MEDIENSPIEGEL 23.10.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS, Frauenraum, Rössli)
- Bollwerk: Basserie Bollwerk + Vinothek hören auf
- Rote Falken: Schnuppernachmittag
- RaBe-Info 19.-22.10.10
- SVP: Wasserfallen vs Fuchs & Hess
- Drogen: Vom Koks zum TV; Langstrasse ZH; 1% THC bald legal; Management-Drogen; Dealerszene Genf; Milliarden-Umsätze
- Alkohol: Jugendstopp im Aperto
- Ausschaffungen: Verdoppelung; Fremdenfeindliche Tradition; Widerstand; Kosten; Aktionstage Turin
- Antifa: Bündnis kein ruhiges Hinterland gegen den rassistischen Konsens in Langenthal (30.10.10)
- Rechtsextremismus: Thor Steinar BS; Liechtenstein; SG-Riots
- Antisemitismus: Busse gegen Verschwörungstheorie
- Big Brother Video: Debatte im Stadtrat BE
- Big Brother Sport: Thuner AktionärInnen; Berner Schüsse; SG-Greifer
- Police BE: Einheitspolizei; Gewalt gegen Uniformen
- Police BS: Gegen Saubannerzüge
- Police LU: Gewalt gegen Uniformen
- Police CH: Polizeischule Hitzkirch
- Big Brother: Verschlimmbesserung; Auch Unverdächtige kriegen Fiche; Kino
- Squat Fribourg: Medienapéro
- Squat ZH: Hotelbesetzung
- Kulturoffensive LU: keine Nutzung der Zbinden-Druckerei
- Geneve bouge: Heisses Wochenende
- Bakunin: Minusio Tourist Guide
- Antisexismus: gegen Antifeminismus-Kongress
- Zwischengeschlecht: Menschenrechte subito
- Homohass: US-Fundis hetzen mit in Uganda
- Anti-Atom: Tiefenlager; Symbolantiatomkraft; Bern erneuerbar; Beznau3; Verantwortungsfrage

----------------------
REITSCHULE
----------------------

So 24.10.10
Grosse Halle - ASIEN KULTUR 2010 Markt, Verpflegung & Bühne...
20.00 Uhr - Rössli - Mywolf; Les comptes de korsakoff

Di 26.10.10
20.00 Uhr - Frauenraum   - "WILLKOMMEN IM PARADIES" Queer Refugees - Menschenrechte für verfolgte sexuelle Minderheiten in der Schweiz?! Veranstaltung mit Queeramnesty
20.30 Uhr - Kino - Uncut - Warme Filme am Dienstag: Ha-Sodot, The Secrets, Avi Nesher, ISR 2007
20.30 Uhr - Tojo - "Lustiger Dienstag 48" LuDi-Crew und Gäste. Mehr als Variété!

Mi 27.10.10
19.30 Uhr - Rössli - "WILLKOMMEN IM PARADIES" Kriminelle Ausländer oder kriminalisierte Ausländer? Veranstaltung mit Solidarité sans Frontières

Do 28.10.10
20.30 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - La guerre est finie | Mitko Panov, CH 2009
21.00 Uhr - Rössli - All Ship Shape

Fr 29.10.10
21.00 Uhr - Kino - "WILLKOMMEN IM PARADIES" & "MUSLIM/A" - Ya Sharr Mout | Sabine Gisiger, Dok, CH 2008. In Anwesenheit der Protagonisten Mahmout Turkmani & Michael Spahr sowie der Regisseurin
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock & Midilux present: MAX COOPER (UK) live, Live-Act tba & Racker (be) " techno, minimal, house

Sa 30.10.10
19.30 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Beirut, New Film, Disco | Kurzfilme von Raed Yassin
20.30 Uhr - Tojo - "Also mich interessiert mein Sexualleben mehr als der Israel-Palästina-Konflikt" ZhdK Zürich.
21.00 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Ya Sharr Mout | Sabine Gisiger, Dok, CH 2008
22.00 Uhr - Dachstock - BAZE Plattentaufe "D' Party isch verbi" & Support: tba & Afterparty! " hiphop, electronica

So 31.10.10
18.00 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Allah Made Me Funny | Musliminnen machen Standup-Comedy.
19.00 Uhr - Tojo - "Also mich interessiert mein Sexualleben mehr als der Israel-Palästina-Konflikt" ZhdK Zürich.
21.00 Uhr - Rössli - TROTTEL (HUN). " psychedelic, folk, rock, electronica

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

---

Blick am Abend 22.10.10

Nightlife Tipp

 Midnight Juggernauts (AUS)

 Fr, 22 Uhr, Reitschule Dachstock, Neubrückstr. 8.

 Das Trio Midnight Juggernauts stammt aus Melbourne in Australien und klingt wie das rechtmässige Erbe der 70er-Band Electric Light Orchestra. Bei den Midnight Juggernauts trifft Captain Future auf Daft Punk und Dancefloor auf Bombast-Pop. Eine grossartige Mischung, die der Band eine beachtliche Fangemeinde beschert hat.

 usgang.ch

 TOP Nicht verpassen!

---

Bund 21.10.10

Sounds Midnight Juggernauts

 Psychedelischer Radio-Pop

 Zuweilen gestaltet sich das Leben ein ganzes Stück leichter, wenn man auf einen prominenten Freundeskreis zurückgreifen kann.

 Die australische Gruppe Midnight Juggernauts könnte sich künftig sämtliche Werbe-Anstrengungen sparen, weil Leute wie der Amy-Winehouse-Erfinder Marc Ronson oder die französischen Elektro-Fachgrössen von Justice diese Aufgabe bereits bestens erledigen. Beide werden nicht müde, öffentlich zu verraten, dass die Juggernauts als eine der bedeutendsten Inspirationsquellen ihrer Musik zu betrachten seien, Letztere haben die Mannen aus Melbourne gar kurzerhand auf ihre Welttournee eingeladen.

 Kosmisches aus dem Synthesizer

 Das Kunststück, das die Midnight Juggernauts bisher so prächtig vollführten, besteht darin, ihren kosmischen Synthie-Pop derart wohldosiert mit psychedelischen Störgeräuschen zu unterfüttern, dass er einerseits gerade noch im Radio gespielt werden kann (ausgenommen natürlich im grössten Teil der helvetischen Radiostationen), und doch von der hippen Indie-Dance-Klientel noch als heisse Ware gehandelt wird.

 Mit klarem Kopf

 Ihr neuestes Werk, das in diesen Wochen in die Läden kommen soll, scheinen die Juggernauts hingegen mit etwas klarerem Kopf eingespielt zu haben. An vielen Stellen dieses Albums tritt der Pop ganz ungeschützt hervor, anstatt auf kunstvolle Verschleierung setzen die Australier neuerdings auf grosse Synthie-Pop-Melodramatik, wobei sie - etwa im Gegensatz zu ihren Lands- und Gesinnungsgenossen von Empire of the Sun - ein nicht ganz so glückliches Händchen beweisen. Doch was auf CD ein wenig verkrampft wirkt, dürfte in der Liveumsetzung an Lockerheit und Dringlichkeit gewinnen. Die Band gilt als einer der bestechendsten Elektro-Live-Acts der Gegenwart. (ane)

 Dachstock Reitschule Freitag, 22. Oktober, 22 Uhr.

---

WoZ 21.10.10

Queer Refugees

 Queer Refugees sind Flüchtlinge, die aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder ihrer geschlechtlichen Identität in ihrem Heimatland verfolgt werden. Im Fluchtland, zum Beispiel der Schweiz, angekommen, sind sie oftmals erneuter Diskriminierung ausgesetzt. Die Erfahrungen von Amnesty International (AI) zeigen, dass die Schweiz zu wenig für den Schutz von Queer Refugees unternimmt. Die AI-Sektion Queeramnesty setzt sich für deren Rechte und Würde ein. Aktivist Innen von Queeramnesty berichten von ihrer Tätigkeit und geben einen Überblick über die Lage der Queer Refugees in der Schweiz.

 Bern Frauenraum der Reitschule, Neubrück- strasse 8, Di, 26. Oktober, 20 Uhr.

---

Blick am Abend 21.10.10

Nightlife Tipp

 Geoff Berner (CAN)

 Donnerstag, 21 Uhr, Reitschule, Neubrückstrasse 8.

 Der kanadische Sänger und Akkordeonspieler Geoff Berner feiert seit vielen Jahren mit seiner eigenartigen Mixtur aus Klezmer und Punk grosse Erfolge. Nebst seinen musikalischen Fähigkeiten verfügt Geoff Berner, der nur selten eine Bühne nüchtern betritt, über beeindruckende und mitreissende Entertainer-Qualitäten.

 usgang.ch

---

BZ 19.10.10

Reitschule

 Leben in den Nothilfezentren

 Morgen Abend ab 19.30 Uhr veranstaltet das Kollektiv "Bleiberecht für alle" im Rössli einen Themenabend zur kantonalen Nothilfepraxis. Betroffene Menschen erzählen danach von ihren Erfahrungen in den Berner Nothilfezentren. Die Veranstaltung ist Teil der Reihe der Reitschule zur schweizerischen Migrationspolitik.pd

---

kulturagenda.be 19.10.10

Midnight Juggernauts gastieren im Dachstock

Ein bisschen Indie, ein bisschen Electronica und ein bisschen Synth-Pop, alles club-gerecht serviert. Seit 2004 machen Midnight Juggernauts aus Melbourne gemeinsam Musik, 2007 beglückten sie als Support von Justice die hippsten Tanzlokale in aller Welt. Nun
präsentieren die drei Australier im Dachstock ihr neustes Werk, "The Crystal Axis".
Dachstock, Bern. Fr., 22.10., 22 Uhr

---------------------
BOLLWERK
---------------------

BZ 23.10.10

Zwei Betreiber stehen vor dem Aus

Hannah Einhaus

 Bollwerk Der Wirt der Brasserie wirft das Handtuch, und die Betreiberin der Vinothek neben der Drogenanlaufstelle sucht ein neues Lokal. Der Ruf des Ortes ist so schädlich, dass sich ein Betrieb an diesem Standort nicht lohnt.

 Die Zukunft des Restaurants Brasserie Bollwerk sieht finster aus. Das Lokal wird bis Ende Jahr nur noch über Mittag geöffnet sein. Um 15 Uhr sind alle Tische aufgestuhlt. Der Wirt Stefan Zingg wirft bereits in diesen Tagen das Handtuch und eröffnet ein neues Lokal in der Unteren Altstadt. Über die Zukunft des Lokals am Bollwerk laufen Verhandlungen. "Diese Ecke der Stadt hat einen derart schlechten Ruf, dass keine Verbesserung in Aussicht steht", sagt Zingg zu seiner Entscheidung. Drögeler, Spritzen auf den Strassen, Gewalt auf der Schützenmatte - da würden Gäste das Bollwerk meiden. ahren noch hegten, ist verflogen. Trotz des schwierigen Umfelds waren sie damals noch bereit, Herzblut in ihre Gastrobetriebe zu stecken. Um die Schützenmatte zu beleben, spannten Flach und Zink.ahren noch hegten, ist verflogen. Trotz des schwierigen Umfelds waren sie damals noch bereit, Herzblut in ihre Gastrobetriebe zu stecken. Um die Schützenmatte zu beleben, spannten Flach und Zink.

 Optimismus verflogen

 Während Zingg vor allem der Ruf des Quartiers zu schaffen macht, erlebt Monika Flach von der Vinothek Taberna Vineria die Drogenszene hautnah. Das Lokal an der Hodlerstrasse grenzt direkt an die Anlaufstelle. "Wenn meine Gäste in den wärmeren Jahreszeiten draussen vor dem Lokal rauchen, werden sie von Drogenkonsumenten regelmässig belästigt und angebettelt", beschreibt die Wirtin, die hier seit über vier Jahren Wein ausschenkt. In den Sommermonaten musste sie im Durchschnitt einmal pro Woche Ralph Heiniger, unser Mann fürs Grobe, rufen.

 In den letzten ein, zwei Jahren hat die Anzahl von Fixern, die im Haus nebenan verkehren, massiv zugenommen. Waren es früher 90 bis 100 Konsumentinnen und Konsumenten, sind es heute über 200, die sich vor der Anlaufstelle versammeln, so Flachs Schätzung. Der Optimismus, den sie und Zingg vor ein, zwei Jahren noch hegten, ist verflogen. Trotz des schwierigen Umfelds waren sie damals noch bereit, Herzblut in ihre Gastrobetriebe zu stecken. Um die Schützenmatte zu beleben, spannten Flach und Zingg im Sommer 2009 zusammen, um gemeinsam mit der Reitschule und anderen Betrieben ein Volksfest auf die Beine zu stellen. Termin: 10 Oktober. Doch wenige Tage zuvor platzte der Anlass. Weitere Bemühungen, am gleichen Strick zu ziehen und gegen den schlechten Ruf ein Zeichen zu setzen, scheiterten.

 Kritik an den Gemeinderat

 Für die blamable Situation verantwortlich ist nach Auffassung von Flach und Zingg die städtische Politik. "Seit Jahren plädieren wir für eine zweite Drogenanlaufstelle. Wir haben regelmässig Kontakt mit Pinto, die machen ihren Job so gut sie können", sagt sie, Erwartungen funktioniert das einfach nicht in unmittelbarer Nähe von Drogenabhängigen." Erwartungen funktioniert das einfach nicht in unmittelbarer Nähe von Drogenabhängigen." Wegweisungen von Pinto oder der Polizei sind nach ihren Beschreibungen eine Sysiphus-Arbeit. Ralph ist unser Mann fürs Grobe. Nach zehn Minuten stehen die Abhängigen wieder am genau gleichen Ort wie vor der Kontrolle. "Mit einer zweiten Anlaufstelle würde der ganze Auflauf hier reduziert", ist die Betreiberin der Weinbar überzeugt. An Bemühungen hat es nicht gefehlt. Briefe an den Stadtpräsidenten Tscchäppät und Sozialdirektorin Edith Olibet zeigten keine Wirkung.

 "Wir wollen unseren Gästen Genuss und Entspannung anbieten", sagt Monika Flach. "Entgegen unseren früheren, optimistischen Erwartungen funktioniert das einfach nicht in unmittelbarer Nähe von Drogenabhängigen." Für sie ist der geplanten Wegzug von der Schützenmatte weg und weg nur noch eine Frage der Zeit.

--------------------------
ROTE FALKEN
---------------------------

Indymedia 20.10.10

23.10. Schnuppernachmittag bei den Roten Falken Bern ::

AutorIn : Rote Falken Bern: http://www.bern.rotefalken.ch     

Die Falken fliegen wieder! Seit einem Jahr ist die Kinder- und Jugendgruppe mit Ursprung in der ArbeiterInnen-Bewegung wieder in Bern aktiv, das scheint die Runde gemacht zu haben. Aber um was geht es bei den Falken genau? Alle Kinder, Jugendlichen und Eltern die Lust haben, sich diese Sache einmal näher anzuschauen sind herzlich zum Schnuppernachmittag der Roten Falken Bern am 23. Oktober eingeladen!     
    
Bei den Roten Falken stehen Spiel, Spass und Solidarität an erster Stelle. Besonders wichtig sind uns die Kinderrechte und die Partizipation aller Gruppenmitglieder. Unser Anliegen ist es, den Kindern und Jugendlichen zu zeigen, dass ihre Meinung zählt und gefragt ist. Wir möchten nachhaltiges Denken, Selbstbestimmung und Kreativität fördern. Im Falkenalltag haben wir die Möglichkeit uns selbst zu sein, damit wir uns austoben können, damit wir träumen können und damit wir alle zusammen mit lauter Stimme unsere Forderung nach einer gerechteren Welt vertreten können.

Die Gruppentreffen der Falken finden jeweils Samstags statt, daneben gibt es viele weitere Aktivitäten wie Weekends, Pfingst- und Sommerlager, den 1. Mai und den Tag der Kinderrechte.

Der Schnuppertag der Roten Falken Bern findet am Samstag, 23. Oktober statt. Treffpunkt ist um 13.30 bei der Tramhaltestelle Bahnhof (unter dem Baldachin). Kinder ab 6 Jahren, Eltern und auch Jugendliche, die FalkenhelferInnen werden möchten sind herzlich eingeladen! Anmeldung (fakultativ) per Mail an infos(at)bern.rotefalken.ch
    
---------------------
RABE-INFO
---------------------

Fr. 22. Oktober 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_22._Oktober_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_22._Oktober_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2022.%20Oktober%202010
- In der Matte entsteht ein neues berndeutsches Theater
- Öl-Bohrungen gefährden indigene Gemeinschaften in Bolivien
- Kultfilm "We feed the world"

Links:
http://www.theatermatte.ch
http://www.we-feed-the-world.at

---

Do. 21. Oktober 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Oktober_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Oktober_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2021.%20Oktober%202010
- Neuer Verfassungsartikel geplant: Schweiz soll Ernährungssouveränität verankern
- Aufstand gegen Rentenreform: Analyse der Proteste in Frankreich
- Kriegerische Stimmung im Libanon: Erlebnisbericht aus dem Vielvölkerstaat


Links:
http://www.uniterre.ch/DE/Aktuell/Aktuell.html

---

Mi. 20. Oktober 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Oktober_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Oktober_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2020.%20Oktober%202010
- Schweiz erhält viel Lob für die Umsetzung der Pressefreiheit
- Kurdisch verboten: Carlo Sommargua berichtet von einem Schauprozess in der Türkei
- Lokale Märkte neu beleben: Senegalesische Landwirtschaft braucht mehr Selbstbestimmung

---

Di. 19. Oktober 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_19._Oktober_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_19._Oktober_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2019.%20Oktober%202010
- UNO-Biodiversitätsgipfel Nagoya - Schweizer NGO-Vertreter an der Konferenz zur Biopiraterie
- 151 kurdische Politiker und Aktivisten vor Gericht - ein Prozess in der Türkei
- Serie: Hunger und Ernährung - Die Situation in Bangladesh und Sri Lanka

--------
SVP
--------

BZ 21.10.10

Wasserfallen:

 "Unter meinem Niveau"

 Nach seinem Austritt aus der SVP traf sich Peter Wasserfallen gestern mit SVP-Hardliner Erich Hess zum Streitgespräch.

 In diesem Leben werden Stadtrat Peter Wasserfallen und Grossrat Erich Hess keine Freunde mehr. Peter Wasserfallen ist aus der SVP ausgetreten (wir berichteten). Die Gründe dafür hätten Namen: Erich Hess und Thomas Fuchs. Diese beiden würden das Geschehen diktieren und der Partei ihren Willen aufzwingen, behauptet Wasserfallen. Gestern trafen sich Hess und Wasserfallen für Telebärn zu einem Streitgespräch. Und da flogen die Fetzen.

 "Du machst keine konstruktive Politik", sagte der äusserst echauffierte Peter Wasserfallen zu seinem ehemaligen Parteikollegen Erich Hess. "Nichts als Wadenbeissen, Trötzelen und Obstruktion. Das ist unter meinem Niveau." Hess, der bisweilen nicht mit Provokationen geizt, blieb am Anfang ganz ruhig. "Ich vertrete unsere Wähler. Ich mache genau die Politik, für welche die Stadtberner SVP steht." Ausserdem bedaure er es, dass sie sich nun vor laufender Kamera streiten müssten, sagte Hess. "Ich habe Dir doch schon vor langem angeboten, dich mit mir an einen Tisch zu setzen." Wasserfallen konterte: "Mit Dir an einem Tisch zu reden bringt nichts." Der gemässigte Flügel werde systematisch untergraben, so Wasserfallen. Hess meinte daraufhin, dass die Partei demokratisch organisiert sei. "Es kann ja nicht mein Fehler sein, dass du bei der Nomination für die Nationalratswahlen von den 48 Anwesenden keine einzige Stimme erhalten hast." Peter Wasserfallen meinte, dass das Wahlprozedere so angelegt wurde, um ihm zu schaden.

 Wenn er so empfinde, dann sei es ja besser, wenn er die SVP verlasse, sagte Hess. "Dir weint keiner eine Träne nach." Für die Kamera reichten sich die beiden am Schluss die Hand. Aber wirklich nur für die Kamera.
 rah

---

BZ 20.10.10

Stadtrat

 Peter Wasserfallen kehrt der SVP frustriert den Rücken

 Drei Jahre lang war Peter Wasserfallen Mitglied der SVP. Am Sonntag trat er unter Getöse wieder aus. Die Partei fördere einseitig rechte Populisten. Parteipräsident Peter Bernasconi widerspricht: Der Ausgleich sei ihm wichtig.

 "Ich werde im Stadtrat ab sofort einen Sitzplatz zwischen der FDP und der GFL belegen", sagt Stadtrat Peter Wasserfallen. Der Bruder von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen und der Sohn des verstorbenen Gemeinderats Kurt Wasserfallen hat die Nase voll und beendet das Gastspiel bei der SVP. Er kehrt ihr nach nur drei Jahren den Rücken: "Allein Polemik und Obstruktion zählen", kritisiert er und setzt noch einen oben drauf: "Die SVP verkommt zu einer Fuchs-Hess-Partei." Posten würden abgekartet vergeben. Parteipräsident Peter Bernasconi bezeichnet er als "Staffage". Niemand halte Erich Hess und Thomas Fuchs die Stange: "Hess führt uns vor und erhält dafür noch eine Belohnung", sagt Wasserfallen in Anspielung auf dessen Lavieren mit dem Doppelmandat im Stadtrat und im Grossen Rat.

 Unerfüllte Ambitionen

 Das Fass zum Überlaufen brachte, dass Wasserfallen bei der Nomination für die Nationalratswahlen 2011 nicht berücksichtigt wurde. In der Stadtsektion erhielt er im August keine einzige Stimme, und letzten Mittwoch machte die Kantonalpartei dann Nägel mit Köpfen: Die SVP Stadt Bern stellt - die beiden Grossräte Thomas Fuchs und Erich Hess. Wasserfallen macht denn auch keinen Hehl daraus, dass er frustriert geht. Nun will er erst einmal parteilos politisieren. Erste Fühler hat er aber in Richtung FDP ausgestreckt: "Ich werde das Gespräch mit der Fraktion suchen." Von dort tönt es positiv: "Die Türen stehen offen", sagt deren Chef Bernhard Eicher. Eine Option wäre für Wasserfallen auch die BDP. Von dort äussert sich Co-Fraktionschef Kurt Hirsbrunner aber reservierter.

 Roland Jakob, der das Fraktionspräsidium im Sommer von Erich Hess übernommen hat, bedauert den brüsken Abgang: "Er deckt das gemässigtere Segment der SVP ab." Dessen enttäuschte Ambitionen bei den Grossratswahlen, dem Fraktionspräsidium, in der Parteileitung und nun zuletzt für die Nationalratswahlen führt er aber nicht auf einseitige Förderung, sondern auf die häufige Absenz von Wasserfallen zurück. Dieser habe bei den wichtigen Sitzungen jeweils gefehlt. "Wasserfallen fehlte die Geduld", stellt Jakob fest. Dieser kontert, er sei jeweils in seiner Funktion als Hauptmann im Militär unabkömmlich gewesen.

 Statt zehn wird die SVP-plus-Fraktion künftig nur noch neun Sitze haben. Weil man unter seiner Leitung weniger polemisch auftreten wolle, werde der Einfluss der SVP nicht abnehmen, ist Jakob überzeugt: Da und dort werde die SVP viel mehr wieder für Allianzen interessant sein.

 Präsident bleibt gelassen

 Parteipräsident Bernasconi nimmt die Vorwürfe gelassen: "Peter Wasserfallen reagiert zuweilen empfindlich. Es fällt ihm manchmal schwer, sich richtig einzuordnen", sagt er. Die Nominationen seien korrekt abgelaufen. Es stimme auch nicht, dass die Parteileitung sich von Fuchs und Hess die Agenda diktieren lasse: "Wir drängten darauf, dass Hess den Ehrenkodex einhält und sein Stadtratsmandat abgibt, nachdem er in den Grossen Rat gewählt worden ist."

 Als Präsident sei er daran interessiert, dass die verschiedenen Flügel innerhalb der Partei unter einem Dach Platz fänden: "Für das kämpfe ich auch. Die Bäume wachsen auf der rechten Seite nicht einfach in den Himmel", betont Bernasconi. Unbestritten sei aber, dass die Partei von Politikern vom Schlage Fuchs' und Hess' auch profitiere. Trotzdem finde der von Jakob angekündigte Wechsel im politischen Stil der Stadtpartei statt. Allein Wasserfallen fehlte der Glauben.

 Christoph Aebischer

---

Blick am Abend 19.10.10

Stadtrat Peter Wasserfallen tritt aus der SVP aus

 BERN

 Am Wochenende sei der Entscheid gefallen, sagt Peter Wasserfallen. "Die SVP betreibt nur noch Obstruktionspolitik", erklärt der 30-jährige Historiker frustriert. Immer öfter habe er sich privat oder als Hauptmann im Militär rechtfertigen müssen, warum er da noch mitmache. "Die Berner SVP könnte man auch in Fuchs-Hess-Partei umtaufen. Alle anderen haben nichts mehr zu melden. Aber auch auf nationaler Ebene hat die SVP ausser Trotzreaktionen nichts mehr zu bieten." Vorläufig bleibt Wasserfallen als Parteiloser im Stadtrat. Ob er in die Fraktion der BDP wechselt oder in jene der FDP, lässt er momentan offen. Sein Bruder Christian politisiert als Nationalrat erfolgreich für die FDP. Auch Kurt, der verstorbene Vater der beiden, war ein Aushängeschild der Berner FDP. Bernhard Eicher, Fraktionschef der FDP im Berner Stadtparlament, signalisierte gegenüber Blick am Abend vorsorglich schon einmal Gesprächsbereitschaft: "Bei uns sind die Türen offen." pp

---

Bund 19.10.10

Berner Stadtrat Peter Wasserfallen tritt frustriert aus SVP aus

 "Die SVP bietet in der Stadt Bern nur noch Obstruktions- und Showpolitik." Dies sagte gestern Abend Peter Wasserfallen auf Anfrage. Zuvor hatte Roland Jakob, Präsident der SVP-Stadtratsfraktion, in einem Communiqué bekannt gegeben, Wasserfallen sei aus der SVP ausgetreten. Über die Gründe war darin nichts zu erfahren.

 Peter Wasserfallen sitzt seit Anfang 2009 für die SVP im Berner Stadtparlament. Er bestätigte gestern seinen Austritt aus Partei und Fraktion. Der Entscheid sei am Wochenende gefallen. Zunächst werde er als Parteiloser im Stadtrat weitermachen. Welcher Partei er sich anschliessen wolle - der FDP oder der BDP -, werde er später entscheiden.

 Der 30-jährige Historiker ist der Bruder von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen und der Sohn des verstorbenen FDP-Gemeinderats und Nationalrats Kurt Wasserfallen. Zu Beginn habe er noch versucht, der Stadt-SVP einen etwas anderen Drall zu verleihen, sagte Peter Wasserfallen gestern. Er habe sich dafür einsetzen wollen, dass Themen seriös angegangen werden, dass die Fraktion wieder ernst genommen werde. "Das wird sie schon lange nicht mehr richtig", sagte er. "Sie betreibt einen Riesenaufwand, aber erreicht nichts."

 Bei den Nominationen abgeblitzt

 Seine Bemühungen seien wirkungslos geblieben, sagte Wasserfallen gestern. Ausserdem habe sich die Stadtpartei zunehmend auf zwei Personen ausgerichtet - auf die Grossräte Erich Hess und Thomas Fuchs. Ersterer war bis diesen Sommer im Stadtrat SVP-Fraktionschef. Wasserfallen hätte gern das Fraktionspräsidium oder zumindest das Vizepräsidium übernommen. In beiden Fällen wurde er aber übergangen, wie er gestern einräumte. Bei der Nomination für die Nationalratswahlen schliesslich erhielt er keine einzige Stimme. Das habe ihn frustriert. Aber es sei nicht nur das: Mittlerweile sei es ihm "auch zu blöd, was die Partei auf anderen Ebenen bietet". Als Privatperson und als Hauptmann müsse er sich in seinem Umfeld des Öfteren für die Politik der SVP rechtfertigen.

 Roland Jakob, seit Ende August Chef der jetzt noch neunköpfigen Stadtratsfraktion SVP plus, sagte gestern Abend, Wasserfallen sei in entscheidenden Momenten - wie der Nominationsversammlung - nicht dabei gewesen. Am Ende entscheide halt die Basis. Und wenn diese sich gegen einen entscheide, "dann muss man damit leben - oder einen anderen Weg gehen". Es sei schade für Wasserfallen, sagte Jakob. "Manchmal muss man etwas Geduld haben - und die hat ihm ein bisschen gefehlt." (db)

---------------
DROGEN
---------------

Bund 23.10.10

Im Profil Der 35-jährige Nigerianer Emanuel Mark Bamidele bekam eine zweite Chance.

 Vom Kokain-Deal zum TV-Mann

Timo Kollbrunner

 "In meiner ersten Nacht in der Schweiz, im Asylheim, wachte ich auf, weil ich Männer sprechen hörte. Sie waren damit beschäftigt, Geld und weisse Kügelchen zu zählen. "Wir machen Business in der Stadt", sagten sie, "wenn du willst, kommst du morgen mit." Ich hatte einen Franken und fünfzig Rappen im Sack, und ich dachte: Ich will auch Business machen. So wurde ich Drogendealer. Mir war nicht bewusst, was ich damit anrichte, dass Drogen Leben zerstören. Es war die erste Option, die sich mir bot, und es schien keine Alternativen zu geben."

 "Weisst du, wie das ist, die ersten hundert Franken in den Händen zu halten? Diese schöne blaue Note? Weisst du, was du damit in Nigeria kaufen kannst? Ich habe meine erste Hunderternote in ein Buch gelegt, damit sie nicht verknittert. Und dann wollte ich die nächsten hundert. Ich habe mich in das Geld verliebt. Ich ging aus, ich kaufte Kleider - ich habe immer alles gleich wieder ausgegeben. Das allermeiste Geld, das Dealer verdienen, bleibt in der Schweiz."

 "Dealen ist ein Fluch. Wenn du einmal drinsteckst, könnten sie dir einen Job bei der UBS anbieten, du würdest weiterdealen. Du bist zu beschäftigt, um Alternativen zu sehen. Du willst immer mehr. Wenn du im Ozean schwimmst und Durst hast, und dir jemand sagt, du sollst nicht trinken: Hörst du auf ihn? Dealen tötet dein Potenzial. Du bist ständig im Stress: Wo ist die Polizei? Wo kriege ich Nachschub? Du kannst nicht mehr entspannt einen Kaffee trinken. Als ich dealte, hatte ich keine Ahnung, dass ich zu dem fähig bin, was ich heute mache. Wenn du dealst, ist Dealen dein Leben."

 "Im September 2000 wurde ich ausgeschafft, die nächsten drei Jahre lebte ich in Nigeria. Weil meine Frau Schweizerin ist, konnte ich 2003 zurückkehren. Wir haben zwei Söhne, ich habe an der Fachhochschule Elektro- und Kommunikationstechnik studiert, ich habe Deutsch gelernt, habe mir selbst Wissen angeeignet. Ich lebe jetzt hier meinen Traum: Meine Mission ist es, einen Beitrag zur Integration der Afrikaner in der Schweiz zu leisten. Ich möchte gegen ihr negatives Image antreten. Dafür habe ich vor vier Jahren African Mirror TV gegründet. Im Internet findet man das Programm unter www.africanmirror.org. Wir besuchen Veranstaltungen von Migranten, Integrationsanlässe, Feste, Demonstrationen. Wir decken jene Anlässe ab, die das übrige Fernsehen nicht bringt. Wir machen Fernsehen von der Basis."

 "Ich möchte meine Erfahrungen einbringen, möchte helfen, das Problem mit afrikanischen Dealern in den Griff zu kriegen. Nicht als Informant für die Behörden, auf keinen Fall, aber als Kenner. Ich weiss, wie das Geschäft läuft, ich war Teil davon. Ich habe mich mit Alard du Bois-Reymond, dem Direktor des Bundesamts für Migration, getroffen. Ihm gefällt mein Vorschlag, eine DVD zu realisieren, die wir ankommenden Asylbewerbern zeigen können. Wir müssen die jungen Männer aufklären, ihnen bewusst machen, welche Leiden Drogen bereiten, dass sie die Ausschaffung riskieren, wenn sie dealen. Die Unwissenheit ist das eine Problem, das andere sind fehlende Alternativen. Wir müssen diesen Menschen Jobs geben."

 "African Mirror TV bekommt immer mehr Aufträge. Derzeit entwickeln wir etwa den Fernsehsender der Aids-Hilfe Bern. Aber unsere Ressourcen sind beschränkt. Die Postproduktion mache ich alleine. Ich benötige dringend motivierte Leute, zum Beispiel jemanden, der mir hilft, Beiträge zu editieren. Gerne auch einen Asylbewerber: Das wäre allemal eine bessere Beschäftigung, als zu dealen. Vorläufig ist unser Kanal nur im Internet zu empfangen. Ich träume davon, dass die Schweizer dereinst zu Hause auf dem Sofa nicht nur SF schauen oder RTL, sondern auch African Mirror TV".

---

Basler Zeitung 23.10.10

Der ewige Kampf des Mr. Langstrasse

 Rolf Vieli bändigte die Zürcher Drogenszene - doch jetzt bedrohen Zuhälter aus Osteuropa erneut den Kreis 4

 TIMM EUGSTER, Zürich

 Rolf Vieli (64) hat im Auftrag des Polizeidepartements Junkies und Dealer in die Schranken gewiesen und so die Grundlage für den Wandel zum Zürcher Trendquartier Kreis 4 gelegt. Doch jetzt etablieren sich neue und im Wesen brutalere Milieufiguren. Das Porträt eines Rastlosen.

 Er könnte sich underdressed vorkommen, wie er in seiner alten Jacke und dem praktischen Daypack-Rucksack am Tresen der Volkshaus-Bar steht, zwischen all diesen Züri-In-People mit ihrer sorgfältig assortierten Garderobe. Tut er aber nicht. Schliesslich krabbelte Rolf Vieli hier als Baby zwischen den Tischen herum, als die meisten der heutigen Gäste noch nicht einmal geboren waren - und das Volkshaus noch als alkoholfreie Gaststätte vom Frauenverein geführt wurde. "Damals stank es hier immer nach Milch", erinnert sich der 64-Jährige.

 Lebenslinien. Vieli ist ein Kind des Langstrassenquartiers. Nach der Schule macht er eine KV-Lehre, rebelliert als 68er gegen die kleinbürgerlich-gewerkschaftliche Enge seines Milieus, gründet das 1.-Mai-Komitee gegen die "reaktionäre Gewerkschaftsführung" mit - und gibt den Austritt, als gewaltbereite Gruppen einsteigen. "Wollt ihr ein AJZ oder wollt ihr Krawall?", ruft er der unruhigen 80er-Jugend per Megafon ins Gewissen - worauf diese Demo tatsächlich friedlich bleibt.

 Vieli, der schmächtige Vegetarier und Sammler indischer Ganesh-Figuren, setzt sich durch. Mit seiner unbändigen Debattierlust und mit seiner unerschütterlichen Überzeugung, dass er das Richtige tut. Auch wenn er in seinen Jahren als Stadtammann und Betreibungsbeamter für den Kreis 4 Wohnungen zwangsräumen und vernachlässigte Kinder bei ihren Müttern abholen muss.

 Sumpfgebiet

In den 90er-Jahren nehmen Drogenszene und Milieu überhand, das Quartier versinkt in Dreck, Chaos und Gewalt. Der Druck der Bevölkerung wird so gross, dass die damalige Polizeivorsteherin Esther Maurer zu einem unkonventionellen Mittel greift: Sie ernennt Rolf Vieli 2001 zum Mr. Langstrasse - zum Aushängeschild ihrer sozialdemokratischen Ordnungs- und Aufwertungspolitik. Vieli wird ihr im Polizeidepartement direkt unterstellt: Da hat er wenig direkte Kompetenzen, aber umso mehr Einfluss.

 Die Verwandlung, die das Quartier in seiner Amtszeit als Mr. Langstrasse durchgemacht hat, zeigt sich für Vieli just hier im neu designten Volkshaus mit seiner kunstvollen Neonlichtinstallation an der Decke. Er sieht darin einen Vorboten der Zukunft eines "lebendigen, lebens- und auch liebenswerten Quartiers, in dem weder Randständige noch Yuppies dominieren". Klar, es sei schade, dass kaum noch Arme und nur noch wenige Ausländer im Volkshaus verkehrten, räumt er ein. Doch die Mischung ist trotzdem interessant: An der Bar lümmelt gerade ein Trüppchen Soldaten herum - daneben steht der noch immer langhaarige ehemalige GSoA-Vordenker Andi Gross.

Paradies

Jetzt will Vieli die Bäckeranlage vorzeigen, den Ort, den er in ein "kleines Paradies" zu verwandeln versprach. Ausgelacht habe man ihn damals, als das Pärklein mit unzähligen Junkies und Dealern fast schon ein zweiter Letten war. Warum sollte dieser Mr. Langstrasse das schaffen, was mit anderen städtischen Projekten nicht gelungen war? Vieli wusste: Sollte nicht der letzte Funken Hoffung im Quartier erlöschen, musste er Erfolg haben. Die Anlage wurde geräumt, eingezäunt, instand gestellt und Wochen später mit einem Fest, 75 dauerpräsenten Polizisten und einem Café mit Kulturbetrieb wieder geöffnet. Und tatsächlich: Heute ist die Bäckeranlage - unterdessen mit Quartierzentrum bestückt - ein grünes Paradies, wo hippe Familien ihre Babys im Gras krabbeln lassen, und die paar übrig gebliebenen Polytoxikomanen finden sie irgendwie urban und in Ordnung.

 Dubiose Gestalten

Ein schwarzer Offroader stoppt, die Scheibe surrt, der Fahrer ruft eine Frage heraus. Es geht um ein Formular. Vieli nähert sich keinen Zentimeter, sondern gibt ihm zu verstehen, er solle ihn anrufen. "Früher hat dieser Mann Dinge getan, die fürs Quartier gar nicht gut waren. Jetzt betreibt er ein anständiges Restaurant." Im Gespräch versuche er, Milieufiguren zu überzeugen, "dass ihre Zeit abgelaufen ist". Das nütze auch. Viele veränderten sich auch, weil sie älter werden und ein normales Leben führen wollen. Auf der Piazza Cella sitzen derweil die Newcomer der Zuhälterszene auf den biergetränkten Bänklein der Strassenkreuzung und checken permanent die Lage: Osteuropäer, die bereits den Strassenstrich unten am Sihlquai beherrschen und die jetzt jede Chance packen, rund um die Langstrasse Häuser und Wohnungen zu mieten. "Sie sind entschlossen, hier die Herrschaft zu übernehmen", bemerkt Vieli trocken.

 Geldgierige Hausbesitzer

Er zeigt auf eine frisch renovierte Fassade. "Dieses Haus war früher unglaublich versifft - und trotzdem kostete ein Zimmerchen über 2000 Franken." Solche Mietzinsen, wie sie in anderen Liegenschaften weiterhin verlangt werden, könnten sich nur ungarische Menschenhändler leisten, deren Prostituierte ihren ganzen Verdienst abgeben müssen. Wegen solcher Geldgier der Hausbesitzer komme es zu einer Verdrängung der integrierten, legal arbeitenden Prostituierten, redet sich Vieli ins Feuer: "Sie machen sich damit nicht im juristischen, aber im ethischen Sinn zu Komplizen." In diesem Fall ging die Geschichte für Vieli gut aus: Obwohl der Besitzer horrende Mieten abzockte, ging er pleite - das Haus wurde zwangsversteigert. Für die Gant lud Vieli einen Investor seines Vertrauens ein. Dieser kaufte es. Neue Mietwohnungen entstanden. Im Gegenzug versprach er, dass die Polizei die Dealer in der Umgebung rigoros bekämpft.

 Ab 1975 kauften die damaligen Milieukönige in wenigen Jahren Dutzende von Häusern und verdrängten so Teile der Bevölkerung. "Es geht ganz schnell", warnt Vieli, "und ein Quartier kippt." Die neuen Milieufiguren hält Vieli für sehr gefährlich: "Sie sind extrem gewalttätig." Verletzen sie ein Mädchen, lässt es sich in der Apotheke rasch einen Verband machen - zum Arzt traut es sich nicht, geschweige denn zur Polizei. Diese versuche zwar, mit Kontrollen die Regeln durchzusetzen - doch sei sie vielfach überfordert.

 Am liebsten würde Vieli mit dem grossen Portemonnaie einfahren. 20 Millionen Franken hatte seine Partei gefordert, als er anfing: Damit hätte die Stadt ein halbes Dutzend "Schlüsselliegenschaften" kaufen können. "Dann hätte es auf einen Schlag viel weniger Milieufiguren hier", so Vieli. Für private Investoren, argumentierte er, seien die Preise viel zu hoch - es sei denn, sie mischen selbst im Sexgewerbe mit. Doch das war selbst dem linken Stadtrat und Parlament zu viel Staatsintervention. Gekauft hat die Stadt schliesslich als "symbolischen Akt" ein einziges Gebäude: jenes mit der Bar Rossi, wo nun verliebte Studi-Pärchen zu entspannten Trip-Hop-Klängen rumhängen.

