MEDIENSPIEGEL 30.8.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Reitschule bietet mehr: Müslüm + Parteien pro
Reitschule
- Rabe-Info 30.8.10
- Nachtleben: die Kapo + die Zivilcourage
- Gemeinderat gegen rassistische + sexistische Plakate
- Kulturfabrik Lyss wiedereröffnet
- Sans-Papiers: Anzeige gegen Widmer-Schlumpf
- Ausschaffungen: SVP-Hetze; Ausschaffungstod ohne
Gesundheitscheck
- Drogen: Teilenkriminalisierung KifferInnen
- Big Brother Sport: Polizeistaat Stadion in SG
- Binz ZH: Räumng verschoben
- 40 Jahre GZ ZH: von Rockern + Töchtern
- Tacheles Berlin: Kultur gegen Kapital
- Anti-Atom: Mühleberg-AnwohnerInnenfrust;
Endlager-Widerstand;
Tiefenlager-Pläne
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Mi 01.09.10
19.00 Uhr - SousLePont - Dänemark Spezialitäten
Do 02.09.10
20.30 Uhr - Tojo - "Kurtli VII" Die Trash-Revue zum
verflixten Siebten
22.00 Uhr - Rössli - Roy de Roy (SL)
Fr 03.09.10
20.30 Uhr - Tojo - "Kurtli VII" Die Trash-Revue zum
verflixten Siebten
22.00 Uhr - Frauenraum - Popshop mit DJ Anouk Amok und
Support, Disco
22.00 Uhr - Dachstock - Wax Tailor (Lab?oratoire/FRA).
Support: TAKE
(Alpha Pup/USA), Studer TM (Bonzzaj/BE) - Hiphop, Triphop, Dub,
Electronica
Sa 04.09.10
0-24 Uhr - ganze Stadt - Aktionstag "Reitschule bietet
mehr" - siehe
Tagespresse und www.reitschulebietetmehr.ch
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung
durch die
Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
20.30 Uhr - Tojo - "Kurtli VII" Die Trash-Revue zum
verflixten Siebten
22.00 Uhr - Dachstock - Benfay Plattentaufe "Hey, what?s
wrong baby!"
Live: Benfay (MPC, Synths), Simon Baumann (Drums) & Jan Galega
(Bassclarinet, Sax, Electronics) + Special Guests. DJs: Round Table
Knights & Jay Sanders - Electronica, Techno
So 05.09.10
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im
SousLePont bis 16.00
Uhr
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilm am Flohmi-Sonntag: Pippi
Langstrumpf,
Olle Hellbom, Astrid Lindgren, S/D 1969
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung
durch die
Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
20.15 Uhr - Kino - TATORT REITSCHULE:
Tatort-Direktübertragung (ab
19.00)
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
---
kulturstattbern.derbund.ch 30.8.10
Von Benedikt Sartorius am Montag, den 30. August 2010, um 07:00
Uhr
Kulturbeutel 35/10
(...)
Signora Pergoletti empfiehlt:
Einen Blick auf den Spielplan des Schachthaustheaters zu werfen,
am
Donnerstag ab 18.30 Uhr ebendort, inklusive Apéro und
Künstlerinnen und Künstler, sowie die Trashrevue "Kurtli VII"
Do bis Sa im Tojo und aber auch "Schönbeck ist der Herr Karl"
unter der Regie von Stefan Suske, ab Mittwoch im Effingertheater.
Frau Kretz empfiehlt:
Den Theater-Nachwuchs auscheckn bei den Bachelor-Projekte des
Studiengangs Theater der HKB unter dem Titel "tschüss, die
äpfel sind gefallen" am Mittwoch und Donnerstag jeweils um 16h und
20h. Oder sich am "Kurtli VII" einen ablachen bis es Muskelkater gibt
(s. oben).
(...)
--------------------------------------------------
REITSCHULE BIETET MEHR
--------------------------------------------------
Langenthaler Tagblatt 30.8.10
Müslüm hat Freund und Feind
Reitschule Bern
Ausser SVP und FDP sind alle Parteien gegen die Initiative
Samuel Thomi
Normalerweise reisst das Thema Reitschule in Bern einen
tiefen
Graben durch die städtische Politik. Wegen der Ende September
anstehenden Abstimmung über die SVP-Initiative zum "Verkauf der
Reitschule an den Meistbietenden" schliessen sich nun aber die
Polit-Reihen bis weit ins bürgerliche Lager (vgl. "Nachgefragt"
unten mit Initiant Erich Hess) .
Alle gegen SVP - und die FDP?
Im Sommerloch stellten sich zudem bereits über
zwanzig
Musiker und Autoren hinters alternative Kulturzentrum. Nicht Patent
Ochsner, Pedro Lenz oder Züri West, die auch auf der Scheibe sind,
stehen seither im Fokus: Müslüm ist über 235000 Mal auf
der Homepage Youtube.com angeguckt worden. Der Clip "Erich, Warum bisch
Du nid Ehrlich?" des Komikers mit türkischen Wurzeln schlug wie
eine Bombe ein: "Den Erfolg hat niemand erwarten können", so Rahel
Ruch von der Jungen Alternative. Zusammen mit SP, EVP, CVP und BDP und
der Grünen freien Liste (GFL), den Grünliberalen (GLP) sowie
dem Grünen Bündnis (GB) sind alle Parteien ausser die SVP und
FDP gegen die Initiative. Die FDP will die Parole in einer Woche fassen
- und ist gespalten. Preschte doch die Sektion Kirchenfeld vor und
lancierte Hess' Initiative mit.
Bei der Präsentation des überparteilichen
Komitees
stellte Stadträtin Barbara Streit am Freitag aber auch klar: "Die
EVP ist zwar kein Fan der Reitschule, das heisst aber noch lange nicht,
dass sie dem Meistbietenden verkauft werden soll." Auch wenn er privat
oft in der "Halle" verkehre, hält es GLP-Stadtrat Claude Grosjean
ähnlich: "Wir sagen Ja zur Kulturinstitution." Zur oft in Anspruch
genommenen Autonomie zähle aber auch "eigenverantwortliches
Handeln".
"Verbesserungspotenzial"
Diesbezüglich habe sich die "Situation zwar stark
gebessert". Als Partner städtischer Leistungsverträge bestehe
aber "beidseitig Verbesserungspotenzial". CVP-Präsident Michael
Daphinoff sagt: "Das Vertrauen fehlt, weil in der Reitschule die
Verantwortung zu oft an ein unbestimmtes Kollektiv abgeschoben wird."
Daher sei die CVP "klar gegen die veraltete Basisdemokratie" und
verlange, die Reitschule in einem Verein zu organisieren. Doch
keinesfalls dürfe sie geschlossen werden.
"Im schlimmsten Fall kaufen die Reitschüler das
Gebäude
selber", kommentiert BDP-Stadtrat Martin Schneider. "Wir wollen keinen
zweiten Progr" - Bern habe ein Interesse, mitbestimmen zu können,
was mit der Reitschule geht. Für SP-Stadtrat Ruedi Keller gibts
noch einen anderen Grund, Sorge zu tragen: "Mit 65 Prozent hat die
Reitschule den höchsten Selbstfinanzierungsgrad aller Berner
Kulturinstitutionen." Jährlich würden etwa 50000 Stunden
Freiwilligenarbeit geleistet. Keller: "Müslüms Videoclip ist
nur die Spitze."
Was sagt die Reitschule zum politischen Rückhalt? Tom
Locher
von der Mediengruppe freut sich - auch über den Kampagnenstart:
"Neben Müslüm engagieren sich im Alltag Dutzende in und
ausserhalb der Reitschule gegen die Initiative. Sie etabliert sich als
Wahrzeichen Berns." Das alternative Kulturzentrum sei "richtig zum
Thema geworden". Und: "Das ist gut für uns." Sei es doch "in den
letzten Jahren" zu "zahlreichen Diffamierungs-Kampagnen des
Mitte-rechts-Lagers" gekommen. Das Drogenproblem der Stadt zum Beispiel
sei der Reitschule angelastet worden. Obwohl diese manchmal unter der
städtischen Drogenpolitik leide. Zum Beispiel belaste der
abschlägige Entscheid für den Bau einer zweiten
Drogenanlaufstelle zur Entlastung der bisher einzigen an der
Hodlerstrasse die Reitschule und Umgebung.
Oder für die seit Jahren versprochene Umgestaltung
und
Belebung der Schützenmatte sei noch nicht einmal die Planung
gestartet worden (s. Text links). "Trotz der vielen
Sympathiebekundungen müssen die Leute nun auch abstimmen gehen",
kommentiert Locher. "Noch ist die Initiative nicht abgelehnt."
In vier Wochen - am 26. September - weiss man mehr. Dann
stimmt
die Stadt Bern ab.
--
Licht für die "Schütz"?
Jetzt ist es amtlich: Das Gebiet
Bollwerk/Schützenmatte
sowie dessen Zugangsachsen Hodlerstrasse, Genfer- und Speichergasse
sind des Nachts tatsächlich schlecht beleuchtet. Dies ergaben
Lux-Messungen, die im Auftrag der Arbeitsgemeinschaft "Boulevard"
durchgeführt wurden. Auch der Gemeinderat hat längst erkannt,
dass das Gebiet um die Reitschule städtebaulich nicht besonders
attraktiv ist. Aus finanziellen Überlegungen will er die
langfristige Planung aber erst 2012 angehen. Das ist dem Grünen
Bündnis zu spät. Ob der Messresultate fordert dieses - wo
ungenügend - als Zwischenschritt in einer Mitteilung sofort ein
neues Beleuchtungskonzept. (sat)
--
Nachgefragt
"Ich werde weiter Druck aufbauen"
Interview: Samuel Thomi
Grossrat Erich J. Hess, Präsident JSVP Schweiz,
über
seine städtische Initiative zum Verkauf der Berner Reitschule an
den Meistbietenden.
Herr Hess, für Sie ist die Reitschule ein
rechtsfreier Raum,
Hort von Gewalt, Terroristen und Linksextremen. Löst der Verkauf
an den Meistbietenden das Problem?
Erich Hess: Ja. Bevor die Reitschule verkauft wird, muss
sie
geräumt werden. Dann übernimmt der neue Besitzer die
Verantwortung fürs Gebäude.
Würde die Reitschule zum Schwimmbad oder Kinokomplex
umgebaut, ginge ein anerkanntes Kulturzentrum verloren.
Hess: Bern würde nicht zur kulturellen Öde. Es
gibt
genug Orte mit ähnlich gelagerter Kultur. Zudem kostet die
Reitschule den Steuerzahler jährlich mehrere Millionen Franken. Im
Gegenzug halten sich die Leute nicht an unser Recht. Alle
gewalttätigen Demos werden aus der Reithalle organisiert. Erst
seit der Initiative ist es relativ ruhig. Danach ist bereits der
nächste Antifa-Abendspaziergang geplant.
Immerhin erhielt die Reitschule 1999 vom bürgerlich
geprägten Kanton den Kulturpreis. Oder die Karriere von "Züri
West" startete in der Reitschule ...
Hess: Ich habe Mühe mit den Preisen, die von Kanton
und
Stadt verliehen werden. Zudem gibts auch private Lokale, wo Bands
auftreten können. Randständige und jene, die dem Teufel vom
Karren gefallen sind, sollen von ihren Aussengemeinden oder Kantonen
aufgenommen werden.
Dennoch scheint das alternative Kulturzentrum in der
Bundesstadt
auf Rückhalt zählen zu können. - Das Volk jedenfalls
stellte sich seit 1990 vier Mal hinter die Reitschule.
Hess: Die letzte richtige Schliessungsinitiative war vor
20
Jahren. Sonst ging es in den Abstimmungen nur um Subventionen und
Gebühren.
Stadtregierung, Stadtrat und alle Parteien ausser der SVP
und FDP
stellen sich gegen Ihr Anliegen. Wie ist Ihre Prognose?
Hess: Ich bin optimistisch - und hoffe auf mindestens 50,1
Prozent am 26. September. Bald starten wir unsere
Aufklärungskampagne.
Und wenn Sie verlieren?
Hess: Dann werde ich weiter Druck aufbauen. Immerhin sehen
Touristen, wenn sie mit dem Zug unterwegs sind, die Reitschule in Bern
als Erstes und Letztes.
Im Abstimmungskampf stehen Sie nun aber im Schatten von
Komiker
Müslüm ...
Hess: ...Halt! - Ohne die Initiative wäre dieser Mann
nie
berühmt geworden. Niemand kannte Müslüm vorher. Und:
Ohne Abstimmung hätten all diese Musiker nie eine gemeinsame CD
produziert. Ich bin also auch ein Kulturförderer.
key
---
Bund 28.8.10
Verkauf der Reitschule: Breiter Konsens zum "Nein, aber . . ."
Gestern haben sich die meisten grossen Stadtberner
Parteien
offiziell gegen den Verkauf der Reitschule ausgesprochen. Gefehlt hat
neben der SVP nur die FDP.
Christian Brönnimann
Dass 5 der 7 Fraktionen des Berner Stadtrats gemeinsam zu
einer
Medienkonferenz einladen, kommt nicht alle Tage vor. Der Affiche
entsprechend gross und heterogen war die Runde, die gestern ihre
Argumente gegen die SVP-Initiative zum Verkauf der Reitschule kundtat.
