MEDIENSPIEGEL 7.9.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturprogramm (DS, Tojo, GH)
- Reitschule bietet mehr: FDP vs Antifa vs Reitschule; Eigenfinanzierungsgrad
- Schützenmatte: Carterminal leert sich
- RaBe-Info 7.9.10
- Rote Welle 5.9.10
- Alkverbot: Bern; Basel
- Drogen: Geissbühler ≠ Geissbühler
- Taglöhnerei: Perspektive Solothurn
- Verdingt: ArbeitssklavInnen
- Ausschaffungstod: 50'000.--
- Big Brother Video in Thun
- Squat ZH: Annaburg
- Operative Antirepression
- Anti-Atom: Einfluss AKW-Entscheid BRD; LoTi gegen Tiefenlager

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REITSCHULE
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Di 07.09.10
19.00 Uhr - Frauenraum  - Rote Spelunke mit Wädi Gysi & Lilian Naef (Musik) und Anton Meier (Performance)

Mi 08.09.10
19.00 Uhr - SousLePont - Karibik Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojo - Dying for Oil, Gods and iPods, An Apocalyptic Comedy von Action Theatre

Do 09.09.10
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung durch die Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
19.00 Uhr - Frauenraum - "Frauenhandel in der Schweiz - wie sieht der Schutz der Opfer aus?" Veranstaltung des Bleiberechtskollektivs Bern
20.30 Uhr - Tojo - Dying for Oil, Gods and iPods, An Apocalyptic Comedy von Action Theatre
21.00 Uhr - Rössli - james reindeer, james p honey (London), babel fishh (USA), son kas und Das Fest (D)
20.30 Uhr - Grosse Halle - Praed trifft Norient: Audio-visuelle Performances

Fr 10.09.10
20.30 Uhr - Tojo - Dying for Oil, Gods and iPods, An Apocalyptic Comedy von Action Theatre
23.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: SHANTEL DJ-Residency - Balkan, Gypsy

Sa 11.09.10
14.00 Uhr - Frauenraum - AMIE Frauenkleidertauschbörse abseits der Modeindustrie, women only
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung durch die Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
20.00 Uhr - Kino - TATORT REITSCHULE: "Harry hol schon mal den Wagen" - 2x Derrick Specials!
20.30 Uhr - Tojo - Dying for Oil, Gods and iPods, An Apocalyptic Comedy von Action Theatre
20.30 Uhr - Grosse Halle - Grass: Dokumentarisch-Nomaden-Kino mit Live-Vertonung
22.00 Uhr - Dachstock - Gamebois Plattentaufe "Loops". Support: James Gruntz (BS), DJ?s Sassy J & Benfay - Soul, Hiphop

So 12.09.10
17.00 Uhr - Grosse Halle - Berner Symphonie Orchester: Biss zum Original - Nosferatu
21.00 Uhr - Tojo - Influx Controls von Boyzie Cekwana (Biennale Bern)

Mo 13.09.10
20.30 Uhr - Tojo - Influx Controls von Boyzie Cekwana (Biennale Bern)

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturagenda.be 9.9.10

Shantel ist Resident-DJ im Dachstock

Unterm Dach der Reitschule lodert das Berner Balkan-Feuer. Neben Konzerten von Balkan- Brass-Grössen wie den Markovics tritt auch immer wieder der Mann an, der die wilde Blechmusik clubtauglich machte. Ob live mit seinem Bucovina Club Orkestar oder allein an den Plattentellern: DJ Shantel mag Bern und Bern mag ihn.
Dachstock in der Reitschule, Bern. Fr., 10.9., 23 Uhr

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kulturagenda.be 9.9.10

Gamebois spielen mit dem Soul

Verspielt, vielseitig und ausgeklügelt: Das zweite Album der Berner Gamebois steht für die musikalische Entwicklung zweier Tüftler. Benjamin Kasongo Katulu, Pablo Nouvelle und Band taufen "Loops" im Dachstock.

Sie sind Meister der professionellen Werbekampagnen: Auf einem Kleinlaster kurvten die Gamebois während einer Woche durch die Schweiz und gaben Kostproben des neuen Albums, "Loops". Auch bei der Polizei blieb die Guerilla-Tour nicht unbemerkt. "Ein paar Bussen gab es schon", sagt der Sänger Benjamin Kasongo Katulu lachend. Aufmerksamkeit erregten Kasongo und der Produzent und Beattüftler Pablo Nouvelle auch durch medienwirksame Musikförderung: 2007 gewannen sie mit dem Song "If I ever" am M4Music- Festival einen der grossen Schweizer Nachwuchspreise. Weitere Auszeichnungen folgten. Das Highlight: Sie gewannen bei "Island-Job", der Promo-Aktion eines Spirituosenherstellers, einen Videodreh in der Karibik. Mittlerweile werden sie im Radio rauf- und runtergespielt. "Loops" ist letzte Woche auf Platz 59 in die Album-Charts eingezogen. "Darauf ausruhen können wir uns nicht", stellt Kasongo klar.

Festivaltauglich und tanzbar

Bereits das erste Album, "If I Ever" (2008), überraschte mit stilistischer Bandbreite und verspielten technischen Effekten, liess jedoch etwas die musikalische Sorgfalt vermissen. Rückblickend sagt Kasongo: "Es war ein Schritt ins Dunkle. Viele Songs sind als Pilotversionen auf dem Album gelandet." Für "Loops" hat sich das Duo mehr Zeit gelassen. Die Arrangements klingen ausgeklügelter, die Produktion professioneller. Die Songs wurden gemeinsam mit der Band entwickelt und spezifische Instrumente vorab eingespielt. Entstanden ist ein vielseitiges Album aus Soul, Elektropop und R&B. Während etwa der festivaltaugliche Song "Left" mit einem fast bluesigen Gitarrenintro beginnt, regt "Life is" mit tanzbaren Beats und poppiger Melodie zum Mitwippen an. In "I am blind" zeigen sich die jungen Berner dem House zugeneigt. Trotzdem fügen sich die gegensätzlichen Tracks durch Kasongos warme, facettenreiche Stimme und Pablos stets verspielte Beats zu einem harmonischen Ganzen zusammen. Es fällt auf, dass "Loops" elektronischer ist als das Debüt. "Das hat mit unseren Inspirationsquellen zu tun", sagt Kasongo und erzählt, sie hätten zu dieser Zeit besonders viel Will.i.am gehört.

Möglichst viel spielen

Doch die Gamebois sehen die Entwicklung ihrer Musik als ständigen Prozess. Kasongo: "Möglich etwa, dass wir in nächster Zeit mehr John Mayer hören und unsere Songs dann rockiger werden. " So sieht sich Kasongo eher in den musikalischen Fussstapfen des experimentierfreudigen Jamie Lidell, als dass er mit dem Schweizer Soul-Star Seven verglichen werden möchte. Mit ihm teilt er lediglich die Inspirationsquellen. Kasongo: "Mit gewissen Künstlern setzt man sich automatisch auseinander, wenn man Soul macht." Diese Auseinandersetzung fängt bei Soulklassikern wie Marvin Gaye und Donny Hathaway an und geht bis zu Neo-Soul-Musikern der 90er-Jahre wie Rashaan Patterson oder D'Angelo.
Nach der Albumproduktion stehen für die Gamebois nun Konzerte im Vordergrund: Nach der Plattentaufe möchten sie den Röstigraben überqueren und an den grossen Festivals auftreten. Kasongo: "Hauptsache, spielen, spielen und nochmals spielen."

Regine Gerber
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Dachstock in der Reitschule, Bern
Sa., 11.9., 22 Uhr
http://www.dachstock.ch

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kulturagenda.be 9.9.10

"Dying for Oil, Gods and iPods" im Tojo

Roger und Judy machen sich auf den Weg, um herauszufinden, wer für den schrecklichen Zustand der Welt verantwortlich ist. Mit Hilfe eines äusserst vielseitigen iPods treffen sie auf allerhand Verschwörungstheorien und zwielichtige Gestalten der Weltgeschichte. Eine apokalyptische Comedy von Action Theatre.
Tojo Theater, Bern. Mi., 8., bis Sa., 11.9., 20.30 Uhr

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kulturagenda.be 9.9.10

Ein Weltreisender hält sich auf Trab

Der Berner Komponist Simon Hostettler lebt zwar in Brüssel, momentan ist er in seiner
Heimatstadt aber sehr präsent. Porträt eines Grenzgängers im wörtlichen und im
übertragenen Sinn.

"
Über 25 Jahre lang eine Band zu haben wie Henk Hofstede, ich glaube, ich könnte das gar nicht", sagt Simon Hostettler, "ich mache zu viele verschiedene Dinge." Einen immer noch verhältnismässig bescheidenen Einblick in sein Schaffen kann und konnte man aktuell in Bern erleben. Als vor zwei Wochen Patent Ochsner und das Berner Symphonieorchester zusammen auf dem Bundesplatz spielten, stammten die Arrangements dazu von Hostettler. "Ein spannender Auftrag", sagt der Komponist, der auch regelmässig Theater- und Filmmusik schreibt.
Anschliessend war er unter dem Titel "Spoon River Project" mit seinem Ho Orchestra unterwegs. Das ist eine Art Band mit gehobenem Anspruch, in der auch Nits-Mastermind Henk Hofstede mitwirkt. Und nun tritt Hostettler, kurz Ho genannt, mit einem weiteren seiner Projekte auf: Travesías. Das multinationale Sextett, dessen Mitglieder aus drei Kontinenten stammen, gründete Ho vor drei Jahren unter anderem mit Lorenz Hasler von den Salonisti.

Anders aufgeladen

"Im Moment lebe ich persönlich mitten in Travesías, in Übergängen", erklärt Ho. Vor drei Jahren begann er damit, Texte südamerikanischer Dichter zu vertonen rund um die Themen Heimat, Immigration, Emigration, "um das Unterwegssein an einem Ort, an dem man nicht geboren wurde", wie er es zusammenfasst. Kurz und gut: Travesías ist Name und Programm zugleich und dreht sich um ein zentrales Element im Leben von Simon Ho. Nachdem der Komponist eine Zeit lang in New York gelebt und gearbeitet hatte, kehrte er nach Bern zurück. "Ich merkte aber schnell, dass ich in einer Stadt leben muss, die mich anders auflädt als Bern." Hier wäre er zu sehr zur Ruhe gekommen, und das wolle er im Moment überhaupt nicht. Der Kontakt zur Heimatstadt reisse deswegen nicht ab: "Ich habe ja trotzdem Aufträge hier, Konzerte, Familie, und Freunde."
Auf der Suche nach einer neuen Bleibe wurde Ho in Brüssel fündig. Ursprünglich habe er an Paris, Amsterdam oder Berlin gedacht. Doch in den ersten beiden Städten, in denen er jeweils mit Musikern zusammenarbeitet, konnte er die Mieten nicht bezahlen. Auf die Einladung eines Freundes, der in der Hauptstadt Belgiens lebt, reiste er deshalb nach Brüssel und schwärmt: "Ich mietete eine Wohnung, die ich mir in Bern nie leisten könnte."

Brüche für die Schönheit

Doch Brüssel bietet mehr als günstigen Wohnraum. Er sei ein Nobody dort, das halte ihn auf Trab. Ausserdem sei die Stadt geografisch günstig gelegen, verfüge über eine grosse Kulturszene und sei multikulturell: "In gewissen Vierteln hat man das Gefühl, in Marokko zu sein oder im Kongo. Überhaupt ist Brüssel voller Brüche. Du gehst um eine Ecke und stehst einer komplett anderen Architektur gegenüber. Solche Brüche brauche ich, damit ich schöne Musik komponieren kann. Wenn alles rundherum schön ist, wird meine Musik kantiger - man braucht doch einen Kontrast", sagt Ho und lacht. Das mit der schönen Musik darf man übrigens ernst nehmen. Das Faszinierende an Hostettlers Kompositionen ist, wie sich in seiner Handschrift die Stile vermischen: Ein Bauchgefühl für Pop grundiert oft die Arbeiten, in denen sich die Offenheit des Jazz für Experimente und das ausgefeilte Handwerk der Klassik spiegeln. Er komme, vielleicht liegt darin ein Schlüssel zu seiner Musik, beim Reisen auf andere Gedanken. Plötzlich relativiere sich, was zuvor in Stein gemeisselt schien.