 Rund 25 Lokale würde Mr. Langstrasse am liebsten schliessen, weil sie das Quartier enorm belasteten. "Theoretisch kann man ein Haus als Tatwaffe beschlagnahmen", sagt Vieli - faktisch aber seien die Hürden so hoch, dass es nie dazu kommt. Das bringt den Macher manchmal fast zur Verzweiflung. Vor allem weil der 24-Stunden-Betrieb von Gastgewerbe und Shops in den letzten Jahren zu einem deutlichen Anstieg von nächtlichem Lärm, Streit und Gewalt geführt hat. "Der Mythos Langstrasse besagt, dass man hier alles darf, was man bei sich zu Hause in der Agglo nie tun würde", ärgert sich Vieli.

 Yuppies und Wohnpreise

Vor der Gleisunterführung tummelt sich ein letzter Rest "trümmliger" Junkies. An einer Hauswand wirbt "Primus Property" für "Urban Home - Leben im Kreis 4". Eine Zweieinhalb-Zimmer-Wohnung direkt an der Eisenbahnhauptachse kostet fast eine Million Franken. "Yuppies", hat jemand auf das Schild gekritzelt.

 Vieli selbst wohnt in Zürich-Affoltern, weil er sich keine Wohnung im Kreis 4 oder 5 leisten könnte. Dies vor allem auch im Hinblick auf seine Rente nach der Pensionierung.

 Derweil mieten und kaufen die - gut verdienenden - Zuhälter aus dem Osten, was sie in die Finger kriegen. Damit sie noch mehr Frauen nach Zürich holen können. Frauen wie die, die auch in dieser Dienstagnacht am Sihlquai mit leerem Blick darauf warten, bis ein Freier anhält und mit ihnen auf einem Quartierparkplatz oder in einem Vorgarten verschwindet. Linksalternative warnen bereits, die Quartierbevölkerung werde nach dem Seefeld jetzt auch aus dem hip gewordenen Langstrassenquartier verdrängt - in Rolf Vieli und seiner Aufwertungspolitik sehen sie den Schuldigen. Was diesen gewaltig nervt. "Wegen Drogen, Prostitution und Gewalt", sagt er, "sind weit mehr Leute vertrieben worden, als in den nächsten Jahrzehnten wegen sogenannter Gentrifizierung verdrängt werden."

 Immobilieninteresse

Anders als Linksalternative freut sich Vieli über jede Galerie, die ein neues Publikum anzieht und das "subjektive Sicherheitsgefühl" erhöhe. Und er freut sich, dass mit Sunrise und Interdiscount grosse Ketten die Langstrasse entdeckt haben: "Das zeigt, dass das Interesse an der Strasse steigt - sie darf bloss nicht zu einer 08/15-Einkaufsstrasse verkommen." Gerne hätte Vieli auch einen Blumen- oder Käseladen in der Langstrasse. Doch für solches Kleingewerbe seien die Mieten oft zu teuer.

 Kurz bevor die Langstrasse in den Limmatplatz mündet, biegt Vieli in ein Seitensträsschen ab und betritt das "Shaba", eine mit warmem Licht und harmonischen Klängen erfüllte New-Age-Oase. Sein Freund, der indische Wirt Sani Abdul, strahlt und öffnet gleich ein paar Flaschen Mineralwasser. Ein Pionier sei Abdul gewesen, lobt Vieli. "Oh Gott, es war wirklich schlimm, als wir anfingen!", stimmt dieser ein: "Gäste aus den reichen Seegemeinden bekamen Panik, als sie unsere Adresse vernahmen." Zu seinem Freund sagt er: "Die Leute sollten dir dankbar sein. Ohne deinen Kampf hätten wir nie diesen Standard erreicht im Quartier." Das hört Vieli gerne.

 Problem Strassenstrich

Doch bevor er kommendes Jahr in Pension geht, ist noch ein gewaltiges Problem zu lösen: Die "extreme Dynamik" am Strassenstrich am Sihlquai. "Die rechtlosesten Frauen ziehen die schlimmsten Freier an, die glauben, sie könnten sich alles erlauben", so Vieli. Lange hätten die Behörden zu wenig hingeschaut, wie jedes Jahr mehr Frauen aus dem Osten in die Schweiz und speziell nach Zürich eingeschleppt wurden. "Jetzt", sagt Vieli, "müssen wir Regeln aufstellen und durchsetzen." Konkreter kann er nicht werden - sein neuer Chef Daniel Leupi will erst informieren, wenn er noch vor Ende Jahr eine neue Prostitutionsgewerbe-Verordnung vorstellen kann.

---

Bund 20.10.10

Bund will hochprozentigeren Cannabis erlauben

 Hanf soll neu 1 Prozent THC enthalten dürfen. Damit wäre die Schweiz deutlich grosszügiger als die EU.

 Fabian Renz

 Hanf ist mehr als nur der Stoff, aus dem Kifferträume sind: Die Pflanze mit dem anrüchigen Ruf wird auch für Seile, Kleider, Kosmetika, Öl und vieles Unverdächtige mehr verwendet. Aus diesem Grund ist Hanfanbau in der Schweiz unter bestimmten Bedingungen erlaubt - die nun nach den Vorstellungen des Bundesamts für Gesundheit (BAG) grosszügiger ausgestaltet werden sollen. Gemäss einem gestern öffentlich gemachten Verordnungsentwurf dürfte eine Cannabispflanze künftig bis zu 1 Prozent an THC enthalten, jener Substanz, auf der die Rauschwirkung eines Joints oder Haschguetsli beruht. Heute gilt eine Limite von 0,3 Prozent.

 Das BAG begründet die vorgeschlagene Neuerung mit "mehr Rechtssicherheit". Der Hintergrund: Immer wieder kommen Hanfbauern vor Gericht, weil ihr zu legalen Zwecken angebautes Kraut bei Tests zu hochprozentig abschneidet. Dabei liegt ein THC-Gehalt von beispielsweise 0,7 Prozent weit unter jenem von echtem Drogenhanf (bis zu 30 Prozent). Ein weiterer Vorteil der Grenzwerterhöhung liegt laut BAG darin, dass es weniger Fehldiagnosen bei den THC-Proben geben würde.

 Die 1-Prozent-Grenze mache in der Tat Sinn, meint der mit der Materie gut vertraute St. Galler Staatsanwalt Thomas Hansjakob. Je nach Klima des Anbaugebiets könne es vorkommen, dass der THC-Gehalt einer Hanfpflanze auch entgegen den Absichten des Bauern die geltende Limite von 0,3 Prozent übersteige. Umgekehrt müsse die zulässige Obergrenze aber deutlich unter 3 Prozent liegen. Denn ab diesem Wert beginne Cannabis seine psychoaktive Wirkung zu entfalten, sagt Hansjakob. Der vom BAG geplante Grenzwert von 1 Prozent trage beiden Überlegungen Rechnung.

 Juristischer Kniff

 Dennoch dürfte die Lockerung für Kontroversen sorgen. Bei Gegnern der Drogenlegalisierung und teilweise auch in Polizeikreisen werden die Pläne des Bundes schon aus Prinzip abgelehnt, wie erste Reaktionen gestern zeigten. Vor allem aber scheint die vorgesehene Obergrenze den Bestimmungen des neuen Betäubungsmittelgesetzes zuwiderzulaufen. Dieses verlangt eine Orientierung an internationalen Standards - und die EU schreibt für legalen Faserhanf eine THC-Obergrenze von 0,2 Prozent vor.

 Das BAG behilft sich hier mit einem juristischen Kniff: Die geplante 1-Prozent-Marke definiere nicht die Obergrenze von Faserhanf, sondern die Untergrenze von Drogenhanf. Ob diese Argumentation überzeugt, wird die bis Ende November laufende Vernehmlassung zeigen.

---

Handelszeitung 20.10.10

Management

 Wenn ohne Drogen nichts läuft

 Manager und Sucht - Der Leistungsdruck in der Teppichetage ist riesig. Wer unter dem Dauerstress zu leistungssteigernden Mitteln greift, gerät rasch in eine gefährliche Spirale von Abhängigkeit und Sucht. Erfahrungen eines Managers und langjährigen Kokainkonsumenten.

 Madeleine Stäubli-Roduner

 Kokain hat mein Leben beinahe zerstört", sagt der 42-jährige Manager Markus B. (Name geändert). Er sitzt leicht angespannt in einem Zürcher Lokal, fährt sich durch die Haare und räuspert sich. Alles hatte doch so gut angefangen: Er stieg nach Fachhochschulstudium und MBA in einem Finanzinstitut in Frankfurt ein und rasch auf, heiratete mit 30 und war mit 35 Eigenheimbesitzer und Vater zweier Kinder. Da seine beruflichen Perspektiven in der Schweiz besser aussahen, liess er sich nach Zürich versetzen, wo seine Karriere steil anstieg. Er jettete wöchentlich zwischen der Schweiz und Grossbritannien, spulte abends sein Marathon-Lauftraining ab und managte an Wochenenden die Wettkampfeinsätze seiner sportbegeisterten Kinder.

 Nach einer langen Sitzung am Londoner Firmensitz bot ihm ein englischer Kollege beim Bier im Pub einen "kleinen Aufsteller" an, da er "so müde aussehe" - gratis, natürlich. Nachdem sich Markus B. seine erste Linie gezogen hatte, fühlte er sich augenblicklich leichter und besser. An diesem Abend machte es ihm nichts aus, noch schnell heimzufliegen, ein paar Kilometer durch den Wald zu laufen und die Präsentation vom nächsten Tag vorzubereiten. Die Kollegen staunten über seine riskanten Vorschläge, seine Frau über seine Energie.

 Der Anfang des Abstiegs

 "Das war der Anfang meines Abstiegs", sagt Markus B. und runzelt die Stirn. Zwar passt der gediegene Anzug immer noch perfekt, das Lächeln wirkt souverän. Aber eben ist er aus einem dreimonatigen Aufenthalt in einer Privatklinik zurückgekehrt, wo er sich einer Behandlung mit Gesprächen, Körpertherapie und Psychopharmaka unterzog. "Ob ich es auf Dauer wirklich schaffe, weiss ich noch nicht", sagt er leise. "Der Druck im Job ist riesig, und ganz aussteigen will und kann ich nicht - schon meiner Familie zuliebe, die zwar von mir kaum etwas hat, aber wenigstens über das Geld verfügen kann. Und daran hat sie sich natürlich gewöhnt."

 Dass Manager aus dem mittleren und oberen Management zunehmend Kokain, Aufputsch-, Beruhigungsmittel und Alkohol konsumieren, ist bekannt. Der Leistungsdruck in allen möglichen Lebensbereichen steigt seit Jahren rapide an - und immer mehr Menschen greifen immer hemmungsloser zu Seelentröstern und Stimmungsaufhellern.

 "Seit etwa sechs, sieben Jahren hat der Verkauf von Antidepressiva und Beruhigungsmitteln deutlich zugenommen", sagt Metin San, Apother in der Zürcher Bellevue-Apotheke. Eine eindeutige Korrelation zur Finanzkrise sieht er dabei nicht, aber er stellt fest: "Während der Krise, als das Burn-Out-Syndrom in den Medien stark thematisiert wurde, kauften viele Frauen für ihre Männer rezeptfrei Beruhigungsmittel." Da man die Konsumenten nicht nach ihren Berufen frage, sei es schwierig, die Entwicklung des Konsums in einzelnen Branchen zu verfolgen.

 Auch das Bundesamt für Gesundheit betont, dass sich die heute verfügbaren Studien nicht auf die Ebene des Individualkonsums übersetzen lassen. "Das heisst, sie geben Auskunft über die Menge, die verfügbar ist und wahrscheinlich konsumiert wird, aber nicht über die Verbreitung", sagt Mediensprecherin Mona Neidhart. "Mit anderen Worten: Die effektive Zahl von Kokainkonsumierenden kann nur eingekreist werden. Wobei vorweg gesagt werden muss, dass in Bezug auf das höhere Management kaum Aussagen belegt werden können, sondern meist nur Annahmen vorliegen. Es ist jedoch anzunehmen, dass der Kokainkonsum in bestimmten Milieus gehäuft auftritt: Im traditionellen Drogenmilieu, im Night-Life-Milieu und bei gut integrierten Personen in Stressberufen. Diese Auflistung ist nicht abschliessend, und gerade bei Letzteren ist die Frage nach den Ursachen des Konsums nicht geklärt."

 Die Tendenz, für jedes Problem eine Pille einzuwerfen, zieht sich durch alle Gesellschaftsschichten und Altersstufen: Was Kiffen für den 16-Jährigen auf dem Dorfplatz, Ecstasy für den 20-jährigen Clubbesucher, Epo für den Radprofi und Crack für den Drogenjunkie, sind Prozac, Viagra, Rohypnol und Kokain als Mut- und Muntermacher für gestresste Manager.

 Was da geschluckt, gesnifft, geraucht, geschnüffelt und gespritzt wird, birgt Risiken. Deren Gefahrenpotenzial wird in der Öffentlichkeit oft heruntergespielt und verharmlost. Man hat seinen Konsum im Griff, glauben schon Jugendliche - und davon sind erfolgsverwöhnte und topdisziplinierte Manager erst recht überzeugt.

 "Bei jeder Linie dachte ich: Das ist die letzte", sinniert Markus B. Doch statt aufzuhören, musste er seine Dosis laufend erhöhen, um die gleiche Wirkung zu erzielen. Bald brauchte er ein Gramm täglich, um sein berufliches und sportliches Marathonprogramm überhaupt absolvieren zu können. Körperliche Nebenwirkungen liessen nicht auf sich warten: "Ich hatte Bluthochdruck und häufig Nasenbluten. Ausserdem ass und schlief ich viel zu wenig, daher brauchte ich den Stoff immer dringender." Mindestens so schlimm waren die psychischen Folgen: "Wenn die Wirkung nachliess, hatte ich oft Ängste, Schuldgefühle gegenüber meiner Familie, war innerlich leer, fast depressiv."

 Aus der Spirale von Dauerstress und Doping auszubrechen, erweist sich als nahezu unmöglich. Sich nicht mehr aufzuputschen hiesse, viel weniger zu leisten, was das Selbstwertgefühl eines Kadermannes knicken würde. Die Familie aufklären? Sich bei Kollegen outen? Eine Therapie anfangen? "Alles undenkbar", sagt Markus B. "Mein Körper musste erst schlappmachen, bis ich selber den Bruch vollzog." Eines Abends ging gar nichts mehr, Markus B. gestand seiner Frau sein Doppelleben und liess sich krankschreiben. Burnout, lautete die Diagnose gegenüber Konzern und Kollegen.

 "Der Leistungsdruck auf die Top-Manager hat sicherlich zugenommen", sagt Philippe Hertig, Chef von Egon Zehnder International Schweiz. "Obwohl die sogenannte Work-Life-Balance bei den wenigsten obersten Führungskräften gegeben ist, wird man sich beispielsweise der Problematik eines Burnout immer bewusster und unternimmt auch aktiv etwas dagegen."

 Die innerbetrieblichen Kontrollmechanismen seien heute stärker ausgeprägt als früher, aber auch die Aufsichtsfunktion des Verwaltungsrates werde heute intensiver wahrgenommen. Früher habe man in einer tabuisierten Gesellschaft eher zur Flasche oder Tablette gegriffen, sagt Hertig. Dagegen seien moderne Führungskräfte mit gesundheitsbewussten Spitzensportlern vergleichbar, "die sich ihrer Verantwortung bewusst sind und genau wissen, dass Alkohol und Drogen mit überdurchschnittlicher Leistungserbringung nicht kompatibel sind".

 Die Vermutung liegt nahe, dass es diesen "Typ Spitzensportler" wohl gibt - aber eben auch dessen Gegenpart, der seine Nöte allerdings unter Verschluss hält. Deutlich pessimistischer als Hertig äussert sich etwa der deutsche Soziologe Günter Amendt, der in der "Berliner Zeitung" schreibt: "Kokain ist überall, wo in Hochgeschwindigkeit gearbeitet wird." Und: "Der Treibstoff der New Economy ist Kokain."

 Vernünftiges Selbstmanagement

 Nicht jeder hat das Zeug zum sauberen Spitzensportler. Vermutlich können - analog zum Sport - relativ wenige auf Dauer an der Unternehmensspitze mithalten, ohne zu Doping zu greifen. Für die anderen steht eine gesunde Selbsteinschätzung und ein vernünftiges Selbstmanagement im Vordergrund. "Ich habe mich überschätzt und überfordert", sagt Markus B. "Nun will ich haushälterischer mit meinen Ressourcen umgehen." Künftig will er mehr auf Ermüdungserscheinungen, körperliche Signale und Anspannungen reagieren. Er lehnt sich zurück und sagt: "Das ist ganz wichtig, denn wer einmal im Teufelskreis von Leistung und Drogen steckt, kommt allein kaum mehr heraus."

--

 Therapie und Prävention

 "Meist fängt es mit Schlafproblemen an"

 Konsum Hat der Konsum von Kokain, Alkohol, Aufputsch- und Beruhigungsmitteln in Chefetagen zugenommen? "Das kann man epidemiologisch nicht belegen", sagt Professor Michael Soyka, ärztlicher Direktor der Privatklinik Meiringen und bekannter Suchtexperte. "Der klinische Eindruck ist aber schon so, speziell was Psychostimulantien angeht." Diese konsumiere man vor allem, um länger durchzuhalten, "wach" zu bleiben, auch zur Euphorisierung. Als Ursache erwähnt Soyka die stark gewachsenen Ansprüche, "insbesondere was die pausenlose Verfügbarkeit und die Schnelligkeit von Entscheidungen angeht".

 Therapie Elemente der Therapie sind laut Soyka Entspannungsverfahren, Körpertherapie, Nonverbale Therapien, evtuell Pharmaka zur Entzugsbehandlung, zur Therapie von Suchtverlangen oder von komorbiden Störungen, zum Beispiel Depression. Die Privatklinik Meiringen bietet die bei Managern gefragte Kurzzeittherapie an.

 Prävention Apotheker Metin San hält es für zentral, dass Manager ihre Gefährdung erkennen und den Teufelskreis von Überlastung und Medikamenten vermeiden: "Meist fängt es damit an, dass gestresste Manager unter Schlafproblemen leiden." Statt nur dieses Symptom zu bekämpfen - "ich will unbedingt schlafen" -, sollten Betroffene die Ursachen erforschen, sich Gedanken über das eigene Leben machen und mit Familie und Freunden darüber sprechen. Ausserdem sollten gestresste Manager körperlich für sich sorgen: Einen normalen Tagesrhythmus finden, regelmässig essen, trinken, ausruhen, schlafen. In sonnigeren Gebieten Licht tanken. Regelmässig und massvoll Sport treiben, um Stress abzubauen.

---

Tribune de Genève 20.10.10

Héro et coke en stock

 De grosses quantités de drogue sont vendues chaque jour à Genève. Etat des lieux (2/2)

Thierry Mertenat

 Le physique de l'emploi. En taille et au poids. En années d'expérience aussi. Avant de diriger la Brigade des stups, l'inspecteur Olivier Peiry a fait ses kilomètres de "voie publique" et de "maintien de l'ordre". A 49 ans, il connaît par cœur les habitudes délinquantes de sa ville en matière de trafic de stupéfiants. Deux heures d'entretien, sans photographe. La tête qui parle ne veut pas être vue.

 Chaque drogue a ses trafiquants. Ils partagent la même nationalité. Les Albanais tiennent le marché de l'héroïne brune. Depuis quand en est-il ainsi?

 Depuis toujours. Ils sont sans concurrence. Au début des années 90, les trafiquants d'héroïne venaient du Kosovo, des individus issus de différentes ethnies albanaises. Parfaitement intégrés - souvent mariés et détenteurs d'un permis B - la plupart avaient un emploi à Genève. Ceux qui mettaient la main à la poudre bossaient déjà de manière clanique, par villages et par familles. A l'époque, la téléphonie en était encore à ses débuts. Ils allaient au contact direct du client.

 Et aujourd'hui, comment sont-ils organisés?

 Par filières. Elles se sont multipliées et disséminées sur tout le territoire genevois. Une centaine de sites - actifs ou dormants - ont été répertoriés par nos services. Cinq à six "plans", pour reprendre notre jargon, tournent chaque semaine. Les Albanais qui trafiquent sont patients, solides et très écolos. Nombre d'entre eux sont des bergers: la nature ne leur fait pas peur. On en a vu dormir en plein hiver sous le pont Butin. Lors des mises en fuite, ils n'hésitent pas à sauter dans le Rhône et à nager jusqu'à la rive d'en face. Ils sont régulièrement approvisionnés dans les bois, ils vendent dans les bois. La marchandise est livrée sur place: puck durci d'héroïne d'un côté (en gros 200 g), produit de coupage (caféine et paracétamol) de l'autre. Ils se chargent eux-mêmes du mixage. A l'arrivée, un kilo prêt à la vente. Dans leur bivouac improvisé, on retrouve le matériel servant au conditionnement: balance, sachets minigrip, fer à repasser, petits haltères servant à concasser le produit et à le réduire en poudre.

 En salle d'audition, comment se comporte "l'ouvrier" interpellé?

 Il ne donne rien, sinon l'heure, et elle est fausse. Sa première arrestation lui sert en quelque sorte de bizutage dans le milieu. Il n'est pas rare de le retrouver plus tard à un échelon supérieur. C'est lui qui gère le plan. La main-d'œuvre est inépuisable. Elle attend de l'autre côté de la frontière (en France et en Italie notamment). On passe notre temps à arrêter des "primaires", des nouveaux trafiquants sans casier judiciaire. Il existe des lieux d'embauche à Genève. Certains établissements publics servent de points de rendez-vous. Un gestionnaire de plan, qui a par exemple besoin de deux ouvriers, vient les recruter pour la journée. Ces petites mains ne consomment pas. Elles savent très bien ce qu'elles vendent.

 A qui, justement, la drogue est-elle vendue?

 Les toxicomanes à l'héroïne sont à 80% des Français. Plus de 1000 d'entre eux sont fichés chez nous. Ils viennent des Savoies, de l'Isère, de l'Ain et du Doubs. Parfois de plus loin encore. Le minigrip de 5 g coûte 150 francs à Genève, contre 250 euros à Annecy, Chambéry, Grenoble ou Besançon. La différence de prix paie largement les péages et le transport. Les acheteurs font pot commun - plusieurs toxicomanes financent le voyage et l'achat - repartent chez eux avec des quantités qui dépassent souvent les 50 g. Les saisies se font à la sortie, beaucoup plus rarement à l'entrée du territoire cantonal. La drogue arrive par voie terrestre, via l'est de la Suisse. Les 20% restants sont des Confédérés, parmi lesquels on trouve également les toxicomanes "genevois" qui alimentent le sous-marché du trafic local. Dans le secteur de la gare, le gramme se négocie à 30 francs. Il y a vingt ans, il se vendait entre 500 et 600 francs sur la place du Molard.

 A combien estimez-vous la quantité d'héroïne vendue dans les parcs tout autour du centre-ville?

 On fait des saisies régulières. Récemment, deux Albanais ont été jugés aux Assises pour 7   kilos d'héroïne et 80   kilos de produits de coupage. Une équipe peut à elle seule écouler jusqu'à plus d'un kilo par semaine. Sachant qu'elles sont une demi-douzaine à se partager activement le marché, cela représente des quantités considérables. Les Albanais se sentent bien chez nous. La demande est forte, le milieu est plutôt tranquille - sans pègre locale comme dans les cités françaises - et les sanctions n'ont rien de dissuasif. Un primaire se prend devant le juge une ordonnance de condamnation avec sursis. S'il récidive dans les jours qui suivent, il se peut qu'on ne lui casse pas le sursis, car il a deux semaines devant lui pour faire recours. Deux semaines de travail dans les bois.

 Le trafic de drogue est un délit permanent, mais le plus souvent sans plaignant. Un handicap supplémentaire pour l'enquêteur?

 C'est là toute la difficulté juridique. Un "tox" peut faire une bonne mise en cause: il reconnaît son vendeur, à 20 reprises il lui a acheté 5 g. Son témoignage doit être confirmé devant le juge, en audience contradictoire. Si le toxicomane renonce à se présenter, l'audition de police est pour ainsi dire caduque. On en revient toujours au même constat: l'arsenal judiciaire existe, les mesures de contraintes, en revanche, sont insuffisamment appliquées. Si l'on pouvait infliger à nos clients récurrents une peine de base de trois à six mois, puis une période réelle de détention administrative, dans le but qu'ils préparent leur départ, on aurait moins de monde en prison, cela se redirait très vite dans le milieu et calmerait d'autant les vocations délinquantes.

 Des vocations qui sont aussi concernées par le trafic de cocaïne. Que peut-on en dire?

 Elle touche tous les âges, par ses prix extrêmement compétitifs. De 400 francs la boulette, on est tombé à 100 francs. La demi-boulette est, pour les jeunes au petit budget, aussi accessible qu'un sachet d'herbe. Les réseaux sont bien structurés. L'Afrique de l'Ouest sert de lieu de passage; les mules, recrutées sur ce continent, transitent par l'aéroport de Roissy. Des body packers qui ingurgitent jusqu'à 150 ovules de 10 g chacune. S'y ajoutent désormais des mules blanches en provenance de l'Europe de l'Est. Les ressortissants sud-américains, enfin, sont également sur les rangs. On a démantelé il y a quelque temps une bande originaire de Saint-Domingue qui s'était mise à arroser des boîtes hispanophones de la place. Sur les belles affaires, les saisies réalisées sont similaires, en quantité, à l'héroïne.

 Et les drogues douces, figurent-elles dans vos priorités répressives?

 Il faut arrêter de parler de drogues douces. Cet imaginaire appartient au passé. Le cannabis actuel "fusille" la tête des jeunes qui le prennent. Le taux de THC - la substance intoxicante de la marijuana - prend l'ascenseur. L'herbe suisse est très réputée. Elle atteint des valeurs bien au-delà de la norme légale. Des réseaux organisés assurent la vente de la production locale. Régulièrement, on démantèle des laboratoires indoor, montés par des amateurs qui se professionnalisent en allant sur Internet. Lampes au sodium, pompes à eau, minuterie. Un gros investissement de départ, rapidement rentable, pour autant que l'on évite inondation et départ de feu. Les pompiers, parfois, nous précèdent.

 Où finissent les quantités de drogue saisies?

 Elles transitent par le Palais de justice où elles sont gardées sous scellés jusqu'à ce que l'affaire soit jugée. Deux fois par année, on les brûle. Plusieurs heures de manutention sous le contrôle du substitut. Les jours et heures de convoyage, sous bonne escorte, sont, eux, tenus secrets!

---

Tribune de Genève 19.10.10

Délit de flagrant deal

 Créée en 2002, la Task Force Drogue remplit jour et nuit son rôle de "Voirie des stups" (1/2)

Thierry Mertenat

 Créée en 2002, la Task Force Drogue assume jour et nuit son rôle de voirie des stups.

 Octobre indien. Soleil sur les quais. Fin de matinée. Les "jardineux" sont au travail. Une dizaine entre le Seujet et le parc de Saint-Jean. Biner les plates-bandes, fouiller les bosquets, faire le poireau sous les arbres, ils savent. Drôle de jardinage. Ceux-là ne sont pas salariés des Espaces verts. Scènes ordinaires de deal au bord du Rhône. Les enfants sortent de la proche école, les cravatés quittent le bureau pour aller déjeuner en terrasse.

 Que fait la police? Vieille rengaine. La police sue à grosses gouttes en zone industrielle. Course à pied collégiale. Préparation pour le prochain marathon de New York? Pas vraiment. Un autre marathon attend ces joggeurs anonymes. Leur vestiaire porte une enseigne à trois lettres qui n'a rien de très sportif: TFD, pour Task Force Drogue. Les présentations, au sortir de la douche, tiennent en une phrase: "Nous, on est la Voirie des stups; on nettoie les rues. "

 Le "nous" est assis autour de la table à l'heure de la prise de travail. Dix hommes et une femme. Tous volontaires. "C'est la plus belle brigade de la PJ", lâche l'un d'eux au moment de s'équiper. Ses collègues partagent la même énergie positive. Elle les rend inséparables. Entraînements, réquisitions et repas en commun. Tous sont formés à l'école du flagrant délit. C'est, ici, leur raison d'être flic. Ils opèrent en bande, au contact permanent du trafiquant et de son client.

 Voir sans être vu

 Retour sur les quais, en milieu d'après-midi. Ça travaille dans le parc de Saint-Jean. Mise en place du dispositif. Surplombant et panoramique. A la Task, on apprend à regarder la ville sans être vu. L'œil du dispo est, ce jour-là, féminin. Rien ne lui échappe. Une transaction se prépare non loin d'un banc public, dans la partie supérieure du parc. Le matériel embarqué permet de communiquer en temps réel, de resserrer l'étau, de fermer les chemins de fuite.

 "Flag" en deux étapes. L'acheteur est intercepté. Fouille corporelle, contrôle d'identité. Il désigne l'homme qui lui a vendu sa dose. Amende pour l'un, menottes pour l'autre. Dans sa bouche, cachées sous la langue, trois boulettes de cocaïne. Il n'a pas eu le temps de boire la gorgée d'eau destinée à faire disparaître le produit de sa vente en l'avalant. Le dealer de rue ne se sépare jamais de sa bouteille de PET. Buveur par nécessité.

 Taiseux par habitude. En salle d'audition, ses mots sont rares derrière la table scellée. Il connaît le mobilier. Un récidiviste qui collectionne les contraventions pour détention de drogue, qui n'a toujours pas compris qu'il est "interdit de zone". Figaro, dans sa version policière, pointe les indésirables. "Pour nous, c'est une arme de plus, explique le chef de brigade, Roger Imboden. Des Eaux-Vives à l'Usine, nos récurrents se mettent en infraction administrative. Ils les alignent. S'ils ont des impayées, on peut leur saisir le montant disponible. L'argent, c'est le nerf de la guerre. Ça leur fait mal de repartir les poches vides. Ils évitent d'avoir de grosses sommes sur eux. "

 Appât et souricière

 La nuit est tombée sur Genève. Elle profite à tout le monde. A la Task, on préfère opérer dans l'obscurité. Retarder le moment de "se faire lever", jouer de l'effet de surprise, "taper" le dealer en meute. C'est parfois violent aux yeux de l'observateur. "Pour restreindre la respiration, on applique le tranchant du poignet sur la glotte", commente le professionnel de l'interpellation, formé aux arts martiaux. Cette prise technique, entraînée régulièrement, ne fait pas pour autant de lui un étrangleur; elle vise à neutraliser le fuyard s'il n'y a pas d'autre moyen et peut le contraindre à se défaire de sa marchandise.

 Les dealers se délocalisent

 Il n'empêche: l'engagement est d'abord physique. Et usant. "On a l'habitude de se battre, de se tordre dans tous les sens", résume un inspecteur. Son épaule se souvient: deux semaines d'arrêt de travail. Le goût du terrain raccourcit les convalescences. Destination les Pâquis. Les dealers sont chez eux ("Une vraie colonie de vacances"), leurs contradicteurs également. Déploiement dans l'ombre. A chacun son guetteur. Stratégie de l'appât et de la souricière. Course à pied sans dossard: nouvelles interpellations, nouvelles auditions, nouvelles saisies. Le prévenu donne une adresse: abri de la Protection civile sur la Rive droite. Deux inspecteurs se font désigner le dortoir. Ses affaires sont fouillées. Elles se montrent moins bavardes que les poubelles du réfectoire. Des chutes de papier film, des petits parachutes confectionnés pour accueillir les doses de cocaïne, du cannabis glissé entre deux pages de journal. A ses heures perdues, entre les rondes d'agents de sécurité, ce sous-sol sert au conditionnement de la drogue.

 On la retrouve plus tard en sachets d'un demi-gramme à Plainpalais, pour le prix de deux séances de cinéma en 3D. Les dealers se délocalisent. De la rue de Berne à l'avenue du Mail en passant par la place des Volontaires. La plaine, investie depuis peu, élargit leur territoire hors de la zone où ils sont interdits.

 "Il faudrait se déguiser en crotte de chien pour les poursuivre", note une jeune gendarme, pas découragée.

 "Le deal est un délit continu", renchérit son supérieur. La Task Force, créée en 2002 sous l'ère Micheline Spoerri, sert justement à casser cette dynamique. "Si nous n'étions pas présents sur le terrain, le trafic prendrait de l'ampleur, les récidivistes seraient encore plus nombreux", résument, d'une même voix convaincue, les membres de cette brigade de rue.

 A son palmarès, du 1er   janvier au 30   septembre de cette année: 944 interpellations pour 447 arrestations. Sept kilos 600 g d'héroïne, 825 g de cocaïne, 929 g de marijuana saisis. Nerf de la guerre: 61 000 francs suisses et 25 000 euros en dépôt dans les coffres du poste de police. Des saisies importantes qui dérangent le marché. Pour le démanteler, c'est une autre affaire. Celle de la brigade des stupéfiants. A suivre.

--

 Chaque drogue a son ethnie

 D'où viennent-ils, ces dealers "harcelés" quotidiennement par les inspecteurs de la Task? Essentiellement du continent africain. Les ressortissants de Guinée, requérants d'asile attribués à différents cantons alémaniques, parlent français. L'attractivité de la place genevoise en matière de trafic de drogue les encourage à faire des allers-retours entre leur lieu d'attribution et les Pâquis. Dans ce quartier, le trottoir commun et la langue partagée favorisent l'intégration éphémère. Les Nigérians, anglophones, également attribués à d'autres cantons, sont eux aussi actifs dans le deal, à un niveau supérieur. Ils approvisionnent les vendeurs de rue en cocaïne et marijuana. Plutôt costauds, ils n'hésitent pas à prendre la fuite. La vente du haschisch est l'affaire des Maghrébins. A chacun son produit et sa zone de travail. Moins respectueux des règles du milieu, les Zizous, adeptes du vol à la tire et du brigandage, se montrent beaucoup plus agressifs lors des interpellations.

---

NZZ 19.10.10

Milliarden-Gewinne im Drogenhandel

 (afp) · Die Hintermänner der organisierten Kriminalität verdienen nach Angaben der Uno jedes Jahr rund 115 Milliarden Franken. Den Grossteil davon bringt mit rund 100 Milliarden der Drogenhandel. Beim Menschenhandel sind es etwa 9 Milliarden. Hinzu kommen neue Bereiche der Kriminalität wie der illegale Handel mit Rohstoffen (3,3 Milliarden), die Medikamentenfälschung (1,5 Milliarden) oder die Cyber-Kriminalität (0,9 Milliarden).

--------------------
ALKOHOL
--------------------

Bund 20.10.10

Im Aperto können Jugendliche keinen Alkohol mehr kaufen

 Vor zwei Jahren berichtete der "Bund", dass die damalige Statthalterin Regula Mader der Aperto-Filiale im Bahnhof Bern für zwei Monate ein Alkoholverbot auferlegte. Dies wegen Missachtung von Jugendschutzbestimmungen. Der Fauxpas dürfte mit dazu beigetragen haben, dass heute die Alimentana als erste Detailhandelskette mit dem neu geschaffenen Jugendschutzlabel zertifiziert werden kann, wie aus einer Medienmitteilung des Blauen Kreuz Bern hervorgeht. Die 21 Aperto-Filialen der Alimentana gehen mit gutem Beispiel voran und verkaufen in der Schweiz keinen Alkohol an Jugendliche unter 18 Jahren mehr. (pd)

---

20 Minuten 20.10.10

Alkohol nur an über 18-Jährige

 BERN. Die meist an Bahnhöfen gelegenen Aperto-Shops erhalten als erste Schweizer Detailhändler das Jugendschutz-Label vom Blauen Kreuz. Bedingung ist, keinen Alkohol an unter 18-Jährige zu verkaufen - selbst da, wo es vom Gesetz her erlaubt wäre. Aperto muss sich ausserdem an acht weitere Anforderungskriterien halten: etwa daran, an regelmässigen Testkäufen teilzunehmen, das Personal hinsichtlich des Jugendschutzes zu schulen und keine gekühlten Sixpacks zu verkaufen, um das Rauschtrinken zu verhindern. "Aperto ist in der Vergangenheit bei Testkäufen mehrmals negativ aufgefallen", begründet Violeta Nikolic vom Marketing, "Jugendliche treffen sich gerade an Bahnhöfen gerne zu Besäufnissen. Darum wollten wir proaktiv etwas für den Jugendschutz tun." Ausserdem habe das Personal mit internen Konsequenzen zu rechnen, wenn es sich nicht an die Regeln halte. sut

--------------------------------
AUSSCHAFFUNGEN
--------------------------------

Bund 22.10.10

Kantone schaffen vermehrt kriminelle Ausländer aus

 Die Zahl der jährlichen Ausschaffungen hat sich seit 2004 verdoppelt.

 David Schaffner

 Mit Ivan S., dem Vergewaltiger, geht die SVP momentan auf Stimmenfang für ihre Ausschaffungs-Initiative: Anstatt den Verbrecher wegzuweisen, würden ihn die Kantone sogar noch einbürgern, suggeriert die Volkspartei in ihrer Kampagne. Ein neuer Bericht des Forums für Migrationsstudien an der Universität Neuenburg zeigt allerdings: Schon heute weisen die Kantone viel konsequenter aus als bisher angenommen.

 Anstatt der vermuteten 350 bis 400 Wegweisungen haben die Kantone im vergangenen Jahr rund 750-mal verfügt, dass ein straffälliger Ausländer die Schweiz verlassen muss. In den letzten Jahren gab es geradezu einen Trend zu mehr Wegweisungen: So lag die Zahl 2004 noch bei 350 und ist seither kontinuierlich angestiegen.

 Sowohl Befürworter als auch Gegner der SVP-Initiative sehen sich durch die neuen Zahlen bestätigt. "Sie zeigen, dass unsere Gesetze streng sind und schwer kriminelle Ausländer die Schweiz verlassen müssen", sagt der grüne Nationalrat Jo Lang. Er stellt sich gegen Initiative und Gegenvorschlag, mit dem mehrere bürgerliche Parteien und das Parlament das SVP-Anliegen bekämpfen wollen.

 Anderer Meinung ist der Zürcher SVP-Nationalrat Hans Fehr: "Der Bericht macht klar, dass es ein Ja zu unserer Initiative braucht." Denn nur mit dem Volksanliegen der SVP würde die Zahl der weggewiesenen Ausländer im Vergleich zu heute weiter steigen.

 Das Bundesamt für Migration geht davon aus, dass eine Annahme der Initiative zu jährlich ungefähr 1500 Wegweisungen führen würde. Bei einem Ja zum Gegenvorschlag müssten rund 750 bis 800 verurteilte Ausländer die Schweiz verlassen. Diese Zahl entspricht ungefähr der heutigen Praxis. Obwohl der Gegenvorschlag kaum mehr Wegweisungen zur Folge hätte, halten seine Befürworter an ihm fest. "Der Gegenvorschlag regelt im Vergleich zu heute klarer, wann eine straffällige Person das Land verlassen muss", sagt der Berner CVP-Nationalrat Norbert Hochreutener. Die Vorgaben seien streng, verstiessen jedoch im Gegensatz zur Initiative nicht gegen das Völkerrecht, da die Behörden die Verhältnismässigkeit jeder Wegweisung prüfen müssten. - Seite 6

--

Kriminelle Ausländer: Zahl der Wegweisungen verdoppelt

 Die Kantone verfahren heute viel strenger mit kriminellen Ausländern als früher. Nur selten sind EU-Bürger, Frauen und Secondos betroffen.

 David Schaffner

 Obwohl die Zahl der verurteilen Ausländer kaum zugenommen hat, haben die Kantone in den letzten Jahren viel mehr kriminelle Ausländer an die Grenze gestellt als früher. Während sie im Jahr 2004 noch bei ungefähr 350 Personen eine Wegweisung verfügten, ist diese Zahl im vergangenen Jahr auf rund 750 gestiegen (siehe Grafik). Dies ergibt ein Bericht des Schweizerischen Forums für Migrations- und Bevölkerungsstudien im Auftrag der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen (EKM).

 Die Ergebnisse des Berichts sind brisant, da das Bundesamt für Migration die Anzahl der Wegweisungen bisher auf nur die Hälfte geschätzt hat - auf jährlich 350 bis 400. Genauere Zahlen lagen deshalb nicht vor, weil die Kantone unterschiedliche Statistiken führen. Die Umfrage des Forums für Migrationsstudien bei 20 Kantonen für die Jahre 2008 und 2009 liefert nun erstmals verlässlichere Angaben.

