht benannten Gipfel Rentyhorn zu taufen. "Davon hätten beide Seiten etwas gehabt, die Gemeinden hätten zudem etwas für ihr Image tun können", sagt Hans Fässler. Der Vorschlag wurde jedoch ebenfalls abgelehnt. Fässler akzeptiert den Entscheid, will aber das Fernziel nicht aus den Augen verlieren. "Eine Namensänderung braucht Zeit", sagt er. Fässler verweist auf das Beispiel der Krügerstrasse in St. Gallen, die nach dem südafrikanischen Burenführer und Apartheid-Wegbereiter Paul Krüger benannt war. Die Strasse heisst seit 2009 Dürrenmattstrasse - nach dem Schriftsteller Friedrich Dürrenmatt.

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Kommentar

 Aufarbeiten, nicht umbenennen

Markus Dütschler

 Wenn Universitäten, Kasernen, Strassen oder sogar Berge nach Menschen benannt werden, taucht später oft ein Problem auf: Der Namensgeber fällt wegen eines Regimewechsels in Ungnade oder es tauchen dunkle Flecken in seiner Biografie auf, deretwegen die Nennung nicht mehr als opportun gilt. Ein Wirbel wird veranstaltet, bei dem oft nicht das hehre Anliegen im Zentrum steht, vielmehr soll Wasser auf die Mühle politischer Aktivisten gelenkt werden. Der Umbenennungsinitiant Hans Fässler gilt im Kanton St. Gallen diesbezüglich seit Jahrzehnten als feste Grösse. Es ist sonnenklar, dass ein Hitler-Denkmal oder eine Stalin-Allee untragbar sind. Doch der Fall Agassizhorn spielt nicht in dieser Liga. Von Louis Agassiz sind neben wichtigen wissenschaftlichen Arbeiten auch Äusserungen überliefert, die heute problematisch und unverständlich wirken. Das ist bei vielen Persönlichkeiten so: Sie waren dem Zeitgeist verhaftet und verrannten sich - man denke an Martin Luthers rabiaten Antisemitismus. An uns ist es, Licht und Schatten von Persönlichkeiten möglichst objektiv zu würdigen. Die "Umbenamserei" - man denke nur an das aktuelle Beispiel des Hotels zum Mohren in Huttwil - ist billiger Aktivismus, der zu gar nichts führt.

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AUSSCHAFFUNG
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Südostschweiz 21.8.10

Ausschaffung: Anwalt fordert neues Obduktionsgutachten

 Zürich. - Der Ausschaffungshäftling, der am 17. März kurz vor der Rückführung nach Nigeria auf dem Flug- hafen Zürich starb, soll doch nicht an einer schweren Herzkrankheit gelitten haben. Der Anwalt der Hinterbliebenen fordert ein neues Obduktionsgutachten, nachdem er das vorliegende Gutachten des Instituts für Rechtsmedizin der Universität Zürich von anderen Ärzten überprüfen liess, wie er gestern mitteilte. Gemäss erstem Gutachten bestand beim Verstorbenen eine "schwerwiegende Vorerkrankung des Herzens". Diese war nicht bekannt und ist zu Lebzeiten praktisch nicht diagnostizierbar.

 Die vom Rechtsvertreter der Angehörigen des Verstorbenen kontaktierten Ärzte kamen nun aber zu einem anderen Schluss. Die vom Institut für Rechtsmedizin genannte Diagnose sei keineswegs gesichert, heisst es in der Mitteilung weiter. Die Befunde der Autopsie würden nicht einer solchen schweren vorbestehenden Herzkrankheit entsprechen, die Todesursache sei damit nicht geklärt. Als unzutreffend habe sich auch erwiesen, dass eine solche Herzkrankheit zu Lebzeiten kaum diagnostizierbar sei. Der Anwalt beantragte deshalb bei der Zürcher Staatsanwaltschaft ein erneutes Obduktionsgutachten. Diese hat die Stellungnahme des Anwalts Anfang Woche erhalten, wie der zuständige Staatsanwalt Christian Philipp gestern auf Anfrage sagte. Er werde die Stellungnahme nun zuerst analysieren und dann entscheiden. (sda)

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KNAST VD
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Sonntagszeitung 22.8.10

Knast-Kamera lief nicht

 Häftling hat keinen Beweis für Misshandlung

 Lausanne Im Fall des Zürcher Geschäftsmannes, der gegen meh rere Lausanner Gefängnisaufseher wegen Misshandlung klagt, fehlen wegen einer angeblichen Panne Videobeweise. Während Monaten hatte der Anwalt des Häftlings die Herausgabe eines Überwachungsvideos verlangt. Der Film sollte belegen, dass fünf Aufseher des Gefängnisses Bois Mermet den Financier mit Fusstritten und Schlägen ins Gesicht und den Intimbereich erheblich verletzt hatten. Nun präsentiert das Gefängnis eine technische Expertise, wonach die Kamera in den 15 Minuten, als sich der Vorfall ereignete, eine Panne hatte.

 Vor und nach dem Zwischenfall funktionierte die Kamera

 Der Geschäftsmann sass wegen Verdachts auf Geldwäscherei drei Monate in U-Haft. Die Aufseher gaben zu Protokoll, der Häftling habe sich die Verletzungen selbst zugefügt. Ein erstes Strafverfahren stellte der Untersuchungsrichter ein, und die Anfragen des Anwalts wegen des Videos liess er unbeantwortet.

 Nachdem das Waadtländer Kantonsgericht eine neue Ermittlung angeordnet hatte, bestellte das Gefängnis einen Telecom-Spezialisten, um Log-Files zu sichern. Der Computerausdruck zeigt, dass die Kamera im Zeitraum der gewalttätigen Auseinandersetzung ausser Betrieb war. Vorher und nachher funktionierte sie tadellos. "Ein sehr unglücklicher Zufall", sagt Denis Pittet, Mediensprecher des Waadtländer Departements des Innern. Es sei aber auszuschliessen, dass die Kamera von Hand abgeschaltet worden sei.  

Catherine Bos

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KULTURRAUM CHUR
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Südostschweiz 22.8.10

Chur soll öffentlichen Kulturraum erhalten

 Chur. - Die Juso Graubünden, der Verein Bündner Musikszene und der Autonome Jugendkulturverein Chur haben am Freitagabend am Churer Fest eine Petition für einen "Kulturraum Chur" lanciert. Das schreiben die drei Gruppierungen in einer Mitteilung. Chur sei zwar Kantonshauptstadt mit 36 000 Einwohnern, Wirtschaftsmittelpunkt und Zentrumsstadt für 100 000 Menschen, aber es existiere kein öffentlicher Kulturraum.

 Zu spüren bekämen dies vor allem "engagierte, meist junge Kulturschaffende und -interessierte", denn es fehle dadurch an Proberäumen, Ateliers und Konzertlokalen. Verstärkt werde die Problematik durch die zunehmende "Einschränkung öffentlicher Freiräume" im Zusammenhang mit dem städtischen Polizei- und Gastwirtschaftsgesetz. Nebst den drei Gruppierungen werde die Petition auch von der JCVP Bündner Rheintal und dem Verein Nachtleba Chur unterstützt. (so)

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kulturraum-chur.ch

Petition für ein Kulturzentrum in Chur

Liebe Churerinnen und Churer

Seit Längerem fehlt es in unserer Kantonshauptstadt an öffentlichem Kulturraum. Proberäume und Ateliers sind rar, die wenigen Konzertlokale überlastet. Zu spüren bekommen dies vor allem engagierte, meist junge Kulturschaffende und -interessierte, welche ihre Zeit gerne kreativ nutzen. Da kaum Möglichkeiten bestehen, verbringen Jugendliche viel Zeit im öffentlichen Raum, wo sie meist unerwünscht sind.

Die Arbeitsgruppe "Kulturraum Chur", zusammengesetzt aus verschiedenen Kulturvereinen und politischen Parteien, setzt sich daher für die Schaffung eines Kulturzentrums in Chur ein. Bestehend aus vielseitig nutzbaren Räumen, Bühnen sowie einer Gaststätte soll es Raum bieten sich aufzuhalten, auszutauschen und kulturell zu verwirklichen.

