MEDIENSPIEGEL 2.10.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Reitschule bietet mehr: Abschied vom Holzross
- Antifa-Abendspaziergang: SVP will gleiche Rechte
- Rote Falken: Schnuppernachmittag
- Lichtsorgen: Altstadt so unbeleuchtet wie Neubrückstrasse
- Centralweg: Nach den Stadttauben der Velokurierladen
- RaBe-Info 30.9. + 1.10.10
- Zivilstand Illegal: Scheinehenhatz + Handbuch
- Ausschaffungsinitiative: Sonderflug für Ospel, Blatter + Tell
- Ausschaffungen: Der Fall Chur
- Drogen: Mohnanbau; Kokainhandel CH; Bignasca-Connection
- Tabak: Teufelskraut oder Göttergeschenk
- Pnos: Urner Obergericht bestätigt Verurteilung
- Thor Steinar BS: Rückzug aus Schaufenster
- Polizeitod: Untersuchungsrichter nicht im Ausstand
- 100 Jahre Volkshaus ZH: Lenin + die Toten Hosen
- Anti-Atom: Die Börsen + der Urankrieg; Atomlobbyistin Leuthard; Endlager-Debatten; PR-Offensive

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REITSCHULE
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Sa 02.10.10
20.30 Uhr - Tojo - TITTANIC, die Achte Der Quotenknüller! Frauenanteil auf der Bühne: 100%
21.00 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Kald Mig Bare Axel (Nenn mich einfach Axel) | Pia Bovin, Dänemark 2002
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: LENZMAN (NL), EVESON (UK) & RIYA (UK), Support: TS Zodiac, Rollin John & Badboy MC " drumnbass

So 03.10.10
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SLP, bis 16.00 Uhr
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilm am Flohmi-SunntIg: Pünktchen & Anton, Österreich/D 1953
20.15 Uhr - Kino - Zusammen TATORT gucken
20.00 Uhr - Rössli - THE CHAP (UK) " rock, electronica

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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BZ 2.10.10

Tojo Theater

 Autorinnen in voller Fahrt

 Tittanic, die Achte präsentiert drei Autorinnen mit ihren heissesten Kolumnen und Lieblingstexten. Der repräsentative Querschnitt ist garantiert: Esther Banz aus Zürich, Andrea Gerster aus der Ostschweiz und die Lokalmatadorin Nicolette Kretz aus Bern. Und weil die Welt nicht easylistening ist, sorgt die Songwriterin Nadja Zela mit ihrem direkten und abgründigen Blues für passende Musik. Ausserdem ist ein echter Hund mit dabei, wau! Programmiert und angerichtet von Käpt'n Sandra Künzi.
 pd

 Heute, 20.30 Uhr, Tojo Theater in der Reitschule, Neubrückstrasse 8, Bern.

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REITSCHULE BIETET MEHR
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Freitag, 1.10.10

Liebe Trauergemeinde:

Von den Festmachern erbaut, stand es seit Mitte Juli auf dem Vorplatz des autonomen Kultur- und Begegnungszentrum Reitschule und prägte die Zugaussicht auf den schönsten Schandfleck der Stadt Bern. Mit uns jubelte es am 26.9. angesichts der 68,4 % Nein-Stimmen gegen die Anti-Reitschule-Initiative. Nun hat es sich lautstark verabschiedet, unser Rössli, und hat damit dem Wagenplatz Zaffaraya etwa 15 Kubikmeter Winter-Brennholz beschert. Es gibt also doch ein Leben nach dem Tod... :-)
http://www.youtube.com/watch?v=X__IQCzyAgU

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ANTIFA-ABENDSPAZIERGANG
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Blick 2.10.10

5 Dinge... die Sie heute wissen müssen

 Gibts wieder Randale?

 In Bern wird der 10. antifaschistische Abendspaziergang (Start um 20 Uhr) durchgeführt.

 Bekanntgabe der Preisträger des Zurich Film Festival.

 Das Zunfthaus zur Zimmerleuten wird wiedereröffnet. Das 850-jährige Zürcher Gebäude ist 2007 abgebrannt. Der Wiederaufbau kostete 17,5 Millionen Franken.

 Der erste Aids-Tote bei den Hollywood-Stars. Vor 25 Jahren starb Rock Hudson ("Bettgeflüster", "Giganten").

 Noch einmal schlafen, dann findet in Zürich die 15. Volksmusik & Schlager Gala statt. Es hat noch Tickets.

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Blick am Abend 1.10.10

Unterbrüche wegen Demo

 BERN

 Weil der Antifaschistische Abendspaziergang von morgen Samstag nicht bewilligt ist, ist unklar, wo der Demozug durchführt. Bernmobil rechnet zwischen 20 und 22 Uhr mit Unterbrüchen auf dem ganzen Netz der Innenstadt.

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Bund 1.10.10

SVP will gleiche Rechte wie die Antifa

 SVP-Stadtrat Thomas Weil fordert den Gemeinderat zur allgemeinen Einführung einer pragmatischen Bewilligungspraxis auf. Mit der gestern eingereichten Motion nimmt er Bezug auf Aussagen des Polizeiinspektorates, wonach der zehnte antifaschistische Abendspaziergang von nächstem Samstag auch ohne formelles Gesuch bewilligt werde ("Bund" von gestern). "Die SVP begrüsst es, wenn die Stadt Bern bürokratische Hürden abbauen will", hält Weil im Vorstoss fest. Die Partei gehe davon aus, dass damit "der Beginn einer unbürokratischen und bürgerfreundlichen Verwaltung" initiiert werde.

 Die pragmatische Bewilligungspraxis solle etwa "bei Umbauten, Bewilligungen für Marktstände, Marroniverkaufsstellen, Glacestände, Gastgewerbebewilligungen sowie Durch- und Zufahrten in die Innenstadt" zur Anwendung kommen. Zudem sollen alle Organisatoren von Kundgebungen in ihren Genuss kommen. "Die Stadt darf nicht mit ungleichen Ellen messen", begründet Weil das Anliegen. Die kulante Haltung der Stadt gegenüber der Antifa habe viele Privatpersonen und Gewerbler vor den Kopf gestossen. "Die Privilegierung einer Gruppierung der extremen Linken ist heikel." Sie zeige, dass die rot-grün regierte Stadt "erpressbar" sei und dass der Gemeinderat eine "Appeasement-Politik" gegenüber dem Schwarzen Block betreibe. "Wir verlangen Gleichbehandlung", sagt Weil. (bob)

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Abendspaziergang dürfte Busse und Trams behindern

 Aufgrund des antifaschistischen Abendspaziergangs sind am Samstagabend zwischen 20 und 22 Uhr Unterbrüche und Behinderungen auf dem Netz von Bernmobil möglich. Da der Abendspaziergang voraussichtlich von der Heiliggeistkirche via Zytglogge und Nydeggbrücke zurück zum Bahnhof führt, werden wohl praktisch alle Innenstadt-Linien tangiert, teilen die Städtischen Verkehrsbetriebe Bern mit. (pd)

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20 Minuten 1.10.10

Antifa-Demo: Stadt sorgt für Empörung

 BERN. Dass die Stadt derAntifa-Demo von sich auseine Bewilligung erteilt hat, stösst bürgerlichenPolitikern sauer auf: Siefordern Gleichbehandlung.

 "Linksautonome geniessen eine Sonderbehandlung", so SVP-Stadtrat Thomas Weil. Er ist empört, weil die Stadt den morgen stattfindenden Antifa-Abendspaziergang wie bereits letztes Jahr bewilligt hat, ohne dass die Organisatoren ein Gesuch eingereicht hatten. Deshalb fordert er per Vorstoss: "Die Stadt soll diese pragmatische Bewilligungspraxis auf Marktstände, das Gastgewerbe und weitere Demos ausdehnen." Unterstützung gibt es teilweise von FDP-Ratskollege Christoph Zimmermann: "Jede kleine Standaktion muss eine Bewilligung einholen. Rechtlich ist es also nicht korrekt, diese Demo anders zu behandeln."

 Zwar wünscht sich auch Gastro-Bern-Präsidentin Eveline Neeracher "gleich lange Spiesse für alle", sie räumt aber ein: "Die Stadt ist kulant bei Bewilligungsgesuchen im Gastgewerbe." Dem Vertreter der Marktfahrenden Dirk Kredtke leuchtet es gar nicht erst ein, "was politische und kommerzielle Bewilligungen miteinander zu tun haben sollen".

 Die Demo-Initianten rätseln derweil über ihre Sonderbehandlung. Im Internet schreiben sie von "Umarmungsversuchen der Behörden". Doch Sicherheitsdirektor Reto Nause verteidigt den Entscheid: "Dieses Vorgehen hat sich bewährt. Die letzte Demo ist friedlich verlaufen."

Bigna Silberschmidt

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 ÖV wegen Demo eingeschränkt

 BERN. Nicht nur die Stadt, sondern auch Trams und Busse richten sich auf die Antifaschismus-Demo ein: Wie Bernmobil mitteilt, kann es morgen Abend auf der Demo-Route zwischen 20 und 22 Uhr zu Behinderungen und Unterbrüchen kommen. Es handle sich voraussichtlich um die Strecke zwischen Heiliggeistkirche, Zytglogge und Nydeggbrücke. ÖV-Benutzern empfiehlt Bernmobil, für Fahrten ins Zentrum genug Zeit einzuberechnen.

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BZ 1.10.10

Moment mal

 SVP mal ironisch

 Ohne danach gefragt zu haben, erhalten die Organisatoren des Antifa-Abendspaziergangs eine Bewilligung. Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) erhofft sich von diesem "pragmatischen Weg" eine friedliche Demo.

 Nauses ungewöhnliches Vorgehen hinterlässt Spuren in der Stadtpolitik: Die SVP-Polterer lassen sich vom Pragmatismus anstecken und zu einem Stilwechsel hinreissen. Vorbei sind die Zeiten, als sie Stadtratsdebatten aus Protest verliessen oder diese mit Sinnlosanträgen bis tief in die Nacht verzögerten. Die Volkspartei zieht neue Saiten auf - und kritisiert nun mittels feinster Ironie.

 In einer Motion begrüsst sie es, "wenn die Behörden bürokratische Hürden abbauen". Damit aber linksextreme Autonome keine Ausnahme bleiben, fordert die SVP: "Die pragmatische Bewilligungspraxis soll ausgedehnt werden." Auch Bewilligungen für Markt- und Glacestände, Marronihäuschen, Zufahrten in die Innenstadt und Fristverlängerungen bei der Einreichung von Steuererklärungen sollen ohne Gesuche verteilt werden.

 Wo führt das hin, wenn selbst die ernste SVP nicht mehr vor Witzvorstössen zurückschreckt? Was kommt als Nächstes? Ganz lustig würde es, wenn das Parlament die Motion überweist. Als ironischen Protest gegen ironische Anträge.

 Tobias Habegger

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ROTE FALKEN
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Indymedia 2.10.10

Schnuppernachmittag bei den Roten Falken am 23. Oktober 2010 ::

AutorIn : Rote Falken Bern: http://www.bern.rotefalken.ch

Transpi am 1. Mai 2010 in Bern

Die Falken fliegen wieder! Seit einem Jahr ist die Kinder- und Jugendgruppe mit Ursprung in der ArbeiterInnen-Bewegung wieder in Bern aktiv, das scheint die Runde gemacht zu haben. Aber um was geht es bei den Falken genau? Alle Kinder, Jugendlichen und Eltern die Lust haben, sich diese Sache einmal näher anzuschauen sind herzlich zum Schnuppernachmittag der Roten Falken Bern am 23. Oktober eingeladen!     

Bei den Roten Falken stehen Spiel, Spass und Solidarität an erster Stelle. Besonders wichtig sind uns die Kinderrechte und die Partizipation aller Gruppenmitglieder. Unser Anliegen ist es, den Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass ihre Meinung zählt und gefragt ist. Wir möchten nachhaltiges Denken, Selbstbestimmung und Kreativität fördern. Im Falkenalltag haben wir die Möglichkeit uns selbst zu sein, damit wir uns austoben können, damit wir träumen können und damit wir zusammen mit lauter Stimme unsere Forderung nach einer gerechteren Welt vertreten können.

Die Gruppentreffen der Falken finden jeweils Samstags statt, daneben gibt es viele weitere Aktivitäten wie Weekends, Pfingst- und Sommerlager, den 1. Mai und den Tag der Kinderrechte.

Der Schnuppertag der Roten Falken Bern findet am Samstag, 23. Oktober statt. Treffpunkt ist um 13.30 bei der Tramhaltestelle Bahnhof (unter dem Baldachin). Kinder ab 6 Jahren, Eltern und auch Jugendliche, die FalkenhelferInnen werden möchten sind herzlich eingeladen! Anmeldung (fakultativ) per Mail an infos(ät)bern.rotefalken.ch.

Weitere Infos unter http://www.bern.rotefalken.ch und http://www.rotefalken.ch

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LICHT-SORGEN
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BZ 2.10.10

Knatsch wegen zu wenig Licht in der Altstadt

 Wegen der gedimmten und lückenhaften Beleuchtung in der Berner Altstadt ist ein Streit ausgebrochen: Anwohner und Geschäftsleute wollen aus Sicherheitsgründen helleres Licht unter den Lauben. Diese Forderung passt dem Denkmalschützer Jürg Keller jedoch gar nicht in den Kram. Er wehrt sich gegen Festbeleuchtung mit Girlanden und hellen Lampen. "Es geht nicht, dass die Altstadt zu einem hell erleuchteten Las Vegas verkommt", sagt er.
 jsp

 Seite 25

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Berner Altstadt

 Die Denkmalpflege hats lieber düster

 Streit wegen der Beleuchtung in der Berner Altstadt: Aus Sicherheitsgründen fordern Geschäftsinhaber und Anwohner hellere Lampen unter den Lauben. Doch der Denkmalschutz wehrt sich gegen Zustände "wie in Las Vegas".

 Die Berner Altstadtbewohner haben von den schlecht beleuchteten Lauben längst die Nase voll: "Ich verlange, dass die ungenügende Beleuchtungssituation bald ein Ende hat", sagt Jost Troxler, Hotelier "Zum Goldenen Schlüssel" an der Rathausgasse. "Weil die Deckenleuchten abmontiert wurden oder gar nicht brennen, ist an vielen Stellen wegen der Dunkelheit die Sicherheit der Passanten gefährdet", argumentiert der Hotelier.

