MEDIENSPIEGEL 11.11.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (RS-Fest, Tojo, Rössli, GH)
- Bollwerk: Le Ciel mit Wasserschaden
- Club-Leben: Bundesgericht gegen Discount-Drinks
- Queersicht: abARTig?
- Kulturk(r)ampf der kleinen KulturveranstalterInnen
- Lorraine: Gentrification an der Aare
- RaBe-Info 8.-11.11.10
- Big Brother City Spion
- Big Brother Video: Datenschutz; Grenzwacht; Videonause;
- Randstand BE: Kein Störfaktor
- Randstand BS: Stadtplanungsfaktor
- Sauberes T(h)un: Bilanz Polizeipräsenz
- Freiraum Solothurn: Wilde Sauvage
- Squat FR: Raie-Manta zu 3. Mal geräumt
- Squat ZH: Atlantis geräumt
- Kulturstreik GE: Usine wieder offen, Moa auch
- Demorecht ZH: Vom May-Day zum Pay-Day
- Revolutionärer Aufbau: Aktivist angeklagt, Aufbau distanziert sich
- Sozialpolizei ZH: SIP ums fünfache gewachsen
- Police CH: Karin Keller-Sutter KKJPD-Superstar; Auslandseinsätze; Grenzwachtkorps
- Big Brother Sport: Pyro-Legalisierung
- Rechtsextremismus: Neonazis in der Fussballszene
- Pnos: Flugblattgangster
- Sans-Papiers: Krankenkassendebatte
- Ausschaffungen: Alle raus; Kritik; Containern; Demo; BS; Neue Sonderflüge; GR
- Volksbefragung: SVP lügt
- SVP: Raus aus Uni Lausanne
- Migration Control: Forum Migration; Frontex; EU-Grenzpolizei
- Drogen: Hanfanbau-Regeln; BS-Dealer; EU-Kokain; Ältere KonsumentInnen
- Sexwork: Gewerbe-Regelungen;
- Homophobie: Legale JSVP-Beleidigungen
- Anti-Feminismus: Abgründe; Kuhne Ideen; falsche Seiten
- Fascismo beim Kinderkarussel
- Anti-Atom: Nuklearforum; CH-Transporte; Ausstiegskampfgelder; Tiefenlager; SG; Uranherkunft; Endlager; Gorleben; Finnland

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REITSCHULE
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Do 11.11.10
19.30 Uhr - Infoladen - Jahr des Antisexismus: Überraschungsfilm&Diskussion
19.30 Uhr - Kino - In Zusammenarbeit mit Greenpeace und dem Komitee EnergieWendeBern - Filmvorführung mit Diskussion & Apéro: Die 4. Revolution - Energy Autonomy, Carl-A. Fechner, D 2010
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter - elektronische Leckerbissen zu lesbisch-schwulem Chillen mit DJ Xylophee, DJ Dunch, DJ FRATZ, Bruno, Isabelle, Mike & DJ ELfERich
20.30 Uhr - Tojo - Due Soli. Ein tragikomisches Stück von LesTak. Regie: Manuel Rytz.
21.00 Uhr - Rössli - Buvette, Joe Galen (UK), DJ Leo. --Trance / Shoegaze / Zouk

Fr 12.11.10 - Reitschule Fest 2010
Queersicht - lesbisch-schwules-Filmfestival Bern: www.queersicht.ch
19.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe": Vernissage mit Aperokunst von Gruebli Food Company
20.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe": Niels van der Waerden (ZH) -Protestschnulzen; Tobby Landei (GE) -- Installation, Performance
20.30 Uhr - Tojo - Freude schenken. Von und mit Peter Weyel.
22.00 Uhr - Frauenraum - Reitschulfest & RaBe Clubtour: OFFSTREAM - the alternative gay party. DJ-Kollektiv (ZH). -- Indie, Electro, Punk, Electro-Punk und Alternative
22.00 Uhr - Dachstock - Terminal M Labelnight: MONIKA KRUSE (GER), ERMAN ERIM (GER) live!, MANON (CH). -- Techno, House, Electronica

Sa 13.11.10 - Reitschule Fest 2010
Queersicht - lesbisch-schwules-Filmfestival Bern: www.queersicht.ch
17.00 Uhr -   - Öffentliche Führung durch die Reitschule - Treffpunkt beim Grossen Tor
19.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe"
21.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe": Cancelled (GE). -- Soundcollage
20.30 Uhr - Tojo - Freude schenken. Von und mit Peter Weyel
22.00 Uhr - SousLePont - Feldermelder live; Everest on tt; lcp (CH) -- Electronica
22.00 Uhr - Frauenraum - Reitschulfest & RaBe Clubtour: My Baby the Bomb (LU) und Hunter Valentine (Toronto, Can), DJ Olive Oyl
22.00 Uhr - Dachstock - NOMEANSNO (CAN), HARMFUL (GER), PACK A.D. (CAN). -- Rock, Punk, Alternative
24.00 Uhr - Tojo - Tojo Disko mit DJane Sister Knister.

So 14.11.10
05.00 Uhr - SousLePont - Katerfrühstück
10.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe" (bis 17.00 Uhr)
Queersicht - lesbisch-schwules-Filmfestival Bern: www.queersicht.ch

Mo 15.11.10
Queersicht - lesbisch-schwules-Filmfestival Bern: www.queersicht.ch

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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Bund 11.11.10

Reitschule-Fest

 Ein Fest - zwei Temperamente

 Wenn in der Schweiz von Erfolgs-DJs die Rede ist, tauchen als erstes Namen wie DJane Tatana oder DJ Antoine auf. In Deutschland, einer der Wiegen der elektronischen Musik, ist die Situation ein ganzes bisschen besser: Hier haben es keine Techno-Anbiederer, sondern Leute wie Sven Väth und Monika Kruse zu Ruhm und Ehre gebracht.

 Ebendiese Monika Kruse inszeniert die Eröffnungsnacht des diesjährigen Reitschule-Festes im Dachstock. Ähnlich wie Väth wurde sie im New Wave der Achtzigerjahre musikalisch sozialisiert und frönt heute dem dramaturgisch raffiniert komponierten Minimal-Techno. Begleitet wird sie von DJ-Nachwuchs ihres eigenen Labels Terminal M, dem türkisch-deutschen Liveact Erman Erim und der Zürcherin Manon.

 Dunkle Ideen

 An Fahrt und Drastik nimmt das Reitschule-Fest am Samstag auf. Geladen ist die Gruppe Nomeansno, die seit anno 1979 den Punk mit bitterernstem Humor und den dunkelsten Ideen der Jazz- und Funkmusik unterfüttert. Die Band aus Vancouver zählt zu den wichtigsten Inspirationsquellen der Jazzcore-Szene, zu ihren Fans gehört unter anderm die Faith-No-More-Kühlerfigur Mike Patton. Als Support ist die kanadische Post-Punk-Gruppe The Pack A.D. und die deutschen Stromgitarren-Liebhaber von Harmful affichiert.(ane)

 Dachstock ReitschuleFreitag und Samstag, 12. und 13. November, ab 22 Uhr.

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kulturagenda.be 11.11.10

NoMeansNo am Reitschulefest im Dachstock

Vor über dreissig Jahren haben die Gebrüder Wright NoMeansNo gegründet. John bedient Schlagzeug und Keyboard, Rob sorgt für den konstant treibenden Bass-Lauf. Gitarrist Tom Holliston ist zwar kein Familienmitglied, gehört seit 1993 aber ebenfalls zur Band. Zusammen machen die drei Herren fortgeschrittenen Alters Hardcore-Punk, der wegen des funkigen Rhythmus auch Jazz-Core genannt wird.
Dachstock, Bern. Sa., 13.11., 22 Uhr

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Bund 11.11.10

"Was ich Dir noch tanzen wollte".

 Der Titel deutet es an: Die Berner Tänzerin und Choreografin Karin Minger versteht den Tanz als Form von Sprache und macht in ihrem neuen Solostück das Publikum zum Gegenüber dieses getanzten Dialogs. (reg)

Tojo-Theater ReitschuleMittwoch, 17. November, Freitag, 19. November, und Samstag, 20. November, jeweils 20.30 Uhr.

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kulturagenda.be 11.11.10

"Problemhuufe" in der Grossen Halle

15 Künstler und Künstlerinnen stellen in der Grossen Halle aus. Das Spektrum der explizit für die Ausstellung "Problemhuufe" geschaffenen Arbeiten reicht von Steinbildhauerei über Malerei bis zu Installationsarbeiten. Im Bild eine Acrylmalerei aus der Serie "Die sieben Todsünden" von Greta Eggimann.
Grosse Halle in der Reitschule, Bern. Vernissage: Fr., 12.11., 19 Uhr. Ausstellung bis 28.11.

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Bund 10.11.10

Informationen rund um Partydrogen

 Mit dem Themenabend "Nightcare? Just Say Know" widmet sich "Rave It Safe", ein szenennahes Präventionsprojekt von Contact-Netz Bern, heute Abend ab 19 Uhr (Apéro) im Rössli der Reithalle Bern, dem Phänomen des Partydrogenkonsums. In einem Vortrag, der um 20 Uhr beginnt, zeigen die Veranstalter neue Wege auf, Konsumierende von Partydrogen mit professionellen Angeboten zu erreichen. Ab 22 Uhr gibt es Musik und Austauschmöglichkeiten. (reh)

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20 Minuten 9.11.10

Künstler inszenieren einen "Problemhuufe"

 Bern. Schlüpft man unter diese Holzglocke, hat man kurz Ruhe von allen grossen und kleinen Problemen dieser Welt. Zum Motto "Problemhuufe" stellen 18 junge Künstler aus der Schweiz, Deutschland, Bulgarien und Polen während zwei Wochen kreative Skulpturen, Installationen oder Malereien aus. Vernissage ist diesen Freitag ab 19 Uhr in der Grossen Halle der Reitschule.  Foto: big

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kulturstattbern.derbund.ch 8.11.10

Von Manuel Gnos am Montag, den 8. November 2010, um 06:40 Uhr

Kulturbeutel 45/10

(...)

Frau Feuz empfiehlt:
Kommen Sie doch am Dienstagabend ins Foyer der Dampfzentrale an das "Das Letzte Gebot". Falls Sie Krempel auf dem Estrich oder im Keller stehen haben, oder falls im Atelier schon lange ein selbstgemaltes Bild auf einen Käufer wartet, dann bringen Sie das mit, legen den Startpreis fest und zum Ersten, zum Zweiten und zum Drrrritten sind sie es los. Oder auch nicht. Mit im Angebot sind für kommenden Dienstag ein Pass fürs Saint Ghetto-Festival (Startpreis lumpige 25 Franken) und eine Dienstagmorgen-Co-Moderation bei Radio RaBe (Startpreis noch lumpigere 10 Franken). Im Übrigen sollten Sie am Samstag keinesfalls die ehrwürdigen und äusserst sympathischen Alt-Rock'n'Roller von No Means No im Dachstock verpassen.

Herr Sartorius empfiehlt:
Cédric Streuli alias Buvette stellt am Donnerstag im Rössli sein Debüt "Houses and the Voices" vor. Und dieses ist schlicht unwahrscheinlich superb ausgefallen. Doch ich möchte nicht vorgreifen.

Signora Pergoletti empfiehlt:
Das Reitschulfest, denn für irgendwas haben wir ja gewonnen, oder? Am Samstag zum Beispiel können Sie, nachdem Sie die legendären No Means No beim Fabrizieren ihres rekordverdächtigen Jazz-Core bewundert haben, bei den DJ-Damen Olive Oyl und Sister Knister reinschauen, die sozusagen Tür an Tür auflegen (Frauenraum/Tojo). Blogdisko, in dem Sinne.

(...)

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kulturstattbern.derbund.ch 8.11.10

Von Benedikt Sartorius am Montag, den 8. November 2010, um 11:10 Uhr

"Welcome to Japanese New Music Festivaal!"

Drei Herren = sieben Projekte = ein Festival: So etwa lautete die Gleichung, als zum Wochenausklang im Rössli die drei Herren Tsuyama Atsushi, Yoshida Tatsuaya und Kawabata Makoto zu ihrem Japanese New Music Festival einluden und zu dem die lustigen Drei aus dem Acid Mothers Temple immer wieder radebrechend begrüssten. Die sieben Projekte im Schnelldurchlauf (die Projektnamen konnten leider nicht aufgeschnappt werden):

• Tsuyama Atsushi: Der Bassist machte den Anfang, reicherte seine Saiten-Loops mit Kehlkopfgesängen, Blockflöte und Schalmeigebläse an. Ommm.

• Kawabata Makoto: Der Lockenmähnegitarrist spielte und strich sein halsloses Instrument mit Schraub-Werkzeugen, hin in höchste Tonhöhen.

• Yoshida Tatsuaya: Der Schlagzeuger begleitete punktgenau seinen Synthie-Sequenzer, der eine Art Splatter-Klassik-Medley ausspuckte. Wenn Prog-Rock explodiert, dann tönt das in etwa so.

Atsushi, Tatsuaya & Makoto

Nach einer kurzen Erfrischungspause folgte die Duo-Runde, welcome!

• Atsushi & Tatsuaya: Kontaktmikros an den Hosenreissverschlüssen ergibt süssen Lärm, jedenfalls in Japan.

• Makoto & Atsushi: Der komische Höhepunkt des Abends. Die beiden gaben eine Beefheart- und Dylan-Version von "Smoke on the Water", spielten Stücke aus "Bitches Brew" mitsamt dem verkleideten "Miles Davis from Hell", viel Wah-Wah und sehr lustig.

Die Trio-Runde:

• Die drei komplett - Instrumental: Acid Mothers TEMPLE SWR nennt sich eine der Absplitterungen vom Mutterschiff Acid Mothers Temple. Ein Free-Rock-Jam für die Acid-Police.

• Die drei komplett - A-Capella: Zum Schluss des Festivals sangen die drei das vergangene Zeug mitsamt gestischem Einsatz - und ihre Musik erschien auf dem nächsten Abstraktlevel, zum Spass.

Fazit: Das Japanese New Music Festival ist das Takeshi's Castle unter den Musikfestivals.  Oder so ähnlich.

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BOLLWERK
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Blick am Abend 9.11.10

Himmel mit Notausgängen

 BOLLWERK

 Nach einer kurzen Pause öffnet diesen Freitag der neue Club Le Ciel wieder.

 Der Andrang an der Eröffnung vor zwei Wochen war riesig. Ganz Bern schien auf den neuen Club Le Ciel am Bollwerk gewartet zu haben. Doch schon am letzten Wochenende war das Lokal wieder geschlossen; drei Partys mussten abgesagt werden. Die Pause wegen eines Schadens in einer Toilette nutzten die Betreiber für Anpassungen im ganzen Club. "Aufgrund des grossen Andrangs haben wir unter anderem die Situation bei den Notausgängen verbessert", sagt Jan Kamarys vom Le Ciel.

 Die Gebäudeversicherung wird nun die Belegungszahl für den Betrieb festlegen. "Wir werden dann kontrollieren, ob die Kapazitätsgrenze eingehalten wird", sagt Marc Heeb, Leiter der Orts- und Gewerbepolizei.

 Die Club-Betreiber sind mit den Behörden im Gespräch. Den nächsten Partys, unter anderem mit Star-DJ Bob Sinclar am 19. November, steht somit nichts im Weg. ehi

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Blick am Abend 5.11.10

Kaum offen, schon wieder geschlossen

 SCHADEN

 Grosses Pech für den neuen Club Le Ciel am Bollwerk. Am letzten Wochenende eröffnete das Lokal und jetzt ist es schon wieder geschlossen. Ein gebrochenes Wasserrohr im 60 Jahre alten Gebäude verursachte einen Wasserschaden. "Wir lassen uns aber nicht unterkriegen und legen am nächsten Freitag wieder los mit unseren Partys", sagt Jan Kamarys vom Le Ciel. Dem Auftritt des berühmten DJs und Popstars Bob Sinclar vom 19. November steht somit nichts im Weg. Der Run auf die Tickets dürfte sehr gross sein. Trotz Rohrbruch beginnt der Vorverkauf heute um 22.30 Uhr im Le Ciel. Die obere Etage ist vom Schaden nicht betroffen. ehi

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CLUBLEBEN
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Blick am Abend 11.11.10

Billig-Drinks adé

 URTEIL

 Bundesgericht verbietet Getränke-Einheitspreis in Clubs.

 Aus für den "Schnägge-Fritig" - und alle Discount-Drinks zu Einheitspreisen in Clubs und Bars?

 Ausgangslokale dürfen nicht mehr damit werben, an gewissen Abenden die Getränke zu einem tiefen Einheitspreis abzugeben. Laut Bundesgericht verstossen solche Anpreisungen gegen das Werbeverbot für billigen Schnaps. Auslöser war der St. Galler "Glow Club".

 Das Lokal veranstaltete regelmässig den "Schnägge-Fritig". Auf Plakaten und am Radio bewarb das Lokal die Veranstaltungen mit dem Hinweis, dass jeweils am Freitag "fast alle Getränke" für fünf Franken abgegeben würden.

 Die Alkoholverwaltung hatte in den vergangenen Jahren in Hunderten vergleichbarer Fälle bereits Bussen verhängt. SDA

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QUEERSICHT
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WoZ 11.11.10

Queerfestival

 Vielfalt wird grossgeschrieben an der vierzehnten Auflage von Queersicht, dem lesbisch-schwulen Filmfestival in Bern. Mit China und Argentinien sowie dem Stichwort "abARTig?" setzt das Festival drei Schwerpunkte.

 Neben jüngeren internationalen Spielfilmen zeigt Queersicht auch zahlreiche Dokumentar- und Kurzfilme. Am Samstagnachmittag findet im Kino Cinématte eine Diskussion zum Thema "abARTig?" statt. Das dokumentarische Roadmovie "Too Much Pussy" (Freitag) und der Splatterfilm "L.A. Zombie" (Samstag), in denen Kunst und Pornografie verschmelzen, setzen den kontroversen Rahmen. Ein weiterer Höhepunkt ist der Auftritt des schwulen Jazzkünstlers Coco Zhao aus China im Progr am Sonntag abend. Dort sorgt das ganze Wochenende die Queersicht-Lounge für das leibliche Wohl und für Musik. Laut und ausgelassen wird es Samstagnacht, wenn DJ Dunch und DJ Phil Romano auflegen. jj

 Queersicht in: Bern in Reitschule, Kunstmuseum, Kellerkino, Cinématte und ABC, weitere Veranstaltungen im Progr. Do, 11., bis Mi, 17. November. http://www.queersicht.ch

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Bund 11.11.10

Kino Lesbisch-schwules Filmfestival Queersicht Bern

 Das Reich der grossen Schritte

 Queersicht öffnet ein Programmfenster nach China - und zeigt, wo die Queer Community heute in einem Land steht, das erst 1997 gleichgeschlechtlichen Sex entkriminalisierte.

 Regula Fuchs

 Es war nicht nur ein Tabu, es war schlicht unaussprechlich. Im vormodernen China gab es keine Wörter für Homosexualität oder gleichgeschlechtlichen Sex. In der Literatur behalf man sich mit blumigen Wendungen wie "Gold trifft Orchidee" oder "das Glas reiben". Und wofür es kein Wort gibt, das existiert auch nicht; so entstand die lange Zeit vorherrschende Meinung, dass es Homosexualität in China gar nicht gebe. Erst in den 1920er-Jahren übernahmen chinesischen Autoren den Begriff "Homosexualität" aus dem Westen. Und bis sich die ersten Schwulen und Lesben öffentlich outeten, sollte es noch bis zum Ende des Jahrtausends gehen.

 China - das ist einer der Länder-Schwerpunkte im diesjährigen Programm des lesbisch-schwulen Filmfestivals Queersicht. Mit einem Dokumentarfilm und zwei Spielfilmen öffnet sich ein kleines Fenster auf ein Land, in dem Homosexualität erst 2001 von der Liste der anerkannten Geisteskrankheiten gestrichen wurde. Einen Überblick über die Geschichte der Homosexualität in China gibt der Dokumentarfilmer Cui Zi'en in "Queer China, Comrade China" (2008). Die spröde, ganz auf die Äusserungen der unzähligen Interviewten beschränkte Dokumentation beleuchtet das allmähliche Hervortreten einer Minderheit vor allem seit 1997, als das Gesetz gegen Hooliganismus abgeschafft wurde. Mit "Hooliganismus" bezeichnete die chinesische Rechtsprechung allerdings nicht nur gleichgeschlechtlichen Sex, sondern auch Sex mit Minderjährigen oder erzwungenen Sex - oder überhaupt ein Verhalten, das gemäss den Autoritäten die soziale oder moralische Ordnung störte.

 Die Rolle des chinesischen Staates in der jüngsten Geschichte der Homosexualität ist sowieso widersprüchlich. Während lesbisch-schwule Kulturfestivals noch bis vor wenigen Jahren von der Polizei verboten wurden, unterstützte das Gesundheitsministerium ab 2005 schwule Gruppierungen; der Grund war Aids. Aber auch die Meinungen in der Bevölkerung sind offenbar sehr geteilt: Während manche Eltern ihre homosexuellen Söhne oder Töchter zum Heiraten zwingen, hat die junge Generation wenig Probleme mit unterschiedlichen sexuellen Ausrichtungen.

 Abnormales Verhalten

 Das lange Schweigen über gleichgeschlechtliche Sexualität in China hat seine Spuren hinterlassen: Ein junger Mann erzählt im Film, wie er als Jugendlicher mit einem Freund homoerotische Erfahrungen machte - und nicht wusste, wie ihm geschah. In einem medizinischen Fachbuch fand er dann, wonach er suchte. Und las, dass dieses Verhalten abnormal sei.

 Nicht wissen, wie einem geschieht - so geht es auch den Protagonisten in den beiden chinesischen Spielfilmen, die Queersicht im China-Fenster zeigt. Zwei junge Mädchen treffen in "Hong Er" (2008) aufeinander: ein kratzbürstiges Landei und eine scheue Städterin, die ihre Ferien bei Verwandten auf dem Land verbringt. Es ist ein pubertäres Abtasten, eine grosse Verwirrung der Gefühle, die Regisseur Deng Yang in nüchternen, langen Einstellungen deutlich macht. Viel expliziter ist "Amphetamine" (2010) - kein Wunder, denn diese Produktion stammt aus dem relativ liberalen Hongkong. In erlesenen Bildern schildert Regisseur Scud die Geschichte eines Jungen namens Kafka, dem das Leben übel mitspielt, der allerdings im Finanzmanager Daniel eine Art Schutzengel findet. Die tragische Liebesgeschichte der beiden findet vor dem Hintergrund der weltweit beginnenden Rezession statt: Während die Banken kollabieren, wird Daniels und Kafkas Beziehung durch Drogen ruiniert. Hier also das rurale China, dort das grossstädtische; hier scheue Annäherungen, dort expliziter Sex; hier ein fast dokumentarisches Filmen, dort ein Hochglanzstreifen.

 Dass in China die Gegensätze und Ungleichzeitigkeiten vielleicht noch etwas grösser sind als anderswo, machen diese Filme augenfällig. Und das zeigt auch "Queer China, Comrade China": Während im Jahr 2000 überhaupt zum ersten Mal im chinesischen Fernsehen über Homosexualität gesprochen wurde (und ein besorgter Mann im Talkshow-Publikum seine Angst kundtat, nun würden wohl alle "gay"), gibt es wenige Jahre später bereits Bestrebungen, die gleichgeschlechtliche Ehe im Gesetz zu verankern. Politisch mag diese Forderung noch utopisch sein; erstaunlich ist dennoch, was die "Tongzhi", wie sich in China die Schwulen, Lesben, Bi- und Transsexuellen nennen, in wenigen Jahren erreicht haben. Helfend im Hintergrund wirkte die Marktwirtschaft, die darauf abzielt, dass jeder seine eigenen Wünsche verfolgt - so auch hinsichtlich der sexuellen Orientierung.

 Unzimperlicher Staat

 Punkto gleichgeschlechtlicher Ehe ist sich die chinesische Queer Community allerdings nicht einig: Während die einen für Gleichberechtigung kämpfen, sehen die anderen die anerkannte Ehe als Unterwerfung unter den Staat; eine Haltung, die wohl nur dort entstehen kann, wo ein Staat über Jahrzehnte nicht gerade zimperlich mit einer Minderheit umgegangen ist.