Aufwand zahlt sich aus

So ist die Offenheit des Reisenden bei Ho Programm. Über Amparo del Riego, die kubanische Cellistin von Travesías, ergab sich die Zusammenarbeit mit einer dortigen Musik-Sekundarklasse. Nach drei Konzerten in Kuba bringt man die vierzigköpfige Klasse nun für zehn Auftritte in die Schweiz. Mit zusätzlichen Streichern, Holz- und Blechbläsern, einer Rhythmusgruppe und einem Chor interpretiert das Sextett seine Lieder, die ursprünglich als Kammermusik mit Folklore-Einfluss entstanden. "Natürlich bedingt mein Leben mehr Aufwand", erklärt Ho, "aber das hat sich für mich immer ausgezahlt. In Kuba hat mich zum Beispiel der kulturelle Background der Jungen sehr beeindruckt. Bei uns muss man eher aufpassen, dass er der jungen Generation nicht verloren geht."

Silvano Cerutti
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o Münster, Bern. Fr., 10.9., 10 Uhr
o Aula Gymnasium Kirchenfeld, Bern
Mo., 13.9., 17 Uhr
o Grosse Halle, Reitschule, Bern
Mi., 15.9., 20 Uhr
Weitere Daten unter http://www.travesias.ch
Die Kulturagenda verlost Tickets für den Auftritt in der Reitschule.

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REITSCHULE BIETET MEHR
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bernerzeitung.ch 7.9.10

FDP Bern befürwortet Verkauf der Berner Reitschule

sda / vh

 Die FDP der Stadt Bern befürwortet die Volksinitiative, welche die Schliessung und den Verkauf der Berner Reitschule an den Meistbietenden fordert.

 Die Stadtpartei fasste am Montagabend die Ja-Parole, wie sie am Dienstag mitteilte.

 Nach "eingehender Diskussion" hätten 38 Mitglieder für ein Ja zur Initiative der Jungen SVP gestimmt, 9 dagegen und zwei Personen hätten sich der Stimme enthalten, heisst es weiter. Die FDP habe sich vor allem deshalb für die Ja-Parole entschieden, weil sich die Reitschule "seit Jahren" weigere, sich von der Antifa-Bewegung zu distanzieren.

 Auch gewährten die Betreiber des autonomen Kulturzentrums "nach wie vor bei Demonstrationen den Chaoten Unterschlupf", schreibt die FDP. Die Initiative kommt am 26. September vors Volk.

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fdp-stadtbern.ch 6.9.10

Parolenfassung der FDP. Die Liberalen Stadt Bern für die Gemeindeabstimmung vom 26. September 2010

Die FDP. Die Liberalen Stadt Bern hat an ihrer Parteiversammlung vom 6..9.2010 die folgenden Beschlüsse gefasst:

- Die Finanzierung der öffentlichen Räume im WankdorfCity; Kreditaufstockung wurde mit 42 Ja und 2 Enthaltungen zugestimmt
Die Kreditaufstockung wird für den Entwicklungsschwerpunkt Wankdorf und im Hinblick auf die Stadtentwicklung als wichtig erachtet.

- Die Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule!" wurde mit 38 Ja, 9 Nein und 2 Enthaltungen zugestimmt
Nach eingehender Diskussion überwog der Umstand, dass sich die Reitschule seit Jahren weigert, sich von der Antifa Bewegung zu distanzieren und nach wie vor bei Demonstrationen den Chaoten Unterschlupf gewährt, so dass sie sich der Polizeiverfolgung entziehen können.

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BZ 7.9.10

Reitschule Bern

 Viel Kultur für relativ wenig Geld

 Wie sieht das Kulturangebot der Reitschule aus? Und wie viel kostet es den Steuerzahler? Ein Überblick vor der Abstimmung.

 Mit dem Werbespruch "Die Reitschule bietet mehr" wehren sich die Reitschüler gegen die SVP-Initiative vom 26. September, die den Berner Kulturort an den Meistbietenden versteigern will. Aber trifft dieser flotte Slogan tatsächlich zu? Das Angebot der Reitschule ist vielfältig: Konzerte, Partys, Theater, Filme, Performances, Flohmärkte, Kinder- und Sportveranstaltungen werden von bis zu 115 000 Interessierten pro Jahr besucht.

 Die Reitschule ist damit die einzige Berner Kulturinstitution, die so viele verschiedene Kultursparten unter einem Dach vereint. Und dies erst noch zu einem vernünftigen Preis: Die Berner Steuerzahler kostet die Reitschule rund 665 000 Franken jährlich, wovon der grösste Teil an die Mietkosten geht, die die Stadt übernimmt. Zum Vergleich: Das Stadttheater kostet die Stadt Bern jährlich über 9 Millionen Franken. Der Eigenfinanzierungsgrad der Reitschule ist mit über 50 Prozent ebenfalls höher als bei den meisten Berner Kulturinstitutionen.
 lm

 Seite 23

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Abstimmung Reitschule-Initiative

 Von Heavy Metal bis Power-Yoga

 "Wir bieten mehr": So wirbt die Reitschule in eigener Sache im Vorfeld der Abstimmung über die SVP-Initiative. Doch was genau bietet die Reitschule? Viel alternative Kultur für relativ wenig Geld von der öffentlichen Hand.

 "Die Reitschule bietet mehr." Es ist die ideale Antwort auf die SVP-Initiative, die die Reitschule an den Meistbietenden versteigern will. Gleichzeitig schreit dieser flotte Werbespruch geradezu danach, das kulturelle Angebot in der Reitschule genauer unter die Lupe zu nehmen. Heisst "mehr bieten" einfach "Kultur bieten"? Oder bietet die Reitschule gar mehr Kultur als andere Berner   Veranstalter? Das Kulturangebot der Reitschule ist jedenfalls breit gefächert - von Konzerten über Stangentanz bis zu Kinderveranstaltungen -, und das Reitschule-Gebäude ist weitläufiger, als manch einer ahnen mag. Eine Übersicht:

 Dachstock: Bis zu 750 Leute können hier Konzerte und Partys besuchen. Schweizer Rock-, Pop- und Hip-Hop-Grössen treten genauso wie internationale Bands auf, und angesagte Berner Musiker, zuletzt Steff La Cheffe und Greis, taufen hier ihre Platten. Jährlich finden rund 100 Veranstaltungen statt, die von 50 000 Leuten besucht werden.

 Tojo-Theater: Hier erhält der Schweizer Nachwuchs aus den Sparten Theater, Tanz, Performance und Kleinkunst eine Plattform. Letztes Jahr kamen über 10 000 Zuschauer. Die meisten Aufführungen sind Gastspiele.

 Kino Reitschule: In diesem kleinen Kinosaal werden thematische Filmzyklen gezeigt, wobei der Fokus auf heimischem Schaffen und dem Dokumentarfilm liegt. Zurzeit läuft die Krimireihe "Tatort Reitschule". Auch Filmfestivals finden hier statt, etwa das schwul-lesbische "Queersicht".

 Rössli-Bar: Das Musikprogramm ist eher experimentell, meist finden im Rössli Konzerte der etwas exzentrischen Art statt, von Heavy Metal über Worldmusic bis Hip-Hop.

 Frauenraum: Zwar gibt es nach wie vor Veranstaltungen speziell für Frauen (Disco), aber die meisten Konzerte, Lesungen, Theater oder Performances sind für beide Geschlechter offen, sowohl auf der Bühne wie im Zuschauerraum.

 Grosse Halle: Dieser Raum bietet Platz für 2300 Leute. Er kann gemietet werden und wird entsprechend multifunktional genutzt: Grosse Technopartys und Konzerte (Kraftwerk, Chemical Brothers) gehen hier genauso über die Bühne wie Stummfilmvertonungen, Veranstaltungen für Kinder und Flohmärkte. Im letzten Jahr hatte die Grosse Halle rund 30 000 Besucher.

 Dojo: Auch Sport gehört in die Reitschule - von Selbstverteidigung Wing Tsun über Power-Yoga bis Pole-Dance, dem trendigen Tanz an der Stange.

 Sous le Pont: Das kollektiv betriebene Restaurant serviert bioausgerichtete Küche.

 Schreinerei/Druckerei: Kleinere Unterhaltsarbeiten werden in der hauseigenen Schreinerei erledigt, die auch externe Aufträge annimmt - wie die Druckerei, wo die Hauszeitung "Megafon" gedruckt wird.

 Infoladen: Neben Infomaterial findet man hier eine kleine Bibliothek und kann Vorträge besuchen.

 Hohe Eigenfinanzierung

 All dies kostet die städtischen Steuerzahler rund 665 000 Franken jährlich, wovon der grösste Teil an die Mietkosten geht, die die Stadt übernimmt (siehe Tabelle). Der Eigenfinanzierungsgrad der Reitschüler ist mit über 50 Prozent entsprechend hoch - auch im Vergleich zu anderen Berner Kulturinstitutionen (siehe Box). Wie ist das möglich? Während zum Beispiel das Berner Symphonieorchester Eigeneinnahmen in erster Linie aus Eintritten und Sponsoring generiert, kann sich die Reitschule überdies mit der Raumvermietung und dem Barbetrieb finanzieren. Letztere Einnahmen werden hausintern möglichst solidarisch aufgeteilt. Zudem arbeiten viele Freiwillige im Reitschule-Betrieb mit.

 Für jüngeres Publikum

 Bleibt die Frage nach der Konkurrenz. Denn insbesondere mit der Dampfzentrale und dem Veranstalter bee-flat bestehen im Konzertbereich Überschneidungen. Sabine Ruch vom Dachstock der Reitschule ist sich dieser Situation bewusst. Doch gleichzeitig betont sie: "Wir graben uns gegenseitig nicht das Publikum ab. Die Konkurrenz beschränkt sich auf einige wenige Musikacts, und meist sprechen wir uns im Vorfeld untereinander ab."

 So betrachtet ist der Slogan "Die Reitschule bietet mehr" vielleicht etwas kühn. Tatsache aber ist, dass es in Bern keinen anderen Ort gibt, der so viele verschiedene Kultursparten unter einem Dach vereint. Vor allem für ein jüngeres Publikum bietet die Reitschule ein attraktives Angebot, und dies - verglichen mit anderen Berner Kulturinstitutionen - für relativ wenig Steuergeld.

Lucie Machac

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 Eigenfinanzierungsgrad

 Kultur ohne Subventionen gibts kaum

 Gute Kultur sei Kultur, die sich selber finanziert, also ohne Subventionen auskommt: So wirbt SVP-Grossrat Erich Hess für seine Initiative zur Schliessung der Reitschule. So betrachtet müsste praktisch jeder Kulturbetrieb in Bern schliessen. Allen voran die hoch subventionierten Häuser der Hochkultur: So deckte zum Beispiel das Stadttheater letzte Saison bloss 21,5 Prozent seiner Aufwände mit eigenen Erträgen; den grossen Rest machen die Subventionen von 23,8 Millionen Franken aus. Die Reitschule mit ihren 665 750 Franken Subventionen weist demgegenüber einen Eigenfinanzierungsgrad von über 50 Prozent aus. Auch mit der Reitschule vergleichbare Häuser geschäften weniger rentabel: Die Dampfzentrale etwa erreicht einen Eigenfinanzierungsgrad von 44 Prozent.
 azu

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SCHÜTZENMATTE
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BZ 7.9.10

Twerenbold-Reisen

 Lyssach als Ein- und Ausstiegsplatz

 An der Schachenstrasse in Lyssach baut die Reisefirma Twerenbold für ihre Kunden einen Carterminal mit Bistro und Büros.

 Die Profile stehen bereits: Bei der Auto Gautschi AG an der Schachenstrasse zwischen Lyssach und Burgdorf plant das Reiseunternehmen Twerenbold aus dem aargauischen Rütihof einen Neubau. Entstehen soll ein Reisestützpunkt mit Bistro, Grossraumbüro, Buseinstellhalle und Aussenparkplätzen, wie dem Baugesuch im "Anzeiger" zu entnehmen ist.

 Zumutung Schützenmatte

 Der Kiesplatz, auf dem der Twerenbold-Terminal erstellt werden soll, diene der Firma seit drei Jahren als Zu- und Aussteigeort für ihre Pauschalkunden, sagt Geschäftsleiter Heinz Weber. Zuvor habe man dafür die Schützenmatte in Bern genutzt. "Aber dieser Platz ist zu einer Zumutung geworden", sagt Weber. "Wir konnten es unserer Kundschaft nicht weiter zumuten, inmitten der Drogenszene ein- und auszusteigen." Abgesehen davon sei die Fahrt in die Innenstadt sehr zeitaufwendig gewesen. "Das zentral an der Autobahn gelegene und problemlos erreichbare Lyssach ist dafür wesentlich besser geeignet."

 Platz für acht Cars

 In den Terminal können laut Weber acht Cars untergebracht werden. Durch den Reisestützpunkt werden sechs bis acht Arbeitsplätze geschaffen. Twerenbold investiert in den Neubau - der auch eine Wohnung umfasst - rund zwei Millionen Franken. Das Land am Stuckiweg habe das Unternehmen "schon vor längerer Zeit" gekauft, sagt der Geschäftsleiter. Falls das Baubewilligungsverfahren planmässig abgewickelt wird, soll der Terminal im nächsten Frühling stehen.

