MEDIENSPIEGEL 2.11.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Kino, Rössli, DS)
- Cafeteria: Neue Ideen gesucht
- Bollwerk: Le Ciel-Eröffnung
- Stadtrat 4.11.10
- RaBe-Info 1.+2.11.10
- Antifa: Lautstarke Demo in Langenthal
- Pnos: Wahlabfuhr in Roggwil
- Alki-Treff Biel: Immer noch keine Alternativen
- Squat ZH: Transpi-Kunst; Atlantis-Hin-und-Her
- Kulturstreik GE: Strassenfest gegen Partynot
- Gentrification: Stadt für alle
- Police VD: Manipulationen
- Police ZH: Chreis 4 Cop
- Police GR: Angriffe
- Police CH: Zugsicherheit; bewaffnete Bahnpolizei
- Anti-Feminismus: Grosse Worte im geheimen Untergrund
- Alkohol: schädlicher als Heroin oder Crack
- Ausschaffungen: Veranstaltung; Ausschaffungsknast ZH; Ausschaffungszahlen; bblackboxx.ch
- Migration Control: Tessin; EU-Grenze; Griechenland
- Anti-Atom: Mühleberg; Ausstieg BE; Preisdebatte; Endlager

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REITSCHULE
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Mi 03.11.10
19.30 Uhr - Rössli   - Zyklus "Willkommen im Paradis" Zwangsausschaffungen - Werden Tote in Kauf genommen? Veranstaltung mit Augenauf Bern

Do 04.11.10
20.30 Uhr - Kino - Ohne Frauen keinen Frieden: Snijeg - Snow, Aida Begic, Bosnien und Herzegowina 2008
20.30 Uhr - Tojo - Ein Heimspiel. Von Theater Ararat. Regie: Hanspeter Utz.
21.00 Uhr - Rössli - DJ Jane Vayne. -- Broadband Spectrum

Fr 05.11.10
20.30 Uhr - Tojo - Ein Heimspiel. Von Theater Ararat. Regie: Hanspeter Utz.
21.00 Uhr - Kino - Ohne Frauen keinen Frieden: Pray the Devil Back to Hell, Gini Reticker, USA 2008
22.00 Uhr - Frauenraum - POPSHOP feat. Rubinia DJanes. Mit DJ Nordlicht und DJ Ellen V.
22.00 Uhr - Dachstock - Dubby Clubnight: FILEWILE (CH) & 340 ML (RSA/MZ), DJ Kev the Head. -- Dub, Electronica

Sa 06.11.10
18.00 Uhr - Kino - Ohne Frauen keinen Frieden: Pray the Devil Back to Hell, Gini Reticker, USA 2008
20.30 Uhr - Tojo - Ein Heimspiel. Von Theater Ararat. Regie: Hanspeter Utz.
21.00 Uhr - Kino - Ohne Frauen keinen Frieden: Sturm, Hans-Christian Schmid, D/DK/NL 2009
22.00 Uhr - Dachstock - 20 Jahre Gassenküche: DEXTER JONES CIRCUS ORCHESTRA (SWE), ZENO TORNADO (CH), EXENTERATION (CH). -- Rock, Country, Metal, Blues

So 07.11.10
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SousLePont - bis 16.00 Uhr
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilm am Flohmi-Sonntag: Muli - Ein Film über Menschen, Maultiere und Maulesel in der Schweiz, Schweiz 2010, Ines Meyer, Dialekt, 80 Minuten. In Anwesenheit von Maultieren
19.00 Uhr - Tojo - 1 m2 Freiheit. Von Lemon Kuliba. TOJ, Jugendarbeit Bern West. Regie: Azad Süsem.
20.00 Uhr - Rössli - JAPANESE NEW MUSIC FESTIVAL: Tatsuya Yoshida, Atsushi Tsuyama und Makoto Kawabata. -- Noise, Rock, New Music
20.15 Uhr - Kino - Zusammen TATORT gucken

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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Bund 2.11.10

Friedensfrauen auf Berns Plätzen

 Frauen sind "keine Friedensanfängerinnen" - und dennoch werden sie bei Friedensverhandlungen weltweit kaum beachtet. In Bern macht eine Plakatausstellung auf diesen Missstand aufmerksam.
 
Simona Benovici

 Friedensplakate in Berns Strassen - ein ungewohntes Bild, aber seit gestern Realität. Auf sechs wichtigen Plätzen der Stadt - dem Casino-, Waisenhaus-, Rathaus-, Helvetia-, Kornhaus- und Viktoriaplatz - prangen insgesamt 25 Bildsujets. Zu sehen sind Frauen: starke, schwache, mächtige und ohnmächtige. Sie alle haben eines gemeinsam: Sie kämpfen für den Frieden. Zehn Jahre ist es her, seit der UN-Sicherheitsrat die Resolution 1325, "Frauen, Frieden und Sicherheit", einstimmig verabschiedet hat: Frauen sollen an allen Friedensprozessen und -verhandlungen gleichberechtigt teilnehmen. Mit der Plakataktion will das internationale Netzwerk FriedensFrauen Weltweit nun auch in Bern auf die schleppende Umsetzung der Resolution aufmerksam machen. "Es hat sich trotz Resolution wenig geändert", sagt Ruth-Gaby Vermot-Mangold, Alt-SP-Nationalrätin, Ethnologin und Präsidentin von Friedens-Frauen Weltweit. Die Resolution ist in vielen Ländern erst ansatzweise umgesetzt - in vielen noch gar nicht. Erst 23 Länder haben bis dato Aktionspläne für die Einhaltung der völkerrechtlich bindenden Resolution vorgelegt, darunter auch die Schweiz. Für Vermot ist die Forderung nach einer angemessenen Berücksichtigung der Frauenperspektive bei Entwaffnungen, Demobilisierungs- und friedensfördernden Massnahmen unerlässlich. "Frauen sind keine Friedensanfängerinnen", sagt sie, "allerdings auch keine besseren Menschen."

 Würdigung der Friedensarbeit

 Die Ausstellung "Ohne Frauen - keinen Frieden" konnte unter anderm dank der Unterstützung durch die Stadt Bern entwickelt werden. Für Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) ein wichtiges Engagement, wie er sagt: "Wir bekennen uns klar dazu, dass Friedensarbeit wichtige Arbeit ist." Bern habe immer wieder - zusammen mit Genf - versucht, eine wichtige Rolle bei internationalen Friedensverhandlungen einzunehmen.

 Von New York in die Bundesstadt

 Nun tritt die Bundesstadt nach den Weltstädten New York und Berlin als dritter Ausstellungsort der Plakataktion auf. Nachdem mit der Ausstellung den UN-Delegierten im Hauptquartier der Vereinten Nationen die harzige Umsetzung der Resolution vor Augen geführt wurde, soll der Ruf nach mehr Gleichberechtigung im Friedensprozess in Bern auch die breite Bevölkerung erreichen. Nebst den Porträts von Friedensaktivistinnen, Ökonominnen, Journalistinnen und anderen initiativen Frauen - alles Persönlichkeiten, die 2005 im Rahmen der Kampagne "1000 Frauen für den Friedensnobelpreis" für ebendiesen nominiert waren - erinnert der Verein Friedens-Frauen Weltweit auch mit Filmen zu den Themen Krieg und Frieden daran, die Umsetzung der Resolution endgültig an die Hand zu nehmen. Gezeigt werden diese sowohl im Kino der Reitschule als auch in der Cinématte.

 Die Ausstellung auf sechs Stadtberner Plätzen ist noch bis 20. November zu sehen. Vom 10.-12. November gastiert im Kulturcasino ausserdem die Ausstellung "10 Jahre UNO-Sicherheitsratsresolution 1325: Chancen & Grenzen". Das Filmprogramm findet sich im Internet unter http://www.1000peacewomen.org.

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kulturstattbern.derbund.ch 1.11.10

Von Manuel Gnos am Montag, den 1. November 2010, um 07:00 Uhr

Kulturbeutel 44/10

(...)

Herr Sartorius empfiehlt:
Vergegenwärtigen mit den Sounds des englischen Duos Mount Kimbie. Allein schon wegen diesem grossartigen Remix lohnt sich am Freitag der dringende Gang nach Düdingen ins Bad Bonn. Und wenn wir schon im Freiburgischen sind, gibt es die Outkast-Hälfte Big Boi im Fri-Son zu bewundern. Und dann noch: Die beiden lustigen Roadies des Herrn Stahlberger namens Thomaten und Beeren. Im Vorprogramm von King Pepe am Donnerstag im Café Kairo. Die Woche wird dann mit der anwachsenden Liebe zu japanischer Musik im Rössli beschlossen, wo das Japanese New Music Festival über die Bühne geht. Oder anders: 3 Leute bilden 7 Projekte. Hingehen.

(...)

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BZ 1.11.10

Plattentaufe von Baze

 "Für uns geht die Party immer weiter, das ist das Brutale"

 Ein ekstatischer Abend ohne Zugeständnisse: Baze und Band liessen an der Plattentaufe im Dachstock ihr Publikum weit hinter sich, begeisterten und erstaunten. Das "Gehiphopse" gehört offenbar der Vergangenheit an.

 Die Eule fixiert uns schon die längste Zeit. Ihr Auge, eine kaputte Discokugel, deutet an, dass nichts mehr ist, wie es mal war. Erst mal ist aber alles wie immer. Langes Warten auf Baze und seine Mannen, zuerst für Jahre aufs neue Album, jetzt seit Stunden aufs Konzert. Ablenkung durch Bier und Small Talk. Eine halbe Stunde nach Mitternacht ist es im Dachstock endlich so weit.

 Doch kein atemloser Rapstar entert die Bühne, keine treibenden Beats laden zum Kopfnicken ein. Stattdessen steht ein einsamer Mann an den Tasten, kreiert atmosphärisch synthetischen Sound, der auch den Anfang eines Rockkonzerts im Stadion machen könnte, und Basil Anliker alias Baze schleicht sich nach einer Weile unbeleuchtet hinter ihm durch auf die Bühne. Die Discokugeln drehen. "D'Party isch vrbi" - kündet Baze an, und als die Scheinwerfer ihn kurz vor Ende des ersten Lieds endlich finden, erblickt man erstaunt einen Schwiegermuttertraum in Anzugsjacke und rosarotem Hemd.

 Herzschlag bleibt

 Baze, 30 Jahre alt, ist erwachsen geworden. Sein Stil, schon immer poetisch dicht und offen für Einflüsse anderer Musikrichtungen, hat sich mit dem Album "D'Party isch vrbi" noch mehr gefestigt, die Beats wurden verlangsamt, die Aufregung auch, nicht aber der Herzschlag. Es schwingt eine gewisse Resignation in den Songs mit, eine Katerstimmung, die bei Baze aber gleichzeitig eine grössere Gelassenheit vermuten lässt. So setzt sich der Rapper einem Publikum aus, das einige Jahre jünger ist als er und sich eben an diesem Punkt befindet, wo Baze vor kurzer Zeit selbst noch war. Auf der rastlosen Suche nach grenzenlosem Spass, Unterhaltung, Abenteuer. Heute Abend wollen diese Menschen begeistert und mitgerissen werden. Baze schert sich keinen Deut darum. "Wer heute Gehiphopse erwartet, den muss ich enttäuschen", sagt er trocken.

 Joint? - Nein danke

 Er macht keine Zugeständnisse ans Partyvolk und verlässt sich auf seine Band, die einen einnehmenden Klangteppich webt. Raphael Jakob rockt an der Gitarre und überrascht mit ausufernden Soloeinlagen, Benjamin Külling an den Tasten und Rico Baumann am Schlagzeug vervollständigen die Einheit, die ab und zu etwas beängstigend Monumentales hat. "Für uns geht die Party immer weiter, das ist das Brutale", stellt Baze einmal zwischen zwei Liedern fest. Und findet sich souverän mit der Situation ab. "Nein danke", sagt er zu einem Joint, der ihm aus der ersten Reihe angeboten wird.

 Kiffen ist vorbei - und auch der reine Bounce-Hip-Hop. Das mag einige Konzertbesucher aus der ersten Reihe frühzeitig nach hinten vertreiben, begeistert aber den grossen Rest des Publikums, das nach einem zweistündigen Eintauchen in fabelhafte Klangwelten und Reime fast etwas verwirrt wieder zu sich kommt, blinzelt, und immer noch unverwandt von derselben Nachteule angestarrt wird.

 Marina Bolzli

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CAFETERIA
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BZ 2.11.10
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Neue-Ideen-fuer-die-Cafete-gesucht/story/30884263

Reitschule

 Neue Ideen für die "Cafete" gesucht

 Seit Monaten ist die Cafeteria der Reitschule besetzt. Die Reitschüler wollen sie jetzt schliessen und später neu nutzen.

 Die stadtbekannte "Cafete" in der Reitschule hat eine bewegte Zeit hinter sich: Querelen um angebliche Mietschulden in Höhe von 30 000 Franken und um die fehlende Partizipation der Betreiber am "Gesamtprojekt Reitschule" führten im vergangenen Sommer zum Eklat.

 Besetzung des Lokals

 Ende Juni platzte einigen Reitschülern der Kragen: Sie rissen Teile der Infrastruktur heraus und schlossen das Lokal an der Neubrückstrasse 8 a. Ob dieses harsche Vorgehen innerhalb der eigenen Reihen mit der Reitschule-Abstimmung vom vergangenen September zu tun hatte, mochte bis gestern Abend niemand von der Reitschule beantworten.

 Der Räumung folgte eine Besetzung durch ehemalige "Cafete"-Betreiber, die bis heute anhält. Sie bewirten auch derzeit ihre Gäste. Die Cafeteria wird dabei ihrem Namen gerecht. Denn unter der Woche gibt es statt Bier nur alkoholfreie Getränke: einen Chai-Tee etwa.

 Geht es nach den Plänen der Reitschule, so soll die "Cafete" ihre Tore nun definitiv schliessen. Später wollen die Reitschüler laut Tom Locher, einem Mitglied der Mediengruppe der Reitschule, ihre Cafeteria neu nutzen. Die Vollversammlung der Reitschule hat deshalb Interessierte in den eigenen Reihen dazu eingeladen, Vorschläge für ein neues Projekt in der Cafeteria einzureichen.

 Entscheid im Dezember

 Der Projektausschreibung ist zu entnehmen, dass "grundsätzlich keine Einschränkungen für die Raumnutzung" gemacht werden. Bedingung seien vielmehr "ein Interesse an den Reitschule-Strukturen" sowie die "Anerkennung des Manifestes und die Einhaltung deren Grundsätze". Zudem sollte die Neunutzung ohne "übermässige Lärmbelastung" der Nachbarschaft auskommen.

 Die Eingabefrist lief vorgestern Sonntag ab. Mitte Dezember wollen die Reitschüler über die künftige Nutzung entscheiden. Wie viele Konzepte bis vergangenen Sonntag eingereicht wurden, kommunizierte Tom Locher nicht. Dafür hätten - soweit er sich erinnere - auch die "Cafete"-Besetzer ein Konzept für die weitere Nutzung "ihres Lokals" eingereicht.
 daf

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BOLLWERK
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Blick am Abend 1.11.10

TEEN-TALK

 PARTYPEOPLE

 Himmlische Cluberöffnung im Le Ciel

 Grand Opening Night Le Ciel, Bern

 Wann: Samstag, 30. Oktober

 Musik: House, Electro und R'n'B

 Spezielles: Mister Schweiz Jan Bühlmann war anwesend

 Leute: Grosser Menschenaufmarsch und viele Frauen

 Fazit: Der neue Club ist ein Party-Himmel

 Stimmung: ☺☺☺☺

 Mehr Bilder: usgang.ch

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STADTRAT
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Stadtratssitzung (Traktanden)
Donnerstag, 04. November 2010 17.00 Uhr und 20.30 Uhr
Sitzungssaal im Rathaus
NEUE LISTE////Die Stadtratssitzungen sind öffentlich zugänglich (Besuchertribüne)
Traktanden

(...)
 
3. Reglement über die Videoüberwachung auf öffentlichem Grund sowie zum Schutz öffentlicher Gebäude (Videoreglement; VR) (FSU: Bahnan / SUE: Nause) Fortsetzung Verhandlung Sitzung vom 21. und 28. Oktober 2010 10.000187
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000187/gdbDownload

4. Motion Henri-Charles Beuchat (CVP)/Claude Grosjean (GLP)/Dolores Dana (FDP): Reduktion der Sicherheitskosten und bessere Gewaltprävention (SUE: Nause) verschoben vom 21. und 28. Oktober 2010 10.000103
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000103/gdbDownload

5. Postulat Fraktion SP/JUSO (Leyla Gül/Giovanna Battagliero, SP): Keine übereilte Einführung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum, sondern Lancierung eines dreijährigen Pilotprojekts (SUE: Nause) verschoben vom 21. und 28. Oktober 2010 10.000130
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000130/gdbDownload

(...)
 
14. Interfraktionelle Motion FDP, BDP/CVP, EVP, GLP, SVPplus (Pascal Rub, FDP/Vania Kohli, BDP/Barbara Streit-Stettler, EVP/Jan Flückiger, GLP/Erich J. Hess, JSVP) vom 12. Februar 2009: Alternativen zu einer 2. Drogenanlaufstelle; Begründungsbericht (BSS: Olibet) 09.000041
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/09.000041/gdbDownload

(...)

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RABE-INFO
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Di. 2. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%202.%20November%202010
- Von Hürden und Hindernissen: Schwierige Situation von MigrantInnen auf dem Berner Arbeitsmarkt
- Von Wirtschaftskrise und Ängsten als Katalysator von Rassismus
- Von der Blockade in Devonport: Protest gegen das britische Atomwaffen-System

Links:
http://www.gra.ch

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Mo. 1. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%201.%20November%202010
- Ohne Frauen keinen Freiden: UNO Resolution bleibt unerfüllt
- Kopf der Woche: Kolumbianischer Gewerkschafter steht bei Nestlé vor geschlossenen Türen

Links:
http://www.1000peacewomen.org/index.php
http://www.sinaltrainal.org

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ANTIFA
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BZ 1.11.10

Langenthal

 Friedliche Demonstration

 Die bewilligte Demonstration eines linken Bündnisses am Samstag in Langenthal verlief absolut friedlich.

 "Sie werdens nicht vermuten - wir sind die Guten", skandierten die schwarz gekleideten und mehrheitlich vermummten Demonstranten, die am Samstag durch Langenthal zogen. "Den rassistischen Konsens durchbrechen", so lautete das Motto des Bündnisses "Kein ruhiges Hinterland". Ihm gehören zahlreiche linksextreme Gruppierungen an. Faschismus sei keine Meinung, sondern ein Verbrechen. Und Schweigen heisse Zustimmen. Das Minarett sei ihnen egal. Ursprünglich wollten sie bereits vor drei Wochen demonstrieren, als Pnos und Autopartei vor dem geplanten Minarett eine Kundgebung abhielten.

 Ein paar Leute aus dem Umfeld des Lakuz, des autonomen Kulturzentrums von Langenthal, waren auch dabei, aber nicht massgebend. Sie hätten im Gegensatz zu den Demo-Anführern das Chrämerhuus und die bewilligte Route gekannt. Die Demonstranten brachten Kleber an und verteilten Flugblätter. Auch an zahlreiche Polizisten in Zivilkleidung. Scharf geschossen wurde mit Worten: Die SVP und Langenthals Stadtpräsident Thomas Rufener wurden heftig angegriffen. Im Zuge der Ausschaffungsinitiative sei es salonfähig geworden, braunes Gedankengut zu vertreten. Und dies bis weit ins linksbürgerliche Lager hinein.

 Robert Grogg

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Bund 1.11.10

Kundgebung in Langenthal

Hundert Personen haben am Samstag gegen Rechtsextremismus protestiert. Beobachtet wurden sie von Zivilpolizisten und Rechtsextremen hinter Häuserecken.

"Ja, ja, das Übliche: Der schwarze Block!"

Philipp Schori

 Linksautonome reisen mit der Eisenbahn - so auch an diesem Samstagnachmittag: Viele besteigen in Bern den Zug Richtung Langenthal, andere in Burgdorf. Das gemeinsame Ziel: der Protest gegen die rechtsextreme Anti-Minarett-Kundgebung, die vor drei Wochen ebenfalls in Langenthal stattfand (siehe Kasten). Im Zug spricht man über den Vegetarismus, der im Berner Oberland erst wenig verbreitet sei; eine Vierergruppe junger Männer möchte jassen - leider fehlt es an Karten. Manche der späteren Kundgebungsteilnehmer vermögen dem Klischee zu entsprechen und trinken Dosenbier - die schwarze Kapuze hängt zwar noch runter, aber pünktlich bei Ankunft in Langenthal wird sie über den Kopf gestreift. Immerhin sei nur eine Minderheit vermummt, sagt der Langenthaler Gemeinderat Rolf Baer (FDP), während sich die rund hundert Demonstrierenden in Position bringen. Dennoch: Die Passanten verstünden diese Aufmachung nicht. Die Demonstrierenden müssten den Mut haben, mit ihrem Gesicht für ihr Anliegen - das an sich berechtigt sei - zu kämpfen, sagt Sicherheitsdirektor Baer, der die vorwiegend jungen Demonstrierenden über die ganze Zeit hinweg begleitet.

 Von der Polizei ist erst wenig zu sehen: Eine Handvoll Sicherheitskräfte regelt den Verkehr vor dem Langenthaler Bahnhof; im Hintergrund sind rund zehn Polizisten in Vollmontur zu entdecken. Am meisten Hektik ist da noch beim Zivilpolizisten im Bahnhofcafé auszumachen. "Ja, ja, das Übliche: der schwarze Block!", meldet er seinen Kollegen per Telefon. Neben ihm auf dem Tisch liegt eine Handkamera; das Objektiv ist auf die Menschentraube gerichtet. Als sich drei Linksautonome auf den Weg machen, um die Strassen rund um den Bahnhofplatz zu begutachten, schreckt er plötzlich auf, schreitet nach draussen - einigermassen unauffällig trägt er die Kamera nun in der Hand. Der Zivilpolizist - auch er in einen Kapuzenpullover gekleidet - taucht auch später von Zeit zu Zeit wieder auf; manch Demonstrierender wird ihn registrieren: Man kennt sich.

 Mit der demonstrantischen Viertelstunde Verspätung begeben sich die Aktivisten auf ihren einstündigen Marsch durch Langenthal; aus dem orangefarbenen, in die Jahre gekommenen Begleitfahrzeug dröhnt Rapmusik. An der Spitze des Zugs formieren sich die schwarz gekleideten jungen Leute, die durch lautstarke Sprechchöre auffallen: "Schiesst die SVP auf den Mond, das ist Ausschaffung, die sich lohnt!", stimmt ein Redner in der Einkaufsmeile Langenthals an. Ob ihn die SVP-feindliche Stimmung nicht störe, will ein Radiojournalist von Patrick Freudiger wissen. Freudiger ist SVP-Stadtrat in Langenthal und beäugt für kurze Zeit die Kundgebung, die für zwei Reden zum Stehen gekommen ist. Es gelte die Meinungsfreiheit, antwortet Freudiger dem Journalisten. Und wenn "die hier" demonstrieren wollten, sei das ihr gutes Recht. Er aber, Patrick Freudiger, arbeite lieber, als sich Kundgebungen anzuschliessen. Freudiger bemängelt zudem, dass die Demonstranten ihr Gesicht hinter Masken versteckten. Exakt in diesem Moment flammt das einzige Mal während des ganzen Tags kurz Nervosität auf: Ein Mann taucht aus einer Seitengasse auf - in der Hand eine Kamera. Die Linksautonomen bemerken den offenbar aus dem rechtsextremen Milieu stammenden Mann und beschimpfen ihn lauthals: Man kennt sich.

 Der Mann zieht sich zurück, zurück zu einem Sechsergrüppchen junger Leute, das hinter einer Häuserzeile wartet. Auf deren Jacken prangen Symbole, die auf rechtsextremes Gedankengut hinweisen. Die Nervosität klingt bald ab; die Polizei markiert kurzzeitig Präsenz; zwanzig Minuten später löst sich die Kundgebung beim Bahnhof auf: "Bella, ciao" erklingt.

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 Disziplinierte Demonstration

 Für die Kundgebung in Langenthal vom Samstag konnten sich rund hundert Personen motivieren - die meisten aus dem linksautonomen Lager. Die Demonstration war die Antwort auf den Marsch Rechtsextremer, der am 9. Oktober stattfand und sich gegen den geplanten Minarettbau in Langenthal richtete. Als Organisatorin trat damals die Partei National Orientierter Schweizer (Pnos) auf. Wie schon die Kundgebung von rechts verlief auch jene vom Samstag ohne aufsehenerregende Zwischenfälle: "Die Auflagen wurden zu hundert Prozent erfüllt", sagte der Langenthaler Sicherheitsdirektor Rolf Baer (FDP) im Nachgang.

 Zufrieden mit dem Verlauf des Protests zeigten sich auch die Organisatoren, namentlich das Bündnis "Kein ruhiges Hinterland", dem etwa die Junge Alternative (JA!) und die Berner Antifa angehören. In einem Communiqué schreiben sie, die Kundgebung sei nicht bloss ein Zeichen gegen die umtriebigen Neonazis in Langenthal, sondern auch gegen die staatliche Migrationspolitik und die Ausschaffungsinitiative - gegen den "rassistischen Konsens" zwischen den grossen Parteien im Allgemeinen. (phi)

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Langenthaler Tagblatt 1.11.10

Antifa klagt an

 Autonome 100 Aktivisten zogen am Samstag als Zeichen gegen Rechtsextremismus durchs Zentrum. Laut Polizei war die Demo friedlich. Botschaft und Wirkung wichen aber voneinander ab.

 Eng beieinander stehen sie. Die vordersten halten Plakate vor ihre vermummten Gesichter: Der Oberaargau werde zu einem Hort von rechtsextremer Gewalt, dröhnt es aus Megafonen vor dem Choufhüsi. Mit der Demo will die Antifa den "rassistischen Konsens durchbrechen" und auf ein Netzwerk von Neonazis und fremdenfeindlichen Parteien in Langenthal und Umgebung hinweisen.

 Auf den Marktgasse-Treppen beobachten Senioren, Familien und Jugendliche das schwarze Treiben. Die vermummte Frau am Mikrofon sagt: "Schiesst die SVP auf den Mond!" Etwas abseits steht Patrick Freudiger. Der Satz ringt dem SVP-Stadtrat ein Lächeln ab: "Demonstrieren ist ein Grundrecht und daher legitim. Solange es nicht ausartet. Aber dieses Aufgebot", er zeigt zur Polizei in Vollmontur, "das bezahlen alles wir."

 In einer Reihe sperren Polizisten die Gasse ab. Passanten nähern sich ihnen, reden. Was fragen sie? "Von welcher Seite diese Demo sei, und ob sie bewilligt ist", so der Einsatzleiter.

 Zwei Vermummte lösen sich aus der Menge, steigen zum Choufhüsi, einer mit einer Tasche. Der Einsatzleiter ruft seinen Kollegen "Achtung" zu - und schickt zwei Polizisten: Die Vermummten ziehen sich zurück.

 Wenig später schreien vier Aktivisten: "Hau ab, verpiss dich, scheiss Nazi!" Ein Mann grinst, dreht sich um und hebt die Stinkefinger. Dann klatschen alle Aktivisten und auch ein paar Passanten, die Rede ist zu Ende.

 Die Polizei hat wenig zu tun. Einige begleiteten wie Sicherheitsdirektor Rolf Baer den Umzug, andere sperren Strassen. Ein Polizist weist einen Aktivisten zurück. Er wollte ihm einen Antifa-Kleber auf den Schutzschild drücken. In Vollmontur säumen sie die ganze Demo-Route. Vom Bahnhof via Jurastrasse zum Chrämerhuus, um den Affenplatz zum Choufhüsi und zurück. "Keine Macht für niemand", ruft jemand. Gemeinderat Baer hat Mühe: "Wir haben Meinungsfreiheit. Da muss man doch mit Namen und Gesicht hinstehen."

 Nach gut einer Stunde ist die Demo wieder beim Bahnhof, aus den Megafonen dröhnt jetzt Tanzmusik. Die Stimmung ist gelöst: "Ich glaube, unsere Aktion ist gut angekommen", so ein Aktivist zu seinem Kollegen.

 Bei der Polizei hiess es gestern, die Demo sei im Rahmen der Bewilligung abgelaufen. Ein paar Personen seien kontrolliert worden. (jpw/sat)

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20 Minuten 1.11.10

Friedliche Antifa-Demo

 LANGENTHAL. Rund 100 Demonstranten haben am Samstag an einer bewilligten Kundgebung in Langenthal teilgenommen. Mit diesem Protest reagierten sie auf eine Anti-Minarett-Demo rechtsnationaler Kreise von Anfang Oktober. In verschiedenen Reden wurden die rechtsextremen Strukturen im Oberaargau und die Rolle der SVP angeprangert. Die im Vorfeld befürchteten Ausschreitungen blieben aus - die Demo verlief im Rahmen der Bewilligung.

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Zentralschweiz am Sonntag 31.10.10

Linksautonome demonstrieren

 Langenthal - In Langenthal haben gestern Nachmittag gegen 100 Personen, vorwiegend aus dem linksautonomen Lager, an einer Kundgebung teilgenommen. Damit reagierten sie auf eine Kundgebung rechtsnationaler Kreise von Anfang Oktober. Zunächst versammelten sich rund 70 Personen beim Bahnhof, unterwegs schlossen sich weitere dem Kundgebungszug an. Die mehrheitlich vermummten Demoteilnehmer zogen mit lautstarken Sprechchören und Musik vom Bahnhof durch die Innenstadt. (sda)

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Sonntagsblick 31.10.10

Showdown blieb aus

 Linke Demo in Langenthal

 Es hätte auch anders kommen können: Der Aufmarsch von rund 100 Linksautonomen gegen Rassismus am Samstag in Langenthal BE verlief friedlich. Mit der Demonstration reagierten das Bündnis "Kein ruhiges Hinterland", die Antifa Bern und andere linke Gruppierungen auf den Protest von 150 Rechtsradikalen vom 9. Oktober gegen den geplanten Bau eines Minaretts.