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 Queersicht 11. bis 17. November

 Neben dem China-Programmschwerpunkt gibt es bei der diesjährigen Ausgabe von Queersicht einen zu Argentinien sowie einen zum Thema "abARTig?". Dabei geht es um den Grenzbereich zwischen Pornografie und Kunst, und der wird anhand zweier Filme und einer Podiumsdiskussion beleuchtet. Bruce LaBruce schickt in "L. A. Zombie", der beim diesjährigen Filmfestival Locarno Premiere feierte, einen ausserirdischen Zombie mit überirdischem Gemächt durch die Strassen von Los Angeles und lässt ihn Tote zum Leben erwecken. "Too much Pussy" dokumentiert die Tournee einer Gruppe von Performerinnen, die mit einer Art Burlesk-Sex-Variété durch Europa zieht. Vor allem für ein lesbisches Publikum wollen die Frauen in ihren Shows eine andere Art von sexuellen Fantasien zelebrieren, als in gängigen Pornos zu sehen ist.

 Im Kino in der Reitschule, im Kunstmuseum, im Kellerkino und in der Cinématte werden unzählige weitere Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme gezeigt. Am Gala-Abend im Progr findet die Verleihung der Rosa Brille statt samt Konzert des chinesischen Fusion-Jazzers Coco Zhao. (reg)

 Diverse OrteInformationen und Programm: www.queersicht.ch.

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BZ 11.11.10

Auf eigene Gefahr

 Filmfestival queersichtIst es noch Kunst? Ist es schon Porno? Das lesbisch-schwule Berner Filmfestival Queersicht wagt sich in Grenzbereiche vor.

 "Ein Hauch von Abartigkeit" werde dem diesjährigen Festival anhaften, heisst es im diesjährigen Programmheft. Das ist noch milde ausgedrückt. Was im Rahmen des 14. lesbisch-schwulen Filmfestivals Queersicht aufgeführt wird, darf getrost als grenzwertig bezeichnet werden: menschliche Begierden, nackte Tatsachen, ungehemmte Fleischeslust.

 Einzelne Filme sind erst ab 18 Jahren freigegeben wie "L. A. Zombie" von Bruce LaBruce. Dieses polarisierende Werk, das bereits am diesjährigen Filmfestival Locarno Premiere feierte, handelt von einem ausserirdischen Untoten, der durch Los Angeles streunt, um mit männlichen Leichen Sex zu haben. Dicke Post, keine Frage. Aber soll man gleich nach der Zensur rufen wie im australischen Melbourne?

 Queersicht schlägt einen anderen Weg ein und bittet stattdessen am Samstag zur Debatte über Lust und Geschlechtlichkeit. An der Podiumsdiskussion "abARTig?" diskutieren Laura Mérit, Betreiberin der Website Sexclusivitaeten.de, und Kurt Starke, Sexualwissenschaftler, über die unscharfen Grenzen zwischen Kunst und Pornografie. Wem das noch immer zu heftig ist, kann am Sonntag auch nur die Verleihung des Kurzfilmpreises Rosa Brille besuchen oder sich dem weniger verfänglichen Festivalschwerpunkt China zuwenden, einem Land notabene, in dem Homosexualität bis vor wenigen Jahren als Krankheit des dekadenten Westens galt.
 zas

 Filmfestival Queersicht: 11. bis 17. November. Vorverkauf: Olmo Ticket, Zeughausgasse 14, Bern, und an allen Starticket-Vorverkaufsstellen. Infos: www.queersicht.ch.

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KULTURK(R)AMPF
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kulturagenda.be

Klartext zur Situation der kleinen Kulturveranstalter ///

von Donat Blum

Wir gehören zu den Kleinen. Nicht weil wir in unseren Kinderschuhen steckten; das lesbisch-schwule Filmfestival Queersicht gibt es nun bereits seit 14 Jahren. Wir hatten Zeit, uns ein treues und begeistertes Publikum aufzubauen. Jahr für Jahr kommen rund 3000 Besucherinnen und Besucher. Das Queersicht gehört dazu. Nicht weg zu denken ist es aus der spärlichen Berner Queer-Kultur. Schweizweit ist es bei Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgendern wohlbekannt, und international für queere Filmschaffende eine anerkannte Adresse. Für die allgemeine Berner Kulturlandschaft sind wir ein Beweis ihrer Vielseitigkeit.

Aber wir gehören zu den ganz Kleinen, wenn es in Bern um Kulturpolitik geht. Gerne gehen wir vergessen neben all den grossen Brocken. Vor allem der Förderbeitrag aus öffentlicher Hand ist klein - doch wir wollen Grosses. Und so findet sich ein engagiertes Team zusammen, erschafft ehrenamtlich, was es sonst schlicht nicht gäbe. Kein Grund, mich über die Höhe der Fördergelder zu beklagen - denn wir funktionieren erstaunlich gut. Aber ich will ins Bewusstsein rufen, was mit wenig möglich wird. Ein kleiner Beitrag von Stadt und Kanton kann viel bewirken; vorausgesetzt, er fällt auf fruchtbaren Boden. So entstand das älteste lesbisch-schwule Filmfestival der Schweiz 1997 in der Reitschule. Die Stadt und der Kanton Bern verstanden bald, mit wenig, dafür regelmässigem Wasser aufkeimen zu lassen, was nun seit 14 Jahren blüht.

Was uns hingegen fehlt, ist das offizielle Bekenntnis hierzu. Ein Bekenntnis mit Worten und mit Taten nicht nur zu uns, sondern zu - gemessen an den Fördergeldern - kleinen Kulturveranstaltungen im Allgemeinen. Jährlich bangen wir um die Unterstützung aus öffentlicher Hand. Die für uns essenziellen Kulturstandorte müssen immer wieder verteidigt werden (Reitschule). Durch Auflagen werden sie viel teurer (Progr) oder kämpfen selbst um ihr Überleben (Das andere Kino). Zusätzlich verunmöglicht die unhaltbare Plakatierungssituation eine breite Wahrnehmung von "uns Kleinen".

All dies kann nicht einfach mit ehrenamtlicher Arbeit wettgemacht werden. Mit ehrenamtlicher Arbeit können sich Veranstalter wie wir keine APG-Plakate leisten; keine Inserate in Zeitungen schalten. Mit ehrenamtlichem Engagement allein können wir auch keine Veranstaltungsorte bauen, unterhalten oder uns an profitorientierten Orten einmieten. Wir brauchen nicht viel, wünschen uns aber, in unserem Engagement nicht unnötig beschnitten zu werden. Wir versuchen alles, um mit wenig viel zu erreichen. Genau das sollte eigentlich auch zum Sparen genötigte Kulturpolitiker von rechts bis links interessieren.

Damit aus Kleinem weiterhin Grosses entsteht, brauchen wir zugängliche und günstige Veranstaltungsorte, die Unterstützung in der öffentlichen Wahrnehmung mit besseren Plakatierungsmöglichkeiten und nicht zwingend höhere Fördergelder, aber eine längerfristige Zusicherungen der finanziellen Unterstützung.

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Donat Blum ist Kopräsident des Filmfestivals Queersicht. Es wird von einem 15-köpfigen OK ehrenamtlich betreut.

Mit der Rubrik Klartext öffnet die Kulturagenda eine Plattform, auf der kulturpolitische Themen zur Diskussion gestellt werden. Die Verantwortung für den Inhalt liegt bei den Verfassern.

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LORRAINE
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BZ 6.11.10

Wie sich Bern schön macht

 Grossstädtisch cool erhebt sich der grün gestylte Wohn- und Büroblock an der Jurastrasse im Berner Lorrainequartier in den grauen Herbsthimmel. Vor zehn Jahren war die Lorraine ein Sorgenkind, in dem billiger, sanierungsbedürftiger Wohnraum die urbanen A-Probleme - Ausländer, Abhängige, Arme, Arbeitslose - anzog. Heute ist das Quartier erneuert, gesäubert - und verteuert. Die sozialen Stresszonen haben sich verzogen - in Agglomerationsgemeinden wie Ittigen oder Ostermundigen. svb/jszSeite 37 - 39

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Die Veredelung des Sorgenquartiers

 Seismograf Lorraine Das frühere Berner Arbeiterquartier erlebt einen aufregenden Aufstieg von der Problem- zur Ausgehzone. In der Lorraine zeigt sich, wie der Run in die Zentren das Gesicht und das Innenleben der Städte verändert.

 Gleich vor der Haustür des Redaktionsgebäudes, in dem diese Zeitung entsteht, lässt sich eine wundersame Verwandlung beobachten, die sich derzeit in vielen Städten abspielt. Die Lorraine mausert sich vom Sorgenkind unter Berns Quartieren zum veredelten In-Viertel.

 Neubauten mit viel Glas sind entstanden. Alte Bruchbuden wurden saniert und mit mediterranen Balkonen für höhergestellte Bewohner verschönert. In Atelierräume zogen Juristen, Grafiker, Werber und alternative Kleinunternehmer ein. Ein Bordell ist einer Kindertagesstätte gewichen. In der Gastronomie hat man die globale Wahl zwischen Inder, Chinese und Italiener. Auch nachts sind in der Lorraine nun Menschen unterwegs.

 Probleme, die mit A beginnen

 Vor rund zehn Jahren hat diese Zeitung in einer der ersten Ausgaben der "Zeitpunkt"-Seiten die Lorraine in einem Quartierporträt mit den damals üblichen Schwarzweissfotos unter die Lupe genommen. Der Glaspalast der Gewerbeschule am Quartiereingang war gerade fertig gebaut. In dessen Fensterfronten spiegelten sich baufällige Holzhäuser. Die Lorraine war noch ein Sanierungsfall. Man sah ihr an, dass sie Berns ältestes Arbeiterquartier ist, ab 1860 erbaut auf der damals leeren Nordseite der Aare.

 In den paar Strassenzügen, die zwischen den vierspurigen Eisenbahnviadukt und den stark befahrenen Nordring gequetscht sind, konzentrierten sich in den 1990er-Jahren die Problemgruppen, die einer Stadt Kosten verursachen und die mit A beginnen: Arbeitslose, Ausländer, Arme.

 Schweizer in der Minderzahl

 Wie ein Quartier tickt, erfährt man in dessen Schule. Vor zehn Jahren hatten über die Hälfte der 200 Lorraine-Schüler eine andere Muttersprache als Deutsch. Sie stammten aus 27 Ländern. Zu den Kindern der Arbeiterfamilien aus Italien, Spanien und Portugal waren diejenigen von Flüchtlingsfamilien aus Sri Lanka oder Kosovo hinzugekommen. Jeder dritte Lorraine-Bewohner war Ausländer, ein Rekordwert in Zentrumsnähe.

 "Anfang der 1990er-Jahre gab es schwierige Klassenzusammensetzungen mit Schweizer Homeboys und Flüchtlingskindern aus bildungsfernen Schichten. In Realschulklassen hatten wir manchmal nur einen oder zwei Schweizer Schüler", erinnert sich der langjährige Schulleiter und Oberstufenlehrer Andreas Kohler. Schon 2005 habe man ein Integrationsmodell eingeführt, wie es jetzt der ganze Kanton Bern tut. Alle Kinder sollten nach Möglichkeit in der Regelklasse unterrichtet werden.

 Soziale Umschichtung

 Kohler ist froh um diesen "Erfahrungsvorsprung" seiner Schule. Auch dadurch, dass Real- und Sekundarstufe in derselben Klasse vereint sind, sei die Zusammensetzung der Klassen tragfähiger geworden. "Wir haben wieder mehr bildungsnahe und Schweizer Kinder", sagt Kohler.

 Der Anteil fremdsprachiger Kinder liegt nun nicht mehr über 50 Prozent. Übersteigt er diese Grenze, ziehen Schweizer Familien oft weg aus einem Quartier. In der Lorraine sind es nun Kosovo-Albaner, die wegziehen. In billigere Wohnungen nach Niederwangen an Berns Westrand, weiss Kohler. Einst lagen billige Wohnungen mitten in der Stadt - in der Lorraine.

 Mit den Wohnadressen einer Schulklasse lässt sich eine soziale Karte der Lorraine und ihrer Umgebung abstecken. Schweizer und ein paar deutsche Kinder wohnen in sanierten und neuen Häusern an den ruhigen Quartierstrassen. Kinder aus Kosovo, Sri Lanka oder der Türkei blicken von Wohnblocks auf den Bahnstrang oder den Nordring. Ohne Zahlen zu kennen, habe er das Gefühl, die Lorraine sei "teurer geworden", sagt Andreas Kohler. Aus Mietwohnungen, in denen drei Kinder lebten, seien Eigentumswohnungen von Familien mit einem Kind geworden.

 Gelände für Sanierungswelle

 Die Zahlen geben Andreas Kohler recht. Laut den Statistikdiensten der Stadt Bern ist der Ausländeranteil in der Lorraine in nur zehn Jahren von über 30 Prozent auf den städtischen Schnitt von 22 Prozent gefallen. Allein von 2008 bis 2009 ging er in der Lorraine um 2 Prozent zurück, während er in der Stadt - vor allem durch die Zuwanderung Deutscher - um 2 Prozent stieg. Auch die Zahl der Sozialhilfeempfänger ist in der Lorraine 2008 auf den städtischen Schnitt von 4,8 Prozent zurückgegangen.

 "Eigentlich schien alles angelegt für die Gentrifizierung der Lorraine", sagt der Berner Stadtsoziologe Daniel Blumer. Er nennt das ominöse Stichwort, das erklärt, was in der Lorraine abgeht und warum es dort abgeht. Die Wissenschaft bezeichnet damit die Veredelung und Verteuerung zentral gelegener Stadtteile, aus denen der untere Mittelstand vertrieben wird (siehe Text rechts). Blumer, Dozent an der Fachhochschule Nordwestschweiz, hat den Fall der Lorraine studiert. Er steht vor dem Quartierhof, einem heute legendären Genossenschaftsbau aus der Lorraine-Gründerzeit. Überragt wird er von einem bedrohlich nahen Wohnblock aus den 1970er-Jahren. "So hätte die ganze Lorraine aussehen können", sagt Blumer.

 Verschonte Lorraine-Inseln

 Der Q-Hof, wie ihn alternative Insider und Bewohner nennen, hätte einer Grossüberbauung der Post weichen sollen. Und die Stadt Bern wollte ihre nahen, verlotterten Häuser verkaufen. Sie hatte diese nur gekauft, um sie einem später gescheiterten Strassenprojekt zu opfern. Das Feld schien vorbereitet für den Kahlschlag durch Immobilienspekulanten, deren Wohnklötze man etwa im Berner Länggassquartier besichtigen kann.

 In der Lorraine kam es anders, erzählt Blumer. Die Wirtschaftskrise am Anfang der 1980er-Jahre setzte den Aufwertungsvorhaben ein Ende. Nach der Schliessung des Autonomen Jugendzentrums in der Reitschule verlagerte sich die linksalternative Szene in den Q-Hof und in die städtischen Billigwohnungen in der hinteren Lorraine. Die rot-grüne Regierung, die 1992 in der Stadt Bern ans Ruder kam, verkaufte die Wohnungen dann nicht, sondern gab sie den Bewohnern und ihren Genossenschaften im Baurecht ab. "Auf dem städtischen Land konnten gemeinnützige Bauträger günstigen Wohnraum schaffen", sagt Blumer. Im sanft sanierten Q-Hof etwa wurde auf Luxus verzichtet, wodurch die Miete für eine Dreizimmerwohnung immer noch unter 1000 Franken liegt.

 Diese Tiefpreisinseln wirken laut Blumer "ausgleichend auf den Aufwertungsprozess im Quartier". Zumindest dort seien "die sozialen Netzwerke nicht gerissen" und die eingesessenen Bewohner nicht vertrieben worden. Allerdings sei auch in diesen Zonen das Quartier - gemeinsam mit seinen älter gewordenen und arrivierten Bewohnern - aufgestiegen: Aus linken Autonomen wurden Gewerkschafter und Kleinunternehmer.

 Gentrifizierung light

 In der Lorraine spielt sich eine Lightversion der Gentrifizierung ab. Das gilt laut Regula Buchmüller, der Leiterin der Abteilung Stadtentwicklung, eigentlich für die ganze Stadt. Aber auch in Bern drängt der Kostendruck die weniger gut Betuchten an den Stadtrand - und immer mehr von ihnen noch weiter hinaus in die Agglomeration (siehe Text nächste Seite).

 Selbst in der Lorraine und in der nahen SBB-Überbauung Wylerpark mit grandioser Alpensicht hat Daniel Blumer schon erste gentrifizierte "Spots" ausgemacht, wo die Preise explodiert sind. Eine Monatsmiete kostet dort rund 3000 und ein Haus weit über eine Million Franken.
 
Stefan von Bergen

 stefan.vonbergen@bernerzeitung

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 Berns Positionierung

Hauptstadt der Gemächlichkeit. Allein im Jahr 2009 explodierten die Preise für Eigentumswohnungen im boomenden Zürich um 7,3 und am Genfersee um 11 Prozent. Im Raum Bern steigen sie laut der Zürcher Immobilienberatungsfirma Wüest & Partner seit einem Jahrzehnt gemächlich um jährlich 3 Prozent - auf einem viel tieferen Preisniveau.

Hauptstadt des Mittelstands. Laut dem Bundesamt für Statistik wird die Schweizer Bevölkerung bis 2060 von 7,8 auf 9 oder gar 11 Millionen Menschen weiterwachsen, vor allem durch Zuwanderung qualifizierter Arbeitskräfte. Das setzt einen Verdrängungsprozess in Gang, den der Freiburger Volkswirtschaftsprofessor Reiner Eichenberger "Zugisierung" nennt. Gut betuchte Einwanderer treiben in den wirtschaftlichen Hotspots Zürich, Genf-Lausanne oder Teilen der Innerschweiz die Bodenpreise in die Höhe. Der einheimische Mittelstand muss abwandern. Zum Beispiel ins deutlich weniger dynamische Bern.

 Hauptstadt der Erschwinglichkeit. Wenn sich Bern jetzt als Hauptstadtregion neu aufstellt, kann ihm der hier deutlich schwächere Run auf Wohnraum helfen: Bern ist das urbane Zentrum, wo Wohnen und die übrigen Lebenskosten noch einigermassen erschwinglich sind. Wodurch wenigstens die Berner Steuerbelastung etwas weniger schmerzt.svb/jsz

Das Kornhausforum Bern befasst sich mit der städtischen Entwicklung der Schweiz: "Stadt vor Augen - Landschaft im Kopf. Eine Ausstellung über die Verwandlung der Schweiz". 18. November bis 19. Dezember.

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RABE-INFO
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Do. 11. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_11._November_2010.mp3
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- Pro und Contra-Argumente zu Ausschaffungsinitiative unde dem Gegenvorschlag
- Die Biodiversitätsdeklaration will Trendwende im Artenschutz
- Leben mit der Wahrnehmungsstörung Tinnitus

Links:
http://www.biodiversity.ch
http://www.tinnitus-liga.ch

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Mi. 10. November 2010
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-Strom ohne Atom - Die Stadt Bern stimmt über ihre Energiezukunft in den nächsten Jahrzehnten ab
- Lieber nackt als im Pelz - Schweizer Tierschutz stellt Label für pelzfreie Kleiderläden vor
- Aufbruchsstimmung bei den Gemeinschaftsradios - Engagierte Radioleute treffen sich in Buenos Aires

Links:
http://www.tierschutz.com/pelz

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Di. 9. November 2010
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- Auswertung der Volksbefragung der SVP - Aktion der Jungen Gruppe für die Schweiz
- Wahlen in Burma - Unruhen statt Demokratisierung
- Wäre ich Präsident von Burkina Faso - der erste Beitrag unserer Reportageserie über das westafrikanische Land

Links:
http://www.wasdiesvpverheimlicht.ch
http://www.ououagadougouou.blogspot.com

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Mo. 8. November 2010
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- Ausschaffung konkret: Alois Stocher verfrachtet Ausländer in Abschiebe- Container
- 40 Jahre Kellerkino: Vorreiterrolle mit Leidenschaft

Links:
http://www.olaf-schweiz.ch
http://www.kriegsentwicklungshilfe.ch
http://www.kellerkino.ch

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BIG BROTHER CITY SPION
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20 Minuten 8.11.10

Detektive jagen in den Gassen Berns Ladendiebe

 BERN. Das Konzept City-Spion hat grossen Erfolg: Detektive spüren in der Innenstadt Ladendieben nach. So konnten in einem Jahr über 700 Diebstähle aufgedeckt werden.

 "Wir beobachten potenzielle Täter schon auf der Strasse und verfolgen sie in die Läden", beschreibt Detektiv Pavel Müller die Taktik von City-Spion. Dies scheint zu funktionieren: "Innerhalb der letzten zwölf Monate gingen uns 732 Diebe ins Netz." Aufgrund dieses Erfolgs stockte das Berner Einmannunternehmen Detektei Müller auf drei Personen auf. Müller: "Jetzt können wir die Markt- und die Spitalgasse sowie den Bahnhof abdecken." Zehn Lebensmittel-, Elektronik- oder Kleidergeschäfte hätten sich dem Entlarvungssystem bereits angeschlossen. Je mehr dies täten, desto effektiver seien die Ermittlungen. Zudem sei eine Ausweitung nach Biel geplant.

 Während eines Jahres stellten die Detektive Diebesgut im Wert von 60 000 Franken sicher. "72 Prozent der Delikte wurden von Männern begangen", so Müller. Viele davon seien Beschaffungskriminelle, die die Alarmsysteme der Läden austricksten und die gestohlene Ware dann auf der Strasse verkaufen. "Einer stahl PlayStations und X-Boxen im Wert von über 8000 Franken, ein anderer gleich 16 Jacken." Teures Fleisch sei ebenfalls beliebt. Aber auch Frauen seien keine Lämmer: "Sie lassen vor allem Marken-Schminkartikel oder Parfüms mitgehen."  

Bigna Silberschmidt

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BIG BROTHER VIDEO
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Basler Zeitung 8.11.10

Datenschutz kommt zu kurz

 Strittige Videoüberwachung

 Mangelhaft. Beim Einsatz von staatlichen Videoüberwachungskameras bestehen aus Sicht des Datenschutzes teilweise grosse Mängel. Das zeigt eine Umfrage der BaZ unter den kantonalen Datenschutzbeauftragten. So bestehen beispielsweise für viele staatliche Kameras keine ausreichenden gesetzlichen Grundlagen. Allein im Kanton Basel-Stadt wurden bis zum Antritt des neuen Datenschutzbeauftragten im vergangenen Jahr rund 600 solcher illegaler Kameras installiert. Während Basel immerhin über konkrete Zahlen zu den staatlichen Videokameras verfügt, verzichtet ein Grossteil der Kantone auf Erhebungen.

 Für die Berner Nationalrätin Margret Kiener Nellen (SP) ist der Wildwuchs bei der Videoüberwachung "höchst unbefriedigend". Sie fordert ein Bundesgesetz zur Videoüberwachung. Die Videoüberwachung durch staatliche Stellen ist in der Regel Sache der Kantone. Basel-Stadt hat die Videoüberwachung im neuen Informations- und Datenschutzgesetz geregelt. Dieses soll gemäss Auskunft der Staatskanzlei spätestens nächsten Juli in Kraft treten. pra  > Seite 3

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Der Staat hat keine Kontrolle über Kameras

 Die meisten kantonalen Stellen wissen nicht, wie viele Überwachungskameras sie betreiben

 Alan Cassidy, MARKUS PRAZELLER

 Die Behörden setzen ungebrochen auf Videoüberwachung, um den öffentlichen Raum zu kontrollieren. Der Datenschutz bleibt dabei auf der Strecke.

 Ob im Tram, am Bahnhof oder in der Bahnhofstrasse - Überwachungskameras sind allgegenwärtig. Allein in Basel-Stadt betreiben kantonale Stellen rund 1500 bewilligte Kameras, wie aus dem neusten Bericht des kantonalen Datenschutzbeauftragten hervorgeht. Für rund 600 dieser Kameras fehlte jedoch die notwendige gesetzliche Grundlage.

 Eine Bestandesaufnahme des neuen Basler Datenschutzbeauftragten Beat Rudin ergab zudem: Von den 1500 Bewilligungen waren Ende 2009 500 ausgelaufen, weil die staatlichen Stellen diese nicht verlängerten. Einzig die Kantonspolizei und die Basler Verkehrsbetriebe hätten von sich aus eine Verlängerung beantragt, sagt Rudin.

