MEDIENSPIEGEL 15.10.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- RaBe-Info 15.10.10
- Knast-Demo Fribourg: Polizeieinsatz in der Kritik
- Ausschaffungen: Identitätsprobleme; Zahlenspiele
- IV-Abbau: Demo am 30.10.
- Antifa: Nazi-Outing-FAQ
- Puber: Die Geister scheiden sich
- Faschismus: Hooliganszene Serbien
- Anti-Atom: Schmutziges Uran; Beznau; Aktienmarkt

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REITSCHULE
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Fr 15.10.10
21.00 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Der Weg nach Mekka. Die Reise des Muhammad Assad | Georg Misch, Doku, A 2008
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: DJ YURIY GURZHY & SHLJIVA ORCHESTRA (SER/D). " gypsy, balkan, russendisko

Sa 16.10.10
17.00 Uhr - öffentliche Führung durch die Reitschule - Treffpunkt beim Grossen Tor
21.00 Uhr - Kino - "WILLKOMMEN IM PARADIES" & "MUSLIM/A" - La guerre est finie | Mitko Panov, CH 2009
23.00 Uhr - Dachstock - Elektrostubete & Dachstock present: CHANNEL X (D) live, DJ's RAMON TAPIA (B), RINO (ZH), AUDIOBALSAM (BE), 2ND Floor & After: ANDRI (ZH) & MASTRA (BE) live, DJ's Jay Sanders, Little Lu, Jon Donson, Nino Zolo, Brian Python, Stubete Allstars, VJ's Mag & Dario. " techno, minimal, house

So 17.10.10
20.30 Uhr - Kino - "WILLKOMMEN IM PARADIES" & "MUSLIM/A" - La guerre est finie | Mitko Panov, CH 2009

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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RABE-INFO
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Fr. 15. Oktober 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_15._Oktober_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_15._Oktober_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2015.%20Oktober%202010
- Die zahl der Hungernden steigt weltweit an
- Wer illegal Musik downloadet soll das verantwortungsvoll tun
- Das Mobiltelefon hat unser Leben verändert

Links:
http://tdh.ch/de/wg/ag/news/welternahrungstag-2010-helfen-mit-genuss
http://www.littlejig.com/500
http://www.mfk.ch/wobisch.html

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KNASTDEMO FRIBOURG
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Freiburger Nachrichten 15.10.10

Polizei-Einsatz bei gewalttätiger Demonstration ist weiter umstritten

 Die Sicherheits- und Justizdirektion stellt sich in ihrer Antwort auf eine Aufsichtsbeschwerde hinter die Kantonspolizei.

 Freiburg "Der Polizeieinsatz erfolgte ordnungsgemäss und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit." So lautet die Antwort von Sicherheits- und Justizdirektor Erwin Jutzet an die Menschenrechtsorganisation Augenauf. Diese hatte nach den gewalttätigen Ausschreitungen vor dem Freiburger Zentralgefängnis im Juni in einer Aufsichtsbeschwerde den Einsatz der Polizei kritisiert. 47 Personen waren verhaftet worden.

 Logistische Überforderung

 "Viele Fragen bleiben ungeklärt", stellt Augenauf nun in einem Schreiben enttäuscht fest. Die Erklärungen der Direktion über beklagte Versäumnisse der Polizei seien "oberflächlich" und "ungenügend". Es sei inakzeptabel, die Verletzung von Grundrechten mit "logistischer Überforderung" zu rechtfertigen.

 Umstritten bleiben auch die DNA-Entnahmen, die bei mehreren verdächtigten Personen vorgenommen wurden. Augenauf bleibt bei der Behauptung, mindestens drei seien unter Zwang geschehen, wobei sie sich auf Aussagen von Betroffenen stützt. Die Sicherheits- und Justizdirektion bestreitet dies. cf

 Bericht Seite 3

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Sicherheitsdirektion verteidigt Vorgehen der Polizei, räumt aber Mängel ein

 Die hohe Zahl der Festgenommenen habe zu organisatorischen Problemen geführt, so Justiz- direktor Erwin Jutzet.

 Carolin Foehr

 Die Menschenrechtsorganisation Augenauf aus Bern hatte nach der gewalttätigen Demonstration vom 12. Juni (siehe Kasten) eine Untersuchung über den Polizeieinsatz gefordert. Sie bemängelte damals, dass die Demonstranten erst nach Stunden über den Grund ihrer Festnahme informiert worden seien und nicht genügend Wasser erhalten hätten. Polizisten hätten sich geweigert, sich auszuweisen. Sie hätten bei der Festnahme grundlos Gewalt an den Tag gelegt und die Festgehaltenen auf verschiedene Weise "schikaniert".

 In seiner Antwort von Anfang September auf die Beschwerde gibt Staatsrat Erwin Jutzet organisatorische Mängel beim Polizeieinsatz zu. Diese seien auf die "hohe Zahl der Anhaltungen" zurückzuführen, heisst es in seiner Antwort auf die Aufsichtsbeschwerde, die erst jetzt publik wurde. Auch die Verpflegung sei nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen - aber das sei "keineswegs in schikanöser Absicht" erfolgt.

 Ausserdem sind laut Jutzet alle Personen über ihre Rechte aufgeklärt und mit einem entsprechenden Merkblatt ausgestattet worden - eine Tatsache, die Augenauf aufgrund von Aussagen von Beteiligten bestreitet. "Bei manchen war das der Fall, aber nicht alle haben das Merkblatt erhalten", erklärte Nicholas Pohl, Sprecher von Augenauf, am Donnerstag gegenüber den FN. In einem gleichentags veröffentlichten Communique macht die Menschenrechtsorganisation ihrem Unmut Luft: Die Antwort der Sicherheits- und Justizdirektion (SJD) des Kantons Freiburg beantworte gewisse in der Aufsichtsbeschwerde gestellten Fragen oberflächlich oder gar nicht. "Die Direktion glaubt uns offenbar nicht. Sie scheint den Polizeieinsatz zu beschönigen", erklärte Pohl im Gespräch mit den FN.

 Gummigeschosse gegen Demonstranten

 Mangelhaft ist laut der Menschenrechtsorganisation etwa die Antwort der Sicherheitsdirektion zum Einsatz der Gummigeschosse. Polizisten hatten aus kurzer Distanz mit Mehrzweckwerfern auf die Demonstranten gezielt. Diese Mehrzweckwerfer dürften eigentlich nur ab zwanzig Metern Entfernung eingesetzt werden. Für die Kantonspolizei war der Einsatz der Gummigeschosse gerechtfertigt, hiess es im Anschluss an die Kundgebung.

 Auch Sicherheitsdirektor Erwin Jutzet verteidigt den Einsatz der Gummigeschosse in seiner Antwort auf die Beschwerde: "Der Einsatz von Gummigeschossen war angesichts der Dringlichkeit und der Gefahren klar verhältnismässig. Deeskalationsstrategien konnten in dieser Situation nicht mehr zum Tragen kommen." Augenauf hingegen findet nach wie vor, die Polizei habe mit ihrem Einsatz das Klima aufgeheizt, sämtliche Fluchtwege abgeschnitten und aus zu kurzer Distanz mit dem Einsatz von Mehrzweckwerfern gedroht.

 DNA-Entnahme umstritten

 Die DNA-Entnahmen unter Zwang sind ein weiterer Punkt, in dem sich Direktion und Menschenrechtsorganisation widersprechen. "Ich habe mich gegen eine Entnahme gewehrt, mehrmals. Da haben sie mich festgehalten und mir den Mund aufgedrückt", erzählt eine Betroffene, die sich an Augenauf gewendet hat. Sie habe die Behandlung der Beamten als "erniedrigend" empfunden, so die junge Frau, die anonym bleiben will. Wiederholt habe man sie aufgefordert, eine Einwilligung für eine DNA-Entnahme zu unterschreiben, sonst müsse sie ins Gefängnis.

 Aus Sicht von Sicherheitsdirektor Erwin Jutzet liegen für die zwangsweise Entnahme von DNA-Proben keine Anhaltspunkte vor. Mehrere Personen hätten die Entnahme von DNA-Proben ausdrücklich verweigert. "In diesen Fällen wurden auf eine Entnahme verzichtet", so Jutzet.

 Weder über unverhältnismässige Gewaltanwendung bei den Festnahmen noch über Beamte, die sich nicht ausweisen wollten, sei etwas bekannt, heisst es weiter in der Antwort der Sicherheitsdirekttion. Gerade hier sieht Augenauf aber das Hauptproblem: Die Polizisten, über die es Beschwerden gab, habe man nicht identifizieren können. "Es bleibt nur die Möglichkeit, Strafanzeige gegen unbekannt einzureichen", so Nicholas Pohl.

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 Kantonspolizei:Strafklage wegen Sachbeschädigung eingereicht

 Die Kantonspolizei hat ihre Ermittlungen über die Demonstration noch nicht abgeschlossen, erklärte Pressesprecher Hans Maradan gestern auf Anfrage. Es sei aber bereits eine Strafklage wegen Sachbeschädigung gegen unbekannt eingereicht worden.

 Am 12. Juni hatten sich rund hundert Demonstranten zu einer friedlichen Kundgebung in der Freiburger Innenstadt getroffen. Anlass war die tödliche Verfolgungsjagd zwischen zwei Autodieben und der waadtländischen Polizei auf der A 1 im April gewesen.

 Als die Demonstranten vor dem Freiburger Zentralgefängnis Leuchtraketen und Feuerwerke zündeten, griff die Polizei ein. Es kam zu Sachschäden am Polizeiposten, zwei Beamte wurden verletzt. 47 Personen wurden in Gewahrsam genommen. cf

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BZ 15.10.10

Demonstration

 Es gab Mängel bei der Logistik

 Die Justizdirektion räumt Mängel bei "logistischen Aspekten" ein. Schuld daran war die hohe Zahl der Festgenommenen.

 Am 12. Juni hatten sich rund hundert Demonstranten zu einer friedlichen Kundgebung in der Freiburger Innenstadt getroffen. Anlass war die tödliche Verfolgungsjagd zwischen zwei Autodieben und der Polizei auf der A 1 gewesen. Als die Demonstranten vor dem Zentralgefängnis Leuchtraketen und Feuerwerke zündeten, griff die Polizei ein. 47 Personen wurden in Gewahrsam genommen. Der Menschenrechtsverein Augenauf Bern hat darauf eine Aufsichtsbeschwerde wegen des Vorgehens der Polizei eingereicht. Diese hat nun die Justizdirektion beantwortet.

 "Die Direktion glaubt uns offenbar nicht. Sie scheint den Polizeieinsatz zu beschönigen", kritisiert Augenauf. Die Antwort der Sicherheits- und Justizdirektion (SJD) gehe nicht auf alle gestellten Fragen ein, so ihr Sprecher Nicholas Pohl.

 Keine Schikane

 Augenauf bemängelte damals, dass die Demonstranten erst nach Stunden über den Grund ihrer Festnahme informiert worden seien und nicht genügend Wasser erhalten hätten. Polizisten hätten sich geweigert, sich auszuweisen. Sie hätten bei der Festnahme grundlos Gewalt an den Tag gelegt und die Festgehaltenen auf verschiedene Weise "schikaniert".

 In seiner Antwort von Anfang September gibt Staatsrat Erwin Jutzet organisatorische Mängel auf dem Polizeiposten zu. Diese seien auf die "hohe Zahl der Anhaltungen" zurückzuführen, heisst es in dem Bericht. Auch die Verpflegung sei nicht ohne Schwierigkeiten verlaufen - aber das sei "keineswegs in schikanöser Absicht" erfolgt. Hingegen seien alle Personen über ihre Rechte aufgeklärt worden und mit einem entsprechenden Merkblatt ausgestattet worden - eine Tatsache, die Augenauf aufgrund von Aussagen bestreitet.

 Fragen nicht beantwortet

 Schlimmer wiegt für die Organisation aber, dass die Justizdirektion auf ihre Frage zum Einsatz von Gummigeschossen überhaupt nicht geantwortet hat. Polizisten hatten aus kurzer Distanz mit Gewehren auf Demonstranten gezielt, die eigentlich nur ab zwanzig Metern Entfernung eingesetzt werden dürften. Für die Kantonspolizei war der Einsatz der Gummigeschosse jedoch gerechtfertigt, wie es im Juni hiess.

 Die DNA-Entnahmen unter Zwang sind ein weiterer Punkt, in dem sich Direktion und Menschenrechtsorganisation widersprechen.

 Insgesamt hat die Menschenrechtsorganisation Augenauf zwölf Beschwerden erhalten. Für Nicholas Pohl ein Zeichen, dass eine genauere Untersuchung angebracht sei.

 Die Druckmittel von Augenauf sind aber mit der Aufsichtsbeschwerde verstrichen. Das gestrige, an den Justizdirektor gerichtete Schreiben hat keinen zwingenden Charakter.
 cf

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augenauf.ch 14.10.10

Freiburg: Unbefriedigende Antwort auf die Aufsichtsbeschwerde von augenauf

Demo gegen Polizeigewalt in Freiburg vom 12. Juni 2010: Die Sicherheits- und Justizdirektion des Kantons Freiburg übernimmt in ihrer Antwort auf eine Aufsichtbeschwerde von augenauf Bern unkritisch und offenbar ohne weitere Abklärungen die Darstellung der Polizei. Zahlreiche Fragen bleiben ungeklärt...

Am 22. Juni 2010 hat augenauf Bern bei der Sicherheits- und Justizdirektion Freiburg eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht. Darin wurde eine eingehendere Untersuchung des polizeilichen Handelns anlässlich der Demonstration gegen Polizeigewalt am 12. Juni 2010 gefordert.