 Strenge Romands

 Gemäss der Umfrage sind in diesen Kantonen im Jahr 2008 rund 480 ausländische Straffällige mit Aufenthaltsrecht weggewiesen worden. 2009 waren es 615. Hochgerechnet auf die ganze Schweiz ergeben sich für das Jahr 2009 mindestens 750 weggewiesene Personen. Die Zahlen aus den Jahren 2004 und 2007 stammen aus Umfragen des Kantons Basel-Landschaft respektive der Zeitschrift "L'Hebdo". Insbesondere die erste Umfrage muss allerdings stark hochgerechnet werden, da von vielen Kantonen die Angaben fehlen.

 Neben der blossen Anzahl der Wegweisungen hat das Forum untersucht, ob Unterschiede zwischen den Kantonen und verschiedenen Ausländergruppen bestehen. Es kommt zum Schluss, dass das Vorurteil falsch sei, dass Welsche und städtische Kantone generell weniger streng wegweisen würden als Deutschschweizer und ländliche Kantone. Bei schweren Delikten mit einem Mindeststrafmass von 24 Monaten würden alle Kantone streng entscheiden. Bei weniger schweren Delikten hingegen bestünden Unterschiede in der Praxis. Insgesamt stellt der Bericht aber eine Tendenz zur Harmonisierung fest.

 Grosse Differenzen gibt es bei den betroffenen Ausländergruppen: Menschen aus der EU oder der Efta sind mit weniger als 10 Prozent in der Minderheit. Der Anteil der Frauen liegt ebenfalls unter 10 Prozent. Ausländer, die in der Schweiz auf die Welt kamen oder mit ihren Eltern eingereist sind, müssen ebenfalls nur selten das Land verlassen.

 Keine Angaben kann die Umfrage darüber machen, wie viele Wegweisungen tatsächlich vollzogen werden: "Leider waren die Migrationsämter nicht in der Lage, diese Frage (...) zuverlässig zu beantworten", steht im Bericht. Die meisten Betroffenen reisen nicht einfach aus - Beamte müssen sie ausschaffen.

 Für doppeltes Nein

 Da die Anzahl der Wegweisungen zunehme und das heutige Gesetz bereits streng sei, empfiehlt die EKM für die Abstimmung vom 28. November über die Ausschaffungsinitiative der SVP und den Gegenvorschlag des Parlaments ein doppeltes Nein. Diese Stellungnahme ist unüblich, da sich eidgenössische Kommissionen kaum je gegen den Bundesrat aussprechen, der eine Annahme des Gegenvorschlags empfiehlt. Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf sagt dazu: "Ich habe zur Kenntnis genommen, dass sich die EKM für ein Nein zum Gegenentwurf ausgesprochen hat. Das Sekretariat der EKM ist administrativ dem Bundesamt für Migration angegliedert, die Kommission handelt unabhängig."

---

BZ 22.10.10

Ausländerpolitik

 Zahl der Ausschaffungen hat rapide zugenommen

 Fast doppelt so viele straffällige Ausländer mussten in der Vergangenheit die Schweiz verlassen, als man bislang vermutete.

 Neue, verblüffende Zahlen in der Diskussion um die Ausschaffungsinitiative: Gemäss einer Umfrage bei den Kantonen wurden im Jahr 2008 rund 480 ausländische Straffällige aus der Schweiz weggewiesen. 2009 waren es schon 750. Das sorgt für Aufregung. Bisher gab es nämlich nur Schätzungen, und diese gingen von rund der Hälfte aus, nämlich von jährlich 350 bis 450 Wegweisungen. Für die Veröffentlichung der neuen Zahlen zu den Ausschaffungen zeigt sich die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen (EKM) verantwortlich. Die Zahlen zeigen laut EKM einen deutlichen Trend zu mehr Ausschaffungen, sagte EKM-Präsident Francis Matthey gestern in Bern. Die Kommission sehe sich deshalb in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die bestehenden Gesetzesbestimmungen ausreichten, um kriminelle Ausländer wegweisen zu können. Deshalb seien weder Ausschaffungsinitiative noch Gegenvorschlag nötig. Gemäss EKM gibt es vor allem bei weniger schweren Delikten eine unterschiedliche Praxis der Kantone. Diese würden sich aber angleichen.

 Die Ausschaffungsinitiative könnte gemäss jüngsten Umfragen ein deutliches Ja erhalten. Auch für den Gegenvorschlag könnte eine Mehrheit zustande kommen. 61,5 Prozent der in der vergangenen Woche befragten Personen würden für das Volksbegehren stimmen, wenn der Urnengang heute wäre. 8 Prozent haben sich noch nicht entschieden. Die Abstimmung findet am 28. November statt.
 pas

 Seite 3

--

Kommission für Migrationsfragen

 Trend zu mehr Wegweisungen

 Im letzten Jahr wurden doppelt so viele straffällige Ausländer ausgewiesen wie bislang angenommen. Dies zeigt die Erhebung der Kommission für Migrationsfragen: Es brauche weder Ausschaffungsinitiative noch Gegenvorschlag.

 "Die Zahlen der letzten Jahre zeigen einen Trend zu immer mehr Wegweisungen", sagte EKM-Präsident Francis Matthey gestern vor den Medien in Bern. Die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen sehe sich deshalb in ihrer Einschätzung bestätigt, dass die bestehenden Gesetzesbestimmungen ausreichten, um kriminelle Ausländer wegweisen zu können.

 750 Wegweisungen 2009

 Matthey und die Kommission stützen sich bei dieser Einschätzung auf eine Umfrage, die das Schweizerische Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) im Auftrag der EKM durchführte und deren Resultate die EKM gestern veröffentlichte. An der Umfrage beteiligten sich 20 Kantone. Gemäss der Umfrage sind in diesen Kantonen im Jahr 2008 rund 480 ausländische Straffällige mit Aufenthaltsrecht weggewiesen worden. 2009 waren es 615. Hochgerechnet auf die gesamte Schweiz ergibt das für das Jahr 2009 mindestens 750 weggewiesene Personen.

 Bisherige Schätzungen, die etwa der Bundesrat im Abstimmungskampf gegen die SVP-Initiative ins Feld führt, waren von jährlich 350 bis 450 Wegweisungen ausgegangen. Diese Schätzungen stützen sich auf Zahlen aus den Jahren 2004 und 2007.

 Im Jahr 2008 hätten gemäss einer Analyse des Bundesamts für Statistik 1484 ausländische Straftäter die Kriterien der Ausschaffungsinitiative erfüllt. Rund die Hälfte (774) hätten weggewiesen werden müssen, wenn der Gegenvorschlag angewendet worden wäre.

 Fast immer weggewiesen

 Wie die EKM im Bericht schreibt, unterscheidet sich die Wegweisungspraxis von Kanton zu Kanton. Es gebe zwar Tendenzen zu einer Harmonisierung, doch nutzten die Kantone noch immer ihren Ermessensspielraum.

 Die unterschiedliche Praxis zeige sich aber nur bei Fällen von weniger schweren Straftaten. Bei schweren Straftaten, etwa Gewaltverbrechen oder Drogenhandel im Kilo-Bereich, würden Ausländerinnen und Ausländer bereits heute fast immer weggewiesen.

 Die Praxis der Kantone gleiche sich aber auch bei Wegweisungen für weniger schwere Delikte an, sagte Christine Achermann, eine der Studien-Autorinnen. Sie gehe davon aus, dass die Diskussionen der letzten Jahre, u.a. zur Ausschaffungsinitiative, einen Einfluss auf das Verhalten der Migrationsbehörden gehabt habe.

 "Mehr als bedenklich"

 Nach Ansicht der EKM ist es nicht gerechtfertigt, auf die Interessenabwägung zu verzichten, welche heute die Migrationsämter vornehmen müssen. Der Verzicht auf eine Einzelfallprüfung sei unverantwortlich, argumentiert die EKM gegen die von der SVP in der Ausschaffungsinitiative geforderte automatische Ausschaffung. Rechtsstaatlich sei der Automatismus "mehr als bedenklich". Ausserdem könne es sich die Schweiz aus ökonomischen, demografischen und gesellschaftlichen Gründen nicht leisten, hier ansässige Ausländer strafrechtlich anders zu behandeln als Schweizer, sagte Matthey.

 Wie bereits im letzten Mai kommuniziert, lehnt die EKM sowohl die SVP-Initiative als auch den Gegenvorschlag ab. Matthey erachtet es als unproblematisch, dass die Kommission Stellung zu den beiden Vorlagen bezieht und auch den vom Bundesrat begrüssten Gegenvorschlag ablehnt. Es sei Aufgabe der EKM, zu Migrationsfragen Stellung zu nehmen.
 sda/pas

--

 DIE ABSTIMMUNGSVORLAGEN VOM 28. NOVEMBER IM ÜBERBLICK

 Wie sollen kriminelle Ausländer des Landes verwiesen werden?
 

 Wann wird ein Ausländer ausgeschafft?

Ausschaffungsinitiative SVP
Ausländer, die verurteilt wurden wegen vorsätzlicher Tötung, einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdeliktes, wegen Gewaltdelikten wie Raub, Menschenhandel, Drogenhandel oder Einbruch.
Bei missbräuchlichem Bezug von Leistungen der Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe.

Gegenentwurf Parlament
Ausländer, die wegen aller schweren Delikte, für die mindestens ein Jahr Freiheitsentzug angedroht wird, oder einer anderen Straftat zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt wurden (anders als bei der Initiative sind weitere Delikte wie Betrug oder schwere Körperverletzung erfasst).
Betrug oder andere Straftat im Bereich von Sozialhilfe/Sozialversicherungen oder im Bereich der Wirtschaft, für die es eine Freiheitsstrafe von mindestens 18 Monaten gibt.
Wer innerhalb von zehn Jahren zu mehreren Freiheitsstrafen oder Geldstrafen von mindestens 720 Tagen oder Tagessätzen verurteilt worden ist.

Geltendes Recht
Ausländer, die zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe (über ein Jahr) verurteilt wurden, können weggewiesen werden. Ausweisungen werden in der Praxis in der Regel bei Freiheitsstrafen ab zwei Jahren ausgesprochen.
Ausländer, die erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche Sicherheit verstossen haben oder diese gefährden, können auch ohne Verurteilung weggewiesen werden.

Für wie lange wird ein Ausländer ausgeschafft?

Ausschaffungsinitiative SVP
Mindestens fünf bis fünfzehn Jahre, im Wiederholungsfall zwanzig Jahre.

Gegenentwurf Parlament
In schweren Fällen auf unbefristete Zeit.
 
Geltendes Recht
Die Wegweisung wird in der Praxis praktisch immer auf unbestimmte Zeit ausgesprochen. Bei Gründen wie dem Bezug von Sozialhilfe oder illegalem Aufenthalt gilt die Widerrufung der Aufenthaltsbewilligung in der Regel für ein bis drei Jahre.
 
Werden zwingend alle straffällig gewordenen Ausländer ausgeschafft?

Ausschaffungsinitiative SVP
Ja. Bei anerkannten Flüchtlingen gilt jedoch das Prinzip der Nichtrückschiebung (Non-Refoulement). Die Initianten argumentieren mit Bezug auf Artikel 33 der Flüchtlingskonvention, dieser Schutz gelte nicht absolut. Stelle ein Flüchtling eine Gefahr für die Sicherheit des Aufenthaltsstaates dar, könne der Staat nicht gezwungen werden, dem Ausländer weiterhin Aufenthalt zu gewähren.
 
Gegenentwurf Parlament
Nein. Die Behörden sind dazu verpflichtet, weiterhin den verfassungsmässigen Grundsatz der Verhältnismässigkeit zu prüfen und die Grund- und Menschenrechte zu berücksichtigen. Gemäss Angaben des Bundesamtes für Migration legt der Gegenentwurf die Nichtrückschiebung im Gegensatz zu den Initianten absolut aus - mit Verweis auf Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention (niemand darf der Folter oder unmenschlicher oder erniedrigender Strafe oder Behandlung unterworfen werden).
 
Geltendes Recht
Nein. Grundsätzlich wird geprüft, wie stark der straffällig gewordene Ausländer in der Schweiz verankert ist und wie gross die öffentliche Sicherheit in der Schweiz gefährdet ist, wenn die betreffende Person bleibt.
 
Welches sind die wichtigsten Argumente der jeweiligen Befürworter?

Ausschaffungsinitiative SVP
Die geltende Praxis ist zu lasch und muss verschärft werden. Liegt eines der genannten Delikte vor, muss die Wegweisung automatisch vollzogen werden - ohne weitere Prüfung der jeweiligen Umstände.

Gegenentwurf Parlament
Die Stossrichtung der Initiative ist richtig, berücksichtigt aber nicht alle schweren Delikte. Ausschaffungen müssen weiterhin auf ihre Verhältnismässigkeit überprüft werden. Der Gegenvorschlag enthält Bestimmungen zur Integration.

Geltendes Recht
Bereits heute sind gemäss Gesetz ausländerrechtliche Wegweisungen möglich und werden regelmässig vollzogen. Die Bundesverfassung enthält bereits heute Bestimmungen zur Integration.

---

Basler Zeitung 22.10.10

Brisante Zahlen zu Wegweisungen

 Kommission für Migrationsfragen schaltet sich in den Abstimmungskampf um die SVP-Initiative ein

 Stefan Boss

 Die Kantone haben in den letzten beiden Jahren bei der Ausweisung von kriminellen Ausländern die Schraube angezogen. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Eidgenössischen Kommission für Migrationsfragen unter Ex-Nationalrat Francis Matthey.

 Wie bei vielen Abstimmungen dreht sich die Auseinandersetzung auch bei der Ausschaffungsinitiative der SVP um Zahlen. Das Bundesamt für Migration geht davon aus, dass bei einer Annahme der Volksinitiative rund 1500 Wegweisungen verfügt würden, beim Gegenvorschlag rund 800. Keine aktuellen Zahlen gab es bisher darüber, wie viele Ausländer schon bisher infolge Straffälligkeit ausgewiesen wurden. Die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen, eine ausserparlamentarische Kommission (vgl. Text unten links), hat dies nun gestern nachgeholt.

 Kommissionspräsident Francis Matthey betonte zunächst, dass die SVP-Initiative eigentlich "Wegweisungsinitiative" heissen müsste. Im Fokus stehen nämlich Ausländer, die legalen Wohnsitz in der Schweiz haben und infolge Straffälligkeit weggewiesen werden. Von einer Ausschaffung spricht man erst, wenn die Betroffenen nicht freiwillig ausreisen.

 KEIN VOLLZUGSPROBLEM. Die Studie kommt dabei zu folgenden Ergebnissen:

 > In den letzten Jahren ist die Zahl der weggewiesenen Ausländer infolge Straffälligkeit stark angestiegen. Während man für das Jahr 2007 von 350 bis 450 Wegweisungen ausging, stiegen diese 2008 auf 615 und 2009 auf mindestens 750 Personen. Damit ist man bereits nahe bei der vom BFM genannten Zahl von 800 nach Annahme des Gegenvorschlags.

 > Die meisten Weggewiesenen verlassen das Land. Die Studie kommt zum Schluss, dass bei den aufenthaltsberechtigten Ausländern nur zehn Prozent der Wegweisungsverfügungen nicht vollzogen werden können.

 Ausgearbeitet hat die Studie das Schweizerische Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien der Universität Neuenburg. Da die Autorinnen nicht auf bereits vorhandenes Datenmaterial zurückgreifen konnten, machten sie eine Umfrage unter allen Kantonen. 20 Kantone machten mit, bei den restlichen stützte sich die Studie auf Schätzungen. Die Zahlen können also als verlässlich gelten.

 "Die gesetzlichen Grundlagen reichen aus, damit kriminelle Ausländerinnen und Ausländer weggewiesen werden können", zog Kommissionspräsident Francis Matthey Bilanz. Die Kantone hätten zwar einen gewissen Ermessensspielraum, dies sei aber in der föderalistischen Schweiz nicht weiter erstaunlich. Keine grossen Differenzen haben die Studienautorinnen zwischen der deutschen Schweiz und der Romandie oder zwischen Stadt und Land entdeckt. Die Unterschiede zwischen den Kantonen bei den Wegweisungen erklärten sich in erster Linie durch die unterschiedliche Beurteilung der Verhältnismässigkeit einer Wegweisung.

 Kommissionspräsident Matthey wandte sich gestern gegen die SVP-Initiative. "Sie würde dazu führen, dass vermehrt Secondos ausgeschafft werden." Bei dieser Personengruppe waren die Behörden bisher zurückhaltender mit Wegweisungen. Auch gab er zu bedenken, dass die Ausschaffungsinitiative mit dem Abkommen über die Personenfreizügigkeit der EU kollidiert (BaZ vom Mittwoch).

 KEINE TAKTISCHEN SPIELE. Die Kommission für Migrationsfragen empfiehlt nicht nur die SVP-Initiative, sondern auch den Gegenvorschlag zur Ablehnung. Seine Kommission sei ein fachliches, kein politisches Gremium, begründete Matthey am Donnerstag in Bern das Nein zum Gegenentwurf. "Eine solche Regelung gehört nicht in die Bundesverfassung", erklärte Mediensprecherin Elsbeth Steiner die Position der Kommission. Aus taktischen Gründen ein Ja zum Gegenvorschlag zu empfehlen, um die SVP-Initiative zu bodigen, dies sei wenn schon Aufgabe der politischen Parteien, betonte Matthey.

--

 Die Kommission für Migrationsfragen

 Ratgeber für Bundesrat. Die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen, welche die Studie zu den Wegweisungen in Auftrag gab, ist eine ausserparlamentarische Kommission. Sie berät den Bund und die Verwaltung und veröffentlicht Berichte und Stellungnahmen. Die Kommission ist unabhängig, ihr Sekretariat ist administrativ aber dem Bundesamt für Migration angegliedert. Sie entstand 2008 aus dem Zusammenschluss der früheren Ausländerkommission und der Kommission für Flüchtlingsfragen. 12 der 30 Mitglieder der Kommission sind laut dem Präsidenten des Gremiums, dem ehemaligen Neuenburger SP-Nationalrat und Staatsrat Francis Matthey, Ausländer. Es gibt daneben in der Schweiz zahlreiche weitere ausserparlamentarische Kommissionen, eine der bekanntesten ist die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus. Präsident dieser Kommission ist der Basler Historiker Georg Kreis.  sbo

---

admin.ch 21..10.10

Mehr ausländische Straftäter werden weggewiesen

Bern, 21.10.2010 - In den beiden letzten Jahren wurden mehr straffällige Ausländer und Ausländer weggewiesen als bisher angenommen. Die Eidgenössische Kommission für Migrationsfragen EKM hat am 21. Oktober einen Grundlagenbericht zu den ausländerrechtlichen Folgen der Straffälligkeit vorgelegt. Demnach sind 2008 ca. 615 und 2009 ca. 750 Ausländerinnen und Ausländer, die ein Aufenthaltsrecht in der Schweiz hatten, weggewiesen worden. Die EKM gibt im Übrigen zu bedenken, dass die Ausschaffungsinitiative nicht mit dem Freizügigkeitsabkommen in Einklang gebracht werden kann.

Sie heisst zwar Ausschaffungsinitiative, aber in Wirklichkeit geht es in der Initiative, über die am 28. November abgestimmt wird, um die Wegweisung von ausländischen Personen, welche vor ihrer Verurteilung legalen Wohnsitz in der Schweiz hatten. Ein Teil von ihnen reist nach Verbüssung der Strafe freiwillig aus, andere werden ausgeschafft. Die grosse Mehrheit der Ausschaffungen (mehrere Tausend jährlich) hingegen betrifft abgewiesene Asylsuchende und Personen, welche kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz hatten. Der vom Schweizerischen Forum für Migrations- und Bevölkerungsstudien (SFM) erarbeitete Grundlagenbericht schafft unter anderem Klarheit bei Begriffen und zeigt detailliert die Verfahren auf. Auf das grösste Interesse aber dürften die Ergebnisse der Umfrage bei den Kantonen nach den Zahlen von Wegweisungen stossen. Erfreulicherweise füllten 20 kantonale Migrationsbehörden im Sommer dieses Jahres den vom SFM verschickten Fragebogen aus. Da in diesen Kantonen rund 75 Prozent der ausländischen Bevölkerung leben, sind die Resultate aussagekräftig und können auf die ganze Schweiz hochgerechnet werden. Wenn man noch die Resultate von früheren Umfragen bzw. Schätzungen dazu nimmt (2004: ca. 350, 2007: 350-450), zeigt sich ein Trend hin zu immer mehr Wegweisungen. Die EKM sieht dies als Bestätigung ihrer bereits 2008 geäusserten Einschätzung, dass die bestehenden Gesetzesbestimmungen ausreichend sind, um kriminelle Ausländer wegweisen zu können.

Der Grundlagenbericht zeigt laut EKM-Präsident Francis Matthey auch klar auf, dass es im Falle einer Annahme der Initiative wohl zu Schwierigkeiten mit der Europäischen Union käme. Das Freizügigkeitsabkommen erlaubt eine Wegweisung nur bei gegenwärtiger und erheblicher Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung. Eine Verfassungsbestimmung, welche zwingend die Wegweisung auch bei weniger schweren Delikten verlangt, kann damit nicht in Einklang gebracht werden.

Unter der aktuellen Gesetzgebung wird in jedem Fall eine Interessenabwägung vorgenommen. Was wiegt schwerer: das Interesse des Landes auf Wegweisung oder das Interesse der betroffenen Person auf einen Verbleib in der Schweiz? Ein Secondo beispielsweise, der in der Schweiz aufgewachsen ist, erhält in vielen Kantonen eine zweite Chance, wenn seine Tat nicht schwerwiegend ist. Nach dem Automatismus der Initiative müsste er genauso weggewiesen werden wie der "Kriminaltourist". Der EKM erscheint es nicht gerechfertigt, auf die Interessenabwägung zu verzichten.

Der von der EKM in Auftrag gegebene Bericht zur aktuellen Praxis der Wegweisungen zeigt auf, dass die Kantone den Ermessensspielraum, den ihnen das Ausländerrecht gibt, unterschiedlich nutzen. Dies, so gibt die EKM zu bedenken, dürfte aber niemanden überraschen, denn es ergebe sich aus dem föderalen System. Zudem gebe es klare Tendenzen für eine weitere Harmonisierung. Und schon jetzt würden die Kantone bei Gewalt- und anderen schweren Verbrechen fast immer eine Wegweisung verfügen. Die unterschiedliche Praxis zeige sich nur bei Personen, welche wegen weniger schweren Straftaten verurteilt werden.

Die EKM hat sich bereits an ihrer Sitzung im Mai mit klarer Mehrheit für zwei Nein ausgesprochen.

Adresse für Rückfragen:
Weitere Auskünfte:
Elsbeth Steiner, Informationsverantwortliche EKM
031 324 52 61, 079 292 34 79, elsbeth.steiner@bfm.admin.ch

--

Kurzbericht zu Wegweisungen
http://www.ekm.admin.ch/de/dokumentation/doku/kurzbericht_wegweisung_d.pdf
Ausführlicher Bericht: Wegweisen. Ausschaffen
http://www.ekm.admin.ch/de/dokumentation/doku/wegweisen_presserohstoff.pdf

---

WoZ 21.10.10

Fremdenfeindliche Tradition

 Wer einmal strauchelt, wird ausgewiesen

 Seit über zwei Jahrzehnten jagt eine ausländerfeindliche Kampagne die andere. Die Aus­schaffungs initiative und der Gegenvorschlag führen die diskriminierende Linie weiter. Der damit verbundene Verlust von Grundwerten betrifft uns alle.

 Von Anni Lanz

 Als wir uns das letzte Mal sahen, berichtete Sami von den neus ten Entwicklungen in nordafrikanischen Ländern, die auf Druck von EU-Staaten Lager für MigrantInnen eingerichtet haben, um diese an der Reise nach Europa zu hindern. Ich sagte: "Es ist ein Krieg gegen Sans-Papiers." Sami, seit vielen Jahren ein in der Schweiz Illegalisierter, korrigierte: "Ein Krieg gegen die Armen."

 Wann immer die SVP einen neuen Vorschlag zur Ausgrenzung von AusländerInnen macht, ist ihr breite Zustimmung gewiss. Bereits Mitte der achtziger Jahre lancierten SVP und "Blick" Skandalgeschichten zur "Asylantenkriminalität". Anfang der neunziger Jahre, im Vorfeld von National- und Ständeratswahlen, wurde das Thema erneut hochgekocht. Nicht nur SVP-PolitikerInnen und Rechtsbürgerliche forderten die sofortige Ausschaffung aller straffälligen Asylsuchenden. Der Bundesrat präsentierte unverzüglich Zwangsmassnahmen zur Bekämpfung der "drogendealenden Asylanten", die am 4. Dezember 1994 mit 73 Prozent der Stimmen angenommen wurden. Die Begriffe "Missbrauch" und "Kriminalität" wurden konsequent mit "Asylanten" oder "Ausländern" verknüpft. Steile Kurven in Kriminalitätsstatistiken von Asylsuchenden sollten schon vor zwanzig Jahren den bevorstehenden Untergang im gewalttätigen Chaos belegen.

 Pauschale Vorurteile

 Mit ähnlicher Angstmache wurde im vergangenen Jahrzehnt für die rechtsbürgerliche Initiative zur Begrenzung des Ausländeranteils auf achtzehn Prozent (2000), die SVP-Initiative "gegen den Asylmissbrauch" (2002) und die SVP-Einbürgerungsinitiative (2004) gekämpft. Diese Vorlagen wurden allesamt noch knapp verworfen. Mit der Abstimmung über das Minarettverbot (2009) haben sich die Mehrheitsverhältnisse gewendet. Parallel dazu ist das Asylgesetz zwischen 1986 und 2006 fünf Mal verschärft und das Ausländergesetz 2006 total revidiert worden. Die Kampagnen wurden von rechtsbürgerlichen Kreisen immer genutzt, um das Konstrukt des "bedrohlichen Ausländers" zu verfestigen.

 Issa im Ausschaffungsgefängnis versicherte mir, unsere Gerechtigkeitsliebe für die Unterdrückten sei nicht vergebens. Weniger ermutigend kommentierte Sami meine Befürchtung, dass die Hasskampagnen gegen AusländerInnen längerfristig auf die Beseitigung der Menschenrechte zielten. "Das ist euer Problem. Die Entwicklung ist für euch EuropäerInnen gefährlich." Richtig. Der allmähliche Verlust von Grundwerten ist unser Problem, obwohl er vordergründig und in der migra tionspolitischen Arena bloss die "anderen" trifft.

 Wie überall werden in der Schweiz seit Jahrhunderten mit pauschalen Zuschreibungen bestimmte Bevölkerungsgruppen ausgegrenzt. Solche Stereotypen sind Projektionen, die das Eigene vom Fremden abgrenzen sollen: ein Grundmus ter aller Nationalismen und Rassismen. Ohne die Konstruktion eines bedrohlichen Fremden kann die Vorstellung eines bedrohten, homogenen Volkes nicht überleben.

 Seit der Annahme der Minarettverbotsinitiative machen islamische Herkunftsländer bei Zwangsausschaffungen ihrer Staatsangehörigen aus der Schweiz kaum mehr mit. Nachdem der Chef eines Bundesamts asylsuchende Nigerianer pauschal als Drogendealer bezeichnet hatte, war auch die Bereitschaft Nigerias zur Rückübernahme - zumindest vorübergehend - merklich abgekühlt. Im Basler Ausschaffungsgefängnis, das ich regelmässig besuche, kommt es deshalb nur noch selten zu Zwangsausschaffungen. Insbesondere für Personen, die in der Schweiz aufgewachsen sind und denen die Aufenthaltsbewilligung entzogen worden ist, bieten Botschaften kaum Hand für eine Rückübernahme, auch wenn alte Dokumente das Herkunftsland belegen.

 Darüber ist in den Erfolgsbilanzen der Schweizer Behörden zu Ausschaffungen nur wenig zu vernehmen. So schenkt die im Mai 2010 erschienene Analyse zum "Langzeitbezug von Nothilfe durch weggewiesene Asylsuchende" den Herkunftsländern kaum Beachtung und untersucht - wie in der Schweizer Migrationspolitik üblich - bloss einheimische Faktoren. Kurz zusammengefasst: Es brauche noch mehr polizeiliche Kontrollen und Repression. Einem "effizienten Wegweisungsvollzug" stehe aber, so die Studie, das "zivilgesellschaftliche Engagement in Form von politischen Protesten" im Weg. Da gebe es "Organisationen, Netzwerke, aber auch Teile der Bevölkerung und Privatpersonen, die sich für weggewiesene Asylsuchende einsetzen".

 Wenn der winzigen Minderheit der Hilfe leistenden Basisgrüppchen so viel Effizienz zugesprochen wird, so darf dies nicht darüber hinwegtäuschen, dass es die AusschaffungspolitikerInnen und ihre Gefolgschaft sind, die mehr Ausschaffung en verhindern: Die mit negativen Vorurteilen unterlegte Abschreckungspolitik strahlt über die EU-Grenzen hinaus und schreckt auch jene Regierungen ab, auf deren Mitarbeit die offizielle Schweiz angewiesen ist.

 Das kleinere Übel?

 Heute wird die Zahl der Widerrufe von Aufenthaltsbewilligungen aufgrund eines Delikts der Asylsuchenden auf 350 bis 400 pro Jahr geschätzt. Das ist bereits erschreckend viel. Gemäss einer Statistik über Strafurteile im Jahr 2008 würde diese Zahl bei Annahme des Gegenvorschlags zur Ausschaffungsinitiative ungefähr verdoppelt, mit der Initiative vervierfacht. Der Gegenvorschlag wäre, so argumentieren linke BefürworterInnen, das kleinere Übel.

 Diese Linken beteuern stets, das im Gegenvorschlag angeführte Verhältnismässigkeitsprinzip werde unmenschliche Ausweisungen verhindern. Damit müsste die Zahl der Ausweisungen aber markant unter jener der Verurteilungen liegen. Andererseits lässt sich die Zahl der Widerrufe kaum abschätzen, wenn künftig Ausweisungen auch bei Kleinstrafen möglich sind, die sich innerhalb von zehn Jahren auf 720 Tagessätze summieren. Doch ganz abgesehen von solchen Zahlen: Dürfen wir das Grundprinzip der Rechtsgleichheit und des Diskriminierungsverbots fallen lassen und einer Verdoppelung von diskriminierenden Doppelstrafen zustimmen, um eine Vervierfachung zu verhindern?

 Die heutige Situation ist unerträglich genug: Sali, ein mit einer Niederlassungsbewilligung hier aufgewachsener Bosnier, ist mit einer Schweizerin liiert. Vor Jahren randalierte er mit einer Jugendbande. In der Strafhaft ist er resozialisiert worden. Heute kann er seine jugendlichen Missetaten nicht mehr verstehen. Doch für AusländerInnen gibt es keine Wiedergutmachung. Wer einmal strauchelt, wird ausgewiesen. Ich treffe den etwa 23-Jährigen in der Ausschaffungshaft. Er fürchtet sich vor der Abschiebung in ein ihm fremdes Land und vor der Trennung von Partnerin, FreundInnen, Eltern und Geschwistern. Hätte er mit seiner Partnerin ein Kind, würde er auch von diesem getrennt. Die Einreisesperre erlaubt über viele Jahre kein Wiedersehen in der Schweiz.

 Schon lange werden Aufenthaltsbewilligungen nach einer Straffälligkeit entzogen, und dies seit dem neuen Ausländergesetz (2008) verstärkt. Dabei wird allerdings - anders als in Initiative und Gegenvorschlag - berücksichtigt, ob jemand eine Niederlassungs- oder bloss eine Jahresaufenthaltsbewilligung hat.

 Die tabuisierte Angst

 Für eine Mehrheit der Bevölkerung spielt der Inhalt von Ausländervorlagen eine geringe Rolle. Aus der politischen Arbeit auf der Strasse weiss ich, dass sich die Meinung jeweils auf das "Für-oder-gegen-MigrantInnen" reduziert. Die Abgrenzung einer Wir-Gruppe gegenüber als bedrohlich oder minderwertig empfundenen Aussenstehenden ist ein sozialpsychologisches Muster. Sie als menschliche Konstante zu begreifen, läuft jedoch auf einen fatalen Determinismus hinaus. Menschen verfügen auch über Freude am Neuen und am Entdecken. Es ist diese Veranlagung, die es zu stärken gilt.

 Doch es gibt auch andere Gründe für Fremdenangst. Issa reflektiert seine letzte Gerichtsverhandlung so: "Ist es die Angst davor, dass sie zu Hilfe kommen müssten - worauf basieren ihre Verurteilungen? Vielleicht ist es nur die Angst davor, etwas zu geben, ohne etwas zurückzubekommen. Weil sie die Armut fürchten."

 Migration ist meist eine Form von Widerstand der Armen gegen die ungerechte Ressourcenverteilung: ein grundsätzlicherer Widerstand, als ihn SchweizerInnen gemeinhin zu akzep tieren bereit sind. Die Auswandernden leisten Widerstand gegen die in reichen Ländern vorherrschende Ansicht, dass sich an der ungleichen Verteilung der Ressourcen in der Welt nichts ändern lässt. Sie rütteln an unseren engen Gerechtigkeits vorstellungen und Wohlstandsansprüchen und rufen Angst um die Wahrung des Besitzstandes hervor. Diese Ängste sollen keineswegs tabuisiert werden. Im Gegenteil: Die Frage nach der globalen Ressourcenverteilung bildet den Kern der Migrationsproblematik, nicht die "Ausländerkriminalität". Man ist nicht nur gegen die Armut, sondern auch gegen die Armen. Dabei wird der Wohlstandsverlust in erster Linie von skrupellosen Reichen   - Nahrungsmittel- und anderen Börsenspekulanten, Geld­wäschern, Steuerhinterziehern und Finanzjongleuren - verur­sacht, die kaum je belangt werden.

 Man muss sich mit der von den MigrantInnen aufgeworfenen Frage gründlich auseinandersetzen und entscheiden, auf welche Seite man sich im Krieg gegen die Armen stellt. Dieser Krieg, in den wir alle verwickelt sind, der aber durch Gefängnismauern, Sonderregimes und Auslagerungen unseren Blicken entzogen wird, verletzt zwangsläufig die Menschenrechte und negiert die Menschenwürde und Gleichwertigkeit der Menschen. Die Beseitigung menschenrechtlicher Verpflichtungen, wie sie die SVP längerfristig anstrebt, untergräbt jeden Widerstand gegen Macht- und Besitzverhältnisse.

 Moses bemerkt, dass die SchweizerInnen die Schwarzen nicht mögen, aber es stehe ihm nicht zu, ein fremdes Land zu kritisieren. Er versuche jeweils, sich an dem Ort, wo er sich befinde, zu Hause zu fühlen. Das mache er auch im Ausschaffungsgefängnis. Ich erteile ihm Sprachunterricht und schleppe englischsprachige Literatur an. Wissen sei eine Ressource, die ihm niemand wegnehmen könne, sagt er. Sie hilft ihm, dem bedrückenden Leben eines illegalisierten Migranten gewachsen zu sein.

 Anni Lanz

--

 Beizerin, Soziologin, Feministin. Seit 25 Jahren in der Asyl bewegung engagiert. Ehemalige Sekretärin von Solidarité sans frontières. Erhielt 2004 die Ehrendoktorwürde der juristischen Fakultät der Universität Basel, weil sie "als Vertreterin der Zivilgesellschaft zur Wirksamkeit der international garantierten Menschenrechte in der Schweiz" beitrage.

 Anni Lanz hat zum Thema neben vielen Artikeln ein Buch veröffentlicht. Anni Lanz / Manfred Züfle: "Die Fremdmacher. Widerstand gegen die schweizerische Asyl- und Migrationspolitik". Edition 8. Zürich 2006. 144 Seiten. 22 Franken.

 Ohne Schweizer Pass gibt es keine Gerechtigkeit - Die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz schreibt über den Krieg der reichen Schweiz gegen die Armen dieser Welt,  Heiner Busch schildert die Situation in den Nachbarländern, Filmemacher Micha Lewinsky erklärt sein neu gefundenes Engagement: Drei Beiträge zur Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative der SVP und den Gegenvorschlag.

--

Die "Kriminellen"

 "Ausländer raus" als herrschende Politik in Europa

 Ein Blick in die Nachbarländer beweist:  Bei der Kriminalisierung von ImmigrantInnen zeigt sich die Schweiz sehr europäisch.

 Von Heiner Busch

 "Wir dürfen nicht so zaghaft sein mit ertappten ausländischen Straftätern. Wer unser Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus, und zwar schnell." Das Zitat stammt nicht aus einem SVP-Argumentarium und auch nicht von FDP-Nationalrat Philipp Müller, der als "Migrationsexperte" seiner Partei für den Gegenvorschlag weibelt und dabei regelmässig die "Gastrecht"-Floskel im Munde führt. Die markigen Worte waren vielmehr Teil eines Interviews, das Gerhard Schröder im Juli 1997 der "Bild-Zeitung" gab, ein Jahr bevor er an der Spitze einer rot-grünen Koalition Bundeskanzler wurde. Die Drohung richtete sich gegen KurdInnen, die sich Mitte der neunziger Jahre mit militanten Demonstrationen gegen das Verbot der PKK wehrten. Im Oktober 1997 verschärfte der Bundestag das Ausländerrecht: Eine Verurteilung wegen Landfriedensbruchs führt seitdem zu einer "zwingenden Ausweisung".

 "Stärke" wollen nicht nur die Rechtspopulisten demonstrieren

 Quer durch Europa sind Feinderklärungen gegen "kriminelle" oder "nicht integrierte" AusländerInnen seit Jahren an der Tagesordnung. Sie kommen nicht nur von den Rechtspopulist Innen, die in vielen EU-Staaten an Terrain gewinnen, sondern auch aus den etablierten konservativen und sozialdemokratischen Parteien, die sich von der Demonstration der Stärke gegen Schwache ein Plus im Wahlkampf versprechen. Letztes Beispiel: Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy, dessen Popularität angesichts seiner neoliberalen Rentenreform sinkt und der Ende Juli in Grenoble einen "Krieg gegen diese Drogenhändler und Delinquenten" - im Klartext: gegen Roma und jugendliche ImmigrantInnen - ausrief. In Windeseile tischte die Regierung einen Gesetzentwurf auf, der unter anderem den Entzug der Staatsbürgerschaft ermöglichen soll, wenn die Betroffenen wegen eines gewalttätigen Angriffs auf einen Vertreter der Staatsgewalt verurteilt wurden.

 "In Italien hat die Hetze gegen MigrantInnen und Roma nicht erst unter Berlusconi und seinem Innenminister Maroni von der Lega Nord begonnen, sondern schon unter der Mitte-links-Regierung Romano Prodi", berichtet der Genueser Sozio loge Salvatore Palidda. Nach dem Überfall auf eine Italienerin habe der damalige Bürgermeister von Rom und Chef der Demokratischen Partei, Walter Veltroni, die rumänischen Roma generell zum Sicherheitsrisiko erklärt. Razzien in Roma-Lagern und Massenausschaffungen waren die Folge.

 In Österreich haben es die Freiheitlichen und das bis zu seinem Tod vor zwei Jahren von Jörg Haider angeführte Bündnis Zukunft Österreich vor allem auf "kriminelle Asylbewerber" abgesehen. Die regierenden SozialdemokratInnen und Kon servativen haben dem kaum etwas entgegenzusetzen. "Wir haben in den nächsten drei Jahren keine Wahlen. Das ist richtig erholsam", sagt Herbert Langthaler von der Asylkoordination Wien.

 Doppelbestrafung ist rechtlich verankert

 Der Krieg gegen "kriminelle Ausländer" wird nicht nur ideologisch geführt. In allen EU-Staaten ist die Doppelbestrafung für AusländerInnen durch Haft und Ausschaffung auch im Recht verankert: In Italien wird die Ausweisung als Zusatzstrafe durch das jeweilige Strafgericht selbst verhängt. Die "double peine" war in Frankreich seit 1945 möglich. Nach einer langen Kampagne von linken und Menschrechtsorganisationen verabschiedete das Parlament 2004 eine Einschränkung, die bestimmte Gruppen vor der Ausweisung schützt: in Frankreich Geborene und ImmigrantInnen, die vor dem 13. Lebensjahr eingereist sind, sowie Personen, die seit über zwanzig Jahren im Land leben, mit einer Französin oder einem Franzosen verheiratet oder Eltern von französischen Kindern sind.

 Das deutsche Aufenthaltsgesetz sieht die "zwingende Ausweisung" zum einen bei Strafen von mehr als drei Jahren, zum anderen bei Verurteilungen wegen Betäubungsmitteldelikten, Landfriedensbruch oder Einschleusung von AusländerInnen vor. "Regelausweisungen" sind auch ohne Verurteilung möglich, zum Beispiel "wenn Tatsachen die Annahme rechtfertigen", dass die Betroffenen einer terroristischen Vereinigung an gehören oder diese unterstützen. "Damit ihnen ja nichts entgeht, werden die Ausländerbehörden sowohl bei der Einleitung eines Strafverfahrens als auch beim Abschluss informiert", erklärt die Berliner Rechtsanwältin Anja Lederer. Auch in Deutschland gibt es für bestimmte Gruppen einen "besonderen Ausweisungsschutz", der aber nicht lückenlos ist, sondern vom Ermessen der Behörden abhängt. Lederer: "Je länger die Leute hier sind, desto besser sind sie geschützt."