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PNOS
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Langenthaler Tagblatt 1.11.10

Pnos abgeblitzt, BDP neu im Rat

 Bei den Gemeinderatswahlen in Roggwil schnitten die Bürgerlichen Freien Wähler mit vier Sitzen am besten ab, gefolgt von der SP mit zwei Sitzen. Der bisher als Parteiloser im Rat sitzende Michael Huber - vor vier Jahren noch von der Gruppierung "Akzänt" nominiert - wurde als Mitglied der BDP bestätigt. Gewählt wurden auch je sechs Mitglieder der Bau- und Betriebskommission sowie der Bildungskommission. Bei Letzterer gab im Vorfeld der für die Pnos kandidierende Dominic Lüthard zu reden. Dieser hatte jedoch keine Chance. Er nimmts locker: "Ich bin nicht enttäuscht", sagte er, "und habe damit rechnen müssen." (iba) Seite 21

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BDP gewinnt und Pnos blitzt ab

 Roggwil Vier Vertreter der BFW, zwei der SP und ein BDP-Mann - so sieht der Gemeinderat aus

Irmgard Bayard

 Nur gerade 38,81 Prozent der Stimmberechtigten von Roggwil beteiligten sich am Wochenende an den Wahlen. Die wichtigste Änderung im Gemeinderat: Michael Huber hat seinen Sitz verteidigen können, allerdings neu für die BDP. FDP und SVP, die gemeinsam als Bürgerliche Freie Wähler auftraten, eroberten dank einem Restmandat vier Sitze. Die SP, die ohne Bisherige an den Start ging, konnte ihre beiden Sitze halten.

 Rudolf Baumberger, Präsident des BFW-Wahlausschusses, zeigte sich "sehr erfreut" über das Resultat. Sogar "sehr, sehr erfreut", sei er darüber, dass die FDP von den vier BFW-Gemeinderäten drei stelle. "Die BDP hat uns nicht geschadet", hielt er fest. Die beiden Bisherigen liegen auf den ersten Plätzen. Wie erwartet ist Gemeindepräsident Erhard Grütter mit 808 Stimmen klar vorne.

 "Wir sind zufrieden, dass wir die beiden Sitze halten konnten, obwohl wir ohne Bisherige angetreten sind", sagte SP-Präsidentin Yolanda Büschi. Etwas enttäuscht sei sie über ihre eigene Nichtwahl. Als Überraschung darf bei der SP die Wahl von Oliver Meyer gewertet werden. Er ist der Bruder des wegen Amtszeitbeschränkung nicht mehr angetretenen Markus Meyer. "Schade, dass es uns nicht gelungen ist, mehr Wähler zu mobilisieren", sagte Büschi. Im Vorfeld habe man sich eine Stimmbeteiligung von über 50 Prozent erhofft.

 Die noch junge BDP konnte mit Michael Huber bereits auf einen "Bisherigen" zählen. Noch vor vier Jahren ging er für "Akzänt" ins Rennen, wechselte aber in diesem Jahr zur BDP. "Mit der Wahl sind wir sehr zufrieden", sagte Parteipräsident Martin Burkhard. Schade fand auch er, "dass nicht mehr Bürgerinnen und Bürger den Weg an die Urne fanden".

 Die sechs Sitze der Bau- und Betriebskommission machen ebenfalls die drei Parteien unter sich aus. Drei Sitze eroberte die BFW, zwei die SP und einen die BDP. Hier ergibt sich auch gleich eine Rochade: "Da Michael Huber in den Gemeinderat gewählt wurde, kann er nicht gleichzeitig auch Mitglied der Bau- und Betriebskommission werden", erklärte Burkhard. Für die BDP wird daher der an zweiter Stelle liegende Fritz Sommer Einsitz in die Kommission nehmen.

 Gleich fünf Parteien wollten in die Bildungskommission: Hier sind die Gewinner die BFW und die SP, die sich die sechs Sitze teilen. "Dass wir gegenüber den letzten Wahlen einen Sitz gewinnen konnten, freut uns sehr", sagte Büschi für die SP. "Über einen Sitz in der Bildungskommission hätten wir uns sicher gefreut", meinte Burkhard von der BDP. Auch Lukas Zimmermann, Assistent der Geschäftsführung der EVP des Kantons Bern, hätte gerne einen Sitz erobert. "Es war knapp", sagte er. Für die Partei sei es in erster Linie von Belang, dass überhaupt jemand zu den Wahlen angetreten sei. "Es ist wichtig, präsent zu sein, das waren wir."

 Viel zu reden gab im Vorfeld die Kandidatur von Dominic Lüthard, der für die Partei national orientierter Schweizer (Pnos) in den Wahlkampf stieg. Das Aushängeschild der Rechtspartei war immer wieder in den Negativschlagzeilen. Im Vorfeld der Roggwiler Wahlen präsentierte er sich aber als braver Familienvater. Dass er nicht gewählt wurde, nimmt er leicht: "Ich bin nicht unzufrieden und auch nicht enttäuscht." Obwohl er noch im Juli seine Chancen als "besser als vor vier Jahren" einschätzte, weil man ihn kenne, sagte er gestern: "Ich bin im Dorf halt nicht so bekannt." Hauptsächlich sei wohl die Partei der Grund für die Nichtwahl. Ein Parteiwechsel komme für ihn aber nicht infrage. Die Pnos erhielt aber dennoch 205 Kandidaten- und 146 Zusatzstimmen von allen anderen Parteien.

 Stille Wahl fürs Präsidium denkbar

 Mit diesem Ausgang der Wahlen dürfte klar sein, dass Erhard Grütter weiterhin Gemeindepräsident bleibt. "Wir werden keine Gegenkandidatur stellen", sagte Yolanda Büschi von der SP. Damit darf Grütter mit einer stillen Wahl für das Gemeindepräsidium rechnen.

 Kommentar rechts oben

 Die Resultate, Gemeinderat: BFW 3326 Kandidatenstimmen, 150 Zusatzstimmen, total 3476 Stimmen (48,35 Prozent). Gewählt sind: Erhard Grütter (bisher), 808 Stimmen; Ulrich Kurt (bisher), 696; Marianne Teuscher (neu), 486; Rudolf Baumberger, 469. SP: 2309 Kandidatenstimmen, 95 Zusatzstimmen, total 2404 Stimmen (33,44 Prozent). Gewählt sind: Marianne Burkhard (neu), 493; Oliver Meyer (neu), 383. BDP: 1200 Kandidatenstimmen, 108 Zusatzstimmen, total 1308 Parteistimmen (18,19 Prozent). Gewählt ist: Michael Huber (bisher), 631. Bildungskommission: (Stimmbeteiligung 38,29 Prozent). Gewählt sind: BFW: Marianne Teuscher, 542, Denise Lüscher, 431, Rudolf Baumberger, 428. SP: Priska Grütter, 438, Monika Frutig, 349, Liselotte Gasser Schär, 343. Von BDP, EVP und Pnos wurde niemand gewählt. Bau- und Betriebskommission: (Stimmbeteiligung 37,58 Prozent): Gewählt sind: BFW: Valentin Kappenthuler, 689, Richard Bossert, 388, Christian Grob, 356. SP: Kurt Schönenberger 488, Konrad von Däniken, 417. BDP: Michael Huber, 466. Da dieser in den Gemeinderat gewählt wurde, wird der Zweitplatzierte Fritz Sommer (410 Stimmen) Einsatz in die Bau- und Betriebskommission nehmen.

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Kommentar

 Pnos hatte keine Chance

Irmgard Bayard

 Die mit Spannung erwarteten Roggwiler Wahlen sind im Endeffekt wenig spannend ausgefallen: Die SP - ohne Bisherige in den Wahlkampf gestiegen - konnte ihre Sitze halten. Der vor vier Jahren für "Akzänt" angetretene Michael Huber sitzt nun für die BDP im Rat.

 Die einzige Kandidatur, die zu reden gab, war jene des Rechtsextremisten Dominic Lüthard für die Bildungskommission. Kurz vor den Wahlen präsentierte er sich in Flugblättern als Saubermann, fürsorglicher Familienvater und aktives Vereinsmitglied. Dass er Vater ist und sich im Tennisclub engagiert, mag stimmen. Ein Saubermann ist er aber garantiert keiner. Welch rassistisches Gedankengut er vertritt, zeigte sich, als er eine dunkelhäutige Ex-Miss-Schweiz als "Geschwür" bezeichnete. Dazu besingt Lüthard in seiner Rockband, wie die "reine Schweiz" von "fremder Brut" zu befreien sei.

 Nun wollte er diese Ideale in die Schule bringen: keine Chance. Die Roggwiler liessen sich nicht blenden. Der grösste Teil der Wählerinnen und Wähler distanzierte sich mit der Nichtwahl Lüthards von der Pnos. Dafür verdienen sie ein grosses Bravo.

 irmgard.bayard@azmedien.ch

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ALKI-TREFF BIEL
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bielertagblatt.ch 2.11.10

Alkitreff Walserplatz  02.11.10 17:57

Eine Zuflucht an Weihnachten

Die Alkis am Walserplatz warten noch immer auf eine Entscheidung des Gemeinderats. Inzwischen rücken Kälte, Schnee - und Weihnachten immer näher.

Die Antwort des Bieler Gemeinderats auf die Interpellation zur Frage des Alkitreffs am Walserplatz stellt den Grünen Stadtrat Christoph Grupp nicht zufrieden. Er findet es beschämend, dass von einer intensiven aber erfolglosen Suche nach einem Alternativstandort für die Randständigen gesprochen wird. "Mir kann doch keiner sagen, dass man in den ganzen sieben Jahren keine Lösung hat finden können", ärgert sich Grupp.
Selbst das Provisorium, das die Sicherheitsdirektorin Barbara Schwickert zumindest für den Winter bereitstellen will, soll in den Augen des Gemeinderats anscheinend keine Gnade gefunden haben. Dieses würde in einem Container auf dem Feldschlösschenareal bestehen. Ob dieses Provisorium nun endgültig verworfen wird, ist noch nicht sicher. Am kommenden Freitag soll die Weiterführung des Alkitreffs nochmals Thema im Gemeinderat sein. Dann wird Schwickert einen Bericht der Kantonspolizei Bern und der Bieler Sicherheitstruppe SIP vorlegen können. Diese hatten den Auftrag, das Verhalten der Randständigen am Walserplatz zu beobachten.


Den vollständigen Bericht lesen Sie im BT vom 3. November

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SQUAT FR
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La Liberté 2.11.10

Les projets culturels de Raie Manta ont pris forme durant le week-end

 Fribourg - Les squatteurs ont pu rester quelques jours à l'Espace Boxal. Ils en ont profité pour montrer les activités qu'ils comptent y organiser.
 
Nicolas Maradan

 Les membres du collectif Raie Manta ne demandaient que ça: avoir l'occasion de mettre sur pied les projets culturels dont ils parlent depuis leur premier squat, à la fin du mois de septembre. Ce week-end, à la faveur d'un sursis accordé tacitement par les autorités, ils ont pu donner libre cours à leur imagination dans les loxaux d'Espace Boxal, au passage du Cardinal à Fribourg, qu'ils occupent depuis mercredi soir ("La Liberté" du 29 octobre).

 Concerts gratuits, jam-session ou encore apéro étaient ainsi au programme. Samedi après midi, "La Liberté" s'est glissée parmi de jeunes artistes participant à un atelier de peinture. Reportage.

 Un espace à disposition

 "Est-ce qu'il y a encore du blanc?", demande Jacques*, affairé au milieu d'un ancien bureau, aujourd'hui complètement vide. Rouleau à la main, il attend que l'énorme poisson violet qu'il a tracé au mur sèche. Et ce n'est pas du vin que le jeune homme cherche, mais bien de la peinture pour faire les finitions.

 Sur la paroi opposée, Jacques a dessiné le buste stylisé d'une jeune femme, avec la mention "Elle". Un concept artistique qu'il a développé et parsemé dans toute la ville. "Je crois qu'il y a une dizaine de femmes comme ça dessinées dans Fribourg", explique-t-il.

 Une scène bricolée

 Artiste à ses heures, Jacques a aussi décoré plus d'une centaine de galets qu'il a ensuite déposés au bord de la Gérine. "Mais beaucoup ont été volés", regrette-t-il. Du coup, quand il a vu que le collectif Raie Manta mettait à disposition des locaux à l'Espace Boxal pour peindre, il s'est précipité. "C'est génial d'avoir comme ça un local pour développer des projets", se réjouit-il. Membre du collectif, Ludivine* résume simplement le concept de la journée: "on laisse des murs aux artistes et ils en font ensuite ce qu'ils veulent". Il faut toutefois préciser que ces actes, de même que l'occupation du bâtiment, se sont faits de manière illégale. Samedi après midi, une quinzaine de jeunes ont répondu à l'appel, se répartissant dans tout le bâtiment inoccupé au gré de leur inspiration.

 De plus, tous les soirs durant le week-end, les jeunes ont également organisé des concerts gratuits sur une scène bricolée au sous-sol de l'immeuble. "Vendredi soir, un groupe belge qui se produisait au café Le XXe est même venu jouer chez nous après son concert", explique Johnny*, un autre membre du collectif.

 Plainte déposée

 Pour le reste, les squatteurs n'ont pas encore songé à l'organisation de leurs projets sur le long terme. "On n'a même pas encore choisi nos chambres", rigole Ludivine. Car, s'ils ont pu rester à l'Espace Boxal quelques jours, les membres de Raie Manta savent que leur séjour est compromis. Vendredi, l'avocat du propriétaire des lieux leur a signifié qu'une plainte allait être déposée.

 "On part du principe que l'immeuble sera détruit et on s'engage à partir dès que les travaux commenceront", rappelle Ludivine. "Mais, même si cela veut dire qu'on ne pourra rester que quelques mois, ça nous laisserait déjà le temps de faire beaucoup de choses ici", enchaîne la jeune fille.

 Pour rappel, le collectif Raie Manta aimerait fonder un espace autogéré où se côtoieraient restaurant populaire, bibliothèque et magasin gratuit.

 Quant à l'Espace Boxal, la date de sa destruction n'a pas encore été arrêtée. Le recours contre la décision préfectorale de fermer les locaux au 30 septembre dernier, émanant de trois personnes et d'une société, est toujours pendant au tribunal administratif ("La Liberté" du 28 octobre). I

 * prénoms d'emprunt

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SQUAT ZH
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Tagesanzeiger 2.11.10

Schlechter Style

 Kaum wird in der Stadt ein Haus okkupiert, hängt kurz darauf ein hässliches "Besetzt"-Leintuch an der Fassade. Das ist irritierend - gerade wenn, wie im Atlantis, die Besetzung im Zeichen der Kunst steht.

 Von Thomas Wyss

 "Für den ersten Eindruck gibt es keine zweite Chance." Ein gutes Bonmot. Entstanden ist es in der Businesswelt. Da es jedoch übermässig oft publiziert und rezitiert wurde, könnte man meinen, es müsste langsam auch im weniger renditeorientierten Segment der Bevölkerung angekommen sein. Zum Beispiel in der Hausbesetzerszene. Das ist aber ganz offensichtlich nicht der Fall, wie das Beispiel Hotel Atlantis zeigt. Kaum hatten die Besetzer am vorletzten Freitag den ehemaligen Luxuskasten annektiert, hängten sie ein weisses Leintuch raus, auf dem - mit fetten roten Grossbuchstaben lieblos hingepinselt - "besetzt" stand. Jeder Ästhet bekommt bei diesem Anblick vor lauter Fremdscham einen Weinkrampf; normale Menschen finden es zumindest "gruusig".

 Wenn ein Haufen Teenager ein Abbruchhaus in Beschlag nimmt, um dort mit Gabber-Partys, Punkkonzerten oder Botellones (an welchen das Rauchverbot offiziell ausser Kraft gesetzt ist; ein bisschen Ideologie muss schliesslich sein) eine romantisierte Anarchie auszuleben, kann man es noch irgendwie nachvollziehen, dass einem stilvoll gestalteten "Besetzt"-Transparent nicht oberste Priorität eingeräumt wird. Aber von der Familie Donovan - so nennen sich die Atlantis-Besetzer - hätte man echt mehr erwartet. Wer im Manifest und an der Medienkonferenz explizit betont, das "untergegangene" Atlantis im Geiste des legendären Chelsea Hotel in New York auferstehen zu lassen und schrillen Kulturtätern Wohn- und Atelierräume zur Verfügung zu stellen, muss sich an diesem künstlerischen Anspruch messen lassen (nur damit das geklärt wäre: Der Schreibende ist ein grosser Fan des Projekts; hier gehts aber nicht um Inhalte, sondern allein um die mangelhafte Verpackung).

 Stimmt, in den Folgetagen wurde die nüchterne Betonfassade des Atlantis mit Smileys, einer Pop-Art-Hotdog-Malerei oder einem überdimensionierten Windrad geschönt; Sujets und Objekte, die der Aktion etwas Sinn und Sinnlichkeit verliehen. Aber das Ur-Symbol, also quasi die Visitenkarte der Donovans, war eben doch dieses hässliche Leintuch. Besonders fragwürdig wirkt das anachronistische "Transpi" auch deshalb, weil die Besetzer in anderen relevanten Bereichen den "State of the Art" zelebrieren: Statt verstaubte Roger-Staub-Mützen tragen sie fancy "Super Mario"- und Smiley-Masken, statt Flugis zu verteilen, informieren und kommunizieren sie via Blog, Mail und Facebook.

 Die Südkurve machts vor

 Leider ist solch schlechter (Design-)Style nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Weshalb die Hausbesetzerszene bei ihrer zentralen Botschaft jegliche Kreativität vermissen lässt (auch wenn sich die Schriftfarbe und die Krummheit der Lettern von Fall zu Fall dezent unterscheiden, die Resultate sind alle gleich peinlich), ist ein grosses Rätsel.

 Fehlt es am Geld? Ein zu billiges Argument. Die FCZ-Südkurve beweist mit ihren prächtigen Choreografien seit Jahren, dass man auch ohne viel Stutz tolle Temporärkunst hinbekommt. Fehlt es an Talent? Unmöglich. Auch wenn nicht jeder lokale Urbanartist mit der Gabe eines Banksy oder Shepard Fairey gesegnet ist - genügend Potenzial, um das Wörtli "Besetzt" in einer strassenkredibelen Typografie auf ein Leintuch zu pinseln, ist sicher vorhanden. Ganz schwach ist das Argument "Es wurde ja schon immer so gemacht, wieso also ändern?". Sind wir etwa bei der SVP oder was?

 Auch nicht in die Waagschale werfen kann man das heilige Designprinzip "Form Follows Function": Würden Hausbesetzungen optisch ansprechender verkündet, wäre das Interesse (und die Akzeptanz) des Fussvolks für solche Aktionen bestimmt grösser. Und wieso muss es immer das martialische "Besetzt" sein? Würde ein Transparent mit der Message "Wir kommen in Frieden" oder "Haaallooo, wir sind die neuen Nachbarn" nicht sympathischer wirken?

 Zum Schluss dieses Votums noch ein kleiner Appell: Ende Jahr, liebe Besetzer, wird ja bekanntlich Carli Hirschmanns Superdisco Saint Germain geschlossen. Wenn ihr diese Topfloor-Räume im Bally-Haus (Bahnhofstrasse) okkupiert, wäre Zürich Tourismus froh, ihr würdet den "Besetzt"-Aushang der schicken Umgebung anpassen (also schön schreiben!) - nicht dass die Fotos der japanischen Touristen dann durch ein schludriges Leintuch verunstaltet sind.

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20 Minuten 2.11.10

Atlantis: Treffen organisiert

 ZÜRICH. Die Besetzer des früheren Luxushotels Atlantis setzen sich heute mit einem Vertreter der Eigentümerin Rosebud Holding an einen Tisch. Organisiert ist das Treffen von Unternehmer Werner Hofmann, der das Atlantis für eine Zwischennutzung als Studentenwohnheim gemietet hat. Er war gestern erneut vor Ort: "Um den Besetzern zu zeigen, dass ich kein Päckli gemacht habe mit der Eigentümerin", sagt Hofmann. Bis morgen müssen die Besetzer entscheiden, ob sie Hofmanns Projekt übernehmen wollen - auch finanziell.

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tagesanzeiger.ch 1.11.10

Ein schlechtes Feindbild ausgesucht

Christoph Landolt

 Mit Werner Hofmann haben die Atlantis-Besetzer den falschen Gegner gewählt. Der neue Mieter hat Verständnis für ihre Anliegen und bietet Arbeit an.

 Früher, das gibt Werner Hofmann gerne zu, hätte er vielleicht anders reagiert. Früher, das war vor dem 27. Januar 2010, als der Unternehmer in Buchs von fünf Kugeln niedergestreckt wurde. Der Schütze war sein Angestellter, der sich danach selbst richtete. Hofmann rang während Wochen um sein Leben. Dass er überlebte, verdankt der 59-Jährige seiner Assistentin, die ihn unablässig zum Atmen aufforderte. Dass er neun Monate später wieder "super zwäg, voller Energie und ohne psychische Probleme" ist, dafür sind für Hofmann seine Frau, seine beiden Kinder und sein Freundeskreis verantwortlich.

 Anders als vor den Schüssen sieht sich der ehemalige Grenadier jedoch nicht mehr als Haudegen. "Heute rede ich lieber. Mit ‹Schnurre› erreicht man mehr." Mit Nichts als Worten ist Hofmann am Samstag denn auch den Besetzern des ehemaligen Hotels Atlantis gegenübergetreten. Gerade eine Woche ist es her, seit der Unternehmer die leerstehende Liegenschaft per Handschlag gemietet hatte. Was die Besetzer nicht wussten: Hofmann ist nicht der Immobilienhai, der das Hotel in teure Eigentumswohnungswohnungen verwandeln will.

 Der Mann, den die Maskierten vor sich hatten, hat andere Pläne. Statt "Freiräume" für Autonome soll Wohnraum für Studenten entstehen. Die 150 Zimmer werden frisch gestrichen, mit neuen Teppichen versehen und für 400 Franken pro Monat vermietet. Bereits am 1. Dezember sollen die Studenten einziehen. Am Donnerstag beginnt die Pinselrenovation, deshalb müssen die Besetzer spätestens übermorgen Mittwoch raus.

 Verständnis für Besetzer

 Groll, dass die Besetzer in sein Haus eingedrungen sind und auf seine Kosten leben, hegt Werner Hofmann nicht. "Die haben auf ihr Anliegen aufmerksam gemacht, das verstehe ich." Eine Zwangsräumung soll es nicht geben, stattdessen bietet Hofmann den Besetzern Jobs an. "Wenn das rechtzeitig fertig sein soll, brauchen wir viele Hände."

 Hofmann wäre gar bereit, das Projekt an die Besetzer zu übergeben. Wenn sie ihm einen vernünftigen Businessplan präsentierten, könnten sie die Studentenzimmer auch selbst betreiben. "Aber das gibts nicht zum Nulltarif." Inklusive Nebenkosten beträgt die Miete für das Atlantis rund 45'000 Franken. Im schlimmsten Fall verloche man mit diesem Projekt eine Million, schätzt Hofmann. "Ich könnte das verschmerzen." Doch der Unternehmer ist überzeugt, dass die Nachfrage nach solchen Räumen da ist. Nur schon aufgrund der Medienberichte hätten sich etwa ein Dutzend Interessenten gemeldet.

 Anpackender Unternehmer

 Wenn alles gut gehe, schaue beim Atlantis-Projekt eine schwarze Null heraus, meint Hofmann. "Damit wird man sicher nicht reich, aber darum gehts mir auch nicht." Hofmann, der seit 36 Jahren mit Leib und Seele Unternehmer ist, will beweisen, "dass es uns gelingt, etwas auf die Beine zu stellen - ganz im Gegensatz zu den Politikern."

 Obwohl er Mitglieder der SVP ist, hat sich Werner Hofmann nie in ein Amt wählen lassen. "Statt in den Gemeinderat zu gehen, habe ich die Vormundschaft für zwei Kinder übernommen." Damit habe er konkret helfen können. Hofmann würde es wieder tun, genauso, wie er als 24-Jähriger wieder ein Sanitärgeschäft mit sechs Angestellten übernehmen würde. Mit seiner zweiten Firma, die in der Immobilienbranche tätig ist, will der Unternehmer nach dem Atlantis noch weitere schwierige Projekte zum Erfolg führen. "Mich interessiert nicht der aufgelegte Match. Man muss auch mit schlechten Karten jassen können."

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Tagesanzeiger 1.11.10

Ultimatum für Atlantis-Besetzer

Donzé René

 Bis Mittwoch müssen die Besetzer das Hotel räumen - oder selber mieten.

 Zürich - Im Konflikt um das leer stehende Hotel Atlantis zeichnet sich eine rasche Lösung ab. Am Samstag hat sich Werner Hofmann mit den Besetzern getroffen und mit ihnen über ihren Auszug verhandelt. Der Unternehmer aus Buchs hat das Hotel von der Besitzerin für rund zwei Jahre gemietet und will dort als Übergangslösung Studentenwohnungen einrichten. Dafür bezahlt er monatlich für Miete und Nebenkosten gegen 50 000 Franken.

 Hofmann möchte bis Dezember die Räume für rund eine halbe Million Franken instand stellen, um sie für 350 bis 400 Franken pro Monat zu vermieten. Nun hat er sich mit den Besetzern darauf geeinigt, dass sie das Hotel bis Mittwoch 16 Uhr verlassen - oder es selber mieten. Wie Hofmann gegenüber Tagesanzeiger.ch/Newsnetz sagte, überlegen sich die Besetzer, ob sie das Projekt selber realisieren wollen.

 Das Hotel Atlantis wurde 2004 geschlossen und später zwei Jahre lang als Asylbewerber-Unterkunft genützt. Vor einer Woche wurde es von Aktivisten besetzt. Die Besitzerin will das Hotel zu einer Wohnsiedlung mit 70 Eigentumswohnungen umbauen. Laut Medienberichten rechnet Hofmann damit, dass seine Sanitärfirma dannzumal den Auftrag für den Bau aller neuen Sanitäreinrichtungen bekommt. (rd)

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Zürichsee-Zeitung 1.11.10

Hotel Atlantis

 Bedenkzeit für die Besetzer

 Werner Hofmann aus Buchs, Mieter des Hotels Atlantis, verhandelt mit den Hausbesetzern. Bis Mittwoch will er eine Lösung erreichen.

 Dominique Marty

 Ein wenig überrumpelt habe er die Hausbesetzer mit seinem Plan sicher, sagt Werner Hofmann und lächelt verschmitzt. Der Sanitärunternehmer kommt soeben vom Gespräch mit den Besetzern des Hotels Atlantis zurück. Er hat das ehemalige Luxushotel gemietet, um darin günstigen Wohnraum für Studenten und Lernende anzubieten. Ein Vorhaben, das den Besetzern eigentlich entgegenkommen sollte, da sie genau dies gefordert hatten, nachdem sie als "Familie Donovan" am Freitag vor einer Woche "eingecheckt" hatten.

 Mit drei Besetzern habe er sprechen können, fährt Hofmann fort. Sie wollen selbst eine Lösung erarbeiten, wie sie das "Atlantis" nutzen wollen und eine Vermietung bewerkstelligen würden. "Sie würden gerne das Management übernehmen und hatten damit gerechnet, dass die Eigentümerin für Verhandlungen auf sie zukommt."

 "Unternehmerischer Geist"

 "34 500 Franken Miete zahle ich ab November monatlich, und mit gut 20 Prozent Nebenkosten rechne ich zusätzlich", kalkuliert Hofmann. Diese Beträge müssten die Aktivisten aufbringen können. Die Besetzer seien "sympathisch" gewesen. Auch habe er einen gewissen "unternehmerischen Geist" gespürt, darum will er ihnen bis Mittwoch, 16 Uhr, Zeit lassen, um ihm einen genauen Plan zu unterbreiten.

 "Meine Forderungen dazu sind klar: Sie müssten für Miete und Nebenkosten aufkommen können, ausserdem muss die Verantwortung klar definiert sein", erklärt der Buchser. Die Besetzer selbst, die während der vergangenen Woche auf Radio und Fernsehen anonyme Interviews gegeben hatten, wollten sich am Wochenende nicht mehr gegenüber den Medien äussern.

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Landbote 1.11.10

Hotelmieter gewährt Besetzern noch wenige Tage

 sda

 Zürich - Die Besetzer im ehemaligen Zürcher Fünfsternehotel Atlantis müssen bis am Mittwoch ausgezogen sein - oder entscheiden, ob sie das Projekt selber übernehmen wollen. Dies sagte der neue Mieter, der Unternehmer Werner Hofmann, am Samstag nach einem Gespräch mit den Besetzern. Wollen die Besetzer also bleiben, müssten sie Hofmann den Zins bezahlen, den er jetzt der Eigentümerin zahlen muss. Das sind rund 34 000 Franken, wie der Geschäftsführer der Tescon T.S.C. AG aus Buchs am Samstag gegenüber verschiedenen Medien sagte. Sein Ziel sei es, eine friedliche Lösung zu finden. Bis am kommenden Mittwoch um 16 Uhr sollen sich die Besetzer besprechen. "Ich möchte einfach, dass die Räumlichkeiten so genutzt werden, wie ich es vorhatte", sagte er. Im ehemaligen Hotel sollen günstige Zimmer für Studierende und Lehrlinge angeboten werden. (sda)

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20 Minuten 1.11.10

Atlantis: Studenten sollen einziehen

 ZÜRICH. Die Besetzer des früheren Luxushotels Atlantis müssen bis am Mittwoch ausgezogen sein - oder entscheiden, ob sie das Projekt Studentenwohnheim selber übernehmen. Dies sagte der Unternehmer Werner Hofmann nach einem Gespräch mit den Besetzern. Er hat das Atlantis für ein bis zwei Jahre gemietet und will die 150 Zimmer nach einer Pinselrenovation ab Dezember für 350 bis 400 Franken pro Monat an Studenten vermitteln. Möchten die Besetzer bleiben, müssten sie Hofmann den Monatszins von 34 000 Franken bezahlen, den er der Eigentümerin Rosebud Holding AG zahlt. Doch das kommt für sie nicht in Frage: "Wir zahlen nur Strom und Wasser", so ein Sprecher der "Familie Donovan". Bleiben werde man trotzdem. Hofmann betont, dass er mit seinem Engagement nichts verdiene. Eventuell winkt ihm aber beim späteren Umbau des Hotels ein lukrativer Auftrag für seine Sanitärfirma.  sda/rom

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Sonntagsblick 31.10.10

Ultimatum

 Hausbesetzer müssen raus

 Die Besetzer des ehemaligen Zürcher Fünfsterne-Hotels Atlantis müssen bis Mittwoch ausgezogen sein - oder entscheiden, ob sie das Projekt selber übernehmen wollen. Bleiben sie, müssen sie dem neuen Mieter den Zins zahlen, den dieser den Eigentümern zahlen muss: rund 34 000 Franken.

