MEDIENSPIEGEL 4.9.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS)
- Reitschule bietet mehr: Chefredaktor-Diss; GP- + Juso-Nein; Müslüm
- Hess E(h)r(l)ich: Stadtrats-Reisli; Stadtrats-Abschied
- 40 Jahre ISC auf der Gasse
- Weggesperrt: z.B. Hindelbank
- Alkverbot im Öffentlichen Raum?
- "Eltern ohne Drogen" infiltiriert Drogenklinik
- Sauvage in Winterthur
- Kriminalisierung der Villa Rosenau BS
- Big Brother BS: Kritische Fragen
- Ausschaffungen und Arztgeheimnis
- Sans-Papiers: keine Anzeige gegen Widmer-Schlumpf
- Anti-Atom: EWB und der Ausstieg; Beznau 3; Tiefenlager

----------------------
REITSCHULE
----------------------

Sa 04.09.10
0-24 Uhr - ganze Stadt - Aktionstag "Reitschule bietet mehr" - siehe Tagespresse und www.reitschulebietetmehr.ch
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung durch die Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
20.30 Uhr - Tojo - "Kurtli VII" Die Trash-Revue zum verflixten Siebten
22.00 Uhr - Dachstock - Benfay Plattentaufe "Hey, what?s wrong baby!" Live: Benfay (MPC, Synths), Simon Baumann (Drums) & Jan Galega (Bassclarinet, Sax, Electronics) + Special Guests. DJs: Round Table Knights & Jay Sanders - Electronica, Techno

So 05.09.10
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SousLePont bis 16.00 Uhr
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilm am Flohmi-Sonntag: Pippi Langstrumpf, Olle Hellbom, Astrid Lindgren, S/D 1969
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung durch die Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
20.15 Uhr - Kino - TATORT REITSCHULE: Tatort-Direktübertragung (ab 19.00)

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

---

20 Minuten 3.9.10

Stilmixer Wax Tailor kocht im Dachstock

 BERN. In Frankreich ist Wax Tailor ein richtig heisser Tipp. Mit seinem angereicherten Hip-Hop füllt Produzent Jean-Christophe le Saoût dort Monate im Voraus Hallen wie das Olympia-Stadion in Paris. Nur hier kennt ihn noch kaum einer.

 JC, stell dich mal vor. Wer oder was ist Wax Tailor?

 JC: Wax Tailor ist mein Produzenten-Ich. Ein Projekt mit verschiedenen Gastmusikern, in dem ich verschiedenste Einflüsse zu dem vereine, was ich szenischen Hip-Hop nenne.

 Was für Einflüsse sind das?

 An der Basis ist es immer Hip-Hop. Darauf setzte ich dann Elemente aus Ragtime, Jazz, Soul und Funk. In meiner Musik hört man aber auch viel englischen Pop, 70er- und 80er-Jahre-Sachen, heraus.

 Nebst alldem hört man auf deinen Alben immer auch viele Gaststimmen. Nur deine fehlt.

 (Lacht) Das stimmt. Ich habe ganz früher mal gerappt. Mittlerweile weiss ich aber, dass ich das den Talentierteren überlassen soll. Ausserdem mag ich meine Stimme nicht so sehr.

 Daneben produzierst du viel mit anderen Musikern. Wer war zuletzt dran?

 Keziah Jones war einer der letzten. Mit ihm habe ich ein Remake von Nirvanas "Smells Like Teen Spirit" aufgenommen. Wir haben daraus ein grooviges Afro-Funk-Stück gebastelt.

 Wirklich? Sehr cool.

 Ja, wirklich. Kurt Cobain war halt einer meiner Helden. Du siehst, bei mir fliesst wirklich sehr unterschiedliche Musik zusammen.

Pedro Codes

 Fr, 3.9., 22 Uhr, Wax Tailor, Dachstock.

-------------------------------------------------
REITSCHULE BIETET MEHR
--------------------------------------------------

Bund 4.9.10

Leitartikel

Die Reitschule trägt dazu bei, dass sie infrage gestellt wird. Die Anti-Reitschul-Initiative muss trotzdem abgelehnt werden.

 Die Reitschule sollte erwachsen werden

Bernhard Ott

 Am 26. September stimmt die Stadt Bern zum fünften Mal innerhalb von zwanzig Jahren über das Kultur- zentrum Reitschule ab. Die vier Anti-Reitschul-Begehren waren chancenlos. Einzig den Sanierungskredit hiess das Volk vor elf Jahren nur äusserst knapp gut. Die Initiative zum Verkauf der Reitschule an den Meistbietenden wird wohl erneut deutlich abgelehnt werden. Mit dem Profilierungsbedürfnis von Rechtsaussen-Politikern allein ist die wiederholt aufflammende Fundamentalkritik aber nicht erklärbar.

 Sicherheitsfrage als Knackpunkt

 Die Ursprünge des Sonderfalls Reitschule gehen zurück auf die Jugendbewegung Anfang der 1980er-Jahre, als in Bern, Basel, Zürich und Lausanne zentrale Liegenschaften besetzt und vorübergehend als autonome Jugendzentren betrieben wurden. Bern ist die einzige unter den genannten Städten, in der das Kulturzentrum in Bahnhofsnähe nach wie vor existiert.

 Allein schon die exponierte Lage bewirkt, dass die Vorgänge in und um die Reitschule seit je mit grosser Aufmerksamkeit verfolgt werden. Bis im Jahr 2004 hatte die Reitschule auch rechtlich eine Sonderstellung. Mit dem damaligen Abschluss eines Leistungsvertrags mit der Stadt wurde der viel zitierte "rechtsfreie Raum" beseitigt. Seither erlässt die Stadt die Mieten und unterstützt die Trägerschaft der Grossen Halle mit einem Programmbeitrag. Der Gesamtwert der mehrheitlich indirekten Subventionierung beträgt an die 600 000 Franken pro Jahr.

 Im Gegenzug ist die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (Ikur) verpflichtet, ein lebendiges Kulturangebot zu ermöglichen und die Sicherheitsvereinbarungen einzuhalten. Ersteres ist der Ikur zweifellos gelungen, wie zum Beispiel der Erfolg des Tojo-Theaters zeigt. Die Bühne macht wiederholt durch aufsehenerregende Produktionen von sich reden und bedeutete für einige Berner Theaterleute das Sprungbrett zu einer internationalen Karriere.

 Die Einhaltung der Sicherheitsvereinbarung hingegen bereitet der Ikur schon etwas mehr Mühe. Die Reitschulbetreiber haben lange nicht begriffen, dass die Performance ihres Hauses im Wesentlichen an der Sicherheitsfrage gemessen wird. Gewalt und Drogenhandel auf dem Vorplatz werden nun einmal mit dem Kulturzentrum in Verbindung gebracht - ob zu Recht oder zu Unrecht, sei dahingestellt.

 Dieser Sommer war erfreulich ruhig. Die Ruhe zeigt, dass die Reitschulbetreiber sehr wohl in der Lage sind, ihren Einfluss auf die selbst ernannten "antifaschistischen" Gruppierungen geltend zu machen, die unter ihrem Dach Gastrecht geniessen. So findet der krawallverdächtige antifaschistische Abendspaziergang heuer erst Anfang Oktober statt - eine Woche nach dem Abstimmungstermin. Die Organisatoren des Spaziergangs haben gegenüber dem "Bund" eingeräumt, dass das Datum der Abstimmung eine Rolle bei der Verschiebung gespielt habe. Misst man der Sicherheit oberste Priorität bei, müsste man sich die nächste Anti-Reitschul-Initiative nachgerade herbeiwünschen.

 Miserable Kommunikation

 Es kann aber auch sein, dass die Ende 2009 getroffene Vereinbarung über die Abläufe und die Kommunikation zwischen Stadt und Reitschule greift. Die Ungewissheit über den Charakter des gegenwärtigen Friedens rührt an ein weiteres gravierendes Problem der Reitschule: das Kommunikationsproblem. Für Aussenstehende sind die Abläufe in der Reitschule eine Blackbox - der ideale Nährboden für Gerüchte.

 So war jüngst niemand in der Lage, Auskunft über die Schliessung und Besetzung der Reitschul-Cafeteria zu geben. Die Mediengruppe kommuniziert nur via Mail und geruht ihre Antworten erst mit ein- bis zweitägiger Verspätung zu geben. Ein solcher Auftritt gegen aussen ist unprofessionell und nicht dazu angetan, das Vertrauen zu fördern. Die Reitschulbetreiber sollten allmählich erwachsen werden und aufhören, sich gegen aussen als etwas Besonderes zu gebärden. Gegen innen sei ihnen die betriebene Politfolklore unbenommen. Am Tag, an dem die Reitschule zum "normalen" Kulturzentrum wird, werden auch die unsäglichen Anti-Reitschul-Initiativen der Vergangenheit angehören.

---

Bund 4.9.10

Grüne Partei sagt zweimal Nein am 26. September

(pd)

 Die Grüne Partei Bern lehnt sowohl die SVP-Initiative zum Verkauf der Reitschule als auch den 25-Millionen-Kredit für die Aussenraumgestaltung der Wankdorf City ab. Die Reitschule habe sich "zu einem weit über die Stadt Bern hinaus strahlenden Ort der politischen Diskussionen und kulturellen Aktivitäten entwickelt", schreibt die Partei. Zur Wankdorf City meint sie: "Der Bau einer am Tag sterilen und am Abend öden Bürostadt widerspricht allen zeitgemässen städtebaulichen Grundsätzen. Das reine Wachstumsprojekt verstärkt das Ungleichgewicht zwischen Wohn- und Arbeitsplätzen in Bern."

---

BZ 4.9.10

Juso Stadt Bern

 Stimmrecht auch für Ausländer

 Die Stadtberner Jungsozialisten (Juso) sagt Nein zur Reitschule-Initiative und zur Revision des Arbeitslosenversicherungsgesetzes. Dagegen befürwortet die Juso die Initiative "Zäme läbe - zäme stimme". Sie will Gemeinden ermöglichen, Ausländern das kommunale Wahl- und Stimmrecht zu geben.
 pd

--

 Grüne Partei Bern

 Nein zu

 Wankdorf CityDer Zusatzkredit für die Bürostadt Wankdorf City sticht der Grünen Partei Bern in die Nase. Sie empfiehlt deshalb, die 25 Millionen Franken abzulehnen. Ebenso ein Nein empfiehlt sie zur Reitschule-Initiative der SVP. Für die kantonale Vorlage "Zäme läbe - zäme stimme", eine Volksinitiative für das fakultative Stimmrecht für Ausländer, empfiehlt die Partei demgegenüber ein Ja.
Pd

---

Landbote 4.9.10

"Erich, warum bisch du nid ehrlich?"

 Barbara Spycher

 Am 26. September stimmt die Stadt Bern über die SVP-Initiative zur Schliessung der Reithalle ab. Mit dem Kult-Türken Müslüm, der mit seinem Reithalle-Song die Hitparade stürmt, erhielt die Gegnerschaft unerwartete Unterstützung.

 BERN - Nur die Augen erinnern bei ihm an Müslüm. Der struppige Schnauz ist weg, das rosa Jacket ist einem schwarzen gewichen, und wenn er spricht, ist sein Berndeutsch akzentfrei. Semih Yavsaner, 30, ist der Erfinder und Interpret von Müslüm, der es in wenigen Wochen zu Kultstatus brachte. Dabei war Müslüms erstes Lied "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" als Testlauf gedacht. Es erschien auf der CD gegen die Reithalle-Schliessungs-Initiative und zielt auf deren Initianten, SVP-Mann Erich Hess. Müslüms musikalischer Durchbruch war erst für Weihnachten vorgesehen.

 Müslüms Liebesbotschaft

 Doch dann kam alles anders: Müslüm, der linkische Türke mit starkem Akzent, farbigen Klamotten und grossem "Herzeli" singt sich in die Herzen der Schweizer. Über 260 000 Mal wurde der Song auf Youtube bereits angeklickt, ab Sonntag setzt er zum Sturm in der Hitparade an. Yavsaner selber wurde vom Hype überrumpelt, von den Anfragen von Journalisten und linken Parteien, die Müslüm für weitere politische Anliegen gewinnen möchten. Doch Yavsaner will nicht, dass Müslüm eine "Marionette für SVP-unfreundliche Kampagnen" wird. Müslüm soll die Leute stattdessen zu Weihnachten mit einer musikalischen Liebesbotschaft beglücken. Denn das ist Müslüms Hauptsorge: "Wo isch de Liebe gebliebe?"

 Bis zur Abstimmung am 26. September aber engagiert sich Müslüm noch mit Leib und Seele für die Reithalle. Bis dann hat Yavsaner andere kommerzielle Angebote abgelehnt, um die Glaubwürdigkeit von Müslüm nicht zu gefährden. Das alternative Kulturzentrum ist Yavsaner ein echtes Anliegen. "In unserer Gesellschaft ist vieles so gleichförmig - die Reithalle ist ein wichtiger Gegenpol."

 Gegen das Schubladendenken

 Und was antwortet Yavsaner auf Erich Hess Frage, warum er die Missstände in der Reithalle nicht sehen wolle? Yavsaner reagiert genervt: "Welche Missstände?" Müslüm hingegen antwortet gelassen: "Zersch studiere, denn schubladisiere." Wieder übernimmt Yavsaner: Wenn man Hess von "Terroristen" sprechen höre und die Reithalle nur von aussen sehe, passe sie in diese Schublade. Aber: "Schaut zweimal hin, macht euch ein eigenes Bild." Er stört sich daran, dass Erich Hess und die SVP dieses "Schubladen-Denken" bediene. Bei der Reithalle, aber auch bei Kampagnen gegen Ausländer. Das verletze die Gefühle vieler Ausländer, weiss Yavsaner. Er ist auf dem Papier selber einer, hat keinen Schweizer Pass, obwohl er in Bern aufgewachsen ist. Seine Eltern kamen als türkische Gastarbeiter in die Schweiz. "Aber hey, wir lieben dieses Land genau gleich und geben uns Mühe, etwas beizutragen."