 Grosser Player

 Die vor 115 Jahren gegründete Firma unterhält eine eigenfinanzierte Carflotte, drei Schiffe für Kreuzfahrten und zwei Reisebüros. Sie beschäftigt 150 Mitarbeitende und ist nach eigenen Angaben "einer der grössten Reisebusanbieter der Schweiz".

 Dividenden an die Aktionäre hat das Unternehmen in den letzten Jahren nicht ausbezahlt. "Die Gewinne wurden in den Betrieb investiert. So ist es möglich, unsere Firma unabhängig von den Banken zu entwickeln", teilt Verwaltungsratspräsident Werner Twerenbold auf der Homepage des Unternehmens mit.
 jho

 Die Unterlagen liegen noch bis am 4. Oktober auf der Gemeindeverwaltung Lyssach auf.

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RABE-INFO
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Di. 7. September 2010
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._September_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%207.%20September%202010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._September_2010.mp3
- Greenpeace protestiert vor der japanischen Botschaft: Zwei Aktivisten wurden verurteilt, weil sie einen Walfang-Skandal aufgedeckt hatten
- Gesundheit soll kein Luxusgut sein: Neu gibt in den Caritas-Märkten auch frisches Gemüse
- Rundgang durch die Reitschule: Besuch in der Druckerei

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ROTE WELLE
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Indymedia 7.9.10

Rote Welle vom 5. September 2010 ::

AutorIn : Revolutionärer Aufbau Schweiz: http://aufbau.org     

Aktuelle Sendung (05.09.2010)hier anhören:

http://lora.ch/sendungen/aktuelle-sendungen?mode=2&terms=&list=Offener+Politkanal%3A+Rote+Welle
    
Themen:

- Infos zum 10. Antifaschistischen Abendspaziergang in Bern (ab 13.29)
- Streik bei ISS - Bericht aus Genf
- Mobilisierung gegen die Nazi-Demo in Dortmund
- Interview mit Marco Camenisch aus dem Hochsicherheitsgefängnis Regensdorf
- Über die Kampagne Langzeitgefangene
- Aktuelle Entwicklungen im Baskenland
- Zur Firma "Aegis", welche "Sicherheitsdienste" insbesondere im Irak anbietet
- Und natürlich: kommende Termine     

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ALKVERBOT
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20 Minuten 7.9.10

Junge gegen Alkohol-Verbot

 BERN. Beim Thema Alkohol sind sich die Stadtberner Jungpolitiker für einmal von links bis rechts einig: In der Stadt soll auch im öffentlichen Raum weiter gebechert werden dürfen. Nachdem der Städteverband bekannt gab, dass er sich für ein Trinkverbot im öffentlichen Raum einsetzen will, gehen die Jungpolitiker jetzt auf die Barrikaden. In einem Vorstoss wehren sich etwa die Juso gegen die "in erster Linie gegen Jugendliche gerichtete Verbots- und Bevormundungskultur" - und sind damit auf einer Linie mit den Jungfreisinnigen und der Jungen SVP. "Die Stadtbevölkerung würde einmal mehr mit einem sinnlosen Gesetz bevormundet", so der jungfreisinnige Stadtrat Bernhard Eicher.

 Auch Präventionsexperte und Grossrat Ruedi Löffel hält wenig von solcher Symptombekämpfung. "Besser wären höhere Steuern und ein Mindestalter von 18 Jahren für alle Alkoholika."  NJ

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Basler Zeitung 7.9.10

Umstrittene Trinkverbote

 Dauerhafte Massnahmen wie in Birsfelden gehen wohl zu weit

Michael Rockenbach

 Nächtliche Saufgelage bedeuten häufig auch Lärm, Abfall und manchmal sogar Gewalt. Dagegen gehen die Behörden in der Schweiz ganz unterschiedlich vor. Und manchmal schlagen sie dabei sogar selber über die Stränge.

 "Grauenhaft!" "Nicht schon wieder eine Bevormundung!" "Typisch Verbotsgesellschaft!" Für einmal waren sich die Schweizer Jungsozialisten und die rechtsbürgerliche IG Freiheit einig: Auf öffentlichen Plätzen darf es keine weiteren Alkoholverbote geben. Mit ihren Stellungnahmen reagierten die Jungsozialisten und die IG Freiheit auf die Forderung des Städteverbandes nach einer entsprechenden Grundlage im Bundesgesetz.

 Die neue Bestimmung soll verhindern, dass der Kampf gegen den Alkohol weiterhin ganz unterschiedlich geführt wird in der Schweiz. Am striktesten ist Chur, wo es seit 2008 ab Mitternacht verboten ist, auf den Strassen und Plätzen Alkohol zu trinken. Ein ähnliches Verbot für bestimmte Gebiete wird nun auch in Zürich und Luzern geprüft, Zug hat es am See teilweise schon eingeführt. In der Region Basel ging vor allem die Gemeinde Birsfelden rigoros gegen nächtliche Ruhestörer vor, indem sie über das Birschöpfli ein Aufenthaltsverbot verhängte, das jeweils ab 22 Uhr gilt.

Nicht verhältnismässig

Bei den vielen verschiedenen Bestimmungen ist der Wunsch nach einer Bundeslösung nachvollziehbar. Der Bundesrat will allerdings nichts davon wissen - weil der Bund laut Verfassung zwar den Handel mit Alkohol regeln darf, nicht aber den Konsum. Das sei Sache der Kantone und Gemeinden, stellte die Landesregierung in den Erläuterungen zur laufenden Revision des Alkoholgesetzes fest. Immerhin kommt der Bundesrat dem Städteverband aber so weit entgegen, dass er den Erläuterungen ein Musterreglement beigelegt hat.

 Darin ist von einem "örtlich und zeitlich beschränkten Alkoholverbot" die Rede. Erlassen werden könnte es von den Behörden, falls "eine ernsthafte Gefährdung von Drittpersonen" besteht oder mit einem "organisierten Massenbesäufnis" gerechnet werden müsste. Nicht empfohlen wird dagegen ein dauerhaftes Verbot, wie es in Birsfelden, Chur und Zug bereits verhängt worden ist. "Das ist ein Eingriff in die Grundrechte, der durch das öffentliche Interesse an der Sicherheit gerechtfertigt und verhältnismässig sein müsste", sagt Nicolas Rion von der Eidgenössischen Alkoholverwaltung.

 Harassenlauf

Für die Region heisst das, dass sich die Behörden in Birsfelden ernsthaft die Frage stellen sollten, ob sie im Kampf gegen die nächtlichen Gelage nicht selber über die Stränge geschlagen haben. Bestätigt fühlen können sich dagegen die Baselbieter Sicherheitsdirektion und die Behörden von Reinach und Münchenstein, die den Harassenlauf in diesem Jahr mit einem Alkoholverbot an der Birs weitgehend verhinderten; einem Verbot, das - basierend auf den kommunalen Polizeireglementen - nur am 1. Mai galt. Gut möglich, dass solche Verbote nun auch in anderen Gemeinden ein Thema werden. Die Baselbieter Gesundheitsdirektion hat sich in ihrem Namen bei einer früheren Umfrage der Gesundheitsdirektorenkonferenz jedenfalls bereits für die "Schaffung einer rechtlichen Grundlage für alkoholfreie Zonen" ausgesprochen.

 Kein Interesse haben dagegen die Basler Behörden angemeldet. In der Stadt kommt ein generelles Verbot nicht infrage, wie Klaus Mannhart, Sprecher der Justiz- und Sicherheitsdepartements, sagt: "Wer im Rauschzustand Ärgernis erregt, wird gebüsst, alle anderen sollen bei uns nicht bestraft werden."

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DROGEN
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Bund 7.9.10

Korrigendum

 Familiäre Verwechslung

(pkb)

 Im Text "Artikel von Drogenarzt. . ." im "Bund" vom 4. 9. stand fälschlicherweise, SVP-Nationalrätin Andrea Geissbühler sei Präsidentin der "Schweizer Vereinigung Eltern gegen Drogen". Doch Geissbühler ist Co-Präsidentin des "Dachverband Drogenabstinenz Schweiz". "Eltern gegen Drogen" präsidiert SVP-Grossrätin Sabina Geissbühler-Strupler, die Mutter von Andrea Geissbühler. (mzi)

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TAGLÖHNEREI
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Grenchner Tagblatt 7.9.10

Glück hat nur, wer Rot sieht

 Augenschein In der Taglöhnerei der Perspektive gelten ganz eigene Gesetze

 In der Taglöhnerei der Perspektive gehts jeden Morgen um - Jobs. Ein Blick in die Welt jener Menschen, die eine Perspektive für jeden neuen Tag suchen.

 Andreas Kaufmann

 Um acht Uhr morgens surrt das Schloss der Sicherheitstüre und eine Schar von Männern, vereinzelt auch Frauen, strömt ins Innere. Rechts abbiegen, da gehts in die Cafeteria mit Gratis-Kaffee. Allmorgendliche Rituale, wie sie für einen regulären Arbeitsbetrieb üblich sind. Man kennt die Abläufe, hat sie verinnerlicht. Aber was wie ein gewöhnlicher Start in den Arbeitstag anmutet, spielt sich in Wirklichkeit in einem besonderen Umfeld ab. Denn die Taglöhner der Perspektive Region Solothurn wissen nicht, was heute auf sie an Arbeit zukommen könnte - und ob.

 Flauten und Spitzenzeiten

 "Wir hätten für zwei eine Züglete, bei der es anzupacken gilt", ruft die Disponentin hinter dem Podest in die Runde. Bereits hat der aromatische Duft von Kaffee die Luft erfüllt. Vier Hände gehen nach oben, jetzt wird ausgelost. Ironie des Schicksals: Sie, die zeitlebens selten das grosse Los gezogen haben, nehmen an einer täglichen Verlosung mit grossen Gewinnchancen teil - an einer Verlosung um Arbeit. Rote "Töggu" verheissen Glück, bei grünen geht man leer aus. "Zwar gibts meistens für jeden was", bestätigt Mireille Graf, Zuständige für Arbeitseinsätze bei der Perspektive Region Solothurn. In den Sommermonaten bestehe sogar ein Mehrbedarf an Arbeitskraft, die man nicht völlig abdecken könne: "Lediglich im Januar und Februar gehen zuweilen einige Taglöhner leer aus." Besondere Spitzen gibt es während der offiziellen Zügeltermine im April und Oktober.

 "Fötzle" oder "littern"?

 Es herrscht meistens eine familiäre Stimmung in der Cafeteria. Nur ab und zu und dann vor allem bei alkoholisierten Taglöhnern kommt es vor, dass mal einer ausruft - gerade, wenn man bei der Jobvergabe einmal leer ausgeht. Eines haben die allermeisten gemeinsam: ein Suchtproblem - von Alkohol über Kokain bis Heroin. Oder dann macht sich dieses in Form gesundheitlicher Altlasten bemerkbar. Zumindest während der Arbeitszeit haben sie "clean" zu bleiben. Marco C.* nimmt am Programm für Gemeindearbeitsplätze (GAP) teil. Im Gegensatz zu den Taglöhnern haben diese Arbeitskräfte eine Beschäftigung auf sicher. So wird dort meistens "gfötzlet" oder "gelittert", wie es so schön heisst. Mit Klammer bewaffnet nimmt auch Marco C. seine tägliche Tour in Angriff, um die Fusswege von Abfall zu befreien. Das Anti-Littering-Gesetz hat den GAP-Teilnehmern keine Arbeit weggenommen. Es ist so schmutzig wie eh und je, und für einmal ist jemand nicht ganz unglücklich darüber.

 "Auf der anderen Seite sind viele Leute dankbar für unsere Arbeit und stecken mir hie und da einen Batzen zu", erzählt Marco C. Nicht zuletzt solche Gesten stärken auch sein Arbeitsengagement: "Wenn in der Blauen-Post-Unterführung mal eine Birne kaputt ist, melde ich das jeweils selbst der Regio Energie, die dafür auch dankbar ist."

 Doch auch argwöhnische Blicke einiger Passanten muss der 37-Jährige zuweilen auf seiner "Fötzeli"-Tour aushalten. Oder dann schmerzt seine Hand von der immer gleichen Bewegung. "Doch insgesamt bin ich sehr froh, einen Job zu haben, eine feste Tour." Dem steten Leben ging ein turbulentes voraus: "Ich wohnte immer wieder irgendwo anders. In Solothurn bin ich dann in die Drogen abgestürzt." Diese Arbeit lenkt ihn von der Sucht ab, die sich jeden Morgen beim Gang zur kontrollierten Heroinabgabe von neuem äussert. Und spätestens, wenn seine Tour am Amthausplatz vorbeiführt, wird er auch mit seinem alten Leben, seinen alten Freunden konfrontiert: "An den Leuten komme ich halt nicht vorbei."