Acht Vertreterinnen und Vertreter von SP, JA, GB, GFL, GLP, CVP, BDP
und EVP sprachen sich im Namen ihrer Parteien für die Reitschule
aus. Sie leiste einen grossen Beitrag an das städtische
Kulturleben, lautete der allgemeine Tenor.
So viel zum gemeinsamen Nenner. Daneben traten auch
Unterschiede
zu Tage. Eigentlich sei ihre Partei kein "Fan" der Reitschule, sagte
zum Beispiel EVP-Stadträtin Barbara Streit. Das bedeute aber noch
lange nicht, dass man die Institution einfach räumen und verkaufen
sollte. Die kulturellen Freiräume jenseits von Konsum und Kommerz
seien wichtig für Bern. Michael Daphinoff, Präsident der
Stadtberner CVP, betonte den Wert der Freiwilligenarbeit, die in der
Reitschule geleistet werde. Schätzungen zufolge sind es 50 000
Stunden jährlich. Wenn man etwas aus "freiem Willen" tue, heisse
dies aber auch, die Verantwortung dafür zu übernehmen, sagte
Daphinoff. Hier hapere es. Die basisdemokratischen Strukturen der
Reitschule gehörten abgeschafft. Darauf müsse die Stadt bei
den Verhandlungen über die zukünftigen Leistungsverträge
pochen.
In die gleiche Kerbe schlug GLP-Stadtrat Claude Grosjean:
"Wir
erwarten, dass die Reitschule ein verlässlicherer Partner wird."
Die aktuelle Initiative bezeichnete er nach den vier
Reitschul-Abstimmungen der letzten 20 Jahren als "fantasielosesten
Versuch", die Reitschule abzuschaffen. "Es geht eher um die
Profilierung einzelner Personen als um die Sache." Martin Schneider
(BDP) schliesslich sagte, es wäre fahrlässig, wenn die Stadt
die Reitschule verkaufen würde. Im zentralen Perimeter
Schützenmatte würde sie sich so die
Handlungsmöglichkeiten massiv einschränken. "Theoretisch
wäre es auch möglich, dass der Islamische Zentralrat das
Gebäude kaufen und eine Moschee errichten würde", so
Schneider. Die Reitschule sei eine gute Möglichkeit für
Jugendliche, sich zu entfalten.
Viel Leistung für wenig Geld
Je weiter links im politischen Spektrum, desto klarer war
für die Referenten die Angelegenheit: Die Reitschule dürfe
nicht als Sündenbock missbraucht werden für die Probleme der
Stadt Bern, sagte Peter Künzler (GFL). "Beide Seiten müssen
ihre Pflichten wahrnehmen." Die Stadt Bern erhalte für wenig Geld
- 250 000 Franken Mieterlass und 140 000 Franken direkte Subventionen -
einen grossen kulturellen Gegenwert, sagte SP-Stadtrat Ruedi Keller.
Rahel Ruch (JA) lobte die Reitschule als "einmaliges Begegnungszentrum,
in welchem sich alle engagieren können". Und Hasim Sancar (GB)
warb schlicht mit dem Slogan des Reitschul-Komitees (siehe "Bund" vom
23. 6.): "Die Reitschule bietet mehr."
Eigene Aktionen im Abstimmungskampf planen die Parteien
nicht.
"Das überlassen wir dem Reitschul-Komitee", sagte Ruedi Keller.
Trotz Anfrage nicht mit an Bord war gestern die FDP. "Wir fassen die
Parole erst am 6. September und wollten der Parteiversammlung nicht
vorgreifen", sagte Fraktionspräsident Philippe Müller auf
Anfrage. Er erwarte, dass die Parteimitglieder Stimmfreigabe
beschliessen werden. Wegen der Sicherheitsbedenken sei die FDP
gespalten. Dass sich mit Alexander Feuz, Präsident der FDP-Sektion
Kirchenfeld, bereits ein Parteiexponent im Initiativkomitee von Erich
Hess engagiere (siehe "Bund" vom 13. 8.), sei "nicht so gut", aber in
einer liberalen Partei zulässig. Er selber werde ein Nein in die
Urne legen, so Müller.
Die Volksabstimmung über den Verkauf der Reitschule
an den
Meistbietenden findet am 26. September statt.
---
BZ 28.8.10
Reitschule
Breiter Widerstand gegen Initiative
Acht Parteien bekämpfen gemeinsam die
Reitschule-Schliessung. Sie loben das Kulturangebot, die
Freiwilligenarbeit und die vielen Möglichkeiten zur
persönlichen Entfaltung. Eine Mehrheit macht der Reitschule aber
Auflagen.
Breite Unterstützung für die Reitschule: Die
Parteien
GB, JA, SP, GFL, EVP, GLP, CVP und BDP legten gestern den Medien
gemeinsam ihr Nein zur SVP-Initiative "Schliessung und Verkauf der
Reitschule!" dar.
Einhellig gerühmt wurde insbesondere das kulturelle
Angebot
der Reitschule. Laut Claude Grosjean von der GLP genüge etwa das
Tojo-Theater internationalen Ansprüchen: "Dort habe ich die
eindrücklichsten Stücke gesehen." Ruedi Keller von der SP
wies darauf hin, dass die Reitschule der Stadt ein einmaliges
Preis-Leistungs-Verhältnis biete.
Rahel Ruch von der JA schwärmte von der
Durchmischung, die
nirgendwo sonst in Bern so gross sei. "Die Reitschule hat Platz
für solche, die durchs soziale Netz gefallen sind", sagte sie.
Trotzdem müssten die Initianten - laut Ruch die Gleichen, die
über die faule Jugend klagten - ihrer Meinung nach bei einem
Reitschule-Besuch begeistert sein: "Immer neue junge Menschen
engagieren sich dort für wenig Geld, aber mit viel Herzblut."
EVP braucht Pragmatismus
Den Aspekt der Freiwilligenarbeit strichen die meisten
Redner
heraus, auch Barbara Streit von der EVP. Sie bezeichnete die Reitschule
als eine "Art Gegenwelt" zum allgemeinen Konsum und Kommerz. Streit:
"Es braucht manchmal Pragmatismus - die Reitschule hat doch einen Platz
in dieser Stadt." Mit dem Verweis auf den nötigen Pragmatismus
leitete sie über zu ihrem Vorbehalt: Bezüglich Sicherheit sei
die Situation in und um die Reitschule noch nicht zufriedenstellend.
Die "Ja, aber"-Fraktion
Mit diesem Vorbehalt ist die EVP nicht allein. Eine
Mehrheit der
Parteien, die gestern gegen die Initiative einstanden, knüpft an
ihr Ja zur Reitschule ein Aber.
So fordert die GLP die Reitschule auf, der Stadt ein
verlässliches Gegenüber zu sein, einen permanenten
Sicherheitsdienst zu organisieren und bei eskalierenden Demonstrationen
das grosse Tor zu schliessen.
Auch die CVP erinnerte daran, dass die Reitschule die
Verträge zwischen ihr und der Stadt regelmässig nicht
einhalte. Für Parteipräsident Michael Daphinoff braucht es
verantwortliche Ansprechpersonen. Grundlage dazu: "Die Basisdemokratie
muss fallen." Gleicher Meinung ist Martin Schneider von der BDP. Er
habe sich selber als Jugendlicher in der Reitschule entfalten
dürfen. Heute seien veränderte Strukturen in der Reitschule
aber Bedingung für die Aufwertung des ganzen Perimeters.
"Populistische Initiative"
Peter Künzler von der GFL sieht im Perimeter
Schützenmatte/Bollwerk ebenfalls Potenzial. Dieses lasse sich aber
am besten nutzen, wenn die Reitschule im Besitz der Stadt bleibe.
Die Initiative sei der populistische Versuch, die
Reitschule zum
Sündenbock zu machen, auch für Probleme, für die sie
nichts könne. Darin war sich das Bündnis ebenso einig wie in
der Würdigung der Kultur und der Freiwilligenarbeit. Sobald
künftige Diskussionen über diese Punkte hinausgehen, werden
die Karten wieder neu gemischt.
Christoph Hämmann
---
BZ 28.8.10
Leserinnenbrief
Gotthelf und die Reitschule
Zur Reitschule-Abstimmung in der Stadt Bern vom 26.
September
Ja, was hat denn Gotthelf mit der Berner Reitschule zu
tun? Er
schrieb im Vorwort zum Buch "Uli der Pächter" am 13. Oktober 1848
unter anderem Folgendes: "Der Verfasser behauptet nicht, das Rechte
getroffen, sondern bloss das: mit ehrlichem Willen nach dem Rechten
gestrebt zu haben."
Ich habe viele Bücher von Jeremias Gotthelf gelesen,
und ich
kann ruhig sagen, dass es mein Lieblingsautor war. Ich weiss nicht
mehr, in welchem seiner Bücher er über das Problem der
Randgruppen geschrieben hat, aber seinen Rat, den man heute auch auf
die Reitschule in Bern anwenden sollte, habe ich nicht vergessen:
Problemgruppen darf man nie absondern, sondern auf die gesunden
Bauernfamilien verteilen. So wird die Verantwortung für die
Einzelnen in einer gesunden Umgebung wahrgenommen, und das krankhafte
oder widernatürliche Verhalten kann gestoppt werden.
Theres Farine Zollikofen
------------------------
RABE-INFO
---------------------
Mo. 30. August 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._August_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._August_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2030.%20August%202010
- Zu Besuch im Berner Kulturzentrum Reitschule- heute die
Rössli-
Bar
- Kopf der Woche: Karl von "Transgender Luxenburg"
Links:
http://www.roessli.be
http://www.facebook.com/group.php
http://www.youtube.com/transgenderchannel
-------------------------
NACHTLEBEN
-------------------------
Bund 28.8.10
Prävention Die Kantonspolizei will die Ausgehenden zu mehr
Zivilcourage animieren - gestern suchte sie dafür die Hilfe der
Barbetreiber in der Aarbergergasse.
Hinschauen im Ausgang
Timo Kollbrunner
"Die Wichtigkeit von Präventionsarbeit wird von
manchen
unterschätzt", sagt Daniel Roth, einer von drei vollamtlich
für Prävention angestellten Polizisten in der Region Bern.
Der Erfolg ihrer Arbeit sei kaum messbar, zuweilen dauere es lange, bis
er sich einstelle. Um auf die Relevanz von vorbeugenden Handlungen
hinzuweisen, finden unter dem Motto "Häreluege - nid
wägluege" derzeit die Präventionstage der Kantonspolizei
statt. In Schulhäusern führen die Beamten Workshops zur
Gewaltprävention durch, und heute wird die Kaserne auf dem
Waisenhausplatz für Interessierte geöffnet.
Auch am Freitag sind Roth und sein Kollege Pascal Baumann
im
Rahmen der Präventionstage unterwegs: Das Ziel des Tages ist es,
die Nachtschwärmer in der Aarbergergasse an ihre soziale
Verantwortung zu erinnern. Dafür wurden Flyer gedruckt, und nun
machen sich die beiden Polizisten nachmittags auf, um die Zettel an die
Betreiber der Ausgehlokale auszuhändigen. Diese sind angehalten,
die Flyer unter das Partyvolk zu bringen. "So erreichen wir die Leute
besser, als wenn wir Polizisten sie verteilen", sagt Baumann. Um ihre
Botschaft zu platzieren, setzt die Polizei auf bekannte Symbolik: Die
berühmten drei buddhistischen Affen zieren das Papier, doch statt
sich die Sinnesorgane zuzuhalten, spitzt der eine die Ohren, der
nächste beobachtet angestrengt, der dritte schreit. "Zeigen Sie
Zivilcourage, denn weggeschaut ist mitgemacht", steht geschrieben. Auf
der Rückseite findet der Leser Vorgaben, wie er sich zu verhalten
hat, wenn er polizeirelevante Vergehen beobachtet. "Ich helfe, ohne
mich selbst in Gefahr zu bringen", steht etwa geschrieben.
Die Aktion sei auch Teil der Bestrebungen, die Vernetzung
mit den
Betreibern der Lokale zu verbessern, hatte Baumann erklärt. Es sei
wichtig, dass die Klubbetreiber wüssten, an wen sie sich wenden
können, wenn sie Hilfe benötigen. Dass der Dialog zwischen
Beamten und Gastronomen durchaus noch verbessert werden könnte,
zeigt das Gespräch im ersten Lokal. Baumann erläutert die
einzelnen Punkte auf dem Zettel und kündigt an, in einer Woche
wieder vorbeizukommen, um den Erfolg der Aktion zu
überprüfen. Die Betreiber versprechen, die Flyer abends
aufzulegen. Ein eigentlicher Austausch aber findet nicht statt.