Dafür brauchen wir Ihre Unterstützung: Am Churerfest werden wir eine Petition für ein Kulturzentrum in Chur lancieren und sind dankbar für jede Unterschrift! Vielen herzlichen Dank im Voraus, dass Sie die Anliegen der zukünftigen Generation ernst nehmen und unterstützen!

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DROGEN
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Südostschweiz 22.8.10

Total-Legalisierung findet in der Region kaum Befürworter

 Eine vom Bund beauftragte Expertengruppe schlägt die Entkriminalisierung aller Drogen vor. Regionale Politiker sind mehrheitlich dagegen.

 Von Tatjana Jaun

 Die eidgenössische Kommission für Drogenfragen hat mit den eidgenössischen Kommissionen für Alkoholfragen und Tabakprävention im Auftrag des Bundes das Grundlagenpapier "Herausforderung Sucht" ausgearbeitet. Darin wird die Entkriminalisierung sämtlicher Drogen vorgeschlagen. Heroinabhängige sollen demnach genauso wenig für ihre Sucht bestraft werden wie Alkoholiker oder Tablettensüchtige. Derzeit wird das Papier vom Bundesamt für Gesundheit überprüft. In der Region stösst der Vorschlag derweil auf harsche Kritik.

 "Fiasko" und "ohne Zukunft"

 "Das würde im Fiasko enden", sagt der CVP-Nationalrat Jakob Büchler zu einer Total-Legalisierung. "Das kann nicht die Zukunft sein", meint auch die FDP-Kantonsrätin Marie-Theres Huser. Derselben Meinung ist auch der SP-Kantonsrat Josef Kofler. Für den SVP-Kantonsrat Christopher Chandiramani ist die Zeit "noch nicht reif". Einzig Silvia Kündig-Schlumpf, Kantonsrätin der Grünen, spricht sich für eine kontrollierte Abgabe von Drogen aus. Im Gespräch mit der "Südostschweiz" erklärt der St. Galler Suchtexperte Jürg Niggli, wieso eine Legalisierung fast nur Vorteile hat. Interview Seite 3

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"Eine drogenfreie Gesellschaft ist eine Illusion"

 Eine vom Bund beauftragte Expertengruppe schlägt die Legalisierung aller Drogen vor. Der St. Galler Suchtexperte Jürg Niggli findet den Vorschlag nicht revolutionär, sondern sinnvoll.

 Jürg Niggli sprach Tatjana Jaun

 Herr Niggli, besteht in der Schweizer Suchtpolitik Nachholbedarf?

 Jürg Niggli: Nein. Innovative Lösungen wie die heroingestützte Behandlung und das Vier-Säulen-Modell (Prävention, Repression, Therapie und Schadensminderung) zur Schliessung der offenen Drogenszene haben sich bewährt und sind immer noch sehr tauglich. Wir haben für die Zukunft generell einen Gestaltungs- und Handlungsbedarf. Neue Probleme, offene Alkoholszenen mit ihren Auswirkungen und neue Suchtformen (neue Medien "zappen und gamen") fordern neue Lösungsansätze und Massnahmen.

 Wird gegenüber der Jugend nicht ein falsches Signal ausgesendet, wenn man Drogen total legalisiert?

 Nein, überhaupt nicht. Im Gegenteil. Wir setzen alle Suchtmittel auf die gleiche Stufe und können Jugendschutzbestimmungen für den Konsum und Handel ehrlich und sehr strikte einfordern, anwenden und deren Einhaltung kontrollieren. Aber auch die Aufklärung über Risiken und Nebenwirkungen kann so offen, transparent, aber auch deutlich genug erfolgen.

 François van der Linde ist Präsident der Kommission für Drogenfragen und Mitglied der Expertengruppe. Er findet, dass der Ansatz für die Jugendprävention Vorteile bringt. Er sagt: "Wie soll man glaubhaft über Substanzen aufklären, wenn der Konsum verboten ist?" Stellen Sie sich diese Frage auch?

 Meine langjährige Erfahrung in der Suchthilfe bestätigt die Aussage von van der Linde. In der Praxis ist die Aufklärung über verbotene Substanzen wesentlich schwieriger. Die Botschaft "Hände weg, der Konsum ist ja eh verboten" verfehlt in vielen Fällen die gewünschte Wirkung.

 Der Konsum ist die eine Seite. Was ist mit dem Verkauf von Drogen? Sind Sie für eine starke Reglementierung oder soll es zur vollständigen Gesetzesliberalisierung kommen?

 Der Verkauf von Drogen wie auch von anderen Suchtmitteln inklusive Alkohol sollte klipp und klar geregelt sein. Mit den absolut nötigen Einschränkungen im Bereich des Jugendschutzes auch die zeitliche Erhältlichkeit. Das Modell der 24-Stunden-Spassgesellschaft in den Grossstädten, alles ist rund um die Uhr erhältlich und alles ist im öffentlichen Raum erlaubt, hat ausgedient. Strukturen und gesetzliche Rahmenbedingungen können leichter verändert werden als der Mensch. Aber präventiv günstige Rahmenbedingungen - wir sprechen da von der Verhältnisprävention - können das Verhalten in Bezug auf den Suchtmittelmissbrauch positiv beeinflussen.

Welche Nachteile sehen Sie in einer vollständigen Entkriminalisierung?

 Nachteile sehe ich kaum, höchstens eine eventuelle Verlagerung auf andere verbotene Spielwiesen. Der junge Mensch möchte an gesellschaftlichen Normen und Verboten ritzen, sucht Grenzüberschreitungen und hofft auf Reaktionen - oder er ist zumindest auf Reaktionen angewiesen.

 Wo sehen Sie die Vorteile?

 Eine Gesellschaft, die den Tabakanbau hoch subventioniert, Werbeeinschränkungen für alkoholische Getränke massiv lockert und den Cannabiskonsum ächtet, ist nicht glaubwürdig und spricht mit zwei Zungen. Zahlen belegen deutlich, dass der Cannabiskonsum in keiner Relation zur Toleranzschwelle liegt. In Holland ist die Verfügbarkeit hoch, aber der Konsum mittel - dies im Gegensatz zu Frankreich, wo die Verfügbarkeit tief ist, aber der Verbrauch deutlich höher liegt.

 Heute herrscht in vielen Dingen eine repressive Haltung vor. Stichwort: Rauchverbot, Alkohol am Steuer etc. Steht der Vorschlag, alle Drogen zu entkriminalisieren, nicht im Widerspruch?

 Der Vorschlag, alle Drogen zu entkriminalisieren, steht nicht im Widerspruch zu einem Rauchverbot. Wir können den Konsum durchaus liberalisieren, müssen aber bei den Auswirkungen des Suchtmittelmissbrauchs sehr strikte Regeln aufstellen zum Schutz zum Beispiel der Passivraucher oder des unschuldigen Strassenopfers.

Wie schätzen Sie die politischen Chancen des Anliegens ein?

 Steter Tropfen höhlt den Stein. Eines Tages fällt der reife Apfel vom Stamm. Wir haben eine ehrliche Suchtpolitik, die umfassender daherkommt und mehr ist als eine reine Drogenpolitik. Aber mir ist klar, dass heute die politischen Chancen eher noch klein sind, aber stetig wachsen. Die Anliegen der Expertengruppe sind nicht revolutionär, sondern fachlich gut begründet und sinnvoll.

 Stellen Sie eine Trendwende in Sachen Drogenkonsum fest?

 Konsummuster sind ständig in Bewegung, auf dem legalen wie auf dem illegalen Markt, in der Schweiz wie auch international. Die weltweite Nachfrage nach Opiaten, Kokain oder Cannabis ist gemäss Weltdrogenbericht 2009 stagniert oder schrumpft. Hingegen nimmt der exzessive Alkoholkonsum bei einer Minderheit zu, oft verbunden mit neuen sozialen Formen des Trinkens im öffentlichen Raum. Ebenso wächst die Zahl junger Rauschtrinker. Interessant ist hingegen, dass gemäss den jüngsten schweizerischen Gesundheitsbefragungen der Alkoholkonsum beim Gros der Jugendlichen abnimmt. Der Tabakmissbrauch ist immer noch Spitzenreiter, gefolgt vom Alkoholmissbrauch. Beim schädigenden Medikamentenkonsum wird vieles verschleiert und die Dunkelziffer ist beachtlich.