 Hotelgast überfallen

 Einer seiner Gäste wurde 20 Meter unterhalb seines hell beleuchteten Hotels in einer solch finsteren Zone überfallen. "Dort passte ein junger Mann der Frau ab, riss ihr die Handtasche aus der Hand", schildert Troxler den Überfall. So schnell wie der Dieb aufgetaucht war, so schnell konnte er flüchten. "Das Opfer hatte alle Ausweise, Geld und persönliche Utensilien verloren - die Frau war geschockt und traumatisiert", erzählt Troxler. Er ist überzeugt: "Durch die Dunkelheit in der Altstadt wird auch die Drogenkriminalität angekurbelt."

 Bewohner haben Angst

 Dass eine bessere Beleuchtung zumindest das subjektive Sicherheitsempfinden beeinflusst, zeigte 2008 eine Bevölkerungsumfrage der Polizei: Dort wurden als "Störfaktoren" des Sicherheitsgefühls Bettler und Junkies vor Verkehr und mangelnder Beleuchtung genannt. Eine andere Umfrage der Vereinigten Altstadtleiste von letztem Frühjahr ergab, dass sich nachts über die Hälfte der Altstadtbewohner unsicher fühlen.

 Schildbürgerstreich

 Im Leist-Organ, der "Brunne Zytig", wird wegen der schlechten Beleuchtungssituation in der Altstadt von einem Schildbürgerstreich und von Unvermögen der Behörden gesprochen. Dies, weil Energie Wasser Bern (EWB) im Frühling unter den Lauben neue, helle Deckenlampen montiert hatte, um die Beleuchtungslücken zwischen den einzelnen Laubenbögen zu beheben. "Zur Freude der Bevölkerung, welche die schlecht beleuchteten Stellen längst als Sicherheitsproblem erkannt hatten", sagt Edi Franz, Präsident des Brunngass-/Rathausgass-Leists.

 Monteure zurückgepfiffen

 Doch kaum waren die Lauben stärker beleuchtet, pfiff der zuständige Mitarbeiter der Denkmalpflege, Jürg Keller, die EWB-Monteure zurück. Grund: Er fürchtete, dass die Stimmung in der Altstadt durch das helle Licht der Stromsparbirnen in den Milchglas-Halbkugeln zerstört werde. Deshalb mussten die EWB-Mitarbeiter auf Kellers Befehl rund 25 Lampen wieder abmontieren. Mit dem Resultat, dass es unter den Lauben nun noch dunkler ist als vorher. Das kann Hotelier Troxler nicht verstehen: "Eigentlich müssten die Denkmalschützer daran interessiert sein, dass im Altstadt-Unesco-Welterbe helle Lampen für mehr Sicherheit der Bevölkerung sorgen."

 Denkmalpfleger erklärt sich

 Dies sieht Jürg Keller jedoch ganz anders: "Auch in einer hell ausgeleuchteten Altstadt würden Überfälle passieren." Nach seinen Worten können Überfälle nur durch mehr Polizeipräsenz verhindert werden. Und er weist darauf hin, dass das Sicherheitsbedürfnis der Bevölkerung sehr subjektiv sei.

 Denkmalpfleger Keller erklärt, warum er die EWB-Monteure zurückgepfiffen hat: "Es geht nicht, dass das Unesco-Welterbe Berner Altstadt zu einem hell erleuchtete Las Vegas verkommt." Er setze sich für eine harmonische Grundbeleuchtung ein, welche die Stimmung in der Altstadt nicht zerstöre. Doch genau dies tun die neuen Stromsparlampen, die ein viel weisseres Licht ausstrahlen.

 Keine Festbeleuchtung

 Denkmalpfleger Keller hält fest, dass er keine Festbeleuchtung durch Perlenketten, Girlanden und helle Lampen von Privaten unter den Lauben dulden will. Denn: Die Laubengänge sind auf Stadtgebiet und sollen deshalb nach einem mit EWB und Tiefbauamt erarbeiteten Lichtkonzept harmonisch und einheitlich beleuchtet werden. Immerhin ist für Keller klar: "Die Standorte der Lampen mit dem Grundlicht sollen jetzt verdichtet werden, damit dunkle Zonen möglichst eliminiert werden."

 Nächstens Besichtigung

 An einer Besichtigung mit den Leistvertretern will sich Denkmalschützer Jürg Keller nächstens ein Bild über die Beleuchtungssituation machen. "Dann soll das nach den Richtlinien des Tiefbauamtes ausgearbeitete Lichtkonzept optimiert werden", sagt Jürg Keller.

 Für eine Verbesserung der Beleuchtungssituation will sich an diesem Treffen Stephan Probst, Co-Präsident des Leists der Unteren Stadt, einsetzen: "Ich werde für eine Beleuchtung kämpfen, welche die Sicherheit der Bevölkerung verbessert."

 Nause will Kompromiss

 Für den Stadtberner Polizei- und Sicherheitsdirektor Reto Nause muss ein "schlauer" Kompromiss gefunden werden. Für ihn ist klar, dass die Altstadt nicht mit grellem, weissem Neonlicht ausgeleuchtet werden kann, weil das nicht zu den Sandsteinfassaden passt. "Doch die Sorgen und Ängste der Bevölkerung sowie ihr subjektives Sicherheitsempfinden müssen unbedingt ernst genommen werden."

 Um Entreissdiebstähle zu reduzieren, brauche es das Zusammenspiel von genügend Licht und Belebung. Als Beispiel nennt er die Grosse Schanze, wo ein solches Mosaik diesen Sommer sehr erfolgreich gewirkt hat. "Dort gingen die Überfälle dank mehr Licht und der Belebung durch die City-Beach-Events drastisch zurück." Nause weist darauf hin, dass die Polizeipräsenz nicht verstärkt worden sei.

 Jürg Spori

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Bund 2.10.10

Denkmalpflege: Lampen in Altstadt störten Rhythmus

 Der Berner Denkmalpfleger erklärt, weshalb zu viel Licht in der unteren Altstadt stört.

 Bewohner der unteren Berner Altstadt klagen, dass einige Laubenabschnitte in der Nacht zu wenig gut beleuchtet sind. Darunter leide die Sicherheit. Zur Abhilfe installierte Energie Wasser Bern (EWB) im letzten Winter neue Lampen, musste wenig später auf Verlangen der Denkmalpflege an einigen Stellen aber wieder Lampen entfernen. Nun sei es teilweise dunkler als vorher, sagen Anwohner ("Bund" von gestern).

 Nachdem die städtische Denkmalpflege am Vortag nicht für eine Stellungnahme erreichbar gewesen war, erklärte gestern Denkmalpfleger Jean-Daniel Gross, weshalb die Lampen beanstandet worden waren. Die Standorte für die neuen Lampen seien gemeinsam mit EWB bestimmt worden. "Offenbar wurden aber nicht alle Lampen so gesetzt wie abgemacht", sagte Gross. An einigen Stellen sei der Rhythmus der Gebäudestruktur durch zu viele und falsch platzierte Lampen beeinträchtigt worden. "Mehr als eine Leuchte pro Laubenbogen ist im Allgemeinen zu viel", sagte Gross. Auch sollten die Lampen nicht direkt an den Bögen angebracht werden, sondern am besten mittig dazwischen, was nicht immer der Fall gewesen sei.

 Neben der Anzahl und der Platzierung der Leuchten habe die Denkmalpflege auch die Qualität des Lichts beanstandet, sagte Gross. Neue Sparlampen hätten zum Teil eine "fabrikartige Ambiance" verströmt. Bloss die Leuchtelemente zu ersetzen, sei aber ein Leichtes gewesen, so Gross. Zudem gehe er davon aus, dass ein Teil der abmontierten Lampen bereits alt war.

 Für die Beschwerden der Anwohner habe er "grosses Verständnis", sagte der Denkmalpfleger. Eine für alle gute Lösung werde "auf jeden Fall" gefunden. (bro)

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Bund 1.10.10

Altstadtbewohner wünschen sich mehr Licht

 Dunkle Lauben sorgen in der Berner Altstadt für heisse Köpfe. Die Denkmalpflege hat bereits installierte zusätzliche Lampen wieder abmontieren lassen.

 Christian Brönnimann

 Die kalte Jahreshälfte steht vor der Tür - und mit ihr die kurzen Tage. Die dunklen Abende sind vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der unteren Altstadt ein Graus. Der Grund: Die Beleuchtung der Lauben ist in einigen Abschnitten mehr schlecht als recht. "Es gibt in der ganzen unteren Altstadt Laubenabschnitte, die in der Nacht zu dunkel sind", sagt Edi Franz, Präsident des Rathausgass-Brunngass-Leists. Das subjektive Sicherheitsempfinden sei gestört. Als Beispiele nennt er die Postgasse oder die Rathausgasse unterhalb des Hotel-Restaurants Goldener Schlüssel.

 Dessen Pächter Jost Troxler bestätigt die Situation. "Die dunkle Umgebung zieht Kriminelle an und verunsichert die Hotelgäste", sagt er. Kürzlich sei einer Frau, die im Hotel übernachtet hat, auf dem Heimweg die Handtasche entrissen worden. "Wenn es so dunkel ist, kann man den Leuten in den Lauben geradezu abpassen", sagt Troxler. Er habe in letzter Zeit auch vermehrt beobachtet, wie in der Rathausgasse mit Drogen gedealt werde. Gerade am letzten Dienstag habe er sieben mutmassliche Dealer in nächster Umgebung des Hotels gezählt. Er verstehe nicht, dass die Beleuchtungslücken ausgerechnet in der Rathausgasse so lange nicht ausgemerzt würden.

 "Schon bei zwei aufeinanderfolgenden Laubenbögen ohne Lichtquelle haben wir ein Problem", sagt Edi Franz. Neue Lücken entstünden zum Beispiel, wenn ein Geschäft aus einem Altstadtlokal wegziehe und dadurch beleuchtete Schaukästen verschwinden. Denn: Wenn neue Schaukästen hinzukommen, werden bestehende Leuchten oft entfernt.

 Denkmalpflege intervenierte

 Pikant an der ganzen Geschichte ist, dass Energie Wasser Bern (EWB), das im Auftrag der Stadt Bern für die Beleuchtung der Altstadtgassen zuständig ist, eigentlich bereits im letzten Winter für Abhilfe gesorgt und die bekannten Beleuchtungslücken gefüllt hat. "Auf Geheiss der Denkmalpflege musste ein Teil der zusätzlich installierten Lampen aber wieder abmontiert werden", erklärt Edi Franz. EWB-Sprecherin Natalie Cartier bestätigt diesen Sachverhalt. Der neu eingesetzte Lampentyp habe etwas helleres Licht abgegeben als die älteren Modelle. Die Berner Denkmalpflege habe beanstandet, dass nach der Aufstockung insgesamt zu viel Licht die Lauben erhellt habe.

 Gemäss Cartier hat EWB in der Aktion letzten Winter 88 neue Lampen installiert und 44 ältere Modelle durch neue Lampen ersetzt. Nach der Intervention der Denkmalpflege hätten ungefähr 25 der neuen Lampen wieder entfernt werden müssen. Die Mehrkosten, die dadurch entstanden sind, kann Cartier nicht beziffern. Sagen lasse sich einzig, dass eine neue Lampe inklusive Montage auf circa 1600 Franken zu stehen komme. Aus Sicht von EWB sei die Sicherheit der Bevölkerung das oberste Ziel, das durch angemessene Beleuchtung erreicht werden soll, sagt Cartier.

 Laut Leistpräsident Franz ist es seit der "gut gemeinten aber teilweise misslungenen Aktion mit den neuen Lampen" an einigen Stellen noch dunkler als zuvor. In einer gemeinsamen Begehung im Verlauf dieses Monates soll nun eine Lösung für das Problem gefunden werden.

 Nause hat Verständnis

 Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) hat Verständnis für die Sorgen der Anwohner. Er sei bisher davon ausgegangen, dass das Lichtproblem bereits gelöst worden sei, so Nause. Über die Intervention der Denkmalpflege sei er nicht informiert worden. "Nun müssen wir einen sinnvollen Kompromiss finden, der für alle stimmt", sagt Nause. Es gebe auch aus seiner Sicht tatsächlich Stellen in der Altstadt, die besser ausgeleuchtet werden müssen. "Da braucht es mehr Licht als im Moment. Die Lücken zu schliessen, ist sicherlich die richtige Devise."

 Die Denkmalpflege der Stadt Bern war gestern für eine Stellungnahme nicht erreichbar.

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CENTRALWEG
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Bund 1.10.10

Der Pavillon auf der Brache am Centralweg ist da

 Auf der Brache am Centralweg im Berner Lorrainequartier tut sich etwas. Gestern ist der Pavillon angeliefert worden, den der im Quartier beheimatete Velokurierladen Ende Oktober für knapp zwei Jahre beziehen will ("Bund" vom 16. April). Das Gelände sorgte in diesem Frühling durch eine Besetzung der Stadttauben für Schlagzeilen.

 Dass der 9 auf 21 Meter grosse Pavillon bereits auf der Brache steht, erstaunt auf den ersten Blick. Denn die Baubewilligung dafür ist noch nicht erteilt. Die Einsprachefrist läuft erst am 18. Oktober ab. Solange der Pavillon nicht genutzt oder fest installiert werde, sei das Vorgehen aber zulässig, sagt Annette Hodel vom Bauinspektorat der Stadt Bern. Baumaterial zu lagern, sei erlaubt. Verantwortlich für die Zwischennutzung der Brache, auf der ab 2012 eine neue Überbauung realisiert werden soll, ist die städtische Liegenschaftsverwaltung. "Alle elektrischen Anschlüsse sowie die Wasserzufuhr und die Abwasserabfuhr sind noch nicht installiert. Damit wird natürlich bis zum Ablauf der Einsprachefrist zugewartet", schreibt Adjunktin Dagmar Boss auf Anfrage. Die Suche nach einem geeigneten Pavillon habe lange gedauert. Der Aufwand dafür sei unterschätzt worden, und es sei dabei "sicherlich Zeit verloren gegangen, die heute den Zeitplan sehr eng erscheinen lässt", schreibt Boss. (bro)

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RABE-INFO
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Fr. 1. Oktober 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Oktober_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Oktober_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%201.%20Oktober%202010
- 20 Jahre Deutsche Einheit - Ein Gespräch mit dem letzten Ministerpräsidenten der DDR
- Label Muslim/Muslima - Filme werfen differenzierten Blick auf den Islam
- Urbane Safari - letzter Teil: Rabenvögel

Links:
http://www.dasanderekino.ch

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Do. 30. September 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._September_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._September_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2030.%20September%202010
- Unersichungsbericht bestätigt Folter in brasilianischen Gefängnissen
- LGBT Konferenz soll in Bern stattfinden, dafür fehlt bisher das Geld
- Unterwegs mit dem Wildhüter der Stadt Bern

Links:
http://ilga.org

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ZIVILSTAND ILLEGAL
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St. Galler Tagblatt 2.10.10

Mehr Schein als Sein?