Die Sicherheits- und Justizdirektion hat auf den Antrag mit einem dreiseitigen Papier reagiert und erachtet eine weitergehende Untersuchung als unnötig (siehe Anhang "Antwort Sicherheits- und Justizdirektion"). augenauf Bern beurteilt die diese Antwort auf die Aufsichtsbeschwerde insgesamt als äusserst unbefriedigend.

augenauf Bern hat in den letzten Wochen das Schreiben der Sicherheits- und Justizdirektion eingehend geprüft und eine Antwort verfasst, welche zahlreiche Kritikpunkte umfasst. Viele der von augenauf Bern in der Aufsichtsbeschwerde gestellten Fragen wurden nur oberflächlich, andere gar nicht beantwortet. So unterlässt es die Sicherheits- und Justizdirektion auf zwei heikle Fragen einzugehen. Erstens erklärt sie nicht, weshalb die Polizei gegenüber wehrlosen Personen aus äusserst kurzer Distanz mit dem Einsatz von Gummigeschossen drohte. Zweitens geht sie nicht darauf ein, weshalb mehrere Personen aus anderen Kantonen erst kurz nach den letzten Zugsabfahrten freigelassen und anschliessend sich selbst überlassen wurden. Ferner schreibt die Sicherheits- und Justizdirektion, dass es zu keinen zwangsweisen DNA-Entnahmen gekommen sei. Dies widerspricht eindeutig den Angaben der Betroffenen.

Weitere Versäumnisse der Polizei (Verletzung der Informationspflicht, mangelnde Versorgung der Festgenommenen) rechtfertigt die Sicherheits- und Justizdirektion mit dem grossen administrativen Aufwand, der durch die hohe Zahl festgenommener Personen entstanden sei. Für augenauf Bern ist es inakzeptabel, logistische Überforderung als Rechtfertigung für Grundrechtsbeschneidungen gelten zu lassen. Dieser Umstand ruft geradezu nach einer weiteren Untersuchung, um die konkreten Problemstellen zu eruieren.

Insgesamt ist es zu bedauern, dass sich die Sicherheits- und Justizdirektion in sämtlichen Fällen unkritisch auf die Seite der Polizei stellt und den augenauf Bern zugesandten Berichten offensichtlich wenig Glauben schenkt. Dadurch werden fehlbare PolizistInnen in ihrem Verhalten bestärkt und geschützt. augenauf Bern erachtet dies als Affront gegenüber den Betroffenen.

Im angehängten Schreiben werden die einzelnen Kritikpunkte detailliert aufgeführt. augenauf Bern erachtet den fraglichen Polizeieinsatz nach wie vor als unverhältnismässig und hält weiterhin an der Forderung nach einer eingehenden Untersuchung fest.

* Medienmitteilung von augenauf Bern vom 14.10.2010 (pdf)
http://www.augenauf.ch/pdf/MM_14.10.10.pdf
* Aufsichtsbeschwerde von augenauf Bern vom 23.06.2010 (pdf)
http://www.augenauf.ch/pdf/10-06-22Aufsichtsbeschwerde.pdf
* Antwort und Kritik von augenauf Bern vom 14.10.2010 (pdf)
http://www.augenauf.ch/pdf/Schreiben_an_Sicherheits-_und_Justizdirektion_14.10.10.pdf

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augenauf Bern
Quartiergasse 17
3013 Bern
bern@augenauf.ch
PC 46-186462-9

Sicherheits- und Justizdirektion
zuhanden des Direktionsvorstehers Erwin Jutzet
Reichengasse 27

1700 Freiburg

Bern, den 14. Oktober 2010

Antwort der Sicherheits- und Justizdirektion auf die Aufsichtsbeschwerde von augenauf Bern

Sehr geehrter Herr Jutzet

augenauf Bern möchte sich bei Ihnen für die Antwort auf die Aufsichtsbeschwerde bedanken. Leider wurden einige Punkte nur oberflächlich oder gar nicht beantwortet. augenauf Bern bedauert dies sehr und erachtet eine eingehendere Untersuchung des Polizeieinsatzes weiterhin für dringend nötig.
Nachfolgend finden Sie eine Auflistung der Kritikpunkte an Ihrer Antwort. augenauf Bern hofft, dass Sie nach der Prüfung dieser Kritikpunkte auf Ihren Entscheid zurückkommen und trotzdem eine Untersuchung einleiten werden.
    
1. Einsatz von Gummigeschossen

Die Erklärung der Sicherheits- und Justizdirektion erscheint in diesem Punkt zunächst einleuchtend. Nach unseren Informationen hat die Polizei jedoch bereits vor der Eskalation vor dem Zentralgefängnis hinter der Demonstration eine Reihe gebildet. Dies hatte zur Folge, dass unter den DemonstrationsteilnehmerInnen Ängste vor einem Polizeikessel kursierten, was die Stimmung zusätzlich anheizte. Zudem wurden durch dieses Vorgehen Fluchtwege abgeschnitten, sodass sämtliche TeilnehmerInnen der Demonstration unter Beschuss der Polizei gerieten. Da der Kampfmitteleinsatz zudem nicht angekündigt wurde, bestand für die TeilnehmerInnen kaum die Möglichkeit, sich von der Szenerie zu entfernen.
Die Kontaktperson befand sich nach eigenen Angaben abseits der Gruppe, welche Feuerwerkskörper abfeuerte und war bemüht den Kontakt mit der Polizei herzustellen.
    
2. Informationspflicht

Laut der Antwort der Sicherheits- und Justizdirektion konnte nicht eruiert werden, ob sich einzelne PolizistInnen geweigert haben, ihren Namen bekannt zu geben. Da dies nachträglich grundsätzlich nur schwer zu eruieren ist, fordert augenauf Bern zumindest das offene Tragen der Dienstnummer. Eine solche lässt erst bei einer Untersuchung auf die Identität eines/einer Polizeiangehörigen schliessen und schützt dadurch die Persönlichkeitsrechte der PolizistInnen. Würden sich PolizistInnen hingegen weigern, die Dienstnummer offen zu tragen, wäre dies auch für Dritte (z.B. PassantInnen, JournalistInnen oder andere PolizistInnen) klar erkennbar. Gibt es keine Pflicht zum offenen Tragen der Dienstnummer, kann dies den Machtmissbrauch auf Seiten der Polizei fördern. Betroffene können, falls PolizistInnen sich weigern ihren Namen bekannt zu geben, einzig gegen Unbekannt aussagen oder Anzeige einreichen, was eine strafrechtliche Verfolgung massiv erschwert oder gar verunmöglicht.
Nach Ansicht von augenauf Bern sollte es auch im Interesse der Sicherheits- und Justizdirektion liegen, dass PolizistInnen für fehlbares Verhalten zur Rechenschaft gezogen werden können. Gerade die fehlende Überprüfbarkeit der Namensnennung sollte daher die Sicherheits- und Justizdirektion dazu veranlassen, sich für das offene Tragen der Dienstnummer einzusetzen. Es ist zu bedauern, dass die Sicherheits- und Justizdirektion den augenauf Bern zugesandten Berichten keinen Glauben schenkt und sich stattdessen unkritisch auf die Seite der Polizei stellt. Denn allfällige fehlbare PolizistInnen werden durch solche Aussagen in ihrem Verhalten bestärkt und geschützt.
Die Sicherheits- und Justizdirektion räumt ein, dass einzelne Personen erst nach einigen Stunden über den Grund ihrer Festnahme informiert wurden. augenauf Bern sieht in der hohen Anzahl der Festnahmen keine ausreichende Begründung für diese Unterlassung. Der Grund für eine Festnahme sollte bereits vor der Festnahme feststehen, weshalb eine Nennung des Grundes keinen zusätzlichen Aufwand bedeuten sollte.

3. Festnahmen

Aus den Berichten, welche augenauf Bern erhalten hat, geht hervor, dass auch unbeteiligte Personen festgenommen wurden. Aufgrund der vagen Antwort der Sicherheits- und Justizdirektion können leider keine konkreten Punkte des Auswahlverfahrens kritisiert werden. Es ist aber zu vermuten, dass Äusserlichkeiten ebenfalls ein - wenn auch willkürliches - Festnahmekriterium darstellten. augenauf Bern erachtet es als unverhältnismässig, Personen bloss aufgrund einer "wahrscheinlichen Beteiligung an den Gewalttaten" bis zu 24 Stunden festzuhalten.

4. Gewaltanwendung und -androhung

Im konkreten Fall der gewaltsamen Festnahme steht es Aussage gegen Aussage. Da die betroffene Person nur leichte Schürfwunden am Kopf aufwies, nicht über ein ärztliches Attest verfügte und die Namen der beteiligten PolizistInnen nicht kannte, hat sie es unterlassen, Anzeige einzureichen.
Die Sicherheits- und Justizdirektion geht nicht auf die Fragen zu den Mehrzweckwerfern ein. augenauf Bern bedauert dieses Versäumnis. Mehrzweckwerfer sind als Distanzwaffen konzipiert. Beträgt die Distanz bei einem Gummigeschoss-Einsatz weniger als 20 Meter werden schwerwiegende Verletzungen in Kauf genommen (schwerwiegende Augenverletzungen auch bei grösserer Distanz). Die Freiburger Polizei hat Mehrzweckwerfer aus ca. 5 Metern Distanz auf offensichtlich wehrlose Personen gerichtet und damit schwerwiegende Verletzungen riskiert (vgl. Foto im Anhang). Dieses Vorgehen, sowie die fehlende Behandlung dieser Frage sind scharf zu kritisieren.

5. Festhaltebedingungen

Der Antwort ist zu entnehmen, dass die Polizei den logistischen Anforderungen während mehrerer Stunden nicht gewachsen war und selbst den grundlegendsten Rechten und Bedürfnissen der Festgenommenen nicht gerecht werden konnte. Ein weiterer Hinweis hierzu liefert die Antwort auf die Frage zwei (ungenügende Auskunft über den Grund der Festnahme). Für augenauf Bern ist es inakzeptabel, logistische Überforderung als Erklärung für Grundrechtsbeschneidungen stehen zu lassen. Dieser Umstand ruft geradezu nach einer weiteren Untersuchung um die konkreten Problemstellen zu eruieren. Ferner bleibt ungeklärt, worin die logistische Überforderung besteht, festgehaltenen Personen in Sichtweite stehende Getränke zu überreichen.
    
6. Dauer der Festnahmen

augenauf Bern hat in der eingereichten Aufsichtsbeschwerde nicht behauptet, die Dauer der Festnahmen sei widerrechtlich gewesen. Vielmehr ist augenauf Bern der Meinung, dass die Dauer grundsätzlich unverhältnismässig war, zumal am Sonntag nur noch wenige Verhöre stattgefunden haben. Es stellt sich ausserdem die Frage, weshalb die Betroffenen aufgrund blossen Verdachts innerhalb von 24 Stunden drei Mal befragt werden mussten. Die Personen hätten nach einmaliger Befragung freigelassen und bei erhärtetem Verdacht zu einem weiteren Verhör aufgeboten werden können. Dies hätte den administrativen Aufwand bedeutend verringert.
Die Sicherheits- und Justizdirektion hat es versäumt, die Frage bezüglich der nächtlichen Heimkehr zu beantworten. Die Freiburger Polizei hat in anderen Kantonen wohnhafte Personen nach Abfahrt der letzten Züge freigelassen und nicht für ihre Heimkehr gesorgt. Durch eine solche Praxis nimmt die Freiburger Polizei in Kauf, dass (auch ausserkantonal wohnhafte) Personen die ganze Nacht auf offener Strasse verbringen müssen. augenauf Bern kann nicht nachvollziehen, weshalb die Sicherheits- und Justizdirektion nicht auf diese Frage eingegangen ist.

7. Erkennungsdienstliche Massnahmen

augenauf Bern wurde (unabhängig voneinander) über zwei zwangsweise DNA-Entnahmen ohne untersuchungsrichterliche Verfügung berichtet. augenauf Bern rät in solchen Fällen Anzeige gegen die fehlbaren PolizistInnen (oder gegen unbekannt, falls die Namen der PolizistInnen nicht bekannt sind) einzureichen. Da ein Schuldspruch aufgrund der Beweislage sehr unwahrscheinlich ist und ein Gerichtsverfahren mit einigem (auch finanziellen) Aufwand und psychischem Druck verbunden ist, kann augenauf Bern aber nachvollziehen, dass die Betroffenen davon abgesehen haben. Die Aussagen einer mit augenauf Bern im Kontakt stehenden Betroffenen einer Zwangsentnahme wirken äusserst glaubwürdig, weshalb augenauf Bern nach wie vor davon ausgeht, dass es zu zwangsweisen DNA-Entnahmen gekommen ist. Diese Vermutung wird durch weitere Abweichungen zwischen der offiziellen Version und Berichten von Betroffenen bestärkt: Entgegen der Behauptung der Sicherheits- und Justizdirektion, dass sämtliche festgenommenen Personen ein Merkblatt bezüglich ihrer Rechte erhalten hätten, berichteten mehrere Betroffene, dass sie nicht über ihre Rechte informiert worden seien.

8. Entkleidung

Diese Frage konnte die Sicherheits- und Justizdirektion einleuchtend beantworten, auch wenn augenauf Bern die Einschätzung über die Verhältnismässigkeit des entsprechenden Dienstbefehles nicht teilt.