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KULTURSTREIK GE
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Bund 1.11.10

Protestfest für Jugendräume und alternative Kulturlokale

 Mehrere Hundert Personen haben in der Nacht auf Samstag in Genf mit einem Fest gegen fehlende Jugendräume und alternative Kulturlokale protestiert. Mit der Räumung der letzten besetzten Gebäude gibt es in der Rhonestadt kaum mehr alternative Lokale, die erschwingliche Kulturanlässe anbieten. Die Polizei zählte zwischen 1000 und 2000 Teilnehmende. Es kam zu Sachbeschädigungen. (sda)

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NZZ 1.11.10

Protestfest auf den Strassen Genfs

 (sda) · Mehrere tausend Personen haben in der Nacht auf Samstag in Genf mit einem Fest gegen fehlende Jugendräume und alternative Kulturlokale protestiert. Mit der Räumung der letzten besetzten Gebäude gibt es in der Rhonestadt kaum mehr alternative Lokale, die erschwingliche Kulturanlässe anbieten. Gemäss Organisatoren haben an der nächtlichen Parade etwas über 3000 Personen teilgenommen. Die Polizei zählte zwischen 1000 und 2000 Teilnehmende. Auch sei es zu Sachbeschädigungen gekommen, sagte ein Polizeisprecher.

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GENTRIFICATION
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Radio Z (Nürnberg) 1.11.10
http://www.freie-radios.net/mp3/20101101-quotgentri-36980.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=36980

"Gentrifidingsbums oder eine Stadt für alle" - Interview mit Autor Christoph Twickel

In vielen deutschen Großstädten ist seit Jahren derselbe Prozeß zu beobachten: ehemals gemiedene Stadtviertel, die durch Altbau-Charme und niedrige Mieten eine alternative Szene anlocken, werden Schritt für Schritt aufgewertet - bis die ursprünglichen Bewohnerinnen und Bewohner sich das Leben in ihrem Quartier nicht mehr leisten können. Auch in Nürnberg wird über die sogenannte Gentrification oder Gentrifizierung diskutiert. Besonders im Stadtteil Gostenhof macht man sich Sorgen, dass eine Verdrängung der bisherigen Anwohnerschaft in Gang gesetzt werden könnte. In anderen Städten haben diese Verdrängungsprozeße längst in viel größeren Dimensionen begonnen, aber auch der Protest dagegen hat sich inzwischen formiert. Der Hamburger Journalist und Autor Christoph Twickel legt nun einen kleinen Leitfaden für die Auseinandersetzungen um die Stadtteilaufwertung vor. "Gentrifizidingsbums oder eine Stadt für alle" heißt das Buch. Im Interview mit ihm hat Tobias Lindemann als aller erstes interessiert, mit welcher Intention er an das Buch herangegangen ist. (Text kann als Anmod verwendet werden)

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POLICE VD
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Sonntagszeitung 31.10.10

Manipulation am Videomaterial war laut Experte doch möglich

 Prügelvorwurf an Wärter: Gefälschter Rapport?

 Zürich Die Ermittlungen im Fall der fünf Wärter, die einen Zürcher Financier im Lausanner Gefängnis Bois Mermet verprügelt haben sollen, bringen brisante Details ans Licht. Im Zentrum der Untersuchung steht ein verschollenes Video. Eine Überwachungskamera hätte den Vorfall, den die Aufseher bestreiten, festhalten sollen. Doch genau während der angeblichen Prügelei fiel das Gerät aus - wegen eines Stromunterbruchs, wie das Gefängnis sagt. Es sei ausgeschlossen, dass das Gerät manuell abgeschaltet wurde, dies hätten Fernmeldetechniker in einem Rapport festgehalten, sagte Denis Pittet vom Waadtländer Innendepartement. Einer der Spezialisten widerspricht nun dem Rapport, den er selber unterzeichnet hat. Gegenüber dem Untersuchungsrichter sagt er, Manipulation sei sehr wohl möglich. Als ihn der Ermittler nach der Passage im Rapport fragte, wo das Gegenteil steht, sagte er: "Ich weiss nicht, was das heisst." Pikant: Die Passage steht nach den Unterschriften. Wurde sie später hinzugefügt, ohne Wissen des Spezialisten? Er will der SonntagsZeitung keine Auskunft geben.

 Der Lausanner Bundesanwalt, der gegen den betroffenen Financier ermittelt, ist inzwischen vom Fall suspendiert worden. Am Mittwoch setzte der Bundesrat in dem Fall einen Sonderermittler ein. Der Bundesanwalt soll die Finma und Grossbanken mit falschen Informationen über eine Zürcher Firma beliefert haben.  Catherine Boss

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POLICE ZH
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20 Minuten 1.11.10

Stadtpolizei Zürich: Mit Fadenkreuz und Totenkopf

 Jeder dritte Stadtpolizist hat Angst, im Dienst angegriffen zu werden. Privat geben sich die Beamten des Kreis 4 jedoch gerne als harte "Cops".

Ronny Nicolussi

 Sie sind um ihren Job nicht zu beneiden, die Polizisten im Zürcher Kreis 4. Das Gebiet rund um die Langstrasse ist ein hartes Pflaster. Eine ruhige Kugel schiebt hier niemand. Erst kürzlich ging aus einer Diplomarbeit am Institut für Strafrecht und Kriminologie der Universität Bern hervor, dass Übergriffe gegen Polizisten deutlich zunehmen. Jeder dritte Polizist habe demnach Angst, im Dienst angegriffen zu werden.

 Danach sieht es allerdings nicht aus, wenn man einen Blick in den internen Online-Shop der Regionalwache Aussersihl wirft. Angeboten werden etwa Pullover, T-Shirts, Tangas und Merchandisingprodukte mit dem Aufdruck "chreis 4 cop". Der Schriftzug wird von einer gezeichneten Darstellung des Kreis 4 durch ein Zielfernrohr begleitet. Erst vor knapp einem Jahr sorgte die Stadtpolizei Zürich mit der Aktion "Respekt" für Aufsehen. Die Beamten wurden damals, wegen hartem Durchgreifen an der Langstrasse, als Möchtegern-Rambos kritisiert. Jetzt erhält der Vorwurf neue Nahrung.

 Allerdings wehrt sich der Initiator des Shops vehement gegen diese Darstellung. Betrieben wird der Shop vom 51-jährigen Wachtmeister Walter Maurer. Dieser leistet seit 26 Jahren Dienst bei der Stadtpolizei Zürich, seit acht Jahren im Kreis 4. Seinen Shop sieht er als Instrument für Teambildung und Motivation der Polizisten.

 Harte Cops in der Freizeit?

 Die Artikel seien vor allem für den Freizeit-Gebrauch gedacht. Einzig eine Krawattennadel und Aufkleber für das Magazin der Pistole (siehe Bilder) würden während des Dienstes getragen. Trotzdem schweissten die Produkte die Einheit zusammen. Dass die Polizisten in der Freizeit mit den Requisiten im Hip-Hop-Stil die harten Cops spielen wollten, was so gar nicht zum gewünschten Bild des Polizeikommandos passen würde, verneint Maurer gegenüber 20 Minuten Online: "Für mich ist Cop einfach ein Ausdruck für Polizist." Zudem stehe auf den meisten Produkten sowieso nur die Kurzform des Slogans "c4c", die wohl für niemanden eine Provokation darstelle.

 "Vertretbarer Rahmen"

 Das Polizeikommando weiss von den Produkten. Polizeisprecher Marco Cortesi sagt: "Das ist nicht wahnsinnig tragisch. Die Artikel bewegen sich in einem vertretbaren Rahmen." So viel Freiheit müsse schon drinliegen. Keine Freude hat das Kommando hingegen an einer Espressotasse, die mit einem Totenkopf verziert ist, der eine "c4c"-Mütze trägt. Solange solche Produkte nur im Privatbereich gebraucht würden, könne man aber damit leben. "Entscheidend ist, wie sich ein Polizist verhält", so Cortesi.

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POLICE GR
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Südostschweiz 2.11.10

Polizeiauto mit Flaschen und Steinen beworfen

 Die zunehmende Respektlosigkeit gegenüber der Polizei ist nicht nur in Grossstädten feststellbar. Auch in kleineren Orten - wie in der Nacht auf Samstag in Landquart - werden Polizisten bedroht und Polizeiautos beschädigt.

 Von Theo Gstöhl

 Landquart. - Weil sich vor dem Pub an der Bahnhofstrasse in Landquart zwei Gruppen junger Leute in die Haare geraten waren, wurde am Freitagabend kurz vor Mitternacht die Polizei gerufen. Als die Patrouille der Kantonspolizei Graubünden dort eintraf, befanden sich rund 20 Personen vor dem Lokal. Während sich die beiden Polizeibeamten ein erstes Bild der Lage verschafften, urinierte ein junger Mann an das Polizeifahrzeug. Die Polizisten schritten dann unverzüglich ein und setzten dem Treiben ein Ende.

 Beschimpft und bedroht

 Weitere Personen ergriffen dann Bierflaschen und Steine und bewarfen damit den Streifenwagen. Dabei entstand am Polizeifahrzeug beträchtlicher Sachschaden - unter anderem ging die Heckscheibe durch einen Steinwurf zu Bruch. Aber auch Einrichtungen im Inneren des Fahrzeugs wurden beschädigt. Die beiden Polizisten wurden zudem massiv beschimpft und gar bedroht, sodass sie den Pikettdienst des Polizeipostens Landquart zur Verstärkung aufbieten mussten.

 Wie gestern beim Mediendienst der Kantonspolizei zu erfahren war, handelt es sich bei den Hauptbeteiligten um vier junge Männer - alles Einheimische. Sie werden nun wegen mehrerer Delikte verzeigt, so wegen Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte sowie wegen Sachbeschädigung. Sie werden auch für den angerichteten Schaden am Polizeifahrzeug und dessen Einrichtung aufkommen müssen.

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Bierflaschen gegen ein Polizeiauto

 Landquart. - Eine Gruppe junger Leute hat am Freitag kurz vor Mitternacht in Landquart Bierflaschen und Steine gegen ein Einsatzfahrzeug der Bündner Kantonspolizei geworfen. Am Auto entstand beträchtlicher Sachschaden, unter anderem ging die Heckscheibe in die Brüche.

 Die Polizei war zu einem Lokal an der Lanquarter Bahnhofstrasse gerufen worden, weil sich zwei Gruppen junger Leute in die Haare geraten waren. Vor dem Lokal hielten sich rund 20 Personen auf.

 Als sich die zwei Polizisten ein Bild von den Geschehnissen machten, urinierte ein junger Mann an das Einsatzfahrzeug. Weitere Personen schmissen Bierflaschen und Steine gegen das Auto. Zudem wurden die Polizisten massiv beschimpft und bedroht.

 Die jungen Leute werden nun wegen mehrerer Delikte verzeigt. Ausserdem müssen sie für den Schaden aufkommen, wie die Polizei am Montag in einem Communiqué vermeldete. (sda)

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POLICE CH
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Tagesanzeiger 1.11.10

Sicherheit in der S-Bahn

 Wer sorgt am besten für sichere Züge in der Nacht?

 Seilziehen um das Sicherheitskonzept auf den Nacht-S-Bahnen: Der Ton zwischen den Zugchefs, den SBB und dem Zürcher Verkehrsverbund wird härter.

 Von Ruedi Baumann

 Zürich - Klar ist: 210 Zugchefs, die bisher ab 21 Uhr auf allen S-Bahnen patrouillierten, sollen abgeschafft und durch einen flexibel eingesetzten Sicherheitsdienst abgelöst werden (siehe Artikel rechts zum neuen Sicherheitskonzept). Die Zugbegleiter warnen vor einem Sicherheitsverlust und wehren sich für ihre Jobs. Zuerst haben sie beim Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) eine Petition mit 3000 Unterschriften eingereicht. Nun sind sie selbstbewusster geworden und haben zweimal im HB Zürich - in Uniform und in gelben Westen - Flugblätter verteilt. Damit begaben sie sich zumindest rechtlich in eine Grauzone.

 "Wir haben keine einzige negative Reaktion erlebt; wir sind vielmehr von den Passanten ermuntert worden, für die bisherige Zugbegleitung zu kämpfen", sagt Arne Hegland, Regionalsekretär der Bahnpersonalgewerkschaft SEV. Gemäss SEV-Mediensprecher Peter Moor habe man die Flugblätter "reaktiv verteilt" - das heisst nur auf Anfrage und nicht so offensiv wie beispielsweise die "Blick am Abend"-Verteiler. Der SEV plant weitere Flugblattaktionen in typischen Pendlerbahnhöfen wie Uster, Dietikon oder Zug. Sogar unterwegs bei der Arbeit in den S-Bahnen hätten die Zugchefs Flyer dabei, sagt Moor, "aber nur für den Fall, dass sie angesprochen werden".

 SBB: Klare Rechtslage

 Die SBB als Arbeitgeberin der Zugchefs sind über diese Flugblattaktionen nicht glücklich. "Die Ausgangslage ist klar", sagt Mediensprecher Daniele Pallecchi, "Verteilungen jeglicher Art im Bahnhof oder im Zug sind bewilligungspflichtig. Die Zugchefs haben aber keine Bewilligung." Man werde nun das Gespräch mit den Verantwortlichen suchen. Peter Moor sieht diesem Gespräch gelassen entgegen. "Wir stehen nur für Informationen zur Verfügung, das ist schliesslich unser Job."

 Die Flugblätter bieten aber auch inhaltlich Zündstoff. "Die Behauptungen auf dem Flyer stimmen nicht in allen Punkten", sagt ZVV-Mediensprecherin Beatrice Henes. Falsch sei zum Beispiel, dass es sich um ein "Abbaukonzept" handle. "Es wird gleich viel Personal eingesetzt, und es stehen die gleichen Mittel zur Verfügung wie heute", betont Henes. Aus der Luft gegriffen sei die Aussage, die Züge würden in der Nacht nicht mehr gereinigt. "Es gibt weiterhin Reinigungspersonal, das regelmässig durch die Züge geht." Zudem helfe der neue Sicherheitsdienst beim Einsammeln von Zeitungen oder Dosen.

 ZVV: Kundendienst bleibt

 Ebenso wenig einverstanden ist man beim ZVV mit der Behauptung auf dem Flyer, die Passagiere müssten künftig auf den Kundendienst verzichten. "Auch der Sicherheitsdienst wird beim Ein- und Aussteigen helfen", sagt Beatrice Henes. Ihr zweites Argument: Tagsüber sei die S-Bahn auch nicht begleitet, und da würden mehr Leute mit Kinderwagen verkehren als nachts. Zudem sei die eher junge Kundschaft in der Nacht geübt im Umgang mit elektronischen Hilfsmitteln wie Online-Fahrplänen auf dem Handy.

 Beim Konflikt zwischen Personal und Verkehrsverbund fällt auf, dass sich die beiden Seiten gern missverstehen und es dadurch zu persönlichen Verunglimpfungen kommt. Zuerst hatte das Bahnpersonal verlangt, in der S-Bahn den Nachtzuschlag zu streichen, weil die Kontrolle und das Eintreiben der Fünfliber Konfliktpotenzial bergen würden und ein unnötiges Sicherheitsrisiko darstellten. Das Personal schoss mit dieser Forderung allerdings ein Eigengoal. Prompt reagierte der ZVV mit der Bekanntgabe einer Statistik, wonach die Einnahmen im Nachtnetz trotz gestiegener Frequenzen massiv gesunken seien. Grund: Die Zugchefs würden offensichtlich ihren Job nicht mehr ordentlich erledigen. Auf diesen Vorwurf hin verlangte der SEV eine öffentliche Entschuldigung. "Das ist stillos, so geht man in der Schweiz nicht miteinander um", sagt Arne Hegland vom SEV.

 Beim Verkehrsverbund sagt Beatrice Henes, dass sich Direktor Franz Kagerbauer beim SEV in einem Brief erklären werde. Die Kritik an den Mindereinnahmen im Nachtnetz richte sich nicht ans Personal, sondern ans System. "Die Kontrollen in den vollen Zügen mit teilweise aggressiven und angetrunkenen Passagieren sind sehr anspruchsvoll und zeitraubend. Die Einnahmen sinken, weil die Zugchefs in Zweierteams nicht mehr durch die ganzen Züge gelangen." Gemäss Henes habe man den Zugchefs nie mangelnde Motivation vorgeworfen.

 In die Diskussion um das neue Sicherheitskonzept hat sich inzwischen auch die Politik eingeklinkt. "In den Parlamenten der grossen Agglomerationsgemeinden sind Vorstösse in Planung", sagt SEV-Sprecher Peter Moor. Die Gemeinden würden die Hälfte der Kostenunterdeckung des ZVV übernehmen und hätten deshalb ein Mitspracherecht. Im Kantonsrat - der Kanton bezahlt die andere Hälfte - hat die SP bereits eine Anfrage deponiert. Renate Büchi, die in Richterswil 16 Jahre lang Sicherheitsvorsteherin war, findet das neue Sicherheitskonzept "zu extrem". Nur weil sie in der Nacht eine S-Bahn benütze, die nicht zu den gefährdeten Linien gehöre, wolle sie nicht auf eine Begleitung verzichten. SP-Kantonsrätin Büchi schlägt deshalb einen Kompromiss zwischen den "sympathischen Zweierpatrouillen" und den "kriegerisch, überfallartig eingesetzten Achterpatrouillen" vor.

 Bedenkenswert sei auch die Prüfung des deutschen Systems (siehe Artikel links) mit Zweierpatrouillen aus einem ausgebildeten Polizisten und einem Bahnangestellten. "Die heutigen Zugbegleiter haben zu wenig Rechte und dürfen renitente Passagiere nicht einmal festhalten."

 Bewaffnete Bahnpolizei?

 Derzeit gibt es Bestrebungen, die Transportpolizisten zu bewaffnen. Anders als in Deutschland waren in der Schweiz Bahnpolizisten mit Schusswaffen bisher undenkbar. Wie die "SonntagsZeitung" schreibt, fordert der Polizeibeamtenverband nun eine Praxisänderung, da sich die Sicherheitslage in den Zügen und auf den Bahnhöfen verschäft habe. Auch der SEV sperrt sich laut dem Zeitungsbericht nicht mehr gegen die Bewaffnung der Tansportpolizisten.

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Sicherheit in der S-Bahn

 Für die Passagiere in der S-Bahn soll sich die Sicherheit sogar erhöhen

 Das neue Konzept des Zürcher Verkehrsverbundes ist in der Schweiz einmalig. Es sei keine Sparübung, sagt der ZVV. Ein Grossteil der Züge bleibe begleitet.

 Von Stefan Häne

 Zürich - Angenommen, eine Frau fährt nach 23 Uhr mit der S 2 von Ziegelbrücke nach Zürich. In Lachen steigen alkoholisierte Jugendliche ein und beginnen, die Frau zu begrapschen. In einem solchen Fall könnte der Fahrgast heute die beiden Zugchefs auf der S-Bahn alarmieren. Oder aber das Duo wird selber auf den Vorfall aufmerksam und greift ein.

 Seit 2004 wird jede S-Bahn ab 21 Uhr von einer solchen Zweierpatrouille begleitet. Doch nicht mehr lange: Der Zürcher Verkehrsverbund (ZVV) führt mit den SBB ein neues, in der Schweiz noch unerprobtes Sicherheitssystem ein. Sein Name: "Ein Raum, ein Kommando". Ab 1. Januar 2011 wird nicht mehr jeder einzelne Zug vom Anfangs- bis zum Endbahnhof begleitet sein. Anstelle der Zugchefs sind künftig Transportpolizisten für die Sicherheit verantwortlich, ebenso ein neuer Sicherheitsdienst und Präventionsassistenten. Kontrolleure überprüfen die Billette. Sie werden hauptsächlich Züge auf problematischen Linienabschnitten begleiten. Die SBB versichern, zu wissen, "zwischen welchen Stationen und an welchen Wochentagen und Tageszeiten gerne Unruhe auftritt". Offen ist, was das neue Konzept bringt. Nachfolgend die Antworten auf die wichtigsten Fragen.

 Laut Umfragen des ZVV fühlen sich die Passagiere abends zunehmend sicherer. Warum braucht es denn ein neues Sicherheitskonzept?

 Der ZVV hält das System der Zugbegleitung nach 21 Uhr für zu wenig flexibel. Für die Sicherheit in der S-Bahn müssen heute die Zugchefs sorgen. "Für brenzlige Situationen sind sie aber nicht ausgestattet", sagt ZVV-Sprecherin Beatrice Henes. Schwer wiegt dies gemäss ZVV, dass die Zugchefs abends oft alkoholisierte oder gar randalierende Jugendliche in Zweierteams kontrollieren müssten. Aus Angst, selber Opfer zu werden, täten sie dies aber nur noch zum Teil.

 Können die Sicherheitsleute im Zug künftig schnell genug Hilfe leisten?

 Der skizzierte (fiktive) Vorfall wirft diese Frage auf. Der ZVV antwortet darauf ausweichend mit einer Gegenfrage: Was passiert, wenn am Nachmittag eine Frau in einem schwach besetzten, nicht begleiteten Zug belästigt wird? "Eine absolute Sicherheit gibt es nie", sagt Henes. Ein Grossteil der Züge bleibe begleitet. Die Zugchefs warnen vor einem Wegfall der durchgehenden Begleitung ab 21   Uhr: Ihre Anwesenheit wirke vorbeugend gegen Vandalismus und Gewalt.

 Wie erfolgt die Alarmierung?

 Bis Ende Jahr werden alle S-Bahnen videoüberwacht sein und Notrufknöpfe haben, die eine direkte Verbindung in die Einsatzzentrale der Transportpolizei ermöglichen. Zudem ist heute schon in allen Waggons die Telefonnummer der Transportpolizei gut sichtbar angebracht (0800 117 117). Neu werden das Sicherheitspersonal und die Transportpolizei auch an Bahnhöfen präsent sein, und die Zusammenarbeit mit der Kantons- und Gemeindepolizei wird intensiviert. Geplant ist zudem, alle Mitarbeiter mit GPS auszurüsten, damit die Einsatzzentrale die Sicherheitsleute nicht mehr permanent lokalisieren muss. "So werden immer jene Teams eingesetzt, die am schnellsten am Ort des Geschehens sein können", sagt SBB-Sprecher Daniele Pallecchi.

 Wann sind die neuen Einsatzgruppen unterwegs?

 Grundsätzlich den ganzen Tag über, mit Schwerpunkt am Abend und in der Nacht. Das ZVV-Nachtnetz bleibt vollständig begleitet. Zudem gilt die neue Sicherheitsorganisation auf dem gesamten ZVV-Gebiet, also auch auf den regionalen Buslinien, die ihre Sicherheit heute privat organisieren.

 Gibt es bereits ab 1. Januar 2011 keine Zugchefs mehr?

 Nein, die Umsetzung des Konzepts erfolgt schrittweise und soll bis Ende 2012 abgeschlossen sein. Zugchefs, die einen anderen Job gefunden haben, werden laufend durch Mitarbeiter des neuen Sicherheitsdienstes ersetzt. Alle rund 210 betroffenen Zugchefs sind durch den SBB-Gesamtarbeitsvertrag vor einer Entlassung geschützt. Die SBB bieten ihnen intern andere Stellen an. Die Bahnpersonalgewerkschaft SEV bezweifelt, dass sich für alle Lösungen finden lassen.

 Ist das neue Konzept eine versteckte Sparübung?

 Nein, sagt der ZVV. Heute und auch in Zukunft stehen für die Sicherheit und Kontrolle im ZVV-Netz über 40 Millionen Franken pro Jahr bereit. Auch der Bestand des Sicherheitspersonals bleibt mit rund 500 Personen gleich hoch (siehe Grafik).

 Lässt sich künftig leichter schwarzfahren, weil abends nicht mehr jede S-Bahn begleitet ist?

 Der ZVV stellt dies in Abrede. Das Risiko, kontrolliert zu werden, bleibe weiterhin hoch. Neu führt der ZVV auch nachts vermehrt Schwerpunktkontrollen durch. Diese seien "äusserst effektiv", da mehr Personal als bei gewöhnlichen Kontrollen im Einsatz stehe. "Der Schwarzfahrer hat nicht mehr so einfach die Möglichkeit, sich der Kontrolle zu entziehen", sagt Sprecherin Henes. Der ZVV muss wegen Schwarzfahrern pro Jahr Einnahmeausfälle von rund 30 bis 40 Millionen Franken in Kauf nehmen, das sind rund 7 Prozent seiner Einnahmen aus dem Ticketverkauf.

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20 Minuten 1.11.10

Gibt es bald bewaffnete Bahnpolizisten?

 ZÜRICH. Die Bahnpolizisten in den SBB-Zügen sollen schon bald geladene Schusswaffen tragen. Dies fordert Heinz Buttauer, Präsident des Schweizerischen Polizeibeamtenverbands (VSPB), wie die "SonntagsZeitung" berichtet. Die Sicherheitslage in den Zügen und auf den Bahnhöfen habe sich verschärft, so Buttauer. Darum sei es wichtig, dass Bahnpolizisten dort Waffen tragen dürften. Für den Sprecher der Transportgewerkschaft SEV, Peter Moor, wäre es dagegen ein Horror-Szenario, wenn in einem fahrenden Zug geschossen würde. Der SEV sperrt sich aber nicht mehr grundsätzlich gegen Waffen für Transportpolizisten. Auch die SBB überdenken ihre Haltung, wie SBB-Sprecher Christian Ginsig bestätigt.

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Sonntagszeitung 31.10.10

Bewaffnete Bahnpolizei

 Für mehr Sicherheit in Zügen und Bahnhöfen

 Zürich Die Bahnpolizisten in den SBB-Zügen sollen schon bald geladene Schusswaffen tragen. Dies fordert Heinz Buttauer, Präsident des Schweizerischen Polizeibeamtenverbands VSPB. Die Sicherheitslage in den Zügen und auf den Bahnhöfen habe sich derart verschärft, dass die Bahnpolizisten neu solche Waffen tragen müssten. Mittlerweile sperrt sich auch die Transportgewerkschaft SEV nicht mehr grundsätzlich gegen Waffen für Transportpolizisten. Die SBB klären ab.

 Seite 8

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"Wir fordern eine bewaffnete Bahnpolizei"
 
Der Polizistenverband will gleiche Kompetenzen für alle Korps - inklusive Zugriffsrecht auf Ripol

 Zürich Bis vor kurzem waren bewaffnete Bahnpolizisten in Schweizer Zügen undenkbar. Jetzt könnte sich eine Wende abzeichnen: "Wir fordern eine bewaffnete Bahnpolizei", sagt Heinz Buttauer, Präsident des Schweizerischen Polizeibeamtenverbands VSPB. Die Sicherheitslage in den Zügen und auf den Bahnhöfen habe sich verschärft, entsprechend wichtig ist dem Verband, dass die Bahnpolizisten dort Waffen tragen dürfen. Weiter müsse die Bahnpolizei Zugriff auf das Fahndungssystem Ripol erhalten: "Sie ist ein vollwertiges Polizeikorps und braucht die gleichen Kompetenzen wie alle anderen Polizeien auch." Der VSPB hatte die Bewaffnung bekämpft, weil die SBB die Bahnpolizei gemeinsam mit der Securitas führten. Aus Sicht des Verbandes hätte so eine private Sicherheitstruppe Waffen erhalten.

 Auch die Transportgewerkschaft SEV hat ihre Position justiert: "Für uns wäre es ein Horrorszenario, wenn in einem fahrenden Zug geschossen würde", sagt SEV-Sprecher Peter Moor. Darum seien Einsätze von bewaffnetem Sicherheitspersonal in den Zügen bedenklich. Trotzdem sperrt sich der SEV nicht mehr grundsätzlich gegen Waffen für Transportpolizisten: "Schon heute sind Kantonspolizisten und Grenzwächter bewaffnet in Zügen unterwegs, da sollte man die Bahnpolizei gleich behandeln."

 Zurzeit läuft eine Vernehmlassung des Bundesamts für Verkehr (BAV) zur Verordnung über die Sicherheitsdienste und Transportpolizeien von Verkehrsunternehmen.

 Auch die SBB sind daran, erstmals ihre Haltung zur Bewaffnung der Bahnpolizei zu definieren. So wurden die Mitglieder des unabhängigen Kundenbeirats und andere Interessenvertreter bezügliche bewaffneten Transportpolizisten um ihre Meinung gebeten. Das bestätigt SBB-Sprecher Christian Ginsig. Die Konzernleitung hat bisher aber weder einen Entscheid gefällt noch eine Stellungnahme ans BAV abgegeben.

 Die BLS AG, das zweitgrösste Bahnunternehmen, will dagegen ganz auf eine Transportpolizei verzichtet: "Wir bauen ab 2011 einen Sicherheitsdienst mit unseren eigenen Leuten auf", sagt Sprecher Hugo Wyler. Dies, weil damit mehr Kundennähe und eine deeskalierende Wirkung verbunden sei. Zudem habe sich die Zusammenarbeit mit den Kantonspolizeien bewährt.

 Noch unentschieden sind die kantonalen Polizeidirektoren und Polizeikommandanten. Beide Konferenzen legen ihre Position erst im November fest.  

Matthias Halbeis

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20min.ch 31.10.10

SBB: Bahnpolizei soll doch Waffen tragen
 
Die Bahnpolizisten in den SBB-Zügen sollen schon bald geladene Schusswaffen tragen. Dies fordert Heinz Buttauer, Präsident des Schweizerischen Polizeibeamtenverbands (VSPB).

 Was bis vor kurzem noch undenkbar war, könnte jetzt schon bald Realität werden: Eine Bahnnpolizei, die bewaffnet ist. Heinz Buttauer, Präsident des Schweizerischen Polizeibeamtenverbands (VSPB) fordert dies in der "SonntagsZeitung". Die Sicherheitslage in den Zügen und auf den Bahnhöfen habe sich verschärft, entsprechend wichtig ist dem Verband, dass die Bahnpolizisten dort Waffen tragen dürfen. Weiter müsse die Bahnhpolizei Zugriff auf das Fahndungssystem Ripol erhalten:" Sie ist ein vollwertiges Polizeikorps und braucht die gleichen Kompetenzen wie alle anderen Polizeien auch", so Buttauer.

 Der VSPB hatte die Bewaffnung früher bekämpft, weil die SBB die Bahnpolizei gemeinsam mit der Securitas führten. Aus Sicht des Verbandes hätte so eine private Sicherheitstruppe Waffen erhalten.