 An die 1000 Scheinehen werden pro Jahr in der Schweiz geschlossen. In Appenzell Ausserrhoden löst der Verdacht einer Scheinehe in knapp einem Dutzend Fällen nähere Abklärungen aus. Ein vertiefter Blick in den Kanton.

 Christa Wüthrich

 Hat der pensionierte Nachbar seine junge ausländische Ehefrau wirklich aus Liebe geheiratet? Wohnt das afrikanisch-schweizerische Paar im Quartier nur per forma zusammen? Und was ist mit der Ehe zwischen Asylsuchenden und Schweizern? Alles nur gespielt? "Um eine Scheinehe zu beweisen, braucht es nicht vage Verdächtigungen, sondern klare Indizien", betont Lars Thoma, Leiter des Ausserrhoder Amtes für Bürgerrecht und Zivilstand. Eine Ehe oder eingetragene Partnerschaft muss nicht aus Liebe geschlossen werden, um legal zu sein. Sicherheitsdenken, Familientraditionen, Pflichtbewusstsein oder das Einsparen von Steuern können Heiratsgründe sein. Um Scheinehen handelt es sich dabei noch lange nicht. Erst wenn durch eine Hochzeit das Ausländerrecht umgangen wird und das Paar nicht die Absicht hat, zusammenzuleben, kann man von einer Scheinheirat sprechen.

 Geforderte Transparenz

 Laut Schätzungen des Bundesamtes für Migration werden in der Schweiz jährlich an die 1000 Scheinehen geschlossen. In Appenzell Ausserrhoden erfolgten im vergangenen Jahr, basierend auf dem Verdacht einer Scheinehe, in zehn Fällen Abklärungen durch die Zivilstandsbehörden. Bei einem solchen Vorgehen müssen mehrere Aspekte konkret auf eine Scheinhochzeit hinweisen: zum Beispiel gefälschte Papiere, ein abgelehntes Asylverfahren, ein immenser Altersunterschied oder das Fehlen jeglicher Möglichkeit, sich verbal zu verständigen. Wer nun denkt, dass sich die Zivilstandsbeamten im Falle eines Scheinehe-Verdachts in emsige Detektive verwandeln, irrt. Verdeckte Recherchen, geheime Befragungen der Nachbarn oder gar überraschende Hausbesuche, um die Anzahl der Zahnbürsten im heimischen Badezimmer zu prüfen, gehören nicht zur Recherchestrategie der Beamten. Gefordert ist Transparenz. "Unser Ziel ist es nicht, Ehen zu verhindern, sondern Ehen zu schliessen. Das Paar wird direkt mit dem Verdacht der Scheinehe konfrontiert und aufgefordert, diesen mit Fakten zu entkräften. Gleichzeitig sammelt der Beamte Informationen zum Paar - sei es in Zusammenarbeit mit dem Amt für Migration, mit den Behörden oder mittels Migrationsinformationssystem", erklärt Lars Thoma.

 Langwierige Recherchen

 Die Nachforschungen können im Einzelfall mehrere Monate in Anspruch nehmen. Denn die Richtigkeit einer Geburtsurkunde aus dem Südsudan zu bestätigen, erfordert Zeit. Um eine binationale, in Kenia geschlossene Ehe anzuerkennen, sind Hintergrundinformationen nötig. In solchen Fällen wird die Schweizer Botschaft im entsprechenden Land eingeschaltet. Die Botschaftsangestellten beschaffen die Informationen und führen auch die Gespräche mit den im Ausland lebenden Verlobten. So kann bei Bedarf zeitgleich ein Verhör mit beiden Partnern geführt werden - zwar auf verschiedenen Kontinenten, aber mit identischen Fragen. Zusätzlich überprüft und beglaubigt der Kanton in Zusammenarbeit mit den Schweizer Botschaften pro Jahr an die 120 Ehen, die von Ausserrhoder Bürgern im Ausland geschlossen wurden. Auch dabei könnte es sich um Scheinhochzeiten handeln.

 Anderer Kanton, neue Chance

 Mit Blick auf die Scheinehe-Verfahren, die 2009 vom Kanton getätigt wurden, haben sich die Nachforschungen gelohnt: Der Verdacht hat sich in keinem der Fälle erhärtet. Wird der Verdacht jedoch bestätigt, wird den Heiratswilligen die Eheschliessung verweigert. Das abgewiesene Paar kann sein Glück in einem anderen Kanton versuchen. "Betreffend dem Thema Scheinhochzeit, einer entsprechenden Kooperation zwischen den Kantonen sowie der Erhebung von Zahlen stehen wir am Anfang", analysiert Lars Thoma die Situation. "Denn erst durch das 2008 eingeführte neue Ausländergesetz wurden Zivilstandesbeamte ermächtigt, eine Eheschliessung abzulehnen." Eine neu gegründete Ostschweizer Arbeitsgruppe (vertreten sind die Kantone TG, SG, GL, SH, AI und AR) fokussiert sich nun auf das Sammeln von Informationen, das Nutzen von Synergien und den Austausch von Erfahrungen.

 Die nächste rechtliche Änderung steht Anfang 2011 an. Ausgelöst durch eine parlamentarische Initiative von SVP-Nationalrat Toni Brunner werden ab Januar 2011 Personen, die keine gültigen Aufenthaltspapiere besitzen, in der Schweiz nicht mehr heiraten können. Abgewiesenen Asylsuchenden sowie Sans-Papiers wird somit das Recht der Eheschliessung in der Schweiz abgesprochen. "Viel wird sich betreffend Scheinehen durch diese Neuerung nicht ändern. Denn heiratswillige Sans-Papiers und abgewiesene Asylbewerber mit abgelaufener Ausreisefrist sind die Ausnahme. Das neue Gesetz zwingt Betroffene zu einer Heirat im Ausland, was die Aufdeckung von Scheinehen für die schweizerischen Zivilstandsbehörden nicht unbedingt einfacher macht."

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Die Frage nach der Verhältnismässigkeit
 
Das neue "Handbuch zum Migrationsrecht" erklärt nicht nur die Rechtslage bei Scheinehen, sondern bietet auch einen Überblick über das geltende Ausländergesetz in der Schweiz.

 Von A wie Asylrecht bis Z wie Zweckbindung: Das kürzlich erschienene "Handbuch zum Migrationsrecht" erklärt das Schweizer Ausländerrecht verständlich. Das Autoren-Trio, bestehend aus den Rechtsanwälten Marc Spescha, Antonia Kerland und Peter Bolzli, thematisiert in seinem Werk nicht nur Bewilligungsarten, Zwangsmassnahmen und Strafbestimmungen, sondern auch die Problematik der Scheinehen - nicht ohne kritischen Unterton!

 Mit Verhältnismässigkeit…

 Denn sollen die für 2011 geplanten Rechtsänderungen umgesetzt werden (s. Kasten), muss dies in Übereinstimmung mit dem Grund- und Menschenrecht auf Ehe geschehen. "Eine Eheschliessung der betroffenen Personenkategorien (Sans-Papiers und Menschen ohne gültige Aufenthaltspapiere) darf in der Schweiz also nicht pauschal verweigert oder übermässig erschwert werden", bringen es die drei Buchautoren auf den Punkt. Wie dies in der Praxis umgesetzt werden soll, erklärte Justizministerin Evelyn Widmer-Schlumpf während einer Parlamentsdebatte: "Bei der Anwendung im Einzelfall soll auch dem Grundsatz der Verhältnismässigkeit Rechnung getragen werden, damit nicht unüberwindbare Hindernisse für das Eingehen einer Ehe oder Eingetragen einer Partnerschaft geschaffen werden."

 …und Fragenkatalog

 Die Paare, welche von den Behörden mit dem Verdacht auf eine Scheinehe konfrontiert werden, müssen sich heute einer Vielzahl von Fragen stellen. Wie dieser Fragenkatalog aussehen kann, zeigt das neue Migrations-Handbuch auf. Zu finden ist die Frageliste "Vorbereitung zur Heirat", mit welcher das Thurgauer Migrationsamt 2008 versuchte, einen Scheinehe-Verdachtsfall zu klären, sowie eine Auswahl an Fragen, welche das Aargauer Migrationsamt vergangenes Jahr in einem Einzelfall verwendete (Auszug der Fragen siehe Kasten). Ob diese Fragen wirklich den echten Willen eines Paares zur Eheschliessung beweisen oder dazu führen, dass eine Scheinehe aufgedeckt wird, bleibt jedoch höchst fraglich. (wü)

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Fragebogen gegen Scheinehen?

 Beispiele der vom Thurgauer oder Aargauer Migrationsamt verwendeten Fragen, um den Verdacht einer Scheinehe zu entkräften:

 Wann (Tag, Monat, Jahr) und wo haben Sie Ihren zukünftigen Ehepartner kennengelernt (genaue Angaben)? Wie kam es zum Treffen? Wie ging das Kennenlernen vor sich? Wie oft haben Sie sich anschliessend getroffen? Wurde die Bekanntschaft durch einen Dritten vermittelt? Wenn ja, durch wen? Was fanden Sie an Ihrem zukünftigen Ehegatten so interessant, dass die Beziehung aufrechterhalten wurde? Von wem kam der Vorschlag, sich wieder zu treffen? Wer hatte die Idee zu heiraten? Wie viele Male waren Sie bei Ihrem zukünftigen Ehepartner im Heimatland? Wie viele Male war Ihr zukünftiger Ehegatte bei Ihnen in der Schweiz? Wer kommt für den gemeinsamen Lebensunterhalt auf? Wie stellen Sie sich die gemeinsame Zukunft vor? Was sagen Sie zum Altersunterschied? Wie sehen Sie diesen in Zukunft? Sollte Ihr zukünftiger Ehegatte keine Einreise- und Aufenthaltsbewilligung für die Schweiz erhalten, wären Sie bereit, im Heimatland des Partners zu leben? (wü)

 "Handbuch zum Migrationsrecht" 2010. Marc Spescha, Antonia Kerland, Peter Bolzli; Orell-Füssli-Verlag, Zürich.

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AUSSCHAFFUNGS-INITIATIVE
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20 Minuten 1.10.10

Abstimmung: Linke wollen Ospel und Blatter ausschaffen

 BERN. Die Linke provoziert mit einer Plakatkampagne zur Ausschaffungsinitiative: Marcel Ospel, Sepp Blatter und auch Wilhelm Tell seien kriminell - und müssten raus aus der Schweiz.

 Am 28. November stimmt die Schweiz über die Ausschaffungsinitiative ab. Ausländer, die schwere Delikte gegen Leib und Leben, Sozialhilfemissbrauch, Drogenhandel oder Einbruch begehen, sollen laut dem Willen der SVP ausgeschafft werden. Der Gegenvorschlag sieht vor, Ausländer konsequent auszuweisen, wenn sie zu mindestens zwei Jahren Gefängnis verurteilt wurden.

 Nun greift die Alternative Liste (AL) mit einer gewagten Plakatkampagne in den Abstimmungskampf ein: Fifa-Boss Sepp Blatter soll wegen "Beteiligung an krimineller Organisation", Ex-UBS-Chef Marcel Ospel wegen "arglistiger Vermögensvermehrung" und Wilhelm Tell wegen "Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte" ausgeschafft werden. Aufgehängt werden sollen mehrere Hundert Plakate in der Deutschschweiz. "Jugos hängt man, Abzocker lässt man laufen", sagt AL-Vorstandsmitglied Niklaus Scherr. Man wolle zeigen, dass auch waschechte Eidgenossen Dreck am Stecken hätten - obwohl diese natürlich nicht ausgeschafft werden könnten. Die Kampagne solle aber auch zum Schmunzeln anregen. Scherr: "Der SVP-Liebling Tell war selbst eine Art Terrorist - das ist ein Tritt an deren Schienbein."

 Die Plakatkampagne könnte ehrverletzend sein, sagt Ivan Schultheiss, Geschäftsführer des Aussenwerbungsunternehmens APG. "Im Falle einer Reservation würden wir den Inhalt juristisch prüfen und womöglich den jeweiligen Städten vorlegen." Ospel und Blatter konnten für eine Stellungnahme nicht erreicht werden. nm/dp

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AUSSCHAFFUNGEN
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Rundschau 29.9.10

Kontroverse um Ausschaffung

Augenzeugen berichteten von wüsten Szenen: Die Eltern von vier kleinen Kindern sollen gefesselt, mit Gesichtsmasken versehen und in einen Bus geworfen worden sein. Danach hat der Kanton Graubünden die sechsköpfige Familie nach Syrien ausfliegen lassen. Ein Untersuchungsbericht kommt nun zum Schluss: Die Behörden haben korrekt gehandelt. Amnesty International aber hält an ihrer Kritik fest.
http://videoportal.sf.tv/video?id=a651e637-febb-4f46-9f00-2e321e46c60e

* Dossier "Asyl in der Schweiz"
http://www.sf.tv/sfwissen/dossier.php?docid=17387&navpath=pol/inl

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DROGEN
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NZZ 2.10.10

Gemischte Bilanz im Kampf gegen Mohnanbau
 
Die Opiumproduktion in Afghanistan hat sich laut der Uno halbiert, doch die Grösse der Anbaufläche blieb konstant

 Trotz millionenschweren Drogenbekämpfungsprogrammen ist der Mohnanbau in Afghanistan 2010 nicht nachhaltig zurückgegangen. Wegen einer Krankheit brach die Opium-Ernte zwar um fast die Hälfte ein, die Anbaufläche blieb aber gleich gross.