 Müslüms nächster Beitrag wird das Weihnachtsalbum sein, der Plattenvertrag ist unterschrieben, was danach kommt, weiss Semih Yavsaner noch nicht. Im Sommer hat er seine Stelle als Moderator und Produzent bei einem Zürcher Privatradio aufgegeben. Dort waren auch Müslüms Telefonscherze zu hören. Dabei offenbart sich ein weiteres Talent Yavsaners. Als Müslüm bewirbt er sich telefonisch bei der Polizei - obwohl er vier Jahre im Gefängnis sass wegen eines Raubüberfalls. Das Beeindruckende daran: Die Angerufenen legen nicht auf, sondern steigen ein auf minutenlange, skurrile Gespräche mit diesem schrägen Vogel.

BARBARA SPYCHER

--

 "Dealer-Hort"

 Am 26. September stimmt die Stadt Bern über die SVP-Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" ab. Das alternative Berner Kulturzentrum soll an den Meistbietenden versteigert werden, weil es "ein Hort von Gewalttätern und Drogendealern" sei. Ob daraus ein Badetempel, ein Einkaufszentrum oder ein Bürogebäude entstehen soll, lassen die Initianten offen. Ausser SVP und FDP lehnen sämtliche Parteien das Anliegen ab: Die kulturellen Freiräume jenseits von Konsum und Kommerz seien wichtig für Bern. Die bürgerlichen Parteien sehen aber durchaus Verbesserungspotenzial bei den Strukturen der Reithalle: Die Stadt brauche klare Ansprechpartner.

 Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass die Initiative angenommen wird. In den vier bisherigen Abstimmungen zur Reithalle hat sich das rot-grüne Bern stets hinter das alternative Kulturzentrum gestellt. (spy)

-----------------------
HESS ERICH
-----------------------

Bund 4.9.10

Stadt Bern Für einmal stritt der Stadtrat nicht, sondern fuhr auf dem "Schulreisli" unter Führung des grünen Stadtratspräsidenten ins Tropenhaus nach Frutigen - im Autocar.

 Friedens Störfall

Markus Dütschler

 Für eine Fahrt nach Spanien wäre es zu eng, doch es geht nur nach Spiez: Die vier stämmigen Stadträte Henri-Charles Beuchat (CVP), Pascal Rub (FDP) und die zwei SVP-Mannen Manfred Blaser und Roland Jakob quetschen sich in ein Viererabteil. Als der Chauffeur auf die Beckengurten an den Sitzen hinweist, schüttelt das Quartett die Köpfe und murmelt etwas von Selbstverantwortung. In einem anderen Viererkompartiment bringt Peter Künzler (GFL) drei Kollegen das Jassen bei und rasselt am Zwischenziel Spiez den Zungenbrecher "Drpapschthetsbschteckzschpiezzschpätbschtellt" am Schnellsten herunter.

 Wer nicht wie Beat Zobrist (SP) stets per Velo ans Reiseziel fährt, sondern Auto fährt, sollte etwas wandern. Also tippeln einige Dutzend Stadtratsmitglieder bei schönstem Wetter dem Ufer des Thunersees entlang. Den Sportskanonen Ueli Jaisli (SVP) und Christine Michel (GB) genügt das nicht, weshalb sie sich in die kalten Fluten stürzen. Nach dem Apéro im Hotel Seeblick in Faulensee steigt die Legislative wieder in den Reisecar. Die schnellen Frauen Dannie Jost (FDP) und Tanja Walliser (Juso) requirieren die vordersten Sitze im Oberdeck, obwohl Besitzstandswahrer schon in Spiez ihre Jacken darauf gelegt haben. "Wir erheben Anspruch auf die Poleposition", sagen sie keck.

 In Frutigen bestaunt die Gruppe im Aquarium des Tropenhauses die Störe, die als Individuen 100 Jahre alt werden und als Spezies 200 Millionen Jahre alt sind. Der grüne Stadtratspräsident Urs Frieden hat ein ideales Ziel ausgewählt: Ein Schlemmerparadies mit Biofischen und Tropenfrüchten aus einem Treibhaus, das von der Abwärme aus dem Lötschbergtunnel geheizt wird. Die SP-Frauen um Giovanna Battagliero feiern das alle mit einem Grappa, ohne dass es einer Ordre de Mufti der ehemaligen Fraktionschefin bedurft hätte.

 Der Bus nähert sich Bern. Der Fahrer kündigt die "Landung" auf der Schützenmatte an. Erich Hess (SVP), als neuer Grossrat letztmals auf dem Stadtratsreisli dabei, erbleicht. Wegen seiner Anti-Reitschulinitiative will er lieber nicht in die Nähe der Reitschule gelangen. Erst recht, als ihm Ratskollegen ihre iPhones mit dem rappenden Müslüm vors Gesicht halten: "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" Als die SP-Frau Nicola von Greyerz ihn noch auf einen Drink einladen will, lehnt Hess dankend ab.

---

BZ 4.9.10

SVP-Politiker Erich Hess

 "Ich habe ein dickes Fell"

 Er war der wohl bekannteste Berner Stadtrat, ganz sicher aber der umstrittenste: Nach seinem Rücktritt erklärt Erich Hess (SVP), wie er Provokationen einsetzt, im Ausgang beschimpft wird und als Landei in Bern gewählt wurde.

 Erich Hess, meinen Sie alles ernst, was Sie sagen?

 Erich Hess: Als junger Politiker muss man gewisse Themen aggressiv angehen, damit man gehört wird. Ein altgestandener Politiker kann seine Meinung eher sachlich rüberbringen.

 Ist Politik für Sie also eine Show, die man für die Wähler abzieht?

 Nein, eine Show ist es nicht. Als Politiker versuche ich, die persönliche Überzeugung und den Auftrag der Wähler im Parlament durchzusetzen. Weil es in Bern schwierig ist, bürgerliche Ideen durchzubringen, trete ich im Parlament oft lautstark auf.

 In Ihrer Abschiedsrede im Stadtrat sagten Sie, Sie würden es schätzen, mit dem politischen Gegner nach der Debatte ein Bier zu trinken.

 Relativ viele Stadträtinnen und Stadträte haben sich mit mir an einen Tisch gesetzt. Dabei haben sie gemerkt, dass in mir nicht nur der böse Politiker, sondern auch ein Mensch steckt.

 Gibt es Parlamentarier, die Ihnen das Gespräch verweigern?

 Das kam immer wieder vor. Nach der letztjährigen Budgetdebatte haben einige ein halbes Jahr nicht mit mir gesprochen…

 …weil Sie die Sitzung mit unzähligen Sparanträgen bis drei Uhr nachts verzögert haben.

 Wenn die Linken im Voraus die SVP-Anträge angenommen hätten, wäre die Debatte kürzer geworden.

 Das ist Erpressung.

 Das tun die Linken auch.

 Geniessen Sie es, wenn Ihre Voten im Stadtrat Buhrufe ernten?

 Es macht mir nicht viel aus. Ich habe ein dickes Fell.

 Fallen die markigen Worte spontan?

 Manchmal hab ich was im Hinterkopf. Manchmal sind die Sprüche spontan. Ich habe noch keine Provokation bereut.

 Auch nicht, als Sie vor Jahren im Stadtrat ausländische Sozialhilfeempfänger mit Ameisen verglichen haben? Damals hat sich sogar Ihre Partei entschuldigt.

 Ich würde es heute wohl anders formulieren. Aber ich bereue die Aussage nicht. Ich habe die Ausländer nicht direkt mit Ameisen verglichen. Ich habe eine Fabel erzählt. Und Fabeln sind oft gesellschaftskritisch.

 Sie haben doch geahnt, dass diese Aussage für Empörung sorgt.

 Ich habe nicht gedacht, dass sie solche Wellen schlägt. Aber immerhin hat die Bevölkerung bemerkt, dass die SVP - oder zumindest Erich Hess - etwas dagegen hat, wenn abgewiesene Asylbewerber vergoldet werden.

 Solche Provokationen erzeugen Abwehrreflexe. Viele sind aus Prinzip dagegen, selbst wenn Hess was Schlaues sagt.

 Ich weiss bei jedem Thema haargenau, wie die Fronten verlaufen. Wenn die Bürgerlichen die Chance auf eine Mehrheit haben, argumentiere ich zurückhaltender. Wenn aber bereits alles verloren ist, drücke ich auf die Tube. Die Stadt steht weit links. Wir müssen Gegensteuer geben. Wie bei der Reitschule-Initiative. Seit dem Start der Initiative gabs keine gewalttätige Demo mehr in Bern, und die Situation auf dem Vorplatz hat sich beruhigt. Ich bin gespannt, wie es nach der Abstimmung weitergeht.

 Apropos Initiative: Sie haben noch nie gesagt, was mit dem Gebäude danach passieren soll.

 Wir lassen das offen. Das ist bei jedem Verkauf, bei jeder Vergabe so. Nehmen wir als Beispiel Wankdorf City.   Dort schreibt die Stadt auch Grundstücke aus, ohne zu wissen, was kommt…

 …mit dem Unterschied, dass die Grundstücke in Wankdorf City nicht an den Meistbietenden gehen. Als die Idee eines Islamzentrums aufkam, sagten die Behörden sofort Nein.

 Bei der Reitschule kann es für die Bürger nur besser werden. Es spielt im Prinzip keine Rolle, was danach reinkommt.

 Werden Sie auf der Strasse angepöbelt?

 Ja. Deshalb meide ich am Wochenende exponierte Stellen in der Stadt. Gerade wenn die Leute zu viel getrunken haben, wirds mühsam.

 Ihre Provokationen haben Sie zu einem bekannten Stadtrat gemacht. Doch Ihr Leistungsausweis ist dürftig.

 Das stimmt nicht. Das Referendum gegen den Entsorgungshof Nord habe ich im Alleingang zustande gebracht. Es war die erste Abstimmung seit 15 Jahren, welche die bürgerliche Seite gewonnen hat. Dadurch konnten wir fast 25 Millionen Franken Steuergelder einsparen. Die Motion zu den Netzen an den Brücken kam von mir. Seither gibts auf den Berner Brücken keine Suizide mehr. Auch haben sich diese nicht verlagert. Damit konnten wir Menschenleben retten.

 Welche Niederlage hat Sie besonders geschmerzt?

 Als Bürgerlicher steckt man in Bern zahlreiche Niederlagen ein. Ich laufe nach dem Motto: Einstecken und weitermachen.

 Sie werden oft als Marionette von SVP-Grossrat Thomas Fuchs bezeichnet. Stört Sie das?

 Ich glaube nicht, dass das noch der Fall ist. Weshalb meinen Sie?

 Sie bringen Ideen ins Parlament, für die Thomas Fuchs früher gekämpft hat. Oder während der Budgetdebatte sass Fuchs als Einziger bis drei Uhr morgens auf der Zuschauertribüne.

 Wir sind gute Freunde, seit wir uns in der SVP kennen gelernt haben. Doch ich habe das Gefühl, mich politisch von ihm emanzipiert zu haben. Es ist ein Märchen, dass er meine Vorstösse liest, bevor ich sie einreiche.

 Wie wurden Sie politisiert?

 Ich habe mich bereits in der Schule für Politik interessiert. Im Radio und in den Zeitungen lernte ich die linke Grundhaltung kennen. Ich regte mich fürchterlich darüber auf. In einer Bar im Eggiwil hat mich ein Mitglied der Jungen SVP angeworben, das war 1997 oder 1998. Als die LSVA zur Abstimmung kam, habe ich meine ersten Podiumsgespräche organisiert. Als Lastwagenchauffeur war ich ja ein Direktbetroffener.

 Waren Ihre Eltern politisch?

 Das Gegenteil war der Fall: Sie haben mich gebremst. Ich war ja noch in der Lehre und sollte mich auf den Beruf konzentrieren.

 Aufgewachsen sind Sie in Zollbrück im Emmental. Danach wohnten Sie in Jegenstorf, und noch heute arbeiten Sie in Schüpfen. Wie kamen Sie auf die Idee, Berner Stadtrat zu werden?

 Ich wurde von der Stadtpartei angefragt, ob ich aushelfen kann. Kurz vor den Wahlen hatten zwei Personen die SVP-Liste verlassen. Also verlegte ich meine Schriften kurzerhand nach Bern. Eigentlich wollte ich danach auf dem Land weiterpolitisieren. Aber es kam anders: Ich kam in den Stadtrat.

 Als Grossrat müssen Sie nicht mehr in Bern wohnen. Ziehen Sie zurück aufs Land?

 Nein, ich habe Bern ins Herz geschlossen. Hier müsste man nur noch die linke Regierung und das Parlament auswechseln.
 
Interview: Tobias Habegger  und Adrian Zurbriggen

--

Zur Person

 Vom Lückenfüller zum Leithammel

 Als von SVP-Grossrat Thomas Fuchs "importierter" Lückenfüller trat Erich Hess Ende 2004 zu den Berner Stadtratswahlen an - und verpasste nach engagiertem Strassenwahlkampf die Wahl um bloss 13 Stimmen. Im April 2005 rutschte der Lastwagenfahrer aus Jegenstorf nach. Das war der Start einer rasanten Politkarriere: Bald wurde Hess Präsident der kantonalen und der schweizerischen Jungen SVP. 2008 avancierte er zum SVP-Fraktionschef im Stadtrat, zudem präsidierte er die Planungskommission. Im März dieses Jahres wurde der mittlerweile 29-Jährige in den Grossen Rat gewählt. Letzte Woche trat er deswegen aus dem Stadtrat zurück. Trotz den vielen Ämtern arbeitet Hess noch heute zu 80 Prozent als Lastwagenfahrer - dank seiner "raschen Auffassungsgabe" könne er alles unter einen Hut bringen, erklärt Hess.
 azu

-------------------------
40 JAHRE ISC
-------------------------

BZ 4.9.10

"Rockout"

 Ein Coming-out mit 40

 Nach über 5000 Veranstaltungen an der Neubrückstrasse beginnt der ISC sein Jubiläum heute Samstag ab 17 Uhr auf dem Rathausplatz: Neben der Berner Chanteuse Lisa Catena sind Gemma Ray aus England und die Kanadierin Wendy McNeill angesagt. Eine Woche später krachen im lauschigen Ringgenpärkli die gloriosen Monofones aus Bern los, und am 18. September sind auf der Kleinen Schanze unter anderen die ärgerlichen jungen Männer von Mama Rosin mit ihrem Cajun-Sound angesagt. Das grosse Geburtstagsfinale wird am 24. und 25. September dann aber wieder in den eigenen vier Wänden begossen: Am 24. September treten die 80er-Retropopper Zoot Woman (UK) auf, und am 25. besinnt sich das ISC mit Moto Boy und Johnossi auf seine langjährige Affinität für schwedische Bands. Die Open-Air-Konzerte sind gratis.
 sam

 Programm: http://www.isc-club.ch.