Nachdem die beiden Beamten abgezogen sind, sagt der
Barbetreiber,
er beurteile es als "grundsätzlich positiv", dass die Polizei auf
sie zukomme. "Was es bringt, werden wir dann sehen." Er frage sich
allerdings, warum die Aktion nur in der Aarbergergasse und nicht in der
ganzen Stadt durchgeführt werde - denn es sei keineswegs so, dass
es in der Aarbergergasse beinahe allabendlich zu Schlägereien
komme und es in den anderen Gassen stets friedlich zu- und hergehe. Wie
er und sein Lokal heissen, möchte der Mann nicht in der Zeitung
lesen - im Zusammenhang mit Schlägereien genannt zu werden, ist
keine gute Werbung. Auch der Betreiber eines anderen Lokals, das von
den Beamten besucht wurde, ist der Meinung, die Aarbergergasse sei
"nicht so gefährlich, wie sie in den Medien gemacht wird". Das
subjektive Sicherheitsempfinden in der Gasse sei allerdings
tatsächlich ein Problem - jedoch nicht primär wegen
Schlägereien, sondern aufgrund der herumlungernden Dealer und
"Drögeler". Wenn die Polizei die Drogendealer, die sich nun einmal
in der Gasse aufhielten, so häufig kontrollieren würde wie
die Parkposition seines Autos, ist der Mann überzeugt, würde
das Problem gelindert - oder zumindest verschoben. Die Flyer-Aktion sei
"eine schöne Geste", doch was er sich eigentlich wünsche,
seien strengere Kontrollen.
----------------------
PLAKAT BE
----------------------
20 Minuten 30.8.10
Rassismus und Sexismus auf Plakatwänden stoppen
BERN. Schluss mit nackten Hintern, schwarzen
Schäfchen und
Raketen-Minaretten: Die Berner Stadtregierung will diskriminierende
Plakate verbieten.
Nicht nur rassistische Motive, sondern auch sexistische
Inhalte
will der Gemeinderat auf Berner Plakatwänden zensurieren. Unter
das Verbot könnten demnach sowohl politische Sujets wie die
Minarett-Plakate als auch die entblössten Hinterteile von Sloggy
fallen. "Diese frauenverachtende Affiche hat ebenso wie die Hetzplakate
der SVP gezeigt, dass es eine klare Regelung braucht", sagt Rahel Ruch
(JA!). Zusammen mit 19 weiteren Stadträten hat sie einen
entsprechenden Vorstoss eingereicht, den der Gemeinderat dem Parlament
nun teilweise zur Annahme empfiehlt. Das Reklamereglement soll mit
Kriterien ergänzt werden, die eindeutig festlegen, was
künftig nicht mehr zulässig ist.
Als Vorbild gilt die Plakatverordnung der Stadt Basel, die
dort
zu einem Verbot des Minarett-Sujets führte. Entgegen den
weitergehenden Forderungen will die Stadtregierung aber keine
Zensurbehörde einsetzen, sondern die Kontrolle in erster Linie den
Plakat-Gesellschaften überlassen. "Damit könnten wir leben",
sagt Ruch. Wie schwierig die Umsetzung werden könnte, zeigt der
Grenzfall Schäfchen-Plakat: Während für Ruch klar ist,
dass die Stadt solche Motive nicht mehr dulden dürfte,
widerspricht SVP-Stadtrat Simon Glauser: "Bisher hat kein Gericht
unsere Plakate beanstandet. Man kann nicht jedes Mal, wenn sich eine
Minderheit betupft fühlt, mit einem Verbot reagieren."
PATRICK MARBACH
--------------------
KUFA LYSS
---------------------
BZ 28.8.10
Lyss, Kulturfabrik
Kufa wurde feierlich voreröffnet
So bunt wie gestern Abend an der Voreröffnung wird
das
Publikum in der Kulturfabrik Lyss wohl nie mehr sein. An der Bar stand
zum Beispiel Regierungspräsident Hans-Jürg Käser neben
den Mitgliedern des Jugendvereins Lyss, die früheren und aktuellen
Kufa-Betreiber. "Ich bin begeistert, die Kufa ist einfach, modern und
zweckmässig geworden", sagte Käser. Er sprach in seiner Rede
von einem einmaligen Gemeinschaftsprojekt der hiesigen Jugendlichen,
den regionalen Gemeinden und der Stiftung Vinetum. Zusammen hätten
sie in den letzten drei Jahren weder Arbeit noch Geld gescheut, um die
Kulturfabrik Wirklichkeit werden zu lassen. Auch Hermann Moser,
ehemaliger Lysser Gemeindepräsident, von allen nur "Kufa-Vater"
genannt, war da. Ihm gefällt der Mix aus Blech und Holz. "Das war
nur möglich, weil wir in Lyss gute Junge haben, die etwas bewegen
wollten", sagte Moser. Auch im aktuellen Lysser Gemeinderat ist man des
Lobes voll: "Es ist gut, wieder ein Lokal in Lyss für die Jugend
zu haben, damit diese nicht mehr nach Bern oder Biel abwandern", sagte
Gemeindepräsident Andreas Hegg. Vom 2. bis 4. September wird die
Kulturfabrik mit einem grossen Fest eingeweiht.
Tanja Kammermann
------------------------------
SANS-PAPIERS
-------------------------------
Sonntag 29.8.10
Bundesanwalt vs. Bundesrätin
Erwin Beyeler prüft Anzeige gegen Eveline
Widmer-Schlumpf
wegen Begünstigung
von Sandro Brotz
Ausgerechnet der Bundesanwalt muss sich jetzt mit einer
Anzeige
gegen Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf befassen, die der
SVP-Grossrat Andreas A. Glarner aus Oberwil-Lieli eingereicht hat. Das
Bezirksamt Laufenburg AG hat diese an die Bundesanwaltschaft (BA)
weitergeleitet. "Die infrage stehende Anzeige ist eingegangen und wird
geprüft", bestätigt BA-Sprecherin Jeannette Balmer.
Hintergrund ist die von einer Sans-Papiers-Demo
unterbrochene
1.-August-Feier von Eiken, an der Widmer-Schlumpf aufgetreten war. Mehr
als 100 Personen störten ihre Rede mit Parolen. Die Polizei
verzichtete auf Personenkontrollen, dafür mussten die
Demonstranten ihr Megafon abgeben. Widmer-Schlumpf erklärte sich
zu einem Treffen mit einer Fünfer-Delegation bereit. Anlass genug
für Grossrat Glarner, gegen die Justizministerin eine Strafanzeige
einzureichen - unter anderem wegen Begünstigung und Amtsanmassung.
Widmer-Schlumpf habe "illegal anwesende Personen einfach gewähren
lassen", so die Argumentation von Glarner. Die BA muss sich laut
Artikel 336 des Strafgesetzbuchs um Verfahren kümmern, die sich
gegen Magistratspersonen des Bundes richten.
Pikant: Zwischen Bundesanwalt Erwin Beyeler und der
Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf herrscht seit Beginn an ein
miserables Einvernehmen. Es kommt immer wieder zu Auseinandersetzungen,
weil der Bundesanwalt und die Justizministerin andere Auffassungen von
Führung haben. Seither muss Beyeler alle paar Wochen zu einem so
genannten Führungsgespräch antraben. Es gelang ihm bisher
aber auch nicht, die Lügen-Vorwürfe gegen seine Person im
Fall Ramos auszuräumen.
Der Aargauer Polizeidirektor Urs Hofmann hatte verlauten
lassen,
ihm sei von einer "ungehörigen Einflussnahme" der Bundesrätin
auf das Vorgehen der Polizei am 1. August in Eiken nichts bekannt.
----------------------------------
AUSSCHAFFUNGEN
----------------------------------
NZZ 30.8.10
Für Ausschaffungen "ohne Wenn und Aber"
Die SVP beginnt den Abstimmungskampf für ihre
ausländerpolitische Initiative
Die Schweizerische Volkspartei hat an einer
Delegiertenversammlung ihre Initiative für die Ausschaffung
krimineller Ausländer propagiert. Den Gegenvorschlag des
Parlaments lehnte sie einstimmig ab.
C. W. Baar · Von der Abstimmung des Jahres und von
einem
Kerngeschäft der Partei war die Rede, als es an der
Delegiertenversammlung der SVP am Samstag um die
Ausschaffungsinitiative ging, die am 28. November vors Volk kommt. Als
einzige Partei nehme sich die SVP der asyl- und
ausländerpolitischen Probleme an, behauptete Präsident Toni
Brunner und verwies auf ihre "Volksbefragung". Die flächendeckend
verteilte Flugschrift habe schon 45 000 Rückmeldungen und 1200
Beitritte ausgelöst. Die Ausschaffung Krimineller habe am meisten
Zustimmung erhalten.
Kein Kompromiss
Die Initiative enthält einen Katalog von Delikten -
von Mord
bis zu Einbruch und "Missbrauch" von Sozialversicherungen -, die zum
Verlust des Aufenthaltsrechts führen. Fraktionschef Caspar Baader
versuchte, diese Regelung in einen rechtsstaatlichen Rahmen zu stellen,
indem er die klare Nennung der Kriterien hervorhob. Von den Konflikten
mit Grundsätzen des Verfassungs- und Völkerrechts
erwähnte er nur jenen mit dem Freizügigkeitsabkommen, der
seiner Meinung nach nicht existiert oder keine Folgen hätte.
Dass die Partei ihre eigene Initiative mit 415 zu 0
Stimmen
unterstützte, war keine Überraschung. Weniger zwingend
erscheint - von der Sache her - die ebenso einhellige Ablehnung des
Gegenvorschlags, der verbindliche Regeln festschreibt, aber die
erwähnten Konflikte vermeidet. Sie wolle keinen Kompromiss, sagte
Nationalrätin Natalie Rickli. Während die Verwaltung annimmt,
dass sich die Zahl der Ausweisungen (heute 350 bis 400 pro Jahr)
verdoppeln würde, sagte Baader, der Gegenvorschlag lasse so viel
Ermessensspielraum, dass praktisch keine Ausweisungen mehr möglich
wären. In einer kurzen Podiumsdiskussion bejahte
CVP-Nationalrätin Esther Egger-Wyss das Bestehen eines Problems,
lehnte die Initiative aber als nicht umsetzbar ab und plädierte
für den Gegenvorschlag. Der grüne Nationalrat Louis Schelbert
ist hingegen der Ansicht, das geltende Recht genüge. Weil die
Initiative auch kleinere Delikte einbeziehe, sei sie
unverhältnismässig.
Die Delegierten wollten "klare Verhältnisse, keine
Interpretationslösungen" (Josef Schärli, Luzern) und
Ausschaffungen "ohne Wenn und Aber" (Mauro Tuena, Zürich).
Entlarvend fragte Nationalrat Adrian Amstutz, von wessen
Menschenrechten man eigentlich rede.
Gerade auch die Bestimmungen über die Integration
sprechen
aus Sicht der SVP gegen den Alternativentwurf des Parlamentes. Es
handle sich nicht um eine Staatsaufgabe, hiess es, und Rickli sah darin
eine direkte Relativierung der Normen über die Ausweisung.
Vergeblich hob Egger hervor, der Absatz bedeute auch, dass man von den
Ausländern Integration erwarte.
Für Steuerwettbewerb
Vergleichsweise ruhig wurde über die zweite Vorlage
für
die November-Abstimmung beraten, die sozialdemokratische
Steuergerechtigkeitsinitiative. Seitens der Initianten warb Nationalrat
Hansjörg Fehr bei den Delegierten, die doch weder zu den
Superreichen gehörten noch internationale Konzerne verträten,
für die geforderten Mindeststeuersätze ab bestimmten
Einkommens- und Vermögensgrenzen. Unmittelbare Folgen hätte
die Vorschrift heute nur für sechs beziehungsweise neun Kantone.
Namentlich die Nationalräte Jean-Pierre Grin und Bruno Zuppiger
wandten sich gegen eine weitere Einschränkung des interkantonalen
Steuerwettbewerbs und einen zu befürchtenden Druck in Richtung
generell höherer Steuern. Die Nein-Parole wurde mit einer
Gegenstimme und fünf Enthaltungen beschlossen.
--
"Ich werde die Probleme der Armee lösen"
C. W. · Bundesrat Ueli Maurer trat vor seiner
Partei nicht
auf, um die Position von Regierung und Parlament zur
Ausschaffungsinitiative zu vertreten (er stimmte für die Parolen).
Vielmehr sprach er über die Armee - eine Armee, in der, wie er
sagte, Bürger motiviert, ja mit Begeisterung ihren Dienst leisten,
während in der Ausrüstung das Chaos herrscht, die Logistik
vor dem Absturz steht und die ganze Informatik nicht funktioniert. In
den anderthalb Jahren seiner Tätigkeit als Chef des
Verteidigungsdepartements seien allerdings wesentliche Fortschritte
gemacht worden.
Bis Ende 2011 sollte die Truppe ordentlich
ausgerüstet sein;
es werde aber noch weitere Jahre brauchen, um alle einschlägigen
Projekte umzusetzen und Lücken zu füllen. Hätte der
Bundesrat den Flugzeugkauf beschlossen, würde acht Jahre lang kein
Franken für andere Beschaffungen zur Verfügung stehen und die
Armee "grounden", behauptete der VBS-Chef. Langfristig sei zu
klären, wozu die Armee fähig sein müsse - und zwar durch
die Politik, nicht wie früher durch die Armee selber. "Die
Probleme sind vielschichtig", lautete das Fazit des lang beklatschten
Schwarz-Weiss-Bilds, "ich habe sie nicht gemacht, aber ich werde sie
lösen."
Nachtrag aus der "Sonntags-Zeitung": "Und was ist, wenn
Sie das
nötige Geld nicht erhalten?" - "Dann wechsle ich das Departement."