 Kein Überblick

Pikant dabei: Basel gehört bei der Reglementierung der Videoüberwachung noch zu den Musterkantonen. Während die Behörden am Rheinknie zumindest eine klare Vorstellung davon haben, wie viele Kameras im Einsatz stehen, fehlt den Datenschutzstellen in den meisten anderen Kantonen der Überblick, wie eine Umfrage der BaZ unter den kantonalen Datenschutzbeauftragten zeigt. Verbindliche Zahlen konnten die meisten Kontrollstellen nicht nennen. "Aufgrund fehlender Ressourcen bin ich dieser Frage nie nachgegangen", schreibt etwa der Luzerner Datenschützer Amédéo Wermelinger.

 Die Kameras waren zur Kontrolle des öffentlichen Raums gedacht. Inzwischen haben die Behörden selbst die Kontrolle über ihre Überwachungsanlagen verloren.

 Widerstand

Politisch wird der Umgang mit der Videoüberwachung höchst unterschiedlich gehandhabt. Bestehen beispielsweise in den Kantonen Basel-Stadt oder Schwyz Gesetzesgrundlagen für die Videoüberwachung, fehlen diese in Baselland oder Luzern. Und wo die Behörden versuchen, Gesetze zu schaffen, scheitern sie oftmals am politischen Widerstand - zu emotional aufgeladen ist das Thema. In der Stadt Bern versuchte Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) vor zwei Wochen, ein Reglement zur Videoüberwachung einzuführen, um gewalttätige Fussballfans zu kontrollieren. Das Stadtparlament jedoch wies die Vorlage nach heftigen Diskussionen zurück.

 Enger Rahmen

Selbst dort, wo es Gesetze gibt, genügen sie den rechtsstaatlichen Vorgaben oft nicht. "Da die Videoüberwachung von Personen in die Grundrechte eingreift, haben sich die Kantone an enge Vorgaben zu halten, denen sie nicht immer gerecht werden", sagt die Freiburger Rechtsprofessorin Astrid Epiney. So hob etwa das Bundesgericht den Videoüberwachungsartikel auf, den sich der Kanton Zürich im neuen Polizeigesetz gab. Begründung: Er sei zu vage formuliert.

 Fehlt eine Gesetzesgrundlage auf Kantonsebene, liegt es in der Verantwortung der Gemeinden, sich ein Reglement zu geben, wenn sie ihr Gebiet überwachen. Vor allem diese foutieren sich jedoch um den Datenschutz - oder sind damit schlicht überfordert. Immer wieder müssen die kantonalen Datenschutzstellen intervenieren, weil die gesetzliche Grundlage für eine Videoüberwachung fehlt, wie das Beispiel aus Seedorf im Kanton Uri zeigt: Dort liess die Gemeinde widerrechtlich zwei öffentliche WC-Häuschen filmen und wurde deswegen vom Kanton zurückgepfiffen.

 Recht auf Klarheit

Im Bundesparlament scheiterten bereits mehrere Anläufe, die Videoüberwachung präziser zu regeln. Nationalrätin Margret Kiener Nellen (SP, BE) fordert vom Bund ein Gesetz, das alle Kantone auf die gleichen Standards verpflichtet. "Die Bürger haben ein Anrecht darauf, zu wissen, wo und wann sie gefilmt werden", sagt Kiener Nellen. Zwar hat der Bundesrat die Kantone schon in seinem Bericht zur Videoüberwachung im Jahr 2007 aufgefordert, Gesetzeslücken "verfassungskonform" zu schliessen. Geändert hat sich seither in vielen Kantonen nichts - ausser die Zahl der Überwachungskameras. Sie nimmt weiter zu.

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Sonntag 7.11.10

Kameras ersetzen Grenzwächter

 Eine geheim gehaltene Anzahl Kameras überwacht die Landesgrenze - Hinweise lieferten sie beim Casino-Raub

VON ANDREAS MAURER (Texte und Bilder)

 Auf Schmugglerwegen entlang der Grenze herrschte einst Hochbetrieb. Heute fahren Kriminelle im Zug ein.

 Früher hat die Grenzwache dafür gesorgt, dass Grenzwege ständig gehegt und gepflegt wurden. Mit Schäferhunden patrouillierten Grenzwächter regelmässig auf diesen Fussgängerpfaden entlang der Grenze. Ein sehr beliebter Schmugglerweg war jener, der auf dem Foto rechts eine Strasse im Basler St.Johann-Quartier kreuzt. Der Weg führt entlang der Zollfreistrasse zum Flughafen. Er erlangte aber nicht wegen des Flughafens seine Beliebtheit bei Schmugglern, sondern weil sie sich darauf auch nachts leicht orientieren konnten. "Ihre Auftraggeber sagten ihnen: ‹Folgt einfach dem Zaun›", berichtet Grenzwachtsprecher Patrick Gantenbein. Der Grenzweg bot sich auch wegen einer rechtlichen Besonderheit an: Erst wer den Zollfreiweg verlässt, tritt mit seiner Ware ins Land ein. Der Schmugglerweg führt daher gewissermassen durch Niemandsland. Schmuggler folgten dem Weg oft bis zu einer Brücke, von der sie ihre Ware Komplizen zuwarfen.

 Die dunklen Geschäfte, die sich auf den Grenzwegen abspielten, wechselten mit der Zeit: Statt Schmuggler schlichen illegale Migranten darauf. "Heute hat sich dies wieder verlagert: Illegale Migranten oder gesuchte Personen reisen heute auch mit den öffentlichen Verkehrsmitteln ein", weiss Gantenbein. Mit der Öffnung der Grenzübergänge haben die Schleichwege ihre Bedeutung verloren. Viele Grenzwege wachsen zu oder werden überbaut. Kriminelle sind dadurch teilweise mit grösseren Hindernissen konfrontiert als früher. "Ein Brombeergestrüpp hat manchmal mehr Wirkung als ein Grenzwächter", bemerkt Gantenbein.

 Noch heute werden aber viele Grenzwege rund um die Uhr bewacht. Statt Grenzwächter aus Fleisch und Blut liegen elektronische Wächter auf der Lauer. Die Zahl der Kameras hütet der Grenzwachtsprecher als Geheimnis. Obwohl die Schleichwege entlang der Grenze ihre Anziehungskraft für Kriminelle verloren haben, sind die schwarzen Augen für die Grenzwache immer noch hilfreich. Die auf dem Foto abgebildete Kamera habe Hinweise für die Ermittlungen des Casino-Überfalls geliefert. Mehr verrät Gantenbein nicht, da der Fall noch nicht abgeschlossen ist.

 Radikal verändert hat sich auch der Alltag der Grenzwächter in den letzten dreissig Jahren. "Den Beruf, den ich 1977 gelernt habe, gibt es nicht mehr", sagt Grenzwächter Ernst Walthard. Anfangs patrouillierte er in der Regel alleine. Auch über Funk war er nicht mit seinen Kollegen verbunden. "Man fühlte sich manchmal einsam: Oft stand ich stundenlang an einem Waldrand, wartete und beobachtete - und das bei jedem Wetter", erinnert er sich. Das brauchte Mut. Auch wenn Walthard auf verdächtige Gestalten in Überzahl traf, stellte er sich ihnen alleine in den Weg. Dabei wurde er nie verletzt. Er verrät den Trick: "Man muss mit seinem Auftreten Autorität ausstrahlen." Ob der Beruf des Grenzwächters heute besser oder schlechter als früher ist, sagt Walthard nicht. "Heute ist er vielseitiger."

 Zu einem Praxiswechsel waren die Grenzwächter in der RAF-Zeit gezwungen. In der Region Basel wurden damals mehrere Grenzwächter angeschossen und verletzt. Seither sind Grenzwächter nie mehr alleine im Dienst.

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 Falsches Dreiländereck

 Das Dreiländereck (Bild links) ist eine Täuschung. Es gibt vor, auf der Landesgrenze zu stehen. Deshalb hüpfen Kinder um den Turm im Glauben, von Land zu Land zu springen. Und Touristen fotografieren sich, wie sie gleichzeitig in der Schweiz, in Deutschland und Frankreich stehen. Dabei liegt das symbolische Dreiländereck vollständig auf Schweizer Boden. In Wirklichkeit treffen sich die Landesgrenzen mitten im Rhein. Das Dreiländereck müsste eigentlich im Wasser stehen - und etwas weiter nördlich. Die französisch-schweizerische Grenze verläuft in der Rheinmitte - aber nicht exakt in der Mitte, sondern entlang der tiefsten Stelle im Flussbett. Dadurch verschiebt sich die Landesgrenze im Rhein über die Jahre um einige Meter. Für die Rheinschiffe spielt dies keine Rolle: Von Rotterdam bis zur Mittleren Brücke ist der Rhein internationales Gewässer. Legt ein Schiff von Rotterdam bis Basel nie an, muss es seine Ware nicht verzollen. Wäre der Rhein kein internationales Gewässer, müssten die Rheinschiffer sogar den eigenen Treibstoff verzollen. Das käme teuer. Ein grosses Rheinschiff frisst pro Stunde 200 bis 400 Liter Treibstoff.

 Zeichen weggemeisselt

 Das F ist auf den meisten Grenzsteinen der Landesgrenze zum Elsass kaum erkennbar (Bild oben). Das ist eine Folge der bewegten Geschichte des Elsasses: Es gehörte abwechselnd zu Frankreich und Deutschland. Die aktuellen Besitzer griffen jeweils zum Meissel und hauten ihr eigenes Landeszeichen in den Stein. Nach dem Wiener Kongress 1815 schlugen die Franzosen einen Kreis für die Bourbonen-Linien mit einem F in der Mitte in die Steine. Als die Deutschen das Elsass 1870 im Deutsch-Französischen Krieg eroberten, ersetzten sie die französischen Zeichen mit einem D. Mit dem Ersten Weltkrieg kamen nicht nur französische Soldaten, sondern auch französische Steinhauer zurück. Wieder meisselten sie ihr Landeszeichen in jeden elsässischen Grenzstein. Dass das Elsass während des Zweiten Weltkriegs erneut von den Deutschen vorübergehend annektiert wurde, hatte allerdings keine Konsequenzen für die Grenzsteine. Hitler kam nicht dazu, sich um sie zu kümmern.

 Diebe auf Judengässli

 Auf dem Foto oben steht der Basler Grenzwächter Ernst Walthard auf dem Judengässli des Allschwiler Rosenbergs. Durch diese Gasse flüchteten im Zweiten Weltkrieg zahlreiche Juden in die Schweiz. "Heute erwischen wir auf diesem Weg manchmal Leute ohne festen Wohnsitz", sagt er. Der Weg eigne sich für Diebe: "Wer etwas gestohlen hat, ist hier schnell wieder weg." (öpf)

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Bund 6.11.10

Nause befürchtet "unüberlegte Schachzüge"

 Das angekündigte Referendum zum Videoreglement der Stadt Bern eckt beim Sicherheitsdirektor an.

 Christian Brönnimann

 Nach dem Ja zum Videoreglement ist vor dem Ja zum Videoreglement. Das von der FDP angekündigte konstruktive Referendum könnte den Einsatz von Überwachungskameras um rund ein Jahr verzögern oder ganz verhindern. "Ich hoffe, dass die nun geschaffene Rechtsgrundlage nicht noch durch unüberlegte Schachzüge gefährdet wird", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). "Ein Referendum bringt nur neue Unsicherheiten und Verzögerungen." Nause wäre derzeit zufrieden mit der am Donnerstag vom Stadtrat beschlossenen Lösung, gemäss welcher das Parlament und nicht der Gemeinderat über die Kamerastandorte entscheiden kann. "Das Risiko, am Schluss mit leeren Händen dazustehen, möchte ich nicht eingehen."

 Anders die FDP. Weil sie darauf besteht, dass nicht jede Kamera vom Stadtrat abgesegnet werden muss, will sie das konstruktive Referendum ergreifen. Fraktionspräsident Bernhard Eicher bekräftigte gestern auf Anfrage, dass es seiner Partei ernst sei.

 Zweifaches Nein möglich

 Die FDP hat nun 60 Tage Zeit, 1500 Unterschriften für das Referendum zu sammeln. Gelingt dies, gibt es in den nächsten zehn Monaten eine Abstimmung, in welcher dem Volk zwei Varianten des Reglements vorgelegt werden - einmal mit dem Stadtrat und einmal mit dem Gemeinderat als Entscheidungsinstanz. Dabei sind auch zwei Volks-Nein möglich - die Videoüberwachung im öffentlichen Raum wäre in der Stadt Bern wieder ganz vom Tisch.

 "Wir sind überzeugt, eine Mehrheit dafür zu finden", sagt Eicher. Das Risiko eines doppelten Neins und die Verzögerung um ein Jahr seien in Kauf zu nehmen. "Wichtiger ist, dass wir am Schluss ein griffiges Reglement haben." Zudem gehe er davon aus, dass es so oder so eine Volksabstimmung geben werde. Auch von der linksalternativen Seite, die das Reglement ganz verhindern wolle, sei nämlich ein Referendum zu erwarten. Ein eigenes Referendum sei eine Option, die derzeit diskutiert werde, sagt Juso-Stadträtin Tanja Walliser.

 SVP hilft sehr wahrscheinlich mit

 Unterstützung bei der Unterschriftensammlung erhält die FDP "sehr wahrscheinlich" von der SVP, wie deren Fraktionspräsident Rudolf Jakob sagt. Der definitive Entscheid falle Anfang nächster Woche. "Bleibt der Stadtrat für die Kamerastandorte zuständig, birgt dies immer auch ein Risiko, nämlich dass nirgendwo Kameras aufgestellt werden können." Die BDP, welche die FDP laut Eicher ebenfalls an Bord holen möchte, wird sich "nach heutigem Stand nicht" am Referendum beteiligen, wie Co-Fraktionspräsident Kurt Hirsbrunner sagt.

 FDP und SVP haben zusammen mit der CVP bereits zur Revision des Schulreglements ein konstruktives Referendum zustande gebracht. Die Abstimmung dazu findet in drei Wochen statt. Gelingt es ihnen erneut, heisst es für Reto Nause abwarten. "Die Arbeiten wären mindestens ein Jahr blockiert", sagt er. "Ich werde sicher nicht die Verwaltung mit dem Kameraeinsatz beschäftigen, solange nicht klar ist, ob die Rechtsgrundlage dafür kommt oder nicht."

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Telebärn 5.11.10

Nause im Disput mit der FDP
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/nause-im-disput-mit-der-fdp/c=84713&s=1067639

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Schweiz Aktuell 5.11.10

Videoüberwachung in Bern

Im zweiten Anlauf hat der Berner Stadtrat das umstrittene Videoüberwachungs-Reglement angenommen. Wo überall Videokameras installiert werden sollen, bestimmt das Parlament. Als erstes sollen Fussballfans auf dem Weg vom Bahnhof zum Stade de Suisse überwacht werden.
http://videoportal.sf.tv/video?id=e9ab59e6-1bd6-45e1-bded-755d5e167f48

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RANDSTAND BE
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BZ 6.11.10

Keine Angst vor Berns Abhängigen

 Podium Fachpersonen diskutierten über die Sicherheit im öffentlichen Raum. Sie waren sich einig, dass Randständige das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung kaum mehr beeinflussen.

 Die Anwesenden zeigten sich sehr zufrieden mit dem, was Contact Netz in den letzten Jahren bewirkt hat. Offene, grössere Drogenszenen wie am Kocherpark gehörten heute der Vergangenheit an, so der Tenor an einem Podium an der Jahresversammlung von Contact Netz. Fachleute aus dem Sucht- und Sozialbereich der grossen Städte im Kanton Bern diskutierten über Randständige und deren Einfluss auf die Sicherheit im öffentlichen Raum.

 Breite Einigkeit: Drogensüchtige und Obdachlose stören heute weder in Bern, Thun, Biel, Langenthal noch Burgdorf das Sicherheitsempfinden der Bevölkerung. Der Geschäftsleiter von Contact Netz, Jakob Huber, brachte es auf den Punkt: "Randständigkeit ist heute ein ästhetisches Problem." Nur wenige würden sich noch davor fürchten.

 Die Probleme gingen vielmehr von alkoholisierten, gewaltbereiten jungen Erwachsenen aus. Die Schläger von München oder von der Postgasse in den Jahren 2009 respektive 2003 sind es, die vielen Sorgen bereiten.

 Zurück zur Dorfpolizei?

 Die anschliessende Diskussion mit dem Publikum über zu ergreifende Massnahmen brachte wenig Neues: Viele Stimmen forderten, den öffentlichen Raum für alle Nutzer baulich attraktiv umzugestalten. Viel zu teuer, wandte der Langenthaler Gemeinderat Reto Müller (SP) ein. Dafür fehle schlicht das Geld.

 Andere schlugen vor, Ordnungskräfte in den Quartieren einzuführen. Auf kleinem Raum sei es viel einfacher, bei den fehlbaren Personen etwas zu bewirken, lautete das Credo. Dorfpolizisten? Das hatten wir doch schon … "Was sollen denn Quartierpolizisten in der Berner Aarbergergasse bewirken?", fragte die Leiterin der Stadtberner Fachstelle Drogenkoordination Regula Müller in die Runde. Sie wandte ein, dass das Publikum im Stadtzentrum viel zu heterogen sei, als dass man sich kennen würde. Auf ihre Frage erhielt sie keine brauchbare Antwort.

Daniel Fuchs

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RANDSTAND BS
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Basler Zeitung 8.11.10

Der Kreislauf muss durchbrochen werden

 Die Bedürfnisse der Randständigen sollen in der Stadtplanung stärker berücksichtigt werden

 Simon jäggi

 Wohin mit Randständigen im öffentlichen Raum? Stadtentwickler, Gassenarbeiter, Polizei und Betroffene diskutierten über Ursachen und Lösungen des Nutzungskonflikts.

 Für Randständige wird der nutzbare Raum im Kleinbasel zunehmend knapper. Grund sind unter anderem die fortschreitende Aufwertung des Quartiers und die verstärkte Freizeitnutzung des öffentlichen Raumes. Damit die Randständigen nicht weiter verdrängt werden, fordern deren Anlaufstellen mehr Mitsprache in der Planung. Die Diskussion und Führung am vergangenen Donnerstag wurden vom SP-Quartierverein Clara-Wettstein-Hirzbrunnen organisiert.

 Rund 30 Personen folgten Claudia Pleuss auf den Rundgang durch das untere Kleinbasel. Die Leiterin des Treffpunkts Glaibasel, einer Anlaufstelle für Randständige und Obdachlose, führte die Menge vom Claraplatz über die Claramatte durch die Klybeckstrasse zu ihrem Arbeitsplatz an der Feldbergstrasse - Orte, die von vielen Randständigen als Aufenthaltsraum genutzt werden. An der anschliessenden Diskussionsrunde beteiligten sich unter anderen Peter Gautschi, stellvertretender Leiter Kantons- und Stadtentwicklung, Ray Knecht, Mitarbeiter des Vereins für Gassenarbeit Schwarzer Peter, und Rudolf Koehlin vom Bereich Community Policing Kleinbasel der Stadtpolizei.

 Ballungszentren

Einigkeit bestand über die Entwicklung der Problematik. "Durch die rasche Veränderung und breite Nutzung des öffentlichen Raums nimmt die Brisanz zu", sagt Knecht. Auch Gautschi spricht von einer "Verdichtungstendenz". Koehlin beobachtet eine Entstehung von "Ballungszentren". Für Claudia Pleuss ist diese Entwicklung Folge der bisherigen Politik. "In den vergangenen Jahren fand ein Kreislauf des Verdrängens statt." Probleme seien nicht gelöst, sondern verlagert worden.

 Auch über die Chancen und Vorteile, die Randständige dem öffentlichen Raum bringen, zeigten sich die Anwesenden einig. Claudia Pleuss vom Quartiertreffpunkt bezeichnet die Claramatte als Vorzeigebeispiel für ein erfolgreiches Nebeneinander. Koehlin lobt das Engagement der Obdachlosen am Theodorsgraben. Und auch Stadtentwickler Gautschi sagt, man müsse das Thema "nicht unbedingt zwingend nur problematisieren".

 In Zukunft soll sich dennoch einiges ändern. "Die Stadtentwicklung muss uns als Basis in Entscheidungen miteinbeziehen, nur dann ist eine positive Entwicklung möglich", fordert eine anwesende Mitarbeiterin des Vereins für Gassenarbeit. "Es wurde bisher an den Betroffenen vorbeigeplant", sagt auch Pleuss. Es fehle an Unterständen für Randständige, an geeigneten Plätzen und ohnehin an Wohnraum.

 Die Absprache sei in der Vergangenheit nicht immer gut gelaufen, sagt Stadtentwickler Gautschi. "Wir müssen daraus lernen und die Zusammenarbeit verbessern." Die neue Verfassung ermögliche ein vereinfachtes Mitwirkungsverfahren für die Bevölkerung. "Wir stehen noch am Anfang einer neuen Entwicklung", sagt Gautschi.

 Vernetzung

Auch unter den Anlaufstellen wird der Austausch verstärkt. Regelmässige Sitzungen sollen die Vernetzung verbessern. "Wir wollen in Zukunft am selben Strick ziehen. Schliesslich kämpfen wir alle an derselben Front." Die aktuellen Bestrebungen sieht sie als Anfang einer neuen Entwicklung. "Es bewegt sich etwas, ich hoffe in die richtige Richtung."

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SAUBERES T(H)UN
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Thuner Tagblatt 10.11.10

Polizei musste in der Thuner Altstadt 537 Mal einschreiten

 Thun Der Gemeinderat zieht eine erste Bilanz: Die Massnahmen gegen Nachtlärm in der Innenstadt nützen - und sollen beibehalten werden.

 Mehr Polizeipräsenz, ein ausgebauter Sicherheitsdienst, Massnahmen gegen die Verschmutzung: So geht der Thuner Gemeinderat seit dem Frühjahr gegen die Auswüchse des Nachtlebens in der Innenstadt vor. Gestern zog er vor den Medien Bilanz. Behörden, Polizei und Anwohner sind sich einig: Die Situation hat sich verbessert. Die Polizei leistete in den Wochenend-Nächten von April bis Ende Oktober 600 Mannsstunden in der Altstadt. Dabei griff sie 537 Mal ein - vor allem, weil Nachtschwärmer zu laut waren. Gemeinderat Peter Siegenthaler will die Massnahmen beibehalten. Polizei und Anwohner schlagen vor, den Ordnungsdienst auszuweiten. mikSeite 2/3

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Schwerpunktthema   - Sicherheit und Ruhe in der thuner altstadt

 Bilanz positiv - Siegenthaler will die Massnahmen beibehalten

 Im Frühling schnürte der Thuner Gemeinderat ein Massnahmenpaket, um gegen Lärm und Vandalismus in der Innenstadt vorzugehen. Jetzt zieht er Bilanz: Die Polizei leistete 600 Stunden und schritt bei 537 Vorfällen ein. Die Situation hat sich laut Stadt und Anwohnern verbessert. Die Massnahmen sollen beibehalten werden.

 Die negativen Auswüchse des Nachtlebens in der Innenstadt eindämmen: Das war das erklärte Ziel, als der Thuner Gemeinderat im Frühling Massnahmen für mehr Sicherheit und Ruhe präsentierte. Damit griff er nicht zuletzt Anliegen der Anwohner und Geschäftsleute in der Altstadt auf. Jetzt zieht er eine erste Bilanz. "Wir sind auf einem guten Weg", sagt Sicherheitsvorsteher Peter Siegenthaler (SP). Nicht alles habe hingehauen - aber im Grossen und Ganzen seien sich Stadt, Polizei und Anwohner einig, dass sich die Situation verbessert hat (siehe auch Reaktionen auf Seite 3).

 Die Polizei griff 537 Mal ein

 Die Auswertung der Massnahmen hat die Direktion Sicherheit mit den beteiligten Partnern - unter anderen Altstadt-Stamm, Innenstadt-Genossenschaft IGT, Komitee "Thun rockt", Regierungsstatthalter und Strasseninspektor - vorgenommen. Die Ergebnisse im Überblick:

 Vermehrte Polizeipräsenz: Die Kantonspolizei war seit der Einführung der Massnahmen am 1. April bis am 31. Oktober in den Nächten von Freitag auf Samstag und von Samstag auf Sonntag rund 600 Mannsstunden in der Innenstadt präsent - und zwar mit uniformierten Patrouillen. "Aus meiner Sicht haben wir dadurch eine gewisse Beruhigung erreicht", lautet das Fazit von Hermann Jutzi, Chef Polizei Thun. 537 Mal griffen die Gesetzeshüter ein. In den allermeisten Fällen (378) mussten Nachtschwärmer aufgefordert werden, weniger laut zu sein (siehe Tabelle links). Vergleichszahlen fehlen laut Jutzi, da die Vorfälle bisher weder in der Innenstadt noch anderswo gebietsweise statistisch erfasst wurden. Es sei aber klar, dass die Polizei wesentlich häufiger eingegriffen habe, als zuvor, betont der Chef Polizei Thun.

