MEDIENSPIEGEL 13.9.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Rössli, DS, GH)
- Reitschule bietet mehr: Erich + Müslüm; Abstimmungsbeschwerdemüll; Partei-Parolen
- Bewegungsmelder bietet mehr: BZ vs Splitternackte
- Rabe-Info 13.9.10
- Stadtrat 16.9.10: Wildwest-Kapitalismus vor Reitschule
- Migration Control: Alleine in Griechenland
- Sans-Papiers: Berufslehren im Ständerat
- Statistik-Krimi: Kriminalstatistik 2009 - "Rasse" statt "Klasse"?
- Ausschaffungen: Blockade
- Weggesperrt: Entschuldigung an administrativ Versorgte
- Hungerstreikerklärung von 4 ÖkoanarchistInnen
- Burgdorf: RAT-Bar bleibt geschlossen
- Police BE: bessere Arbeitsbedingungen vonnöten
- Police CH: Öffentlicher Raum als Konfliktpunkt
- Alkverbot: unpopulär; kleinkarikiert; GE-tauglich
- Drogen: Scheinkauf-Verbot-Drama
- "Gasse"-Rundgang Solothurn
- Big Brother Sport: Hooligangesetz in Kraft
- Anti-Atom: Kosten Neubau; Tiefen-/Endlager; Aktion Graben; Konsultativabstimmung LU

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REITSCHULE
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Mo 13.09.10
20.30 Uhr - Tojo - Influx Controls von Boyzie Cekwana (Biennale Bern)

Di 14.09.10
20.30 Uhr - Kino   - Uncut - Warme Filme am Dienstag, siehe Tagespresse

Mi 15.09.10
17.00 Uhr - Reitschule - Öffentliche Führung durch die Reitschule (Treffpunkt beim Tor)
19.00 Uhr - SousLePont - Madagaskar Spezialitäten
20.00 Uhr - Grosse Halle - Sextett Travesias & Jugendorchester mit Jugendchor Escuela Paulita Concepción (Havanna, Cuba)
20.30 Uhr - Tojo - .random . . von/mit Jonas Althaus, Jonglage, Tanz & elektronische live Musik

Do 16.09.10
19.30 Uhr - Kino - TATORT REITSCHULE: Mörder auf Amrun, Markus Imboden, D 2009, 90 Min., in Anwesenheit von Markus Imboden
20.00 Uhr - Frauenraum - Play Yourself - offene Bühne und Improvisation, von Frauen für Frauen
20.30 Uhr - Tojo - .random . . von/mit Jonas Althaus, Jonglage, Tanz & elektronische live Musik
21.00 Uhr - Rössli - Labrador City (CH), Venetus Flos (CH); DJ Jane Vayne (CH, Broadband Spectrum) - Folk/Disco-Elektro-Rock/Synth-Pop...

Fr 17.09.10
20.30 Uhr - Grosse Halle - Harakiri, Fritz Lang, D 1919, Live-Musik: Marco Dalpano, Bologna, Piano
20.30 Uhr - Tojo - .random . . von/mit Jonas Althaus, Jonglage, Tanz & elektronische live Musik
22.00 Uhr - Dachstock - Bonaparte (CH/GER) "My Horse likes you" Support: King Pepe (BE), DJ?s Ereccan & Dactylola (Raum) - Electroclash, Pop, Trash

Sa 18.09.10
0-24 Uhr - ganze Reitschule - Abstimmungsfest "Reitschule bietet mehr" - siehe Tagespresse und www.reitschulebietetmehr.ch
16.00 Uhr - Grosse Halle - Tastentheater Schweiz: Die kleinen Strolche - Kino für die Ohren und Musik für die Augen, (The Little Rascals, Hal Roach, USA 1923-1927) Vier Stummfilmepisoden mit Musik von Leo Dick - Uraufführung
19.00 Uhr - SousLePont - Fein Essen!!!
20.30 Uhr - Tojo - .random . . von/mit Jonas Althaus, Jonglage, Tanz & elektronische live Musik
20.30 Uhr - Grosse Halle - The General, Buster Keaton, USA 1926, mit Musica nel buio, Bologna
22.00 Uhr - Dachstock - Abstimmungs-CD Taufe "Reitschule beatet mehr" mit: Tomazobi, The Monsters, Müslüm & The Funky Boys, Mani Porno, Baze, Kutti MC, Steff la Cheffe, Churchhill, Copy & Paste feat. Bubi Rufener (Allschwil Posse), DJ Dannyramone
22.00 Uhr - Frauenraum - Electronic Floor mit missBehaviour (Crash Helmet Crew), Mastra, Berybeat live (Midilux), Brian Python (Festmacher), Xylophee
22.00 Uhr - SousLePont - Lounge mit DJ Tomzoff (70er/80er/90er/Mambo!)

So 19.09.10
20.00 Uhr - Grosse Halle - Glück - Reise nach Bhutan Film und Live-Musik, SMS from Shangri-La, Dieter Fahrer, CH 2009, Konzert und Film: Susanna Dill, Regula Gerber, Mark Oberholzer, Gilbert Paeffgen, Werner Wege Wüthrich

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 13.9.10

Von Gisela Feuz am Montag, den 13. September 2010, um 07:00 Uhr

Kulturbeutel 37/10

Frau Feuz empfiehlt:
Besuchen Sie am Donnerstag das Rössli. Dort kann man das Tanzbein zu Labrador City schwingen, einer musikalischen Wundertüte aus Bern, die eine Mischung aus Indie-Rock, Surf-Pop, Elektro, Wave und Folk bietet. Mit von der Partie ebenfalls Venetus Flos und im Anschluss gibts Disko mit der ehrenwerte Madame Jane Vayne.

(...)

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20 Minuten 13.9.10

Am Samstag im Berner Dachstock

 Gamebois: CD-Taufe mit Sekt und 15 Hits

 BERN. Die Gamebois tauften am Samstag ihr Album "Loops" im Dachstock. Sekt-Dusche, göttlicher Segen und gute Songs waren die Highlights des Abends.

 So viele Frauen stehen selten vor der Bühne im Dachstock. Der Grund: Das Berner Duo Gamebois taufte dort seine Platte "Loops". 15 Soul-Nummern lang begeisterten Sänger Benjamin Kasongo und Produzent Fabio "Pablo" Friedli das nicht ganz gefüllte Konzertlokal.

 Die Platte wurde dabei ganz traditionell mit einem Prosecco-Schauer begossen. Für den Lacher des Abends sorgte hierbei Band-Manager und Chlyklass-Guru Baldy Minder. Angeheitert und als Pfarrer verkleidet sprach er "Loops" vor der Sekt-Dusche seinen göttlichen Segen.

 Neben dieser Show-Einlage stand aber ganz klar die Musik im Vordergrund. Die Gamebois spielten sowohl alte als auch neue Stücke. Und die Fans freuten sich. Besonders gut kamen der Band-Hit "If I Ever" und die Insel-Nummer "Life Is" an. War die Band am Anfang noch etwas nervös, gewann sie mit der Zeit zusehends an Lockerheit, so dass die Zugabe mit den Songs "SMS" und "All on You" ebenfalls zu den Höhepunkten des Abends zählten.  

Pedro Codes

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Bund 13.9.10

Genossen zum Geniessen

 Sie waren noch nie im Ausland - und ihr Spiel ist eine Offenbarung: 34 kubanische Kinder weilen derzeit in Köniz und treten mit bekannten Schweizer Musikern auf.

 Timo Kollbrunner

 Wenn Lorenz Hasler seinen Dirigentenstock hebt, herrscht augenblicklich Stille im Zingghaus in Köniz. Kein Mucks ist zu vernehmen, bis der Dirigent mit einer ausladenden Geste den Einsatz fürs erste Stück gibt - 34 Kinder zwischen neun und fünfzehn Jahren singen los, blasen in die Trompete oder schlagen auf Timbales, kubanische Trommeln. Kein falscher Ton ist zu vernehmen, für den Laien zumindest, exakt gespielte, harmonische Klänge dringen ans Ohr.

 "Que buena musica", ruft Hasler nach dem Stück euphorisiert, und seine Begeisterung ebbt auch im darauf folgenden Gespräch nicht ab. Selbst bei fünfstündigen Proben seien die jungen Kubaner bis zur letzten Minute konzentriert, schwärmt er. Dass junge Menschen mit solch einer Professionalität und Begeisterung zu Werke gehen, erlebe er bei hiesigen Jugendlichen nicht.

 Der Violinist und Geigenlehrer, der den weltberühmten I Salonisti angehört, sieht die Ursachen im sozialistischen System: "In Havanna hängt kein Plakat, es gibt kein Privatfernsehen", erzählt Hasler, der vor fünf Jahren erstmals in Kuba war. Junge Kubaner müssten sich nicht konstant gegen Reize wehren, ihnen bleibe "mehr Raum, um aktiv aufmerksam zu sein". Hinzu käme das kubanische Bildungssystem: Nach zwei Schuljahren wird entschieden, welche Richtung sich für die Kinder als Schwerpunkt empfiehlt. Sport, Musik, bildnerisches Gestalten - jedes Kind kommt an den Ort, an dem seine Talente am ehesten prosperieren könnten. Zum Wohle des Landes. Halbtags Schule, halbtags Musikunterricht bedeutet das für die Kubaner, die derzeit in Köniz sind.

 "Die Strassen hier sind so leer"

 Das Kammermusik-Sextett Travesías ("Überquerungen") ist der Grund, weshalb die Kubaner in der Schweiz weilen. Die sechs befreundeten Berufsmusiker - drei Schweizer, ein Argentinier, eine Kubanerin und eine Schwedin - spielen seit drei Jahren zusammen Stücke zu ausgewählten Gedichten, die sich mit Heimat und Ferne beschäftigen. Für die Musik zeichnet ebenfalls ein bekannter Name verantwortlich: der Berner Musiker Simon Ho. Eine Musik, die "zwischen verschiedenen Musikrichtungen Brücken baut", wie Hasler schwärmt. Im Bestreben, nicht nur zwischen Nah und Fern, sondern auch zwischen Jung und Alt "Travesías" zu ermöglichen, trat das Ensemble 2008 mit Könizer Jugendlichen auf. Diesen Sommer dann spielte das Sextett in Havanna - mit den Schülern der Escuela Paulita Concepión aus El Cerro, einem ärmlichen Stadtteil der kubanischen Kapitale. Nun findet das "Rückspiel" in der Schweiz statt.

 Zum ersten Mal raus aus Kuba, erstmals in einem Flugzeug und nun in Köniz: Geradezu erschlagend müssen all diese Eindrücke auf die jungen Kubaner wirken. "Die Strassen hier sind so leer", staunt die 14-jährige Sängerin Katharina Rodrigez Perez nach der Probe. Der 15-jährige Bläser Roberto Sanchez zeigt sich beeindruckt von den modernen Autos und den kunstvoll gebauten Häusern. Und Jean-Pierre Chicoy Duque erzählt vom mulmigen Gefühl bei Start und Landung des Flugzeugs. Der 14-Jährige Jean-Pierre übrigens wäre laut Hasler hierzulande ein gefragter Musiker. Mit welchem Gefühl und welcher Technik dieser junge Mann die Timbales spiele, da könnten "90 Prozent der Perkussionisten hierzulande einpacken", weiss der Geiger. Danach gefragt, ob sie später Berufsmusiker werden möchten, schauen die Mädchen und Knaben einander schweigend an. Individuelle Lebensentwürfe sind wohl auch im heutigen Kuba kein populäres Gesprächsthema. Zumindest nicht mit Fremden. "Als Journalist sind Sie für die Schüler eine Autoritätsperson", erklärt Lorenz Hasler. Und sie wissen, was man gegenüber Autoritäten sagen sollte und was nicht. "Aber klar", sagen sie, sie hätten immer Lust, zu üben. Doch gefeit gegen die kapitalistischen Versuchungen sind sie nicht, die jungen Genossen. Kleider und Handys wollen sie vor der Abreise erstehen.

 Am nächsten Morgen dann, bei der Premiere von "Travesías" im Münster, geben die jungen Musiker ein stolzes Bild ab. Die Damen ganz in Schwarz, die Herren in weissen Hemden und glänzenden Schuhen, stehen sie da und warten auf ihren Einsatz. Bis auf einige kurze, scheue Blicke in die Wölbungen des Münsters ist nicht die kleinste Undiszipliniertheit auszumachen. Dann hebt Hasler den Stock - und es wird einem schier mulmig ob all der Leidenschaft und Konzentration, mit der sich diese Horde Heranwachsender ins Zeug legt. Eineinhalb Stunden später stehen Hunderte Zuhörer zwischen den Münster-Bänken, und der Applaus scheint nicht mehr enden zu wollen.

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 Auftritte in und um Bern

 Am kommenden Mittwoch treten die Schüler der Escuela Paulita Concepción um 20 Uhr in der Grossen Halle der Reitschule auf. Sie spielen erst ihr eigenes Programm "Sones y Danzones" mit traditionellen Stücken aus Kuba, danach zusammen mit dem Travesías-Sextett das Programm "Travesías 2010". Am Montag, dem 20. September, um 18:30 Uhr, wird "Travesías 2010" im Gemeindehaus Köniz aufgeführt. Die sechs Profimusiker spielen am kommenden Donnerstag um 20 Uhr ohne Orchester ein Kammermusik-Konzert in der Mühle Hunziken in Rubigen. (tik)

http://www.travesias.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 12.9.10

Von Benedikt Sartorius am Sonntag, den 12. September 2010, um 06:43 Uhr

Der Vampir im Casino

Die Berner Biennale eignet sich sehr gut, länger nicht mehr besuchte Kulturorte dieser Stadt zu besuchen. So führte der Weg gestern Abend ins Kultur-Casino, wo das Berner Symphonieorchester F.W. Murnaus klassischen Vampir "Nosferatu" vertont hat.

Graf Orlok alias NosferatuDie von Timothy Brock dirigierte Partitur basierte gemäss dem Programmheft auf der romantischen Oper "Der Vampyr", die passend auf den wesentlich jüngeren Stummfilm adaptiert wurde. Und so standen die Leinwand-Bilder mitsamt dem ratternden Filmprojektor bald einmal im Zentrum des Schauer-Geschehens: Die Reise des Jünglings Hutter - der dem späteren furchtlosen Vampirjäger Polanski überraschend gleicht - zum Anwesen des "erschröcklichen" Grafen Orlok, die See-Überfahrt im Sarg, die Pestratten, die ohnmächtigen Frauen und, vor allem, die unerreichten Schattenbilder im Finale.

Heute Sonntagnachmittag um fünf findet eine weitere Aufführung der "Symphonie des Grauens" statt. Für einmal ohne gedimmtes Kronleuchterlicht, zieht doch das BSO mit dem Gastspiel in der grossen Halle an einen "Ort der Wut."

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REITSCHULE BIETET MEHR
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Basler Zeitung 13.9.10

Neuer Anlauf zur Schliessung

 Bern stimmt zum fünften Mal über Reithalle ab

 Barbara Spycher, Bern

 Das Berner Kulturzentrum Reithalle soll geschlossen und verkauft werden, findet die SVP. Kulturschaffende wehren sich dagegen.

 Am 26. September stimmt die Stadt Bern über die SVP-Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" ab. Das alternative Kulturzentrum soll an den Meistbietenden versteigert werden, weil es "ein Hort von Gewalttätern und Drogendealern" sei. Ob daraus ein Badetempel, ein Einkaufszentrum oder ein Bürogebäude entstehen soll, lassen die Initianten offen.

 Ausser SVP und FDP lehnen sämtliche Berner Parteien, inklusive CVP, BDP und EVP, das Anliegen ab: Die kulturellen Freiräume jenseits von Konsum und Kommerz seien wichtig für Bern. Die bürgerlichen Parteien sehen aber durchaus Verbesserungspotenzial bei den basisdemokratischen Strukturen der Reithalle: Die Stadt brauche klare Ansprechpartner.

 Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass die Initiative angenommen werden könnte. In den vier bisherigen Umnutzungs- und Kreditabstimmungen hat sich das rot-grüne Bern stets hinter das 23-jährige Kulturzentrum gestellt. Im Sommer haben rund 20 Kulturschaffende von Züri West bis Stiller Has eine CD zur Unterstützung der Reithalle herausgegeben. Kultstatus erreichte daraus Müslüms Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?", der sich an den Jung-SVP-Politiker Erich Hess richtet, einen der Hauptexponenten der Initianten.

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 "Müslüm, warum wosch du nid gseh?"

 Erich Hess will die Berner Reithalle an den Meistbietenden versteigern

 SVP-Jungspund Erich Hess teilt gerne mit dem verbalen Zweihänder aus - nun wird er selber Zielscheibe eines Songs. Er nimmts gelassen und kämpft weiter gegen den "Schandfleck" Reithalle.

 Erich Hess hat etwas geschafft, was nur wenigen gelingt: Ihm ist ein Song gewidmet worden. Fast 300 000 haben auf Youtube bereits geschaut, wie Müslüm tanzt und singt: "Erich, warum bisch du nid ehrlich? Erich, warum bisch du immer so aggressiv? Erich, hesch du keini Liebi becho?" Das Lied spielt auf die Aussagen des Jung-SVP-Politikers Hess an, wonach die Berner Reitschule ein Hort von Terroristen, Krawallbrüdern und Dealern sei. Deshalb will Hess das alternative Kulturzentrum an den Meistbietenden versteigern.

 Erich Hess nimmt es gelassen, dass er von Müslüm verhöhnt wird. Es gelte freie Meinungsäusserung. Jedoch sei die Frage falsch gestellt: "Mir wird privat oft vorgeworfen, ich sei zu direkt und zu ehrlich." Die Frage müsse lauten: "Erich, warum bisch du so ehrlich?"

 Provokationen

Hess fällt oft mit verbalen Grenzüberschreitungen auf. Das Berner Kulturzentrum Progr bezeichnete er als "Haus voller Taugenichtse und Tagediebe", Asylbewerber hat er schon mit Ameisen verglichen. Hess provoziert auch mit Aktionen wie jener von letztem Sommer, als er eine SVP-Hotline gegen Sozialhilfemissbrauch installierte. Er rief die Bevölkerung auf, dort Bekannte oder Nachbarn zu denunzieren.

 Im persönlichen Gespräch ist Hess höflich und bleibt selbst im schicken Nadelstreifenanzug sich selber: Ein 29-jähriger Lastwagenfahrer und Politiker, im Emmental aufgewachsen, der Alphorn, Schwyzerörgeli, Hackbrett und Fahnenschwingen anderen kulturellen Darbietungen vorzieht. In der Politik geht es rasch aufwärts mit Hess: Die letzten sieben Jahre hat er im Berner Stadtparlament politisiert, jetzt wurde er ins Kantonsparlament gewählt. Seit zweieinhalb Jahren ist er Präsident der Jungen SVP Schweiz. Als solcher hat er auch schon die Mutterpartei in die Knie gezwungen. Die SVP-Spitze hatte sich gegen das Referendum gegen die EU-Personenfreizügigkeit ausgesprochen, also sammelte Hess mit der Jungen SVP die nötigen Unterschriften. Im Abstimmungskampf schwenkte die Mutterpartei dann auf seine Linie ein.

 Mit der Abstimmung über die Reithalle dürfte er keinen Erfolg haben. "Ist diese Initiative Zwängerei oder Selbstprofilierung, Herr Hess?" - "Weder noch", meint der Initiant. Aber die Zustände in der Reithalle seien unhaltbar, alle gewalttätigen Demos etwa würden von der Reithalle aus organisiert. Würde sie geschlossen, "wird Bern nicht zu einer kulturellen Wüste", findet Hess. Und fragt Müslüm zurück: "Warum wosch du d Missständ nid gseh?"  spy

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 "Erich, warum bisch du nid ehrlich?"

 Kult-Türke Müslüm setzt sich mit seinem ganzen "Herzeli" für die Reithalle ein

 Sein Solidaritätssong für die Reithalle hat Müslüm zum nationalen Durchbruch verholfen. Sein Erfinder Semih Yavsaner ist überrumpelt.

 Nur die Augen erinnern an Müslüm. Der struppige Schnauz ist weg, das rosa Jacket ist einem schwarzen gewichen, und wenn er spricht, ist sein Berndeutsch akzentfrei. Semih Yavsaner (30) ist der Erfinder und Interpret von Müslüm, der es in wenigen Wochen zu Kultstatus brachte. Dabei war Müslüms erstes Lied "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" als Testlauf gedacht. Es erschien auf der CD gegen die Reithalle-Schliessungs-Initiative und zielt auf deren Initianten, SVP-Mann Erich Hess. Müslüms musikalischer Durchbruch war erst für Weihnachten vorgesehen.

 Doch dann kam alles anders: Müslüm, der linkische Türke mit starkem Akzent, farbigen Klamotten und grossem "Herzeli", singt sich in die Herzen der Schweizer. Knapp 300 000-mal wurde der Song auf Youtube bereits angeklickt. Yavsaner wurde vom Hype überrumpelt, von den Anfragen von Journalisten und linken Parteien, die Müslüm für politische Anliegen gewinnen möchten. Doch Yavsaner will nicht, dass Müslüm eine "Marionette für SVP-unfreundliche Kampagnen" wird. Müslüm soll die Leute stattdessen zu Weihnachten mit einer musikalischen Liebesbotschaft beglücken. Denn das ist Müslüms Hauptsorge: "Wo isch de Liebe gebliebe?"

 Grosses Anliegen

Bis zur Abstimmung am 26. September aber engagiert sich Müslüm noch mit Leib und Seele für die Reithalle. Bis dann hat Yavsaner andere kommerzielle Angebote abgelehnt, um die Glaubwürdigkeit von Müslüm nicht zu gefährden. Das alternative Kulturzentrum ist Yavsaner ein echtes Anliegen. "In unserer Gesellschaft ist vieles so gleichförmig - die Reithalle ist ein wichtiger Gegenpol."

 Und was antwortet Yavsaner auf Erich Hess' Frage, warum er die Missstände in der Reithalle nicht sehen wolle? Yavsaner reagiert genervt: "Welche Missstände?" Müslüm hingegen antwortet gelassen: "Zersch studiere, denn schubladisiere." Wieder übernimmt Yavsaner: Wenn man Hess von "Terroristen" sprechen höre und die Reithalle nur von aussen sehe, passe sie in diese Schublade. Aber: "Schaut zweimal hin, macht euch ein eigenes Bild." Er stört sich an diesem "Schubladendenken" der SVP. Bei der Reithalle, aber auch bei Kampagnen gegen Ausländer. Das verletze die Gefühle vieler Ausländer, weiss Yavsaner. Er ist auf dem Papier selber einer, hat keinen Schweizer Pass, obwohl er in Bern aufgewachsen ist. Seine Eltern kamen als türkische Gastarbeiter in die Schweiz. "Aber hey, wir lieben dieses Land genau gleich und geben uns Mühe, etwas beizutragen."  spy

 Müslüms Song ist auf Youtube, iTunes oder exlibris.ch zu finden.

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Zürichsee-Zeitung 13.9.10

Reithalle Warum Müslüm dafür kämpft

 "Erich, warum bisch du nid ehrlich?"

 Sein Solidaritäts-Song für die Berner Reithalle hat Müslüm zum nationalen Durchbruch verholfen. Nun stürmt er die Schweizer Hitparade. Sein Erfinder Semih Yavsaner ist überrumpelt.

 Barbara Spycher, Bern

 Nur die Augen erinnern an Müslüm. Der struppige Schnauz ist weg, das rosa Jacket ist einem schwarzen gewichen, und wenn er spricht, ist sein Berndeutsch akzentfrei. Semih Yavsaner, 30, ist der Erfinder und Interpret von Müslüm, der es in wenigen Wochen zu Kultstatus brachte. Dabei war Müslüms erstes Lied "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" als Testlauf gedacht. Es erschien auf der CD gegen die Reithalle-Schliessungs-Initiative und zielt auf deren Initanten, SVP-Mann Erich Hess. Müslüms musikalischer Durchbruch war erst für Weihnachten vorgesehen.

 Doch dann kam alles anders: Müslüm, der linkische Türke mit starkem Akzent, farbigen Klamotten und grossem "Herzeli", singt sich in die Herzen der Schweizer. Über 260 000 Mal wurde der Song auf Youtube bereits angeklickt, seit kurzem setzt er zum Sturm in der Hitparade an. Yavsaner selber wurde vom Hype überrumpelt, von den Anfragen von Journalisten und linken Parteien, die Müslüm für weitere politische Anliegen gewinnen möchten. Doch Yavsaner will nicht, dass Müslüm eine "Marionette für SVP-unfreundliche Kampagnen" wird. Müslüm soll die Leute stattdessen zu Weihnachten mit einer musikalischen Liebesbotschaft beglücken. Denn das ist Müslüms Hauptsorge: "Wo isch de Liebe gebliebe?"

 Reithalle - ein Gegenpol

 Bis zur Abstimmung am 26.September aber engagiert sich Müslüm noch mit Leib und Seele für die Reithalle. Bis dann hat Yavsaner andere kommerzielle Angebote abgelehnt, um die Glaubwürdigkeit von Müslüm nicht zu gefährden. Das alternative Kulturzentrum ist Yavsaner ein echtes Anliegen. "In unserer Gesellschaft ist vieles so gleichförmig - die Reithalle ist ein wichtiger Gegenpol."

 Und was antwortet Yavsaner auf Erich Hess' Frage, warum er die Missstände in der Reithalle nicht sehen wolle? Yavsaner reagiert genervt: "Welche Missstände?" Müslüm hingegen antwortet gelassen: "Zersch studiere, denn schubladisiere." Wieder übernimmt Yavsaner: Wenn man Hess von "Terroristen" sprechen höre und die Reithalle nur von aussen sehe, passe sie in diese Schublade. Aber: "Schaut zweimal hin, macht euch ein eigenes Bild." Er stört sich daran, dass Erich Hess und die SVP sich dieses "Schubladen-Denkens" bedienen. Bei der Reithalle, aber auch bei Kampagnen gegen Ausländer. Das verletze die Gefühle vieler Ausländer, weiss Yavsaner. Er ist auf dem Papier selber einer, hat keinen Schweizer Pass, obwohl er in Bern aufgewachsen ist. Seine Eltern kamen als türkische Gastarbeiter in die Schweiz. "Aber hey, wir lieben dieses Land genau gleich und geben uns Mühe, etwas beizutragen."

 Müslüms nächster Beitrag wird das Weihnachtsalbum sein - der Plattenvertrag ist unterschrieben; was danach kommt, weiss Semih Yavsaner noch nicht. Im Sommer hat er seine Stelle als Moderator und Produzent beim Zürcher Radio 105 aufgegeben. Dort waren auch Müslüms Telefonscherze zu hören. Dabei offenbart sich ein weiteres Talent Yavsaners. Als Müslüm bewirbt er sich telefonisch bei der Polizei - obwohl er vier Jahre im Gefängnis sass wegen einem Raubüberfall. Das Beeindruckende daran: Die Angerufenen legen nicht auf, sondern steigen ein auf minutenlange, skurrile Gespräche mit dem schrägen Vogel.

 Müslüms Song ist auf Youtube zu finden.

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Reithalle Warum Erich Hess (SVP) dagegen ist

 "Müslüm, warum wosch du nid gsee?"

 SVP-Jungspund Erich Hess teilt gerne mit dem verbalen Zweihänder aus - nun wird er selber Zielscheibe eines Songs. Er nimmts gelassen und kämpft weiter gegen den "Schandfleck" Reithalle.