 Zurzeit läuft eine Vernehmlassung des Bundesamts für Verkehr (BAV) zur Verordnung über die Sicherheitsdienste und Transportpolizeien von Verkehrsunternehmen. Auch die SBB sind daran, erstmals ihre Haltung zur Bewaffnung der Bahnpolizei zu definieren. So wurden die Mitglieder des unabhängigen Kundenbeirats und andere Interessenvertreter bezüglich bewaffneten Transportpolizisten um ihre Meinung gebeten. Das bestätigte der SBB-Sprecher Christian Ginsig gegenüber der "SonntagsZeitung". (feb)

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ANTI-FEMINISMUS
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NLZ 2.11.10

Auch die provokative und ungenehme Meinung ist frei

 Noémie Schafroth über Meinungs- und Versammlungsfreiheit

 Die Provokation liebt er, für ein bisschen öffentliche Aufmerksamkeit geht er weit: René Kuhn, einst Grossstadtrat und SVP-Parteipräsident in der Stadt Luzern und mittlerweile fast schweizweit bekannt als selbst erklärter "Vorkämpfer" für antifeministische Anliegen.

 Auf seiner Website veröffentlichte er letztes Jahr einen Text, in dem er sich über "linke zerlumpte Frauen" ereiferte und sich damit so heillos in die Nesseln setzte, dass es ihn seine politischen Ämter kostete. Bis zum vergangenen Wochenende bestand die Krönung seiner medialen Karriere darin, sich in einem Beitrag der "Rundschau" als Zigarren schmauchender Provokateur zu gefallen und - im Ton zwar diplomatischer, aber inhaltlich ohne Kompromisse - seine Tiraden gegen politisch links stehende Frauen zu platzieren.

 Nun gingen die Wogenerneut hoch: Am Samstag fand das 1. Internationale Antifeminismustreffen statt. Die geharnischten und gehässigen Reaktionen im Vorfeld liessen prompt nicht lange auf sich warten, die Medien labten sich am Provokationspotenzial.

 Im zürcherischen Uitikon, wo die Tagung ursprünglich hätte durchgeführt werden sollen, gabs einen Farbanschlag auf ein Wohnhaus, Linksaktivisten und Feministinnen drohten mit einer Demonstration. Die Organisatoren der Tagung reagierten, indem sie das Treffen kurzerhand an einen geheimen Ort verlegten. Für die Geheimhaltung führten sie Bedenken um die Sicherheit der Teilnehmer ins Feld. Es scheint also, dass es mit der Meinungs- und der Versammlungsfreiheit nicht weit her ist, sobald die Sache nicht nur kontrovers, sondern auch emotional wird.

 Ungeachtet dessen, ob einem die von René Kuhn ins Leben gerufene Tagung gefällt oder nicht: Auch für Antifeministen gelten die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit. Einschränkungen dieser beiden Grundrechte, die in der Bundesverfassung gewährleistet sind, bestehen allenfalls, wenn ein öffentliches Interesse vorgeht (zum Beispiel die Sicherheit) oder wenn die Grundrechte von Dritten in Gefahr sind.

 Davon kann im Falle der Antifeminismustagung, die aus ein paar Referaten und Diskussionen im Anschluss bestand, nicht die Rede sein. Die meisten Äusserungen sind zwar für die überwiegende Zahl der Bürger und Bürgerinnen eine plumpe Provokation oder ein Affront. Abschätzige Äusserungen gegenüber Frauen sind aber weder ein Straftatbestand noch ein Risiko für die öffentliche Sicherheit.

 Genauso wie die Antifeministen durch die Meinungs- und die Versammlungsfreiheit geschützt sind, so gelten die beiden Grundrechte auch für die rund 40 Demonstranten, die ihren Unmut mit einer Kundgebung in Zürich ausdrückten. Die laut einem Bericht der "Basler Zeitung" vornehmlich jungen Männer und Frauen demonstrierten, weil "diese Typen um Kuhn nicht ungestört ihre rückständigen rechtslastigen Ideologien verbreiten dürfen".

 Ob des ganzen Wirbels bleibt die heilsame Erkenntnis, dass sich die meisten absurden Äusserungen aufgrund ihres Inhalts ohnehin von alleine diskreditieren. Für die Gegner des Antifeminismustreffens, das nächstes Jahr wieder durchgeführt werden soll, besteht also kein Grund, in Panik zu geraten.

 Interessanter als die Hysterie um die Tagung vom letzten Samstag sind ohnehin einige der Fragen, die dort offenbar aufgeworfen wurden. So kritisierten die Männer-Interessenorganisationen die "Ungleichbehandlung von Mann und Frau in Scheidungs-, Unterhalts- und Sorgerechtsfragen". Solche heisse Eisen, an denen man sich leicht die Finger verbrennt, müssen aufgegriffen und diskutiert werden - ungeachtet dessen, ob einer ihrer Fürsprecher René Kuhn heisst.

 Noémie Schafroth

 noemie.schafroth@neue-lz.ch

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St. Galler Tagblatt 2.11.10

Salzkorn

 Nein, eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit stellen sie nicht gerade dar, diese "Antifeministen", die sich am Wochenende nur gerade im Geheimen treffen konnten, weil ihre Veranstaltung von rabiaten Störern bedroht wurde. Der Gemeindebehörde von Uitikon rutschte das Herz ob der Drohungen so tief in die Hosen, dass sie das Treffen des traurigen Häufleins männlicher Scheidungs- und Sorgerechts-Verlierer gleich verbieten wollte.

 Die Anti-Antifeministen sind in Zürich ja sonst eher als Antifaschisten bekannt, deren Demos meist von Radau und Scheibengeklirr begleitet sind. Sie sind die späten Erben der antiautoritären Achtundsechziger, die inzwischen von den Anti-Antiautoritären schon fast überrollt sind. Beide sind ja inzwischen in die Jahre gekommen und blättern heute eher in Katalogen von Anti-Aging-Produkten.

 Übrigens schwimmt ja auch die SPS wieder auf der Anti-(Kapitalismus-)Welle. Vielleicht sollte man all den verbissenen Antis mal ein Antispasmodikum verschreiben: ein Mittel gegen ideologische Krämpfe. G. F. H.

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Tagesanzeiger 1.11.10

Es gibt auch Emanzipationsverlierer

 Die Anti-Feminismus-Tagung war harmlos. Die Anliegen, die dort diskutiert wurden, hätten aber Aufmerksamkeit verdient - bloss gingen sie in der allgemeinen Empörung unter.  

Von Bettina Weber

 Es gibt, das steht seit Samstag fest, nicht nur Globalisierungsverlierer. Es gibt auch Emanzipationsverlierer. Männer, die so richtig unter die Räder kommen. Vor allem bei Scheidungen. Die Geschichten, die sie erzählen, sind bisweilen himmeltraurig. Wie die vom Mann in den Geox-Schuhen, der ungefragt loslegt. Dass man ihm nach dem Tod seiner Frau fünf Jahre lang das Kind weggenommen habe. Weil man, wie ihm einst ein Beamter erklärt habe, automatisch von der "Unfähigkeitsvermutung" des Mannes in Sachen Kinderbetreuung ausgehe. Wie er habe kämpfen müssen, sich extra eine Stelle gesucht habe, wo er Teilzeit arbeiten könne, wie er sich, als das Kind endlich zurück war, alle sechs Monate Besuche von der Vormundschaftsbehörde habe gefallen lassen müssen, an denen er gefragt worden sei, wann und was das Kind zu Abend esse. "Wäre das", fragt er rhetorisch, "einer Frau passiert?" Deshalb ist er zur Tagung angereist. Weil er sich, obschon er den Namen "Anti-Feminismus" äusserst unglücklich gewählt findet, endlich Gehör verschaffen will. Denn er sei kein Einzelfall.

 Bloss wird das, was der Mann zu sagen hat und sehr wohl Aufmerksamkeit verdient hätte, in der Empörung und im allgemeinen Geschrei untergehen, die in den vergangenen Tagen aufgeflammt sind (siehe Text unten). Ob René Kuhn als Sprachrohr des Vereins dem Mann mit den Geox-Schuhen und dessen Leidensgenossen einen Gefallen getan hat, ist fraglich. Aber Kuhn hat seine Lehre bei der SVP gemacht und verstanden, wie erfolgreiches Politmarketing funktioniert. Und so nannte er den Verein Anti-Feminismus, weil ein "Anti" verlässlich jene Portion Empörung hervorruft, die für Schlagzeilen sorgt. Und er provozierte, indem er Schweizer Frauen als Vogelscheuchen bezeichnete. Kuhn hielt den brennenden Reifen, und die Medien und linken Gruppierungen sprangen wie der dressierte Pudel im Zirkus durch ihn hindurch.

 Seit 30 Jahren engagiert

 Dabei hätte ein Klick auf die Homepage gezeigt, dass es dem Verein mitnichten um die Abschaffung des Frauenstimmrechts geht. Sondern dass bestehende Ungerechtigkeiten, insbesondere bei Scheidungen, thematisiert werden sollen. Dass da zum Beispiel der Präsident der Interessengemeinschaft der geschiedenen und getrennt lebenden Männer reden würde - ein Verein, den es seit 30 Jahren gibt, und der Männer, die sich in Scheidung befinden, unterstützt. Der Vortrag war dann auch äusserst differenziert, indem die diversen Revisionen des Scheidungsrechts zugunsten der Frauen als richtig und nötig bezeichnet wurden, aber gleichzeitig eben das Ausufern in der Praxis kritisiert wurde. Und wenn gemäss den Aussagen des Präsidenten der IGM im Kanton Zürich gerade mal in 0,05 Prozent aller Fälle dem Vater das Sorgerecht zugesprochen wird (in den beiden Halbkantonen Appenzell 0,0 Prozent), dann heisst das doch was. Auch wenn die Frage erlaubt sein muss, ob all die Väter, die ein zu frauenfreundliches System beklagen, sich schon vor der Scheidung so engagiert gezeigt haben in der Kinderbetreuung, indem sie etwa Teilzeit arbeiteten.

 Was den Verein Anti-Feminismus stört, nämlich die Bevorzugung des Weiblichen in bestimmten Belangen, wird auf wissenschaftlicher Ebene schon länger diskutiert. Der Basler Soziologe Walter Hollstein ("Was vom Manne übrig blieb") und der amerikanische Anthropologe Lionel Tiger ("Auslaufmodell Mann") etwa gehen mit dem eigenen Geschlecht zwar mitunter hart ins Gericht, kritisieren in ihren Büchern aber ebenso einen überbordenden Feminismus.

 Unter Generalverdacht

 Wenn bei British Airways und Air France keine alleinreisenden Kinder neben alleinreisende Männer gesetzt werden dürfen, dann werden diese wegen ihres Geschlechts unter den Generalverdacht der Pädophilie gestellt. Wenn eine Rektorin in Basel den Fussballplatz schliesst und in eine "Begegnungszone" umwandelt mit der Begründung, Buben sollten nicht rumrennen, sondern reden, dann ist da in der Tat etwas ziemlich missverstanden worden. Und wenn Mütter ungestraft die Waffe Kindsmissbrauch in Scheidungsprozessen einsetzen können, dann gehört das diskutiert. Erst recht von Feministinnen. Denn Feminismus bedeutet doch, dass man über ein ausgeprägtes Unrechtsempfinden verfügt. Weshalb man einsehen müsste, dass es Entwicklungen gibt, die auch Männer zu Opfern macht. Das Recht, Diskriminierung geltend zu machen, haben nicht die Frauen gepachtet.

 Mehr Gelassenheit, bitte

 Trotz alldem funktioniert die Welt allerdings immer noch häufig andersherum. Die beiden jungen Konstrukteurinnen jedenfalls, die ebenfalls an der Tagung teilnahmen und extra aus St. Gallen angereist waren, weil sie ihre Lehrabschlussarbeit zum Thema "Emanzipation der Frau" schreiben, zuckten bei der Frage, wie es ihnen denn so ergehe in einem Männerberuf, mit den Schultern. Die gleichaltrigen männlichen Lehrlinge hätten mit ihnen überhaupt kein Problem, für die sei das völlig normal. Von älteren Männern indes seien dumme Sprüche an der Tagesordnung. Das sei zwar auf Dauer ermüdend, kümmere sie aber nicht gross. "Die haben halt einfach die Zeichen der Zeit noch nicht verstanden - werden aber nicht darum herumkommen." Man hätte der ganzen Debatte mehr von dieser Gelassenheit gewünscht.

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 Tagung und Demo getrennt

 Wie auf einer Schnitzeljagd

 Wegen Drohungen gegen die Veranstalter und Schmierereien am ursprünglich geplanten Tagungsort im Giardino Verde in Uitikon musste für die auf den Samstag angekündigte Anti-Feminismus-Tagung ein neuer Ort gesucht werden. Aus Sicherheitsgründen, so hiess es, werde dieser streng geheim gehalten. Und so bekamen Journalisten, die sich akkreditiert hatten, am Samstagmorgen um sechs Uhr ein SMS, in dem es hiess, sie sollen sich am Flughafen im Terminal A zu einem Mann mit dem Schild "Tagung Egala" begeben. Der verwies sie an einen weiteren Mann, der unterhalb der grossen Anzeigetafel stand. Dieser wiederum schickte sie zu einem Mann, der ihnen ein Formular aushändigte, auf dem Journalisten und Fotografen garantieren mussten, keine Fotos der Teilnehmenden oder vom Ort zu machen und diesen nicht öffentlich bekannt zu geben. Gegen Unterschrift erhielten sie ein Couvert, das eine Wegbeschreibung zum neuen Tagungsort beinhaltete, nochmals verbunden mit der "inständigen" Bitte, diesen nicht an Dritte weiterzuleiten. Das geschah natürlich trotzdem; bereits um 10.24 Uhr vermeldete das linke Nachrichtenportal Indymedia die Adresse: ein Hotel in der Nähe von Glattfelden. Davon wussten auch die rund 40 Personen, vornehmlich junge Männer und Frauen, die sich um 12 Uhr am Zürcher Central versammelten. Sie demonstrierten, weil "diese Typen um Kuhn nicht ungestört ihre rückständigen rechtslastigen Ideologien verbreiten dürfen". Und man sei stolz darauf, "den erzreaktionären Haufen aus dem Giardino Verde nahe an die deutsche Grenze vertrieben zu haben".

 Dass die Veranstaltung ungestört verlief und sich keine Demonstranten an den Tagungsort verirrten, lag wohl an dessen peripherer Lage. Zudem hat, so Veranstalter René Kuhn, die Polizei diskret patrouilliert. (bwe/roc)

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Landbote 1.11.10

Geheimtreffen der Antifeministen

 Sandra Biberstein

 Die Sorgerechtsfrage und das Leiden derjenigen Männer, die sich als Opfer des Feminismus sehen, standen am ersten Internationalen Antifeminismustreffen im Mittelpunkt. Doch was Feminismus ist, wurde nur widersprüchlich definiert.

 glattfelden - "Ich bin hier, um zu erfahren, was man dagegen tun kann", sagt ein Teilnehmer. "Ich habe meinen vierjährigen Sohn noch nie gesehen." Seine Ex-Frau verweigere ihm das Besuchsrecht. Wie viele andere Männer zwischen 35 und 60 Jahren, die am Samstag das Antifeminismustreffen besuchten, sieht er sich als Opfer. Er habe keine Chance, das Sorgerecht zu erhalten. "Ich habe inzwischen resigniert, aber vielleicht gibt es ja in ein paar Jahren eine Gesetzesänderung", meint der junge Vater.

 Auch Thomas hofft, dass sich durch das Engagement der Interessengemeinschaft Antifeminismus (IGAF) die gesetzliche Situation in der Schweiz ändert. Die hohen Anwaltskosten hätten ihn ruiniert, seine Kinder sehe er nur selten. Er spricht damit ein Problem an, mit dem sich viele der hundert Männer konfrontiert sehen, die am ersten Internationalen Treffen der IGAF anwesend waren.

 "Ausweispapiere mitnehmen"

 Das Treffen fand an einem geheimen Ort statt, nachdem Linksautonome Störaktionen angekündigt hatten. Aus Angst, dass die Gegner des Treffens den idyllisch gelegenen Standort am Rhein ausfindig machen könnten, verschickten die Organisatoren um 6 Uhr morgens den Teilnehmern und der Presse eine SMS mit dem Inhalt "Treffpunkt zwischen 9.15 und 9.30 Flughafen Kloten, Terminal A Abflug. Zum Schild ‹Seminar Egala› begeben. Ausweispapiere mitnehmen."

 Dort erhielten sie ein Kuvert mit weiteren Informationen. Zudem sicherten sich die Veranstalter mit einem Vertrag ab, in dem sie die Journalisten ausdrücklich darum baten, den Ort und die Identität der Teilnehmenden nicht bekannt zu geben.

 "Es ist ein Armutszeugnis, dass wir fast in den Untergrund getrieben werden", sagt René Kuhn, der ehemalige Luzerner SVP-Präsident und Vorstandmitglied der IGAF, in seiner Begrüssungsrede. "Wir sind keine Frauenhasser. Wir kämpfen für die Gleichberechtigung und gegen Frauenprivilegien, die in der Ideologie des Feminismus gefordert werden." Mit dem Namen "Antifeministen" wollte die IGAF bewusst provozieren. "Die Medien behandeln unser Thema. Wir haben das Ziel also erreicht."

 In den einzelnen Referaten ging es vor allem um das Leiden der Männer und wer daran Schuld hat. Alfredo Stüssi, Präsident der Männerpartei Schweiz, machte auf die Benachteiligung beim Sorge- und Obhutsrecht für Kinder aufmerksam und schlug eine "50/50-Formel" vor. Auch George Zimmermann von der "Interessengemeinschaft geschiedener und getrennt lebender Männer" sprach von ungerechten Scheidungsgesetzen und Alimentenzahlungen, die nur den Mann betreffen, nicht aber die Frau. Die Ursache für das Leiden der Männer ist für ihn eindeutig der Feminismus: "Die Gleichstellung ist tot, weil der militante Feminismus und die Gender Studies heute eine einseitige Frauenförderung betreiben."

 Widersprüchliche Definitionen

 Als Antifeministen wollen sich aber weder die mehrheitlich aus Deutschland angereisten Teilnehmer noch die Referenten sehen. "Ich wusste gar nicht, was genau unter Feminismus zu verstehen ist", sagte einer der Anwesenden. Die Referenten präsentierten zudem widersprüchliche Definitionen des Feminismus. Nach Nietzsche sei die Ideologie der Kampf des missratenen Weibes gegen das wohlgeratene.

 Nicht nur die Feministinnen und Feministen, auch die neue Rolle der Frau in der Gesellschaft wurde zum Teil lächerlich gemacht. Der Referent Eckhard Kuhla meinte zu einem Bild aus den 50er-Jahren, das das damalige Rollenbild der Frau zeigte: "Ach, wie schön muss es damals noch gewesen sein. Die Frau schaute zum Mann auf." Und Michail Savvakis von "Der Maskulinist" erntete für Aussagen wie "Im Mann liegt die Quelle der Freiheit" oder "Nur dank dem Mann konnten sich die Frauen erst emanzipieren" tosenden Applaus.

 Von den acht anwesenden Frauen beteiligte sich keine an der Diskussion. "Ich stehe vollends hinter den Argumenten dieser Männer", sagte eine. Kritischer hingegen äusserten sich zwei junge Männer, die eine Abschlussarbeit zum Thema "Frauenstimmrecht" schreiben. "Mit den Problemen bei der Sorgerechtsfrage sind wir einverstanden, mit anderen Punkten überhaupt nicht." Um 17 Uhr war das Treffen zu Ende und wurde abrupt aufgelöst. "Sie wissen, wo wir sind", sagte Kuhn.

 SANDRA BIBERSTEIN

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 Gegendemonstration am Central

 Sehr lange blieb der Veranstaltungsort des Antifeminismustreffens nicht geheim. Bereits um 10.30 Uhr wurde am Samstag der genaue Standort über das linke Nachrichtenportal Indymedia verbreitet. Das Bündnis gegen das Antifeminismustreffen liess die Antifeministen ihr Treffen in Zweidlen bei Glattfelden durchführen und demonstrierte in Zürich. Um 12 Uhr versammelten sich rund 100 Personen am Central und zogen durch das Niederdorf zum Bellevue. "Gegen Sexismus! Antifeministen vertreiben!", lautete die Aufschrift auf einem der Transparente. Mit Flugblättern thematisierten sie die Entwicklung der Gesellschaft nach rechts und machten darauf aufmerksam, dass sich die Ideologie der Antifeministen auch in dieses reaktionäre Klima einordnen lasse. Die Veröffentlichung des Standorts führte zudem am späten Nachmittag zu einem unvermittelten Abbruch des Treffens. (sbi)

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20 Minuten 1.11.10

Braucht es Feminismus überhaupt noch?

 ZÜRICH. Feministin und Präsidentin der SP-Frauen Julia Gerber Rüegg kreuzt im Streitgespräch mit Antifeminist Michael de Luigi von der Organisation Mannschafft die Klingen.

 Herr De Luigi, Sie bezeichnen die Feministinnen als menschenfeindlich und werfen ihnen vor, Hass zu säen.

 Michael de Luigi: Der Feminismus von heute hat nichts zu tun mit dem vor vierzig Jahren und vertritt längst nicht alle Frauen. Er will nicht nur die Gleichberechtigung, sondern alle Vorteile von damals behalten. Sei es das AHV-Rentenalter, die Militärdienstverweigerung oder gerade die Vorrechte auf Kinder. Die Feministinnen sind nicht bereit, Macht abzugeben. Sie verhindern, dass Frauen und Männer aufeinander zugehen, und hetzen sie gegeneinander auf.

 Julia Gerber Rüegg: Ihre respektlose und martialische Art im Rahmen des Antifeminismuskongresses über Frauen ist stossend. Ich kann mir aber vorstellen, dass diese Aggressivität von schweren Verletzungen zeugt.

 Ein grosses Anliegen der Antifeministen ist das gemeinsame Sorgerecht nach Trennung und Scheidung.

 De Luigi: Gerichte und Behörden drängen Väter häufig aus der Erziehungsverantwortung. In der Schweiz werden Kinder als das Eigentum ihrer Mütter betrachtet. Väter sind nur zum Zahlen da. Fast alle Länder Europas kennen gemeinsame Elternverantwortung nach einer Trennung, ausser die Schweiz. Wenn ich sehe, wie viele Väter und Kinder das System kaputt macht, verstehe ich nicht, wieso man dieses aufrechterhält. Die Kinder sind es, die für diesen ideologischen Staatsapparat die Zeche zahlen.

 Gerber Rüegg: Auch die SP- Frauen wollen das gemeinsame Sorgerecht, aber nicht erst bei der Scheidung, sondern ab Geburt. Paare sollen sich von Anfang an verständigen, wie sie Verantwortung und Erziehung gemeinsam wahrnehmen wollen. Maria Roth-Bernasconi, Nationalrätin und Co-Präsidentin der SP Frauen Schweiz, hat einen entsprechenden Vorstoss eingereicht. Wir haben Mannschafft dazu eingeladen, dies zu unterstützen. Leider haben wir nichts mehr von Ihnen gehört dazu.

 Herr De Luigi, was für eine Art Feminismus wünschen Sie sich?

 Am liebsten gar keinen. Ich wünsche mir Leute, die für echte Gleichberechtigung eintreten.

 Frau Gerber, braucht es Feminismus überhaupt noch?

 Solange Männer wie Herr De Luigi behaupten, Lohndisparität sei eine Lüge, braucht es Feminismus.  

Désirée Pomper

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20min.ch 31.10.10

Treffen der Antifeministen: Mehr Hilferuf als Kampfschrei

 Das erste Treffen der Antifeministen ging in hochkonspirativem Rahmen über die Bühne. Unser Reporter hat den Sicherheitscheck bestanden. Er weiss jetzt, dass High Heels und Lippenstift nicht so wichtig sind.

Joel Bedetti

 Der Beginn dieser Geschichte ist wie ein schlechter Agentenfilm, das hat der Kollege von "Tele Top" treffend bemerkt. Weil Anti-Anti-Feministen den Frieden des Anti-Feministenkongresses bedrohen, findet der Kongress von gestern Samstag an einem geheimem Ort statt. Um 6.15 Uhr bekomme ich ein SMS von der IG der Antifeministen mit der Aufforderung, mich um 9.15 Uhr im Flughafen, Terminal A, einzufinden: "Zum Schild Seminar Egala begeben. Weitere Informationen dort. Ausweispapiere mitnehmen. Absolute Vertraulichkeit beachten, keine Weitergabe dieser Informationen."

 Die konspirative Energie der IGAF (Interessensgemeinschaft der Antifeminsten) ist kaum zu toppen. Beim Terminal A steht ein Mann mit Schnauz, abgetragener Lederjacke und zu langen Hosen. Er hält einen Fresszettel in der Hand, auf dem mit Filzstift "Seminar Egala" steht. Ich nenne meinen Namen. Der Mann nickt und raunt mir verschwörerisch zu, mich unauffällig zu einem kleinen, lustig dreinblickenden Mann in grauem Anzug zu begeben, der drei Meter weiter vorne steht. Der Mann im grauen Anzug fordert mich auf, zu einem älteren Mann in Jeansjacke zu gehen, der etwa zwei Meter neben ihm steht und drei Meter neben dem Mann mit der abgetragenen Lederjacke. Dieser Mann streicht mich auf einer Anwesenheitsliste durch und reicht mir eine Wegbeschreibung. Ich unterschreibe eine Erklärung, dass ich keinerlei Informationen über den Austragungsort preisgebe. Das abgeschiedene Kongresshotel, in dem das Treffen stattfindet, ist aber irgendwie auch keine weitere Erwähnung wert.

 High Heels sind gesund

 Im Foyer des Kongresshotels stehen die Besucher, es sollen so um die 130 sein, herum, essen Gipfeli und helfen sich bei der Bedienung der Kaffeemaschinen. Es sind vor allem Männer zwischen 40 und 60. Um 10 Uhr eröffnet René Kuhn den ersten Anti-Feministen-Tag. Er erzählt eine Art Weihnachtsgeschichte (überall wurden die Antifeministen bei ihrer Suche nach einem Dach über dem Kopf abgewiesen, bis sie in diesem abgeschiedenen Hotel aufgenommen wurden), sagt etwas zu Demokratie und Meinungsfreiheit und bittet um Spenden für die IGAF.

 Entstanden ist die IGAF im vergangenen Sommer, als René Kuhn in die Schlagzeilen kam, weil er als Präsident der SVP Luzern "linke Emanzen" als "zerlumpte Vogelscheuchen" bezeichnete, unter denen er sich in einem "Gruselkabinett" wähne. SVP-Präsident ist er seither nicht mehr, dafür hat er ein Buch geschrieben, indem er die Frauen zu mehr Weiblichkeit auffordert. Zum Beispiel weist er anhand einer italienischen Studie nach, dass das Tragen von High Heels die Beckenmuskulatur stärke und die Lust am Sex erhöhe.

 Kein Lack an den Fingernägeln

 Ausserdem führt er genauer aus, was man unter einer "zerlumpten Vogelscheuche" beziehungsweise linken Emanze zu verstehen hat: Sie trägt einen Jutesack statt einer Handtasche, sie latscht wie eine Ente durch die Landschaft, statt dass sie stolz die Brüste herausstreckt, sie trägt Männerschuhe oder Birkenstock-Sandalen, sie zieht "farbige Lumpen an, welche meist grün, gelb oder orange sind", und hat eine "voluminöse, ungepflegte Wuschel-Haarpracht auf ihrem Kopf." Ausserdem lackiert sie sich nicht die Fingernägel. So viel zum bisherigen intellektuellen Substrat der IGAF.

 Der Saal ist mittelvoll. Ich zähle 12 Frauenköpfe und 75 Männerköpfe, davon 27 Glatzköpfe. Ein Organisator watschelt wie eine Ente durch die Gegend, statt dass er stolz die Brust herausstrecken würde. Es scheint, als seien die ästhetischen Ansprüche der Antifeministen an sich selbst tendenziell niedriger. Einer könnte direkt von einer Baustelle kommen. Ein Mann vor mir trägt einen granitgrauen Anzug mit einer Art Schulterstücken. An der Lehne hängt eine beigefarbene Jacke, die aussieht, als hätte er sie in der vorigen Nacht als Kopfkissen benutzt. Der neben ihm starrt mit offenem Mund nach vorne und wippt unablässig mit dem Stuhl. Der andere schaut traurig aus der Wäsche, seine Jeans sind ausgefranst, ausserdem unternimmt er wenig gegen seine Pickel.

 Schuhe bei Dosenbach

 Weiter vorne erblicke ich einige Gestalten, welche etwa genau das tragen, was man sich unter "grün-, gelb- und orangefarbenen Lumpen" vorstellen könnte. Ob ihre Frauen linke Emanzen sind? Es ist zumindest nicht mehr ganz auszuschliessen. Allgemein dominieren unüberlegte Frisuren, zu weite Lederjacken oder pastellfarbene Windjacken, und die meisten Schuhe sehen aus, als seien sie aus einer Ausverkaufs-Auslage bei Dosenbach gefischt worden. Die hohen ästethischen Ansprüchen, die Kuhn an die Damen stellt, werden beim Anti-Feministen-Treffen kaum erfüllt. René Kuhn übrigens trägt einen schwarzen Anzug, ein hellrosa Hemd und eine violette Kravatte. Sie ist etwas kurz gebunden.

 Der zweite Vortrag heisst "Gleichstellung ist tot - Richtigstellung tut not." Der Referent trägt ein weisses Leinenhemd und darüber einen schwarzen Sacko. Eine elegante Erscheinung, mit einer etwas gewagten Lesebrille: beige, mit bunten Flecken.

 Der Mann, der Trottel

 Nach ihm meldet sich nochmals der kleine Mann vom Flughafen und bittet die Besucher, nach dem Treffen mit Autos und nicht mit dem Öffentlichen Verkehr heimzufahren, da das auffällig wirken könnte. Verhaltener Applaus im Saal.

 Der nächste Referent, im hellblauen Hemd mit glänzendem, grauen Kittel und einer marineblauen Kravatte regt sich darüber auf, wie der Mann heute in Film und Werbung als Trottel, die Frau aber als selbstbewusste Emanze dargestellt werde.

 Georg Orwell und die feministische Gefahr

 Nachdem der Präsident der Männerpartei das Parteiprogramm präsentierte, gibt es Mittagessen. Sanftes Klimpern und scheppern, in der Luft hängt der Geruch der Gasrechauds. Es gibt Gnocchi, Reis, Rindsgeschnetzeltes und geschmorte Rübli. Nach einer Stunde füllt sich der Vortragssaal wieder. Man plaudert, der Security-Mann streichelt flüchtig den Kopf eines Mädchens, das vor ihm hin und her tanzt, nimmt dann aber schnell die Hand zurück.

 Langsam ist die Luft draussen. Nach dem Essen wird es langfädig. Der Redner spricht über die angebliche feministische Unterwanderung der Gesellschaft, zitiert George Orwell und beschwört die deutschen Zuhörer, dass die Schweiz kein Rechtsstaat sei, wie man immer meine. Der Mann vor mir spielt mit dem iPhone. Ein anderer verlässt den Saal mit Zahnpasta und Zahnbürste. Ich breche auch auf.