---
sf.tv 29.8.10
Toter Nigerianer: Kein Gesundheitscheck vor Abschiebung
sf/gern
Die Behörden haben bei der Zwangsausschaffung eines
Nigerianers vergangenen März offenbar verschiedene Bestimmungen
des Zwangsanwendungsgesetzes verletzt. Dies geht aus einem Gutachten
der Staatsanwaltschaft hervor. Damals war ein Häftling aus Nigeria
kurz vor seiner Ausschaffung verstorben.
Gemäss dem Gutachten befand sich der Häftling
vor
seiner Zwangsausschaffung während mindestens 45 Tagen im
Hungerstreik. Allenfalls könnte der Streik auch 76 Tage betragen
haben, wie die "NZZ am Sonntag" berichtet.
Gesundheitscheck übergangen
In dieser Zeit habe der Nigerianer von 93 auf 60 Kilogramm
abgenommen, heisst es im Gutachten weiter. Trotzdem hätten die
Behörden den Gesundheitszustand des Mannes nicht abgeklärt,
sondern ihn aus dem Gefängnis zum Flughafen gebracht.
Sie stülpten dem Mann ein Netz über den Mund und
fesselten ihn. Dabei verstarb der Nigerianer. Das
Zwangsmassnahmen-Gesetz schreibt vor einer Zwangsausschaffung aber eine
medizinische Untersuchung vor, wenn "Anzeichen für gesundheitliche
Probleme feststellbar sind" - was laut Gutachten bei dem Mann der Fall
gewesen wäre.
---
NZZ am Sonntag 29.8.10
Behörden missachten Gesetz
Verstorbener Nigerianer hätte vor Zwangsausschaffung
"zwingend" von Arzt untersucht werden müssen
Die Behörden haben bei der Zwangsausschaffung, bei
der ein
Nigerianer starb, verschiedene Vorschriften verletzt. Das geht aus dem
Gutachten der Staatsanwaltschaft hervor.
Lukas Häuptli
"Todesursache geklärt", hatte die Zürcher
Staatsanwaltschaft über die Medienmitteilung geschrieben, mit der
sie im Juni über den Tod des Nigerianers bei dessen
Zwangsausschaffung auf dem Flughafen Kloten orientierte. Der Tod des
29-jährigen Mannes im März 2010 sei "gemäss
Obduktionsgutachten auf ein Versagen des schwer vorgeschädigten
Herzens zurückzuführen, dies in Verbindung mit dem
vorausgegangenen Hungerstreik und einem akuten Erregungszustand".
Was die Staatsanwaltschaft in ihrer Medienmitteilung nicht
schrieb: Aus dem 76-seitigen Gutachten, welches das Institut für
Rechtsmedizin (IRM) der Universität Zürich für die
Staatsanwaltschaft erstellt hatte, geht auch hervor, dass die
Behörden während Ausschaffungshaft und Zwangsausschaffung des
Mannes gegen verschiedene Bestimmungen des Zwangsanwendungs-Gesetzes
und der Zwangsanwendungs-Verordnung verstiessen.
Gewichtsverlust von 33 Kilo
Gemäss dem Gutachten, das beim IRM Morten Keller, der
Gatte
von Bundesratskandidatin Karin Keller-Sutter, verfasst hat, befand sich
der Ausschaffungshäftling vor seiner Zwangsausschaffung
während mindestens 45 Tagen - allenfalls sogar während
mindestens 76 Tagen - im Hungerstreik. In dieser Zeit nahm er von 93
auf 60 Kilogramm ab. "Angesichts des . . . Gewichtsverlustes von mehr
als einem Drittel des Körpergewichts muss von einer ernsthaften
gesundheitlichen körperlichen Störung gesprochen werden",
heisst es im Gutachten. Und Zeno Stanga, Leitender Arzt für Innere
Medizin am Berner Inselspital, hält auf Anfrage fest: "Mit
schwerwiegenden Folgen muss in der Regel ab einem Gewichtsverlust von
30 bis 40 Prozent des ursprünglichen Körpergewichts gerechnet
werden."
Trotz der "ernsthaften körperlichen Störung"
klärten die Behörden am 17. März 2010 den
Gesundheitszustand des nigerianischen Ausschaffungshäftlings nicht
ab, sondern brachten ihn vom Zürcher Flughafengefängnis zum
Flughafen und bereiteten dort seine Zwangsausschaffung vor. Sie
stülpten dem Mann ein Netz über den Mund und fesselten ihn.
Bei der Fesselung starb der Mann.
Das Zwangsmassnahmen-Gesetz schreibt vor einer
Zwangsausschaffung
aber zwangsläufig eine medizinische Untersuchung vor, wenn - wie
im Fall des Nigerianers - "Anzeichen für gesundheitliche Probleme
feststellbar sind". Der Gutachter kommt denn auch zum Schluss:
"Angesichts des . . . Hungerstreikes wäre eine solche
ärztliche Abklärung der Transportfähigkeit . . .
zwingend gewesen."
"Einfach mitgeflossen"
Dass die Abklärung nicht stattfand, hat zwei
Gründe:
Erstens weigerte sich der Ausschaffungshäftling während
seines Hungerstreiks, sich vom Arzt des Flughafengefängnisses
untersuchen zu lassen. Und zweitens vertrat der Gefängnisarzt
selbst die Meinung, jeder Ausschaffungshäftling sei
transportfähig, der "nicht gerade operiert" worden sei oder "nicht
gerade eine Zahnplombe erhalten" habe.
Im Fall des Nigerianers gab schliesslich die
Pflegedienstleiterin
des Flughafengefängnisses grünes Licht für die
Zwangsausschaffung. Sie habe auf einem Fax festgehalten, "dass nichts
bekannt ist, dass die Person nicht reisefähig wäre", sagte
sie in einer Einvernahme der Kantonspolizei. Sie sagte aber auch, sie
arbeite erst seit kurzem im Flughafengefängnis und sei in ihre
Arbeit nicht eingeführt worden, sondern "einfach mitgeflossen".
In Zwangsanwendungs-Gesetz und -Verordnung vorgeschrieben
ist
auch, dass die Behörden einen Ausschaffungshäftling über
seine bevorstehende Zwangsausschaffung informieren und dass alle
involvierten Stellen von gesundheitlichen Problemen eines
Auszuschaffenden Kenntnis haben müssen. Beides war nicht der Fall.
Im Gutachten heisst es unter anderem: "Weshalb die handelnden
Polizeibeamten nicht über den Hungerstreik . . . orientiert waren,
. . . entzieht sich der Kenntnis des Gutachters."
Welche Behörden im Einzelnen für die
medizinische
Untersuchung des Häftlings, dessen Information und die
Orientierung der "handelnden Kantonspolizisten" zuständig gewesen
waren, steht nicht fest. In Frage kommen Verantwortliche des
Flughafengefängnisses, des Zürcher Amtes für
Justizvollzug, des Zürcher Migrationsamtes und der Zürcher
Kantonspolizei. Bei diesen Behörden wollte zu den Vorwürfen
niemand Stellung nehmen. Sie verwiesen auf die laufende Untersuchung
des Falls durch die Zürcher Staatsanwaltschaft.
---
Sonntagszeitung 29.8.10
Untersuchung zu Ausschaffungen
Kommission räumt wegen übertriebener Gewalt der
Aufarbeitung grosse Priorität ein
BERN Die unabhängige eidgenössische Kommission
zur
Verhütung von Folter untersucht die Zwangsausschaffung
abgewiesener Asylbewerber. Ihr Vizepräsident Marco Mona
erklärt, die Angelegenheit habe hohe Priorität. Denn wenn der
Bund Asylbewerber gegen ihren Willen ausschafft, kommt es immer wieder
zu übertriebener Gewaltanwendung.
Dass die Zwangsausschaffungsflüge nicht reibungslos
verlaufen, räumt auch das Bundesamt für Migration (BFM) ein.
Die grosse Mehrheit der Sonderflüge sei dennoch problemlos,
beschwichtigt die BFM-Sprecherin Marie Avet.
Seit der Wiederaufnahme der Zwangsausschaffungen am 24.
Juni sind
in acht Flügen 50 Personen zurückgeschickt worden. Davor
waren die Sonderflüge wegen des Tods eines Nigerianers sistiert.
Der Afrikaner hätte am 17. März nach Lagos abgeschoben werden
sollen. Das Institut für Rechtsmedizin der Uni Zürich kam in
seinem Gutachten zum Schluss, der Mann sei aufgrund einer kaum
feststellbaren Erkrankung des Herzens verstorben. Daran glaubt Viktor
Györffy nicht. Der Anwalt der Opferfamilie fordert ein zweites
Gutachten.
Um die Sicherheit der Auszuschaffenden zu erhöhen,
müssen ab kommendem Jahr bei allen Sonderflügen neutrale
Beobachter mit an Bord sein. Die nach der Unterzeichnung des
Fakultativprotokolls zur Uno-Antifolter-Konvention eingesetzte
12-köpfige Kommission will diese Aufgabe zwar nicht
übernehmen, künftig aber sporadisch
Zwangsausschaffungsflüge begleiten. So wie man bereits Abgewiesene
in der Ausschaffungshaft besuche, erklärt Mona. Da die
Kommissionsarbeit auf Vertraulichkeit basiere, verrät Mona nicht,
zu welchen Feststellungen die Kommission bereits gelangt ist.
Derweil lässt die Bündner Regierungsrätin
Barbara
Janom Steiner einen der acht Ausschaffungsflüge untersuchen: Die
Rückschaffung der sechsköpfigen kurdisch-syrischen Familie,
die rüde in Busse verfrachtet wurde, als die Mutter zusammen mit
ihren Kindern den Mann Mitte Juli in der Churer Ausschaffungshaft
besuchte. Laut Amnesty haben die Bündner die Gesundheit der
Familie gefährdet sowie die Kinderrechte und die
Verhältnismässigkeit missachtet. Diese Untersuchung soll
Mitte September abgeschlossen sein.
Pascal Tischhauser
------------------
DROGEN
------------------
Bund 28.8.10
Teil-Entkriminalisierung junger Kiffer schafft neue Probleme
Die Entkriminalisierung des Cannabiskonsums ist
problematischer,
als manche Politiker wahrhaben wollen. Dies zeigt sich beim St. Galler
Modell, das nach dem Willen der Gesundheitskommissionen von National-
und Ständerat auf die ganze Schweiz ausgedehnt werden soll.
Gemäss diesem Modell werden Kiffer von der Polizei nicht mehr
verzeigt, sondern nur noch mit einer Ordnungsbusse belegt - analog zu
Falschparkieren oder Schwarzfahren. Die vierjährige Erfahrung in
St. Gallen zeigt, dass das Bussenmodell die Früherfassung von
suchtgefährdeten Jugendlichen erschwert. "Weil es weniger Anzeigen
gibt, gelangen auch weniger junge Kiffer in ein
Präventionsprogramm", sagt Stephan Ramseyer von der St. Galler
Jugendanwaltschaft. (ac)
Bericht Seite 11, Kommentar oben
--
Entkriminalisierung junger Kiffer erschwert die
Suchtprävention
Das St. Galler Modell, das national als vorbildlich gilt,
wird
infrage gestellt.
Antonio Cortesi, St. Gallen
Der Kurs beginnt um 17.30 Uhr. Doch Manuel
(Name
geändert) trudelt erst eine Stunde später ein, mit
glänzenden Äuglein und einer fadenscheinigen Entschuldigung.
Er habe am Mittag noch ein bisschen gekifft, gesteht der
16-jährige Sekundarschüler später. Und ja, das
tägliche Kiffen erschwere es ihm, Abmachungen einzuhalten. Und
sich in der Schule zu konzentrieren. Sein letztes Zeugnis bewahrte ihn
nur knapp vor dem Abstieg in die Realschule. Dabei möchte er doch
in einem Jahr eine Lehre als Detailhandelsangestellter beginnen.
Im Ermessen der Polizei
Fabian ist einer von fünf Burschen unter 18 Jahren,
die an
diesem Abend den Präventionskurs "Himmelblau und Grasgrün"
der St. Galler Suchtfachstelle besuchen müssen. Sie hatten das
Pech, dass sie der Polizist, der sie beim Cannabiskonsum erwischt
hatte, verzeigte. Denn eigentlich gibt es im Kanton St. Gallen seit
vier Jahren fürs Kiffen nur noch eine Ordnungsbusse von 60 Franken
- analog zur Bestrafung von Falschparkierern oder Schwarzfahrern. Mit
dem entscheidenden Vorteil, dass kein Verfahren eröffnet wird und
die "Gesetzesbrecher" nicht in der polizeilichen Datenbank registriert
werden.
Dass die fünf Jungen trotzdem verzeigt wurden, lag im
Ermessen des Frontpolizisten. Er hielt es in diesen Fällen
offenbar für richtig, bei der Jugendanwaltschaft eine sogenannte
Gefährdungsmeldung zu machen. Und deshalb hatten die fünf
langfristig gesehen auch wieder Glück: Sie wurden zur
Abklärung an die Suchtfachstelle verwiesen, wobei der Besuch des
Präventionskurses bloss eine der möglichen Massnahmen ist.
Das Ziel dabei: Wenn die Jugendlichen das verordnete Programm
durchlaufen haben, wird das Verfahren gegen sie eingestellt, und auch
die Busse entfällt.