 Eines ist in allen EU-Staaten klar: BürgerInnen anderer Mitgliedstaaten sind von der Drohung gegen die "kriminellen Ausländer" weitgehend verschont. Für sie gilt die Freizügigkeit - die lässt nach der Rechtsprechung des EU-Gerichtshofs eine Ausweisung nur dann zu, wenn von den Betroffenen nach Verbüssung der Haft immer noch "erhebliche Straftaten" zu erwarten wären. Die Schweiz ist durch das Freizügigkeitsabkommen mit der EU schon heute an diese Regel gebunden. Dar an wird weder die Ausschaffungsinitiative der SVP noch der Pseudogegen­vorschlag etwas ändern. Was bleibt, ist eine Justiz, die für InländerInnen, EU-BürgerInnen und die "wirklichen" AusländerInnen unterschiedliche Standards bereithält - eine Dreiklassenjustiz mit Verfassungsrang.

 Ohne Schweizer Pass gibt es keine Gerechtigkeit - Die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz schreibt über den Krieg der reichen Schweiz gegen die Armen dieser Welt,  Heiner Busch schildert die Situation in den Nachbarländern, Filmemacher Micha Lewinsky erklärt sein neu gefundenes Engagement: Drei Beiträge zur Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative der SVP und den Gegenvorschlag.

--

"Vor die Tür"

 "Ich bekomme Bauchweh, wenn ich Unrecht empfinde."

 Micha Lewinsky engagiert sich als Filmemacher gegen die SVP-Ausschaffungsinitiative und auch den Gegenvorschlag. Die WOZ sprach mit ihm über Motivation, Gratisarbeit und Sympathien.

 Interview: Jan Jirát

 Der Drehbuchautor und Filmregisseur Micha Lewinsky ist vor allem bekannt durch seine beiden jüngsten Regiearbeiten "Der Freund" (2008) und "Die Standesbeamtin" (2009). Anfang Oktober ist auf Facebook ein kurzer Trailer aufgetaucht, der einen neuen Film des 38-jährigen Zürchers ankündigt: "Vor die Tür!" heisst der Titel, Hanspeter Müller-Drossaart spielt mit. Mehr gibt der Trailer nicht preis.

 In seinem Atelier im Zürcher Kreis 4 hat Lewinsky der WOZ "Vor die Tür!" gezeigt - ein Film im Wortsinn ist es nicht. Es handelt sich vielmehr um drei einminütige Spots. Schauplatz ist jeweils ein Klassenzimmer, in dem SchülerInnen ein Diktat schreiben, "Frère Jacques" singen und dem Lehrer (Müller-Drossaart) Fragen stellen. Die Botschaft am Ende der Spots aber ist die gleiche: Nein zur Ausschaffungsinitiative der SVP, Nein zum Gegenvorschlag!

 WOZ: Herr Lewinsky, Sie sind bisher nicht als politischer Filmemacher aufgefallen. Wie kommt es zu Ihrem plötzlichen politischen Engagement?

 Micha Lewinsky: Ich habe mir selbst zwischendurch immer wieder vorgeworfen, dass meine Filme nicht politisch sind. Es gab in der Vergangenheit Projekte in diese Richtung, aber sie sind gescheitert. Es ist schon schwierig genug, überhaupt einen Film zu drehen, mit dem ich zufrieden bin. Nach der Minarettverbotsinitiative hatte ich allerdings das Gefühl, jetzt müsse ich etwas unternehmen. Es war mir sehr peinlich, dass die Initiative so locker durchgekommen ist - und ich persönlich nichts dagegen unternommen habe.

 Es war also eine innere Notwendigkeit, die Sie dazu gebracht hat, die drei Spots zu drehen?

 Ja. Es hat mich beelendet, zu sehen, wie die SVP mit einer populistischen und gezielt fremdenfeindlichen Kampagne durchgekommen ist, bei der es nicht um die Sache ging, sondern nur darum, die nächsten Wahlen zu gewinnen und den politischen Gegner zu diskreditieren. Und wir anderen waren zu wenig wach, um ihnen entgegenzutreten.

 Wie sind die drei Spots entstanden und umgesetzt worden?

 Die Drehbücher hat Jann Preuss geschrieben, der auch sonst mit mir zusammenarbeitet. Er war einer von vielen, die sich ohne Bezahlung für dieses Projekt eingesetzt haben. Das Schöne war, dass ich nur sagen musste: Komm, wir machen etwas! Ich musste niemanden, wirklich niemanden zweimal anfragen. Alle haben gefunden: Endlich kann man einmal etwas machen. Die Umsetzung der Spots - Drehbuchbesprechungen, Castings, das Drehen, der Schnitt - hat über einen Monat in Anspruch genommen. Wären es Werbespots gewesen, hätte das 120 000 Franken gekostet.

 Ist es nicht frustrierend, zu sehen, wie die SVP aus ihrer millionenschweren Propagandakasse eine gigantische Plakat- und Inseratekampagne aufziehen kann, während Sie auf Goodwill Ihres Umfelds angewiesen sind und gratis arbeiten?

 Durch dieses Projekt sind mir die Dimensionen erst wirklich bewusst geworden. Es ist beunruhigend, wie professionell, hierarchisch und straff die SVP organisiert ist. Die politische Linke mit ihren oft basisdemokratischen Strukturen ist viel ineffizienter. Es ist, als ob ein paar wenige Leute mit bestem Wissen und Gewissen und wenig finanziellen Mitteln gegen einen Berg ankämpfen würden.

 Entsteht im Kunstbereich momentan so etwas wie eine politische Bewegung? Ihr Projekt ist ja auch in Zusammenarbeit mit der Initiative Kunst+Politik entstanden, durch die sich Künstlerinnen und Künstler vermehrt politisch engagieren wollen.

 Das hoffe ich zumindest. Ich habe aber nicht das Gefühl, dass die Kunst wie früher einmal ganz konkrete politische Ziele verfolgt. Das finde ich auch nicht unbedingt nötig. In der Kunst geht es ja nicht darum, Tagespolitik zu machen. Aber ich finde es super, wenn immer mehr Leute aus der Kunstszene die Öffentlichkeit, die sie durch ihre Arbeit erhalten haben, auch für ihre politischen Ideen und Standpunkte nutzen.

 Im Zentrum der Spots steht ein Klassenzimmer. Weshalb haben Sie gerade diesen Ort für Ihre Botschaft gewählt?

 Die Frage von Jann Preuss beim Schreiben war, wie man die Ungerechtigkeit und Ungleich behandlung, die die Initiative schafft, einem Kind erklären kann. Möglichst einfach. Daran haben wir uns gehalten. Jemand wird für das gleiche Vergehen aus dem Unterricht geworfen, während der andere bleiben darf - nur weil er einen roten Pass besitzt.

 Gerechtigkeit und Ungleichbehandlung sind Ihre beiden Schlüsselbegriffe.

 Ich bin nicht wirklich ein politischer Mensch. Aber Gerechtigkeit, das war mir immer sehr wichtig. Ich bekomme Bauchweh, wenn ich etwas als ungerecht empfinde.

 Wann haben Sie zum ersten Mal dieses Bauchweh bekommen?

 Es muss Mitte der achtziger Jahre gewesen sein. Damals machten tamilische Flüchtlinge auf die Situation in ihrer Heimat aufmerksam. Die Nationale Aktion, die heutigen Schweizer Demokraten, nutzte das schamlos für ihre fremdenfeindliche Propaganda. Als Teenager war für mich klar, wo meine Sympathien liegen.

 Die drei Spots sind unter dem Link www.vor-die-tuer.ch sowie auf der WOZ-Website zu sehen.

 Ohne Schweizer Pass gibt es keine Gerechtigkeit - Die Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz schreibt über den Krieg der reichen Schweiz gegen die Armen dieser Welt,  Heiner Busch schildert die Situation in den Nachbarländern, Filmemacher Micha Lewinsky erklärt sein neu gefundenes Engagement: Drei Beiträge zur Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative der SVP und den Gegenvorschlag.

---

Freiburger Nachrichten 21.10.10

Migranten gegen Ausschaffungen

 Die Kontaktstelle Schweizer Immigranten (CCSI) stellt für ihre Kampagne gegen die Ausschaffungsinitiative und den Gegenvorschlag die Migranten in den Vordergrund.

 Pascal Jäggi

 Freiburg "Wir wollen nur, dass alle Menschen in der Schweiz vor dem Gesetz gleich sind." Diese Aussage von Mirjam Brunner, Sekretärin der Kontaktstelle Schweizer Immigranten (CCSI), beschreibt die Kampagne, welche die CCSI gegen die Ausschaffungsinitiative und den Gegenvorschlag führen will. Gemeinsam mit Migranten aus verschiedenen Ländern, hauptsächlich Tamilen, Kurden und Irakern, wehrt sich die Stelle gegen die "Kriminalisierung von 20 Prozent der Bevölkerung".

 Anhand verschiedener Beispiele zeigte das Nein-Komitee gestern an einer Pressekonferenz, welche Folgen die beiden Vorschläge nach seiner Sicht hätten. So könnten anerkannte Flüchtlinge wegen eines geringen Delikts wieder in ihr Heimatland zurückgeschafft werden. Selbst dann, wenn sie wegen drohender Folter in die Schweiz geflüchtet sind, erklärte Brunner. Auch ein junger Mann, der hier aufgewachsen ist, könnte laut Brunner nach einem Verbrechen ins Land seiner Eltern geschickt werden, das er kaum kennt.

 "Ausländer werden so gleich doppelt bestraft", erklärte Philippe Blanc, Vizepräsident des CCSI-Vorstands; "nach der Gefängnisstrafe wird ihnen mit der Ausschaffung eine zweite Strafe auferlegt".

 Beide Vorschläge gleich

 Zwischen der Initiative und dem Gegenvorschlag sehen die Gegner keinen Unterschied. "Die anderen Parteien lassen sich von der SVP die Agenda diktieren", meinte Philippe Blanc, "deshalb haben sie den Gegenvorschlag gemacht." Der Integrationsartikel darin sei schwammig gefasst und ein heuchlerischer Zusatz, so Blanc.

 Für die irakische und die tamilische Gemeinschaft traten gestern Ali Abdolla und Tushi Thilaiampalam an. Sie wehrten sich gegen die Diskriminierung der Ausländer, welche die Initiative mit sich bringe. Das Problem der Kriminalität sei ein soziales Phänomen und liege nicht an den Ausländern, ergänzte Philippe Blanc.

 Demo und Diskussion

 Geplant hat das Komitee bisher zwei Veranstaltungen. Am 6. November soll eine Demonstration in der Romontgasse stattfinden, am 11. November folgt eine Diskussion im Café Gotthard.

---

Newsnetz 20.10.10

Was kosten Ausschaffungen?

Claudia Blumer

 Eine Viertelmillion Franken kosteten alleine die annullierten Ausschaffungsflüge letztes Jahr. Doch wie viel kosten die Ausschaffungen insgesamt? Das Bundesamt für Migration verfügt angeblich über keine vollständige Kostenaufstellung. hat nachgerechnet.

 Bei der Rückführung von abgewiesenen Asylbewerbern oder Ausländern in ihre Heimatländer läppert sich einiges zusammen: Flugkosten, Ausschaffungshaft, Begleitung auf dem Flug, Asylrekurskommission und Rückkehrhilfe sind nur einige der Ausgabeposten. Wie viel die Ausschaffungen den Steuerzahler jährlich kosten, darüber gibt das Bundesamt für Migration (BfM) keine Auskunft. "Wir verfügen über keine Gesamtkostenrechnung im Bereich der Rückführungen", sagt die Sprecherin Marie Avet. Nur die Flugkosten gibt das BfM an, die mit rund 7 Millionen Franken jährlich zu Buche schlagen.

 Skepsis gegenüber Zahlen

 Stattdessen kursieren Zahlen, anhand derer sich die Gesamtkosten erahnen lassen. Laut BfM betragen die Kosten pro zurückgeführte Person zwischen 7000 und 10'000 Franken. Demnach hat die Ausschaffung der 7200 Personen 2009 maximal 72 Millionen Franken gekostet. Daneben fielen die Kosten für die 2600 gescheiterten Durchführungen an, bei denen allein die annullierten Flugkosten 270'000 Franken betragen.

 Doch die vom BfM angegebenen Kosten erscheinen nicht unbedingt realistisch. Bei der gescheiterten Rückführung von fünf Gambiern vergangene Woche kostete die Rückführung von drei Personen nach Senegal letztlich 40'000 Franken pro Person - wegen der leergebliebenen Plätze im gemieteten Flugzeug. "Durchschnittliche Kosten von 20'000 Franken pro Person sind meiner Ansicht nach realistischer", sagt SVP-Nationalrat und Linienpilot Thomas Hurter. Ginge man von diesem Wert aus, hätten die durchgeführten Ausschaffungen letztes Jahr 144 Millionen Franken gekostet. Hutter verlangt die Prüfung von billigeren Ausschaffungsmöglichkeiten, etwa mit Militärflugzeugen.

 "Unangebracht hohe Kosten"

 Denn besonders teuer sind die Sonderflüge, für welche Flugzeuge gemietet werden müssen. Eine gecharterte Maschine kostet zwischen 30'000 und 110'000 Franken. 2009 kosteten demnach die 43 Sonderflüge rund 3 Millionen Franken, wie die schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht in einer Mitteilung vorrechnet. "Angesichts dieser Zahlen ist es nicht verwunderlich, dass viele Personen die Kosten im Asylwesen als unangebracht hoch empfinden und kritisieren", hiess es. Gerade die Sonderflüge sind ein steigender Ausgabeposten, weil der Anteil unfreiwilliger Rückführungen zunimmt. 2009 reisten 25 Prozent der ausreisepflichtigen Personen selbstständig aus, 75 Prozent im Rahmen einer kontrollierten Rückführung.

 Dieses Jahr sorgten nach dem Tod eines nigerianischen Ausschaffungshäftlings im März vier gescheiterte Sonderflüge für Aufsehen. So kostete der Jet, der Ende Juli mit fünf Auszuschaffenden nach Gambia flog und unverrichteter Dinge wieder zurückkehrte, 110'000 Franken. Mit dem Flugzeug, das Anfang Oktober mit zwei türkischen Staatsangehörigen wieder zurückkehrte, wurden 40'000 Franken in den Sand gesetzt. Trotz erhöhter Aufmerksamkeit sei dies statistisch gesehen keine Häufung, sagte BfM-Vizedirektorin Eveline Gugger Bruckdorfer der "NZZ am Sonntag". 2009 hätten insgesamt 7 Sonderflüge nicht oder nur teilweise durchgeführt werden können.

 "Ich will Klarheit haben"

 Die einzige verlässliche Grösse im Kosten-Wirrwarr rund um die Ausschaffungen sind die Ausgaben des BfM, die lediglich den Asylbereich abdecken. Fällt eine Ausschaffung unter das Ausländergesetz, sind die Kantone zuständig. Die Ausgaben des BfM sanken bis 2007 auf unter 800 Millionen Franken, seither steigen sie und erreichen laut Prognosen des BfM 2011 die Milliardengrenze.

 Hans Fehr, SVP-Nationalrat und Mitglied der staatspolitischen Kommission, will Klarheit haben über die Kosten. Er wird in der kommenden Session einen Vorstoss einreichen, in dem er eine detaillierte Auflistung aller Rückführungskosten verlangt. Seine Motivation: "Die Abläufe im Migrationsbereich sind ineffizient und in Bern wird das Problem in erster Linie verwaltet, nicht gelöst." Grundsätzliche Kritik übt der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller, der ebenfalls Mitglied der SPK ist. "Das ganze BfM funktioniert überhaupt nicht. Die Ausschaffungskosten müssen eruierbar sein, ansonsten würde das bedeuten, dass das BfM nicht weiss, wofür es das Geld ausgibt."

---

Indymedia 20.10.10

3 Tage gegen Ausschaffungen in Turin ::

AutorIn : Des amants de la liberté de Turin  |  übersetzt von : der Wind

In vielen italienischen und europäischen Städten sind Gruppen von GenossInnen dran, Erfahrungen zu sammeln in verschiedenen Praktiken des Kampfes gegen Ausschaffungen. Um diese zu diskutieren, zusammen und weiter zu bringen laden wir Euch nach Turin ein für 3 Tage mit Debatten und Initiativen vom Donnerstag 21. bis Samstag 23 Oktober 2010.

http://next2010.noblogs.org
    
Turin, 21.-23. Oktober
DREI TAGE GEGEN AUSSCHAFFUNGEN

*Donnerstag 21. Oktober*

21 Uhr - "Wie die Ausschaffungsmaschine sabotieren: Konfrontation von Kampferfahrungen"

*Freitag 22. Oktober*

21 Uhr - "Versammlung zu den Kämpfen gegen den Bau neuer Ausschaffungsgefängnisse"

*Samstag 23. Oktober*

12 Uhr - Kundgebung bei Porta Palazzo

21 Uhr - "Die Mauern und die Kriege der Festung: Auschaffungsmaschine und Kriegsindustrie"

*Sonntag 24. Oktober*

16 Uhr - Kundgebung vor dem Ausschaffungsgefängnis Corso Brunelleschi

-

Alle Versammlungen werden im El Paso occupato an der via Passo Buole, 47 - Turin stattfinden.

Bring Deinen Schlafsack mit!

http://next2010.noblogs.org.

***Aufruf zu drei Tagen gegen Ausschaffungen in Turin***

Die Wellen von Proteststreiks, Revolten und Fluchtversuchen, die überall in Europa kontinuierlich die Ausschaffungszentren für papierlose Immigranten erschüttern, werfen unter Feinden aller Gefängnisse und Grenzen eine simple Frage auf: wie kann man konkret etwas zum Kampf gegen Ausschaffungen beitragen?

Wir haben verstanden, dass der der "Krieg gegen die klandestine Einwanderung" nichts anderes ist als die Übertragung auf die innere Front der imperialistischen Politik der "Festung Europa". Wir betrachten die Ausschaffung als eine Waffe der Ausbeuter, die auf den Kopf eines jeden Ausgebeuteten zielt, sei er nun Immigrant oder nicht. Wir sind angewidert von der humanitären Heuchelei von Organismen wie dem Roten Kreuz, die richtige Konzentrationslager verwalten. Wir haben also keinen Zweifel: der Kampf gegen Ausschaffungen ist Teil des Klassenkampfes. Er ist ein wahrhafter Kampf für die Freiheit. Aber sich dessen bewusst sein reicht nicht.

Um die Ausschaffungsmaschine tatsächlich zu bekämpfen, muss ihre Funktionsweise verstanden, müssen ihre Artikulationen identifiziert und ihre offenlegenden Nerven berührt werden, um ihr Getriebe zu blockieren. Wir müssen auch die Entwicklung immer effizienterer Dispositive antizipieren, um morgen bereit zu sein. Die Polizeirazzias, die Jagd auf "Illegale" machen, die Konzentration derselben in Haftlagern, die Ausschaffungsflüge (die sehr häufig von der europäischen Frontex verwaltet werden), jeder dieser Momente ist eine Möglichkeit zum - kollektiven oder individuellen - Widerstand und ein Angriffspunkt.

In vielen italienischen und europäischen Städten sind Gruppen von GenossInnen dran, Erfahrungen zu sammeln in verschiedenen Praktiken des Kampfes gegen Ausschaffungen. Um diese zu diskutieren, zusammen und weiter zu bringen laden wir Euch nach Turin ein für 3 Tage mit Debatten und Initiativen vom Donnerstag 21. bis Samstag 23 Oktober 2010. Es handelt sich nicht um einen isolierten Anlass, sondern um eine Gelegenheit für diejenigen, die sich konkret und täglich der Ausschaffungsmaschine widersetzen, sich zu treffen. Es ist kein vorgefertigtes Produkt, sondern eine mit allen Interessierten zu konstruierende Initiative.

Um uns zu kontaktieren, mehr Infos zu haben, uns Eure Beiträge oder Vorschläge zu schicken, schreibt an  next2010@autistici.org,

oder besucht die Homepage  http://next2010.noblogs.org.


Freunde der Freiheit aus Turin

---------------
ANTIFA
---------------

BZ 23.10.10

Langenthal

 Die nächste Demo steht vor der Tür

 Das "Bündnis Kein ruhiges Hinterland" hat ein Gesuch für eine Demo der Linken am nächsten Samstag eingereicht.

 Im Internet wird bereits mobilisiert. "Das Bewilligungsgesuch ist eingereicht, aber noch nicht beantwortet", sagt Andreas Ryf, Chef des Amtes für öffentliche Sicherheit der Stadt Langenthal. Es spreche allerdings kaum etwas gegen eine Bewilligung, da in der Schweiz Kundgebungsfreiheit herrsche. Er habe bereits mit der Kantonspolizei Kontakt aufgenommen. Mittlerweile habe man auch beim bislang unbekannten "Bündnis Kein ruhiges Hinterland" einen Ansprechpartner gefunden. Jetzt müsse noch die Umzugsroute, die beim Bahnhof starten und ins Zentrum führen soll, besprochen werden. Aktuelle Baustellen könnten zu Sicherheitsproblemen führen.

 Ursprünglich hatten Linksautonome vor zwei Wochen die bewilligte Demo von Pnos und Autopartei am Standort des bewilligten Minaretts verhindern wollen. Sehr kurzfristig kündete die damals federführende Antifa jedoch an, man verschiebe die eigene Demo angesichts des Polizeiaufgebotes und des Risikopotenzials auf den 30. Oktober.

 Der neue Aufruf im Internet steht unter dem Titel "Den rassistischen Konsens durchbrechen". Die Organisatoren schreiben auch: "Die Minarettfrage interessiert uns nicht." Sie wollen "den Aufmarsch der Neonazis und anderer Rassisten nicht unbeantwortet lassen". Sie rufen alle dazu auf, am kommenden Samstag um 14.30 Uhr ein "starkes und selbstdiszipliniertes Zeichen" gegen Rechtsextremismus und rassistische Hetze zu setzen.
 rgw

---

Indymedia 21.10.10

Aufruf zur Demonstration am 30.10.10 um 14h30 in Langenthal ::

AutorIn : Bündnis kein ruhiges Hinterland         

Den rassistischen Konsens durchbrechen!

Am 9. Oktober demonstrierten in Langenthal gegen 100 Rechtsextreme aus dem Umfeld von PNOS, SD, SVP und FPS gegen den Bau eines Minaretts. Sie fühlten sich dabei von der rassistischen Hetze gegen den "Islam" seitens (aber nicht nur) der SVP bestätigt. Wir wollen den Aufmarsch der Neonazis und anderer RassistInnen nicht unbeantwortet lassen und rufen deshalb alle Menschen dazu auf, gemeinsam ein starkes und selbstdiszipliniertes Zeichen gegen Rechtsextremismus und rassistische Hetze zu setzen.     
    
Aufruf zur Demonstration

Am 30.10.2010 um 14.30 Uhr demonstrieren wir deshalb in Langenthal beim Bahnhof. (Bewilligungsgesuch eingereicht)

Schon seit langer Zeit zeichnet sich die Region Langenthal durch überdurchschnittlich viele rechtsextreme Aktivitäten aus: Mehrere Demonstrationen und Kundgebungen der PNOS, Teilnahme der PNOS an Wahlen, Betrieb eines Vernetzungszentrums für Rechtsextreme aus dem In- und Ausland und mehrere gewalttätige Übergriffe auf Linke und MigrantInnen. Die Aktivitäten rund um die Minarett-Debatte in Langenthal zeugen ein weiteres Mal vom ausgrenzenden und menschenverachtenden Gedankengut der PNOS und ihres politischen Umfelds.

Die Minarett-Frage interessiert uns dabei nicht. Es geht nicht um pro oder contra Islam, es geht um den rassistischen Konsens, der bis tief ins linksbürgerliche Lager reicht. Der rassistische Konsens, der Fremdenfeindlichkeit, chauvinistische Propaganda, selbstherrliche Schweiztümelei und rassistische Kampagnen einfach hinnimmt.

In diesem politischen Klima werden "die Nigerianer" von Polizeikreisen und dem Bundesamt für Migration kollektiv als kriminell diffamiert, in vielen Städten werden junge afrikanische Männer straflos von PolizistInnen verprügelt und misshandelt, werden junge Migranten kollektiv als Raser und Gewalttäter dargestellt, werden Sans-Papiers über Jahre hinweg nicht regularisiert und als billige SchwarzarbeiterInnen ausgenutzt, werden abgewiesene Flüchtlinge zu unwürdigen und perspektivlosen Lebensbedingungen oder zum Untertauchen gezwungen. Im Zuge dieser Kampagnen ist das Schweizer Rechtssystem eine Zweiklassenjustiz geworden: Ohne Schweizer Pass muss ein Mensch mit höheren Strafen und mit Doppelbestrafung in Form von Einbürgerungsverweigerung, Ausbürgerungsandrohung, Landesverweis und Ausschaffungshaft rechnen.

Und die Aussichten sind düster: Die alltägliche rassistische Hetze in den Medien bleibt weitgehend unwidersprochen, keine der "grossen" Parteien wehrt sich offensiv gegen Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag. Anstatt die menschenunwürdige Migrationspolitik zu hinterfragen, wetteifern die meisten Behörden, Parteien und Medien darum, wer die meisten Menschen ausschaffen kann. 400 (geltendes Recht), 800 (Gegenvorschlag) oder 1500 (Ausschaffungsinitiative) Menschen pro Jahr.

Wer sich einem Ausreisebescheid widersetzt, ob Ex-"VerbrecherIn" oder abgewieseneR Flüchtling, wird administrativ eingeknastet. Die Haftbedingungen in den Ausschaffungsgefängnissen sind menschenverachtend: Ohne Perspektive müssen selbst "Unausschaffbare" monatelang in den Verliessen der eidgenössischen Migrationspolitik verharren. Viele leiden unter psychischen Problemen, einige verletzen und verstümmeln sich, bringen sich um. Wer Widerstand gegen seine Ausschaffung leistet, wird gefesselt und geknebelt und unter Inkaufnahme seines/ihres Todes mit teuren Sonderflügen an die Regimes ausgeliefert, vor denen mensch geflüchtet ist. Kein Wunder gibt es immer wieder Hungerstreiks und Knastaufstände, wie aktuell im Genfer Ausschaffungsgefängnis "Frambois".

Bei einer Annahme der Ausschaffungsinitiative oder des Gegenvorschlags wird sich die Situation für die Betroffenen weiter verschlimmern. Die Zustände in den Ausschaffungsgefängnissen und während der Ausschaffungen werden noch unerträglicher. Doch dazu und zu vielen anderen schwerwiegenden Folgen ihrer menschenverachtenden und ausgrenzenden Politik schweigen SchreibtischtäterInnen, PolitikerInnen und Medienschaffende.

Dieses Schweigen und diesen rassistischen Konsens wollen wir durchbrechen.

Die Mentalität hinter dieser Hetze richtet sich nicht nur gegen MigrantInnen, sondern auch gegen uns alle. Und die rassistische Propaganda von Staat, Polizei, Parteien und Medien bestärkt braune Dumpfbacken, wie am 9. Oktober in Langenthal, in ihrem Hass. Denn wo Parteien und Medien hetzen, da prügeln und morden Neonazis und FaschistInnen.

Dem allem gilt es etwas entgegenzusetzen. Egal mit welchem Pass.

Bündnis kein ruhiges Hinterland

-----------------------------------------
RECHTSEXTREMISMUS
-----------------------------------------

Basler Zeitung 22.10.10

Versuchte Brandstiftung beim Laden "Power Zone"

 Konflikt um Kleidershop im Kleinbasel spitzt sich zu

Muriel Gnehm

 Nach der Streuung von Flugblättern greifen die Unbekannten offenbar zu kriminellen Methoden: Wegen eines Molotowcocktails musste vor einer Woche die Feuerwehr ausrücken.

 Der Widerstand gegen den Kleiderladen an der Feldbergstrasse will nicht enden: In der Nacht von vergangenem Freitag auf Samstag brannte es vor dem Geschäft "Power Zone". Es sei ein Molotowcocktail deponiert und angezündet worden, bestätigte Markus Melzl, Sprecher der Basler Staatsanwaltschaft, gestern Informationen der BaZ.

 Hinter der versuchten Brandstiftung könnte die anonyme Gruppierung stecken, die im September zwei Stapel Flugblätter verteilt hat. Die Verfasser stören sich an den Kleidermarken "Thor Steinar" und "Pro Violence", die im Laden verkauft werden und in der rechtsradikalen Szene beliebt sind. Der Verkauf ist aber legal, und die Ladenbesitzer sind laut Samuel Althof von der Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention nicht in der rechtsextremen Szene (die BaZ berichtete).

 Altes Logo

Ein Dorn im Auge war den Unbekannten, hinter denen Althof Linksextreme vermutet, auch das alte Logo von Thor Steinar am Schaufenster. Dieses wurde am 30. September entfernt - dadurch hofften die Geschäftsführer, weitere Proteste und Gewalt vermeiden zu können, wie sie damals der BaZ sagten.

 Nun muss davon ausgegangen werden, dass dieser Schlichtungsversuch fehlgeschlagen ist. "Um 2.40 Uhr alarmierte ein Nachbar die Feuerwehr, weil es brannte", sagt Melzl. Grund für das kleine Feuer sei eine Glasflasche, gefüllt mit einer brennbaren Flüssigkeit gewesen, die angezündet worden sei. Da die Flasche aber nicht geworfen, sondern lediglich vor dem Laden abgestellt worden sei, habe es keine Explosion gegeben. "Die Feuerwehr hat das Feuer gelöscht, Schäden sind keine entstanden", sagt Melzl. Die Staatsanwaltschaft hat nun ein Verfahren gegen unbekannt eingeleitet, die Polizei will ein besonderes Augenmerk auf den Laden werfen.

 Trotz des neuen Protestakts, bei dem es im Falle einer Explosion auch Verletzte hätte geben können, und der Möglichkeit von weiteren Gewaltakten wollen die Geschäftsführer nicht einlenken: "Es ist legal, diese Marken zu verkaufen", sagt Lorenzo Zanolari. Die Schweiz sei ein demokratisches Land.

 Kontakt mit der anonymen Gruppe hatte auch Cyril Welti von den Stamm & Co AG Immobilien, der das Gebäude gehört: "Ich habe zwei bis drei anonyme Anrufe erhalten." Die Ladenbetreiber seien seriöse Leute, die nichts Rechtswidriges täten. "Deshalb halten wir am Mietvertrag fest."

---

St. Galler Tagblatt 21.10.10

Rechte streut erneut Flugblatt

 Gerade wurde ein ausländerfeindlicher 22jähriger Liechtensteiner zu einer Gefängnisstrafe verurteilt. Dennoch ist erneut ein Flugblatt mit rechtem Gedankengut aufgetaucht.

 VADUZ. Schon wieder ist ein anonymes Flugblatt aus der rechtsextremen Szene am Sonntag in Liechtensteins Briefkästen gelandet, wie das "Liechtensteiner Vaterland" schreibt. Dies, obwohl die Behörden und auch ein Grossteil der Bevölkerung in den vergangenen Monaten verstärkt klare Signale gesetzt hätten, dass rechtsextreme Phänomene nicht toleriert würden, wie die Zeitung schreibt.

 Verfasser sind vorsichtig

 Die Verfasser des Schreibens drücken sich erneut sehr vorsichtig aus - ein Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm liege deshalb vermutlich nicht vor. So kann die Staatsanwaltschaft auch in diesem Fall nicht aktiv werden. Allerdings werden die unbekannten Verfasser bei der Regierung angezeigt - "denn wieder fehlt ein Impressum, was gegen das Mediengesetz verstösst", hält das "Vaterland" fest.

 Zeugen gesucht

 Dass die Verfasser mit einer Anzeige wegen des Verstosses gegen das Mediengesetz rechnen müssen, bestätigte Tina Enz, Sprecherin der Landespolizei. Die Ermittlungen zum Flugblatt laufen und das Schreiben müsse nun noch genau auf den Inhalt geprüft werden. "Noch ist unklar, ob ein Straftatbestand vorliegt", so Enz. Dies entscheide die Staatsanwaltschaft. Falls ja, werde die Polizei in jedem Fall mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Die Landespolizei sucht derzeit nach Personen, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag Verdächtiges beobachtet haben oder Hinweise zu den Verteilern machen können.

 "Wir warten die Anzeige der Landespolizei ab", sagt der Leitende Staatsanwalt Robert Wallner, der das Flugblatt auch im eigenen Briefkasten vorgefunden hat. Nach einer ersten Sichtung des Textes auf dem neuen Flugblatt könne der Verdacht auf Rassendiskriminierung nicht bestätigt werden. "Eine abschliessende Beurteilung nehmen wir aber erst nach Vorliegen der Anzeige der Polizei vor", sagt Wallner.

 Einer, der das Flugblatt nicht im Briefkasten vorgefunden hat, ist der Politologe Wilfried Marxer. Er vermutet, dass die Flugblätter aus den gleichen Kreisen stammen wie in den Jahren 2006, 2007 oder 2009.

 Solche Flugblattaktionen liessen sich wohl auch in Zukunft nicht wirklich verhindern. Er wolle die rechtsextremen Tendenzen zwar keineswegs verharmlosen, habe aber auch Vertrauen in die Demokratie. (red.)

---

20 Minuten 19.10.10

Krieg zwischen Gästen in der St. Galler Innenstadt

 ST. GALLEN. In der Metzgergasse gab es eine üble Schlägerei zwischen Rechtsextremen und Schwarzen. Offenbar sind sich die Gäste zweier Lokale spinnefeind.

 "Erst wurden zwei dunkelhäutige Gäste von uns von rechtsradikalen Gästen des Nachbarlokals provoziert, und plötzlich gingen sie grundlos mit den Fäusten auf die Schwarzen los", sagt Oliveira Widmer, Inhaberin des Lokals CMC in der Metzgergasse, vor dessen Tür sich der Angriff in der Nacht auf Samstag zutrug. "Einer unserer Gäste floh ins Restaurant und hielt die Tür zu. Der Angreifer schlug darauf durch das Glas", so Widmer weiter. Der jüngste Vorfall sei aber nicht der erste dieser Art. "Immer wieder gibt es Reibereien mit den Gästen des Nachbarlokals. Ständig werden unsere Gäste provoziert und angegriffen."

 Der Nachbarwirt wehrt sich: "Ich bin nicht für meine Gäste verantwortlich." Zudem stimme die Aussage Widmers nicht: Tatsächlich sei die Scheibe beim Zuschlagen der Tür zerbrochen. "Darauf hat der Schwarze eine Scherbe gegen meine Frau geworfen", sagt der Wirt.

 Gestern sei man mit den CMC-Inhabern zusammengesessen. "Für uns beide sind die Zustände unhaltbar - unsere Gäste müssen miteinander auskommen." Deshalb werde man bald gemeinsam mit den Stammgästen zusam- mensitzen und diskutieren, damit Ruhe einkehre.  

Sascha Schmid

---

Liechtensteiner Vaterland 19.10.10

Flugblatt: Die Ermittlungen laufen

 Gerade wurde ein ausländerfeindlicher 22-jähriger Liechtensteiner wegen versuchter Brandstiftung zu zweieinhalb Jahren Gefängnis verurteilt. Damit wurde ein starkes Signal gesetzt. Und doch ist wieder ein Flugblatt mit rechtem Gedankengut aufgetaucht.

 Von Desirée Vogt

 Vaduz. - Schon wieder ist ein anonymes Flugblatt aus der rechtsextremen Szene in Liechtensteins Briefkästen gelandet. Dies, obwohl die Behörden und auch ein Grossteil der Bevölkerung in den vergangenen Monaten verstärkt klare Signale gesetzt haben, dass rechtsextreme Phänomene nicht toleriert werden. Die Verfasser des Schreibens drücken sich erneut sehr vorsichtig aus - ein Verstoss gegen die Rassismusstrafnorm liegt deshalb vermutlich nicht vor. So kann die Staatsanwaltschaft auch in diesem Fall nicht aktiv werden. Allerdings werden die unbekannten Verfasser bei der Regierung angezeigt - denn wieder fehlt ein Impressum, was gegen das Mediengesetz verstösst.

 Zeugen gesucht

 Dass die Verfasser mit einer Anzeige wegen des Verstosses gegen das Mediengesetz rechnen müssen, bestätigt Tina Enz, Sprecherin der Landespolizei. Die Ermittlungen laufen und das Schreiben müsse nun noch genau auf den Inhalt geprüft werden. "Noch ist unklar, ob ein Straftatbestand vorliegt", so Enz. Dies entscheide die Staatsanwaltschaft. Falls ja, werde die Polizei in jedem Fall mit den weiteren Ermittlungen beauftragt. Die Landespolizei sucht derzeit nach Personen, die in der Nacht von Samstag auf Sonntag Verdächtiges beobachtet haben oder Hinweise zu den Verteilern machen können. Hinweise werden unter der Telefonnnummer 236 71 11 entgegengenommen.

 "Wir warten die Anzeige der Landespolizei ab", so der Leitende Staatsanwalt Robert Wallner, der das Flugblatt auch im eigenen Briefkasten vorgefunden hat. Nach erster Sichtung des Textes des neuen Flugblattes könne der Verdacht auf Rassendiskriminierung nicht bestätigt werden. "Eine abschliessende Beurteilung nehmen wir aber erst nach Vorliegen der Anzeige der Polizei vor", so Wallner.

 Nicht mit der "Liewo" verteilt

 Das Flugblatt wurde nicht nur mit der "Liewo" aus den Briefkästen genommen, sondern war in einigen Fällen sogar in der "Liewo" eingesteckt. Bereits am Sonntag hielt die Vaduzer Medienhaus AG ausdrücklich fest, dass die Verteilung der "Liewo" in keinem Zusammenhang mit dem Flugblatt stehe. Eine Leserin meldete sich gestern beim Vaduzer Medienhaus und teilte mit, dass sie die Ermittlungen in diesem Fall unterstützen möchte, indem sie bei der Polizei Anzeige gegen Unbekannt erstatten werde. Dem "Liewo"-Austräger waren in der Nacht auf Sonntag in Mauren auffallend viele Jugendliche begegnet.

 Vertrauen in die Kraft der Demokratie

 Einer der Liechtensteiner, der das Flugblatt nicht im Briefkasten vorgefunden hat, ist der Politologe Wilfried Marxer. Er vermutet, dass die Flugblätter aus dem gleichen Kreis stammen wie in den Jahren 2006, 2007 oder 2009. Auch er geht nicht davon aus, dass die Rassismusstrafnorm des Strafgesetzbuches dieses Mal verletzt wurde. "Diese ist bspw. dann verletzt, wenn gegen Personen oder Gruppen wegen ihrer Rasse, Ethnie oder Religion zu Hass oder Diskriminierung aufgereizt wird", so Marxer. "Wenn die Formulierungen vorsichtig gewählt sind, sind sie zulässig, selbst wenn man rassistische Motive vermuten kann."

 Der Politologe glaubt nicht, dass sich solche Flugblattaktionen in Zukunft wirklich verhindern lassen. "Ich denke auch, dass die Demokratie solche Sichtweisen aushalten muss, solange sie in gewaltfreier Weise vorgetragen werden. Ich will die rechtsradikalen Tendenzen keineswegs verharmlosen, habe aber auch Vertrauen in die Kraft der Demokratie."

 Zeichen setzen

 Dass so kurz nach der Verhaftung eines 22-jährigen Brandstifters aus der rechtsextremen Szene erneut ein solches Flugblatt kursiert, erstaunt Marxer nicht wirklich. "Wir wissen, dass es in Liechtenstein über Jahre hinweg einen teilweise wechselnden Personenkreis von 30 bis 40 Personen mit rechtsradikaler Gesinnung gibt." In den letzten Jahren habe es immer wieder Vorfälle mit rechtsradikalem Hintergrund gegeben, seien es Brandanschläge, Raufhandel, Körperverletzung oder auch Flugblattaktionen. "Man kann nicht damit rechnen, dass dieser Personenkreis plötzlich nicht mehr existiert. Es ist daher sehr wichtig, dass der Staat und die Gesellschaft klare Zeichen gegen den Rechtsextremismus setzen. Die Verhaftungen und raschen Verurteilungen der letzten Zeit, aber auch Stellungnahmen von Politikern, waren ein solches Zeichen."

------------------------------
ANTISEMITISMUS
------------------------------

Bund 22.10.10

"Ich weiss nicht einmal, was ein Zionist ist"

 Ein Handwerker publizierte im "Sigriswiler Anzeiger" einen Text mit antisemitischen Verschwörungstheorien. Gestern verurteilte ihn das Gericht in Thun zu einer Busse. Der Mann beteuerte, er habe den Text zufällig gefunden und gar nicht richtig gelesen.