Fazit von augenauf Bern

augenauf Bern erachtet die Antwort der Sicherheits- und Justizdirektion insgesamt als unbefriedigend. Im Allgemeinen wurden die Fragen bloss oberflächlich beantwortet oder ganz ignoriert. Die ausgelassenen Fragen (bezüglich Mehrzweckwerfer oder der nächtlichen Heimkehr der Freigelassenen) sind aber von grosser Relevanz, da einerseits schwerwiegende Verletzungen in Kauf genommen wurden und andererseits nicht für die Rückreise von Personen aus anderen Kantonen gesorgt wurde. Es ist anzunehmen, dass die Behandlung dieser Fragen zu einer kritischeren Beurteilung des Polizeieinsatzes geführt hätte und dies eine eingehendere Untersuchung dringlicher gemacht hätte.
Selbst wenn diese Unterlassungen ausser Acht gelassen werden, scheint die Sicherheits- und Justizdirektion den Polizeieinsatz zu beschönigen, indem sie sich in sämtlichen Punkten unkritisch und ohne weitere Abklärungen auf die Seite der Polizei stellt und in vielen Fällen den augenauf Bern geschilderten Erlebnissen offenbar keinen Glauben schenkt. Dadurch werden fehlbare PolizistInnen in ihrem Verhalten bestärkt und geschützt. augenauf Bern erachtet dies als Affront gegenüber den Betroffenen. Die Tatsache, dass die Sicherheits- und Justizdirektion Grundrechtsbeschneidungen mit dem grossen administrativen Aufwand begründet und dadurch legitimiert, ist äusserst stossend.
augenauf Bern ist aufgrund der oben genannten Kritikpunkte und ungeklärten Fragen befremdet, dass die Sicherheits- und Justizdirektion eine eingehendere Untersuchung für unnötig erachtet und bittet Sie nachdrücklich, auf diesen Entscheid zurückzukommen.

Hochachtungsvoll
augenauf Bern

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AUSSCHAFFUNGEN
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Basler Zeitung 15.10.10

Illegale nutzen Schwäche des Systems aus

 Lässt sich die Identität nicht abklären, sind abgewiesene Asylsuchende nach 18 Monaten Gefängnis wieder frei

 Mischa Hauswirth

 Die Rückführung in afrikanische Länder stellt Migrationsämter meist vor Probleme. So auch im Fall des illegal im Baselbiet lebenden Ali A. (20), der eigentlich schon lange ausser Land sein müsste.

 Im Mai 2010 verliess der Afrikaner Ali A. das Gefängnis Bässlergut in Basel. Aber nicht Richtung Afrika, sondern Richtung Schweiz. Wie er sich dabei gefühlt hat oder was ihm dabei über die Schweizer Gesetze durch den Kopf gegangen ist, weiss nur er selber. Als gesichert hingegen gilt: Die Behörden erliessen ihm einen Monat Ausschaffungshaft. Statt der möglichen 18 Monate musste er nur 17 Monate im Gefängnis verbringen. "Wenn das angebliche Herkunftsland den Mann nicht nimmt oder wenn Zweifel an der Identität der Person bestehen, wird die Ausschaffungshaft abgebrochen", sagt Markus Melzl, Medienchef der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt.

 Der Fall Ali A. ist exemplarisch für die Mühen, die Schweizer Migrationsbehörden bei der Umsetzung der gesetzlichen Grundlage haben. Denn sie können eine Rückschaffung nur in die Wege leiten, wenn sie die Identität der Person kennen.

 56 Franken pro Woche

Möglicherweise heisst Ali A. gar nicht so, und möglicherweise kommt er auch nicht aus dem Sudan, wie er behauptet. Aus welchem Land er tatsächlich stammt, verschweigt er aber hartnäckig. "Die sudanesische Botschaft hat uns mitgeteilt, dass der Mann kein Sudanese sei und sie ihn deshalb nicht in ihrem Land aufnehmen werden", sagt Dieter Leutwyler, Sprecher der Baselbieter Sicherheitsdirektion.

 Seit Mai lebt Ali A. nun in der Asylunterkunft an der Gelterkinderstrasse 29b in Sissach. Er erhält vom Staat eine sogenannte Nothilfe, die acht Franken am Tag beziehungsweise 56 Franken in der Woche beinhaltet. Von diesem Geld muss der Mann Essen, Trinken und Kleidung selber bezahlen, Unterkunft sowie medizinische Betreuung stellt der Staat ihm kostenlos zur Verfügung. Zuständig für den jungen Afrikaner ist das Migrationsamt BaselLandschaft, und er bleibt bis zu seiner Ausschaffung im Baselbiet. Eine Aufenthaltsbewilligung wird Ali A. keine erhalten, ausser er findet eine Schweizerin, die ihn heiratet.

 Ein Vorfall im vergangenen Sommer zeigt, dass für den Steuerzahler nicht nur die Kosten des Nothilfegeldes, der ärztlichen Betreuung und der Unterkunft anfallen: Die Polizei kontrollierte Ali A. in Basel. Natürlich stellten die Polizisten rasch fest: Ali A. verfügt über keine Aufenthaltsbewilligung und wohnt in der Sissacher Asylunterkunft. Weil er sich illegal in der Schweiz befindet und das Rayonverbot missachtet hat, wurde der Afrikaner zu einer Geldstrafe von 35 Tagessätzen à zehn Franken verurteilt. Umgerechnet auf das Notgeld, das Ali A. erhält, entspricht das gut sechs Wochen "Einkommen". Ob und wie der Afrikaner die Busse bezahlt hat, konnte die BaZ nicht in Erfahrung bringen.

 Der Basler Anwalt Stephan Suter, der Ali A. unentgeltlich verteidigt, sagt zum Fall: "Es ist grotesk, dass der Mann für das Nicht-Verlassen der Schweiz bestraft wird, obwohl er aus dem Ausschaffungsgefängnis in die Schweiz - und gerade nicht ins Ausland - entlassen wurde."

 Kein Einzelfall

Ob hinter falschen Angaben zur Nationalität taktisches Kalkül steht, damit Ali A. die Schweiz nicht verlassen muss, ist aus rechtlicher Sicht nebensächlich. Die Frage, die sich stellt, lautet anders: Können die Behörden dem Mann überlassen, was sie selber während 17 Monaten nicht geschafft haben, nämlich ein Land zu finden, das ihn aufnimmt?

 Mit dem, was Ali A. bleibt, nachdem er für Kost und Kleidung aufgekommen ist, kann er im besten Fall zu Fuss nach Deutschland oder Frankreich ausreisen. Seine Aussichten aber, in einem Schengen-Land Asyl zu erhalten, sind gleich null. Also wird er in der Schweiz bleiben - und zwar so lange, bis die Behörden ihn zurückschaffen können. Oder aber er wird untertauchen. "Irgendwann werden die Leute zu den Sans-Papiers, über deren Schicksal wir immer wieder diskutieren", sagt Michael Glauser, Sprecher des Bundesamtes für Migration.

 Die Bundesbehörden wissen nicht, wie viele Personen zurzeit nicht ausgeschafft werden können. Die Fernsehsendung "10 vor 10" berichtete, vergangenes Jahr hätten 2600 Rückschaffungsflüge nicht durchgeführt werden können und jede vierte Rückschaffung misslinge.

 Mangelnde Kooperation

Bei seiner Entlassung aus dem Bässlergut hat Ali A. den Steuerzahler bereits einiges gekostet. Bund und Kanton bezahlen pro Tag Ausschaffungshaft 140 Franken. Im Fall des 20-jährigen Afrikaners bedeutet das mehr als 70 000 Franken.

 Im Baselbiet gibt es seit Jahren permanent rund 200 Fälle mit "Ausschaffungspendenz". Doch nur wenige befinden sich tatsächlich in Ausschaffungshaft. Rolf Rossi, Asylkoordinator des Kantons BaselLandschaft: "Der grosse Teil befindet sich nicht im Gefängnis."

 Die Behörden können zwar auch ohne Kooperation der Betroffenen deren Identität herausfinden und gültige Ausweise beschaffen, doch ist dies wesentlich aufwendiger. Leutwyler: "Es gibt aber Länder, bei denen die Papierbeschaffung ohne Kooperation der Betroffenen nicht möglich ist." Das Baselbieter Amt für Migration machte zudem die Erfahrung, dass selbst nach Vorliegen von Reisepapieren keine Möglichkeit zur Durchführung von Sonderflügen bestand. Anders formuliert: Gewisse afrikanische Staaten haben keinerlei Interesse, ihre Landsleute zurückzunehmen.

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 2009 wies Basel 53 Ausländer aus

 Kein Einfluss. Auf Fälle wie jenen von Ali A. hat die SVP-Ausschaffungsinitiative, die Ende November zur Abstimmung gelangt, keinen Einfluss. Der Grund ist simpel: Illegale haben ohnehin kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz. Die SVP-Initiative will die Ausschaffungskriterien für jene Ausländer verschärfen, die eine Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligung in der Schweiz besitzen.

 Zur besseren Einordnung: Im Jahr 2009 entzog der Kanton Basel-Stadt insgesamt 53 Menschen die Aufenthaltsbewilligung, im laufenden Jahr waren es bislang 28. Beim Entzug der Aufenthaltsbewilligung spricht man von einer Wegweisung - dies ist der förmliche Teil des Verfahrens. Die betroffenen Menschen erhalten vom Kanton eine Aufforderung, das Land zu verlassen. "Die Frist ist von Fall zu Fall verschieden, durchschnittlich räumen wir eine Periode von drei Monaten ein", sagt Michel Girard, Leiter des Basler Migrationsamts. Verlassen die Menschen das Land nicht, dann kommt es zu Zwangsmassnahmen: zur Ausschaffung. Gemäss Girard reisen jedoch 70 bis 80 Prozent der Leute, denen die Aufenthaltsbewilligung entzogen wird, selbstständig aus.  pak

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NLZ 15.10.10

Ausschaffung bleibt schwierig

 Abstimmung

Kari Kälin

 Auch bei einem Ja zur Ausschaffungs- initiative würden nicht alle kriminellen Ausländer ausser Landes gebracht. Der Haken liegt im Vollzug.

 Kari Kälin

 kari.kaelin@neue-lz.ch

 Wenn in der Debatte über die Ausländerkriminalität das Wort "Kuscheljustiz" fällt, ärgert sich Marc Spescha. "Die behauptete Laschheit im Umgang mit straffälligen Ausländern ist haltlos", sagt der Zürcher Anwalt, der an der Universität Fribourg Lehrbeauftragter für schweizerisches Migrationsrecht ist. Seit jeher würden erheblich straffällige Ausländer in der Schweiz im Regelfall die Aufenthalts- und die Niederlassungsbewilligung verlieren, aus dem Land weggewiesen und ausgeschafft.

 Die Schweiz sei für ihre "überstrenge Praxis" mehrfach vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg gerügt worden. Spescha bekämpft deshalb nicht nur die Ausschaffungsinitiative, sondern auch den Gegenentwurf, der von Bundesrat und Parlament unterstützt wird. "Mit dem Gegenvorschlag wird ein falsches Signal ausgesendet, nämlich, dass die Richter im Zweifel gegen die Ausländer entscheiden", sagt das Mitglied des Komitees "2 x Nein".

 Bei den Befürwortern des Gegenvorschlags sieht man das genau umgekehrt. Karin Keller-Sutter, St. Galler Regierungrätin und Vizepräsidentin der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz, sagt, mit dem Gegenvorschlag schaffe die Politik klarere Verhältnisse. Derweil pocht die SVP auf ihre Initiative, weil kriminelle Ausländer automatisch ausgewiesen würden und nicht Rekurs einlegen könnten.

 1500 Wegweisungen pro Jahr?

 Gemäss den Zahlen des Bundesamtes für Migration (BFM) werden derzeit jährlich 350 bis 400 kriminelle Ausländer weggewiesen. Mit der Ausschaffungsinitiative wären es 1500, mit dem Gegenvorschlag 750 bis 800. Das seien Schätzungen, heisst es beim BFM. Spescha hält diese Zahlen für "irreführend und unseriös", wie er gegenüber der "NZZ am Sonntag" sagte. Es seien auch Fälle miteingeschlossen, bei denen der Vollzug scheitere, etwa bei anerkannten Flüchtlingen, die wegen des Non-Refoulement-Prinzips nicht ausgeschafft werden können. Es besagt, dass niemand in ein Land weggewiesen werden darf, in dem sein Leben oder seine Freiheit in Gefahr ist.

 Wie auch immer das Volk am 28. November entscheidet, ob es die Ausschaffungsinitiative oder den Gegenvorschlag annimmt: Alle straffälligen Ausländer können sowieso nicht ausgeschafft werden, weil der Vollzug gar nicht in allen Fällen möglich ist.

 Bei der Ausschaffungsinitiative ist das bei straffälligen, anerkannten Flüchtlingen der Fall. Sie erhalten zwar einen Wegweisungsbescheid, aber faktisch kann die Ausschaffung wegen des Non-Refoulement-Prinzips nicht vollzogen werden. Das weiss auch die SVP. Das Problem beschränke sich aber auf wenige Fälle, da anerkannte Flüchtlinge nur 1,5 Prozent der ausländischen Bevölkerung der Schweiz ausmachten.

 Probleme mit Algerien

 Verunmöglicht wird die Ausschaffung überdies, wenn sich der Empfängerstaat weigert, seine Bürger entgegenzunehmen. Probleme gibt es mit einigen Ländern, zum Beispiel mit Algerien. Das nordafrikanische Land kooperiert nur, wenn ihre Bürger freiwillig, also mit einem Linienflug, zurückkehren. Mit anderen Worten: Es stellen sich die gleichen Schwierigkeiten wie bei den abgewiesenen Asylbewerbern, welche die Schweiz nicht freiwillig verlassen.