 Welche Droge ist die problematischste und weshalb?

 Jede Droge, jedes Suchtmittel hat eine problematische Seite. Ich unterscheide lieber zwischen risikoarmem Konsum und problembehaftetem Konsummuster sowie zwischen Risiken und Auswirkungen für das familiäre Umfeld und die Gesellschaft, aber auch zwischen den Risiken und Auswirkungen für die konsumierende Person selbst. Selbstschädigendes Verhalten ist anders zu gewichten als die Schädigung Dritter.

 Was wäre in Ihren Augen die Patentlösung für eine drogenfreie Gesellschaft?

 Die drogenfreie Gesellschaft ist eine Illusion, die sich in vielen Köpfen festgesetzt hat und immer wieder gefordert wird. Wir können auch von einer waffenfreien Welt träumen, doch sie wird heute und übermorgen auch nicht realisiert werden. Wer glaubt schon, dass der Zitronenfalter, ein Schmetterling, Zitronen faltet? Die Sucht ist wahrscheinlich so alt wie die Gesellschaft. Schon Adam liess sich verführen, die Frage ist nur, von Eva oder vom Apfel. Wir müssen lernen, mit süchtigen Menschen zu leben. Die Verantwortung für die Auswirkungen des Suchtmittelkonsums darf aber den Konsumierenden nicht abgenommen werden. Sie müssen die Konsequenzen, auch die negativen, selber tragen. Sind die Abhängigen nicht mehr in der Lage, die Verantwortung für ihr Handeln zu übernehmen, greifen zivilrechtliche oder vormundschaftliche Rahmenbedingungen.

 Wo steht die Schweizer Drogenpolitik in zehn bis 15 Jahren?

 Sie richtet sich vermehrt nach der Strategie der öffentlichen Gesundheit. Sie definiert sich nicht nur an der körperlichen Abhängigkeit und den Folgen, sondern richtet sich vermehrt auf den problembehafteten Konsum aller Suchtmittel in gleicher Weise. Sie schliesst auch vermehrt Verhalten mit grossem Suchtpotenzial wie zum Beispiel das Glückspiel mit ein oder berücksichtigt auch den schädlichen und riskanten Umgang mit Medikamenten.

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 Von der Banklehre zur sozialen Arbeit

 Jürg Niggli ist am 2. August 1955 in Basel geboren und im Alter von 20 Jahren nach St. Gallen "emigriert". Seit 15 Jahren ist er Geschäftsleiter der Stiftung Suchthilfe. Insgesamt ist Niggli über 25 Jahre in der Suchtarbeit tätig. Nach einer Banklehre absolvierte Niggli das Studium an der Fachhochschule für Soziale Arbeit. Danach schloss er die Weiterbildung als systemischer Paar- und Familientherapeut sowie als Supervisor und Organisationsentwicklungsberater ab. Zur Suchthilfe ist er "mehr durch Zufall als durch einen bewussten Entscheid" gekommen. Niggli ist verheiratet und hat zwei erwachsene Kinder. (tja)

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ZWISCHENGESCHLECHT
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Zentralschweiz am Sonntag 22.8.10

Der Zwang zum Geschlecht

Robert Bossart

 Wer weder als Knabe noch als Mädchen auf die Welt kommt, hat es schwer. Zwitter werden oft chirurgisch einem Geschlecht zugeordnet. Betroffene reden von Zwangsoperationen.

 Ein zentraler Punkt bei der Identität eines Menschen ist das Geschlecht: Männlein oder Weiblein. In seltenen Fällen ist aber genau das nicht klar. Es gibt Menschen, die nicht eindeutig als männliche oder weibliche Wesen geboren werden. Grundsätzlich kann man sagen, dass der Genotyp nicht mit dem Phänotyp übereinstimmt. Auf gut Deutsch: Das, was der Mensch im Innern an Chromosomen hat, passt nicht zu dem, was an äusserlich sichtbaren Geschlechtsmerkmalen da ist. "Von den rund 7000 Geburten, die wir in der Zentralschweiz jährlich haben, ist etwa ein Kind davon betroffen", sagt Marcus Schwöbel, Chefarzt der Klinik für Kinderchirurgie am Kinderspital Luzern. Schweizweit sind es jährlich etwa fünf bis sieben Kinder bei rund 70 000 Geburten.

 Ein wenig von beidem

 Diese Uneindeutigkeit des Geschlechts hat die unterschiedlichsten Erscheinungsbilder. Manche Neugeborene weisen eine grosse Klitoris auf, die auch ein kleiner Penis sein kann, oder ein hodenähnliches Gebilde, bei dem nicht eindeutig zu sehen ist, ob es nicht auch eine Art Schamlippen sein könnten. Es gibt verschiedene Ursachen für diese so genannte Störung der Geschlechtsentwicklung (siehe Box rechts oben). "Es besteht heute vom Staat wie von der Gesellschaft aus der Konsens, dass den Kindern in der ersten Zeit nach der Geburt ein Geschlecht zugewiesen werden soll", sagt Marcus Schwöbel.

 Dagegen wehren sich Betroffene: Sie bezeichnen diese Operationen als Zwangseingriffe, die ohne die Einwilligung des Kindes nicht gemacht werden dürften. Daniela Truffer, Gründungsmitglied der Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org, findet, dass nur der betroffene Mensch entscheiden kann, ob er als Mann oder als Frau - oder als Zwitter - sein Leben verbringen will. Truffer ist selbst zur Frau operiert worden, hat aber einen XY-Chromosomensatz, ist also genetisch eigentlich ein Mann. "Ich hatte einen Mikropenis, die Ärzte nannten es eine Klitoris." Eine Scheide hatte sie nicht, dafür aber Hoden im Innern ihres Körpers, die man ihr als Baby rausoperiert hat. "Ich wurde damit kastriert", sagt sie. Angeblich wegen erhöhten Krebsrisikos. Was laut Truffer nicht stimmt, es gebe Studien, die das nachwiesen.

 Später wurde ihre Klitoris verkürzt. Als sie 18 war, habe man ihr eine Scheide "gebastelt", erzählt die heute 45-jährige Frau. Immer wieder musste sie schmerzhafte Nachbehandlungen über sich ergehen lassen. Was passiert wäre, wenn man sie nicht operiert hätte, weiss sie nicht.

 Daniela Truffer ist nicht grundsätzlich gegen operative Eingriffe. Aber man hätte es ihr überlassen sollen, ob sie Mann, Frau oder Zwitter sein wollte. "Wenn man mich begleitet und aufgeklärt hätte, hätte ich mit der Zeit herausfinden können, als was ich mich fühle. Und ich hätte selber entscheiden können, ob und welche Eingriffe an meinem Körper gemacht werden sollen."

 Zum Wohl des Kindes?

 Marcus Schwöbel weist darauf hin, dass es Patienten gebe, bei denen eine Operation aus gesundheitlichen Gründen nötig sei, etwa, wenn der Harnröhrenausgang eng ist oder die Scheide nicht nach aussen, sondern in die Harnröhre mündet. Er betont: "Wann immer eine Operation durchgeführt wird, haben die Eltern diesem Vorgehen nach ausführlicher Information zugestimmt." Diese werden von einer Expertengruppe bestehend aus Kinderchirurg, Psychiaterin oder Psychologin, Frauenärztin und einem Hormonspezialisten für Kinder beraten und begleitet. "Der Entscheid für einen Eingriff erfolgt erst nach längeren intensiven Abklärungen und Abwägungen", so Schwöbel. Die Forderung der Betroffenengruppe, wonach nur der urteilsfähige Mensch das Recht dazu habe, einem Eingriff zuzustimmen, ist für ihn nicht immer praktikabel. Für die körperliche und geistige Entwicklung eines Kindes kann es von grosser Bedeutung sein, sich als Mädchen oder als Bub zu fühlen. "Aber wenn die Eltern finden, dass es etwas dazwischen bleiben soll, dann ist das natürlich ihre Entscheidung. Diese wird von den behandelnden Ärzten mitgetragen und akzeptiert."