 "Daheim würde ich versauern"

 Auch im Leben des Taglöhners Kurt B.* ist im Vergleich zu früher einiges ins Lot gekommen. Nicht zuletzt dank einem einschneidenden Entscheid, wie er schonungslos erzählt: "Als ich vor acht Jahren 40 wurde, sagte ich mir: Entweder kriegst du es jetzt auf die Reihe oder aber gibst dir den Schuss, aber nicht in den Arm, sondern in den Kopf." Gesundheitlich gehts ihm heute besser, auch dank Methadon. Lediglich mit Kreislaufproblemen kämpft er. "Aber Spritzen fasse ich keine mehr an", versichert er. Gearbeitet habe er immer wieder, Kurt B., der damals die Gärtnerlehre mit Bravour abgeschlossen hatte. Und so ist er auch heute froh, dass es so ist: "Zu Hause würde ich versauern, bis um 11 liegen bleiben und TV schauen. Es ist gut, dass ich hier ab und zu einen Job fassen kann." Und auch für ihn ist der Grundsatz heilig: "Während der Arbeit bleibt man clean, gerade auch wegen der Unfallgefahr." Kurt B. glaubt auch, dass jeder es aus der Misere rausschaffen kann: "Es ist nie zu spät - für niemanden."

 * Namen der Redaktion bekannt

 Gassenrundgang: Am nächsten Samstag findet ab 11 Uhr ein zweistündiger Gassenrundgang durch Solothurn im Hinblick auf die Lebenswelt von Suchtbetroffenen statt. Treffpunkt ist der Amthausplatz.

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 Er überwacht die Aufträge

 Um die Taglöhner auf ihren Einsätzen zu betreuen, kommt der sozialpädagogisch ausgebildete Vorarbeiter Nicolas Ducommun zum Einsatz: "Die Tätigkeit des Arbeitsagogen beinhaltet immer auch einen Spagat zwischen Wirtschaftlichkeit und sozialem Auftrag. Beidem gerecht zu werden, ist alles andere als einfach." So teilt Ducommun die Arbeitskräfte entsprechend ihren Fähigkeiten ein, begleitet die Leute auf ihrem Einsatz und hat auch ein offenes Ohr für private Anliegen. Andererseits muss er der Verpflichtung gegenüber den Kunden Rechnung tragen, die bei der Perspektive Region Solothurn um Manneskraft anfragen. "Dabei gilt es, den Auftrag auch zu überwachen." So machen sich drogenbedingt körperliche Schwächen und Stimmungsschwankungen bemerkbar. "Oft sind sich nämlich die Kunden nicht vollends im Klaren, was sie erwartet."

 Dennoch sieht Ducommun in den Arbeitseinsätzen einen Nutzen für alle - nicht nur für die anfragenden Kunden: "Arbeit bietet Stabilität und ist persönlichkeitsbildend. Und gerade bei den Teilnehmern der Gemeindearbeitsplätze lässt sich auch die Selbstständigkeit fördern." Und einer der wichtigsten "Nebeneffekte" der Arbeit: "So holt man sie von der Flasche oder Spritze weg, und sei es nur für ein paar Stunden." (ak)

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VERDINGT
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20 Minuten 7.9.10

Verdingbub: "Niemand hat je richtig für mich geschaut"

 STEFFISBURG. Mit einem lauten Knall ruft der Selbstmordversuch eines ehemaligen Verdingbuben ein grosses Unrecht in Erinnerung. Die Berner Kantonsregierung soll sich nun entschuldigen.

 B.K.* kann nicht mehr. Er stellt eine Gasflasche auf den Herd und hofft, dass ihn die Explosion endlich in den Tod reisst. Doch der Selbstmordversuch geht schief: B. K. wird am Sonntag nach der Gasexplosion in Steffisburg nur leicht verletzt ins Spital eingeliefert (20 Minuten berichtete). "Körperlich geht es ihm den Umständen entsprechend gut", sagt Kapo-Sprecherin Ursula Stauffer. Schlimmer steht es um den psychischen Zustand des 53-Jährigen: Er hat die Leiden seiner Jugend als Verdingbub nie verwunden und immer wieder Suizidversuche unternommen.

 Dieses Schicksalsmuster ist Grossrätin Christine Häsler (Grüne) bekannt: "Manche Verdingkinder erlebten so viel Leid, Gewalt und Not, dass sie ihr Leben nie in den Griff bekommen." Ein hoffnungsloser Fall sei er, sagt B. K. in einem Porträt, das im März im Strassenmagazin "Surprise" erschienen ist: "Richtig geschaut hat nie jemand für mich, nicht die Eltern und auch nicht der Staat."

 So wurden im Bernbiet Zehntausende Kinder als Arbeitssklaven zu Bauern abgeschoben. "Die damaligen Behörden haben sich schuldig gemacht", sagt Häsler. Sie verlangt deshalb mit einem Vorstoss, dass sich der Kanton offiziell entschuldigt. Zudem soll ein Fonds geschaffen werden, der den Opfern Hilfe bietet. Mit einem ähnlichen Vorschlag von Peter Bühler (SVP) befasst sich demnächst das Berner Stadtparlament.  

PATRICK MARBACH

 *Name der Redaktion bekannt

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 Verdingkinder in TV und Kino

 TRUB. Misshandelt, ausgebeutet, gedemütigt: Was Verdingkinder wie B. K. erleiden mussten, ist traurig, aber trotzdem filmreif. Am 22. September beginnen im Emmental die Dreharbeiten zu Markus Imhofs Spielfilm "Der Verdingbub". Als Kulisse wird ein Bauernhof im Stil der 50er-Jahre hergerichtet. Mit dem Thema Verdingkinder befasst sich heute auch die Sendung "Club" auf SF 1.

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AUSSCHAFFUNGEN
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Basler Zeitung 7.9.10

Entschädigung nach tödlicher Ausschaffung

 Bern. Die Familie des nigerianischen Asylsuchenden, der Mitte März vor seiner Ausschaffung am Flughafen Zürich an Herzversagen gestorben ist, hat 50 000 Franken erhalten. Dies schreibt der Bundesrat in einer Antwort auf eine Interpellation von Philipp Müller (FDP/AG). Bislang hatte das Bundesamt für Migration (BFM) nur bestätigt, dass die Familie des Verstorbenen Geld erhalten habe; den Betrag nannte das BFM nicht. Das Westschweizer Fernsehen hatte den Betrag auf 50 000 Franken beziffert. In der gestern veröffentlichten Interpellationsantwort bezeichnet der Bundesrat die Zahlung als einmalige "humanitäre Geste".  SDA

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BIG BROTHER VIDEO
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Thuner Tagblatt 7.9.10

Fast jeder kann sich wehren

 Bald soll die Videoüberwachung in Thun im "Anzeiger" publiziert werden. Fast jede und jeder ist einspracheberechtigt.

 Noch hat die Stadt das Gesuch für Videokameras an fünf Brennpunkten in Thun nicht beim Kanton eingereicht: Es fehlt eine Stellungnahme des Datenschutzbeauftragten. Die Publikation im "Anzeiger" soll aber bald erfolgen.

 Eine Einsprache einreichen dürfen alle potenziell Betroffenen, was in diesem Fall einem sehr grossen Personenkreis entspricht. Trotzdem gibt es Grenzen. Wo diese allerdings verlaufen, müsste von Fall zu Fall beurteilt werden. Noch haben sich weder politische Parteien noch Private gegen die Überwachung ausgesprochen. Hingegen wünschen sich einige die Kameras so rasch als möglich herbei.
 mik/don

 Seite 21

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Videoüberwachung in Thun: Gesuch noch nicht eingereicht

 Einsprachen von (fast) allen möglich

 Noch fehlt eine Stellungnahme des Thuner Datenschutzbeauftragten: Doch im laufenden Monat soll die Videoüberwachung im Anzeiger publiziert werden. Einspracheberechtigt sind potentiell Betroffene - und damit fast alle.

 Im März hat der Thuner Gemeinderat kommuniziert, dass in Thun an fünf Standorten Videokameras installiert werden sollen, um Auswüchsen im Nachtleben entgegenzuwirken (wir berichteten). Zuletzt hiess es, die Kameras könnten unter Umständen bereits im September montiert werden. Wie sieht es nun mit der Videoüberwachung in Thun aus? Noch wurde das entsprechende Gesuch beim Kanton nicht eingereicht: "Wir warten auf die Stellungnahme des Thuner Datenschutzbeauftragten", erklärt Erwin Rohrbach, Leiter der Abteilung Sicherheit. Er hoffe aber weiterhin, dass die Videoüberwachung noch im laufenden Monat im Amtsanzeiger publiziert werden kann. "Gibt es keine Einsprachen, sollten wir die Kameras an den fünf Standorten Ende September oder Anfang Oktober montieren können", sagt Rohrbach.

 Keine klare Grenze

 Einspracheberechtigt sind normalerweise direkt Betroffene - also bei Bauprojekten etwa direkte Anwohner. Doch wie verhält es sich im Fall der Kameras, bei denen jede Person, die sich in deren Umkreis aufhält, potentiell betroffen ist? Erwin Rohrbach bestätigt, dass grundsätzlich fast jede Person eine Einsprache einreichen könnte. Allerdings gebe es ähnliche Beispiele im Verkehrsrecht, wo Einschränkungen gelten: "Wenn etwa in Thun die Geschwindigkeit auf einer Strecke runtergesetzt wird, und jemand aus dem Pruntrut Einsprache machen will, weil er dort mal vorbeifahren könnte, dann reicht das nicht." Anders sei die Situation, wenn die auswärtige Person etwa regelmässig Einheimische besucht und die Strecke befährt. Im Fall der Videoüberwachung würde die Hürde laut Rohrbach wohl nicht allzu hoch angesetzt. So dürfte es reichen, wenn jemand öfters in Thun im Ausgang ist. "Wo die Grenze genau verläuft, ist aber schwierig zu sagen", betont der Leiter der Abteilung Sicherheit.

 Politik trägt mit

 Konkrete Hinweise, dass es zu Einsprachen kommen könnte, hat Rohrbach ebenso wie Reklamationen zu den Plänen des Gemeinderats bisher nicht erhalten - weder von politischen Parteien, noch von Privaten. "Im Stadtrat gab es Vorstösse zur Videoüberwachung, die breit getragen wurden." Innerhalb der SP wurde das Thema zwar kontrovers diskutiert. Inzwischen hat sie sich aber für einen punktuellen Einsatz von Kameras ausgesprochen (wir berichteten). "Fundamentalopposition ist bisher nicht in Sicht", resümiert Rohrbach. Lob gab es direkt nach Bekanntgabe der Pläne etwa von der SVP. Und die Thunfest-Verantwortlichen hätten Kameras am liebsten schon beim diesjährigen Anlass in Betrieb gehabt.

 Weitere Kameras möglich

 Die Videoüberwachung an den fünf Standorten Obere Hauptgasse (Bereich Borsalino/Saint Trop), Untere Hauptgasse (Bereich Kraftstoffbar), Coop Kyburg (Bereich Ecke Aare-Kuhbrücke), Kinderspielplatz beim Stauffergässchen sowie Vorplatz der Aufbahrungshalle beim Schorenfriedhof ist eine Art Pilotprojekt. "Wir wollen schauen, was es bringt", sagt Erwin Rohrbach. Rund ein Jahr lang müssten sicher Erfahrungen gesammelt werden, weil es zwischen den Wintermonaten und der Sommerzeit Unterschiede im Ausgehverhalten gebe - wenn auch immer weniger grosse. Bereits im März hatte der für die Sicherheit zuständige Gemeinderat Peter Siegenthaler (SP) explizit nicht ausgeschlossen, dass dereinst je nach Resultat der Versuchsphase weitere Kamerastandorte hinzukommen könnten.
 
Michael Gurtner

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 Rechtslage

 Kameras nur an Brennpunkten

 Im Kanton Bern ist Video-überwachung an Brennpunkten erlaubt, wo es in der Vergangenheit bereits zu Übertretungen kam. An den fünf Thuner Standorten waren dies vor allem Nachtruhestörungen. Die Bilder der Kameras werden nicht in Echtzeit überwacht. Ausgewertet werden die Aufnahmen ausschliesslich von der Polizei - und dies nur nach konkreten Vorfällen, die eine Auswertung rechtfertigen. In solchen Fällen könnten die Bilder Ermittlungsansätze bei Straftaten liefern. Die Behörden erhoffen sich zudem eine präventive Wirkung.
 mik

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SQUAT ZH
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Tagesanzeiger 7.9.10

"Haued ab, das ist unser Haus!"

 Das Hotel-Restaurant Annaburg war das einzige Berggasthaus der Stadt Zürich auf dem Uetliberggrat. Für kurze Zeit von Aktivisten besetzt, blieb letztlich nur ein simpler Picknickplatz mit Feuerstelle übrig.