 Andrea Spalinger, Delhi

 Das United Nations Office on Drugs and Crime (UNODC) zieht in seinem diesjährigen Bericht zum Mohnanbau in Afghanistan eine gemischte Bilanz. Die Produktion von Rohopium fiel 2010 im Vergleich zum Vorjahr zwar um 48 Prozent auf 3600 Tonnen. Der Rückgang ist aber auf den Befall der Mohnfelder im Süden mit einer Krankheit zurückzuführen. Die Anbaufläche, die ausschlaggebend ist, wurde im Vergleich zum Vorjahr nicht kleiner, sondern stagniert bei 123 000 Hektaren. Auch die Zahl der Haushalte, die vom Mohnanbau leben, blieb mit knapp 250 000 etwa gleich gross wie 2009.

 Millionenschwere Programme

 Der "Afghan Opium Survey" des UNODC basiert auf Luftaufnahmen und Befragungen von Bauern, Sicherheitskräften und Drogenbekämpfern in den verschiedenen Provinzen. Afghanistan produziert rund 90 Prozent des Rohopiums - aus dem Heroin hergestellt wird - weltweit. In den letzten Jahren war der Mohnanbau am Hindukusch kontinuierlich zurückgegangen.

 Der jüngste Bericht ist deshalb ziemlich ernüchternd und stellt einen schweren Rückschlag für die Nato und ihre zivilen Partner in Afghanistan dar. Nicht zuletzt, weil auch 2010 wieder Hunderttausende von Dollars in Drogenbekämpfungsprogramme geflossen sind. Allein die USA haben im laufenden Fiskaljahr 250 Millionen Dollar ausgegeben, um Mohnfelder zu zerstören und Bauern mit Subventionen dazu zu bewegen, auf anderes Saatgut umzustellen. Offensichtlich ohne grossen Erfolg. Auch die Zerstörung von Mohnfeldern war 2010 mit 2316 Hektaren so gering wie nie seit Beginn der Überwachung durch das UNODC 2005.

 Die meisten Bauern in Afghanistan sind bitterarm und können mit ihrem winzigen und kargen Stück Land kaum ihre Familien ernähren. Verständlicherweise bauen sie deshalb jenes Saatgut an, das den grössten Gewinn verspricht. Zwischen 2005 und 2009 ist der Marktpreis von Rohopium stetig gesunken und der Mohnanbau entsprechend zurückgegangen. Der Produktionseinbruch in diesem Jahr hat jedoch zu einem starken Anstieg des Opiumpreises geführt und dürfte deshalb eine kontraproduktive Wirkung auf die Drogenbekämpfungsbemühungen haben.

 Hatten die Bauern 2009 noch 64 Dollar pro Kilogramm Rohopium bekommen, liegt der Preis heute bei 169 Dollar. Die Einnahmen der Landwirte aus dem 2010 produzierten Opium sind damit trotz deutlichem Ernterückgang um 40 Prozent auf über 600 Millionen Dollar gestiegen.

 Die höheren Opiumpreise dürften laut dem jüngsten Uno-Bericht viele Bauern ermuntern, in der kommenden Saison Mohn anzubauen, nicht zuletzt solche, die in den letzten Jahren damit aufgehört hatten. Die Aussaat beginnt in Südafghanistan (wo das meiste Opium produziert wird) im Dezember. Im Frühjahr nächsten Jahres dürfte sich entsprechend abzeichnen, ob die Anbauflächen tatsächlich zunehmen. Sämtliche Experten erwarten einen deutlichen Zuwachs, vor allem auch deshalb, weil der Preis von Weizen, dem wichtigsten Nahrungsmittel im Land, derzeit auf einem absoluten Tief liegt.

 Vor allem im Süden angebaut

 Fast 98 Prozent des Mohns werden laut dem Uno-Bericht in neun Provinzen im Süden und Westen Afghanistans angebaut, über welche die Regierung kaum Kontrolle hat. Helmand und Kandahar liegen mit grossem Abstand an der Spitze der Drogenproduzenten. Helmand allein produzierte in diesem Jahr über die Hälfte des Opiums im ganzen Land. Ein kleiner Lichtblick ist, dass die 20 Provinzen, die vor zwei Jahren für "Mohn-frei" erklärt worden waren, dies auch geblieben sind.

 Laut der UNODC macht die regionale Konzentration des Mohnanbaus deutlich, dass zwischen Drogenanbau und schlechter Sicherheitslage ein enger Zusammenhang besteht. In den Provinzen, wo weder die afghanische Regierung noch internationale Hilfsorganisationen präsent seien, blühe der Mohn, heisst es in dem Bericht. Durch den Drogenhandel füllten lokale Milizenführer, ehemalige Warlords, Verbrechersyndikate und die Taliban ihre Kriegskassen. Westliche Diplomaten schätzen, dass die Aufständischen 100 Millionen Dollar jährlich am Drogengeschäft verdienen.

 Der Chef des UNODC, Juri Fedotow, betonte bei der Präsentation des "Afghan Opium Survey" in Wien, der Mohnanbau könne einzig durch die Schaffung von mehr politischer Stabilität und Sicherheit in Afghanistan gestoppt werden. Solange in weiten Teilen des Landes Krieg herrsche, werde man das Drogenproblem nicht in den Griff bekommen. Fedotow rief die internationale Gemeinschaft dazu auf, alles in ihren Möglichkeiten Stehende zu tun, um den Rechtsstaat und die afghanischen Sicherheitskräfte zu stärken. Ausserdem müssten die Entwicklungsbemühungen verstärkt werden, damit es sich die Bauern auch leisten könnten, etwas anderes als Mohn anzubauen.

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Tagesanzeiger 1.10.10

Voll mit Kokain

 Nigerianische Dealer dominieren den Kokainhandel schweizweit. Lose organisiert, sind sie schwer zu fassen.

 Von Stefan Hohler

 "Kontrolle in Asylunterkunft", "Bodypacker verhaftet", "Kokain sichergestellt", "Kügelidealer festgenommen" - regelmässig berichtet die Polizei über Verhaftungen und Razzien in der Kokainszene, und fast immer spielen Nigerianer dabei eine Rolle. Innerhalb weniger Jahre ist es nigerianischen Dealern gelungen, den Kokainhandel nicht nur in der Stadt Zürich, sondern auch schweizweit zu dominieren. Ein Phänomen, das eng mit der Zunahme afrikanischer Asylbewerber zusammenhängt, wie Beat Rhyner, Fahndungschef der Stadtpolizei Zürich, feststellt. Seit Mitte der Neunzigerjahre als Kügelidealer im Strassenhandel aktiv, mischen sie zunehmend auch im Drogentransport und -schmuggel mit. Das Bundesamt für Polizei schätzt, dass 25 bis 40 Prozent des aus Lateinamerika stammenden Kokains via Westafrika nach Westeuropa geschmuggelt werden. Die Mehrheit der Dealer stamme aus Nigeria. Eine Minderheit komme aus Sierra Leone, Guinea, Gambia und der Elfenbeinküste.

 Laut Beat Rhyner hat es die Polizei in den letzten Jahren vermehrt mit Afrikanern mit der Aufenthaltsbewilligung B oder der Niederlassungsbewilligung C zu tun. Diese Bewilligungen haben sie oft durch Heirat mit einer Schweizerin oder einer Frau mit C-Bewilligung erlangt. Ein ähnliches Phänomen habe man zuvor bei Dominikanern in Zürich beobachtet. Nach der Räumung der offenen Drogenszene am Letten im Frühling 1995 hatten die Dominikaner die Libanesen aus dem Kokainhandel verdrängt. Sie sind der Polizei zufolge auch heute noch gross im Geschäft. Sie "mischeln" aber nicht mehr im Strassenhandel mit. Inzwischen sind sie eine Hierarchiestufe aufgestiegen und importieren Drogen im grossen Stil in die Schweiz.

 Im Gegensatz zu den Westafrikanern waren die Dominikaner aber nicht als Asylbewerber in die Schweiz gereist, sondern mit einem Touristenvisum. Viele von ihnen erhielten durch Heirat die Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung oder wurden sogar eingebürgert. Erleichtert wurde der Zuzug der Dominikaner dadurch, dass viele Frauen aus der Dominikanischen Republik bereits als Prostituierte hier lebten und mit Schweizern verheiratet waren.

 Geschickte Manipulatoren

 Die nigerianischen Dealer ihrerseits zeichnen sich den Ermittlern zufolge durch grosses Manipulationsvermögen aus und wissen die Gutgläubigkeit ihrer Partnerinnen auszunützen. Viele Schweizer Frauen fallen auf ihre zuvorkommende Art und ihren Charme hinein. Dies illustriert der Fall eines 37-jährigen Nigerianers, dem die Aargauer Kantonspolizei auf die Spur gekommen ist: Der Mann ist in den Neunzigerjahren als Asylbewerber eingereist, seit zwölf Jahren mit einer Schweizerin verheiratet und inzwischen eingebürgert. Er arbeitet als Lagerist, sie ist IV-Rentnerin: Sie kommen gemeinsam auf offiziell 8500 Franken monatlich und bewohnen mit den beiden Kindern ein Einfamilienhaus.

 Der Mann führt aber ein Doppelleben. Neben der Arbeit organisiert er ein Drogengeschäft im grossen Stil und fungiert als "Brückenkopf" für den Kanton Aargau. Den Handel mit 3,8 Kilogramm Kokain hat die Polizei ihm nachgewiesen. Zudem soll er 1,4 Kilogramm Kokain aus den Niederlanden importiert und über 110 000 Franken gewaschen haben. Der Mann wurde zu einer siebenjährigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die Frau hatte laut Polizei von seinem Drogenhandel keine Ahnung und war bei der Verhaftung völlig überrascht gewesen. Der Mann hatte ihr vorgemacht, die unzähligen Treffen und Telefonate mit Landsmännern hätten mit seiner Nebentätigkeit im Autoexport zu tun.

 Die Aufenthalts- und Niederlassungsbewilligung gibt den Männern die Möglichkeit, sich in ganz Europa frei zu bewegen und auch im Zwischenhandel aktiv zu sein. Hilfreich ist dabei, dass es in fast allen europäischen Ländern Auswanderer-Gemeinschaften aus Nigeria gibt, dem mit rund 150 Millionen Einwohnern bevölkerungsreichsten Land Afrikas. Das ermöglicht es den Dealern, sich im eigenen Umfeld zu bewegen und kriminell zu organisieren.

 Nicht nur in Europa, auch in vielen afrikanischen Ländern, in Südamerika (Brasilien, Venezuela) und der Karibik (Niederländische Antillen, Surinam) sind nigerianische Drogenbanden aktiv. Im vergangenen November ist im Norden Malis eine ausgebrannte Boeing 707 gefunden worden, die laut dem Bundesamt für Polizei dazu gedient hatte, tonnenweise Kokain von Venezuela nach Westafrika zu transportieren.

 Kuriere aus Osteuropa

 Die Dealernetze betreiben ein internationales Kuriersystem, das in der Lage ist, grosse Mengen Kokain in die Schweiz zu liefern. Sie verändern die Schmuggelrouten und Vertriebskanäle ständig und setzen immer wieder andere Kuriere ein. Die Drogen werden häufig auf dem Luftweg in die Schweiz geschmuggelt. Oft durch sogenannte Bodypacker, die das Kokain in Fingerlingen schlucken. Daneben gelangen grosse Mengen Kokain auf Schiffen nach Europa, wo die Drogen dann mit Autos und der Bahn weiterverteilt werden: Die Niederlande (Rotterdam, Amsterdam) und Spanien sind die beiden wichtigsten europäischen Drehscheiben.

 Seit Mitte 2009 stellt die Polizei in der Schweiz eine neue Transportstrategie fest: Die westafrikanischen Netzwerke setzten vermehrt Kuriere aus dem Balkan oder Osteuropa ein. Hintergrund dieser Entwicklung sind die vermehrten Kontrollen und Verhaftungen afrikanischer Dealer. "Westafrikanische Drogenhändler bekundeten in der Folge Schwierigkeiten, aus Afrika stammende Personen für den Kurierdienst mit dem Ziel Schweiz zu rekrutieren", schreibt das Bundesamt für Polizei im Jahresbericht 2009. Insbesondere Nigerianer würden es ablehnen, die gefährlichen Kurierfahrten zu unternehmen.

 Die Nigerianer sind ausgezeichnete Händler, das bestätigen alle Fachleute, die sich mit dem Kokainhandel beschäftigen. Die Dealer sind flexibel und haben keine Berührungsängste, mit anderen Volksgruppen zusammenzuspannen, wenn es dem Geschäft dient.

 In Netzwerken organisiert

 Im Gegensatz zu den Albanern, die den Heroinhandel in der Schweiz dominieren, haben die nigerianischen Drogendealer flache Hierarchien und sind nicht clanmässig organisiert. Sie haben Netzwerkstrukturen, die sich immer wieder neu formieren. Sie arbeiten also nicht in straff geführten Banden.

 Diese Organisationsstruktur erschwert die Strafverfolgung. Deshalb arbeiten die kantonalen Polizeikorps seit Frühjahr 2009 unter der Federführung des Bundesamtes für Polizei unter dem Projekttitel "Cola" eng zusammen. Die Arbeit ist aufwendig, die Kosten sind hoch: Allein der Kanton Aargau hat im letzten Jahr für Telefonkontrollen und Übersetzungen - die nigerianischen Dealer sprechen Igbo, eine Sprache, die nur wenige Dolmetscher kennen - rund 1,2 Millionen Franken ausgegeben. Nur schon die Identität der beteiligten Personen zweifelsfrei festzustellen, ist schwierig.

 Kokain ist heute in der Schweiz nach Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Tendenz steigend - im Gegensatz zum Heroin, wo der Konsum stabil bis abnehmend ist. Im letzten Jahr haben Polizei und Zoll landesweit 560   Kilogramm Kokain sichergestellt: ein neuer Rekord. Kokain wird praktisch überall verkauft, in Clubs, Restaurants oder Privatwohnungen, wobei in der Stadt Zürich nur ein kleiner Teil von Strassenhändlern im Langstrassenquartier feilgeboten wird. Der Gassenpreis für ein Gramm Kokain beträgt 50 bis 100   Franken. Ein Kügeli, wie es an der Langstrasse verkauft wird, kostet zwischen 20 und 50 Franken.

 Bignascas Stoff, Seite 16

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Erhielt Bignasca den Stoff von der 'Ndrangheta?

 Der Präsident der Lega dei Ticinesi soll einem Kurier der Mafia in sieben Monaten ein Kilo Kokain abgekauft haben. "Die spinnen", sagt er zu diesen Vorwürfen.