 Die Vollzugsproblematik lastet auch auf dem Gegenentwurf. Im Gegensatz zur Ausschaffungsinitiative enthält dieser keinen Wegweisungsautomatismus, weil die Entscheide auf die Verhältnismässigkeit geprüft werden. Ein Ausländer, der vom Migrationsamt einen Wegweisungbescheid erhält, kann also dagegen rekurrieren. Laut Heinz Brand, Präsident der Vereinigung der kantonalen Migrationsbehörden und Chef Migrationsamt Graubünden, ist das "die Regel". Werde der Fall bis vor Bundesgericht gezogen, könne sich die faktische Ausschaffung um zwei bis zweieinhalb Jahre verzögern.

 Karin Keller-Sutter bestätigt Brands Beobachtung: "Die Realität zeigt, dass Ausländer mit einer Niederlassungsbewilligung bei einem Entzug der Aufenthaltsbewilligung oft den ganzen Instanzenweg bis vor Bundesgericht durchlaufen, um die Ausweisung zu verhindern oder zu verzögern."

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Wie werden kriminelle Ausländer des Landes verwiesen?
 
Wann wird ein Ausländer ausgeschafft?
 
Ausschaffungsinitiative SVP
Bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts, einer Vergewaltigung oder eines anderen Sexualdelikts, wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels, Drogenhandels, eines Einbruchsdelikts. Bei missbräuchlichem Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen oder Sozialhilfe.
 
Gegenentwurf
Bei einer rechtskräftigen Verurteilung wegen Straftaten, für die mindestens 1 Jahr Freiheitsentzug droht, und bei einer Freiheitsstrafe von 2 Jahren (darunter fallen Delikte wie Mord, vorsätzliche Tötung, Vergewaltigung, schwerer Verstoss gegen das Betäubungsmittelgesetz). Betrug oder andere Straftat im Bereich der Sozialhilfe/Sozialversicherungen oder im Bereich der Wirtschaft, für die es eine Freiheitsstrafe von mindestens 18 Monaten gibt. Wer innerhalb von zehn Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen oder Geldstrafen von mindestens 720 Tagen oder Tagessätzen rechtskräftig verurteilt worden ist.
 
Geltendes Recht
Wenn eine Person erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit verstossen hat oder diese gefährdet. Ausweisungen werden in der Praxis laut dem Experten in der Regel bei Freiheitsstrafen ab 2 Jahren ausgesprochen.

 
Für wie lange wird ein Ausländer ausgeschafft?

Ausschaffungsinitiative SVP
Mindestens 5 bis 15 Jahre, im Wiederholungsfall 20 Jahre.

Gegenentwurf Parlament
In schweren Fällen auf unbefristete Zeit.

Geltendes Recht
Gemäss Experten wird die Wegweisung in der Praxis praktisch immer auf unbestimmte Zeit ausgesprochen. Bei Gründen wie dem Bezug von Sozialhilfe oder illegalem Aufenthalt gilt die Widerrufung der Aufenthaltsbewilligung in der Regel für ein bis drei Jahre.
 

Werden zwingend alle straffällig gewordenen Ausländer ausgeschafft?

Ausschaffungsinitiative SVP
Ja. Bei anerkannten Flüchtlingen gilt jedoch das Prinzip der Nichtrückschiebung (Non-Refoulement). Die Initianten argumentieren mit Bezug auf Artikel 33 der Flüchtlingskonvention, dieser Schutz gelte nicht absolut. Gelte ein Flüchtling als Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaates, könne ein Staat nicht gezwungen werden, dem betreffenden ausländischen Straftäter weiterhin Aufenthalt zu gewähren.
 
Gegenentwurf Parlament
Nein. Die Behörden sind dazu verpflichtet, weiterhin den verfassungsmässigen Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu prüfen und die Grund- und Menschenrechte zu berücksichtigen. Gemäss Angaben des Bundesamtes für Migration legt der Gegenentwurf die Nichtrückschiebung im Gegensatz zu den Initianten absolut aus - mit Verweis auf Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (Niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden).
 
Geltendes Recht
Nein. Die Praxis in den Kantonen ist unterschiedlich. Grundsätzlich wird geprüft, wie stark der straffällig gewordene Ausländer in der Schweiz verankert ist und wie gross die öffentliche Sicherheit in der Schweiz in Gefahr ist, wenn die betreffende Person bleibt.
 

Wie viele straffällige Ausländer werden jährlich ausgeschafft?

Ausschaffungsintiative SVP
Rund 1500 (gemäss Schätzungen des Bundesamtes für Migration)
 
Gegenentwurf Parlament
Rund 750 bis 800 (gemäss Schätzungen des Bundesamtes für Migration).
 
Geltendes Recht
Rund 350 bis 400 (gemäss Schätzungen des Bundesamtes für Migration).

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IV-ABBAU
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zaemestah.ch

Kundgebung 30.10.2010, 14:00 Uhr, in Bern auf dem Bundesplatz

Mit der IV-Revision 6a soll langjährigen RentnerInnen, die unter einer Schmerzstörung, gewissen psychischen Krankheiten oder einem Schleudertrauma leiden, die Rente weggenommen werden.
Damit werden Tausende bei der Sozialhilfe landen.

Obwohl die bisherigen Eingliederungsbemühungen der IV schlecht funktionieren, fehlen auch in dieser Revisionsvorlage griffige Massnahmen, um die Integration von Behinderten in den heutigen Arbeitsmarkt zu ermöglichen (z.B. finanzielle Anreize für die Anstellung von Behinderten, Abschaffen der versicherungstechnischen Nachteile, Anstellungsquoten für staatliche und private Betriebe ab einer gewissen Grösse)!

Jetzt reicht's.
Wir wollen keine Sparübungen auf dem Buckel der Schwächsten, sondern griffige Integrationsmassnahmen im Arbeitsmarkt.

Deshalb:

Zämestah - für eine solidarische Invalidenversicherung!

Wir fordern:   
- Keine Aufhebung von bestehenden IV-Renten;
- Wirksame Integration von Behinderten in den bestehenden Arbeitsmarkt.

Um diesen Forderungen zum Durchbruch zu verhelfen, treffen wir uns zu einer

Kundgebung am 30. Oktober 2010 um 14:00 auf dem Bundesplatz in Bern.

Unterstützen Sie uns auch jetzt bereits mit Ihrem Namen bzw. tragen Sie sich in unsere E-Mail-Infoliste ein:
-->Unterstützung (http://www.zämestah.ch/unterstuetzung.php)

Ausführlichere Informationen zu unseren Forderungen und den  Hintergründen der 6. IV-Revision finden Sie unter Hintergrund.
http://www.zaemestah.ch/hintergrund.php

Einen Flyer im PDF-Format zum Ausdrucken, weitermailen etc. finden Sie unter Downloads
http://www.zaemestah.ch/downloads.php

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ANTIFA
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linksunten.indymedia.org 15.10.10
http://linksunten.indymedia.org/de/node/26533

Was Mensch in Outings besser nicht machen sollte

Verfasst von: A.F.. Verfasst am: 15.10.2010 - 12:39. Geschehen am: Freitag, 15. Oktober 2010.

Sachlich, antikapitalistisch und menschlich antifaschistisch bleiben - Was Mensch in Outings besser nicht machen sollte
Aufgrund gewisser begrüßenswerter Vorkomnisse (Hausdurchsuchungen und Festnahmen) gegen Neofaschisten im Gebiet Aachen und Umland über Stolberg und Düren, bis Kerpen, Horrem und Pulheim, aber leider auch mancher falscher Töne in den Berichten über die junge Neonaziszene, fühlen wir uns genötigt einen kurzen Text zu veröffentlichen, was wir denken, was in einem Outing oder einem Bericht über (Neo)Nazis geht und was nicht.

Nicht ausdiskutiert ist für uns nämlich immer noch in der Linken Szene ob Handlungen durch den Staat "gegen Nazis" eigentlich so beglückwünschenswert sind und ob das zur Schau stellen von "Nazis" mit hierarchietreuen Methoden in Form von Lästern und Diffamieren eigentlich sogar wieder das Negative an der Gesellschaft hervorbringt die wir doch eigentlich ablehnen und ebenso bekämpfen sollten.

Dumme Faschist_Inn_en?

Auf de.Indymedia.org und Linksunten.indymedia.org wurden Texte gegen einen Faschisten in Aachen der Attentate auf linke Gegendemos und DemonstrantInnen vorbereitete sowie an Angriffen gegen das AZ Aachen beteiligt war veröffentlicht. Wir hoffen daß nicht alle Antifas aus Aachen mit der Textproduktion so viel zu tun haben. Sie haben aber darauf verlinkt. Inhaltlich ist es unzweifelhaft (für uns) korrekt so etwas zu veröffentlichen und den Nazi bloßzustellen, damit z.B. Alle wissen was er als Faschist macht und wie er es macht und vor allem um deutlich zu machen wie gefährlich er für andere Menschen ist, diejenigen nämlich die nicht in sein und das menschenverachtende Weltbild des Faschismus passen und um aufzuzeigen wohin der Nazismus mit allen seinen Konsequenzen führt. Vom Ausdruck und der Art der Beschreibung her war der Bericht aber leider gerade nicht so emanzipatorisch.

Der Faschist wurde darin als schlecht in der Schule und als Außenseiter dargestellt. Es wurde also ebenfalls ein chauvinistisches Weltbild positiv relativiert als gut gegenüber dem Faschisten suggeriert. Das er in seiner (menschlichen) Existenz scheitere sei also im übertragenen Sinne allein seine Schuld, bzw. weil er ein Faschist ist und damit nicht anpassungsfähig gegenüber den Doktrinen des damit zum Guten gemachten Systems. Wenn so etwas zum Persönlichkeitsbild von Neonazis gemacht wird und Persönlichkeitsbilder damit in Zukunft zur Nummer eins im Outing von Neonazis werden, hat deren Szene bald mehr Zulauf als Euch lieb ist. Denn der potentielle Identifikationscharakter und die davon ausgehende Gefahr ist in Jugend(-Sub-)Kulturen sehr hoch. Und welche Linke_r kennt es nicht? Sympathie für die Schwachen und Unterdrückten täuschen die Nazis nur vor. Nur wenige Naive Mitläufer_Innen unter den Faschisten sind überzeugt von der "Guten Sache". Jede/r echte Nazi_stin ist sich jedoch seines/ihres Machtstrebens und willkürlichen Herrschaftsanspruches - trotz aller rassistischen und antisemitischen Irrationalismen im falschen Bewusstsein - in Mindestmaßen klar. Selbst die biologistischste Begründung von naturdeterministischen (z.B. erblich - genetischen) Herrschaftsansprüchen stößt an ihre Grenzen. Es ist also nicht pauschal von der Irrationalität im Bewusstsein von Neonazis auszugehen, daß sie jedoch auch da ist ist ebensowenig zu unterschlagen, nur anders hervorzuheben.

Und Verrückte?

Nazis und Neonazis als einfache "Verrückte" abzustempeln, wie das die kapitalistische Gesellschaft auch gerne mit der Psychatrisierung macht, wäre eine grobe Verharmlosung und die eigentliche Unterstellung von "Strafunmündigkeit", bzw. von unschuldhaftem Verhalten im Rechtsstaat BRD. "Psychopathisch", wird nämlich im Weiteren in dem Artikel der Faschist genannt. Seine Angriffe sind aber nicht "psychopathisch" sondern eindeutig faschistoid motiviert. Der Neonazi hat also ein klares soziales Motiv für seine Taten. Er will seinen Feinden schaden und ist der Feind der Menschheit selbst. Hinter ihrem Herrenmenschendenken steckt nämlich eigentlich selbstverständlich nichts Anderes als der überhöhte und klassische Sozialdarwinismus + Rassismus gemischt mit Kulturalismus und Fundamentalismus + Antisemitismus! Wer aber mit dem Sozialdarwinistischen Menschenbild und seinen Projektionen anfängt "herumzuspielen" gibt den Raum frei für faschistische Fortsetzung(stendenz)en die in dieser negativen Gesellschaft, vor allem auch der BRD, noch fest mit inbegriffen sind. Vgl. die Sarrazindebatte. "Verrückte" wurden im deutschen Nationalsozialismus von 1933 bis 1945 umgebracht. Das tödliche Gas wurde u.a. an ihnen als erste getestet. Die Anfänge des Faschismus (u.a.) im Kaiserreich und deutsche Ärzte haben ihren Teil dazu beigetragen. Die Zwangspsychatrie wurde nach 1945 in Kooperation mit Altnazis fortgesetzt. (Vgl. Irrenoffensive - http://www.irrenoffensive.de/kontinuitaeten_zwangspsychiatrie.pdf)

Auschlusz von Faschist(Innen) ja bitte! Aber dann über klare emanzipative Wertevermittlung. Für die Freiheit - für das Leben. Für die befreite Gesellschaft kämpfen.


Der Artikel auf den sich hier bezogen wird:
* Die Akte Falko W., von Antifaschist aus Aachen, vom 02.09.2010 23:59, in Themen: Antifa
http://de.indymedia.org/2010/09/289126.shtml
Ordentlicher, hervorhebenswert recherchierte Hintergrundberichte:
* Bombenstimmung in der KAL
http://linksunten.indymedia.org/de/25045
* Situation vor dem Naziaufmarsch am 25.9.
http://linksunten.indymedia.org/de/25687

Arbeitsgruppe Antifaschistische Freiheitsbewegung

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Weitere Empfehlung:

Weblog über Demokultur (nicht von "uns") http://demokultur.blogsport.de/
Darin angesprochene Themen u.a.: Unvorsichtigkeiten, Videos, Mackertum und Dominanzverhalten auf Demos...