 Fehler von früher

 Der Kinderchirurg räumt ein, dass in der Vergangenheit Fehler gemacht worden sind. "In den Siebziger- und Achtzigerjahren wurde operiert, um dem Kind möglichst rasch ein klares Geschlecht zuweisen zu können. Aber von dieser Praxis ist man längst abgekommen." Heute werde sehr sorgfältig abgewogen, und das Interesse des Kindes stehe im Zentrum. "Es geht darum, dem Kind zu helfen, damit es ein möglichst glückliches und beschwerdefreies Leben führen kann", so Schwöbel.

 Dennoch werfen die Betroffenen von der Gruppe Zwischengeschlecht.org den Spitälern vor, dass nach wie vor unnötig eingegriffen werde. Truffer: "Meist sind es kosmetische Eingriffe ohne medizinische Notwendigkeit, die für das Kind schwerwiegende Konsequenzen haben, unter denen es ein Leben lang leidet." Betroffene klagen über Verminderung oder Zerstörung der sexuellen Empfindungsfähigkeit, schmerzende Narben im Genitalbereich und lebenslange Abhängigkeit von künstlichen Hormonen. "Medizinische Studien reden von eklatant hoher Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen", sagt Daniela Truffer.

 Wenn das Kind selbst über sein Geschlecht entscheidet - wie stellt sie sich das konkret vor? Klar sei es wichtig, dass auch ein intersexuelles Kind einen Namen habe und wisse, ob es aufs Mädchen- oder Knabenklo soll. "Ich kenne eine Mutter, die ihrem Kind einen Mädchennamen gegeben hat, obwohl es ein bisschen von beidem habe." Später könne das Kind dann entscheiden, wie es weitergehen solle. "Das ist sicher auch keine einfache Situation, aber es ist immer noch besser als diese menschenrechtswidrige Rumschnippelei", sagt sie.

 Hinweis: Heute Sonntag, 15 Uhr, protestiert die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org vor dem Kantonsspital Luzern mit einer friedlichen Aktion gegen "Zwangsoperationen" an Zwittern in Schweizer Kinderkliniken.

 robert.bossart@neue-lz.ch

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 Unterscheidung

 Begriffe

 Intersexualität:Diese werden auch "Zwitter" oder "Hermaphroditen" genannt. Es sind Menschen, deren innere und äussere Geschlechtsmerkmale gegensätzlich sind. Äusserlich weibliche Menschen beispielsweise sind genetisch männlich (XY-Chromosomen), anstelle von Eileitern und Gebärmutter sind Hoden vorhanden. Aufgrund ihres Genitals als Jungen deklarierte Kinder wiederum weisen einen weiblichen Chromosomensatz (XX) und ebensolche Fortpflanzungsorgane auf. Die Vielfalt von intersexuellen Formen ist gross. (Quelle: www.intersex.ch)

 Transsexualität: Transsexuelle lassen sich eindeutig einem Geschlecht zuordnen, empfinden sich aber als Angehörige des anderen Geschlechts.

 Transvestiten: Tragen Kleider des anderen Geschlechts, unabhängig von ihrer sexuellen Orientierung.

 Transgender: Einerseits Menschen, die sich mit ihrer Geschlechterrolle, die sie aufgrund ihrer Geschlechtsmerkmale haben, nicht oder nur ungenügend beschrieben fühlen. Andererseits Menschen, die sich mit ihren primären und sekundären Geschlechtsmerkmalen nicht oder nicht vollständig identifizieren können. Manche intersexuelle Menschen sind Transgender.

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 Intersexualität

 Drei Varianten

 • Häufigste Ursache für eine Störung der Geschlechtsentwicklung ist das Adrenogenitale Syndrom (AGS). Bei dieser Stoffwechselkrankheit kann bereits das ungeborene Mädchen hohen Dosen von männlichen Geschlechtshormonen ausgesetzt sein, weshalb sich die äusseren Geschlechtsmerkmale in die männliche Richtung entwickeln können. Den Patientinnen fehlt das Stresshormon Cortison, welches lebenslang in Tablettenform eingenommen werden muss. Diese Mädchen besitzen einen weiblichen Chromosomensatz, Eierstöcke und eine Gebärmutter und können als Frauen Kinder bekommen.

 • Ebenfalls nicht so selten ist die schwere Fehlbildung des männlichen Glieds, des Penis, wobei der Hodensack gespalten ist und die Harnröhre am Damm zwischen den Hälften des Hodensacks mündet. Ursache ist entweder ein Mangel an männlichem Hormon zu einer gewissen Zeit der Entwicklung oder ein vermindertes Ansprechen des Penisgewebes auf das Hormon. Es handelt sich also um Buben mit einem XY-Chromosomensatz und normalen Hoden, welche, wenn die Fehlbildung operativ korrigiert wird, als Männer Kinder zeugen können.

 • Eine dritte, deutlich kleinere Gruppe bilden diejenigen Kinder, welche einen XY-Chromosomensatz aufweisen, deren äusseres Geschlecht sich aber unvollständig oder überhaupt nicht in die männliche Richtung entwickelt hat und deren Keimdrüsen oft unterentwickelt sind.

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zwischengeschlecht.info 22.8.10

Pressemitteilung - 22.8. Aktion gegen Genitalverstümmelung in Kinderspitälern und im Sport

http://zwischengeschlecht.org

P R E S S E M I T T E I L U N G

* Heute Sonntag 22.8. protestiert die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org zum 3. Mal mit einer friedlichen Aktion gegen die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern in Schweizer Kinderkliniken. >>> mehr

Um 15:00 Uhr vor dem Kantonsspital Luzern werden wir den Verantwortlichen des Kinderspitals einen Offenen Brief persönlich übergeben. Den Wortlaut des Offenen Briefes finden Sie untenstehend.

Der Offene Brief wurde den Verantwortlichen des Kinderspitals Luzern bereits per Mail zugestellt.

* Gleichzeitig wünscht die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya viel Erfolg beim heutigen Rennen am 69. Internationalen Stadionfest ISTAF in Berlin.

Und fordert die internationalen Sportverbände auf, die Menschenrechte von als Intersexuelle verdächtigten Sportlerinnen nicht mehr länger mit Füssen zu treten. >>> mehr


Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und "Menschenrechte auch für Zwitter!".


KONTAKT:

n e l l a
Daniela Truffer
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info


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>>> Der Offene Brief als PDF
http://zwischengeschlecht.org/public/Offener-Brief_Luzern-22-8-10.pdf

Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!
Postfach 2122
8031 Zürich
info@zwischengeschlecht.org


Kinderspital
Luzerner Kantonsspital
z.Hd. Kinderchirurgie
und Pädiatrische Endokrinologie
6000 Luzern 16


Zürich, 22. August 2010

Offener Brief von Zwischengeschlecht.org

Sehr geehrte Damen und Herren

Als sogenannt 'intersexuelle' Menschen und in diesem Zusammenhang auch Betroffene von nicht eingewilligten medizinischen Massnahmen sind wir sehr besorgt über öffentliche Äusserungen aus dem Kinderspital Luzern, worin ebensolche Zwangsmassnahmen öffentlich propagiert werden.

So empfiehlt zum Beispiel PD Dr. med. Marcus-G. Schwöbel, Chefarzt Kinderchirurgie, in der "Schweizer Familie" vom 24.2.2005 bei "Kindern, die an einem intersexuelle Genitale leiden", kosmetische Genitaloperationen im Alter von "[i]n der Regel etwa zwei Jahre[n]". (1)

(Obwohl Dr. Schwöbel es nicht namentlich erwähnt, müssen wir zudem davon ausgehen, dass die chirurgische Behandlung nebst kosmetischen Genitaloperationen auch medizinisch nicht notwendige Gonadektomien mit einschliesst.)