 Von Silvio Temperli

 Zürich - Die Burg fällt im April 1990, gebodigt von den Stadtzürcher Stimmberechtigten. Diese verwerfen am 5. März 1989 die Volksinitiative der Sozialdemokraten zur Rettung der Annaburg - hauchdünn: 42 384 Nein gegen 41 125 Ja. Damit ist das Schicksal des populären Berghauses nach einem schier endlosen Kampf für immer besiegelt. Die Sieger sind namentlich bürgerliche Kreise. Sie haben davor gewarnt, mit Steuermillionen eine baufällige Ruine zu einem unrentablen Ausflugsrestaurant umzubauen. Mindestens 6 Millionen hätte die Renovation gekostet. Rettungsversuche einer privaten Stiftung sind zuvor gescheitert.

 Unweit vom Uto Staffel stösst der Wanderer auf die Überreste der Annaburg. Der biedere Picknickplatz mit Feuerstelle und WC-Häuschen lässt kaum vermuten, dass hier einst ein romantisches Chalet im typisch helvetischen Holzbaustil des 19. Jahrhunderts stand.

 Ein gewisser Jacob Meier errichtet im Jahr 1876 die Annaburg als Sommerresidenz für seine kränkliche Frau Anna. 1894 erwirbt Klara Gerber die Liegenschaft. Sie lässt einen Wirtschaftstrakt anbauen und eröffnet ein Ausflugsrestaurant mit 40 Zimmern samt Gartenwirtschaft, Panoramaterrasse und Veranda. Und gibt dem Hotel den Namen Annaburg - im Gedenken an das Erbauerehepaar. 1963 kauft die Stadt Zürich für 453 000 Franken die Gaststätte. Man will der Bevölkerung an schönster Lage eine Beiz mit Gemütlichkeit ohne Luxus bieten. Mit der Zeit vergammelt das Haus. Und steht ab 1979 leer.

Polizei-Einsatz am Berg

 Acht Jahre lang, bis die Annaburg im Spätherbst 1987 besetzt wird. Es ist die Zeit des Häuserkampfs. Aktivisten, die selbstbestimmten Wohn- und Lebensraum fordern, richten sich im alten Hotel ein. Die Stadt befiehlt aus feuerpolizeilichen Gründen die Räumung.

 Am 6. November 1987, einem goldenen Herbsttag, ist eine Kolonne von Polizeifahrzeugen unterwegs auf den Uetliberg. Der Angriff dauert weniger als eine halbe Stunde. Es donnern Gummigeschosse durch die Luft. Tränengas nebelt den Berg ein, Wanderer husten und fliehen den Wald hinunter. Hinter den Polizisten beobachtet der damalige Finanzminister Willy Küng die Szene. Die Besetzer, etwa 150 an der Zahl, rufen: "Haued ab, die Annaburg ist unser Haus!" Beim Einsatz seien sieben Menschen am Kopf verletzt worden, lassen die Aktivisten verlauten. Nach Angaben der Polizei gibt es keine Verletzten. Doch die Annaburg steht wieder leer und bröckelt vor sich hin. Bis 1990, als sie auf Geheiss der Zürcherinnen und Zürcher der Spitzhacke zum Opfer fällt. Abbruch und Gestaltung des Rastplatzes kosten über 1 Million Franken.

 Seither besitzt die Stadt Zürich keine Gaststätte mehr auf ihrem Hausberg. Sie schlägt später das Angebot der UBS in den Wind, das Gipfelrestaurant zu erwerben. Als die Grossbank den Uto Kulm 1999 abstossen will, nimmt sie das Vorkaufsrecht nicht wahr. Zu jener Zeit schnürt man unten im Rathaus Sparpakete. Oben auf dem Uetliberg herrscht fortan Hotelier Giusep Fry.

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 Viele Grüsse aus Zürich

 Fotochrom-Postkarten (7)

 Jetzt werden sie wieder prominent in die Auslagen gerückt: die Ansichtskarten von Zürich. Die schönsten sind bis heute die Fotochromkarten geblieben. Der TA zeigt diesen Sommer die gelungensten Fotochromkarten von Zürich. Die meisten entstanden um das Jahr 1900. Sie zeigen das Bild einer Kleinstadt, die sich anschickte, eine Wirtschaftsmetropole zu werden. (TA)

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ANTIREP
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linksunten.indymedia.org 7.9.10

Operative Antirepression - Was ist das?

Verfasst von: Roland Ionas Bialke  

Kreative Antirepression ist in der "orthodoxen Antirepressionsarbeit" ein Tabu. Bei der näheren Betrachtung fällt jedoch auf, dass viele etablierte "orthodoxe Antirepressionsgruppen" genau die gleiche reaktionäre Arbeit leisten, wie das Ziel ihrer Kritik - die Gruppen, die kreative Antirepressionsarbeit befürworten. Schliesslich fällt auf, dass Antirepressionsarbeit nur notwendigerweise Beachtung findet, nicht gemacht werden will, und alle Antirepressionsgruppen durch das Fehlen von Organisation keine "Operative Antirepression" leisten können.

Was ist Kreative Antirepression?

Kreativität ist die Fähigkeit neue Problemstellungen durch die Anwendung erworbener Fähigkeiten zu lösen. Repression bedeutet im polizeilichen Handeln* das Verfolgen von Straftaten und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Kreative Antirepression bedeutet also neue Fornen der Verfolgung von Straftaten und der Aufrechterhaltung der Ordnung durch die Anwendung erworbener Fähigkeiten zu verhindern.

In der orthodoxe Antirepressionsarbeit wird hingegen nicht versucht Repression zu verhindern, sondern ihr geradlinig zu begegnen. Anhänger und Anhängerinnen der "orthodoxen Antirepressionsarbeit" glauben an die Theorie der Aussageverweigerung und handeln mit Hilfe von Rechtsanwälten und Rechtsanwältinnen passiv. In ihren Theorie wird anerkannt, dass es kreative Repression gibt, politischen Personen aber die Fähigkeit abgesprochen selbst auf diese operativ reagieren zu können. Die Kampagne "Anna und Arthur halten´s Maul!" ist der bekannteste Beitrag zur "orthodoxen Antirepressionsarbeit" und die Schrift "Was tun wenn´s brennt!?" des Roten Hilfe e.V. unter den Anhänger und Anhängerinenn der "orthodoxen Antirepressionsarbeit" weit verbreitet und beliebt.

Die Aussageverweigerung der "orthodoxen Antirepression" ist nicht klar definiert und lässt somit nur Kreativität zu. Der starre Glaube, dass durch das Nicht-Gesagte keine Aussage gemacht wird, ist falsch! Vielmehr bringt unerfahrene Aktivisten und Aktivistinnen der starre Glaube an die Aussageverweigerung in eine ungünstige und pro-repressive Situation.

Uns ist also aufgefallen, dass sich Kreative Antirepression mit "neuen Formen" der Repression beschäftigt und "othodoxe Antirepression" neue Formen der Repression erkennt, aber nicht flexibel, sondern in einem starren Rahmen reagiert. Doch was sind genau diese "neuen Formen" der Repression? Diese Frage muss an dieser Stelle nicht beantwortet werden! Klargestellt werden muss nur, dass es eine Ungleichzeitigkeit gibt, für erfahrene Individuen etwas bekannt ist und für unerfahrene Individuen das Gleiche neu sein kann. Und an dieser Stelle ist es notwendig den Begriff der "Operativen Antirepression" einzuführen.

Was ist Operative Antirepression?

Repression bedeutet im polizeilichen Handeln* das Verfolgen von Straftaten und die Aufrechterhaltung der Ordnung. Operativ bedeutet Aktionen präzise zu planen und auszuführen. Operative Antirepression bedeutet also durch präzis geplante und ausgeführte Aktionen das Verfolgen von Straftaten und die Aufrechterhaltung der Ordnung zu verhindern.

In der Praxis handeln beide antirepressiven Ausrichtungen (kreativ und orthodox) ähnlich - teilweise handeln sie operativ. Durch Informationsveranstaltungen, Bücher/Broschüren und Homepages geben erfahrene Personen Wissen über Repression an unerfahrenen Personen weiter. Hier fällt auf, dass "orthodoxe Antirepressionsarbeit" eine hierarchisierte Form der "Kreativen Antirepressionsarbeit" ist, und orthodoxe und kreative Antirepressionsarbeiten gegenwärtig keine wirkliche Antirepressionsarbeit sein kann, da sie zur Zeit in der praktischen Arbeit nicht radikal sind.

Der Gang durch die Institutionen

Ende der 1960er Jahre sahen einige unerfahrene Leute, dass wichtige Positionen in der Gesellschaft von Alt-Nazis besetzt waren. Sie meinten, dass Demonstrationen und terroristische Interventionen nicht die notwendigen Veränderungen bringen (die vorherrschende Ordnung der Nazis zu zerschlagen), solange nicht eine genügende Kampfstärke erreicht war. Ihre Lösung war: Die Institutionen (Gerichte, Polizeistationen, Parlamente, Universitäten, etc.) nicht mit Gewalt zu bekämpfen, sondern ein Teil dieser neonazistisch geprägten Institutionen zu werden. Das wurde "der Gang durch die Institutionen" genannt und war Kreative Antirepressionsarbeit.

Um es nicht zu verwechseln: "Kreative Antirepression" und "Operative Antirepression" sind zwei verschiedene Dinge. Der Unterschied ist der Organisationsgrad. Wenn Wir den Gang durch die Institutionen betrachten, dann müssen Wir das heute als "querfront" und ins-Unbekannte-hinein-gegangen betrachten. Darum handelt es sich bei dem Gang durch die Institutionen auch nicht um eine radikale Vorgehensweise und auch nicht um Operative Antirepressionsarbeit. Radikal würde bedeuten bis an die Wurzel zu gehen und die Institutionen aufzulösen und operativ würde bedeuten die komplette Antirepressionsarbeit bis ins kleinste Detail zu planen

Doch wer mit dem Staat zusammenarbeitet ist nicht radikal. Tatsächlich scheiterte der Gang durch die Institutionen und der reformistische Fortschritt in der Gesellschaft war grösstenteils nur den terroristischen Organisationen zu verdanken. Mahler, Fischer und Schily sind einige Namen, die durch die Institutionen gingen, aber auch "Linke", die heute Richter und Richterinnen sind und "Kriminelle" in den Gefängnissen abtöten lassen. Auffällig ist auch, dass der Gang durch die Institutionen (körperlich) nie in den exekutiven repressiven Kräften (u.a. Polizei, Armee, Geheimdienste) gelang.

Schauen Wir Uns die Lösung der "orthodoxen Antirepressionsgruppen" an: Eine unerfahrene Person geht auf die Universität und lernt dort von Menschen, die einen Repressionsauftrag haben, etwas über Repression. Die Person studiert Jura. Auch wenn die Person vorher selbst Repressionserfahrungen gemacht hat, und Repression ablehnt, dann wird sie dort jahrelang durch repressive Menschen und ihre repressive Beeinflussung verändert. Die Situationen "erster Tag in der Zelle" und "erster Tag im Jurastudium" sind die selben! Denn jederzeit kann jemand Fragen stellen. Warum behaupten "orthodoxe Antirepressionsgruppen", dass an dieser Stelle die eine Person stabiler und überlegter Handeln kann, als die andere? Das ist Klassenverhalten und einfach nicht der Realität entsprechend. Gehen Wir aber einige Schritte weiter: Gibt es sowas wie ein Berufspraktikum? Und hier zeigt sich, dass selbst Menschen, die nur Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen werden wollen, repressive Aufgaben übernehmen - Sie praktizieren in dieser Zeit u.a. staatsanwältliche Aufgaben, klagen Menschen an. Später befürwortet der eine Anwalt oder die andere Anwältin in der Nebenklage auch mal eine Strafe und bekräftigt und bestätigt somit das repressive vroherrschende System.

Der unerfahrene Mensch in der Zelle, der vom Staatsschutz vernommen wird, traut sich vermutlich durch die "orthodoxen Schriften" nicht nach der Toilette zu fragen. "Steht ja nicht in der Rechtshilfebroschüre." Das macht diese Person ganz unsicher, und schliesslich macht es ihn kirre, dass egal ist, ob er was über seine Bedürfnisse sagt oder nicht, da beides vom Staatsschutz notiert und in ein Profil übertragen wird.

"Ich bin genauso dumm wie Du", würde jetzt die kreative Antirepressionsaktivistin sagen. Denn auch sie und alle bekannten Gruppen, die "Kreative Antirepressionsarbeit" machen, betreiben konsequente Aussageverweigerung. Nur fragen sie nach der Toliette, wenn sie auf´s Klo müssen. Aber auch sie haben kein Mittel dagegen, dass ihr Dasein als Aussage verwertet wird.