 Barbara Spycher, Bern

 Erich Hess hat etwas geschafft, was nur wenigen gelingt: Ihm ist ein Song gewidmet worden. Über 260 000 haben auf Youtube bereits geschaut, wie Müslüm tanzt und singt: "Erich, warum bisch du nid ehrlich?" "Erich, warum bisch du immer so aggressiv?" "Erich, hesch du keini Liebi becho?" Müslüm spielt damit auf die Aussagen von Jung-SVP-Politiker Hess an, wonach die Berner Reitschule ein Hort von Terroristen, Krawallbrüdern und Dealern sei. Deshalb will Hess das alternative Kulturzentrum an den Meistbietenden versteigern (siehe Kasten). Am 26. September stimmen die Berner über diese Initiative ab.

 "Henusohaut"

 Erich Hess nimmt es gelassen hin, dass er von Müslüm verhöhnt wird. Die Melodie sei "noch ansprechend", der Text "henusohaut", es gelte freie Meinungsäusserung. Allerdings sei die Frage falsch gestellt: "Mir wird privat oft vorgeworfen, ich sei zu direkt und zu ehrlich." Die Frage müsste eigentlich lauten: "Erich, warum bisch du so ehrlich?" Er sei auch nicht aggressiv, sondern eher ein ruhiger Mensch. Er vertrete politisch aber viele unbequeme Themen, was die Linken vielleicht als "aggressiv" bezeichnen würden.

 Tatsächlich fällt Hess oft mit verbalen Grenzüberschreitungen auf. Das Berner Kulturzentrum "Progr" bezeichnete er als "Haus voller Taugenichtse und Tagediebe", in der Reithalle gebe es "Terroristen" und "mafiöse Strukturen", Asylbewerber hatte er mit Ameisen verglichen. Hess provoziert auch mal mit Aktionen wie jener von letztem Sommer, als er eine SVP-Hotline gegen Sozialhilfemissbrauch installierte. Er rief die Bevölkerung auf, dort Bekannte oder Nachbarn zu denunzieren, bei denen sie Sozialhilfemissbrauch vermuteten.

 Schwyzerörgeli

 Im persönlichen Gespräch ist Hess höflich und bleibt selbst im schicken Nadelstreifenanzug sich selber: ein 29-jähriger Lastwagenfahrer und Politiker, im Emmental aufgewachsen, der Alphorn, Schwyzerörgeli, Hackbrett und Fahnenschwingen anderen kulturellen Darbietungen vorzieht. In der Politik geht es rasch aufwärts mit Hess: Die letzten sieben Jahre hat er im Berner Stadtparlament politisiert, jetzt wurde er ins Kantonsparlament gewählt. Seit zweieinhalb Jahren ist er Präsident der Jungen SVP Schweiz. Als solcher hat er auch schon die Mutterpartei in die Knie gezwungen. Die SVP-Spitze hatte sich gegen das Referendum gegen die EU-Personenfreizügigkeit ausgesprochen, also sammelte Hess mit der Jungen SVP die nötigen Unterschriften. Im Abstimmungskampf schwenkte die Mutterpartei dann auf seine Linie ein.

 Mit der fünften Abstimmung über die Reithalle dürfte er im rot-grünen Bern aber keinen Erfolg haben. Ist diese Initiative Zwängerei oder Selbstprofilierung? Weder noch, meint der Initiant im Gespräch, aber die letzte richtige Schliessungs-Initiative liege 20 Jahre zurück. Die Zustände in der Reithalle seien unhaltbar, alle gewalttätigen Demos etwa würden aus der Reithalle organisiert. Würde sie geschlossen, "wird Bern nicht zu einer kulturellen Wüste", es gebe viele vergleichbare Angebote, findet Hess. Und fragt Müslüm zurück: "Warum wosch du d Missständ nid gsee?"

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 SVP will Reithalle schliessen

 Am 26. September stimmt die Stadt Bern über die SVP-Initiative "Schliessung und Verkauf der Reitschule" ab. Das alternative Berner Kulturzentrum soll an den Meistbietenden versteigert werden, weil es "ein Hort von Gewalttätern und Drogendealern" sei. Ob daraus ein Badetempel, ein Einkaufszentrum oder ein Bürogebäude entstehen soll, lassen die Initianten offen. Ausser SVP und FDP lehnen sämtliche Berner Parteien, inklusive CVP, BDP und EVP, das Anliegen ab: Die kulturellen Freiräume jenseits von Konsum und Kommerz seien wichtig für Bern. Die bürgerlichen Parteien sehen aber durchaus Verbesserungspotenzial bei den basisdemokratischen Strukturen der Reithalle: Die Stadt brauche klare Ansprechpartner.

 Es gilt als höchst unwahrscheinlich, dass die Initiative angenommen werden könnte. In den vier bisherigen Umnutzungs- und Kreditabstimmungen zur Reithalle hat sich das rot-grüne Bern stets hinter das 23-jährige Kulturzentrum gestellt. Es bietet Filmvorführungen, Theater oder Konzerte, beherbergt eine Beiz, einen Frauenraum und Politgruppen. Im Sommer haben rund 20 Kulturschaffende, von Züri West bis Stiller Has, eine CD zur Unterstützung der Reithalle herausgegeben. Kultstatus erreichte Müslüms Song "Erich, warum bisch du nid ehrlich?". (spy)

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20 Minuten 13.9.10

20 Sekunden

 Abstimmung fraglich

 BERN. Wegen Beschwerden ist die Abstimmung über die Reitschule vom 26. September fraglich. Bemängelt wird der Text der Abstimmungsbotschaft. Es werde suggeriert, bei einem Verkauf der Reitschule sei der Kulturbetrieb am Ende.

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BZ 11.9.10

Reitschule

 Beschwerde eingereicht

 Die FDP-Politiker Erwin Bischoff und Fred Moser haben beim Regierungsstatthalteramt Bern Beschwerde gegen die Abstimmungsbotschaft zur Initiative über die Zukunft der Reitschule eingereicht. Sie bezeichnen die Botschaft des Stadtrats als "irreführend" und fordern, dass die Abstimmung vom 26. September verschoben wird.
 azu

 Seite 29

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Reitschule

 Beschwerde gegen Abstimmungsbotschaft

 Gegen das Abstimmungsbüchlein zur Reitschule-Initiative wurde Beschwerde erhoben, weil es irreführend und einseitig sei.

 Hinter der Beschwerde stehen zwei FDP-Mitglieder: Der ehemalige Grossrat und PR-Fachmann Erwin Bischof sowie Fred Moser, Präsident des Vereins "Bern sicher und sauber!". Die beiden monieren in einer Pressemitteilung, dass mit dem Abstimmungsbüchlein zur Reitschule-Initiative das Volk nicht wahrheitsgemäss und vollständig informiert werde.

 So suggeriere der Text "perfiderweise", dass die Initianten den Kulturbetrieb schliessen wollten. Das treffe nicht zu: Die Initiative verlange die Vergabe der Reitschule an den Meistbietenden, die zukünftige Nutzung werde bewusst offen gelassen.

 Abstimmung verschieben

 Ein weitere fatale Falschinformation ist für die beiden Beschwerdeführer, dass im Abstimmungsbüchlein immer von "Verkauf" die Rede sei. Richtigerweise müsste es aber heissen "Verkauf im Baurecht". Das sei ein fundamentaler Unterschied, erklärt Bischof auf Nachfrage. Bei einem Verkauf im Baurecht könne die Stadt nämlich vorab Nutzungsvorschriften erlassen und damit etwa eine kulturelle Nutzung vorschreiben.

 Die Beschwerdeführer verlangen nun, dass die Abstimmung vom 26. September verschoben wird, damit eine neue Botschaft ausgearbeitet werden kann.

 Entscheid vor Abstimmung

 Regierungsstatthalter Christoph Lerch bestätigte gestern in einem Communiqué den Eingang der Beschwerde. Er werde nun eine Stellungnahme der Stadt einholen und noch vor dem geplanten Abstimmungstermin einen Entscheid fällen. Dieser Entscheid kann ans Verwaltungsgericht weitergezogen werden.

 Wem all dies bekannt vorkommt: Im Mai 2009 stand die Progr-Abstimmung auf der Kippe, weil die SVP Beschwerde eingereicht hatte.
 azu

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Bund 11.9.10

Reitschule-Urnengang droht Verschiebung

 Der einstige FDP-Grossrat Erwin Bischof hat beim Regierungsstatthalter eine Gemeindebeschwerde gegen die Stadt Bern eingereicht. Damit will er eine Verschiebung der Volksabstimmung vom 26. September über die Anti-Reitschule-Initiative bewirken. Stein des Anstosses ist die Abstimmungsbotschaft, die nicht vollständig sei und Fehler enthalte, wie Bischof mitteilt. So werde den Initianten unterstellt, dass sie den Kulturbetrieb einstellen wollten. Auch bei einem Ja zur Initiative sei die in der Reitschule gepflegte Kultur aber weiterhin möglich.

 Zudem sei von einem "Verkauf" die Rede, bei dem die Stadt keinen Einfluss auf die weitere Nutzung haben werde. "Das stimmt einfach nicht", sagt Bischof. Es gehe nicht um einen Verkauf, sondern um einen Verkauf im Baurecht, bei dem die Stadt Grundeigentümerin bleiben würde. "Der Stadtrat kann daher eine kulturelle Nutzung festlegen", sagt Bischof. Initiant Erich Hess (SVP) unterstützt die Beschwerde, auch wenn er sie für wenig erfolgsträchtig hält. Statthalter Christoph Lerch (SP) will übernächste Woche einen Entscheid fällen. "Zuerst muss die Stadt Zeit für eine Stellungnahme erhalten", sagt Lerch. (bob)

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BZ 11.9.10

SP Stadt Bern

 Ja zu Wankdorf City

 Die Delegierten der SP Stadt Bern lehnen die Reitschulinitiative ab und sagen nach kontroverser Debatte Ja zur Krediterhöhung für die Wankdorf City.
 pd

 BDP Stadt bern

 Nein zur ReitschulinitiativeDie Bürgerlich-Demokratische Partei der Stadt Bern unterstützt die Kreditaufstockung für die Wankdorf   City. Nein sagt sie dagegen zur Reitschulinitiative der SVP. Die BDP dulde deswegen jedoch keineswegs eine Reitschule als Drogenumschlagplatz oder als Ort der Gewalt. pd

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Bund 11.9.10

Leserbrief Abstimmung über den Verkauf der Reitschule, diverse Artikel im "Bund"

 Wo sollen Kulturschaffende hin?

 Die Reitschule ist eine Kulturoase. Sie gibt der Kultur und der Stadt Bern Farbe. Wieso soll man auf diesen kreativen Ort verzichten? Damit würde nicht nur ein Farbton der Kultur vernichtet, sondern auch die Existenz vieler Kulturschaffenden. Wo sollen denn zum Beispiel Theatergruppen wie wir auftreten, wenn nicht im Tojo der Reitschule? Uns, die Theatergruppe Ararat, gibt es seit zehn Jahren. Seit Anfang Jahr 2010 bereiten wir uns auf eine neue Produktion vor. Trotz unserem voll ausgebuchten Leben proben wir intensiv. Wir wollen einen Beitrag zur Kultur leisten. Dabei gehört die Reitschule fast zum einzigen Ort in Bern, wo wir unsere Arbeit präsentieren können. Diejenigen, welche die Reitschule zu einem Parkhaus oder Einkaufszentrum umnutzen möchten, sollen uns sagen, wo Kulturschaffende wie wir sonst einen Platz finden. Das Leben besteht nicht nur aus Kommerz!

 Taner Tanyeri, Bern

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BZ 11.9.10

"I have a dream"

 Als Martin Luther King vor 47 Jahren beim Lincoln-Denkmal vor die Menschen trat, da hatte er einen Traum. Den Traum vom Ende der Rassentrennung. Als Sarah Palin neulich dasselbe tat, um die "Ehre und Würde" der USA wiederherzustellen, da wurde klar: Die hat keinen Traum, die hat vor allem keine Ahnung. Es steht wahrlich schlecht um die amerikanische Demokratie, wenn mündige Bürger dieser fleischgewordenen Unwissenheit ihr Gehör (oder noch schlimmer: ihre Stimme) schenken.

 Nun gut, vielleicht sollten wir zuerst vor der eigenen Haustüre kehren. Auch hierzulande gibt es Menschen, die glauben, von Erich Hess komme irgendetwas Sinnvolles oder Wahres. Alle paar Jahre kommt zwar eine Initiative zur Schliessung der Reitschule, das ist wahr, aber sinnvoll ist es deswegen noch lange nicht. Bereits fünfmal haben die Berner Stimmberechtigten ähnliche Vorstösse abgelehnt, es drängt sich mittlerweile die Frage auf, ob sich hier irgendwer schwertut damit, den Wählerwillen zu respektieren…

 Zurück zum Lincoln Memorial: Sarah Palin hielt eine fürchterlich anachronistische Rede: von Martin Luther King (Rassendiskriminierung) kam sie via Irakkrieg (wirtschaftliche Interessen, amerikanischer Kolonialismus) zur Ehre von Amerika, die wiederhergestellt werden müsse. Wahrscheinlich weil der Präsident schwarz ist - so viel zum Thema "Ende der Rassendiskriminierung".

 Entschuldigung, das war jetzt sogar mir zu kompliziert und widersprüchlich. Beim Zuhören fühlte ich mich wie Erich Hess an einer Stadtratssitzung: beim einen Ohr rein, beim andern schneller wieder raus als ein Roma-Kind aus Frankreich. Die Rede hatte mehr Widersprüche als Jörg Kachelmann Lausemädchen.

 Aber gut, zuweilen ist die Welt halt ein wenig kompliziert. Suspekt sollte deswegen jeder sein, der ganz einfache Lösungen anbietet, sei es nun für die Reitschule oder die amerikanische Ehre. Letztere müsste vielleicht tatsächlich wiederhergestellt werden, aber besser nicht von Leuten, die glauben, Afrika sei ein Land und Barak Obama Muslim.

 Auch ich habe einen Traum: dass wir alle besser zuhören und uns informieren, um mit unserem Wissen populistische Phrasendrescher zu entlarven. Und ihnen so bei den nächsten Wahlen die Quittung präsentieren - um es mit den Worten von Sarah Palin zu sagen: Wir sollten sie alle "zurückabweisen".

 Adrian Merz

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Bund-Dossier Reitschule
http://www.derbund.ch/bern/Verkauft-fuer-sechs-Milliarden/inhalt-2/reitschule-bern/s.html

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BEWEGUNGSMELDER BIETET MEHR
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BZ 11.9.10

Ausgehmagazin

 Splitternackte werben für die Reitschule

 Ausgerechnet im Jahr des Antisexismus kämpft der Bewegungsmelder mit Bildern von Splitternackten für die Reitschule.

 Eine junge Frau hüpft vor der Reitschule herum und präsentiert ihre Geschlechtsorgane. Weder Zensurbalken noch Textilien verdecken ihre Scham. Mit diesem Cover auf der Berner Ausgabe kämpft das Ausgehmagazin "Bewegungsmelder" für ein Nein zur Reitschulschliessungsinitiative. Gefragt nach dem nicht ganz offensichtlichen Zusammenhang, sagt "Bewegungsmelder"-Geschäftsleiter Marcel Wirth: "Wir zeigen nackte Menschen, weil das Berner Kulturleben ohne Reitschule nackt wäre."

 "Es geht ja nicht um Sex"

 2010 ist das Jahr des Antisexismus, für das die Reitschüler mit einem Transparent beim Haupteingang werben. Wirth sieht keinen Widerspruch: "Die Bilder sind nicht sexistisch." Es gehe darauf ja nicht um Sex. "Vielmehr ists eine plakative Umsetzung unserer Botschaft." Der "Bewegungsmelder" richte sich an ein junges, urbanes Publikum. "Diese Leute verstehen die Aussage." Die Cover-Aktion sei mit den Reitschülern abgesprochen. In den Ausgaben der anderen Städte würden auch nackte Männer gezeigt. Auf den Plakaten sind die Geschlechtsorgane durch einen Balken bedeckt.
 tob

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RABE-INFO
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Mo. 13. September 2010

- Die Abstimmung über die Berner Reitschule spaltet auch die Bürgerlichen: pro und contra Argumente von FDP und BDP
- Kopf der Woche: Mariela Castro Espin, Tochter des Kubanischen Präsidenten, Erzieherin und selbst ernannte Provokateurin

Links:
http://www.cenesex.sld.cu
http://en.wikipedia.org/wiki/Cuban_National_Center_for_Sex_Education

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RaBe-Info 13.9.10
http://www.freie-radios.net/mp3/20100913-allewollen-35980.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=35980

Alle wollen ein alternatives Kulturzentrum - aber welches? Bürgerliche Politiker streiten über die Reitschule-Initiative

Am 26. September findet die Abstimmung über die Reitschule-Initiative statt. Das RaBe-Info hat in den letzten drei Wochen über das Innenleben des Berner Kulturzentrums berichtet. Ausserhalb führt die Reitschule immer wieder zu Kontroversen. Die Reitschule polarisiert aber nicht nur bei Rechts und Links, sondern auch in der sogenannt "bürgerlichen Mitte" der Stadt Bern. Die BDP/CVP-Fraktion hat die Nein-Parole herausgegeben. Die FDP sagt JA zur Initiative, die hauptsächlich von Exponenten der SVP auf die Beine gestellt wurde.

Michael Spahr hat sich bei den bürgerlichen Politikern umgehört.

->> http://www.reitschulebietetmehr.ch

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STADTRAT
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Stadtratssitzung (Traktanden)
Donnerstag, 16. September 2010 13.30 - 16.30, 17.00 - 19.00, 20.30 - 22.30 Uhr
Sitzungssaal im Rathaus

Die Stadtratssitzungen sind öffentlich zugänglich (Besuchertribüne)
Traktanden

1. Kleine Anfrage Fraktion FDP (Philippe Müller, FDP): Wildwest-Kapitalismus vor der Reitschule? (SUE: Nause) 10.000203
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000203/gdbDownload


10.000203 (10/225)
Reg. 66/-00
Kleine Anfrage Fraktion FDP (Philippe Müller, FDP): Wildwest-Kapitalismus vor der Reitschule?

Jeweils am ersten Sonntag im Monat findet auf dem Reitschule-Vorplatz ein Märit mit Gegenständen aller Art statt. Für diesen gälten eigentlich die gleichen Regeln betreffend Sicherheit, Gewerbepolizei, Strassenverkehr etc. wie für alle anderen Marktleute in Bern. Doch sie werden in keiner Weise eingehalten. Welches sind die Gründe für diese - erneute - Ungleichbehandlung/Privilegierung einer bestimmten Gruppe in Bern?
Es ist ja erfreulich zu sehen, wie einmal im Monat Marktwirtschaft und Kapitalismus in unge-bremster Form praktiziert werden - und dies ausgerechnet vor der Reithalle! Aber wie so oft, wenn etwas zu lange zu kurz kommt, wird gleich übertrieben. So auch hier: Auf der Neubrückstrasse wird mit dem "Motorisierten Individualverkehr" (sonst Staatsfeind Nr.1 in der Stadt Bern) trotz Verbot parkiert, was das Zeug hält (sonst Verbrechen Nr. 1 in der Stadt Bern). Die gewerbepolizeilichen Perimeter wurden längst verlassen, der Markt hat sich aus-gedehnt, was sogar die Sicherheit beeinträchtigt, denn es gibt kaum mehr Platz auf dem Trot-toir und die Leute weichen auf die viel befahrene Neubrückstrasse aus. Die Waren werden bis dicht an den Strassenrand ausgelegt, teilweise sogar bis in die Strasse hinein.1 Die allgemein gültige Preisanschreibepflicht wird nicht befolgt. Die nötigen (Firmen-)Namen der Ausstel-ler/Anbieter fehlen in aller Regel.

Wir bitten den Gemeinderat um Beantwortung folgender Fragen:
1. Weiss der Gemeinderat um diesen "Märit" und wie er praktiziert wird?
2. a) Ist der Gemeinderat der Meinung, die geltenden gesetzlichen Bestimmungen in Zusammenhang mit diesem Märit würden eingehalten? b) Falls Nein: Welche nicht?
3. Wie erklärt man einem Gewerbler/Marktfahrer auf dem Bärenplatz, dass diese Vorschriften für ihn hingegen trotzdem gelten und durchgesetzt werden?
4. a) Warum hat der Gemeinderat bisher nichts unternommen? b) Und bei einem Unfall?
5. Was unternimmt der Gemeinderat nun?

Bern, 01. Juli 2010
Kleine Anfrage Fraktion FDP (Philippe Müller, FDP), Jimy Hofer, Manfred Blaser, Yves Seydoux, Conradin Conzetti, Dolores Dana, Kurt Hirsbrunner, Mario Imhof, Claudia Meier, Beat Gubser, Erich J. Hess, Edith Leibundgut, Dannie Jost, Thomas M. Bürki, Martin Mäder, Thomas Weil

1 (vgl. zwei Bilder unten: Die Situation ist nicht ungefährlich (Strasse), bedarf also einer raschen Kor-rektur. /Andere Gewerbler werden nicht privilegiert. /Und: Die Reithalle-Gemeinde könnte ja unter Um-ständen zeigen, dass sie gar keine Extra-Würste kriegt - gerade im Hinblick auf die bevorstehende Volksabstimmung "Reithalle-Initiative"... (Beilagen sind auf Anfrage im Ratssekretariat elektronisch erhältlich.)

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MIGRATION CONTROL
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NZZ 11.9.10

Die Not der Migranten in Griechenland

Flüchtlinge auf sich allein gestellt

 fsr. · Internationale Organisationen kritisieren die Asylpraxis in Griechenland seit Jahren. Bemängelt werden etwa fehlende Verfahrensgarantien und ein schlechter Zugang zum Asylverfahren. Trotz der Kritik haben sich die Zustände kaum verbessert. Asylbewerber müssen teilweise monatelang auf eine Registrierung warten. Ausserdem gibt es viel zu wenig Unterkünfte, und die Regierung ist mit ihren Beiträgen für entsprechende Projekte im Rückstand. Die Migranten sind weitgehend auf sich allein gestellt.

 International, Seite 11

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Das kurze Gedächtnis der griechischen Gesellschaft

 Asylsuchende sind in dem Land, das sie als Durchgangsstation auf dem Weg in ein besseres Leben betrachten, auf sich allein gestellt

 Griechenland dient den meisten Flüchtlingen nur als Durchgangsstation. Im Land sind die Migranten völlig auf sich allein gestellt. Trotz langjähriger Kritik von Menschenrechtsorganisationen ändert sich an den katastrophalen Zuständen nur wenig.

 Elena Panagiotidis, Athen

 Einige Dutzend Männer aus Pakistan, Bangladesh, Afghanistan, Nigeria und anderen Staaten warten entlang des Gitterzauns, der die zentrale Asylbehörde von Attika in der Petrou-Ralli-Strasse in Athen umgibt. Einer von ihnen ist ein Ghanese, der sich Amadu nennt. Die Männer stehen am Hintereingang zum Gebäude. Hierher müssen sich Migranten wenden, wenn sie einen Asylantrag stellen wollen. In der Petrou Ralli wurden im Jahre 2007 laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen (UNHCR) rund 94 Prozent aller Asylanträge in Griechenland gestellt.

 Monatelanges Warten

 Es ist glühend heiss, kein Baum spendet Schatten. Ein Polizist herrscht auf Griechisch die Männer an, wenn sie zu dicht zum Tor kommen, um etwas zu fragen. Ein Anwalt läuft zwischen den Wartenden umher und bietet seine Hilfe an. Es wird offensichtlich, dass er, gegen Geld, den Flüchtlingen den Zutritt zur Behörde verschaffen kann. Die Zustände in der Petrou Ralli werden immer wieder von internationalen Organisationen und griechischen Flüchtlingshelfern angeprangert. Human Rights Watch, Pro Asyl, aber auch der Council of Europe und das UNHCR kritisieren seit Jahren dieselben Punkte an der Asylpraxis in Griechenland: ein Mangel an Verfahrensgarantien und schlechter Zugang zum Asylverfahren, willkürliche Verhaftungen, ungenügende Aufnahmeverfahren und jämmerlich niedrige Anerkennungsquoten.

 Laut einem Bericht des UNHCR vom Dezember 2009 müssen Asylsuchende manchmal monatelang vor den Toren an der Petrou Ralli vorsprechen, bis sie endlich die Chance erhalten, ins Innere des Gebäudes zu gelangen, um sich registrieren zu lassen. Der griechische Flüchtlingsrat weiss von Somaliern, die acht Monate lang vergeblich vor den Pforten erschienen sind. Bemängelt wird auch, dass es Polizisten sind, die sich um die Asylverfahren kümmern. Diese seien nicht dafür ausgebildet, und nur in den seltensten Fällen ständen den Flüchtlingen Dolmetscher zur Seite. Erst im Juli hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte Griechenland wegen massiver Verstösse gegen die Europäische Menschenrechtskonvention verurteilt.

 Amadu, der Ghanese, hat bereits eine Pink Card. Das rosafarbene Papier bedeutet, dass jemand ein registrierter Asylbewerber in Griechenland ist, alle sechs Monate muss die Karte erneuert werden. Amadu möchte an diesem Tag nur einen Stempel, der ihm eine Adressänderung bescheinigt. Dies ist wichtig, denn jeder Asylsuchende muss eine Adresse vorweisen können. Theoretisch auch, damit ihn die Behörden informieren können, wie es mit seinem Asylgesuch weitergeht. Eine Anhörung seines Falles hat noch nicht stattgefunden, obwohl Amadu bereits seit März 2009 in Griechenland lebt.

 Illegale Einreise

 Um den Stempel zu bekommen, hat der 34-Jährige bereits am Vortag stundenlang gewartet, bis es hiess, er solle am nächsten Tag wiederkommen. Auch heute wartet der zierliche Mann mit den traurigen Augen bereits seit zwei Stunden. Man hat ihm schon gesagt, er solle morgen wieder kommen, doch Freitag ist der einzige Tag in der Woche, an dem Amadu arbeitet, der einzige Tag, der Abwechslung in die Monotonie und die Einsamkeit seines Daseins bringt. Während die Sonne brennt und Lastwagen durch die enge, staubige Strasse fahren, erzählt Amadu, der in Ghana Autos repariert hat, wie er illegal nach Griechenland eingereist ist, um in Europa ein besseres Leben zu finden. Ein Freund seiner verstorbenen Eltern habe die Kosten übernommen. Mit Hilfe eines Agenten habe er die Reise organisieren können. Mit dem Flugzeug sei er bis nach Istanbul geflogen. Das Visum in seinem Pass - als Grund für den Besuch wurde eine Konferenz in Istanbul angegeben - habe die türkische Botschaft in Nigeria ausgestellt. Nach zwei Wochen in Istanbul seien er und die Mitreisenden mit einem Lastwagen nach Izmir gebracht worden und hätten dort mit einem Schlauchboot auf die gegenüberliegende Insel Samos übergesetzt. Jedes Jahr endet für viele Migranten die Überfahrt von der Türkei nach Griechenland tödlich. Im Juni sind mindestens 16 Migranten beim Versuch, den türkisch-griechischen Grenzfluss Evros zu überqueren, ertrunken.