 Persönliche Schicksale

 Viel Neues gab es am ersten Antinfeministen-Treffen nicht zu hören. Die Redner berichteten darüber, dass Gleichstellung nicht Gleichberechtigung sei, dass nicht alle Feministinnen konstruktiv seien und über das Sorgerecht bei der Scheidung. Oft waren aber einfach diffuse Ängste gegenüber Frauen zu spüren.

 Wer beim Treffen eine Versammlung von Machos vermutete, welche nach mehr High Heels und Lippenstift schreien, lag falsch. Den Gesprächsfetzen neben den Vorträgen konnte man entnehmen, dass viele der Anwesenden mit persönlicheen Schicksalen zu kämpfen haben. Sie haben Kampfscheidungen hinter sich und dürfen ihre Kinder nicht mehr sehen. Vor allem aber war die Unsicherheit spürbar, welche die Auflösung der traditionellen Geschlechter gerade bei Männern mittleren Alters hervorruft. Der Antifeminismus scheint mehr ein Hilferuf als ein Kampfschrei zu sein.

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 Treffen der Antifeministen

 ZÜRICH. Das erste internationale Antifeminismus-Treffen unter der Leitung René Kuhns fand am Samstag in einem Hotel an einem geheimen Ort im Kanton Zürich statt. Dies nachdem linksautonome Kreise Gewaltandrohungen gemacht hatten. Rund 100 Männer erschienen - die meisten davon getrennte oder geschiedene Väter, die ihre Kinder seit Monaten nicht mehr gesehen haben. Die fehlenden Rechte gebeutelter Väter war denn auch das Hauptthema des Anlasses.

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Sonntagszeitung 31.10.10

Gebeutelte Antifeministen

 Das erste internationale Treffen zeigt: Diese Männer haben echte Probleme

 Von Chris Winteler

 Zürich Schliesslich landen die Antifeministen und ihr medialer Begleittross in einem tristen Seminarraum. "Himmeltraurig", findet René Kuhn, 43, Mitgründer der IG Antifeminismus (IGAF), "dass wir quasi in den Untergrund gezwungen werden." Ursprünglich hätte das erste Internationale Antifeminismus-Treffen in einer lauschigen Location in Uitikon ZH stattfinden sollen. Nachdem linke Aktivisten mit Radau drohten und das Gemeindehaus mit Sprayereien verschmierten, zog sich der Gastgeber zurück.

 Dafür habe die IGAF nun doppelt so viele Mitglieder, "sicher etwa 2000, wir können die Anmeldungen gar nicht mehr zählen", so Kuhn. Am Donnerstag sagte der ehemalige Luzerner SVP-Präsident: "Die ganze Welt interessiert sich für die Tagung." Eine TV-Station nach der andern melde sich an, "BBC und so weiter", er habe den Überblick verloren. Gekommen sind drei Regionalsender.

 "Tragische Fälle, glauben Sie mir, es ist zum Weinen"

 Kuhn ist das Zugpferd der IGAF. Man wisse halt, wofür er stehe. Er wars, der Schweizer Frauen als "Vogelscheuchen" bezeichnet hatte. Sein Buch "Zurück zur Frau" verkaufte sich 8000-mal. Dutzende Männer hätten sich ihm nach der Lektüre anvertraut. "Unglaublich tragische Fälle, glauben Sie mir, es ist zum Weinen." Selber aber gehts ihm gut, verheiratet mit Oxana, einer blonden Russin, zusammen haben sie eine kleine Tochter. Oxana sei "zu 100 Prozent emanzipiert". Aber keine Feministin! Denn Feminismus gleich Frauenprivilegien auf Kosten der Männer. Staubsaugen, einkaufen, er mache alles, "aber fragen Sie doch meine Frau". Oxana Kuhn sagt: "Ich kann mich wirklich nicht beklagen, sorry." Ob sie sich fürs Foto setzen könnten, bittet sie, sie trage hohe Absätze, möchte den Mann nicht überragen.

 Rund 100 Männer sind gekommen, viele aus Deutschland. Frustrierte Geschiedene, traurige Väter. Ihr Schicksal verbindet. Gesprächsfetzen beim Mittagsbuffet: "Sie hat mich ruiniert", "Ich warte auf den Gerichtsentscheid", "Ich habe meinen Sohn sieben Monate nicht gesehen". Zur gleichen Zeit demonstrieren in Zürich 40 Leute gegen das Treffen.

 Engagierte Redner, aufmerksame Zuhörer: George Zimmermann von der IG geschiedener Männer spricht von "Scheidung als weiblichem Volkssport". 80 Prozent der Scheidungen würden von Frauen eingereicht. Alfredo Stüssi, Präsident der Männerpartei Schweiz, hat News: Die Partei heisse neu "Subitas" - "also hopp, wir machen". 2011 wolle er mit "Subitas" in den Nationalrat. Es gibt keinen Skandal, keine Provokation. Der Name "Antifeminismus" sei nicht glücklich gewählt, gibt Kuhn zu. Aber: "Wäre jemand gekommen, wenn wir ‹Pro Männerrechte› hiessen? - Ziel erfüllt, Aufmerksamkeit erreicht."

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Zentralschweiz am Sonntag 31.10.10

René Kuhn

 Das Geheimtreffen der Antifeministen

Andreas Bättig

 Gestern haben sich die Anti-feministen rund um René Kuhn in Zürich getroffen. Dabei ging es zu wie in einem Agentenfilm.

 Als Antifeminist hat man es in diesen Zeiten nicht einfach. Und das fängt schon beim Organisieren des 1. Internationalen Antifeminismus-Treffens an. Die Veranstalter rund um den ehemaligen Luzerner SVP-Grossstadtrat René Kuhn fürchteten gewaltsame Aktionen von militanten Feministinnen. Deshalb gelangte man nur auf höchst konspirative Weise zum Austragungsort. Per SMS teilte Kuhn gestern Morgen mit, dass man sich zwischen 9.15 und 9.30 Uhr zum Terminal 1 des Zürcher Flughafens begeben soll. Dort warteten zwei Männer mit einem Schild mit der Aufschrift "Egala". Diese Männer wiederum hatten einen Briefumschlag parat, in dem sich die genaue Wegbeschreibung zum Austragungsort befand. Der darf an dieser Stelle nicht genannt werden, ein entsprechender Vertrag musste unterzeichnet werden - aus Sicherheitsgründen. Es handelte sich um einen Ort in der Umgebung von Zürich.

 100 Teilnehmer

 Im Austragungssaal versammelten sich rund 100 Antifeministen. Und die meisten schienen eines gemeinsam zu haben: Sie wurden nach eigenen Angaben Opfer einer unschönen Scheidung. Da war zum Beispiel Bruno, der sich von seiner Frau scheiden liess und sich beklagt, dass er seine Kinder fast nie zu Gesicht bekommt, weil sie das Obhutsrecht hat. Oder Marco, der ebenfalls "Opfer einer Scheidung" wurde und nun "völlig zu Unrecht ein Vermögen an Unterhaltszahlung an seine Ex-Frau entrichten muss". Sie alle einte ein Feindbild: die Feministinnen. Ja, die Feministinnen hätten die Gesellschaft durchsetzt. Und diese Durchsetzung spiegle sich eben gerade in unserem Scheidungsrecht wieder. Das bevorzuge nämlich die Frau klar.

 Gespannt lauschten die Antifeministen von 11 bis 16 Uhr dabei diversen Vorträgen. Diese handelten von plumpem und machoidem Sexismus gegen Frauen bis zu durchaus spannenden Aspekten rund um das Scheidungsrecht.

 Mit dabei war etwa Alfredo E. Stüssi, Präsident der Männerpartei Schweiz. Er präsentierte seine 50/50-Formel. Das heisst, dass die Sorgepflicht und das Obhutsrecht hälftig zwischen Mann und Frau geteilt werden sollen.

 Auch René Kuhn meldete sich zu Beginn der Veranstaltung zu Wort. Viel zur Debatte rund um den Antifeminismus hatte er aber nicht beizutragen. Er halte extra keinen langen Vortrag - zu Gunsten der anderen Redner. Trotzdem sagte Kuhn ein paar Sätze: "Die Männer leiden stumm vor sich hin", wusste er. Oder: "Auch Frauen leiden unter dem Feminismus."

 Weiteres Treffen geplant

 Damit soll nun aber Schluss sein. Es herrschte Aufbruchstimmung bei den Antifeministen an diesem Samstagnachmittag. Und deshalb wurde am Ende bereits ein zweites internationales Treffen angekündigt. Wo das stattfinden wird, ist natürlich noch absolut streng geheim.

 Hinweis: Braucht es heute Männerförderung? Pro und Kontra auf Seite 35.

 andreas.baettig@neue-lz.ch

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Sonntagsblick 31.10.10

Die Männer mit den gebrochenen Herzen

 VON  BEAT KRAUSHAAR  ,  JESSICA FRANCIS  (TEXT) UND PAOLO FOSCHINI (FOTOS)

 Das erste Antifeministen- Treffen der Schweiz löste Protest aus. Statt Frauenhassern aber sah man viele traurige Männer.

 Am Flughafen Kloten steht ein Mann. Er hält eine Tafel in der Hand. "Egala" steht darauf. Es ist das Codewort für die Teilnehmer des ersten Internationalen Antifeminismus-Treffen. Die Geheimaktion wurde nötig, nachdem letzte Woche Linksaktivisten mit Spray-Attacken und Demo-Aufruf gegen den Anlass mobil gemacht hatten - mit dem Ziel, ihn zu verhindern.

 Er findet trotzdem statt. Nicht wie geplant in Uitikon ZH, sondern in einem Saal nahe Glattfelden ZH. Rund 100 Personen, vorwiegend Männer zwischen 40 und 60 Jahren, sind gekommen. Nicht die erwarteten Antifeministen, die Frauen als männerfressende Schlampen beschimpfen, sondern vor allem Männer mit gebrochenen Herzen.

 Wenn sie Frauen hassen, dann nur eine: die Ex. Fast alle teilen das gleiche Schicksal: Trennung, Kampfscheidung - und keine Chance, das Sorgerecht für die Kinder zu erhalten. Der meistgehörte Satz: "Mit der Drohung, meine Kinder nie mehr zu sehen, presst mich meine Ex finanziell aus wie eine Zitrone." Artig lauscht man den Referenten, von denen die Hälfte aus Deutschland kommt. Bei Sätzen wie "Scheidungsfälle sind eine Sammlung von Kriminalfällen" oder "Feminismus ist heute klar männerfeindlich" rauscht höflicher Beifall auf. Die meisten sind offenbar wegen des Gemeinschaftsgefühls hier. Und um mal wieder zu erleben, dass sie mit ihren gebrochenen Herzen nicht alleine sind.

 Der provokative Titel "Internationales Antifeminismus-Treffen" hat aber auch etwas Positives bewirkt: viel Aufmerksamkeit.

 Und eine Demonstration ihrer Gegner am Samstag in Zürich, bei der eine junge Frau sagte: "Was die Antifeministen rauslassen, ist ein Skandal. Trotzdem werden ihre Aussagen verbreitet - wir müssen dagegen ankämpfen. Sonst ist unsere Gesellschaft verloren."

 Dass ihm so viel Radikalität unterstellt wird, bringt Daniel Neuhaus (44), Teilnehmer des Treffens in Glattfelden, zum Lachen. "Ich musste auf Wikipedia nachschauen, was Antifeminismus heisst."

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 "Aus Protest gegen die Willkür des Rechts und weil ich mein Kind nicht sehen darf, habe ich Haus und Firma verschenkt. Jetzt bin ich arbeitslos und gehe dann stempeln."

 Michael Balmer (40)

 "Als Opfer häuslicher Gewalt ist man als Mann chancenlos. Feminismus, der nicht auch die Diskriminierung der Männer anprangert, ist deshalb menschenfeindlich."

 Daniel Neuhaus (44)

 "Der Titel Antifeminismus ist nur ein Aufhänger. Es geht um die Gleichberechtigung für den Mann beim Sorgerecht der Kinder und gegen die Ohnmacht der Männer."

 Eugen Vogt (56)

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ALKOHOL
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Südostschweiz 2.11.10

Alkohol schadet mehr als Heroin

 Alkohol ist laut einer neuen Studie weitaus gefährlicher als Heroin oder Crack. Er wirkt sich nicht nur auf die Konsumenten selbst aus, sondern besonders stark auch auf deren Umfeld, wie Forscher im Fachmagazin "Lancet" schreiben.

 London. - Die Experten untersuchten verschiedene Drogen auf ihre Zerstörungskraft für den Körper und die Gesellschaft. Zwar stellten sich Heroin, Crack und Metamphetamine als die tödlichsten Rauschgifte heraus. Wurden aber die sozialen Auswirkungen miteinbezogen, führte Alkohol die Rangliste der gefährlichsten Drogen an. Darauf folgen Heroin und Crack. Marihuana, Ecstasy und LSD schätzen die Forscher als deutlich weniger zerstörerisch ein. Die Experten halten Alkohol für so gefährlich, weil er weitverbreitet ist und sich nicht nur auf die Konsumenten, sondern besonders stark auch auf ihr Umfeld auswirkt.

 Alkohol nicht verbieten

 "Denken Sie nur mal, was (durch Alkohol) bei jedem Fussballspiel passiert", sagt Wim van den Brink, Professor für Psychiatrie und Sucht an der Amsterdamer Universität, der einen Kommentar zu der Studie mitverfasste. Zudem stehe exzessives Trinken in Zusammenhang mit höheren Todesraten und spiele bei Gesetzesverstössen häufiger eine Rolle als die meisten anderen Drogen.

 Experten raten dennoch nicht dazu, Alkohol einfach zu verbieten. Leslie King, einer der Autoren der Studie und Berater am Europäischen Beobachtungszentrum für Drogen, warnt sogar davor: Eine Prohibition, wie sie einst in den USA galt, sei kein Ausweg. "Alkohol ist zu sehr in unserer Kultur verwurzelt, er kann nicht einfach entfernt werden", sagt King. Er rät dazu, gezielt die Vieltrinker ins Visier zu nehmen, nicht die Mehrheit der Leute, die es bei einem oder zwei Bier bewenden lassen. Regierungen sollten die Preise für Alkohol anheben und mehr Aufklärung betreiben.

 Legal und illegal

 Die Fachleute sprechen auch eine brisante Frage an: die rechtliche Einordnung der verschiedenen Drogen. Grossbritannien verschärfte zum Beispiel im vergangenen Jahr die Strafen für den Besitz von Marihuana. Bei solchen Entscheiden stütze sich die Regierung nicht immer auf Wissenschaft", sagt van den Brink mit Blick auf die Studie. Einnahmen aus Steuern - etwa auf Tabak und Alkohol - könnten die Überlegungen der Regierung beeinflussen, wie die verschiedenen Substanzen gesetzlich behandelt würden. Eines stehe aber fest, sagt der Experte: "Legale Drogen verursachen mindestens so viel Schaden wie illegale." (sda)

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20 Minuten 2.11.10

Studie: Alkohol die gefährlichste Droge

 LONDON. Überraschendes Ergebnis: Alkohol ist laut einer neuen Studie weitaus gefährlicher als Heroin oder Crack.

 Er wirkt sich nicht nur auf den Konsumenten selbst aus, sondern besonders stark auch auf dessen Umfeld, wie Forscher im Fachmagazin "Lancet" schreiben. Die Experten untersuchten verschiedene Drogen auf ihre Zerstörungskraft für den Körper und die Gesellschaft. Zwar stellten sich Heroin, Crack und Metamphetamine als die tödlichsten Rauschgifte heraus. Wurden aber die sozialen Auswirkungen miteinbezogen, führte Alkohol die Rangliste der gefährlichsten Drogen an.

 Darauf folgen Heroin und Crack. Marihuana, Ecstasy und LSD schätzen die Forscher als deutlich weniger zerstörerisch ein. Die Experten halten Alkohol für so gefährlich, weil er weitverbreitet ist und sich nicht nur auf die Konsumenten, sondern besonders stark auch auf deren Umfeld auswirkt.

 "Denken Sie nur mal, was durch Alkohol bei jedem Fussballspiel passiert", sagt Wim van den Brink, Professor für Psychiatrie und Sucht an der Amsterdamer Universität, der einen Kommentar zur Studie mitverfasste. Zudem stehe exzessives Trinken in Zusammenhang mit höheren Todesraten und spiele bei Gesetzesverstössen häufiger eine Rolle als die meisten anderen Drogen. Leslie King, Mitautor der Studie, rät dazu, gezielt die Vieltrinker ins Visier zu nehmen, nicht die Mehrheit der Leute, die es bei einem oder zwei Bier bewenden lassen. Regierungen sollten die Preise für Alkohol anheben und mehr Aufklärung betreiben.

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sf.tv 1.11.10

Alkohol ist schlimmer als Heroin und Crack

ap/from

 Ein gemütliches Glas oder zwei: Alkohol gehört zu unserer Kultur wie die Treichel zur Kuh. Eine neue Studie aus Grossbritannien zeigt jetzt aber, der Begleiter in geselligen Runden zählt im Grund zu den gefährlichsten Drogen der Welt. Bei entsprechender Perspektive stellt Alkohol gar Heroin und Crack in den Schatten.

 Die Experten des britischen Zentrums für Kriminalitäts- und Justizstudien (CCJS) untersuchten verschiedene Drogen auf ihre Zerstörungskraft für den Körper und die Gesellschaft. Zwar stellten sich Heroin, Crack und Metamphetamine als die tödlichsten Rauschgifte heraus.

 Doch sobald die Wissenschaftler die sozialen Auswirkungen miteinbezogen, führte Alkohol die Rangliste der gefährlichsten Drogen an, gefolgt von Heroin und Crack. Marihuana, Ecstasy und LSD schätzen die Forscher als deutlich weniger zerstörerisch ein.

 Bei Verbrechen oft Alkohol im Spiel

 Die Experten halten Alkohol für so gefährlich, weil er weitverbreitet ist und sich nicht nur auf die Konsumenten, sondern besonders stark auch auf ihr Umfeld auswirkt. Die Ergebnisse der Studie sind in der Online-Ausgabe der Fachzeitschrift "Lancet" erschienen.

 "Denken Sie nur mal, was (durch Alkohol) bei jedem Fussballspiel passiert", sagt Wim van den Brink, Professor für Psychiatrie und Sucht an der Amsterdamer Universität. Er hat einen Kommentar zu der "Lancet"-Studie mitverfasst. Exzessives Trinken schädigt demnach fast das gesamte Organsystem. Alkoholmissbrauch steht in Zusammenhang mit höheren Todesraten. Ausserdem spielt er bei Gesetzesverstössen häufiger eine Rolle als die meisten anderen Drogen, einschliesslich Heroin.

 Preise für Alkohol erhöhen

 Die Experten raten dennoch nicht dazu, Alkohol einfach zu verbieten. Leslie King, einer der Autoren der Studie und Berater am Europäischen Beobachtungszentrum für Drogen, warnt sogar davor: Eine Prohibition, wie sie einst in den USA galt, sei kein Ausweg.

 "Alkohol ist zu sehr in unserer Kultur verwurzelt, er kann nicht einfach entfernt werden", sagt King. Er rät dazu, gezielt die Vieltrinker ins Visier zu nehmen, nicht die Mehrheit der Leute, die es bei einem oder zwei Biere bewenden lassen. Regierungen sollten die Preise für Alkohol anheben und mehr Aufklärung betreiben.

 Am Alkoholmissbrauch verdienen viele

 Die Fachleute sprechen auch eine brisante Frage an: die rechtliche Einordnung der verschiedenen Drogen. Grossbritannien verschärfte zum Beispiel im vergangenen Jahr die Strafen für den Besitz von Marihuana. Einer der bis dahin wichtigsten Berater der damaligen Regierung, David Nutt, wurde nach seiner Kritik an dem Schritt entlassen.

 Nun schaltete er sich als Hauptautor der Drogen-Studie wieder in die Debatte ein, stellt die Studie doch in Frage, wieso Alkohol allgemein anerkannt, Marihuana jedoch fast überall verboten ist. "Was Regierungen für illegal erklären, hat nicht immer auf Wissenschaft gestützt", sagt auch van den Brink.

 Einnahmen aus Steuern - etwa auf Tabak und Alkohol - könnten die Überlegungen der Regierung beeinflussen, wie die verschiedenen Substanzen gesetzlich behandelt würden. Eines stehe aber fest, sagt der Nutt: "Legale Drogen verursachen mindestens so viel Schaden wie illegale."

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AUSSCHAFFUNGEN
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Mittwoch, 03.11.: Infoveranstaltung von augenauf zu Zwangsausschaffungen

*Zwangsausschaffungen - Werden Tote in Kauf genommen?*

Eine Veranstaltung von augenauf im Rahmen der Veranstaltungsreihe von
"Willkommen im Paradies"

Wann: Mittwoch 3. November, 19.30 Uhr
Wo: Reitschule Bern, im Rössli

Hintergrundinformationen zur Ausschaffungspraxis der Schweiz
Demonstration der Fesselungstechniken bei Ausschaffungen
Berichte von Direktbetroffenen

Mehr Infos: http://www.willkommen-im-paradies.ch

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Limmattaler Tagblatt 2.11.10

"Freunde findet man nur draussen"

 Kloten   2600 Ausschaffungshäftlinge kommen jährlich ins Flughafengefängnis

Dominique Marty

 "Ich bin keine Kriminelle, und trotzdem werde ich wie eine behandelt und bin eingesperrt", sagt Anyango Nabil (Namen geändert). Die 34-jährige Kenianerin sitzt seit fünf Monaten in Ausschaffungshaft im Flughafengefängnis Kloten. Vor sechs Monaten ist sie in die Schweiz eingereist. "In Kenia hatte ich keine Perspektive", erklärt sie. Einem Schlepper habe sie rund 1800 Franken bezahlt, damit dieser sie wegbringt, weg nach Europa. Ihre 12-jährige Tochter liess sie zurück. "Die Schweiz war nicht mein Ziel, ich wurde einfach hierher gebracht." Anyango landete in Kloten am Flughafen und ging nach Zürich, wo sie sich einen Monat lang irgendwie durchschlug, bei "Freunden" lebte. Irgendwann griff die Polizei sie auf. "Ich habe keine Papiere", sagt sie. Schliesslich landete sie im Flughafengefängnis in Kloten in der Ausschaffungshaft. Seither versucht das Bundesamt für Migration, Anyango Nabil Reisedokumente zu beschaffen, um sie nach Kenia auszuschaffen.

 Im Durchschnitt gibts zwei Monate

 106 Menschen sitzen derzeit in Ausschaffungshaft im Flughafengefängnis, alle Plätze sind besetzt. 94 Männer und 12 Frauen - mehr als die Hälfte kommen aus Afrika, gut ein Drittel allein aus Nigeria. Insgesamt waren dieses Jahr Angehörige von über 100 Nationen in dieser Abteilung. "Diese Leute sind nicht hier, weil sie straffällig wurden", stellt Thomas Manhart, Chef des Amts für Justizvollzug, klar. Sie sind in Haft, weil sie sich illegal in der Schweiz aufgehalten haben oder weil ihr Asylgesuch abgelehnt wurde. Weil sie die Schweiz nicht freiwillig verlassen haben, beantragte das Amt für Migration des Kantons Zürich die Ausschaffungshaft.

 "Wir werden hier gut behandelt", erzählt Anyango Nabil weiter. Sie liest viel, schaut fern, treibt Sport und arbeitet täglich. Das Gefängnis bemüht sich um Aufträge, welche die Insassen verrichten können. Briefe und Pakete mit Werbeartikeln verpacken oder Steckdosen und anderes Elektromaterial einschweissen. Die Maschinen, die zum Verpacken nötig sind, liefern die Auftraggeber gleich ins Gefängnis mit. "Nicht frei zu sein ist für mich sehr hart", nimmt Anyango den Faden wieder auf. Schaue sie aus dem Fenster, sehe sie die Flieger starten und landen und all die Leute, die sich frei bewegen können. Ihre Tochter fehle ihr. "Über eine Bekannte habe ich Kontakt mit ihr. Sie ist noch in Afrika." Am schwierigsten sei für sie die Ungewissheit. "Wie lange ich noch hier im Gefängnis bleiben muss, kann mir niemand sagen", sagt sie.

 Gut zwei Monate sitzen die Insassen im Durchschnitt in Haft, bis die Kantonspolizei die Ausschaffung vornehmen kann. Bis zu zwei Jahre dürfen sie maximal inhaftiert bleiben, danach muss der Staat sie auf freien Fuss setzen. "Frei kommen auch Inhaftierte, deren Identität wir nicht klären können", sagt Manhart. Ein Blick in die Statistik zeigt: Im Durchschnitt wird jeder dritte Insasse wieder freigelassen, zwei Drittel werden ausgeschafft.

 Eine Schlägerei pro Woche

 1200 Frauen und Männer wurden im vergangenen Jahr hier in Kloten eingewiesen und haben wenige Tage bis Monate in Haft verbracht. Weitere 1400 so genannte Night-Stops landeten hier für eine Nacht, um am nächsten Morgen ausser Landes gebracht zu werden. Insgesamt hat das Migrationsamt des Kantons Zürich im letzten Jahr 1500 Ausschaffungen durchgeführt. In der Abteilung herrscht ein stetes Kommen und Gehen. "Wir sind hier alle in der gleichen Situation", sagt Anyango, das schweisse manchmal ein wenig zusammen, aber echte Freunde finde man nur draussen.

 "Die Stimmung in der Ausschaffungshaft ist angespannter, die Insassen nervöser als in der Untersuchungshaft", sagt auch Hans-Rudolf Gerber, Leiter des Flughafengefängnisses. "Die Häftlinge der U-Haft werden einer Straftat verdächtigt, darum ists für sie klarer, weshalb sie im Gefängnis sitzen", erklärt er. "Der Freiheitsentzug ist hier für die Insassen weniger einleuchtend, und darum ist es auch schwieriger, sie zur Kooperation in ihrem Verfahren zu bewegen."

 Die Nervosität führe auch mal zu Konflikten. "Manchmal werden sie verbal ausgetragen, seltener, vielleicht einmal in der Woche, kommt es zu Handgreiflichkeiten oder Schlägereien", fügt Gerber an.Anyango Nabil muss nun zurück in ihre Zelle im vierten Stock, wo die Frauen untergebracht sind. Denn gemischte Abteilungen gibts im Gefängnis nicht. "Ich möchte arbeiten gehen, hier in der Schweiz, in Europa", sagt sie. "Zurück nach Kenia will ich nicht, dort habe ich keine Zukunft."    

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Ausschaffungshaft: 106 Plätze

 Das Flughafengefängnis wurde 1995 gebaut, die Abteilung Ausschaffungshaft 1996 eröffnet. Das Gefängnis verfügt für diese Abteilung über 106 Plätze. Gegenüber der Untersuchungshaft gibt es in dieser Abteilung erleichterte Haftbedingungen. So kennen die Insassen den Gruppenvollzug; die Zellentüren sind tagsüber geöffnet. Kontakte nach draussen sind ohne Einschränkung erlaubt. Statt einer Stunde dürfen sie täglich eineinhalb Stunden im Hof spazieren. Ein Ausschaffungshäftling kostet den Staat pro Tag zwischen 160 bis 205 Franken - jährlich sind für die Abteilung Ausschaffungshaft 6,4 Millionen Franken budgetiert. (dma)

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NZZ 2.11.10

Ohropax für jeden Ausschaffungshäftling

 Ein Rundgang im fast immer voll belegten Zürcher Ausschaffungsgefängnis im Flughafenareal

 Kriminelle Ausländer oder jene, die kein Aufenthaltsrecht in der Schweiz erwirken konnten, werden seit je ausgeschafft. Das Zürcher Amt für Justizvollzug hat am Montag für die Medien die Tore des Ausschaffungsgefängnisses geöffnet.

 Brigitte Hürlimann

 Wenn eine derart emotional und kontrovers debattierte Volksinitiative wie die "Ausschaffungsinitiative" zur Abstimmung kommt, dann erinnern sich die Medien daran, dass es seit 1996 ein grosses Zürcher Ausschaffungsgefängnis gibt, das sich im Flughafenareal befindet. Über die Haftbedingungen in diesem aussergewöhnlichen Gefängnis, das eigentlich keins sein sollte, weil es ums Wegbefördern aus der Schweiz und nicht um die Bestrafung kriminellen Tuns geht, ist schon oft berichtet worden. Das Zürcher Amt für Justizvollzug hat nun am Montagmorgen die Tore des Ausschaffungsgefängnisses erneut für die Journalisten geöffnet - jedoch in der Einladung darauf hingewiesen, dass eigentlich kaum ein Zusammenhang mit der Initiative bestehe: weil hier der grösste Teil der Insassen aus Gründen des Ausländerrechts inhaftiert ist und nicht aus strafrechtlichen Gründen.

 600 Wegweisungen 2009

 Die Gefängnisverantwortlichen betonten beim Rundgang deshalb wiederholt, sie befürchteten keine grossen Veränderungen, auch bei einer allfälligen Annahme der Initiative. Das Ausschaffungsgefängnis, das für 106 Personen konzipiert wurde, ist seit seiner Eröffnung fast immer voll belegt oder gar massiv überbelegt. Vor allem in den Jahren 2002 bis 2006 mussten im Gefängnis bis zu 130 Frauen und Männer beherbergt werden, was den Betrieb an die Grenzen der Funktionsfähigkeit brachte. Seit 2008 nimmt die Anzahl der Insassen eher ab, bleibt aber auf hohem Niveau stabil.

 Über die Gründe für die Belegungsschwankungen konnte Amtsleiter Thomas Manhart keine Angaben machen: Dies sei Sache des Migrationsamts, das die Menschen via Haftrichter ins Ausschaffungsgefängnis führe, mit oder ohne kriminelle Vergangenheit. Das Migrationsamt des Kantons Zürich hatte es am Montag vorgezogen, sich nicht den Medienfragen vor Ort zu stellen. Immerhin hatte das Amt schon vor dem Gefängnisrundgang interessierten Journalisten mitteilen lassen, man habe vergangenes Jahr rund 600 Wegweisungen verfügt, davon rund 110 wegen einer strafrechtlichen Verurteilung. Mehr Mut als die Verantwortlichen des Migrationsamts bewiesen am Montag eine junge Frau aus Nigeria und ein Mann aus Tunesien, die den Journalisten Red und Antwort standen, über den Alltag im Ausschaffungsgefängnis berichteten und von der Angst, zurück ins Heimatland spediert zu werden. Der Vollzug der Ausschaffungshaft unterscheidet sich klar vom Strafvollzug, und zwar seit das Bundesgericht ein Machtwort gesprochen hat. Im Ausländergesetz wird zu diesem Thema nur festgehalten, die Haft sei in geeigneten Räumen durchzuführen, der Inhaftierte so weit wie möglich zu beschäftigen und eine Zusammenlegung mit der strafrechtlichen Haft zu vermeiden. Erst das Bundesgericht konkretisierte, wie und warum sich eine Ausschaffungshaft vom Strafvollzug zu unterscheiden habe.