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PUBER
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tagesanzeiger.ch 11.8.10
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Sprayer-Strassenkoeter-der-an-jede-Ecke-pissen-muss/story/22478123

Sprayer: "Strassenköter, der an jede Ecke pissen muss"

cal

 Schmierer wie Puber ernten von den Tagesanzeiger.ch-Lesern Schimpf und Schande. Andere Sprayer gehen als Künstler durch - zumindest bei jenen Lesern, die ihr Tun nicht als Sachbeschädigung verstehen.

 Das Besprayen von fremdem Eigentum ist Sachbeschädigung - darüber besteht juristisch gesehen kein Zweifel, und das deckt sich auch mit der Meinung der Leser von Tagesanzeiger.ch. Besondere Abneigung schlägt jenen Sprayern entgegen, die ohne künstlerischen Anspruch fremde Wände besprühen.

 Einer der berüchtigsten Zürcher Vertreter dieser Gattung treibt unter dem Pseudonym Puber sein Unwesen. Seine Aussagen im Interview machten die Leser wütend: "Nichts anderes als ein Strassenköter, der an jede Ecke pissen muss", urteilt Daniel Gantner. "Solche Menschen möchte ich einfach nur stundenlang ohrfeigen", schreibt Michael Abegglen. Zahlreiche Leser empörten sich darüber, dass Puber auf Tagesanzeiger.ch ungefiltert zu Wort kommt. "Bedenklich, dass man mit solchen Artikel die Zeitung füllen muss - ein Armutszeichen!", meint Leser Hans Meier.

 Künstler oder Schmierfink?

 Die fast einhellige Abneigung, die Puber entgegenschlägt, wird meist mit der Machart seiner Schmierereien begründet:" Was der an die Wände sprayt, könnte sein 9-jähriger Sohn besser", meint Leser Marco Studer. "Ungeübter Nachahmer, monoton und repetitiv, destruktiv, ohne neue Impulse, grau wie Zürich", so auch die Kritik von Elmar Dörig.

 Mehr Sympathieen geniesst Florian L., dessen Lebengeschichte von Tagesanzeiger.ch gestern Dienstag erzählt wurde. Es sind nicht wenige, die seine Sachbeschädigungen als Kunst verstehen. Seine Taten ernteten in den Kommentarspalten deshalb nicht nur Kritik, sondern auch Solidaritätsbekundungen. Leserin Brigitte Weingartner de Vera würdigt L.s Graffiti als "auf jeden Fall sehenswert". Kurt Walimann bezeichnet den Sprayer gar als "grossartigen Künstler".

 Sachbeschädigung bleibt Sachbeschädigung

 Andere Leser sehen keinen Unterschied zwischen schmierenden Sachbeschädigern wie Puber und malenden Sachbeschädigern wie Florian L.: Walter Widget fordert die Leser auf, die Kommentare der beiden Artikel zu vergleichen. "Finde es traurig, das unsere Gesellschaft Gleiches verschieden wertet." Es sei Fakt, dass Florian gegen das Gesetz verstossen habe, hält auch Philipp Betschart fest. Anerkennung zollt er dem Sprayer, weil er für seine Taten gerade steht, "wozu heute leider nur noch die wenigsten fähig sind."

 Zahlreich sind die Leserkommentare, in denen die Höhe des Schadenersatzes, den Florian L. leisten muss, kritisiert wird: Christian Cortesi bezeichnet die Strafe als "grotesk hoch". Dass der Sprayer eine halbe Million abzahlen muss, kritisiert auch Dario Piemontese als "absolut unverhältnissmässig hohe Strafe für ein Verbrechen das höchstens mutwillig, nie aber böswillig verübt wurde."

 Die Motivation des Sprayers hat jedoch keinen Einfluss auf die Höhe des Schadenersatzes. 425'000 von 500'000 Franken, die Florian L. seit neun Jahren abstottern muss, sind nicht Busse, sondern gehen an die Geschädigten, deren Wände vollgesprayt wurden.

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Tagesanzeiger 7.8.10

Zürichs aggressivster Sprayer ist zurück

 Er habe Tausende von Wänden verschmiert, sagt der Sprayer Puber. Erwischt ihn die Stadtpolizei, drohen ihm Haft und hohe Schadenersatzzahlungen.

 Von Christoph Landolt

 In der Zürcher Sprayerszene ist Puber eine feste Grösse. Jahrelang bearbeitete er grössere Wände mit Farbrollern oder Spraydosen, kleinere Flächen mit Filzstiften. Und immer war sein Sujet der Schriftzug "Puber". Der Sprayer falle vor allem wegen der enormen Dichte von Arbeiten auf, sagt Alex Pistoja, Szenekenner und Herausgeber des Hip-Hop-Magazins "14K". Dass Puber zu den aggressivsten Sprayern Zürichs gehört, bestätigt die Stadtpolizei: "Es hat schon sehr viele Anzeigen gegen ihn gegeben", sagt Sprecher Marco Bisa.

 In den letzten Jahren jedoch tauchten vom Sprayer keine neuen Werke mehr auf. Doch jetzt hat Puber erneut zugeschlagen. In jüngster Zeit wurden mit dem "Puber"-Schriftzug mehrere Flächen verunstaltet, darunter ein Baustellencontainer an der Ecke Langstrasse/Röntgenstrasse und die Unterführung zwischen den Stadtkreisen 4 und 5.

 Kein schlechtes Gewissen

 Für die Graffiti-Beauftragte der Stadt, Priska Rast, sind die Wände wenig überraschend gewählt. "Er zielt auf Flächen, die nicht sofort übermalt werden." Deswegen meide er Privathäuser, sondern verewige sich auf Stützmauern von SBB-Geleisen oder Kantonsstrassen. Diese Orte sind allerdings unter den meisten Sprayern beliebt.

 In der Sprayerszene geniesst Puber einen zweifelhaften Ruf. Er arbeite nach der Devise "möglichst oft, möglichst gross", meint ein anonymer Sprayer. Und Pistoja sagt: "Es gibt kaum jemanden, der so polarisiert." Einerseits sei die Menge an Arbeiten, die er produziere, beachtlich. Andererseits zeichne er über die Bilder anderer Künstler. "Mit dieser Respektlosigkeit schafft man sich keine Freunde."

 Wer hinter dem Pseudonym steckt, ist der Stadtpolizei bisher nicht bekannt. Tagesanzeiger.ch konnte Puber allerdings kontaktieren und hat ihn anonym zu einem Gespräch in einem Restaurant im Kreis 5 getroffen. Als seine Hauptmotivation nennt der Mann Mitte 20 das "Gesehenwerden". Es gehe ihm weder um den künstlerischen Ausdruck noch um den Adrenalinschub. "Ich will einfach überall meinen Namen sehen." Puber sagt, dass er bereits Tausende von Wänden bemalt habe. Den dadurch verursachten Schaden schätzt er auf Hunderttausende, vielleicht Millionen von Franken. Ein schlechtes Gewissen habe er deswegen "keine Hundertstelsekunde". Sprayen sei etwas anderes, als "arme Leute abzuzocken oder einem Mädchen die Handtasche zu klauen". Die Schadensangaben bei Graffiti hält Puber für übertrieben und kritisiert die Polizei wegen ihres harten Vorgehens gegen Sprayer.

 Polizeilich gesucht

 Die Stadtpolizei ermittelt wegen zahlreicher Anzeigen gegen den Mann. Werden ihm die Sachbeschädigungen nachgewiesen, drohen eine Haftstrafe und Schadenersatzzahlungen von mehreren Hunderttausend Franken.

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tagesanzeiger.ch 6.8.10
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Ich-will-ueberall-meinen-Namen-sehen-auf-jeder-Wand/story/31386056

"Ich will überall meinen Namen sehen, auf jeder Wand"

Christoph Landolt

Puber gehört zu den aggressivsten Sprayern Zürichs. Im Interview äussert er sich mit erstaunlicher Unverfrorenheit zum immensen Sachschaden, den er anrichtet.

 Sein Pseudonym prangt an unzähligen Wänden in ganz Zürich. Seinen wahren Namen will "Puber" logischerweise nicht verraten, schliesslich geht der von ihm angerichtete Schaden in die Hunderttausende. Stattdessen will er wissen, warum man über ihn schreiben wolle. Ein Grinsen umspielt den Mund des Mittzwanzigers, der mittelgross, sportlich und nach eigener Angabe Schweizer ist. In einem asiatischen Restaurant findet sich ein ruhiger Winkel, wo sich Puber äussern will.

 Wer sind Sie eigentlich?

 Ich bin der Puber.

 Woher wissen wir, dass Sie der echte Puber sind?

 Keine Ahnung, vielleicht lüge ich Sie auch an.

 Wie zum Beweis krizzelt er zwei "Puber"-Schriftzüge auf den Notizblock des Reporters: einen Tag und die aufwendigere Variante davon, einen sogenannten Throw-up. Er benötigt dafür nur Sekunden.

 Woher kommen Sie?

 Ich bin von hier. Das bin ich auch. Züri, für immer und ewig. Ich bin hier aufgewachsen, ich liebe diese Stadt, Mann.

 Andere Sprayer haben wenig Respekt vor Ihnen und bezeichnen das, was Sie machen, als Anti-Style.

 Das, was ich mache, ist Anti-Style! In New York, in Paris machen es alle genau so! Auf der Strasse bringt es nichts mehr zu machen. Die Leute entfernen eh alles grad wieder, nach zwei Tagen ist alles verschwunden. Aber ich lege sehr wohl Wert auf Style. In der Schweiz ist die Szene einfach hängengeblieben und macht aufwendigen Shit. Ich bin eher dirty, New-York-Style.

 Was ist die Botschaft, wenns denn eine gibt?

 Ich will, dass alle Menschen mich sehen. Jeder, jeder, jeder. Hausfrauen, Geschäftsmänner. Dass sie meine Sachen sehen und fragen: Was ist das?

 Angesprochen auf die Meinung anderer, zuckt er mit den Schultern. Für jene Sprayer, die mit mehr Gestaltungswillen ans Werk gehen, hat Puber nur Spott übrig. Er bezeichnet sie als "ZHDK-Studenten", als "Michis", die nach zwei Wochen U-Haft in die Hosen scheissen würden.

 Sie überschreiben auch Werke von anderen Sprayern. Das gilt als Respektlosigkeit. Die müssen das nicht persönlich nehmen. Für mich ist jede Wand rein. Ausser wenn da schon ein Freund etwas gemacht hat.

 Warum haben Sie mit der Sprayerei angefangen?

 Es gehört einfach zu mir, ich lebe in meiner eigenen Welt. Es ist selbstverständlich, dass ich, wenn ich rumlaufe, meinen Namen hinschreibe. Ich will einfach überall meinen Namen sehen. Es geht nicht um das Künstlerische - und auch nicht um den Adrenalinschub.

 Was ist Ihnen wichtig im Leben? Was treibt Sie an? Sprayen und ficken, das ist das Geilste. Party machen ist schon auch gut. Aber ich war nie der Typ, der voll verdrögelt ist oder ein Riesen-Alkproblem hat. Frauen und Sprayen, das hat für mich Priorität. Wenn ich hier rumlaufe und tagge, dann gibt mir das keinen grossen Kick. Aber bei einer harten Action, wenn wir S-Bahnen machen, dann schon.

 Wenn er Züge mit seinem Schriftzug versieht, schliesst sich Puber mit seiner Crew zusammen. Sonst ist er am liebsten allein unterwegs. Einen Stift hat er immer dabei, meist auch zwei Spraydosen.

 Wie viele Graffiti haben Sie schon gemacht?

 Viele, viele, viele! Throw-ups sicher Hunderte, Tags Tausende.

 Im letzten Jahr war Puber offenbar weniger aktiv als früher. Warum das?

 Da sag ich nichts dazu. Vielleicht war ich im Ausland. Ich bin viel im Ausland. Amsterdam, London, Madrid - es kann gut sein, dass du dort "Puber" findest.

 Wissen Sie eigentlich, wie viel Schaden Sie mit Ihren Sprayereien schon angerichtet haben?

 Hunderttausende, vielleicht Millionen, keine Ahnung (grinst). Aber letztlich sind diese Summen übertrieben. Die SBB zum Beispiel verrechnen 17'000 Franken für einen S-Bahn-Wagen. Dabei kostet die Reinigung höchstens 500 Stutz. Aber die schlagen noch 10'000 extra drauf, weil der Wagen aus dem Verkehr gezogen werden müsse. Das ist doch auch Abzocke! Die Bahnbillette werden wegen den Tags sicher nicht teurer.

 Haben Sie keine Angst vor der Polizei?

 Nein. Darüber darfst du nicht nachdenken. Sonst hörst du noch auf. Wenn du ein berühmter Sprayer werden willst, dann gehört das Risiko dazu. Sonst kannst du gleich am Samstagnachmittag am Letten sprayen gehen.

 Sprayer mit künstlerischem Anspruch, sind das Ihre Feindbilder?

 Die interessieren mich nicht. Aber das ist schon recht, was die machen. Die stellen Graffiti auch in ein besseres Licht als "Puber" das tut. Mein Feind ist die Polizei. Ich bin voll dagegen, wie die mit Sprayern umgehen. Die nehmen einen Studenten, der mitten im Leben steht, für sieben, acht Monate in U-Haft.

 Ein schlechtes Gewissen kennen Sie nicht?

 Nicht eine Sekunde, keine Hundertstelsekunde, nie.

 Mit Ihren Graffiti richten Sie genauso Schaden an, wie wenn Sie jemanden bestehlen würden.