 Markus Dütschler

 Was im "Sigriswiler Anzeiger" steht, findet im Normalfall nur in der Gemeinde am Sonnenhang über dem Thunersee Beachtung: Kleininserate von örtlichen Gewerblern, Traktanden der Gemeindeversammlung, Einladungen zu Vereinsanlässen, Todesanzeigen, kirchliche Mitteilungen. Doch im Januar sorgte ein Text weit über die Gemeinde hinaus für Aufregung. Unter dem Titel "Agenda 21 - Die Durchsetzung einer totalitären Weltherrschaft" zeichnete ein Text ein düsteres Zukunftsbild von Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. So hiess es im Elaborat etwa: "Das Welt-Judentum (Zionismus) hat die totale Ausraubung gewisser reicher Länder wie Deutschland, Schweiz, Österreich und anderer Staaten längst begonnen." Der Text bezog sich auch auf die "Protokolle der Weisen von Zion" - ein längst zweifelsfrei als Fälschung entlarvtes Dokument, das nichtsdestotrotz bis heute unzähligen Antisemiten als Beleg für ihre Theorie einer "jüdischen Weltverschwörung" dient.

 Gezeichnet war der redaktionelle Beitrag mit dem Namen eines Landwirts aus Sigriswil, der nebenamtlich als Schwellenmeister im Auftrag der Gemeinde seit 30 Jahren die Bachverbauungen unterhält. In der Öffentlichkeit kamen Zweifel an der Autorenschaft auf: Die seltsamen, aber gewandt verfassten Gedanken zu einem komplexen Thema stammten bestimmt nicht aus seiner Feder, er fungiere womöglich als Strohmann für sektiererische Gruppierungen.

 "Verfasser" las Text nicht ganz . . .

 Gestern sass der angebliche Verfasser in Thun auf der Anklagebank. Der Richter am Kreisgericht 10 hatte zu befinden, ob der Mann gegen die Antirassismusstrafnorm verstossen habe, den 1995 eingefügten Artikel 261bis im Strafgesetzbuch. Nein, er habe das nicht geschrieben, "keinen Buchstaben", sagte der Mann. Zum Jahreswechsel sei ihm beim Aufräumen des Büros ein Dokument mit diesem Inhalt in die Hände geraten. Gelesen habe er es nur zum Teil. Ihn hätten einige Punkte angesprochen, etwa jener, dass Kinder den Eltern früh entzogen werden müssten, damit sie der Staat erziehen könne. Es habe ihn damals beschäftigt, dass in der Gemeinde grundlos ein Schulhaus geschlossen worden sei. "Ich dachte, das ist genau die Lage, in der wir sind." Bergtäler würden abgehängt, Postautos gestrichen, die Leute wanderten ab, doch ohne Berglandwirtschaft komme es zur Erosion.

 . . . und der Verleger ebenfalls

 Er habe den Artikel veröffentlichen wollen, so der Schwellenmeister, und da in Zeitungen stets ein Autor vermerkt sei, habe er seinen Namen beigefügt. Weder der Familie noch sonst jemandem habe er etwas erzählt, sagte er vor Gericht. Das Unheil nahm seinen Lauf. Der Drucker des nicht-amtlichen Anzeigers rückte den Text fast unbesehen ins Blatt. Für den Fehler entschuldigte er sich später im eigenen Organ, und wie der "Verfasser" distanzierte auch er sich mit grossem Bedauern vom Elaborat.

 Als Privatklägerinnen nahmen vor Gericht eine Bürgerin aus Sigriswil teil sowie eine Anwältin aus Genf. Diese war mandatiert vom Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund (SIG), der die Strafanzeige gegen den Schwellenmeister eingereicht hatte. Der Prozess hätte ohnehin stattgefunden, da die Justiz bei Rassendiskriminierung, einem Offizialdelikt, von Amtes wegen tätig wird.

 Der Angeschuldigte sagte, er sei ein "Bärgpuurli", "nicht hochintelligent" und "fürs Werken geboren." Kenntnisse über das Judentum habe er kaum: "Ich weiss nicht einmal, was ein Zionist ist." Früher habe er mit jüdischen Viehhändlern geschäftet - mit "guten Erfahrungen". Er habe nichts gegen "andere Rassen" und sogar einen Angestellten "von einer anderen Rasse" angestellt. Mehrfach beteuerte er, es tue ihm "furchtbar leid", er habe niemanden diskriminieren wollen. Die Ansichten des Texts über Juden teile er nicht, sagte er.

 "Chribel" auf dem Lieferschein

 Ob er häufig Texte unterschreibe, ohne ihren Inhalt zu kennen, fragte ihn die Anwältin aus Genf. Der Schwellenmeister bejahte: Auch bei Lieferscheinen setze er "den Chribel" darunter, ohne alles zu lesen. Er hätte doch Zeit zum Lesen gehabt, insistierte die Anwältin, niemand habe ihn gedrängt. Er sei halt ein Praktiker, verteidigte sich der Handwerker: "Das verstehen die Theoretiker nicht." Die Aufruhr nach der Publikation habe ihn völlig überrascht, sagte er. Jemand habe ihm gesagt, der Text stehe auch im Internet, doch er habe kein Internet, er wisse nicht einmal, wie er auf seinem Handy ein SMS schreiben könne. Zu Veranstaltungen gehe er nie, er sei in keiner Partei, und mit Gruppierungen, die antisemitische Theorien verbreiteten, pflege er keinen Kontakt.

 Der Richter befand, der Fall sei keine Bagatelle, dürfe aber auch nicht überbewertet werden. Er verhängte eine Geldstrafe von 3600 Franken, bedingt erlassen auf zwei Jahre. Bezahlen muss der Verurteilte eine Busse von 800 Franken, dazu die Prozesskosten. Als freiwillige Wiedergutmachung entrichtete er 750 Franken an eine Nebenklägerin. Sie wird das Geld für einen Informationsanlass zum Thema Rassismus und Antisemitismus an den Schulen in Sigriswil einsetzen. Der Verurteilte hat sich verpflichtet, sich ebenfalls an einer solchen Veranstaltung zum Thema zu informieren.

---

Thuner Tagblatt 22.10.10

Busse und bedingte Geldstrafe

 Judenfeindlicher Text: Sigriswiler verurteilt

 Der Thuner Gerichtspräsident Raphael Lanz hat gestern einen Sigriswiler wegen Rassendiskriminierung verurteilt.

 Er ist 62-jährig, Bergbauer und Handwerker in Sigriswil - und liest nach seiner eigenen Aussage nicht alles durch, was er unterschreibt. Auf diese Weise versuchte sich der Mann gestern vor Einzelrichter Raphael Lanz herauszureden. Er war wegen Rassendiskriminierung angeklagt, weil er im privaten Gratisblatt "Sigriswiler Anzeiger" Anfang Jahr einen Text erscheinen liess, den er mit seinem Namen unterzeichnete. In dem Artikel wurden Juden mit Zionisten gleichgestellt und zum Beispiel beschuldigt, die Ausraubung "gewisser reicher Länder wie Deutschland, Schweiz, Österreich und anderer Staaten längst begonnen" zu haben. Er habe den Text gar nicht richtig durchgelesen, bevor er ihn in Druck gegeben habe, sagte der Angeschuldigte. Und selber geschrieben habe er ihn auch nicht. Wie er allerdings zu dem Elaborat gekommen war, konnte er auch nicht sagen. Lanz verurteilte den Mann wegen Rassendiskriminierung zu einer Busse und einer bedingten Geldstrafe. Zudem muss er einen Kurs des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes über Rassismus und Antisemitismus belegen.
 mi

 Seite 23

--

Sigriswil: Autor von Rassistischen Texten

 "Ich weiss gar nicht, was ein Zionist ist"

 Er veröffentlichte einen judenfeindlichen Text und will sich dessen gar nicht bewusst gewesen sein. Doch Unwissenheit schützt vor Strafe nicht: Der Mann aus Sigriswil ist wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden.

 Verworrene Weltverschwörungstheorien und antisemitische Schmähungen: Daraus bestand der Artikel, der im Januar im privaten "Sigriswiler Anzeiger" erschien, unterschrieben von einem Einwohner von Sigriswil (wir berichteten). Darin stand wörtlich: "Das organisierte Weltjudentum (Zionismus) hat die totale Ausraubung gewisser reicher Länder wie Deutschland, Schweiz, Österreich und anderer Staaten längst begonnen." Weiter: "Das Prinzip der Weltanschauung der Zionisten ist Zerstörung. Darauf kann nichts entstehen, was wert wäre, Leben genannt zu werden."

 Gestern hatte sich der Mann bei Gerichtspräsident Raphael Lanz für die Publikation zu verantworten. Die Anklage lautete auf Rassendiskriminierung.

 Er ist nicht der Autor

 Bereits im Januar hatten Insider bezweifelt, dass der Angeschuldigte den Text tatsächlich selber geschrieben habe, weil er dazu intellektuell gar nicht in der Lage sei. Sie lagen mit ihrer Vermutung richtig. "Ich habe den Zettel bei mir zu Hause gefunden, als ich das Büro aufgeräumt habe", gab er zu Protokoll. "Damals war die Schliessung von mehreren Schulen in Sigriswil ein Thema, das die Öffentlichkeit bewegte. Weil in dem Artikel auch von der Zerstörung des Schulsystems die Rede war, beschloss ich, den Text zu veröffentlichen." Er entschuldigte sich mehrmals dafür, dass er mit der Veröffentlichung die Gefühle andere Menschen verletzt habe, und sei bereit, die Konsequenzen zu tragen.

 Er weiss von gar nichts

 Woher der Angeschuldigte den Text habe, fragte Raphael Lanz. Dieser blieb die Antwort schuldig: "Keine Ahnung, das weiss ich wirklich nicht." Ganz sicher habe er ihn nicht an einer Veranstaltung erhalten, er gehe nie ausser Haus, habe kein Internet, und überhaupt sei er bloss "es Bärgbuurli, wo zum Wärche gebore isch". Lanz bohrte weiter: Wie er denn zu den antisemitischen Äusserungen im Text stehe? "Ich weiss nicht einmal, was ein Zionist ist", sagte der Angeschuldigte. Das mit den Juden, das habe er wohl überlesen. Dass der Text judenfeindlich sei, habe er nicht bemerkt. Aber jetzt, im Nachhinein, glaube er das mit dem Ausrauben nicht. "Ich habe schon Kühe an Juden verkauft und machte dabei kein schlechtes Geschäft. Das sind Handelsleute, ich habe grosse Achtung vor ihnen." Ein anderes Mal sagte er aber, bezüglich Juden habe er gar keine Meinung. "Darum kümmere ich mich nicht, ich habe meine Arbeit, die füllt mich total aus."

 Er handelte alleine

 Ob er häufig Texte mit seinem Namen unterzeichne, ohne sie zu lesen, fragte die Privatklägerin aus Genf (vgl. Kasten). Ja, das komme vor, etwa bei Lieferscheinen, sagte der Angeschuldigte. Er beteuerte, die Publikation auf eigene Faust veranlasst zu haben, er sei von niemandem instrumentalisiert worden.

 Man könne nicht etwas unterschreiben und sich später davon distanzieren, rügte ihn Lanz in der Urteilsbegründung. Er verurteilte den Mann wegen Verstosses gegen das Antirassismusgesetz zu einer Busse von 800 Franken und zur Übernahme der Verfahrenskosten von 600 Franken. Zudem verhängte er eine Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 120 Franken, bedingt auf zwei Jahre. Lanz sprach die Geldstrafe bedingt aus, weil der Angeschuldigte Reue zeigte und nicht davon auszugehen sei, dass er in nächster Zeit wieder einen rassistischen Verbalübergriff begehen werde.
 
Marc Imboden

--

 Vergleich mit privatklägerinnen

 Kursbesuch und Genugtuung

 Gerichtspräsident Lanz hatte gestern auch eine zivilrechtliche Seite zu beurteilen. Denn als Privatklägerinnen traten zwei Jüdinnen auf, eine aus Sigriswil, die andere aus Genf. Letztere vertrat vor Gericht auch den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund. Der SIG sei aber nicht berechtigt, als Kläger aufzutreten, weil ein Verband keine Verletzung der Menschenwürde geltend machen könne. Die beiden Frauen verlangten wegen des Artikels im "Sigriswiler Anzeiger" Genugtuung. Sie und der Angeschuldigte schlossen unter Ausschluss der Öffentlichkeit folgenden Vergleich: Der Mann wird der Frau aus Sigriswil 750 Franken bezahlen, die diese der örtlichen Schule für die Bekämpfung von Rassismus und Antisemitismus übergeben wird. Er muss zudem einen entsprechenden Kurs des SIG besuchen, der in Sigriswil stattfinden wird.
 mi

---

20 Minuten 22.10.10

Üble Hetzschrift: Bauer verurteilt

 THUN/SIGRISWIL Ein Bergbauer aus Sigriswil ist gestern wegen Rassendiskriminierung verurteilt worden. Er hatte im Januar im Sigriswiler Anzeiger eine antisemitische Hetzschrift verbreitet, die Passagen enthielt wie: "Das organisierte Weltjudentum (Zionismus) hat die totale Ausraubung gewisser reicher Länder wie Deutschland, Schweiz, Österreich und anderer Staaten längst begonnen." Er habe den Text nicht selbst geschrieben, verteidigte sich der Angeklagte, sondern in seinem Büro gefunden und dann unter seinem Namen publiziert. Der Verleger des Lokalblatts, das in die Haushalte verteilt wird, hatte sich bereits vorgängig vom Text distanziert. Er habe ihn damals nicht gründlich gelesen.

 Das Thuner Gericht sah den Tatbestand der Rassendiskriminierung klar gegeben und verurteilte den Bergbauer zu einer bedingten Geldstrafe von 3600 Fr. und 800 Fr. Busse.  NJ

-------------------------------------
BIG BROTHER VIDEO
-------------------------------------

Blick am Abend 22.10.10

Video-Debatte im Stadtrat vertagt

 BIG BROTHER

 Bern will Fussballfans per Video überwachen. Das Parlament ist skeptisch.

 Die SP und die Grünen sind dagegen; die Bürgerlichen sind für eine Videoüberwachung an neuralgischen Punkten in der Stadt Bern. Der Stadtrat hat gestern mit 43 zu 23 Stimmen beschlossen, auf die Vorlage einzutreten. Ob die Videoüberwachung tatsächlich eingeführt werden kann, entscheidet das Parlament am kommenden Donnerstag.

 Künftig sollen in der Stadt Bern Fussballfans auf ihrem Weg vom Bahnhof Wankdorf ins Stadion mit Videokameras überwacht werden können. Sicherheitsdirektor Reto Nause erhofftsich davon eine bessere Überwachung der Fans sowie Erleichterungen bei der Aufklärung von Straftaten.

 Das Reglement sieht vor, dass der Gemeinderat die Kompetenz erhält, den Standort der Kameras zu bestimmen. Kostet dies mehr als 300 000 Franken, wird der Stadtrat mitentscheiden. SDA/ehi

---

Bund 22.10.10

Langer Disput um Videoüberwachung in der Stadt Bern

 Der Stadtrat beugte sich gestern über das Videoreglement, ohne zu einem Ende zu kommen.

 Christian Brönnimann

 Grundsatzdebatte gestern Abend im Berner Stadtrat. Einmal mehr stand das Thema Videoüberwachung auf der Traktandenliste. Diskutiert wurde über den gemeinderätlichen Entwurf des Videoreglements, das die stadtinternen Zuständigkeiten für den Einsatz von Kameras im öffentlichen Raum regelt. Wo und unter welchen Bedingungen Kameras möglich sind, hat bereits der Grosse Rat auf kantonaler Ebene festgelegt.

 Die Ratslinke stellte die Wirkung der Kameras mehrheitlich infrage. Verbrechen würden, wenn überhaupt, nur kurzfristig verhindert oder einfach an andere Orte verlagert. Auch die Erhöhung des subjektiven Sicherheitsgefühls durch Kameras sei nicht bewiesen. "So klein der Nutzen, so hoch der Preis", schloss Leyla Gül (SP), "nämlich der Verlust der Privatsphäre." Zudem wurden die Anschaffungskosten für die Technik kritisiert.

 Ratsmitte und -rechte waren hingegen primär der Auffassung, dass die Stadt Bern die Möglichkeit erhalten soll, alle Mittel zur Verbrechensbekämpfung ausschöpfen zu können. Kameras seien "nicht das zentrale Instrument, aber ein wichtiges Puzzlestück", sagte zum Beispiel Sonja Bietenhard (BDP). Jimy Hofer (parteilos) fragte rhetorisch: "Weshalb soll man Angst haben vor Kameras, wenn man nichts auf dem Kerbholz hat?", und erntete Lacher mit der Bemerkung: "Von mir aus könnte man mir eine Kamera auf den Rücken binden." Und Dolores Dana (FDP) meinte: "Auch wenn es nur eine Verlagerung von Verbrechen gibt, hat es sich gelohnt, weil es einen sicheren Ort mehr gibt."

 Rückweisung scheiterte knapp

 Die GB/JA-Fraktion beantragte, gar nicht erst auf das Geschäft einzutreten und - wenn doch - das Reglement zur erneuten Überarbeitung zurückzuweisen. Beide Anträge scheiterten. Knapp wurde es beim Rückweisungsantrag, der mit 36 zu 30 Stimmen abgelehnt wurde.

 Vorgebracht wurden in der Folge verschiedene Anträge zur Abänderung des Reglements. So verlangte zum Beispiel die vorberatende Kommission, dass der Gemeinderat dereinst eine detaillierte Liste der Kamerastandorte zu erstellen hat. Die GB/JA-Fraktion beantragte, dass nicht der Gemeinderat, sondern der Stadtrat über Kameragesuche an die Kantonspolizei entscheiden kann und dass die Kosten für Kameras mit den Ausgaben für Polizeiarbeit kompensiert werden. Die GFL-Fraktion schlug vor, festzulegen, dass der Gemeinderat zumindest die zuständige Stadtratskommission konsultiert, bevor er ein Kameragesuch stellt. Die SP/Juso-Fraktion schliesslich verlangte, dass eine unabhängige Stelle die Evaluation der Kameras vornehmen soll.

 Die Diskussion wurde um 22.25 Uhr abgebrochen. Sie wird am kommenden Donnerstag fortgeführt. Möglich ist neben einer Annahme oder Ablehnung des Reglements auch, dass eine zweite Lesung verlangt wird.

---

Thuner Tagblatt 22.10.10

Berner Stadtrat

 Disput über Videokameras

 An der Videoüberwachung scheiden sich die Geister. Der Stadtrat trat aber gestern nach einer Grundsatzdebatte auf das neue Reglement ein. Nächste Woche nimmt sich der Rat den Details - unter anderem zu den Zuständigkeiten - an.

 Zwischen Stade de Suisse und S-Bahnhof Wankdorf möchte der städtische Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) Videokameras aufstellen. Wo ihm sonst noch Videoüberwachung vorschwebt, sagte er im Stadtrat nicht. Dieser debattierte gestern über das Videoreglement, dass die so genannt dissuasive Videoüberwachung im öffentlichen Raum ermöglichen soll. Es müssten neuralgische Stellen - also Kriminalitäts-Schwerpunkte - sein, ist darin festgehalten.

 Sancar: "Ein Teufelskreis"

 Hier setzte die fundamentale Kritik von links an:   "In England ist jeder Quadratmeter der Innenstädte überwacht, trotzdem ist die Kriminalität nicht gesunken", sagte Hasim Sancar (GB/JA). Stattdessen hätten die Kameras zur Verlagerung der Kriminalität geführt. Das wiederum machte mehr Kameras nötig:   "Der Teufelskreis wird immer grösser, ohne dass er gesprengt würde." Zudem fehlten Angaben zu den finanziellen Auswirkungen, ergänzte Leyla Gül für die SP. Der Rückweisungsantrag von GB/JA scheiterte jedoch.

 Zum grundsätzlichen Misstrauen gesellte sich bei GB/JA und SP der Eindruck, dass der Gemeinderat am liebsten sofort Kameras aufstellen möchte und erst noch selber entscheiden will, wo dies geschehen soll. "Dies ist ein politischer und kein operativer Entscheid", betonte Christine Michel (GB/JA).

 Gemeinderat sagt, wo

 Tatsächlich sieht das Videoreglement vor, dass das Parlament nur befragt würde, wenn der benötigte Kredit 300 000 Franken übersteigt. Alle fünf Jahre muss die Regierung in einem öffentlich zugänglichen Bericht Rechenschaft über die Videoüberwachung abliefern. Der städtische Datenbeauftragte kontrolliert, ob die Überwachung rechtmässig geschieht.

 Peter Künzler (GFL/EVP) wies darauf hin, das städtische Reglement basiere auf dem 2008 vom Grossen Rat angepassten Polizeigesetz. Darin sei der Rahmen abgesteckt. Beispielsweise ist dort festgehalten, dass überwachte Bereiche gekennzeichnet werden müssen. Bilder auswerten darf nicht die Gemeinde, sondern ausschliesslich die Kantonspolizei. Selbst diese darf nur aktiv werden, wenn eine Strafanzeige oder ein Strafantrag vorliegt. Die Aufnahmen sind nach 100 Tagen zu löschen.

 "Objektives Beweismittel"

 Zwar räumte auch die Mitte-Rechts-Koalition ein, Kameras seien kein "Allheilmittel" und sie stellten einen schweren Eingriff in die Privatssphäre dar. Für Dolores Dana (FDP) sind Kameras aber gerechtfertigt, wenn sie schon nur ein Verbrechen aufdecken helfen oder einen Platz sicherer machen. Hans Peter Aeberhard (FDP) wies darauf hin, dass Kameras in Warenhäusern etwa längst unbeanstandeter Alltag seien und rühmte Kameras als "objektives Beweismittel". Sicherheitsdirektor Nause teilte diese Auffassung. Zur Verlagerung fragte er in den Ratssaal: "Was soll sich denn beim Fankorridor verlagern?" Er beruhigte den Rat auch dahingehend, dass dieser wohl auch bei den Standorten mitdiskutieren könne, weil der Kredit in dessen finanzielle Zuständigkeit falle.

 Der Stadtrat begann gestern die Detailberatung des Reglements. Diverse Anträge haben zum Ziel, den Einfluss des Parlaments zu stärken. Die Beratung wird in einer Woche zu Ende geführt.

 Christoph Aebischer

-----------------------------------
BIG BROTHER SPORT
-----------------------------------

Thune Tagblatt 20.10.10

Vereinbarung mit der Stadt

 Kosten für die Sicherheit: FC Thun zahlt freiwillig

 Der FC Thun beteiligt sich freiwillig an den Sicherheitskosten rund um die Super-League-Spiele - mit 15 Rappen pro Zuschauer.

 Es war ein hartes Ringen zwischen der Stadt und dem FC Thun - jetzt hat man sich geeinigt: Der FC Thun steuert an die Sicherheitskosten rund um die Super-League-Heimspiele 15 Rappen pro Zuschauer bei. Das entspricht der Abgabe der Young Boys und des FC Biel. Beim derzeitigen Zuschauerschnitt zahlt der FC Thun rund 16 000 Franken. Für die nächste Saison soll eine neue Vereinbarung ausgehandelt werden. Der Thuner Sicherheitsvorsteher, Gemeinderat Peter Siegenthaler (SP), wird zudem auf Kantonsebene aktiv. In einer Motion fordert er eine gesetzliche Grundlage für die Beteiligung der Veranstalter an den öffentlichen Sicherheitskosten.

 Gestern Abend fand zudem die Generalversammlung der FC Thun AG statt. Sie verlief ohne Überraschungen und ohne lauten Töne. Die rund 150 Aktionäre beschlossen eine Statutenänderung: Ein Teil der Aktien soll statt 150 nur noch 30 Franken kosten. Dadurch sollen mehr Wertpapiere abgesetzt werden. Präsident Markus Stähli betonte die sportlichen Erfolge. Doch trotz des Aufstiegs war der Gewinn kleiner als im Vorjahr.
 mik/chk

 Seite 19

--

Generalversammlung der FC Thun AG
 
 Höherer Gewinn erwartet, Aktien werden günstiger

 Die GV der FC Thun AG verlief ohne Überraschungen. Der Gewinn soll 2011 wieder steigen, und die Aktien werden erschwinglicher.

 "Sportlich können wir auf ein sehr erfolgreiches Jahr zurückblicken", sagte Verwaltungsratspräsident Markus Stähli an der gestrigen Generalversammlung der FC Thun AG. Da war der sensationelle Aufstieg in die Super League, da war aber auch der Aufstieg der U-21 in die 1. Liga. "Der Nachwuchs ist wegen unserer beschränkten Budgets besonders wichtig für den FC Thun", hob Stähli den Effort der Youngsters hervor. Finanziell lief es bei den Rot-Weissen auch nicht schlecht: Die FC Thun AG weist einen Gewinn von 13 000 Franken aus.

 Doch die Bilanz wird getrübt: Der Gewinn ist deutlich kleiner als im Vorjahr, als 39 000 Franken mehr eingenommen als ausgegeben wurden (wir berichteten). Ein Grund sind die Erfolgsprämien, die wegen des Aufstiegs ausgeschüttet wurden. Der andere ist die Entlassung von Pape Omar Fayé wegen Wettbetrugs. Nach Schätzungen von Stähli hätte dieser für eine halbe bis eine Million Franken transferiert werden können. Es sei aber auch nicht das Ziel einer sportlichen AG, einen möglichst hohen Gewinn abzuwerfen, sondern ihren Teams möglichst gute Voraussetzungen zu bieten, kommentierte Stähli.

 Neue "Panini-Aktien"

 Die Generalversammlung, an der rund 150 Aktionäre erschienen waren, lief diskussionslos ab und war nach knapp eineinhalb Stunden vorbei. Etwas kryptisch wirkte jedoch der vierte Punkt auf der Traktandenliste. Dabei gings ums Aktienkapital. Die FC Thun AG will in Zukunft mehr Aktien unters Volk bringen. "Wir sitzen auf einem Bestand von Aktien, den wir bislang nicht verkaufen können", erklärte Stähli. Zehn Prozent des heutigen Aktienkapitals, das 120 000 Franken beträgt, sollen deshalb von Namensaktien in Inhaberaktien umgewandelt werden. Eine Aktie soll danach statt 150 Franken nur noch 30 Franken kosten. Um die Wertpapiere noch begehrter zu machen, sollen sie personalisiert werden. Beispielsweise soll es eine Milaim-Rama-Aktie geben, worauf das Konterfei des Stürmers abgebildet ist. Stähli bezeichnete das Vorhaben als "Panini-Aktion", in Anlehnung an die Sammelalben.

 Höheres Budget

 Die Anwesenden stimmten der Statutenänderung, die dafür nötig ist, deutlich zu. Ebenfalls deutlich Ja sagten sie zur Wiederwahl der Verwaltungsräte, zur Rechnung und zum Budget. Dieses sieht einen deutlich höheren Gewinn vor als dieses Jahr: 402 000 Franken. Dies dank deutlich höheren Einnahmen in den Bereichen Sponsoring, TV-Rechte und Eintritte. Auch das Budget, das momentan 6,4 Millionen stark ist, soll wachsen. "Ich hoffe, dass sich dank des neuen Stadions unser Budget im Laufe der Zeit in der 10-Millionen-Franken-Region ansiedeln wird", sagte Stähli.

 Christoph Kummer

---

BZ 19.10.10

SCB-Match

 Polizist schiesst scharf

 Nach dem Eishockeyspiel Bern - Lugano hat sich ein Zivilpolizist mit einem Warnschuss gegen Tessiner Hooligans gewehrt.

 Berner und Tessiner Hooligans gingen am Samstagabend beim Guisanplatz aufeinander los. Zwei Polizisten in Zivil nahmen einen Schläger aus dem Fanlager des HC Lugano fest. Doch seine Mitkämpfer versuchten, den Verhafteten zu befreien. Die beiden Polizisten wehrten sich vergebens mit Reizgas. Erst als einer der Gesetzeshüter die geladene Waffe zog und einen Warnschuss abgab, flüchten die Hooligans.

 Die "Horde Hooligans" sei stark in Überzahl gewesen, sagt Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern, ohne konkrete Zahlen zu nennen. "Die Schläger haben die Gunst der Stunde genutzt." Sie gingen mit Schlaginstrumenten auf die Zivilpolizisten los. Manuel Willi spricht von "massiven Tätlichkeiten". Der Warnschuss sei für den Polizisten wohl die einzige Möglichkeit gewesen, um sich in dieser bedrohlichen Situation zu schützen.

 Gegen den Angehaltenen wird eine Anzeige eingereicht. Gegen weitere Beteiligte wird ermittelt.
 tob

 Seite 25

--

Nach dem Spiel SC Bern - HC Lugano
 
Polizei schiesst wegen Hooligans

 Tessiner Hooligans haben nach dem Spiel SCB - Lugano am Samstag zwei Berner mit Schlaginstrumenten attackiert. Der Angriff war derart brutal, dass ein Polizist zur geladenen Waffe griff - er feuerte in die Luft.

 Bereits vor der Hockeypartie zwischen Bern und Lugano pöbelten sich rivalisierende Fangruppen am Samstagnachmittag an. Nach der Partie gingen die Hooligans dann bei der Tram-Endstation Guisanplatz aufeinander los. Daraufhin verhafteten zwei Berner Zivilpolizisten einen Lugano-Fan, der an den Ausschreitungen beteiligt war.

 Für seine Mitkämpfer war das offenbar zu viel. Gemeinsam und mit Schlagwerkzeugen bewaffnet, gingen sie auf die beiden Zivilpolizisten los. Laut Polizeimeldung versuchten sie, "ihren Kollegen zu befreien".

 Die Polizisten setzten sich mit Reizstoff zur Wehr. Doch die Lugano-Hooligans dachten nicht daran, ihren brutalen Angriff abzubrechen. Erst als einer der Polizisten die geladene Waffe zog und einen Warnschuss abgab, liessen die Schläger von ihnen ab.

 "Pistole als einziges Mittel"

 "Ein Polizist will seine Schusswaffe nie einsetzen", sagt Manuel Willi, Chef der Regionalpolizei Bern auf Anfrage dieser Zeitung. "Doch zu Tode prügeln lassen müssen sie sich auch nicht. Die Pistole einzusetzen, war das einzige Mittel." Durch den Warnschuss sei niemand verletzt worden. "Einen Warnschuss kann man gezielt abgeben, sodass keine Gefahr für Menschen besteht."

 Gegen diese "Horde Hooligans" seien die zwei Polizisten chancenlos gewesen, sagt Manuel Willi. "Die Schläger waren in grosser Überzahl. Sie haben die Gunst der Stunde genutzt." Normalerweise würden die Polizisten in solchen Fälle schnell Unterstützung erhalten. Doch diese Verstärkung blieb am Samstag aus, was laut Manuel Willi immer passieren kann. "Solche Situationen entwickeln sich dermassen schnell." Das zu überwachende Gebiet rund um die Postfinance-Arena sei gross. "Wir können nicht an jeder Ecke eine grosse Truppe Polizisten aufstellen."

 Angriffe gegen die Polizei

 Manuel Willi spricht von "massiven Tätlichkeiten". Doch die Heftigkeit der Gewalt überrasche ihn nicht. "Wir kennen bei Sportveranstaltungen schon seit langem eine hohe Qualität von Angriffen gegen die Polizei." Allerdings seien die Vorfälle an SCB-Spielen in letzter Zeit zurückgegangen.

 Doch nun mussten sich am Samstag Polizisten in Bern erstmals mit dem Gebrauch der Schusswaffe gegen Hooligans wehren. "Bis auf einen sind nach dem Warnschuss alle Täter geflüchtet." Den zurückgebliebenen konnten die beiden Polizisten überwältigen. Am Samstag wars eine Warnschuss. "Die nächste Stufe wäre ein Schuss ins Bein", sagt Manuel Willi.

 Und was sagt der SC Bern? Via Mediensprecher lässt CEO Marc Lüthi ausrichten: "Offiziell ist mir nichts bekannt von dem Vorfall." Deshalb könne er sich auch nicht konkret dazu äussern. Aber grundsätzlich verurteile der SCB jegliche Ausschreitungen. "Und wenn das Verhalten Uneinsichtiger so weit geht, dass sich die Polizei veranlasst sieht, von Schusswaffen Gebrauch zu machen, so verurteilen wir das aufs Allerschärfste."

 Tobias Habegger

---

20 Minuten 19.10.10

St. Galler Greifer gingen fremd

 ST. GALLEN. Die Eingreiftruppe der Stadtpolizei St. Gallen wird zum Exportartikel: Am Sonntag war die sogenannte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit am Cup-Match zwischen Schaffhausen und dem FC St. Gallen im Einsatz. "Wir hatten die St. Galler darum gebeten, weil wir zu wenig Erfahrung haben", sagt Patrick Caprez, Sprecher der Schaffhauser Polizei. Und die St. Galler Einheit blieb nicht untätig: Sie pickte neun Schaffhauser Krawallmacher aus der Menge und brachte sie samt Videobeweisen zum Untersuchungsrichter. "Sechs Personen erhalten eine Busse wegen Hinderung einer Amtshandlung", so Untersuchungsrichter Willi Zürcher. Drei mutmassliche Chaoten mussten gar im Gefängnis übernachten. "Ein Mann wurde wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte verurteilt", so Zürcher. Er und Caprez können sich vorstellen, dass die St. Galler bei einem Risikospiel wieder gerufen werden.  sas

--

Mit Schnellrichter gegen Hooligans

 SCHAFFHAUSEN. Im Schnellverfahren hat das Schaffhauser Untersuchungsrichteramt gestern einen 28-jährigen Fussballrowdy wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte verurteilt. Der Kanton Schaffhausen hat damit das Schnellverfahren erstmals im Zusammenhang mit Sport angewandt. Wie der leitende Untersuchungsrichter Willy Zürcher sagte, wurde der Mann zu einer bedingten Geldstrafe von 30 Tagessätzen à 50 Franken verurteilt. Zudem muss er 300 Franken Busse bezahlen. Eine Busse gibt es auch für einen zweiten Festgenommenen. Das Verfahren gegen einen dritten Hooligan wird an den Kanton Zürich überwiesen. Dort ist gegen den Mann bereits ein Strafverfahren im Gange. Dabei gehe es ebenfalls um Delikte im Zusammenhang mit Fussball. Die drei waren - mit sechs anderen - am Sonntag nach dem Cupspiel Schaffhausen - St. Gallen (2:6) festgenommen worden.

--------------------
POLICE BE
--------------------

BZ 23.10.10

Langenthal

 Sicherheitschef kritisiert Police Bern

 Langenthal ist nicht zufrieden mit der Einheitspolizei. Es seien Modifikationen nötig, sagt Sicherheitschef Andreas Ryf.

 Langenthal wollte die kantonale Einheitspolizei nicht. Doch 2007 hat das Bernervolk Ja dazu gesagt. Deshalb muss ausgerechnet der ehemalige Langenthaler Stadtpräsident Hans-Jürg Käser (FDP), inzwischen seit 2006 kantonaler Polizeidirektor, das Projekt "Police Bern" umsetzen - auch in Langenthal. Anfang dieses Jahres wurde die Stadtpolizei in die Kantonspolizei integriert. Nach knapp zehn Monaten zieht Andreas Ryf, Vorsteher des städtischen Amts für öffentliche Sicherheit, eine zwiespältige Bilanz: "Nicht alles ist gut bei der Einheitspolizei", sagte er am Donnerstagabend an einem Anlass der Bildungsgruppe Horizont von SP und Gewerkschaften, "aber es ist auch nicht alles schlecht." Das System Einheitspolizei habe "gewisse Mängel". Für Ryf ist deshalb klar: "Es braucht Modifikationen."

 "Kein Einfluss"

 Das Hauptproblem ortet der Langenthaler Sicherheitschef darin, dass die Gemeinden zwar nach wie vor die Verantwortung tragen für sicherheits- und ortspolizeiliche Aufgaben, aber keine Instrumente mehr haben zu deren Erfüllung. Sie müssen die entsprechenden Leistungen bei der Kantonspolizei bestellen. Doch dabei kann Langenthal laut Ryf nicht im Detail Einfluss nehmen: "Es besteht kein Einfluss auf die operative Umsetzung der Massnahmen seitens der Gemeinde." Und es fehle an Flexibilität.

 Zu Problemen führe dies vor allem im Bereich der Prävention, erklärte Ryf. So könne Langenthal beispielsweise nicht im Detail sagen, wie und wann die Kantonspolizei Patrouillen durchführen solle. Und die Kantonspolizei betreibe auch nicht "in dem von uns gewünschten Ausmass" Radarkontrollen.

 "Bürgerwehren"

 Dies hat laut Ryf eine Entwicklung zur Folge, die ihm Sorgen bereitet: Es gebe eine neue Tendenz zu "Bürgerwehren" und privaten Sicherheitsanbietern. So setze zum Beispiel auch Langenthal die Securitas für Patrouillen ein.

 Im Notfall komme die Kantonspolizei aber sofort, und die Polizisten seien sehr gut qualifiziert und motiviert, betonte Ryf. Für ihn ist denn auch klar: "Trotz den Knörzen, die es bei der Umsetzung der Einheitspolizei gibt, ist die Sicherheit in Langenthal jederzeit gewährleistet." Die Probleme, die sich in den ersten Monaten gezeigt haben, seien lösbar. Und: Sie seien für Projekte und Umorganisationen dieser Grössenordnung "normal".

 Als weitere Negativpunkte sieht Ryf den grossen administrativen Aufwand, den die Kantonspolizei hat, um für die von den Gemeinden bestellten Leistungen Rechnung zu stellen, sowie "die ungerechten finanziellen Beiträge". Langenthal müsse jährlich 650 000 Franken bezahlen, kleinere Gemeinden nichts.

 Ryf nannte aber auch Vorteile der Police Bern: Es gebe mit der Kantonspolizei einen Ansprechpartner für die Bürger. Und die Gemeinden würden von Aufgaben entlastet, die polizeiliche Kompetenzen erforderten. Zudem liege die Verantwortung für die Umsetzung von polizeilichen Massnahmen klar bei der Kantonspolizei.

 Sicherheitsanalyse

 Für Ryf ist denn auch klar, dass das Rad nicht mehr zurückgedreht werden soll. Es brauche aber Verbesserungen. Langenthal stehe diesbezüglich in ständigem Kontakt mit der Kantonspolizei.

 Ryf setzt zudem auf das Sicherheitskonzept, welches die Stadt derzeit erarbeitet. Grundlage dafür wird eine Sicherheitsanalyse sein, für die auch die Bevölkerung befragt wird. "Wenn wir diese Analyse haben, werden wir der Kantonspolizei viel genauer Aufträge erteilen können", sagte er.

 Dominic Ramel

---

BZ 21.10.10

Gewalt gegen Behörden

 Die Angst der Polizei

 Die Hooligans, die am vergangenen Samstag in Bern zwei Zivilpolizisten angegriffen haben, sind kein Einzelfall. Immer öfter werden Polizisten zur Zielscheibe aggressiver Bürger. Eine Umfrage bei der Stadtpolizei Zürich zeigt:   Jeder dritte Polizist hat Angst vor tätlichen Angriffen. Zwar haben sich die Zürcher letzten Herbst mit einer gezielten Aktion auf der Strasse wieder Respekt verschafft. Dies war dank Absprachen mit der Justiz möglich. Die Regel ist dies allerdings nicht:   Gewalt und Drohung gegen Behörden werden von den Richtern, wenn überhaupt, dann milde bestraft. Der Verband schweizerischer Polizisten fordert härtere Strafen.
 as

 Seite 5

--

Gewalt gegen Polizisten

 Dein Freund und Prügelknabe

 Schläge, Spucke, Schimpfworte: Bei der Ausübung ihrer Pflicht müssen Polizisten massiv einstecken. Viele Ordnungshüter fürchten sich mittlerweile auf der Strasse. Von Justiz und Politik fühlen sie sich im Stich gelassen.

 Letzten Samstag auf dem Berner Guisanplatz: Nach dem Spiel SCB - Lugano gehen Hooligans aufeinander los. Zwei Polizisten in zivil verhaften einen der gewalttätigen Fans. Daraufhin werden sie von dessen Hooligan-Kollegen angegriffen und können sich nur noch mit einem Warnschuss in die Luft retten (Ausgabe von Dienstag).

 Auch bei weniger riskanten Einsätzen werden Polizisten zur Zielscheibe aggressiver Bürger. So unlängst in der Stadt Bern, als Polizisten einen dunkelhäutigen Mann abführten. Laut Manuel Willi, Chef Regionalpolizei Bern, weil dieser "ein schweres Verbrechen begangen hat". Auf der Strasse solidarisierten sich fremde Leute mit dem Täter und beschimpften die Beamten.