--

40 Jahre ISC

 Vom Studentenkeller zum Club

 Seit 40 Jahren ist der ISC ein wichtiger Treffpunkt für die ausgehfreudige Berner Jugend. Ein schön gestaltetes Buch lässt die bewegte Geschichte des ehemals alkoholfreien Clubs für die Studentenschaft Revue passieren.

 "Sollte es noch einmal vorkommen, dass ein Kassenmitarbeiter oder DJ seinen Dienst wegen übermässigen Alkoholgenusses nicht ordentlich zu Ende führen kann, sähen wir uns gezwungen, den Betreffenden aus dem Mitarbeiterstab zu entlassen", ermahnte der Vorstand des Internationalen Studenten-Clubs (ISC) vor 30 Jahren seine Freiwilligenschar. Und rationierte das Bierkontingent pro Abend prompt auf zehn Flaschen.

 Der ISC, 10 Jahre früher vom "Auslandamt" initiierter Treffpunkt für die internationale Studentenschaft in Bern, steckte da gerade in einer Krise. Die Mitgliederzahl der nüchtern, aber effizient eingerichteten Gebäulichkeit auf dem Areal des alten Tierspitals war abgesackt. Der Studentenkeller suchte in den bewegten Achtzigern nach einer neuen Identität. Mit dem Status als Wochenenddisco und dem Etikett des "Intrigen- und Sexclubs", wie ein paar Insider spöttelten, war es nicht mehr gemacht. Mit der Öffnung weg vom "Huis clos" der dem lustigen Studentenleben frönenden Akademikerschaft hin zu mehr Rock 'n' Roll und Strassenstaub kam der Erfolg zurück.

 Und dann kam der Alkohol

 Jetzt feiert der ISC mit einem Buch und einem Jubiläumsprogramm seinen 40. Geburtstag. Das von der Kreationsagentur Efentwell zielgruppengerecht gestaltete und von BZ-Redaktorin Anna Tschannen träf getextete Buch segelt unter dem Titel "4 Decades of Rock 'n' Roll".

 Wobei bei der Lektüre klar wird: So richtig gerockt wurde im ISC erst nach baulichen, personellen und stilistischen Änderungen. Anstelle des alkoholfreien Getränkeautomaten wurde eine Bar installiert, die den besorgten Vorstand von 1980 mit ihrem Angebot an Drinks wohl zur Verzweiflung getrieben hätte.

 1995 feierte der einstige Studentenkeller dann sein "Going public": Auch Nichtmitglieder erhielten nun unkompliziert Zugang zu den Partys und den Konzerten, die bald auch national und über die Landesgrenzen hinaus ausstrahlten. Vorbei die Zeiten, als Nichtstudentinnen nach dreimaligem Besuch Mitglied des ISC werden konnten, während die Mitgliedschaft für Männer auf Immatrikulierte der Uni Bern, der ETH und der HWV beschränkt war. Statt einer Freizeituni war der ISC nun definitiv eine "Rock 'n' Roll Highschool", und einer der Rektoren des besagten Schulkörpers, Punklegende Dee Dee Ramone, beehrte das ISC mit einem richtig lauten Antrittskonzert.

 Seither ist der ISC ein Szeneclub für Nachtvögel und ein Ort, wo Musikinteressierte im kleinsten Rahmen Entdeckungen machen können, von denen sie vielleicht noch ihren Enkelkindern berichten werden.

 Splitternackter Auftritt

 So dokumentiert das Buch Auftritte von aktuellen und verblichenen Grössen wie den Stone Temple Pilots, Calexico oder Mando Diao - lokale Helden von Aziz bis Züri West gehören im ISC quasi zu den "Singing Waiters". Nicht immer sind die Konzerte so intim wie bei Beat "Beatman" Zeller, dessen splitternackter Auftritt im ISC-Buch bildlich festgehalten ist. Aber näher als im wohnzimmergrossen ISC kommt man seinen Helden nirgends.

 Samuel Mumenthaler

--------------------------
WEGGESPERRT
--------------------------

BZ 4.9.10

Administrativ Versorgte

 "Wir wurden weggesperrt"

 Bis vor 30 Jahren wurden Jugendliche, die nicht spurten, wie Straftäter weggesperrt - zum Beispiel ins Frauengefängnis Hindelbank. Dort findet in einer Woche ein Akt der "moralischen Wiedergutmachung" statt.

 "Administrativ versorgt" nannte man, was Vormundschaftsbehörden zwischen 1942 und 1981 mit aufmüpfigen Jugendlichen machten. Ohne Gerichtsurteil und meist auch ohne Anhörung wurden sie kurzerhand in eine Anstalt gesperrt - in eine "Erziehungsanstalt". In Tat und Wahrheit waren es aber Strafanstalten, in denen die Jugendlichen auf den rechten Weg gebracht werden sollten. So lebten weibliche Teenager zusammen mit Mörderinnen, Diebinnen und Brandstifterinnen in der Frauenstrafanstalt Hindelbank, ohne sich selber einer Straftat schuldig gemacht zu haben. "Liederlicher Lebenswandel", "Vaganterei" oder "Arbeitsscheu" genügten als Einweisungsgrund.

 Weil sie schwanger wurde

 Ursula Biondi beispielsweise landete in Hindelbank, nachdem sie mit 17 Jahren schwanger geworden war. Ein uneheliches Kind zu bekommen, galt als Liederlichkeit, die eine Einweisung rechtfertigte. Ursula Biondi lebte in einem andern Zellentrakt als die Strafgefangenen, und ihre Kleider waren nicht blau, sondern braun. Aber im Umgang gab es keine Unterschiede zwischen administrativ Versorgten und Straftäterinnen. Wobei: Einen wichtigen Unterschied erwähnt Ursula Biondi doch noch: "Die Eltern mussten für die angebliche Erziehung Tausende von Schweizer Franken bezahlen, während der Staat für die Strafgefangenen aufkam." Dass die Tochter in einer Strafanstalt lebte, wurde gegenüber den in Zürich wohnhaften Eltern nie erwähnt.

 Bis ins Jahr 1981

 Seit 1981 gibt es die Methode der administrativen Versorgung in der Schweiz nicht mehr. Sie sei unter dem Druck der Europäischen Menschenrechtskonvention abgeschafft worden, schreibt der "Beobachter" in seiner neusten Ausgabe. Dieser Tage erscheint auch ein Buch von "Beobachter"-Redaktor Dominique Strebel, der dieses dunkle Kapitel der Schweizer Geschichte aufgearbeitet hat.

 Zeit für Rehabilitation

 Und am kommenden Freitag kommt es zu einer Rehabilitation von Tausenden unschuldig Weggesperrter: In den Strafanstalten Hindelbank findet ein Gedenkanlass statt. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf wird auftreten. Ob sie sich im Namen der Schweiz entschuldigen wird für das Unrecht, das den administrativ Versorgten geschah, will das Justizdepartement nicht verraten. Aber Hans-Jürg Käser wird es im Namen des Kantons Bern tun. Der Polizeidirektor sagt: "Ich finde, es ist angemessen, dass man das Unrecht anerkennt, obwohl man zu jener Zeit von der Methode überzeugt gewesen ist."

 Der Verdacht muss weg

 Mit dem Treffen in Hindelbank kommt Ursula Biondi ihrem Ziel einen wichtigen Schritt näher. Sie hat eine "Anlaufstelle für administrativ versorgte Frauen und Männer 1942-1981" gegründet. Seit zehn Jahren kämpft sie dafür, dass "die Behörden hinstehen und sagen, dass es falsch gewesen sei, Menschen auf diese Art wegzusperren". Erst vor gut zwei Jahren fand sie im "Beobachter" öffentlich Gehör. Vom Anlass in Hindelbank erwartet Ursula Biondi nun eine "moralische Wiedergutmachung".

 Die moralische Integrität der ehemaligen administrativ Versorgten müsse wiederhergestellt werden, sagt sie und fügt an: "Wir wurden für eine Lebensweise weggesperrt, die heute längst zur Freiheit jedes Bürgers gehört." Deshalb müsse sich die Politik nun etwas einfallen lassen, "um uns in Zukunft vor übler Nachrede zu schützen". Die administrativ Versorgten wollen nicht länger unter dem Fluch "Häftling" leiden. Denn dadurch, dass Erziehungsanstalt und Strafanstalt im gleichen Gebäude untergebracht waren und wie im Fall von Hindelbank nach wie vor den gleichen Namen tragen, komme sie nicht los vom Verdacht, eine Straftat begangen zu haben.

 Ruf nach einem Fonds

 Die Forderung nach finanzieller Wiedergutmachung stellen die einst administrativ Versorgten nicht. "Wir überlassen es den Politikern, das Kapitel weiter aufzuarbeiten", sagt Ursula Biondi.

 Im Kanton Bern tut sich bereits etwas: Grossrätin Christine Häsler (Grüne, Burglauenen) hat Anfang Woche ein Postulat eingereicht. Sie bittet den Regierungsrat, eine offizielle Entschuldigung an die Betroffenen von administrativen Zwangsmassnahmen zu richten. Zudem hofft sie auf die Einrichtung eines Fonds, "der Betroffenen in Notlage bei der Bewältigung ihrer Vergangenheit und ihres belasteten Lebens Hilfe bieten" könnte.

 Susanne Graf

-------------------------
ALKVERBOT
-------------------------

20min.ch 4.9.10

Promillegrenzen: Nach dem Rauch- das Alkoholverbot?

 Chur verhängte als erste Schweizer Stadt ein nächtliches Alkoholverbot. Ziehen nun Zürich, Zug und Luzern nach?

Annette Hirschberg

 Parks, Schulhaustreppen, Friedhöfe, Badeanlagen oder Seeufer sind im Sommer Treffpunkte für Saufgelage. Lärm, Gewalt und Sachbeschädigung sind die Folge. Nun sollen Alkoholverbote auf öffentlichen Plätzen dem Treiben ein Ende setzen.

 Der Schweizer Städteverband hat sich dieses Jahr mit 30 von 35 Stimmen dafür entschieden, vom Bund Rechtsgrundlagen für solche Verbote zu fordern. Gegenüber der "NZZ" sagte Martin Tschirren vom Städteverband, rund die Hälfte der Städte habe solche Verbote bereits selbst ins Auge gefasst.

 Churer Weg hat Vorbildfunktion

 Chur hat so ein Verbot bereits umgesetzt: Seit Sommer 2008 gilt zwischen 0.30 und 7.00 Uhr morgens ein generelles Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Seit der Einführung wurden rund 100 Bussen verteilt. "Wir büssen massvoll unser Ziel ist nicht das Pärchen, dass auf der Bank ein Glas Champagner geniesst, sondern die Gruppe, die lärmend in der Öffentlichkeit trinkt", sagt Polizeikommandat Ueli Caluori.

 Das nächtliche Trinkverbot scheint ein Erfolg zu sein. In Chur hat sich die Situation auf öffentlichen Plätzen seit der Einführung des Verbots laut Polizeikommandant Caluori verbessert. "Die positiven Erfahrungen von Chur haben uns dazu bewogen, diese Massnahmen ebenfalls zu prüfen", sagte darum der Luzerner Sicherheitsmanager Maurice Illi.

 Null-Promille-Zonen in Zürich

 Im neuen Sicherheitsbericht der Stadt Luzern werden denn auch Alkoholverbote im öffentlichen Raum als mögliche Massnahmen zur Verbesserung erwähnt. Doch nicht nur Luzern will dem Vorbild Chur folgen. In Thun fordert eine Petition die Einführung eines nächtlichen Alkoholverbots. Zug hat dies bereits am See auf dem Gebiet der Badi Seeliken umgesetzt. Das Konzept habe sich bewährt.

 In der Stadt Zürich wird derzeit eine Polizeiverordnung erarbeitet, die ebenfalls lokale und zeitliche Alkoholverbote erlauben soll. In erster Linie geht es dabei um null Promille während Hochrisiko-Spielen der Superleague. Alkoholverbote liessen sich aber auch für andere Anlässe oder Bereiche aussprechen. Das Thema ist unter den Zürcher Politikern heiss umstritten und eine Rückweisung der neuen Verordnung wurde im Januar dieses Jahres nur knapp abgelehnt.

 Kleine Gemeinden machen kurzen Prozess

 Weniger zimperlich geht man in vielen kleinen Gemeinden mit öffentlichen Trinkgelagen um. So hat Weinfelden TG vor kurzem ein generelles Alkoholverbot für seinen Marktplatz im Zentrum erlassen. Die Verbotsschilder wurden letzte Woche montiert. Hintergrund des Verbots sind Alkoholiker und Randständige, die sich zum Trinken dort versammelten. Nun dürfen nicht nur sie auf dem Marktplatz keine Promille mehr bechern - es ist für alle verboten.

 Beliebt sind solche Erlasse auch in den Gemeinden am Zürichsee: Uetikon, Männedorf und Oberrieden haben Areale rund um Schulhäuser, Friedhöfe und Kirchen zu alkoholfreien Zonen erklärt. In Oberrieden wurde zudem der Aufenthalt in diesen Gebieten zwischen 22 und 7 Uhr vollständig untersagt. Noch strenger ist da Männedorf: Dort dürfen Jugendliche unter 18 Jahren nur in Begleitung Erwachsener den Friedhof betreten und müssen ab Dämmerungseinbruch den Schulhausplätzen fern bleiben.

 "Bald gibt es flächendeckende Alkoholkonsumationsverbote"

 Bis jetzt sind die Alkoholverbote noch Einzelfälle. Doch sie lassen aufhorchen. Gilt nach dem flächendeckenden Rauchverbot in der Schweiz bald auch ein Konsumationsverbot von Alkohol auf öffentlichen Plätzen?