 Als nach weiteren drei Stunden Wartens offensichtlich wird, dass Amadu an diesem Tag seinen Stempel nicht mehr bekommen wird, beschliesst er, in seine Unterkunft zurückzukehren. In Griechenland gibt es viel zu wenige Unterkünfte für Flüchtlinge. Laut dem UNHCR-Bericht stehen nur in zwölf Aufnahmezentren Unterkünfte mit einer Gesamtkapazität von 811 Plätzen zur Verfügung. Die Zahl von 15 925 neu registrierten Asylbewerbern im Jahre 2009 (rund 20 000 waren es im Jahre 2008) zeigt, dass Griechenland völlig überlastet ist. Insbesondere erwachsene männliche Asylbewerber haben kaum Chancen auf einen Platz in den teils staatlich, teils privat geführten Unterkünften, die zudem überbelegt und schlecht ausgestattet sind, weil kaum Geld zur Verfügung steht.

 Daher sind unzählige Männer, aber auch Familien obdachlos, sie schlafen in heruntergekommenen, verlassenen Gebäuden oder in Parks. Amadu war ebenfalls einige Zeit obdachlos. Doch eines Tages habe er auf der Strasse einen Priester angesprochen. Dieser habe ihm einen Zettel mit der Adresse von "Anakoufisi" gegeben. Nun zeigt er seine Bleibe in Piräus. "Anakoufisi", was auf Griechisch Linderung bedeutet, ist ein von der orthodoxen Kirche Griechenlands betriebenes Heim für Obdachlose. An einem Tisch im Flur, der wie alle Räume im Haus blitzblank ist und nach Chlor riecht, sitzt Eleni. Die Griechin putzt hier und ist Ansprechpartnerin für die drei Dutzend Bewohner. Amadu teilt sein Zimmer mit einem Äthiopier und einem Iraner. Ausser einer somalischen Familie sind die anderen Bewohner Griechen, die sich keine Wohnung leisten können.

 "Rolex" und Suppenküchen

 "Amadu ist so ein guter Junge", sagt Eleni. Er helfe immer, wenn es etwas sauber zu machen oder zu renovieren gebe. Eleni spricht nur Griechisch, aber sie hat eine herzliche Art, Mitgefühl und Respekt für die Menschen, die hier wohnen. Mitgefühl und Respekt sind etwas, was Amadu und viele seiner Schicksalsgenossen in Griechenland vermissen. Im Gespräch mit Amadu und anderen Migranten werfen diese der griechischen Polizei sowie der gesamten Gesellschaft einen tiefsitzenden Rassismus vor.

 Um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, verkaufen viele Migranten gefälschte Louis-Vuitton-Taschen und Rolex-Uhren oder gebrannte DVD, da sie keine finanzielle Unterstützung vom griechischen Staat bekommen. Auch Amadu hat zwei Monate lang versucht, Taschen zu verkaufen. Seit einiger Zeit hilft er einmal pro Woche beim Beladen einer privaten Luxusjacht im Hafen von Piräus. Er verdient dabei 40 Euro, von denen er eine ganze Woche leben muss. Oft geht er zu einer von der Kirche betriebenen Armenspeisung in Piräus. Früher, als er noch im Zentrum Athens lebte, war sein Anlaufpunkt das Obdachlosenzentrum der Stadt Athen (Kyada). Dieses liegt in der Nähe des Omonia-Platzes, wo sich einige Suppenküchen angesiedelt haben.

 Während Kyada 2008 rund 1500 Mahlzeiten am Tag austeilte, hat sich die Zahl mittlerweile auf 4000 Mahlzeiten erhöht. Am Abend sind es vor allem die Migranten und Flüchtlinge, die sich in die lange Schlange vor der Essensausgabe reihen. Bereits ab 17 Uhr strömen die Menschen auf den grossen Hof. Es gibt kleine Steinmauern und einige wenige Bänke, doch die meisten finden keine Sitzgelegenheit. Sie verschlingen das Pasta-Fertiggericht aus den blauen Plasticschalen im Stehen oder in hockender Position am Boden.

 Eine andere Organisation, die sich um Migranten kümmert, hat ihre Räume auch in der Nähe des Omonia-Platzes. Die Nichtregierungsorganisation Praksis unterstützt bedürftige Einheimische und Migranten medizinisch, psychologisch und juristisch. Sie betreibt zwei Kliniken in Athen und Thessaloniki. Die demografische Struktur der Migranten in den beiden Städten unterscheidet sich. Tzanetos Antypas, der Präsident von Praksis, sagt, dass in Athen vor allem Männer zwischen 18 und 35 Jahren aus Bangladesh, Pakistan, Indien und afrikanischen Staaten zu finden seien. In der nordgriechischen Stadt Thessaloniki seien Frauen zwischen 25 und 50 Jahren aus den Ländern der ehemaligen Sowjetunion die grösste Migrantengruppe. Sie seien vor allem als Haushaltshilfen beschäftigt und mit der Betreuung alter Menschen betraut.

 Ausstehende Zahlungen

 Etwa 80 Personen behandeln die Praksis-Mitarbeiter pro Tag, abgewiesen wird niemand. Die meisten Patienten seien Personen ohne Papiere und Aufenthaltsbewilligung, sagt Antypas. Ein griechischer Ministerialerlass sieht vor, dass Inhaber einer Pink Card das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung in staatlichen Spitälern haben. Doch Amnesty International moniert, dass registrierten Asylbewerbern zwar gemäss internationalem Recht adäquate medizinische Behandlung zusteht. Doch wüssten viele Spitäler von dieser Regelung nichts und verlangten Geld für die Leistungen.

 In den Kliniken von Praksis kümmert man sich vor allem um Neuankömmlinge. Bereits entlang der griechischen Grenze zur Türkei und in den Aufnahmezentren auf den Inseln verteilen Freiwillige Informationsblätter von Praksis, auf denen erklärt wird, wo sich Flüchtlinge melden müssen, wo es kostenlose Mahlzeiten und Kleidung gibt und wo man medizinische und juristische Betreuung erhalten kann. Praksis finanziert sich durch private Sponsoren. Einige Projekte, wie die Unterbringung von Flüchtlingen in von der Nichtregierungsorganisation gemieteten Wohnungen, genannt "Stegi" (Obdach), werden zu 75 Prozent durch den Europäischen Flüchtlingsfonds und zu 25 Prozent vom griechischen Gesundheitsministerium finanziert. Die Zahlungen für das Projekt "Stegi" durch die griechische Regierung stünden seit 10 Monaten aus, sagt Antypas. "Wir können eine Familie doch nicht auf die Strasse setzen und ihr sagen: Die Regierung zahlt halt nicht."

 Auch versuchen die Mitarbeiter, Asylbewerber weiterzubilden und in Jobs zu vermitteln. Vor der Wirtschaftskrise sei dies noch relativ gut gelungen, sagt Antypas, doch nun seien die Migranten die Ersten, die ihre Jobs verlören. In den letzten Monaten habe man verstärkt beobachtet, dass Migranten entweder in ihre Herkunftsländer zurückgingen oder auch versuchten, in andere Staaten zu gelangen. Die meisten Migranten betrachteten Griechenland nicht als ihr eigentliches Ziel. Es sei ein "geografisches Muss", das es auf dem Weg in andere europäische Länder zu überwinden gelte, sagt Antypas.

 Fluch von Dublin II

 Doch selbst wenn es die Migranten schaffen, in ein anderes europäisches Land zu gelangen, können sie nicht sicher sein, nicht doch wieder nach Griechenland zurückgeschickt zu werden. Schuld daran ist die sogenannte Dublin-II-Verordnung (siehe Kasten). Am Abend trifft sich Amadu mit seinen Freunden auf der Plateia Amerikis. Sie alle träumen von Deutschland, der Schweiz, England oder Belgien. Einer von ihnen hat es nach eigener Aussage sogar einmal von Griechenland über Spanien und Frankreich bis nach Belgien geschafft, wo sein Onkel lebt. In Brüssel habe er eine dringend notwendige Operation erhalten, danach sei er von den Behörden in ein Flugzeug nach Athen gesetzt worden. Jetzt lebe er wieder auf der Strasse.

 "Noch vor wenigen Jahren sind wir Griechen in alle Welt emigriert, in europäische Länder, die USA, Australien", sagt Tzanetos Antypas. "Daher würde ich erwarten, dass die griechische Gesellschaft sensibler mit den Flüchtlingen umgeht. Aber das tut sie nicht. Sie hat ein sehr kurzes Gedächtnis."

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 Der Europäische "Verschiebebahnhof"
 

 ela. · Seit 2003 regelt das Dublin-II-Abkommen, welches EU-Mitgliedsland für ein Asylverfahren zuständig ist. Auch in Norwegen, Island und seit 2008 in der Schweiz kommt die Verordnung zur Anwendung. Durch sie soll vermieden werden, dass Flüchtlinge in mehreren Staaten Asylanträge stellen. Die südeuropäischen Länder an der EU-Aussengrenze stehen unter Druck, da viele Migranten über sie einreisen und sie somit verantwortlich für die Bearbeitung der Fälle sind. Die Organisation Pro Asyl kritisiert, dass sich die EU so zu einem "Verschiebebahnhof" für Flüchtlinge entwickelt habe und ein regelrechter Wettbewerb stattfinde, wer die meisten Flüchtlinge an die Nachbarländer loswird.

 Internationale Organisationen haben wiederholt für eine Aussetzung der Rückführungen nach Griechenland plädiert, da ein Zugang zu einem fairen Asylverfahren dort nicht gegeben sei. Vereinzelt haben Gerichte auch schon gegen eine Rückschiebung entschieden. Am 1. September hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg den Fall eines afghanischen Asylbewerbers verhandelt, der im Rahmen der Dublin-II-Verordnung von Belgien nach Griechenland zurückgeschickt worden war. An der Anhörung kritisierte der Menschenrechtskommissar des Europarats, Thomas Hammarberg, die Situation von Migranten in Griechenland. Staaten, die durch die Rücküberstellung von Flüchtlingen stark überlastet seien, müssten von ihren Verpflichtungen aus der Dublin-II-Verordnung befreit werden, so Hammarberg. Dies hatte im Juli auch der griechische Vizeminister für Bevölkerungsschutz, Spyros Vougias, in Brüssel gefordert. Bilaterale Abkommen zwischen Staaten verschieben oft nur die Probleme. Auf einem informellen EU-Minister-Treffen zur europäischen Immigrationspolitik am Montag wurde betont, dass eine zwischen Rom und Tripolis getroffene Vereinbarung zwar zu einem Rückgang der illegalen Einwanderung in Italien geführt habe, schickt Rom nun doch Bootsflüchtlinge postwendend nach Libyen zurück. Dafür beklagte Vougias, dass ein Grossteil dieser Migranten nun Asyl in Griechenland suchten. Doch auch Athen will sich mit einem ähnlichen Abkommen die unerwünschten Einwanderer vom Leib halten. Dafür hat Griechenland mit Ankara im Mai 2010 ein Rückübernahmeabkommen unterzeichnet, um sicherzustellen, dass die Türkei illegal eingereiste Migranten wieder übernimmt.

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SANS-PAPIERS
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Basler Zeitung 13.9.10

Hoffen auf den Ständerat

 Miranda B. ist Sans-Papiers und möchte gerne eine Lehre machen

 Roman Schenkel

 Zum Sessionsstart diskutiert der Ständerat heute über Berufslehren für Sans-Papiers. Wenn er sie gutheisst, kann Miranda B. bald eine Lehre beginnen. Wenn nicht, muss sie auf den positiven Entscheid ihres Härtefallgesuchs hoffen.

 Wäre, würde, hätte. Miranda B.* spricht viel im Konjunktiv. Ihre Situation zwingt sie dazu. Miranda B. ist Sans-Papiers. Sie lebt ohne Pass und ohne gültige Aufenthaltsbewilligung in der Schweiz. Miranda würde gerne ihre Eltern besuchen, sie würde gerne Ferien am Strand machen, vor allem aber würde sie gerne eine Lehre machen. Ohne Pass ist all das nicht möglich. "Ich komme mir vor wie im Gefängnis", sagt sie. Schweizweit, so schätzt der Schweizerische Städteverband, könnten pro Jahr zwischen 200 und 400 Lehrverhältnisse mit Papierlosen abgeschlossen werden. Das schreibt der Verband in einem vergangene Woche veröffentlichten Bericht. Exaktere Zahlen existieren nicht. Miranda B. hofft als eine von vielen auf einen positiven Entscheid im Ständerat.

 Während des Kriegs in Ex-Jugoslawien vor zwölf Jahren flüchteten Mirandas Eltern mit sechs Kindern in die Schweiz. Die Familie erhält eine Aufenthaltsbewilligung und lässt sich im Kanton Obwalden nieder. Ständig muss sie umziehen. Kaiserstuhl, Alpnach, Kerns - Obwalden kenne sie ziemlich gut, sagt Miranda lakonisch.

 Bis 2007 läuft alles gut. Miranda geht zur Schule, sie macht die Primar- und dann die Sekundarschule. Sie fühlt sich wohl. "Ich hatte stets gute Schulnoten." Doch 2007 wird die Aufenthaltsbewilligung nicht verlängert. Die Familie wird aufgefordert, die Schweiz zu verlassen. "Da sind wir untergetaucht", sagt Miranda. Ihr Vater verlässt die Schweiz. "Ich habe ihn seither nicht mehr gesehen." Die Mutter bleibt mit den Kindern zurück.

 Alleine

2009 gerät Mirandas Mutter mit drei Kindern in eine Passkontrolle - sie werden ausgeschafft. Miranda und zwei Geschwister weilten an diesem Tag bei Verwandten. Sie erfahren erst ein paar Tage später, was passiert ist. Seither schlägt sich Miranda alleine durch. Die jüngeren Geschwister sind bei einer Pflegefamilie. In Basel kann sie das zehnte Schuljahr absolvieren. Eine Angst begleitet sie. "Ich wusste immer, dass die Polizei mich irgendwann erwischen wird." Miranda verhält sich deshalb so unauffällig, wie es nur geht. Sie wohnt bei ihrem Freund, einem Schweizer. "Ich will hierbleiben, die Schweiz ist mein Zuhause", sagt sie.

 Vor einem Monat begann sie die Vorlehre-A-Schule. Zwei Tage Schule, drei Tage Arbeit. "Dazu brauchte ich aber ein Praktikum", so Miranda. Sie schrieb über 200 Bewerbungen - ein einziges Vorstellungsgespräch bei einer Kinderkrippe schaute dabei heraus. "Doch das war mein Glück", sagt sie. Sie bekam die Praktikumsstelle. Nun hat sie einen AHV-Ausweis und sogar eine Krankenkasse. Die Chefin kenne ihre Situation. Ihr Lohn wird auf das Konto ihres Freundes ausbezahlt.

 Gefängnis

Dann passiert es: Mitte August taucht unvermittelt die Polizei bei der Wohnung ihres Freundes auf. "Ich konnte mich natürlich nicht ausweisen", erzählt sie. Sie muss mit auf den Polizeiposten, wird verhört und bleibt drei Tage lang im Gefängnis. "Ich dachte, jetzt werde ich ausgeschafft." Eine Anlaufstelle für Sans-Papiers reicht kurzerhand ein Härtefallgesuch für Miranda ein, das schützt sie vor einer Ausweisung - vorerst. Sie wird freigelassen und wartet seither gespannt auf den Entscheid.

 Es sei wie das Erklimmen eines steilen Bergs: "Es war ein drei Jahre langer Anstieg und jetzt bin ich kurz vor dem Berggipfel." Bei einem positiven Entscheid auf das Härtefallgesuch könnte Miranda sogar eine Lehre beginnen. "Das wäre für mich wie ein Geschenk. Ich wäre sehr dankbar und würde die Chance packen", sagt Miranda. Da ist er wieder - der Konjunktiv.

*Name ist der Redaktion bekannt

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 Schule ja, Lehre nein?

 Standesinitiative. Personen ohne Aufenthaltsbewilligung - sogenannte Sans-Papiers - können in der Schweiz zur Schule gehen. Sogar Gymnasium und Studium sind möglich. Eine Berufslehre hingegen geht nicht. Sans-Papiers können keinen Arbeitsvertrag unterzeichnen, denn jeder Arbeitgeber ist verpflichtet nachzuprüfen, ob seine Arbeitnehmer legal in der Schweiz sind. Er macht sich sonst der Schwarzarbeit strafbar. Dennoch sind Fälle bekannt, in denen Sans-Papiers eine Lehre absolviert hätten, etwa weil die Lehrmeister erst spät vom Status erfuhren.

 Heute behandelt der Ständerat Vorstösse aus dem Nationalrat sowie eine Standesinitiative aus dem Kanton Neuenburg. Sie fordern, dass Sans-Papiers nach der Schule eine Lehre machen können. Das Thema ist umstritten. Der Nationalrat stimmte der Idee im Frühling knapp zu, die Staatspolitische Kommission des Ständerats empfahl auch zur Annahme. Der Ständerat wies die Vorlage aber zurück und verlangte mehr Fakten. Ende August votierte dann eine knappe Kommissionsmehrheit dagegen. Die Meinungen sind vor allem in den Mitteparteien gespalten.  ROS
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Zentralschweiz am Sonntag 12.9.10

Sans-Papiers

 Bund verschärft Kontrolle

Von Jürg Auf der Maur

 Der Bund will Sans-Papiers und Arbeitgebern stärker auf die Finger schauen. Dazu soll der Informationsfluss zwischen den Behörden verbessert werden.

 "Ein Sans-Papiers kann einzig über die Bezahlung von Beiträgen bei der AHV registriert werden. Dabei kommt er nicht selber mit der zuständigen Stelle in Kontakt, sondern nur über den Arbeitgeber, der ihn bei der AHV anmeldet und die Beiträge abrechnet." Das hält der Bundesrat auf eine Interpellation von Nationalrat Ruedi Lustenberger (CVP, Luzern) fest, der sich bereits zum zweiten Mal erkundigte, weshalb Menschen, die eigentlich gar nicht hier sein dürften, AHV-Ausweise besitzen.

 Arbeitgeber in der Pflicht

 Die Antwort des Bundesrates lässt aufhorchen. Die Landesregierung hält zwar fest, dass das von Lustenberger skizzierte Problem gar nicht existiere. Trotzdem ortet auch der Bundesrat Handlungsbedarf. Jedenfalls wird nun abgeklärt, wie der Informationsfluss zwischen den Sozialversicherungs- und Migrationsbehörden verbessert werden kann. Vertreter des Departementes des Innern und des Justiz- und Polizeidepartementes strecken in einer Arbeitsgruppe die Köpfe zusammen, wie das Problem gelöst werden könnte. Denn für den Bundesrat ist klar: Der Arbeitgeber hat vor Stellenantritt eines Ausländers sich darüber zu versichern, dass eine Bewilligung zur Erwerbsarbeit vorliegt. Wenn nicht, macht sich der Arbeitgeber strafbar und wird mit einer Geldstrafe gebüsst. Mit anderen Worten: Die Kontrollen sollen verschärft werden.

 Diese härteren Kontrollen sind ganz im Sinne von Lustenberger. "Es ist richtig, dass der Bund in diesem Bereich stärker aufpassen will", sagt Lustenberger der "Zentralschweiz am Sonntag". Es könne, so Lustenberger, nicht im Sinne eines fairen Gewerbetreibenden sein, wenn sich andere Vorteile verschafften, wenn sie die Gesetze nicht einhalten. Ansonsten habe er bei der ganzen Sache "nach wie vor kein gutes Gefühl". Zwar sei die Antwort des Bundesrates dieses Mal ausführlicher und deutlicher. Umso mehr wolle er nun von den Kantonen wissen, wie es bei ihnen bestellt sei. Er befürchte, so Lustenberger, dass hier je nach Kanton völlig unterschiedlich streng vollzogen werde.

 Lustenberger: "Ich will jetzt von anderen Nationalräten wissen, wie die Gesetze bezüglich Sans-Papiers in ihren Kantonen umgesetzt werden." Je nachdem behalte er sich weitere Schritte vor.

 juerg.aufdermaur@zentralschweizamsonntag.ch

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STATISTIK-KRIMI
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Bund 13.9.10

Kurz Ausländerkriminalität

 Tamilen sind krimineller als Männer aus Ex-Jugoslawien

 Männer aus Angola, Nigeria und Algerien kassieren in der Schweiz sechsmal mehr Strafanzeigen als Schweizer Männer. Dafür sind die Schweizer fast doppelt so kriminell wie eingewanderte Deutsche. Erstmals konnten die Experten vom Bundesamt für Statistik die Kriminalitätsrate in Beziehung zur Nationalität der in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung setzen. Die Zahlen basieren auf der polizeilichen Kriminalstatistik 2009 und wurden für die "SonntagsZeitung" erhoben. Demnach sind Tamilen fast fünfmal krimineller als Schweizer. Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien geraten hingegen doppelt oder dreimal so viel in Konflikt mit dem Gesetz. Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamts für Migration (BFM), zeigt sich gegenüber dem "Sonntag" überrascht "von der Deutlichkeit des Bildes". "Die Zahlen sind frappierend", so der BFM-Chef. "Noch immer sind Afrikaner in der Schweiz zu wenig gut integriert." (derbund.ch/Newsnetz)

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BZ 13.9.10

Kriminalitätsrate

 Afrikaner begehen mehr Straftaten als Schweizer

 Afrikaner begehen in der Schweiz bis zu sechsmal mehr Straftaten als Schweizer. Einwanderer aus Deutschland leben dagegen sehr gesetzestreu. Erstmals hat der Bund die Kriminalitätsrate in Bezug zur Nationalität gesetzt.

 Es ist ein düsteres Bild, welches die neusten Zahlen des Bundesamtes für Statistik (BFS) von den afrikanischen Einwanderern zeichnen: Demnach ist in der Schweiz niemand so kriminell wie afrikanische Männer zwischen 18 und 34 Jahren. Sie begehen bis zu sechsmal mehr Delikte gegen das Strafgesetzbuch als Schweizer. In diese Kategorie fallen etwa Diebstahl, Körperverletzung, Mord, Betrug, Erpressung, Menschenhandel und Vergewaltigung. Nicht berücksichtigt wurden in der aktuellen Erhebung Drogendelikte. Doch auch in dieser Sparte stehen afrikanische Einwanderer an der Spitze.

 Das Bundesamt für Statistik hat die Zahlen für die "SonntagsZeitung" erhoben und sich auf die Daten der polizeilichen Kriminalitätsstatistik 2009 gestützt. Es ist das erste Mal, dass die Kriminalitätsrate so konkret in Bezug zur Nationalität der Straftäter gesetzt wird.

 Angolaner an der Spitze

 In der Kriminalitätsrangliste, welche diverse Sonntagsblätter publiziert haben, fällt auf, dass unter den ersten zehn Ländern acht afrikanische vertreten sind (siehe Tabelle). An der Spitze stehen die angolanischen Einwanderer, welche 6,3-mal so viele Straftaten begehen wie die Schweizer. Nigerianer und Algerier begehen ähnlich viele Delikte.

 Des Weiteren fällt auf: Auch Einwanderer, die in der Schweiz gemeinhin als gut integriert gelten, tauchen in der Rangliste weit vorne auf. So etwa die Tamilen, die ebenfalls zu den zehn kriminellsten Nationen zählen. Die Zürcher Integrationsbeauftragte Julia Morais erklärt dies in der "SonntagsZeitung" so: "Tamilen gelten als fleissige Leute, die ohne Murren schlecht bezahlte Arbeit übernehmen. Aber das Leben in ihrer Gemeinschaft kennt man zu wenig. Gewaltprobleme zeigen sich dort und innerhalb der Familien." Die Tamilen seien nicht gut integriert, so Morais weiter: "Es ist eine Parallelgesellschaft. Tamilen bleiben meist unter sich, heiraten untereinander."

 Der Durchschnitt aller hier lebenden Ausländer begeht 1,6-mal mehr Straftaten als ein Schweizer. Die oft gescholtenen Einwanderer aus den Balkanstaaten liegen zwar laut Statistik über diesem Schnitt, jedoch weit unter der Kriminalitätsrate der meisten afrikanischen Länder.

 Die braven Deutschen

 Am anderen Ende der Kriminalitätsrangliste stehen die Zuwanderer aus unseren Nachbarstaaten. Fazit: Österreicher und Franzosen sind gar gesetzestreuer als die Schweizer. Am bravsten jedoch sind die Deutschen, die etwa halb so viele Strafdelikte begehen wie die Schweizer.

 Für FDP-Nationalrat und Integrationsspezialist Philipp Müller ist klar, dass Handlungsbedarf besteht. Er will die Zuwanderung aus Nicht-EU-Staaten einschränken. "Die Zahlen zeigen klar, dass wir dort ein Integrationsproblem haben." Müller reicht dazu nächste Woche drei parlamentarische Initiativen ein.

 Gegenüber dem "Sonntag" zeigte sich Migrationschef Alard du Bois-Reymond von "der Deutlichkeit des Bildes" überrascht. Sein Fazit: "Die Asylverfahren müssen beschleunigt, abgewiesene Asylbewerber schneller ausgeschafft werden." Auf der anderen Seite gelte es, die Integrationsbemühungen zu verstärken.
 phm

 Straftaten

 Auffällige Angolaner

 Staatsangehörigkeit der Beschuldigten X-faches der Schweiz

 Angola 6,3

 Nigeria 6,2

 Algerien 6,0

 Elfenbeinküste 5,9

 Dominikanische Republik 5,8

 Sri Lanka 4,7

 Kongo (Kinshasa) 4,7

 Kamerun 4,4

 Marokko4,3

 Tunesien 4,2

 Irak 3,7

 Kolumbien 3,2

 Türkei3,2

 Serbien und Montenegro (inklusive Kosovo) 3,1

 Brasilien 3,0

 Bosnien und Herzegowina 2,3

 Mazedonien 2,3

 Portugal 1,3

 Italien 1,2

 Spanien1,1

 Schweiz 1,0

 Österreich 0,8

 Frankreich 0,7

 Deutschland 0,6

 Lesebeispiel: Die Tabelle zeigt etwa, dass 18- bis 34-jährige Algerier, die in der Schweiz leben, sechsmal mehr Straftaten begehen als Schweizer.

 Quellen: Bundesamt für Statistik/"SonntagsZeitung"

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20 Minuten 13.9.10

"Sie werden immer und immer wieder straffällig"

 LUZERN. Der Präsident des Polizeibeamtenverbandes, Heinz Buttauer, klagt über die Sisyphusarbeit der Polizei im Kampf gegen immer dieselben Täter. Er fordert, dass sie hart bestraft und konsequent ausgeschafft werden.

 Herr Buttauer, Afrikaner aus Angola, Nigeria und Algerien sind statistisch die kriminellsten Ausländer in der Schweiz (siehe Box). Sind Sie überrascht?

 Heinz Buttauer: Nein. Wir Polizisten haben in letzter Zeit zunehmend und sehr oft mit Westafrikanern zu tun. Für sie ist unser Land äusserst attraktiv: Schlepperbanden machen ihnen weis, sie kämen in ein Schlaraffenland, wo das Geld an den Bäumen hängt. Wenn die Realität dann anders aussieht, driften diese Leute in die Kriminalität ab, begehen Überfälle und stehlen. Hinzu kommt, dass die Schweiz zu einem Zentrum des afrikanischen Drogenhandels geworden ist.

 Wie kann die Ausländerkriminalität aus Sicht der Polizei bekämpft werden?

 Im Moment machen wir eine Sisyphusarbeit: Die gleichen Täter werden immer und immer wieder straffällig - und nichts passiert. Das ist sehr frustrierend und kann doch nicht sein. Es braucht deshalb härtere, abschreckende Strafen, die auch im Ausland wahrgenommen werden. Hier ist vor allem die Justiz gefordert. Auch über weniger luxuriöse Gefängnisse dürfte man ruhig einmal nachdenken.

 Abschreckende Strafen sollen potenziell delinquente Migranten fernhalten?