 Von René Lenzin, Lugano

 Giuliano Bignasca hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass er früher regelmässig Kokain konsumierte. Der mittlerweile 65-jährige Präsident auf Lebzeiten der Lega dei Ticinesi ist wegen Verstössen gegen das Betäubungsmittelgesetz auch zu einer unbedingten Strafe von 30 Tagen verurteilt worden, die er in Halbgefangenschaft abgesessen hat. Doch nun könnte Bignascas Drogenkonsum eine neue Dimension erhalten.

 Die Tessiner Tageszeitung "La Regione" berichtete gestern, Bignasca habe in den 90er-Jahren Kokain von einem Drogenkurier der kalabresischen 'Ndrangheta bezogen. Sie zitiert dabei aus Aussagen, welcher dieser Kurier gegenüber den eidgenössischen Ermittlungsbehörden gemacht haben soll. Im Zeitraum zwischen 1993 und 1997 habe er Bignasca insgesamt sieben Monate lang Kokain gebracht, sagte der Kurier in zwei Verhören in den Jahren 2004 und 2005. Immer donnerstags habe er 30 bis 50 Gramm geliefert, insgesamt wohl gut 1 Kilogramm.

 Stimmen diese Aussagen, hätte Giuliano Bignasca entweder pro Tag durchschnittlich fünf Gramm Kokain konsumiert oder einen Teil der Drogen weitergegeben. Darauf angesprochen, sagt er, er könne sich nicht mehr an alle Details aus dieser Zeit erinnern. Aber sicher habe er nie so grosse Mengen konsumiert. Wer das behaupte, sei schlicht verrückt. Und dann wiederholt er, was er bereits früher gesagt hat: "Ich habe nie mit Drogen gehandelt."

 Vergehen wäre verjährt

 Bignasca will auch den besagten Drogenkurier nicht kennen. Er bestätigt zwar die Berichte von "La Regione", wonach er von der Bundesanwaltschaft im Zusammenhang mit 'Ndrangheta und Drogenhandel vorgeladen worden ist. Die Ermittler hätten ihm verschiedene Fotos gezeigt, doch er habe keine der darauf abgebildeten Personen erkannt. Laut Bignasca hat diese Anhörung in den "ersten Jahren des Jahrzehnts" stattgefunden, laut "La Regione" im Oktober 2005. Mit rechtlichen Konsequenzen muss der umstrittene Tessiner Politiker nicht rechnen, da ein allfälliges Vergehen verjährt wäre.

 Bignasca wehrt sich

 Bei den Ermittlungen, aus denen "La Regione" zitiert, handelt es sich um den Fall "Quatur". Es geht um die mutmasslichen Aktivitäten eines 'Ndrangheta-Clans in der Schweiz. Ausgelöst worden sind die Ermittlungen durch den Zusammenbruch zweier Finanzgesellschaften in Zürich, die der Mafia als Vehikel für die Geldwäscherei gedient haben sollen. Im Sommer hat das Untersuchungsrichteramt seinen Schlussbericht an die Bundesanwaltschaft übergeben, die nun über eine Anklage vor dem Bundesstrafgericht befinden muss. Mögliche Delikte sind organisierte Kriminalität, Geldwäscherei, Drogen- und Waffenhandel.

 Mit solchen Dingen habe er nichts am Hut, betont Bignasca. Er ist überzeugt, dass die Berichte von "La Regione" einen politischen Hintergrund haben. Mattinonline.ch, die Website seiner Sonntagszeitung "Il Mattino della Domenica", schrieb gestern von einer "Pressekampagne, die darauf abzielt, Giuliano Bignasca wenige Monate vor den kantonalen Wahlen zu diskreditieren".

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TABAK
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Beobachter 1.10.10

Teufelskraut oder Göttergeschenk

 Kulturgeschichte Je nach Epoche galt Tabak als Werk des Satans oder als göttliche Pflanze. Er war zugleich Droge der Armen wie der Adeligen. Heute wird das ehemalige Symbol der Freiheit vor allem als profanes Suchtmittel gesehen.  

Text: Tatjana Stocker

 Gefährlich war Rauchen schon immer: Als Rodrigo de Jerez, ein Begleiter von Kolumbus, aus Mund und Nase qualmend aus Amerika heimkehrte, wurde er umgehend in den Kerker geworfen. Die Inquisition hielt ihn für einen Abgesandten des Teufels.

 Die Spanier hatten nicht schlecht gestaunt, als sie nach ihrer Landung in Amerika die Ureinwohner mit "glühenden Kohlen in den Händen" sahen, "von wohlriechenden Kräutern in Brand gehalten". Rauchen war aber nicht die einzige Methode der Indianer, um dem Körper Nikotin zuzuführen: Sie tranken Tabaksaft oder führten sich das Narkotikum gar mittels Klistier ein.

 In Europa galt Tabak anfangs als sündiges Teufelswerk, das Kirche und Obrigkeit vehement bekämpften. Papst Urban VIII. belegte 1642 das Rauchen mit einem Bann, und für James I., König von England und Schottland, war Tabakrauchen "die grösste aller Sünden". Es schädige Gehirn und Lunge, führe zu Müssiggang und zur Verschwendung, schrieb er bereits 1603 in einem höchstpersönlich verfassten Pamphlet. Erstaunlicherweise sind in der Streitschrift des Königs schon alle bis heute geltenden Argumente gegen das Rauchen aufgelistet. Auch die Schädlichkeit des Passivrauchens wird von ihm bereits ins Feld geführt.

 Besonders brutal gingen die Herrscher im Osten gegen das westliche Laster vor: 1634 erliess der russische Zar ein totales Rauchverbot, Raucher wurden ausgepeitscht, ihre Nasen und Lippen aufgeschnitten, bevor sie in die Verbannung geschickt wurden. Auf Tabakhandel stand gar die Todesstrafe. Zur selben Zeit liess der persische Schah Safi I. Rauchern flüssiges Blei in den Hals giessen. In der Türkei wurden Tabak- und Kaffeehäuser zerstört und Tausende Raucher gepfählt oder geköpft. Die Verbreitung des Krauts konnten die drastischen Massnahmen und drakonischen Strafen freilich nicht verhindern: Vom Ende des 16. bis zum Anfang des 17. Jahrhunderts zieht der Tabakqualm bis in die letzten Winkel des Globus.

 Doch längst nicht allen Kulturen galt Tabak als Teufelskraut: Die Maya verehrten ihn als gottähnlich, und die Indianer Perus, die Tabakpflanzen bereits im dritten Jahrtausend vor Christus anbauten, setzten das als heilig geltende Wunderkraut bei rituellen Räucherungen ein. Noch heute spielt Tabak bei den nordamerikanischen Indianern eine Rolle, etwa als Gastgeschenk.

 Seinen botanischen Namen erhielt das Nachtschattengewächs Nicotiana tabacum übrigens zu Ehren von Jean Nicot (1530-1604), dem französischen Botschafter am portugiesischen Hof, der das Kraut in Frankreich einführte. Nach Nicot wurde im 19. Jahrhundert auch der wichtigste, chemisch isolierte Wirkstoff der Tabakpflanze benannt: das Nikotin.

 In der Schweiz wird Tabak seit der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts konsumiert. Das Wie hing nicht zuletzt von der sozialen Stellung ab: Die Armen bedienten sich des Kautabaks, die Soldaten, Studenten und "niederen Stände" pafften Pfeife, die vornehme Gesellschaft des Rokoko aber griff zur Dose Schnupftabak. Napoleon etwa soll sich jährlich nicht weniger als 80 Pfund Tabak in die Nase gesteckt haben.

 Tabakkonsum war in Europa immer schon eher männlich besetzt. Das aufstrebende Bürgertum des 19. Jahrhunderts machte Rauchen gänzlich zu einem männlichen Exklusivrecht. Nur verruchte Weibsbilder wagten es noch, dieses Tabu zu verletzen; rauchende Frauen wie die Tänzerin Lola Montez und die Schriftstellerin George Sand signalisierten damit ihre Aussenseiterstellung. Auch im Privaten herrschte eine strikte Trennung: Wo die Hausfrau waltete, war eine rauchfreie Zone, im Herrenzimmer und in der Bibliothek, wo die Männer unter sich waren, wurde indessen tüchtig gequalmt.

 Alltäglich machte das Rauchen erst die grosse Neuerung im Tabakwarenmarkt: die Zigarette. Sie war leicht zugänglich und schnell konsumierbar. Von Russland her verbreitete sich die erst nur in Adelskreisen konsumierte Orientzigarette, ein eigentliches Luxusprodukt - die Hülle war aus Seidenpapier, die Schachteln waren mit Arabesken verziert - im Westen. Der starke Anstieg des Zigarettenkonsums nahm jedoch erst mit den Weltkriegen seinen Anfang.

 "Mit dem Krieg änderte sich auch der Status der Zigarette", schreibt der deutsche Suchtforscher Hasso Spode in einem Beitrag zur Geschichte des Tabakgenusses in Europa. Ihr Hauch von Luxus und Boudoir habe sich erst in den Schützengräben verflüchtigt, der Glimmstängel sei zur Überlebenshilfe geworden: Er habe geholfen, die Hölle zu ertragen, durchzuhalten.

 Nach 1945 gierte Europa geradezu nach Nikotin: Die nach dem Krieg eingeführten hellen Zigaretten hatten durchschlagenden Erfolg. Der amerikanische, "blonde" Typ der Filterzigarette galt als gesünder als herkömmliche Zigaretten und lief Pfeife und Zigarre den Rang ab. Seither werden in Mitteleuropa über neun Zehntel des Tabaks als Zigaretten konsumiert.

 Die Schützengräben der beiden Weltkriege markieren auch die Geburt des Mythos Zigarette - als Symbol einer kleinen, eingeschworenen Gemeinschaft, die beim Rauchen Trost und Zuspruch findet. Fortan durfte die Zigarette an keinem Lagerfeuer - man denke an die berühmte Marlboro-Cowboy-Kampagne - mehr fehlen. Auf der Leinwand steckten sich harte Kerle wie Humphrey Bogart oder Clint Eastwood eine Zigarette an, sobald es galt, Kräfte zu sammeln, Nerven zu stählen oder sich angesichts höchster Gefahr den nötigen Mut einzuflössen. In romantischeren Situationen wiederum gehörte die "Zigarette danach" in den Filmbetten praktisch zum guten Ton.

 In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts griffen auch immer mehr Frauen und Jugendliche - die Werbung der boomenden Zigarettenindustrie trug das Ihre dazu bei - zum Glimmstängel. Wer rauchte, so die suggestive Botschaft, galt als cool, modern, unabhängig. Dass die Emanzipation der Frau ihren symbolischen Ausdruck in einer drastisch ansteigenden Zahl von Raucherinnen fand, ist in diesem Zusammenhang wenig verwunderlich. Rauchen galt als Ausdruck einer Befreiung von allen möglichen Zwängen - und erreichte damit eine kulturpolitische wie kulturphilosophische Dimension.

 Unterdessen hat der Zeitgeist längst wieder gedreht. Das immer detailliertere medizinische Wissen über die Schädlichkeit des Tabakkonsums hat die gesellschaftliche Norm des Rauchens ins Wanken gebracht. Der aus den USA stammende "Terry Report" von 1964 über das erhöhte Lungenkrebsrisiko führte zu einem Problembewusstsein, das auch in Europa einen Rückgang des Rauchens, zumeist in den gebildeten Schichten, auslöste.

 Dass das Gesundheitsbewusstsein heute sehr ausgeprägt ist, zeigt sich auch darin, dass Raucher in den letzten Jahren fast völlig von der Kinoleinwand verschwunden sind. Wer kann sich heute noch einen kettenrauchenden Helden vorstellen? Alles deutet darauf hin, dass die Kultur des Rauchens in den Industrieländern vermehrt geächtet, der Tabak tabuisiert wird. Anders sieht es in den Schwellenländern aus: Dort verzeichnet der Tabakkonsum immer noch Wachstumsraten.

 Vorreiter der westlichen Anti-Rauch-Kampagnen sind die USA, wo der Kampf gegen das Rauchen seit über 40 Jahren unerbittlich geführt wird. In der Öffentlichkeit kommen immer mehr Rauchverbote zum Tragen, und bereits die Kinder lernen, dass Zigaretten gesundheitsschädigend sind und sich ungünstig aufs Wachstum auswirken.

 Der Wertewandel hinterlässt Spuren in der Gesellschaft: Tabak, einst mit Genuss assoziiert, wird heute vorwiegend als schädliches Suchtmittel betrachtet, Rauchen mit Bildungsmangel und niederen sozialen Schichten in Verbindung gebracht, Raucherinnen und Raucher als Süchtige stigmatisiert.

 Gesundheitspolitisch wird der Tabakkonsum auf der ganzen Welt ein immer wichtigeres Thema. Fast drei Viertel der europäischen Staaten haben bereits Rauchverbote oder Einschränkungen beschlossen, und beinahe alle verbieten die Aussenwerbung für Tabakprodukte. 28 europäische Länder haben die Abgabe an Jugendliche untersagt.

 Auch hierzulande haben Präventionsmassnahmen an Gewicht gewonnen. Über 9000 Tabaktote und elf Milliarden Franken soziale Kosten jährlich sind starke Argumente, um dem Tabak den Kampf anzusagen. Bereits 2001 beschloss der Bundesrat ein nationales Programm zur Tabakprävention (NPTP), das Informationskampagnen, Regulierung von Markt und Werbung, Jugend- und Nichtraucherschutz sowie Raucherentwöhnungshilfen umfasst. Seit 2003 werden entsprechende Projekte über einen Tabakpräventionsfonds finanziert, der mit einer Abgabe von 2,6 Rappen pro Packung Zigaretten gespeist wird.

 Das Bundesgesetz zum Schutz vor Passivrauchen trat im Mai 2010 in Kraft. "Passivrauchen schadet der Gesundheit. Es verursacht Lungenkrebs, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Asthma und Infektionen der Atemwege", begründet das Bundesamt für Gesundheit das Gesetz. Seither sind alle geschlossenen Räume, die mehreren Personen als Arbeitsplatz dienen, rauchfrei; ebenfalls alle geschlossenen Räume, die öffentlich zugänglich sind.

 Verboten sind in der Schweiz auch die Werbung und das Sponsoring für Tabakprodukte im Radio und im Fernsehen; bereits zehn Kantone haben auf ihrem Territorium die Plakatwerbung für Tabakprodukte untersagt.