 Jeder Dritte hat Angst

 Dies sind keine Einzelfälle. Bei ihrer Arbeit werden Polizisten angepöbelt, angerempelt, geschlagen und bespuckt. "Police", das offizielle Organ des Verbands schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB), nennt in seiner aktuellen Ausgabe Zahlen aus der Kriminalstatistik des Bundes. Danach sind Gewalt und Drohung gegen Behörden zwischen 1990 und 2008 von 323 erfassten Straftaten auf 2024 angestiegen. In über 90 Prozent der Fälle waren Polizisten betroffen. Gemäss einer Umfrage bei der Stadtpolizei Zürich fürchtet sich jeder dritte Polizist vor tätlichen Angriffen im Dienst.

 Für Bern gibt es zwar keine Zahlen. "In der Tendenz sieht es bei uns aber ähnlich aus", sagt Rolf P. Steinegger, Präsident der VSPB-Sektion Bern. Wehre sich ein Polizist mit den gesetzlich zulässigen Mitteln gegen die Gewalt, dann müsse er mit einer Klage rechnen, so Steinegger, der die Polizisten als Anwalt vor Gericht vertritt. "Ein Polizist, der eine Person anhält, hat häufig eine Gegenklage am Hals." Zwar würden die Beamten meist freigesprochen. Das lange Verfahren sei jedoch belastend und könne der Karriere schaden.

 Letzen Herbst verschaffte sich die Zürcher Stadtpolizei in Absprache mit der Justiz wieder Respekt auf der Strasse. Wer Polizisten angriff oder behinderte, wurde sofort dem Staatsanwalt zugeführt. Laut Polizeisprecher Marco Cortesi zeigte die Aktion Wirkung. Allerdings droht diese zu verpuffen. "Es wäre deshalb wünschenswert, dass die Justiz das Strafmass konsequent anwendet und ausschöpft."

 Denn renitente Bürger müssen in der Regel nicht mit Konsequenzen rechnen. Viele der Verfahren wegen Drohung und Gewalt gegen Beamte oder Behinderung einer Amtshandlung werden von der Justiz eingestellt. Zumindest in Zürich. Dort sind es durchschnittlich zwischen 12 und 19 Prozent. Für Bern gibt es keine Zahlen.

 Kommt es doch zu einer Verurteilung, sprechen die Richter oft bedingte Geldstrafen aus. "Bei Gewalt und Drohung gegen Beamte soll die Justiz endlich das Strafmass ausnützen", sagt auch VSPB-Generalsekretär Max Hofmann. Letzten November reichte die Polizeigewerkschaft eine entsprechende Petition im Bundesparlament ein. Darin fordert sie unter anderem die Wiedereinführung kurzer Haftstrafen. Diese sollen deutlich machen, dass Übergriffe auf Beamte keine Kavaliersdelikte sind. Zudem sollen Drohung und Gewalt gegen Beamte künftig zwingend mit Haft bestraft werden. Der Nationalrat wies die Petition an die Kommission zurück mit dem Auftrag, einen Vorstoss auszuarbeiten. "Für uns ist das schon ein riesiger Sieg", sagt Hofmann.

 Das Sträuben von Justitia

 Deutliche Zeichen von Politik und Justiz wünscht man sich zwar auch bei der Berner Polizei. Mit der Justiz allzu hart ins Gericht gehen mag hier aber keiner. Für Rolf P. Steinegger von der VSPB-Sektion Bern ist klar, dass Konflikte zwischen Justiz und Polizei geklärt gehören. "Weil die Strafverfolgungsbehörden als Einheit funktionieren müssen, ist es aber gefährlich, grundsätzlich einen Keil zwischen Polizei und Justiz zu treiben." Justitia scheint da weniger zimperlich: Zwar müsse man Polizisten im Einsatz schützen, sagt der Berner Obergerichtspräsident Christian Trenkel. "Da hat man bisher wohl zu wenig getan." Welche Massnahmen zu ergreifen seien, müsse aber breit diskutiert werden. Ob eine Mindeststrafe nützt, bezweifelt Trenkel. "Die seit Jahren bestehende Unterdotierung der Polizei kann so jedenfalls nicht aufgefangen werden."
 
Andrea Sommer

--

 Warnschuss

 Abklärungen laufen

 Ein Warnschuss werde so abgegeben, dass keine Gefahr für Menschen bestehe, sagte Manuel Willi von der Berner Polizei nach der Schussabgabe auf dem Guisanplatz. Dass ein Schuss in die Luft gefährlich sein kann, zeigten Tests der deutschen Armee für eine Wissenssendung des Deutschen Fernsehens. Dabei kehrten die Kugeln vier Mal langsamer zur Erde zurück, als sie abgeschossen wurden. Trotzdem reichte ihre Durchschlagskraft aus, menschliches Gewebe und Knochen zu durchdringen. Bei der Berner Polizei ist man sich dessen bewusst. Willi: "Ein Warnschuss wird in der Regel nicht in die Luft, sondern wenn möglich in weiche Erde abgegeben." Wohin der Polizist am Samstag schoss, werde derzeit abgeklärt.
 as

----------------------
POLICE BS
----------------------

Basellandschaftliche Zeitung 20.10.10

Polizei ist in der Stadt dauerpräsent

 Sicherheit Nach Saubannerzügen gehören Polizeipatrouillen in der Innenstadt zur Tagesordnung

Yen Duong

 Es war ein rabenschwarzer Monat für die Basler Polizei: Am 1. Mai hinterliessen rund 120 Vermummte bei einem Saubannerzug durch Basel eine Spur der Zerstörung. Auf der gesamten Strecke wurden unzählige Liegenschaften und Tramzüge versprayt - zudem warfen die Chaoten einen Molotowcocktail in den Eingangs- bereich des Polizeipostens Clara.

 Rund drei Wochen später, am 21. Mai, spielten sich in der Basler Innenstadt ähnlich wüste Szenen ab: Innert fünf Minuten zertrümmerten vermummte Chaoten etliche Schaufenster in der Freien Strasse. Die Konsequenz: Der Basler Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass und sein Polizeikommandant Gerhard Lips einigten sich mit Gewerbedirektor Peter Malama und Pro-Innerstadt-Präsident Urs Welten, dass die Polizei provisorisch ihre Patrouillentätigkeit entlang der Achse Heuwaage-Steinen-Barfüsser- platz-FreieStrasse-Marktplatz verstärkt.

 Meist auf der Strasse im Einsatz

 Seither ist die Dauerpräsenz der Ordnungshüter in der Innenstadt kaum zu übersehen. Und das wird auch so bleiben. Denn was ursprünglich als vorübergehende Massnahme vorgesehen war, wird nun fester Bestandteil des Polizeialltags. "Die verstärkte Präsenz in der Innenstadt ist inzwischen ein Dauerauftrag geworden. Dies, weil sie sinnvoll ist", bestätigt Polizeikommandant Gerhard Lips der Basellandschaftlichen Zeitung. Grund für den Entscheid seien positive Reaktionen der Bevölkerung. Auch die "Kundschaft" reagiere darauf. "Es gibt seither weniger Zwischenfälle und Gewalt", sagt Lips weiter. Die verstärkte Präsenz sei aber nur möglich, wenn nicht gerade andere Schwerpunktaktionen vorgesehen sind - wie etwa die Herbstmesse.

 Laut Gerhard Lips sind die Polizisten nun etwa 60 bis 70 Prozent ihrer Arbeitszeit auf den Strassen unterwegs. Grosse Umstrukturierungen hätten dafür nicht vorgenommen werden müssen. "Die positive Entwicklung des Personalbestandes ermöglicht solche Schwerpunktaktionen. Gegenüber Anfang Jahr sind wir etwa 30 Personen mehr - das ist spürbar." Zudem werde der Sollbestand Ende Jahr erreicht.

 Büroarbeit bleibt liegen

 Dass die Polizei momentan derart stark spürbar ist, kommt der Basler SVP gelegen. Diese verlangt nämlich mit ihrer Sicherheitsinitiative eine Erhöhung der uniformierten und sichtbaren Polizeipräsenz um 30 Prozent. "Die Initiative rennt bei uns offene Türen ein. Aber was die Initiative will, können wir momentan nicht gewährleisten", betont Polizeikommandant Lips. David Gelzer, Präsident des Polizeibeamten-Verbandes Basel-Stadt, begrüsst grundsätzlich die Strategie von Lips, sagt aber auch: "Wenn mehr Leute in der Innenstadt präsent sind, dann fehlen sie in den Quartieren - und auch dort ist die Präsenz nötig. Ausserdem bleibt die Büroarbeit liegen." Es sei dringend nötig, dass mindestens 50 zusätzliche Personen - nach Erreichen des Sollbestandes - eingestellt werden. "Gerhard Lips beschönigt die Situation", findet Gelzer.

--------------------
POLICE LU
--------------------

NLZ 20.10.10

Die Polizei wird zum Prellbock

 Attacken

Samantha Taylor

 Tätlichkeiten gegen Beamte werden immer häufiger. Auch im Freiamt kam es schon zu einem Vorfall.

 Polizisten leben gefährlich. Erst kürzlich wurde in Aarau ein Beamter während einer Verkehrskontrolle von einem Motorradlenker angefahren. Der Mann wollte sich der Prüfung entziehen und raste hemmungslos auf den Beamten zu ("Aargauer Zeitung" vom 13. Oktober). Und auch im Freiamt geht es nicht immer ganz friedlich zu. "Wir hatten einen Fall, bei dem ein stark alkoholisierter Festbesucher mit Biergläsern und Steinen nach uns geworfen hat", erzählt Bernhard Graser, Mediensprecher der Aargauer Kantonspolizei.

 Dies sind bei weitem nicht die einzigen Beispiele. Polizisten erhalten heute immer weniger Respekt und bekommen immer mehr ab. Von Beleidigungen über Beschimpfungen bis hin zu Tätlichkeiten müssen sie im Dienst einiges einstecken, wie Graser bestätigt: "Der Respekt ist in den letzten Jahren massiv gesunken. Wir werden oft nicht mehr als Beschützer, sondern viel mehr als Prellbock wahrgenommen. Die Leute verlieren immer häufiger die Hemmungen und die Kontrolle."

 Ein Vorfall wie in Aarau sei aber die Ausnahme, versichert er. Das grösste Aggressionspotenzial liege dort, wo sich die Leute amüsieren: "Dass jemand bei einer Verkehrskontrolle aggressiv reagiert, ist selten. Viel häufiger werden wir am Wochenende von jungen Herren angegriffen." Der Grund: Der Alkohol- und der Drogenkonsum verleiten viele dazu, ihre Grenzen zu überschreiten.

 Mit Alkohol fallen Hemmungen

 Nicht überall sind solche Attacken gleich häufig. So kann sich glücklich schätzen, wer seinen Dienst im Freiamt leistet. Denn hier scheint die Welt noch etwas heiler zu sein. Laut Graser gibt es dafür eine ganz simple Begründung. "Die Übergriffe finden vor allem dort statt, wo sich grosse Gruppen von Nachtschwärmern aufhalten, sprich in den Städten. Im ländlichen Freiamt geht es wesentlich ruhiger zu." Doch wie das Beispiel des Gläser und Steine werfenden Festbesuchers zeigt, bleibt auch das Freiamt nicht ganz verschont. "In solchen Gebieten kommt es vor allem an Dorffesten, Sportveranstaltungen oder Chilbi zu diesen Situationen, überall dort, wo Alkohol in rauen Mengen fliesst", bedauert Graser. Und so gilt auch im Freiamt der Grundsatz: je höher der Pegel, umso geringer die Hemmungen.

 Samantha Taylor

 redaktion@neue-zz.ch

-------------------
POLICE CH
--------------------

Wilisauer Bote 19.10.10

Psychologie und Ethik wichtiger

 Polizeischule Hitzkirch | Polizei zwischen Helfen und Intervention

 Der zweite Medientag der Interkantonalen Polizeischule (IPH) in Hitzkirch stand unter dem Thema "Polizei, Dein Freund und … - zwischen Helfen und Intervention".

 Regierungsrätin Sabine Pegoraro, Vorsteherin der Sicherheitsdirektion des Kantons Basel-Landschaft und Präsidentin der Konkordatsbehörde, betonte, dass der Beruf des Polizisten bzw. der Polizistin in den letzten Jahren nicht einfacher geworden sei. "Sie müssen als Freund und Helfer Katzen von den Bäumen holen, sie müssen Verkehrskontrollen durchführen, sie müssen Gewalttaten verhindern, sie müssen Amokläufer suchen, sie müssen Psychologe sein. Und das überall und zu jeder Zeit."

 Zu wenig Polizisten

 Regierungsrätin Sabine Pegoraro ging auf aktuelle Ereignisse wie die Demonstrationen und Zusammenstösse mit der Polizei anlässlich des geplanten Baubeginns Stuttgart 21 oder den Bieler Amokschützen ein und betonte, dass es eine grosse Errungenschaft der Neuzeit sei, dass das Gewaltenmonopol bei den staatlichen Organen, und nur bei diesen, liege. "Dürfte der Staat keine Gewalt anwenden, so wäre er nicht mehr in der Lage, einen demokratisch ausgehandelten Beschluss zu schützen und dafür zu sorgen, dass dieser auch umgesetzt wird." Auch gewaltfreier Widerstand gegen die Staatsgewalt dürfe nicht einfach hingenommen werden, weil sonst die Demokratie nicht lange überlebe, betonte sie.

 Allerdings würden die Polizeidirektorinnen und Polizeidirektoren seit längerem darauf hinweisen, dass der Schweiz insgesamt 1500 bis 2000 Polizistinnen und Polizisten fehlen. Finanzierbare Lösungsvorschläge lägen auf dem Tisch. "Gefordert ist jetzt die Politik: Entweder sie zieht mit oder sie nimmt Abstriche bei den polizeilichen Leistungen in Kauf und verantwortet diese auch", sagte die Regierungsrätin.

 Höhere Anforderungen

 Sowohl Sabine Pegoraro wie auch Beat Hensler, Präsident des Schulrats und Kommandant der Luzerner Polizei, betonten in ihren Ausführungen, dass die Anforderungen an den Polizeiberuf gestiegen seien und sich enorm gewandelt hätten. Vertrauensumfragen von unabhängigen Institutionen wie beispielsweise die ETH Zürich zeigten ganz deutlich, dass die Polizei bei der Bevölkerung ein ausserordentlich hohes Vertrauen geniesse, so Hensler. "Ein nicht unwesentlicher Faktor ist mit Sicherheit die Tatsache, dass die Polizistinnen und Polizisten auch heute noch als Freund und Helfer wahrgenommen werden." Diese Rolle werde aufgrund gesellschaftlicher Veränderungen aber mehr und mehr an den Rand gedrängt. Respekt- und Autoritätsverlust, Hooliganismus, die Wegwerfmentalität oder auch die Entwicklung zur Party- und Konsumgesellschaft würden das strafende Eingreifen der Polizei zunehmend notwendig machen, während "Nebengeschäfte", die das Image als Freund und Helfer förderten, weitgehend an den Rand gedrängt würden.

 Ausbildung hat sich verändert

 Selbstverständlich gebe es Bestrebungen, diesen Tendenzen entgegenzuwirken, zum Beispiel durch das Community Policing (bürgernahe Polizei), die Quartierpolizisten als Bindeglieder zwischen der Bevölkerung und der Polizei oder durch vermehrte Fusspatrouillen und neue, modische Erscheinungsformen wie Bike-Patrol-Polizisten, die das subjektive Sicherheitsgefühl der Bevölkerung erhöhen und den Dialog stärken.

 Dem werde auch in der Ausbildung Rechnung getragen, sie wurde in den letzten Jahren stark verändert und den gesellschaftlichen Entwicklungen angepasst. Neben den bisherigen typischen Polizeifächern wie Verkehrsunfälle aufnehmen, Festnahmetechniken, Schiessen etc. werde seit einigen Jahren ein neues Schwergewicht auf Fächer mit Softfaktoren gelegt, z. B. Community Policing, Psychologieausbildung oder Ethik, erläuterte Hensler. "Heute sind nicht mehr nur polizeispezifische Fähigkeiten gefragt. Gerade weil der Respekt gegenüber Autoritäten stark zurückgegangen ist, sind psychologisches Geschick und ethisch korrektes Verhalten besonders wichtig geworden", so Hensler.pd/WB

------------------------
BIG BROTHER
------------------------

BZ 23.10.10

Fichenaffäre

 Staatsschutz darf jedermann fichieren

 Der Nachrichtendienst soll weiterhin auch Personen fichieren dürfen, die nicht verdächtig sind, hält der Bundesrat fest.

 Im Sommer hatte die parlamentarische Aufsicht schwerwiegende Vorwürfe erhoben: Der Nachrichtendienst habe in den vergangenen Jahren im Umgang mit Daten die Gesetze nicht eingehalten. Er habe auf Vorrat Daten gesammelt, ohne diese auf ihre Relevanz zu prüfen. In der Staatsschutz-Datenbank Isis seien 200 000 Personen registriert. Darunter seien 80 000 Drittpersonen, die lediglich einen Bezug zu einer staatsschutzrelevanten Person haben.

 Gestern hat der Bundesrat nun seine Stellungnahme veröffentlicht. Er zeigt sich bereit, Änderungen vorzunehmen. Nichts ändern will er aber am Umgang mit sogenannten Drittpersonen: Dem Staatsschutz soll es weiterhin erlaubt sein, Personen zu erfassen, die selbst nicht verdächtig sind, aber einen Bezug zu verdächtigen Personen oder Organisationen haben.

 Daten wurden nie gelöscht

 In die Isis-Datenbank dürften zwar nur staatsschutzrelevante Daten Eingang finden, hält der Bundesrat fest. Dies schliesse aber nicht aus, dass "unbescholtene Bürger" rechtmässig in die Datenbank gelangen könnten. Würden Drittpersonen definitiv als unbedenklich eingestuft, seien die Daten jedoch zu löschen, schreibt der Bundesrat. Dies habe der Nachrichtendienst in der Vergangenheit versäumt. Die Prozesse sollen nun überprüft und wo nötig angepasst werden. Für neue Einträge gelten seit Juli neue Richtlinien. Allgemein soll der Nachrichtendienst künftig die Qualität vor die Quantität stellen.

 Auskunft über eigene Fiche

 Wie der Bundesrat bereits früher angekündigt hatte, soll auch das Auskunftsrecht verbessert werden: Wer wissen will, ob der Nachrichtendienst Informationen über ihn sammelt, soll dies künftig erfahren dürfen.

 Der Bundesrat kündigt weitere rechtliche Anpassungen an. Er betont aber, die Staatsschutzorgane dürften nicht geschwächt werden. Es sei im Gegenteil zu prüfen, wie ihre Effektivität und Effizienz erhöht werden könne, ohne dass die Grundrechte "ungebührend" eingeschränkt würden. Dies sei nach dem 11. September 2001 unbedingt angezeigt. Der Schweizer Staatsschutz solle mehr dürfen, als er heute darf - zum Beispiel präventiv Telefonate abhören.
 sda

---

Bund 23.10.10

Der Geheimdienst verliert Tausende von Daten

 Der Bundesrat will die Isis-Datenbank entrümpeln und die Datensammlung strenger regeln. Davon profitieren vor allem Ausländer.

 Fabian Renz

 Von einem neuen Fichenskandal war die Rede, als die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments im Sommer einen Bericht über die Methoden der Schweizer "Schlapphüte" publizierte. Zehntausende von Personen wurden demnach aufgrund willkürlicher Kriterien und exzessiver Kontrollwut des Nachrichtendienstes zu Unrecht in der geheimen Staatsschutz-Datenbank Isis registriert.

 Gestern nun hat der Bundesrat seine Stellungnahme dazu publiziert. Und er gibt sich, trotz partieller Kritik an der "unausgewogenen" Darstellung, einsichtig: Die Mehrzahl der GPDel-Ratschläge zur Neuausrichtung von Isis akzeptiert er. Die wichtigsten davon:

 Sperrung fragwürdiger Daten: Die GPDel schlägt vor, alle Isis-Daten, die vor fünf Jahren oder früher erfasst wurden, provisorisch für die Verwendung zu sperren. Ein externer Datenschutzbeauftragter solle dann innert nützlicher Frist über die Freigabe bzw. Löschung entscheiden. Der Bundesrat will diese Empfehlung befolgen, wie er schreibt. Künftig solle die Datensammlung und -verwaltung überdies verstärkt nach dem Prinzip "Qualität statt Quantität" erfolgen; entsprechende Reorganisationen würden eingeleitet.

 Beendung der Fotopasskontrolle: Bürger bestimmter Länder wurden bislang bei Überquerung der Schweizer Grenze über das Programm Fotopass automatisch in der Isis-Datenbank gespeichert. Der Bundesrat erklärt sich nun bereit, die Fotopasskontrolle einzustellen und die entsprechenden Datensätze zu löschen. Geplant ist ein "Nachfolgeprojekt".

 Drittpersonen: Nicht befolgen will der Bundesrat eine andere Empfehlung der Delegation: Es soll seiner Meinung nach keine gesetzliche Definition der Kategorie "Drittpersonen" geben, jener Fichierten, die selber unbescholten sind, aber beispielsweise wegen Kontakten zu Verdächtigen im Isis landen. Auf Verordnungsstufe sei dies genügend geregelt, findet der Bundesrat. Darüber hinaus hält er ausdrücklich fest, dass die Registrierung von Drittpersonen rechtmässig und für die geheimdienstliche Arbeit notwendig sei.

 Der Präsident der GPDel, SP-Ständerat Claude Janiak, ist dennoch zufrieden mit der bundesrätlichen Antwort. Sie trage der Kritik der Parlamentarier grösstenteils Rechnung. Die GPDel werde in ein bis zwei Jahren prüfen, ob die Ankündigungen umgesetzt worden seien.

 Indes gibt es zum neuen Isis-Regime auch kritische Stimmen. Der Hintergrund: Die meisten Registrierten sind Ausländer. So zum Beispiel die 52 000 Personen, die aufgrund der Fotopasskontrolle im Isis landeten - und die daraus nun wieder verschwinden werden, ebenso wie auch die Fotopassmethode als solche verschwinden soll.

 SVP-Nationalrat Ulrich Schlüer hat ein ungutes Gefühl dabei: "Es gibt ja durchaus Hinweise, dass unsere offenen Grenzen Anziehungskraft auf Kriminelle ausüben." Da seien Gegenmassnahmen auf geheimdienstlicher Ebene "mehr als nur gerechtfertigt". Schlüer will nun abwarten, ob der Bundesrat hier tatsächlich eine bessere Methode vorschlagen wird.

---

NZZ 23.10.10

Qualität statt Quantität

 Der Bundesrat reagiert auf die Kritik an der exzessiven Sammlung von Daten beim Staatsschutz und gelobt Besserung

 Laut dem Bundesrat hat der Staatsschutz nicht rechtswidrig Daten gesammelt, doch nimmt die Regierung die Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments weitestgehend auf.

 Niklaus Nuspliger, Bern

 In einem Bericht von Ende Juni war die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) der eidgenössischen Räte mit dem Staatsschutz hart ins Gericht gegangen. Der mittlerweile im neuen Nachrichtendienst des Bundes (NDB) aufgegangene Inlandgeheimdienst DAP (Dienst für Analyse und Prävention) habe bei der Datenbearbeitung im Staatsschutz-Informationssystem Isis den gesetzlichen Anforderungen "in keiner Art und Weise" entsprochen, hielt die GPDel fest. Daten von 120 000 Personen und 80 000 (nicht direkt staatsschutzrelevanten) Drittpersonen hatten sich angehäuft. Aufgrund von Stichproben äusserte die GPDel Zweifel, ob bei der Datenerfassung die gesetzlichen Kriterien der Richtigkeit und Relevanz berücksichtigt worden seien. Zudem sei die vorgeschriebene periodische Überprüfung der Daten oft nicht erfolgt.

 Wer darf fichiert werden?

 Am Freitag hat der Bundesrat nun seine Stellungnahme zum Bericht veröffentlicht. Die Kritik, die DAP-Verantwortlichen hätten die Probleme heruntergespielt oder gar tatsachenwidrig darüber informiert, weist der Bundesrat aber ebenso zurück wie den Vorwurf der Untätigkeit an die Adresse der früheren Aufsicht im Polizei- und Justizdepartement. Auch die "pauschale Gleichsetzung" von Pendenzen mit Rechtswidrigkeit akzeptiert der Bundesrat nicht. Vielmehr, so schreibt er, hätten die Verantwortlichen bei der Datenerfassung den massgebenden Begriff der Staatsschutzrelevanz "gesetzeskonform" interpretiert.

 Der Bundesrat stützt sich dabei auf ein Gutachten des Bundesamts für Justiz (BJ), wonach sich der Begriff der "Staatsschutzrelevanz" "nicht mathematisch-exakt ermitteln" lasse. Vielmehr sei die Auslegung des Begriffs "zeitgebunden" und hänge von der Bedrohungslage oder den "momentanen politischen Bedingungen" ab. Diese Unschärfen belassen dem Staatsschutz weiterhin einen gewissen Spielraum. Allerdings kommt das BJ zum Schluss, dass die Staatsschutz-Datenbank Isis "eher den Charakter eines Verdachtsregisters" hat - was seitens des Nachrichtendiensts vor kurzem noch bestritten wurde. Gleichzeitig hält das BJ aber fest, dass auch unbescholtene Personen fichiert werden können, wenn sie etwa unwissentlich von extremistischen Kreisen kontaktiert werden. Doch sind nach Auffassung des BJ auch entlastende Hinweise zu registrieren. Und stellt sich der Verdacht bei der Überprüfung als unbegründet heraus, habe die Löschung aus der Datenbank "zügig" zu erfolgen.

 Nur das Notwendigste

 Was die mangelnde periodische Überprüfung und (allfällige Löschung) der Daten anbelangt, teilt der Bundesrat die Kritik der GPDel. "Künftig soll gelten, dass der NDB die Qualität vor die Quantität stellt", so der Bundesrat. "Der NDB verpflichtet sich, keine Daten dauerhaft zu bearbeiten, die das unabdingbar Notwendige für die Erfüllung seines Auftrags übertreffen." Eine Verringerung der Datenmenge sei auch rein betriebswirtschaftlich nötig.

 Verbesserungen verspricht sich der Bundesrat von einer Weisung von NDB-Direktor Markus Seiler von Anfang Juli, wonach bei der Datenerfassung nun restriktiver und gezielter vorgegangen werde. Die Qualitätssicherung soll zudem auf Verordnungsstufe klarer geregelt werden, auch im Hinblick auf den geplanten Ersatz von Isis durch ein neues System per 2012. Um die Datenmenge zu verringern, sollen neu auch Daten, die bloss die Tätigkeiten des NDB dokumentieren, nicht mehr in der eigentlichen Staatsschutz-Datenbank abgelegt werden.

 Auskunft unter Vorbehalt

 Der Bundesrat ist bereit, fast allen der 17 GPDel-Empfehlungen Folge zu leisten - was der GPDel-Präsident und Baselbieter SP-Ständerat Claude Janiak mit "grosser Zufriedenheit" quittierte. So sollen auch Daten, die seit mindestens fünf Jahren nicht überprüft worden sind, bis zu deren Beurteilung gesperrt werden. Das Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) wird beauftragt, das Prozedere zur Freigabe zu regeln und eine "vom NDB unabhängige Stelle" beizuziehen.

 Weiter ist der Bundesrat bereit, das Programm "Fotopasskontrolle" in seiner heutigen Form aufzulösen. Mit dem Programm werden Bürger bestimmter Länder bei der Einreise in die Schweiz automatisch registriert. Auf die Methodik will der NDB aber nicht verzichten: Über ein Nachfolgeprojekt will er der GPDel "klassifiziert" Bericht erstatten. Schliesslich will der Bundesrat in einer unmittelbar bevorstehenden Minirevision des Gesetzes über die Wahrung der inneren Sicherheit ein Auskunftsrecht einführen. Wer glaubt, in der Staatsschutz-Datenbank zu figurieren, kann darüber neu Auskunft verlangen. Analog zur Regelung im Bundesgesetz über die polizeilichen Informationssysteme kann der NDB aber übergeordnete Geheimhaltungsinteressen geltend machen.

 Im Hinblick auf die per Ende 2012 geplante Ausarbeitung eines neuen Nachrichtendienstgesetzes macht der Bundesrat aber auch deutlich, dass er einen starken und effizienten Nachrichtendienst für unabdingbar hält. Der präventive Staatsschutz rechtfertige bei existenziellen Bedrohungen von Demokratie und Rechtsstaat Einschränkungen der informationellen Selbstbestimmung, damit die Bürger ihre Grundrechte dauerhaft ausüben könnten.

---

NLZ 23.10.10

Bundesrat lässt weiter fichieren

Fichenaffäre

Karl Fischer

 Der Wirbel war gross, die Konsequenzen sind um einiges kleiner. Der Bundesrat verlangt vom Staatsschutz mehr Sorgfalt, legt ihn aber nicht in Ketten.

 Karl Fischer

 schweiz@neue-lz.ch

 In der Datenbank des Staatsschutzes (Isis) sind 200 000 Personen registriert. Darunter befinden sich 80 000 sogenannte Drittpersonen, die von den Staatsschützern in die Kartei aufgenommen wurden, weil sie in einem Bezug zu einer Person stehen, die vom Staatsschutz observiert wird. Das kann eine völlig zufällige Begegnung sein, etwa während einer Kundgebung.

 Praxis wird nicht geändert

 An dieser Praxis will der Bundesrat nichts ändern. Der Nachrichtendienst soll weiterhin Personen fichieren dürfen, die nicht direkt verdächtig werden und somit landläufig als "unbescholtene Bürger" gelten. Dies bekräftigt er in seinem gestern veröffentlichten Bericht, in dem er zu den Vorwürfen der Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlamentes Stellung nimmt.

 Die GPDel hatte im Sommer heftige Kritik am Staatsschutz geübt. Dieser habe auf Vorrat Daten gesammelt, dabei die Gesetze missachtet und damit sozusagen eine neue Fichenaffäre losgetreten. Die GPDel verlangte daher eine klare Definition, wer als "Drittperson" gelte. Das lehnt der Bundesrat ab. Der Begriff sei bereits klar geregelt, argumentiert er und verweist auf ein Rechtsgutachten des Bundesamtes für Justiz. Das war zum Schluss gekommen, die Staatsschutz-Datenbank habe zwar den Charakter eines Verdachtsregisters. Das heisse nicht, dass darin nur Verdächtige eingetragen werden dürften.

 Einträge wurden nicht gelöscht

 Der Bundesrat räumt ein, falls Drittpersonen definitv als unbedenklich eingestuft würden, müssten diese in der Isis-Datenbank gelöscht werden. Das, so gibt er zu, sei bisher nur unzureichend erfolgt. Die Fichen wurden eben nicht zügig gelöscht. Laut der GPDel betrifft dies einen Pendenzenberg von rund 100 000 Eintragungen. Der Bundesrat wehrte sich, diese Pendenzen dürften nicht pauschal als Schlamperei verurteilt werden. Einverstanden ist der Bundesrat mit der von der GPDel geforderten Datensperre: Daten, die vor fünf Jahren oder früher erfasst und seither nicht überprüft wurden, bleiben gesperrt.

 Der Nachrichtendienst muss die Daten überprüfen. Ob er sie danach wiederverwenden darf oder löschen muss, soll ein externer Datenschutzbeauftragter entscheiden. Jean-Philippe Walter, der Stellvertreter des Datenschützers Hanspeter Thür, erklärte gestern gegenüber der Nachrichtenagentur SDA, dass der Bundesrat hier Mängel eingestehe, sei "insgesamt positiv". Wichtig sei nun, dass der Nachrichtendienst die gesammelten Informationen überprüfe und entscheide, welche für die innere Sicherheit relevant seien und welche nicht: "Man wird schauen müssen, was konkret getan wird", sagte Walter.

 Auskunftsrecht wird verbessert

 Wie der Bundesrat bereits früher angekündigt hatte, soll auch das Auskunftsrecht verbessert werden: Wer wissen will, ob der Nachrichtendienst Informationen über ihn sammelt, soll dies künftig erfahren dürfen.

---

20 Minuten 21.10.10

Die Fichenaffäre kommt ins Kino

 ZÜRICH. Überwacht, unterdrückt, verleumdet: "Manipulation" erzählt von den Machenschaften der hiesigen politischen Polizei, die 1989 für einen Riesenskandal sorgten. Der Polit-Thriller ist hochkarätig besetzt.

 1956: Der Schweizer Staatsschutz überwacht 10 Prozent der eigenen Bevölkerung. Als ein kompromittierendes Foto den Starreporter Werner Eiselin als sowjetischen Spion entlarvt, nimmt sich dieser im Verhörraum das Leben. Spezialagent Urs Rapold von der Antispionage-Abteilung plagen Zweifel: Waren die Fotos wirklich echt? Und warum hat der einflussreiche PR-Berater Dr. Harry Wind die Fotos überhaupt machen lassen? "Manipulation" basiert auf Walter Matthias Diggelmanns Roman "Das Verhör des Harry Wind".

 Produzent des Films ist der Basler Alex Martin. Er wurde selbst fichiert: "Pascal Verdosci, der Regisseur von ‹Manipulation›, und ich haben damals eine Jugendzeitschrift herausgegeben. Offenbar hatte deren Titel ‹Gruppe 84› etwas Subversives."

 Im Film gehe es um die Schicksale, die die Observation ausgelöst habe: um die ruinierten Karrieren, die zerstörten Existenzen. Genau halte sich das Drehbuch nicht an die Romanvorlage. "‹Manipulation› wird aus der Sicht Rapolds erzählt", verrät Martin. Der Spezialagent liefert sich mit dem manipulativen PR-Berater Dr. Harry Wind ein Katz-und-Maus-Spiel. Bis er realisiert, dass er selbst Teil des Komplotts ist. Golden-Globe-Gewinner Klaus Maria Brandauer spielt Rapold, Sebastian Koch mimt Dr. Harry Wind: für Martin eine "Traumbesetzung". Yvonne Zurbrügg

-------------------------------
SQUAT FRIBOURG
-------------------------------

Freiburger Nachrichten 21.10.10

Kollektiv Raie-Manta macht weiter auf sich aufmerksam

 Nach zwei Hausbesetzungen hat das Freiburger Kollektiv Raie-Manta gestern Abend den Musikpavillon auf dem Python-Platz in Beschlag genommen.
 
Karin Aebischer

 Freiburg Mit Musik, Plakaten, Apfelkuchen und Bier wollte das Kollektiv Raie-Manta am Mittwochabend erneut auf seine Anliegen hinweisen. "Squat the world" oder "Die Häuser gehören jenen, die sie bewohnen" steht auf den weissen Tüchern, die am Geländer des Musikpavillons auf dem Python-Platz hängen. Auch Bilder verschiedener besetzter Häuser aus ganz Europa sind zu sehen. Ziel sei es aufzuzeigen, wie ein besetztes Haus aussehen könnte, sagt ein Sprecher des Kollektivs gegenüber den FN. "Wenn wir keinen Platz haben, um Kultur zu leben, nehmen wir uns den Platz", meint er zur neusten Aktion des Kollektivs. Die Aktionen sollen fortgeführt werden, bis ein geeignetes Haus gefunden ist. "Wir brauchen Platz, um uns zu entfalten und Kultur auszuleben", sagt er. Die Diskussion über mehr Kulturraum werde in der Stadt Freiburg schon seit Jahren geführt. Leider ohne Erfolg.

 Die jungen Frauen und Männer der alternativen Szene haben seit Ende September durch zwei Hausbesetzungen von sich reden gemacht (die FN berichteten). Das erste Gebäude an der Industriegasse haben sie aus eigenen Stücken verlassen. Die zweite Besetzung wurde mit einem gewaltlosen Polizeieinsatz beendet.

---

La Liberté 21.10.10

Les squatters offrent l'apéro

Marc-Roland Zoellig

 A défaut d'immeuble, le Collectif Raie Manta a squatté, hier après-midi, le kiosque à musique de la place Python. Le temps d'un apéro festif - qui, ciel maussade oblige, n'a pas attiré les foules - ses jeunes membres ont expliqué leur démarche au public. En revenant sur les circonstances dans lesquelles ils ont été évacués, il y a un peu plus d'une semaine, de l'immeuble qu'ils avaient occupé en haut de la Route-Neuve, à Fribourg.

 "Les douleurs des menottes et les regards mornes des forces de l'ordre nous ramenèrent très vite à la dure réalité: le capitalisme formate, détruit, tue - et s'attaque à tout ce qui ne rapporte pas d'argent", écrivent-ils dans un tract distribué hier aux passants. En papotant devant un verre de jus de pomme, on constatait très vite que le collectif était plus décidé que jamais à concrétiser son projet de vie alternatif. Une nouvelle occupation paraît d'ores et déjà programmée. Et les squatters n'ont pas l'intention de collaborer avec les autorités fribourgeoises, qu'ils accusent de les avoir réprimés au nom du système marchand.

 C'est donc sans autorisation qu'ils ont déplié leurs tables de pique-nique et leur sono, hier après midi à la place Python. Disposés à côté des gâteaux confectionnés pour l'occasion, plusieurs tracts et publications détaillaient les raisons conduisant les squatters à investir des locaux laissés à l'abandon au nom, selon eux, des "logiques pas franchement humaines du marché", telles que la spéculation ou de "lointains projets pharaoniques". I

---

Indymedia 20.10.10

erfolgreiches squatter Apéro / Sauvage in Fribourg ::

AutorIn : manta         

Heute fand auf dem place georges-python, mitten in Fribourg ein squatter Apéro mit Musik, Infostand und Feuershow statt. Die Besetzer wollten damit auf die Räumung und ihren ungebrochenen Willen aufmerksam machen. Es folgt der text des verteilten tracts:     
    
Freiraum in Fribourg jetzt!

Am frühen Morgen des 12.10 erwachten wir in unserem Haus durch den gewaltsamen Einbruch des Sondereinsatzkommandos der Freiburger Polizei. Als wir gefesselt, mit dem Kopf zur bunt bemalten Wand standen, versuchten wir die schrecklichen Bilder wütender Möchtegern Antiterror-Einheiten durch Erinnerungen an die letzte Nacht zu verdrängen:

Denn die Nacht vor der Räumung verbrachten wir zusammen mit unseren Freundinnen und Freunden - wir musizierten, liebten, tanzten, gaben den grauen Wänden die Farben des Lebens zurück. Inmitten der grauen Innenstadt, wo sich Konsumtempel an Konsumtempel reiht, stand unser Haus offen für alle Personen ohne Uniform. Dies nutzten viele Passanten um mit uns den Abend in einem befreiten Raum zu feiern.

Die schmerzenden Fesseln und die toten Blicke der Staatsgewalt warfen uns jedoch bald wieder auf den Boden der Tatsachen zurück: Der Kapitalismus normiert, zerstört, tötet - und vertreibt alles, was kein Geld bringt!

Zur Erinnerung: Wir wollen in einem der leerstehenden Häuser der Stadt Freiburg neuen Wohnraum erschliessen, einen Raum für Diskussionen, Filme, Konzerte und Vorführungen einrichten, eine Bibliothek mit einem Info- und Gratisladen, eine Volksküche, einen Gemeinschaftsgarten und viele weitere Projekte ins Rollen bringen.
Die gewaltige Repression, welche die Staatsgewalt, mit der Galionsfigur Carl-Alex Ridoré, gegen uns richtet, ist durch das Polit- und Wirtschaftssystem strukturell bedingt. Deswegen wenden wir uns nicht mit Appellen an die Politik, sondern handeln selbst und stellen die herrschende Logik grundsätzlich in Frage.

Heute ist nicht alle Tage - wir kommen wieder, keine Frage!

Kollektiv Raie Manta

-------------------
SQUAT ZH
-------------------

NZZ 23.10.10

Aktivisten besetzen Zürcher Hotel Atlantis
 
Gebäude seit August ungenutzt

 tri. · Aktivisten haben am Freitagmorgen das einstige Zürcher Nobelhotel Atlantis am Fuss des Üetlibergs besetzt. Laut einem Flugblatt wollen sie den Ort für "öffentliche Veranstaltungen, Ausstellungen und Präsentationen" nutzen. Wie ein Sprecher der Stadtpolizei Zürich auf Anfrage sagte, steht die Polizei in Kontakt mit den Besetzern. Anlass zum Handeln gebe es vorerst nicht, es sei noch keine Anzeige der Genfer Besitzer des 2004 geschlossenen Hotels eingegangen. Wie viele Personen sich an der Besetzung beteiligen, ist unbekannt. Das Hotel Atlantis war 1970 als eines der besten Häuser Zürichs eröffnet worden, Mitte der neunziger Jahre setzte der Niedergang ein. Von Anfang 2009 bis August dieses Jahres diente es noch als Übergangszentrum für Asylsuchende.

--------------------------------------
KULTUROFFENSIVE LU
---------------------------------------

20 Minuten 21.10.10

Kulturoffensive: Traum von Zbinden-Druckerei geplatzt

 LUZERN. Die ehemalige Zbinden-Druckerei kann nicht kulturell genutzt werden. In der Liegenschaft entstehen Büroräume.