 Für den Basler Soziologie-Professor Ueli Mäder ist die Antwort darauf klar: "Ja, es wird bald ein flächendeckendes Alkohol-Konsumationsverbot in der Öffentlichkeit geben." Für ihn ist das zwiespältig, denn beides nervt ihn. "Der Alkohol betäubt die Gesellschaft und Verbote unterlaufen die Selbstverantwortung. Aber wenn wir in Europa einen Viertel weniger Alkohol konsumieren, liessen sich damit in der ganzen Welt die Grundbedürfnisse befriedigen."

---

Blick am Abend 3.9.10

Städte wollen Alk-Verbote

 VERBOT

 Schweizer Städte wollen alkoholfreie Zonen in der Nacht einführen - für alle.

 fabienne.riklin@ringier.ch

 Den Schweizer Städten reichts: Wird in Parks und auf Strassen getrunken, kommt es oft zu Sachbeschädigungen und Pöbeleien. Ein Alkoholverbot zwischen 0.30 und 7 Uhr auf öff entlichen Plätzen, soll diesen Missständen entgegenwirken. Wie die "NZZ" berichtet, haben sich in einer Umfrage des Städteverbands 30 von 35 Städten für eine neue Rechtsgrundlage ausgesprochen. "Dieses Resultat zeigt, dass die Städte eine rechtliche Grundlage für ein zeitlich und örtlich begrenztes Alkoholverbot im öffentlichen Raum wollen", sagt Martin Tschirren, Vizedirektor des Städteverbands, zu Blick am Abend.

 Ist es angebracht das Verhalten aller Bürger, also nicht nur das der Jugendlichen, so stark zu reglementieren? "Es geht nicht um eine Verbotskultur. Wir wollen den Städten einen Gestaltungsspielraum in Problemsituationen geben", sagt Tschirren. Er weist aber darauf hin, dass die Polizei das Verbot nur massvoll anwenden soll.

 Dies klappt nicht immer: Chur hat seit 2008 ein Alkoholverbot in der Nacht. "Die Saufgelage von Jugendlichen sind weniger geworden", sagt Ueli Caluori von der Churer Polizei der "Luzerner Zeitung".

 Junge Churer aber haben gegen die "Verbotskultur und Bevormundung" den Verein "Nachtleba Chur" gegründet. Denn Präsident Remo Cecurtins weiss von Personen, die vor einem Lokal wegen eines Bierbechers gebüsst worden seinen.

 Luzern und Zürich prüfen derzeit ein nächtliches Alkoholverbot. Sogar der gesamte öffentliche Raum könnte zur alkoholfreien Zone erklärt werden. Das sehen die beiden neuen Polizeigesetze vor. Ob Städte wie Basel und Bern nachziehen, ist noch offen.

--

 "Saufgelage sind weniger geworden."

 NACHGEFRAGT

 Monique Helfer (42) Sprecherin Sucht-Info Schweiz

 "Problem wird unkontrollierbar"

 Ist ein Verbot die Richtige Lösung gegen Saufgelage, Pöbeleien und Vandalismus?

 Wenn eine Stadt zum Ziel hat, Ruhe und Ordnung zu schaffen, mag dies helfen. Wollen die Sozialdepartemente etwas gegen das Rauschtrinken bei Jugendlichen unternehmen, kommt man damit nicht weit.

 Was braucht es dann?

 Ein ganzes Paket an Massnahmen: die Alkoholabgabe stärker kontrollieren, über die gesundheitlichen Folgen informieren oder Streetworker einsetzen.

 Was würde ein Verbot noch mit sich bringen?

 Verbote im öffentlichen Raum könnten den Konsum in private Räume verlagern, wo die soziale Kontrolle noch geringer ist.

 Wo hört persönliche Freiheit zugunsten der Gesellschaft auf?

 Das Zusammenleben in einer Gesellschaft braucht Regeln. Wie weit diese im Fall des Alkoholkonsums in der Öffentlichkeit gehen sollen, darüber herrscht noch lange kein einheitlicher Konsens. fr

--

 Kurz gefragt

 Öffentliches Trinken verbieten?

 Alice Corradi (19) Kauffrau aus Zürich

 Da würde sich doch sowieso niemand dran halten, oder die Leute würden heimlich trinken. So ein Gesetz macht überhaupt keinen Sinn.

 Flavio Cavaleri (40) Angestellter aus Basel

 Abfall auf öffentlichen Plätzen ist das grössere Problem. Das sollte angepackt werden. Ich bin gegen ein Verbot von Alkoholkonsum.

 Laetitia Huonder (48) Mutter aus Zürich

 Es würde schon Sinn machen, wenn man es umsetzen könnte. Aber der Polizeiaufwand wäre einfach zu gross.

 Rolando Ferrari (45) Händler aus Basel

 So viele Besoffene wie in den letzten Jahren auf öffentlichen Plätzen habe ich früher nie gesehen. Her mit dem Verbot!

 Laura Dela Pena (45) Hausfrau aus Basel

 Ich bin für ein Teil-Verbot. Nach Mitternacht soll nur trinken dürfen, wer seine Volljährigkeit ausweisen kann.

---

NZZ 3.9.10

Städte als alkoholfreie Zonen

 Verbote im öffentlichen Raum

 dsc. · Im jüngsten Sicherheitsbericht der Stadt Luzern werden Verbote des Alkoholkonsums im öffentlichen Raum als mögliche neue Massnahmen genannt. Zahlreiche andere Städte haben sich für eine Gesetzgebung auf Bundesebene ausgesprochen, welche die Möglichkeit von räumlich und zeitlich limitierten Verboten vorsieht. Der Städteverband erachtet diese als geeignete Instrumente, damit die Polizei bei problematischen Situationen präventiv eingreifen kann. In Chur ist der Alkoholkonsum seit 2008 nach Mitternacht verboten. Die Polizei verhängte seitdem 200 Bussen. Trotz dem bisweilen toleranten Vorgehen der Polizei gibt es Kritiker. Suchtexperten sind ebenfalls skeptisch.

 Schweiz, Seite 13

 Meinung & Debatte, Seite 23

--

Verführerische Verbote des Alkoholkonsums

 Churer Alkoholverbot findet Nachahmer - Bund widersteht Wunsch der Städte nach einer nationalen Gesetzgebung

 Im neuen Luzerner Sicherheitsbericht wird ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum als Option erwähnt. Der Städteverband äusserte sich für eine solche Klausel im neuen Alkoholgesetz, doch der Bund winkt ab.

 Davide Scruzzi

 Wenn auf Plätzen und Strassen zu viel Alkohol getrunken wird, ist das kein schöner Anblick, oft kommt es zu Sachbeschädigungen oder Prügeleien. Es stellt sich die Frage: Wo endet die persönliche Freiheit des Bürgers im öffentlichen Raum, inwieweit darf der Staat präventiv eingreifen? Als das Bundesamt für Gesundheit 2007 über ein Alkoholverkaufsverbot für die späteren Abendstunden nachdachte, löste dies landesweit scharfe Kritik aus. Seit einiger Zeit braut sich aber eine neue Wolke von Verboten zusammen - über den Städten. Im diese Woche präsentierten Sicherheitsbericht der Stadt Luzern werden als eine von vielen möglichen Verbesserungsmassnahmen Alkoholverbote im öffentlichen Raum erwähnt. Bei einer Umfrage des Städteverbands votierten im letzten Jahr unter 35 teilnehmenden Orten 30 für neue Rechtsgrundlagen. Rund die Hälfte jener Städte hätten solche Verbote bereits selber "ins Auge gefasst", sagt Martin Tschirren, Vizedirektor des Städteverbands. Im Gespräch zeigt Tschirren ein Verbotsschild, das er in den Ferien in Belfast selbst fotografiert hat: ein durchgestrichenes Bierglas mit der Aufschrift "Alcohol Free Area".

 Neues Alkoholgesetz

 Der Städteverband verlangte, bei der Revision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung eine bundesgesetzliche Grundlage für zeitlich und örtlich limitierte Alkoholverbote im öffentlichen Raum vorzusehen. Im Entwurf für das neue Alkoholgesetz, den der Bund in die Vernehmlassung gegeben hat, ist ein entsprechender Gesetzesartikel nicht aufgeführt, im erläuternden Bericht aber schon. Der Bund betont jedenfalls, dass in seinen Kompetenzbereich die Regulierung des Alkoholhandels, nicht aber jene des -konsums falle. Letztere wäre also Sache von Kantonen und Gemeinden. Die Stellungnahme des Städteverbands zur Vernehmlassung ist in Erarbeitung. Gemäss Tschirren reicht jedenfalls die polizeiliche Generalklausel vom Einschreiten, wenn Ruhe und Ordnung verletzt würden, beim Alkoholkonsum in vielen Fällen nicht aus. Eigentliche Gründe für das Einschreiten ergäben sich meist erst "zu spät", als Resultat des Alkoholkonsums.

 Ist es aber angebracht, in solcher Art und Weise das Verhalten aller Bürger im öffentlichen Raum zu reglementieren? - "Ja, denn durch übermässigen Alkoholkonsum entstehen oft Schäden und Kosten, welche die Allgemeinheit tragen muss", sagt Martin Tschirren. Er verweist darauf, dass es darum gehe, der Polizei ein Instrument für Problemsituationen zur Verfügung zu stellen, das dann freilich nur massvoll angewendet werden soll.

 In Chur seit 2008

 Ein solcher Weg wird in Chur verfolgt, wo bereits seit 2008 ein Konsumverbot nach Mitternacht gilt. In den letzten zwei Jahren sprach die Polizei rund 200 Bussen in Höhe von 50 Franken aus. Oft würden aber Nachtschwärmer auch nur verwarnt, insbesondere wenn es sich um Personen mit unproblematischem Verhalten handle, wie der Churer Polizeikommandant Ueli Caluori erklärt. Man konzentriere die Kontrollen etwa auf die Altstadt oder die Zone um den Bahnhof. Hie und da werde aus der Bevölkerung auch eine schärfere Anwendung des Gesetzes gefordert, das durch einen Volksentscheid eingeführt wurde. Die verhältnismässige Umsetzung sei der Stadtpolizei gelungen, sagt Caluori. Er wehrt sich dagegen, dass man die Polizeiaktivitäten nur auf jene repressive Massnahme reduziert, und verweist auf umfassende Anstrengungen bei der Alkoholprävention.

 Gegen die nun in der Bündner Kantonshauptstadt angeblich herrschende "Verbotskultur" und "Bevormundung" ist indes 2009 von jungen Leuten der Verein "Nachtleba Chur" gegründet worden. Auf Facebook zählt man über 1700 Sympathisanten. Präsident Remo Decurtins weiss von Personen, die unmittelbar vor einem Lokal wegen eines Bierbechers gebüsst worden seien.

 In der Stadt Zug sind die Behörden mit einem punktuellen Alkoholkonsumverbot indes ebenfalls zufrieden. Nicht überall ertönt aber die Forderung nach Verboten. Jean-Claude Hess, Leiter des Berner Polizei-Inspektorats, findet die Einhaltung der bestehenden Verbote des Verkaufs an Minderjährige wichtiger. Gute Erfahrungen habe man mit dem Projekt "Pinto" gemacht, bei dem auffällige Alkoholkonsumenten von Suchtberatern angesprochen würden. Bei grösseren Schwierigkeiten könne die Polizei freilich Personen von einem öffentlichen Platz wegweisen, erklärt Hess. Auch Monique Helfer von der Organisation "Sucht-Info Schweiz" verweist auf solche Präventionsmassnahmen. Verbote im öffentlichen Raum könnten den Konsum in private Räume verlagern, wo die soziale Kontrolle noch geringer sei, sagt Helfer.

 Meinung & Debatte, Seite 23

--

"Sichbetrinken verboten!"

 Trinkgelage sind ein Ärgernis, Kampfhunde eine Bedrohung, Zigaretten gesundheitsschädigend. Mit immer neuen Verboten aber wächst die Unfreiheit.

Von Markus Spillmann

 In der Schweiz wird reguliert, normiert und verboten - rascher denn je und zunehmend detailliert. Von der Farbe der Sonnenschirme über die Anzahl Blumentöpfe im Strassencafé bis zum Public Viewing im Schrebergarten, von neuen bunten Klebern für die schlimmsten Dreckschleudern des Individualverkehrs über Hundeverbote bis zum Tankstellenshopping - es wird von Amtes wegen interveniert, reglementiert und immer öfter verboten. Bisweilen ist der Bürger auch zur Mitsprache aufgerufen - und er verbannt einsichtig nickend gleich selbst das gesundheitsschädigende Paffen aus Restaurants, Büros und öffentlichen Räumen. Auch den Trinkgelagen im öffentlichen Raum wird auf diese Weise ein Riegel geschoben: In Chur, in Zug, in Uster und wohl auch bald in Luzern sind sie verboten, genauso wie schweizweit der (lausig kontrollierte) Alkoholverkauf an Jugendliche unter 16 Jahren, übermässiges Lärmen, Vandalismus und unsittliches Verhalten.

 Was stört, muss weg

 Kein Zweifel: Eine Gesellschaft benötigt Regeln des Zusammenlebens. Es ist eine Binsenwahrheit, dass namentlich die Freiheit des Einzelnen dort ihre Grenzen findet, wo sie die des anderen unbotmässig einschränkt. Das gilt angesichts der Kleinräumigkeit und Topografie der Schweiz wohl hierzulande noch mehr als in Ländern, in denen der Umgang untereinander allein schon wegen der Bevölkerungsdichte mit etwas mehr Grosszügigkeit und Pragmatismus geregelt werden kann.

 Niemand watet - wie etwa an Zürichs Seepromenade nach einem Schönwettertag - gerne durch Abfallberge. Keinen vernünftigen Geist entzücken die Saufgelage, die von neuralgischen Orten urbaner Zentren inzwischen längst auch auf die Agglomerationen, ja gar bis auf Alpweiden ausgreifen. Und es muss wirklich nicht ein bürgerlicher Biedermann sein, wer aggressiven Hooliganismus, wie er längst auch ausserhalb von Sportstätten stattfindet, als Belastung und Bedrohung empfindet.