 Schockbilder von Krebsgeschwüren oder faulendem Zahnfleisch, wie sie seit Anfang 2010 in der Schweiz vorgeschrieben sind, können Raucher zum Aufhören bewegen. Das halten Experten für bewiesen. Eine vierjährige internationale Studie mit 15 000 Rauchern hat ergeben, dass die Ekelfotos tatsächlich abschrecken. Im internationalen Vergleich zeige sich, dass in den Ländern, die die Bilder nutzten, die Bereitschaft der Raucher zum Aufhören deutlich steige, so die Forscher in der 2007 veröffentlichten Untersuchung. Besonders wirksam seien Bilder von echten Krebsgeschwüren.

 So unbestritten die Bedeutung des Tabaks in der Kulturgeschichte ist, so umstritten war immer sein Gebrauch - und ist es noch heute: Entweder man schätzt oder verabscheut ihn. "Der Tabak hat eine weltgeschichtliche Bedeutung. Jeder muss ihm das zuerkennen, ganz einerlei, ob er ihn für gesund oder schädlich hält, ihn liebt oder verabscheut", fasste Hoffmann von Fallersleben 1855 diese Ambiguität zusammen.

 Die Geschichte des Tabaks zeigt, dass der gesellschaftliche Status des Rauchens grossen Schwankungen unterworfen ist und sich die Formen des Konsums ständig weiterentwickeln. Pfeife, Schnupftabakdose und Zigarre prägten ihre jeweiligen Epochen wie die Zigarette das 20. Jahrhundert. Doch diese scheint im 21. Jahrhundert ein Kulturgut im Niedergang zu sein. Vielleicht erleben wir bald eine Epoche der Nikotinkaugummis. Oder das Zeitalter der - garantiert rauch- und emissionsfreien - E-Zigarette (siehe "Alternative", Seite 23). Zumindest die Forderung nach dem Schutz vor Passivrauchen wäre damit vom Tisch.

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PNOS
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BZ 2.10.10

Uri

 Pnos-Mann verurteilt

 Das Urner Obergericht hat gestern ein Urteil der Vorinstanz gegen einen 31-jährigen Berner bestätigt, der auf dem Rütli den Holocaust geleugnet hat. Der Mann, der Mitglied der Partei national orientierter Schweizer (Pnos) ist, wurde zu einer bedingten Geldstrafe von acht Tagessätzen à 100 Franken sowie zu einer Busse von 200 Franken verurteilt. Ausserdem auferlegten die Urner Richter dem Verurteilten die Kosten des Verfahrens in Höhe von rund 4900 Franken.
 sda

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THOR STEINAR
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Basler Zeitung 1.10.10

Umstrittenes Label ist weg

 Kleiderladen reagiert auf Proteste und wirbt nicht mehr mit "Thor Steinar"-Logo

 Muriel Gnehm

 Der Widerstand der anonymen Gruppe gegen das Geschäft "Power Zone" im Kleinbasel dauert an. Die Inhaber kommen der Gruppe einen ersten Schritt entgegen, um weitere Proteste zu vermeiden.

 Ein zweites Flugblatt macht die Runde: Die Unbekannten, die sich gegen den Laden "Power Zone" wehren (die BaZ berichtete), sind wieder aktiv geworden. Nach dem Flyer mit dem Titel "Nazis in der Nachbarschaft" ist ein Papier mit der Überschrift "‹Power Zone›, Feldbergstrasse 3 - Bild dir deine Meinung" im Umlauf.

 Die anonymen Verfasser stören sich an den Kleidermarken "Thor Steinar" und "Pro Violence", die im Laden verkauft werden und vor allem in der rechtsradikalen Szene beliebt sind: "Diese Marken (ver-)kauft nur, wer sie kennt und weiss, was dahinter steht", so der Wortlaut der Flugblätter.

 Auch ist zu lesen, die Marken "Londsdale" und "Everlast" - die ebenfalls im Laden angeboten werden - hätten zugesichert, ab sofort keine neuen Bestellungen von "Power Zone" entgegenzunehmen. "Das ist eine Fehlmeldung", sagt Geschäftsführer Benjamin Winzeler. Eine Nachfrage bei ihren Importeuren habe ergeben, dass sie weiterhin mit ihm zusammenarbeiteten.

 Aufmerksam machen die Unbekannten zudem auf das alte Logo von "Thor Steinar", das in Deutschland seit 2004 verboten ist und bis gestern am Schaufenster prangte. Nun haben die Besitzer dieses aber entfernt. "Wir möchten die Situation beruhigen und hoffen, dadurch weitere Proteste und Gewalt vermeiden zu können", so Winzeler.

 Er findet es schade, dass die Unbekannten aktiv wurden, ohne das Gespräch mit ihm zu suchen. "Ich bin weder rechts noch links. Mit mir kann man reden."

 "Falsche Methode"

Diese Ansicht teilt auch der Szenekenner Samuel Althof von der Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention: "Winzeler und sein Geschäftspartner Lorenzo Zanolari gehören auf keinen Fall zur rechtsextremen Szene." In ausführlichen Gesprächen mit den beiden habe sich gezeigt, dass es keinerlei Anzeichen für eine rechtsextreme Gesinnung gebe. "Auch mit den umstrittenen Marken verbinden sie keine Ideologie, sie sind nur am Geschäft interessiert." Althof kritisiert die Flugblatt-Aktionen: "Vermeintlichen Extremismus mit Drohungen zu bekämpfen, halte ich für die falsche Methode - und zwar auf der linken und rechten Seite."

 Dass der Laden zu einem Treffpunkt für Rechtsextreme werden könnte, wie im Flugblatt beschrieben, betrachtet er als unwahrscheinlich. "Es ist kein Café. Die Leute kommen, kaufen ein und gehen wieder." Im Handelsregister ist unter dem Zweck der Firma aber auch von "Events" die Rede. "Bis anhin ist noch nichts geplant", sagt Winzeler. Er könne sich aber vorstellen, künftig Kampfsport-Events zu organisieren.

 Hinter den Flyern vermutet Althof Linksextreme: "Sie reden deren Sprache." Dafür spricht ein ähnlicher Fall von 2005: Damals stand der MIG-Shop am Leonhardsgraben wegen "Nazi-Klamotten" im Fokus der Antifaschistischen Aktion. Diese streute ebenfalls Flyer - worauf der Laden das umstrittene Label aus dem Sortiment nahm. Das ist für Winzeler keine Option: "Jeder darf tragen, was er will. Es ist legal, diese Kleider zu verkaufen."

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POLIZEITOD
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Freiburger Nachrichten 2.10.10

Thormann tritt nicht in Ausstand

 Der Freiburger Untersuchungsrichter führt das Strafverfahren rund um den Todesschuss eines Polizisten auf der A1 weiter.

 Freiburg Im April wurden drei Luxusautos gestohlen. Bei der Verfolgungsjagd baute die Polizei im Autobahntunnel Sévaz eine Strassensperre auf. Als sich das eine Auto näherte, schoss ein Waadtländer Polizist - und tötete den Beifahrer. Dessen Zwillingsbruder wurde kurz darauf festgenommen; er wird verdächtigt, am Diebstahl beteiligt gewesen zu sein.

 Der Pflichtverteidiger des Zwillings verlangte, Untersuchungsrichter Olivier Thormann habe in der Untersuchung um den Todesschuss in den Ausstand zu treten; er könne nicht gleichzeitig gegen seinen Klienten wegen Diebstahls ermitteln und den Fragen rund um den Tod des Bruders seines Klienten nachgehen (die FN berichteten). Nun teilt Markus Julmy, Vizepräsident des Untersuchungsrichteramts, mit: "Das Begehren wurde nach eingehender Auseinandersetzung mit den Argumenten der Gesuchsteller abgewiesen." Mehr Informationen gibt es dazu nicht.

 Amtsgeheimnis intakt

 Ein anderer Anwalt des Zwillings hatte eine Strafanzeige wegen Amtsgeheimnisverletzung eingereicht: Einige Medien müssten Informationen aus amtlichen Quellen erhalten haben. Er habe weder bei der freiburgischen Untersuchungsbehörde noch bei der Kantonspolizei Unregelmässigkeiten entdeckt, teilt Julmy mit. Also werde kein Verfahren eingeleitet. njb

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100 JAHRE VOLKSHAUS ZH
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NZZ 2.10.10

Lenin und die Toten Hosen
 
Ein Buch schildert die bunte Geschichte des 100-jährigen Zürcher Volkshauses

 Im Volkshaus mischt sich seit 1910 Politisches und Populäres. Lenin sprach, Bertolt Brecht las vor. Chuck Berry und die Toten Hosen heizten ein. Boxer, Stripper und Missionare zogen das je eigene Publikum in ihren Bann.
 
Adi Kälin

 "Hundert Jahre Volkshaus Zürich. Bewegung, Ort, Geschichte". Der etwas biedere Titel führt in die Irre. Das von Urs Kälin, Stefan Keller und Rebekka Wyler herausgegebene Buch ist so abwechslungsreich, bunt und spannend wie die Geschichte des Hauses, die darin geschildert wird. Und es hält auch für all jene, die alles darüber zu wissen meinen, einige Überraschungen bereit. Das beginnt schon bei der Schaffung des Volkshauses, das nicht von unten erkämpft, sondern gewissermassen von oben geschenkt wurde. Gemeinnützige Frauen und Sozialreformer wollten die Arbeiter mit Bibliothek und alkoholfreiem Restaurant von der Strasse und vom Alkohol weglocken.

 Lausige "Beat-Brüder"

 Die Arbeiterbewegung gewöhnte sich nur zögerlich an den geschenkten Gaul, der manchem wie ein trojanisches Pferd erscheinen mochte. Selbst 1928 noch, als der grosse Wahltriumph der Linken das Rote Zürich einleitete, wurde nicht im Volkshaus, sondern in der "Eintracht" am Neumarkt gefestet, weil man eben nicht alkoholfrei, sondern "richtig feiern" wollte. General Ulrich Wille aber bezeichnete das Volkshaus als "Gouvernementspalast der Bolschewikiregierung". Er erwog gar, beim Landesstreik das Haus zu beschlagnahmen. Lenin verkehrte am liebsten im "Weissen Schwan" am Predigerplatz, sprach im Jahr 1917 aber auch zweimal im Volkshaus - das erste Mal zweieinhalb Stunden und auf Russisch, dennoch berichtete das "Volksrecht" in zwei Folgen darüber. Diese Reden sorgten 50 Jahre später noch einmal für Gesprächsstoff. Der Verwaltungsrat des Volkshauses diskutierte heftig darüber, ob man eine Lenin-Gedenkplakette hängen lassen sollte oder nicht. Mit 8 zu 3 entschied man sich für Hängenlassen, nachdem versichert worden war, dass die Plakette "abnehmbar" sei.

 Das Volkshaus sollte immer ein Haus für alle und alles sein, aber manchmal wundert man sich doch, was alles möglich war. Erstaunlicherweise durfte etwa James Schwarzenbach seine zweite Überfremdungsinitiative im Volkshaus präsentierten. Dafür gab es nach dem Ungarn-Aufstand 1956 ein Jahre dauerndes Hausverbot für die "russlandhörige PdA", und in den sechziger Jahren stand in den Mietverträgen: "Betrunkene und Beat-Brüder in lausiger Montur sind nicht einzulassen." Die "Beat-Brüder" machten sich dann trotzdem breit - und später die Rock- oder die Hip-Hop-Brüder. Es gibt kaum eine grosse Band, die nicht mindestens einmal im Volkshaus auftrat - meist in einer Zeit vor dem ganz grossen Durchbruch. Konzerte gaben etwa: Uriah Heep, Red Hot Chili Peppers, Talking Heads, ZZ Top, AC/DC, Chuck Berry, Die Toten Hosen, Metallica und viele andere. Daneben gab es Unterhaltungsprogramme aller Art - von den Auftritten des Arbeitermandolinenorchesters über Boxveranstaltungen bis zum Männer-Striptease mit den Chippendales.

 Zum Volkshaus gehörte von Beginn an der Bäderbetrieb, der ein grosses Bedürfnis abdeckte. 1905 hatten erst 7150 von 38 000 Zürcher Wohnungen ein Bad, und in Aussersihl gab es in den meisten Wohnungen nicht einmal fliessendes Wasser. Ein halbstündiges Bad kostete 40 Rappen, für 10 Rappen durfte 20 Minuten lang geduscht werden. Bis weit in die sechziger Jahre hinein hielt man an den Bädern fest, dann wurden sie mit einer Sauna ergänzt. Jetzt ist als nächste Entwicklungsstufe ein Hamam geplant.

Alkohol als Tombolapreis

 Das Alkoholverbot war ein Dauerthema. Schon 1930 versuchte es der Turnverein Industriequartier so zu umgehen, dass Alkoholika als Tombolapreise vergeben und dann gleich konsumiert wurden. Die Leitung schritt ein und "hatte dadurch viele Unannehmlichkeiten zu bestehen", wie es in einem Schreiben der Restaurantbetreiberin an die Betriebskommission hiess. Später häuften sich Klagen, dass "italienisch sprechende Vereine" das Alkoholverbot "schwer missachten". Erst Ende der siebziger Jahre wurde das Verbot in den Sälen gekippt - worauf der Frauenverein umgehend die Pacht kündigte. In den folgenden Jahren scheiterten einige Ansätze zur Modernisierung des Restaurants, bis es vor zwei Jahren von einem Team um Koni Frei übernommen wurde, mit dem es sich seither zum beliebten Treffpunkt im Quartier entwickelt hat.

 Buchpremiere morgen Sonntag, 15 Uhr, Restaurant Volkshaus. - Hundert Jahre Volkshaus Zürich. Bewegung, Ort, Geschichte. Hg. von Urs Kälin, Stefan Keller, Rebekka Wyler. Verlag hier + jetzt. 128 S., Fr. 38.-.

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ANTI-ATOM
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Finanz und Wirtschaft 2.10.10

Börsen Europa-Uebersee

 Der Rohstoffhunger hält an

 Toronto Fester

Heinz Isler

(...)