In der "Rundschau" vom 19.12.2007 bekräftigte Dr. Schwöbel erneut: "Weil die Gesellschaft so gebaut ist" und wegen der "Evolution" seien kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern "der in Anführungszeichen normale Weg". (2)

Auch im "Tages-Anzeiger" vom 5.2.2008 bestätigt Dr. Schwöbel wiederum implizit, dass kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern nach wie vor die Regel sind. (3)

Als Betroffene sowohl von nicht eingewilligten "Genitalkorrekturen" wie auch von nicht eingewilligten Gonadektomien sind wir über solche Aussagen entsetzt und halten fest:

Geschlechtszuweisende chirurgische Genitalkorrekturen ohne medizinische Indikation, wie sie offensichtlich auch im Kinderspital Luzern immer noch regelmässig an Kleinkindern durchgeführt werden, sind auch in der medizinischen Lehre alles andere als unumstritten. Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, dass sie auf lange Sicht wirksam und sicher sind. Hingegen gibt es viele Indizien, welche ihre Wirksamkeit in Frage stellen.

Weder ist gesichert, dass Genitalkorrekturen langfristig zu besseren psychosozialen Resultaten führen, als wenn sie unterlassen werden. Noch kann garantiert werden, dass ein Kind sich entsprechend der ihm zugewiesenen Geschlechtsidentität entwickelt. Im Gegenteil, aktuelle Studien belegen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden." (4)

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering". Eltern beurteilen "die behandelnden Ärzte/Ärztinnen schlechter als Eltern von Kindern mit anderen chronischen Erkrankungen". (5) "Als Ergebnis zeigt sich, dass viele Erwachsene mit DSD mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden sind." (6)

"The outcome of early genital vaginoplasty is poor and repeat procedures are common. Complications such as stenosis and persistent offensive vaginal discharge and bleeding are common. [...] It is also increasingly clear that clitoral surgery in childhood is detrimental to adult sexual function." (7)

"Auch aus der Literatur ist bekannt, dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (8)

Flächendeckende prophylaktische Gonadektomien sind laut medizinischen Studien in den meisten Fällen medizinisch nicht notwendig, haben aber für die Betroffenen lebenslange, sehr schwerwiegende Folgen, insbesondere bei anschliessender contrachromosomaler Hormonersatztherapie. So beträgt beispielsweise bei CAIS das Krebsrisiko lediglich 0.8 %, bei PAIS 15 %. (9) Sogar Wünsch und Wessel halten in einer aktuellen Publikation fest: "Indikation und Zeitpunkt der Gonadenentfernung müssen dem individuellen Tumorrisiko angepasst werden. Der Schutz der Fertilität ist ein zentrales Anliegen." (10)

Auch aus ethischen und juristischen Gründen sind geschlechtszuweisende chirurgische Genitalkorrekturen und prophylaktische Gonadektomien an Kindern ohne deren informierte Zustimmung strikt abzulehnen.

So kritisiert zum Beispiel Dr. med. Nikola Biller-Andorno, Professorin für Biomedizinische Ethik an der Universität Zürich, in der "Schweizerischen Ärztezeitung" an einem konkreten Fallbeispiel, dass eine "Verschiebung der operativen 'Korrektur'" mit "Einbeziehung des dann Jugendlichen in den Entscheidungsprozess" von den behandelnden Ärzten lediglich als "'theoretische' Option", jedoch nie als praktische Möglichkeit erwogen wird.

Im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten plädiert Biller-Andorno "angesichts des relativ geringen Schadens/Risikos im Falle des Aufschiebens einer Operation und angesichts der noch nicht zufriedenstellenden Datenlage bezüglich der Auswirkungen der jeweiligen Eingriffe auf die Lebensqualität der Betroffenen" für eine Aufschiebung und dagegen, "durch eine Operation bereits irreversible Fakten zu schaffen". (11)

Auch internationale Ethikgremien kommen zum Schluss:

"Our working group unanimously supported waiting for children to be old enough to participarte in decisions about risky and painful surgeries that might fail to reliably retain function and produce more normal appearance (for example, surgery for intersex and achondroplasia)." (12)

"Maßnahmen, für die keine zufrieden stellende wissenschaftliche Evidenz vorliegt, sowie Maßnahmen, die irreversible Folgen für die Geschlechtsidentität oder negative Auswirkungen auf Sexualität oder Fortpflanzungsfähigkeit haben können, sind besonders begründungs- und rechtfertigungspflichtig und bedürfen einer zwingenden medizinischen Indikation. [...] Die Verfügung über Organe und Strukturen, die für die körperliche Integrität oder Geschlechtsidentität wichtig sind (z.B. Keimdrüsen), sollten in der Regel - wenn keine gewichtigen, das Kindeswohl betreffenden Gründe entgegenstehen - dem Betroffenen selbst überlassen bleiben." (13)

Auch Prof. Dr. iur. Andrea Büchler, Professorin für Privatrecht an der Universität Zürich, stellt unmissverständlich klar:

"Ein medizinischer Eingriff braucht die Zustimmung der betroffenen Person. In der Regel können die Eltern für ihr Kind zustimmen. Geschlechtszuweisende Operationen aber tangieren die höchstpersönlichen Rechte und dürfen nicht ohne Zustimmung des betroffenen Kindes vorgenommen werden - ausser es ist medizinisch notwendig." (14)

Nicht zuletzt verletzen medizinisch nicht notwendige, kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern Grund- und Menschenrechte, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.

Namhafte Menschenrechtsorganisationen unterstreichen zudem die Parallelen zur weltweit geächteten Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung.

In der Vernehmlassung zur parlamentarischen Initiative "Verbot von sexuellen Verstümmelungen" forderten Terre des Femmes Schweiz und die Schweizer Sektion von Amnesty International 2009 ausdrücklich die Ausdehnung des Tatbestandes auch auf kosmetische Genitaloperationen an Intersexuellen. (15)

Die Sektionen Schweiz und Deutschland von Amnesty International verabschiedeten 2010 an ihren Jahresversammlungen je eine Motion, worin sie Handlungsbedarf unterstrichen. Amnesty Schweiz führte dazu in der Begründung aus:

"Wir erachten genitale Zwangsoperationen für ein schweres Verbrechen, das gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde verstösst. Genitale Zwangsoperationen sind schwere medizinische Eingriffe an Kindern mit gesunden, aber sogenannten nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, die ohne die Einwilligung der Betroffenen vorgenommen werden. Die Folgen von chirurgischen und medikamentösen Eingriffen werden von den Betroffenen oft als Verstümmelungen wahrgenommen. Die Suizidrate bei operierten und hormonbehandelten Intersexuellen ist stark erhöht; auch verstösst die Zuweisung zum explizit männlichen oder weiblichen Geschlecht gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde, die nicht nur bei Female Genital Mutilation (FGM) in Entwicklungsländern, sondern weiterhin auch bei genitalen Zwangsoperationen in Industrieländern verletzt werden." (16)

Amnesty Deutschland wertete die kosmetischen Genitaloperationen an Kindern als "fundamentalen Verstoß gegen die Menschenrechte":

"Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die Ächtung einer medizinischen Praxis, intersexuellen Menschen entweder im frühen Kindesalter ohne Einwilligungsfähigkeit - oder Erwachsenen ohne Aufklärung über Folgen - auf operativ-medikamentösem Weg ein eindeutiges Geschlecht "zuzuweisen". Dies wird als fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte (Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Würde und auf Nicht-Diskriminierung) gewertet, da solche Maßnahmen in den allermeisten Fällen aus medizinisch-gesundheitlicher Sicht keinerlei Begründung haben." (17)

Terre des Femmes und internationale Expertinnen konstatieren seit Jahren, dass kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern eine Form von Genitalverstümmelung sind und für die Opfer vergleichbar schädlich wie die weibliche Genitalverstümmelung. (18)

Erwachsene, die als Kinder kosmetischen Genitaloperationen unterzogen wurden, beklagen seit den 1990er-Jahren öffentlich die "Zerstörung des sexuellen Empfindens" und der "körperlichen Unversehrtheit" (19) durch diese Eingriffe, welche sie als "Genitalverstümmelung" erfahren. (20)

Wir betroffene Menschen bitten Sie deshalb inständig, die offenbar auch im Kinderspital Luzern üblichen, fragwürdigen Praktiken im Zusammenhang mit Intersexualität zu überprüfen, und bitten um eine diesbezügliche Stellungnahme innert nützlicher Frist.