 Nein. Das ist etwas anderes. Wenn andere bei mir etwas hinsprayen wollen, dann sag ich denen, vertaggt den ganzen Block, von vorne bis hinten! Ist mir doch scheissegal. Im Ausland ist das viel weniger schlimm als hier. Wenn du in Rio taggst, dann kommen die Armen, und wollen, dass du ihr Haus auch noch anmalst.

 Haben Sie Respekt vor dem Eigentum anderer?

 Doch, schon. Wenn einer arme Leute abzockt oder einem Mädchen die Handtasche klaut, ist das für mich schon schlimm. Aber ich bin sicher, das kommt irgendwann einfach auf dich zurück. Ich glaube sehr an Karma und so. Wie eine Waage, die immer ausgeglichen ist. Sprayen hat definitiv keinen Einfluss auf die Waage.

 Auf dem kurzen Gang zur Primetower-Baustelle, wo sich Puber gerne mit einer seiner Sprayereien fotografieren lassen würde, passieren wir mindestens ein Dutzend "Puber"-Tags auf Rollläden von Mehrfamilienhäusern, auf Ladentüren und Betonmauern. Bei der Baustelle findet Puber sein Kunstwerk nicht. Vielleicht habe er es auch weiter hinten gemacht, er habe keine Ahnung mehr. Beim Bahnhof Hardbrücke schliesslich finden sich noch mehr von seinen Tags. Bereitwillig rückt Puber seinen Pullover zurecht und wirft sich für die Kamera in Pose. Die Pendler wissen nicht, wer da vor ihren Augen fotografiert wird. Als Puber ihre fragenden Blicke spürt, lächelt er.

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tagesanzeiger.ch 5.8.10
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/stadt/Einer-der-aggressivsten-Sprayer-ist-zurueck/story/30433581

Einer der aggressivsten Sprayer ist zurück

Christoph Landolt und Felix Schindler

 Rund zwei Jahre lang war der Sprayer, der halb Zürich verunstaltet hat, abgetaucht. Jetzt schmiert "Puber" wieder.

 In der Zürcher Sprayerszene ist "Puber" eine feste Grösse. Jahrelang bearbeitete er grössere Wände mit Farbrollern oder Spraydosen, kleinere Flächen mit Filzstiften. Und immer war sein Sujet das gleiche: der Schriftzug "Puber". Und das nicht zu selten. Der Sprayer falle vor allem wegen der enormen Dichte von Arbeiten auf, sagt Alex Pistoja, Szenekenner und Herausgeber des Hip-Hop-Magazins "14K". "Zwischen 100 und 150 Tags und Graffitis hat er bestimmt schon gemacht." Dass "Puber" zu den aggressivsten Sprayern Zürichs gehört, bestätigt auch die Stadtpolizei: "Es hat schon sehr viele Anzeigen gegen ‹Puber› gegeben", sagt Sprecher Marco Bisa.

 Aus der Versenkung aufgetaucht

 In den letzten Jahren jedoch tauchten vom Sprayer keine neuen Werke mehr auf. "Seit einiger Zeit tritt ‹Puber› seltener in Erscheinung", erklärt Bisa. Das bestätigt auch Pistoja: "Er ist seit mindestens einem Jahr nicht mehr aktiv."

 Jetzt hat "Puber" erneut zugeschlagen. In jüngster Zeit wurden mit dem "Puber"-Schriftzug mehrere Flächen verunstaltet, darunter ein Baustellencontainer an der Ecke Langstrasse/Röntgenstrasse und die Unterführung zwischen den Stadtkreisen 4 und 5.

 Für die Graffiti-Beauftragte der Stadt Zürich, Priska Rast, sind die Wände wenig überraschend gewählt. "Er zielt auf Flächen, die nicht sofort übermalt werden." "Puber" verewige sich denn auch nicht auf Privathäusern, sondern auf Stützmauern von SBB oder Kantonsstrassen, die nicht sofort neu gestrichen würden. Das ist allerdings keine Eigenschaft, durch die sich "Puber" stark von anderen Sprayern unterscheidet. "Das ist das Bestreben von jedem", sagt Pistoja. "Wer Graffitis macht, der will auch, dass sie möglichst lange sichtbar bleiben."

 Ein Nicht-Zürcher?

 Wer hinter dem Pseudonym steckt, ist der Stadtpolizei bisher nicht bekannt. Ein Zürcher Sprayer, der anonym bleiben will, ist "Puber" schon begegnet. Er schätzt ihn auf 30-jährig und sagt, er sei Schweizer. "14K"-Herausgeber Pistoja vermutet, dass "Puber" von ausserhalb kommt. "Offenbar stammt er nicht aus Zürich. Wahrscheinlich kommt er jeweils ein paar Tage her, tobt sich aus und verschwindet danach wieder." Die Unterlagen der Polizei stützen diese Vermutung. Laut Stapo-Sprecher Bisa gehen immer höchstens alle drei, vier Monate Anzeigen gegen den Sprayer ein - dazwischen sei Ruhe.

 In der Sprayerszene geniesst "Puber" einen zweifelhaften Ruf. Er arbeite nach der Devise "möglichst oft, möglichst gross", meint der anonyme Sprayer. Und Pistoja sagt: "Es gibt kaum jemanden, der so polarisiert." Einerseits sei die Menge an Arbeiten, die er produziere, beachtlich. Andererseits gehe er über die Bilder anderer Künstler. "Mit dieser Respektlosigkeit schafft man sich keine Freunde."

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FASCHISMUS SERBIEN
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20min.ch 15.10.10

Nach Krawallen: "Die Regierung hatte Angst vor den Hooligans"

 Was steckt hinter den üblen Ausschreitungen serbischer Hooligans? Balkan-Experte Norbert Mappes-Niediek über die Hintergründe.

Amir Mustedanagic

 Das EM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua nahm ein übles Ende: 300 gewaltbereite serbische Chaoten bewarfen unter dem Kommando von "Ivan dem Schrecklichen" Spieler und Spielfeld mit Leuchtkörpern. Sie erzwangen einen Spielabbruch und lieferten sich anschliessend eine hässliche Strassenschlacht mit der italienischen Polizei (siehe Bildstrecke). Die Hintergründe der massiven Ausschreitungen sind noch unklar: Spekulationen im geschockten Serbien reichten von der Mafia bis zu EU-Gegnern als Drahtzieher. Wie Südosteuropa-Korrespondent und Autor Norbert Mappes-Niediek im Interview mit 20 Minuten Online erklärt, ist das Problem vielschichtig und tief verwurzelt in der Hooliganszene.

 20 Minuten Online: Herr Mappes-Niediek, nach den Ausschreitungen in Genua stellt sich die Frage, was hinter der Randale steckt: Sind das nur hirnlose Chaoten oder haben sie auch politische Motive?

 Norbert Mappes-Niediek: Die Übergänge zwischen Fankultur, Rechtsradikalität und auch Kriminalität sind in Serbien fliessend. Die Hooligan-Szene ist - wie eigentlich überall auf der Welt - tendenziell rechtsradikal, machistisch, minderheiten- und ausländerfeindlich. Aber gerade in Serbien sind diese Gesinnungen in der Szene deutlicher politisch ausgeprägt.

 Wieso? Das hat eine lange Tradition. Im ehemaligen Jugoslawien konnten nationale Eitelkeiten nicht in der Politik oder in der Gesellschaft ausgelebt werden, weil das tabuisiert beziehungsweise verboten war. Weshalb nationale Empfindlichkeiten auf Fussballsteams verschoben wurden: Spielte Roter Stern Belgrad gegen Dinamo Zagreb, war das ein Spiel Serbien gegen Kroatien. Es war ein Kampf der Nationen auf dem Rasen sozusagen. Die Fans behaupten, der Krieg habe am 13. Mai 1990 im Zagreber Stadion Maximir mit dem Fussballspiel Roter Stern gegen Dinamo begonnen. Sie sehen sich als nationale Erweckungsbewegung - die serbischen Fans ebenso wie die kroatischen.

 Es ist also nicht abwegig, dass die Chaoten den Beitritt Serbiens in die EU zu sabotieren versuchen, wie dass die Regierung behauptet? Die Ausschreitungen haben einen politischen Aspekt, er ist aber nicht mehr der dominierende Antrieb. Der Einfluss der Hooligans in der Politik hat genauso abgenommen wie der Wunsch der Politik, die Hooligans zu benützen. Man hat seine politische Rolle verloren, also macht man Krawall. Die Ausschreitungen in Genua und an der Gay Parade in Belgrad waren ein Zeichen der Schwäche dieser Szene.

 Ivan Bogdanov und seine Mannen von den Ultras von Roter Stern Belgrad haben in Genua alles andere als schwach gewirkt. Ich kenne diesen Bogdanov nicht. Gerade die Fangruppierungen rund um Roter Stern Belgrad haben aber in der Vergangenheit eine spezielle Rolle eingenommen: Unter dem Regime von Slobodan Milosevic waren die Hooligans von Roter Stern Belgrad die Männer fürs Grobe. Für die ethnischen Säuberungen in Kroatien beispielsweise brauchte er Leute, die brutal waren und keine Skrupel hatten. Unter dem damaligen Vereinspräsidenten Zeljko Raznjatovic - besser bekannt als Arkan und als Kriegsverbrecher - agierten die Hooligans als Freischärlerbanden. Sie sahen sich in diesem Zusammenhang als Vorkämpfer der Nation, genossen grossen Respekt in der Gesellschaft und auch Rückhalt in politischen Kreisen. Nun hat eine Demokratisierung in Serbien stattgefunden und prowestliche Strömungen sind an die Macht gekommen. Den radikalen Gruppierungen fehlt der politische Rückhalt.

 Die Regierung scheint die Lage aber alles andere als im Griff zu haben: Im vergangenen Jahr sind Hunderte von Strafanzeigen einfach versandet und die Ultra-Szene wütet weiter. Eine "Zero Tolerance"-Strategie der Polizei war aufgrund des politischen Rückhaltes für die Szene bisher nicht möglich. Sie ging deshalb sehr, sehr vorsichtig mit diesen Gruppierungen um. Die Regierung hatte regelrecht Angst vor dieser Szene. Nun haben sich aber auch radikale Vertreter wie Tomislav Nikolic von der Ultra-Szene abgewendet und wollen nichts mehr mit ihnen zu tun haben. Das beste Beispiel ist, dass die Gay Parade überhaupt durchgeführt wurde.

 Wieso? Die Gay Parade fand 2001 das erste Mal statt. Damals stürmten ebenfalls "Fussballfans" die Demonstrationen und randalierten. In der Folge wurde die Parade nicht mehr abgehalten - bis zu diesem Jahr. Nun hat sich Polizeiminister Ivica Dacic höchstpersönlich dafür eingesetzt. Dass sich ausgerechnet Dacic - der Sprecher von Slobodan Milosevic war - in die gemässigte Politik abgeseilt hat, ist ein deutliches Zeichen dafür, dass die Zeiten sich unwiderruflich geändert haben.

 Die Angriffe sind also ein letzter Versuch der Hooligan-Szene Macht zu demonstrieren? Die Szene ahnt, dass sie ihren Einfluss und ihre Macht langsam verliert. Die Mafia hat die Szene seit 2003 weitgehend fallengelassen. Die Reichen und Mächtigen des organisierten Verbrechens versuchen Frieden mit der Regierung zu schliessen. Sie nehmen keinen Einfluss mehr auf die Politik, sondern sind in die Wirtschaft abgewandert. Die Hooligans verlieren nach den Verbündeten im Untergrund nun also je länger, desto mehr auch die politischen. Deshalb bäumen sie sich nun ein letztes Mal auf und besetzen vorpolitische Events wie die Gay Parade. Gerade mit Dacic haben sie aber ein Hühnchen zu rupfen, weil er sie ja ihm Stich liess. Sie sind in der Defensive und greifen deswegen nun alles an, was sie können. Sie haben für die Gay Parade enorm mobilisiert und sorgen dafür, dass es nicht so einfach abklingt.

 Die Hooligans werden also wieder zuschlagen? Sie werden versuchen, die angeheizte Stimmung zu nutzen. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass sie den Level der Erregung auf Dauer halten können. Das heisst nicht, dass die Szene schon ausgetrocknet wäre. Den Hooligans spielt die wirtschaftliche Lage in Serbien in die Hände: Die Arbeitslosigkeit ist hoch, der urbanisierten Bevölkerung fehlt es am Zugang zu Bildungsmöglichkeiten und erst recht zu Arbeitsplätzen. Die Ultras haben hingegen oft noch Geld aus kriminellen Tätigkeiten, so dass der Nachschub für die radikale Fanszene kaum zu erschöpfen ist.

 Wird die Regierung trotzdem durchgreifen, wie sie es nun angekündigt hat? Ich kann mir durchaus vorstellen, dass es diesen Gruppierungen jetzt an den Kragen geht. Es gibt aus politstrategischer Sicht keinen Grund nicht durchzugreifen. Die Polizei wird die Gelegenheit nutzen und kräftig zuschlagen. Es würde auch der Logik von Dacic entsprechen. Er hat bisher politisch stets klug agiert und genau den Spielraum genützt, den er auch wirklich hatte. Keiner weiss besser als Dacic, mit wem er es da zu tun hat.

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Le Matin 15.10.10

"Ivan le terrible" s'excuse

Hooliganisme

A l'origine des violences qui ont interrompu le match Italie - Serbie mardi à Gênes, Ivan Bogdanov a présenté ses excuses hier. Retour sur le parcours d'un ultranationaliste.