 Ordnungsdienst: Gegenüber den Vorjahren wurde eine zweite Doppelpatrouille mit Hund eingesetzt. Gewerbeinspektor Reto Keller wertete die Rapporte aus - Fehlbare wurden ermahnt oder angezeigt. Keller sprach 27 schriftliche Verwarnungen aus und bestellte 111 Personen zum Gespräch. 86 der 138 Vorfälle betrafen das Urinieren im Freien, 20 Nachtruhestörungen. "Idioten wurden vorgeladen, aber es kamen Menschen", stellte Keller fest. In der grossen Mehrzahl der Fälle sei denn auch übermässiger Alkoholkonsum der Auslöser für die Übertretungen gewesen. Weiter seien Leute überführt worden, die Abfall im Bereich der Mühlepassage illegal deponiert hätten. Die Anzahl Meldungen der Sicherheitsleute ging zuletzt um etwa einen Drittel zurück. Der Ordnungsdienst kontrollierte auch die Parkverbote - und büsste fehlbare Autolenker. Laut Erwin Rohrbach, Leiter der Abteilung Sicherheit, wurden pro Nacht, in der kontrolliert wurde, in der Innenstadt zwischen 15 und 60 Bussen verteilt.

 Sauberkeit: In der Unteren Hauptgasse wurden drei neue Abfallbehälter aufgestellt, was laut Tiefbauamt zu weniger Verschmutzungen führte. Der Versuch, am Aareufer beim Mühleplatz das Abfallproblem mit einer intensiven Bewirtung einzudämmen, blieb jedoch wirkungslos.

 Videoüberwachung: Nachdem sie von der Abteilung Sicherheit nicht wie vorgesehen vorangetrieben worden war, intervenierte Peter Siegenthaler (wir berichteten). Jetzt ist das Gesuch beim Kanton. Zudem laufen Gespräche mit den Grundeigentümern der geplanten Video-Standorte.

 Weitere Massnahmen: Eine Plakataktion sowie Medienaufrufe zu mehr Rücksicht und Toleranz stützten die anderen Massnahmen. Ein Erfolg sei aber kaum messbar. Nicht gelungen ist es, zudem eine Interessengemeinschaft der Wirte zu gründen - analog etwa dem in Thun existierenden Taxirat.

 "Massnahmen beibehalten"

 Für Sicherheitsvorsteher Peter Siegenthaler ist klar, dass die Massnahmen beibehalten werden sollen. Die verstärkte Polizeipräsenz an den Wochenenden in der Innenstadt wird ohne Unterbruch weitergeführt. Sowohl Anwohner wie auch Polizei empfehlen zudem, den Ordnungsdienst neu übers ganze Jahr einzusetzen. Die Bruttokosten betragen rund 210 000 Franken; 41 000 Franken übernehmen die Wirte. "Das wird nun diskutiert, entscheiden wird der Gemeinderat", sagt Siegenthaler. Geprüft würden zudem unkonventionelle Massnahmen: So sollen Personen, die am Aareufer Abfall illegal entsorgen, ihren Dreck unter Aufsicht selber wieder beseitigen müssen.

 Michael Gurtner

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Anwohner, Altstadt-Stamm und IGT sind sich einig: "Situation hat sich verbessert"

 ReaktionenIn einem Punkt sind sich alle Direktbetroffenen in der Thuner Innenstadt einig: Die Situation hat sich dank den Massnahmen der Stadt verbessert. Beim "Wie weiter?" gehen die Vorstellungen dagegen auseinander.

 "Es ist klar, dass es zwischendurch immer noch schlimme Nächte gibt, aber es sind weitaus weniger geworden als früher." Das sagt eine, die es wissen muss: Regula Saameli, Koordinatorin des Thuner Altstadt-Stammes und Unterschriftensammlerin der Petition "Für eine wohnlichere Altstadt", die im Dezember 2009 eingereicht wurde. Saameli findet auch, dass sich der Kontakt zur Stadt verbessert hat: "Unsere Anliegen werden ernst genommen. Und falls Nachtschwärmer doch einmal negativ auffallen, reagiert die Stadt rasch und konsequent." Sie begrüsst es, dass die im März beschlossenen Massnahmen nun fortgeführt werden (vgl. Haupttext).

 Schlosstreppe als Toilette

 In einer ähnlichen Gefühlslage befindet sich auch Anwohner Emanuel Peter, der am Rathausplatz zwischenzeitlich ein nächtliches Lärmprotokoll führte. "Hie und da gibt es zwischen 2 und 3 Uhr morgens immer noch Zwischenfälle. Ihre Zahl hat aber spürbar abgenommen", meint Peter, der ebenso von einer Verbesserung spricht. Schlimm präsentiere sich die Situation dagegen nach wie vor bei der Schlosstreppe, die "zu einer öffentlichen Toilette geworden ist". Peter glaubt, dass eine Lampe hier womöglich Abhilfe schaffen würde. Der Anwohner freut sich indes, dass die Stadt die vermehrte Polizeipräsenz und den Ordnungsdienst beibehalten will. "Nun bleibt zu hoffen, dass das Gesuch des Lokals ‹Saint Trop› für eine generelle Überzeit bis 5 Uhr nicht bewilligt wird", sagt Peter.

 Der Präsident der Innenstadt-Genossenschaft Thun (IGT), Patrick Aeschbacher, findet vor allem die Vorladungen von fehlbaren Nachtschwärmern vor das Gewerbeinspektorat eine gute Sache: "Das regt gewisse Zeitgenossen sicher zum Nachdenken über ihre Taten an", meint er. Obwohl es noch Potenzial gebe, hat auch Aeschbacher eine Beruhigung der Situation festgestellt. Mit der geplanten Videoüberwachung werde sich die Situation vermutlich weiter entspannen. "Wichtig ist jetzt einfach, dass die Stadt unbedingt dranbleibt", mahnt der IGT-Präsident.

 "Jugendliche aggressiver"

 Ein bislang uneinheitliches Bild hat Jeannette Hänni, Betreiberin des Lokals "Funkhouse" direkt beim Rathausplatz, erlebt. "Es gibt neu sehr ruhige Nächte, aber auch weiterhin solche mit viel Gejohle", erzählt Hänni. Kürzlich habe ein junges Mädchen, das nicht im Lokal drinnen gewesen sei, vor dem Eingang einen Riesenlärm gemacht. Als der hauseigene Security-Mann das junge Mädchen auf Anraten Hännis beruhigen wollte, sei dieses nur noch lauter geworden. "Am nächsten Tag heisst es dann jeweils, das ‹Funkhouse› habe seine Gäste nicht im Griff", ärgert sich Hänni. Einige Kunden hätten ihr bereits gesagt, dass sie den Ausgang in der Innenstadt wegen der neuen restriktiven Politik generell meiden. "Es ist zwar ruhiger geworden, aber die Jugendlichen fühlen sich durch die Massnahmen auch provoziert und treten daher tendenziell aggressiver auf", meint Hänni.

 Neven Lanz, Besitzer des Nachtclubs "Saint Trop", teilt den Eindruck, dass sich die Situation rund um Nachtlärm und Vandalismus im letzten halben Jahr verbessert hat. "Es wurden ja auch einige lärmintensive Anlässe abgeschafft", gibt Lanz zu bedenken. Dass die Stadt die Massnahmen konsequent weiterführen will, begrüsst Lanz. Er meint aber auch: "Eine noch härtere Gangart wäre verfehlt. Sonst können wir bald einmal einen Stacheldraht um die Innenstadt ziehen."

 Gabriel Berger

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Am Ball bleiben!

Michael Gurtner

 Der Anfang ist gemacht. Die Stadt Thun schaut nicht weg: Wohnen, Arbeiten und Vergnügen sollen in der Innenstadt endlich wieder besser nebeneinander möglich sein - mit entsprechenden Massnahmen gegen Unverbesserliche, die im Ausgang keinerlei Rücksicht nehmen. Auch wenn die Idealsituation ewig Utopie bleiben dürfte: Stadt und Anwohner sind sich einig, dass die im Frühling präsentierten Massnahmen ihre Wirkung nicht verfehlen. Gegen Randalierer und Lärmer helfen halt gut gemeinte Plakate und Aufrufe wenig bis gar nichts. Zur Räson bringt sie leider allzu oft nur die verstärkte Präsenz von Polizei und Ordnungsdiensten. Auch der Einsatz von Videoüberwachung an neuralgischen Punkten dürfte eine präventive Wirkung haben -  und mithelfen, Übeltäter zu überführen. Und: Wer nichts auf dem Kerbholz hat, der muss von den Kameras auch nichts befürchten.

 Jetzt heisst es für alle Beteiligten: Am Ball bleiben! Die Massnahmen müssen aufrechterhalten werden, die Securitas-Leute das ganze Jahr über unterwegs sein, die Videokameras installiert und die Erfahrungen damit eingehend analysiert  werden.

 Im Übrigen haben es die Nachtschwärmer zu einem grossen Teil selber in der Hand, ob das Angebot für sie in der Innenstadt auf längere Sicht erhalten bleibt. Denn mit entsprechender Rücksichtnahme soll und muss es Platz für alle haben - egal, ob Anwohner, Geschäftstreibende oder Nachtschwärmer. Der Anfang ist gemacht.

 Michael Gurtner ist Redaktor.

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Bund 10.11.10

Polizeipräsenz zur Nachtzeit bringt mehr Ruhe in die Altstadt

 Für laute Nachtschwärmer sind in Thun andere Zeiten angebrochen.

 Mireille Guggenbühler

 Von Anfang April bis Ende Oktober hat sich die Kantonspolizei vermehrt präsent gezeigt in der Thuner Innenstadt. Während 60 Nächten und insgesamt 600 Stunden haben Polizeibeamte Präsenz markiert. Mit offensichtlichem Erfolg: Die erhöhte Polizeipräsenz habe zu einer Beruhigung der Situation in der Altstadt geführt. Das zumindest hat an der gestrigen Medienkonferenz Gemeinderat und Sicherheitsdirektor Peter Siegenthaler (SP) festgehalten. Es gibt laut Siegenthaler weniger Lärm, weniger Verunreinigungen, weniger Vandalismus. Die erhöhte Polizeipräsenz ist allerdings nur ein Teil eines ganzen Massnahmenpakets, das der Gemeinderat im Frühling dieses Jahres geschnürt hat. Nach sieben Monaten erfolgt nun die Auswertung. In diese einbezogen worden sind nebst der städtischen Sicherheitsabteilung und der Polizei unter anderem auch die Innenstadtgenossenschaft und der Altstadt-Stamm.

 Die Kantonspolizei hat ihre präventiven Präsenzeinsätze in der Innenstadt statistisch ausgewertet: Zwischen April und Oktober ist es zu 537 Vorfällen gekommen, bei denen die Polizei eingreifen musste. Dabei hat sie die nächtlichen Innenstadtbesucher mehrheitlich zur Ruhe mahnen und entsprechend verwarnen müssen - nämlich in 378 Fällen. Vergleichsweise bescheiden nehmen sich Ahndungen wegen Missachtung von Fahr- und Parkverboten, wegen Sachbeschädigungen, Urinieren, Erbrechen, unanständigem Benehmen, Fahren in angetrunkenem Zustand oder unter Drogen aus. Allerdings fehlen Vergleichszahlen zu den Vorjahren, weil die Polizei ihre Eingriffe erst ab diesem Jahr systematisch erfasst hat.

 Für die lauten und lustigen Nachtschwärmer weht in Thun seit dem Frühling aber nicht nur wegen der erhöhten Polizeipräsenz ein schärferer Wind. Wer sich nämlich in der Innenstadt nicht korrekt verhalten hat, musste zu einem Gespräch mit dem Gewerbeinspektor oder seiner Stellvertreterin antraben, sofern sein Name in den Rapporten der Sicherheitsdienste erschienen ist. 120 Gespräche wurden geführt. Dabei stellte Gewerbeinspektor Reto Keller fest, dass er es eigentlich mit "normalen Leuten zu tun hatte, die vor allem aufgrund von übermässigem Alkoholkonsum ausfällig geworden sind".

 Die Massnahmen sollen nun fortgeführt und, wo nötig, angepasst werden, wie es gestern hiess.

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 FC Thun

 Fast eine Million für den Fussball

 Für 3,6 Millionen Franken kauft die Stadt Thun zurzeit Polizeileistungen ein. Dabei gibt dem Sicherheitsdirektor zu denken, dass

 900 000 Franken davon alleine in die Sicherheit rund um den FC Thun flössen. Wie viel Geld die Stadt künftig in die Sicherheit der Altstadt stecken wird, dürfte deshalb auch davon abhängen, ob sich der Verteilschlüssel ändern wird. Nach den Krawallen der Fussballfans in Thun am Wochenende will die Stadt nämlich den Fussballklub stärker zur Kasse bitten: Sie verlangt ab 2011 höhere Beiträge an ihre Sicherheitskosten ("Bund" vom Dienstag). (gum)

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Blick am Abend 9.11.10

Hartes Thun hat Erfolg

 VANDALEN

 Die Stadt Thun hat in Sachen Nachtruhe die Schrauben angezogen.

 peter.pflugshaupt@ringier.ch

 Bern stinkt zum Himmel" titelte Blick am Abend gestern zum Thema Wildpinkeln in Bern.

 In der Stadt Thun ist das Problem hinlänglich bekannt. Nach zahlreichen Beschwerden gegen Lärm, Vandalismus und Verunreinigung durch Erbrochenes und Urin wurde im März ein Massnahmenpaket beschlossen und umgesetzt. Die Polizeipräsenz und die Patrouillen privater Sicherheitskräfte wurden insbesondere in der Innenstadt und am Wochenende massiv erhöht. Heute Morgen wurde eine erste Auswertung präsentiert.

 Die Statistik der Polizei erfasste seit März insgesamt 537 Vorfälle.

 Die meisten Fälle betrafen öffentliches Urinieren, Missachtung von Fahrverboten oder Störungen durch Lärmverursachung. Ein Vergleich ist nicht möglich, weil vorher keine Zahlen erfasst wurden.

 Doch das Resultat ist für alle Beteiligten befriedigend: Sowohl die Stadt, die Polizei und die beauftragten Sicherheitsfirmen wie auch Innenstadtgenossenschaft und Altstadt-Stamm stellen eine Beruhigung der Situation fest. Die Massnahmen sollen deshalb fortgeführt und wo nötig angepasst werden. Experten raten der Stadt, auf keinen Fall unter dieses Niveau zurückzukehren. Der Sicherheitsdirektor der Stadt Thun, Peter Siegenthaler (SP): "Die Ordnungsdienste sollen sogar noch ausgebaut werden und während des ganzen Jahres zum Einsatz kommen, sofern eine Finanzierung möglich ist."

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FREIRAUM SO
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Solothurner Zeitung 11.11.10

"Primär Leib und Leben schützen"

 Chaos-Party Die Solothurner Kantonspolizei wehrt sich abermals gegen Vorwürfe, bei der illegalen Party in der ehemaligen Vogt-Schild-Druckerei untätig gewesen zu sein. Sie rechtfertigt ihr Vorgehen als "verhältnismässig".

 "Chaoten verhaften kann unsere Polizei nicht. Parksünder büssen schon", solche SMS sind auf www.solothurnerzeitung.ch eingegangen. Hohn und Kritik an der Kantonspolizei reissen nicht ab.

 Empört sind nicht bloss Privatpersonen. Reagiert hat gestern Mittwoch auch die CVP/EVP/glp-Fraktion im Kantonsrat. Sie reichte im Rahmen der Session eine Interpellation ein, um zu erfahren, wie die Polizei bei überraschenden Einsätzen mit hohem Personalbedarf vorzugehen pflegt oder in Zukunft vorgehen will.

 Unterdessen wertet die Kantonspolizei die Spuren aus, um sich ein Bild von der möglichen Täterschaft zu machen. Gleichzeitig nimmt sie auch Stellung zur Frage, warum man den "Tatort" lediglich observierte, ohne ihn zu stürmen: "Betrachtet man die angerichtete Sachbeschädigung, ist die Frage durchaus berechtigt", sagt Andreas Mock vom Mediendienst der Kantonspolizei. "Die Polizei muss aber aufgrund der bekannten Fakten und der Erfahrung urteilen." Und die Faktenlage in besagter Nacht war tatsächlich dünn: Die Scheiben seien abgedunkelt gewesen, die Türen verriegelt. Über Sachbeschädigungen wusste man noch nichts.

 "Aufgrund eines ähnlichen Vorfalls und der Hinweise vor Ort war von einer längeren Besetzung auszugehen", fügt Mock an. So sei man zum Schluss gekommen, dass ein Eingriff aufgrund der vermuteten Straftat Hausfriedensbruch nicht verhältnismässig sei. "Das Risiko einer Gefährdung von Leib und Leben war sehr hoch", sagt er - unter anderem auch im Hinblick auf eine mögliche Massenpanik. Und da man von einer länger andauernden Hausbesetzung ausgegangen sei und nicht von einer "Party", sei man vom plötzlichen Abzug überrascht worden. So habe man entsprechend keine Personenkontrollen durchgeführt. Dazu wäre auch ein Grossaufgebot an Polizeikräften nötig gewesen. Und selbst die Einsatzkräfte vor Ort waren nach eigenen Angaben zeitweise mit anderen Einsätzen in der näheren Umgebung absorbiert. (ak)

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Grenchner Tagblatt 9.11.10

Die Suche nach den "Partychaoten" läuft

 Die illegale Party, die in der Nacht von Sonntag in der ehemaligen Druckerei Vogt-Schild erheblichen Sachschaden hinterlassen hat, ist im Fokus der Spurensicherung. Indes äussern sich Leser kritisch über die Untätigkeit der Ordnungshüter: Von der "Hanswurst-Polizei" ist die Rede, "die so lieb ist, 300 Partygäste feiern zu lassen". Die Kapo wehrt sich gegen solche Vorwürfe: Man sei vom Anlass überrascht worden und von daher kaum imstande gewesen, die nötigen personellen Ressourcen aufzubieten. Dass die "Partychaoten" allerdings den Tatort frühmorgens unregistriert verlassen konnten, hinterlässt grosse Fragezeichen. (ak)Seite 21

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Gegen die Polizei flogen auch Flaschen

 Illegale Party In der ehemaligen Vogt-Schild-Druckerei wurde die Spurensicherung aufgenommen

Andreas Kaufmann

 Die Polizeibeamten von der Spurensicherung bleiben mit ihren Stiefeln beinahe am Boden haften. Der Montag danach: Klebrige Erinnerungen, eingetrocknete Pfützen aus Landi-Bier und anderen Getränken, die an der illegalen Party in der Nacht auf Sonntag in den als Lager genutzten Räumen der ehemaligen Vogt-Schild-Druckerei ausgeschenkt wurden. Noch stärker haften bleibt das Bild der Verwüstung, das die "Partyorganisatoren" hier hinterlassen haben: Kreuz und quer verkeilte und havarierte Büromöbel, Schmierereien und ein Meer an Bierdosen. Die Asservate, die die Kantonspolizei nach und nach einsammelt, sind auf drei Stockwerken des Chaos verstreut.

 Durchdachtes "Eventmanagement"

 Einzelne Indizien deuten auf einen Restbestand an Knigge und Ordnungsliebe der Hausbesetzer hin: Preislisten der Getränke prangen an den Wänden und regelmässig sind Abfallsäcke montiert. Zur Party aufgerufen hatte ein breit gestreutes SMS. Im Einsatz waren Licht- und Soundanlage, ein DJ rundete den verbotenen Partyspass ab. Ob auch Bands auftraten, bleibt unklar. Auf einem Probenplan waren zumindest einige Namen aufgeführt: "Stoked", "Sam Kanalratte", "Topfchopf", "Monsanto Killers", "Baseball Bat Boogie Bastards" und "WAB". Letzter Name steht für "Wut auf Bonzen" und verweist auf einen Rapper aus Biberist. Kurzum: Von der Preisliste bis zum DJ ein durchdachtes "Eventmanagement" - abgesehen vom Unwillen, hinter sich wieder aufzuräumen.

 "Beobachten, nicht eingreifen"

 So seien am Samstag um 22 Uhr rund 20 Personen am Bahnhof gesichtet worden, anderthalb Stunden später habe die inzwischen auf rund 200 gewachsene Gruppe bereits die Vogt-Schild-Druckerei in Beschlag genommen: "Wir hatten lediglich die Anweisung, die Situation zu beobachten", so Bruno Gribi vom Kapo-Mediendienst. Es sei nicht klar gewesen, was sich im Gebäude abspielt und ob eine Genehmigung für die Versammlung vorliegt. Indes hatte man sich drinnen bereits seelisch auf ein Gefecht mit Ordnungshütern eingestimmt: Verschraubte Türen und andere Barrikaden sollten es der Polizei möglichst schwer machen, den Tatort zu stürmen. Die für die Liegenschaft zuständige Sicherheitsfirma berichtet auch von Flaschen, die gegen Polizeibeamte geworfen wurden und nicht zuletzt von einer aggressiven Haltung seitens Partyteilnehmer.

 Happige Vorwürfe der Untätigkeit

 Zu einer Stürmung ist es aber nicht gekommen. So mehrt sich auch die Kritik, beispielsweise in Form von SMS, die auf der az-Homepage eingegangen sind: "Die Kapo ist so lieb, über 300 Partygäste feiern zu lassen", oder "Chaoten verhaften kann unsere Polizei nicht". Doch diese lässt den Vorwurf der Untätigkeit nicht auf sich ruhen, wie Gribi ausführt: "Wir wussten lange nur vom Tatbestand des Hausfriedensbruchs, nicht aber von der Sachbeschädigung. Es wäre unverhältnismässig, nur deswegen einzugreifen. Was erreichen wir, wenn wir intervenieren und dann auf beiden Seiten Verletzte haben?" Darüber hinaus sei man vom Ausmass des Anlasses überrascht worden: "Da brauchte es 100 und mehr Polizisten", vor Ort waren aber lediglich einige wenige Patrouillen.

 In der Dämmerung entschlüpft

 Für Kopfschütteln sorgte, dass die Lage vor Ort nicht durchgehend polizeilich überwacht wurde. Deshalb nämlich konnten die Hausbesetzer die Gunst der richtigen Morgenstunde nutzen, um sich zu verdrücken - noch bevor die Kapo dazugekommen ist, Personalien der Beteiligten aufzunehmen. Somit bleibt auch unklar, wer zur Täterschaft zählt und zur mehr oder weniger unwissenden Partygemeinde. Dafür bearbeitet zurzeit ein Ermittlungsteam der Kapo den Fall, informierte Gribi. Nebst der Spurensicherung geht man dabei auch Hinweisen von Zeugen nach.

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 Täter: örtliche Autonome unbeteiligt?

 An der illegalen Party in der ehemaligen Vogt-Schild-Druckerei waren mitunter einzelne Plakate aufgehängt, auf denen für die in Solothurn angesagte Demo gegen die Ausschaffungsinitiative vom kommenden Donnerstag geworben wird. Diese und andere Indizien legen den Verdacht nahe, dass linksautonome Kreise zur Täterschaft zählen könnten. In den Reihen der örtlich aktiven Autonomen Freiraumbewegung (AFB) dementiert man allerdings, in irgendwelcher Weise in die Partyaktion involviert gewesen zu sein, so Robine Müller: "Die Autonome Freiraumbewegung hat weder mit der Organisation noch mit der Ausführung und Teilnahme dieser ‹Party› zu tun. Solch eine Aktion wäre kontraproduktiv für die AFB." Zudem habe man auch sonst keinerlei Kenntnisse über die mögliche Täterschaft. Die AFB hatte in vergangener Zeit mehrfach durch ihren Kampf für ein autonomes Jugendzentrum auf sich aufmerksam gemacht. (ak)

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Solothurner Zeitung 8.11.10

Zerstörerisches Partyvolk

 In der Nacht auf Sonntag sind mehrere hundert Personen in eine leer stehende Gewerbeliegenschaft an der Zuchwilerstrasse in Solothurn eingedrungen und haben dort eine illegale Party gefeiert. Im Gebäude der ehemaligen Vogt-Schild-Druckerei (heute Solothurner Zeitung AG) wurde damit massiver Sachschaden angerichtet. Die Täter, die gemäss Spuren dem linksautonomen Lager zugeordnet werden können, seien planmässig vorgegangen. So wurden zuvor Zugänge vernagelt oder verbarrikadiert, um der Polizei den Zutritt ins Gebäude zu verunmöglichen. Laut Peter Buri von der Unternehmensleitung der az Medien-Gruppe wurde Anzeige erstattet. Der Sachschaden betrage mehrere zehntausend Franken. (at.) Seite 29, Kommentar rechts

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Illegale Party verwüstete leer stehende Druckerei

 Solothurn Mehrere hundert Chaoten "feierten" in der Nacht auf Sonntag im Areal der ehemaligen Vogt-Schild

Andreas Toggweiler

 In der Nacht von Samstag auf Sonntag haben unbekannte Chaoten in der leer stehenden Liegenschaft der ehemaligen Druckerei Vogt-Schild in Solothurn eine illegale Party veranstaltet. Dabei wurde das mehrstöckige Gebäude stark beschädigt.