 Und dennoch: Wir hegen Zweifel, dass immer neue Verbote auch immer lebenswertere Zustände bedeuten. Statt einer Verbotskultur, wie sie sich in diesem Land in Anlehnung an schlechte europäische Vorbilder auch dank einer umtriebigen Verwaltung einschleicht, wäre eine zurückhaltende und im Kern tolerante Politik des Grenzensetzens zielführender. Will heissen: Wenn einfach kumulativ bei jedem neuen Problem (oder besser seiner Nichtbewältigung durch ein bereits bestehendes Regelwerk) neue Normen gesetzt werden, dann führt dies über kurz oder lang zu einem Ausgreifen auf immer mehr Lebensbereiche. Die Devise, alles zu verbieten, was stört, führt zu einem Zustand, bei dem der Einzelne entmündigt und das Kollektiv schleichend jeglicher Verantwortung beraubt wird.

 Zwingend ist daher, über Sinn und Wirkung einzelner Massnahmen mit Blick auf das anzustrebende Ziel zu diskutieren - und vor allem zwischen reinem Ärgernis und effektiver Bedrohung des Gemeinwohls scharf zu unterscheiden. Individuelle Betroffenheit, so nachvollziehbar diese auch immer sein mag, ist ein ganz schlechter Ratgeber.

 Der Staat als Anstandswauwau

 Das gilt besonders im Umgang mit Jugendlichen, denen das Ausbrechen aus der Erwachsenenwelt angesichts der generationsübergreifenden Lebens- und Freizeitgestaltung heute schwerer gemacht wird als je zuvor. Zumal sich die Eltern in mannigfaltiger Weise oft keinen Deut besser verhalten, sondern höchstens etwas weniger provokativ.

 So werden weitere Verbote den exzessiven Alkoholkonsum im öffentlichen Raum durch eine Minderheit unter den Jugendlichen nicht zum Verschwinden bringen, sondern höchstens an andere Orte verlagern. Der Staat, in diesem Fall eine notorisch unterdotierte Polizei, mutiert zum Anstandswauwau, während sich die Erziehungsberechtigten quasi per Steuerzettel ihrer Erziehungsverantwortung entledigen können.

 Verbote schaffen aber auch neue Ungerechtigkeiten und Anspruchshaltungen; was heute dort nicht mehr toleriert wird, soll gefälligst morgen auch hier nicht mehr erlaubt sein. Der Raum, in dem wir uns noch ohne Normverletzung bewegen können, wird enger und enger. Vordergründig schafft das ein Gefühl von Sicherheit und Ordnung. In Wahrheit befördert es Rücksichtslosigkeit und Ignoranz.

 Das alles liesse sich ja erdulden, bliebe es bei den wirklich schwerwiegenden Grenzverletzungen. Das Gegenteil aber macht Schule in diesem Land: Man regelt Gravierendes und verliert das Augenmass für Banalitäten. Pech für den, der in Chur zu nächtlicher Stunde noch mit einem Bier erwischt wird. Die Burschen und Mädchen mit dem billigen Wodka sind längst von dannen gezogen. Das erinnert doch sehr stark an jenes Schild aus frühen Jugendjahren, das auf dem sattgrünen Fussballrasen "Betreten verboten!" geltend machte. Gekickt wurde trotzdem - einfach anderswo.

---

NLZ 3.9.10

Öffentlicher Raum

 Alkoholverbot hat keine Chance

Von Barbara Inglin

 Ein generelles Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen sei unverhältnismässig, sagt eine Mehrheit der Parteivertreter. Die Linken wollen eher auf Prävention setzen.

 Soll der Konsum von Alkohol auf öffentlichen Plätzen verboten werden - wie dies im aktuellen Sicherheitsbericht der Stadt Luzern vorgeschlagen wird? (Ausgabe von gestern) Bei den Parteien gehen die Meinungen auseinander.

 Skeptisch bis klar dagegen sind SP, Grüne und GLP. "Für eine weltoffene Touristenstadt wie Luzern ist eine solche Massnahme schlicht unverhältnismässig und sicher nicht praktikabel", sagt SP-Fraktionschef Dominik Durrer. Edith Lanfranconi, Fraktionschefin der Grünen: "Es braucht keine weiteren Einschränkungen im öffentlichen Raum, sondern Rahmenbedingungen, die möglichen negativen Folgen von Alkoholkonsum entgegenwirken." Sie verweist auf das Inseli, wo mit der Buvette Bar gute Erfahrungen gemacht worden seien - und auf eine Podiumsdiskussion des Jugendparlamentes, an der am kommenden Montag Vertreter der Jungparteien Lösungen für die Ufschötti diskutieren

 Manuela Jost, Fraktionschefin der Grünliberalen:"Wenn es um die Verhinderung von Jugendgewalt und den massiven Konsum von Alkohol durch Jugendliche geht, muss früher angesetzt werden, nicht erst beim Konsum."

 Punktuell denkbar

 Alle drei betonen die Wichtigkeit von Präventionsmassnahmen sowie der Präsenz von Polizei, Securitas und der SIP an neuralgischen Punkten. Lanfranconi sieht Handlungsbedarf beim Alkoholverkauf an Jugendliche: "Alterslimiten müssen eingehalten werden."

 Bei den bürgerlichen Parteien hingegen bringt man dem Vorschlag durchaus Sympathien entgegen, allerdings mit Vorbehalt. "Als gestandener Familienvater sind mir die Saufgelage von Jugendlichen, etwa an der Reuss oder am See, ein Dorn im Auge", sagt CVP-Fraktionschef Markus Mächler. "Vor einer Einführung eines Alkoholverbotes müssten aber die genauen Auswirkungen geprüft werden."

 Mit "Ja, aber" argumentiert auch SVP-Fraktionschef Werner Schmid: "Allenfalls könnten punktuelle Alkoholverbote, zum Beispiel vor dem KKL, Sinn machen", sagt er. Aber: "Wir sind grundsätzlich gegen neue Verbote und Gesetze." Er appelliert an die Eigenverantwortung jedes Einzelnen und spricht sich klar gegen ein flächendeckendes Verbot aus. "Sonst kann man am Ende nicht mehr auf der Kapellbrücke aufs Neue Jahr anstossen."

 Auch Daniel Wettstein, FDP-Grossstadtrat, findet ein generelles Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen "unverhältnismässig", begrenzte Einschränkungen auf definierten Plätzen seien aber vorstellbar. "Speziell Jugendlichen gegenüber haben wir die Pflicht, genau hinzuschauen und Missbräuche einzudämmen."

 Ein flächendeckendes Alkoholverbot kann sich einzig Kim Strebel, Präsidentin der JCVP, vorstellen. "Persönlich würde ich es begrüssen, wenn das Trinken auf offener Strasse nach Mitternacht verboten wird." Die JCVP hatte bereits im April ein Alkoholverbot für die Ufschötti gefordert. Strebel: "Alkohol steigert Aggressionen. Ein Verbot wäre ein Schritt zu mehr Sicherheit."

 Nicht noch mehr Repression

 Komplett anderer Meinung ist Juso-Sprecher und Grossstadtrat David Roth: "Pöbeleien, Tätlichkeiten und Trunkenheit in der Öffentlichkeit können bereits heute gebüsst werden. Es geht nicht an, dass Verwaltung und Stadtrat ständig neue Repressionsinstrumente verlangen, nur weil sie unfähig sind, die bereits bestehenden Instrumente sinnvoll einzusetzen."

 barbara.inglin@neue-lz.ch

---

10vor10 2.9.10

Alkoholverbot in Schweizer Städten

Einige Schweizer Städte sympathisieren mit einem Alkoholverbot auf öffentlichen Plätzen. Damit sollen Vandalismus und Lärm verhindert werden. Kritiker sagen, das Verbot gehe zu weit.
http://videoportal.sf.tv/video?id=3aae4317-5901-4a7e-af3e-46db9f30bbea

----------------
DROGEN
----------------

Bund 4.9.10

Drogenklinik geht auf Distanz zu Hausarzt

 Die Leitung der Drogenklinik Marchstei in Kehrsatz distanziert sich von ihrem Hausarzt Daniel Beutler. Zudem firmiert Beutler nicht mehr als ärztlicher Leiter der Klinik. Grund für diese Massnahmen ist ein Artikel, den Beutler im Bulletin der abstinenzorientierten Vereinigung "Eltern gegen Drogen" verfasst hatte. Darin kritisierte der Mediziner die "fragwürdigen Folgen des revidierten Betäubungsmittelgesetzes", weil dieses den Süchtigen den Zugang zur staatlichen Drogenabgabe erleichtere. Zur Illustration seiner Thesen zitierte Beutler zwei anonymisierte Fälle aus der Klinik. Die Fälle seien "plakativ geschildert" und ungenügend recherchiert, sagt Klinikleiter Stefan Weigelt. Beutler habe jedoch lediglich seine private Meinung vertreten und bleibe Hausarzt der Klinik, sagt Weigelt. (bob/mzi) - Seite 23

--

Artikel von Drogenarzt sorgt für Aufregung - Klinik distanziert sich

 Der Hausarzt der Drogenklinik Marchstei in Kehrsatz kritisiert in einem Bulletin die "liberale" Drogenpolitik. Die Klinik entzieht ihm das Mandat als ärztlicher Leiter.
 
Martin Zimmermann

 In der Mai-Ausgabe des Bulletins "Eltern gegen Drogen" kritisiert der Arzt Daniel Beutler die "fragwürdigen Folgen des revidierten Betäubungsmittelgesetzes". Hauptvorwurf: Das neue Gesetz, das teilweise schon in Kraft ist, erleichtere Süchtigen den Zugang zur staatlichen Drogenabgabe zu sehr und erschwere den Ausstieg aus der Sucht. Der Artikel hätte wohl kaum Aufsehen erregt, wenn es sich beim Autor nicht um den externen Mediziner der Entzugsklinik Marchstei in Kehrsatz handelte. Um seine Thesen zu untermauern, zitiert er sogar zwei anonymisierte Fälle aus der Klinik. Die Patienten seien quasi ins Heroinabgabeprogramm abgedrängt worden, so der Tenor des Artikels.

 Mittlerweile hat sich die Klinikleitung von den Aussagen ihres Arztes distanziert. Diese hatten jedoch bereits berufliche Folgen für ihn: Er firmiert nicht mehr als ärztlicher Leiter der Klinik wie bisher, sondern nur noch als Hausarzt. Dies schreibt die Leitung in einer Stellungnahme an andere Institutionen im Suchtbereich und an den Kanton Bern. Der Marchstei stehe hinter der aktuellen Drogenpolitik und arbeite mit anderen Institutionen und den Behörden zusammen, erklärt Klinikchef Stefan Weigelt auf Anfrage: "Doktor Beutler vertrat in dem Artikel nur seine private Meinung." Die beschriebenen Fälle seien plakativ geschildert und ungenügend recherchiert. Abgesehen von diesem Vorfall sei die Zusammenarbeit mit Beutler - der weder Mitglied der Klinikleitung noch des Vereins Marchstei ist - jedoch gut. Deshalb wolle man den Arzt weiterhin beschäftigen, sagt Weigelt.

 Arzt räumt Fehler ein

 Beutler selbst ist kein Unbekannter: Er engagiert sich als Co-Präsident im Dachverband Drogenabstinenz Schweiz. In dieser Funktion äusserte er sich in den Medien schon mehrere Male kritisch über die "liberale" Schweizer Drogenpolitik. Beutler distanziert sich aber inzwischen teilweise vom Artikel: Diesen habe er unter Zeitdruck verfasst, sagt er. Natürlich sei da vieles "etwas plakativ" dargestellt. Und: "Die Klinik da mit hineinzuziehen, war ein Fehler." Der Marchstei helfe den Menschen beim Drogenentzug und sei eine "feine Institution". Er habe die beiden Fälle bloss als Beispiele für eine fehlgeschlagene Drogenpolitik benutzt. Fachlich sei aber bei der Behandlung der beiden Patienten alles absolut korrekt verlaufen. Mit der Organisation "Eltern gegen Drogen" von SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler habe er nicht direkt zu tun, erläutert der Arzt. Sein Dachverband nutze lediglich das gleiche Publikationsorgan.

 Eine Debatte von vorgestern

 Die Zeitschrift "Eltern gegen Drogen" findet in Fachkreisen nur wenig Beachtung. Sie wird allerdings an Mitglieder des Grossen Rates verschickt. Dort sorgte der Artikel für Stirnrunzeln - schliesslich hat die Klinik Marchstei mit dem Kanton einen Leistungsvertrag vereinbart und bezieht Gelder von der kantonalen Gesundheits- und Fürsorgedirektion. Die Stellungnahme habe die Marchstei-Leitung auf ihre Anfrage hin verfasst, erklärt Grossrätin Barbara Mühlheim (Grüne) gegenüber dem "Bund". Mühlheim leitet die heroingestützte Behandlung Koda in Bern. Sie sei froh, dass die Klinik die Dinge nun richtiggestellt habe, sagt sie. Die fachliche Diskussion zwischen einer drogengestützten Behandlung von Suchtkranken und einer auf reine Abstinenz ausgerichteten Therapie sei nämlich "ein alter Hut". Beutlers Meinung treffe man heute unter Fachleuten kaum noch an. "Diese Diskussion war vor 20 Jahren aktuell." In der Praxis arbeiteten Entzugskliniken und Drogenabgabenstellen seit Jahren eng und erfolgreich zusammen, sagt Mühlheim.

--

 Die Klinik Marchstei

 Die Klinik Marchstei in Kehrsatz nahm ihren Betrieb 1992 in Ittigen als Drogenentzugsstation Marchstei auf. Sie bietet derzeit drei Plätze im stationären Entzug an. Bei der Gründung der Klinik galt der Kanton Bern als Mekka für Entzugseinrichtungen aller Art. Mit der Wende zu einer drogengestützten Behandlung von Suchtkranken schlossen viele dieser Kliniken wieder ihre Tore. (mzi)

----------------------------
SAUVAGE WINTI
----------------------------

Indymedia 4.9.10

Communiqué zur Sauvage auf dem Neumarkt Winterthur vom 3. 9. ::

AutorIn : sauvage         

Am Abend des 3. Septembers 2010 haben bis zu 500 Leute mit einer "Sauvage" den Neumarkt in Winterthur für einige Stunden besetzt und zur Musik von Copy&Paste, Saalschutz und DJ Malik eine unbewilligte Party gefeiert. Wir haben so den öffentlichen Raum für diese Zeit zurückerobert und ihn selbstbestimmt gestaltet und genutzt.