Nicht um Prävention foutieren
Das St. Galler Modell zur Entkriminalisierung von
Cannabiskonsumenten gilt als pionierhaft und dürfte bald für
die ganze Schweiz gelten. Die Subkommission Drogenpolitik der
nationalrätlichen Gesundheitskommission erarbeitet derzeit einen
Entwurf für ein Ordnungsbussensystem, das sich am St. Galler
Vorbild orientiert. Doch wie gut funktioniert das Modell wirklich?
Die Krux liegt im Widerspruch von Entkriminalisierung und
Prävention. Suchtexperten begrüssen zwar die
Entkriminalisierung junger Kiffer, befürchten aber gleichzeitig
neue Probleme. "Ordnungsbussen dürfen nicht dazu führen, dass
sich der Staat um die Prävention foutiert", warnt Markus Theunert,
Sekretär des Verbands der Schweizer Suchtfachleute.
Dieses Problem stellt sich tatsächlich, wie Stephan
Ramseyer, Gruppenleiter der St. Galler Jugendanwaltschaft,
bestätigt: "Der Nachteil unseres Bussenmodells besteht darin, dass
Jugendliche unter 18 Jahren, die ein echtes Drogenproblem haben,
weniger rasch erfasst werden." Dass die Polizei zu wenige
Gefährdungsmeldungen macht, glaubt Ramseyer nicht: "Weil die
Jungen nur noch selten auf der Gasse kiffen, werden sie auch weniger
erwischt."
Wieder alle Kiffer verzeigen
Die St. Galler Jugendanwälte fordern deshalb, dass
die
Polizei künftig wieder alle Kiffer unter 18 Jahren verzeigen muss.
Das sei "kein Rückfall" zum alten Regime der Prohibition, betont
Ramseyer: "Im Vordergrund steht der Sozialgedanke einer wirksamen
Suchtprävention."
Ob auch die Drogenpolitiker der nationalrätlichen
Subkommission diese Lösung vorschlagen, ist offen. Der St. Galler
Korrekturvorschlag sei eine mögliche Variante, sagt
Kommissionsmitglied Thérèse Meyer-Kaelin (CVP). Man sei
sich des Problems des Jugendschutzes bewusst. Und: "Wir lassen
suchtgefährdete Jugendliche nicht im Stich." Ein Entscheid
könnte schon an der Kommissionssitzung vom kommenden Montag fallen.
Wie geht es mit dem 16-jährigen Manuel in St. Gallen
weiter?
Für ihn werde es nach dem Besuch des Präventionskurses sicher
weitere, allenfalls therapeutische Massnahmen geben, sagt Kursleiter
Albert Werder, "immer unter Miteinbezug der Eltern". Dass innert dreier
Jahre bloss 50 Jugendliche seinen Kurs besuchen mussten, wertet Werder
als Indiz, "dass es bei der Früherkennung von
Suchtgefährdeten in unserem Kanton tatsächlich hapert." Dabei
eigne sich der Kurs bestens dazu, "die Schwellenangst vor
Präventionsmassnahmen zu brechen".
--
Kommentar
Diesen Autoritäten glaubt keiner
Jean-Martin Büttner
Was sich auf dem Papier gut liest, scheitert auf der
Strasse.
Dass nämlich jugendliche Kiffer nicht mehr verzeigt werden,
sondern bloss noch gebüsst. Mit diesem Vorschlag möchten die
Gesundheitskommissionen im Parlament den Gegnern der Drogenrepression
entgegenkommen. Das Bussenmodell wird jene Eltern beruhigen, denen die
Entkriminalisierung Angst macht. Gleichzeitig bietet es eine minimale
Lösung an, die den jahrelangen Streit um Hanf und Verbote nicht
vollends ins Leere laufen lässt. Letzten Endes geht es für
die Politiker darum, keine Wähler abzuschrecken und gleichzeitig
den Eindruck zu vermitteln, etwas zu unternehmen.
Wozu diese Politik führt, zeigt sich in St. Gallen:
Die
angebotene Lösung produziert ein neues Problem. Dass jugendliche
Kiffer nicht mehr angezeigt werden, ist bei solchen Bagatelldelikten
richtig. Und es entlastet die Polizei, die Wichtigeres zu tun
hätte. Wie aber die Ostschweizer Erfahrung mit dem Bussenmodell
belegt, bleiben dabei jene Jugendlichen unerkannt, die mit dem Kiffen
nicht klarkommen. Das erschwert ihre Früherkennung und bewirkt
somit das Gegenteil dessen, was eine gute Drogenpolitik bezweckt. St.
Galler Jugendanwälte verlangen, Konsumenten von Cannabis unter 18
Jahren wieder zu verzeigen. Das sei kein Rückfall, beteuern sie;
was ist es denn sonst? Damit reinstalliert man gerade das, was das
Parlament überwinden möchte.
Prävention und Kriminalisierung lassen sich nicht
vereinbaren. Eine ehrliche Suchtpolitik muss alle Suchtmittel rechtlich
gleichbehandeln. Sie soll sich an ihrer Gefährlichkeit orientieren
statt an einer Verbotswillkür. Und sie muss den Handel mit weichen
Drogen klar regeln und im Sinne des Jugendschutzes kontrollieren. Nur
so kann der Staat den Jungen gegenüber glaubwürdig auftreten.
Solange der Staat dem Cannabiskonsum vorbeugen will und gleichzeitig
Werbung für weit gefährlichere Drogen erlaubt, macht er sich
unglaubwürdig. So wird er als Autorität nicht ernst genommen.
-----------------------------------
BIG BROTHER SPORT
-----------------------------------
St. Galler Tagblatt 28.8.10
FCSG: Stadt regelt Sicherheit - Kanton schafft mehr Transparenz
St. Gallen. Fussball und kein Ende: Gestern Freitag hat
die Stadt
Massnahmen zur Verbesserung der Sicherheit in der AFG Arena
vorgestellt. Zudem ist die Diskussion um das Sanierungspaket für
den FC St. Gallen entbrannt.
FCSG soll weniger zahlen
Der St. Galler Stadtrat will eine Bewilligungspflicht
für
Fussballspiele in der AFG Arena einführen. Im Gegenzug soll der
FCSG pro Saison für die Sicherheit 360 000 Franken weniger als
bisher bezahlen. Das Stadtparlament wird im September über das
dafür nötige Reglement entscheiden. Mit der
Bewilligungspflicht kann die Polizei neu Sicherheitsauflagen im Stadion
selber verfügen. In letzter Konsequenz zählt zu den
möglichen Massnahmen auch die Absage eines Spiels.
Aufgrund der harschen Reaktionen stellte der Kanton St.
Gallen
gestern nachmittag allen Mitgliedern des Kantonsrates und den Medien
ergänzende Unterlagen zur Sanierung der AFG-Arena-Gesellschaften
zu.
Gossau verzichtet auf Staatsgeld
Diese waren ursprünglich nur für die
vorberatende
Kommission gedacht gewesen - "eine Fehleinschätzung", wie es
hiess. Die zusätzlichen fast 30 Seiten Zahlenmaterial umfassen
vorwiegend Finanzplanungen und nur wenig effektive Zahlen - etwa des
Personalaufwands in der Betriebs-AG.
Während der FC St. Gallen um die staatlichen
Millionen
bangt, will der FC Gossau, wegen des Wettskandals ebenfalls in
finanzielle Schieflage geraten, ohne sie auskommen. Wenn die Stadt
Gossau helfen solle, so FC-Gossau-Präsident Roland Gnägi,
dann nur mit einem Überbrückungskredit. (vre/mel/rb) Thema 3
--
FCSG-Spiele: Polizei redet stärker mit
Der St. Galler Stadtrat will neue Rechtsgrundlagen
für die
Sicherheit bei Fussballspielen in der Arena schaffen. Das gibt der
Polizei die Möglichkeit, Spiele abzusagen. Politisch umstritten
dürfte im Parlament sein, dass die Stadt dem FC bei den
Sicherheitskosten entgegenkommen will.
St. Gallen. Mit dem Umzug vom Espenmoos nach Winkeln hat
sich die
Sicherheitssituation rund um Heimspiele des FC St. Gallen massiv
verschärft. Während rund ums alte Stadion in aller Regel ein
bis zwei Dutzend Polizisten im Einsatz standen und Zwischenfälle
selten waren, ist es am neuen Standort mehrfach zu Ausschreitungen
gekommen. Risikospiele sind heute in der AFG Arena mit massivem
Polizeieinsatz verbunden.
Auf St. Gallen zugeschnittene Lösung
Aus den Erfahrungen der ersten zwei Jahre im neuen Stadion
will
der Stadtrat Konsequenzen ziehen. Angestrebt wird eine auf lokale
Verhältnisse zugeschnittene Lösung. Nationale Empfehlungen
werden teils übernommen, teils wird davon abgewichen. Gestern
stellten Stadtrat Nino Cozzio und Stadtpolizeikommandant Pius Valier
den neuen Sicherheitsansatz vor.
Grundsätzlich bleibt der FC St. Gallen für die
Sicherheit in der AFG Arena zuständig, die Polizei ist - ausser in
Notfällen - im Umfeld tätig. Zentrale Neuerung ist, dass der
Stadtrat eine gesetzliche Bewilligungspflicht für Fussballspiele
in der Arena einführen will. Auf eine diskutierte generelle
Bewilligungspflicht für Sportveranstaltungen in der Stadt soll
aber verzichtet werden. Im Entwurf eines neuen Reglements, der
sogenannten "Lex Arena", ist einerseits die Bewilligungspflicht
geregelt, anderseits wird darin der Verteiler für die
Sicherheitskosten der FCSG-Heimspiele neu geregelt. Die entsprechende
Vorlage soll vom Stadtparlament bereits an der nächsten Sitzung
vom 14. September diskutiert werden.
Polizei entscheidet im Stadion mit
Mit der Bewilligungspflicht für FCSG-Spiele
erhält die
Polizei mehr Einfluss im Stadion. Bisher hatte sie keine
Möglichkeit, dort zusätzliche Sicherheitsauflagen
durchzusetzen. Das Sicherheitskonzept des Clubs erhielt sie zur
Kenntnisnahme. Ob der FCSG auf Anraten der Polizei bei einem Spiel
zusätzliche Massnahmen ergreifen wollte, war aber seine Sache. Neu
soll die Polizei Auflagen verfügen können.
Man werde bezüglich Sicherheit wie bisher den Dialog
mit dem
Club pflegen, versicherte Polizeikommandant Pius Valier. Sei man sich
uneins, ob es zusätzliche Massnahmen brauche, könne die
Polizei sie jetzt anordnen. Zu den im Entwurf des Reglements genannten
Massnahmen gehört, dass ein Spiel unter- oder abgebrochen, aber
auch schon im Vorfeld abgesagt werden kann. Eine Spielabsage sei kein
wünschenswertes Szenario, hielten Stadtrat Nino Cozzio und
Polizeikommandant Valier vor den Medien fest. So etwas sei sicher nur
als letzte Möglichkeit ins Auge zu fassen, wenn alle anderen
Massnahmen versagt hätten.
Weniger Sicherheitskosten für FCSG
Heute kosten die Polizeieinsätze rund um die
Fussballspiele
in der AFG Arena 1,2 bis 1,5 Millionen Franken im Jahr. Bisher musste
der FC St. Gallen 60 Prozent übernehmen. Es gab seitens des FCSG
mehrfach Kritik an der Höhe des Anteils, aber auch am zu massiven
und daher teuren Einsatz der Polizei. Mit dem FCSG-Sanierungspaket soll
die Stadt denn auch rund 800 000 Franken nichtbezahlter
Sicherheitskosten abschreiben.
Beim Umfang der Polizeieinsätze kann die Stadt dem FC
nicht
entgegenkommen. Die Zahl der Einsatzkräfte müsse entsprechend
der Risikoabschätzung vor einem Spiel bemessen werden. Und zwar
so, dass der Auftrag, für Ruhe und Ordnung zu sorgen, erfüllt
werden könne. Das Polizeikommando trage aber auch gegenüber
den eigenen Leuten Verantwortung: Man dürfe sie nicht durch zu
knapp bemessene Einsatzmittel unnötigen Risiken aussetzen.
Entgegenkommen will die Stadt dem FCSG bei der Verteilung
der
Sicherheitskosten. Neu sollen pro Match 200 Mannstunden der Polizei
gratis geleistet werden. Vom Aufwand, der bei Risikospielen
darüber hinaus betrieben werden muss, soll der Club 60 Prozent
berappen. Mit dem neuen Verteilschlüssel spart der FCSG pro Saison
rund 360 000 Franken. An der Stadt bleiben damit insgesamt aber
deutlich über 50 Prozent der Sicherheitskosten hängen.
Reto Voneschen
--
Valier: "Massnahmen greifen"
Der harte Kurs, den Behörden und Polizei gegen
Hooligans im
Umfeld von Heimspielen des FCSG fahren, zahlt sich im Urteil von
Stadtpolizeikommandant Pius Valier aus. Die Zahl der Zwischenfälle
sei schon in der letzten Saison zurückgegangen, die Situation habe
sich beruhigt. Entsprechend habe man den Personaleinsatz der Polizei
rund um die Arena etwas zurückfahren können. Für die
laufende Saison rechne man mit rund 20 Prozent weniger
Sicherheitskosten als in den beiden Vorjahren. Eine Rolle dabei spiele
auch, dass sich die Situation in Winkeln eingespielt habe. Mit den
problemlosen Zuständen wie früher im Espenmoos rechnet Pius
Valier allerdings nicht mehr. Dafür hätten sich die ganzen
Umstände, die Zuschauerzahlen, aber auch die Fanszene in den
letzten Jahren zu sehr verändert. (vre)
----------------
BINZ ZH
----------------
Tagesanzeiger 30.8.10
Binz-Besetzer weiter geduldet
Der Kanton hat die Räumung erneut verschoben. Nun
fordern
Politikerinnen der SP, dass die Stadt das besetzte Areal kauft.