 "Die Sachbeschädigungen betragen mehrere zehntausend Franken", erklärte Peter Buri, Mitglied der Unternehmensleitung der az Medien-Gruppe, nach einem persönlichen Augenschein gestern Sonntag. Die im Erdgeschoss gelagerten Büromöbel wurden grösstenteils beschädigt oder als Barrikadenmaterial verwendet. Die Toilettenanlagen seien weitgehend verwüstet worden. "Mit Feuerlöschern und anderem schweren Material wurden Scheiben und Glastüren eingeschlagen. Viele Wände sind mit politischen Parolen oder pornografischen Sprüchen versprayt", stellte Buri fest.

 Mehrere hundert Personen

 Die illegale Party begann offenbar am Samstagabend gegen 22 Uhr. Die Polizei wurde von Nachbarn wegen Nachtruhestörung gerufen, konnte jedoch wegen der grossen Menge von Leuten - Buri schätzt bis zu 300 - nicht eingreifen. Auch sei die Stimmung sehr aggressiv gewesen. Die Polizei habe empfohlen, angesichts der Menge der Eindringlinge auf eine Zwangsräumung zu verzichten und den Morgen abzuwarten. Am Lokaltermin mit dem Pikettoffizier um 8.30 Uhr sei aber das Gebäude bereits wieder geräumt gewesen.

 Laut Buri ist davon auszugehen, dass die Aktion von langer Hand geplant wurde. Erste Erkenntnisse liessen darauf schliessen, dass ein "Stosstrupp" über die Feuerleiter aufs Dach gelangte und von dort ins Innere des Gebäudes. Das Gros der "Partygäste" drang dann durch die Waren- und Noteingänge ins Gebäude ein. "Zumindest einzelne müssen über Kenntnisse über das Innere des Gebäudes verfügt haben", vermutet Buri. So seien Zugänge planmässig gesperrt bzw. aufgebrochen worden. "Offenbar um die Menge zu kanalisieren, aber auch mögliche Polizeiaktionen zu erschweren."

 Linksautonome Szene?

 Aufgrund der Spuren wie politischer Plakate und Sprayereien seien die Täter vermutlich der linksautonomen Szene zuzuordnen. Im Verlaufe der Nacht seien auch mehrere Feuerwehralarme ausgelöst worden. Aufgrund der massiven Sachbeschädigungen wurde beschlossen, die Spurensicherung aufzubieten. "Ich habe vor Ort eine Strafanzeige unterschrieben", sagt Buri.

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 Täterschaft noch offen

 Laut Angaben des Mediendienstes der Kantonspolizei Solothurn konnten die Organisatoren der zerstörerischen Party bis gestern Abend noch nicht dingfest gemacht werden. Die Polizei bestätigt, dass mehrere hundert Personen beteiligt waren, auch solche, die vorher im Kofmehl gefeiert hätten und danach zur illegalen Sause gewechselt haben. Ob die Party von langer Hand vorbereitet worden sei, lasse sich nicht mit Bestimmtheit sagen, hiess es zu Vermutungen der Liegenschaftseigentümer. Laut Polizeisprecher Bruno Gribi war die Polizei gestern noch mit der Spurensicherung beschäftigt. Auch wurde ein Zeugenaufruf erlassen. (Tel. 032 627 71 11). (at.)

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Kommentar

 Erschreckend

Theodor Eckert

 Von Montag bis Freitag brav und angepasst, in starren Strukturen zuweilen drangsaliert, lassen sie am Wochenende als Quadrat-Asoziale die Sau raus. Anders kann man es nicht sagen, es wäre beschönigend. Was im ehemaligen Druckereigebäude an der Zuchwilerstrasse in Solothurn in der Nacht auf Sonntag abgegangen ist, kann man sich nur schwer vorstellen. Das Ergebnis muss man ganz einfach gesehen haben: Es ist das nackte Chaos. Erschaudern lassen dabei nicht die zurückgelassen unzähligen Bierdosen und Mageninhalte. Nein, es ist das Zerstörungspotenzial, das unterdrückte Seelen, freigelegt von Musik, Alkohol und weiteren Drogen, in sich tragen. Was nicht vor Ort kurz und klein geschlagen wurde, flog kurzerhand das Treppenhaus hinunter - auch auf diesen Möbeln wird niemand mehr arbeiten können (vielleicht war dies ja der tiefere Beweggrund der "Schlacht": keine Bürotische für das Proletariat).

 Wir haben es hier nicht mit einer Sponti-Party von überdrehten Einzelpersonen zu tun. Das war ein sorgfältig geplanter Massenevent, der letztlich als Saubannerzug endete.

 Die ungebetenen Gäste haben auf verbotenem Terrain die denkbar schlechteste Visitenkarte hinterlassen. Dass junge Menschen Freiräume suchen und diese auch schon mal bei Gemeinden oder Privaten einfordern, ist nicht neu. Dabei stossen sie längst nicht überall auf Verständnislosigkeit. Etliche positive Projekte sind daraus hervorgegangen. Ausraster wie am Wochenende jedoch haben keine Zukunft. Wer derart rücksichtslos und gleichgültig mit materiellen Werten Dritter umgeht, dürfte auch eine herabgesetzte Hemmschwelle gegenüber Mitmenschen haben. Und das ist definitiv nicht tolerierbar.

 theodor.eckert@azmedien.ch

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SQUAT FR
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Freiburger Nachrichten 11.11.10

Kontakte mit Boxal-Besetzern

 Nach der Räumung des Gebäudes im Boxal-Areal hat der Oberamtmann mit den Besetzern gesprochen.

 Freiburg Zum dritten Mal innerhalb weniger Wochen hat die Polizei am Dienstagabend ein besetztes Gebäude in der Stadt Freiburg geräumt (FN vom Mittwoch). Die Räumung des Gebäudes im Espace Boxal war auf Anordnung von Oberamtmann Carl-Alex Ridoré erfolgt, nachdem das Kantonsgericht vergangene Woche festgehalten hatte, dies sei seine Sache. Er habe am Mittwochnachmittag Gelegenheit gehabt, persönlich mit den Besetzern zu sprechen, sagte Ridoré gegenüber den FN. Dabei habe er erneut seine Bereitschaft signalisiert, sich mit einer Delegation aus ihren Reihen zu treffen und über ihre Forderungen zu diskutieren.

 Die 19 Besetzerinnen und Besetzer hätten Barrikaden errichtet, während der Räumung aber nur passiven Widerstand geleistet, hielt die Polizei am Mittwoch in einer Medienmitteilung fest. Verletzte habe es keine gegeben. Die Besetzer wurden noch in der Nacht auf dem Polizeiposten befragt und dann nach Hause entlassen. Nur einer sei vorübergehend in Polizeigewahrsam genommen worden, präzisierte Polizeisprecher Benoît Dumas auf Anfrage.

 Die Besitzerin des Gebäudes, die Metallwerke Refonda AG, hat gegen die Besetzer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs eingereicht. cs

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La Liberté 11.11.10

Raie Manta se plaint de violences, le préfet et la police justifient l'action

 Fribourg ● Alors que les squatters de l'espace Boxal se plaignent de la manière dont ils ont été expulsés, le préfet affirme que la sécurité imposait l'évacuation.

 Antoine Rüf

 Hier, après l'évacuation du squat de l'espace Boxal, la satisfaction était de mise du côté de la police. Son porte-parole Benoît Dumas annonçait que, vers minuit, 18 des 19 squatters interpellés avaient été relâchés. Seule a été placée en garde à vue une occupante, "qui manifestait une certaine agressivité et refusait de coopérer".

 Il souligne que les squatters de Raie Manta n'ont opposé qu'une résistance passive, à l'exception d'un extincteur vidé sur les premiers agents à intervenir (un reproche que les squatters rejettent avec indignation, parlant de "manipulation policière destinée à les discréditer"). "La police a tout entrepris pour éviter les débordements et les fuites", indique le porte-parole. Cela impliquait une opération d'envergure dont le Groupe d'intervention a été le fer de lance. "Nous avons utilisé des moyens adaptés", traduit Benoît Dumas.

 Issues murées

 La police s'affairait hier à trier les affaires des squatters. Ils seront invités à les récupérer. Elle devait commencer hier soir à faire murer les issues.

 Hier, le préfet de la Sarine Carl-Alex Ridoré a justifié l'évacuation de Raie Manta avant tout par un motif de sécurité. Le site est en effet contaminé par des résidus de solvants, de l'amiante, et pose des problèmes de sécurité incendie.

 Quelques locataires ont obtenu du préfet quinze mois de délai avant de devoir plier bagages. En raison de procédures judiciaires en cours, leur départ est suspendu pour une durée indéterminée. Du coup, la hâte mise à évacuer le squat paraît incompréhensible. En tout cas aux occupants.

 Le gros problème de sécurité, à l'espace Boxal, était le risque incendie. "Avant d'autoriser une prolongation du séjour des locataires, j'avais exigé des travaux du propriétaire. Il les a exécutés. Cela a permis la prolongation, valable uniquement pour les locaux loués, dans un raisonnement juridique mettant en balance l'intérêt privé des locataires à obtenir un sursis pour trouver de nouveaux locaux et le risque pour leur sécurité, atténué par ces travaux."

 Une rose pour Carl-Alex

 "La situation n'est pas la même pour les squatters. D'une part, leur intervention et les travaux qu'ils ont fait dans les locaux en se barricadant, ont augmenté le danger d'incendie en contrecarrant les mesures prises par le propriétaire. D'autre part ils n'ont pas d'intérêt légitime à l'occupation des lieux, puisque leur présence ne repose sur aucune base juridique."

 La balance des intérêts leur étant défavorable, il fallait les évacuer. D'autant que leur activité annoncée, notamment les concerts, risquaient d'entraîner une affluence massive de gens de l'extérieur. Le risque de trouble à l'ordre public entraîné par le squat a-t-il joué un rôle dans la décision du préfet? "J'avais suffisamment de motifs pour ordonner l'expulsion sans devoir examiner cette question", élude M. Ridoré.

 Hier en début d'après-midi, la dizaine de membres du collectif a tenté d'obtenir un entretien avec lui et lui ont offert une rose. Le préfet n'acceptant de discuter qu'avec une délégation de deux ou trois personnes, et le collectif refusant toute représentation, le dialogue a tourné court.

Raie Manta est ensuite venu à la rédaction de "La Liberté", se plaindre de l'attitude du préfet et de la police, qu'ils estiment inutilement brutale.

 "Des artistes engagés"

 "On s'attendait à un dialogue et à un délai d'évacuation. Nous avons été pris par surprise." Johnny* se plaint de la force utilisée pour leur interpellation. "Notre résistance passive a donné lieu à une réaction pas du tout passive, sans sommation." Menottes, clés de bras, portages. Avec à la clé pas mal de bleus, d'écorchures. Et même pour lui une fracture sans déplacement d'un os de la main et des lunettes cassées.

 Les Raie Manta parlent d'"acharnement", de "volonté d'humilier". "On nous traite comme des terroristes pour nous faire passer pour des gens dangereux, alors que nous sommes des artistes engagés." L'argumentation du préfet? "C'est de l'hypocrisie. Le fond c'est qu'il ne veut pas de squat à Fribourg", clame Cynthia*. "On essaye de créer un espace artistique dans un bâtiment voué à la destruction. Eux, ils veulent nous écraser dans le moule", reprend Victor*. Quant à Dominique*, les bras lui en tombent. D'ailleurs les douleurs liées à son interpellation l'empêchent de les lever au ciel.

 "Nous avons dû utiliser la force, parce qu'ils n'étaient pas coopératifs et faisaient de la résistance passive. Nos hommes avaient la mission d'évacuer ces gens, ils ont fait un usage proportionné et adapté aux circonstances de la force", commente Benoît Dumas. I

 *Prénoms d'emprunt.

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Les squatteurs s'invitent sur scène

 Le collectif Raie Menta n'est pas le seul à squatter dans le canton de Fribourg. La troupe des Jouvenscènes à La Joux (photo vincent murith) s'y met aussi. Dès samedi et jusqu'à la fin du mois, les six jeunes comédiens amateurs présentent "Le squat", une comédie de Jean-Marie Chervet, qui a notamment collaboré avec le duo comique Les vamps. La pièce écrite en 2000 est une histoire de conflit de générations sur fond de différence sociale. La trame? Dans un appartement bourgeois parisien, un couple marginal occupe sans droit la chambre de bonne. Les deux amoureux se croient tranquilles jusqu'au mois de mai.

 C'est sans compter sur les deux sœurs Figeac, propriétaires du logement, qui débarquent à l'improviste. S'ensuit un choc entre deux mondes que tout oppose. TB

 > Sa 20 h 15 La Joux

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20 Minuten 11.11.10

Boxal polizeilich geräumt

 FREIBURG. Berstende Scheiben, viel Geschrei und ein Polizeikommando, das die Barrikaden schleifte: Mit einer Räumungsaktion endete in der Nacht auf gestern die Besetzung des Espace Boxal im Zentrum von Freiburg. Seit zwei Wochen hatten sich Studenten, Künstler und Politaktivisten im ehemaligen Industriegebäude verschanzt. Insgesamt 19 Besetzer im Alter zwischen 21 und 31 Jahren wurden ohne gravierende Verletzungen abgeführt. Die meisten von ihnen erwiesen sich als alte Bekannte der Behörden: Die Freiburger Aktivisten hatten in den letzten Wochen bereits zwei andere Häuser besetzt. Sie müssen mit einer Anklage wegen Hausfriedensbruchs rechnen.

 Laut Polizeisprecher Benoît Dumas erfolgte die Räumung auch im Interesse der Sicherheit der Besetzer: "Das Gebäude ist durch Asbest und Lösungsmittel verseucht."  MAr

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Indymedia 10.11.10

To Bee Squat in Freiburg (CH) geräumt ::

AutorIn : mantas         

Am Abend des 9. November, um 20.00, stürmte das Sondereinsatzkommando der Freiburger Kantonspolizei den To Bee Squat am Passage de Cardinal 2. Es gab weder Vorwarnung noch Ultimatum, das erste was wir seit zwei Wochen von den Autoritäten zu hören bekamen war das Zerschmettern der Scheiben, das Zerbersten der Barrikaden, die Schreie der verschwitzten, bis zu den Zähnen bewaffneten Krieger der herrschenden Ordnung.

Neunzehn Mantas, unzählige Bullen

Ein Blick in das besetzte Atlantis nach Zürich reicht, um die Verhältnismässigkeit der Freiburger Polizei als kleinstädtischen Wahnsinn zu entlarven. Doch wir wollen uns nicht darauf fokussieren, denn dieser Argumentationsstrang ist nicht der unsrige. Auch wollen wir uns nicht auf die in den Medien verschwiegene Gewaltanwendung der Polizei einschiessen, die neben den Folgen von zu engen Plastikfesseln zu Schürfwunden, Kopfverletzungen, zum Abreissen einer Insulinpumpe, zu innerlichen Blutergüssen und zermalmten Brillen führte. Mindestens eine Person wurde ins Spital eingeliefert.

Doch vergessen wir brennenden die Fesseln der freien Gesellschaft, in der nur jene frei sind, die den pervertierten Begriff der Freiheit verinnerlicht haben. Vergessen wir die Floskeln einer heuchlerischen Marionette wie Carl-Alex Ridoré, die sich über fehlende Dialogbereitschaft auslässt, obwohl er und seine Vorgänger, all jene ,welche den Dialog gesucht haben, an der Nase herumgeführt und belogen haben. Der espace Boxal gehört zu den Immobilien wie der Commanderie und der Vannerie, die im Zuge der Gentrifizierung Fribourgs den Kulturschaffenden ersatzlos gestrichen wurden. Dank dem fehlenden Bewusstsein der Betrogenen und dem Wohlwollen der Bürgerlichen kann sich der Obama Freiburgs vielleicht schon bald auf einen Hausfriedensnobelpreis freuen!

Auf ein nächstes!

Wir werden die letzten zwei Wochen nie vergessen. Es ist uns gelungen auf der Basis von Kooperation und gemeinsamer Hilfe ein Haus wiederzubeleben und darüber hinaus ein Raum für Begegnungen zu schaffen, der in Fribourg seinesgleichen sucht. Wir haben gezeigt, dass ein akutes Bedürfnis nach einem solchen Raum besteht:

In den letzten zwei Wochen konnten neun Bands und viele DJs das Haus bis in die Morgenstunden mit - auch für uns unerwartet - vielen Gästen füllen. Wir haben Filmabende veranstaltet, einen Infoladen betrieben und Künstlern den Freiraum geboten, den sie brauchen. Wir hatten keine Probleme mit Gewalt und Ausgrenzung.

Alle 19 Verhafteten sind wieder auf freiem Fuss.

Danke an alle die uns unterstützt haben!

Kollektiv Raie Manta, 10. November 2010

 raiemanta@riseup.net www.manta.ch.gg

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La Liberté 10.11.10

La police évacue les squatters de Boxal

 Fait-divers ● Hier soir à 20 h, la police a investi l'espace Boxal pour en déloger les activistes du collectif Raie Manta, sur ordre du préfet Carl-Alex Ridoré. Dix-neuf squatters, solidement retranchés, ont été évacués.

 Samuel Jordan

 Le squat de l'espace Boxal est aujourd'hui de l'histoire ancienne. Hier soir, sur les coups de 20 heures, les forces de l'ordre fribourgeoises ont donné l'assaut - comme on dit dans le jargon policier - de l'endroit. Ou plutôt du camp retranché. Car les squatters avaient soigneusement bloqué les différentes entrées, avec force matériel de chantier - étais, planches et toute sorte d'autres matériels introduits sur les lieux depuis l'occupation le 27 octobre dernier. Un véritable capharnaüm. L'ordre d'évacuation a été donné par le préfet de la Sarine, Carl-Alex Ridoré.

 "Nous avons investi les lieux par plusieurs endroits simultanément. Nous avons dû employer des béliers pour enfoncer les portes qui avaient été minutieusement renforcées et les barricades qui avaient été créées", explique Pierre Schuwey, commandant de la gendarmerie fribourgeoise, en montrant un exemple, quelques minutes après la fin de l'opération. En l'occurrence une porte "customisée" avec de grosses planches et des clous longs comme des jours sans pain.

 Dix-neuf squatters évacués

 Au total, 19 personnes, dont trois quarts d'hommes et un quart de femmes ont été appréhendés et évacués par la police. Leur âge? Entre 21 et 31 ans. Ils ont été emmenés en garde à vue au poste de police de Granges-Paccot pour y être indentifiés et interrogés. "S'ils coopèrent, ils devraient être relâchés rapidement", expliquait hier Benoît Dumas, porte-parole de la police fribourgeoise. A l'heure où nous bouclions cette édition (hier à minuit), huit squatters avaient déjà été relâchés.

 Selon le porte-parole, l'opération - de grande envergure, plusieurs dizaines de policiers étaient mobilisés selon nos estimations - s'est déroulée sans grands heurts. Pas de violences physique à déplorer, si ce n'est quelques mots peu doux proférés à l'égard des forces de l'ordre. "Les squatters ont fait de la résistance passive, il a fallu les porter jusqu'aux véhicules", précise Benoît Dumas.

 Une version des faits contestée plus tard par certains squatters: "Des membres du collectif se sont couchés par terre. Ils ont été évacués de force, sans ménagement, au mépris de leur intégrité physique. Quelques-uns ont été blessés dans l'opération".

 Au chat et à la souris

 Apparemment, les pandores ont dû jouer au chat et à la souris avec les squatters, disséminés dans l'édifice labyrinthique. "Certains d'entre eux ont même tenté de se réfugier sur les toits", explique Pierre Schuwey.

 Au total, l'opération de police a duré un peu plus de 90 minutes. Les 19 membres du collectif Raie Manta ont été évacués par petites grappes dans une demi-douzaine de paniers à salade. Le premier véhicule à 20 h 45, le dernier une heure plus tard. Sous les quolibets d'une quinzaine de sympathisants à la cause, accourus devant l'entrée bouclée d'Espace Boxal.

 "C'est triste d'en arriver là, déplorable. Cette occupation était légitime, car il n'y a plus à Fribourg de lieu alternatif ou la jeunesse peut s'exprimer", s'emportait hier un jeune homme, en voyant passer sous ses yeux un fourgon de police.

 Action de nuit réfléchie

 C'est vendredi déjà que le préfet de la Sarine a ordonné l'évacuation. Pour des motifs de sécurité, selon nos informations. A savoir pour prévenir des risques d'incendie, et pour des problèmes de salubrité liés à la présence d'amiante et de vapeurs de solvants dans les locaux.

 Au contraire des évacuations récentes d'immeubles à la route Neuve et à la route de l'Industrie à Fribourg ("La Liberté" du 13 octobre et du 30 septembre), l'ordre d'évacuation des squatters n'a, cette fois, pas été notifié aux intéressés. "Nous avons jugé, vu les circonstances, qu'il était préférable d'agir ainsi", justifie Benoît Dumas. Une manière de faire de loin pas partagée par l'un des sympathisants présents sur les lieux: "Faire irruption de la sorte en pleine nuit sans crier gare est une atteinte sans borne au principe de proportionnalité, c'est de la provocation." Au fait, pourquoi être intervenu seulement trois jours après l'ordre de la préfecture, et la nuit tombée de surcroît? "Pourquoi pas? Cela fait partie de la tactique", répond le porte-parole de la police.

 Sanctuaire de graffitis

 A 22 h, nous pouvons enfin pénétrer dans les lieux vidés de leurs occupants et bouclés par un cordon de sécurité. Le calme règne. L'endroit est un véritable chantier, jonché d'objets de toutes sortes: matériel audio, matelas, cargaison de bière, nourriture, et même des jeux et des bouquins. La preuve que les squatters étaient résolus à s'installer durablement.

 Quelque chose attire particulièrement l'attention: les innombrables graffitis et tags, plus ou moins réussis qui tapissent chaque centimètre carré des murs des nombreux étages de l'édifice. A croire qu'une armée d'artistes plus ou moins doués s'est défoulée sur les lieux pendant plusieurs années. "Quand les lois sont injustes, l'obéissance est un crime." C'est la teneur de l'un des graffitis de circonstance lu sur place. Comme quoi, parfois, les squatters s'envolent, mais les écrits restent. I

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St. Galler Tagblatt 10.11.10

Alternatives Wohnen

 Unter Hausbesetzern

 Die Besetzer des Zürcher Hotels Atlantis haben kapituliert und das Haus gestern Morgen geräumt. Der Besitzer hatte zuvor Strafanzeige eingereicht, worauf die Polizei den Besetzern ein Ultimatum stellte. Hausbesetzungen sind in Städten eine beliebte Form, gegen überteuerten Wohnraum und die latente Wohnungsnot zu protestieren. In Fribourg besetzt das Kollektiv "Raie Manta, Riesenmanta" bestehend aus Studenten, Arbeitern, Künstlern und Musikern seit zwei Wochen einen leerstehenden Gebäudekomplex. "Bei Hausbesetzungen geht es auch um alternative Wohnformen, um alternatives Zusammenleben und um den Erhalt von Liegenschaften", sagt ein ehemalige Zürcher Aktivist im Interview. (red.) zoom 18

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Herbst der Häuserkämpfer

Besetzer Seit gestern ist die Besetzung des Hotels Atlantis in Zürich Geschichte. In Fribourg ist der Kampf jedoch noch nicht ausgestanden - wie ein Hausbesuch bei Besetzern zeigt.

 Leandro Borasio

 Die Eingangspforte ist mit Holzplatten zugenagelt und mit schweren Eisenstangen gesichert. Nur das frische Graffiti "We are here" an der grauen Wand zeugt vom neu erwachten Leben auf dem Boxal-Areal in Fribourg.