Ebenso bitten wir Sie inständig um Einbezug der Betroffenen und ihrer Organisationen beim Erarbeiten künftiger Behandlungsrichtlinien sowie in der Behandlung selbst (Anbieten von kontinuierlichem Peer Support sowohl für die betroffenen Kinder wie auch für ihre Eltern).

In der Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog zwischen verantwortlichen Ärzten und uns Betroffenen grüssen wir Sie freundlich


Im Namen von Zwischengeschlecht.org


Daniela Truffer
Gründungsmitglied Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied XY-Frauen
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.


Quellen (alle Links Stand 22.8.2010)

(1) Nicole Tabanyi: "Das dritte Geschlecht". Schweizer Familie, 24.2.2005, Nummer 8/05, Seite 86
http://blog.zwischengeschlecht.info/pages/%22Das-dritte-Geschlecht%22-Schweizer-Familie-24.02.05

(2) Rundschau: "Weder Mann noch Frau". 19.12.2007
http://videoportal.sf.tv/video?id=b8c81a3e-91ea-4fe1-8509-d3500a60586f

(3) Zwar deutete Dr. Schwöbel gleichzeitig an, dass er aufgrund juristischen Drucks allenfalls eine Änderung dieser Praxis in Betracht zieht: "Sollte der Chirurg in Köln für den Eingriff, den er vor 30 Jahren durchführte, verurteilt werden, oder setzt sich die Auffassung von Rechtsprofessorin Büchler durch, müsste die Indikation zu geschlechtsanpassenden Eingriffen neu überdacht werden". Der angesprochene Chirurg wurde inzwischen letztinstanzlich verurteilt. Trotzdem blieb die Praxis im Kinderspital Luzern unseres Wissens nach unverändert.
Katrin Hafner: "Ein Intersexueller klagt seinen ehemaligen Arzt an". Tages-Anzeiger, 5.2.2008
http://sc.tagesanzeiger.ch/dyn/wissen/medizin/838834.html

(4) Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern".
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Lisa Brinkmann; Katinka Schweizer; Hertha Richter-Appelt: "Behandlungserfahrungen von Menschen mit Intersexualität. Ergebnisse der Hamburger Intersex-Studie". Gynäkologische Endokrinologie 04/2007, S. 235-242

(5) Eva Kleinemeier, Martina Jürgensen: "Erste Ergebnisse der Klinischen Evaluationsstudie im Netzwerk Störungen der Geschlechtsentwicklung/Intersexualität in Deutschland, Österreich und Schweiz Januar 2005 bis Dezember 2007", S. 18. http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf

(6) Ebd., S. 37

(7) Sarah M. Creighton: "Adult Outcomes of Feminizing Surgery". In: Sharon E. Sytsma (Ed.): "Ethics and Intersex", Dordrecht: Springer, 2006, S. 207-214

(8) M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233

(9) Martine Cools, Stenvert L. S. Drop, Katja P. Wolffenbuttel, J. Wolter Oosterhuis, and Leendert H. J. Looijenga: "Germ Cell Tumors in the Intersex Gonad: Old Paths, New Directions, Moving Frontiers". Endocrine Reviews 27(5), 2006: S. 468-484 (S. 481)

(10) L. Wünsch, L. Wessel: "Chirurgische Strategien bei Störungen der Geschlechtsentwicklung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3. Springer Berlin / Heidelberg 2008, S. 234-240

(11) Nikola Biller-Andorno: "Zum Umgang mit Intersex: Gibt es Wege jenseits der Zuordnung des 'richtigen Geschlechts'?". Schweizerische Ärztezeitung, 47/2007, S. 2047-2048

(12) Erik Parens (Ed.): "Surgically Shaping Children", Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 2006, S. xxix

(13) Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung": "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD. In: Monatsschrift Kinderheilkunde 2008, Nr. 156, S. 241-245

(14) Katrin Hafner: "Ein Intersexueller klagt seinen ehemaligen Arzt an". Tages-Anzeiger, 05.02.2008.
http://www.tagesanzeiger.ch/dyn/wissen/medizin/838834.html

(15) Genitalverstümmelung: Übersicht zur Vernehmlassung: http://humanrights.ch/home/de/Fokus-Schweiz/Inneres/Gewalt/Genitalverstuemmelung/idcatart_9012-content.html?zur=300

Vernehmlassungsantwort von Terre des Femmes Schweiz:http://www.terre-des-femmes.ch/files/TERRE_DES_FEMMES_Schweiz_Stellungnahme_Vernehmlassung_FGM.pdf

Vernehmlassungsantwort von Amnesty International: http://humanrights.ch/home/upload/pdf/090504_PP_FGM.pdf

(16) Motion 6: "Position zu Intersexualität"
http://www.queeramnesty.ch/docs/QAI_Motion_GV2010_Intersex.pdf

(17) "Intersexualität und Menschenrechte", Mitteilung vom 26.5.2010
http://www.mersi-hamburg.de/Main/20100526001

(18) Hanny Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal". Orlanda 2003. Vgl. insbesondere Kapitel 3: "Intersex-Chirurgie - ein Segen für wen?", S. 49-58

Fana Asefaw, Daniela Hrzán: Genital Cutting - Eine Einführung. In: ZtG Bulletin 28, 2005, S. 8-21
Relevante Auszüge: http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2010/08/07/Genitale-Zwangsoperationen-an-Zwittern-
Genitalverstuemmelung-Typ-IV-Fana-Asefaw%2C-Daniela-Hrzan%2C-2005
Ganzer Text: http://www.gender.hu-berlin.de/w/files/ztgbulletintexte28/2artikel_asefaw_hrzan.pdf

Marion Hulverscheidt: "Weiblich gemacht? Genitalverstümmelung bei afrikanischen Frauen und bei Intersexuellen". In: TDF. Menschenrechte für die Frau, Nr. 3/4, 2004, S. 23-26
http://kastrationsspital.ch/public/Hulverscheidt_TDF_3-4-04.pdf

(19) Cheryl Chase: "Letters from Readers". In: The Sciences, July/August, 3, 1993
http://www.isna.org/articles/chase1995a

(20) Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG):
"Genitalverstümmelungen in Deutschland in der Kinder- und Jugendgynäkologie"
http://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Genitalverstuemmelungen-AGGPG-%281996%29

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SÖLDNER
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aufbau.org 23.8.10

Bs: Aegis angreifen, Imperialismus zerschlagen!      

Kundgebung gegen die Söldnerfirma Aegis als Teil des Imperialismus, welche ihren Sitz vor kurzem nach Basel verlegt hat.

Ort: Gartenstr. 22, nahe Aeschenplatz
Kontakt: basel@aufbau.org

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sf.tv 22.8.10

Söldnerfirmen sollen Fesseln bekommen

sda/schj

 Private Militär- und Sicherheitsfirmen sollen mit einem weltweit gültigen Verhaltenskodex auf das humanitäre Völkerrecht und die Menschenrechte verpflichtet werden. Das EDA unterstützt laut Bundesrätin Calmy-Rey aktiv Bemühungen um einen solchen Kodex.

 Die Söldnerfirmen sollten bei Verstössen direkt in die Verantwortung genommen werden, sagte Micheline Calmy-Rey in einem Interview mit der "NZZ am Sonntag".

 Beispiele seien ein Verbot von Tötungen ausser bei Notwehr, ein absolutes Folterverbot oder auch ein Verbot des Menschenhandels.

 Rechte für die Opfer

 "Absicht ist, dass der Verhaltenskodex an sich das Verhalten der Unternehmen verändert", sagte die Aussenministerin. Doch auch die Auftraggeber der Sicherheitsfirmen - Staaten, humanitäre Organisationen oder Rohstoffunternehmen - sollten den Kodex in ihre Verträge integrieren.