In Zeiten, in denen die Krise und Perspektivlosigkeit des Kapitalismus für immer mehr Leute immer deutlicher wird, gewinnt die Kontrolle des öffentlichen Raums für die Herrschenden an Bedeutung. Mit massiver Videoüberwachung, starker Polizeipräsenz, immer neuen Verboten und der sogenannten "Aufwertung" von ganzen Quartieren oder Stadtteilen wird versucht, den öffentlichen Raum zu einer reinen Konsum- und Shoppingmeile zu machen, natürlich unter dem ständig wachsamen Auge des Staates und dessen Schergen. Dass der öffentliche Raum auch immer Ort der politischen Auseinandersetzungen zwischen Herrschenden und Beherrschten war, versuchen sie so bewusst unter den Tisch zu wischen. Der Kampf um den öffentlichen Raum, die Öffnung der Strassen und Plätze für Aktionen, die nicht ins gewünschte Bild einer "sauberen" Stadt passen und das Schaffen von unkommerziellen Ausgangsmöglichkeiten gewinnt deshalb heutzutage umso mehr an Bedeutung. Wir werden uns die Strassen und Plätze auch weiterhin nehmen - ohne Bewilligung und ohne Rücksicht aufs Standortmarketing und Neueröffnungen von Shoppingzentren.


Heute war's eine Party - morgen wird's eine Demo!

Neue Märkte erschiessen!


Freiheit für alle politischen Gefangenen!

Die Strassen gehören uns!

----

Folgender Flyer wurde an die Partygäste und PassantInnen verteilt:

Das Kesselhaus geht uns vorbei am Arsch.
Doch freuet euch, es ist Sauvage!

Heut' feiern wir, wie es uns beliebt
uns nicht wie uns das Gesetz diktiert!

Nein, scheissen tun wir auf die Gesetze,
die gutheissen Krieg und Menschenhetze!

Denn ein Krieg ist es - keine Frage -
der sich zuträgt dieser Tage.

Bist du Proletin oder Prolet,
so weisst du, um welchen Krieg es geht.

Doch gehorsam treu kriegt ihr uns nie
Auch nicht mit Marketing und Shoppingtherapie!

Und ganz egal ob Sulzer oder Implenia:
"Es Recht uf Eigetum het no niemer gha!"

Es sind nicht nur Bullen, Bonzen oder Banken - sicher auch -
doch viel tiefer wirkt der kapitalistische Brauch.

Gleich und gleicher schalten,
uns dabei noch ruhig zu halten,

Das wollen sie! Und das schaffen sie - noch hie und da,
doch nicht mehr lange, nicht für immer!
Denn wieder brodelt es in so manch Hinterzimmer.

Und irgendwann, wenn wir wirklich wollen und ganz in Rage
nehmen wir diese Volksvertreter, die ollen!
Nicht um sie grob zu verletzen,
aber um sie abzusetzen! Fristlos, ersatzlos und für immer.

Denn freuet euch, es ist Sauvage!

-------------------
SQUAT BS
-------------------

Basler Zeitung 4.9.10

Besetzer stehen unter Beobachtung

 Villa-Rosenau-Bewohner gelten als gewaltorientiert

 Mischa Hauswirth

 Die Verantwortlichen des Saubannerzuges vom vergangenen Mai sind immer noch flüchtig. Umso interessanter ist es, wie klar sich die Regierung über mögliche Verdächtige äussert.

 Am Stand der Ermittlungen hat sich nichts geändert: Die Staatsanwaltschaft Basel-Stadt konnte die Urheber der Verwüstungen vom 21. Mai in der Freien Strasse noch nicht überführen. Und bis zu einer rechtskräftigen Verurteilung gilt die Unschuldsvermutung. Dennoch: Die Szene rund um die Hausbesetzer der Villa Rosenau steht wieder im Fokus der Aufmerksamkeit. Befindet sich in der Villa Rosenau eine Horde linksextremer Chaoten?

 Eine gestern veröffentlichte Regierungsantwort bestärkt all jene, die so denken. Jedenfalls geraten die Bewohner, die auf dem Gelände leben, in ein schiefes Licht.

 Beweismangel

In einer schriftlichen Anfrage wollte SVP-Grossrat Samuel Wyss wissen, was denn an dem Gerücht dran sei, dass die Täter der Sachbeschädigungen in der Villa Rosenau wohnen. In der Regierungsantwort heisst es darauf: "In der Villa Rosenau wohnen in wechselnder Besetzung permanent etwa sechs Personen, die nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft der linksautonomen Szene zuzurechnen sind." Die Ermittler gehen davon aus, dass diese Leute "gewaltextremistischen Aktionen zugeneigt" sind. Seit Monaten wird über die Urheber der Sachbeschädigungen in Basels Einkaufsmeile spekuliert. Der Druck auf die Staatsanwaltschaft ist gross, denn von Gewerbetreibenden und Geschäftsinhabern stehen Schadensersatzforderungen von gegen einer Million Franken im Raum.

 Die Ermittler beschlagnahmten in den vergangenen Wochen Autos und observierten Verdächtige. Keiner der Ermittlungsansätze habe bisher zum Ziel geführt, schreibt der Regierungsrat.

 Auslandskontakte

Seit Wochen ist bekannt, dass die Strafverfolgungsbehörde bei ihren Ermittlungen stecken bleibt. Da ist wenig verwunderlich, wenn die Regierung nun konstatiert, dass eine "ungenügende Spuren- und Beweislage" vorliege, um jemanden zumindest in Untersuchungshaft zu nehmen.

 Die Vermutungen hätten sich nicht so weit verdichten lassen, um jemanden festzunehmen. Die Hausbesetzerszene schweigt eisern. Statt sich zu erklären oder zumindest zu distanzieren, sind alle Versuche der BaZ, eine Stellungnahme der Hausbesetzer zu den Vorwürfen zu bekommen, abgeblockt worden.

 "Es können gewisse Verbindungen verschiedener Bewohner mit Organisationen im Ausland festgestellt werden", schreibt die Regierung weiter. Vom Vorwurf, Verbindungen mit linksextremen Kreisen aus Deutschland zu unterhalten, hat sich kein Bewohner der Villa Rosenau öffentlich distanziert.

---

grosserrat.bs.ch 1.9.10

Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt

An den Grossen Rat

10.5173.02

BVD/P105173

Basel, 1. September 2010

Regierungsratsbeschluss
vom 31. August 2010

Schriftliche Anfrage Samuel Wyss betreffend Hausbesetzerszene in Basel

Das Büro des Grossen Rates hat die nachstehende Schriftliche Anfrage Samuel Wyss dem Regierungsrat zur Beantwortung überwiesen:

1. "Da inzwischen immer mehr Basler und Baslerinnen vermuten, dass die Basler Regierung die Kapo Basel-Stadt bewusst bremst und die linken Chaoten gewähren lässt, damit die polizeifeindliche linke Mehrheit des Grossen Rates nicht erbost wird, wenn gegen ihre Gesinnungsgenossen vorgegangen wird, stellt sich mir die Frage, ob das Beschleunigen der Ermittlungen im Fall des 1. Mai 2010 und 21. Mai 2010 der mit grosser Wahrscheinlichkeit durch die Hausbesetzer verübt wurde, nicht nur opportun, sondern eigentlich sogar Pflicht sein sollte. Wie steht die Basler Regierung zu dieser Aussage/Behauptung? Was hält der Stadtpräsident von diesen Zuständen?
2. Es wird vermutet, dass die Täter z.T. der "Villa Rosenau" entstammen. Was weiss die Regierung über die Besetzer der Villa?
3. Stimmt es, dass die Besetzer gratis in einem Haus (Villa Rosenau), welches der Stadt Basel gehört, wohnen und einzig Strom und Wasser bezahlen? Welches Departement ist für diesen Missstand verantwortlich? Wie muss ich vorgehen, dass auch ich ein "Gratishaus" von der Regierung gesponsert bekomme?
4. Sind die Hausbesetzer in Basel ordnungsgemäss angemeldet und bezahlen sie Steuern?
5. Weshalb akzeptiert man, dass die Hausbesetzer ihren Abfall z.T. direkt hinter der Villa verbrennen? Wie kann unsere Regierung, welche sich als sehr umweltbewusst gibt, ein solches strafbares Vorgehen tolerieren?
6. Die Villa ist optisch ein Schandfleck. Geschäftsleute und Touristen sehen nach ihrer Ankunft am Euro-Airport als eines der ersten Schweizer Gebäude die baufällige, hässliche Villa. Was hält Basel Tourismus von diesem gravierenden Missstand?
7. Sprayereien analog deren, die am 21. Mai in der Stadt verübt wurden, sind rund um die Villa an diversen Fabrikgebäuden und an den Wänden der Autobahn zu finden. Wie hoch sind die Kosten, um diese Sprayereien zu entfernen? Werden sie nicht entfernt, weil vermutet wird, dass die Wände bereits am nächsten Tag erneut versprayt würden?
8. Es stehen oft deutsche Fahrzeuge (welche aufgrund der Fahrzeugtypen und der Bemalung klar der alternativen Szene zuzuordnen sind) vor der Villa. Zirka wie viele der Besetzer sind Ausländer? Wie viele sind Ausserkantonale? Welche Nationalitäten sind vertreten? Weshalb Regierungsrat des Kantons Basel-Stadt toleriert die Regierung, dass ausserkantonale und ausländische Linksextreme unsere in Basel heimischen Chaoten bei Saubannerzügen unterstützen?
9. Stimmt es, dass bei der Villa Rosenau vorbeifahrende Polizeifahrzeuge und Fahrzeuge der Grenzwache mit Steinen beworfen werden? Stimmt es, dass an selbigen Fahrzeugen, welche in der Nähe der Villa parkiert waren, die Pneus zerstochen wurden?
10. Im angrenzenden Ausland haben alternative Chaoten Saubannerzüge durchgeführt analog deren zwei, die in Basel im Mai stattgefunden haben. Innert wenigen Jahren sind diese Saubannerzüge ausgeartet und in der Regel nicht mehr zu kontrollieren. Hunderte Fahrzeuge brennen, Polizisten und Passanten werden z.T. lebensgefährlich verletzt und die Schäden gehen in die Millionen. Wie weit möchte der Regierungsrat die Situation bei uns tolerieren? Muss es erst Tote oder Invalide geben, bis die Basler Regierung eingreift? Wie viel will man dem Basler Gewerbe und den Bürgern zumuten? Was hält der Stadtpräsident von diesen Zuständen?
11. Herr Kessler, der Basler Stadtentwickler, wurde bei einem Konzert in der Villa Rosenau von Schlägern angegriffen und verletzt - dies, weil er als Staatsangestellter erkannt wurde. Müssen Staatsangestellte in Zukunft um ihr Leben fürchten, nur weil ein paar primitive Personen sich die Freiheit herausnehmen, Staatsangestellte zu verprügeln?
12. Gemäss Medien sind die linken Chaoten auf vermehrtem Zerstörungsfeldzug, weil sie mehr Freiräume brauchen. Kann die Regierung prüfen, ob eine Möglichkeit besteht, dass der Kanton Basel-Stadt ein günstiges (max. CHF 30'000 d.h. ein Bruchteil der Kosten, den die Chaoten in Basel verursachen) Gebäude in der Taiga kaufen kann, damit dies den Chaoten unter der Bedingung zur Verfügung gestellt wird, dass sie es für mindestens 10 Jahre bewohnen?
13. Es entsteht der Anschein, dass sich die Linken (Chaoten) mit der Toleranz der Regierung alles erlauben können. Dies ist gegen jede Regel der Rücksichtnahme und des normalen Zusammenlebens, denn wie soll unsere Gesellschaft funktionieren, wenn sich ein Teil an Regeln halten muss und der andere Teil sich alle Freiheiten, zu tun und zu lassen, wonach ihm gerade ist, herausnimmt?

Samuel Wyss"

Den Mitgliedern des Grossen Rates des Kantons Basel-Stadt zugestellt am 3. September 2010.


Wir beantworten diese Schriftliche Anfrage wie folgt:

Ziffer 1
Der Regierungsrat verwahrt sich in aller Form gegen die Behauptung, dass er die Kantonspolizei Basel-Stadt bewusst bremsen und "linke Chaoten" gewähren lassen würde. Die Kantonspolizei steht zwar unter der Aufsicht des Regierungsrats und ist dem Vorsteher des Justiz- und Sicherheitsdepartements unterstellt. Die Basler Regierung nimmt jedoch keinen direkten Einfluss auf die operationelle Führung der Kantonspolizei Basel-Stadt. Diese wird durch den Polizeikommandanten geführt (§ 18 Abs. 1 Polizeigesetz).

Zuständig für die Durchführung von Ermittlungen wegen strafbaren Handlungen ist die Staatsanwaltschaft. Sie ist dem Gesamtregierungsrat direkt unterstellt und dem Justiz- und Sicherheitsdepartement lediglich administrativ zugewiesen. Ihr können zwar von jedermann Anzeigen eingereicht werden, eine Behinderung der Ermittlungen ist aber weder zulässig noch würde dies durch die Staatsanwaltschaft geduldet. Die Staatsanwaltschaft ermittelt denn auch in Bezug auf beide Vorfälle uneingeschränkt und verfolgt die verschiedenen möglichen Ermittlungsansätze. Dass dies bisher nicht zum Ziel, das heisst zur Identifikation der Täterschaft geführt hat, hängt lediglich mit der ungenügenden Spuren- und Beweislage zusammen.