 Ja. Aus unserer Sicht müsste man kriminelle Ausländer aber auch konsequenter ausschaffen. Es gibt in der Praxis einfach zu viele Rekursmöglichkeiten.

 Sehen Sie auch im Asylwesen Handlungsbedarf?

 Wir verlangen vom Bundesamt für Migration, dass die Asylverfahren beschleunigt werden. Das ist im Sinne der echten Flüchtlinge: Sie geraten leider mit ins Zwielicht, wenn Personen mit enormer krimineller Energie um Asyl nachsuchen.  DAW

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 Fehlende Integration als Hauptgrund für Kriminalität

 NEUENBURG. Eine neue Erhebung des Bundesamts für Statistik zeigt erstmals, welche Ausländer in der Schweiz am kriminellsten sind. In den Top Ten finden sich Bürger aus acht afrikanischen Staaten. Den ersten Platz nehmen die Angolaner ein, die rund sechsmal häufiger mit dem Gesetz in Konflikt kommen als Schweizer (vgl. Liste rechts). Auch Bürger aus dem ehemaligen Jugoslawien haben eine höhere Kriminalitätsrate als Schweizer. Anders sieht es bei den Deutschen aus: Sie sind nur rund halb so kriminell wie Schweizer. Überraschend: Auch die Tamilen sind - trotz ihres guten Images in der Bevölkerung - überdurchschnittlich kriminell. Die Zürcher Integrationsbeauftragte Julia Morais begründet dies mit der fehlenden Integration: Von den Gewaltproblemen, die sich in der Gemeinschaft und in der Familie zeigten, dringe wenig nach aussen. In der Erhebung wurde die Anzeigestatistik nach Nationen aufgeschlüsselt und ins Verhältnis zur Wohnbevölkerung der Schweiz gesetzt. Erfasst sind darin Delikte nach dem Strafgesetzbuch, also etwa Diebstahl, Mord oder Körperverletzung, nicht aber Drogendelikte.

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 Top 27

 Beschuldigte nach StGB: Faktoren Schweizer - Ausländer

 Angola 6,3

 Nigeria 6,2

 Algerien 6.0

 Elfenbeinküste 5,9

 Dominikanische Republik 5,8

 Sri Lanka 4,7

 Kongo (Kinshasa) 4,7

 Kamerun 4,4

 Marokko 4,3

 Tunesien 4,2

 Irak 3,7

 Kolumbien 3,2

 Türkei 3,2

 Serbien, Montenegro (inkl. Kosovo) 3,1

 Brasilien 3.0

 Ägypten 2,7

 Kroatien 2,4

 Bosnien und Herzegowina 2,3

 Mazedonien 2,3

 TOTAL AUSLÄNDER 1,6

 Portugal 1,3

 Italien 1,2

 Spanien 1,1

 SCHWEIZ 1,0

 Österreich 0,8

 Frankreich 0,7

 Deutschland 0,6

 QuellE: BfS

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Sonntagszeitung 13.9.10

Tamilen krimineller als Ex-Jugoslawen
 Für die SonntagsZeitung erhobene Deliktquoten überraschen: Deutsche halb so auffällig wie Schweizer

 Matthias Halbeis

 Zürich Männer aus Angola, Nigeria und Algerien kassieren in der Schweiz sechsmal mehr Strafanzeigen als Schweizer Männer. Dafür sind diese fast doppelt so kriminell wie eingewanderte Deutsche. Erstmals konnten die BFS-Statistiker die Kriminalitätsrate in Beziehung zur Nationalität der in der Schweiz wohnhaften Bevölkerung setzen. Die Zahlen basieren auf der polizeilichen Kriminalstatistik 2009 und wurden für die SonntagsZeitung erhoben.

 Überraschend: Hohe Kriminalitätsquoten finden sich nicht nur unter Leuten aus afrikanischen Staaten, sondern auch bei Tamilen. Ihre Werte liegen im Vergleich mit den Schweizern fast fünfmal höher. Im Gegensatz dazu geraten Männer aus dem ehemaligen Jugoslawien nur doppelt bis dreimal so viel in Konflikt mit dem Gesetz, noch weniger oft als Türken. Allerdings sind diese Werte höher als der Durchschnitt aller Ausländer. Tief liegen die Kriminalitätswerte bei EU-Bürgern: Deutsche, Franzosen und Österreicher sind sogar noch gesetzestreuer als Einheimische.

 Bildung und soziale Integration mindern das Konfliktpotenzial

 Weil in den Gruppen Frauen und Junge ungleich vertreten sind, basieren die Werte auf der Kriminalität von Männern zwischen 18 und 34 Jahren bei Delikten aus dem Strafgesetzbuch (StGB). Statistik-Experten attestieren den Zahlen eine gute Aussagekraft: Dies, weil sich offenbar auch in der Verurteilungsstatistik praktisch ähnliche Kriminalitätsraten und eine fast identische Rangliste der verschiedenen Nationalitäten zeigten.

 "Die Wahrscheinlichkeit eines Verstosses gegen das StGB hängt bei allen Gruppen - auch bei Schweizern - zuerst mit Bildung, sozialer Integration und sozialer Herkunft zusammen", sagt Manuel Eisner, Schweizer Kriminologieprofessor an der Universität Cambridge. Insofern zeige sich, dass Immigranten mit hohem Anteil an Gutausgebildeten und Integrierten weniger in Konflikt mit dem Gesetz kämen als solche mit tiefem Sozialstatus. "Weiter verteilen sich Risikofaktoren für Delinquenz ungleich auf verschiedene Immigrantengruppen", sagt Eisner. So etwa Gewalt in der Familie, geringe schulische Bildung sowie Männlichkeitsgehabe, welche Gewalt und Aggression legitimieren. Gruppen, in denen solche Faktoren seltener vorkommen, schnitten besser ab.

 SVP-Nationalrat Yvan Perrin hatte die Erhebung dieser Zahlen 2007 in einer Motion gefordert. "Jetzt zeigt sich, wo genau Handlungsbedarf liegt", so Perrin. Nötig seien Integrationsmassnahmen bei allen Gruppen, die hohe Werte aufwiesen. "Nicht nur für bisher bekannte, sondern auch für neue wie Dominikaner oder Tamilen."

 FDP-Integrationsspezialist Philipp Müller will die Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten einschränken: "Die Zahlen zeigen klar, dass wir dort ein Integrationsproblem haben." Er reicht dazu nächste Woche drei parlamentarische Initiativen ein. Die Einwanderung aus dem EU-Raum sei dagegen integrationspolitisch wenig problematisch. Doch für ihn ist klar: "Nur wenn wir den Stimmbürgern zeigen, dass wir die Einwanderung aus Nicht-EU-Staaten stark einschränken, erleidet eine nächste Abstimmung über die EU-Freizügigkeit keinen Schiffbruch."

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 Meinung Matthias Halbeis Nachrichtenredaktor

 Fordern und Fördern - diese Formel hat weiterhin Gültigkeit

 Statistiken können unangenehme Fakten aufdecken. Trotzdem tragen sie zur Versachlichung bei. So auch die neuen Zahlen des Bundesamtes für Statistik. Indem sie erstmals Kriminalitätsraten der verschiedenen Nationen in der Schweizer Wohnbevölkerung präzis ausweisen, zeigen sie direkt, wo integrationspolitischer Handlungsbedarf besteht. Und dieser ist längst nicht nur dort gegeben, wo ihn viele vermutet hätten. Denn wenn es Dominikaner und Tamilen unbemerkt von der Öffentlichkeit an die Spitze der Kriminalitätsrangliste schaffen, zeigt dies, wie einseitig unsere Wahrnehmung sein kann. Klar ist: Wer gut integriert ist und über eine gute Ausbildung verfügt, wird weniger kriminell. Entsprechend sind Massnahmen für exponierte Gruppen auszugestalten. Wer bei uns leben will, muss unsere Sprachen erlernen, sich bilden und sich in die Arbeitswelt eingliedern. Fordern und Fördern - so hat es der Basler Integrationsspezialist Thomas Kessler einst formuliert. Die Zahlen zeigen: Diese Formel hat an Aktualität nichts eingebüsst.

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Sonntag 12.9.10

Statistik zeigt: Afrikaner sind die kriminellsten Ausländer

 Chef des Bundesamtes für Migration sieht Integrationsproblem

von Katia Murmann

 Erstmals zeigt eine schweizweite Statistik, bei welchen Einwanderern die Kriminalitätsrate am höchsten ist. Das Ergebnis: Migranten aus Afrika belegen acht der ersten zehn Plätze. Staatsangehörige aus Angola begehen 6,3-mal mehr Verbrechen gegen das Strafgesetzbuch als Personen mit Schweizer Pass, gefolgt von Nigeria (6,2-mal mehr) und Algerien (6-mal mehr). Insgesamt begehen Ausländer 1,6-mal mehr Delikte als Schweizer. Einzige Ausnahme sind die Einwanderer aus unseren Nachbarstaaten: Deutsche, Franzosen und Österreicher sind unterdurchschnittlich kriminell und belegen hinter den Schweizern die letzten Plätze.

 Für seine Auswertung hat das Bundesamt für Statistik (BfS) die Anzahl der straffällig gewordenen Ausländer, aufgeschlüsselt nach Nationen, in Relation zur ständigen Wohnbevölkerung gesetzt. Alard du Bois-Reymond, der Direktor des Bundesamts für Migration (BfM), zeigt sich im Interview überrascht "von der Deutlichkeit des Bildes". Die Zahlen seien "frappierend", so der BfM-Chef: "Noch immer sind Afrikaner in der Schweiz zu wenig gut integriert." Seite 9

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Afrikaner sind die kriminellsten Ausländer

 Neue Statistik zeigt: Bürger von Angola, Nigeria und Algerien begehen hierzulande bis zu sechsmal mehr Verbrechen als Schweizer

von Katia Murmann

 Der Direktor des Bundesamtes für Migration, Alard du BoisReymond, sieht ein Integrationsproblem bei Migranten aus Afrika. Zudem müssten Ausschaffungen beschleunigt werden.

 Angolaner, Nigerianer und Algerier: Bei diesen Einwanderern ist die Kriminalitätsrate in der Schweiz am höchsten. Das zeigt eine Auswertung des Bundesamtes für Statistik (BfS), die dem "Sonntag" vorliegt. Darin wurde erstmals, aufgeschlüsselt nach Nationen, die Anzahl der straffällig gewordenen Ausländer in Relation zur ständigen Wohnbevölkerung der Schweiz gesetzt.

 Entstanden ist eine Art Rangliste der kriminellsten Ausländer. Die Ergebnisse:

 Auf den ersten zehn Plätzen finden sich Bürger aus acht afrikanischen Ländern. Am höchsten ist die Kriminalitätsrate bei Staatsangehörigen aus Angola (6,3-mal mehr Straftaten als Schweizer Bürger), es folgen Nigeria (6,2-mal mehr) und Algerien (6-mal mehr).

 Auch Serben, Montenegriner und Kosovaren haben eine hohe Kriminalitätsrate: Sie begehen im Schnitt 3,1-mal mehr Verbrechen als Schweizer Staatsbürger.

 Gesamthaft betrachtet sind Ausländer krimineller als Schweizer: Sie begehen 1,6-mal mehr Verbrechen als Personen mit Schweizer Pass.

 Eine Ausnahme sind die Einwanderer aus unseren Nachbarstaaten: Österreicher, Franzosen und Deutsche sind unterdurchschnittlich oft kriminell und liegen in der Auswertung des Bundesamtes für Statistik hinter den Schweizern auf den letzten Plätzen.

 Die Auswertung des Bundesamtes für Statistik bezieht sich auf 18- bis 34-jährige Männer - auf jene Personengruppe, welche gemäss Erhebungen die meisten Delikte begeht. Berücksichtigt wurden Straftaten gegen das Strafgesetzbuch (StGB), also Delikte wie Diebstahl, Mord, Körperverletzung, Betrug, Erpressung, Menschenhandel und Vergewaltigung.

 Nicht berücksichtigt wurden Drogendelikte. Auch hier stehen afrikanische Staatsangehörige an der Spitze. Erst vergangene Woche informierte die Polizei, dass der Kokainmarkt in der Schweiz hauptsächlich von Nigerianern und anderen Gruppen aus Westafrika dominiert wird. Die Drogendealer kommen meist als Asylbewerber getarnt in die Schweiz.

 Auf dieses Problem hatte der Direktor des Bundesamtes für Migration (BfM), Alard du Bois-Reymond, bereits im April in einem Interview mit der "NZZ am Sonntag" hingewiesen - und war dafür scharf kritisiert worden. Gegenüber dem "Sonntag" zeigt sich du Bois-Reymond nun überrascht "über die Deutlichkeit des Bildes" der neuen Statistik. "Die Zahlen sind frappierend", so der BfM-Chef (siehe Interview). Er fühle sich dadurch in seiner Haltung bekräftigt. Du Bois-Reymond: "Noch immer sind Afrikaner in der Schweiz zu wenig gut integriert."

 Für Polizisten sind die Ergebnisse der Auswertung wenig überraschend: "Die Statistik bestätigt, was wir als Polizisten jeden Tag erleben", sagt Heinz Buttauer, Präsident des Verbandes Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB). "Wir beobachten seit Jahren, dass es Bevölkerungsgruppen gibt, die mit dem Vorsatz in die Schweiz kommen, hier zu delinquieren." Dieses Problem habe sich in den letzten Jahren verschärft. "Es ist leider so, dass immer die gleichen Leute in der Schweiz straffällig werden, aber es passiert ihnen nichts", so Buttauer. Er könne nicht verstehen, warum Ausländer, die permanent gegen das Gesetz verstossen, hier leben dürften. Buttauer: "Auch um wirklichen Flüchtlingen eine Chance geben zu können, ist es unerlässlich, dass Asylbewerber mit einem negativen Bescheid nicht über Jahre hinweg rekurrieren können, sondern rasch ausgeschafft werden." Kommentar Seite 15

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 Migrationschef: "Afrikaner sind in der Schweiz noch nicht gut genug integriert"

 Herr du Bois-Reymond, in der Statistik der kriminellen Ausländer belegen Angehörige aus afrikanischen Nationen acht der ersten zehn Plätze. Überrascht Sie das?

 Alard du Bois-Reymond: In dieser Deutlichkeit des Bildes überrascht es mich. Die Zahlen sind frappierend.

 Fühlen Sie sich nun bestätigt in Ihren Aussagen zu kriminellen Nigerianern, für die Sie kritisiert wurden?

 Ich habe mich damals vor allem auf die Drogenkriminalität bei Asylsuchenden in der Schweiz bezogen. Diese ist in der vorliegenden Statistik nicht erfasst. Aber die neuen Zahlen sind ein weiteres Element, das in eine ähnliche Richtung geht und das Problem betrifft, das ich damals angesprochen habe. Es bestätigt mich, dass die Taskforce, die wir zu Nigeria eingesetzt haben, ein richtiger Weg ist.

 Warum werden Migranten aus Afrika hierzulande so häufig kriminell?

 Für dieses Problem gibt es keine klare Ursache. Aber sicher: Afrikaner haben es schwer in der Schweiz, sie sind hier noch nicht gut genug integriert. Das liegt an den Schweizern, die es den Migranten schwer machen, sich einzufinden. Und es liegt an den Afrikanern selbst, die zu wenig tun, um sich zu integrieren. Ausserdem haben Afrikaner, die in die Schweiz kommen, schlechtere Chancen, legaler Arbeit nachzugehen. Da gleiten viele schnell in die Illegalität ab.

 Was kann das Bundesamt für Migration denn gegen die hohe Kriminalitätsrate tun?

 Einerseits müssen wir strenger werden: Die Asylverfahren müssen beschleunigt werden, abgewiesene Asylbewerber müssen schneller ausgeschafft werden. Andererseits müssen wir nun aber auch mehr für die Integration tun, wie wir das jetzt bei den Nigerianern begonnen haben, beispielsweise durch Gespräche mit der Diaspora und anderen Landesvertretern. Auch bei Somaliern und Tamilen gibt es Integrationsprobleme, die wir angehen müssen.

 Wurden die Ausschaffungsflüge nach Nigeria mittlerweile schon wieder aufgenommen?

 Im Rahmen des Dublin-Abkommens können wir abgewiesene Asylbewerber aus Nigeria in andere europäische Länder zurückführen. Aber es bleiben etwa 20 Prozent, die wir direkt nach Nigeria bringen müssten, die wir noch nicht ausschaffen können. Da warten wir auf die Zustimmung der Nigerianer. Ich bin aber zuversichtlich, dass dieses Problem im Oktober gelöst wird, wenn eine Delegation aus Nigeria in die Schweiz kommt.Interview: Katia Murmann

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Meinung

 Afrikaner besser integrieren

von Katia Murmann

 Die Nachricht: Eine neue Statistik zur Ausländerkriminalität zeigt: Am höchsten ist die Kriminalitätsrate bei Einwanderern aus Afrika. Bürger von Angola, Nigeria und Algerien begehen hierzulande bis zu sechsmal mehr Verbrechen als Personen mit Schweizer Pass.

 Der Kommentar: Bislang waren es nur Mutmassungen, gestützt auf Beobachtungen der Polizei und auf Zahlen aus den einzelnen Kantonen. Doch jetzt zeigt erstmals eine Auswertung für die ganze Schweiz, welche Ausländergruppen am kriminellsten sind. Das Bild ist überraschend klar: Einwanderer aus afrikanischen Nationen belegen in der Statistik acht der ersten zehn Plätze. Damit ist es amtlich: Die Schweiz hat ein Problem mit kriminellen Afrikanern - nicht nur, wenn es um Drogenhandel geht, sondern auch bei Delikten wie Raub, Körperverletzung und Vergewaltigung.

 Noch vor einigen Jahren wäre es undenkbar gewesen, dass eine solche Statistik den Weg an die Öffentlichkeit gefunden hätte. Die Nationalität von Verbrechern, so die Argumentation damals, tue nichts zur Sache. Doch in der Öffentlichkeit und in der Politik hat ein Umdenken stattgefunden - zum Glück. Denn gerade in der Schweiz, einem Land mit einer der höchsten Ausländerraten in ganz Europa, ist es eben doch relevant, wer die Kriminellen unter den Einwanderern sind. Die sind nun benannt, und das ist gut so. Denn nur wenn alle Fakten auf den Tisch kommen, kann nach Lösungen gesucht werden. Das muss nun dringend passieren - ohne Polemik von rechts und links, trotz der politischen Brisanz der Zahlen im Angesicht der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative.

 Auf keinen Fall darf die Veröffentlichung der Statistik dazu führen, dass alle Afrikaner hierzulande unter Generalverdacht stehen und ihnen mit Misstrauen begegnet wird. Wohl aber muss sich die Schweiz fragen, wo die Ursachen liegen, dass Afrikaner besonders schnell in die Kriminalität abrutschen. Für jene, die sich hier bereits strafbar gemacht haben, darf es kein Pardon geben. Ihre Geschichten gilt es genauer zu betrachten: Sind sie bereits mit der festen Absicht in die Schweiz gekommen, kriminell zu werden? Oder waren es die Umstände hier, die sie zu Verbrechern gemacht haben? Daraus gilt es zu lernen. Sicher ist: Die Integration von Afrikanern muss verbessert werden. Denn die Migrationsströme aus Afrika werden in der Zukunft nicht abreissen. Statistiken zu Kriminalitätsraten hin oder her.

 katia.murmann@sonntagonline.ch

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AUSSCHAFFUNGEN
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Telebärn 11.9.10

Janine Mba soll ausgeschafft werden
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/janine-mba-soll-ausgeschafft-werden/c=84713&s=1021935

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Bund 11.9.10

Aktivisten verhinderten die Ausschaffung einer Frau

 Am Sonntag haben Aktivisten des "Bleiberecht-Kollektivs" in Bern eine Ausschaffung verhindert.

 Am letzten Sonntagnachmittag blockierten gut ein Dutzend Aktivisten des "Bleiberecht-Kollektivs" die Ausfahrt des Regionalgefängnisses beim Amthaus in Bern. Sie verhinderten so, dass eine Frau, die in den Kongo ausgeschafft werden sollte, von der Securitas zum Flughafen Zürich gefahren werden konnte. Dies teilte das Kollektiv gestern in einer Medienmitteilung mit.

 Bei der Frau handelte es sich laut der Pressemitteilung um ein Mitglied des Kollektivs. Sie sei nach der Aktion für einige Tage ins Regionalgefängnis zurückgebracht worden und gestern Morgen entlassen worden, sagt auf Anfrage Anja Brunner vom Kollektiv. Es handelte sich um eine Ausschaffung gemäss dem sogenannten Level 1, bei der keine besonderen Zwangsmittel angewandt werden. "Auch bei solchen halb freiwilligen Ausschaffungen stehen die Betroffenen unter enormem psychischem Druck", sagt Brunner, "falls sie nicht mitmachen, droht ihnen eine Ausschaffung mit Zwangsmassnahmen." Zudem protestiere das Kollektiv generell gegen Ausschaffungen. Heute wollen die Aktivisten in Bern eine weitere Solidaritätskundgebung durchführen.

 Die Sprecherin der Kantonspolizei, Corinne Müller, bestätigt auf Anfrage, dass am vergangenen Sonntag eine unbewilligte Kundgebung vor dem Regionalgefängnis Bern stattfand. Die Polizei habe Personenkontrollen der Aktivisten durchgeführt. (st)

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WEGGESPERRT
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Sonntag 12.9.10

Vorgestern wurde "Entschuldigung" gesagt

 Die "administrativ Versorgten" wurden in Hindelbank empfangen. Ein Buch beleuchtet ihr Schicksal und stellt Forderungen

von Fränzi Rütti-Saner

 Jahrelang hat er gedauert, der Kampf, den die Zürcherin Ursula Müller-Biondi und ihre Leidensgenossinnen geführt haben. Ein Kampf gegen Ignoranz und Passivität, gegen Verdrängung und gegen Missachtung. Ein Kampf um Anerkennung von Schuld, welche Behörden auf sich geladen hatten, als sie Männer und Frauen, ohne dass diese ein Verbrechen begangen hatten, und ohne Gerichtsurteil in Strafanstalten und Arbeitserziehungseinrichtungen haben einsperren lassen. Und dies seit den Dreissigerjahren des vergangenen Jahrhunderts bis zum Jahr 1981. Es traf Menschen, die ein weniger angepasstes Leben führen wollten, als dies damals üblich war. Es traf aufmüpfige Teenager, Jugendliche aus schwierigen Familienverhältnissen, Unangepasste, sie alle - Tausende von Frauen und Männer - "administrativ versorgt", weggesperrt, immer ohne, dass sie wussten, warum und für wie lange. Die "administrativ Versorgten" begannen sich - auf Initiative von Ursula Müller-Biondi hin - zu wehren und besonders durch die Medien auf ihr Schicksal aufmerksam zu machen(s. auch "Sonntag" vom 5. Sept.). Vorgestern nun hat die Schweizerische Justizministerin, Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, im Beisein von Marianne Heimoz, Direktorin der Strafanstalt Hindelbank, sich stellvertretend bei den Betroffenen offiziell entschuldigt. Viele dieser Menschen waren mit Angehörigen gekommen, um bei diesem historischen Moment dabei zu sein. Ihr Bedürfnis, sich zu vergewissern, dass sie tatsächlich keine Kriminellen seien und dass damals Unrecht an ihnen verübt wurde, ist stark. Und stark mussten vor allem die Frauen sein, beim Betreten ihres ehemaligen Gefängnisses. Denn ihre Erlebnisse hinter diesen Mauern haben viele von ihnen fürs Leben gezeichnet. Manche können das Erlebte auch heute noch schwer in Worte fassen.

 Bereits vergangene Woche aber bekamen die Betroffenen ein Werkzeug in die Hand, mit welchem auf das damalige Unrecht aufmerksam gemacht wird und das sich auf ihre Seite stellt. Es ist das Buch "Weggesperrt" von Dominique Strebel. Der "Beobachter"-Journalist hatte in den vergangenen zwei Jahren Grundlegendes zum Thema "administrativ Versorgte" zusammengetragen. Viele Betroffenen kamen zu Wort, aber auch damalige Behördenvertreter, Juristen und Wissenschafter wurden befragt und zitiert. "Auf dass solches Unrecht nie wieder passieren wird, und wir künftig hellhöriger sind, wenn bei hilflosen Menschen einfaches und ‹kostengünstiges› Bewältigen von schwierigen sozialen Problemen zur Anwendung kommen sollte", sagte auch der Zürcher Regierungsrat Markus Notter an der Buchvernissage im Schweizerischen Landesmuseum in Zürich. Gefordert wird nicht bloss eine Entschuldigung, es soll auch über Entschädigung und Rückerstattung von illegalen Zahlungen diskutiert werden.

 "Weggesperrt" Dominique Strebel, Zürich Beobachter Buchverlag Fr. 29.-.

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Bund 11.9.10

Widmer-Schlumpf entschuldigt sich offiziell

 Vertreter von Bund und Kantonen haben sich gestern in den Anstalten Hindelbank bei den Frauen und Männern entschuldigt, die bis 1981 "administrativ versorgt" worden sind. Die Betroffenen zeigten sich erleichtert, forderten aber auch weitere Schritte.

 Timo Kollbrunner

 Fast alle der gut 100 Stühle im Schlosssaal der Anstalten Hindelbank sind besetzt, als Ursula Müller-Biondi das Wort ergreift. Mit leiser Stimme sagt sie, das Stigma "Häftling Hindelbank" werde ihr "ein Leben lang" anhaften. Durch die Verwahrung von ihr und vielen Leidensgenossen hätten die Behörden die Menschenwürde verletzt und ihre Macht missbraucht. "Lasst so etwas nicht noch einmal geschehen", sagt sie mit zittriger Stimme, sichtlich gegen die Tränen kämpfend, und fordert eine "Entstigmatisierung": "Eine öffentliche Entschuldigung ist unumgänglich."

 Der bernische Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) teilt diese Meinung. "Administrativ Versorgte - schon der Ausdruck ist unglaublich", sagt er und erzählt dann von den Insassinnenbüchern der Anstalt, in denen alle Eintritte verzeichnet wurden: "die administrativ Eingewiesenen mit blauer Tinte, die strafrechtlich Eingewiesenen mit roter". In der Nachkriegszeit seien fast die Hälfte aller Frauen administrativ Versorgte gewesen. Er könne versichern, dass heute keine Person mehr ohne Einweisungsbeschluss festgehalten werde. Er wisse aber auch, dass "das für die Betroffenen ein kleiner Trost" sei, und wolle deshalb seine "ehrliche Entschuldigung" aussprechen.

 Entschuldigung "in aller Form"

 Dann ist die Reihe an Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP). Wird auch sie sich, im Namen des Bundes, offiziell entschuldigen? Oder wird sie nur ihr Bedauern bekunden? Das Geschehene könne nicht rückgängig gemacht werden, sagt sie, "auch nicht durch Recht. Ihre Jugend können wir Ihnen nicht zurückgeben". Es gehe auch nicht darum, die Behörden, die damals geltendes Recht angewendet hätten, zu verurteilen. "Wir sind weder Richter noch Historiker." Es gehe um eine moralische Wiedergutmachung, "den Ausdruck von Respekt gegenüber den Betroffenen", und darum, dafür zu sorgen, dass "so etwas nie, nie mehr vorkommen kann".