 "Die Verletzung eines Standards im Kodex wäre dann eine Verletzung des Vertrags und würde eine Vertragsstrafe nach sich ziehen", führte Calmy-Rey aus. Opfer sollen mit dem Kodex die Möglichkeit haben, Verletzungen anzuzeigen.

 Registrierungspflicht für Söldnerfirmen?

 Mehrere Branchenverbände, die zusammen über 100 Unternehmen vertreten, unterstützen laut Calmy-Rey die Arbeit am Kodex, der nach 18 Monaten Arbeit vor der Verabschiedung stehe.

 Auf Bundesebene drängt es sich für die Aussenministerin auf, eine Prüfungs- und Registrierungspflicht für Söldnerunternehmen zu prüfen. Vergangene Woche hatte bereits Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf eine solche Bewilligungspflicht angesprochen.

 Aegis Defense Services mit Basler Hauptsitz

 Die Bundesrätinnen machten ihre Aussagen vor dem Hintergrund, dass das britische Sicherheitsunternehmen Aegis Defense Services seinen Holding-Sitz im März in Basel eingerichtet hatte. Rechtlich gesehen verstösst diese Ansiedlung indes nicht gegen das Gesetz.

 Im Mai 2008 hatte der Bundesrat entschieden, dass in der Schweiz ansässige private Sicherheitsfirmen, die in ausländischen Konflikt und Krisengebieten tätig sind, vorderhand nicht einer Registrierungs- und Bewilligungspflicht unterstellt werden.

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Sonntagszeitung 22.8.10

Söldnerfirmen in der Schweiz - Calmy macht Druck

 Die Einführung einer Bewilligungspflicht für Söldnerfirmen in der Schweiz wird immer wahrscheinlicher.

 Inzwischen hat sich die Aussenministerin Micheline Calmy-Rey der Forderung von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf nach mehr Aufsicht angeschlossen. Nach der Verlegung des Holdingsitzes der Aegis Defence Services von London nach Basel will Calmy-Rey auch das Montreux-Dokument vorantreiben. Dieses ergänze auf internationaler Ebene eine gesamtschweizerische Lösung für Sicherheits- und Militärfirmen, so die Aussenministerin. Die Schweiz müsse sich als Vertragspartei der Genfer Konventionen und wegen ihrer humanitären Tradition für die Durchsetzung des humanitären Völkerrechts engagieren. Die Tätigkeit von privaten Militär- und Sicherheitsfirmen (PMSC) in bewaffneten Konflikten sei völkerrechtlich nicht verboten. "Die Schweiz setzt sich jedoch dafür ein, dass diese Tätigkeiten im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht und den menschenrechtlichen Standards stehen", betont die Bundesrätin. Deshalb habe das Aussendepartement gemeinsam mit dem IKRK die Schaffung des Montreux-Dokuments initiiert, das die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten im Umgang mit PMSC klärt. Mit dem Dokument soll sich die PMSC-Industrie auf globale Standards verpflichten. Der Verhaltenskodex sieht Kontrollmechanismen vor und soll von Industrievertretern Ende September 2010 verabschiedet werden.

 Auch die Kantone wollen in dieser Sache an die Justizministerin gelangen. Der Generalsekretär der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), Roger Schneeberger, bestätigt, dass die Söldnerproblematik am Donnerstag bei der KKJPD Thema war. Er gibt sich zuversichtlich, an der Herbstversammlung einen mehrheitsfähigen Entwurf eines gesamtschweizerischen Konkordats für Sicherheitsfirmen vorlegen zu können, allerdings nur für solche, die Dienstleistungen in der Schweiz anbieten. Für die Firmen, die Söldner in die Krisenregionen auf der ganzen Welt schicken, müsse Widmer-Schlumpf eine Lösung finden.  

Pascal Tischhauser

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NZZ am Sonntag 22.8.10

"Es braucht einen globalen Ansatz der Regulierung"

 Das Aussendepartement von Micheline Calmy-Rey arbeitet an internationalen Regeln für Söldnerfirmen

 NZZ am Sonntag: Seit das britische Militärunternehmen Aegis einen Sitz in Basel hat, wird in der Schweiz über Regeln für private Militär- und Sicherheitsfirmen diskutiert. Welche Regeln braucht es?

 Micheline Calmy-Rey: Vor dem Hintergrund der neusten Entwicklung drängt sich die Prüfung einer Registrierungs- und Bewilligungspflicht auf Bundesebene auf. Ich unterstütze dieses Anliegen. Auf internationaler Ebene setzt sich die Schweiz dafür ein, dass die Tätigkeiten von Militär- und Sicherheitsfirmen im Einklang mit dem humanitären Völkerrecht und den Menschenrechten stehen. Deshalb hat das Eidgenössische Departement für auswärtige Angelegenheiten gemeinsam mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz die Schaffung des Montreux-Dokuments initiiert, das die völkerrechtlichen Verpflichtungen der Staaten im Umgang mit solchen Unternehmen klärt. Und deshalb unterstützt das EDA aktiv die Bemühungen für einen Global Code of Conduct für private Militärfirmen.

 Was regelt dieser internationale Verhaltenskodex?

 Der Global Code of Conduct soll die privaten Militär- und Sicherheitsfirmen auf die globalen Standards des humanitären Völkerrechts und der Menschenrechte verpflichten und die Unternehmen bei Verstössen direkt in die Verantwortung nehmen, beispielsweise durch ein Verbot von Tötungen ausser bei Notwehr, durch ein absolutes Folterverbot oder durch ein Verbot des Menschenhandels.

 Ein Verhaltenskodex für Firmen, die in der Vergangenheit auch Greueltaten begingen - das tönt ziemlich unverbindlich.

 Absicht ist, dass der Verhaltenskodex an sich das Verhalten der Unternehmen verändert und Verstösse zu vermeiden hilft. Es ist aber auch ein Ziel, dass Auftraggeber - seien es Staaten, humanitäre Organisationen oder Rohstoffunternehmen - den Verhaltenskodex in ihre Verträge integrieren. Die Verletzung eines Standards im Verhaltenskodex wäre dann eine Verletzung des Vertrags und würde eine Vertragsstrafe nach sich ziehen. Daneben soll mit dem Verhaltenskodex selbst ein Kontrollmechanismus geschaffen werden, der es Opfern ermöglicht, Verletzungen zur Anzeige zu bringen. Derartige Verletzungen können dann zu Kompensations- und Strafzahlungen oder zum Ausschluss einer Firma führen.

 Wie viele Militär- und Sicherheitsfirmen arbeiten am Verhaltenskodex mit?

 Die Ausarbeitung des Kodexes geniesst grosse Unterstützung von verschiedenen Branchenverbänden, die zusammen mehr als 100 Unternehmen vertreten. Grundsätzlich kann man sagen, dass alle international grossen und relevanten Firmen mehr oder weniger aktiv mitarbeiten.

 Wann wird die Arbeit abgeschlossen?

 Nach achtzehn Monaten Arbeit steht der Kodex kurz vor der Verabschiedung. Ein letzter Entwurf soll Ende Monat versandt werden. Im September sollen letzte Verhandlungen stattfinden, und dann soll der Kodex von den Militär- und Sicherheitsfirmen unterzeichnet werden.

 Faktisch ist ein Verhaltenskodex eine Selbstregulierung. Das dürfte den Militär- und Sicherheitsfirmen gefallen.

 Selbstregulierung ist kein Ersatz für eine staatliche Regulierung, beides sollte sich sinnvoll ergänzen. Für diesen internationalen Wirtschaftszweig, der überwiegend in Konfliktländern aktiv ist, braucht es aber einen globalen Ansatz der Regulierung. Diesen Ansatz greift der Kodex auf und entwickelt auf der Grundlage der nicht verhandelbaren Menschenrechte und des humanitären Völkerrechts und gemeinsam mit Staaten und Zivilgesellschaft einen Verhaltenskodex für die Firmen. Grossbritannien zum Beispiel bemüht sich seit mehreren Jahren, seine Branche zu regulieren. Mittlerweile hat die britische Regierung öffentlich festgestellt, dass die Ergebnisse unserer Initiative die Voraussetzung für die Regulierung bilden sollen.