 Ohrenbetäubender Lärm

 Im Ausschaffungsgefängnis, das einen Teil des Flughafengefängnisses in Anspruch nimmt, dürfen die Insassen dank dem Bundesgericht den grössten Teil des Tages ausserhalb ihrer Doppelzellen verbringen. Sie dürfen fast jeden Tag Besuch empfangen und so oft telefonieren, wie sie wollen. Eineinhalb Stunden pro Tag ist für "Spazieren" reserviert. Dies findet in kargen Höfen statt, die von fünf Meter hohen Mauern umsäumt und mit einem Drahtzaun abgedeckt werden. Doch das Schlimmste am Spazierhof ist weder die Enge noch der Beton, sondern der ohrenbetäubende Fluglärm - alle Insassen bekommen beim Eintritt Ohropax.

 Die Gefängnisleitung bemüht sich darum, den Frauen und Männern Arbeit gegen ein bescheidenes Entgelt anzubieten, bekommt aber meist viel zu wenige Aufträge, um alle Arbeitswilligen beschäftigen zu können. Wem das Spazieren im ohrenbetäubend lauten Betonhof nicht behagt, der darf ab und zu den bescheidenen Fitnessraum im Innern des Gebäudes benutzen. Der gleiche Raum dient auch für Gebete und Messen - und ab 16 Uhr 30 müssen alle zurück in die Zellen und werden bis am nächsten Morgen eingeschlossen. Das im Sommer 2008 von der Justizdirektion angekündigte Projekt für ein zusätzliches Zürcher Ausschaffungszentrum mit einem weniger restriktiven (und kostenintensiven) Regime ist derzeit auf Eis gelegt: aus Spargründen.

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 Menschen aus Afrika, China oder dem Irak
 

 brh. · Am 1. November, an Allerheiligen, waren 93 Menschen im Zürcher Ausschaffungsgefängnis inhaftiert; 81 Männer und 12 Frauen. Sie stammen vor allem aus Schwarzafrika (weit über die Hälfte) und aus dem Maghreb, aus dem Balkan sowie aus dem Irak und aus China. Ein Drittel der Insassen kommt aus Nigeria, was einer markanten Zunahme in den letzten 5 Jahren entspricht. Deutlich über ein Drittel der Frauen und Männer sind unter 30 Jahre alt.

 Durchschnittlich halten sich die Ausschaffungshäftlinge gut 2 Monate lang im Flughafengefängnis auf; 2008 betrug die durchschnittliche Aufenthaltsdauer noch rund 3 Monate. Auch bei einer Kumulation von verschiedenen Haftarten - Vorbereitungs-, Ausschaffungs- und Durchsetzungshaft - darf die ausländerrechtliche Haft nach dem künftigen, neuen Recht (Schengenabkommen) höchstens 18 Monate dauern. Derzeit liegt in der Schweiz die Höchstdauer noch bei 24 Monaten. Gut zwei Drittel der Ausschaffungshäftlinge im Flughafengefängnis verlassen die Anstalt "zwecks Ausschaffung" wieder, rund ein Drittel kommt frei. Über die Gründe für solche Freilassungen konnten die Gefängnisverantwortlichen am Medienrundgang nur spekulieren; vermutlich werde die Höchstdauer erreicht, der Inhaftierte reise freiwillig aus, oder das Ziel der Haft, die Ermöglichung der Ausschaffung, falle dahin. Einweisende Behörde ist das Migrationsamt, es stellt die entsprechenden Anträge beim Haftrichter. Ein Tag in Ausschaffungshaft kostet die einweisende Behörde pro Person und Tag zwischen 160 (aus dem Kanton Zürich) und 220 (Ausserkantonale) Franken. Das Ausschaffungsgefängnis budgetiert jährliche Kosten in der Höhe von rund 6,4 Millionen Franken.

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Landbote 2.11.10

Beim Gefängniseintritt gibt es Ohropax

 Oliver Graf

 400 Ausländer werden in diesem Jahr das Ausschaffungs- gefängnis beim Flughafen Zürich verlassen. Drei Viertel von ihnen werden in ihr Heimatland ausgeflogen. Der Rest kommt auf freien Fuss - ihre Ausschaffung lässt sich nicht vollziehen.

 KLOTEN - Es ist ein ständiges Kommen und Gehen. Durch die eine Türe des Ausschaffungsgefängnisses, direkt neben der Einsatzzentrale, bei der sämtliche Bilder der Überwachungskameras eingehen, bringt der Caterer die Menüs (pro Insasse kosten die täglichen Mahlzeiten 24.50 Franken). Die Wäscherei liefert die saubere Wäsche. Und drei- bis siebenmal pro Tag treffen hier neue Insassen ein.

 In einer sogenannten Einstellzelle warten die neuen Ausschaffungshäftlinge, bis alles Formelle erledigt ist. Die Beamten listen etwa die mitgebrachten Gegenstände auf und geben das Eintrittspaket mit Trainer, Badeschlarpen und einem Hygienepack ab, das angesichts der nahen Start- und Landepiste 16/34 auch Ohropax enthält. Die neuen Insassen verhielten sich beim Eintreffen unterschiedlich, sagt Abteilungsleiterin Géibel Capiaghi. Aber klar ist: "Sie sind nicht freiwillig hier."

 Botschaften an der Wand

 Das zeigt sich auch auf den vollgekritzelten Wänden der Einstellzelle. Da bittet einer Gott darum, dass er die Schweiz mit einem Erdbeben bestraft. Andere klagen die ihnen widerfahrene "Ungerechtigkeit!" an. Die meisten hinterlassen auf diesen Wänden aber einfach ihren Namen. Es komme immer wieder vor, dass ein neuer Insasse hier an der Wand einen Bekannten findet, sagt Capiaghi.

 Das Ausschaffungsgefängnis beim Flughafen Zürich verfügt über 106 Plätze in 61 Zellen. Einzelzellen gibt es keine. Mehrheitlich handelt es sich um Zweierzellen, in denen zwei Betten, ein kleiner TV und eine Toilette auf 12,5 Quadratmetern untergebracht sind (4,1 auf 3,05 Meter).

 Die Belegung der Zellen ist enormen Schwankungen unterworfen, wie Rudolf Hablützel, der Stabschef Gefängnisse Kanton Zürich, sagt. Abhängig ist die Zahl einerseits von den Neueintritten, den die zuständigen Migrationsämter verfügen. Andererseits auch von der Zahl der Ausschaffungen - oder Entlassungen. Gemäss Hochrechnung verlassen in diesem Jahr 415 Personen das Gefängnis. 299 werden in ihre Heimatländer ausgeschafft, 116 auf freien Fuss gesetzt.

 Maximal zwei Jahre

 Für eine Entlassung gibt es laut Hablützel verschiedene Gründe. Gemäss Gesetz dürfen Ausschaffungshäftlinge insgesamt nicht länger als 24 Monate hinter Gitter sein (bald wird diese Limite gemäss EU-Richtlinie und Schengen-Abkommen auf 18 Monate gesenkt). Oder dann erweist sich eine Ausschaffung als unmöglich, weil ein Land die Aufnahme verweigert.

 Die gestern in Haft befindlichen 81 Männer und 12 Frauen, von denen die grosse Mehrheit unter 35-jährig ist, befinden sich im sogenannten "offenen Vollzug". Das heisst: Die Zellentüren sind nicht ganztägig abgeschlossen. Die Insassen können sich auf dem Gang oder in den Zellen treffen. Während einigen Stunden können sie auch im Gefängnis einer Arbeit nachgehen. "Alle würden gern arbeiten und so bis 16 Franken am Tag verdienen", sagt Hans-Rudolf Gerber, der Leiter des Flughafengefängnisses. Doch Aufträge gibt es nur wenige. Kompliziertes können die Insassen nicht produzieren, dafür verbleiben sie zu kurz am Rande des Flughafenareals. Angesichts des fehlenden Know-how bleibt es bei einigen wenigen einfachen Verpackungsarbeiten.

 Im Ausschaffungsgefängnis gelten etwas lockerere Bestimmungen als etwa während einer Untersuchungshaft. Anderthalb Stunden lang dürfen die Insassen hier auf dem ummauerten Gefängnishof spazieren (U-Haft: eine Stunde). Zudem wird der Briefverkehr nicht zensiert, Telefonate sind unbeschränkt möglich und angemeldete Besuche sind fast täglich erlaubt. Die Gäste bringen auch Gaben mit. Verderbliche Waren, Früchte etwa, stehen angesichts fehlender Kühlmöglichkeiten - wie natürlich auch Feilen - auf der Schwarzen Liste (im Gefängnisshop kann aber Obst erworben werden). Aus Sicherheitsgründen werden die Mitbringsel geröntgt, die Besucher auf Metallgegenstände untersucht. Nach Drogen wird dabei nicht aktiv gesucht. Aus einem einfachen Grund, wie Abteilungsleiterin Géibel Capiaghi sagt. Dies sei nämlich gar nicht zu verheimlichen: Sei ein Insasse im Besitz von Drogen, hätten auch andere Häftlinge gern etwas davon. "Wer nichts erhält, der verpfeift den anderen."

 Die Insassen des Ausschaffungsgefängnisses befinden sich nicht im eigentlichen Strafvollzug. Bei ihnen handelt es sich um Personen, die gegen das Gesetz über die Ausländer verstossen haben, die Schweiz aber nicht freiwillig verlassen wollen. Bei ihnen gelte es, sagt Thomas Manhart, Chef des Zürcher Amtes für Justizvollzug, ein Untertauchen zu verhindern. "Anders als bei Untersuchungshäftlingen besteht bei ihnen aber keine Kollusionsgefahr."

 Geschichten, die nicht zählen

 Weil sie die Schweiz nicht freiwillig verlassen wollen, ist die Stimmung im Gefängnis am Pistenrand oft angespannt. Ein Tunesier, der seit drei Monaten hier leben muss, schimpft: "Die Behörden machen mich kaputt." Vor 14 Jahren sei er in die Schweiz gekommen. Wegen einer Frau. Doch nach der Heirat habe sie ihn verlassen, jetzt fehle ihm eine gültige Aufenthaltsbewilligung. Arbeiten könne er deshalb nicht mehr und werde bald in sein Heimatland geflogen. "Nach 14 Jahren kann ich doch in Tunesien nicht mehr neu anfangen." Er wolle bleiben, er sei doch unschuldig.

 Géibel Capiaghi wertet diese Geschichte nicht. "Jeder hat seine Geschichte", sagt sie. Im Ausschaffungsgefängnis spiele diese aber keine Rolle. "Wir entscheiden nicht, ob jemand ausgeschafft wird, ob es gerechtfertigt ist." Das sei Aufgabe des Migrationsamtes (Sicherheitsdirektion). Das Gefängnis (Justizdirektion) sei für die Unterbringung und Betreuung zuständig.

 Nicht zuständig sind die Wärter des Gefängnisses auch für die Ausschaffung, von deren Zeitpunkt die Insassen im Voraus keine Kenntnis haben. Die Kantonspolizei holt jene, die in ihr Heimatland geflogen werden, am frühen Morgen ab. Dann öffnet sich die Tür des Flughafengefängnisses für sie zum letzten Mal. OLIVER GRAF

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Ausschaffung: Der Tagesablauf
 og

 Der Tag im Ausschaffungsgefängnis beginnt offiziell um 7.30 Uhr mit der Abgabe der Morgenmedikamente. Das Frühstück, das am Vorabend verteilt wurde, haben die Insassen zu diesem Zeitpunkt bereits individuell eingenommen. Ab 7.40 Uhr können die Häftlinge während anderthalb Stunden auf einem der drei Höfe spazieren. Von 9.15 bis 11.30 Uhr können sie einer einfachen Arbeit nachgehen oder sich in ihren Zellen und auf dem Gang treffen. Um 11.30 Uhr werden die Mittagessen und die Mittagsmedikamente verteilt. Am Nachmittag folgen erneut Arbeit oder offener Vollzug (13 bis 16 Uhr). Um 16.30 Uhr werden die Ausschaffungshäftlinge wieder in ihre Zellen eingeschlossen. Um 17 Uhr folgen Abendessen und Abendmedikamente. Um 21 Uhr werden die Nachtmedikamente abgegeben.

 Zweimal wöchentlich ist ein Arzt anwesend, dreimal ein Psychiater. Zudem bietet alle 14 Tage ein Zahnarzt seine Dienstleistung an. Dabei gehe es darum, sagt die Gefängnisleitung, die "Kaufähigkeit der Insassen zu erhalten". Sonderwünsche, etwa Bleaching, würden nicht erfüllt.

 Das Amt für Justizvollzug des Kantons hat gestern Journalisten einen "Einblick in die Ausschaffungshaft" gewährt und dabei durch das Flughafengefängnis geführt. (og)

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 Das Gefängnis am Flughafen

 Oliver Graf

 Das Flughafengefängnis ist das grösste im Kanton. 1995 wurde die Abteilung mit 108 Plätzen für Untersuchungshaft und kurze Freiheitsstrafen eröffnet, welche vier kleine, renovationsbedürftige Bezirksgefängnisse ersetzte. 1996 wurde das zweite Gebäude am Pistenrand eingeweiht: Hier stehen 106 Plätze für Ausschaffungshäftlinge zur Verfügung. Rund die Hälfte der Insassen stammt derzeit aus Afrika. Die Statistik weist als grösste Gruppe weiterhin Nigerianer aus. Dahinter folgen jedoch neu Iraker und Chinesen. (og)

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Tagesanzeiger 2.11.10

Der Kanton Zürich schafft vor allem Asylsuchende und Illegale aus

 1500 Ausschaffungen hat das Zürcher Migrationsamt 2009 angeordnet. Keine 10 Prozent betrafen Kriminelle. Die SVP-Volksinitiative erhöhe die Zahl der Ausschaffungen nicht markant, sagen Experten.

 Von Stefan Häne

 Zürich/Kloten - Zornig ist der Mann: "Ich gehe nicht in mein Heimatland zurück! Ich habe das Recht, hier zu bleiben!" Er scheint fest entschlossen zu sein. Er wirkt authentisch - obschon die Szene etwas Künstliches hat: Um ihn stehen Journalisten, die gestern auf Einladung des kantonalen Amts für Justizvollzug das Flughafengefängnis besichtigen durften. Der Mann, etwa 40-jährig, stammt aus Tunesien, lebt seit 14 Jahren in der Schweiz, seine Ehe ist in die Brüche gegangen. Weshalb er die Schweiz verlassen muss, sagt er nicht. Wiederholt beteuert er, unschuldig zu sein.

 Auf rund weitere 100 Insassen wartet dieser Tage dasselbe Schicksal wie auf den Nordafrikaner: die Ausschaffung. Das Flughafengefängnis zählt 214 Plätze, 106 davon sind für die Ausschaffungshaft bestimmt, der Rest für die Untersuchungshaft und den Strafvollzug. Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer liegt bei 74 Tagen, die Kosten betragen pro Kopf und Tag je nach Insasse zwischen 160 und 220 Franken.

 Braucht es am Flughafen bald ein grösseres Gefängnis, falls das Schweizer Stimmvolk am 28. November die Ausschaffungsinitiative der SVP annimmt? Thomas Manhart, Chef des Amts für Justizvollzug, rechnet nicht mit einer markanten Zunahme von Ausschaffungshäftlingen im Flughafengefängnis, wie er gestern erklärte. Weshalb dem so ist, zeigt ein Blick in die Statistik. Letztes Jahr hat das kantonale Migrationsamt in 113 Fällen Wegweisungen von straffälligen Ausländern verfügt; landesweit waren es gemäss einem neuen Bericht des Forums für Migrationsstudien an der Universität Neuenburg 750; bislang wurde die Zahl auf 350 bis 400 geschätzt (TA vom 22. Oktober). Die betroffenen Ausländer haben schwere Delikte begangen - etwa Drogenhandel, Raub, Körperverletzung oder Mord.

 Exakte Zahlen fehlen

 Wie viele der 113 Wegweisungen Ausschaffungen waren - also Wegweisungen mit Zwangsmassnahmen -, ist laut Bettina Dangel, Sprecherin des Zürcher Migrationsamts, nicht eruierbar: Die meisten Wegweisungen werden angefochten, was in der Regel langwierige Rechtsmittelverfahren nach sich zieht. Um die Zahl der Ausschaffungen krimineller Ausländer zu erheben, müsste das Migrationsamt "die 113 Fälle über Jahre statistisch verfolgen". Auf diesen Aufwand verzichtet es. Entscheidend ist laut Dangel ein anderer Punkt: Der Grossteil der Ausschaffungen betrifft nicht straffällig gewordene Ausländer mit Aufenthaltsbewilligung, sondern Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten oder einen abschlägigen Asylentscheid erhalten haben. Auf die beiden letzteren Kategorien hätten weder die SVP-Initiative noch der Gegenvorschlag Einfluss, sagt Dangel.

 Dublin-Vertrag zeigt Wirkung

 1515 Ausschaffungen hat das Zürcher Migrationsamt letztes Jahr angeordnet - 50 Prozent mehr als im Vorjahr, aber weniger als 2005. Die Schwankungen sind nicht das Resultat einer mal strengeren, mal largeren Praxis, wie Dangel sagt. Der Grund dafür liege in der wechselnden Bereitschaft anderer Länder, ihre Staatsangehörigen aufzunehmen. Algerien etwa verweigert jegliche Rücknahme; im Kanton Zürich halten sich deshalb 100 Algerier auf, welche die Schweiz eigentlich verlassen müssten.

 Mehr Ausschaffungen bewirkt laut Dangel eine neue Regel, die seit letztem Jahr gilt: Die Schweiz kann Flüchtlinge ausser Landes schicken, die in einem europäischen Land bereits ein Asylgesuch gestellt haben. Damit greift, was SVP-Politiker 2005 an der Urne bekämpft hatten und nun als wirkungslos bezeichnen: das Dublin-Abkommen.

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Newsnetz 1.11.10

Aus dem Innern des Ausschaffungsgefängnisses

Claudia Blumer

 Hans-Rudolf Gerber, Leiter des Flughafengefängnisses Zürich-Kloten, führt durch die Abteilung Ausschaffunsghaft, in der jene sitzen, die raus sollen.

 84 Männer und 11 Frauen warten derzeit im Flughafengefängnis Zürich-Kloten auf ihre Ausschaffung. Die meisten sitzen aus administrativen Gründen im Gefängnis ein, wie Vertreter des Amts für Justizvollzug am Montag vor den Medien sagten. Nur ein kleiner Teil der Insassen sei straffällig geworden.

 Die Ausschaffungshäftlinge geniessen grösstmögliche Freiheit: Sie können täglich Besuch empfangen und jederzeit telefonieren, mehrere Stunden täglich spazieren oder arbeiten. Es gibt eine Bibliothek, einen Fitnessraum und Einkaufsmöglichkeiten. Die Insassen teilen sich meistens eine Zweierzelle, nach Möglichkeit achtet die Gefängnisleitung darauf, dass die Zellengenossen dieselbe Sprache sprechen und derselben Religion oder demselben Kulturkreis angehören, wie Gefängnisleiter Hans-Rudolf Gerber sagt.

 Geschätzte 600 Franken pro Tag und Insasse

 Die durchschnittliche Aufenthaltsdauer beträgt etwas mehr als zwei Monate, nach spätestens 24 Monaten muss ein Insasse ausgeschafft oder freigelassen werden. Die Kosten des Ausschaffungsgefängnisses belaufen sich pro Jahr auf 6,4 Millionen Franken. Der Bund oder der Kanton zahlen pro Tag und Häftling einen Beitrag von rund 200 Franken. Die effektiven Kosten eines Gefängnistages seien nicht ausgewiesen, sagt Hans-Rudolf Gerber. Grob geschätzt seien 600 Franken ein realistischer Wert.

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Newsnetz 1.11.10

Vom Ausschaffungsgefängnis an die Langstrasse

Claudia Blumer

 Pro Jahr entlässt das Zürcher Ausschaffungsgefängnis zwischen 300 und 400 Häftlinge - einen Viertel davon in die Freiheit. Oft nur so lange, bis sie wieder im Flughafengefängnis landen.

 299 Häftlinge des Flughafengefängnisses Zürich-Kloten werden dieses Jahr ausgeschafft. 116 Insassen haben mehr Glück: Sie werden in die Freiheit entlassen. 2009 wurden 332 Häftlinge ausgeschafft und 99 entlassen. Der Anteil der Häftlinge, die auf freien Fuss gesetzt werden, beträgt somit rund einen Viertel. Ein Wert, der über die vergangenen Jahre hinweg konstant geblieben ist, wie das Amt für Justizvollzug am Montag vor den Medien darlegte.

 "Die Entlassungen haben verschiedene Gründe", sagte Rudolf Hablützel, Stabschef Gefängnisse des Kantons Zürich. Manche Häftlinge seien nicht ausschaffbar wegen der politischen Verhältnisse im Herkunftsland oder wegen fehlender Identitätspapiere. Andere nimmt das Herkunftsland nicht zurück. Ein Beispiel dafür ist Nigeria, das seit dem Tod eines Ausschaffungshäftlings im März keine von der Schweiz ausgeschafften Nigerianer mehr ins Land lässt, ausser die Betroffenen stimmen der Ausschaffung zu. Nigeria stellt auch den grössten Teil der Gefängnisinsassen (siehe Box). "Die meisten der in die Freiheit Entlassenen stammen folgerichtig aus Nigeria", sagt Hans-Rudolf Gerber, Leiter des Flughafengefängnisses, gegenüber .

 Später wieder inhaftiert

 Schliesslich darf eine Ausschaffungshaft höchstens 24 Monate dauern. Wenn bis dahin die Ausschaffungsmodalitäten nicht geregelt sind und die Ausschaffung nicht durchgeführt worden ist, werden die Gefängnisinsassen auf Befehl des Haftrichters entlassen. "Das heisst aber nicht, dass sie auf freiem Fuss bleiben", sagt Rudolf Hablützel. "Wir haben die Angaben dieser Leute. Oft werden sie später wieder aufgegriffen, im Bereich der Zürcher Langstrasse zum Beispiel."

 Die Entlassungen und Wiederverhaftungen haben zur Folge, dass ein Teil der monatlich rund 100 Neueintritte (Zahl aus dem Jahr 2009) schon einmal im Gefängnis eingesessen hat. "Die Leute, die hierherkommen, sind uns oft von früheren Aufenthalten her bekannt", bestätigt Hans-Rudolf Gerber.

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Basler Zeitung 1.11.10

Das Asylzentrum am Stadtrand ins Zentrum gerückt

 Die Kunstaktion "Close up - Demanufacturing Consent" versucht, einen neuen Zugang zum Thema Ausschaffung herzustellen

Simon Jäggi

 Eine Ausstellung im Raum Keck auf dem Kasernenareal will eine andere Sichtweise auf die Ausschaffungsthematik einbringen.

 Am äussersten Rand der Stadt, in unmittelbarer Nähe zum Zoll Otterbach, steht wuchtig das Ausschaffungsgefängnis Bässlergut. Nebenan befindet sich das Empfangs- und Verfahrenszentrum für Asylsuchende. Es ist ein grauer Ort im Nirgendwo, von der Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Die Kunstvermittlerin Almut Rembkes wollte dem entgegenwirken.

 Vor vier Jahren schuf sie deshalb in diesem Gebiet das Projekt bblackboxx. In den Räumlichkeiten in nächster Nähe zum Gefängnis finden Begegnungen und Kunstprojekte statt. Zahlreiche Asylsuchende nutzen das Angebot. "Den Asylsuchenden wollen wir einen Ort der Ermutigung bieten in einer Situation der Ohnmacht", sagt Künstler Marcel Schwald.

 Seit Freitag zeigt bblackboxx im Ausstellungsraum Keck auf dem Kasernenareal Aquarelle, die im Umfeld des Ausschaffungsgefängnisses entstanden sind. Zudem ermöglichen Videoschaltungen zu den Toren des Gefängnisses einen Blick auf diesen Ort. Zeitgleich finden dort Konzerte und weitere Aktionen statt. "Close up - Demanufacturing Consent" ist der Titel der Kunstaktion. Der Zeitpunkt der Ausstellung ist kein zufälliger. "Im Hinblick auf die kommende Abstimmung wollten wir versuchen, den gängigen Diskurs zu durchbrechen", sagt Rembkes. Die Ausstellung soll einen neuen Zugang zum Thema Ausschaffung ermöglichen.

 > http://www.bblackboxx.ch

 Öffnungszeiten: täglich von 17-19 Uhr, bis zum 7. November

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MIGRATION CONTROL
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NLZ 2.11.10

Jetzt schon mehr Illegale als im Vorjahr

 Grenzwacht

Kari Kälin

 Die Südgrenze als Einfallstor in die Schweiz: Die Tessiner Grenzwächter greifen dieses Jahr rekordverdächtig viele illegale Einwanderer auf.

 Kari Kälin

 kari.kaelin@neue-lz.ch

 Gut 300 Grenzwächter bewachen die Südgrenze im Tessin - und sie haben dieses Jahr alle Hände voll zu tun. Bis Ende September haben sie auf ihren Patrouillen durch die Züge und an der grünen Grenze bereits 1900 illegale Einwanderer entdeckt, wie Davide Bassi, Sprecher Grenzwachtregion IV Lugano, gegenüber unserer Zeitung sagt.

 Das sind bereits jetzt 300 Personen mehr als im ganzen letzten Jahr. Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass die Zahl bis Ende Jahr auf 2000 klettert. Solche Werte hat man im Kanton Tessin noch nie erreicht, sagte Bassi gegenüber dem "Corriere del Ticino".

 Dabei war der Sommer für die Tessiner Grenzwächter besonders intensiv: Allein in den Monaten Juni, Juli und August schnappten sie 686 illegale Migranten.

 Die meisten stellen ein Asylgesuch

 "Der überwiegende Teil trägt keine Ausweispapiere auf sich. Meistens stellen die Leute, die wir aufgreifen, ein Asylgesuch", sagt Bassi. Haben die von der Grenzwache gefassten Personen bereits in einem andern Schengenland um Aufnahme ersucht, werden sie zurückspediert - was gut klappe, wie Bassi sagt.

 Trotz des grossen Drucks an der Südgrenze wird das Tessiner Korps vorderhand nicht durch Personal aus anderen Grenzwachtregionen aufgestockt. "Wir können unser Dispositiv den Umständen anpassen", sagt Bassi. Sollte sich die Lage verschärfen, könne man schnell reagieren und Verstärkung anfordern.

 Schlupfloch der Schweiz

 Der Kanton Tessin ist das Schlupfloch der Schweiz, durch welches der grösste Teil der illegalen Einwanderer in das Land kommt. Schweizweit hat das Grenzwachtkorps in den Jahren 2008 und 2009 jeweils rund 3500 Personen registriert, die illegal ins Land drangen. Mehr als die Hälfte wählten jeweils die Südgrenze.

 Doch über welche Wege versuchen die meist papierlosen Ausländer, helvetischen Boden zu betreten? "Eine auch nur annähernd genaue quantitative Aussage, wie viele Personen über welche Route an die Südgrenze gelangt sind, ist nicht möglich", sagt Marie Avet, Pressesprecherin beim Bundesamt für Migration (BFM).

 Aufgrund von Unterlagen wie Bahntickets und Quittungen sei davon auszugehen, dass nur eine Minderheit auf der Griechenland-Route in die Schweiz gelange. Griechenland hat erst kürzlich von der EU-Grenzwachtagentur Frontex Hilfe angefordert, um der steigenden Anzahl Flüchtlinge an der türkisch-griechischen Grenze Herr zu werden. "Bisher hat die Situation in Griechenland nur einen marginalen Einfluss auf die Migration in die Schweiz", sagt Avet.

 Längere Zeit illegal in Italien

 Stattdessen hat das BFM Hinweise, dass ein bedeutender Teil der aufgegriffenen Personen, häufig nigerianische Staatsangehörige, sich teilweise während längerer Zeit illegal in Italien aufhielten, bevor sie ihr Glück in der Schweiz versuchten.

 Und weshalb der Andrang? Die Schweiz sei von der aktuellen Wirtschaftskrise weniger stark betroffen als zum Beispiel Italien, sagt Avet.

 Der Zürcher SVP-Nationalrat Hans Fehr hingegen nennt einen ganz anderen Grund: Eveline Widmer-Schlumpf. Die BDP-Bundesrätin, die seit Anfang Monat das Finanzdepartement führt, habe als Justizministerin im Asyldossier ein Chaos veranstaltet, im Bundesamt für Migration für einen "unglaublichen Personalverschleiss" gesorgt und nun die Flucht in ein anderes Departement ergriffen.

 Andere Länder wie Frankreich, Österreich, Schweden oder Grossbritannien hätten den Kampf gegen die illegale Migration intensiviert. "Die Personen, die von der Lampedusa-Route her kommen, spüren schnell, wo der Widerstand am geringsten ist", sagt Hans Fehr.

 "Bequem illegal in die Schweiz"

 Er ist deshalb nicht überrascht, dass die Tessiner Grenzwächter in diesem Jahr rekordverdächtig viele illegale Einwanderer aufgreifen. Er hofft, dass der Bundesrat jetzt bald seine Motion umsetzt, die er letztes Jahr eingereicht hatte und die im National- und in abgeschwächter Form auch im Ständerat gutgeheissen wurde.

 In seinem Vorstoss forderte Fehr 200 bis 300 zusätzliche Grenzwächter, um die Kontrolle - vor allem an der Südgrenze - zu verstärken. Laut dem SVP-Mann würden lediglich rund 20 Prozent der Eurocityzüge kontrolliert. "So kann man bequem illegal in die Schweiz reisen."

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 Ist die Schweiz ein Asyl-Magnet?

 Studie red. Kritik an der Asylpolitik der Schweiz äussert eine Studie des Internationalen Zentrums für Migrationspolitikentwicklung in Wien. Dieses verglich die Asylmassnahmen in der Schweiz mit der Asylpolitik in Grossbritannien und Dänemark. Auftraggeber der Studie war das Bundesamt für Migration, wie die "SonntagsZeitung" kürzlich berichtete.