Ziffer 2
In der Villa Rosenau wohnen in wechselnder Besetzung permanent etwa sechs Personen, die nach Einschätzung der Staatsanwaltschaft der linksautonomen Szene zuzurechnen und gewaltextremistischen Aktionen zugeneigt sind. In Bezug auf die Vorfälle vom 1. Mai 2010 und 21. Mai 2010 liess sich die in der Anfrage geäusserte Vermutung nicht in einem Mass verdichten oder konkretisieren, wie es für die Einleitung eines Verfahrens gegen bestimmte Personen erforderlich ist (vgl. Ziff. 1).

Ziffer 3
Die sogenannte "Villa Rosenau" gehört zu insgesamt 13 ehemaligen Bauten der Notsiedlung "In der Rosenau". Diese Gebäude wurden im Rahmen des Baus der Nordtangente mit Ausnahme der noch bestehenden Villa Rosenau abgerissen. Die Villa Rosenau diente bis zum Jahre 2004, bis zur Eröffnung des Abschnitts "Grenze" der Nordtangente, also des Teilstücks vom Bahnhof St. Johann bis zur Landesgrenze nach Frankreich, als Bauleitungsbaracke. Danach sollte die Villa Rosenau abgebrochen werden, um die Parzelle für weitere Nutzungen vorzubereiten. Am 2. September 2004 kam es zur Besetzung durch Unbekannte.

Der Regierungsrat hat das Thema "Villa Rosenau" zuletzt in seiner Sitzung vom 3. Juni 2008 eingehend erörtert und ist zum Schluss gekommen, dass die geplante Grünfläche auf der Parzelle in ggf. reduziertem Umfang realisiert werden soll, vorerst ohne die Villa Rosenau abzureissen. In diesem Zusammenhang wurde die ursprüngliche Aufforderung, das Gebäude bis Ende Juni 2008 zu verlassen, zurückgenommen. Der Regierungsrat verlangte allerdings von den Besetzerinnen und Besetzern, dass diese für sämtliche durch sie entstehenden Kosten wie z.B. Elektrizität und Wasser voll aufkommen. Auf eine Abgeltung durch die Besetzenden in Sinn einer Miete wurde verzichtet, da die Villa Rosenau, wie bereits erwähnt, seit 2004 zum Abbruch vorgesehen ist, sich in einem schlechten baulichen Zustand befindet
und am Markt ohnehin nicht vermietbar wäre.

Derzeit nutzt die Novartis einen Teil (rund 1700 m2) der Parzelle als Lastwagencheckpoint und Zwischenlager für die Grossbaustelle "Campus". Ein weiterer Teil ist als Parkplätze (rund 2'400 m2) vermietet und rund 500 m2 entfallen auf die Villa Rosenau. Gemäss Beschluss des Regierungsrates vom 24. Juni 2008 müssen die Hausbesetzerinnen und -besetzer das Gebäude "Villa Rosenau" verlassen, sobald das Areal für eine Neunutzung, z.B. durch einen Gewerbebetrieb benötigt wird.

Ziffer 4
In den Registern der Steuerverwaltung und der Einwohnerkontrolle sind keine Personen mit Wohnsitz an der Villa Rosenau, Neudorfstrasse 93, verzeichnet. Ebenso sind der Steuerverwaltung und der Einwohnerkontrolle die Namen der Besetzer nicht bekannt. Es können aus diesem Grund keine Aussagen darüber gemacht werden, ob die Besetzer mit Wohnsitz in Basel-Stadt gemeldet sind und ihre Deklarations- und Steuerpflicht erfüllen oder mit Wohnsitz in einem anderen Kanton gemeldet und dort steuerpflichtig sind.

Ziffer 5
Die zuständigen Behörden (Amt für Umwelt und Energie, Tiefbauamt) haben seit anderthalb Jahren, als noch entsprechende Brandstellen festgestellt worden waren, keine neuen Informationen bzw. Anzeichen über das Verbrennen von Abfällen auf dem Gelände der Villa Rosenau. Auch sind weder aus der Bevölkerung noch von den benachbarten Industrie- und Gewerbebetrieben Meldungen über solche Abfallverbrennungen erfolgt. Jedoch wurde eine unbewilligte Lagerung von einigen Altpneus auf dem Gelände festgestellt und an die für die Liegenschaft zuständige Behörde (Nationalstrassen) gemeldet. Auf eine Räumung der gelagerten Pneus wurde bisher verzichtet, da eine Eskalation der Situation nach Möglichkeit verhindert werden soll.

Ziffer 6
Der Regierungsrat kann den Anfragestellenden dahingehend beruhigen, dass die Villa Rosenau keinen Einfluss auf das Image von Basel bei Geschäftsreisenden und Touristen hat. Nach Rücksprache bei Basel Tourismus stellte sich heraus, dass keine Bemerkungen und schon gar keine Reklamationen von Touristen oder Geschäftsreisenden über ein Gebäude zwischen Flughafen und Stadt bekannt sind. Eine Auswirkung in diesem Zusammenhang kann daher ausgeschlossen werden.

Ziffer 7
Zu den Aufgaben des Bau- und Verkehrsdepartement gehört der Unterhalt von kantonalen Infrastrukturobjekten, wie z.B. Brücken, Stützmauern und Tunnels im Kanton Basel-Stadt. In diesem Zusammenhang ist das Tiefbauamt auch für die Entfernung von Sprayereien an Infrastrukturbauten zuständig. Für das Quartier St. Johann betrifft dies mehrere Objekte. Die Reinigung von privaten Liegenschaften, wie beispielsweise Fabrikgebäude, wird nicht durch das Tiefbauamt veranlasst.

Mit der Neugestaltung des Finanzausgleichs und der Aufgabenverteilung zwischen Bund und Kantonen (NFA) gingen Unterhalt und Betrieb der Nationalstrassen, zum 1. Januar 2008, in die alleinige Verantwortung des Bundes über. Daher werden Sprayereien an Autobahnobjekten ebenfalls nicht durch das Tiefbauamt gereinigt.

Bei den kantonalen Kunstbauten im Quartier St. Johann konnte im Zusammenhang mit der Besetzung der Villa Rosenau keine signifikante Zunahme von Sprayereien festgestellt werden. Für überschlägige Grobkostenschätzungen von Sprayereientfernungen auf Beton- und Natursteinoberflächen, können Kosten in Höhe von rund CHF 150.- bis CHF 200.- pro Quadratmeter angesetzt werden (abhängig von den Untergrundverhältnissen, der Art der Verunreinigung etc.).

Ziffer 8
Die Herkunft der Bewohner lässt sich aus den bereits erklärten Gründen (Ziff. 2) nicht feststellen. Es gibt keine Anzeichen, dass sich ausländische Personen über einen längeren Zeitraum in der Villa Rosenau aufhalten. Es können jedoch gewisse Verbindungen verschiedener Bewohner mit Organisationen im Ausland festgestellt werden. Daher kommt es immer wieder zu Besuchen, womit sich auch das Parkieren von Fahrzeugen mit ausländischen Kennzeichen erklärt.

Ziffer 9
Bei der Kantonspolizei konnten keinerlei Hinweise auf Steinwürfe oder Sachbeschädigungen gegen Fahrzeuge der Polizei im direkten Zusammenhang mit Personen aus der Villa Rosenau oder mit Bezug auf diese Örtlichkeit festgestellt werden. Der Grenzwache liegen keine Informationen oder Hinweise vor, wonach Bewohner der Villa Rosenau den Aufgabenvollzug des Grenzwachtkorps gestört oder beeinträchtigt hätten. Auch wurden bis anhin noch nie bei der Villa Rosenau vorbeifahrende Grenzwachtfahrzeuge mit Steinen beworfen. Anfangs Juni dieses Jahres wurden in der Diensteinfahrt BASLA (ca. 10 Meter nach dem Kreisel beim Casino auf der Flughafenstrasse Richtung Flughafen) bei einem parkierten Grenzwachtfahrzeug drei Pneus zerstochen. Die Täter flüchteten anschliessend in Richtung Villa Rosenau. Es wurden dort jedoch keine vom Zeugen beschriebenen Personen aufgefunden.

Ziffer 10
Die in der Frage 10 dargestellten Verhältnisse entsprechen nicht der tatsächlichen Situation in Basel und nehmen Bezug auf Gewaltexzesse an einem nicht definierten Ort im angrenzenden Ausland.

Ziffer 11
Die Gründe, welche zum Angriff gegen Herrn Kessler geführt haben, können nur im Rahmen einer strafrechtlichen Untersuchung geklärt werden, sofern eine entsprechende Anzeige erstattet wird.

Aus Sicht des Regierungsrats stellt der gewalttätige Übergriff auf Herrn Kessler einen bedauerlichen Einzelfall dar. Es kann daher nicht von einer grundsätzlichen Gefahr für kantonale Angestellte ausgegangen werden. Besonders exponierte Mitarbeitende des Kantons (z.B. Polizistinnen und Polizisten, Kontrollpersonen im öffentlichen Verkehr etc.) sind für entsprechende Situationen zudem besonders geschult. Mitarbeitende der Kantonspolizei haben in der Vergangenheit mehrfach (uniformiert oder in ziviler Kleidung) die Villa Rosenau aufgesucht und Kontakt zu den Bewohner gehalten. Hierbei wurden keine weiteren Übergriffe verzeichnet.

Ziffer 12
Dieser Vorschlag ist alleine schon aus rechtlichen Gründen nicht umsetzbar und wird deshalb auch nicht weiter geprüft.

Ziffer 13
Der Regierungsrat ist der Verfassung des Kantons Basel-Stadt verpflichtet. Die demokratischen Regeln unseres Rechtsstaates gelten für alle gleichermassen und werden diskriminierungsfrei durchgesetzt.

Im Namen des Regierungsrats des Kantons Basel-Stadt

Dr. Guy Morin
Präsident

Barbara Schüpbach-Guggenbühl
Staatsschreiberin

-----------------------------
BIG BROTHER BS
------------------------------

Basellandschaftliche Zeitung 4.9.10

Staatsschutz Kritische Fragen an den Regierungsrat

 Im Zusammenhang mit der Basler Fichen-Affäre wird die Regierung mit weiteren kritischen Fragen eingedeckt. So will Grünliberalen-Chef David Wüest-Rudin wissen, wie sie auf den "vernichtenden" Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation des Bundesparlaments (GPDel) reagieren wolle. Die GPDel hatte in ihrem Bericht schwerwiegende Fehlleistungen des Nachrichtendienstes des Bundes festgestellt. Im Kanton sei die Aufsicht über den Staatsschutz des Bundes nicht befriedigend gelöst, kritisiert Wüest-Rudin. Er fragt die Regierung, ob sie es nicht als zielführend erachte, die kantonale Staatsschutzverordnung in Kraft zu setzen und eine gerichtliche Klärung der Möglichkeiten einer effektiven Aufsicht über den Staatsschutz zu erwirken. (bz)

---

Basler Zeitung 4.9.10

Staatsschutz soll Aufsicht erhalten

 Verordnung. Der grünliberale Grossrat David Wüest-Rudin schlägt in einer Interpellation vor, die kantonale Staatsschutzverordnung in Kraft zu setzen. Denn damit könnte eine effektive Aufsicht über den Staatsschutz eingeführt werden. Allenfalls müsse gerichtlich geklärt werden, ob der Kanton dazu berechtigt ist. Denn die Verordnung von 2009 wurde von der Regierung nicht in Kraft gesetzt, weil der Bund sich dagegen gesperrt hatte.

---------------------------------
AUSSCHAFFUNGEN
----------------------------------

NZZ 4.9.10

Die Crux mit dem Arztgeheimnis

 Heikle juristische Fragen im Zusammenhang mit dem Tod eines Ausschaffungshäftlings

 Darf ein Gefängnisarzt die Transportfähigkeit eines Ausschaffungshäftlings bescheinigen? Oder verstösst er damit gegen seine Schweigepflicht? Die Antwort ist nicht einfach.

 Marcel Gyr

 Mitte März ist auf dem Flughafen Zürich Kloten ein 29-jähriger Ausschaffungshäftling aus Nigeria gestorben. Derzeit werden die Umstände des Todes von der Staatsanwaltschaft Winterthur/Unterland untersucht. Vorläufig sei aber kein Strafverfahren eingeleitet worden, hält der zuständige Staatsanwalt Christian Philipp auf Anfrage fest. Vielmehr handle es sich erst um die Abklärung eines sogenannten ausserordentlichen Todesfalls, was noch kein strafrechtlicher Vorgang sei.

 Der Einwand des Arztes

 Inzwischen zeichnet sich aber eine heikle Fragestellung ab: Ist ein betreuender Gefängnisarzt legitimiert, der Polizei gegen den Willen eines Häftlings über dessen Gesundheitszustand Auskunft zu geben? Das Zwangsanwendungsgesetz beziehungsweise die dazugehörige Verordnung schreibt vor, dass die Transportfähigkeit eines Ausschaffungshäftlings im Zweifelsfall medizinisch abzuklären ist. Im konkreten Fall lagen dem Vollzugsorgan, der Kantonspolizei Zürich, aber im Voraus keine Hinweise auf einen zweifelhaften Gesundheitszustand des abgewiesenen Asylbewerbers vor. Vielmehr liess ein zugestelltes Formular darauf schliessen, aus medizinischer Sicht gebe es keine Vorbehalte.

 Unbestritten ist aber, dass sich der nigerianische Ausschaffungshäftling zwischen eineinhalb und zweieinhalb Monaten im Hungerstreik befunden und dabei rund 30 Kilogramm Körpergewicht verloren hatte. Doch der verantwortliche Arzt hat ihn als transportfähig eingestuft. Zudem macht der Arzt geltend, selbst wenn er zum Schluss gekommen wäre, der Hungerstreikende sei nicht transportfähig gewesen, hätte er diese Information aus Rücksicht auf die ärztliche Schweigepflicht nicht der Polizei weitergeben dürfen. Diese Version wird von Staatsanwalt Philipp bestätigt. Er ergänzt, damit ergebe sich eine heikle juristische Fragestellung.

 Derweil bekräftigt Viktor Györffy, der rechtliche Vertreter der Angehörigen, ohne das Einverständnis des Häftlings dürfe ein Gefängnisarzt gegenüber Dritten keinerlei Auskunft erteilen. Selbst die positive Auskunft, jemand sei gesund, könne unter Umständen gegen die Interessen eines Ausschaffungshäftlings verstossen. Ein Arzt habe gegenüber einem Klienten immer eine Vertrauensstellung; dieser müsse sich darauf verlassen können, dass keine Informationen nach aussen gelangen.