Interview: Lukas Häuptli

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Schweizer Botschaften und Konsulate

 Ein Drittel von Privatfirmen bewacht

 "Rund ein Drittel" der zirka 180 Botschaften, Konsulate und anderen Vertretungen der Schweiz im Ausland werden von privaten Sicherheitsfirmen bewacht, wie Adrian Sollberger, Pressesprecher des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), auf Anfrage sagt. "Die Sicherheitsfirmen üben keine Aktivitäten mit militärischem Charakter aus, und ihr Personal ist in der Regel nicht bewaffnet." Es handle sich um Unternehmen, die auf die Bewachung von Gebäuden spezialisiert seien. Die Firmen müssten, so Sollberger, "einen Vertrag und einen Verhaltenskodex unterzeichnen, die sie dazu verpflichten, gewisse Prinzipien in Bezug auf die Menschenrechte zu respektieren und eine angemessene Ausbildung ihrer Mitarbeiter zu garantieren". Die Kosten für die private Bewachung belaufen sich laut Sollberger auf rund vier Millionen Franken pro Jahr.

 Wo die Schweiz welche Sicherheitsfirmen mit der Bewachung der Vertretungen beauftragt, will das EDA nicht bekanntgeben. Es geschehe in Ländern, in denen der staatliche Schutz "ungenügend oder sogar inexistent" sei und in denen "Sicherheitsrisiken" bestünden, sagt Sollberger. Es ist davon auszugehen, dass das beispielsweise bei den Schweizer Botschaften in Pakistan, Kongo-Kinshasa und im Sudan, beim Schweizer Konsulat in Kirgistan oder bei der Vertretung der Schweizer Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) in Afghanistan der Fall ist.

 Bei den sechzig privaten Sicherheitsfirmen, die diplomatische und andere Vertretungen der Schweiz im Ausland bewachen, soll es sich meistens um lokale Firmen handeln, in einigen Fällen aber auch um nationale Ableger von grossen internationalen Sicherheitsunternehmen. (luh.)

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Südostschweiz 21.8.10

Stiller Protest gegen Söldnerfirmen in Basel

 Aktivisten der Gruppe für eine Schweiz ohne Armee (GSoA) haben gestern in Basel vor dem Sitz der Söldnerfirma Aegis gegen Privatarmeen demonstriert, indem sie sich als symbolische Kriegsopfer auf den Boden legten. Das britische Unternehmen hatte sich im März in Basel niedegelassen, wie kürzlich bekannt wurde. Dieses "Geschäft mit dem Tod" dürfe nicht gefördert werden, so die GSoA. Sie fordert ein Verbot von Privatarmeen in der Schweiz.

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FUSSBALL
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Sonntag 22.8.10

"Steh auf, du Schwuchtel"

 Die bösen Sprüche der Gegenspieler werden weniger, die schwulen Fussballer von Stonewall haben sich inzwischen Respekt erarbeitet

Von Felix Lill

 Der Stonewall FC, ein schwuler Fussballklub aus London, spielt im normalen Ligabetrieb, also vor allem gegen Heteros. Respekt auf dem Rasen mussten sich die Männer über zwei Jahrzehnte hart erarbeiten.

 "Suche nach Möglichkeiten, mit Gleichgesinnten im Ligabetrieb Fussball zu spielen." Was zunächst wie eine Einladung zum Sonntagskick klingt, ist eine Kontaktanzeige, die im März 1991 die Runde in der schwulen Community Englands machte. Eine Plattform für Schwule zum Fussballspielen sollte geschaffen werden. Kurz darauf traf sich tatsächlich eine Handvoll Männer im Osten Londons. Viele von ihnen hatten früher einmal gespielt, sich seit ihren Outings aber nicht mehr getraut. Andere hielten ihre Sexualität noch geheim.

 "Das war die Geburt unseres Klubs", denkt Eric Najib zurück. Damals ein Teenager, ist Najib heute Trainer und Torhüter des ersten schwulen Fussballvereins in England. Als Najib 2001 vom Stonewall FC hörte, kündigte der ehemalige Jugendfussballer spontan seine Dauerkarte bei Manchester United. Jahrelang hatte er im Stadion Manchesters, dem Old Trafford, Anfeuerungsrufe gehört, von denen nicht wenige den Hass auf Homosexuelle schürten. "Es hat am Anfang grosse Überwindung gekostet. Als Schwuler wieder selber auf dem Platz zu stehen, war unheimlich."

 Denn nur drei Jahre zuvor hatte sich nicht weit von Stonewalls Heimstätte Justin Fashanu, der bis heute einzige Fussballprofi, der sich als schwul geoutet hat, in einer Garage erhängt. Für Fashanu war der öffentliche Druck zu gross geworden. Morddrohungen, Beschimpfungen und Diskriminierung waren für Fashanu zum Alltag geworden. "Beim Training haben wir oft darüber gesprochen", erinnert sich Najib. "Einige Spieler von uns hatten Angst. Auch, wenn wir nicht so berühmt waren, könnte uns ja etwas passieren." Aber die meisten blieben dabei.

 Und immer wieder hagelte es Beschimpfungen von den Gegnern und den Zuschauern. Einmal weigerte sich die gegnerische Mannschaft sogar, ihre Kabine zu verlassen, ehe die Kicker von Stonewall das Gelände verlassen würden. Häufig pfiffen auch die Schiedsrichter parteiisch.

 Doch der Mut der Spieler lohnte sich. Vor zehn Jahren stieg die Mannschaft in die Middlesex County Premier Division auf und spielt seitdem nur noch eine Liga unter den halbprofessionellen Klassen. Zwei Meisterschaften und zwei Pokalsiege im letzten Jahrzehnt Jahren haben Stonewall zum wohl erfolgreichsten schwulen Fussballklub weltweit gemacht. Die kürzlich in Köln ausgetragenen World Gay Games gewannen die Londoner zum nun dritten Mal.

 Mittlerweile ist der Stonewall FC zudem mit einem Sponsor ausgestattet, von dem sogar Profivereine träumen würden: Mit der englischen Grossbank Barclays sponsert den Verein jenes Institut, das zugleich Namensgeber der Premier League ist, Englands grösster Spielklasse.

 Angenehm ist das Spiel dennoch nicht immer für Stonewalls Kicker. "Wir werden schon oft beschimpft", erzählt Najib. "Fussball gilt als der Männersport schlechthin und der Prototyp des Mannes wird in den Medien nach wie vor als harter, heterosexueller Kerl dargestellt. Viele Leute hinterfragen das nicht." Najib meint, die Medien würden Mitverantwortung an der Marginalisierung von Schwulen im Fussball tragen.

 Homophobie ist eine der wenigen Arten von Diskriminierung, die in England noch salonfähig sind. Stossen rassistische oder behindertenfeindliche Äusserungen gewöhnlich emotionale Debatten an, bleibt die Diffamierung von Schwulen und Lesben oft folgenlos. Vor fünf Jahren organisierte die BBC eine Talkrunde, um über Fussball und Homophobie zu diskutieren, und hatte dazu diverse Londoner Fussballklubs befragt, ob diese denken, dass Schwulenhass ein Problem für den englischen Fussball darstelle.

 Die Antwort war deutlich: Kaum ein Verein reagierte. Aber auch die BBC selbst wurde bereits mehrmals kritisiert, homophobe Berichterstattung zu leisten. Zuletzt in einem Bericht über die lesbische Schauspielerin Lindsay Lohan, der sagte, Lohan solle lieber für Männer aufgehoben bleiben.

 Doch wenn Najib die Situation heute mit vor zehn Jahren vergleicht, "dann fühlt es sich an wie zwei Welten". Und es liege nicht nur daran, dass die Gesellschaft offener geworden sei. "Das Schöne am Fussball ist, dass man sich Respekt erarbeitet. Das haben wir mittlerweile geschafft. Es gibt heute deutlich weniger schwulenfeindliche Beschimpfungen, wenn einer unserer Spieler eine Schwalbe macht", lacht Najib. Und wenn es doch wieder einmal "Steh auf, du Schwuchtel" von den Gegnern töne, so werden immerhin die Entschuldigungen nach dem Spiel immer häufiger.