 Dann ist es so weit. "Normalerweise entschuldigt man sich im privaten Rahmen", sagt Widmer-Schlumpf, und nun weiss jeder im Saal, was kommt. "Manchmal ist es jedoch erforderlich und wichtig, dies öffentlich zu tun. Ich möchte das an dieser Stelle machen." "In aller Form" bittet sie darauf im Namen des Bundes um Entschuldigung dafür, "dass Sie ohne Gerichtsurteil administrativ versorgt wurden". Einige haben Tränen in den Augen, Paare umarmen sich, sogar der eine oder andere der zahlreichen Journalisten schnäuzt sich oder zieht den Handrücken über das feuchte Auge. Zusammen sei man nun daran, "ein dunkles Kapitel unserer Sozialgeschichte zu bewältigen", sagt Widmer-Schlumpf, um dann zu mahnen, auch die beste Gesetzgebung könne "nicht alles richten". "Wie künftige Generationen unser Tun dereinst werten werden, wissen wir nicht."

 "Das Stigma ist weg", sagt Madeleine Ischer nach der Rede Widmer-Schlumpfs. Gina Rubeli sagt, sie hätte eine Entschuldigung des Bundes nicht erwartet. "Das ist eine sagenhafte Erleichterung." Nun werde man mit Parlamentsvertretern über weitere Schritte diskutieren. Am wichtigsten sei es nun, dass alle Betroffenen ungehindert Einsicht in ihre Akten erhielten. Und vielleicht sei dieser Tag auch ein Anstoss, darüber nachzudenken, ob die Menschenwürde nicht auch heutzutage noch missachtet werde. "In Bezug auf den Umgang mit Ausländern etwa habe ich da meine Zweifel." Müller-Biondi dagegen wirkt geradezu euphorisiert, sie strahlt, herzt einen hier und eine da. "Der Fluch ist weg", jubiliert sie. Nun sei sie gespannt, wie ihr Leben weitergehen wird, jetzt, wo diese Wut als ständiger Begleiter weg sei. Erstmals hält sie kurz inne. Und sagt dann: "Die Wut hat mir auch Energie gegeben."

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BZ 11.9.10

"Administrativ Versorgte"

 Der Bundesrat entschuldigt sich

 Die Erleichterung bei den ehemals "administrativ Versorgten" war gross: Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat sich gestern an einem Gedenkanlass in Hindelbank im Namen des Bundes "in aller Form" entschuldigt.

 "An Ihrem Schicksal sind Sie nicht selber schuld", sagte Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf gestern in der Frauenstrafanstalt Hindelbank. Sie sprach am Gedenkanlass, der zu Ehren der ehemals "administrativ Versorgten" durchgeführt wurde. Mit Spannung wurde die Rede der Justizministerin erwartet. Und dann sagte sie es in aller Deutlichkeit: "Ich möchte Sie im Namen des Bundes in aller Form dafür um Entschuldigung bitten, dass Sie ohne Gerichtsurteil administrativ versorgt wurden."

 Hörbar atmeten die Betroffenen auf. Einige konnten ein erleichtertes Schluchzen nicht unterdrücken.

 Obwohl sie keine Straftat begangen hätten, fuhr die Bundesrätin fort, seien sie eingesperrt worden, "nur weil Sie sich nicht so verhalten hatten, wie man sich das von Ihnen gewünscht hätte". Sie sprach von einer damals ratlosen und überforderten Gesellschaft und stellte an die Betroffenen gewandt fest: "Ihnen fehlten Geborgenheit, Liebe und das notwendige Grundvertrauen." Und sie bedauerte: "Ihre Jugend können wir Ihnen nicht zurückgeben."

 "Selbstherrlich"

 Eveline Widmer-Schlumpf ging es gestern "nicht darum, die damals verantwortlichen Behörden zu verurteilen". Sie konzentrierte sich auf die "moralische Wiedergutmachung".

 Doch Guido Marbet, Präsident der Konferenz der Kantone für Kindes- und Erwachsenenschutz, hielt mit Kritik an den damaligen Behörden nicht zurück. Er äusserte sich als Vertreter jener Behörden, die damals "in moralischer Selbstherrlichkeit den ihnen übertragenen Fürsorgeauftrag aufs Schlimmste missachtet" hätten. Marbet entschuldigte sich im Namen der öffentlichen Institutionen "für die von Ihnen erfahrene Persönlichkeitsverletzung".

 Gefängnis statt Hilfe

 "Gefährdete Jugendliche wurden damals nicht aufgefangen, sie wurden gefangen", doppelte Hans Hollenstein nach. Der Zürcher CVP-Regierungsrat und Präsident der Konferenz kantonaler Sozialdirektoren lehrt aus der Geschichte der "administrativ Versorgten": "Die Gesellschaft muss sich immer wieder kritisch hinterfragen, wie sie mit nichtkonformen Lebensformen umgeht." Er fügte an: "Es tut mir sehr leid, was Sie erleiden mussten."

 Und der Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser (FDP) stand seinen Vorrednern in nichts nach. Auch er sprach im Namen der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren seine Entschuldigung aus.

 Aus der ganzen Schweiz

 Als "oberster Hausherr" der Strafanstalt Hindelbank berichtete Käser aus der historischen Aufarbeitung der "administrativ Versorgten": Der Anteil der administrativrechtlich Eingewiesenen sei gross gewesen: In den Nachkriegsjahren seien fast die Hälfte der in Hindelbank eingesperrten Frauen "administrativ Versorgte" gewesen. Grössere Städte aus der ganzen Deutschschweiz und dem Tessin hätten minderjährige Frauen eingewiesen. Aber auch in abgelegenen, sehr ländlichen Regionen habe es sich "herumgesprochen", so Käser, "dass die Anstalt Hindelbank als Ausweg in Frage kommen könnte, wenn die Behörden keine weiteren Möglichkeiten mehr sahen - oder sehen wollten".

 Viele der einst Eingewiesenen reisten gestern freiwillig nach Hindelbank - und kehrten um eine schwere Last erleichtert nach Hause.

 Susanne Graf

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 "Jetzt ist ein schwerer Ballast weg"

 Christina Jäggi war gestern mehr als zufrieden mit den Entschuldigungen. Aber künftige Geldforderungen schliesst sie nicht aus.

 Christina Jäggi konnte ihre Tränen gestern Abend nicht mehr zurückhalten. Die Gefühle waren zu stark, die über sie kamen, als sie hörte, wie sich Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf für das Unrecht entschuldigte, das sie als "administrativ Versorgte" in ihrer Jugend erleiden musste. "Dass die Entschuldigung von so hoher Stelle kommen würde." Christina Jäggi war überwältigt, obwohl sie zwei Jahre mit andern Betroffenen für diese Entschuldigung und die damit verbundene Rehabilitation gekämpft hatte. "Ja, ich bin zufrieden", sagte sie, "jetzt ist ein grosser Ballast weg."

 Doch Christina Jäggi schliesst nicht aus, dass aus ihren Reihen künftig auch finanzielle Forderungen kommen werden. Denn unter den einst "administrativ Versorgten" habe es viele IV-Bezüger "und überhaupt viele, die finanziell nicht gut gestellt sind".

 Bisher hat der von Ursula Biondi gegründete Verein, der eine Anlaufstelle für "administrativ Versorgte" unterhält, sein Vorgehen jeweils mit SP-Nationalrätin Jacqueline Fehr und deren Ratskollegen Paul Rechsteiner besprochen. Jacqueline Fehr war gestern ebenfalls in Hindelbank. Wird sie vom Bund Geld fordern für die "administrativ Versorgten"? Alle bisherigen Treffen hätten die moralische Wiedergutmachung zum Ziel gehabt, sagte sie. Nachdem diese Etappe nun erreicht sei, werde sie wieder mit den Betroffenen zusammenkommen "und hören, ob sie eine finanzielle Abgeltung fordern".

 Für Jacqueline Fehr liesse sich "eine Abgeltung der realen Kosten" durchaus rechtfertigen. Sie denkt etwa an die Kosten für den Aufenthalt in den "Erziehungsanstalten" oder die entgangenen AHV-Beiträge.
 sgs

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swissinfo.ch 11.9.10

Einst "Weggesperrte" sind moralisch rehabilitiert

swissinfo

 Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf hat ehemalige unschuldig eingesperrte Jugendliche an einem Gedenkanlass in der Strafanstalt Hindelbank im Kanton Bern am Freitag offiziell um Entschuldigung gebeten.

 In die Frauenstrafanstalt Hindelbank wurden weibliche Jugendliche aus der ganzen Deutschschweiz und dem Tessin eingewiesen, mit Begründungen, sie seien "liederlich, arbeitsscheu oder aufrührerisch".Insgesamt wurden in der Schweiz bis 1981 Tausende Jugendliche von Vormundschaftsbehörden in geschlossene Anstalten eingewiesen - "administrativ versorgt" -, weil sie sozial auffällig geworden waren. Ohne eine Straftat begangen zu haben, ohne richterliches Urteil wurden sie oft jahrelang weggesperrt. Unter dem Stigma leiden sie bis heute.Eine Gruppe ehemaliger administrativ versorgter Frauen hatte den als "moralische Wiedergutmachung" organisierten Anlass in Hindelbank angeregt.

 Moralische Wiedergutmachung

 "Ihnen wurde viel Leid angetan. Ihre Jugend können wir Ihnen nicht zurückgeben", sagte die Justizministerin am Freitag zu den rund zwei Dutzend Betroffenen im Schlosssaal der Strafanstalt Hindelbank. "Wir sind weder Richter noch Historiker. Es geht uns um den Respekt Ihnen gegenüber, um moralische Wiedergutmachung."Entschuldigungen würden meist im privaten Umfeld ausgesprochen, aber manchmal sei eine öffentliche Entschuldigung wichtig, fuhr Widmer-Schlumpf fort."Im Bewusstsein, dass Vergangenes nicht ungeschehen gemacht werden kann, möchte ich Sie um Entschuldigung bitten dafür, dass Sie ohne richterliches Urteil in Strafanstalten gebracht, weggesperrt worden sind, ohne eine Straftat begangen zu haben."

 Appell an Justiz und Gesellschaft

 An dem Gedenkanlass in Hindelbank hatten zuvor drei Betroffene von ihren Erfahrungen berichtet. Sie betonten dabei den Umstand, dass sie aufgrund der Einweisung in die Strafanstalt ein Leben lang ausgegrenzt und diskriminiert wurden. Ursula Müller-Biondi, die mit 17 Jahren und im fünften Monat schwanger in Hindelbank eingesperrt wurde, sagte: "Mein Appell richtet sich an die Justiz und an die Gesellschaft: Lasst so etwas nicht noch einmal geschehen!"Auch Hans Hollenstein, Vizepräsident der Konferenz der Sozialdirektorinnen und Sozialdirektoren (SODK) betonte, dass sich solche Schicksale keinesfalls wiederholten dürfen: "Als Mensch Hans Hollenstein und im Namen der Konferenz tut es mir sehr leid, was Ihnen geschehen ist, und ich bitte Sie, dies zu entschuldigen."Von den Behörden äusserte sich auch Hans-Jürg Käser, Vertreter der Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD). Er wies darauf hin, dass in den Nachkriegsjahren fast die Hälfte der in Hindelbank eingesperrten Frauen administrativrechtlich eingewiesen war. "Aus heutiger Sicht kann ich Ihnen versichern, dass keine Person mehr in einem Gefängnis festgehalten wird, solange kein rechtsgültiger Einweisungsbeschluss vorliegt", sagte Käser.

 "Ich bin so glücklich"

 Die Erleichterung und Freude unter den Betroffenen war gross nach den offiziellen Entschuldigungen. Besonders Ursula Müller-Biondi war überwältigt. Immer wieder kamen ihr fast die Tränen. "Es ist wahnsinnig", sagte sie gegenüber swissinfo.ch. "Seit zehn Jahren habe ich dafür gekämpft, und jetzt ging alles plötzlich so schnell."Besonders die Erklärungen und die Entschuldigung der Justizministerin hätten sie überrascht: "Ich bin an ihren Lippen gehangen und habe genau aufgepasst, ob sie sich herausreden würde. Aber nichts davon. Ganz klare Worte."Dennoch seien längst nicht alle Probleme gelöst, sagt Biondi: "Es gibt Opfer von damals, die immer Opfer geblieben sind. Für sie bedeutete Hindelbank die Endstation. Selbst als sie aus dem Gefängnis herauskamen, konnten sie bis heute nie mehr ein normales Leben führen. Ihnen wollen wir helfen, die Gegenwart etwas erträglicher zu machen."Inwiefern es dabei auch im finanzielle Wiedergutmachung gehe, lies Biondi offen. Dies werde noch diskutiert. Dann fällt sie einer Mitstreiterin um den Hals und ruft strahlend aus: "Ich bin so glücklich. Das hätte ich so nicht erwartet. Dies ist der glücklichste Tag meines Lebens."

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Telebärn 10.9.10

Einfach weggeschlossen
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/einfach-weggeschlossen/c=84713&s=1021524

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HUNGERSTREIK
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Indymedia 11.9.10

Hungerstreikerklärung x Marco, Silvia, Billy und Costa! ::

AutorIn : libertat         
Wir, Billy, Costa, Silvia und Marco, revolutionäre ÖkoanarchistInnen in Geiselhaft des Schweizer Staates, haben entschlossen einen individuell unterschiedlich langen (15-20 Tage) kollektiven Hungerstreik vom 10. bis Ende September 2010 durchzuführen.     

Wegen den umständehalber bestehenden Begrenzungen und Verzögerungen der Kommunikation, die unter uns drei in U-Haft sogar im totalen Kommunikationsverbot bestehen, ist die Abmachung und Organisierung dieser Initiative schwierig und vielleicht nur in der Folge werden ausführlichere auch individuelle Nachrichten, Bestätigungen und Erklärungen möglich sein*.
Aber als revolutionäre AnarchistInnen wollen wir von hier drinnen hiermit entschlossen unsere internationalistische solidarische Teilnahme jenseits jeglicher spezifischen Tendenz an den revolutionären Initiativen und Kämpfen drinnen und draussen gegen Repression, Knast, Isolation, Folter bekräftigen.
Wir stehen für die Befreiung aller Geiseln im sozialen und revolutionären Krieg gegen das System, für die Befreiung aller, für die Zerstörung aller Knäste und Gehege und aller Gesellschaften, die sowas nötig haben. In diesem Sinne erklären wir auch unsere totale Unterstützung und Solidarität für die neulich entstandenen Befreiungskampagnen für langzeitgefangene RevolutionärInnen.
Unsere Initiative ist Kontinuität im Kampf an der Seite aller, die diesen immer schärferen und brutaleren gesellschaftlichen, wirtschaftlichen, politischen und ökologischen Krieg und Krisenzustand nie nur erdulden wollten.
Unsere Initiative ist auch Ausdruck der Kontinuität unserer langjährigen starken, soliden, affinen und kämpferischen Beziehungen als "grüne/antizivilisatorische” AnarchistInnen.
Als solche sind wir gemeinsam gegen jeden Staat, Pfaffen und Herrn, gegen jeden Knast und jede Repression, gegen jegliche Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, der Frauen durch die Männer, der anderen Spezies und der Natur durch den Menschen.
Wir sind auch untereinander und mit Leuten aus anderen Erfahrungen vereinigt im radikalen Kampf gegen die Schädlichkeiten und Zerstörungen dieses System und natürlich gegen dieses System, das sie verursacht und nötig macht. Das heisst gegen dieses bestehende techno-wissenschaftliche industrielle Produktions-, Konsumismus- und Warensystem des Kapitalismus, gegen dieses monopolistische und imperialistische System der Multis und ihrer Staaten.
Ob es nun seine alten oder innovativen Schädlichkeiten und Zerstörungen sind. Und auch wenn sie von der typisch betrügerischen Arroganz der Herrschenden und ihrer Lakaien, das heisst von den Wissenschaftern, Medien, PolitikerInnen, Bullen, Pfaffen und Organisationen auf der Lohnliste der Herrschenden oder ihres pseudo-demokratischen Dialog-Theaters einen humanitären und "umweltverträglichen" Anstrich erhalten und als notwendig erklärt werden. Wie das z. b bei Nano- und Biotech, GVO, "alternative Energien" und sogar Atomkraft eben der Fall ist! Und auch wenn dieser imperialistische, kriegstreiberische und global terroristische Abschaum der Herrschenden und ihre KomplizInnen und Institutionen kann uns "Vandalen”, "TerroristInnen”, "Öko-TerroristInnen”, etc. nennt, sobald unser Dissens und Widerstand und unser Kampf für eine Gesellschaft aus freien und autonomen Individuen ohne Sklaverei, Unterdrückung, Ausbeutung und Zerstörungen real wird!
Wir sind also Menschen, die gegen die ursprünglichen Wurzeln dieses aktuellen Systems grundlegend kritisch sind und kämpfen, weil dieses System ist der am weitesten fortgeschrittene, vollständigste und zerstörerischste Ausdruck der jahrtausende alten anthropozentrischen Zivilisation. Denn diese Zivilisation ist technologische und industrielle (Produktion/Konsum) Herrschaft, ist patriarchale Abrichtung, ist soziale Schichtung und Kontrolle, ist massenweise Einsperrung in Städten, ist Ausbeutung, ist Unterdrückung, ist organisierte Gewalt und Krieg des Menschen gegen den Mensch, des Mannes gegen die Frau, des Menschen gegen die anderen Spezies, des Menschen gegen die Natur und gegen den Rest des Universums.
Abschliessend, aber sicher nicht als Letztes: diese Initiative ist auch ein komplizenhafter, solidarischer und aktiver Beitrag und Gruss an alle euch RevolutionärInnen jeder Tendenz, die ihr uns allein oder vereint und hier und jetzt mit eurer solidarischen, freien und wahren revolutionären Liebe unterstützt und gegen jeden Ausdruck des Monsters Staat und Kapital kämpft: und zwar mit euren Initiativen, mit der Kontinuität und Verstärkung des revolutionären Widerstandes, mit der revolutionären Offensive, sei es am Lichte der Sonne oder der Sterne oder des Mondes, mit allen notwendigen Mitteln.
Zusammen sind wir stark, Solidarität ist unsere beste Waffe!
7. September 2010, aus dem Knast Schweiz, Billy, Costa, Silvia und Marco

*Zur Initiative und weiter, aus dem Lager Pöschwies, Zürich
Im Juni haben wir mit der Diskussion und Organisierung dieser Initiative begonnen. Kurz danach verfügte die Bundesanwaltschaft die bekannten feigen Verschärfungen der politischen und persönlichen Kommunikationsblockade mit Silvia, Costa e Billy, in der üblichen Vernichtungs- und Isolierungslogik eines grundlegend rassistischen und faschistischen, kapitalistischen und imperialistischen Schurkenstaates der Multis, und hier erinnere ich daran, dass nur schon die Genfer Privatbanken 10% des weltweiten Privatvermögens verwalten…. Nur schon der Vorwand gegen diese Aggression auf die Integrität und Identität der drei GenossInnen ist ein schwerwiegender Akt der Diskriminierung. Genau das ist es in einem Schurkenstaat, der sich doch seiner vier amtlichen Landessprachen, darunter auch Italienisch, so sehr rühmt, und als Begründung seines Angriffes die Menge an italienischer Korrespondenz heranzieht, die ins Deutsche übersetzt werden müsse. Keinesfalls überraschend ist auch, dass irgendein Bulle der Bundes-Repression aus niedriger politischer Feindseligkeit und Repressalie willkürlich die Korrespondenz zwischen den Dreien und einer Genossin der Roten Hilfe International aus der Schweiz total blockiert, weil sie sich auch zu ihrer Unterstützung öffentlich einsetzt, und zwar in vorderster Front, praktisch und sehr wirksam.
Die Kommunikationsblockade heisst praktisch, dass, falls denn die Briefe nicht total blockiert werden, ich erst nach einem bis eineinhalb Monaten eine Antwort erhalte. So wurde die gemeinsame Diskussion und Ausarbeitung einer Erklärung mit besser artikulierten und verfassten Inhalten verhindert. Als einziger konnte ich diese Erklärung entwerfen und allen zusenden. Aber, und das erst im allerletzten Moment, konnten wir uns so gegenseitig nur das sichere Einverständnis über die grundlegenden zu vermittelnden Inhalte mitteilen und die Zeiten festlegen.
Aber eins ist sicher, und wir beweisen es jetzt erneut. Wir drinnen und ihr draussen, wir lassen uns von den kriminellen Logiken der Repressalie und der Aggression des Repressionsabschaums von Staat und Kapital weder terrorisieren noch paralysieren. Im Gegenteil, diese Logiken bewirken die Verstärkung der Mobilisierung, der Auseinandersetzung, der aktiven Teilnahme und Vereinigung auf den verschiedenen Ebenen des Kampfes. In diesem Sinne begrüsse ich das Treffen für die Befreiung der Tiere und der Erde am 10-11-12 September und Silvias Botschaft dazu herzlichst; oder die Vereinigung von kommunistischen und anarchistischen Kräften in Rom für die Initiativen der internationalen Kampagne zur Befreiung der politischen Gefangenen…; oder, wie in Mexiko, Chile, Argentinien, hier und überall begrüsse ich freudig die militanten revolutionären/aufständischen Aktionen der Solidarität und Repressalie gegen die Übergriffe der Repression, weil revolutionäre Repressalie eines der bedeutenden und notwendigen Schlachtfelder des sozialen Krieges ist. Ihre Schandtaten dürfen uns nie verwundern, aber (bis sie nicht hinweggefegt sind) desto unbestrafter sie davonkommen, desto zügelloser werden sie.
marco camenisch, Pöschwies, 7. September 2010

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NEONAZIS BURGDORF
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Bund 11.9.10

Royal Aces Tattoo Bar bleibt vorläufig geschlossen

 Die Betreiberin der umstrittenen Burgdorfer Bar blitzt mit einer Beschwerde vor Verwaltungsgericht ab.

 Bis zum Entscheid der kantonalen Volkswirtschaftsdirektion über die Rechtmässigkeit der Schliessung der Royal Aces Tattoo Bar bleibt das umstrittene Lokal, das als Treffpunkt der rechtsextremen Szene galt, geschlossen. Das Verwaltungsgericht hat es in einem gestern veröffentlichten Urteil abgelehnt, der Beschwerde der Barbetreiberin gegen die vom Emmentaler Statthalter im Juli verfügte Schliessung aufschiebende Wirkung zu erteilen und die vorläufige Wiedereröffnung des Lokals zu erlauben.

 Nachdem Linksradikale Fenster eingeschlagen und Farbkübel ins Lokal geworfen hatten, hatte der Statthalter die Gefahr von Auseinandersetzungen zwischen Links- und Rechtsradikalen für akut gehalten und die Bar als "erhebliche Gefahr für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit" geschlossen. Der Gemeinderat begrüsste den Entscheid.

 Grundsätzlich hätten Beschwerden gegen Schliessungsentscheide von Gaststätten keine aufschiebende Wirkung, erinnerte nun das Verwaltungsgericht. Wichtige Gründe, die eine Ausnahme rechtfertigen würden, lägen hier nicht vor, auch wenn die Schliessung der Bar während des laufenden Verfahrens für die Betreiberin einschneidende finanzielle Konsequenzen habe. Gegen eine Öffnung der Bar während des Verfahrens spräche dagegen die "Gefährdung der öffentlichen Ordnung". Die Vorinstanz habe eine solche "ohne weiteres glaubhaft gemacht". (sw)

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BZ 11.9.10

Burgdorf

 Bar bleibt weiter zu

 Der Gang an die nächste Instanz hat nichts genützt: Sophie Güntensperger darf ihre Royal-Aces-Tattoo-Bar in Burgdorf weiterhin nicht offen halten. In einem gestern veröffentlichten Urteil lehnt es das Verwaltungsgericht ab, Güntenspergers Beschwerde gegen die provisorische Schliessungsverfügung aufschiebende Wirkung zu gewähren.

 Das Gericht gesteht Güntensperger zwar zu, dass ihr mit der erzwungenen Schliessung Einnahmen entgehen. Dies liege aber in der Natur der Sache und sei nicht durch die viel gewichtigeren Gründe aufzuwiegen, von denen sich die Vorinstanzen hätten leiten lassen. Die Volkswirtschaftsdirektion wie zuvor bereits der Statthalter hatten die Bar dichtgemacht, nachdem es in ihrem Umfeld zu Auseinandersetzungen zwischen der linken und der rechten Szene gekommen war.

 Diese Scharmützel stellten, so die Begründung damals, eine "Gefahr für die öffentliche Sicherheit" dar.
 skk

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Langenthaler Tagblatt 11.9.10

Verwaltungsgericht Burgdorfer Rechtsextremen-Bar bleibt zu

 Die umstrittene "Royal Aces Tatoo Bar" in Burgdorf bleibt vorerst zu. Auch das Verwaltungsgericht stützt den Entscheid des Kantons von Ende Juli, der Schliessungsverfügung des Regierungsstatthalters die aufschiebende Wirkung zu entziehen. Nachdem es in der Nacht auf den 30. Juli zum zweiten Mal zu Angriffen linksautonomer Kreise auf die Bar gekommen war, schloss der zuständige Regierungsstatthalter die Bar erneut. Für die Schliessung machte dieser - wie auch die Stadt Burgdorf - Sicherheitsbedenken geltend. Die Betreiberin, die mit einem bekannten Rechtsextremen liiert ist, antwortete auf die Angriffe jeweils mit Schriftzügen am Gebäude. Beim Kanton hiess es gestern, in der Hauptsache - ob der Bar die Gastrobewilligung zu Recht entzogen wurde - sei das Verfahren weiterhin hängig. (sat)

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POLICE BE
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Grenchner Tagblatt 13.9.10

Die Polizei hats schwer

 Kantonspolizei Erneut bessere Arbeitsbedingungen gefordert

 Seltene Einigkeit im Grossen Rat, als diese Woche über die Arbeitsbedingungen der Polizei diskutiert wurde. Von rechts bis links war man sich einig: Besserung tut not.

Samuel Thomi

 "Tragischerweise passt mein Anliegen zum Vorfall in Biel", kommentierte Sabina Geissbühler vorgestern im Grossen Rat die Aktualität: "Für das immer noch gültige 3-D-System - Dialog führen, deeskalativ wirken und erst dann durchgreifen - haben immer weniger Berner Kantonspolizisten an der Front Verständnis." Im Grossratswahlkampf im Frühling lancierte SVP-Frau Geissbühler - die Mutter von SVP-Nationalrätin und Polizistin Andrea Geissbühler - deshalb zusammen mit FDP-Regierungsratskandidat Sylvain Astier (Moutier) die Motion "Bessere Arbeitsbedingungen für unsere Polizei bedeuten grössere Sicherheit für die Bevölkerung".

 "Äusserst frustrierend"

 Spezialisten seien "äusserst frustriert", wenn beispielsweise die Gesetze nicht durchgesetzt würden. Als Beispiel diente Geissbühler das Vermummungsverbot: "Dieses muss kompromisslos durchgesetzt und geahndet werden." Oder: "Bei Sachbeschädigungen muss die Polizei unmittelbar einschreiten." Zudem sollten rechtsfreie Räume nicht toleriert, Drogenschnelltests eingeführt und die monatlichen Freitage auf den Arbeitsplänen dürften "nur in absoluten und begründeten Ausnahmefällen" kurzfristig angepasst werden. Astiers Kommentar: "Die Polizei macht gute Arbeit, daher müssen wir sie unterstützen." Das beginne mit einem guten Umfeld.

 "Das ist eine Stammtischmotion", antwortete Barbara Mühlheim (Grüne/Bern). Die Einsätze der Polizei müssten von Profis beurteilt werden - "das kann der Grosse Rat nicht". Die Kapo beweise im Kanton, "dass sie es kann und erfolgreich ist." Dass einzelne Polizisten unzufrieden seien, könne gut sein: "Dafür allerdings macht die Polizei nach jedem Einsatz Debriefings. Reklamationen gehören dorthin."