Barleycorn

 Un homme encagoulé, un salut fasciste, des bras couverts de tatouages néonazis: Ivan Bogdanov, 30 ans, révélé au monde par les caméras qui transmettaient le match Italie - Serbie mardi à Gênes, était venu de Serbie avec environ 300 supporters membres des "Ultra Boys" dont il est le leader, dans l'unique but d'interrompre le match. Les affrontements avaient fait 17 blessés dont deux graves (lire "Le Matin" d'hier).

 Arrêté avec 16 autres hooligans, Ivan Bogdanov s'est excusé hier par le biais d'un avocat commis d'office: "Je présente mes excuses à l'Italie et aux Italiens. Nous n'avions pas envisagé de créer des problèmes à l'Italie qui est un pays qui me plaît beaucoup. Je n'y étais jamais venu mais c'est un très beau pays. " Pas de quoi convaincre la presse italienne, qui le surnomme "Ivan le Terrible" ou "Ivan la Bête". Les 600 pétards, les couteaux, les barres de fer et les battes de baseball saisis par la police après les émeutes rendent ses excuses décidément bien légères.

 Son voisin: le chef de la police!

 S'il était inconnu du grand public avant mardi, Ivan Bogdanov ne l'était pas des autorités serbes. Issu d'une bonne famille, de standing moyen, "Ivan le Terrible", menuisier de formation, a sombré dans la violence à 18 ans après avoir rejoint le clan des supporters de l'équipe de football l'Etoile rouge de Belgrade. Sans emploi, il vit toujours chez ses parents, dans un quartier huppé de Belgrade. Comble de l'ironie, Ivica Dacic, ministre de l'Intérieur et chef de la police, qui a déclaré la guerre aux hooligans, vit à trois rues de là!

 Malgré ses activités, Ivan Bogdanov n'a été arrêté qu'à cinq reprises en Serbie pour vol, coups, attaque contre des policiers ou encore trafic de drogue, après la découverte de 11 grammes de marijuana à son domicile en 2005, dévoile le quotidien serbeBlic. On le soupçonne pourtant aussi d'avoir participé à l'attaque de l'ambassade américaine de Belgrade après l'autoproclamation de l'indépendance du Kosovo, aux émeutes suivant l'arrestation de Radovan Karadzic et d'avoir soutenu un homme accusé du meurtre d'un policier. Dimanche dernier, peu avant de partir pour Gênes, Ivan Bogdanov aurait même participé au tabassage de la Gay Pride de Belgrade, rapportent les médias locaux. Résultat: 200 blessés, dont 147 policiers. Ivica Dacic déclarait toutefois hier qu'il n'y avait pas assez de preuves pour relier les deux affaires mais que la lutte contre les supporters nationalistes figure sur sa liste de priorités. Rappelons encore que, le 17   septembre, Brice Taton, supporter toulousain, avait trouvé la mort à Belgrade, tabassé, puis jeté dans le vide par des hooligans. Qui, selonBlic, seraient entre 2000 et 3000 en Serbie.

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 "DOMMAGE IRRÉPARABLE"

 "Les hooligans font honte à la Serbie. Le dommage causé par ce groupe, mené par Ivan Bogdanov, est irréparable pour la réputation de la Serbie et du football", déplore le quotidien belgradoisPolitika. Pour le secrétaire d'Etat du Ministère de la justice, Slobodan Homen, "la réponse à ces actes doit être le plus sévère possible". Et d'ajouter au sujet de ces groupuscules ultranationalistes, opposés à l'entrée de leur pays dans l'Europe: "Il est évident que ces actes avaient pour but d'anéantir les années d'efforts et de travail fournis par la Serbie pour adhérer à l'Europe. " Le ministre de l'Intérieur, Ivica Dacic, assistait hier à une réunion exceptionnelle du Parlement suite aux émeutes. A l'ordre du jour: le derby opposant les deux clubs de Belgrade, l'Etoile rouge et le Partizan, agendé pour le 23   octobre, qui pourrait être annulé si les mesures de sécurité ne sont pas réunies. Hier, 19 personnes supplémentaires ayant participé aux émeutes de Gênes ont été arrêtées à leur retour en Serbie tandis qu'Ivan Bogdanov restait incarcéré en Italie.

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ANTI-ATOM
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Beobachter 15.10.10

Schweizer AKWs

 Weiterhin schmutziges Uran

Thomas Angeli

 Jahrelang gab sich die Axpo unwissend. Man habe keine Hinweise darauf, woher das Uran stamme, das in den Brennelementen der AKWs Beznau und Gösgen eingesetzt wird, erklärte der Stromproduzent mehrfach. Auch in der "Umweltdeklaration", die die Axpo 2008 für Beznau erstellen liess, ist nichts Konkretes zu finden.

 Anfang September jedoch musste Axpo-CEO Manfred Thumann in der "Rundschau" eingestehen, "dass ein Teil des Urans leider auch aus Majak kommt". Und "Majak" ist nicht nur eine Stadt im Ural mit einer Wiederaufbereitungsanlage für Uran, sondern auch Synonym für eine der am stärksten verseuchten Gegenden der Welt. 1957 war in der dortigen Atomanlage ein Tank explodiert, die Lebens- und Arbeitsbedingungen sind katastrophal.

 Uran-Vertrag läuft bis 2020

 Der fragliche Liefervertrag für Brennelemente sei "praktisch erfüllt", erklärte Thumann in der "Rundschau" auf die Frage, ob die Axpo weiterhin wiederaufbereitetes Uran aus Majak beziehen werde. Nun zeigen Recherchen des Beobachters, dass das nicht stimmt. Thumann habe sich bei seiner Aussage in der "Rundschau" einzig auf den Vertrag bezogen, der bei der Erstellung der Umweltdeklaration gültig war, räumt Axpo-Sprecherin Anahid Rickmann ein: "Bei diesem Vertrag ist die Lieferung der Brennelemente erfüllt."

 Ein anderer Vertrag, der 2005 abgeschlossen wurde, läuft jedoch bis 2020 weiter. Vom russischen Vertragspartner der Axpo, dem Brennelemente-Hersteller TVEL, ist bekannt, dass er wiederaufbereitetes Uran aus Majak bezieht. Die Axpo erklärt nun, sie führe "andauernde, umfangreiche Abklärungen zur Herkunft des wiederaufbereiteten Urans".

Thomas Angeli

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NZZ 15.10.10

Investitionen in AKW Beznau

 (sda) · Die beiden Blöcke des AKW Beznau werden bis 2014 für insgesamt 190 Millionen Franken nachgerüstet. Der Energiekonzern Axpo will die Notstromversorgung teilweise erneuern und ein neues Anlageinformationssystem einbauen. Für die Erneuerung der Notstromversorgung mit vier Dieselanlagen werden zwei neue Gebäude errichtet. Die Bauarbeiten sollen Mitte des kommenden Jahres beginnen und bis Ende 2014 dauern. Heute garantieren drei unabhängige Systeme die Notstromversorgung der Anlage auf der Aareinsel im aargauischen Döttingen. Teil der Notstromversorgung ist derzeit auch das benachbarte Wasserkraftwerk. Die Axpo will dieses nun erneuern.

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Stock 15.10.10

Hochspannung im Stromsektor

 Viele Versorger beklagen politische Eingriffe und erodierende Margen. Anleger finden dennoch rund ums Thema Elektrizität vielversprechende Aktien.

 Von Pascal Roth

 Knisternde Spannung herrscht zu Beginn der Podiumsdiskussion, zu der die Asset Manager von EIC Partners geladen haben. Die anwesenden Referenten versprechen eine aufgeladene Debatte. Es diskutieren Manfred Thumann, Chef des nicht kotierten Stromkonzerns Axpo, Matthias Gysler, Chefökonom des Bundesamtes für Energie, Martin Bäumle, Nationalrat und Präsident der grünliberalen Partei, sowie Sven Bucher, Leiter Aktienresearch bei der Zürcher Kantonalbank. Das Thema: Aufgrund der auslaufenden Importverträge und der begrenzten Lebensdauer der Schweizer Kernkraftwerke droht ab 2020 eine Lücke bei der inländischen Stromproduktion. Neue Kapazitäten sind notwendig.

 "Das theoretische Potenzial der erneuerbaren Energien ist gross, aber nicht ausreichend", sagt Thumann. In der Schweiz sind die Möglichkeiten für Wind- und Sonnenenergie aufgrund der Witterung und der geografischen Lage beschränkt. Wenn man hierzulande alle nach Südost bis Südwest ausgerichteten Gebäudeflächen mit Fotovoltaik und Solarthermie bestücken würde, könnte man einen Stromertrag von 5,3 Terawattstunden pro Jahr erzeugen. Diese Menge entspricht nicht einmal zehn Prozent des heutigen Stromverbrauchs. Interessant sind Grossprojekte. Damit ist aber nicht das ferne Wüsten-Projekt Desertec gemeint, welches in etwa 40 Jahren bereit sein könnte. Heutige Langstrecken-Leitungen sind zu teuer, um grosse Mengen Strom profitabel von Afrika nach Europa zu bringen zu können. Aktien von Gesellschaften, die eine erhöhte Netzeffizienz anstreben, bleiben spannend (siehe Seiten 16 und 17). Näher beim Verbraucher und damit wirtschaftlicher sind Solaranlagen in Arizona. Die Anlagen werden übrigens nicht von deutschen, sondern von chinesischen Anbietern gebaut. In der Schweiz könnten solche Grossprojekte aber nicht realisiert werden, weil der Betrieb aufgrund der ungenügenden Sonneneinstrahlung klar defizitär wäre. Es sind also Alternativen gefragt.

 Die Windenergie könnte etwa acht Prozent des Schweizer Stromverbrauchs decken - theoretisch. In der Praxis dürfte diese Kapazität kaum erreicht werden. Ein ernüchterndes Beispiel bietet das eingestampfte Windparkprojekt der Elektrizitätswerke Davos (EWD) und Zürich (EWZ): Auf dem Flüelapass auf 2450 Metern Höhe sollte ein Windpark gebaut werden. Die Gestehungskosten wären zu hoch gewesen. Die mittelmässige Windgeschwindigkeit reicht nicht, und die lange Leitung zu den Konsumenten wäre ineffizient.

 Selbst realisierbare Anlagen wie "La Peuchapatte", die von Alpiq in der jurassischen Gemeinde Muriaux erstellt werden, kommen nicht ohne Subventionen aus, weil der Strom die Netzparität nicht erreicht. Die volkswirtschaftliche Belastung ist nicht zu unterschätzen. Über die kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) subventioniert das Bundesamt für Energie den Ausbau der erneuerbaren Energien mit 257 Millionen Franken pro Jahr. Über die nächsten 25 Jahre kostet das die Eidgenossenschaft über sechs Milliarden Franken.

 Hierzulande kann die Ökobilanz nur marginal verbessert werden. Mit dem heutigen Stromerzeugungsmix (Kern- und Wasserkraft) steht die Eidgenossenschaft bereits hervorragend da. "In der Schweiz lässt sich bei der Stromproduktion kein CO2 einsparen. Man sollte die Fördergelder also nicht in erneuerbare Energien, sondern lieber gleich in gut gedämmte Gebäude und sparsame Verkehrsmittel investieren. Das ist viel effizienter", führt der Axpo-Chef aus. Tatsächlich: Pro Kilowattstunde entstehen in der Schweiz 20 Gramm Treibhausgas - in Deutschland sind es 650 Gramm für dieselbe Einheit. Deshalb subventioniert Deutschland die erneuerbaren Energien mit zwölf Milliarden Euro pro Jahr. "Tendenz senkrecht steigend", sagt Thumann.

 In der Schweiz leisten die Wasserkraftwerke einen grossen Beitrag an die beneidenswerte Schadstoffbilanz. Die Atomstrom-Nation Frankreich könnte in diesem Bereich noch viel tun. "Die französischen Alpen könnten die Batterie von Europa sein", sagt Martin Bäumle. Die variabel einsetzbare Wasserkraft ist ideal, um Spitzen auszugleichen. Als Mitglied der UREK (Kommission für Umwelt, Raumplanung und Energie) und Zentralvorstand des Verkehrs-Clubs Schweiz (VCS) weiss Bäumle, dass das Potenzial für Wasserkraft im alpinen Erholungs- und Wandergebiet an seine Grenzen stossen wird, er fügt aber an: "Auch die Schweizer Wasserkraft hat noch Potenzial." Die Bündner Elektrizitätsgesellschaft REpower plant ein Pumpspeicherkraftwerk beim Lago Biancho im Puschlav.Auch Branchenprimus Alpiq nimmt ab 2013 den Betrieb der Wasserkraftwerke der Tochter Gougra auf. Und die BKW planen weitere Wasserkraftanlagen, dazu gehört das umstrittene Projekt im Rosenlauital oberhalb von Meiringen. Schliesslich setzt auch die Axpo auf Wasserkraft als wichtigem Bestandteil fürs Erzeugen von Spitzenenergie. "Wir haben zwei Milliarden in Schweizer Stauseen investiert. Hoffentlich rentiert es. Aber es ist sicher kein Goldesel", meint Thumann.

 "Die Kernenergie bleibt für die Grundversorgung unverzichtbar und garantiert zudem eine CO2-arme Stromproduktion", erklärt der Axpo-Chef, der nebenbei noch die Aktiengesellschaften Ersatz Kernkraftwerk Beznau, Kernkraftwerk Leibstadt und Resun präsidiert. Zudem ist er Vizepräsident beim Kernkraftwerk Gösgen-Däniken, Vorsitzender bei Swisselectric Research und Vorstandsmitglied beim Verband Schweizerischer Elektrizitätsunternehmen (VSE). Somit ist klar, dass Manfred Thumann für Kernkraft plädiert. Aber wie haben die Teilnehmer der Podiumsdiskussion abgestimmt? Ganze 74 Prozent waren für den Bau neuer Atomkraftwerke.