 Das ist ein harter Schlag für die Kulturoffensive: Mit der ehemaligen Zbinden-Druckerei glaubte man den idealen Raum für Kulturschaffende gefunden zu haben. Doch der Besitzer der Liegenschaft will davon nichts wissen: Ein Grossteil des seit drei Jahren leer stehenden Gebäudes sei jetzt vermietet. "Die Verträge sind unterzeichnet. Da gibt es nichts mehr zu rütteln", sagte er gestern auf Anfrage. Das Haus werde nun renoviert und sei am 30. September 2011 bezugsbereit. Einziehen werden dann Büroangestellte statt Kulturschaffende.

 Trotz diesem Rückschlag hält die Kulturoffensive an ihrem Konzept fest. "Wir brauchen mehr Räume für Künstler", sagt Irina Lorez von der Kulturoffensive. Denn durch die Frigorex-Schliessung im nächsten Sommer werde sich die Lage noch verschlimmern. Jetzt zählt Lorez auf die Hilfe der Stadt: "Wir hoffen, dass diese nochmals mit dem Besitzer verhandelt." Denn eine alternative Liegenschaft hat die Kulturoffensive nicht zur Hand. Das Standortproblem soll nun Ende November bei einem Treffen mit der Stadt besprochen werden.  

Martin Erdmann

----------------------------
GENEVE BOUGE
-----------------------------

Indymedia 20.10.10

Heisses Wochenende in Genf ::

AutorIn : Calvingrader         

Stadt für alle subito! Die Stadt und die Genfer Bullen erwarten ein heisses Wochenende. Am Freitag findet eine Protestparty auf der Plaine de Plainpalais statt und am Samstag scheint die Usine etwas zu planen, was genau ist leider unklar. Die Proteste richten sich v.a. gegen die Schliessungen alternativer (und teils auch weniger alternativer) Kulturlokale in den letzten Jahren. Dazu kommt noch, dass die Faschos ihr von der Navy Bar abgesagtes Konzert offenbar an einem anderen Ort in der Altstadt planen.     

Es begann alles mit einer Facebook-Gruppe: Jemand hat zu der "grössten Party, die Genf je gesehen hat" aufgerufen und bereits etwa 5000 haben ihr Kommen angekündigt, während 5000 weitere noch zögern. Der Anlass soll schliesslich, gemäss behördlichen Angaben (siehe:  https://ch.indymedia.org/fr/2010/10/78217.shtml), toleriert werden, es scheint jedoch niemand genau zu wissen, was zu erwarten ist. Viele Leute zweifellos, denn viel Möglichkeiten, einen Freitagabend mit FreundInnen zu verbringen, ohne dafür ein Vermögen auszugeben, gibt es in Genf nicht mehr. Der ganze Spass beginnt um 20 Uhr auf der Plaine de Plainpalais.
Weiter geht's Samstagabend. Die Usine ruft fürs Wochenende zu einer gigantischen Party in ihren Räumlichkeiten auf. Doch der Aufruf ist ambivalent, es wird darin nämlich einerseits geklagt, dass jedes Wochenende mehreren Hundert Leuten der Eintritt verwehrt werden muss, andererseits aber dazu aufgerufen, alle in die Usine zu kommen. Die Verantwortlichen liessen durchblicken, dass irgendwas geplant ist, wollten jedoch nicht sagen was. Die Gerüchte, sie planten, zu streiken, scheinen nicht ganz aus der Luft gegriffen. Ein weiteres Gerücht besagt, dass eine Sauvage geplant sei.
Am gleichen Abend soll auch das Konzert des Faschogrüppchens "Genève non conforme" in der Altstadt stattfinden, ein Aufruf diesbezüglich wurde bereits auf Indy gepostet ( https://ch.indymedia.org/de/2010/10/78183.shtml). Der Aufruf zur Demo ( https://ch.indymedia.org/de/2010/10/78195.shtml) scheint hingegen ein Fake zu sein, oder zumindest aus zweifelhaften Quellen zu stammen. Das Konzert wurde von den Verantwortlichen der Navy Bar abgesagt, sie seien "ehrliche Geschäftsmänner und wollen keine politischen oder polemischen Veranstaltungen" in ihrer Bar. Gemäss Angaben auf der Homepage der Nasen soll das Konzert jedoch in einem anderen Lokal in der Nähe stattfinden, in welchem ist nicht bekannt.
"Genève non conforme" ist ein kleines, national-revolutionäres Grüppchen, das wohl aus 5 bis 10 Leuten besteht. Sie sind keine Unbekannten in Calvingrad: Omar Orlandini war auf der Liste der Thor-Steinar-Besteller, seine Freunde Kevin und Florian sowie er waren früher leninistische Redskins, die nun ihre Liebe für die Heimat entdeckt haben. Zuerst bei der mittlerweile aufgelösten "Unité populaire", gründeten sie nach dessen Untergang besagtes Grüppchen. Obwohl sie nur wenige sind, ist es schwierig abzuschätzen, wieviele schliesslich an diesem Konzert sein werden. Sie sind sicher im Kontakt mit der Westschweizer Faschoszene, dass bewiesen die Fotos vor ein paar Monaten von der Kundgebung in Lausanne gegen die Lehre für Sans-Papiers, wo man sie in Mitten von Jung-SVPlern und den "Jeunesses identitaires" sieht. Die Links und Ankündigungen auf der Homepage lassen vermuten, dass auch Kontakte zur PNOS, sowie zu italienischen und anderen Faschogruppen bestehen.
Die Polizei hat also wohl nicht ganz unrecht, in der Tribune de Genève zu verkünden, dass dieses Wochenende ihnen Sorgen bereite ( http://www.tdg.ch/geneve/actu/week-end-festif-geneve-police-dents-2010-10-20). Für sie wird es demzufolge wohl kein freies Wochenende geben, sie künden nämlich ein grosses Dispositiv an. Es wird wohl Überstunden geben für die Cops. Interessanterweise hat die Polizeigewerkschafte gestern verkünden lassen, die Verhandlungen bezüglich Überstundenentschädigungen seien beendet und der Polizeiverantwortlichen Isabelle Rochat quasi den Krieg erklärt ( http://www.tdg.ch/geneve/actu/syndicats-police-rompent-negociations-2010-10-19). Alles in allem, eine Gleichung mit ziemlich vielen Unbekannten, aber sicher nicht ganz das, was sich Bullen und Yuppies unter einem ruhigen Wochenende vorstellen...

------------------
BAKUNIN
------------------

Tagesanzeiger 22.10.10

Inspiration Schweiz (30)

 Bakunin in Minusio

 Da kommt der grosse König der Internationale

Tages-Anzeiger

 Sein ganzes Leben lang hatte Michail Alexandrowitsch Bakunin mit Löwenmut und russischen Bärenkräften auf allen Barrikaden Europas gekämpft. Zweimal war er zum Tode verurteilt, im Kerker von Olmütz wie Prometheus an die Wand gekettet und vom Zar persönlich lebenslänglich nach Sibirien verbannt worden; aber immer wieder hatte er sich befreit und in die nächste Schlacht geworfen. 1873, nach einer Reihe von Niederlagen und persönlichen Demütigungen, war Bakunin nur noch müde, krank und niedergeschlagen. Bakunins Meisterschüler Netschajew hatte sich als durchgeknallter Hochstapler entpuppt, sein Erzfeind Marx hatte ihn aus der Internationalen geworfen.

 In dieser Stunde der Verzweiflung erschien Bakunin ein "Engel". Carlo Cafiero, ein reicher italienischer Anarchist, schenkte seinem Idol eine herrschaftliche Villa in Minusio, nahe der italienischen Grenze. La Baronata war nicht nur ein standesgemässes Altersdomizil. Das Haus war auch strategisch günstig gelegen und so geräumig, dass Bakunin - ein Pumpgenie, unfähig zu geregelter Arbeit, aber grosszügig-kommunistisch, wenn er gerade mal Geld hatte - Freunde, Verwandte und revolutionäre Schnorrer unterbringen konnte. Der Keller bot Platz für Waffen, Dynamit und Druckmaschinen, den weitläufigen Park wollte der neue Hausherr zum Mustergarten anarchischer Landwirtschaft umbauen.

 Die Villa Baronata, seine Hölle

 An den lieblichen Gestaden des Lago Maggiore vollendete Bakunin "Staatlichkeit und Anarchie", sein einziges zu Lebzeiten erschienenes Buch: Jede Regierungsform, auch und gerade die "Diktatur des Proletariats", tendiere dazu, sich selbst zu verewigen. Macht korrumpiert Herrscher wie Beherrschte; Sozialismus ohne Freiheit kann daher nur "Privilegienwirtschaft und Ungerechtigkeit, Sklaverei und Brutalität" sein. Die Kampfschrift, so wortgewaltig, ausschweifend und assoziativ sprunghaft wie ihr Autor, wurde für fast hundert Jahre die Bibel aller Anarchisten: Die russischen Sozialrevolutionäre folgten begeistert Bakunins Aufruf, ins Volk zu gehen und demütig seine Erfahrungen zu teilen; die Studentenbewegung entdeckte ihn 1968 neu als hellsichtigen Kritiker des despotischen Kommunismus.

 Es hätte alles so schön werden können. Aber ausgerechnet im Paradies fand der "Satan der Revolte" seine letzte Hölle. Bakunin und die Baronata: Das war eine einzige Tragödie, ein Missverständnis, wie so vieles in seinem Leben. Ungeachtet seiner furchteinflössenden Gestalt und seines wilden Brummens ("Gift, Dolch, Strick - die Revolution rechtfertigt alle Mittel") war Bakunin ein kindlich gutmütiger Gemütsbär. Wenn die Kinder dem freundlichen Riesen mit dem Schlapphut begegneten, riefen sie spöttisch-respektvoll: "Da kommt der grosse König der Internationale". Jetzt wollte er nur noch ausruhen und seine Wunden lecken. Aber La Baronata sollte nach dem Willen von Bakunins Gönner keine gemütliche Seniorenresidenz, sondern das Hauptquartier der Weltrevolution werden. Cafiero beobachtete mit wachsendem Befremden, wie der alte Revoluzzer "auf italienische Art, gemächlich und sorglos" wirtschaftete, wie Ricarda Huch es in ihrer Bakunin-Biografie formuliert. Am 13. Juli 1874 kams zum Eklat. Am selben Tag, an dem Bakunin seine Frau Antonia nach zweijähriger Trennung mit Freudenfeuern begrüsste, vertrieb Cafiero, der Engel, ihn mit Schimpf und Schande aus dem Paradies.

 Der Anarchist lockt Touristen

 Bakunin ist wütend und niedergeschlagen. Als selbst enge Vertraute von ihm abfallen - wie kann ein Anarchist Gemeineigentum für private Zwecke missbrauchen, ja allen Ernstes Rechtsansprüche auf ein Geschenk erheben? -, will er nur noch sterben. Natürlich auf den Barrikaden, ehrenhaft "wie ein Samson", wie es seinem sentimentalen, theatralischen Naturell entspricht. In Bologna wirft er sich 1874 noch einmal mit gezückter Pistole in die Schlacht - und flieht dann doch, zu seiner ewigen Schmach in Priesterkleidern; Riccardo Bacchelli hat 1927 in seinem Roman "Il diavolo al pontalungo" Bakunins letzte Komödie beschrieben. Besiegt und zertreten, physisch, finanziell und politisch-moralisch am Ende, stirbt der grosse Anarchist 1876 in Bern. Dort, auf dem Bremgartenfriedhof, wird er auch begraben.

 La Baronata, in den Achtzigern von Hausbesetzern mit Bakunin-Masken zum Gemeineigentum umfunktioniert, ist heute wieder in Privatbesitz. Der Park ist längst unterhöhlt und verbaut mit Schnellstrassen, Eisenbahntunneln und Beton. Immerhin blieb der erste Revolutionstourist am Lago Maggiore nicht ohne Nachfolger: Nur ein paar Kilometer weiter, auf dem Monte Verità, machten sich wenig später Anarchisten, Ausdruckstänzer und Vegetarier auf, seinen Traum von einem gastfreundlichen Haus für Weltverbesserer aus aller Herren Länder zu verwirklichen.

 Heute wirbt Minusio mit dem Propheten schöpferischer Zerstörung für entspannte Ferien; Immobilienmakler preisen Luxusappartements mit Blick auf den Schlupfwinkel des Berufsrevolutionärs an. Michael Schumacher, berichten Einheimische, soll zeitweilig mit dem Kauf der Baronata geliebäugelt haben.

 Martin Halter

--

 Inspiration Schweiz

 Wir stellen in dieser Serie Schauplätze in unserem Land vor - Städte oder Landschaften, die Schriftsteller, Künstler, Filmemacher und Musiker zu ihren Werken angeregt haben. Zuletzt erschienen die Folgen Ernest Hemingway in Genf (4. Juni), Erich Maria Remarque in Porto Ronco (1. Juli), Alfred Hitchcock in St. Moritz (4. August) und Thomas Bernhard in Zizers und Chur (20. September.). (TA)

----------------------------
ANTISEXISMUS
----------------------------

Indymedia 23.10.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/10/78280.shtml

Wandbild-Aktion gegen Antifeministen: noch mehr Fotos ::

AutorIn : reader         

hier noch (viele) mehr Fotos von der Aktion gestern:
 http://www.aufbau.org/index.php?option=com_zoom&Itemid=92&catid=85

und eine kleine auswahl     

hier noch mehr Fotos von der Aktion gestern:
 http://www.aufbau.org/index.php?option=com_zoom&Itemid=92&catid=85

und eine kleine auswahl     

---

Indymedia 22.10.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/10/78268.shtml

Wandbild-Aktion: Den Antifeministen aufs Maul! ::

AutorIn : Bündnis gegen das Antifeminismus Treffen         

Plakatwand Communiqué zur Wandbild-Aktion heute, 22. Okt. 2010, in Zürich gegen den Antifeministen-Kongress.     

Heute am 22. Oktober 2010, gegen 18 Uhr, haben 50 Personen die Bauwand / Bauabsperrung gegenüber der Sihlpost in Zürich grossflächig mit Bildern, Symbolen und Texten beklebt. Zur Aktion wurden Flugblätter verteilt.

Der in Luzern wohnhafte SVP-Mann Rene Kuhn und seine im April gegründete Interessengemeinschaft Antifeminismus (IGAF) rufen zum *1. Internationalen Antifeminismus-Treffen *auf. Mit reaktionärer Stimmungsmache gegen Frauen, treffen sie sich am 30. Oktober 2010 in Uitikon/Zürich im Giardino Verde.

Mit der Parole *"Gemeinsam gegen Sexismus, den Antifeministen aufs Maul geben!"* rufen wir zur Kundgebung auf:

Samstag, 30.10.10, 11 Uhr, Uitikon, Dorfplatz.

Bündnis gegen das Antifeminismus Treffen

---

Indymedia 22.10.10

Antifeminismus-Kongress in Uitikon ::

AutorIn : Bündnis gegen das Antifeminismus-Treffen         

Mobilisierungsplakate gegen den Antifeminismus-Kongress     
    
Plakat
http://ch.indymedia.org/media/2010/10//78260.pdf
Wandzeitung
http://ch.indymedia.org/media/2010/10//78261.pdf

Gemeinsam gegen Sexismus und Antifeminismus
Den Antifeministen aufs Maul geben!

----------------------------------------
ZWISCHENGESCHLECHT
----------------------------------------

Weltwoche 21.10.10

Weder Mann noch Frau

 Menschen ohne eindeutiges Geschlecht wurden früher unfreiwillig auf Mädchen oder Knabe getrimmt. Heute seien Intersexuelle akzeptiert, behaupten Mediziner. Interessengruppen widersprechen und fordern "Menschenrechte für Zwitter".

 Von Alex Reichmuth und Kat Menschik (Illustration)

 Schon früh wusste Reno aus Bayern, dass sie anders ist als andere Mädchen. "Ich verhielt mich schon immer eher männlich", sagt die 38-Jährige, die sich unter ihrem geschlechtsneutralen Übernamen zitieren lässt. Reno spielte mit Buben, trieb mit ihnen Sport und besuchte in der Schule den Werkunterricht. Reno wirkt auch äusserlich ziemlich männlich, wird sogar oft für einen Mann gehalten. Als sie pünktlich mit zwölf Jahren die Periode bekam, war Reno enttäuscht. "Ich wollte nie eine Frau sein."

 Als Frau gelten will hingegen Caster Semenya. Die südafrikanische 800-Meter-Läuferin wurde im Anschluss an ihren überraschenden Weltmeistertitel 2009 vom Weltleichtathletikverband vorübergehend gesperrt. Der Grund: Verdacht auf Intersexualität, die der Läuferin einen unfairen Vorteil verschafft haben könnte. Semenya musste eine Geschlechtsuntersuchung über sich ergehen lassen.

 Eine solche Untersuchung hat auch Reno aus Bayern hinter sich - allerdings freiwillig. So bekam sie im Alter von dreissig endlich bestätigt, dass sie das adrenogenitale Syndrom hat, also intersexuell ist. Genetisch ist Reno eine Frau. Aber ihr Körper produziert wegen einer vergrösserten Nebenniere zu viel männliche Sexualhormone - was zu einer Ver- männlichung der Körpers führt. Zwitter zu sein, war für Reno eine Erlösung: "Endlich hatte ich schwarz auf weiss, dass ich biologisch anders bin und nicht etwa an psychischen Problemen leide."

 Mit sich im Reinen sein - davon kann Jessika-Katharina Möller-Langmaack, kurz Jessi, aus Niedersachsen nur träumen. "Ich habe auf dieser Welt nichts mehr verloren", sagt die 28-Jährige. Sie leide an einer "kaputten Psyche", nach all dem, was sie durchlebt habe. Von aussen ist Jessi zwar als Frau erkennbar. Aber: "Ich habe einen Penis." Oder zumindest etwas Ähnliches. Sie habe früher versucht, selber "den Genitalbereich umzugestalten" - was aber scheiterte, weil sie ohne Erfahrung und Betäubung vorging. Manchmal kratze sie sich "da unten" aber so lange, bis alles entzündet sei. Jessi benutzt drastische Worte: "Vielleicht fault das Teil ja irgendwann ab."

 Genetisch ist sie tatsächlich männlich. Ihre Geschlechtschromosomen sind XY - wie bei einem Mann. Aber ihr Körper reagiert kaum auf männliche Hormone. Die männlichen Geschlechtsmerkmale sind darum schwach ausgebildet. Dem sollte nachgeholfen werden: Jessi wuchs als Knabe auf und bekam ab dem dreizehnten Altersjahr männliche Hormone. Fünf Jahre lang musste sie Testosteron schlucken, obwohl sie nie ein Mann sein wollte. Mit achtzehn rebellierte sie. Sie erkämpfte sich einen weiblichen Vornamen und nahm fortan weibliche Hormone zu sich. Der jahrelange Kampf um die körperliche und seelische Identität hat Spuren hinterlassen - sie leidet an Selbstzweifeln und Depressionen.

 "Kastriert" und "zurechtgestutzt"

 Laut einer Studie des Hamburger Instituts für Sexualforschung hat fast jeder zweite intersexuelle Mensch schon an Suizid gedacht. Jeder zehnte hat sich bereits selber körperlich verletzt. Viele Intersexuelle wachsen mit einem Stigma auf: Sie spüren, dass sie anders sind. So unheimlich anders, dass man es niemandem sagen darf: eine Art Monster. Vor allem in früheren Jahrzehnten wurden intersexuelle Kinder über ihre körperliche Besonderheit nicht aufgeklärt. Nur hinter vorgehaltener Hand machten Ärzte und Eltern allenfalls Andeutungen, mit finsterer Miene. Dazu kamen in vielen Fällen Operationen, Behandlungen und Untersuchungen, oft vor Scharen von Medizinstudenten, deren neugierigen Blicken sich die "abnormen" Kinder schutzlos ausgeliefert sahen.

 Eine grosse deutsche Studie deckte 2008 auf, dass etwa achtzig Prozent der befragten 400 intersexuellen Menschen operiert worden sind - meistens als Neugeborene oder Kleinkinder. Viele von ihnen wurden nicht oder ungenügend über Diagnose und Behandlungen aufgeklärt. Ein grosser Teil der Betroffenen ist noch immer unzufrieden mit dem Resultat dieser Operationen und Behandlungen.

 Im Gegensatz zu Jessi, die lange männliche Hormone einnehmen musste, wurden die meisten Intersexuellen zu Frauen gemacht - frei nach dem medizinischen Grundsatz, dass, ein "Loch" zu machen, einfacher ist, als einen "Pfahl" zu bauen. So wurden vielen Kindern die im Bauch verborgenen Keimzellen oder Hoden wegoperiert, die zu gross geratene Klitoris zurechtgestutzt (oft unter Verlust der Empfindungsfähigkeit), der Harnausgang versetzt oder eine sogenannte Neovagina angelegt (die dann während Jahren mit einem Stab gedehnt werden musste). Und sie bekamen jede Menge Hormone und Medikamente, meist aber keine klaren Informationen. Die Betroffenen litten an den Folgen schmerzhafter Eingriffe und an Narben, wurden wegen der Hormone später fettleibig oder neigen heute zu Stoffwechselstörungen, Diabetes und Osteoporose.

 Daniela Truffer, 45, aus Zürich hat solches erlebt. Als sogenannter XY-Frau wurden ihr mit zweieinhalb Monaten die Hoden wegoperiert und mit sieben Jahren das Genital operativ verkleinert. Mit zwölf Jahren bekam sie künstliche Hormone, die nach der Entfernung wichtiger Genitalien nun lebensnotwendig waren. Aufgeklärt und informiert wurden weder sie noch ihre Eltern. Daniela Truffer ahnte aber immer, dass sie "abartig" war. Endgültige Gewissheit hatte Truffer erst vor fünf Jahren, als ihr das Spital, in dem sie damals behandelt wurde, ihre Krankenakte auslieferte. "Das Kind ist ein Mädchen [. . .], die ganze Erziehung hat sich danach zu richten", steht in diesen Akten. Und: "Mit niemandem ausser den Eltern und dem Arzt [. . .] soll über die Geschlechtsfrage weiter diskutiert werden."

 Sie sei "kastriert" und "zurechtgestutzt" worden, sagt Daniela Truffer. Ihre Hoden habe man "weggeschmissen". Truffer ist heute die bekannteste Schweizer Vorkämpferin für Intersexuelle. In der von ihr präsidierten Organisation Zwischengeschlecht.org haben sich etwa ein Dutzend Menschen mit uneindeutigem Geschlecht gefunden. "Wir sind keine Therapiegruppe, sondern eine Menschenrechtsgruppe", stellt Truffer klar. Kampf statt Mitleid ist angesagt.

 Das Bestreben, Kinder ohne eindeutiges Geschlecht zu Buben oder Mädchen zu machen, geht auf den amerikanischen Geschlechterforscher John Money zurück. Er war überzeugt, dass ein Kind mit der entsprechenden Erziehung in jeder Geschlechterrolle glücklich werden könne - vorausgesetzt, es wisse nichts über seinen ursprünglichen Zustand. Vor allem in den sechziger und siebziger Jahren waren Operationen, um Kindern zu einem eindeutigen Geschlecht zu verhelfen, anerkannter medizinischer Standard.

 Gesellschaftliche Zwänge

 Die Zeit der Zwangsoperationen und der Heimlichtuerei sei längst vorbei - das sagen die Ärzte, die sich heute um intersexuelle Kinder kümmern. Laut Primus Mullis, Hormonspezialist am Berner Inselspital, sind allerdings gewisse Operationen und medikamentöse Behandlungen bei zwischengeschlechtlichen Kindern notwendig, zum Beispiel wenn ein ungünstig liegender Harnausgang Infektionen verursacht oder wenn eine vergrösserte Nebenniere, die zu viel männliche Hormone produziert, gleichzeitig auch zu lebensbedrohendem Salzverlust führt. Den Entscheid über allfällige Operationen und Behandlungen, sagt Mullis, treffe ein Team von Ärzten und Psychologen völlig transparent zusammen mit den Eltern. Wenn möglich, warte man mit einem Eingriff so lange, bis das Kind selber entscheiden könne.

 Es gebe aber auch gesellschaftliche Zwänge zu akzeptieren, meint Primus Mullis: "Wir leben nun mal in einem dualen Geschlechtersystem." Ein Kind müsse sich zwangsläufig einordnen - ob es nun operiert sei oder nicht. "Es gibt zum Beispiel keine öffentlichen WCs für Intersexuelle." Für Mullis ist darum jedes Kind, das ohne eindeutiges Geschlecht zur Welt kommt, ein "medizinisch-sozialer Notfall".

 Solche Äusserungen bringen die Intersexuelle Daniela Truffer in Rage. Viele Mediziner würden zwischengeschlechtliche Menschen noch immer nicht akzeptieren, den Eltern "Horrorgeschichten" auftischen und diese zu Behandlungen drängen, sagt Truffer. Sie verlangt, dass nicht lebensnotwendige Behandlungen und Operationen so lange verschoben werden, bis der heranwachsende Mensch selber einen Entscheid fällen kann. "Menschenrechte auch für Zwitter", fordert Truffer.

 Primus Mullis vom Inselspital hat für dieses Auftreten wenig Verständnis. Niemand mehr stelle heute die Rechte von Zwischengeschlechtlichen in Frage, sagt der Arzt, doch leider neigten manche Aktivisten zu Extremismus. Mullis weiter: "Dass es ein Problem sein soll, wenn ich nur schon die Worte ‹Störung› oder ‹Patient› in den Mund nehme, das frustriert mich."

 Ob auch die Rechte der südafrikanischen Läuferin Caster Semenya gewahrt wurden, ist umstritten. Als der Internationale Leichtathletikverband Semenya sperrte, reagierte man in Südafrika empört über die angekündigte Geschlechtsuntersuchung. Im vergangenen Sommer gab der Weltleichtathletikverband bekannt, dass Semenya wieder zu Wettkämpfen zugelassen ist. Ob die Läuferin eindeutig weiblich ist, erfuhr man nicht.

--

 Intersexuell ist nicht transsexuell

 Intersexuelle Menschen (auch Zwitter oder Hermaphroditen genannt) sind genetisch, hormonell oder aufgrund ihrer Geschlechtsorgane nicht eindeutig männlich oder weiblich. Je nach Definition ist jeder fünftausendste oder sogar jeder hundertste Mensch intersexuell. Eine häufige Form ist das adrenogenitale Syndrom (AGS): Die Betroffenen sind genetisch zwar weiblich. Wegen eines erblichen Defekts produzieren ihre Nebennieren aber zu viele männliche Sexualhormone, was zu einer Vermännlichung des Körpers führt. Die Klitoris gleicht oft einem kleinen Penis. Menschen mit einer Androgeninsensitivität (AIS) hingegen sind genetisch eigentlich Männer. Weil ihre Körperzellen aber nicht auf Geschlechtshormone reagieren, entwickeln sich die männlichen Geschlechtsmerkmale nicht. Die Betroffenen sehen äusserlich aus wie Frauen. Intersexualität ist nicht Transsexualität. Transsexuelle sind biologisch eindeutig männlich oder weiblich, fühlen sich psychisch aber dem anderen Geschlecht zugehörig und streben darum häufig eine Geschlechtsumwandlung an. (ar)

----------------------
HOMOHASS
----------------------

20min.ch 20.10.10

Hetze gegen Schwule: "Hängt sie auf!"

 Homophobie ist in vielen afrikanischen Ländern weit verbreitet. Nun giesst eine ugandische Zeitung zusätzlich Öl ins Feuer - unter anderem wegen ultrareligiösen Geistlichen aus den USA.

G. Olukya und J. Straziuso, AP

 Die Titelgeschichte der ugandischen Zeitung "Rolling Stone" listete die 100 "Top"-Homosexuellen Ugandas auf, mit Foto, Name und Adresse - und der Aufforderung "Hängt sie auf". Seit Erscheinen des Blattes Anfang Oktober sind mindestens vier der derart an den Pranger gestellten Männer angegriffen worden und viele von ihnen abgetaucht, wie die Aktivistin Julian Onziema berichtet. Das Haus einer der namentlich genannten Personen wurde von Nachbarn mit Steinen beworfen.

 Vor einem Jahr hatte ein Abgeordneter im ugandischen Parlament einen Gesetzentwurf eingebracht, der für homosexuelle Handlungen lebenslange Haft oder sogar die Todesstrafe vorsah. Die Initiative löste international einen Sturm der Entrüstung aus und wurde auf einen diskreten Wink von Staatspräsident Yoweri Museweni hin in aller Stille auf Eis gelegt. Doch die Betroffenen haben seither ein Jahr voller Übergriffe und Schikane hinter sich.

 "Bevor das Gesetz im Parlament vorgelegt wurde, haben sich die meisten Leute nicht darum geschert, was wir tun. Doch seitdem werden wir von vielen Schwulenhassern drangsaliert", berichtet der 27-jährige Patrick Ndede. "Das Aufsehen um das Gesetz hat viele Leute auf uns aufmerksam gemacht, und sie fingen an, uns zu misshandeln."

 Im Lauf des Jahres seien mehr als 20 Homosexuelle in Uganda angegriffen und weitere 17 verhaftet und ins Gefängnis gesperrt worden, berichtet Frank Mugisha von der Organisation Sexuelle Minderheiten Uganda. Zwei Jahre zuvor seien nur zehn Überfälle bekannt geworden.

 Schwulenhass keine Seltenheit

 Homophobie ist in vielen afrikanischen Ländern gang und gäbe. In Nigeria kann Homosexualität mit dem Tode oder mit Haft bestraft werden. Selbst in Südafrika, das als einziges afrikanisches Land die Schwulenehe erlaubt, werden Lesben zwecks "Umerziehung" von Banden vergewaltigt.

 Dem Gesetzentwurf des Abgeordneten David Bahati voriges Jahr war ein Besuch ultrareligiöser amerikanischer Geistlicher in Uganda vorausgegangen, die dafür werben, gleichgeschlechtliche Orientierung mittels Therapie umzupolen. Heute sagt der ugandische Pastor Solomon Male, er sei froh, dass das Gesetz noch nicht verabschiedet sei. Er findet aber auch, dass Untersuchungen angestellt werden müssten, um herauszufinden, "warum Homosexualität im Lande zunimmt".

 Die hetzerische Schlagzeile des "Rolling Stone" - nicht zu verwechseln mit dem Musikmagazin gleichen Namens - erschien am 9. Oktober, fünf Tage vor dem ersten Jahrestag der umstrittenen Gesetzesinitiative. In dem Artikel wird behauptet, dass die Homosexuellen in Uganda von einer unbekannten, tödlichen Krankheit befallen würden, und die oft gehörte Unterstellung wiederholt, dass Schwule sich an Schulen herumtrieben und eine Million Kinder rekrutierten. Kaum war das Blatt im Verkauf, wurde die Zeitung vom amtlichen Medienrat geschlossen - nicht wegen des Inhalts, sondern weil sie nicht ordnungsgemäss angemeldet war. Wenn die Formalitäten erledigt seien, dürfe die Zeitung wieder erscheinen, sagte der Sekretär des Medienrates, Paul Mukasa.

 Diese Entscheidung macht die Schwulenszene noch zorniger. Eine Klage gegen "Rolling Stone" sei in Arbeit, kündigt Onziema an. Sie gehe davon aus, dass die Zeitung ihre Anmeldung eingereicht habe und wieder erscheinen wolle. "Diese Art von Medien sollte in Uganda nicht erlaubt sein. Das schafft Gewalt und ruft zum Genozid an sexuellen Minderheiten auf", erklärt Mugisha. Justiz und Staat müssten sie vor solchen Medien schützen.

 "Im öffentlichen Interesse"

 "Rolling Stone" hat keine grosse Stammleserschaft in dem 32 Millionen Einwohner zählenden Land. Die erste Ausgabe des Blatts erschien am 23. August. Die Auflage beträgt 2.000 Exemplare - allerdings wird jede verkaufte Zeitung in Uganda von weiteren zehn Menschen gelesen.

 Chefredakteur Giles Muhame sagt, der Artikel sei "im öffentlichen Interesse" gewesen. "Wir waren der Ansicht, die Gesellschaft muss wissen, dass solche Typen in ihren Reihen existieren. Manche von ihnen werben kleine Kinder für die Homosexualität an; das ist böse und gehört blossgestellt", sagt er. "Kurz gesagt, wir haben das gemacht, weil Homosexualität illegal ist, inakzeptabel und eine Beleidigung unserer traditionellen Lebensweise."

 Den angeprangerten Personen hat der Artikel Schikane von Freunden und Nachbarn eingetragen. Schon seit dem Gesetzentwurf werde Homosexuellen die Wohnung gekündigt, sie würden auf der Strasse eingeschüchtert, grundlos festgenommen und tätlich angegriffen, sagt die Aktivistin Onziema. "Wir werden wie Ausgestossene behandelt", klagt Nelly Kabali. "Wir sind eine gefährdete Spezies im eigenen Land."

----------------------
ANTI-ATOM
-----------------------

NZZ 23.10.10

Trommeln gegen das Tiefenlager, Mitmachen bei der Standortsuche

 Zu- und Absagen der Gegner eines Atommüll-Endlagers zum Partizipationsverfahren

 Bei der Standortsuche für ein Tiefenlager sollen die Gegner einbezogen werden. Auf nationaler Ebene gelingt dies nicht, in den Regionen hingegen schon - ausser am Wellenberg.

 Davide Scruzzi

 Die Mobilmachung gegen die Tiefenlager-Projekte hat begonnen. In den vier neu vorgeschlagenen Standortregionen haben sich Widerstandsvereine gebildet, während im Zürcher Weinland und rund um den Wellenberg die Opposition ohnehin Tradition hat. Es werden Transparente gemalt, und wenn der Bund zu Informationsveranstaltungen lädt, wird vor dem Saal auf Fässern getrommelt. Einige Demonstranten reisen dafür offenbar von Ort zu Ort, doch die Orientierungsabende würden nicht gestört, sagt Heinz Sager, Mediensprecher der Nagra, der mit den technischen Abklärungen betrauten Genossenschaft von Bund und AKW-Betreibern. Erinnerungen an die Auseinandersetzungen um den Wellenberg vor rund zehn Jahren werden wach, doch vieles ist anders - Ergebnis einer umsichtigen Planung im Departement von Moritz Leuenberger. In den Regionen selbst wird man einen geeigneten Standort nicht mehr demokratisch ablehnen können, dafür ist die Bevölkerung zu Partizipationsverfahren eingeladen - ein Vorgehen mit demokratiepolitischem Neuigkeitswert. Die Gegner müssen dabei einen Weg zwischen Fundamentalopposition und Hilfe bei der Standortsuche finden.

 Umweltverbände nicht dabei

 Die nationalen Umweltverbände lehnen es ab, einem nationalen Beirat für das Partizipationsverfahren beizutreten. In diesen Wochen finden aber Gespräche zwischen dem Beirat und den Umweltverbänden statt. Man wolle kritische Fragen einbeziehen, sagt Michael Aebersold, der Tiefenlager-Verantwortliche beim Bundesamt für Energie (BfE). Viele solcher Fragen hat Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), einer im linken Spektrum tätigen Organisation. Der Prozess sei nicht ergebnisoffen, begründet sie ihre Distanz zum Partizipationsverfahren. Die SES betreibt eine nationale Kampagne gegen die jetzigen Projekte und koordiniert auch die neuen regionalen Vereine. Die auf Bundesebene politisch gut vernetzte SES ist zudem in der Lage, allfälligen regionalen Unmut auf das nationale Parkett zu hieven, nicht nur mit Blick auf die eidgenössische Abstimmung über das Tiefenlager am Ende dieses Jahrzehnts, sondern wohl auch hinsichtlich der AKW-Abstimmung in ein paar Jahren.

 Für die Gegner des Tiefenlagers bleibt das Problem, dass das Partizipationsverfahren nicht darüber entscheidet, ob ein Standort schliesslich in Frage kommt oder nicht. Doch nur in der Standortregion Wellenberg kam es - wohl aufgrund der bereits gescheiterten früheren Projekte - unter anderem seitens der Grünen vor einigen Wochen zu einem markanten Boykottaufruf gegen das Verfahren. Hingegen will etwa im Gebiet Nördlich Lägern Astrid Andermatt, Co-Präsidentin des Vereins LoTi ("Nördlich Lägern ohne Tiefenlager"), am Verfahren teilnehmen und dabei die Rolle einer kritischen Stimme übernehmen, also stets auf offene Fragen und Schwachstellen hinweisen. Das kategorische Nein zu einem Tiefenlager in der Region bleibe dabei bestehen, und parallel dazu laufende politische Aktionen gebe es auch. Von der Teilnahme erhofft man sich auch ausführliche Informationen; dabei hilft die Nagra selbst: Die Kritiker aus dem Aargau werden etwa das Nagra-Felslabor im Jura besuchen. Einen Monat nach der Gründung zählt LoTi bereits rund 100 Mitglieder. Die Gefahr eines Standorts in der eigenen Region werde den Menschen nun langsam klar, erklärt sich Astrid Andermatt den Mitgliederanstieg. Die SP-Grossrätin berichtet auch von bürgerlichen Gemeindevertretern, die beitreten.

 Schon seit längerem gibt es im Zürcher Weinland, der Region der ersten Untersuchungen am Opalinuston, Widerstand - daher hat der Verein mit dem Namen "Klar Schweiz" einen nationalen Anstrich. Obwohl die Gruppe auch gegen AKW Opposition betreibt, gibt man sich beim Partizipationsverfahren pragmatisch: Es mache keinen Sinn, nicht mitzumachen, sagt Peter Weiller von Klar Schweiz. Doch eine echte Mitbestimmung sei es nicht. Weiller ist überzeugt, dass ohne den bisherigen Widerstand andere Standortregionen gar nicht berücksichtigt worden wären.

 Für Sabine von Stockar ist trotz dem erbrachten technischen Entsorgungsnachweis, also der grundsätzlichen Machbarkeit, noch nicht alles geklärt, so etwa die Gasbildung in den Stollen oder die langfristige Kontrolle der Abfälle. Tatsächlich arbeitet die Nagra noch an der Lösung verschiedener Probleme. So wurden für die Abstützung der Lagerstollen neue Betontypen entwickelt. Für die SES sind aber solche Fragen zu klären, bevor die Standortsuche beginnt. Insbesondere sei es wichtig, dass der gleiche geologische Wissensstand über die Regionen bestehe. Dies fordern auch die Kantone (siehe Zusatztext).

 Grosse Regionalkonferenzen

 Michael Aebersold kündigt die zeitgerechte Beantwortung offener technischer Fragen an. Derzeit arbeitet der Bund am Aufbau der Partizipationsgremien, ausgehend von Startteams. Im Mittelpunkt stehen sogenannte Regionalkonferenzen mit 50 bis 150 Mitgliedern, die bis zum Frühling aus regionalen Gruppierungen, Behörden und gewöhnlichen Bürgern konstituiert werden und sich danach erstmals treffen. Ziel sei, sachlich über raumplanerische oder sicherheitstechnische Fragen zu diskutieren, sagt Aebersold. Natürlich müssen sich die Teilnehmer dabei an Spielregeln halten - es gibt auch Sitzungsentschädigungen.

--

 Klärung offener Fragen

 dsc. · Derzeit erarbeitet die Nagra eine Studie zum Stand des geologischen Wissens über die Standortregionen. Sie soll aufzeigen, ob noch weitere geologische Abklärungen für die nächste Etappe des Sachplanverfahrens nötig sind. Genau dies empfiehlt der Ausschuss der Kantone im Partizipationsverfahren. Heinz Sager von der Nagra macht kein Hehl daraus, dass die im November erscheinende Studie die bisherige Einschätzung der Nagra stützen wird, wonach dank bestehenden geologischen Daten nun kaum weitere, über geplante Analysen hinausgehende Untersuchungen nötig seien. Die Studie wird dann vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat geprüft, das letzte Wort hat der Bundesrat - ein Prinzip, das im Verfahren bei der Klärung anderer Fragen ebenfalls angewandt wird, auch wenn diese von den Regionalkonferenzen aufgeworfen werden.

---

Basler Zeitung 23.10.10

Die Frau mit der lachenden Sonne

Das Anti-Atomkraft-Symbol hat seine Schöpferin nicht reich und berühmt gemacht - aber froh

Hannes Gamillscheg, Aarhus

Vor 35 Jahren hat die Dänin Anne Lund das Anti-AKW- Signet geschaffen. Davon sind mehr als 20 Millionen Exemplare in 45 Sprachen verkauft worden.