Uranabbau immer diffiziler

 Im Uransektor überschlugen sich die Ereignisse: Im Niger sind sieben Angestellte des französischen Atomkonzerns Areva von der Terrororganisation Al Kaida entführt worden. Ein Drittel der 58 Reaktoren Frankreichs wird derzeit mit Uran aus dem Niger bestückt. Zudem hat die Regierung des australischen Northern Territory dem Pamela-Angela-Uranprojekt von Cameco (+4,7% auf 28.60 kan. $) und Paladin Energy (-3,5% auf 3.54 kan. $) überraschend die Unterstützung entzogen. Die Gebiete spielen eine Schlüsselrolle in der Linderung der sich abzeichnenden Verknappung der Uranbestände.

 Denison Mines (+3,7% auf 1.68 kan. $) und Uranium One (+7,1% auf 3.47 kan. $) kamen voran. Ur-Energy (+3,1% auf 1.01 kan. $) besitzt zwei Uranvorkommen in Wyoming und soll gemäss Gerüchten die Abbauerlaubnis in den nächsten Wochen erhalten. Das Lost-Creek-Projekt könnte während sieben Jahren 7 Mio. Pfund Uran zu Kosten unter 40 $ je Pfund fördern.

(...)

 Heinz Isler, NBF International, Genf

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Tagesanzeiger 2.10.10

Leuthard auch als Bundesrätin in der Atomlobby

 Bis gestern stand die neue Energieministerin Leuthard auf der Mitgliederliste des Nuklearforums. Konfrontiert mit TA-Recherchen, gab sie ihren Austritt.

 Von Hannes Nussbaumer

 Das Nuklearforum Schweiz "fördert die friedliche Nutzung und die weitere Entwicklung der Kernenergie in der Schweiz". So steht es in den Statuten der Organisation, die früher Schweizerische Vereinigung für Atomenergie geheissen hat. Das Nuklearforum gilt als wichtigste und einflussreichste Lobbyorganisation der Atomenergie-Promotoren. Laut aktuellem Verzeichnis unterstützen über hundert Kollektiv- und über vierhundert Einzelmitglieder das Forum und seine Anliegen. Gesteuert wird die Organisation von der weltweit operierenden PR-Agentur Burson-Marsteller.

 Den bemerkenswertesten Namen auf der Mitgliederliste fand man bis gestern auf Seite 6 unter dem Buchstaben L: "Frau D. Leuthard, Bundesrätin, Rechtsanwältin, Muri AG." Dass die designierte Energieministerin vor ihrer Bundesratszeit der Stromwirtschaft nahegestanden ist, war bekannt. Doch herrschte bisher der Glaube, sie habe nach ihrer Wahl in den Bundesrat die direkten Verbindungen zur Atomlobby gekappt. So trat Leuthard - wie vorgeschrieben - aus dem Verwaltungsrat der Elektrizitäts-Gesellschaft Laufenburg (EGL) zurück.

 Muss dieses Bild nun korrigiert werden? Zeigt ihre Mitgliedschaft in einem Forum, zu dessen Mitgliedern auch die Kernkraftwerke Leibstadt und Gösgen sowie die grossen Stromkonzerne gehören, dass Leuthards Wahl in die Regierung nichts an ihrer Verbundenheit mit der Atomlobby geändert hat? Erklärt sich daraus gar ihr Drang ins Umwelt-, Verkehrs- und Energiedepartement?

 Leuthard wusste von nichts

 Es sei tatsächlich "etwas aussergewöhnlich", dass eine Bundesrätin in einem solchen Mitgliederverzeichnis firmiere, räumt Michael Schorer von Burson-Marsteller ein. Der Grund sei, dass Leuthard von 2000 bis 2002 im Vorstand des Nuklearforums mitgearbeitet und dann zum Dank die Ehrenmitgliedschaft bekommen habe. "Sie ist daher 2002 automatisch im Mitgliederverzeichnis verblieben." Dass die Aargauerin bis in die Gegenwart auf der Liste blieb, lässt sich aber nicht allein mit Automatismen erklären. Schliesslich wurde das Verzeichnis nach Leuthards Wahl in die Landesregierung im Juni 2006 korrigiert: Hinter ihren Namen setzte das Nuklearforum den Titel "Bundesrätin". Die zuständigen Personen dürften bei dieser Gelegenheit auch bewusst entschieden haben, die neue Magistratin auf der Liste zu belassen. Ob man Leuthard in dieser Sache konsultiert habe, wisse er nicht, sagt Michael Schorer. "Wir haben aber sicher nicht gegen ihren Willen gehandelt."

 Vom TA mit der Mitgliederliste konfrontiert, erklärt Leuthards Sprecherin Annetta Bundi: "Es hat die Bundespräsidentin überrascht, dass sie im Mitgliederverzeichnis aufgeführt wird." Es sei ihr nicht bewusst gewesen, dass ehemalige Vorstandsmitglieder automatisch zu Ehrenmitgliedern ernannt und so auf die Liste gelangen würden. Das Nuklearforum habe Leuthard in dieser Sache nie konsultiert, betont Sprecherin Bundi. Und ergänzt: "Die Bundespräsidentin hat das Forum darum gebeten, aus dem Verzeichnis und als Mitglied gestrichen zu werden."

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Oltner Tagblatt 2.10.10

Info über Plasmaofen

 Kt. Solothurn Etwa 50 Politiker und Politikerinnen machten bei einem Besuch des Zwischenlagers für radioaktive Abfälle (Zwilag) in Würenlingen mit.

 Initiiert wurde der Ausflug von AVES, Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz Kanton Solothurn. Die Solothurner Politikerinnen und Politiker gewannen Einsichten in die Behandlung und die Aufbewahrung radioaktiver Abfälle und zeigten sich besonders vom Plasmaofen beeindruckt. In der Schweiz sind die Verursacher radioaktiver Abfälle gemäss Gesetzgebung für deren Entsorgung verantwortlich.

 Darum haben die Schweizer Kernkraftwerkbetreiber die radioaktiven Abfälle seit Beginn eingesammelt, von menschlichen Lebensräumen getrennt aufbewahrt. Das Zwischenlager Würenlingen (Zwilag) wurde geschaffen.

 Allerdings stammen laut Angaben nur zwei Drittel der Abfälle von den Kernkraftwerken. Ein Drittel stamme aus der Medizin, der Forschung und der Industrie.

 Da die radioaktiven Abfälle während ungefähr vierzig Jahren Wärme an die Umwelt abgeben würden, müssten sie an der Erdoberfläche sicher zwischengelagert werden und sich abkühlen, bevor sie in einem Tiefenlager aufbewahrt werden können, hiess es. Um das Volumen der in einem Tiefenlager aufzubewahrenden Abfälle zu verringern, werden laut Angaben die schwach- und mittelaktiven Abfälle im weltweit einzigartigen Plasmaofen bei hohen Temperaturen von 1400° Celsius verbrannt respektive geschmolzen und verglast.

 Zwei Mal pro Jahr führe das ZWILAG mehrwöchige Verbrennungskampagnen durch. Die AVES-Mitglieder hatten die Möglichkeit, den Kontrollraum des Plasma-ofens zu besichtigen. "Die AVES-Mitglieder konnten sich überzeugen, dass die radioaktiven Abfälle im Zwilag von Experten sicher verarbeitet und aufbewahrt werden, bis das Tiefenlager bereit steht", heisst es in einem entsprechenden Communiqué. (mgt)

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Aargauer Zeitung 1.10.10

Endlagerstudie sorgt für rote Köpfe

 Niederamt Eine Studie über die wirtschaftlichen Auswirkungen eines Atomendlagers am Jura-Südfuss stösst bei den Gegnern einer solchen Anlage auf wenig Gegenliebe. Die von der Fachhochschule Nordwestschweiz durchgeführte und vom Grenchner Unternehmer und SVP-Kantonsrat Heinz Müller in Auftrag gegebene Untersuchung kommt zum Schluss, dass ein geologisches Tiefenlager dem Standort finanzielle Vorteile bringen würde.

 Die wahrscheinliche Folge sei eine Senkung der Steuerfüsse in den Gemeinden. Bauaufträge und Abgeltungen brächten Geld für Investitionen in die lokale Infrastruktur, was zusammen mit der Zentrumsnähe die Attraktivität der Wohnregion zusätzlich erhöhen würde. Dies wiederum lasse die Immobilienpreise ansteigen.

 "Zumutung für das Niederamt"

 "Solche Ratschläge aus 50 Kilometern Entfernung sind eine Zumutung für das Niederamt", wettert SP-Kantonsrat Urs Huber namens des Vereins Niederamt ohne Endlager. "Es käme ja auch keinem Niederämter in den Sinn, mit einer privaten Studie beweisen zu wollen, dass man den Flugplatz Grenchen schliessen soll", steht in der Medienmitteilung weiter.

 Vielmehr sei es endlich an der Zeit, so Huber, dass die sozioökonomische Studie, die von der Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt im Frühling 2009 in Auftrag gegeben wurde, sofort veröffentlicht werde. Diese Studie untersucht regionale Auswirkungen eines Atomkraftwerks (AKW) Gösgen II und eines Tiefenlagers für radioaktive Abfälle. Deren Resultate lägen den Gemeindepräsidien vor. "Die Umfrage muss veröffentlicht werden, bevor noch mehr selbst ernannte Retter des Niederamts aus der Ferne auftauchen."

 Der Jura-Südfuss gilt als geologisch geeignet, um schwach und mittelaktiven Atommüll zu lagern. Der Energiekonzern Alpiq (vormals Atel) will im Niederamt zudem ein zweites AKW bauen. (trö)

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Die Frage nach dem Atommüll

 Region Baden/Wettingen Ehrendingen und Freienwil liegen im Perimeter für ein mögliches Atomendlager nördlich der Lägern. Die anderen Gemeinden der Region dagegen nicht. "Das ist eine zufällige Auswahl, die Endlageproblematik betrifft auch die Leute, die südlich der Lägern wohnen", sagt der Ehrendinger Gemeindeammann Renato Sinelli. Deshalb organisiert die Gemeinde Ehrendingen einen Informationsabend für alle interessierten Leute. "Wir haben dazu sowohl Befürworter als auch Gegner eingeladen", sagt Sinelli. Michael Aebersold (Bundesamt für Energie), Piet Zuidema (Nagra) und Sabine von Stockar (Schweizerische Energiestiftung, SES) werden die Problematik vorstellen. Am anschliessenden Podiumsgespräch werden neben den Referenten auch Felix Altorfer (Eidgenössisches Nuklearsicherheitsinspektorat, Ensi) und der Badener Vizeammann Geri Müller (Nationalrat, Präsident SES) teilnehmen. Den Abschluss wird eine Fragerunde bilden. (dm)

 Informationsabend Montag, 18.Oktober, 20 Uhr, Turnhalle Lägernbreite, Ehrendingen.

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Thurgauer Zeitung 1.10.10

AKW-Gegner im Thurgau formieren sich

 wid

 Die Allianz "Nein zu neuen AKWs" hat im Thurgau einen Stützpunkt gegründet. Er engagiert sich auch gegen das Atomendlager im Weinland.

 Diessenhofen - Der Abstimmungskampf über neue Atomkraftwerke in der Schweiz wirft seine Schatten bis in den Thurgau voraus. Gestern trat die Thurgauer Allianz "Nein zu neuen AKWs" erstmals an die Öffentlichkeit. Darin vertreten sind die Grünen und die SP mit ihren Jungparteien sowie EVP, Grünliberale, WWF und Pro Natura. Bei der neuen Organisation handelt es sich um einen Ableger der schweizerischen Allianz.

 Ziel sei, nicht nur auf nationaler Ebene, sondern auch in den Regionen frühzeitig in den Meinungsbildungsprozess einzugreifen, sagte Graziella Regazzoni, Geschäftsleiterin der nationalen Dachorganisation. Die Allianz wird das Referendum ergreifen, sobald der Bund wie vorgesehen den Entscheid für den Ersatz zweier AKWs fällt. Die Volksabstimmung fände voraussichtlich 2014 oder 2015 statt.

 Endlager redimensionieren

 Der erste öffentliche Auftritt der Thurgauer Allianz mit gelben Atommüllfässern in der Diessenhofer Altstadt fand allerdings unter den wenigen Passanten kaum Beachtung. Der unbewilligte Anlass musste nach Intervention der Stadtbehörden zudem vorzeitig beendet werden.

 Obwohl Diessenhofen nahe am möglichen Standort für ein Atommüllendlager im Weinland liege, sei die Bevölkerung für die Problematik zu wenig sensibilisiert, sagte der Thurgauer Grünen-Präsident Urs Oberholzer, der auch Präsident der Allianz im Kanton ist. Die Allianz wolle darum Aufklärungsarbeit leisten. Konkrete politische Vorstösse seien aber den Mitgliedorganisationen überlassen.

 Die Allianz wendet sich nicht nur gegen den Bau neuer Atomkraftwerke. Sie ist auch dagegen, dass Endlager für Atommüll wie geplant gebaut werden. Die Lager müssten so redimensioniert werden, dass sie nur den Müll aufnehmen könnten, der bis zur Stilllegung der bestehenden AKWs anfallen, forderte etwa GP-Kantonsrat und Pro-Natura-Präsident Toni Kappeler.

 Der Atomausstieg sei sowohl technisch wie auch wirtschaftlich möglich, hiess es weiter. Die Kosten für Solarzellen würden weiter sinken, sagte GLP-Kantonsrat Thomas Böhni. Solarstrom habe zudem keine Folgekosten, wie sie etwa mit der Entsorgung von Atommüll anfalle. SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher erinnerte zudem an den Uranabbau, der Mensch und Natur schädige.

 Mit der Allianz versucht bereits die zweite nationale energiepolitische Organisation im Thurgau Fuss zu fassen. Bereits gegründet ist die Regionalgruppe der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves), die sich für den bestehenden Strommix aus erneuerbaren Energien und Atomstrom einsetzt.

CHRISTOF WIDMER

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St. Galler Tagblatt 1.10.10

AKW-Gegner formieren sich

 Die Allianz "Nein zu neuen AKW" hat im Thurgau einen Stützpunkt gegründet. Sie engagiert sich auch gegen das Atomendlager im Weinland.

 christof widmer

 diessenhofen. Der Abstimmungskampf über neue Atomkraftwerke wirft seine Schatten bis in den Thurgau voraus. Gestern trat die Thurgauer Allianz "Nein zu neuen AKW" erstmals an die Öffentlichkeit. Darin vertreten sind die Grünen und die SP mit ihren Jungparteien sowie EVP, Grünliberale, WWF und Pro Natura. Bei der neuen Organisation handelt es sich um einen Ableger der schweizerischen Allianz.