 Es wird seit geraumer Zeit nicht mehr genutzt, da die Behörden an der Sicherheit im Falle eines Brandes zweifeln. Zuvor hatten sich hier Künstler, Architekten, Bäcker und eine Behindertenwerkstatt eingemietet. Nun gammelt das ehemalige Industriegebiet vor sich hin - zumindest bis Anfang November. Jetzt hat sich ein Riesenmanta hinter den Betonmauern verschanzt. "Raie Manta", Riesenmanta, so nennt sich das Kollektiv, welches das Haus besetzt hat.

 Die rechtmässige Eigentümerin, die Refonda AG aus Niederglatt, hat beim kantonalen Verwaltungsgericht Freiburg Klage eingereicht, um die sofortige Räumung zu erwirken. Am 4. November entschied die Jurisprudenz, dass sie nicht zuständig sei. Somit leben die Riesenmantas seit zwei Wochen unbehelligt, aber illegal auf privatem Grund.

 "Geschlossene Gesellschaft"

 Der Zugang zu den oberen Stockwerken erfolgt nur über einen Lift. Er wird jeweils mit einem schweren Holzblock von oben blockiert, um ungebetene Gäste fernzuhalten. "Huis Clos" - geschlossene Gesellschaft, eine Anlehnung an Sartre? Dennoch scheint es sich hier nicht um die Hölle zu handeln, ausser Satan hat ein Faible für Graffiti und Neonlampen. Im neu eingerichteten Blog der "Raie Manta" heisst es: "Wir wollen ein herrschaftskritisches Miteinander erreichen und dem ewigen Konkurrenzdenken das Teilen von Fähigkeiten und Wissen entgegenstellen. Wir wollen nicht nur reagieren, sondern in die Offensive gehen." Es klingt nach Auszügen des SP-Parteiprogrammes, nach Sozi-Romantik hinter verbarrikadierten Türen.

 Zu schön für Alternatives?

 Hinter den verbarrikadierten Türen trifft man auf friedliche Menschen. Arbeiter, Künstler, Musiker und Studenten. "Wir wollen ein Zeichen setzen und auf unsere Anliegen aufmerksam machen", sagten sie. Sie würden kulturellen Freiraum und einen Treffpunkt für Kreative fordern. Auch von einer Volksküche und einem Gemeinschaftsgarten träumen sie. Auf die Frage, wie es zum Namen "Raie Manta" gekommen sei, gibt es keine klare Antwort. Es seien viele Namen besprochen worden und der Entscheid im Suff gefallen.

 Sympathisanten hat das Kollektiv auch ausserhalb des besetzten Gebäudes. Der Freiburger Musiker Gustav schreibt: "Ich kann verstehen, dass der Kanton ein 300 Tage im Jahr leerstehendes Sitzungszimmer daraus machen will. Das Parkett ist schon sehr schön und die Aussicht auch […], da haben Kulturschaffende keinen Platz, die gehören in die Keller, in die Höhlen, dort, wo sie niemand hört und niemand sieht."

 Bereits die dritte Hausbesetzung

 Der Stadt Freiburg ist das besetzte Boxal-Areal ein Dorn im Auge. Man verstehe die Ansichten des Kollektivs, nur sei die Art und Weise, wie es handle, unverhältnismässig. Der Ball liegt bei Oberamtmann Carl-Alex Ridoré, dem "Obama Fribourgs", wie die NZZ titelte. Im nächsten Jahr sind Wahlen, es wird sich zeigen, wie sich der SP-Mann positioniert. Etwas muss er tun. Dies ist schon die dritte Hausbesetzung des Kollektivs innerhalb kurzer Zeit. Die vorherigen zwei wurden mit rigorosem Polizeieinsatz geräumt. Die "Raie Manta" hoffen darauf, noch bis Ende Jahr im Boxal wohnen zu können. "Was wir anstreben, ist kein Traum, es ist ein mögliches Ideal - aufgeben können wir nicht", schreiben sie im Blog.

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 Hotel Atlantis: Besetzer gehen, Studenten kommen

 Während in Fribourg noch alles offen ist, haben die Zürcher Besetzer des Hotels Atlantis am Montagabend ihre letzte Party gefeiert - und haben danach die Räume verlassen.

 Vor zweieinhalb Wochen hatten mehrere Personen das leerstehende 150-Zimmer-Hotel am Fusse des Üetlibergs besetzt. Unter dem Decknamen "Familie Donovan" forderten sie Raum für kulturelle und soziale Projekte und begannen schon kurz darauf Veranstaltungen im Hotel zu organisieren, einzelne Räume umzugestalten und nach alternativen Nutzungsmöglichkeiten zu suchen. Dies ungeachtet dessen, das der aktuelle Mieter des "Atlantis" Werner Hoffmann im Hotel in einer Übergangszeit günstigen Wohnraum für Studierende und Lehrlinge anbieten möchte.

 Vor einer Woche hat er mit der "Pinselrenovation" des Nordtrakts begonnen, während sich im Westtrakt die Aktivisten verschanzten. Den Besetzern bot Hoffmann einen Saal zur Nutzung an sowie Zimmer zum Mieten. Die Aktivisten fanden aber, ihre Projekte liessen sich nicht in diesem Rahmen realisieren. Nachdem die Verhandlungen mit dem Mieter gescheitert waren, reichte dieser Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch ein. Die Frist für die Besetzer ist gestern Morgen abgelaufen.

 Als die Stadtpolizei danach eine erste Kontrolle durchführte, war das Gebäude bereits leer. Die Hausbesetzer haben die Liegenschaft nach Polizeiangaben in einem ordentlichen Zustand zurückgelassen.

 Das Ende 1970 erbaute Hotel unweit des Triemlispitals war eines der ersten modernen Fünf-Sterne-Hotels in der Stadt Zürich. Ende 2004 wurde es geschlossen. Bereits diesen Samstag sollen die ersten Studenten in die Zimmer einziehen können. (kaf)

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Freiburger Nachrichten 6.11.06

Ridoré: "Neue Bedürfnisse im Kulturbereich"

 Freiburg Mit wiederholten Besetzungen fordert das Kollektiv Raie-Manta mehr kulturellen Freiraum in der Stadt. "In den vergangenen Jahren konnten nicht alle Probleme gelöst werden", nimmt Carl-Alex Ridoré, Oberamtmann des Saanebezirks, in einem Interview Stellung. Er betont aber auch, dass sich mit der Schaffung von neuen Infrastrukturen - dem "Nuithonie" und dem "Equilibre" - sowie der Stärkung bestehender Einrichtungen viel im Kulturbereich getan habe. Nun müsse man neue Bedürfnisse berücksichtigen. cf

 Interview Seite 5

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"Kann keine Sofort-Lösung zaubern"

 Die regionale Kulturpolitik der Coriolis habe die kulturellen Einrichtungen im Kanton vielseitig unterstützt, ist Carl-Alex Ridoré, Oberamtmann des Saanebezirks, überzeugt. Jetzt sei es nötig, die Prioritäten neu zu definieren.

 Carolin Foehr

 Das Besetzer-Kollektiv Raie-Manta bringt mit seinen Aktionen die seit Jahren schwelende Frage nach mehr Raum für Kulturschaffende wieder auf den Tisch (siehe FN vom Donnerstag). Carl-Alex Ridoré, Oberamtmann des Saanebezirks und Präsident des Gemeindeverbandes Coriolis, nahm im Gespräch mit den FN Stellung - kurz bevor das Kollektiv zum dritten Mal ein leerstehendes Gebäude besetzte.

 Herr Ridoré, wie ernst schätzen Sie das Problem "kulturelle Infrastrukturen" in der Region ein?

 In den letzten Jahren hat sich die Kulturpolitik nicht nur für neue Infrastrukturen eingesetzt, sondern auch die bestehenden gestärkt: La Spirale, das Osses-Theater, Fri-Son oder der Alte Bahnhof - sie alle wurden finanziell unterstützt. Aber es stimmt, dass nicht für alle Probleme Lösungen gefunden werden konnten. Vom Platzmangel sind ja nicht nur die kulturell Schaffenden, sondern beispielsweise auch Handwerker und soziale Einrichtungen betroffen.

 Was muss passieren, damit mehr Lokalitäten zur Verfügung stehen?

 Zum einen müssen sich die Personen selbst darüber im Klaren sein, was sie wollen. Das heisst, ein Konzept auf die Beine stellen, die nötigen Recherchen angehen und so weiter. Natürlich braucht es auch private Vermieter, die bereit sind, Gebäude an Künstler oder Vereine zu vermieten. Mir liegt es am Herzen, die nötige Koordination zwischen den betroffenen Personen herzustellen und manchmal auch zu beeinflussen. Aber eine Sofort-Lösung kann auch ich nicht herbeizaubern.

 In anderen Schweizer Städten geben die Behörden den Kulturschaffenden in diesem Bereich mehr Hilfestellung. Warum nicht in Freiburg?

 Zurzeit stelle ich fest, dass im Kanton keine Übereinstimmung darüber besteht, wer dafür zuständig wäre, konkret zu unterstützen - auch weil sich im kulturellen Bereich die Grenzen zwischen Professionellen und Laien, zwischen Produzenten und Anbietern immer mehr verwischen. Zwischen den Privaten, den Gemeinden und dem Kanton müssen die Rollen und Zuständigkeiten vielleicht neu verteilt werden. Das braucht seine Zeit. Auch die Prioritäten der regionalen Kulturpolitik müssen neu gesetzt werden.

 Inwiefern?

 Vor zwanzig Jahren waren die Bedürfnisse klar: Die Gemeinden forderten ein Gastspielhaus und einen Konzertsaal. Mit dem "Equilibre" und dem "Nuithonie" haben wir diese Wünsche umgesetzt. Jetzt können und müssen die verantwortlichen Behörden neue Bedürfnisse berücksichtigen. Eines scheint die Bereitstellung von Ateliers zu sein. Die Initianten des "Hauses der Künstler" sind ein gutes Beispiel dafür. Sie standen im Sommer kurz vor einer Lösung des Platzproblems. Leider hat es im letzten Moment doch nicht geklappt.

 Gehört ein Platz für alternative Kultur, wie es das Kollektiv Raie-Manta fordert, nicht zu den Bedürfnissen?

 Nehmen Sie das Beispiel des Fri-Son. Vor 25 Jahren war es der Inbegriff der alternativen Szene. Aber wir hatten und haben noch immer regelmässig Kontakt zu den Verantwortlichen. Noch Anfang 2010 ging es um die Verschönerung der Fassade durch Graffiti. Wir haben darüber gesprochen und sie konnten das Konzept umsetzen. Der Dialog ist das A und O.

 Den sucht Raie-Manta nicht?

 Ich habe ihnen mehrmals ein Gespräch vorgeschlagen: Wenn sie ein konkretes Projekt haben, stehe ich gern zur Verfügung. Aber illegale Hausbesetzungen kann ich nicht akzeptieren.

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 Haus der Künstler: Das Projekt liegt nach geplatztem Kauf auf Eis

 Seit Februar suchen die Künstler, die früher in der Johanniterkomturei an der Oberen Matte Platz hatten, nach neuen Lokalen. Zwar kamen - wie von den Kulturschaffenden gefordert - Gespräche mit den Behörden zustande. Eine Lösung für den Platzmangel ist aber weiter nicht in Sicht.

 Dabei habe es im Sommer beinahe mit einem Immobilienkauf an der Murtengasse geklappt, verrät nun Pierre-Alain Rolle, SP-Generalrat und Mitglied der Marionettentruppe Le Guignol à Roulettes. "Wir hatten die finanziellen Mittel und die Mieter beisammen", erklärt er. Doch im letzten Moment habe sich der Verkäufer für ein anderes Angebot entschieden.

 Die Künstler hatten vor, eine Art Genossenschaft zu gründen, welche die erworbenen Räumlichkeiten an kulturelle Gruppen und Vereine vermietet hätte. Rund vierzig Personen hatten sich für das Projekt interessiert. "Sie waren motiviert, müssen aber jetzt nach anderen Lösungen suchen", bedauert Pierre-Alain Rolle.

 Nach seinem Vorstoss im Stadtparlament letzten Frühling sehe er keinen Grund, weiter an die Politik zu appellieren. "Wir haben oft genug auf das Problem verwiesen. Wenn die Behörden nicht reagieren, scheint ihnen das Problem nicht wichtig genug zu sein", so Pierre-Alain Rolle.

 Den Frust der jungen Leute im Espace Boxal könne er verstehen - auch wenn die ehemaligen Mieter der Johanniterkomturei immer den legalen Weg gewählt hätten. cf

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La liberté 6.11.10

Espace Boxal

 Les squatteurs profitent du ping-pong judiciaire

 Samuel Jordan

 Les squatteurs du collectif Raie Manta peuvent dormir sur leurs deux oreilles sur leur matelas de fortune à Espace Boxal à Fribourg. Du moins pour quelques jours encore. Le préfet de la Sarine ne prendra en effet pas de décision à leur égard avant la semaine à venir. "Je suis content d'avoir eu une clarification du Tribunal cantonal. Pour l'instant, je ne me prononce pas sur le sujet. Je ferai une communication la semaine prochaine", explique Carl-Alex Ridoré.

 Par ces mots, le préfet réagit à la décision du Tribunal cantonal administratif, qui s'estime non compétent pour se saisir de la requête d'évacuation des locaux émanant des propriétaires ("LL" d'hier). Une décision qui remet la balle de ping-pong dans son camp. Tout en offrant un répit aux nouveaux occupants de l'Espace Boxal, ravis de profiter de la complexité des méandres de l'administration.

 Que va-t-il se passer? Juridiquement, le propriétaire des lieux peut saisir le Tribunal civil et exiger une expulsion. Une démarche qui peut cependant prendre un certain temps. La préfecture peut quant à elle également ordonner une expulsion. Mais seulement en cas de problème d'ordre public ou de dangers liés à la sécurité ou la non-salubrité des lieux.

 Problème: l'éventuelle décision de Carl-Alex Ridoré est à mettre en relation avec un recours juridique toujours pendant du photographe Christoph Schütz, qui conteste le caractère insalubre et dangereux des locaux... décrété par le même préfet en juillet 2009. Pour la petite histoire, le photographe fait aussi de la résistance en occupant les locaux, malgré l'ordre d'évacuation décrété à la fin septembre.

 Pour l'heure, ces imbroglios kafkaïens ne troublent pas la bonne humeur des squatteurs. Bien au contraire. Hier, sur leur site internet, ils se réjouissaient de la quiétude ambiante: "Aujourd'hui, c'est notre 9e matin consécutif sans nous faire réveiller par une brigade d'intervention policière. Un record." Ils se disent résolus à prendre racine: "Nous nous sommes installés et rien ne nous manque. Nous avons empli la maison de vie."

 De la vie, il y en aura assurément ce soir. Le collectif a en effet prévu d'organiser une soirée de punk et de metal jusqu'à pas d'heure. I

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SQUAT ZH
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St. Galler Tagblatt 10.11.10

Alternatives Wohnen

 Unter Hausbesetzern

 Die Besetzer des Zürcher Hotels Atlantis haben kapituliert und das Haus gestern Morgen geräumt. Der Besitzer hatte zuvor Strafanzeige eingereicht, worauf die Polizei den Besetzern ein Ultimatum stellte. Hausbesetzungen sind in Städten eine beliebte Form, gegen überteuerten Wohnraum und die latente Wohnungsnot zu protestieren. In Fribourg besetzt das Kollektiv "Raie Manta, Riesenmanta" bestehend aus Studenten, Arbeitern, Künstlern und Musikern seit zwei Wochen einen leerstehenden Gebäudekomplex. "Bei Hausbesetzungen geht es auch um alternative Wohnformen, um alternatives Zusammenleben und um den Erhalt von Liegenschaften", sagt ein ehemalige Zürcher Aktivist im Interview. (red.) zoom 18

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"Wir machen hier, was wir für richtig halten"

 Fabio S. ist promovierter Soziologe und war von 1999 bis 2007 in der Zürcher Hausbesetzerszene und in verschiedenen autonomen Gruppierungen aktiv. Der 35-Jährige spricht, unter Wahrung seiner Anonymität, über seine Erfahrungen. Philippe Reichen

 Warum besetzt man ein Haus?

 Fabio S.: Die Gründe sind verschieden. Es gibt Leute, die finden, es soll keine leerstehenden Wohnungen geben, wenn - wie heute wieder - Wohnungsnot herrscht. Eine Notlage kann erfordern, dass unkonventionelle Methoden zur Anwendung kommen. Das wiederum führt zur Frage: Soll ein grundlegendes Gut wie das Wohnen kapitalistisch geregelt sein oder müssten nicht andere Formen der Verteilung gefunden werden? Andere Leute haben den Wunsch nach nichtkommerziellen Orten. Kunst- und Kulturräume, Ateliers und Proberäume sind immer Mangelware, in einer Stadt wie Zürich sowieso…

 …und eine Geldfrage.

 Fabio S.: Sicher, vor allem, wenn man nicht viel Geld hat. Das gilt auch für Leute, die sich nichts anderes leisten können, als in einem besetzten Haus zu wohnen. Wer nicht 100 Prozent arbeiten kann oder will und keinen gutbezahlten Job hat, findet heute in der Stadt Zürich kaum eine Wohnung.

 Zielt die Kapitalismuskritik darauf ab, dass der Staat das Grundbedürfnis nach Wohnraum regelt.

 Fabio S.: Die Rolle des Staates steht durchaus zur Diskussion. Besetzerinnen und Besetzer sind grundsätzlich der Meinung, dass Wohnraum ein Grundbedürfnis ist, das nicht marktwirtschaftlich geregelt werden soll. Ob der Staat hier die Rolle der Regelungsinstanz übernehmen soll, ist fraglich. Deshalb gibt es den Spruch: "Die Häuser denen, die sie bewohnen." Das kann zum Beispiel auch durch die Form einer Genossenschaft erreicht werden - solange sie nicht zu einem anonymen Verwaltungsapparat wird. Selbstorganisation wird in der Besetzerszene gross geschrieben.

 Ist es korrekt, Besetzungen als politischen Protest zu sehen?

 Fabio S.: Man kann es Protest nennen. Eine Besetzung ist meistens mehr als das: Ein Versuch, etwas anderes zu machen. Es geht um alternative Wohnformen, um alternatives Zusammenleben, um den Erhalt von Liegenschaften. Dabei steht die Wahrnehmung durch Medien, Parteien oder NGOs eher im Hintergrund. Besetzen bedeutet: Wir machen hier und jetzt, was wir für richtig halten, und kümmern uns nicht um Fragen der politischen Durchsetzbarkeit unserer Ideen.

 In letzter Zeit hört man in Städten, auch in Zürich, oft von Prozessen der Verdrängung.

 Fabio S.: Besetzen ist eine Möglichkeit, sich Raum zurück zu nehmen, den man sich nicht (mehr) leisten kann. Wer von uns hat heute die Mittel, in der Innenstadt Zürichs zu leben? Dazu haben kapitalistische Prozesse geführt. Die Zürcher Regierung fördert das aktiv, die rot-grünen Politiker gehören mitunter zur Speerspitze dieser Entwicklung. Zum Teil machen die grossen Genossenschaften mit bei dieser Politik.

 Dennoch hat sich die Politik in Zürich ziemlich zurückgehalten.

 Fabio S.: Durchaus. Die Behörden signalisieren, gegen Besetzer nichts zu unternehmen, bis der Hausbesitzer ein rechtskräftiges Bauprojekt vorlegen kann. Zum einen beruht das auf der Erkenntnis, dass Leerstände in Zeiten der Wohnungsnot untragbar sind. Gleichzeitig sind Besetzungen aber auch ein "Standortfaktor" geworden.

 Wie meinen Sie das?

 Fabio S.: Hier werden spannende soziale und künstlerische Experimente gemacht, die einer Finanzstadt wie Zürich die dringend benötigte Weltläufigkeit geben. Ein weiterer Fakt wird oft vergessen: Die Besetzerszene übernimmt auch eine Vielzahl von sozialen Aufgaben, für die der Staat dann nicht (mehr) aufkommen muss. Dazu gehören etwa Übernachtungsmöglichkeiten für Menschen, die sonst obdachlos wären.

 Ist der Hausbesitzer den Besetzern egal?

 Fabio S.: Das hängt vom rechtlichen und politischen Rahmen ab. Grundsätzlich gilt, dass wir Besitzenden das Recht absprechen, Wohnraum leerstehen zu lassen. Im aktuellen Fall wäre man aber durchaus bereit gewesen zu verhandeln. Oft werden sogenannte Gebrauchsleihverträge abgeschlossen. Darin sind Haftungsfragen oder das Bezahlen von Wasser und Strom geregelt.

 Was droht im Konfliktfall?

 Fabio S.: Wenn ein Vertrag ausgehandelt ist, wird er in der Regel eingehalten. Oft dulden die Besitzer eine Besetzung. Und, wie gesagt: Die Städte weigern sich im Normalfall, etwas gegen die Besetzer zu machen, solange es kein Neu- oder Umbauprojekt gibt. Die Besetzer sind pragmatisch genug, um zu erkennen, dass es nur in Ausnahmefällen sinnvoll ist, ein Haus zu verteidigen. Darum haben sie das Hotel Atlantis geräumt - und ziehen weiter.

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Tagesanzeiger 10.11.10

Besetzer sind aus dem Atlantis abgezogen

 Das ehemalige Luxushotel in Zürich ist geräumt und wird jetzt notdürftig saniert. Am Samstag ziehen die ersten 20 Studenten ein.

 Von Stefan Hohler und Simon Eppenberger

 Zürich - In der Nacht auf Dienstag haben die Besetzer das ehemalige Hotel Atlantis friedlich verlassen. Damit hielten sie die Frist ein, die ihnen die Polizei gestellt hat, nachdem der neue Mieter des leer stehenden Komplexes Strafanzeige eingereicht hatte. Wenn die Besetzer nicht abgezogen wären, hätten sie mit einer Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs zu rechnen gehabt.

 Die Stadtpolizei erklärte, die Hausbesetzer hätten die Liegenschaft in einem ordentlichen Zustand zurückgelassen. Werner Hofmann, der Unternehmer und neue Mieter, bestätigte diese Aussage. Es seien zwar rund vier, fünf Kubikmeter Abfall übrig geblieben: Matratzen, Einrichtungsgegenstände und Basteleien. Zu gröberen Sachbeschädigungen sei es aber nicht gekommen. "Ich bin happy, dass die Besetzung ohne Problem und Gewalt über die Bühne ging." Ein Besetzer hatte noch die Feuernottaste gedrückt und damit einen Feuerwehreinsatz provoziert.

 Hofmann wird für die Kosten des Einsatzes aufkommen, ebenso für die Entsorgung des Abfalls. Die Besetzer liessen einen Abschiedsbrief an Hofmann zurück: "Lieber Werner, für uns alle war das eine sehr intensive Zeit. Du warst für uns ein inspirierender und offener Gesprächspartner." Hofmann sagte, er nehme den Brief ernst, obwohl er wisse, dass nicht alle der Besetzer so denken wie der Briefschreiber: "Aber die Vernunft hat obsiegt." Hofmann hat den am Montag gestellten Strafantrag, der zum Ultimatum der Polizei führte, wieder zurückgezogen.

 Auch Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich, ist zufrieden mit dem Abzug: "Unsere Praxis im Umgang mit Hausbesetzern hat sich bewährt. Der diplomatische Weg ist der richtige." Cortesi ist froh, dass es nicht zu einer Konfrontation gekommen ist.

 100 Bewerbungen für Zimmer

 In den kommenden Wochen will Hofmann eine halbe Million Franken in die einfache Renovation des Hotels investieren. Er ist überzeugt, dass die rund 160 Studentenzimmer bis Mitte Dezember bezugsbereit sind: "Wir sind auf der Zielgeraden." Am kommenden Samstag würden die ersten 20 Studenten einziehen. Er habe bis jetzt schon über 100 Anmeldungen.

 Werner Hofmann geht davon aus, dass die Studentenwohnungen in den nächsten vier Jahren bestehen bleiben. Die Besitzerin des Gebäudes will im ehemaligen Hotel Eigentumswohnungen einbauen.

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NZZ 10.11.10

Hotel-Besetzer in Zürich abgezogen

Polizei findet "Atlantis" leer vor

 fbi. · Die Besetzer des ehemaligen Nobelhotels Atlantis haben dieses freiwillig verlassen. Die Zürcher Stadtpolizei fand das Gebäude am Dienstagmorgen bei einer Kontrolle nach Ablauf des Ultimatums leer vor. Die Hausbesetzer hätten die Liegenschaft in ordentlichem Zustand zurückgelassen. Nur Einrichtungsgegenstände sowie Abfall und Basteleien seien nach mehr als zweiwöchiger Besetzung von den Aktivisten zurückgeblieben.