Als sie im Fernsehen die Bilder aus Berlin sah, 100 000 Menschen auf den Strassen, mit Fahnen und Bannern, und zwischendrin immer wieder ihr Symbol, die lächelnde Sonne und der Slogan "Atomkraft, nein danke", da sei sie froh geworden, lacht Anne Lund. "Das war wie damals", sagt sie, damals, als sie selbst gegen Atomkraft demonstrierte, und als sie das Zeichen entwarf, das jetzt die nächste und die übernächste Generation hochhält. 1975 hat die damals 22-jährige Wirtschaftsstudentin auf einem Küchentisch im dänischen Aarhus das Sonnensignet auf ein Stück Papier gekritzelt. 35 Jahre später symbolisiert es immer noch den Widerstand gegen die Atomenergie.

Etwas bewirken

Es ist müssig zu fragen, wie sich der Meinungsstreit um die Atomkraft ohne die freundliche Sonne aus Dänemark entwickelt hätte. Doch es ist unbestreitbar, dass die Sonnenmarke einen Wiedererkennungswert hat wie die Shell-Muschel oder das M von McDonalds. Das hat ihre Schöpferin weder reich noch berühmt gemacht. Aber froh. "Es zeigt mir, dass das, was wir als Einzelpersonen tun, etwas bedeutet: Man kann etwas bewirken."

Die Frau, die inzwischen 57 ist, Diplomvolkswirtin und an einer Fachhochschule über Leitungsstrukturen unterrichtet, war Mitglied der Lokalgruppe der OOA, der "Organisation für Aufklärung über Atomkraft", wie sich die dänische Anti-AKW-Bewegung nannte. Anne Lund und ihr Mitstreiter Soren Lisberg sollten ein Treffen organisieren. "Wir langweilten uns und redeten über alles Mögliche." Zum Beispiel, dass man ein Symbol brauche für die Kampagne. Die Elektrizitätsgesellschaften machten Druck. Auch Dänemark sollte Atomkraft haben. Anne Lund war in Schweden gewesen und hatte die Methoden der dortigen Atomkraftgegner gesehen: ein Plakat mit geballter Faust, ein anderes mit einer Schwangeren, von Neutronenzeichen bedroht. "Starke Symbole. Aber wir wollten etwas Positiveres." Sie war stark von der gewaltfreien Aktion beeinflusst und glaubte mehr an Freundlichkeit als an Angstmache.

Höflich

Sie holte ein paar Skizzen aus der Kommode und legte sie auf den Küchentisch. Die Sonne war darunter. "Ich bin keine gute Zeichnerin, die ersten Versuche waren sehr unbeholfen." Doch das Zeichen wirkte. "Die Sonne gehört uns allen", sagt Anne Lund, die orange Farbe war Erbe der 60er-Ästhetik, das Gelb und Schwarz kam von den Schildern, die vor atomarer Strahlung warnen. Und der Slogan? Etwas mit Kernenergie? Nein, protestierte Soren, "Atomkraft muss es heissen". Dabei blieb es. Weil es ein "höfliches, freundliches Zeichen" sei, habe es so eingeschlagen, meint seine Schöpferin: Es sagt nicht nur Nein zur Atomkraft, es bejaht positive Alternativen, lädt zum Dialog ein, und es ist politisch ungebunden. "Ich wollte, dass auch eine 40-Jährige den Ansteckknopf an ihren chicen Mantel heften konnte."

Die ersten 200 Marken druckten sie auf einer primitiven Maschine, zum Verkauf am 1. Mai. Im Handumdrehen waren sie weg. Dann wurde nachgedruckt, Stickers, Abziehbilder, Aufkleber. Dann kamen Anfragen aus anderen Ländern, in 45 Sprachen wurde der Slogan seither verbreitet. Anne Lund reiste als Studentin durch Europa, und wo sie hinkam, fand sie ihr Zeichen.

Dänisches Nein

In Dänemark zumindest hatte der Kampf Erfolg. Dort beschloss das Parlament, auf die Einführung der Atomkraft zu verzichten. Der enorme Widerstand in der Bevölkerung, der quer durch alle Schichten ging, war der Hauptgrund für diesen Entscheid. Eine kleine Sonne hat wohl dazu beigetragen. Anne Lund hat sich seither oft gefragt, ob die Argumente von damals noch gelten. "Und jedes Mal komme ich zur Überzeugung: Ja, das tun sie." Das Abfallproblem ist nicht gelöst, die Verbreitungsgefahr von angereichertem Uran ist real. "Im Kampf ums Klima ist Atomkraft eine verlockende Alternative. Aber die Gegenargumente wiegen schwerer." Die Technologie, die man wähle, bestimme die Ausrichtung der Forschung, unterstreicht sie. Dänemark spielt, weil man auf Atomkraft verzichtete, heute eine Vorreiterrolle bei Windkraft, Fernwärme und Energiesparen. "Hätte man AKW gebaut, wäre das wohl anders gekommen."

Mehr als 20 Millionen von Anne Lunds Sonnenmarken sind inzwischen verkauft worden. Aus dem Erlös wurde erst der dänische Widerstand unterstützt, später auch der Anti-Atom-Kampf in anderen Ländern. Hätte sie für jedes Signet auch nur zehn Rappen bekommen, wäre Anne Lund reich geworden. "An so etwas habe ich nie gedacht", versichert sie. Auch um Ruhm ging es ihr nie. Alle in Dänemark kennen ihr Zeichen, doch kaum jemand weiss, von wem es stammt. Sie ist, in ihrer Villa mit Seeblick und ihrem im Forschungsmilieu tätigen Mann, auch so auf der Sonnenseite gelandet. Doch in ihr schlägt weiterhin das Herz der Aktivistin: "Das Wichtige sind die Botschaft, die Bewegung und die Menschen, aus denen die Bewegung besteht."

> http://smilingsun.org

---

Bund 22.10.10

Regierung für "Bern erneuerbar" und gegen AKW

 Der Regierungsrat spricht sich für die Volksinitiative "Bern erneuerbar" und gegen ein neues AKW aus.

 Der bernische Regierungsrat beantragt dem Grossen Rat, die Volksinitiative "Bern erneuerbar" dem Stimmvolk zur Annahme zu empfehlen. Die im letzten November von den Grünen eingereichte Initiative entspreche der kantonalen Energiestrategie, findet die Regierung.

 Mit der Forderung, dass ab 2035 der gesamte Strom- sowie der Energiebedarf für Heizung und Warmwasser im Kanton Bern grundsätzlich aus erneuerbaren Energiequellen gedeckt werden muss, fördere die Initiative einheimische und erneuerbare Energien, schreibt die Regierung in einer Mitteilung. Das Volksbegehren stehe deshalb auch mit dem neuen Energiegesetz im Einklang. Dass die Initiative konkrete Terminvorgaben und Zwischenziele enthält, findet die Kantonsregierung ebenfalls sinnvoll.

 Weiterhin gegen Mühleberg II

 Im Widerspruch zur kantonalen Energiestrategie, die den Ausstieg aus der Atomenergie anstrebt, steht für die Regierung hingegen ein neues Kernkraftwerk in Mühleberg. Die Regierung lehnt deshalb eine positive Stellungnahme zu Mühleberg II weiterhin ab - im Gegensatz zur vorberatenden Grossratskommission. Wie diese will die Regierung die Stellungnahme des Kantons an den Bund zu einem neuen AKW aber dem obligatorischen Referendum unterstellen. Die kantonale Volksabstimmung über ein neues AKW in Mühleberg wird voraussichtlich am 13. Februar 2011 stattfinden. (sda/pd)

---

BZ 22.10.10

Energiedebatte im Kanton Bern

 Nächste Runde im AKW-Streit

 Die Regierung eröffnet die nächste Streitfront: Sie unterstützt die Initiative "Bern erneuerbar" und damit den Atomausstieg.

 In Energiefragen haben Regierung und Parlament das Heu nicht auf der gleichen Bühne. Während der bürgerlich dominierte Grosse Rat bei jeder Gelegenheit die Notwendigkeit von Atomenergie und Atomkraftwerken betont, erwidert der mehrheitlich rot-grüne bernische Regierungsrat ebenso oft, der Energiebedarf könne künftig vollumfänglich durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Das Ritual wiederholte sich gestern. Die Regierung teilte mit, sie unterstütze die Initiative "Bern erneuerbar". Allerdings ist bereits absehbar, dass das Parlament die Initiative zur Ablehnung empfehlen wird.

 Die Initiative stammt von den Grünen und verlangt neben dem Ausstieg aus der Atomkraft, dass im Kanton Bern bis 2035 sämtlicher Strom und der Energiebedarf für Warmwasser und Heizung von erneuerbaren Energieträgern geliefert wird.

 Egger glaubt daran

 Faktisch verlangt die Initiative somit, dass in Mühleberg kein neues AKW gebaut wird. Das Ersatz-AKW ginge voraussichtlich um das Jahr 2025 ans Netz. Atomenergie dürfte im Kanton Bern bei einem Ja zu "Bern erneuerbar" allerdings nur bis 2035 verwendet werden. In einer Zeitspanne von nur zehn Jahren lässt sich ein AKW aber nicht amortisieren.

 Die Berner Energiedirektorin Barbara Egger (SP) sieht es jedoch nicht so absolut: "Die Initiative schliesst den Bau von Mühleberg 2 nicht explizit aus. Den Atomstrom könnte die BKW ab 2035 ja in andere Kantone oder ins Ausland verkaufen." Zur Initiative selbst sagt sie: "Die Stossrichtung stimmt." Unrealistisch sei die Vorgabe von "Bern erneuerbar" nicht, allerdings setze sie einen Ausbau etwa in der Wasserkraft voraus, den gewisse Kreise jedoch zum Teil behindern.

 Flück wartet auf Garantie

 Nicht begeistert darüber, dass die Regierung die Initiative zur Annahme empfiehlt, ist FDP-Grossrat Peter Flück (Brienz). Die Forderung nach einem Atomausstieg sei verfrüht. "Wir kommen nicht umhin, das AKW Mühleberg durch ein neues Kernkraftwerk zu ersetzen." Ihm fehle bislang die Garantie, dass bis in zehn, fünfzehn Jahren der Strombedarf allein durch erneuerbare Energien gedeckt werden könne.

 Das Stimmvolk wird am 15. Mai 2011 über die Initiative abstimmen.

 Philippe Müller

---

Langenthaler Tagblatt 22.10.10

Heftige Gewitter am Polithimmel

 Abstimmen Im Kanton Bern stehen 2011 drei Energievorlagen zum Entscheid an

Bruno Utz

 Gleich dreimal werden sich die Bernerinnen und Berner Anfang nächsten Jahres zu Energiefragen äussern können: Am 13. Februar steht die Konsultativbefragung zum Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg ins Haus. Und am 15. Mai kommen der Volksvorschlag zum Energiegesetz und die Initiative "Bern erneuerbar" an die Urne. Bei einem Ja zu dem von bürgerlichen Kräften lancierten Volksvorschlag würden die Hauseigentümer nicht gezwungen, einen Gebäudeenergieausweis erstellen zu müssen. Ebenfalls vom Tisch wäre die Förderabgabe auf Strom. Mit den Erträgen aus der Förderabgabe von 20 bis 40 Millionen Franken jährlich möchte der Kanton energetische Sanierungen von Gebäuden subventionieren. Das Geld flösse also an einen Teil der Hausbesitzer zurück. Was der nach den Erneuerungswahlen vom vergangenen März stärker von den Bürgerlichen dominierte Grosse Rat vom Volksvorschlag hält, wissen wir nach der Januarsession.

 Bis zum gleichen Zeitpunkt bleibt auch die Haltung des Parlaments zu "Bern erneuerbar" offen. "Bei uns könnte es knapp werden", sagt Patric Bhend (SP/Thun), Präsident der die Initiative vorberatenden grossrätlichen Kommission. Der Kommissionsentscheid hänge wohl von der Haltung der beiden FDP-Mitglieder ab. "Bern erneuerbar", die Initiative der Grünen, will verbindliche Termine in der Kantonsverfassung verankert haben. So soll der gesamte Energiebedarf für Heizung und Warmwasser von Gebäuden bis 2025 zu mindestens 75 Prozent und ab 2035 zu 100 Prozent grundsätzlich durch erneuerbare Energien gedeckt werden. Damit geht die Initiative deutlich weiter als die kantonale Energiestrategie.

 Trotzdem unterstützt der Regierungsrat "Bern erneuerbar". "Weil sie einheimische und erneuerbare Energien fördern will und die allgemeine Stossrichtung stimmt", erklärt Regierungsrätin Barbara Egger (SP) auf Anfrage. Damit stehe sie auch im Einklang mit der Energiestrategie. "Unser Entscheid ist aber nicht unbedingt eine Wertungsfrage", räumt Egger ein. Der Regierungsrat habe einfach keine Gründe für eine Ablehnung gesehen. "Die Haltung der rot-grünen Regierung überrascht mich nicht", sagt Adrian Kneubühler (FDP/Nidau), der ehemalige Präsident der grossrätlichen Kommission Energiestrategie. Im Grossen Rat werde es für "Bern erneuerbar" schwierig, eine Mehrheit zu finden. Die Grünen hätten wohl bei der SVP abgeguckt, wie man Schlagzeilen machen könne. "Die Initiative tönt zwar gut, sie ist aber kaum umsetzbar. Das ist nicht lösungsorientiert."

 Kneubühler und Regierungsrätin Egger hätten es begrüsst, wenn alle drei Vorlagen gleichzeitig an die Urne kommen würden. Kneubühler: "So müsste das Volk am gleichen Tag A und B sagen." Der Regierungsrat habe erfolglos um eine Fristverlängerung für die Stellungnahme des Kantons zum "Mühleberg"-Ersatz nachgesucht, erklärt Egger. Der Volksvorschlag und "Bern erneuerbar" hätten wegen der gesetzlich einzuhaltenden Fristen nicht vorgezogen werden können.

--

 Vorstösse: "Müssten BKW-Verwaltungsräte nicht haften?"

 Der Grosse Rat wird in den nächsten beiden Sessionen während mehrerer Tage über Atomstrom, ein neues KKW Mühleberg, Windenergie und Geothermie streiten. Neben der Volksinitiative Bern erneuerbar (vergleiche Hauptartikel) und dem Volksvorschlag zum neuen Energiegesetz warten derzeit nämlich bereits sechs Motionen, ein Postulat und neun Interpellationen zum Thema Energie auf die Beantwortung durch den Regierungsrat und die Debatte im Parlament. Am stärksten beschäftigt die Grossrätinnen und -räte der von der BKW gewünschte Ersatz des KKW Mühleberg, zu dem sich die Berner am 13. Februar äussern können. Räte von EVP, SP, Grünen und glp erkundigen sich gemeinsam nach der Rechtsgrundlage für eine persönliche Haftung der BKW-Verwaltungsräte im Falle von Atom-Umweltschäden. Kathy Hänny (Grüne/Kirchlindach) verlangt konkret Auskunft, was bei einem Atomunfall mit den davon betroffenen Häusern, Einrichtungen und Ländereien passiert. Die SP fordert einen Bericht, der das Potenzial für neue Arbeitsplätze dank erneuerbarer Energien und Energieeffizienz aufzeigt. Markus Grimm (Grüne/Burgdorf) will wissen, ob eine Brennelementesteuer den Ausstieg aus der Atomenergie ermöglichen würde. Die glp verlangt, mehr erneuerbare Energie für die Pumpspeicherung zu verwenden. Und die FDP fordert die Erstellung eines kantonalen Windrichtplanes. Ebenfalls die Freisinnigen rufen nach Abklärungen zum Potenzial der tiefen Geothermie im Kanton Bern. (uz)

---

Aargauer Zeitung 22.10.10

Aargauer für Beznau 3

Hans Lüthi

 Umfrage 55 Prozent der Aargauer und sogar 77 Prozent in der Standortregion befürworten das geplante Atomkraftwerk.

 Die atomfreundliche Haltung der Aargauer ist ungebrochen - und sie steigt mit der Nähe zum AKW Beznau. Das ergibt eine im Auftrag der Axpo vom Institut Demoscope durchgeführte Umfrage, die heute veröffentlicht wird und der az bereits vorliegt. 72 Prozent der Aargauer und 89Prozent in den Beznau-Gemeinden glauben, ohne Atomstrom sei die Versorgung nicht möglich. Eine grosse Mehrheit ist aber auch dafür, Sonne, Wind, Wasser und Holz für die Stromproduktion einzusetzen.

 Die neuen erneuerbaren Energien seien jedoch nicht in der Lage, den Wegfall der alten Beznau-Kraftwerke zu kompensieren. Davon ist die Mehrheit der 1077 befragten Personen überzeugt und spricht sich für das von der Axpo geplante Atomkraftwerk Beznau3 aus. Seite 29

--

Aargauer Mehrheit will Beznau3

Hans Lüthi

 Kernkraftwerk Die Akzeptanz für Beznau3 im Aargau ist gross. Gemäss einer Axpo-Umfrage sagen 55 Prozent der Aargauer und 77 Prozent in der Kernregion Ja. "So deutlich haben wir das nicht erwartet", sagt Axpo-CEO Heinz Karrer.

 Überraschend ist die Kernaussage zur Kernenergie nicht, aber die Axpo will präzis wissen, wie stark die Aargauer zu Beznau stehen. Denn: "Bei einem Nein des Kantons oder der Standortregion müssten wir sagen, das kann man nicht machen", betont CEO Heinz Karrer. Darum hat Demoscope im Axpo-Auftrag 1077 Personen befragt, fast die Hälfte davon in Böttstein, Döttingen, Klingnau, Leuggern, Tegerfelden, Villigen und Würenlingen. Seit Ende 2008 liegt das Gesuch um eine Rahmenbewilligung für Beznau3 - wie jenes für Mühleberg2 und Gösgen 2 - beim Bund, nach Prüfung durch das Ensi ist das Bundesamt für Energie zuständig.

 Mehrheit befürchtet Stromlücke

 Eine erstaunlich grosse Mehrheit von 67 Prozent im Aargau und 76 Prozent in der Region Beznau befürchtet Engpässe in der Versorgung, "ohne zusätzliche Investitionen in Kraftwerke aller Art". Von diesen Befragten sind 55 und 71 Prozent der Überzeugung, die erneuerbaren Energien (Sonne, Wind, Geothermie) seien nicht in der Lage, die Stromversorgung zu sichern. Aber die Befragten glauben, deren Anteil werde sich bis 2030 auf bis zu 40 Prozent erhöhen. Aus Sicht der Axpo ist das Wunschdenken, "wir gehen von 10 Prozent des heutigen Verbrauchs aus, wegen des Wachstums werden es 2030 nur 6 bis 7 Prozent sein", erklärt Karrer. Die Widerstände gegen viele Projekte seien enorm, bei den Gewässern durch die Fischer, bei Wind und Holz durch andere Gegner.

 Hoher Anteil von Atomstrom

 Atomstrom sei notwendig für das tägliche Leben, glauben 72 Prozent der Aargauer, in der Beznau-Region sind es gar 89 Prozent. Das ist nicht weit von der Realität entfernt, denn in allen Axpo-Kantonen von Appenzell über St.Gallen, Thurgau, Zürich bis in den Aargau kommt der Strom im Jahresmittel zu rund 70 Prozent aus nuklearer Quelle - inklusive Import aus Frankreich. Im Winter ist der Anteil noch höher, dann laufen die im Sommer revidierten Kraftwerke pausenlos auf Volllast. 57 Prozent im Aargau und 75 in der Kernregion befürworten einen AKW-Ersatz, fast alle am heutigen Standort.

 Zum konkreten Projekt Ersatzkernkraftwerk Beznau sind 43 Prozent der Aargauer "sehr positiv oder eher positiv" eingestellt, 27 Prozent "eher negativ oder sehr negativ". In der Standortregion bekennen sich 68 Prozent zu Beznau3. Hoch eingeschätzt wird die wirtschaftliche Bedeutung in den Gemeinden rund um Beznau, am höchsten mit 89 Prozent in Döttingen. Das AKW Beznau ist für 63 Prozent der Aargauer und für 86 Prozent in der Kernregion "ziemlich bis sehr sicher", 2 bzw. 4 Prozent sagen "überhaupt nicht sicher".

 Entscheid durch Schweizervolk

 Über die Strombefindlichkeit der Aargauer sagt die Umfrage fast alles, über die Zukunft des Atomstroms weniger aus. Denn darüber entscheidet das Schweizervolk - voraussichtlich 2013, laut Umfragen steigt die Akzeptanz, aber das Urteil ist offen. Bei einem Nein "haben wir keinen Plan B", bekennt Karrer. Mehr Import zu massiv höheren Preisen wäre eine Option, aber die Kapazität der Leitungen ist beschränkt. Übrigens: Eine grosse Mehrheit der Aargauer wünscht auch Strom aus Sonne, Wasser, Wind und Holz, noch vor Atom - ausser in der Beznau-Region.

---

Bund 21.10.10

Komitee gegen Atomausstieg

 Nach einem Pro-Komitee gibt es nun auch ein Kontra-Komitee zur Atomausstiegsinitiative "Energiewende Bern", die am 28. November in der Stadt Bern zur Abstimmung kommt. Es besteht aus Exponenten bürgerlicher Parteien und von Wirtschaftsverbänden. Das Co-Präsidium bilden FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, JF-Stadtrat Bernhard Eicher, Peter Bernasconi (Präsident SVP Stadt Bern), Mathias Tromp (Grossrat BDP), Dolores Dana (Stadträtin und Präsidentin FDP Stadt Bern) und Eveline Neeracher (Präsidentin Gastro Stadt Bern und Umgebung). Dies teilte die Sektion Bern des kantonalen Handels- und Industrievereins mit. Das Komitee will demnächst vor den Medien seine Argumente darlegen. (sda)

---

Basler Zeitung 21.10.10.

Forum

Gastbeitrag

Misstrauen ist angesagt

Günter Baitsch, Riehen*

 Das Vorstandsmitglied der atomkritischen Ärzteorganisation bezweifelt, wieweit AKW-Betreiber Verantwortung tragen können.

 Der finnische Neubau eines Atomkraftwerks in Olkiluoto (OL 3) ist offenbar ein finanzielles Fiasko. Bei der vom Schweizer Nuklearforum organisierten Journalistenreise nach Finnland hat BaZ-Redaktorin Susanna Petrin gut zugehört (BaZ 11. 10. 10).

Verantwortung

Der neue Atommeiler OL 3, von der französischen Staatsfirma Areva konzipiert, wird doppelt so teuer und auch nicht rechtzeitig fertig. Wie ist denn das nun mit der Verantwortung der Verantwortlichen bei Areva und bei der finnischen Betreiberfirma TVO? Man legt sich auf einen Festpreis fest und auf einen Termin. Beides stimmt aber nicht. Die Frage sei deswegen erlaubt: Kann man solch hochprofessionellen Firmen wirklich noch trauen - glauben, dass die Sicherheit des Endproduktes garantiert ist, wenn doch so verhältnismässig einfache Dinge wie Planung, Budgetierung und Bau schon nicht funktionieren? Da ist Misstrauen angesagt.

 Vor 50 bis 60 Jahren wurde in der Region Basel Chemiemüll vergraben - auch im festen Glauben, dies sei sicher - heute ist das ein Sanierungsfall. Die verantwortlichen Damen und Herren von Regierung und Chemie von vor 50 Jahren - wo sind sie? Es juckt sie nicht mehr.

 Und das Endlager in 520 Metern Tiefe? Auch hier sagen heute die Verantwortlichen, es sei "sicher". Welch unermessliche Hybris, was für eine Anmassung. Die Halbwertszeit dieser Verantwortlichkeit liegt vielleicht bei zwei bis maximal zehn Jahren. Die des strahlenden Atommülls jedoch zwischen Sekunden und Zehntausenden von Jahren. Wie können die Verantwortlichen es wagen, Verantwortung zu übernehmen für diesen Zeitraum?

 Wie können sie das mögliche Abschmelzen des Nordpols in ihrer Nähe, das Ansteigen des Meeresspiegels oder auch Seebeben einberechnen, wenn sie die Unwegsamkeiten des Baus einer Kraftwerksanlage nicht annähernd berechnen und die Bauzeit nicht vorausbestimmen können?

 Gewinn

Denn sie wissen nicht, was sie tun - oder vielleicht doch? Natürlich wissen sie ganz genau, dass man über diese nahezu unendlichen Zeiträume keine annähernd sicheren Vorhersagen machen kann. Ihre Aufgabe besteht darin, Atomenergie zu produzieren, zu verkaufen und für den Konzern einen Gewinn zu realisieren - hierfür sind sie angestellt und werden dafür bezahlt. Das vorgeschobene Argument der Energiesicherheit ist dabei wichtiger als die ethischen Grundlagen unserer Gesellschaft: "Handle so, dass du die Menschheit sowohl in deiner Person als auch in der Person eines jeden anderen jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloss als Mittel brauchst", schrieb Immanuel Kant in der "Grundlegung zur Metaphysik der Sitten".

 * Der Autor ist Arzt und Vorstandsmitglied der PSR/IPPNW Schweiz, Ärztinnen und Ärzte für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkriegs.

 Den AKW-Betreibern ist die vorgeschobene Energiesicherheit wichtiger als ethische Grundlagen.

---

Aargauer Zeitung 20.10.10

Entsorgung dauert eine Million Jahre

 Ehrendingen Bewohner konnten sich über ein mögliches Tiefenlager in ihrer Region ein Bild machen

Martin Rupf

 Schon in 20 bis 30 Jahren könnte in Ehrendingen eine Empfangsanlage stehen, von der aus radioaktiver Abfall in ein Tiefenlager geführt wird. Die Region um Nördlich Lägern ist eine von sechs möglichen Standorten für ein Tiefenlager (siehe Kasten).

 Dass diese Vorstellung beim einen oder anderen Einwohner Ehrendingens - aber auch umliegender Gemeinden - ein mulmiges Gefühl auslöst, war nicht zu übersehen. So strömten knapp 200 Besucher an die Informationsveranstaltung Tiefenlager, zu der die Gemeinde eingeladen hatte. "Ehrendingen ist von den Plänen auch betroffen, weshalb es wichtig ist, dass sich die Menschen informieren können", sagte Gemeindeammann Renato Sinelli. Er zeigte sich deshalb hocherfreut, dass sowohl Gegner wie auch Befürworter eines Tiefenlagers den Weg nach Ehrendingen gefunden hatten.

 Abfälle hier und heute entsorgen

 Zum Auftakt erläuterte Micheal Aebersold vom Bundesamt für Energie (BFE), nach welchen Kriterien der Bund die Tiefenlager-Standorte bestimmen will. "Wir sind uns einig, dass der Abfall dort entsorgt werden muss, wo er produziert wird - also in der Schweiz", sagte Aebersold. Und: "Die Probleme müssen heute gelöst werden und dürfen nicht künftigen Generationen überlassen werden."

 Piet Zuidema von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) ging weiter ins Detail: "Wir wollen die Abfälle dort lagern, wo es langfristig stabil ist." Untersuchungen hätten gezeigt, dass sich die Geologie in der Nordschweiz besonders dazu eigne. "Wir sind in dieser Region auf 180 Millionen Jahre alten Opalinuston gestossen", so Zuidema. Dieses Gestein eigne sich für die Endlagerung, weil es undurchlässig sei und sich nicht bewege. "Nach der Lagerung werden die Abfälle maximal 200 Jahre beobachtet. Danach wird das Tiefenlager dauerhaft geschlossen", führte Zuidema weiter aus.

 "Abfälle müssen rückholbar sein"

 Doch genau daran stört sich die Schweizerische Energie-Stiftung (SES). "Es dauert eine Million Jahre, bis die Abfälle nicht mehr radioaktiv sind", sagte Sabine von Stockar. Es sei deshalb unverantwortlich, die Abfälle nach 200 Jahren unkontrolliert ihrem Schicksal zu überlassen.

 "Es ist unbestritten, dass eine Lösung für die radioaktiven Abfälle gefunden werden muss", sagt von Stockar. Doch bei den jetzt geplanten Tiefenlagern seien einfach noch zu viele Fragen offen: Wie verändert sich das Gestein durch die Abwärme der Abfälle oder bei der Bildung von Gasen? Überhaupt nicht vorhersehbar seien zudem Naturereignisse wie zum Beispiel Gletschergänge. "Das haben wir untersucht", entgegnete Felix Altdorfer vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi). "Gletscher ziehen immer durch die gleichen Gebiete."

 Geri Müller geht es zu schnell

 SES-Präsident und Vizeammann von Baden, Geri Müller, stört sich am eingeschlagenen Tempo: "Wir könnten noch bis 50 Jahre für ein Tiefenlager forschen; nutzen wir doch diese Zeit." Auch für Müller ist klar: "Die Abfälle muss man jederzeit zurückholen können." Überhaupt habe er Mühe mit dem Begriff "Entsorgung", weil die Abfälle nicht entsorgt, sondern lediglich gelagert würden.

 Michael Aebersold (BFE): "Es ist schlicht nicht möglich, diese Abfälle auf Zehntausende Jahre rückholbar zu machen - das wäre unbezahlbar."

 Lager auch für künftigen Abfall

 Die zentrale Frage eines Besuchers bei der abschliessenden Fragerunde lautete: "Das tönt für mich alles nach einem abgeschlossenen System. Aber wir produzieren doch immer mehr Abfall?" Das treffe zu, so Aebersold. "Die geplanten Tiefenlager seien jedoch auf die Abfallmengen ausgelegt, die in den nächsten Jahren noch produziert werden." Für die Lengnauer Grossrätin Astrid Andermatt ist klar: "Wir wollen hier kein Tiefenlager, weil noch viele Fragen offen sind." Zudem würden unabhängige Studien zur Verträglichkeit eines Tiefenlagers mit dem Standort Nördlich Lägern fehlen.Kommentar rechts

--

 Update

 Anfang 2008 hat das dreistufige Auswahlverfahren für zwei Tiefenlager begonnen. Im Frühling 2009 schlugen das Bundesamt für Energie (BFE) und die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sechs Regionen dafür vor: das Zürcher Weinland (ZH/TG), Nördlich Lägern (AG/ZH), Bözberg (AG), Jurasüdfuss (AG), Wellenberg (NW/OW) und Südranden (SH). Im Kanton Aargau sind 85 Gemeinden tangiert - bei Bözberg 44, Nördlich Lägern 13 und beim Jurasüdfuss 28 Gemeinden. Die Auswahl geschah gestützt auf die Geologie im Untergrund. Die laufende 1. Etappe wird mit dem Anhörungsverfahren der Standorte beendet. Mitte 2011 entscheidet der Bundesrat, welche Standorte weiter untersucht werden. Diese haben dann die Möglichkeit, in der Etappe 2 bei der Konkretisierung der Lagerprojekte sowie den Untersuchungen der sozioökonomischen und raumplanerischen Auswirkungen mitzuarbeiten. Voraussichtlich 2016 wird der Bundesrat die Standorte festlegen. (mru)

--

Kommentar

 Sicherheit als oberstes Gebot

Martin Rupf

 Gewiss: Es ist richtig, dass die Gemeinde Ehrendingen zur Informationsveranstaltung Tiefenlager eingeladen hat. Die Bewohner dieser Region haben ein Recht, über die Pläne des Bundes zu einem geologischen Tiefenlager in ihrer Umgebung aufgeklärt zu werden. Die ganze Sache hat aber einen Haken. Wenn sich der Bundesrat 2016 nach zehnjährigem Auswahlverfahren für einen oder zwei Tiefenlager-Standorte entscheidet, wird sich die betroffene Bevölkerung gegen diesen Entscheid nicht wehren können. Denn das neue Kernenergiegesetz sieht kein Vetorecht mehr vor.

 Was die Betroffenen als Eingriff in ihre demokratischen Rechte empfinden, macht aber Sinn. Gäbe es das Vetorecht noch, würde ein Tiefelager in der Schweiz nie Realität. Doch ein solches braucht es. Selbst wenn die jetzigen Kernkraftwerke dereinst abgebrochen werden, fällt 100000 Kubikmeter radioaktiver Abfall an.

 Es ist verständlich, dass sich an den sechs möglichen Standorten Widerstand formiert. Denn es ist absehbar, dass der Bundesrat den Standort - alle erfüllen die Sicherheitskriterien - auswählen wird, wo der politische Widerstand am kleinsten ist. Im Fall von Nördlich Lägern ist der Widerstand legitim, trägt die Region mit Fluglärm und Kiesabbau doch schon genug Lasten der Allgemeinheit.

 Dem Widerstand haften aber zwei Mängel an: Erstens wehren sich auch solche, die weiter an der Kernenergie festhalten wollen. Zweitens mutet es kleinlich an, wenn sich in der kleinen Schweiz die Standorte gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben. Wir reden hier von einer Lagerung radioaktiver Abfälle für die nächsten 1000000 Jahre. Sicherheit ist dabei das oberste Gebot, der Standort sekundär.

 martin.rupf@azmedien.ch

---

Bund 20.10.10

"Berns Ausstieg aus der Atomenergie ist bereits im Gang"

 Ein breites Bündnis wirbt vor der Volksabstimmung vom 28. November für ein doppeltes Ja zum Atomausstieg der Stadt Bern.

 Simon Thönen

 Als passendes Lokal zum Auftakt des Abstimmungskampfes hat das Komitee "2 x Ja für die Energiewende Bern" das Restaurant O bolles gewählt: Das Bio-Restaurant am Berner Bollwerk hat den städtischen Energiepreis 2010 gewonnen, weil es seinen Stromkonsum mit effizienten Geräten reduziert hat und den restlichen Bedarf vollständig mit Wasserkraft und Solarenergie deckt.

 Was im Kleinen möglich ist, kann auch die Stadt Bern schaffen, ist das Komitee überzeugt: aus der Atomenergie aus- und in eine umweltfreundliche Stromversorgung einsteigen. "Der Umstieg auf erneuerbare Energien ist technologisch machbar, wirtschaftlich sinnvoll und schafft neue Arbeitsplätze", betonte gestern Natalie Imboden, Grossrätin des Grünen Bündnisses.

 Kampagne für doppeltes Ja

 Nicht weniger als zehn Redner und Rednerinnen warben im Namen von rund zwanzig Stadtparteien und Umweltorganisationen für ein doppeltes Ja in der städtischen Volksabstimmung vom 28. November: für die Volksinitiative "Energiewende Bern" und ebenfalls für den Gegenvorschlag von Gemeinde- und Stadtrat.

 Beide Vorlagen wollen dasselbe erreichen. Das stadteigene Werk Energie Wasser Bern (EWB) soll aus den heutigen Beteiligungen an AKW aussteigen und voll auf eine Stromversorgung mit erneuerbaren Energien setzen. Unterschiedlich ist nur die Frist: Die Initiative gibt EWB zwanzig Jahre Zeit - bis 2031. Der Gegenvorschlag des Gemeinderates würde EWB bis 2039 Zeit zur Umsetzung einräumen. Wichtiger als die Frage, wann der AKW-Ausstieg stattfindet, ist dem Komitee, dass er stattfindet - deshalb die Kampagne für ein doppeltes Ja. Bei der Stichfrage geben die meisten Parteien der Initiative den Vorzug, während etwa die EVP für den Gegenvorschlag plädiert. Noch nicht festgelegt haben sich diesbezüglich GFL und GLP.

 Rot-Grün und grüne Mitte vereint

 Im Grundsatz jedoch sind sich die Parteien des rot-grünen Lagers und der grünen Mitte, die sonst das Heu nicht immer auf der gleichen Bühne haben, beim Thema Energie einig. "Das Argument, Atomstrom sei CO2-frei, ist schlicht falsch", sagte Kathrin Bertschy, Stadträtin der Grünliberalen. Vor allem der Uranabbau verursache einen erheblichen CO2-Ausstoss. Eine Endlagerung des Atommülls sei "schwierig, teuer und weit von einer Lösung entfernt", betonte Flavia Wasserfallen, Co-Präsidentin der städtischen SP und Grossrätin.

 "Als Kind war ich begeistert vom Kernkraftwerk Mühleberg, als junger Erwachsener demonstrierte ich gegen ein AKW in Graben", sagte EVP-Stadtrat Martin Trachsel, "heute interessieren mich erneuerbare Energien und Optimierungen beim Energieverbrauch." Deshalb habe er eine Solaranlage auf seinem Hausdach. Bereits 2013 könne EWB die Beteiligung am französischen AKW Fessenheim aufgeben, unterstrich die ehemalige GFL-Grossrätin Lilo Lauterburg - dies dank der umweltfreundlichen Elektrizität, die EWB in der neuen KVA im Forsthaus produzieren wird. Lauterburg: "Der Ausstieg aus der Atomenergie ist bei EWB bereits im Gang."

---

BZ 20.10.10

Bern: Abstimmung zur Energiewende

 "Städte haben Vorreiterrolle"

 Die Stadt Bern soll in 20 bis 30 Jahren ohne Atomstrom auskommen. Ein breites Komitee strebt die "Energiewende Bern" an.

 Bevor die Initiative "Energiewende Bern" stand, glaubte Energie Wasser Bern (EWB) nicht an den Atomausstieg. Nun, so legte Natalie Imboden gestern vor den Medien dar, setzt sich der städtische Energieversorger das Ziel selber. Für Imboden, die im Initiativkomitee sitzt und das Grüne Bündnis präsidiert, ist das bereits ein Erfolg. EWB will aber mehr Zeit, als die Initiative dem Unternehmen einräumt: Statt 2030 visiert dieses 2039 an. Der Gemeinderat hat dem Volksbegehren deshalb einen Gegenvorschlag mit der längeren Frist zur Seite gestellt.

 Das   Initiativkomitee empfahl gestern den Stimmberechtigten, dass am 28. November die Weiche vor allem in Richtung Atomausstieg gestellt werden soll. Erreichbar sei das Ziel auf beiden Wegen. Entscheidend sei der Wille, die dafür nötigen Investitionen an die Hand zu nehmen.

 EWB ist bereits an der Arbeit

 EWB rechnet in seinem Marschplan mit 941 Millionen Franken bis ins Jahr 2039. Müsste es das Tempo verschärfen, erhöhten sich die Kosten empfindlich. Mit der neuen Kehrichtverwertungsanlage (KVA) Forsthaus unternimmt EWB den ersten wichtigen Schritt. Dank der neuen KVA wird EWB ab 2013 keinen Strom mehr vom französischen AKW Fessenheim beziehen müssen.

 Neben neuen Produktionsanlagen bauen sowohl EWB wie auch die Initianten auf mehr Energieeffizienz. "Würden stets die besten Technologien angewandt, könnten 30 Prozent Strom gespart werden", sagte Annette Reiber von Greenpeace.

 Untragbare Risiken

 Geboten ist der Ausstieg für das Komitee aus verschiedenen Gründen: "Jodtabletten im Spiegelschrank sind keine beruhigende Massnahme", meinte etwa EVP-Stadtrat Martin Trachsel. Das Risiko eines Atomkraftwerks sei zu hoch, ein Unfall hätte zu weit reichende Folgen. Die Umgebung von Tschernobyl sei für die nächsten 24 000 Jahre unbewohnbar, rief JA-Stadträtin Lea Bill in Erinnerung. In Bern lebten 440 000 Menschen in den Gefahrenzonen 1 und 2 des AKW Mühleberg.

 Zudem sei Atomenergie keineswegs klimafreundlich. Es entstehe etwa gleich viel Kohlendioxid wie bei einem modernen Gaskraftwerk, wurde vorgerechnet. Von einem neuen Atomkraftwerk würden vor allem die Energieunternehmen profitieren. Der Ausbau bei zukunftsträchtigen erneuerbaren Energieträgern bringe dem Gewerbe mehr.

 Erfolge in Basel und Zürich

 Basel verzichtet seit Jahren auf Atomstrom, Zürich beschloss den Ausstieg 2008. "Städte nehmen eine Vorreiterrolle ein", so Nadine Masshardt, SP-Grossrätin und WWF-Co-Präsidentin. Nun sind die Stadtberner dran, und im Frühjahr nehmen die Stimmbürger im Kanton Stellung zum Thema. Flavia Wasserfallen, Co-Präsidentin der SP-Stadt-Sektion, ist zuversichtlich, dass Einsicht vorhanden ist: "Niemand wird künftig deswegen morgens mit nassen Haaren das Haus verlassen müssen, weil der Föhn nicht läuft."
 cab

---

20 Minuten 20.10.10

Anti-Atomstrom-Komitee geht an die Öffentlichkeit

 BERN. Gestern hat das Abstimmungskomitee für den Atomausstieg seine Argumente vorgestellt. Das Komitee besteht aus rund 20 Parteien, Verbänden und Umweltorganisationen und will am 28. November ein Berner Volks-Ja gegen Atomstrom erreichen. Der Ausstieg sei technologisch machbar, wirtschaftlich sinnvoll und schaffe neue Arbeitsplätze, sagte etwa Grossrätin Natalie Imboden (Grünes Bündnis) am gestrigen Anlass. Kollegin Flavia Wasserfallen (SP) fügte an: "Es geht auch darum, radioaktiven Abfall zu vermeiden, den niemand bei sich gelagert haben will."

---

Telebärn 19.10.10

Bern soll auf Atomkraft verzichten
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/bern-soll-auf-atmokraft-verzichten/c=84713&s=1051028