Von Martin Huber
Die Bewohner der besetzten Liegenschaft an der
Uetlibergstrasse
111 in der Binz haben vom Kanton einen weiteren Aufschub erhalten. Das
seit Mai 2006 besetzte Fabrikareal wird unter dem Namen "Binz bleibt
Binz" von Kulturschaffenden und Handwerkern genutzt. Der Kanton als
Besitzer des Areals hatte schon mehrmals die Räumung
angekündigt, diese aber immer wieder verschoben. Vor einem Jahr
hatte es geheissen, die Hausbesetzer müssten bis Ende Oktober
ausziehen, später gewährte der Kanton einen Aufschub bis
längstens Ende Juli 2010.
Doch auch das war noch nicht das letzte Wort. "Die Leute
werden
im Moment noch geduldet", sagt Thomas Maag, Sprecher der Baudirektion.
Weil kein neuer Abbruchtermin für die Fabrikhallen feststehe, gebe
es auch noch kein neues Ultimatum. Die Abklärungen wegen der
Altlastensanierung seien noch im Gang. Zudem habe sich die Ausgangslage
verändert. Wollte der Kanton ursprünglich das Land im
Baurecht abgeben, steht jetzt laut Maag Eigenbedarf des Kantons im
Vordergrund. Die Abgabe im Baurecht sei "nicht mehr prioritär".
Maag weist darauf hin, dass die Besetzer einen Unkostenbeitrag für
Strom und Wasser bezahlen und sich verpflichtet hätten,
Rücksicht auf die Nachbarn zu nehmen.
Auch auf politischer Ebene ist das Areal in der Binz
wieder
aktuell: Die SP-Gemeinderätinnen Jacqueline Badran und Rebekka
Wyler haben ein Postulat eingereicht mit der Forderung, die Stadt solle
das Areal kaufen und einer "nicht gewinnorientierten Gewerbe- und
Wohnnutzung" zuführen. Bezahlbarer Raum für das
Kreativgewerbe und für Kulturschaffende sei in der Stadt ebenso
Mangelware wie günstiger Wohnraum für den Mittelstand.
--------------------------
40 Jahre GZ ZH
-------------------------
Tagesanzeiger 28.8.10
Als das GZ ein Rockertreff war
Gindely Georg
Gemeinschaftszentren
Neue Trägerschaft
Das Gemeinschaftszentrum Seebach feiert heute sein
40-Jahr-Jubiläum. In der Anfangszeit stiess es im Quartier auf
Ablehnung.
Von Georg Gindely
1970 nahm das Gemeinschaftszentrum Seebach seinen Betrieb
auf. Es
hatte keinen leichten Start, wie sich der ehemalige Leiter Peter Keck
erinnert. Denn der neuen Freizeitanlage musste ein altes Riegelhaus aus
dem 14. Jahrhundert weichen, was bei alteingesessenen Seebachern
für Unmut sorgte. Dazu beschloss Keck, einen Jugendleiter
einzusetzen - den ersten in ganz Zürich. Doch die Bezeichnung war
anrüchig, denn Ende 1969 und Anfang 1970 waren die ersten
Zürcher Jugendunruhen im Gang, und das autonome Jugendzentrum
Bunker entstand. "Bekommen wir nun auch ein autonomes Jugendzentrum?",
fragten sich viele Seebacher besorgt. "Man wollte keine langhaarigen
Jugendlichen auf der Strasse sehen, man wollte nicht, dass die Ideen
der 68er über den Milchbuck nach Seebach rüberschwappten",
erinnert sich Keck.
Es kamen aber keine Autonome, sondern Rocker. Während
am
Nachmittag Mütter mit ihren Kindern in den Werkstätten
bastelten, standen am Abend nicht selten zwanzig schwere
Motorräder vor der Tür. Es galt das Recht des Stärkeren,
oft kam es zu Raufereien. Zum Glück war der Jugendarbeiter der
Anlage kräftig: Er balgte sich immer wieder mit dem Anführer
der Rocker und konnte ihn auf den Rücken legen. Dann war die
Ordnung wieder hergestellt.
Zittern um Seebachs Töchter
Vielen Seebacherinnen und Seebachern war die Entwicklung
nicht
geheuer. Sie zitterten um ihre Töchter und verboten ihnen den
GZ-Besuch. "Anständige Mädchen durften hier abends nicht mehr
auf die Strasse", sagt Keck, der das GZ 33 Jahre lang
leitete.
Er wollte den Jugendlichen einen Platz geben. Sie haben im
Luftschutzkeller eigenhändig eine Disco eingebaut. Oft waren
über 300 Besucher in der Hot People Disco, denn tanzen konnten
Jugendliche sonst nirgends.
Peter Keck suchte den Kontakt zu den Seebachern, trat dem
Quartierverein bei, sprach mit den Kirchgemeinden. "Die Anfänge
waren oft frostig, manchmal abweisend bis mild freundlich", sagt er.
Dennoch haben ihn viele Quartierbewohner von Anfang an
unterstützt. "Und irgendwann hat das Quartier unser Haus
akzeptiert, und man konnte sich gar nicht vorstellen, dass das GZ
jemals nicht da war."
Legendäre Disco kehrt zurück
Das hat sicher auch mit der Kontinuität in der
Leitung zu
tun. Auf Keck folgte 2003 Ingrid Vannitsen, die immer noch im Amt ist.
Über 40 Freiwillige helfen beim grossen Jubiläumsfest mit.
"Ohne Freiwilligenarbeit könnten wir nicht einmal die Hälfte
von dem leisten, was wir heute tun", sagt die Leiterin. Sie bezeichnet
das GZ als "lebendigen Ort der Begegnung und der Gemeinschaft in einem
äusserst lebendigen Quartier". Sie konnte in den letzten Jahren
den Jugendbereich weiter ausbauen, daneben ist seit kurzem die
Anlaufstelle für Kinderbetreuung im GZ integriert.
Das Jubiläumsfest beginnt heute Samstag um 14 Uhr und
dauert
bis Mitternacht. Am Nachmittag finden Tanz- und Musikvorführungen
statt und vieles mehr, um 18 Uhr zum Beispiel jodeln die Mitglieder des
seit 1972 im GZ eingemieteten Berner Vereins. Ab 20 Uhr erlebt eine
Auferstehung, was früher noch bei einem Teil der Seebacher
verschrien war: die Hot People Disco.
--
Gemeinschaftszentren Neue Trägerschaft
Die 17 Zürcher Gemeinschaftszentren werden neu von
einer
eigens gegründeten Stiftung geführt. Die Pro Juventute,
welche die GZ über 50 Jahre lang unter sich hatte, will sich auf
nationale Themen konzentrieren. Für GZ wie Besucher ändert
sich durch den Wechsel nichts. Die Präsidentin der Stiftung,
Alt-Stadträtin Kathrin Martelli, hält heute um 17.30 Uhr im
GZ Seebach eine Festrede zur Gründung der neuen Trägerschaft.
(gg)
--------------------
TACHELES
---------------------
Spiegel 30.8.10
HAUPTSTADT
Kultur gegen Kapital
Hauptstadt: Das Kunsthaus Tacheles wird wieder zum Symbol
im
Kampf gegen Investoren
Becker, Sven Erb, Sebastian Hollersen, Wiebke
Zwanzig Jahre nach der Besetzung soll das Kunsthaus
Tacheles in
Berlin geräumt werden. Das Haus wird wieder zum Symbol im Kampf
gegen Investoren und Stadtumbau.
Martin Reiter denkt darüber nach, sich in einen
Käfig
sperren und vor dem Tacheles aufhängen zu lassen, wie ein
Verbrecher im Mittelalter. Wäre doch eine Idee, sagt er. Reiter
ist 47, seine Locken werden langsam grau, fallen ihm aber immer noch
über die Schultern, seine Augen leuchten.
Das Tacheles ist am Ende. Die Künstler sollen raus.
Gegen
Reiters Verein, den Tacheles e. V., wurde das Insolvenzverfahren
eröffnet. Jeden Moment kann es losgehen mit der Räumung.
Reiter ist Künstler, die Lage stimmt ihn kreativ. Er klappt das
Messer zu, mit dem er sich die Fingernägel geputzt hat, springt
vom Sofa im Vereinsbüro, gleich ist Demo. "Irgendwann zieht man in
die letzte Schlacht", sagt er.
Vor dem Café Zapata steht Ludwig Eben, 46, neben
einem
Tisch mit Kaffee und Wurstbrötchen. Das Café unten im
Kunsthaus soll auch verschwinden. Eben ist Gastronom, er kämpft an
diesem Morgen mit einem Frühstücksbuffet gegen einen
Räumungsversuch. Freunde sind da, ein Anwalt mit Kampfhund,
gemeinsam empfangen sie um viertel vor acht den Gerichtsvollzieher. Der
schaut auf den Briefkasten vor dem Café: Da steht "Zapata UG".
Auf dem Brief, den er zustellen soll, steht "Zapata GbR". Der
Firmenname stimmt also nicht überein; der Gerichtsvollzieher zieht
wieder ab.
Eben lehnt am Buffet und trinkt eine Limonade. Seit 20
Jahren ist
er in diesem Haus, viele Jahre, ohne Miete zu zahlen, er kennt Tricks,
um einer Räumung zu entgehen. "Nach allem, was wir erlebt haben,
steht es uns zu, hierzubleiben", sagt er.
Reiter und Eben waren Freunde, dann sind sie Feinde
geworden. Nun
haben sie wieder einen großen, gemeinsamen Gegner. Die HSH
Nordbank will sie und alle anderen Künstler aus dem Haus werfen.
Die Bank will das Tacheles versteigern, mit der großen Brache,
auf der es steht.
In Berlin, Oranienburger Straße / Ecke
Friedrichstraße, der alten, neuen Mitte, geht es wieder darum,
was aus der Stadt werden soll - und wem sie gehört. Es steht
Kultur gegen Kapitalinteressen, ein Konflikt, der die öffentliche
Diskussion in Berlin bestimmt und der nirgends so deutlich wird wie
hier. Das Tacheles dürfe nicht "plattgemacht" werden, sagt der
Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD). Der Senat
würde es gern mitsamt den Künstlern retten. "Als Symbol ist
es riesig", sagt André Schmitz, der Kulturstaatssekretär,
"ein Flaggschiff für die Entwicklung der letzten 20 Jahre."
Schmitz redet über die steigenden Touristenzahlen in seiner Stadt,
nicht über die Kunstszene.
1990 hatten Künstler die Kaufhausruine besetzt, sie
kamen
aus dem Osten und dem Westen, tanzten im Abrisshaus, richteten
Werkstätten ein. Das Bild vom wilden Berlin, der Stadt, in der
alles möglich war, entstand auch im Tacheles.
Dann kaufte Anno August Jagdfeld das Gelände, der
Immobilienunternehmer aus dem Rheinland, der das Hotel Adlon am Pariser
Platz wieder aufbauen ließ. Auch Jagdfeld wollte das neue Berlin
prägen, ein neues Viertel um das Tacheles bauen, eher gediegen als
wild.
Weil er mit seinen Plänen scheiterte, hat die HSH
Nordbank
die Immobilie in Zwangsverwaltung genommen; die angeschlagene Bank kann
die Millionen gut gebrauchen. Zehn Interessenten gebe es, sagt ein
Sprecher. Alle wollen auch das Tacheles - aber niemand will die
Künstler.
Viele alternative Projekte stehen in Berlin vor dem Aus,
weil
Investoren die Häuser oder Freiflächen neu gekauft haben oder
sie endlich bebauen wollen. Eine neue Protestbewegung ist entstanden,
gegen die Investoren.
Es ist eine Zeit des Aufbruchs, auf beiden Seiten, und das
Tacheles ist wieder zum Symbol geworden im Kampf um die Stadt.
Künstler gegen Investoren, Gut gegen Böse, die Fronten
scheinen klar.
Der Schauplatz kann rund um die Uhr besichtigt werden,
Führungen nach Anmeldung. An einem heißen Nachmittag steigen
40 Teenager aus Westfrankreich die Treppen im Tacheles hinauf, an den
Wänden Graffiti und mehrere Schichten Plakate, auf dem Boden
Kippen, es stinkt nach Urin. Einen Tag sind die Jugendlichen in Berlin:
Reichstag, Brandenburger Tor, Tacheles, das ist ihr Programm. Ein
weißrussischer Maler und eine Trash-Art-Künstlerin zeigen
ihre Räume. Etwa 70 Künstler arbeiten gerade im Haus, sie
zahlen nur die Betriebskosten. "Wirklich ein originelles Museum", sagt
ein Mädchen.