Den Vogel haben die "orthodoxen Antirepressionsgruppen" (und auch viele Menschen, die Kreative Antirepressionsarbeit betreiben) mit angemeldeten Demonstrationen abgeschossen. Im Idealfall für den Repressionsapparat gibt es ein Anmeldungsgespräch. Ja, liebe Aktivisten und Aktivistinnen - Da gehen Politaktivisten und Politaktivistinnen aus Euren Gruppen hin und reden mit der Polizei. Sie verraten der Polizei Details über Eure Aktionen. Die Demonstration selbst wird dann von der Polizei beobachtet und alle Teilnehmer und Teilnehmerinnen helfen durch ihre Aussage bei der Ermittlung von zeitgleich stattfindenden Straftaten - durch das Ausschlussverfahren. Aber nicht nur bei gleichzeitig stattfindenden Straftaten haben sie ausgesagt, durch Themen der Demonstrationen und Deine Teilnahme erlaubst Du auch Rückschlüsse auf Deine Teilnahme oder Nicht-Teilnahme an Aktionen/Straftaten zu anderen Zeiten.

Eine Organisationsdebatte?

Linke Rechtsanwälte und Rechtsanwältinnen beklagten, u.a. in der Rote-Hilfe-Zeitung, dass sie kaum noch politischen Bezug zu den aktiven Menschen haben. Sie fühlen sich als Dienstleister und Dienstleisterinnen. Und selbst der Rote Hilfe e.V. will nicht mehr nur eine Versicherung sein. Rechtsanwalt und Rechtsanwältin, Du musst Dein ganzes Wissen an die unerfahrenen Menschen weitergeben! Fernab der repressiven Universitäten. Da führt kein Weg vorbei. Die repressive Hierarchisierung von Wissen muss bekämpft werden! Das geht nicht nur an die Juristen und Juristinnen, sondern auch an die etablierten "orthodoxen Antirepressionsgruppen" Rote Hilfe und den Ermittlungsausschüssen. Das Wissen, was ihr erlangt, darf nicht das Wissen von ein paar Wenigen sein. In den letzten 20 Jahren hat Eure Aktivität und Euer Organisationsgrad stark abgenommen. Wo sind die Analysen, wo macht ihr Wissen über die Repression nutzbar? Wir brauchen mehr Beispiele aus der Repression, um die effektiv Repression angreifen zu können.

Vor einigen Jahren diskutierten einige Menschen, dass es sinnvoll wäre in die Polizei und in die Armeen zu intervenieren. Diese Menschen wollten Polizisten und Polizistinnen oder Soldaten und Soldatinnen werden, um taktische "Geheimnisse" dieser Repressionsorgane zu verraten und repressive Ressourcen für Aktivisten und Aktivistinnen nutzbar zu machen. Macht es ihnen nach!

Gegenobservation organisieren

Es wurden Aufrufe veröffentlicht, nach denen die Menschen nicht auf Demonstrationen filmen sollen. Es gäbe ja genug organisierte Gruppen, die das machen und keine anderen Teilnehmer und Teilnehmerinnen der Demonstration gefährden. Beim momentanen Organisationsgrad ist dies aber nicht richtig. Diese Gruppen gibt es nicht und wenn doch, dann können sie, genau wie alle anderen auch, nicht auf ihre Aufnahmen aufpassen.

Die logische Konsequenz ist: Filmen ohne Speicher. So macht es die Polizei teilweise auch. Eine Person hat die Kamera und eine andere Person den Speicher. Über Funk wird das Aufgenommene weitergeleitet. Dazu braucht es keine Gruppe, es braucht nut zwei Personen. Eine Person filmt im Gefahrenbereich und wird als filmende Person von der Polizei wahrgenommen. Die zweite Person steht deutzende Meter weg und wird in diesem Zusammenhang nicht von der Polizei wahrgenommen. Es gibt Anlagen, die kosten nicht mehr als 100 Euro. 500 Euro würde ich aber schon investieren.

Ein weiterer Punkt sind verdeckte Aufnahmen. Hier ist mir in ganz Deutschland nur eine Gruppe bekannt, die das macht. Dabei ist das so billig. Krasse Anlagen kosten nicht die Welt! Auch hier sind 100 bis 500 Euro gut angelegt. Polizeiliche Übegriffe, Anquatschversuche, Wohnungsdurchsuchungen - Mit verdeckten Filmaufnahmen lässt sich so einiges Dokumentieren.

"Pen Mini DVR" heisst die Technik, mit der die Geheimdienste schon jahrelang Unsere persönlichen Diskussionen und Unsere Versammlungen aufzeichnen können. Wenn sie etwas von Handys ausschalten erzählen, dann achte lieber auf ihre Kugelschreiber! PEN Mini DVRs sind Kugelschreiber und gleichzeitig verdeckte Kameras. Sie kosten im Handel 45 Euro und zeichnen problemlos eine Stunde auf. Das Ganze hat einen praktischen USB-Anschluss.

Organisiere: Operative Antirepression

http://www.youtube.com/watch?v=8-Ol_i8wJ9E 

Get out of Control!

Antikapitalistischer Block auf der "Freiheit statt Angst"-Demonstration
13 Uhr / Potsdamer Platz / Berlin

* Mit polizeiliches Handeln ist nicht nur das Handeln der Polizei gemeint, sondern auch Institutionen und Personen, die der Polizei in ihrem Handeln helfen und unterstützen. Lehrer und Lehrerinnen, das THW, Ärzte und Ärztinnen, Feuerwehrmänner und Feuerwehrfrauen, Erziehungsberechtigte, Ordnungsamt, Jobcenter, Finanzamt, AKtivbürger und Aktivbürgerin gehören beispielsweise dazu.

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ANTI-ATOM
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Tagesanzeiger 7.9.10

Die AKW-Debatte

 Bäumle begrüsst das Modell aus Deutschland

 Der Chef der Grünliberalen erwägt einen Vorstoss, um die Atom-Beschlüsse der Regierung Merkel auf die Schweiz zu übertragen. Noch fehlen Verbündete.

 Von Fabian Renz

 Es wirkt paradox: Sowohl Schweizer Gegner wie auch Befürworter der Atomkraft sehen sich durch die energiepolitischen Weichenstellungen der deutschen Regierungskoalition in ihren Ansichten bestätigt. So nimmt der Thurgauer FDP-Nationalrat Werner Messmer mit Genugtuung zur Kenntnis, dass die Laufzeiten für die deutschen Kernreaktoren um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden sollen: "Bisher wurden uns die Deutschen immer als leuchtende Vorbilder präsentiert, da sie so viel in Alternativenergien investiert hätten. Nun haben auch sie einsehen müssen, dass das Risiko einer Stromlücke ohne Atomkraftwerke vorerst zu gross wäre." Der Basler Sozialdemokrat und Energieexperte Rudolf Rechsteiner wertet dagegen viel höher, dass die Deutschen am Atomausstieg grundsätzlich festhalten.

 Steuer mit Vorbildcharakter

 Eine wieder eigene Sicht der Dinge hat Martin Bäumle, Präsident der Grünliberalen. Für ihn sind die Pläne des nördlichen Nachbarn durchaus nachahmenswert. Im Blickfeld hat Bäumle in erster Linie die Brennelementsteuer und die Sonderabgabe zugunsten erneuerbarer Energien, die den Kraftwerkbetreibern auferlegt werden sollen. Würden die Schweizer Atomstromproduzenten in ähnlicher Weise und mit gleicher Zweckbindung zur Kasse gebeten, wäre für Bäumle ein Kompromiss denkbar: Abstand zu nehmen von der Forderung nach allerraschestem Ausstieg aus der Kernenergie. "Ich überlege mir, dazu einen Vorstoss einzureichen, vielleicht schon in der Herbstsession."

 Bäumle ist sich allerdings bewusst, dass er bei seinen potenziellen Verbündeten im linksgrünen Lager für einen Erfolg noch viel Überzeugungsarbeit leisten muss. Die grüne Nationalrätin Franziska Teuscher aus Bern zum Beispiel lehnt jede Steuer ab, die eine verlängerte Nutzung der Atomkraft legitimieren könnte. Für Teuscher wie auch für Rudolf Rechsteiner (SP) wäre vielmehr angezeigt, dass die Kraftwerkgesellschaften den Staat angemessen für das Risiko entschädigten, das von der Kernspaltung ausgeht. Das Parlament hat eine entsprechende Mehrbelastung der Branche in der Vergangenheit wiederholt abgelehnt.

 Schub für neues Mühleberg?

 Nicht infrage kommt im Übrigen auch für Bäumle der Bau neuer Atomkraftwerke. Diesbezüglich steht im Februar 2011 ein wichtiger Entscheid an: Das Stimmvolk des Kantons Bern wird sich in einer Konsultativabstimmung zum Ersatz des alten Kraftwerks Mühleberg durch eine Anlage der moderneren Generation äussern.

 Könnte die Entwicklung in Deutschland den Ausgang der Berner Abstimmung beeinflussen? "Unsere Gegner werden wohl in der Tat versuchen, das auszuschlachten", meint Franziska Teuscher. Auch FDP-Nationalrat Peter Malama, einer der wenigen bürgerlichen Atomkraft-Gegner, fürchtet einen positiven Effekt für die Mühleberg-Promotoren. Was für ihn der Sache nicht gerecht wird: Deutschland setze nach wie vor viel stärker als die Schweiz auf alternative Energien.

 Jürg Joss vom Verein "Fokus Anti-Atom" hat keine Angst vor dem Abstimmungskampf. Er hat gerechnet: "Die Reaktoren der deutschen Kraftwerke sind allesamt jünger als unsere hier in der Schweiz. Überträgt man die nun in Deutschland beschlossenen Laufzeiten auf unsere Anlagen, kommt man zu folgendem Ergebnis: Mühleberg muss in vier Jahren abgeschaltet werden." Diese Rechnung dem Stimmvolk zu vermitteln, "darauf freue ich mich".

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Kommentar Deutschland-Korrespondent David Nauer über die deutsche Energiepolitik.

 Wie im Nebel eines Kühlturms

David Nauer

 Es war ein Tag der politischen Kapriolen gestern in Berlin. Die Regierung erklärte, sie lasse selbst die ältesten Atommeiler länger laufen - und deutete dies flugs zu einer Art Umweltschutzprojekt um. Besonders laut jubelte Kanzlerin Merkel. Deutschlands Energieversorgung werde nun "die umweltfreundlichste und effizienteste weltweit", sagte sie.

 Man kann zu AKW stehen, wie man will. Aber sie als Quasi-Ökovariante der Energieerzeugung zu schildern, geht doch am Empfinden der meisten Bürger vorbei. Und das ist das Problem des gestrigen Schauspiels. Nicht dass das Energiekonzept der Bundesregierung schlecht wäre. Es gibt durchaus Gründe, warum man die Meiler weiterdampfen lassen kann. Sie liefern günstigen Strom, CO2-frei. Sie verdienen Geld, das man in Wind- und Sonnenkraft investieren kann.

 Dennoch wird die Angelegenheit für das Kabinett Merkel zur Belastung werden. Denn es agierte einmal mehr unglaubwürdig. Wie eine AKW-Besuchergruppe im Nebel eines Kühlturms stolperten die Minister wochenlang durch die Atomdebatte. Brüderle (Wirtschaft, FDP) und Röttgen (Umwelt, CDU) schafften es sogar, aus demselben wissenschaftlichen Gutachten völlig unterschiedliche Schlüsse zu ziehen.

 Und so entstand der Eindruck, dass die Dinge nicht vom richtigen Ende her gedacht wurden, nicht pragmatisch, sondern ideologisch; nicht energiepolitisch, sondern machtpolitisch. Statt der Frage, wie die Energieversorgung in 30 Jahren aussehen soll, stand die Prämisse im Zentrum, dass die AKW nicht abgeschaltet werden dürfen. Dieses Festhalten hat aus der schwarz-gelben Optik mehrere Vorteile. Man erledigt den verhassten rot-grünen Atomausstieg, dieses Prestigeprojekt des Gegners. Zudem freut es die Atombranche - und die Staatskasse.

 Wer so politisiert, darf sich nicht wundern, dass die Opposition "Klientelpolitik" schreit und zur Grossdemo rüstet. Wenn das so weitergeht, verliert Schwarz-Gelb seine Macht spätestens bei den nächsten Bundestagswahlen. SPD-Chef Gabriel hat schon angekündigt, die Laufzeitverlängerung der AKW zu kippen, sobald man wieder regiere. Das wird dann wieder so ein Tag der politischen Kapriolen in Berlin.