 "Die EVP will sich nicht in die Strategie der Kantonspolizei einmischen", sagte Patrick Gsteiger (Perrefitte). Und wenn, dann müsse die Kapo mehr Personal erhalten: "Aber das kostet."

 "Zuerst hatte ich natürlich Freude"

 "Die SVP schreibt Sicherheit gross - und ebenso Verhältnismässigkeit", sagte Christian Hadorn (Ochlenberg). Philippe Müller (FDP/Bern) ergänzte: "Es ist gut, wenn das Parlament Zeichen setzt." Im Berner Stadtrat, dem Müller bisher ebenfalls angehörte, sei Polizeiarbeit kaum gewürdigt worden. Allerdings, so der Initiant der eben abgelehnten städtischen "Initiative für eine sichere Stadt Bern", tue das Kantonsparlament gut daran, der Polizei zu Einsatzgrundsätzen oder Verhältnismässigkeit nicht dreinzureden.

 "Rückendeckung ist ganz wichtig"

 "Zuerst hatte ich natürlich Freude am Titel", so Markus Meyer (SP/Roggwil). "Es ist wirklich an der Zeit, dass die Arbeitsbedingungen für die Polizei besser werden", so der Präsident der Kantonspolizisten. Dazu freue er sich über die Zusage von Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP), sich für mehr Personal einzusetzen und die Gehaltssituation inklusive einer Reallohnerhöhung zu verbessern. Überdies seien Korrekturen am Arbeitszeitmodell angesagt wie auch eine fünfte Ferienwoche: "Die vorliegende Motion ist ein bisschen ein Etikettenschwindel", so Meyer. Tatsächlich wolle sie einseitig mehr Repression, was die Arbeitsbedingungen der Polizei nicht ändere.

 "Selbstverständlich hat die Polizei nicht Freude an Sachbeschädigungen", konterte Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP). Drogenschnelltests würden geprüft, seien aber noch zu wenig zuverlässig. Entscheidungen übers jeweilige Vorgehen lägen bei den Patrouillen oder bei Demos bei der Einsatzleitung. Bei Sportanlässen sei es zudem wenig sinnvoll, ein paar betrunkene Vermummte aus Tausenden herauszuholen: "Solche Fragen diskutieren wir regelmässig mit der Polizei", so Käser. "Das Parlament muss sich nicht einmischen." Dieses überwies Geissbühlers Motion praktisch einstimmig in der unverbindlicheren Form des Postulats.

 Geissbühler konterte, es sei "ganz wichtig, dass wir der Polizei mit einem Ja Rückendeckung geben". Womit die gut stündige Debatte höchstens noch als wohl gemeintes Warmlaufen für die Aufstockungsdiskussion gesehen werden kann. Konkret gings vorgestern um nichts - gekostet hats auch nichts.

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POLICE CH
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NZZ 11.9.10

"Reclaim the Streets", illegale Partys und Betrunkene

 Kongress der städtischen Polizeidirektoren in Zürich über heutige Herausforderungen im öffentlichen Raum

 Der öffentliche Raum in Städten birgt zunehmend Konfliktpotenzial. An einem Kongress in Zürich sind die Herausforderungen für die Polizei thematisiert worden.

 tri. · Öffentliche Räume sind gerade in urbanen Gebieten wichtige Orte der Begegnung, der Kommunikation und der Kreativität. Doch in letzter Zeit häufen sich in der Bevölkerung die Klagen über ein Übermass an Freiheit - insbesondere in einer Stadt wie Zürich, die am Wochenende Tausende Nachtschwärmer anlockt. Lärmemissionen, Littering, Vandalismus, Massenbesäufnisse im öffentlichen Raum oder Gewalt im Ausgang wollen von vielen nicht mehr einfach geduldet werden. Die Polizei ist in diesem Zusammenhang immer mehr gefordert.

 Die Konferenz der städtischen Polizeidirektoren hat deshalb ihren jährlichen Kongress im Technopark in Zürich-West am Freitag dem Thema "Aktuelle Herausforderungen im öffentlichen Raum" gewidmet. Beat Oppliger, Chef Region Ost der Zürcher Stadtpolizei, thematisierte in seinem Referat die Herausforderungen für die Polizei durch Ereignisse wie die Reclaim-the-Streets-Veranstaltung vom Februar dieses Jahres. Damals hatte ein kurzfristig mobilisierter Haufen von etwa 500 Linksautonomen, Hooligans und Partygängern in den Stadtkreisen 4 und 5 einen Sachschaden von rund einer halben Million Franken verursacht und die Polizei auf dem falschen Fuss erwischt.

 Aggressive Grundstimmung

 Laut Oppliger muss die Polizei auch in Zukunft jederzeit mit einem solch spontanen Missbrauch des öffentlichen Raumes rechnen und sich darauf einstellen. Als Verbesserungsvorschläge nannte er ein schnelleres Zusammenziehen der verfügbaren Einsatzkräfte sowie die Alarmierung von Pikett-Polizisten. Auch müsse bei derart gravierenden Ereignissen die Kantonspolizei einbezogen werden. Im Zürcher Polizeidepartement wird gegenwärtig ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet, bei dem auch eine Aufstockung des Polizeikorps um 15 Stellen geprüft wird. Die ebenfalls im öffentlichen Raum und meist ohne Bewilligung organisierten Botellones, welche die Polizeien in diversen Schweizer Städten im Sommer vor zwei Jahren auf Trab gehalten hatten, gibt es hingegen kaum mehr, wie Oppliger sagte. Dagegen verzeichnete die Zürcher Stadtpolizei einen Anstieg der Zahl illegaler Partys in Unterführungen, Parkanlagen oder im Wald mit bis zu mehreren hundert Personen und mobiler Musikanlage. Gegenüber eintreffenden Einsatzkräften der Polizei herrsche häufig eine sehr aggressive Grundstimmung. Generell zeigen laut Oppliger besonders durch Betäubungsmittel zugedröhnte oder alkoholisierte Personen in den Zürcher Ausgehvierteln kaum Respekt vor der Polizei.

 Für diejenigen Personen, die am Wochenende auf Zürichs Strassen im Rausch sich selber oder Dritte gefährden, hat die Stadtpolizei Anfang März als nationales Pilotprojekt auf der Hauptwache Urania die Zentrale Ausnüchterungsstelle (ZAS) in Betrieb genommen (NZZ 10. 3. 10). Wer von der Polizei dort eingeliefert wird, verbringt die Nacht in einer Ausnüchterungszelle und wird medizinisch überwacht. Die Vorteile: Die Notfallstationen der Spitäler und die Regionalwachen werden entlastet, zudem können die Kosten für den Aufenthalt - 650 beziehungsweise 900 Franken - verrechnet werden. Beat A. Käch, der zuständige Projektleiter, wollte in seinem Tagungsreferat noch keine konkreten Zahlen nennen. Zwar soll erst im Oktober - also nach sechsmonatiger Betriebsphase - Bilanz gezogen werden, dennoch verriet Käch einige Trends.

 Wenig Jugendliche eingeliefert

 Die Erfahrungen mit der ZAS seien äusserst positiv. Bereits jetzt sei absehbar, dass die Planungsgrundlage mit 600 eingelieferten Personen pro Jahr überschritten werde. Bei seinen "Klienten" handle es sich in der Mehrheit um Männer. Zudem würden - für den Projektleiter überraschend - sehr wenige Jugendliche unter 16 Jahren eingeliefert. Die meisten Personen seien zwischen 20 und 40 Jahre alt. Auch die Zahlungsmoral bezeichnete er als zufriedenstellend, auch wenn vereinzelt Mahnungen verschickt und Betreibungsverfahren eingeleitet werden mussten.

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ALKVERBOT
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Sonntag 12.9.10

Alkoholverbot ist in der Region wenig populär

 Schweizer Städteverband fordert die Möglichkeit eines Alkoholverbots im öffentlichen Raum. In der Region besteht dafür kaum Interesse. Und auch der Bund winkt ab

 Kein schöner Anblick, wenn auf Plätzen und Strassen zu viel Alkohol fliesst. Oft kommt es zu Lärm, Abfall, Sachbeschädigungen oder Prügeleien. Doch: Wo endet die persönliche Freiheit des Bürgers im öffentlichen Raum? Wann darf der Staat präventiv eingreifen? Als der Bund 2007 über ein Alkoholverkaufsverbot für die späteren Abendstunden nachdachte, löste das noch landesweit Kritik aus. Doch die Zeiten haben sich geändert.

 So erwähnt der neue Sicherheitsbericht der Stadt Luzern Alkoholverbote im öffentlichen Raum. Ein ähnliches Verbot für bestimmte Gebiete wird auch in Zürich geprüft. In Chur ist es schon seit 2008 ab Mitternacht verboten, inder Öffentlichkeit Alkohol zu trinken. Bei einer Umfrage des Städteverbands votierten die meisten teilnehmenden Orte für neue Rechtsgrundlagen. Rund die Hälfte jener Städte hätten solche Verbote bereits selber ins Auge gefasst, wird Verbandsvizedirektor Martin Tschirren in der "NZZ" zitiert.

 Kein Thema ist ein Alkoholverbot im öffentlichen Raum für die Stadt Basel. "Wir haben ja auch keine offene Alkiszene", argumentiert Klaus Mannhart vom Justiz- und Sicherheitsdepartement (JSD), "auch wenn sich am Bahnhof oder am Claraplatz immer wieder einige ‹Penner› treffen." Jugendalkoholismus aber bekomme man bekanntlich nicht in den Griff, indem man den Konsum in der Öffentlichkeit verbiete.

 Das sieht Eveline Bohnenblust ähnlich. Die Leiterin der Abteilung Suchtim Gesundheitsdepartement weist gleichzeitig darauf hin, dass Basel-Stadt derzeit aber an der Umsetzung des Massnahmenpakets "Gegen exzessiven Alkoholkonsum von Jugendlichen" arbeite. Schwergewichtig sollen dabei der Jugendschutz und die Suchtprävention verbessert werden und dazu gesetzliche Massnahmen möglichst zielgerichtet eingesetzt werden.

 Der Städteverband seinerseits fordert für die Revision der eidgenössischen Alkoholgesetzgebung eine Gesetzesgrundlage für zeitlich und örtlich limitierte Alkoholverbote im öffentlichen Raum. Der Bundesrat aber winkt ab. Grund: Der Bund regle zwar den Handel mit Alkohol, nicht aber den Konsum. Dies sei Sache der Kantone und Gemeinden. Einzig im erläuternden Bericht ist ein entsprechender Artikel aufgeführt. Darin ist von einem "örtlich und zeitlich beschränkten Alkoholverbot" die Rede. Abgeraten aber wird von einem dauerhaften Verbot.

 Von einem solchen will beispielsweise auch die Stadt Liestal nichts wissen. Sie konzentriert sich vielmehr auf die Information sowie die Sensibilisierung auf die gesundheitsschädigende Wirkung von übermässigem Alkoholkonsum und auf die Abfallproblematik. "Wenn überhaupt ein Verbot ins Auge gefasst werden soll, dann dürfte dieses nur zeitlich und örtlich begrenzt ausgesprochen werden", sagt Bernhard Allemann von der Stadtverwaltung. Als "unverhältnismässig" dagegen bezeichnet er ein generelles Aufenthaltsverbot, wie es in der Region die Gemeinde Birsfelden verhängt hat. Für das Birschöpfli gilt jeweils ab 22 Uhr ein Aufenthaltsverbot.

 Auf Präventionsmassnahmen verweist dagegen die Organisation Sucht-Info Schweiz. Verbote im öffentlichen Raum dagegen könnten den Alkoholkonsum in private Räume verlagern, wo die soziale Kontrolle noch geringer sei. Auch Bohnenblust setzt den Fokus auf die Einhaltung der bestehenden gesetzlichen Massnahmen. "Hier besteht noch ein grösseres Potenzial", betont die Leiterin der Abteilung Sucht Basel-Stadt. So sei im letztjährigen AlkoholVerkaufsmonitor im Stadtkanton in 51Prozent aller besuchten Läden Alkohol an Jugendliche im gesetzlichen Schutzalter verkauft worden. "Das Problembewusstsein ist hier noch nicht genügend entwickelt."

 Ohnehin könne die Polizei schon heute einschreiten, wenn es zu Fällen von "öffentlicher Gefährdung oder Ärgerniserregung im Rauschzustand" kommt, ergänzt JSD-Sprecher Mannhart. Dann könne die Basler Polizei eine Ordnungsbusse von 100Franken verhängen, was sie im Jahr 2009 genau 581 Mal getan hat. Mannhart: "Wir wollen aber nur büssen, wer auch tatsächlich Ärger macht." (db)

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NZZ am Sonntag 12.9.10

Meinungen

 Alkoholverbote sind intolerant und kleinkariert

 Städte wollen Alkohol in der Öffentlichkeit verbieten. Das ist falsch. Schon vor 300 Jahren waren Trinken und Rauchen untersagt. Die Verbote hielten nicht lange, schreibt Gregor A. Rutz

 Im Jahr 1650 erliess der Zürcher Rat ein Alkoholverbot für die Zeit nach 19 Uhr: Um diese Zeit sollen sich die Bürger nicht bei Wein und Bier in den Gasthäusern herumtreiben, fanden die städtischen Gesetzgeber. Weil daraufhin der Alkoholkonsum namentlich in den Morgenstunden in die Höhe schnellte, wurden alkoholische Getränke in den Zürcher Wirtshäusern gänzlich verboten. Nach massiven Protesten und Umsatzeinbrüchen wurde das Verbot 1740 wieder gelockert.

 Jetzt, im Herbst 2010, sind wir wieder so weit wie vor 360 Jahren: Der Schweizerische Städteverband fordert ein "Alkoholverbot im öffentlichen Raum" für die Zeit von 24 bis 7 Uhr. Die Stadt Chur hat ein solches Verbot bereits vor zwei Jahren eingeführt. Das Bundesamt für Gesundheit (BAG) doppelt nach - es hat eine Studie finanziert, welche den Nutzen eines solchen Verbots beweisen soll. Die Studie kam zum gewünschten Ergebnis: Ein Verkaufsverbot von Bier, Wein und Schnaps in den Abend- und Nachtstunden senke den Alkoholkonsum bei den Jugendlichen, konnte man kürzlich in den Zeitungen lesen.

 Die Forderung ist nicht neu: Im "Nationalen Programm Alkohol" forderte das BAG bereits vor drei Jahren ein generelles Verkaufsverbot von Alkohol zwischen 21 und 7 Uhr sowie ein Alkoholverbot in Fussball- und Eishockey-Stadien. Im Umfeld dieser Stadien seien alkoholfreie Zonen zu schaffen. Gleichzeitig sei eine Steuererhöhung für alkoholische Getränke zu prüfen. Die Eidgenössische Alkoholverwaltung und die Fachstelle "Suchtinfo Schweiz" wollen noch weiter gehen und auch "Happy Hours" verbieten. Die vergünstigte Abgabe von Alkohol in Restaurants und Klubs sei eine Unsitte.

 Dass Politiker meinen, für jedes Problem ein Gesetz schaffen zu müssen, ist ein bekanntes Ärgernis. Dass viele Bürger froh sind, wenn ihnen jemand Anweisungen gibt, ist aber ebenso unerfreulich. Vordergründig meint man, Ordnung schaffen und Sicherheit vermitteln zu können. Faktisch aber sind solche Gesetze meist Ausdruck von Intoleranz und Kleinkariertheit. Und fast jedes Gesetz hat seinen geschichtlichen Vorläufer - kaum eine Massnahme von heute ist wirklich neu.

 So verfügte der Zürcher Rat im Oktober 1670 ein Rauchverbot, um die schädlichen Folgen des Tabaks zu bekämpfen. Da dieses Gesetz nicht durchsetzbar war, wurde das Verbot bereits 1700 wieder gelockert. Ab 1756 war das Rauchen in Zürich wieder erlaubt. Dass die Zürcher Stimmbürger im September 2008 wiederum über ein Rauchverbot abstimmten, gehört zur Ironie der Geschichte.

 Bereits im Jahr 1571 erliess die Stadt Zürich für die Zeit nach 19 Uhr ein Ausgangsverbot für Minderjährige. Im folgenden Jahrhundert wurde die Regelung wieder gestrichen. Dies hinderte verschiedenste Schweizer Gemeinden von Kerzers über Zurzach bis nach Gossau und Chur nicht daran, wiederum solche Ausgangsverbote einzuführen. Wie vor 400 Jahren.

 Ordnung muss sein - auch optisch. Darum ist die Möblierung von Strassen- und Gartencafés mittlerweile eine staatliche Angelegenheit. Das Schweizerische Bundesgericht hat entschieden, dass die Errichtung eines Strassencafés neben der gewerbepolizeilichen Bewilligung neu auch einer Baubewilligung bedarf. Nach Auffassung des Gerichts sind Bistrotische und Sonnenschirme in Strassencafés "Bauten und Anlagen", die "nur mit behördlicher Bewilligung errichtet oder geändert" werden dürfen.

 Von diesen behördlichen Kompetenzen machen die Stadtverwaltungen ausnehmend Gebrauch: Die entsprechenden Verordnungen strotzen von Bürokratie und Amtsschimmel. Städte wie Winterthur oder Basel regeln die Möblierung von Strassencafés bis ins Detail: Sie definieren die Farbe der Sonnenschirme (nicht zu grell), das Material von Tischen und Stühlen (Holz statt Plastic) oder den Abstand zwischen Blumentöpfen (mindestens 50 cm). Die Stadt Zürich wollte kürzlich gar ein generelles Lounge-Verbot aussprechen. Dies scheiterte vorerst am Widerstand der Bevölkerung.

 Unerbittlich sind die Behörden bei den Tankstellen-Shops: Vergangene Woche verzeigte der Zürcher Stadtrichter etliche Tankstellenpächter, weil ihr Sortiment zu wenig auf die "automobile Kundschaft" ausgerichtet sei. Die bittere Erkenntnis: Am Sonntag eine warme Pizza zu verkaufen, ist zwar erlaubt. Eine tiefgekühlte Pizza zu kaufen, ist jedoch verboten. Und an öffentlichen Ruhe- und Feiertagen ist es in Zürich strikte untersagt, Katzenfutter oder Crèmedesserts zu verkaufen. Bei ihrer Razzia fand die Gewerbepolizei in gewissen Shops bis zu 6 verschiedene Tomatensaucen und 11 Sorten Katzenfutter in den Regalen. Dies sei zu viel. Die Strafe für die Shops ist hart: 800 Franken Busse oder 5 Tage Gefängnis.

 Da bleibt nur noch ein Wort zum Sonntag: Lesen Sie doch wieder einmal im Johannes-Evangelium. Sie werden sehen: Auf der Hochzeitsfeier in Kana hat Jesus Wasser in Wein verwandelt - und nicht etwa umgekehrt. Heute wäre wohl auch dies verboten.

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 Gregor A. Rutz
 
(ura)

 Der Jurist Gregor A. Rutz, 37, führt eine PR-Agentur in Zollikon. Von 2001 bis 2008 war er Generalsekretär der SVP. Zusammen mit Freunden aus FDP, CVP und SVP gründete er 2006 die "IG Freiheit", die sich für die Freiheitsrechte der Bürger und gegen den Erlass unnötiger staatlicher Regulierungen einsetzt.

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Basler Zeitung 11.9.10

Das Alkoholverbot zeigt Wirkung

 In Genf sinkt die Zahl der jugendlichen Rauschtrinker, während sie gesamtschweizerisch steigt
 
Denise Lachat, Genf

 Während im Baselbieter Landrat Vorstösse für ein nächtliches Alkohol-Ausschankverbot kürzlich scheiterten, gilt ein solches Verbot seit fünf Jahren für Genfer Tankstellenshops und Videotheken. Das führt dazu, dass Jugendliche weniger trinken.

 "Prohibition!", schimpften die einen, als das Genfer Kantonsparlament 2004 beschloss, zwischen neun Uhr abends und sieben Uhr morgens den Verkauf von Alkohol "über die Gasse" zu verbieten und Alkoholika aus dem Sortiment der Tankstellenshops und Videotheken zu kippen. "Gut für den Jugendschutz", applaudierten die anderen, die sich erhofften, dadurch werde der steigende Alkoholkonsum unter Jugendlichen eingedämmt. In der Volksabstimmung setzte sich das Verbot durch.

 Nun zeigt eine Untersuchung von Sucht Info Schweiz, dass sich die Hoffnungen der Verbotsbefürworter erfüllen. Denn während in der Schweiz Spitaleinlieferungen wegen Alkoholvergiftungen zwischen 2002 und 2007 anstiegen, gehen sie im Kanton Genf seit 2005 bei den 10- bis 15-Jährigen zurück, und zwar um etwa 4 bis 5,5 pro tausend im Spital behandelten Fällen.

Prävention

Bei den 16- bis 29-Jährigen ist der Rückgang allerdings geringer. Bei den über 29-Jährigen wurde keine Veränderung festgestellt. Die Notaufnahmen wegen Alkoholvergiftungen sind laut den Autoren ein Indikator für das Rauschtrinken von Jugendlichen und jungen Erwachsenen, die alkoholische Getränke häufig spontan eingekauft und punktuell in unkontrollierten Mengen konsumiert haben.

 "Die Ergebnisse stehen im Einklang mit internationaler Literatur, die zeigt, dass bei Jugendlichen ein Zusammenhang zwischen der Erhältlichkeit von Alkohol und Konsum besteht", folgern die Autoren. Und die Genfer Behörden sehen sich in ihren Präventionsbemühungen bestätigt. Allerdings räumen die Verfasser der Studie ein, dass nebst der Statistik der Spitäler weitere Indikatoren notwendig wären, um die Folgen der Intervention auf den Alkoholkonsum zu untersuchen.

 Wirkung

Denn Hospitalisierungen wegen Alkoholvergiftungen seien generell und insbesondere bei 10- bis 15-Jährigen, die im Grunde gar keinen Alkohol kaufen dürften, sehr selten. "Sie sind somit nicht der beste Indikator für ein verändertes Konsumverhalten."

 Immerhin lasse sich mit grosser Sicherheit sagen, dass die eingeschränkten Verkaufszeiten und das Verkaufsverbot für alkoholische Getränke in Tankstellen und Videoläden dazu geführt haben, dass es weniger Fälle von Alkoholvergiftungen bei Jugendlichen gibt. Denn Jugendliche seien stärker als Erwachsene davon betroffen, wenn sie Alkohol nicht günstig und einfach einkaufen könnten: In Restaurants und Diskotheken seien ihnen die Preise für alkoholische Getränke zu hoch. Und dass Jugendliche zu Hause Alkoholvorräte anlegten, sei zudem eher selten.

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DROGEN
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Zürichsee-Zeitung 11.9.10

Drogenhandel Weil Scheinkäufe nicht mehr erlaubt sind, erleben Drogenszenen wieder grösseren Zulauf

 An Bahnhöfen wird wieder gedealt

 Das Ende der Aktion "Ameise" der Kantonspolizei St. Gallen hat Folgen: In den Gemeinden am Obersee wird vermehrt mit harten Drogen gehandelt.

 Magnus Leibundgut

 "Wir erleben derzeit einen merklichen Rückschlag", konstatiert Christian Rudin von der Kantonspolizei St. Gallen. Die Polizei habe kaum mehr Einblick in den Drogenhandel: "Mit der Aktion ‹Ameise› war es uns möglich, die Szene zu kontrollieren und einzudämmen, weil wir die Dealer verhaften konnten."

 Das Bundesgericht in Lau-sanne hat nun entschieden, dass Scheinkäufe bei Kokain-Kleindealern nicht mehr zulässig sind: Die Aktion "Ameise" wurde gestoppt. Mit gravierenden Konsequenzen, betont Christian Rudin: "Ohne Scheinkäufe tätigen zu können, ist es kaum mehr möglich, Klein- oder Ameisendealer unmittelbar nach einem Verkauf zu überführen."

 Die Dealer sind wieder da

 Die Folge sei, dass nun die Händler wieder forscher auftreten und die Drogenszenen in den Agglomerationen wachsen würden, stellt Hans Peter Eugster, Sprecher der St. Galler Kantonspolizei, fest. Mit der Aktion "Ameise" sei es gelungen, die Dealer zu verunsichern und von den Bahnhöfen zu verdrängen.

 Machtlose Polizei

 Diese positive Entwicklung drohe jetzt wieder ins Gegenteil zu kippen. Regelmässig komme es vor, dass Dealer den Polizisten in Zivil Drogen anbieten würden, erzählt Christian Rudin: "Frustrierend für die Beamten ist, dass ihnen die Hände gebunden sind und sie nicht gegen die Händler vorgehen können." Die Situation an den Bahnhöfen am Obersee hat denn auch bereits zur Verunsicherung von Passanten geführt. Seite 3

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Drogenhandel Ein Bundesgerichtsurteil stoppt die erfolgreiche Strategie der Kantonspolizei
 Herber Rückschlag für die Polizei

 Reklamationen von Bürgern nehmen zu, weil sie sich an Bahnhöfen nicht mehr sicher fühlen. Die St. Galler Kantonspolizei versucht nun, mit der neuen Aktion "Schatten" den Drogenhandel einzudämmen.

 Magnus Leibundgut

 Rückschlag im Kampf gegen den Drogenhandel: Dealer sind wieder im Vormarsch und lösen in der Bevölkerung Verunsicherung aus. Vermehrt würden sich Leute melden, die sich über den sich wieder ausbreitenden Drogenhandel beklagen, konstatiert Eugen Rentsch, Leiter der Dienststelle Betäubungsmitteldelikte bei der St. Galler Kantonspolizei. Dies sei auch nicht verwunderlich angesichts dessen, dass die "Kügeli-Dealer", die überwiegend Asylbewerber aus Nigeria und Kamerun seien, wieder sehr offen Kokain anbieten.

 Bahnhöfe und Unterführungen

 Laut Rentsch sind vor allem die drei Bahnhöfe in Rapperswil, Jona und Uznach betroffen: "Hinzu kommen Strassen- und Bahnunterführungen, wo Deals in der Anonymität ablaufen." Auch in Bussen werde vermehrt mit Drogen gehandelt. Die Polizei versuche, mit Kontrollen gegen den Handel vorzugehen: "Uns bleibt oftmals nichts anderes übrig, als an einem Bahnhof alle Schwarzen zu kontrollieren." Was dann naturgemäss wieder Reklamationen bei denjenigen Schwarzen auslöse, die gar nichts mit Drogen zu tun hätten.

 Deals verunsichern Bevölkerung

 Als Notlösung bezeichnet Christian Rudin von der St. Galler Kantonspolizei die Aktion "Schatten", nachdem die Aktion "Ameise" eingestellt werden musste: "Die neue Strategie ist primär darauf ausgelegt, den Kontakt in der Szene und die Übersicht über den Handel nicht zu verlieren." Laut Rudin sind die Folgen des "Ameisenstopps" vorwiegend subjektiver Art: "Das Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung sinkt. Für die Gemeinden kann dadurch im Extremfall natürlich auch ein Imageschaden entstehen."

 Rudin führt ins Feld, dass in den Sommermonaten nicht nur an Bahnhöfen, sondern auch an verschiedenen andere Plätzen Drogen konsumiert und gehandelt werden: "Ich denke dabei zum Beispiel an die verschiedenen Seeanlagen in Rapperswil-Jona, aber auch andere Plätze in den verschiedenen Orten des Linthgebietes."