"Das einzige wirkliche Street-Art-Museum der Welt", sagt
Reiter,
sei das Tacheles, 400 000 Besucher kämen im Jahr. Reiter kam einst
aus Wien nach Berlin, er steht seit Jahren dem Verein vor, der das
Kunsthaus betrieb. Seit anderthalb Jahren sind sie wieder Besetzer,
eine Rolle, die Reiter zu gefallen scheint. Er kündigt
Hungerstreiks an, schreibt an den Bundespräsidenten und die
Kanzlerin, versucht Bündnisse zu schließen mit Leuten, die
anderswo in der Stadt gegen den Kapitalismus kämpfen. "Kommerz
tötet", sagt er.
Mit Eben, dem alten Freund vom Café, will er sich
nicht
wieder verbünden. "Wir kämpfen nicht für den
Ballermann-Gastronomen", sagt er.
Das Café Zapata ist groß, düster, voller
Metallkunst, so sahen Berliner Kneipen vor 20 Jahren aus, inzwischen
gehört auch ein großer Biergarten hinterm Haus dazu. Ludwig
Eben stammt aus München und ist einer der frühen Besetzer.
Nach einem Jahr übernahm er das Zapata von einem Australier. An
manchen Tagen hat auch Eben das Gefühl, in einem Museum zu
arbeiten.
Ein "Kapitalismusverweigerer", wie er Reiter nennt, ist
Eben
nicht. Er leitet einen Betrieb in bester Lage. 40 Festangestellte, 10
freie Mitarbeiter hat er. Er setze sich für junge Bands ein, sein
Café sei auch ein Ort der Alternativkultur.
Kurz bevor die Kaufhausruine gesprengt werden sollte,
zogen die
Künstler ein. Nach der Wiedervereinigung suchte der Bund einen
Käufer für das Tacheles und die umliegenden Grundstücke.
Berlin sollte Regierungssitz werden, im Bezirk Mitte sollten Neubauten
stehen, keine Ruinen. Die Fundus-Gruppe aus Düren meldete sich.
Anno August Jagdfeld, der Steuerberater war, bevor er ins
Immobiliengeschäft einstieg, hatte die Brachen im Osten entdeckt.
Er ließ an der Friedrichstraße bauen, am Pariser Platz,
später im Ostseebad Heiligendamm.
1998 kaufte er mit der Fundus-Baubetreuung das
Tacheles-Gelände, ohne Ausschreibung, aber sie verpflichteten
sich, 180 Millionen Mark zu investieren, 950 Arbeitsplätze zu
schaffen und Wohnraum. Laut Kaufverträgen zahlte die Gesellschaft
65,2 Millionen Mark an den Bund und weitere 3 Millionen Mark an die
Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte.
Am Abend des 9. November 1998 saßen Reiter, Eben und
Jagdfeld um eine Tafel im Tacheles-Theatersaal. Noch ein paar Leute vom
Verein waren dabei, ein Theatermann, der lange zwischen Besetzern und
Investor vermittelt hatte. Jagdfeld bat jeden, aus seinem Leben zu
erzählen. Es gab Wein, es wurde spät, am nächsten Tag
gab Jagdfeld bekannt, dass der Tacheles e. V. einen Mietvertrag
bekommt. Für zehn Jahre, Monatsmiete: eine Mark.
Er stellte auch seine Pläne für das
"Johannisviertel"
vor, bis zu 40 Neubauten, Wohnungen, Geschäfte und Büros.
Jagdfeld benannte dafür die Fundus-Baubetreuung in Johannishof
Projektentwicklung GmbH um. Mehrere Landesbanken, darunter die heutige
HSH Nordbank, gaben das Geld.
Auch die Künstler konnten nun planen. Doch als der
Druck von
außen weg war, wuchs er im Haus. Viele zogen weiter, die, die
blieben, rangen um Macht und Einnahmequellen. Mehr als hundertmal
trafen sie sich vor Gericht, bis zum Bundesgerichtshof ging ein Fall.
Sie stritten um Miete für das Café, Betriebskosten,
Vorstandswahlen.
Die Johannishof Projektentwicklung beauftragte Architekten
in
Miami und New York, aber die Bauarbeiten begannen nie. Ein Sohn von
Jagdfeld betrieb in einem Haus auf dem Gelände einen Club.
Künstler legten auf der freien Fläche hinter dem Tacheles
einen Teich für Frösche an. Das wilde Berlin hatte vorerst
gewonnen.
2008 endete der Mietvertrag zwischen dem Verein und dem
Investor,
das Tacheles und die Grundstücke standen schon unter der
Zwangsverwaltung der Bank. Die machte sich daran, die Künstler
loszuwerden. 105 500 Euro Mietnachzahlungen plus Zinsen forderte sie
für 2009 vom Verein.
Die Bank braucht dringend Geld, in der Finanzkrise musste
der
Staat sie retten. Als "Kultursponsor" bedauere man die Lage, sagt ein
Sprecher, aber schuld an ihr sei nicht die HSH. Seit zehn Jahren habe
der Investor seine Kredite nicht zurückgeführt. 75 Millionen
Euro soll das Unternehmen der Bank schulden.
Jagdfeld will mit der Presse nicht mehr über das
Tacheles
reden. Ein Sprecher beantwortet einige Fragen. Das Bauprojekt habe man
über einen geschlossenen Immobilienfonds finanzieren wollen, "die
Rahmenbedingungen für solche Fonds" hätten sich dann
erheblich verschlechtert. Wo das Geld geblieben ist, die 75 Millionen?
"Die genannte Kredithöhe können wir nicht bestätigen",
sagt Jagdfelds Sprecher. In jedem Fall sei das Geld an die Johannishof
Projektentwicklung gegangen und "im vereinbarten Rahmen verwendet
worden", für den Kauf des Grundstücks, Planungskosten, auch
in das marode Tacheles habe man sechs Millionen Euro gesteckt.
Der Berliner Senat will vermitteln, sobald ein neuer
Investor
kommt. Für das Tacheles schreibt der Bebauungsplan einen
Kulturbetrieb vor, das Gebäude steht unter Denkmalschutz. Der
Kulturstaatssekretär hat das der Bank geschrieben, nun wartet er
ab.
Das wilde Berlin soll konserviert werden, weil es so gut
ankommt
in der Welt, das ist eine Haltung, die in der Stadt verbreitet ist.
Künstler sind gut, Investoren zumindest gefährlich, Kommerz
tötet.
Eben sagt, er habe einen Unterstützer gefunden, der
das
Tacheles kaufen wolle. Nur das Haus, herausgelöst, wäre 3,6
Millionen Euro wert.
Reiter fordert, dass die Bank das Tacheles an eine
öffentliche Stiftung verpachtet. Er hat vor kurzem Heizgeräte
aus Leipzig geholt, die jemand bei Ebay ersteigert hat. Die
Künstler sollen es warm haben im Winter im Tacheles. Reiter
glaubt, dass sie dann noch da sind.
Bis Ende des Jahres sollen das Gesamtgrundstück und
das
Tacheles versteigert sein, sagt die Bank. Ein Gutachter hat den Wert
neu berechnet. Er kam auf 35 Millionen Euro.
-----------------------
ANTI-ATOM
-----------------------
Bund 28.8.10
Anwohner blitzen bei der BKW ab
Die BKW ändert ihre Pläne nicht: Der
Energiekonzern
bekommt Rückendeckung von Gutachtern und hält an den
Standorten für Logistikplatz und Arbeitersiedlung fest. "Wir
kämpfen weiter", sagen die Anwohner.
Simon Wälti
Falls in Mühleberg ein neues AKW gebaut wird, braucht
es
dafür nicht nur den Bauplatz an der Aare, sondern auch grosse
Flächen für das Material und die Arbeitersiedlung. Die BKW
hat die von ihr vorgeschlagene Variante, die auch von der
Standortgemeinde Mühleberg gestützt wird, noch einmal von
zwei externen Gutachtern überprüfen lassen. Das Resultat, das
gestern an einer Medienkonferenz vorgestellt wurde: Die Variante, die
einen Logistikplatz zwischen Heggidorn und Mühleberg sowie eine
Arbeitersiedlung an der Grenze zur Nachbargemeinde Frauenkappelen
vorsieht, schneidet klar besser ab als eine Variante, die von
kritischen Anwohnern ausgearbeitet worden war. Die BKW hält darum
an ihren Plänen fest.
Die IG "Betroffene Grundeigentümer und Anwohner
Ersatzkernkraftwerk Mühleberg" forderte von der BKW, für den
Logistikplatz und die Arbeitersiedlung eigenes Land in der Saane-Ebene
bei Marfeldingen zu verwenden.
Land fünf Meter aufschütten
Die Variante bei der Saane unterhalb des Autobahnviadukts
ist
zwar technisch machbar, so die Gutachten, sie habe aber entscheidende
Nachteile:
Das Areal liegt in einem Gewässerschutzgebiet und im
Überschwemmungsgebiet der Saane und müsste fünf Meter
aufgeschüttet werden. Allenfalls könnte der Saane-Damm
verstärkt, eine Mulde angelegt und ein zweiter Damm errichtet
werden, was etwas weniger aufwendig wäre.
Die Erschliessung mit einem temporären
Autobahnanschluss ist
schwieriger, weil die Strasse durch ein steiles Waldstück
führt. Grössere Erdbewegungen und Rodungen wären
nötig.
der Tunnel vom Logistikplatz zur Baustelle neben dem
bestehenden
AKW wäre 1 Kilometer lang, doppelt so lang wie bei der
BKW-Variante.
Die Zufahrt zum Tunnel durchschneidet ein
Landschaftsschutzgebiet. Die Zufahrt von der Kantonsstrasse her ist
deutlich länger.
Dadurch ist die Zahl der benötigten LKW-Fahrten fast
doppelt
so hoch. Auch bei einer Kombinationsvariante wären es gemäss
den Berechnungen immer noch 40 Prozent mehr.
BKW gegen IG: 14 zu 2
Ueli Zaugg, ehemaliger Regierungsstatthalter des Amtes
Konolfingen und jetzt Inhaber des Beratungsbüros BüroZA,
prüfte die beiden Varianten auf ihre Bewilligungsfähigkeit.
Er habe viele informelle Gespräche mit den beteiligten Amtsstellen
geführt, sagte Zaugg. Schriftliche Stellungnahmen gab es zwar
nicht, Zaugg hat aber 17 Kriterien danach beurteilt, welche Variante
von den Amtsstellen voraussichtlich bevorzugt würde. "Keines der
Kriterien war ein Killer-Kriterium", sagte Zaugg. "Beide Varianten,
auch diejenige der IG, scheinen bewilligungsfähig." Bei 14 Punkten
schwang die BKW-Planung obenaus, nur bei zwei Punkten der Vorschlag der
IG, einer blieb offen. Wem das Land gehöre, sei im
Bewilligungsprozess irrelevant, erklärte Zaugg.
Die zwei Pluspunkte für die IG-Variante sind die
Immissionen
- in der Marfeldingenau sind weniger Personen betroffen - und der
Naturschutz. Bei der BKW-Variante gibt es einen permanenten Eingriff in
ein Naturschutzgebiet von lokaler Bedeutung (Marfeldingenbach). Die
Lösung der BKW sei klar zu bevorzugen, sagte Zaugg. Sie sei
während der Bau- und der Betriebsphase umweltverträglicher,
benötige weniger Auflagen und Ersatzmassnahmen und hinterlasse
weniger irreversible, permanente Eingriffe in Landschaft und Natur.
Die BKW kommt darum zum Schluss, dass es keinen Sinn mehr
macht,
die Variante der IG weiterzubearbeiten. "Bei unserer Lösung
besticht die ganzheitliche Sicht", erklärte der
BKW-Medienverantwortliche Antonio Sommavilla. "Wir sind uns bewusst,
dass die Bauarbeiten für die Bevölkerung ein Problem
darstellen", versicherte Standortmanager Marcel Jüni. Man werde
deshalb weiterhin versuchen, eine gangbare und vernünftige
Lösung zu finden.
--
Haltung der IG
"Experten von BKW bezahlt"
Die IG der Grundeigentümer und Anwohner ist am
Donnerstag
über die Resultate der Gutachten informiert worden. Landwirt
Christian Minder sagt als Vertreter der Interessengemeinschaft, die IG
nehme die "Meinung der BKW, der Gemeinde Mühleberg und der von der
BKW bezahlten externen Experten zur Kenntnis". Bei Varianten gebe es
stets Vor- und Nachteile, in diesem Fall seien die Vorteile der
IG-Variante zu wenig hoch gewichtet worden. "Logistikplatz,
Wohnsiedlung und Aushub, alles wäre schön nebeneinander auf
BKW- eigenem Land an versteckter Lage gewesen." Die IG will nicht
aufgeben. "Wir werden sicher in irgendeiner Form weiterkämpfen",
sagt Minder. Die BKW als grösste Grundbesitzerin Mühlebergs
möchte vier Hektaren von Minders Land für die Wohnsiedlung
verwenden. Als Grundeigentümer werde er "ein Mehrfaches Realersatz
für zerstörtes Kulturland" fordern. "Ich werde nicht Boden
verschenken, damit sich die Atomlobby bereichern kann." Den Entscheid
über ein neues AKW werde aber das Stimmvolk fällen. "Die
kantonale Abstimmung ist vorentscheidend", sagt Minder. Die Abstimmung
wird voraussichtlich im Februar 2011 stattfinden. (wal)
--
Ersatz-AKW Mühleberg
Langer Instanzenweg
Die Planung für das Projekt EKKM (Ersatzkernkraftwerk
Mühleberg) wird von der Firma Resun ausgeführt, einem
Tochterunternehmen der Energiekonzerne BKW und Axpo. Für den
Logistikplatz werde man rund 10 Hektaren benötigen, sagte
Projektleiter Thomas Staffelbach. Der Logistikplatz werde etwas kleiner
ausfallen, weil der Aushub auf der anderen Seite der Aare
(Brättele) deponiert werden soll. In der Wohnsiedlung soll es
Platz haben für bis zu 1700 Bauarbeiter. Gearbeitet wird in zwei
Schichten von 6 bis 22 Uhr.