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Die AKW-Debatte

 Strompreise steigen weniger stark an

 Für Schweizer Stromverbraucher ist der deutsche Atomentscheid eine gute Neuigkeit: Die längeren Laufzeiten der AKW wirken sich laut Ökonomen preisdämpfend aus.

 Von David Vonplon, Bern

 Heute gibt die Stromaufsichtsbehörde Elcom die neuen Stromtarife für 2011 bekannt. Und die Angaben der über 700 Elektrizitätswerke zeigen, dass die Unternehmen in den meisten Regionen auch im kommenden Jahr mehr für Strom bezahlen werden müssen. In dieser Situation ist das neue Energiekonzept in Deutschland für grosse Stromverbraucher in der Schweiz ein Hoffnungsschimmer: Denn Ökonomen prognostizieren, dass sich die Laufzeitverlängerung deutscher Kernkraftwerke mittelfristig positiv auf die Strompreise in der Schweiz auswirken wird.

 Laut Avenir Suisse ist der Atomkompromiss für Schweizer Verbraucher "eine gute Neuigkeit": "Das deutsche Atomkonzept wird sich aller Voraussicht nach preisdämpfend auswirken", erklärt Urs Meister, Energiespezialist bei der Denkfabrik. Da erneuerbare Energien - Windenergie und Fotovoltaik - den Strombedarf noch länger nicht decken könnten, hätten in Deutschland Gas- und Kohlekraftwerke die fehlende Atomenergie ersetzen müssen. Schon heute bestimmen solche fossilen Kraftwerke mit ihren hohen Brennstoffkosten die Preise an der Strombörse. Bei einem frühzeitigen Atomausstieg wäre ein weiterer Preisschub kaum abzuwenden gewesen. Werden aber mehr Kernkraftwerke weiter betrieben, dürften die Strompreise tiefer liegen. Und das bekommt man auch hierzulande zu spüren, da die Grosshandelspreise sich in der Schweiz - insbesondere während der Sommermonate - nach dem Preisniveau des deutschen Marktes richten.

 "Wir sitzen im selben Boot wie Europa", sagt Urs Näf, Energiespezialist beim Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Wenn in Deutschland mit seiner energieintensiven Industrie die Engpässe grösser würden, spüre das auch die heimische Wirtschaft, zumindest solange die Schweiz Strom importieren müsse. "Deshalb ist das jetzige Festhalten der deutschen Regierung an der Atomenergie für die Schweiz ein gutes Zeichen." Näf glaubt, dass sich damit auch die Versorgungssicherheit hierzulande erhöhe: In Deutschland stehen die Kernkraftwerke vor allem im Süden, wo auch ein Grossteil der Industrie beheimatet ist. "Gerade in dieser Region ist ein Ersatz durch Kohlekraftwerke praktisch ausgeschlossen, da keine geeignete Lieferinfrastruktur vorhanden ist." Engpässe würden sich da direkt auf die Schweiz auswirken.

 Auch Haushalte profitieren

 Von tieferen Preisen im Ausland profitieren in erster Linie die Grossverbraucher, deren Preise sich bereits am Markt orientieren. Im kurzfristigen Grosshandel an den Strombörsen dürfte die Laufzeitverlängerung allerdings nicht unmittelbar spürbar sein. Bei längerfristigen Kontrakten könnte es laut Urs Meister von Avenir Suisse jedoch möglich sein, dass sich die Konditionen verbessern.

 Doch auch die Haushalte profitieren gemäss Meister mittelfristig von tieferen Marktpreisen in Deutschland. Zwar richtet sich der Strompreis für die Kunden der Grundversorgung bis zur vollständigen Strommarktliberalisierung nicht nach dem Marktpreis. Da Schweizer Versorger einen Teil ihres Stroms im Ausland einkaufen, würden sich die tieferen Beschaffungskosten aber über kurz oder lang auch im regulierten Strompreis der kleinen Kunden niederschlagen.

 Laut Urs Näf von Economiesuisse profitieren die Stromverbraucher von der neuen Preissituation nur unter einer Bedingung: Die Brennelementsteuer, welche die deutsche Regierung von den Energiekonzernen verlangt, dürfe nicht zu hoch ausfallen.

 Auch die Stromversorger zeigen sich erleichtert über den Regierungsentscheid in Deutschland. In Jubelstimmung befindet sich der Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen jedoch nicht. Im Gegenteil: "Mit dem Atomkompromiss wendet die Regierung bloss eine massive Verteuerung des Stroms ab", erklärt Direktor Joseph Dürr. Das ändere aber nichts daran, dass die grosse Nachfrage nach Strom in Deutschland und in ganz Europa kaum gedeckt werden könne. "Weitere Strompreiserhöhungen sind darum kaum abzuwenden."

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Landbote 7.9.10

Deutscher Brennstoff für Schweizer Debatte
 
Jann Lienhart

 Die Verlängerung der Laufzeit der deutschen AKWs wird sich auch auf die Atomstromdebatte in der Schweiz auswirken. Unklar dabei ist jedoch wie. Denn Kernkraftbefürworter wie -gegner sehen sich durch den deutschen Entscheid bestätigt.

 BERN - Am Sonntagabend ist der deutschen Kanzlerin Angela Merkel nach Aussagen ihres Wirtschaftsministers Rainer Brüderle ein "grosser Wurf" geglückt. Sie hat sich mit den Chefs der grossen deutschen Energiekonzerne auf eine AKW-Steuer und im Gegenzug auf eine Laufzeitverlängerung der deutschen Kernkraftwerke geeinigt. Dieser "Wurf" wurde auch in der Schweiz sowohl von Atomstromgegnern wie -befürwortern mit Interesse zur Kenntnis genommen. Er werde die Diskussion um neue Schweizer Kernkraftwerke positiv beeinflussen, ist man sich einig. Positiv heisst dabei, dass beide Seiten davon ausgehen, dass der deutsche Entscheid vor allem die eigene Argumentation unterstützt.

 "Ausstieg ist unrealistisch"

 Dieser Entscheid zeige nämlich, sagt Konrad Studerus, der Vizepräsident der kernenergiefreundlichen Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves), dass ein Ausstieg aus der Kernenergie nicht so schnell realisierbar sei wie behauptet. "Es handelt sich dabei schlicht um die Anerkennung der Realität", sagt Studerus. In der Schweizer Diskussion um neue Kernkraftwerke werde man damit nicht mehr um das Beispiel Deutschland herumkommen. Ein erster Testlauf in dieser Diskussion ist da laut Studerus ein Urnengang im Kanton Nidwalden. Da werde in drei Wochen über eine Initiative zum Ausstieg aus der Atomenergie abgestimmt. Die Initiative werde jedoch beim Volk kaum eine Chance haben, sagt Studerus. Am Schluss siege wohl wie in Deutschland die Vernunft. Wichtig sei der deutsche Entscheid aber nicht nur darum. "Er verschafft uns bei der Organisation der Energiezukunft auch mehr Zeit", sagt Studerus. Weil die deutschen Kraftwerke länger am Netz blieben, werde sich nämlich auch die Schweizer Stromsituation entschärfen. "Die Stromlücke kommt zwar. Durch den deutschen Entscheid kommt sie jedoch weniger heftig", sagt Studerus.

 "Berlin bestätigt den Ausstieg"

 Ein Argument, das auch Wasser auf die Mühlen der Atomstromgegner sein könnte. Jürg Buri, der Geschäftsleiter der atomstromkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), erwähnt diesen Aspekt jedoch nicht. Wichtig am deutschen Entscheid ist für Buri vor allem, dass die deutsche Regierung den Ausstieg aus der Kernenergie nicht in Frage gestellt hat. "Damit bleibt es beim Grundsatzentscheid für den Ausstieg", sagt er. Im Gegensatz zur Schweiz seien in Deutschland trotz Wechsel von Rot-Grün zu Schwarz-Gelb neue Kernkraftwerke vom Tisch. "Die Schweizer Stromproduzenten stehen mit ihren Plänen für neue Atomkraftwerke sehr einsam da", sagt Buri. Die Chance, diese Pläne realisieren zu können, seien mit dem deutschen Festhalten am Ausstieg jedenfalls sicher nicht grösser geworden. Im Gegenteil, sie hätten sich verringert.

 Buri erwartet jedoch, dass mit der Laufzeitverlängerung in Deutschland die Schweizer Kernkraftwerkbetreiber erst recht bestrebt sein werden, ihre Kraftwerke solange wie möglich betreiben zu können. "Alte und längst abgeschriebene Kraftwerke sind sehr lukrativ", sagt Buri, der zudem die Wirksamkeit der Kontrollen dieser Werke anzweifelt. Diese würden nämlich von einer Behörde durchgeführt, die in direktem Kontakt mit den Kernkraftwerkbetreibern stehe. "Die Aufsichtsbehörde für die Kernenergie, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi), ist nicht unabhängig", sagt Buri. Darum sei es auch unwahrscheinlich, dass das Ensi tatsächlich eine Abschaltung eines AKW verfügen würde, wenn damit ein AKW-Betreiber Einbussen von Dutzenden von Millionen Franken hinnehmen müsste. Die Gegenseite bestreitet dies. "Die Abschaltkriterien sind klar und unbestritten", sagt Konrad Studerus von der Aves. Eine Laufzeitverlängerung werde auch gar nicht angestrebt. "Aus Sicherheitsgründen und um die Stromlücke zu füllen, braucht die Schweiz nicht eine Verlängerung der Laufzeiten der alten Kernkraftwerke, sondern den Bau von neuen", sagt er.

 JANN LIENHART

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 In der Schweiz entscheiden die Technik und ein Amt

 Im Gegensatz zu Deutschland kennt die Schweiz keine festen Laufzeiten für Atomkraftwerke. Die Betriebsbewilligungen aller Schweizer Atomkraftwerke sind nach der Änderung der Bewilligung für das AKW Mühleberg unbefristet. Grenzen für die Betriebsdauer der AKWs setzen jedoch die sogenannte Abschaltverordnung und das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi), das die Schweizer Kernkraftwerke jährlich einer Prüfung unterzieht. Fällt diese Prüfung gemäss der Abschaltverordnung negativ aus, kann das Ensi die Abschaltung des Werks verfügen. Damit ist in der Schweiz die Laufzeit eines AKW keine politische, sondern eine technische Frage. Das heisst jedoch nicht, dass die Laufzeiten in Deutschland länger wären. Im Gegenteil: Aktuell gehen die Schweizer Kernkraftwerkbetreiber von einer Laufzeit ihrer Kraftwerke von 50 Jahre für alte Werke (Beznau I und II und Mühleberg, 1969 und 1972 in Betrieb genommen) und 60 Jahre für die neueren Werke (Gösgen und Leibstadt, 1978 und 1984 in Betrieb genommen) aus. In Deutschland gilt neu jedoch nur eine Laufzeit von durchschnittlich 44 Jahren. Zuvor galt sogar nur eine von 32 Jahren.

 Alterungsprozess entscheidet

 Entscheidend für die Lebensdauer eines Kernkraftwerkes ist der Zustand des Reaktorgefässes. Durch den dauernden Beschuss mit Neutronen wird dieses Gefäss spröde, was die Lebensdauer des AKW begrenzt. Es gibt jedoch Mittel, die diesen Alterungsprozess verzögern können. So kann das Reaktorgefäss ausgeglüht oder ganz ersetzt werden. Vor allem der Ersatz ist jedoch gemäss Angaben des Ensi so teuer, dass eine solche Sanierung wirtschaftlich kaum sinnvoll ist. In der Vergangenheit hat sich laut dem Ensi jedoch auch gezeigt, dass dieser Alterungsprozess weniger rasch vor sich geht als ursprünglich angenommen. Es sei darum möglich, dass die heutige Prognose zu den Laufzeiten noch einmal erhöht werden könnte. Nicht auszuschliessen sei jedoch auch das Gegenteil. (jl)

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Basler Zeitung 7.9.10

Deutscher Atomausstieg löst sich in Luft auf
 
Schwarz-gelbe Regierung will die 17 Atomkraftwerke acht beziehungsweise 14 Jahre länger am Netz lassen
 
BENEDIKT VOGEL, Berlin

 Rund 16 Prozent des deutschen Stroms stammen heute aus erneuerbaren Energien, fast dreimal so viel wie vor zehn Jahren. Der Ausstieg aus dem Atomausstieg bringt diese Energiewende in Gefahr.

 Vor zehn Jahren hat die rot-grüne Regierung von Kanzler Gerhard Schröder den Atomausstieg beschlossen. Doch noch immer werden in Deutschland Atomkerne zur Energiegewinnung gespalten. 2003 und 2005 gingen zwar die Atomkraftwerke Stade und Obrigheim vom Netz. Doch das Gros des atomaren Kraftwerkparks ist weiter in Betrieb und deckt noch immer knapp einen Viertel des deutschen Strombedarfs. Erst in der Legislatur 2009/2013 hätte der Atomausstieg richtig gegriffen. Sieben der 17 deutschen AKW hätten in dem Zeitraum abgeschaltet werden müssen.