 Da bis am Montag keine Einigung zwischen dem Mieter des Gebäudes, Unternehmer Werner Hofmann, und den Besetzern zustande gekommen war, stellte Hofmann Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs. Die Stadtpolizei hatte den Besetzern daraufhin eine Frist zur Räumung des "Atlantis" gesetzt. In letzter Konsequenz hätte eine polizeiliche Räumung gedroht. Bereits in Kürze sollen die ersten Studierenden als Untermieter einziehen.

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BZ 10.11.10

Hotelbesetzer sind abgereist

 Atlantis ist leer Die Besetzer des ehemaligen Zürcher Fünfsternehotels Atlantis haben die Liegenschaft verlassen.

 Die Besetzer des ehemaligen Hotels Atlantis in Zürich haben das Feld geräumt. Die Zürcher Stadtpolizei fand das Gebäude gestern Morgen bei einer Kontrolle nach Ablauf des Ultimatums leer und in "einem ordentlichen Zustand" vor, wie sie in einer Mitteilung schreibt.

 Zweieinhalb Wochen ist es her, dass mehrere Personen das leer stehende Hotel am Fusse des Uetlibergs besetzt hatten. Mit dieser Aktion forderten sie Raum für kulturelle und soziale Projekte.

 Günstiger Wohnraum

 Der Unternehmer Werner Hofmann hat allerdings andere Pläne: Er will im Atlantis in einer Übergangszeit günstigen Wohnraum für Studierende und Lehrlinge anbieten.

 Den Besetzern bot er für ihre Anliegen einen Saal zur Nutzung an sowie Zimmer zum Mieten. Die Besetzer fanden aber, ihre Projekte liessen sich nicht in dem von ihnen vorgesehenen Rahmen realisieren. Da bis am vergangenen Montag keine Einigung zwischen Vermieter und Besetzern zustande gekommen war, reichte Werner Hofmann schliesslich Strafanzeige wegen Hausfriedensbruchs ein.

 Die Polizei setzte den Besetzern eine Frist bis gestern zum Verlassen des Gebäudes. Bereits in Kürze sollen die ersten Studierenden als Untermieter einziehen.

 Einst für Asylsuchende

 Das Hotel Atlantis war Ende der 1960er-Jahre erbaut worden und galt lange Zeit als Topadresse in Zürich. Ende Oktober 2004 wurde es geschlossen und stand lange Zeit leer. Zwischen Anfang 2009 und Mitte 2010 wurde das Hotel von der Stadt als Unterkunft für rund 200 Asylsuchende genutzt. Bis zur Besetzung am 22. Oktober stand es erneut leer.

 Die Liegenschaft ist im Besitz der Neue Hotel Atlantis AG, einer Tochtergesellschaft der Rosebud Hotel Holding in Luxemburg. Geplant ist, auf einer Gesamtfläche von 10 000 Quadratmetern siebzig Eigentumswohnungen zu erstellen.

 Bis zum Vorliegen einer Baubewilligung für den Umbau wird das Gebäude nun von Werner Hofmann gemietet und zimmerweise an Studierende oder Lehrlinge untervermietet.
 sda

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Schweiz Aktuell 9.11.10

Wohltäter oder kühler Rechner?

Die Besetzer des ehemaligen Zürcher Hotel Atlantis haben nach Ablauf des Ultimatums die Liegenschaft verlassen. Jetzt will Werner Hofmann Studentenwohnungen einrichten. Wer ist Unternehmer Hofmann?
http://videoportal.sf.tv/video?id=d8c8d89b-8c97-4243-aeda-52ef7891728c

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Blick am Abend 9.11.10

Atlantis-Besetzer ausgezogen

 ZÜRICH. Die Besetzer haben das Hotel Atlantis gestern verlassen - Mieter Werner Hofmann ist erleichtert: "Ich bin überglücklich, dass sie friedlich abgezogen sind", so Hofmann und zeigt sich sichtlich gerührt über den freundlichen Abschiedsbrief und die lobenden Sprayereien im Hotel. Ein Sprecher der Besetzer sagt, sie hätten wegen der Räumungsdrohung der Polizei das Feld geräumt: "Wir wollten keine Anzeigen riskieren." Hofmann selbst ist voller Tatendrang, interessierte Studenten rennen ihm die Bude ein: "Es haben sich über 100 Personen bei uns gemeldet." Deshalb organisiert der Bauunternehmer diesen Samstag zwischen 10 und 14 Uhr eine Hausbesichtigung. "Die ersten Studenten können dann ihre Zimmer reservieren", sagt der Bauunternehmer. Zudem suche er "einen jungen Manager", der die Student Box, wie er das Studenten-Hotel künftig nennt, führen möchte.  tor

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tagesanzeiger.ch 9.11.10

Atlantis-Besetzer feierten - und kapitulierten

Simon Eppenberger

 Gestern liessen die Atlantis-Besetzer die letzte Party im Hotel steigen. Dann verliessen sie die Räume. Der Mieter ist erfreut - und hofft, die Zimmer vier Jahre lang vermieten zu können.

 Gestern um 20 Uhr stieg im besetzten Hotel Atlantis eine laute Party. Die Besetzer luden zum letzten Fest, denn die letzte Frist rückte näher: Bis heute um 12 Uhr gab die Stadtpolizei den unbeliebten Gästen Zeit, das Hotel zu verlassen. Danach hätten die Beamten die Räume mit einem Grossaufgebot geräumt.

 Doch die Besetzer sind freiwillig aus dem Atlantis ausgezogen. Sie haben dem Mieter Werner Hofman einen Abschiedsbrief geschrieben. "Lieber Werner, für uns alle war das eine sehr intensive Zeit. Du warst für uns ein inspirierender und offener Gesprächspartner." Obwohl die Besetzer scheinbar ein gutes Verhältnis mit Werner Hofmann hatten, dürften diese Zeilen ironisch gemeint sein. An eine Wand ist ein gelbes Herz geschmiert, in der Mitte steht "Werner".

 "Our narcism is viewable from space"

 Nach der Party stinkt es in den Räumen nach Alkohol, Rauch und Müll. Eine Scheibe ist eingeschlagen, Wände verschmiert, da und dort hat die Einrichtung Blessuren abbekommen. Werner Hofmann ist jedoch erleichtert, dass es nicht zu grösseren Schäden gekommen ist. "Ich bin happy, dass die Besetzer das Gebäude in diesem Zustand hinterlassen haben", sagt er gegenüber Tagesanzeiger.ch.

 Auch Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich, äussert sich zufrieden zum Abzug: "Die Praxis im Umgang mit Hausbesetzern hat sich bewährt. Der diplomatische Weg ist der richtige." Cortesi ist froh, dass es nicht zu einer Konfrontation gekommen ist. "Die Polizei setzte eine Frist bis zwölf Uhr. Danach wäre das Hotel rasch geräumt worden."

 Wohnungen für vier Jahre

 Zurück bleiben eine grössere Menge Hinterlassenschaften wie Einrichtungsgegenstände, Abfall und Basteleien. Etwa die Nachbildung einer Heckflosse eines Flugzeugs, auf der "Our narcism is viewable from space" geschrieben steht. Zu Deutsch: Unser Narzissmus ist vom Weltraum aus sichtbar. Diese haben die Besetzer an die Mündung des Döltschiwegs abgestellt, an der das Hotel Atlantis liegt.

 In den kommenden Wochen will Hofmann eine halbe Million Franken in die einfache Renovation des Hotels investieren. Die Besetzer rechneten ihm vor, dass sich diese Investition nicht lohnt, wenn in eineinhalb Jahren die angekündigten Eigentumswohnungen realisiert werden sollen. Doch Hofmann geht davon aus, dass die 160 Studentenwohnungen in den nächsten vier Jahren bestehen bleiben, wie er gegenüber Tagesanzeiger.ch sagt.

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Tagesanzeiger 9.11.10

Strafanzeige gegen die Besetzer des Hotels Atlantis eingereicht

 Die Hotel-Atlantis-Besetzer haben das Ultimatum von Mieter Werner Hofmann verstreichen lassen. Nun wird das Gebäude von der Polizei geräumt.

 Von Stefan Hohler

 Zürich - Am Montagmorgen um 7 Uhr hätten die Besetzer den von Werner Hofmann vorbereiteten Vertrag unterschreiben müssen. Doch zum verabredeten Zeitpunkt erschien ausser Presse und Handwerkern niemand. "Die Leute haben eine Riesenchance verpasst", sagte der sichtlich enttäuschte Werner Hofmann, "ich weiss nicht, was in ihren Köpfen vorgeht."

 Hofmann, der Mieter des Hotelkomplexes, hätte den Besetzern den rund 300 Quadratmeter grossen Gartensaal für kulturelle und soziale Projekte überlassen. Er wäre auch für die Wasser-, Strom- und Heizkosten aufgekommen. Im Gegenzug hätten drei namentlich genannte Besetzer einen Vertrag mit klaren Richtlinien unterschreiben und die Verantwortung übernehmen müssen. Wie bereits angekündigt, reichte Hofmann bei der Stadtpolizei einen Strafantrag ein. Das Papier unterzeichnete er vor laufender Kamera noch im Hotel.

 Nun dürfte es zu einer Räumung durch die Polizei kommen, denn die Bedingungen dazu sind erfüllt. Laut Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich, werde man das Gespräch mit den Besetzern suchen und ihnen eine vernünftige Frist zum Verlassen des Hotels setzen. Wer sich dann widersetzt, muss mit einem Verfahren wegen Hausfriedensbruch rechnen.

 Ein Mitglied der "Familie Donovan" - so nennen sich die Besetzer - kam nach dem Ultimatum kurz aus dem Raum, wo sie sich eingerichtet haben. Gegenüber Werner Hofmann machte er klar, dass mit einem freiwilligen Auszug nicht zu rechnen sei. "Die Polizei muss uns sagen, wann wir draussen sein müssen", meinte er lakonisch. Nach einem kurzen Handshake mit Hofmann begab er sich in den besetzten Raum zurück.

 Später erklärte ein Sprecher der "Familie Donovan" gegenüber Tagesanzeiger.ch, warum man auf das Ultimatum und den Vertrag nicht eingegangen sei. Die Vertragsbedingungen hätten die Fortsetzung des ursprünglichen Projekts verunmöglicht. "Im Gartensaal hätten sich nur elf Personen gleichzeitig aufhalten dürfen, und der Raum wäre nur montags bis samstags von 8 bis 20 Uhr benutzbar gewesen." Damit sei das Haus nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen.

 Bis Mitte Dezember vermietet

 Hofmann will den Umbau nun zügig vor-antreiben. Am Samstag sollen die ersten 20 bis 30 neuen Mieter einziehen. Am gleichen Tag findet im Gartensaal ein Flohmarkt statt, an dem das Hotelinventar zugunsten einer wohltätigen Institution verkauft wird. Bis Mitte Dezember sollen die 150 Studentenzimmer vollständig belegt sein. Der Mietpreis pro Zimmer beträgt 350 Franken, dazu kommen 50   Franken für Nebenkosten.

 Das Hotel Atlantis oberhalb des Triemli war von Januar 2009 bis August 2010 als Unterkunft für Asylsuchende genutzt worden. Am 22. Oktober wurde es dann von Aktivisten besetzt.

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NZZ 9.11.10

Strafanzeige gegen Besetzer eingereicht

 Hotel Atlantis wird wohl geräumt

 fbi. · Die Besetzer des einstmals renommierten Hotels Atlantis und der Mieter der Liegenschaft, Unternehmer Werner Hofmann, haben am Montagmorgen die Verhandlungen ohne Einigung abgebrochen. Hofmann hat daraufhin eine Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch eingereicht. Es wird nun immer wahrscheinlicher, dass das Gebäude polizeilich geräumt wird. Wie der Medienverantwortliche der Stadtpolizei Zürich, Marco Cortesi, auf Anfrage sagt, sind die Bedingungen in diesem Fall erfüllt. Die Polizei werde mit den Besetzern das Gespräch suchen und ihnen eine Frist zur Räumung des Gebäudes setzen.

 Das "Atlantis" wird seit mehr als zwei Wochen von den Aktivisten besetzt gehalten. Sie fordern das Hotelgebäude als Raum für kulturelle und soziale Projekte. Werner Hofmann dagegen will im ausgedienten Hotel günstigen Wohnraum für Studierende und Lernende schaffen. Wie Hofmann sagt, hat er den Besetzern einen Saal zur Nutzung angeboten. Die Besetzer seien jedoch mit den Vertragsbedingungen nicht einverstanden gewesen. Hofmanns Projekt ist zeitlich befristet. Anstelle des Hotels plant die Besitzerin, die luxemburgische Rosebud Hotels Holding, 70 Eigentumswohnungen. Die Zwischennutzung soll so lange dauern, bis das Baubewilligungsverfahren mit der Stadt abgeschlossen ist. Hofmann hofft, dass seine Firma dereinst die Sanitär- und Heizungsinstallationen beim Wohnbauprojekt durchführen kann. Er habe dies per Handschlag mit dem Vertreter der Besitzer vereinbart.

 Das Hotel Atlantis war 1970 eröffnet worden und galt lange als Topadresse in Zürich. Mitte der neunziger Jahre setzte jedoch der Niedergang ein, und 2004 wurde das Hotel geschlossen. Nachdem das Gebäude lange leer gestanden war, diente es von Anfang 2009 bis im August dieses Jahres als Übergangszentrum für Asylsuchende.

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Limmattaler Tagblatt 9.11.10

"Atlantis"-Besitzer masslos enttäuscht

 "Atlantis" Die Besetzer haben die Frist verstreichen lassen. Jetzt räumt die Polizei das ehemalige Hotel

Caroline Bossert

 Noch eine Chance wollte Werner Hofmann aus Buchs (ZH), Mieter des Hotels Altantis in Zürich, den Besetzern geben. Den Gartensaal des Hotels wollte er der "Familie Donovan" für kulturelles Schaffen überlassen - und das unentgeltlich. Den Vertrag, der die Hausordnung festhält, hatte er bereits mit seinem Anwalt ausgearbeitet und der Gruppe übergeben. Gestern früh um 7 Uhr hätten die Besetzer ihn unterschreiben oder das Hotel räumen sollen. Diese aber liessen die Zeit verstreichen und Hofmann vor der Tür stehen. Erst als der Buchser Unternehmer die Besetzer aus ihren Räumen herausklopfte, erklärte ihm Besetzer "Werner" kurz, dass die "Donovans" den Vertrag ablehnen und weiterhin im Hotel bleiben werden.

 "Ich bin massivst enttäuscht", erklärt Werner Hofmann. "Ich habe gehofft, dass es wenigstens zu einem Gespräch kommt. So haben die Besetzer ihre letzte Chance auf einen Kulturraum verspielt." Einen Saal gebe es ab nun nicht mehr, auch wenn die Besetzer noch einlenken. Hofmann unterzeichnete daraufhin vor laufenden Kameras den Strafantrag und ging damit auf den nächsten Polizeiposten. Nun stellt die Stadtpolizei den Besetzern ein Ultimatum. "Wir werden die Liegenschaft innerhalb der nächsten Tage räumen", sagt Polizeisprecher Marco Cortesi.

 Übernachten und feiern verboten

 "Die Forderungen waren für uns inakzeptabel", erklärt ein Besetzer. Die Vereinbarung hielt fest, dass sich höchstens elf Leute gleichzeitig im Saal hätten befinden dürfen und dieser nur von montags bis samstags zwischen 8 und 20 Uhr hätte genutzt werden können. Übernachtungen wären verboten gewesen. Auch untersage der Vertrag kulturelle Anlässe und Feste. "Die Öffentlichkeit wäre von unserem Projekt ausgeschlossen gewesen", hält der Besetzer weiter fest. Die Donovans kündigten an, dass sie sich gegen eine Räumung wehren werden. In welcher Form sei aber noch unklar.

 Unterdessen sind weiterhin 40 Handwerker damit beschäftigt, die 150 Zimmer für die ersten Studenten herzurichten. Ob die Zimmer nun tatsächlich möbliert werden, ist noch unklar. "Mein Sohn wies mich darauf hin, dass die meisten Studenten wohl lieber in ihren eigenen Betten schlafen", führt Hofmann aus.

 Studenten wollen einchecken

 Diesen Samstag sollen bereits bis 30 Studenten "einchecken" können. Bis zum 15. Dezember soll das Hotel komplett bezugsbereit sein. Zudem findet diesen Samstag im Gartensaal ein Flohmarkt mit altem Geschirr, Dekorationen und Möbeln aus dem ehemaligen Luxushotel statt. Den Erlös spendet Hofmann der Stiftung für cerebral Gelähmte in Dielsdorf.

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Landbote 9.11.10

Die Besetzer lassen es drauf ankommen

 Die "Atlantis"-Besetzer haben ein weiteres Angebot vom neuen Mieter ablaufen lassen. Nun dürfte es zur Räumung durch die Polizei kommen.

 Zürich - Der Unternehmer Werner Hofmann will im ausgedienten Hotel Atlantis möglichst bald günstigen Wohnraum für Studierende und Lehrlinge anbieten. Die ersten 20 bis 30 Zimmer sollen Ende Woche bezugsbereit sein. Mitte Dezember sollen sämtliche Zimmer renoviert sein. Zudem sollen auch Anlässe durchgeführt werden.

 Vernissagen nicht möglich

 Den Besetzern bot Hofmann für ihre Anliegen einen Saal zur Nutzung an sowie Zimmer zum Mieten. Mit seinem Angebot waren die Besetzer jedoch nicht einverstanden, da es die Realisierung ihrer kulturellen und sozialen Projekte nicht in dem von ihnen vorgesehenen Rahmen ermöglichen würde. Der Vertrag, den ihnen Hofmann am Wochenende zugeschickt habe, sehe lediglich die Nutzung des Gartensaales im Erdgeschoss vor. Dieser stünde maximal zehn bis elf Leuten zur Verfügung, sei nicht öffentlich zugänglich und von 20 bis 8 Uhr geschlossen. Öffentliche Vernissagen beispielsweise wären somit nicht möglich, sagten die Besetzer. Ihr ganzes Konzept von Workshops, kulturellen Anlässen und sozialen Projekten, an denen sich rund 150 Leute beteiligen könnten, die grossteils auch im "Atlantis" wohnen würden, wäre somit nicht umsetzbar.

 In der Stadt Zürich wird eine besetzte Liegenschaft geräumt, wenn eine Anzeige wegen Hausfriedensbruch erstattet wurde. Zudem muss entweder eine Abbruch- oder eine Neubau- beziehungsweise Umbaubewilligung vorliegen. Im vorliegenden Fall seien nun die Bedingungen für eine Räumung erfüllt, sagte Medienchef Marco Cortesi von der Stadtpolizei auf Anfrage. Die Polizei werde nun das Gespräch mit den Besetzern suchen und ihnen eine vernünftige Frist zum Packen und zum Verlassen des Hotels setzen.

 Das "Atlantis" war Ende der 1960er-Jahre als Fünfsternehotel erbaut worden. Ende Oktober 2004 wurde es geschlossen. Von Januar 2009 bis August 2010 nutzte es die Stadt als Unterkunft für rund 200 Asylsuchende, dann stand es wieder leer. Am 22. Oktober wurde es es dann von Aktivisten besetzt.

 Hofmanns Projekt dient als Zwischennutzung. Die Besitzerin des Hotels, die Rosebud Hotels Holding in Luxemburg, möchte Eigentumswohnungen im ehemaligen "Atlantis" bauen, sobald das Baubewilligungsverfahren mit der Stadt durch ist. (sda)

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20 Minuten 9.11.10

Atlantis: Polizei setzt Frist bis heute Mittag

 ZÜRICH. Bis heute Mittag müssen die Besetzer das Atlantis verlassen haben - oder die Polizei wird das frühere Luxushotel räumen. Dies sagte ein Sprecher der Besetzer gestern zu 20 Minuten. Stadtpolizei-Medienchef Marco Cortesi will den Zeitpunkt des Ultimatums weder bestätigen noch dementieren. Er sagt: "Wir haben die Frist so gesetzt, dass den Besetzern genügend Zeit bleibt, ihre Sachen abzutransportieren." Falls sie trotzdem bleiben, wird das Haus laut Cortesi "sehr schnell" geräumt. Die Besetzer geben an, nun von sich aus zu gehen: "Der Polizeigewalt haben wir ja wenig entgegenzusetzen", sagt ihr Sprecher. Atlantis-Mieter Werner Hofmann hat gestern Anzeige wegen Hausfriedensbruch eingereicht, nachdem die Besetzer sein letztes Angebot ausgeschlagen hatten. "Schade, dass sie darauf nicht eingegangen sind", so Hofmann.  rom

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Schweiz Aktuell 8.11.10

Ultimatum abgelaufen

Zwischen den Besetzern des ehemaligen Zürcher Hotel Atlantis und dem Mieter ist keine Einigung zustande gekommen. Werner Hofmann hat daraufhin eine Strafanzeige eingereicht. Jetzt droht eine Räumung durch die Polizei.
http://videoportal.sf.tv/video?id=c9eda5e8-fe26-4cf7-acd0-7a6e769691f9

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tagesanzeiger.ch 8.11.10

Anzeige gegen Atlantis-Besetzer - Räumung "in den nächsten Tagen"

Christoph Landolt

 Die Besetzer haben das letzte Angebot von Werner Hofmann ausgeschlagen. Jetzt stellt die Polizei ein Ultimatum.

 Seit mehr als zwei Wochen ist das ehemalige Hotel Atlantis besetzt. In dieser Zeit hat der Mieter der Liegenschaft, Werner Hofmann, den Besetzern mehrere Kompromissangebote unterbreitet. Heute Montagmorgen um 7 Uhr hätte ein Vertreter der "Familie Donovan" einen Mietvertrag für den sogenannten Gartensaal unterzeichnen sollen. "Die Besetzer hätten diesem Raum unentgeltlich für kulturelle Zwecke nutzen dürfen", erklärt Hofmann gegenüber Tagesanzeiger.ch.

 Damit seien jedoch auch Pflichten verbunden gewesen. So hätten die Betreiber den Saal einrichten müssen oder das Übernachten wäre nicht gestattet gewesen. Als Hofmann aber um 7 Uhr an die Tür der besetzten Räumlichkeiten klopfte, öffnete niemand. Dann beschied ein Besetzer namens "Werner", dass sie nicht auf die Vertragsbedingungen eingehen wollten.

 Besetzer mit Bedingungen nicht einverstanden

 Ein Sprecher der Familie Donovan erklärte gegenüber Tagesanzeiger.ch, die Vertragsbedingungen hätten die Fortsetzung des ursprünglichen Projekts verunmöglicht. "Im Gartensaal hätten sich nur elf Personen gleichzeitig aufhalten dürfen und der Raum wäre nur Montag bis Samstag von 8 bis 20 Uhr benutzbar gewesen." Damit sei das Haus nicht mehr für die Öffentlichkeit zugänglich gewesen.

 Hofmann widerspricht: Die Besetzer hätten den Vertragsentwurf bereits gestern bekommen, eine Reaktion sei aber ausgeblieben. "Wir hätten doch darüber reden können." Die Bedingungen seien verhandelbar gewesen. Der Dialog mit den Besetzern sei aber schwierig: "Jedes Mal kommt ein anderer. Die haben null Konzept."

 Räumung in den nächsten Tagen

 Vor laufenden Kameras unterzeichnete Hofmann einen Strafantrag wegen Hausfriedensbruchs. "Nun muss die Polizei handeln", sagt Hofmann. Er gehe davon aus, dass das Atlantis nun schnell geräumt werde.

 Von Seite der Polizei seien mit dem Einreichen des Strafantrags nun sämtliche Bedingungen erfüllt, um die Besetzung aufzulösen, sagt Marco Cortesi, Medienchef der Zürcher Stadtpolizei. Man werde nun Kontakt mit den Besetzern aufnehmen und ihnen eine Frist zum Verlassen des Gebäudes setzen. Die Räumung werde aber sicher nicht mehr heute stattfinden, erklärt Cortesi. "Das wird irgendwann in den nächsten Tagen passieren."