 Eugen Rentsch stellt fest, dass in der letzten Zeit vor allem der Handel mit Kokain stark zugenommen habe, in abgeschwächter Form auch mit Cannabis. Das erneute Aufleben von Drogenumschlagplätzen führe nicht nur zur Verunsicherung in der Bevölkerung, sondern auch zur Gefahr, dass gerade jüngere Leute mit Drogen in Kontakt kämen: "Wenn so offen mit Drogen gehandelt wird, steigt auch die Versuchung für manche, Drogen zu kaufen." Eine Zunahme der Kriminalität in der Umgebung der Bahnhöfe sei die Folge, wenn wieder vermehrt Leute in die Drogensucht abrutschten. Schliesslich bräuchten diese Geld, um die Drogen finanzieren zu können, fügt Rentsch an.

 Die Drogenhändler im Visier

 Im Fokus der Kantonspolizei stünden hauptsächlich die Dealer, betont Christian Rudin: "Reine Konsumenten werden nur sehr selten zur Anzeige gebracht oder bestraft." Oft seien es Begleitumstände oder Begleitdelikte, die dann zum Einschreiten der Polizei oder zu Folgen durch die Justiz führten. Rudin hält fest: "Suchtkranke Menschen heilen wir nicht durch Bestrafung." Hierzu müssten parallel weitere Massnahmen greifen: "Für diese werden von den Gemeinden und Kantonen erheblich viele Mittel eingesetzt.

 Vor allem an anonymen Orten wie Strassen- und Bahnunterführungen findet der Handel mit Drogen statt. Das Sicherheitsgefühl der Passanten an solchen Orten sinkt, wenn Deals überhandnehmen. (Manuela Matt)

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 Busse statt Gericht für Konsumenten

 Seit dem Jahr 2003 kennt der Kanton St. Gallen ein einfacheres Verfahren bei Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz. In den meisten Fällen kommen Personen, die mit einer geringen Menge illegaler Substanzen erwischt werden, mit einer einfachen Ordnungsbusse davon. Damit geraten Personen, die einmal beim Kiffen erwischt werden, nicht mehr automatisch in die Mühlen der Justiz.

 Eugen Rentsch, Leiter der Dienststelle Betäubungsmitteldelikte, erklärt, dass diese Regelung für die Frontpolizei eine grosse Erleichterung bedeute, weil der ganze Papierkram rund um das Schreiben der Rapporte entfalle. Allerdings seien mit dieser Regelung die Beamten gefordert, zum Beispiel jugendliche Drogeneinsteiger zu erfassen: "Die Einschätzung, ob ein Jugendlicher auf riskante Weise Drogen konsumiert, liegt beim Polizeibeamten oder bei der Polizeibeamtin an der Front." Dabei bestehe ein gewisses Risiko der Fehleinschätzung. (ml)

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GASSE
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Grenchner Tagblatt 13.9.10

Kein Zoobesuch

 Gassenrundgang "Perspektive" zeigte die alltäglichen Wege von Süchtigen

 Weniger die Gasse stand im Vordergrund, vielmehr die Institutionen, die darum besorgt sind, Suchtkranke von der Gasse wegzuholen. Das war die Idee hinter dem Gassenrundgang.

 Samuel Misteli

 Es sollte kein Zoobesuch sein. Die Teilnehmer sollten nicht das Phänomen Drogensucht am lebenden Objekt bestaunen, sondern einen Einblick in die Lebenswelt von Suchtbetroffenen erhalten. Deshalb standen die rund zwei Dutzend Interessierten, die am Samstagmittag beim Gassenrundgang der "Perspektive" mitmarschierten, nicht auf derjenigen Seite des Amthausplatzes, wo sich Solothurner Suchtbetroffene eine Nische zu reservieren pflegen. Als "den Platz, wo man in Solothurn eine offene Szene wahrnimmt", beschrieb Karin Stoop, Co-Geschäftsleiterin der "Perspektive", einleitend den Amthaus-platz. Seit im "Adler" in der Vorstadt vor knapp eineinhalb Jahren Gassenküche und Anlaufstelle ihre Türen öffneten, gilt die Aussage nur noch eingeschränkt.

 Auf der Gasse am Arbeiten

 Der Rest des von zwei Studentinnen der Luzerner Fachhochschule für Soziale Arbeit organisierten Gassenrundgangs war dann vor allem ein Kennenlernen der Institutionen, die darum bemüht sind, Drogensüchtige von der Gasse wegzuholen. Vom Amthausplatz ging der Weg zur evangelisch-methodistischen Kirche, wo täglich ein kostenloses Frühstück angeboten wird, Richtung Nordwesten weiter zu den Räumlichkeiten der "Perspektive". Die Besucher liessen sich die Besprechungszimmer zeigen, wo Beratungsgespräche durchgeführt werden. Sie setzten sich in die Cafeteria, wo die "Perspektive"-Schützlinge auf Arbeit warten. Sie besichtigten die Werkstatt, in deren Lager Besen, Schaufeln und Gabeln aufgereiht sind. Eine mögliche Erkenntnis aus Besichtigung und dazu abgegebenen Informationen: Trifft man Suchtkranke auf der Gasse, erkennt man sie mitunter nicht als solche, weil sie arbeiten. Sie sammeln im Auftrag der Gemeinde Abfall ein, oder sie schleppen Zügelkisten im Auftrag von Privaten.

 Köchinnen und Kummertanten

 Nach der Besichtigung des "Perspektive"-Sitzes ging es wieder auf die Strasse: zügigen Schrittes zurück Richtung Altstadt, vorbei noch einmal am Amthausplatz, runter zur Wengibrücke. Rein in den "Adler": Im Essraum hängen unter anderem Fotos vom verwaisten Amthausplatz. Ausser den Mitarbeitern sind hier gewöhnlich nur Gäste zugelassen, die nachweislich ein Drogenproblem haben. Zwischen 25 und 55 Personen sind das pro Tag. "Wir sind Köchinnen, Polizistinnen, Kummertanten", erzählt Käthi Blaser von der Gassenküche. Die Suchtbetroffenen sollen hier Erholung finden vom Gassenstress. Deshalb gibt es im hinteren Teil des Gebäudes Gratis-Tee und Gratis-Früchte - aber auch die Möglichkeit gebrauchte Spritzen gegen saubere einzutauschen.

 In den Räumen gleich neben der Cafeteria sieht es aus wie in einer Arztpraxis: Alles ist weiss, an der Wand hängt ein Poster: "Das Gefässsystem des Menschen." In die so genannten Konsumationsräume kommt nur rein, wer sich vorher die Wände gewaschen hat. Alles soll möglichst steril sein, damit die Süchtigen den selber mitgebrachten Stoff konsumieren können, ohne ihre Gesundheit noch zusätzlich zu gefährden. "Wir wollen, dass den Leuten sauberes Material zur Verfügung steht", sagt Maya Fritschi von der Anlaufstelle. Das lohnt sich: Die Gesundheit der Süchtigen, sagt Fritschis Kollegin Senta Strausak, habe sich über die Jahre enorm verbessert.

 Nicht mehr auf der Gasse bleiben

 Mit der Verbesserung der Gesundheit ihrer Klienten muss sich auf der anderen Seite der Wengibrücke, hinter dem Westbahnhof, oft auch Irma Müller von der Heroinabgabe zufriedengeben. Der komplette Ausstieg aus den Drogen gelinge nur einer Minderheit, erzählt sie zum Abschluss des Gassenrundgangs. Vom Sinn ihrer Tätigkeit ist sie dennoch genauso überzeugt wie die "Perspektive"-Mitarbeiter, die im "Adler" oder am Bürositz Tag für Tag Drogensüchtige betreuen.

 Geschäftsleiterin Karin Stoop sagt, was man nach zweieinhalb Stunden Besichtigung der Institutionen, die sich um Suchtkranke kümmern, ahnt: "Die Leute müssen nicht mehr auf der Gasse bleiben."

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BIG BROTHER SPORT
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Sonntag 12.9.10

Hand in Hand gegen Chaoten

 Das neue Hooligan-Gesetz ist in Kraft, nur wissen Fussball- und Eishockeyvereine noch nichts davon

von Fabian Kern und Raphael Biermayr

 Die Stadionverbote in der Schweiz wurden ausgedehnt. Neu sind sanktionierte Chaoten für alle Ligen im Fussball und im Eishockey gesperrt. Und auch Amateurvereine dürfen Platzverbote beantragen.

 Gewaltprävention beginnt im Kopf. Und genau da hat der Schweizerische Fussballverband (SFV) den Hebel angesetzt. Seit dem 1. Juli muss sich ein potenzieller Chaot gut überlegen, ob er die Konsequenzen einer Schlägerei oder eines Vandalenaktes tragen will - und sei es "nur" bei einem 4.-Liga-Spiel.

 Der deutsche und der englische Fussball haben gezeigt, was geschehen kann, wenn man die Hooligans aus den Profi-ligen verbannt: Sie wüten in den unteren Spielklassen weiter. Auch in der Schweiz hat man solche Tendenzen beobachtet. "Besonders bei den U21-Teams der Super-League-Klubs in der 1.Liga sind bereits Ausschreitungen vorgekommen", sagt Ulrich Pfister, Sicherheitschef des SFV. Der Verband hat mit einem neuen Hooligan-Gesetz reagiert, das es den 1.-Liga-Vereinen genau wie jenen aus der Super- oder Challenge League erlaubt, selbst Stadionverbote auszusprechen. Die unterklassigen Amateurvereine bekommen zudem die Möglichkeit, beim Verband ein Platzverbot gegen fehlbare Personen zu beantragen. Die nach dem 1. Juli ausgesprochenen Zutrittsverbote wurden auch weiter ausgedehnt als bisher. Ein Stadion- oder Platzverbot gilt schweizweit, für alle Ligen sowohl im Fussball als auch im Eishockey.

 Das bedeutet nebst dem Verbot zum Zuschauen vor Ort also auch, dass Fehlbare auch in ihrer Funktion als Spieler den Platz nicht mehr betreten dürfen, ihr Spielerpass also während der Zeit des Verbots ungültig ist.

 Die Absicht ist löblich. Doch bisher wurde es verpasst, die Vereine über ihre neuen, seit zwei Monaten bestehenden Rechte aufzuklären. Eine Umfrage bei einigen Limmattaler Klubs zeigt, dass man die Durchführung des Verbots in Bezug auf das Verbot als Zuschauer als schwer realisierbar erachtet, zumal der SFV auch keine "schwarze Liste" an sie aushändigen wird.

 Es bleibt abzuwarten, wie man sich die Umsetzung von Verbandsseite vorstellt. Auf der Verbandswebsite des SFV ist das neue Reglement aufgeschaltet. "Wir arbeiten an einem Merkblatt für die Vereine", sagt Willy Frey, von der Amateurliga, Mitglied der Kommission zum Stadionverbot. Vermutlich in den nächsten Tagen erhalten die Vereine von ihr das Dokument. Diese Kommission dient in Zukunft als Ombudsstelle für die Klubs. Hoffentlich bekommt sie nicht zu viel zu tun.

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ANTI-ATOM
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BZ 13.9.10

AKW-Bau

 Kosten doppelt so hoch

 Ein Atomkraftwerkbau in Finnland kostet doppelt so viel wie geplant. Für ein neues AKW in Mühleberg könnte dies Folgen haben.

 Mit 1600 Megawatt hat das neue finnische AKW auf der Insel Olkiluoto etwas mehr als die vierfache Leistung des AKW Mühlebergs (390 MW). In diesem Jahr hätte das AKW der dritten Generation ans Netz gehen sollen. Doch der Bau verzögert sich. Die Kosten haben den vereinbarten Fixpreis von 3 Milliarden Euro (aktuell etwa 4 Milliarden Franken) längst überschritten.

 Bis der französische Kraftwerkbauer Areva und die deutsche Siemens das AKW von Olkiluoto 2013 fertiggestellt haben, dürften sich die Kosten auf 8 Milliarden Franken verdoppelt haben. Diese Verteuerung könnte für das in Mühleberg geplante neue AKW Folgen haben. Denn obwohl noch nicht entschieden ist, ob in Mühleberg ein Ersatz-AKW gebaut werden kann - das Bernervolk entscheidet im Februar 2011 -, bringt sich die Firma Areva bereits in Position. Im Rennen ist auch das US-amerikanisch-japanische Konsortium Westinghouse-Toshiba.
 ue/sny

 Seite 3

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AKW-Bau in Finnland

 Hohes Lehrgeld für Mühleberg

 Für den Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg muss die BKW noch viele Hürden überwinden. In Finnland dagegen läuft der Bau des ersten AKW der neusten Generation auf Hochtouren - und sorgt für viel Streit.

 So könnte es in einigen Jahren in Mühleberg aussehen: Die idyllisch am Bottnischen Meerbusen gelegene Insel Olkiluoto ist das Herz Finnlands. Bereits heute pumpen zwei Atomkraftwerke, die zusammen mehr als die vierfache Leistung des AKW Mühleberg erbringen, Strom in die finnischen Haushalte und Fabriken. Diese sind stromhungrig: Der Pro-Kopf-Verbrauch ist fast doppelt so gross wie in der Schweiz - vor allem auch, weil das Heizen mit Strom populär ist.

 Viermal Mühleberg

 Heute ist Olkiluoto zu einer Art Mekka für Vertreter der Atomwirtschaft geworden. Seit dem Jahr 2005 baut ein Konsortium bestehend aus dem französischen Kraftwerkbauer Areva und dem deutschen Industriekonzern Siemens ein Atomkraftwerk der neuen dritten Generation mit einer Leistung von 1600 Megawatt, was viermal mehr ist als diejenige des heutigen AKW in Mühleberg. Käuferin ist die Betreibergesellschaft TVO, die verschiedenen finnischen Energiefirmen gehört.

 Ein gleich modernes Kraftwerk will das Berner Energieunternehmen BKW in Mühleberg bauen - wenn es eines Tages tatsächlich die Bewilligung erhält. Technisch wird es einen grossen Unterschied zwischen den Anlagen geben: Während das AKW in Finnland mit Meerwasser gekühlt wird, ist die Kühlung in Mühleberg in einem Turm geplant.

 4000 Arbeiter vor Ort

 Auf der Fahrt zur Baustelle sind zuerst rechts und links der Strasse Baracken zu sehen, in denen die Bauarbeiter wohnen. Derzeit sind rund 4000 Bauarbeiter aus über 50 Ländern auf der Baustelle tätig - die BKW rechnet für Mühleberg mit 2500 Arbeitern. Da die Arbeiten auf der Baustelle hohe Spezialkenntnisse erfordern, liegt der Anteil der Finnen bei nur wenigen Prozenten.

 Höhe von 70 Metern

 Beim Gang über die Baustelle fallen die riesigen Dimensionen auf: Die Kuppel des Reaktorgebäudes hat eine Höhe von 70 Metern. Im Innern sind die Arbeiten voll im Gang. In den Gängen herrscht emsiges Treiben. Der Druckbehälter - das riesige Stahlgefäss, in dem später die Brennstäbe installiert werden und wo die atomare Reaktion abläuft - ist bereits installiert. Doch es ist offensichtlich, dass den Arbeitern der französischen Areva noch viel zu tun bleibt.

 Im Prinzip funktioniert ein Atomkraftwerk der dritten Generation gleich wie eines der zweiten. Verschiedene Sicherheitssysteme für einen Störfall sind jedoch verstärkt worden. Zudem besteht die Hülle des Reaktorbereichs aus einer 1,8 Meter dicken Betonwand. Bei den AKW früherer Bauart war diese Hülle rund 1,5 Meter dick. Sie dient dazu, die Anlage vor einem beabsichtigten oder unbeabsichtigten Flugzeugabsturz zu schützen.

 Das Reich von Siemens

 Der riesige Turbinenraum ist deutsches Hoheitsgebiet. Hier sind die Siemens-Angestellten am Werk: "Es ist die grösste Dampfturbine der Welt", erklärt der zuständige Siemens-Ingenieur mit Stolz. Die 4300 Tonnen schwere Anlage ist weitgehend fertiggestellt. Sie ist ein Produkt deutscher Ingenieurkunst. So müssen Teile auf einen Bruchteil eines Millimeters genau hergestellt sein. Anschliessend an die Turbine folgt der Generator, der nach dem Prinzip eines Velodynamos Strom erzeugt.

 Kritische Aufseher

 Die Erbauer der Anlage haben für ihre Innovationen viel Lehrgeld bezahlt: Die finnische Atomaufsichtsbehörde verfolgte das Projekt sehr kritisch. So bemängelte sie, dass es in Bezug auf das Leitsystem des Atomkraftwerks viele offene Fragen gebe. Die Folge waren grosse Verzögerungen: Ursprünglich hätte die Anlage in diesem Jahr den Betrieb aufnehmen sollen. Nun soll das AKW im Jahr 2013 ans Netz gehen. Die französische Kraftwerkbauerin Areva hat mit der finnischen Betreibergesellschaft TVO   einen Fixpreis von rund drei Milliarden Euro vereinbart, was aktuell rund vier Milliarden Franken entspricht. Wie hoch die effektiven Baukosten schliesslich sein werden, darüber schweigen sich die Areva-Vertreter in Olkiluoto aus. Die Zahl dürfte im Bereich von sechs bis acht Milliarden Franken liegen.

 Streit um Strafzahlungen

 Wegen der Verzögerung muss Areva an TVO Strafzahlungen in Höhe von mehreren Hundert Millionen Franken bezahlen. Areva versucht nun aber, den Spiess umzudrehen, und will gerichtlich feststellen lassen, dass auch TVO eine Mitschuld trägt. Streitpunkt ist vor allem, ob TVO die Sicherheitsanforderungen genau genug definiert hat. So gibt es genaue Vorschriften darüber, wie Schweissnähte anzubringen und zu dokumentieren sind oder wie der Beton zu mischen ist. Da diese Vorschriften von den Erbauern und den Aufsichtsbehörden unterschiedlich interpretiert wurden, mussten diverse Bauteile ein zweites Mal hergestellt werden.

 AKW-Bau als Grossrisiko

 Diese Probleme werden auch für die BKW nicht ohne Folgen bleiben. Das Desaster in Olkiluoto zeigt, welche Risiken der Bau einer solchen Grossanlage in sich birgt. Aber auch die Hersteller werden über die Bücher gehen und ihre Preise völlig neu berechnen. Diese werden nicht unter den effektiven Baukosten in Olkiluoto liegen. Fest steht: Hinter den Kulissen gehen die AKW-Hersteller bereits in dieser Phase in Position, um der BKW das neue AKW in Mühleberg zu verkaufen. Neben Areva ist auch das US-amerikanisch-japanische Konsortium Westinghouse-Toshiba im Rennen.

 So oder so: Eine entscheidende Weiche, ob die BKW in Mühleberg bauen darf, wird das Bernervolk wohl bereits am 13. Februar 2011 stellen. Dann kann es entscheiden, wie sich die Berner Regierung zum Rahmengesuch äussern soll.

 Stefan Schnyder,  Olkiluoto

 Dieser Text entstand im Rahmen einer Medienreise, für die das Nuklearforum Schweiz eingeladen hatte.

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 Hoch radioaktive Abfälle

 Grünes Licht für Endlager

 Finnland hat als weltweit einziges Land eine politisch abgesegnete Lösung für die Lagerung hoch radioaktiver Abfälle: Im Juli dieses Jahres stimmte das Parlament dem Plan der Regierung zu, unter der Insel Olkiluoto ein Tiefenlager zu bauen. Dieses ist in 420 Metern Tiefe im Granitgestein geplant. Derzeit laufen die Untersuchungen über die Eignung des Gesteins, indem ein Stollen in diese Tiefen gebaut wird. Die Inbetriebnahme ist für das Jahr 2020 geplant. Die politische Akzeptanz in der Region ist hoch, da die Atomkraft dort ein wirtschaftlich wichtiger Faktor ist.

 In der Schweiz hat die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) drei geologisch geeignete Standorte für ein Tiefenlager für hochradioaktive Abfälle ausgemacht. Diese liegen in den Regionen Zürcher Weinland, Nördlich Lägeren (Kanton Zürich) und Bözberg (Kanton Aargau). Voraussichtlich Mitte 2011 wird der Bundesrat bestimmen, welche zwei Standorte die geeignetsten sind. Diese durchlaufen dann die nächsten Etappen. Das letzte Wort dürfte das Schweizervolk haben, da der Standortentscheid des Parlaments dem fakultativen Referendum untersteht. Ziel des Bundesrates ist es, dass das Endlager 2040 seinen Betrieb aufnimmt.
 sny

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St. Galler Tagblatt 13.9.10

Protest gegen geplantes Endlager
 Der Zürcher Regierungsrat lehnt ein mögliches Tiefenlager für radioaktive Abfälle im Weinland ab. Der Thurgauer Regierungsrat hat sich noch keine Meinung gebildet. Im Thurgau wären gemäss den provisorischen Plänen drei Gemeinden betroffen.
 
Markus Schoch

Trüllikon. Der Weg in die Mehrzweckhalle führt durch einen Wald von Demonstranten, die vor dem Eingang stehen und Schilder halten, auf denen "Endlager Nein" steht. Einzelne haben sich den Mund zugeklebt. Daneben trommeln zwölf Frauen und Männer auf gelben Fässern. An den rund 40 Atomkraftgegnern im Zürcher Weinland mit ihren gelben Hütchen kommt an diesem Abend niemand vorbei.

 Anlass für den Protest ist eine Veranstaltung des Bundesamtes für Energie, das zum Abschluss der ersten Etappe des Auswahlverfahrens für ein geologisches Tiefenlager die Bevölkerung in den betroffenen Gebieten über die bisherigen und folgenden Schritte informiert.

 Thurgau stellt Bedingungen

 Der Anlass fand letzte Woche vor etwa 150 Besuchern in Trüllikon statt. Die Verantwortlichen mussten sich dabei viel Kritik aus dem Publikum anhören. Trotz aller gegenteiliger Beteuerungen der verantwortlichen Experten gebe es keine Garantie für die Sicherheit des geplanten Tiefenlagers, sagte beispielsweise einer.

 Eingeladen war auch Regierungsrat Kaspar Schläpfer, der die Haltung des Thurgaus vertrat. Denn der Kanton wäre von einem Endlager im Zürcher Weinland vielleicht ebenfalls betroffen. Zur provisorischen Standortregion gehören 39 Gemeinden, drei davon liegen im Thurgau. Schlatt ist Teil des Kerngebietes: Im Boden der Gemeinde wäre ein geologisches Tiefenlager möglich. In Diessenhofen und Basadingen-Schlattingen könnten gemäss heutigen Plänen Oberflächenanlagen wie beispielsweise Zugangstunnels gebaut werden.

 Die Schweiz habe mit der Entsorgung der radioaktiven Abfälle ein grosses Problem zu lösen, sagte Schläpfer. Der Thurgauer Regierungsrat sei bereit, dabei konstruktiv mitzuwirken. Allerdings nur unter drei Bedingungen.

 • Erstens müssten die sechs zur Debatte stehenden Standorte umfassend und gründlich abgeklärt werden. Und für alle müsse der gleiche Massstab gelten. "Es sind alle noch notwendigen Untersuchungen durchzuführen, so dass alle Standorte den gleichen Wissensstand aufweisen und auf derselben wissenschaftlichen Basis beurteilt werden können."

 • Zweitens müssten Behörden und Bevölkerung der betroffenen Kantone und Gemeinden gut in die Abklärungen einbezogen werden. Das Verfahren müsse offen und transparent sein.

 • Drittens müssten die Auswirkungen eines Tiefenlagers für Region und Kanton umfassend abgeklärt und dargestellt werden.

 Zürich sagt Nein

 Der Regierungsrat werde zu den Ergebnissen der Abklärungen jeweils nach Abschluss der drei Phasen Stellung beziehen, sagte Schläpfer. "Sollten wir Ungleichheiten feststellen, welche unser Kantonsgebiet beziehungsweise die Region Zürich Nord-Ost benachteiligen, werden wir uns dagegen zur Wehr setzen." Bis jetzt laufe alles korrekt ab.

 Seine Meinung bereits gemacht hat der Zürcher Regierungsrat. Er ist gegen ein Endlager vor der Haustür, wie Baudirektor Markus Kägi in Trüllikon erklärte. Der Kanton habe bereits genügend Lasten zu tragen.

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 Berichte liegen auf

 Das Zürcher Weinland ist eines von sechs Standorten in der Schweiz, die nach Meinung der Nagra für ein Endlager in Frage kommen. Die Vorschläge wurden in den letzten zwei Jahren von Fachbehörden und -kommissionen geprüft und beurteilt. Weiter wurden Grundlagen zur Raumplanung und Betroffenheit der Standortregionen erarbeitet. Alle Berichte und Gutachten liegen nun vor. Bis zum 30. November können sich Interessierte dazu äussern im Rahmen einer Anhörung. Voraussichtlich Mitte 2011 wird der Bundesrat über die definitive Festlegung der Standortgebiete entscheiden. Im Zentrum der nächsten Etappe steht die sogenannte Partizipation: Die Standortregionen haben die Möglichkeit, bei der Konkretisierung der Lagerprojekte sowie den Untersuchungen der sozioökonomischen und raumplanerischen Auswirkungen mitzuarbeiten. Zudem werden die Standorte sicherheitstechnisch verglichen, bevor die Nagra pro Abfallkategorie mindestens zwei Standorte vorschlagen kann. (mso)

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 Befragt

 Kaspar Schläpfer Regierungsrat

 Noch zu früh

 Der Stadtammann von Schaffhausen meinte, das Vorhaben werde Schiffbruch erleiden, wenn die Verantwortlichen nicht stärker auf die Sorgen und Ängste der Bevölkerung eingehen würden. Teilen Sie seine Befürchtung?

 Nein, ich wüsste nicht, was man punkto Verfahren besser machen könnte. Dieses ist in jeder Beziehung sehr gründlich und sorgfältig.

 Ist die Mitsprachemöglichkeit der Bevölkerung tatsächlich mehr als ein Feigenblatt?

 Ja, davon bin ich überzeugt.

 Am Schluss entscheidet zwar der Bundesrat, das letzte Wort wird aber wie immer in der Schweiz das Volk haben.

 Die Zürcher Regierung sagt jetzt schon Nein zu einem Endlager im Weinland. Die Thurgauer Regierung will sich erst festlegen, wenn die sicherheitstechnischen Abklärungen abgeschlossen sind. Ist es nicht blauäugig anzunehmen, politische Überlegungen würden beim Standortentscheid keine Rolle spielen?

 Wir werden genau darauf achten, dass es einen rein sachlich begründeten Entscheid gibt. Bis jetzt ist das Verfahren korrekt abgelaufen. Der Regierungsrat ist der Meinung, dass es noch zu früh ist, Ja oder Nein zu sagen. (mso)

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Sonntag 12.9.10

Neue AKW: Die Lehren aus Finnland

 Heute vor fünf Jahren wurde der Grundstein zum Bau des AKW Olkiluoto 3 gelegt - von den Erfahrungen profitiere die Schweiz, sagt Areva

Von Yves Demuth aus Olkiluoto

 Der AKW-Neubau in Finnland kostet doppelt so viel wie geplant und hat vier Jahre Verspätung. Dennoch verkauft die Konsortiumsführerin Areva das Projekt als Erfolg.

 "Wie viel der neue Reaktor Olkiluoto 3 tatsächlich gekostet hat, werden wir wohl nie genau wissen", sagt Jorma Aurela, Atomkraftspezialist des finnischen Ministeriums für Wirtschaft und Arbeit. Der Staatsvertreter spielt in der Diskussion im "Kabinetti 35" des Hotels Seurahuone in Helsinki darauf an, dass die französische Atomfirma Areva und der finnische AKW-Betreiber TVO sich gegenseitig mit Milliardenklagen eingedeckt haben.