 WEITER Am NETZ. Doch jetzt hat die konservativ-liberale Regierung in Berlin, die seit letztem Oktober im Amt ist, den Atomausstieg abgeblasen. Was CDU/CSU und FDP vor der Bundestagswahl 2009 angekündigt und später in ihrem Koalitionsvertrag niedergeschrieben hatten, wird nun wohl bald Wirklichkeit: Die 17 deutschen Atomkraftwerke sollen über das Jahr 2022 hinaus weiterlaufen.

 Die Laufzeit der Atommeiler, bisher auf durchschnittlich 32 Jahre begrenzt, soll um durchschnittlich zwölf Jahre verlängert werden. Das hat die schwarz-gelbe Koalition in der Nacht auf gestern Montag beschlossen. Dabei wird die Laufzeitverlängerung gestaffelt: Ältere AKW sollen acht Jahre länger laufen, jüngere, nach 1980 in Betrieb genommene Werke 14 Jahre.

 Alle deutschen AKW können mit dem jüngsten Beschluss über das Jahr 2013 hinaus weiterbetrieben werden. Das erste AKW muss erst im Jahr 2019 vom Netz, das letzte 2036 (vgl. Grafik).

 Trotz des Kurswechsels beim Atomstrom will die deutsche Regierung die erneuerbaren Energien weiter fördern. Diese waren in den letzten zehn Jahren unter dem Eindruck das Atomausstiegs kräftig ausgebaut worden, besonders die Windenergie. Im letzten Jahr stammten 15,6 Prozent des deutschen Stroms aus erneuerbaren Energien. Zehn Jahre früher waren es erst sechs Prozent gewesen.

 GELD FÜR OFFSHORE. Die erneuerbaren Energien sollen trotz Revival der Atomenergie im Jahr 2030 50 Prozent des deutschen Stroms liefern, 2050 sogar 80 Prozent, sagte Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) gestern in Berlin. Der deutsche Staat will den Bau von Offshore-Windanlagen in der Nordsee mit vergünstigten Krediten im Volumen von fünf Milliarden Euro fördern.

 MERKELS "REVOLUTION". Röttgen sparte gestern nicht mit Eigenlob. Deutschland verfüge nun über ein energiepolitisches Gesamtkonzept für die nächsten 40 Jahre, gab er sich überzeugt. Dieses sei bezüglich Verlässlichkeit, Effizienz und Klimaschutz im Vergleich zu den anderen Industriestaaten "unübertroffen". Kanzlerin Angela Merkel sprach gleichentags von einer "Revolution im Bereich der Energieversorgung".

 Der Ausstieg aus dem Ausstieg bringt dem deutschen Staat auch finanzielle Vorteile. Die vier Atomkraftbetreiber Eon, RWE, Vattenfall und EnBW werden als Gegenleistung für die Laufzeitverlängerung nämlich kräftig zur Kasse gebeten. Von 2011 bis 2016 haben sie insgesamt fast 14 Milliarden Euro in Form einer Brennelementesteuer abzuliefern; das Geld fliesst in die Sanierung des maroden Staatshaushalts. Im gleichen Zeitraum sollen die Energiekonzerne weitere 1,4 Milliarden Euro in einen Fonds einzahlen, mit dem die erneuerbaren Energien ausgebaut werden.

 Ab 2017 soll die Brennelementesteuer nicht mehr erhoben werden. Die Konzerne sollen ab diesem Zeitpunkt aber 0,9 Cent (rund 1,2 Rappen) pro Kilowattstunde in den besagten Fonds einzahlen. Damit werden nach Aussage von Wirtschaftsminister Rainer Brüderle langfristig weitere 15 Milliarden Euro bei den AKW-Betreibern abgeschöpft.

 > Tageskommentar Seite 2

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 Auch die Schweiz baut weiter auf AKW

 Ersatz für alte Werke. Bis zu 45 Prozent ihres Energiebedarfes deckt die Schweiz mit Atomkraft. Fünf AKW sind derzeit am Netz: Beznau 1 (in Betrieb seit 1969), Beznau 2 (1972), Mühleberg (1972), Gösgen (1979) und Leibstadt (1984).

 Politik und Wirtschaft setzen nebst erneuerbaren Energien weiterhin auf die Kernenergie. Die Unternehmen Axpo, Alpiq und BKW haben dem Bund am 30. Oktober 2009 drei Rahmenbewilligungsgesuche für AKW-Neubauten eingereicht. Diese sollen die beiden Meiler in Beznau sowie diejenigen in Mühleberg und Gösgen ersetzen. Offen ist, ob sich die Stromproduzenten darauf einigen werden, bloss zwei Gesuche einzureichen. Ende Oktober wird das Eidgenössische Nuklearsicherheits-Inspektorat ein Sicherheitsgutachten vorlegen. Bis März 2011 können sich die Kantone äussern. Der Bundesrat will Mitte 2012 über die Gesuche entscheiden.

 Dann hat das eidgenössische Parlament und - im Falle eines Referendums - das Volk das Wort. Die neuen AKW könnten nach Durchlaufen weiterer Bewilligungsverfahren etwa ums Jahr 2025 Strom liefern.

 Laut Gesetz dürfen AKW in der Schweiz so lange laufen, wie die Betreiber ihren sicheren Betrieb garantieren können. Die Energiewirtschaft rechnet für Beznau 1 und 2 sowie für Mühleberg mit einer Laufzeit von mindestens 50 Jahren. Gösgen und Leibstadt sind auf eine Lebensdauer von 60 Jahren ausgerichtet. mfu

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Tageskommentar

 Doppelt ausgezahlt
 
BENEDIKT VOGEL, Berlin

 Atomausstieg - nein Danke, sagt die Regierung Merkel. Sie will die Laufzeiten der deutschen Atomkraftwerke auf bis zu 46 Jahre verlängern. Der im Jahr 2000 von SPD und Grünen mit der Energiewirtschaft ausgehandelte "Atomausstieg" soll damit ausgehebelt werden. Atomkraftwerke dürften dann in Deutschland wieder so lange laufen wie in der Schweiz und anderen Ländern, annähernd zumindest.

 Noch ist die Absicht nicht Gesetz. Die SPD wird alles daran setzen, der Regierung über den Bundesrat (Länderkammer) eine Niederlage zu bereiten. Doch noch ist offen, ob der Bundesrat bei der Laufzeitfrage tatsächlich mitreden darf. Der Streit hält Juristenfutter parat und wird wohl erst vom höchsten deutschen Gericht entschieden.

 Schon im Jahr 2000 war klar, dass die deutschen AKW nicht von einem Tag auf den anderen vom Netz gehen werden. In den zehn Jahren seither wurden denn auch nur gerade zwei ältere Atommeiler mit geringerer Leistung abgeschaltet. Die meisten aber liefern bis heute Atomstrom, ungeachtet des offiziell proklamierten "Atomausstiegs".

 Sollte dieser eher zögerliche als beherzte Atomausstieg jetzt ganz abgeblasen werden - nutzlos war er trotzdem nicht. Die erneuerbaren Energien wurden im vergangenen Jahrzehnt kräftig gefördert. Zudem schuf der damalige Ausstiegsbeschluss die Voraussetzung, dass die Energiekonzerne heute einen erklecklichen Teil ihrer Gewinne aus den abgeschriebenen Werken an das Gemeinwesen und zur Förderung der Energiewende abgeben müssen. So gesehen hat sich dieser Atomausstieg, auch wenn er keiner war, doppelt ausgezahlt.

 benedikt.vogel@baz.ch

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Aargauer Zeitung 7.9.10

Schweiz stimmt 2013 ab

 Zur Debatte stehen derzeit drei neue AKW

 Voraussichtlich im Jahr 2013 werden Herr und Frau Schweizer an der Urne über ein neues oder mehrere neue AKW befinden. Der Abstimmungskampf zu diesem heissesten aller politischen Eisen ist aber längst entbrannt. Der Stromkonzern Axpo etwa wirbt im Schweizer Fernsehen seit rund eineinhalb Jahren für seinen "praktisch CO2-freien" Schweizer Strommix (und verschweigt dabei seine Investitionen in Gaskraftwerke im benachbarten Ausland).

 Eine erste solche Werbeoffensive - ein Spot mit Fussballtrainer Köbi Kuhn - erregte schon 2007 den Zorn von Energieminister Moritz Leuenberger. Umgekehrt haben sich die Umweltorganisationen zur Stopp-Atom-Allianz zusammengetan und organisieren in regelmässigen Abständen öffentliche Kundgebungen sowie Hintergrundgespräche für die Medien.

 Derzeit sind zwei Rahmengesuche für drei neue Kraftwerke hängig - wobei davon auszugehen ist, dass ein Gesuch noch zurückgezogen wird:

 Atel möchte neben dem AKW Gösgen im solothurnischen Niederamt ein neues Werk erstellen. Mit einer Kapazität von 1600 Megawatt würde das neue AKW die Leistung der bestehenden Anlage um 600 Megawatt übertreffen.

 Axpo und die BKW haben gemeinsam ein Rahmenbewilligungsgesuch für die Ablösung der Kernkraftwerke Beznau I und II im Kanton Aargau sowie Mühleberg bei Bern eingereicht. Auch diese zwei neuen 1600-Megawatt-Anlagen würden die Leistung der älteren Modelle übertreffen, wären also mehr als nur ein Ersatz.

 In einem Monat wird das Nuklearsicherheitsinspektorat seine Sicherheitsanalysen zu den Rahmenbewilligungsgesuchen präsentieren. Bundesrat und Parlament dürften darüber 2012 entscheiden.

 Gegen eine Bewilligung kann dann das fakultative Referendum ergriffen werden. Dass dies auch geschehen wird und es, wie gesagt, voraussichtlich 2013 zur Volksabstimmung kommt, steht ausser Frage. Falls es grünes Licht gibt, geht oder gehen die neuen AKW frühestens 2025 ans Netz. (cav)

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Le Temps 7.9.10

La Suisse entre dans une nouvelle ère nucléaire

 Trois projets de nouvelles centrales déposés

Willy Boder

 La question de la prolongation de la durée de vie des centrales nucléaires ne se pose, légalement, que pour celle de Mühleberg, à 14   km de la ville de Berne, qui abrite l'un des cinq réacteurs en service en Suisse. Mühleberg n'est pas la plus ancienne des centrales. Elle a été mise en service en 1972, respectivement trois ans et une année après les deux réacteurs argoviens de Beznau. La centrale bernoise est cependant la seule pour laquelle une durée d'exploitation limitée avait été fixée, jusqu'en 2012, par les autorités fédérales. Un incendie qui avait éclaté en juillet 1970 lors des essais de mise en service explique cette prudence.

 La durée de vie d'une centrale, estimée à 40   ans, peut être techniquement augmentée d'au moins 50% selon certains spécialistes nucléaires si les révisions annuelles, assorties de rénovations, sont faites correctement.

 En décembre 2009, le Département fédéral de l'énergie a prolongé pour une durée indéterminée l'autorisation d'exploiter Mühleberg, malgré le vote consultatif négatif du peuple vaudois (refus à 64% le 29   novembre 2009). Cette prolongation fait l'objet d'un recours auprès du Tribunal administratif fédéral. Trois projets de nouvelles centrales ont été déposés en 2008 (Mühleberg II, Gösgen II, Beznau III). Seuls deux sites devraient être retenus au terme d'une bataille politique et juridique qui s'annonce longue. Le sixième réacteur, devisé à 7   milliards de francs, ne devrait pas voir le jour avant 2025. La population bernoise sera sans doute consultée sur celui de Mühleberg II en février 2011.

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Aargauer Zeitung 7.9.10

Gegen Tiefenlager

 Verein LoTi vertritt Anliegen der Region

 Gestern Abend hat die Lengnauer Grossrätin Astrid Andermatt in Bachs ZH den Verein LoTi (nördlich Lägern ohne Tiefenlager) gegründet. Der Verein ist ein parteiübergreifendes Bindeglied zwischen der betroffenen Bevölkerung und dem Forum Lägern-Nord. Der Verein soll Widerstände und Forderungen der Bürger zum möglichen Standort "Nördlich Lägern" aufnehmen und diese gegenüber dem Forum äussern. "Das wichtigste Kriterium für die Standortwahl ist die Sicherheit", sagt Andermatt. Sie befürchtet, dass das Tiefenlager nicht am sichersten Ort gebaut werde, sondern dort, wo es am wenigsten Widerstand gebe. Weiter solle die Region nicht zur "Latrine der Schweiz" werden. Mit "Fluglärm, Kraftwerken und dem Zwischenlager" übernehme die Region bereits viel Verantwortung für die Gesamtbevölkerung. (aba)