 Referendum sicher

 Ziel sei, nicht nur national, sondern auch in den Regionen frühzeitig in den Meinungsbildungsprozess einzugreifen, sagte Graziella Regazzoni, Geschäftsleiterin der nationalen Dachorganisation. Die Allianz wird das Referendum ergreifen, sobald der Bund den Entscheid für den Ersatz zweier AKW fällt. Die Abstimmung fände 2014 oder 2015 statt.

 Endlager redimensionieren

 Der erste Auftritt der Thurgauer Allianz mit gelben Atommüllfässern in der Diessenhofer Altstadt fand allerdings unter den Passanten kaum Beachtung. Der unbewilligte Anlass musste nach Intervention der Stadtbehörden zudem vorzeitig beendet werden.

 Obwohl Diessenhofen nahe am möglichen Standort für ein Atommüllendlager liege, sei die Bevölkerung zu wenig sensibilisiert, sagte der Thurgauer Grünen-Präsident Urs Oberholzer, der auch Präsident der Allianz im Kanton ist. Die Allianz wolle darum Aufklärungsarbeit leisten.

 Die Allianz wendet sich nicht nur gegen neue Atomkraftwerke. Sie ist auch dagegen, dass Endlager für Atommüll gebaut werden. Die Lager müssten so redimensioniert werden, dass sie nur den Müll aufnehmen könnten, der bis zur Stilllegung der bestehenden AKW anfallen, forderte GP-Kantonsrat Toni Kappeler.

 Ausstieg möglich

 Der Atomausstieg sei technisch wie wirtschaftlich möglich, hiess es weiter. Die Kosten für Solarzellen würden weitersinken, sagte GLP-Kantonsrat Thomas Böhni. Solarstrom habe zudem keine Folgekosten, wie sie mit der Entsorgung von Atommüll anfallen. SP-Nationalrätin Edith Graf-Litscher erinnerte an den Uranabbau, der Mensch und Natur schädige.

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AKW-Gegner im Thurgau

 Der Abstimmungskampf zu neuen Atomkraftwerken wirft seine Schatten bis in den Thurgau voraus. Gestern trat die Thurgauer Allianz "Nein zu neuen AKW" erstmals an die Öffentlichkeit. Darin vertreten sind die Grünen und die SP mit ihren Jungparteien sowie EVP, Grünliberale, WWF und Pro Natura. Bei der neuen Organisation handelt es sich um einen Ableger der schweizerischen Allianz.

 Die Allianz wird das Referendum ergreifen, sobald der Bund den Entscheid für den Ersatz zweier AKW fällt. Die Abstimmung fände 2014 oder 2015 statt. Die Allianz wendet sich nicht nur gegen neue Atomkraftwerke. Sie ist auch dagegen, dass Endlager für Atommüll gebaut werden. Die Lager müssten so redimensioniert werden, dass sie nur den Müll aufnehmen könnten, der bis zur Stilllegung der bestehenden AKW anfallen, forderte GP-Kantonsrat Toni Kappeler. Der Atomausstieg sei technisch wie wirtschaftlich möglich, sind die Mitglieder der Allianz überzeugt. (tz)

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Beobachter 1.10.10

Die Atomlobby macht Dampf

Thomas Angeli

 Die Schweizer Stromkonzerne wollen das Volk von der Notwendigkeit neuer AKWs überzeugen. Die PR-Offensive kostet Millionen - die wir über die Stromrechnung bezahlen.

 Schreckenswörter tauchen manchmal aus dem Nichts auf. "Tsunami" ist ein solches Wort. Oder "Stromlücke". Während es sich beim Tsunami um eine tatsächliche Katastrophe handelte, wird mit "Stromlücke" eine solche erst heraufbeschworen. Dennoch ist die Karriere des Schlagworts bemerkenswert: 1702 Zeitungsartikel finden sich dazu seit Anfang 2006 in der Schweizer Mediendatenbank. In den sechs Jahren zuvor war der Ausdruck in bloss 122 Texten aufgetaucht.

 Zufall oder nicht: Die Drohung, in der Schweiz würden ohne neue Atomkraftwerke bald die Lichter ausgehen, verbreitete sich ausgerechnet vom Zeitpunkt an, als das Nuklearforum, die Fach- und Lobbyorganisation der Atombranche, seine Geschäftsstelle zu Burson-Marsteller zügelte.

 Seither organisiert der Schweizer Ableger der fünftgrössten PR-Agentur der Welt für das Nuklearforum Tagungen wie die "nuclea10" in Baden (Thema: "Rahmenbedingungen für die Renaissance der Kernenergie"), reserviert Internetadressen, die den Atombefürwortern ein Dorn im Auge sein könnten (www.moratorium.ch, www.atomkraftwerke.ch), "betreut" Politiker oder organisiert Medienreisen. Anfang September besuchte eine Gruppe von 14 Journalisten auf Einladung des Forums während vier Tagen die Baustelle des finnischen Reaktors Olkiluoto 3. "Le nucléaire finnois comme modèle?" ("Finnische Kernenergie als Vorbild?"), titelte kurz darauf "La Liberté".

 Fragen zur Finanzierung sind tabu

 Die Aktivitäten zielen auf einen wichtigen Termin: 2013 wird in der Schweiz über die Rahmenbewilligung für neue Atomkraftwerke abgestimmt. Den Kampf für ein Ja lässt sich die Atomwirtschaft etwas kosten. So weist die Jahresrechnung des Nuklearforums einen respektablen Umsatz von 3,3 Millionen Franken aus. 2,7 Millionen davon stammen aus "Mitgliederbeiträgen und ausserordentlichen Beiträgen". Eine stolze Summe für einen Verein, dessen 419 Einzelmitglieder jährlich bloss 75 Franken bezahlen und der auch seine 101 Kollektivmitglieder nicht übermässig zur Kasse bittet. Die Suva etwa bezahlt ganze 380 Franken pro Jahr, der Stadtberner Energieversorger EWB 3100 Franken. Rechnet man diese Zahlen hoch, so kommt man auf ordentliche Einnahmen von maximal 300000 bis 400000 Franken - und somit auf vermeintlich unerklärliche Einnahmen von mindestens 2,3 Millionen.

 Des Rätsels Lösung liegt in den Statuten. Dort ist festgehalten, dass die "wirtschaftlich leistungsfähigen Kollektivmitglieder, namentlich die Betreiber der Schweizer Kernkraftwerke", einen Sonderobolus zu entrichten haben. Somit bezahlen die Schweizer Konsumentinnen und Konsumenten über ihre Stromrechnung jedes Jahr über zwei Millionen Franken an das Nuklearforum - und wissen es nicht.

 Interessant ist das vor allem im Fall der BKW. Die Berner Kantonsregierung musste 2007 auf eine Interpellation im Grossen Rat ("Finanzieren StrombezügerInnen ihre eigene Manipulation?") zu den BKW-Beiträgen ans Nuklearforum Stellung nehmen. Die Antwort: "Der Jahresbeitrag der BKW FMB Energie AG ans Nuklearforum beträgt Fr. 4500.-." Von weiteren Unterstützungsbeiträgen ans Nuklearforum kein Wort.

 Bei dieser Auskunft soll es nach dem Willen der BKW auch bleiben: Man habe "keine Ergänzungen", erklärt Sprecher Antonio Sommavilla auf Nachfrage. Auch Alpiq und Axpo wollen sich nicht zur auffälligen Finanzierungspraxis beim Nuklearforum äussern - und dessen Präsidentin Corina Eichenberger schon gar nicht. "Das Nuklearforum Schweiz publiziert einen Jahresbericht und veröffentlicht darüber hinaus keine Informationen zu Vereinsinterna. Wir bitten um Verständnis", schreibt die Aargauer FDP-Nationalrätin.

 Doch nicht nur über das Nuklearforum fliesst Geld in atomfreundliche Organisationen, auch die Nagra gibt sich grosszügig. Die "Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle" wird von den AKW-Betreibern und somit indirekt von den Schweizer Stromkunden finanziert. Von diesem Geld fliesst jährlich "eine namhafte Summe" an das Forum Vera ("Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle"). Dessen Geschäftsführer, der Berner SP-Grossrat Markus Meyer, räumt ein, dass der Verein ohne das Nagra-Geld seine Aktivitäten reduzieren müsste. Neben der Nagra habe man noch "drei weitere Kollektivmitglieder, die grössere Summen spenden", erklärt Meyer. Welche das sind, will er nicht sagen.

 Als scheinbar unabhängige Organisation, die bei der Bevölkerung um Verständnis für den Bau eines atomaren Endlagers wirbt, ist das Forum Vera für die AKW-Betreiber und somit auch für die Nagra Gold wert. So organisiert der Verein fleissig öffentliche Exkursionen zum Nagra-Felslabor im Jura oder bietet Podiumsdiskussionen und Lehrerkurse an. Der letzte fand Ende September im malerischen Schloss Hünigen bei Konolfingen statt. Thema der abschliessenden Podiumsdiskussion: "Gibt es bei den erneuerbaren Energien auch Abfälle?" "Es ist skandalös, dass wir über unsere Stromrechnung solche Veranstaltungen mitfinanzieren", meint dazu der Geschäftsleiter der atomkritischen Schweizerischen Energie-Stiftung, Jürg Buri.

 Bei der Atomlobby sitzt das Geld locker

 Nicht darben müssen offensichtlich auch andere Organisationen im Dunstkreis der Atomwirtschaft: Die Arbeitsgruppe Christen und Energie (ACE) - in ihrem Vorstand sitzt unter anderem der Luzerner CVP-Nationalrat Pius Segmüller - sowie das Forum Medizin und Energie (FME) leben eindeutig über den üblichen finanziellen Möglichkeiten kleiner Vereine. Beide nehmen für die Führung ihrer Geschäftsstelle die Dienste der Zürcher PR-Agentur Frey Communications in Anspruch. Deren Geschäftsführer Daniel Frey sitzt als Aktuar auch in beiden Vorständen. Das FME, das nach eigenen Angaben 200 Mitglieder hat, die 30 Franken Jahresbeitrag bezahlen, publizierte zudem im Herbst 2009 eine Broschüre zum Thema "Kinderleukämie und Kernkraftwerke - (K)ein Grund zur Sorge?" Wer das aufwendig gestaltete Werk, das nach Ansicht von Atomkraftgegnern die Gefahren von AKWs verharmlost, tatsächlich finanziert hat, will das FME nicht offenlegen.

 Wie locker das Geld sitzt, wenn Atomkraft im Spiel ist, zeigt auch das Beispiel der BKW. Das halbstaatliche bernische Unternehmen machte im Herbst 2009 eine halbe Million Franken locker, um im Kanton Waadt eine Konsultativabstimmung zu bekämpfen. In dieser konnten sich die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger darüber äussern, ob die Regierung zur Verlängerung der Betriebsbewilligung für das AKW Mühleberg ja oder nein sagen sollte.

 Die Erfahrungen aus früheren Abstimmungen lassen erahnen, dass auch 2013, wenn es an der Urne um die Rahmenbewilligungen für zwei neue Atomkraftwerke geht, reichlich Geld für eine Pro-Atom-Kampagne fliessen wird. Als es 2003 zwei atomkritische Volksinitiativen zu bekämpfen galt, spannte das Nuklearforum (das damals noch "Schweizerische Vereinigung für Atomenergie" hiess) mit Economiesuisse zusammen. 15 Millionen Franken soll der Wirtschaftsdachverband, bei dem Axpo-Chef Heinz Karrer im Vorstand sitzt, in die Kampagne gesteckt haben - eine Zahl, die Economiesuisse nie bestätigte.

 Deren Präsident Gerold Bührer lässt jedoch schon heute keinen Zweifel daran, dass sich sein Verband auch bei der Abstimmung über die Rahmenbewilligungen für die neuen AKWs im Jahr 2013 für die Option Atomkraft einsetzen wird. "Man kann es drehen und wenden, wie man will", erklärte er Anfang September am "Tag der Wirtschaft": "Am Ersatz der auslaufenden Kernkraftwerke führt nichts vorbei."

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 Hintergrund

 Weibeln im Bundeshaus

 Die Schweizer Stromwirtschaft ist auch im Bundeshaus gut vernetzt. So sind rund 100 Parlamentarier Mitglied der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik (Aves). Ihr Präsident ist der Zuger FDP-Ständerat Rolf Schweiger, der auch bei Vera ("Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle") im Vorstand sitzt. Ebenfalls knapp 100 Ratsmitglieder gehören der Lobbyorganisation Energieforum an.

 Auch die AKW-Betreiber selber sind gut vertreten: Rolf Büttiker (FDP, SO) und Markus Zemp (CVP, AG) etwa sitzen im Verwaltungsrat des AKWs Leibstadt. Die AKWs Beznau und Gösgen werden durch Ständerat Philipp Stähelin (CVP, TG) vertreten. Im Verwaltungsrat von Gösgen sitzt auch Pirmin Bischof (CVP, SO). Der Glarner FDP-Ständerat Pankraz Freitag amtet als Verwaltungsratsvizepräsident der Axpo Holding und als Präsident der Nagra.

 Wie wichtig eine Vertretung im Bundeshaus ist, zeigen zwei Personalien des Nuklearforums: Nationalrat Christian Wasserfallen (FDP, BE) sitzt dort im Vorstand. Daneben präsidiert er die Aves-Regionalgruppe Bern und weibelt im Forum Pro Mühleberg für ein neues AKW im Kanton Bern. Seit 2009 ist Corina Eichenberger (FDP, AG) Präsidentin des Forums. Im Nationalrat hat sie sich bislang nicht durch energiepolitische Vorstösse hervorgetan. Überraschend kam ihre Wahl für Jürg Buri von der atomkritischen Energiestiftung dennoch nicht. "Die Atomlobby hat festgestellt, dass Frauen und jüngere Menschen der Atomenergie eher ablehnend gegenüberstehen. Im Hinblick auf die Abstimmung im Jahr 2013 versucht man deshalb jetzt, auch diese Gruppen zu erreichen."

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Schweiz Aktuell 29.9.10

Millionen für Atom-Endlager

Ein Endlager für radioaktive Abfälle würde dem solothurnischen Niederamt bis zu 766 Millionen Franken bringen. Dies behauptet eine umstrittene Studie.
http://videoportal.sf.tv/video?id=ae292081-08d6-4901-a735-beaf831515f4