 Ab 2020 produziert das Kernkraftwerk Mühleberg keinen Strom mehr und 2023 werden auch Beznau I und II vom Netz genommen. Aufgrund der Referendumsabstimmung, die frühestens Ende 2013 stattfindet, und der behördlichen Bewilligungsprozesse werden die neuen Kernkraftwerke Mühleberg, Beznau und Gösgen frühestens im Jahr 2025 Strom produzieren. Die neuen Anlagen wären deutlich leistungsfähiger als die bisherigen. Ein Beispiel für den modernsten Druckwasser-Reaktortyp EPR (Pressurised Water Reactor) findet sich unweit der Stadt Rauma an der finnischen Westküste, wo Areva und Siemens die Einheit "Olkiluoto 3" bauen. Die Anlage verfügt über eine Leistung von rund 1600 Megawatt, also fast so viel wie die Schweizer Reaktoren Beznau I, II und Gösgen zusammen. Bezüglich Sicherheit ist den Entwicklern ein Quantensprung gelungen: Die Anlage könnte sogar den höchst unwahrscheinlichen Fall einer Kernschmelze bewältigen und das Material in der inneren Hülle des Reaktorgebäudes kühlen, ohne dass auch nur die geringste radioaktive Strahlung nach aussen treten würde.

 Die Problematik der Endlagerung darf aber keinesfalls verschwiegen werden. "Wir als nutzniessende Generation der Kernenergie, dürfen die Entsorgung nicht auf die kommende Generation schieben", mahnt Endlager-Experte Markus Fritschi von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (kurz: Nagra). Aktuell werden die radioaktiven Abfälle - die übrigens nicht nur in Kernreaktoren, sondern auch in den Bereichen Medizin, Industrie und Forschung anfallen - im aargauischen Würenlingen in sogenannten Castor-Behältern zwischengelagert. Die Schweiz setzt damit auf Trockenlagerung, während man in Finnland (fortschrittlichste Nation im Umgang mit nuklearen Abfällen) das radioaktive Material in Nasslagern abklingen lässt. Unabhängig von der Technologie muss das Material 30 bis 40 Jahre abkühlen, bevor es in ein geologisches Tiefenlager gebracht werden kann, wo die Temperatur der Abfälle noch maximal 100 Grad betragen darf. Die Nagra hat 30 Jahre lang geforscht, um ideale Standorte für geologische Tiefenlager zu finden. Über lange Zeit wurden diese Arbeiten kaum in den Medien thematisiert. Der Zünder war schliesslich der "Kantönligeist" bei der Diskussion über den Standort. Frei nach dem Motto: "Sollen es doch die anderen nehmen." Es geht aber nicht um Kantonsgrenzen, sondern um Geologie. Endlagerstätten in der Schweiz sind in einer sicheren Art und Weise möglich und zwingend notwendig, weil der Export von radioaktiven Abfällen verboten ist.

 Die Schweiz profitiert von einer 120 Meter dicken Schicht Opalinuston, die vor 180 Millionen Jahren in der heutigen Gegend der Kantone Aargau, Zürich und Schaffhausen abgelagert worden war. Die Mineralien halten die Radioaktivität zurück (Fachbegriff: Sorption), weil die Durchlässigkeit des Materials sehr gering ist. Zudem sind die Selbstabdichtungseigenschaften des Opalinustons hervorragend, was bei Wassereintritt (Quelldruck) zusätzlichen Schutz bietet. Selbstverständlich überlässt man die radioaktiven Abfälle nicht der Natur allein. Hochradioaktives Material - nur zehn Prozent der nuklearen Abfälle - wird in Glas eingeschmolzen und in Fässer abgefüllt. Diese werden nach dem Zwiebelprinzip in Bentonit eingegossen, womit unter der Opalinustonschicht in 500 bis 900 Metern Tiefe ein zusätzlicher Schutz entsteht. Danach werden regelmässige Messungen an der Oberfläche und im Erdreich vorgenommen. Die Rückholmöglichkeit der Fässer für den äusserst unwahrscheinlichen Fall eines Strahlungsaustritts ist per Gesetz vorgeschrieben. Ganz gleich, ob die Lösung aus der Schweiz oder aus Finnland (Endlager mittels 200-Liter-Kupferbehälter in Granitgestein) stammt, bleibt bei diesem Thema ein mulmiges Gefühl in der Magengegend. "Es dauert 100 000 Jahre bis die radioaktive Strahlung auf das Niveau von Natur-Uran zerfällt", erinnert Martin Bäumle, der als Verwaltungsrat bei den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich (EWZ) und beim Regionalversorger Glattwerk amtet.

 Bäumle spricht aber nicht nur von den Risiken bei der Strom-Produktion, sondern möchte den Hebel auch beim Stromverbrauch ansetzen und hält die 2000-Watt-Gesellschaft für realistisch: "Der günstigste Strom ist jener, den man nicht verbraucht. Die gesparte Energie ist die halbe Miete."

 Der Innerschweizer Elektrizitätskonzern CKW ruft jetzt zum Strom-Wettsparen auf. Privathaushalte und kleine Firmen sollen Sparpotenziale aufspüren und die Tipps und Erfahrungen auf einer Wissensplattform teilen. Die zehn Konsumenten, die nach einem Jahr die verhältnismässig grösste Stromeinsparung aufweisen oder die den innovativsten Stromspar-Tipp geben, werden zum CKW-Stromspar-Champion gekürt und gewinnen Familienferien, E-Bikes oder E-Scooter. Sparen reicht jedoch nicht für ein autarkes Stromland Schweiz.

 "Wir werden nie ganz unabhängig vom Ausland sein. Aber 100 Prozent unabhängig bedeutet nicht Tag und Nacht, Sommer wie Winter." Natürlich wird es immer grenzüberschreitenden Stromhandel geben. Marktführer Alpiq strafft sein Handelsgeschäft, führt die nationalen und internationalen Aktivitäten zusammen und gründet die Alpiq Trading AG. Die neue Gesellschaft wird in Olten, Lausanne und Oslo operieren und die Aktivitäten im dritten Quartal 2011 aufnehmen. Auf diesem Weg avanciert Alpiq zu einer führenden, produktionsgestützten Energiehändlerin in Europa. Das ist ein geschickter Schachzug, denn die Energieaussenpolitik ist eine von vier tragenden Säulen, die das Bundesamt für Energie formuliert hat, um eine ausreichende, breit gefächerte, sichere, wirtschaftliche und umweltverträgliche Energieversorgung sicherzustellen.

 Der Stromkonsum in der Schweiz ist lediglich für rund 24 Prozent des Gesamtenergieverbrauchs verantwortlich. Dass die Heizöl-Komponente darin eine wichtige Rolle spielt, versteht sich von selbst. Jedes Jahr fliessen für den Einkauf von Öl und Gas zehn bis 15 Milliarden Franken ins Ausland. Die Gasnachfrage wird steigen, denn der Bundesrat befürwortet Gaskombikraftwerke als Übergangslösung für die Zeit zwischen 2020 und 2025. Dieser Strom müsste wiederum abgeführt werden, sodass Investitionen in Leitungen nötig sind.

 Weil Hochspannungsleitungen nicht schön anzusehen sind, regt sich laufend Widerstand. "Manchmal dauert es 30 Jahre, bis eine Stromleitung gebaut ist", klagt Thumann im Hinblick auf die Schweizer Verhinderungspolitik. Im Wallis läuft die Bevölkerung Sturm, weil Alpiq zwischen Chamoson und Chippis eine Baubewilligung für eine Hochspannungsleitung erhalten hat. Ein positives Beispiel gibt es im Waadtland. Im Vallée de Joux wurde eine elf Kilometer lange Stromleitung mit ehemals 315 Masten in den Boden verlegt. Der Anstoss dazu kam von Pro Natura, die Société Electrique de la Vallée de Joux (SEVJ) hat das Projekt umgesetzt. Unterirdische Leitungen sind bis zu zehn Mal teurer als die oberirdische Variante. Im genannten Beispiel haben sich der Kanton Waadt, mehrere Gemeinden und die Uhrenfabrik Audemars Piguet aus Le Brassus an den Kosten beteiligt. Ein Drittel - 2,2 Millionen Franken - hat die Stiftung Landschaft Schweiz (FLS) eingeschossen. Mitgewirkt hat auch Swisscom, die ihre Telefonleitungen bei der Gelegenheit ebenfalls in den Boden versenkte. Bei der vorbildlichen Lösung handelt es sich zwar nicht um eine Hochspannungsleitung, aber auch diese können problemlos unterirdisch verlegt werden. "Die Leitung von Toulouse nach Barçelona durch die Pyrenäen liegt im Boden: In Frankreich sind Erdleitungen heute Standard", sagt SEVJ-Direktor Alain Bourqui und fügt an: "Was bei uns im Tal möglich ist, geht auch anderswo. Es braucht nur den entsprechenden Willen." Natürlich bleibt die Finanzierung eine Kernfrage. Und: Wer verfügt über die entsprechende Technologie?

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 Interview

 "Wasserkraftwerke ausbauen, ist sinnvoll"

 Herr Candrian, was tun die EIC Partners?

 Wir befassen uns von morgens bis abends mit einer wichtigen und komplexen Branche, die im Strukturwandel steht. Im Vordergrund steht das Aufspüren von Anlagechancen für unsere Kunden. Es ist ein Privileg, diese Aufgabe seit acht Jahren mit einem stabilen Team wahrzunehmen.

 Sie sprechen von regulatorischer Dynamik, andere von regulierter Unzufriedenheit.

 Die Unzufriedenheit der einen ist die Chance der anderen. Ein Beispiel: Die Brennstoffelementesteuer in Deutschland bedeutet für die Versorger E.ON, RWE, Vattenfall und EnBW zusätzliche Kosten. Für die Stromproduzenten in den umliegenden Ländern bedeutet die Steuer hingegen eine verbesserte Wettbewerbsfähigkeit. Wir haben den EIC Energy Utility Fund entsprechend positioniert.

 Sie beobachten auch die Rohstoff-Märkte. Sollen Anleger auf Kohle, Öl, Gas, Uran oder auf alternative Energieträger setzen?

 Die grössten Wachstumsraten sind bei erneuerbaren Energien zu finden. Haupttreiber sind der Umweltschutz, der Wunsch nach grösserer Energie-Selbstversorgung sowie die Einsicht, dass fossile Brennstoffe endlich sind. Wir stehen in einem grossartigen Umbau in Richtung nachhaltiger Energieversorgung. Der EIC Renewable Energy Fund deckt dieses Themenfeld fokussiert ab.

 Welche Aktien halten Sie im Portfolio?

 Zu unseren grössten Positionen gehören First Solar, Ormat Technologies, Trina Solar, Tractebel Energia und Meyer Burger. 30 Prozent des Portfolios sind diversifiziert in der Solarbranche investiert. Im Vordergrund stehen Technologielieferanten, welche die Kostenführerschaft in ihrer Branche innehaben.

 Wo mahnen Sie zur Vorsicht?

 Wir meiden momentan Aktien, deren Ertragskraft vom Gaspreis abhängt. Dieser wird in absehbarer Zeit unter Druck bleiben. Verbesserte Gasfördertechnologien in den USA sowie neue, grosse Anlagen zur Verflüssigung von Erdgas verhindern eine Erholung.

 Wo sind geografische "Hot Spots"?

 Entwicklungsländer sind besonders interessant. Die Knappheitssignale sind dort entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu finden. Seit einiger Zeit sind wir in Brasilien engagiert. Bewertung, regulatorische Rahmenbedingungen sowie Wachstumschancen ergeben ein attraktives Gesamtbild.

 Wie gross schätzen Sie den Anteil erneuerbarer Energien an der globalen Stromproduktion im Jahr 2050?

 Basierend auf unseren Schätzungen der globalen Stromnachfrage und unserem Basisszenario für den Ausbau der erneuerbaren Energie wird der globale Anteil im Jahr 2050 bei etwa 50 Prozent liegen. Das ist deutlich optimistischer als die Prognose der Internationalen Energieagentur (IEA). Extrapoliert man deren Ausblick für das Jahr 2030 um weitere 20 Jahre, so liegt der Anteil bei etwa 25 Prozent. Unser Optimismus basiert unter anderem auf globalen Nachahmeffekten der europäischen Vorreiterrolle.

 Wie würden Sie den drohenden Engpass in der Schweizer Stromwirtschaft lösen?

 Wichtig ist, dass man unvoreingenommen die Vor- und die Nachteile der Lösungen auswertet. Ein Ausbau bestehender Wasserkraftwerke ist sinnvoll. Bezüglich Kernkraft bin ich der Meinung, dass stillzulegende Kapazitäten ersetzt werden sollten, falls dies für eine sichere Energieversorgung wirklich nötig ist.

 Was bieten der EIC Renewable Energy Fund* und der EIC Energy Utility Fund**?

 Beide Fonds haben ein klares Profil und lassen sich gut als Portfolio-Bausteine einsetzen. Seit dem Launch vor sieben Jahren war der Energy Utility Fund in jedem Jahr gleich gut oder besser als seine Benchmark. Im Jahr 2009 betrug die Total Expense Ratio, TER, beim Energy Utility Fund 1,33 Prozent, beim Renewable Energy Fund 1,85 Prozent. Darin sind sämtliche Kosten für Asset Management, Depotbank, Fondsleitung, Revision und Publikationen enthalten. Für institutionelle Kunden bestehen günstigere Lösungen.

 * Valor 2 836 115 (in EUR), ** 1 603 292 (in CHF)