 In den Richtlinien der Akademie der Medizinischen Wissenschaften heisst es, der Arzt müsse sich bemühen, mit Zustimmung des inhaftierten Patienten jede legitime Frage der Polizei zu beantworten. Im konkreten Fall hatte der Ausschaffungshäftling diese Zustimmung aber nicht gegeben. In dieser Situation sehen die medizinisch-ethischen Richtlinien vor, dass der Arzt, falls eine Gefährdung der Sicherheit oder für Dritte besteht, von der zuständigen Behörde verlangen kann, von seiner Schweigepflicht entbunden zu werden. Laut Auskunft von Staatsanwalt Philipp wäre dies im Kanton Zürich die Gesundheitsdirektion.

 Lücke im Gesetz aufgedeckt

 Eine andere Möglichkeit schlägt der Angehörigenvertreter vor, wobei er sich auf die Richtlinien der Akademie der Medizinischen Wissenschaften stützt: Ein behandelnder Arzt könne der Polizei gegenüber mitteilen, er gebe keine Auskunft über den Gesundheitszustand, dabei aber explizit jegliche Verantwortung ablehnen. Dies würde den Beizug eines weiteren Arztes in der Funktion eines Gutachters bedingen. Einig sind sich die beiden Juristen darin, dass mit dem aktuellen Fall eine Lücke aufgezeigt wird, die vom Gesetzgeber nicht bedacht worden ist.

 Ausstehend ist derzeit eine Stellungnahme des Zürcher Instituts für Rechtsmedizin (IRM) nach Kritik am Gutachten. In diesem wurde als Todesursache insbesondere eine schwere Herzkrankheit angeführt, die im Zusammenspiel mit dem Hungerstreik und dem akuten Erregungszustand zum Tod geführt habe.

--------------------------
SANS-PAPIERS
--------------------------

Südostschweiz 4.9.10

Anzeige gegen Widmer-Schlumpf: SVP-Hardliner blitzt ab

 Bern. - Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf hat an der Bundesfeier im aargauischen Eiken wegen eines Gesprächs mit einer Gruppe von Sans-Papiers keine strafbare Handlung begangen. Die Bundesanwaltschaft hat der Strafanzeige eines Aar- gauer SVP-Politikers keine Folge geleistet.

 Der Hintergrund: Das Kollektiv Bleiberecht hatte die diesjährige Bundesfeier in Eiken im Fricktal genutzt, um auf die Situation der Papierlosen in der Schweiz aufmerksam zu machen. Rund 100 Personen demonstrierten für das Anliegen. Um eine Eskalation zu verhindern, hatte die Kantonspolizei auf Personenkontrollen verzichtet. Die Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartementes empfing nach ihrer offiziellen Rede eine Delegation der Sans-Papiers und des Kollektivs zum Gespräch.

 Im Nachgang der Feier reichte der als Hardliner geltende SVP-Frak- tionschef des Aargauer Kantonsparlaments, Andreas Glarner, beim Bezirksamt Laufenburg eine Strafanzeige gegen die Bundesrätin ein, wegen Verstosses gegen das Ausländergesetz, Begünstigung, Amtsanmassung und eventuell wegen Amtsmissbrauchs an. Das Bezirksamt übermittelte die Akten zur Abklärung des Sachverhalts der Bundesanwaltschaft. Diese teilte gestern auf Anfrage mit, dass die getätigten Abklärungen keinerlei konkrete Hinweise auf ein strafbares Verhalten ergeben hätten. (sda)

----------------------
ANTI-ATOM
----------------------

BZ 4.9.10

Atomausstieg

 EWB warnt vor Kosten

 EWB peilt den Atomausstieg per 2039 an. Eine Initiative will ihn 2030 erzwingen. Das würde aber hohe Kosten verursachen.

 Die Initiative Energiewende Bern würde den Stadtberner Energieversorger Energie Wasser Bern (EWB) in Schieflage bringen, falls sie angenommen wird. Dies hielt gestern EWB fest. Müsste EWB neun Jahre früher auf den Strom des Atomkraftwerks Gösgen verzichten, würde sich wegen hohen Investitionsbedarfs der Wert des Unternehmens um 351 Millionen Franken verringern. Der Gegenvorschlag des Gemeinderats sei dagegen umsetzbar. Er will den Atomausstieg bis ins Jahr 2039. EWB rechnet vor, dass die Stadt wohl auf Gewinnablieferungen verzichten müsste und der Strompreis massiv steigen würde. Der Stadtrat berät am nächsten Donnerstag über die Vorlage.
 cab

 Seite 25

--

EWB zum Atomausstieg

 Initiative käme teuer zu stehen

 Der städtische Energieversorger Energie Wasser Bern warnt vor einem forcierten Ausstieg aus der Atomenergie. Die Initiative Energiewende Bern würde bei einer Annahme zu einem Wertverlust von 351 Millionen Franken führen.

 Am Donnerstag diskutiert der Stadtrat über die Initiative Energiewende Bern. Die rot-grünen Urheber des Volksbegehrens wollen, dass die Stadt bis 2030 ohne Atomstrom auskommt. Der Gemeinderat hat dazu einen Gegenvorschlag ausgearbeitet, der den Ausstieg per 2039 anpeilt. Der städtische Energieversorger Energie Wasser Bern (EWB) setzt auf 2039. EWB-Chef Daniel Schafer warnt: "Die Annahme der Volksinitiative hätte grosse betriebswirtschaftliche Auswirkungen."

 Das würde zu einem Wertverlust von 351 Millionen Franken führen. Dieser fällt an, weil das Unternehmen früher auf den günstig produzierten Strom des Atomkraftwerks Gösgen verzichten müsste. "Diese Ergebnisbeiträge finanzieren den Umbau auf erneuerbare Energieträger mit", erklärt Schafer. Bei einem Ja zur Initiative müsste der Zubau von Kraftwerken beschleunigt werden, um die Versorgung sicherzustellen. Weil 2032 die Gasturbine im Forsthaus ersetzt werden muss, wäre EWB zudem gezwungen, teuren Strom auf dem Markt einzukaufen, wie Schafer betont.

 Kein Geld mehr für die Stadt

 In einer Dokumentation rechnet EWB vor, dass der Wertverlust jährlich 40 Millionen Franken ausmacht, exakt die Höhe des durchschnittlich an die Stadt abgelieferten Gewinns. Der Investitionsdruck würde noch höher, die Konkurrenzfähigkeit auf dem freien Markt nähme ab. Belastet würde zudem der Finanzhaushalt der Stadt, und die Kunden müssten mit markant höheren Stromtarifen rechnen. Die obige Grafik zeigt, dass selbst mit dem geordneten Ausstieg ab 2039 EWB nur noch so viel Strom produziert wie nötig.

 Umbau läuft bereits

EWB macht darauf aufmerksam, dass der Atomausstieg läuft, so wie in der Eignerstrategie vorgesehen. Ab 2013 lieferten die Kehrichtverwertungsanlage, das Gas- und Dampf-Kombikraftwerk sowie das Holzheizkraft Forsthaus 380 Gigawattstunden (GWh) Energie. Bereits in diesem Jahr wurde in Melchnau eine der grössten privaten Fotovoltaikanlagen in Betrieb genommen. Dazu hat EWB zusammen mit der BKW einen Windpark in Deutschland erworben. EWB plädiert für einen geordneten Ausstieg aus der Atomenergie. Auch so werde die Stadt Bern eine der ersten sein, die auf diesen Energieträger verzichte.

 Natalie Imboden, Präsidentin des Grünen Bündnisses (GB), ist erfreut, dass EWB den Ausstieg konkret vorantreibt. Für sie klaffen zwischen 2030 und 2039 nicht Welten: "Wenn die Investitionen beschleunigt werden, ist das Ziel erreichbar. Aber tatsächlich könnte dann für die Stadtkasse weniger abfallen." Trotzdem hält das GB an der Initiative fest.

 Christoph Aebischer

---

Aargauer Zeitung 4.9.10

Regierung stellt Weichen für Neubau von Beznau3

 Richtplan geht mit Änderungen ans Parlament

 Von Mitte März bis Mitte Juni ist der Richtplan mit den Grundlagen für ein Ersatzkernkraftwerk zur Anhörung öffentlich aufgelegen. Unter den 602 Eingaben sind auch solche von grundsätzlichen Gegnern der Atomenergie. So stellte die Allianz "Nein zu neuen AKW" den Antrag, die ganze Planung sei ersatzlos zu streichen, denn sie widerspreche dem Bundesrecht. "Diese Begründung ist nicht nachvollziehbar", schreibt die Aargauer Regierung. Die Kantone könnten das Richtplanverfahren im freien Ermessen nutzen.

 Der Aargau habe ganz bewusst diesen Weg gewählt, um den Bundesbehörden zur Rahmenbewilligung die Bedingungen des Kantons für einen allfälligen Bau von Beznau3 aufzuzeigen. Wichtigste Punkte sind dabei die Höhe von maximal 60 Metern für alle Bauten, der Verzicht auf einen Kühlturm mit Dampffahne, die Waldrodungen, die Abgeltungen und ein Verbot für den Überflug.

 Den Passus mit den Abgeltungen hat die Regierung gestrichen, obwohl solche Forderungen aus Kantonssicht zwingend nötig sind. Allerdings biete das Energiegesetz die richtige Basis, um solche Abgeltungen für die Gemeinden der Region zu regeln. Verzichtet wird auf ein Verbot für neue Flugrouten genau über die Beznau-Halbinsel, weil das mit der Planung des Zürcher Flughafens zu lösen sei. Die Regierung beantragt eine Verkleinerung der Waldrodung von 375000 Quadratmetern für die Bauzeit. Weitere Punkte des Richtplans betreffen die Nutzung der Abwärme für die Refuna, die Stilllegung der alten Kraftwerke und die Einpassung von neuen Stromleitungen.

 Das neue Wasserkraftwerk ist laut Kanton "weitgehend unbestritten". Gegen den geplanten Abbruch der über 100 Jahre alten Pionieranlage der Stromproduktion wehren sich der Aargauer Heimatschutz und das Bundesamt für Kultur. (Lü.)

---

NZZ 4.9.10

Lieber rustikal oder industriell?

Tiefenlager-Anhörung gestartet

 ark. · 2030 soll in der Schweiz ein erstes Tiefenlager für schwach und mittler strahlende radioaktive Abfälle eröffnet werden, 2040 muss das Depot für stark strahlende Abfälle stehen. Das Ziel mag langfristig ausgelegt wirken, aber der Prozess ist bereits in vollem Gang. Im dreiteiligen Standort-Auswahlverfahren, das bis 2015 abgeschlossen sein soll, neigt sich die erste Etappe dem Ende zu. Seit vier Tagen läuft die Anhörung zu deren Ergebnissen (NZZ 24. 8. 10).

 Genaue Teilnehmer-Auswahl

 Zum umfangreichen Paket - eine Art Protokoll der bisherigen Arbeiten - gehört eine Gesamtbeurteilung der sechs eruierten Standorte (darunter mit Nördlich Lägern und Zürich Nord-Ost zwei Gebiete, die hauptsächlich im Kanton Zürich liegen), aber auch die Resultate sicherheitstechnischer Überprüfungen. Bis am 30. November können nun schriftliche Stellungnahmen ans federführende Bundesamt für Energie (BfE) eingereicht werden.

 Die Ergebnisse der Anhörung werden auch in die zweite Etappe einfliessen, die voraussichtlich Mitte nächsten Jahres in Angriff genommen wird und bis Ende 2012 dauern soll. Teil dieses zweiten Abschnitts ist unter anderem ein sogenanntes Partizipationsverfahren für die betroffenen Regionen. Im Gebiet Zürich Nord-Ost ist Markus Baumgartner vom Zürcher Beratungsbüro Richterich und Partner vom BfE mit den Vorbereitungsarbeiten inklusive der Startmoderation mandatiert worden. In allen sechs Gebieten soll eine Regionalkonferenz entstehen, die nicht nur Behördenvertreter, sondern auch Opposition, Befürworter und andere Gruppen umfasst. Dabei geht man einigermassen akribisch vor. Um keine wichtige Gruppierung uneingeladen zu lassen, hat der Bund eine Firma mit einer "Bestandesaufnahme Sozialstruktur" beauftragt.

 Kein demokratischer Prozess

 Das Partizipationsverfahren ist aber kein demokratischer Entscheidungsprozess. Denn entschieden wird die Standortfrage auf Bundesebene, und eine Volksabstimmung kann höchstens noch auf diesem Niveau zur Durchführung kommen. Die Einflussnahme der Regionalkonferenzen beschränkt sich auf Detailfragen. So werde man im Laufe des Verfahrens unter anderem darüber entscheiden, wie die Oberflächengebäude eines allfälligen Tiefenlagers aussehen würden, so Markus Baumgartner. Die Beteiligten werden also lange vor dem effektiven Standortentscheid darüber befinden können, ob sie als sichtbares Zeichen eines allfälligen Tiefenlagers lieber etwas Rustikales oder einen Industriebau hätten. Auch werde die Frage der Erschliessungsrichtung eine wichtige Rolle spielen.

---

Schweiz Aktuell 2.9.10

Atommüllager: heftige Reaktionen beim Mitwirkungsverfahren

Schon fast zwei Jahre wird diskutiert wo das Tiefenlager für radioaktiven Abfall entstehen soll. Experten des Bundes und der Nagra haben zahlreiche Sicherheitsberichte und Gutachten über die 6 möglichen Standorte erstellt. Jetzt dürfen zum ersten Mal Bevölkerung, Parteien, Kantone und Verbände Stellung zu den Plänen beziehen. Das sogenannte "Mitwirkungsverfahren" läuft bis Ende November. Auftakt machte die Region Bözberg, bereits vor der Veranstaltung kam es zu heftigen Reaktionen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=3cf484ea-6d31-492d-8ccc-3dcad58eb74a&referrer=http%3A%2F%2Fwww.sf.tv%2Fsendungen%2Fschweizaktuell%2Findex.php%3Fdocid%3D20100902