Nun folgt eine lange Reihe von Schritten mit Gutachten,
Vernehmlassungen, Fach- und Kommissionsberichten, ehe das Projekt dann
von Bundesrat und Parlament behandelt wird. Die Volksabstimmung auf
schweizerischer Ebene ist für Ende 2013 geplant. Die Zeit für
das Baubewilligungsverfahren wird von Staffelbach auf vier Jahre
veranschlagt. Ab ca. 2017 könnte in Mühlberg gebaut werden,
und im Zeitraum 2023-2025 könnte das neue AKW ans Netz gehen.
Danach würde das alte AKW abgebrochen. Die Kosten für das
EKKM werden von der BKW laut Sprecher Antonio Sommavilla auf 6 bis 8
Milliarden Franken geschätzt.
Noch nicht festgelegt hat sich die BKW, welche Folgen ein
Nein
bei der kantonalen Abstimmung 2011 für das Projekt hätte. Die
Abstimmung hat konsultativen, aber nicht bindenden Charakter. "Das
Resultat muss berücksichtigt werden", sagt Sommavilla dazu
lediglich. (wal)
--
Involvierte Planungsbüros: B + S AG, Bern. Das
Büro hat
im Auftrag der BKW die IG-Variante geprüft. Das Büro IUB
untersuchte in einem Gutachten die technische Korrektheit. Das
BüroZA bewertete die Bewilligungsfähigkeit.
---
BZ 28.8.10
AKW Mühleberg
Anwohner blitzen ab
Bereits steht fest, wie die BKW den Bauplatz erschliessen
will,
falls sie in Mühleberg ein neues Kernkraftwerk bauen darf.
"Slum": So nennt ein Anwohner die Arbeitersiedlung
für das
Ersatzkraftwerk in Mühleberg. Dieser "Slum" mit 1700 Bewohnern
würde während der etwa siebenjährigen Bauphase
wertvolles Kulturland blockieren, kritisiert die IG Salzweid.
Stattdessen schlug sie vor, die Arbeiter samt Logistikplatz auf
BKW-eigenem Land an der Saane unterzubringen.
Dieser Variante erteilt der Stromkonzern nun aber eine
Abfuhr.
Zwei externe Expertisen geben der BKW-Variante viel bessere Noten als
jener der Anwohner aus der Salzweid. Diese hoffen nun, dass das
AKW-Projekt an der Urne scheitert.
kle
Seite 27
--
Atomkraftwerk Mühleberg
BKW verwirft Variante der Anwohner
Sieben Jahre wird die Region Mühleberg eine Baustelle
sein,
falls das neue AKW kommt. Bauherrin BKW präsentiert bereits die
Pläne für diese Phase. Nicht zum Zug kommt eine Variante der
Anwohner. Diese geben aber nicht auf.
Frühestens in acht Jahren wird die BKW in
Mühleberg ihr
neues AKW in Angriff nehmen. Und dies auch nur, wenn Volk und
Behörden das wollen (siehe Kasten). Für die Bauphase dagegen
stehen schon viele Details fest. "Dort befinden wir uns bereits auf dem
Niveau Kirschbaum", sagt Standortprojektleiter Thomas Staffelbach. Das
bedeutet: Zwar kennt man noch nicht einmal den Reaktortyp des neuen
Werks, weiss aber schon, ob die Baupiste links oder rechts neben einem
bestimmten Baum durchführt.
Das AKW kostet 6 bis 8 Milliarde, die Bauinfrastruktur
einen
höheren zweistelligen Millionenbetrag.
Urteil: 14 zu 2 für BKW
Die siebenjährige Bauphase sei von den Dimensionen
her mit
jenen am Lötschberg und Gotthard vergleichbar, sagt Staffelbach.
Gestern trat er für die BKW vor die Medien, um über die
Erschliessung des Bauplatzes zu informieren. Die drei Hauptelemente
sind: eine Siedlung für die 1700 Bauarbeiter, ein Logistikplatz
von 10 Hektaren und Zufahrten (Autobahnanschluss, Baupiste,
500-Meter-Tunnel).
Die IG Salzweid - sie nennt sich auch
"Interessengemeinschaft
Anwohner und Grundeigentümer EKKM" - wehrte sich gegen den Bau der
Arbeitersiedlung in der Salzweid. Die IG hatte der BKW stattdessen eine
eigene Variante vorgelegt: Die Arbeitersiedlung und den Logistikplatz
solle man am Saaneufer in Marfeldingen bauen. Dieses Land gehört
der BKW. Das Areal solle mit einem 1 Kilometer langen Tunnel mit der
AKW-Baustelle verbunden werden. Diese Vorschläge werden aber nicht
umgesetzt, wie die BKW gestern bekannt gab. Der Konzern hatte zwei
externe Gutachter beauftragt, um die Ideen der IG zu prüfen. Das
vernichtende Urteil: 14 von 17 Punkten sprechen für die
Lösung, welche die BKW zusammen mit der Gemeinde Mühleberg
ausgearbeitet hat (siehe Grafik). In bloss 2 Punkten geben die
Gutachter den Anwohnern den Vorzug, in einem geben sie ein
Unentschieden.
Die beiden Pluspunkte des IG-Vorschlags: Es sind weniger
Anwohner
betroffen, und das lokale Naturschutzgebiet Marfeldingenbach wird nicht
tangiert. Insgesamt sei aber die BKW-Lösung wesentlich
umweltverträglicher, sagen die Experten. Es seien weniger
irreversible Eingriffe in die Landschaft nötig.
Nahe beim "Slum"
Die IG Salzweid gibt aber nicht klein bei. Das Stimmvolk
werde
entscheiden, ob das AKW gebaut wird, "nicht die Atomlobby, nicht die
Standortgemeinde oder von der BKW bezahlte Gutachter", sagt der
Frauenkappeler Landwirt und IG-Vertreter Christian Minder. Auf seinem
Land würden die 1700 Arbeiter wohnen. "Dies bedeutet eine massive
Beeinträchtigung der Wohnqualität für mich und meine
Nachbarn, die zum Teil noch näher bei diesem ‹Slum› wohnen." Er
sei nicht bereit, 4 seiner 14 Hektaren besten Kulturlands an bester
Lage zu verschenken, damit sich "die Atomlobby und die Gemeinde
Mühleberg bereichern können". Er werde ein Mehrfaches an
Realersatz fordern.
Katharina Merkle
--
Der Zeitplan
Baustart frühestens 2018
In der Schweiz sollen zwei neue Atomkraftwerke gebaut
werden. Im
Rennen sind drei Standorte: Mühleberg (BKW), Beznau AG
(Axpo) und das Niederamt SO (Alpiq). 2008 haben die drei Stromkonzerne
beim Bund die Gesuche für die Rahmenbewilligung eingereicht.
So sieht der Zeitplan für das Ersatzkernkraftwerk
Mühleberg (EKKM) aus:
Der Grosse Rat stimmt im November darüber ab, ob es
eine
kantonale Abstimmung zu Mühleberg geben wird.
Sagt er Ja, werden die Stimmberechtigten des Kantons Bern
am 13.
Februar 2011 in einer konsultativen Abstimmung sagen, ob sie den Bau
eines neuen AKW in Mühleberg begrüssen und ob sich der Kanton
positiv zum Gesuch äussern soll.
Bis Ende März 2011 reichen alle 26 Kantone ihre
Stellungnahmen zu den Projekten ein.
Mitte 2012 entscheidet der Bundesrat, wer die Konzession
erhält. Danach stimmen National- und Ständerat ab.
Eine nationale Referendumsabstimmung für die
Konzession wird
für Ende 2013 erwartet.
Erhält die BKW den Zuschlag, rechnet sie bis Ende
2017 mit
der Baubewilligung für Mühleberg. Die Bauzeit beträgt
ungefähr sieben Jahre.
Irgendwann zwischen 2023 und 2025 würde
Mühleberg ans
Netz gehen.
kle
---
Tagesanzeiger 28.8.10
Endlager: Der Widerstand erwacht endlich
Der Kampf gegen ein atomares Tiefenlager im Zürcher
Unterland geht vom Aargau aus: Eine Politikerin initiiert die
Gründung eines Vereins.
Von Andrea Söldi
Unterland - Während sich der Widerstand gegen ein
atomares
Tiefenlager in den anderen infrage kommenden Regionen längst
formiert hat, ist es nördlich der Lägern bis jetzt ruhig
geblieben. Nun soll auch hier ein Verein aktiv werden, in dem sich die
Bevölkerung der 26 betroffenen Gemeinden Gehör verschaffen
kann. Unter dem Namen "LOTi" (Nördlich Lägern ohne
Tiefenlager) wird er am 6. September gegründet. "Wir sind unter
Zugzwang", sagt Initiatorin Astrid Andermatt. Die Aargauer
SP-Grossrätin aus Lengnau befürchtet, dass das Lager am Ende
nicht dort gebaut werden könnte, wo es aus geologischen Kriterien
am sichersten ist, sondern dort, wo der Widerstand am geringsten ist.
Dass die radioaktiven Abfälle irgendwo langfristig
entsorgt
werden müssen, ist Andermatt klar. Ebenso, dass dies in der
Schweiz zu geschehen hat. Allerdings findet sie, die Region habe
bereits genügend Lasten zu tragen: das Zürcher Unterland mit
Fluglärm und Kiesabbau, der Kanton Aargau mit den Atomkraftwerken
und dem Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Ausserdem
spüre sie, dass es nun plötzlich schnell gehen müsse: Um
die Bevölkerung für den Bau neuer Kernkraftwerke zu gewinnen,
müsse man ihr signalisieren, dass das Entsorgungsproblem
gelöst sei. "Aber für uns hat die Sicherheit höchste
Priorität."
Ein Verein für die Basis
Der Verein soll eine Ergänzung sein zum Forum
Lägern-Nord. Während Letzteres eine Vereinigung von
Behördenvertretern aus 49 Gemeinden ist, soll der Verein LOTi der
Basis eine Plattform bieten. "Das sind verschiedene Ebenen", sagt
Andermatt, die sich selber als Präsidentin zur Verfügung
stellen würde, aber auch gern jemand anderem den Vortritt
lässt. Sie hat bereits zahlreiche Kontakte zu Personen
geknüpft, die am Thema interessiert sind. Dazu gehören
hauptsächlich Leute aus Kreisen der SP und der Grünen - so
etwa der Regensdorfer SP-Kantonsrat Marcel Burlet und die kürzlich
zurückgetretene grüne Kantonsrätin Susanne Rihs.
Ausserdem konnte sie eine engagierte Vertreterin der Region Hohentengen
gewinnen.
Andermatt will aber auch ihre Kontakte zu
bürgerlichen
Politikern nutzen, um einige zum Mitmachen zu gewinnen. "Das soll kein
grün-rot-linker Verein werden", stellt sie klar. Sie wünscht
sich einen grossen Vorstand, in dem bis zu 20 Personen aus
verschiedenen Gemeinden vertreten sind.
Der Verein will sich im Prozess der regionalen
Partizipation
einbringen, den das Bundesamt für Energie (BfE) nächstes Jahr
anstösst. Ausserdem soll er bereits am 9. September an
der Informationsveranstaltung des BfE in Glattfelden mit einer ersten
Aktion in Erscheinung treten.
Im neuen Verein sieht Hanspeter Lienhart, Präsident
des
Forum Lägern-Nord, keine Konkurrenz. Er begrüsst es, dass
sich die Gegner nun formieren und auch bei der regionalen Partizipation
mitwirken. Eine punktuelle Zusammenarbeit kann er sich gut vorstellen.
Zum Beispiel würde er den Verein punkto Wissen und Know-how
unterstützen.
Gründungsversammlung LOTi am 6. September, 20 Uhr, im
Restaurant Neuhof Bachs. Für Rückfahrgelegenheit wird
gesorgt. http://www.lo-ti.ch
---
Thurgauer Zeitung 28.8.10
Tiefenlager liegt öffentlich auf
Frauenfeld - Sechs Standorte schlägt die Nagra vor,
die
für die Lagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz geeignet
wären. Bereits in der ersten Planungsetappe kann die
Bevölkerung mitwirken. Der Sachplan zu den möglichen
geologischen Tiefenlagern - darunter eines bei Schlatt im Zürcher
Weinland - liegt nun öffentlich auf, wie die Staatskanzlei gestern
im Amtsblatt kundtat. Alle betroffenen oder interessierten
Organisationen und Personen können die Unterlagen in der
Staatskanzlei im Regierungsgebäude in Frauenfeld oder in der
Gemeindeverwaltung Schlatt einsehen und dann Stellung nehmen. (hal)