 Für Finnland sei jedoch wichtig, dass der Reaktor sicher sei, so Aurela vor den 14 Schweizer Journalisten, die einer Einladung des Nuklearforums Schweiz gefolgt waren, der vormaligen Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie. Indes hat die finnische Atomaufsicht Stuk noch immer kein definitiv grünes Licht für das Steuer- und Sicherheitssystem des Reaktors gegeben.

 Areva und der finnische Betreiber TVO sind sich uneinig darüber, wer für die Kostenexplosion und die Bauzeitverdoppelung auf acht Jahre verantwortlich ist. Areva hat für den als Vorzeigeprojekt geplanten Reaktor bereits 2,7 Milliarden Euro zurückgestellt - das sind nur 300 Millionen Euro weniger als der finnische Betreiber für den erstmaligen Bau eines 1600-Megawatt-Reaktors des Typs EPR als Kaufpreis ausgehandelt hat. Dieser Reaktortyp ist auch bei den Schweizer AKW-Betreibern Axpo, Alpiq und BKW in der engeren Auswahl, sollten die Stimmbürger nach 2013 neue AKW befürworten.

 Kostenüberschreitungen bei AKW-Neubauten sind keine Seltenheit. In Kanada wurde etwa 2009 ein Projekt storniert, da die Offerten der Hersteller - darunter auch Areva - um Milliarden höher lagen, als die Betreiber erwartet hatten. Auch das AKW Leibstadt kostete mehr als doppelt so viel wie geplant, was zu vergleichsweise hohen Gestehungskosten von 8,5 bis 9,5 Rappen pro Kilowattstunde führte. Erst ab 2000 konnten die Gestehungskosten auf 5 bis 6 Rappen pro Kilowattstunde gedrückt werden - durch eine Erhöhung der Reaktorleistung, eine "Optimierung der Jahreskosten" sowie dank einer Laufzeitverlängerung, wie sie diese Woche Deutschland bewilligt hat.

 In der Schweiz rechnet die Axpo mit Kosten von 7 bis 9 Milliarden Franken und einer Bauzeit von sechs Jahren. Diese Annahmen seien nicht zu optimistisch - gerade weil man aus den Erfahrungen in Finnland profitieren könne, sagt Sprecherin Anahid Rickmann. Areva-Sprecher Christian Wilson betont seinerseits, dass die Baukosten eines EPR-Reaktors beim ersten Bauprojekt immer höher liegen würden als bei weiteren Projekten. Davon profitierte auch die Schweiz, wirbt Wilson. Doch selbst bei der Axpo ist man vorsichtig: Ein Grossprojekt berge immer ein "Investitionsrisiko", sagt Rickmann. Vor dem Realisierungsentscheid werde die Axpo deshalb die Machbarkeit "gerade hinsichtlich der Wirtschaftlichkeit" vertieft prüfen.

 Eine Prüfung einer Beteiligung an einem neuen AKW hat auch die Schweizer Industrie vorgenommen - mit negativem Resultat: Die vor einem Jahr von Walter Müller von der Gruppe Grosser Stromkunden (GGS) erhobene Beteiligungsforderung für stromintensive Firmen wie etwa Stahl Gerlafingen ist heute nicht mehr aktuell, wie er bestätigt. Laut Müller wäre eine solche Investition in Anbetracht der damit verbundenen Risiken für hiesige Industriefirmen zu gross. Die Abschreibedauer von über 60 Jahren sei zudem problematisch.

 Selbst für die wirtschaftsnahe Denkfabrik Avenir Suisse ist die Rentabilität von neuen Atomkraftwerken nicht eindeutig gegeben. Deren Energieexperte Urs Meister betrachtet die künftige Strompreisentwicklung als grösseres Investitionsrisiko als eine Überschreitung der Baukosten. Denn das Schweizer Strompreisniveau im Grosshandel hänge wesentlich vom Gaspreis ab, so Meister. Und die in den letzten Jahren massiv gestiegene Förderung von unkonventionellem Gas habe Auswirkungen auf die internationalen Märkte. Durch die daraus entstandenen anhaltenden Überkapazitäten im Gasmarkt könne der Strompreis sinken - trotz anderslautenden Prognosen. "Theoretisch könnte die Rentabilität neuer AKW dadurch beeinträchtigt werden."

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Langenthaler Tagblatt 11.9.10

Ziel erreicht, Verein aufgelöst

 Gewaltfreie Aktion Graben Die letzte Versammlung im "Neuhüsli" in Langenthal

Urs Byland

 Nach 35 Jahren Kampf und Arbeit gegen ein Atomkraftwerk in Graben löst sich der Verein Gewaltfreie Aktion Graben (GAG) auf. Das noch vorhandene Vermögen erhalten der Grimselverein und das noch zu gründende Komitee gegen eine Rahmenbewilligung für das AKW Mühleberg.

 "Wachtelkönig, Flussregenpfeifer und Rotrückenwürger." Der Langenthaler Ueli Marti nennt drei seltene Vogelarten, die im Gebiet, das einst als Standort für ein Atomkraftwerk vorgesehen war, gesichtet wurden. Und er habe einmal gezählt: "Beinahe tausend Menschen nutzten an einem Sonntag das Naherholungsgebiet an der Aare bei Graben." Ueli Marti ist eines der Gründungsmitglieder der Gewaltfreien Aktion Graben (GAG) und schreibt das Protokoll. Mit ihm sitzen drei weitere Gründungsmitglieder des Vereins am Tisch im Jägerstübli im 1. Stock des Restaurant Neuhüsli. Die 30. GAG-Versammlung in Langenthal soll die letzte sein. Mit dem Traktandum 4 wird die Auflösung beantragt. Drei Mitglieder des Vereins, ebenfalls Kämpfer gegen Atomkraftwerke, inzwischen nahe dem Pensionsalter oder darüber, sind mit dabei.

 Vermögen "gut verwaltet"

 Bevor die Anwesenden jedoch über die Auflösung des Vereins entscheiden wollen, erledigen sie die Jahresrechnungen 2006 bis 2009. Seit mehreren Jahren habe man keine Versammlungen mehr durchgeführt, stellt Tony Lüchinger aus Herzogenbuchsee mit leiser, aber bestimmter Stimme fest. Auch er ist Gründungsmitglied und der Vorsitzende, der die Versammlung leitet - ein Präsidentenamt kennt der Verein nicht. Dafür das Amt des Kassiers. Gründungsmitglied Helene Brechbühl aus Langenthal stellt per Ende 2009 ein Vermögen von 21540 Franken fest. Dass mit der Einladung zur Auflösungsversammlung dennoch ein Spendenaufruf mit Einzahlungsscheinen die immer noch rund 600 Mitglieder erreichte, habe einen einfachen Grund, erklärt Lüchinger. "Mit den eintreffenden Spenden finanzieren wir gleich jeweils den Versand." Obwohl kaum mehr aktiv, habe man das Vermögen gut verwaltet, sagt der Vorsitzende. "Das ist wichtig."

 Das Kämpferherz ist müde

 Beim Traktandum Jahresberichte spürt man das Ende des Kampfes gegen das AKW Graben nahen. Die Helden von früher sind müde geworden: "Man könnte sich weiter einsetzen, andernorts, aber ich mag nicht mehr", so eine Stimme. "Wir haben unser Ziel erreicht, es ist nicht gebaut, und es besteht nicht die Gefahr, dass es noch gebaut werden könnte", antwortet eine andere Stimme. Dass vor bald zwei Jahren das Gerücht aufkam, trotz allem plane die BKW auf dem vor Jahrzehnten erworbenen Land in Graben einen AKW-Ersatz für Mühleberg zu bauen, daran glaubt niemand. Dann flackern wieder die alten Kämpferherzen auf: "Man darf einfach keinem Atomkraftwerk den Betrieb verlängern, solange die Entsorgung des Atommülls nicht klar ist", sagt Elsy Zulliger. Das 88-jährige Gründungsmitglied, bekannt als "Atom-Elsy" oder "Sonnenschein aus Thunstetten", ist eine engagierte Verfechterin der Sonnenenergie und beherzte AKW-Gegnerin. "100000 Jahre dauert es, bis die Strahlung des Atom-Mülls weg ist. Das ist ein nicht vorstellbarer Zeithorizont", so Lüchinger. Es wird an Tschernobyl erinnert, an die Strahlung, die das Tessin erwischte, und man wundert sich, dass heute Pilze aus dieser Region bedenkenlos gegessen würden.

 "Wir wurden beschattet"

 Und man erinnert sich an Umstände, wie der Verein agierte. "Man kann sich das heute gar nicht mehr vorstellen, aber damals glaubte man nicht, dass man gewaltfrei ein AKW verhindern kann", erklärt Lüchinger. Deshalb habe man den Verein "gewaltfrei" genannt. "Damals konnte man nicht so frei diskutieren wie heute." - "Wir wurden beschattet", so Elsy Zulliger. "Wir standen aber nie vor Gericht. Wir hätten uns auch ‹Demokratische Aktion Graben› nennen können."

 Geschichte abgeschlossen

 Trotz vielen Anekdoten und Erinnerungen, Wünschen und Hoffnungen: Das vierte Traktandum, die Auflösung, liess sich auch mit vielen Worten nicht mehr aufhalten. Der Entscheid fiel schnell. Das Rechnungsjahr 2010 wird noch mitgenommen. Ende Jahr wird der Verein aufgelöst. Das Vermögen erhält zu drei Vierteln ein noch zu gründendes Komitee gegen eine Rahmenbewilligung für das AKW Mühleberg. Ein Viertel geht an den Grimselverein, der sich gegen eine Erhöhung der Mauer beim Grimselstausee einsetzt: "Dann haben wir die Geschichte abgeschlossen", sagt Tony Lüchinger. "Es war eine gute Zeit", sagt Elsy Zulliger.

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 Update

 Am 1. April 1975, morgens um sechs, kletterten 60 Leute der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst auf das Gelände des geplanten Atomkraftwerkes Kaiseraugst und stellten sich vor die anrollenden Lastwagen. Bald waren es 200 Personen darunter auch Oberaargauer und Oberaargauerinnen. Diese gründeten im gleichen Jahr die Gewaltfreie Aktion Graben GAG. Ziel der GAG war die Verhinderung eines Atomkraftwerkes in Graben. (uby)

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 Stimmen zur Vereinsauflösung

 Tony Lüchinger, Herzogenbuchsee

 "Was einen Anfang hat, hat auch ein Ende. Das Ziel ist erfüllt. Deshalb hat der Verein seine Berechtigung verloren. Klar waren zu Beginn viele Emotionen dabei, aber wir haben immer rational, mit Argumenten gekämpft."

 Elsy Zulliger, Thunstetten

 "Es ist Zeit. Wir haben viel gearbeitet, aber die Auflösung ist eine logische Folge. Die Zusammenkünfte werden mir enorm fehlen. Ich habe so viel Schönes erlebt. Opposition war mein Leben."

 Helene Brechbühl, Langenthal

 "Ich empfinde eine gewisse Befriedigung. Unsere Aufgabe ist erledigt. Gleichzeitig weiss ich, dass der Kampf weitergeht, und das bereitet mir nach wie vor Sorgen."

 Ueli Marti, Langenthal

 "Ich fühle mich erleichtert und wehmütig zugleich. Eine gewisse Last ist weg. Wehmütig bin ich, weil ich momentan nicht sehe, dass andere Leute in eine ähnliche Richtung kämpfen."

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NLZ 11.9.10

Luzerner Zeitung Aufschlag

 Konsultativabstimmung

 Atomkraft: Luzerner sollen an die Urne

Daniel Schriber

 Geht es um Atomkraftwerke, kann das Volk nicht früh genug mitreden - finden die Grünen. Die bürgerlichen Parteien sehen das anders.

 Die Diskussion um neue Atomkraftwerke (AKW) in der Schweiz setzt die Bevölkerung unter Strom. Alain Greter, Kantonsrat der Grünen, weiss das. Er sagt deshalb: "Der Entscheid für oder gegen neue AKW wird die Schweiz in den nächsten 50 Jahren prägen."

 Bis im Frühling 2011 können alle Kantone beim Bund ihre Stellungnahmen zu den neu geplanten AKW einreichen. Später soll eine eidgenössische Volksabstimmung zu dem Thema stattfinden (siehe Kasten).

 Dringlicher Vorstoss

 Mit diesem Vorgehen sind die Grünen nicht einverstanden. Die Partei, die sich traditionell gegen AKW und für erneuerbare Energien einsetzt, verlangt in einem dringlichen Vorstoss, dass die Luzerner Bevölkerung bereits im Frühjahr 2011 über neue Atomkraftwerke abstimmen kann. "Angesichts der Tragweite des Themas soll sich nicht nur die fünfköpfige Regierung dazu äussern können. In einer solch bedeutenden Frage muss das Volk von Anfang an mitreden können", sagt Alain Greter. Konkret soll die Bevölkerung die Stellungnahme der Luzerner Regierung an den Bundesrat in einer Konsultativabstimmung entweder gutheissen oder ablehnen. Anfang nächster Woche wird der Kantonsrat darüber befinden, ob er mit der dringlichen Behandlung des Vorstosses einverstanden ist. Sollten die Grünen mit ihrer Forderung nach einer Konsultativabstimmung durchkommen, würde Luzern dem Kanton Bern folgen. Dort wird die Bevölkerung im Februar 2011 zum geplanten neuen AKW Mühleberg befragt.

 Unterstützung erhalten die Grünen von der SP. "Es ist richtig, die Leute in einem sehr frühen Zeitpunkt zu befragen, bevor bereits viel Geld für unnötige Planungen ausgegeben wird", so Parteipräsidentin Felicitas Zopfi. Die Bevölkerung sei Atomkraftwerken gegenüber zu Recht sehr skeptisch. "Der Fokus in der Energiegewinnung sollte bei den erneuerbaren Energien liegen", sagt Zopfi. Ausserdem müsse die Energieeffizienz verbessert werden. Die SP habe deshalb eine Initiative explizit zu diesem Thema lanciert.

 "Vergleich mit Bern hinkt"

 Die anderen Parteien begegnen dem Postulat mit Skepsis. Albert Vitali, Fraktionschef der FDP, weist darauf hin, dass das Kantonsparlament im November über die Stromversorgung in der Schweiz diskutieren wird. "Ich gehe davon aus, dass sich die Regierung eine professionelle Meinung bilden kann." Ein Einbezug des Volkes sei in dieser Phase der AKW-Diskussion nicht nötig. Auch hinkt laut Vitali der Vergleich mit Bern. "Dieser Kanton ist im Vergleich zu Luzern bereits AKW-Standort." SVP-Fraktionschef Guido Müller ist der Meinung, dass es "wenig Sinn macht", wenn die Bevölkerung jetzt schon mitredet. Dafür seien derzeit schlicht zu wenig Informationen über die geplanten AKW-Projekte vorhanden.

 Auch CVP-Fraktionschef Bruno Schmid glaubt nicht an die Idee der Grünen. Dies aus praktischen Gründen: "Luzern kennt gar keine gesetzliche Grundlage für Konsultativabstimmungen." Eine entsprechende Gesetzesänderung könne kaum von heute auf morgen realisiert werden. Eines ist für Schmid aber dennoch klar: "Ohne die Zustimmung des Volkes wird es in der Schweiz nie ein neues Atomkraftwerk geben."

 Anfrage des Bundes steht aus

 Beim Luzerner Baudepartement, das für das Dossier AKW zuständig ist, wollte sich gestern niemand inhaltlich zum Thema äussern. Departementssekretär Hans-Peter Bossart sagte einzig, dass der Kanton Luzern vom Bund bis gestern noch keine offizielle Aufforderung zu einer Stellungnahme erhalten habe.

 daniel.schriber@neue-lz.ch

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 Neues AKW

 So läuft das Verfahren ab

 Drei Energiekonzerne wollen in der Schweiz neue Atomkraftwerke (AKW) erstellen. Die Berner BKW will das AKW Mühleberg ersetzen, die Axpo Beznau und die Alpiq will im solothurnischen Niederamt einen neuen Reaktor bauen. Die Rahmenbewilligungsgesuche wurden 2008 beim Bund eingereicht. Bis im Frühling 2011 können alle Kantone ihre Stellungnahmen zu den Gesuchen beim Bundesrat einreichen. Allerdings ist es möglich, diese mit einem Vorbehalt zu versehen, wenn die Stellungnahmen noch in den kantonalen Parlamenten beraten werden oder vors Volk kommen. Die definitiven Antworten der Kantone werden dann Ende 2011 oder Anfang 2012 eingereicht.

 Kaum vor 2025 am Netz

 Mitte 2012 wird dann der Bundesrat betreffend AKW-Neubauten entscheiden. Dieser Entscheid muss vom Parlament genehmigt werden und untersteht dem fakultativen Referendum - das ist bereits sicher. Eine eidgenössische Volksabstimmung wird voraussichtlich Ende 2013 stattfinden.

 Bis ein neues Kernkraftwerk ans Netz ginge, dürfte es mindestens bis 2025 dauern. Denn nach einem allfälligen Volks-Ja folgen erst die eigentlichen Bau- und Betriebsbewilligungsverfahren - mit Einsprachemöglichkeiten.

 Weitere Unterlagen zum Rahmenbewilligungsverfahren für ein neues AKW finden Sie unter www.zisch.ch/bonus

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Oltner Tagblatt 11.9.10

"Jetzt Widerstand vorbringen"

 Olten-Gösgen SP ist gegen ein Endlager

 Die SP Olten-Gösgen nimmt in einem gestern Freitag eingegangenen Communiqué Stellung zu einem allfälligen Endlager für radioaktive Abfälle in der Region Jurasüdfuss/Niederamt. Darin heisst es: "Seit November 2008 sind die Pläne der Nagra bekannt, am Jurasüdfuss ein Endlager für atomare Abfälle zu errichten. Und seit diesem Zeitpunkt wurde unmissverständlich klar, dass die Region Niederamt von diesen Plänen gar nichts hält. Dies hat die Gemeindepräsidentenkonferenz verlauten lassen, das dokumentiert ein überwiesener Vorstoss im Kantonsrat, und dies äussern Bürger und Bürgerinnen in Leserbriefkommentaren und an Veranstaltungen". Nun beginne "im extrem komplizierten und für Normalbürger fast nicht zu verstehenden Verfahrensdschungel" die nächste Etappe. Die sogenannte "Anhörung". Bis Ende Oktober hätten Gemeinden, Vereine sowie alle Bürgerinnen und Bürger Gelegenheit, um sich zu den Nagra-Plänen zu äussern.

 Anhörung: "Klartext reden"

 Auch nach der "Informationsveranstaltung" in Niedergösgen schienen diese Verfahren unter dem Slogan zu laufen: "Schön, haben wir darüber geredet", moniert die SP Olten-Gösgen. "Trotzdem fordern wir alle Gemeinden, Bürgerinnen und Bürger auf, sich in den nächsten drei Monaten an dieser Anhörung zu beteiligen. Allerdings nicht, wie angedacht, um irrelevante Details zu beleuchten wie <ist das Eingangstor dann mal blau oder grün>, sondern um unmissverständlich die Ablehnung eines Endlagers zu dokumentieren", heisst es weiter.

 Ein "politischer" Entscheid?

 Das Niederamt habe schon genug atomare Belastung. "Unsere Gegend ist eine dicht bevölkerte Wohngegend, jetzt längts!" Dass der Standort Jurasüdfuss trotz fehlenden und negativen Fakten überhaupt und immer noch im Gespräch sei, zeige vor allem eines: Die Entscheidfindung werde politisch betrieben. Sprich: Da, wo der geringste Widerstand sei und - entgegen allen Beteuerungen - nicht nach Sicherheitskriterien.

 Appell an Walter Straumann

 "Der sogenannte Informationsanlass in Niedergösgen war im Übrigen ein grosses Ärgernis. Eine Heerschar von Interessen- und Behördenvertreter breiteten sich 90 Minuten aus, und die angekündigte Frage- und Diskussionsmöglichkeit wurde dafür schon nach 30 Minuten mit dem Hinweis: <Wir wollen nicht allzu lange werden> abgeklemmt. So schafft man kein Vertrauen", beschwert sich die SP Olten-Gösgen.

 Auch die Rolle von Regierungsrat Walter Straumann bleibe fraglich. "Er gab sich als neutraler Moderator. Und dies, nachdem der Kantonsrat erst im Juni nochmals klar bekräftigt hatte, dass er sich gegen ein Endlager im Niederamt einsetzen müsse. Damals schon wollte er den Auftrag unglaublicherweise als erledigt abschreiben lassen". Die SP der Region Olten erwarte unmissverständlich, dass Regierungsrat Walter Straumann den Auftrag nun befolge, fordert die SP-Amteipartei Olten-Gösgen in ihrer Pressemitteilung abschliessend. (otr)

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Aargauer Zeitung 11.9.10

Der Widerstand wächst

 Informationsabend zum geologischen Tiefenlager in Glattfelden

 Die Vertreter des Bundesamtes für Energie bemühten sich an der Infoveranstaltung in Glattfelden um Wohlwollen. Angetroffen haben sie tiefes Misstrauen - und Widerstand. Das Publikum nahm die Bundesbehörden in die Mangel.

 Rolf Haecky

 "Seit gut 40 Jahren produzieren die Atomkraftwerke radioaktiven Müll, ohne zu wissen, wo sie ihren gefährlichen Abfall entsorgen", rügte ein Redner am Informationsabend in Glattfelden zum Auswahlverfahren des künftigen Standorts für das geologische Tiefenlager "nördlich Lägern".

 Die Region soll mitreden

 Zuvor hatten die Vertreter des Bundesamts für Energie (BFE) und der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) dargelegt, wie das Verfahren zur Wahl des Standorts eines Tiefenlagers für Atommüll aussehen soll und was der Bund unter einer Mitsprache der betroffenen Gemeinden versteht.

 Anschliessend stellten sie sich den Fragen des Publikums. Und die waren sehr kritisch. "37-mal habe ich heute Abend das Wort Sicherheit gehört - aber mich haben Sie kein bisschen überzeugt", drosch ein Zuhörer auf Nagra und Bundesbehörde ein. Die Redner aus dem Publikum befürchteten vor allem, der Region entständen aus einem Tiefenlager weitere Lasten. Immer wieder wurden Fragen zur Sicherheit und zum Mitspracherecht gestellt.

 Hanspeter Lienhart, Präsident des Forums Lägern Nord, in dem der Planungsverband Zurzibiet mit Marcel Baldinger (Gemeindeammann Fisibach) vertreten ist, liess keinen Zweifel offen, wo das Forum und die Gemeindebehörden der Region stehen: "Wir lehnen ein Tiefenlager im Unterland ab."

 Einig waren sich Gegner wie Befürworter, dass die Sicherheit bei der Suche nach dem richtigen Standort oberste Priorität haben muss. Umstritten war hingegen, ob das Tiefenlager in die Region Lägern Nord gehöre. Eine Frage, welche eine Mehrheit des Publikums mit Nein beantwortete. Einzig zwei Votanten zeigten sich gegen Steuerfreiheit und ein angemessenes Entgelt bereit, das Tiefenlager in ihrer Gemeinde zu akzeptieren. Weiter wiesen verschiedene Vertreter regionaler Behörden darauf hin, dass die Region Lägern Nord bereits heute hohe Lasten trage.

 Entscheiden wird Bern

 Behördenvertreter und Vertreter des Widerstands im Unterland forderten die Anwesenden auf, sich in den Mitspracheprozess einzubringen - "obwohl wir nur mitreden, aber nicht mitentscheiden dürfen", wie Hanspeter Lienhart nüchtern festhielt.

 Zur Sicherstellung der Mitsprache baut das Bundesamt für Energie Startteams auf. In diesen sitzen neben Abgesandten des Bundesamts und des Kantons Zürich auch Vertreter der Gebiete, die für den Bau eines Atommülllagers infrage kommen. Diese sollen die Bedürfnisse und Interessen der Menschen in der Region in die Diskussion um die Standortwahl einbringen.

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Tagesanzeiger 13.9.10

Offene Fragen zu Atommüll-Lager

 Nagra-Leute sowie Vertreter von Bund und Kanton stellten sich in Glattfelden der Bevölkerung. Doch die Anhörung vermochte viele nicht zu befriedigen.

 Von Raquel Forster

 Glattfelden - "Am besten bauen sie doch einen Golfplatz über dem Tiefenlager. Dann kann man da auch am Abend spielen, weil sowieso alles leuchtet", sagt Christian Ulrich aus Glattfelden kurz vor dem Ende der Diskussion und erntet tosenden Applaus. Nach knapp zwei Stunden hat die Verzweiflung wohl in Ironie umgeschlagen.

 Das Bundesamt für Energie (BFE) hat am Donnerstagabend zu einer weiteren Informationsveranstaltung geladen - dieses Mal in der Mehrzweckhalle Eichhölzli in Glattfelden. Eine Stunde lang informierten insgesamt neun Vertreter verschiedener Behörden, darunter auch Thomas Ernst, der Direktor der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), wie das Verfahren zur Standortwahl eines künftigen Endlagers für Atommüll etappenweise funktionieren wird. Danach stellten sie sich eine weitere Stunde den kritischen Fragen der Teilnehmer. Mit mehr als 300 Personen aus vielen Gemeinden war die Veranstaltung gut besucht - neue Erkenntnisse gabs jedoch nicht.

 Wie in Kölliken?

 Manch eine Frage wurde gar nicht beantwortet, und vonseiten der Behörden kamen immer die gleichen Argumente: "Über die Geologie braucht man nicht zu diskutieren", sagte etwa ein BFE-Vertreter. Die Standortgemeinden seien geprüft worden, und die Geologie sei "einfach gegeben". Als eine Teilnehmerin mit der Sondermülldeponie Kölliken argumentierte, die wegen Mängeln saniert werden musste, kamen auch keine neuen Fakten zutage: "Das ist ein fundamentaler Unterschied. Vor 60 Jahren hatten wir noch keine Abfallwirtschaft wie heute", sagte Thomas Ernst, der Direktor der Nagra. Mittlerweile hätten sowohl die konventionelle als auch die radioaktive Abfallwirtschaft enorme Fortschritte gemacht.

 Auch die am vergangenen Montag gegründete Bürgerbewegung Loti (nördlich Lägern ohne Tiefenlager) war anwesend und meldete sich mit kritischen Voten. So wollte Rosi Drayer, Co-Präsidentin des Vereins, von den versammelten Fachleuten wissen, wie es mit der Gasentwicklung in einem solchen Tiefenlager stehe. Ihr antwortete Erich Frank vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi): "Acht Wissenschafter und vier Geologen kümmern sich allein beim Ensi um die Langzeitsicherheit eines solchen Lagers."

 Entschädigungen erst später

 Nach der wenig zufriedenstellenden Antwort versuchte jemand eine andere Strategie: "Wir haben alle Angst vor dem, was passieren kann", sagte der Votant und bat den Nagra-Direktor, zu erklären, was im schlimmsten Fall passieren könnte. Dieser ignorierte aber die Frage und redete wieder über die Sicherheit. Dasselbe, als man in der "Diskussion" auf eine mögliche finanzielle Abgeltung zu sprechen kam: Dies wurde von Regierungsrat Markus Kägi auf die zweite Etappe vertagt. Und so verliessen viele enttäuscht die Versammlung, bei der vor allem die Beantwortung von Fragen hätte im Mittelpunkt stehen sollen.