 Wegen ihrer zögerlichen Asylpolitik sei die Schweiz ein Magnet für Asylbewerber, heisst es in der Studie. In der Schweiz würden Reformen im Vergleich mit anderen Ländern "relativ spät" an die Hand genommen. Bisher habe es keine einschneidenden Massnahmen gegeben wie beispielsweise in Grossbritannien, das in Zusammenarbeit mit Frankreich und Belgien auch auf ausländischem Boden kontrolliere, oder in Dänemark, wo die Verfahrens- und Aufenthaltsregeln verschärft worden seien. In der Schweiz liegt die Quote bei 2,08 Anträgen pro 1000 Einwohner, in Grossbritannien bei 0,74, in Dänemark bei 0,84.

 Immer mehr Flüchtlinge aus Eritrea und Nigeria

 Asylgesuche az. In den letzten Monaten hat nicht nur die Zahl der illegalen Grenzübertritte stark zugenommen. Auch die Zahl der Asylgesuche in der Schweiz ist im letzten Quartal angestiegen - von Juli bis September 2010 waren es 3926 Gesuche, was einem Plus von 10,8 Prozent entspricht. Dies stellt das Bundesamt für Migration (BFM) in seiner jüngsten Asylstatistik fest.

 An der Spitze der Statistik befinden sich immer noch Eritrea und Nigeria, wobei aus diesen Ländern auch eine starke Zunahme zu verzeichnen ist (siehe Grafik). Hauptgrund für die hohen Zahlen aus Eritrea ist laut BFM, dass Ehepartner und Kinder von Flüchtlingen aufgrund der geltenden Gesetze ebenfalls als Flüchtlinge anerkannt werden. Was die Situation in Nigeria betreffe, gebe es "keine Hinweise auf eine baldige Trendwende".

 Serbien: Mehrheit sind Roma

 Rückläufig sind die Asylzahlen aus Serbien. Allerdings weist das Bundesamt für Migration darauf hin, dass es sich bei "einer deutlichen Mehrheit der Asylsuchenden aus Serbien" um Roma handle.

 Zunahme aus Afghanistan

 Auffällig ist die plötzliche Zunahme der Asylzahlen aus Afghanistan. In den europäischen Nachbarländern sei Afghanistan mittlerweile das bedeutendste Herkunftsland von Asylsuchenden, schreibt das BFM. Unter den europäischen Zielländern liege die Schweiz aber "lediglich an elfter Stelle". Die meisten Asylanträge von Afghanen würden in Deutschland gestellt - etwa acht Mal mehr als in der Schweiz.

 6119 Ausreisen seit Jahresbeginn

 In seiner Statistik hält das BFM auch fest, dass 6119 Ausländer seit Jahresbeginn auf dem Luftweg ausgeschafft worden seien. 67,5 Prozent der Ausreisen beträfen den Asylbereich, der Rest falle in den Bereich des Ausländerrechtes.

 Asylstatistik des Bundesamtes für Migration auf www.zisch.ch/bonus

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NZZ am Sonntag 31.10.10

Schweizer sichern bald die EU-Grenze

 Geplant ist Einsatz von 30 Grenzwächtern - Abkommen wird "so rasch als möglich" unterzeichnet

 Ab nächstem Jahr sollen Grenzwächter aus der Schweiz den EU-Raum vor Schleppern und Migranten schützen.

 Lukas Häuptli

 Die Schweiz soll der Europäischen Union ab 2011 rund 30 Grenzwächter zur Verfügung stellen. "Das Grenzwachtkorps wird vor allem Fachleute wie Dokumenten- und Fahrzeug-Spezialisten entsenden", sagt Stefanie Widmer, die Sprecherin der Eidgenössischen Zollverwaltung, gegenüber der "NZZ am Sonntag". "Einsätze auf hoher See dagegen sind undenkbar."

 Zwei entsprechende Verträge zwischen der Schweiz und der Europäischen Union sind bereits in Kraft, über ein drittes und letztes Abkommen wird seit August verhandelt. Dieses soll laut Widmer "so rasch als möglich" abgeschlossen werden. Die EU-Grenzschutz-Behörde Frontex geht davon aus, dass der Vertrag "in den nächsten Wochen" unterzeichnet wird, wie Sprecher Michal Parzyszek erklärt. Damit sind alle rechtlichen Voraussetzungen geschaffen, dass ab 2011 Schweizer Grenzwächter an Einsätzen zur Sicherung der EU-Aussengrenze vor Migranten teilnehmen können.

 Die Schweiz rechnet damit, dass ihre Beteiligung an Frontex rund drei Millionen Franken pro Jahr kosten wird. Die 30 bewaffneten Schweizer Grenzschützer bleiben auch in Zukunft Angestellte des Bundes, werden aber Teil des "Rabit"-Pools von Frontex. "Rabit" steht für "Rapid Border Intervention Teams", schnelle Grenz-Eingriffs-Equipen. Der Pool besteht zurzeit aus 730 Grenzwächtern aus zahlreichen Staaten, die das Grenz- und Sicherheitsabkommen Schengen unterzeichnet haben. Vorgesehen ist, dass die EU in Krisenfällen Grenzwächter aus dem "Rabit"-Pool rekrutiert und zur Unterstützung nationaler Behörden bei der Grenzsicherung einsetzt. Das ist am Freitag zum ersten Mal in der Geschichte der EU geschehen. Frontex entschied, 175 Grenzwächter aus Schengen-Staaten an die griechisch-türkische Grenze zu schicken, um gegen Migranten und Schlepper vorzugehen. In Griechenland droht die Lage wegen Zehntausender neuer Migranten und Asylsuchender zu eskalieren. Die Flüchtlingslager sind überfüllt, die hygienischen Zustände desolat.

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Schweizer Grenzwächter sichern bald auch EU-Grenzen

 Einsatz von bis zu 30 Spezialisten an der Schengen-Aussengrenze

 Die EU schickt nächste Woche Grenzschützer aus ganz Europa nach Griechenland, um die Schengen-Aussengrenze gegen Migranten und Schlepper zu sichern. Ab nächstem Jahr sollen auch Schweizer an solchen Einsätzen teilnehmen.

 Lukas Häuptli

 In Griechenland droht die Eskalation: Jeden Tag kommen 200 bis 300 Männer, Frauen und Kinder auf Booten, auf Lastwagen und zu Fuss im Land an. Es sind - je nach weltanschaulicher Warte - Migranten, illegale Einwanderer oder schutzbedürftige Asylsuchende. Viele von ihnen versuchen, aus Griechenland in andere europäische Staaten zu gelangen. Viele landen in einem der überfüllten Flüchtlingszentren, in denen zum Teil miserable hygienische Zustände herrschen. Und nur wenige haben in Griechenland Zugang zu einem ordentlichen Asylverfahren.

 Wegen der desolaten Situation im Land forderte der Uno-Sonderberichterstatter gegen die Folter die europäischen Staaten vor zehn Tagen auf, Asylsuchende vorläufig nicht mehr nach Griechenland zurückzuführen (vgl. Kasten). Und am Freitag hat Frontex, die EU-Behörde zur Sicherung der Schengen-Aussengrenze, beschlossen, 175 Grenzschützer aus ganz Europa nach Griechenland zu schicken. Sie sollen ab nächstem Dienstag die dortigen Behörden bei der Sicherung der Landgrenze zur Türkei unterstützen. Der Einsatz soll bis zu zwei Monate dauern. "Es ist der erste derartige Einsatz in der Geschichte von EU und Schengen überhaupt", sagt Frontex-Sprecher Michal Parzyszek. Schengen ist ein Grenz- und Sicherheits-Abkommen, dem bis jetzt 31 europäische Staaten, darunter die Schweiz, beigetreten sind.

 Die EU-Behörde Frontex hat die 175 Grenzwächter für Griechenland aus ihrem "Rabit"-Pool rekrutiert. "Rabit" steht für "Schnelle Grenz-Eingriffs-Equipen", und der Pool umfasst zurzeit 730 Grenzschützer aus allen EU-Staaten. Und: Ab nächstem Jahr wird auch die Schweiz Grenzwächter für die Sicherung der Schengen-Aussengrenze zur Verfügung stellen. Zwei entsprechende Verträge mit der EU sind bereits in Kraft. Über einen dritten und letzten wird seit August verhandelt. "Die Verhandlungen sind weit fortgeschritten", hält der Frontex-Sprecher Parzyszek fest. "Wir hoffen, sie in den nächsten Wochen abschliessen zu können." Ähnlich tönt es auf Schweizer Seite: "Beide Seiten sind bestrebt, das Abkommen so rasch als möglich abzuschliessen", sagt Stefanie Widmer, Pressesprecherin der Eidgenössischen Zollverwaltung, zu der auch das Schweizer Grenzwachtkorps gehört. Im sogenannten Administrativ-Abkommen werden die Details zum Einsatz von Schweizer Grenzwächtern an der Schengen-Aussengrenze geregelt. Ist das Abkommen in Kraft, kann die EU auch Schweizer Grenzwächter einsetzen. Das Grenzwachtkorps geht davon aus, dass das im nächsten Jahr der Fall sein wird.

 Vorgesehen ist, dass die Schweiz der EU "rund 30 Grenzwächter" zur Verfügung stellt, wie Widmer weiter sagt. "Das Grenzwachtkorps wird vor allem Fachleute wie Dokumenten- oder Fahrzeug-Spezialisten entsenden. Einsätze auf hoher See dagegen sind undenkbar." Die Schweizer Grenzwächter bleiben während eines allfälligen Schengen-Einsatzes Angestellte der Schweiz. Der Bund geht davon aus, dass ihn die Beteiligung an Frontex jährlich drei Millionen Franken kostet.

 Zu einem Einsatz der "Rabit"-Grenzwächter kommt es, wenn ein Schengen-Staat Frontex darum ersucht und diese dem Ersuchen stattgibt. Dann rekrutiert die Behörde aus ihrem Pool die für den Einsatz erforderlichen "Rabit"-Mitglieder. Jeder Staat - und damit in Zukunft auch die Schweiz - kann den Einsatz der eigenen Grenzwächter ablehnen, wenn er zur fraglichen Zeit "einen begründeten Eigenbedarf" nachweisen kann.

 Das Schweizer Grenzwachtkorps hat rund 2000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Die eigentlichen Grenzwächter sind bewaffnet. In den letzten beiden Jahren griffen sie an der Schweizer Grenze je rund 3500 Migrantinnen und Migranten auf, die meisten von ihnen im Kanton Tessin.

 Rückführungs-Stopp?

 Das Bundesamt für Migration (BfM) erwägt, die Rückführungen von abgewiesenen Asylsuchenden nach Griechenland vorläufig zu stoppen. "Wir überprüfen zurzeit die Praxis in Bezug auf Griechenland", sagt BfM-Sprecherin Marie Avet dazu. Das Land sei als Einfallstor zu Europa den Migrationsströmen ungleich stärker ausgesetzt als andere Staaten. "Die Situation in Griechenland ist daher schwierig, und eine Änderung scheint kurzfristig nicht in Sicht." Der Bund hat im Rahmen des sogenannten Dublin-Abkommens seit Anfang Jahr 40 abgewiesene Asylsuchende nach Griechenland zurückgeführt. Das ist möglich, weil die betroffenen Asylsuchenden über Griechenland in die Schweiz gereist waren. (luh.)

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Sonntagszeitung 31.10.10

Der Strom des Elends

 Das griechische Evros-Gebiet ist für viele verzweifelte Asylsuchende die erste europäische Anlaufstelle

 Von Chrissi Wilkens

 Alexandroupoli Shoghofa drückt ihr Baby fest an sich. Verzweifelt und ängstlich steht die junge Frau mit ihrem Mann am Bahnhof im nordgriechischen Alexandroupoli, wenige Kilometer von der griechisch-türkischen Grenze entfernt. Vor ein paar Stunden wurde die afghanische Flüchtlingsfamilie aus dem Auffanglager im nahen Soufli freigelassen. In der Hand hält Shoghofa das Entlassungspapier, mit der Aufforderung, binnen 30 Tagen Griechenland zu verlassen. Zwei Monate war das Paar mit dem Baby unterwegs, zu Fuss und per Bus, von Afghanistan bis in die Türkei.

 "In einem Paddelboot haben wir nachts den Fluss Evros überquert, um nach Europa zu kommen. Polizisten haben uns gefasst und nach Soufli gebracht", sagt Shoghofa. Sie konnte kaum glauben, dass sie in Europa angekommen war: "Das Lager war übervoll. Frauen, Männer und Kinder dicht aneinandergedrängt. Manche schliefen vor der Toilette im Abwasser. Es gab keinerlei medizinische Versorgung." Nun wartet sie mit Dutzenden afghanischer und somalischer Flüchtlinge auf den Zug nach Athen, um von dort aus Schutz zu suchen.

 Mehr als 40 Menschen sind dieses Jahr im Evros ertrunken

 Der Fluss Evros trennt über 130 Kilometer hinweg die Türkei von Griechenland. Der Grenzfluss ist das letzte Eingangstor nach Europa, seit der Seeweg weitgehend versperrt ist. Mehr als 90 Prozent der Migranten und Flüchtlinge aus Asien und Afrika, schätzungsweise 350 Personen pro Tag, versuchten dieses Jahr das vermeintlich sichere EU-Paradies über den Evros zu erreichen. Mehr als 34 000 Migranten wurden seit Anfang des Jahres im Evros-Gebiet aufgegriffen, fast viermal mehr als 2009. Mehr als 40 Menschen sind seit Jahresanfang in den Fluten des Flusses ertrunken. Wie die Organisation Welcome to Europe im August berichtete, wurden ihre Leichen in einem Massengrab verscharrt.

 In den fünf offiziellen Auffanglagern im Evros-Gebiet herrschen laut dem Flüchtlingshilfswerk UNHCR "tragische Zustände"; es spricht von einer "humanitären Krise" in Griechenland. Familien mit Kindern, unbegleitete Minderjährige, alle werden in elenden, oft fensterlosen Räumen un- tergebracht, abgeriegelt von der Aussenwelt und meist ohne Zugang zum Asylverfahren. In Athen stapeln sich mehr als 45 000 unerledigte Asylanträge.

 Im August haben im Auftrag der Organisation Pro Asyl zwei griechische Anwältinnen im Evros-Gebiet recherchiert. Die Ergebnisse sind schockierend. Sie dokumentierten Fälle, in denen durch falsche Angaben der Polizeibehörden Minderjährige zu Erwachsenen gemacht oder einem falschen Herkunftsland zugeordnet wurden. Wie N. S. - der 15-jährige Afghane wurde als volljähriger Türke registriert. "Die Flüchtlinge werden nicht einmal in einer ihnen verständlichen Sprache über die Gründe ihrer Inhaftierung informiert. Sie wissen manchmal nicht, dass ihnen die rasche Rückschaffung in die Türkei droht", sagt die Anwältin Marianna Tzeferakou.

 Die EU schickt den Griechen 175 Grenzschützer

 Der iranische Flüchtling E. A. war im Auffanglager Soufli gefangen. "Sie haben alle Beweisdokumente, die ich mitgebracht hatte, in den Abfall geworfen. Ich habe mehrmals verlangt, einen Asylantrag zu stellen. Keiner hat mich beachtet", sagt er. E. A. wurde freigelassen, nachdem die griechischen Behörden erfolglos versucht hatten, ihn in die Türkei zurückzuschieben.

 Die EU schickt nun 175 Frontex-Grenzschützer zur Unterstützung Griechenlands ins Evros-Gebiet. Mit Waffen, Helikoptern, Hunden und moderner Überwachungstechnologie sollen sie die Migranten daran hindern, EU-Boden zu betreten.

 Die Afghanin Shogofa wird es wenigstens bis Athen schaffen. Aber sie fürchtet, dort auf der Strasse zu landen. So wie viele, die über den Evros gekommen sind. Und wie all jene, die es sogar weiter in einen andern EU-Staat geschafft haben, dann aber ins "Erstasylland Griechenland" zurückgeschoben werden.

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 Schweiz ist vorsichtig mit Rückführungen

 In diesem Jahr wurden in 40 Fällen Asylsuchende im Dublin-Verfahren nach Griechenland geschickt.

 Die Schweiz hat dieses Jahr 310 sogenannte Dublin-Fälle festgestellt, für die Griechenland als Erstasylland zuständig ist. Wegen der Überlastung Griechenlands schafft sie unbegleitete Minderjährige, Familien mit Kindern, Betagte und Kranke aber nicht dorthin zurück. Einige EU-Staaten verzichten momentan ganz auf Rückführungen nach Griechenland. Der Menschenrechtsexperte Manfred Nowak war im Auftrag der UNO in griechischen Auffanglagern. Anstelle des Dublin-Abkommens fordert er eine Regelung, welche auch die Interessen der Asylsuchenden und irregulären Migranten berücksichtigt.  (UZ)

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ANTI-ATOM
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20 Minuten 2.11.10

Regierung will AKWs sistieren

 BERN. Ein Ja zu neuen Kernkraftwerken, ohne dass die Endlagerung der radioaktiven Abfälle gelöst ist, wäre gegenüber den kommenden Generationen verantwortungslos: Diesen Standpunkt vertritt die Berner Kantonsregierung. Sie ist sogar bereit, sich mit einer Standesinitiative für ein Moratorium einzusetzen. Da sich die Suche nach einem geeigneten Tiefenlager kaum beschleunigen lasse, bestehe nur noch die Möglichkeit, die laufenden Rahmenbewilligungsverfahren einstweilen zu sistieren. Endlager würden frühestens 2040 zur Verfügung stehen.

 Mit diesen Argumenten empfiehlt der Regierungsrat eine entsprechende Motion des Grünen Christoph Grimm zur Annahme. Konsequenterweise würde die Kantonsregierung auch das Projekt Mühleberg 2 nicht weiterführen, wenn es allein nach ihr ginge, erklärt Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer. Doch in dieser Frage hat das Volk am 13. Februar das letzte Wort.  MAr


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Bund 2.11.10

Harter Abstimmungskampf um Atomausstieg der Stadt Bern

 Simon Thönen

 Am 28. November stimmt das Stadtberner Volk über zwei Varianten des Atomausstiegs ab: Die Volksinitiative Energiewende Bern will, dass das stadteigene Werk Energie Wasser Bern (EWB) seine AKW-Beteiligungen innerhalb von zwanzig Jahren aufgibt. Der Gegenvorschlag des Gemeinderates sieht eine längere Frist bis 2039 vor. Energiedirektor Reto Nause (CVP) kämpft für den Gegenvorschlag und gegen die Initiative.

 Doch die Unterschiede zwischen den zwei Vorlagen sind inzwischen in den Hintergrund gerückt. Ein Komitee von bürgerlichen Parteien und Wirtschaftsverbänden wirbt für ein doppeltes Nein. Das rot-grüne Lager und die grünen Mitte-Parteien kämpfen in erster Linie für ein doppeltes Ja. - Seite 23

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Wie Bern aus der Atomenergie aussteigen will

 Über zwei Wege zum Ausstieg aus der Atomenergie stimmen die Stadtberner am 28. November ab. Energie Wasser Bern (EWB) ist bereits auf dem Pfad weg vom Atomstrom und hin zu erneuerbarer Elektrizität eingespurt.

 Simon Thönen

 Beim persönlichen Tatbeweis für eine umweltfreundliche Stromversorgung sind die Stadtberner Schweizer Meister. "Über die Hälfte unserer Privatkunden und gegen die Hälfte der Firmenkunden wählten erneuerbaren Strom", sagt Daniel Schafer, CEO des stadteigenen Werks Energie Wasser Bern (EWB): Für einen geringen Aufpreis liefert EWB den Kunden ausschliesslich Wasserkraftstrom. Angebote mit dem deutlich teureren zertifizierten Ökostrom leisten sich immerhin neun Prozent der Privatkunden und drei Prozent der Unternehmen.

 Umstieg mit alten AKW bezahlen

 Umweltfreundliche Elektrizität ja bitte - falls die Mehrkosten sich in Grenzen halten. So könnte man die Gemütslage der EWB-Kundschaft zusammenfassen. Nach dieser Devise hat EWB auch den Fahrplan für den Ausstieg der städtischen Stromversorgung aus der Atomenergie entwickelt: Die Erlöse aus dem Verkauf des Stroms aus den abgeschriebenen und billig produzierenden alten AKW sollen genutzt werden, um die Stromversorgung bis 2039 auf erneuerbare Energie umzustellen.

 Mit Verspätung wird damit ein alter Volksauftrag angepackt: Bereits 1999 hatte das Stadtberner Volk mit Dreiviertelmehrheit eine Gemeindeordnung angenommen, die den Atomausstieg als Ziel festschreibt. In der Volksabstimmung vom 28. November entscheiden die Stadtberner und Stadtbernerinnen nun über zwei Varianten des Atomausstiegs, welche sich nur in der Frist unterscheiden (siehe Text unten).

 Die Volksinitiative Energiewende Bern will, dass EWB bis in zwanzig Jahren - konkret bis 2031 - AKW-Beteiligungen aufgibt und auf erneuerbare Stromproduktion umstellt.

 Der Gegenvorschlag des Gemeinderates sieht eine längere Frist bis 2039 vor, was der EWB-Strategie entspricht.

 Doch inzwischen geht es nicht mehr nur um das Tempo des Atomausstiegs, sondern um diesen überhaupt. Ein bürgerliches Komitee, das vom städtischen Handels- und Industrieverein (HIV) geführt wird, wirbt für ein doppeltes Nein zu beiden Vorlagen. Auf Plakaten warnt das "2 x Nein"-Komitee mit roten Karten vor einer Verdoppelung des Strompreises. Der bürgerliche Gemeinderat und Energiedirektor Reto Nause (CVP) plädiert angesichts der Kampagne für eine Versachlichung der Debatte. "Man darf die Produktionskosten von alten, abgeschriebenen AKW nicht mit neuen Anlagen für erneuerbare Stromproduktion vergleichen." (Artikel rechts)

 AKW-Ersatz ist bereits im Bau

 Mit dem AKW-Ausstieg würde Bern eine Pionierrolle übernehmen - nach der Stadt Zürich, die den Ausstieg bereits 2008 beschlossen hat. Die Herausforderung ist gross: AKW-Strom macht heute fast 60 Prozent der Stromproduktion von EWB aus. Der entsprechende schweizerische Anteil beträgt 40 Prozent. Bis 2039 will EWB total rund 940 Millionen Franken investieren. Jährlich sollen im Durchschnitt 11 Millionen Kilowattstunden erneuerbare Energie zugebaut oder zugekauft werden.

 Die erste Etappe des Atomausstiegs steht am Berner Stadtrand beim Forsthaus bereits im Bau: Mit der neuen Kehrichtverbrennungsanlage (KVA) entsteht dort auch ein Kraftwerkpark, der die Beteiligung von EWB am französischen Atomkraftwerk Fessenheim um das Dreifache ersetzen wird.

 Der dort vorgesehene Strom-Mix ist ein Kompromiss: Im engen Sinn erneuerbar ist die Stromproduktion des neuen Kraftwerks, das mit Holz betrieben wird. Nur teilweise als erneuerbar gilt der Strom, der mittels Abfallverbrennung erzeugt wird. Da der Abfall ohnehin verbrannt wird, ist dies nicht umstritten.

 Anders das Gaskombikraftwerk, das im Forsthaus ebenfalls gebaut wird - und das den grössten Teil der Strommenge liefern wird. Das "2 x Nein"-Komitee kritisiert das Gaskraftwerk denn auch als "CO2-Schleuder direkt vor unserer Haustür". EWB-Chef Schafer räumt ein, dass der CO2-Ausstoss "ein Wermutstropfen" ist. "Gesamthaft betrachtet sparen wir mit den neuen Anlagen im Forsthaus jährlich aber fast 60 000 Tonnen CO2 ein." Vor allem aber liefere das Gaskombikraftwerk in erster Linie Wärme für das städtische Fernheiznetz - und leiste so einen Beitrag, um Ölheizungen zu ersetzen. Das Gaskraftwerk wird als Übergangslösung bis etwa 2032 laufen.

 Investitionen auch im Ausland

 Der Bau des Kraftwerkparks im Forsthaus wird nicht ausreichen, um auch die bedeutendere Beteiligung am AKW Gösgen zu ersetzen. Dazu will EWB in den kommenden Jahren kontinuierlich mehr Stromproduktion aus Biomasse, Solar- und Windkraft erwerben - Letztere auch im Ausland. "So würden Arbeitsplätze aus der Region Bern ins Ausland verlagert", kritisiert Bernhard Eicher, FDP-Fraktionschef im Stadtrat. Für EWB ist dies jedoch eine Kostenfrage: Sonne und Wind liefern in vielen Ländern günstigeren Strom als in der Schweiz.

 So wie jetzt im Forsthaus ist auch gegen Ende der Ausstiegsperiode ein grösserer Investitionsschub geplant. Eine Option ist ein Geothermiekraftwerk. Ein solches könnte Bandenergie liefern wie AKW - aber die Aussichten sind ungewiss. Wie jede Firma kann EWB die Investitionen in zwanzig Jahren nicht schon jetzt festlegen. Falls das Bernervolk am 28. November für den Atomausstieg stimmt, ist dieser nicht mehr eine politische Forderung - sondern das Alltagsgeschäft der Firma EWB.

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 Ausstiegsfristen

 AKW-Laufzeiten bestimmen Fristen

 Die Stadt Zürich will bis 2044 aus der Atomenergie aussteigen, der Berner Gemeinderat bis 2039. Wie kommt man auf so präzise Termine? Die Antwort ist einfach: Beide Städte wollen den billigen Strom aus den Beteiligungen an alten abgeschriebenen AKW bis zum Ende nutzen - um den Umstieg auf erneuerbare Energie zu finanzieren. Dabei rechnen sie mit einer AKW-Laufzeit von 60 Jahren. Beim AKW Leibstadt ergibt dies 2044, beim AKW Gösgen 2039. Allerdings: 60 Jahre sind eine lange Laufzeit und keineswegs garantiert. Zum Vergleich: In Deutschland müsste Gösgen auch nach der kürzlich beschlossenen Laufzeitverlängerung für AKW schon nach 40 Jahren vom Netz.

 Die Volksinitiative "Energiewende Bern" gibt eine Frist von 20 Jahren für den Atomausstieg vor - bis 2031. Die kürzere Frist verursache beim stadteigenen Werk EWB Margenverluste von total 351 Millionen Franken, warnt der Gemeinderat. Dies, weil Investitionen in erneuerbare Stromproduktion rascher erfolgen müssten, vor allem aber, weil der billige Atomstrom aus dem alten AKW Gösgen früher wegfallen würde.

 Gösgen-Beteiligung verkaufen?

 Eine interessante Idee brachte in der Stadtratsdebatte über die Volksinitiative und den Gegenvorschlag GFL-Fraktionschef Peter Künzler ins Spiel: Falls die Volksinitiative angenommen würde, könne EWB seine Beteiligung am AKW Gösgen 2031 ja auch einfach verkaufen - und so die noch ausstehenden Erträge kapitalisieren. "Dies wäre eine Option", räumt EWB-Chef Daniel Schafer auf Anfrage ein, "eine offene Frage ist jedoch, wie viel die Gösgen-Beteiligung relativ kurz vor dem Ende der Laufzeit noch wert wäre." (st)

 Abstimmung 28. November Volksinitiative Energiewende Bern und Gegenvorschlag

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Strompreisdebatte

 Strom wird teurer - ob mit oder ohne Atomkraft

 Alle neuen Kraftwerke verteuern den Strom - wie stark, ist kaum abschätzbar.

 "Strompreis verdoppeln" - davor warnt auf Plakaten das Komitee, das für ein doppeltes Nein am 28. November wirbt - sowohl zur Initiative Energiewende Bern wie auch zum Gegenvorschlag. Wie das "2 x Nein"-Komitee auf die Verdoppelung der Strompreise kommt, schlüsselt es auf seiner Internetseite auf: Es beruft sich auf eine Studie des Planungsbüros Infras, welche davon ausgehe, "dass sich ohne Kernenergie der Strompreis bis 2018 verdoppelt".

 Dabei handelt es sich allerdings um eine Studie mit einem Szenario ohne neue Kernkraftwerke auf schweizerischer Ebene, ein Bezug zur Stadt Bern besteht nur insofern, als das stadteigene Werk EWB sie mitfinanziert hat.

 Die angenommene Verdoppelung der Strompreise bis 2018 hat direkt nichts mit der Frage zu tun, ob die alten AKW durch neue ersetzt werden - diese würden ja sowieso erst in den 2020er-Jahren in Betrieb gehen. Es handelt sich um eine Schätzung der Entwicklung der Strompreise einerseits. Andererseits geht Infras davon aus, dass auf schweizerischer Ebene eine massive Lenkungsabgabe auf Strom eingeführt wird.

 Bernische Abgabe ist bescheiden

 Eine "Ökoabgabe" auf Stadtebene ist zwar in Initiative und Gegenvorschlag vorgesehen - aber nur, falls es das übergeordnete Recht erlaubt. Da der Kanton eine eigene Förderabgabe beschlossen hat, ist die städtische Abgabe eine theoretische Option. Die kantonale Abgabe, über die das Volk im Frühjahr 2011 abstimmen wird, beträgt eher bescheidene 0,5 bis 1 Rappen pro Kilowattstunde.

 Generell ist anzunehmen, dass die Strompreise einfach deshalb steigen werden, weil der Strom aus alten, abgeschriebenen Atom- und Wasserkraftwerken ersetzt werden muss. "Das Teuerste, was man machen kann, ist, ein neues AKW zu bauen", meint die grüne Grossrätin Natalie Imboden - und verweist darauf, dass sich die Baukosten beim neuen EPR-Atomreaktor in Finnland bereits verdoppelt hätten.

 Vorsichtiger drückt sich Energiedirektor Reto Nause (CVP) aus: "Ich bin mir nicht sicher, ob es die Stromkonsumenten in Bern wirklich billiger zu stehen käme, wenn EWB in neue Kernkraftwerke investieren würde."

 Exakte Prognosen zur langfristigen Entwicklung der Strompreise seien unseriös, betont EWB-Chef Daniel Schafer, fügt aber an: "Alles deutet darauf hin, dass die Strompreise steigen werden, ob man nun auf AKW oder auf erneuerbare Energie setzt." Immerhin spreche der Trend für Letztere. "Bei den Erneuerbaren zeigt die Kostenkurve in die richtige Richtung: nach unten. Bei neuen Kernkraftwerken dagegen zeigen die Gestehungskosten nur nach oben." (st)

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Sichere Endlagerung des atomaren Abfalls hat Vorrang

 Bevor die Endlagerung radioaktiver Abfälle nicht geklärt ist, will der Regierungsrat kein neues AKW.

 Die bernische Kantonsregierung möchte, dass zuerst die Frage nach der Endlagerung radioaktiver Abfälle geregelt wird, bevor neue Atomkraftwerke gebaut werden. Der Regierungsrat wäre bereit, sich dafür mit einer Standesinitiative beim Bund einzusetzen. Das letzte Wort hat jedoch der Grosse Rat. Ein Ja zu neuen Kernkraftwerken, ohne dass das Endlagerproblem gelöst ist, wäre gegenüber den kommenden Generationen verantwortungslos, schreibt der Regierungsrat in einer gestern veröffentlichten Antwort auf einen Vorstoss aus den Reihen der Grünen. Weil die schwierige Suche nach geeigneten Endlager-Standorten wohl kaum beschleunigt werden könne, müssten stattdessen die laufenden Rahmenbewilligungsverfahren einstweilen sistiert werden, schreibt der Regierungsrat. (sda)

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Langenthaler Tagblatt 2.11.10

Vor KKW-Neubau Abfall-Endlagerung lösen

Bruno utz

 Motion Bevor ein neues Kernkraftwerk gebaut wird, soll der Bund die Endlagerung von radioaktiven Abfällen lösen. Eine entsprechende Standesinitiative will der Regierungsrat beim Bund einreichen.

 "Die Entsorgung von radioaktiven Abfällen muss umgehend gelöst werden." Diese Forderung im Zusammenhang mit der beim Bund anstehenden Vergebung von Rahmenbewilligungen für neue Kernkraftwerke erheben Christoph Grimm (Grüne/Burgdorf) und 24 weitere Grossräte per Motion. Der Kanton Bern als Mehrheitsaktionär der BKW Energie AG und als Standortkanton eines Kernkraftwerks müsse ein grosses Eigeninteresse haben, dass die Endlagerproblematik vor der Erteilung neuer Rahmenbewilligungen gelöst sei, begründet Grimm.

 "Der Regierungsrat befürwortet die Motion", schreibt dieser in seiner gestern veröffentlichten Antwort. Laut dem bundesrätlichen Sachplan für geologische Tiefenlager werde ein Lager für die schwach- und mittelaktiven Abfälle frühestens im Jahr 2030 zur Verfügung stehen, für die hoch radioaktiven Abfälle daure es mindestens bis zum Jahre 2040. "Dies bedeutet, dass neue Kernkraftwerke in Betrieb gehen würden, bevor deren hoch aktive Abfälle in der Schweiz endgelagert werden könnten." Eine Standesinitiative werde die eingeleitete Standortsuche jedoch kaum beschleunigen. "De facto bleibt demnach als einzige Möglichkeit, die laufenden Rahmenbewilligungsverfahren einstweilen zu sistieren", folgert der Regierungsrat. Zum heutigen Zeitpunkt bestehe zudem keine Gewähr, dass das Endlagerproblem in der Schweiz überhaupt gelöst werden könne. "Ein Ja zu neuen Kernkraftwerken, ohne dass die Endlagerung von deren radioaktiven Abfällen gelöst ist, wäre gegenüber den kommenden Generationen verantwortungslos und mit den Grundsätzen der nachhaltigen Entwicklung nicht vereinbar."

 Der Grosse Rat entscheidet in der Novembersession über die Motion. Am 13.Februar 2011 findet die Konsultativbefragung des Berner Stimmvolks zum geplanten Ersatzkernkraftwerk Mühleberg statt.

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Bund 2.11.10

Schaffhausen

 Gegen Atommüll-Endlager auch in der Nachbarschaft

 Der Kantonsrat Schaffhausen hat gestern mit 47 zu 9 Stimmen für die Änderung des Gesetzes gegen Atommüll-Lagerstätten gestimmt. Bislang verpflichtete dieses die Behörden des Kantons, mit allen rechtlichen und politischen Mitteln Widerstand dagegen zu leisten, dass auf Kantonsgebiet ein Lager für radioaktive Abfälle errichtet wird. Nun ist der Kantonsrat auf eine Vorlage eingetreten, die diesen Widerstand auf die angrenzende Nachbarschaft - etwa den Kanton Zürich - ausweitet. (sda)

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Basler Zeitung 2.11.10

Von Menschen und Endlagern

 Markierung für Jahrtausende

atommüll. Der Bözberg im Fricktal wird derzeit als einer von insgesamt sechs möglichen Schweizer Standorten für ein Atommülllager diskutiert. Rein naturwissenschaftlich betrachtet, sei man mit der Realisierung solcher Endlager schon ziemlich weit, sagt der Geologe Marcos Buser, Mitglied der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit. Doch weit grösser als die technische Herausforderung sei die gesellschaftliche. Denn wie kann man heute diese Endlager so markieren, dass unsere Nachfahren in tausend, in zehntausend Jahren oder gar in einer Million Jahre davor gewarnt sind? "Wie sag ichs meinen Kindeskindern?", fragt Buser morgen in einem Vortrag. Der BaZ hat er es schon zuvor im Interview gesagt.  spe  > Seite 2

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"Wir müssen die Kindeskinder warnen"

 Marcos Buser hat eine Bundesstudie über die Markierung von Endlagern verfasst

 Interview: Susanna Petrin

 Unsere Nachfahren sollen auch in Tausenden von Jahren vor Atommüll-Lagern gewarnt werden. Doch wie kommuniziert man mit der Zukunft? Der Geologe Marcos Buser hat über dies und mehr schon viele Forschungen angestellt.

 BaZ: Herr Buser, was wissen wir noch über die Gesellschaft vor 10 000 Jahren?

 Marcos Buser: "Praktisch nichts", habe ich kürzlich im "Geo Science" geschrieben. Ein Archäologe hat sich darüber aufgeregt und gesagt, man könne dank Funden viel über die damalige Gesellschaft aussagen. Ich relativiere meine Aussage inzwischen und sage: Wir haben viele Bruchstücke, aus denen wir Materielles rekonstruieren können. Doch alles Ideelle - die damalige Kultur, das Soziale, die Religion - ist kaum fassbar und bleibt ein Konstrukt.

 Radioaktiver Abfall muss laut Gesetz so entsorgt werden, dass der "dauernde Schutz von Mensch und Umwelt gewährleistet ist". Die Rede ist von bis zu einer Million Jahren, eine rund fünf Mal so lange Zeitspanne, wie es den Homo Sapiens überhaupt gibt.

 Ein Teil des Abfalls strahlt nur 1000 Jahre, ein anderer Teil, das Uranium, strahlt mehrere Milliarden Jahre. Irgendwann ist die Radioaktivität aber auf einem fast stabilen Niveau, das sie kaum mehr unterschreitet. Darum hat man die Million Jahre in der Schweiz offiziell als Richtwert genommen. So lange sollte der Abfall unter der Erde verwahrt werden.

 Eine Million Jahre ist eine sehr lange Zeit. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sagt: Das Abfallproblem ist gelöst, wir haben den technischen Nachweis für eine derart lange sichere Lagerung. Halten Sie das technisch auch für möglich?

 Es ist heikel, das so absolut zu behaupten. In den letzten dreissig Jahren wurden technisch grosse Fortschritte gemacht, aber es sind noch gewaltig viele Fragen offen. Ich halte ein Endlager für machbar, aber die Art und Weise der Umsetzung hat einen grossen Einfluss auf die Sicherheit. Man ist geologisch auf einem guten Weg. Doch der Nachweis, dass es dann wirklich funktioniert, muss noch erbracht werden.

 Was fehlt denn noch?

 Eine Anlage auf dem Papier und eine Anlage in der Realität, das sind zwei Paar Schuhe. Auf dem Papier lässt sich alles problemlos machen. Sobald es aber an die Realisierung geht, merkt man, wo die Schwierigkeiten liegen. Wie bei jedem Bau auch.

 Was ist das Hauptproblem?

 Eine Frage ist kaum zu beantworten: Dringt Radioaktivität heraus und wie viel? Dazu gibt es Modelle: Erkenntnisse aus Experimenten, die über drei, zehn oder vielleicht hundert Jahre laufen, extrapoliert man auf eine Million Jahre. Die Frage lautet: Ist das zulässig? Vielleicht gibt es irgendwann neue Erkenntnisse. Oder vielleicht werden die aktuellen Befürchtungen sich auflösen. Aber heute gibt es noch zu viele Unsicherheiten, als dass man behaupten könnte, das Problem sei gelöst. Für alles, was die Gesellschaft anbelangt und die Entwicklung oberhalb des Lagers, sind enorm viel Bedenken anzumelden.

 Es gibt aber diesen radioaktiven Abfall, irgendetwas muss man nun damit tun.

 Ja, da gibt es nichts zu diskutieren. Diesen Abfall zu stapeln, ist unverantwortlich. Ich bin zwar ein AKW-Gegner. Aber ich bin auch einer der wenigen, die von Anfang an gesagt haben: Das ist ein Problem, das müssen wir lösen. Als Grüner habe ich mit dieser Haltung grosse Schwierigkeiten mit den eigenen Leuten bekommen.

 Die Nagra wirft Endlager-Kritikern vor, sie seien nur dagegen, um (neue) AKW zu boykottieren, was unfair sei.

 Da muss man die Nagra zurückpfeiffen, und zwar schärfstens. Die Nagra ist nur für eine sichere Endlagerung zuständig und sollte jegliche Kommentare zu AKW unterlassen. Diese zeigen für mich die unselige Verknüpfung zwischen den Produzenten der Abfälle und dem Entsorger - ein fundamentaler Konstruktionsfehler bei Abfällen mit solchen Laufzeiten.

 Besteht die Gefahr, dass spätere Zivilisationen vergrabenes Plutonium herausholen und daraus Bomben bauen?

 Ja, das könnte passieren. Die Internationale Atomagentur verlangt deshalb, dass die Lagerbestände überwacht werden. Aber das ist eines der grossen Probleme, das noch nicht richtig diskutiert wurde und mir grosse Sorgen bereitet. Das Endlagerkonzept ist nicht konsistent. Ursprünglich war vorgesehen gewesen, die rezyklierbaren Materialien zu trennen und wiederaufzuarbeiten. Doch diese Option ist in der Schweiz bis 2016 blockiert und etwa in Deutschland ganz verboten. Und vor allem: Reaktoren, die Plutonium und spaltbares Uran 235 verbrennen sollten, existieren noch gar nicht. Der einst skizzierte Brennstoffkreislauf ist aus den Berichten verschwunden.

 Das Kernenergiegesetz schreibt auch eine "dauerhafte Markierung eines Endlagers" vor. Wozu braucht es diese?

 Die effektive Gefahr für das Endlager ist weniger die Geologie als die Gesellschaft. Es ist nicht so, dass man die Gesellschaft vor dem Endlager schützen muss, sondern das Endlager vor der Gesellschaft. Es ist leicht vorstellbar, dass die Bohrtechnologien sich gewaltig entwickeln werden. In absehbarer Zeit wird der Mensch noch intensiver und tiefer im Untergrund nach verwertbarem Material suchen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis das einen Nutzungskonflikt auslöst. Darum müssen künftige Generationen vor dem Endlager gewarnt werden.

 Aber wenn die Technik immer raffinierter wird, werden die Menschen wohl erkennen, wo etwas Gefährliches lagert.

 Vielleicht. Aber man hat schon bei den Altlasten, etwa jenen der Basler Chemie, gemerkt, wie schnell das Wissen über diese Standorte verloren geht. Über diese Informationen herrscht schon nach wenigen Jahrzehnten ein Chaos. In ein paar Jahrtausenden werden nur noch Bruchteile des heutigen Wissens übrig bleiben. Ausserdem kann man davon ausgehen, dass die Nukleartechnik schon bald überholt ist und somit künftigen Generationen nicht mehr bekannt sein wird. Die Gefahr, dass der über Jahrtausende lebensbedrohliche Atommüll in Zukunft unterschätzt wird, ist gross.

 Forscher haben viele Ideen für die Kennzeichnung von Endlagern entwickelt. Welche ist Ihr Favorit?

 Ich bin für eine Kombination von Kennzeichnungen. Es braucht erstens zwingend eine Markierung in allen Galerien im Untergrund - wegen der Rückholbarkeit. Weiter sollte der Standort auch an der Oberfläche markiert werden. Dort würde ich dafür Zehntausende von Tonscherben verwenden, denn dieses Material war bisher nie interessant für eine Wiederverwertung. Alle paar Quadratmeter könnte man mit diesen Scherben universale Warnzeichen formen, etwa Totenköpfe und Strahlenzeichen. Monumente dagegen zerfallen schnell, Inschriften sind nach ein paar Hundert Jahren unleserlich. Drittens empfehle ich parallel dazu Wächter der Anlagen. Eine Gemeinschaft, etwa die Standortgemeinde, sollte den Auftrag haben, das Wissen um die Gefährlichkeit von Generation zu Generation weiterzugeben.

 Wie geht es weiter, wer wählt welche Markierung aus?

 Laut Gesetz der Verursacher. Das halte ich für keine gute Lösung, denn der Verursacher denkt kurzfristig und in seinem Interesse. Es bräuchte dafür ein breit abgestütztes Gremium, das die Interessen der Gesellschaft im Auge hat. Das ist eine gesellschaftliche Aufgabe, die auch sehr spannend ist. Es eröffnet eine Debatte über die eigenen Technologien und die Verantwortung für unsere Zukunft.

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 Von Munchs Schrei bis zur Strahlenkatze

 Studie und Vortrag. Morgen Mittwoch um 19.15 Uhr hält Marcos Buser zusammen mit Susanne Hauser, Professorin für Kunst- und Kulturwissenschaften, an der Pädagogischen Hochschule in Zürich einen Vortrag über die Markierung von Atommülllagern für eine Million Jahre. Der 61-jährige Geologe und Sozialwissenschaftler beschäftigt sich schon seit 30 Jahren mit dem Thema Endlager. Buser ist Autor des Buchs "Mythos Gewähr", Mitglied diverser Fachkommissionen, darunter der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit, und er ist der Verfasser der vom Bund in Auftrag gegebenen "Literaturstudie zum Stand der Markierung von geologischen Tiefenlagern". Darin machen sich Wissenschaftler unterschiedlicher Fachrichtungen Gedanken über Warnungen, die auch noch in Jahrtausenden verstanden werden könnten. Die Ideen reichen von Monumentalanlagen über Piktogramme, die zum Beispiel Gesichtsausdrücke verwenden wie jene des Bilds "Der Schrei" von Edvard Munch, bis zu dreidimensionalen Warnzeichen mit Gedenkstätten und Archivräumen. Auch meterhohe Granitstacheln, Erdwälle, Dichtungen, akustische, Echo erzeugende Klangfigurationen oder etwa fluoreszierende Farbstoffe wurden ins Auge gefasst. Zu den ausgefallensten Ideen gehört eine eigens dafür gezüchtete Strahlenkatze, die ihr Fell verlöre, sobald sie höheren Strahlendosen ausgesetzt wäre.  spe

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Sonntag 31.10.10

Neues KKW und Tiefenlager im Niederamt?
 
Herbert Niklaus, Geschäftsleitungsmitglied der Alpiq, zu den Nuklearanlagen, für die das Niederamt als Standort im Gespräch ist

 Wenn das Volk zustimmt, kann bis 2025 im Niederamt ein neues Kernkraftwerk ans Netz gehen. Dafür setzt sich Herbert Niklaus vom Stromkonzern Alpiq ein. Für den Bau eines Tiefenlagers für radioaktive Abfälle sieht er jedoch geeignetere Standorte als das Niederamt. Auch hier hat das Volk das letzte Wort.
 
Von Beat Nützi

 Die Alpiq hat am 9. Juni 2008 beim Bundesamt für Energie ein Rahmenbewilligungsgesuch (RBG) für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt (KKN) eingereicht. Wie verläuft der Bewilligungsweg?

 Herbert Niklaus: Chronologisch könnte der Bewilligungsprozess etwa wie folgt ablaufen: 2008 Einreichung der Unterlagen für ein RBG; 2009 bis 2011 Prüfung der Unterlagen durch die Behörden; 2012 Entscheid des Bundesrats und Parlaments; 2013 Referendum und Volksabstimmung; 2014 bis 2017 Baubewilligungsgesuch und Erteilung der Baubewilligung; 2017 bis 2022 Bauphase; 2022 bis 2025 Tests und Betriebsbewilligung; 2025 Inbetriebnahme.

 Was spricht für den Standort Niederamt?

 Niklaus: Der Standort im Niederamt eignet sich hinsichtlich Raumplanung, Umwelt, Geologie, Hydrologie und technischer Infrastruktur sehr für den Bau eines neuen Kernkraftwerks. Es ist schweizweit wahrscheinlich der geeignetste Standort für ein neues Kernkraftwerk. Unserer Meinung nach ist es zwingend, dass neue Kernkraftwerke an die besten dafür geeigneten Standorte kommen. Die Reihenfolge, nach derer die bestehenden Anlagen von Netz gehen, ist sekundär.

 Und wie steht es mit den Umweltanliegen im Niederamt?

 Niklaus: Im Projektareal liegen teils ökologisch wertvolle Naturobjekte, insbesondere Teile der Alten Aare samt Ufervegetation. Während der Bauphase werden einige dieser Naturobjekte tangiert. Die Eingriffe in die Ufervegetation beschränken sich jedoch auf standortbedingte Bauten, welche auf ein Minimum reduziert werden. Die meisten der Beeinträchtigungen verschwinden nach der Bauphase. Durch den Betrieb sind danach lediglich geringe lokale Beeinträchtigungen auf den Naturraum zu erwarten. Es werden hierfür Ersatz- und Ausgleichsmassnahmen realisiert. Die Entnahme und Rückleitung von Kühlwasser aus dem Oberwasserkanal des Wasserkraftwerks Gösgen wird so gestaltet, dass in den aquatischen Lebensräumen keine schädliche Erwärmung verursacht wird.

 Wie soll die Anlage verkehrstechnisch erschlossen werden?

 Niklaus: Es besteht die Möglichkeit, das Areal des KKN über dieselben Achsen wie das bestehende KKG zu erschliessen. Das Vorhaben führt sowohl auf dem lokalen als auch auf dem übergeordneten Strassennetz zu keiner signifikanten Veränderung der Verkehrsabläufe. Die Erschliessung des Bauareals per Strasse und Schiene ist vergleichsweise sehr gut.

 Mit welchen Lärmimissionen ist zur rechnen?

 Niklaus: Der geplante Hybridkühlturm des KKN wird gewisse Lärmemissionen mit sich bringen. Zwei wesentliche Geräuschquellen sind dabei zu unterscheiden: Zum einen ist es Wasser, welches nach der Abkühlung in ein Auffangbecken fliesst, und zum andern sind es Ventilatoren, die zur Belüftung eingesetzt werden. Diese Lärmemissionen unterliegen dem von der eidgenössischen Lärmschutzverordnung (LSV) für Industrie- und Gewerbelärm festgelegten Planungswert. Im Fall der dem KKN nächstgelegenen Wohnsiedlung im Gebiet Mühledorf auf der Aare-Insel entspricht dies einem Wert von 50 Dezibel, was in etwa dem Geräuschpegel von leichtem Regen entspricht. Technische Massnahmen wie der Einbau von lärmarmen Ventilatoren und zusätzliche Schalldämpfungen stellen sicher, dass dieser Wert nicht überschritten wird.

 Wie hoch ist der Landverbrauch?

 Niklaus: Eine neue Anlage benötigt etwa 20 bis 25 Hektar Land. Während der Bauphase müssen zusätzlich etwa 20 Hektar als temporäre Installationsflächen zur Verfügung stehen.

 Welchen Nutzen für die Region sehen Sie?

 Niklaus: Die Region Niederamt wird von direkt und bei Zulieferern neu geschaffenen Arbeitsplätzen sowie Steuereinnahmen profitieren.

 Wie hoch ist das Investitionsvolumen?

 Niklaus: Die vorgesehenen Investitionen für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt werden auf sechs bis acht Milliarden Franken geschätzt. Rund 30 bis 40 Prozent der Kosten fallen dabei auf Bau- und konventionelle Installationstätigkeiten.

 Wie viele neue Arbeitsplätze entstehen?

 Niklaus: Das KKN wird in der Region direkt rund 400 bis 500 neue Arbeitsplätze schaffen. Dazu kommen noch indirekte mit dem KKN verbundene Arbeitsplätze. Damit wird das KKN zu einem wichtigen Arbeitgeber in der Region. In der Bauphase werden rund 1500 bis 3000 Arbeitskräfte vor Ort sein. Die Arbeitskräfte werden in Baustellensiedlungen, sprich Containern sowie in den umliegenden Gemeinden wohnen.

 In welchem Ausmass kann das regionale Gewerbe profitieren?

 Niklaus: Durch den Bau und später durch den Betrieb des Kernkraftwerks im Niederamt werden Aufträge an das regionale Gewerbe in Millionenhöhe vergeben. Als Vergleich dient das benachbarte Kernkraftwerk Gösgen, das einen jährlichen Umsatz mit Lieferanten aus der Region in Höhe von 5 bis 10 Millionen Franken ausweist (inkl. Investitionen).

 Wie können die Gemeinden über Steuereinnahmen partizipieren?

 Niklaus: Das neue Kernkraftwerk und seine Mitarbeitenden und Zulieferer werden für Steuereinnahmen in der Höhe eines zweistelligen Millionenbetrags sorgen. Dies wird sich in einigen Gemeinden positiv auf den Steuerfuss niederschlagen. Die Aufschlüsselung des Gemeindesteueraufkommens liegt jedoch nicht in der Kompetenz von Alpiq. Sie erfolgt nach anwendbaren Steuergesetzen und durch die Verhandlungen unter den Gemeinden auf Grundlage der sozioökonomischen Studie.

 Was bringt diese Studie?

 Niklaus: Die Gemeinden des Niederamts wollen gut informiert in die Planungsprozesse und in die Verhandlungen mit der Alpiq und dem Bund eintreten. Darum hat der Verein Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) im Herbst 2009 beim Beratungsunternehmen Rütter + Partner (Rüschlikon) eine sozioökonomische Studie in Auftrag gegeben. Die Studie fokussiert sich auf verschiedene Forschungsinhalte. Ein Teil umfasst die Analyse der Wirkungen eines neuen KKW hinsichtlich Ökonomie, Gesellschaft und Umwelt. Ein weiterer Teilbereich befasst sich mit der Höhe von Steuern und Abgeltungen sowie mit Vorschlägen für Ersatz- und Unterstützungsmassnahmen für die Region Niederamt. Und in einem dritten Teil wird ein Verteilschlüssel für Steuern und Abgeltungen erarbeitet.

 Wann sind die Ergebnisse dieser Studie zu erwarten?

 Niklaus: Die Ergebnisse aus Teil 1 werden im Januar/Februar 2011 erwartet. Auch unabhängig von dieser Studie stehen wir in regelmässigem Kontakt mit den Behörden von Kanton und Gemeinden. Denn wir wollen das Projekt in partnerschaftlicher Zusammenarbeit mit den Behörden und der Bevölkerung realisieren und auf deren Bedürfnisse eingehen.

 Gegen die entsprechende Richtplanänderung für den KKN-Standort gingen rund 800 Einsprachen ein. Wie geht es mit diesen weiter?

 Niklaus: Der Regierungsrat wird noch diesen Herbst über den Richtplan beschliessen. Der Regierungsratsbeschluss wird danach an die einspracheberechtigten Gemeinden im Niederamt und Regionalplanungsverbände versandt, die während einer Frist von zehn Tagen dagegen Einsprache erheben können. Die Einsprache wird im kommenden Frühling vom Kantonsrat behandelt.

 Vor allem die Gemeinde Dulliken hat kritisch Stellung bezogen.

 Niklaus: 13 Gemeinden haben eine Einsprache eingereicht. Darunter auch die Einwohnergemeinde Dulliken. Kritische und ablehnende Stellungnahmen, wie diejenige von Dulliken, gehören zu einem transparenten und demokratischen Meinungsbildungsprozess. Die genauen Beweggründe für das Vorgehen von Dulliken werden sich sicher noch klären. Wir haben die Einwendung zur Kenntnis genommen. Sie wird wie die anderen auch vom Kanton aufgenommen und ins Richtplanverfahren einfliessen. Sicher gilt es auch, die Ergebnisse der laufenden sozioökonomischen Studie der GPN abzuwarten. Sie wird zusätzliche Erkenntnisse zu den verschiedenen Auswirkungen des KKN auf die Region bringen und die objektive Beurteilung des Projekts erleichtern.

 Einiges zu reden gab der Kühlturm des neuen KKW. Wie muss man sich diesen vorstellen?

 Niklaus: Der Kühlturm des geplanten Kernkraftwerks Niederamt ist ein Hybridkühlturm. Im Vergleich zum Naturzugkühlturm des Kernkraftwerks Gösgen mit 150 Metern Höhe wird der Hybridkühlturm nur noch etwa 60 Meter hoch sein und ist technisch auf einen weitgehend schwadenfreien (keine Dampffahne) Betrieb ausgelegt. Bei kalter und feuchter Witterung kann aber zeitweise ein leichter Schwaden sichtbar sein.

 Wie steht es in Bezug auf die Sicherheit?

 Niklaus: Bei den Reaktoren der Dritten Generation von KKW ist die Sicherheit noch weiter erhöht worden. Die bewährten Grundsätze der heutigen Kernkraftwerke bleiben aber bestehen. Sie basieren auf mehrfachen Barrieren und Sicherheitssystemen zur Verhinderung unkontrollierbarer Kettenreaktionen im Reaktor (Schnellabschaltung).

 Was ist unter "mehrfachen Barrieren" zu verstehen?

 Niklaus: Diese Sicherheitsbarrieren wirken wie ineinander gestellte Gefässe. Tritt an einem dieser Behälter ein Leck auf, sorgen die übrigen weiterhin für die Sicherheit. Damit Radioaktivität überhaupt austreten könnte, müssten gleichzeitig sämtliche Barrieren versagen. Es gibt folgende Barrieren: Barriere 1: Dicht verschweisste Hüllrohre der Brennstäbe; Barriere 2: Reaktordruckbehälter aus extrem dickwandigem Spezialstahl; Barriere 3: Betonkammer, die den Reaktordruckbehälter umschliesst; Barriere 4: Druckfeste Sicherheitshülle aus Stahl (Containment); Barriere 5: Reaktorgebäude aus meterdickem Beton. Es schützt die Anlage insbesondere auch vor Einwirkungen von aussen wie vor Flugzeugabstürzen oder Sabotage.

 Und wie steht es mit den Sicherheitssystemen?

 Niklaus: Wichtige Komponenten wie Steuerungen und Alarmauslösungen sind immer mindestens doppelt vorhanden und räumlich voneinander getrennt. Fällt eine aus, steht immer noch eine zweite oder dritte zur Verfügung, die dieselbe Funktion vollumfänglich erfüllen kann. So ist gewährleistet, dass das Gesamtsicherheitssystem jederzeit funktioniert. Der Reaktor wird vom Kommandoraum dauernd überwacht. Bei Überschreiten von definierten Schwellenwerten schaltet das System den Reaktor innert Sekunden automatisch ab und setzt falls nötig die zusätzlichen Sicherheitssysteme, wie beispielsweise die Notkühlung, in Betrieb.

 Baut die Alpiq das neue KKN zusammen mit Partnern?

 Niklaus: Die KKN AG ist heute eine 100- Prozent-Tochter von Alpiq. Das Projekt wird von Alpiq geleitet und vorangetrieben. Die Gespräche für eine Partnerschaft mit Axpo und BKW sind im Gang. Wir hoffen, sie bald erfolgreich abschliessen zu können.

 Das Niederamt ist auch im Gespräch als Standort für nukleare Entsorgung. Wie stellt sich die Alpiq dazu?

 Niklaus: Wir setzen uns dafür ein, dass das Tiefenlager am geeignetsten Standort gebaut wird. Wir sind überzeugt, dass uns das laufende, mehrstufige Auswahlverfahren der Nagra am Schluss zu dem oder den geeignetsten Standorten führen wird. Wo diese liegen werden, wissen wir jetzt noch nicht. Was wir aber jetzt schon kennen, ist die behördliche Bewertung der sechs Standortgebiete. Gemäss Nagra kommt die Region Jura-Südfuss, zu der das Niederamt gehört, nur für die Lagerung von schwach- und mittelaktiven Abfällen infrage. Und auch dafür ist sie - im Gegensatz zu anderen Gebieten - nur "geeignet", aber nicht "sehr geeignet". In diesem Sinne gibt es geeignetere Standorte als das Niederamt.

 Als Grundlage für die Standortevaluation dienen die von der Nagra und dem Bundesamt für Energie vor zwei Jahren vorgestellten sechs geologisch geeigneten Standortgebiete. Bis wann ist mit einem Entscheid zu rechnen?

 Niklaus: Die Standortsuche erfolgt in drei Etappen und wird rund zehn Jahre dauern. In der ersten Etappe stehen die Information der Bevölkerung und der Aufbau der regionalen Mitwirkung im Vordergrund. In den Standortregionen hat nun das Partizipationsverfahren begonnen. Die Plattform Jura-Südfuss, bestehend aus Gemeinde- und Kantonsvertretern, ist Anlaufstelle für die Einwohnerinnen und Einwohner der Standortregion und will deren Anliegen in die Verfahren einbringen.

 Und wie geht es weiter?

 Niklaus: In der zweiten Etappe, 2011 bis 2014, werden sozioökonomische Studien, Sicherheitsanalysen, Raumplanung und Umweltthemen angegangen und natürlich die Partizipationsverfahren weitergeführt. Wahrscheinlich fällt bereits 2013/14 ein Vorentscheid und pro Abfallkategorie werden zwei Standorte weiter und ins Detail geprüft. Voraussichtlich 2018/19 wird der Bundesrat über die Erteilung der Rahmenbewilligung für je einen Standort für schwach- und mittelradioaktive Abfälle SMA und hochradioaktive Abfälle HAA oder für einen Standort für beide Abfallkategorien entscheiden. Nach dem Entscheid des Bundesrats folgt die Genehmigung durch das Parlament und eine allfällige Volksabstimmung im Zeitraum 2018/20, falls das fakultative Referendum gegen die Rahmenbewilligung ergriffen wird.

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 Zur Person

 Der 55-jährige Herbert Niklaus ist seit 1996 bei der Alpiq (vormals Atel) tätig, zuerst bis 2000 als Leiter Kraftwerke und Technische Dienste, dann bis 2004 als Geschäftsführer der Atel Netz AG. Seit 2005 ist Niklaus Geschäftsleitungsmitglied und Leiter des Bereichs Energieservice. Der Elektroingenieur ETH wohnt mit seinen drei Kindern in Rohr (AG). (bn)