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Blick am Abend 8.11.10

Besetzer gehen auf Konfrontation

 ATLANTIS

 Ein Angebot wurde in den Wind geschlagen. Nun ist die Polizei am Zug.

 andrea.schmits@ringier.ch

 Der neue Mieter des Hotel Atlantis, Werner Hofmann, hat heute Morgen Strafanzeige gegen die Besetzer eingereicht. Zuvor hatten diese erneut eine Frist zur Räumung des Gebäudes verstreichen lassen. Die Besetzer hätten heute um sieben Uhr morgens einen Vertrag unterzeichnen können, der ihnen die Nutzung eines Raumes im Hotel Atlantis erlaubt hätte - gratis. Dieses Angebot war den Besetzern aber nicht gut genug. Mit dem von Hofmann angebotenen Nutzungsvertrag könne ihr Projekt nicht umgesetzt werden, sagten sie. Der Vertrag sehe lediglich die Nutzung des Gartensaals im Erdgeschoss vor. Dieser stünde maximal elf Leuten zur Verfügung, sei nicht öffentlich zugänglich und von 20 bis 8 Uhr geschlossen. Öffentliche Vernissagen wären somit nicht möglich, sagten die Besetzer. Ihr ganzes Konzept von Workshops, kulturellen Anlässen und sozialen Projekten wäre also nicht umsetzbar.

 Hofmann, der im Hotel Atlantis vorübergehen günstige Studentenzimmer einrichten will, ist der Geduldsfaden mit dieser Erklärung gerissen. "Ich habe den Strafantrag noch im Atlantis unterzeichnet und ihn dann auf der Polizeiwache abgegeben", sagt Hofmann zu Blick am Abend. Stapo-Sprecher Marco Cortesi bestätigt: "Die Besetzer haben nun eine Frist von einigen Tagen, um das Haus zu räumen, sonst machen sie sich strafbar."

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 Die Besetzer hätten einen Raum gekriegt.

 "Ein fieser Versuch"

 Die Gruppe "Unsereuni", solidarisiert sich mit den Besetzern des Hotel Atlantis. Hofmanns Vorhaben, dort für einige Zeit Studenten wohnen zu lassen, sei ein "fieser Versuch, sich als Wohltäter zu inszenieren", schreibt die Gruppe in einer Mitteilung. In der Stadt Zürich würden systematisch politisch-kulturelle Freiräume verdrängt.

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20 Minuten 8.11.10

Atlantis: Räumung?

 Zürich. Wenn die Besetzer des Hotels Atlantis bis heute Mittag nicht ausgezogen sind, will der Mieter der Liegenschaft, Werner Hofmann, Strafantrag stellen. Dann droht die polizeiliche Räumung. Dies sagte Hofmann gestern gegenüber Radio DRS.

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Tagesanzeiger 6.11.10

Wenig Chancen für Besetzer

Hohler Stefan

 Die Bedingungen für eine Räumung des Atlantis sind laut Stadtpolizei gegeben.

 Bis Montag um 7 Uhr müssen die Besetzer des ehemaligen Hotels Atlantis im Triemli dem Mieter Werner Hofmann einen unterschriftbereiten Vertrag mit Nutzungskonzept unterbreiten. Ansonsten droht er mit einer Räumung. Dies hat er gegenüber den Medien deutlich gemacht. Laut Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei, räumt die Polizei ein besetztes Haus unter folgenden zwei Bedingungen: Der Mieter oder Hausbesitzer muss einen Strafantrag stellen. Zudem muss einer der drei Sachverhalte erfüllt sein:

 wenn eine rechtskräftige Abbruch- oder Baubewilligung vorliegt,

 wenn die Besetzung die Sicherheit von Menschen oder denkmalgeschützten Einrichtungen gefährdet.

 wenn eine rechtmässige Neunutzung belegt werden kann.

 Laut Cortesi sind im Fall des Atlantis die rechtlichen Voraussetzungen gegeben. Hofmann habe mit den geplanten Studentenzimmern eine Nachmieterschaft gefunden. Die Stadtpolizei werde nach Einreichung des Strafantrages den Besetzern eine Frist anberaumen. Wenn sie die Liegenschaften bis dahin nicht freiwillig verlassen, wird das Gebäude geräumt. Den Besetzern droht eine Anzeige wegen Hausfriedensbruchs.

 In einer Medienmitteilung solidarisiert sich der Verein "Unsereuni" mit den Aktivisten. Das propagierte Vorhaben des Grossmieters Werner Hofmann, für einige Zeit Studierende dort wohnen zu lassen, sei ein fieser Versuch, sich als "Wohltäter" zu inszenieren. (hoh)

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Limmattaler Tagblatt 6.11.10

Atlantis "Unsereuni" stellt sich hinter Besetzer

 Da in der Stadt Zürich systematisch politisch-kulturelle Freiräume, "die nicht der Verwertungslogik des Kapitals folgen", verdrängt würden, stellt sich die Bewegung "Unsereuni" hinter die Besetzer des Hotels Atlantis in Zürich. Die Besetzung setze ein Zeichen. Hotel-Mieter Werner Hoffmann wolle sich lediglich als "Wohltäter" inszenieren und damit die Besetzung des Hotels verhindern. Die tatsächliche Absicht sei, dass beim späteren Umbau des "Atlantis" zu teuren Eigentumswohnungen seine Firma die Sanitäreinrichtungen mit einem Millionenertrag bauen könne, heisst es in einer Mitteilung. (az)

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Schweiz Aktuell 4.11.10

Verhärtete Fronten

Seit heute morgen um 7 Uhr ist die Sanierung des ehemaligen Hotel Atlantis voll im Gange. Die autonomen Besetzer jedoch wollen trotz laufenden Bauarbeiten nicht ausziehen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=2cb94d2b-abdf-406a-a900-c5face0d7a76

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Schweiz Aktuell 3.11.10

Ultimatum an Besetzer

Ein Zürcher Unternehmer hat das ganze Hotel Atlantis Sheraton gemietet. Nun stellt er den Besetzern ein Ultimatum: Als Mieter zu bleiben oder auszuziehen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=db6caa30-fedb-4c80-a837-d94acf6e3d63

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KULTURSTREIK GE
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Hotelrevue 11.11.10

Des solutions pour les noctambules

 Le Conseil d'Etat de Genève a annoncé vendredi la mise à disposition d'un nouveau lieu culturel et festif au centre-ville pour décharger l'Usine ainsi que la réouverture partielle du Moa Club, à Vernier. Le gouvernement va libérer si possible une surface de 4000 mètres carrés dans un ancien bâtiment industriel. La grève lancée le week-end dernier est suspendue. L'Usine, avait tiré la sonnette d'alarme il y a deux ans. Quant au Moa, les aspects sécuritaires sont désormais maîtrisés, assure le gouvernement.

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Le Matin 6.11.10

Noctambules soulagés

 TournantRetour à "la normale" pour les nuits genevoises: le MOA peut rouvrir et l'Usine stoppe provisoirement son mouvement de grève.

 Fermé le 8   octobre dernier par les autorités cantonales genevoises, le MOA ouvre de nouveau ses portes ce soir. C'est le Tribunal administratif qui a débloqué la situation hier en accordant un effet suspensif contre la cessation des activités de la discothèque de Vernier. Mis en cause pour sa sécurité, le MOA a réussi finalement à produire dans son recours un préavis favorable de la police du feu… Le tribunal reconnaît aussi l'intérêt public à sa réouverture au regard de la "mise à disposition de la population de lieux de loisirs. "

 unger satisfait

 Le conseiller d'Etat Pierre-François Unger, dont dépend le Service du commerce, se déclarait hier satisfait de la tournure des événements. D'aucuns avaient mis en avant sa responsabilité et l'accusaient d'avoir fermé les yeux sur les problèmes structurels de l'endroit. La page est tournée, enfin jusqu'à droit connu, et le lieu peut ouvrir de manière ponctuelle: "Nous ne donnons pas une autorisation pour un dancing, précise le magistrat. Les autorisations seront données régulièrement en fonction de la demande. "

 La fermeture du MOA avait lancé la polémique sur le manque de lieux pour la vie nocturne à Genève, puis ailleurs en Suisse romande. 5000 personnes avaient manifesté le 10   octobre pour protester contre la fermeture de la discothèque. Sébastien Corajoud, exploitant du MOA, ne cachait pas sa grande joie de pouvoir ouvrir de nouveau ce samedi: "La semaine dernière nous avons fait deux soirées au stade de la Praille en attirant 4000 personnes. Ce soir, elles pourront revenir chez nous. "

 tous gagnants

 Genève ne devrait pas revivre les émeutes nocturnes du week-end dernier. Le Conseil d'Etat a également fait, hier, une proposition pour sortir de cette crise. Il va affecter le plus rapidement possible, dès 2011, des locaux d'une surface de 400 m2au sentier des Saules, à la Jonction. Il donne ainsi une première réponse concrète à une résolution urgente votée par le Grand Conseil genevois le 14   octobre. "C'est plus qu'une intention, c'est une décision", précise Laurent Forestier, responsable de la communication du Département des constructions, des technologies et de l'information. Cette décision précise aussi que des surfaces supplémentaires seront proposées au même endroit. Mais, comme ces bâtiments sont voués à la démolition, le Conseil d'Etat assure que de nouveaux lieux culturels et de vie nocturne devraient émerger dans le périmètre Praille-Acacias-Vernets.

 Quelques heures avant cette communication gouvernementale, le haut lieu de la vie nocturne genevoise, l'Usine, avait annoncé qu'il suspendait sa grève de protestation contre le manque de place pour la vie nocturne. Vendredi dernier, l'Usine et l'Union des espaces culturels autogérés (UEAC) avaient mobilisé 2500 personnes pour manifester dans les rues jusque tard dans la nuit. Sa permanente responsable, Albane Schlechten, prenait note hier que "des ébauches de solutions ont été avancées", mais précisait qu'elle se méfiait des "effets d'annonce". Un retour à la grève n'est pas exclu.

 Evoquant la fin de la grève à l'Usine, Sébastien Corajoud, du MOA, conclut: "Tout le monde y gagne finalement dans cette polémique. Mais c'est dommage de devoir en arriver là pour se faire entendre. "

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Tribune de Genève 6.11.10

Le cadeau de l'Etat à la jeunesse genevoise

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 Un nouvel espace sera mis à disposition des noctambules l'an prochain à la Jonction. Et le Moa rouvre ce soir!

 Mis sous pression par le mouvement de jeunes Genevois dénonçant un manque de lieux pour faire la fête, le Conseil d'Etat a annoncé vendredi l'ouverture d'un nouvel espace festif en 2011, à la Jonction.

 Les noctambules devront patienter quelques mois car le site est aujourd'hui occupé par le Fonds cantonal d'art contemporain qu'il faudra déménager avant que les fêtards ne puissent occuper les lieux; ceux-ci pourront accueillir quelque 1000 personnes, au sentier des Saules.

 Le conseiller d'Etat en charge des Constructions, Mark Muller, ne craint pas une accumulation des nuisances sonores à la Jonction. Il voit un avantage à la concentration des sites festifs, les noctambules pouvant se déplacer de l'un à l'autre à pied. Et le nouvel espace permettra de faire baisser la pression sur l'Usine, qui doit régulièrement refuser du monde.

 Une bonne nouvelle ne venant jamais seule, le Moa Club a reçu hier le feu vert pour une réouverture partielle: sept soirées en novembre, la première ce soir. Et Weetamix pourrait rouvrir le week-end prochain!Page   12

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Un nouveau lieu desserrera l'étau autour de la nuit genevoise

Marc Moulin

 L'Etat offre aux noctambules 400 mètres carrés à la Jonction

 La nouvelle était dans l'air et se confirme. Un bol d'oxygène sera donné aux fêtards genevois avec l'ouverture l'an prochain d'un nouvel espace au 3, sentier des Saules. Le Conseil d'Etat l'a annoncé hier: le même bâtiment de la Jonction accueillera à terme davantage d'activités de loisirs et culturelles. D'une capacité de mille personnes, l'espace festif promis pour 2011 est sis dans une galette à l'arrière de l'immeuble. Le Fonds cantonal d'art contemporain, qui occupe ce lieu trop exigu pour lui, doit d'abord achever son déménagement à la Praille. Il faudra ensuite réaliser des travaux d'aménagement et d'isolation, pour un coût encore inconnu.

 "Notre volonté est d'aller le plus vite possible, assure le conseiller d'Etat chargé des Constructions, Mark Muller. La décision de justice sur le Moa (voir ci-contre) et cette annonce doivent contribuer à calmer le jeu. Les jeunes doivent réaliser qu'on fait le maximum. "

 Une gestion "sérieuse"

 La décision intervient dans un contexte chargé. La fermeture des boîtes verniolanes Moa Club et Weetamix, au début d'octobre, a poussé l'Usine, saturée par la demande, à se mettre en grève durant deux samedis de suite, entraînant son public dans des parades festives en ville. Permanente du centre alternatif, Albane Schlechten se réjouit de la décision gouvernementale: "L'Union des espaces culturels autogérés avait repéré ce site dès le début de l'année, mais on nous disait qu'il était déjà affecté, note-t-elle. L'effet d'annonce est positif mais tant que rien n'est signé entre les autorités et les milieux culturels, nous restons mobilisés. Notre grève a cristallisé une mobilisation des associations en quête de lieu et du public: elle va se poursuivre. " L'Usine reprendra toutefois ses activités normalement ce week-end.

 Pour gérer le nouvel espace festif de la Jonction, Mark Muller entend entrer en contact avec les milieux alternatifs, mais pas seulement. "Le caractère autogéré n'est pas pour moi un but en soi, argue le libéral. Nous allons nous mettre en quête d'un gérant correct et sérieux, notamment du point de vue des nuisances et de la sécurité. " Le magistrat ne craint pas de mettre trop de pression sur la Jonction, qui a connu Artamis et abrite encore l'Usine. "Nous serons attentifs à ce que tout se passe bien, assure le ministre. Ce nouveau lieu devrait faire baisser la pression sur l'Usine et donc soulager ses riverains. La proximité des sites permet aussi aux gens de se déplacer à pied de l'un à l'autre, ce qui est positif en termes de sécurité routière. "

 La fête à la Praille

 L'immeuble du sentier des Saules pourrait à terme abriter un second lieu public, ainsi que des activités plus proprement culturelles, avant d'être démoli pour faire place à des logements: d'autres sites, notamment à la Praille, accueilleront alors les fêtards, selon Mark Muller. Pour lui, l'idée d'implanter des activités nocturnes sous le viaduc autoroutier de la voie centrale n'est pas la seule piste: "L'Office fédéral des routes, propriétaire de l'ouvrage, objecte que la réglementation oblige de laisser libres les espaces sous les viaducs, pour des raisons de sécurité. Nous allons voir si des modalités techniques peuvent permettre cette implantation. "

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 Le Moa triomphe

 La justice gèle l'ordre de fermer le Moa et l'Exécutif autorise le club verniolan, qui rouvre ce soir, à organiser sept soirées en novembre. Le Tribunal administratif (TA) a restitué hier l'effet suspensif au recours de la discothèque contre sa clôture ordonnée par le Service du commerce (SCom) le 7 octobre. Selon le TA, qui doit encore se prononcer sur le fond, "l'activité du Moa Club était,de factoet à première vue, à tout le moins tolérée par les autorités". Les recourants ont produit un préavis favorable de la police du feu permettant "d'affirmer que l'intérêt public relatif à la sécurité n'est pas touché (…) Cette solution permet aussi de protéger l'intérêt public visant à mettre à disposition de la population des lieux de loisirs. " Le TA dit avoir prié deux fois le SCom de lui fournir l'intégralité du dossier. En vain. Le greffe du tribunal s'est vu répondre lundi que "le dossier devait être trié au niveau du conseiller d'Etat, toutes les pièces ne pouvant être transmises". Notant les efforts sécuritaires du club, le département de Pierre-François Unger, responsable du SCom, accepte une réouverture, mais partielle, car la loi sur les spectacles et divertissements ne permet que des activités ponctuelles. Le Moa n'a jamais obtenu sa régularisation comme dancing permanent. Pour atteindre cet objectif, il lui manque l'accord du propriétaire des murs, en litige avec ses locataires. De son côté, Weetamix espère rouvrir dès vendredi. M. M.

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DEMORECHT ZH
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Tagesanzeiger 9.11.10

Das 1.-Mai-Komitee soll für die Chaoten zahlen

 Für die Sachschäden nach einer 1.-Mai-Feier müsse der Veranstalter aufkommen, verlangt eine Initiative.

 Von Ruedi Baumann

 Zürich - Die abgewählte Gemeinderätin und Ex-Stapi-Kandidatin Susi Gut hat gestern im Kantonsrat einen Achtungserfolg erzielt. Das Parlament hat eine Einzelinitiative von ihr und ihrem PFZ-Kollegen Markus Schwyn mit 80 Stimmen vorläufig unterstützt. Die Initianten fordern eine Kostenüberwälzung an die Veranstalter, "wenn es bei Nachdemonstrationen zu Sachschäden oder zu einem massiven Polizeieinsatz kommt". Unterstützt wurde die Initiative von Guts früherer Partei, der SVP, sowie von FDP und EDU. Bis zur Gesetzesänderung ist es aber noch ein weiter Weg: Zuerst muss sie der Kantonsrat definitiv unterstützen, und dazu reichen 80 Stimmen kaum. Bei Sportanlässen müssten die Veranstalter an die Kosten für Polizeieinsätze bezahlen, bei einer 1.-Mai-Feier dagegen nicht. Das sei ungerecht, argumentiert Susi Gut, zumal Nachdemos Kosten in Millionenhöhe verursachten würden. Gemäss Theo Toggweiler (SVP, Zürich) tragen die Veranstalter eine Mitschuld, weil sie die Chaoten "anstacheln" würden. Auch Beat Badertscher kritisierte, dass sich die Veranstalter zu wenig glaubhaft von den Randalierern distanzierten. Für Heinz Kyburz (EDU, Männedorf) trägt sogar die Stadt Zürich eine Schuld an Krawallen, "weil die rot-grüne Regierung den Nährboden für Gewalt bietet".

 "Puure-Zmorge" wäre bedroht

 Alle anderen Parteien waren der Ansicht, dass das heutige Polizeigesetz ausreicht, um Veranstalter zur Kasse zu bitten, sofern sie grobfahrlässig gegen die Auflagen verstossen. Martin Naef (SP, Zürich) sagte an die Adresse von Susi Gut, dass man mit diesem undemokratischen "Mädchentrickli" jeden Räbeliechtliumzug und jeden "Puure-Zmorge" verhindern könne. Ein 1.-Mai-Komitee, das ohnehin kein Geld habe, könne nicht mit zahlungskräftigen Sportveranstaltern verglichen werden. Lilith Claudia Hübscher (Grüne, Winterthur) sagte, dass am letzten 1.-Mai-Umzug 100 Rechtsradikale mitmarschiert seien. Das heisst: Jede Veranstaltung kann von politischen Gegnern missbraucht werden, um der Gegenseite Kosten zu verursachen. Für Christoph Hollenstein (CVP, Zürich) ist die Initiative bloss "warme Luft". Und Walter Schoch (EVP, Bauma) sagte: "Der Veranstalter kann nicht für jede Nachdemo verantwortlich gemacht werden."

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Landbote 9.11.10

Komitee soll die Polizei bezahlen

 Das 1.-Mai-Komitee soll die Kosten für den Einsatz der Polizei bei Nachdemonstrationen selber bezahlen. Die Bürgerlichen haben im Kantonsrat einen Vorstoss vorläufig unterstützt. Das Komitee könnte die Kosten kaum tragen.

 Zürich - Die Einzelinitiative stammt von Susi Gut und Markus Schwyn. Die beiden abgewählten Gemeinderäte der "Partei für Zürich" hatten sie im Mai eingereicht. Grund: Sie finden die aktuelle Regelung ungerecht. Gemäss Polizeigesetz können zwar Sportveranstaltern Kosten überwälzt werden, nicht aber den Organisatoren politischer Demonstrationen. Einzige Ausnahme: Die Veranstalter verstossen grobfahrlässig gegen Auflagen der Demobewilligung.

 Gut und Schwyn wollen das Polizeigesetz ergänzen. Die Organisatoren sollen zahlen, wenn es bei Nachdemonstrationen zu Sachschäden oder einem massiven Polizeieinsatz kommt. Die Idee war gestern Thema im Kantonsrat. Vor allem die Linke wetterte heftig dagegen. "Wir sind uns alle einig, dass Gewalttäter strafrechtlich verfolgt werden", sagte SP-Kantonsrat Martin Naef (Zürich). Aber darum gehe es den Initianten gar nicht. Sie wollten die friedliche Demo der Arbeitnehmer verhindern. Das 1.-Mai-Komitee und die Gewerkschaften hätten nach Naef nie genug Geld, um die Polizei aus eigener Tasche zu zahlen. "Hier geht es nämlich nicht um Kommerz wie beim Fussball oder Eishockey." Gemäss Schätzungen des "Tages-Anzeigers" hätte das Komitee 2010 rund eine halbe Million Franken abliefern müssen.

 Die anderen Mitte-Links-Parteien waren ebenfalls gegen die Idee. In den Augen des Grünliberalen Thomas Wirth (Hombrechtikon) sollten die Veranstalter gegen Gewalttäter mehr tun. Er plädierte aber gegen die Einzelinitiative, weil es zwischen Fussballspielen und dem Tag der Arbeit einen wesentlichen Unterschied gebe: "Beim Fussball wird Geld verdient."

 "Warme Luft"

 Für Lilith Hübscher (Grüne, Winterthur) genügt die Kostenüberwälzung, wie sie heute geregelt ist. Auch CVP-Mann Christoph Holenstein (Zürich) verwies aufs aktuelle Polizeigesetz und sagte, ein Zusatz sei unnötig. "Es würde bloss viel warme Luft produziert." Und Walter Schoch (EVP, Bauma) wehrte sich dagegen, den Organisatoren eine generelle Verantwortung für alles aufzubürden, was vor oder nach einer Veranstaltung geschieht.

 Ganz anders sahen es SVP, FDP und EDU. Für Theo Toggweiler (SVP, Zürich) darf die Frage nach dem "Kausalzusammenhang" von Arbeiterfest und Nachdemo gestellt werden. Schliesslich würden an diesem politischen Anlass "Hetzreden" gehalten und Leute aufgewiegelt. EDU-Kantonsrat Heinz Kyburz (Männedorf) erinnerte daran, dass der Kantonsrat unlängst entschied, den 1. Mai als kantonalen Feiertag beizubehalten. "Die Organisatoren sind damit in der Pflicht, die Chaoten in die Schranken zu weisen."

 Der Freisinnige Beat Badertscher (Zürich) wandte sich an alle, für die die Kostenüberwälzung genug geregelt ist. Beim 1. Mai werde nicht gegen Bewilligungen verstossen. Aber das Komitee distanziere sich zu wenig von den Chaoten. Zudem gebe es Äusserungen ab, die man als Aufruf verstehen könne. Zum Beispiel das diesjährige Motto: "Verlieren wir die Beherrschung."

 Die Bürgerlichen unterstützten die Einzelinitiative mit 80 Stimmen. Der Regierungsrat verfasst nun Bericht und Antrag.

RETO FLURY

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NZZ 9.11.10

1.-Mai-Komitee soll für Nachdemo zahlen

 Kantonsrat unterstützt Einzelinitiative vorläufig

 Wenn es nach dem Willen von SVP, FDP und EDU geht, sollen die Organisatoren der Zürcher 1.-Mai-Kundgebung für Polizeieinsätze und Sachbeschädigungen im Rahmen der Nachdemo zur Kasse gebeten werden.

 Stefan Hotz

 Seit dem Frühling gehört die winzige Partei für Zürich (PFZ) nach einem Intermezzo von gut drei Jahren dem Zürcher Stadtparlament nicht mehr an. Am Montag haben die beiden einzigen, ehemaligen Gemeinderäte Susi Gut und Markus Schwyn, die einst fast im Alleingang den Zuzug des Club of Rome nach Zürich verhinderten, dennoch einen kleinen Coup gelandet. Sie erhielten im Kantonsrat 80 Stimmen von SVP, FDP und EDU für die vorläufige Unterstützung einer Einzelinitiative.

 Nicht genug distanziert

 Damit fordern sie eine Ergänzung des Polizeigesetzes, wonach Veranstaltern einer politischen Demonstration keine Kosten auferlegt werden, sofern "es nicht bei Nachdemonstrationen zu Sachschäden oder zu einem massiven Polizeieinsatz kommt". Als Begründung führen sie an, Organisatoren von Sportveranstaltungen seien in diesem Fall zum Kostenersatz verpflichtet.

 Martin Naef (sp., Zürich) klärte sogleich, gemeint sei ja wohl die Nachdemo zum 1. Mai. Der Staat müsse Ruhe und Ordnung gewährleisten und Ausschreitungen strafrechtlich verfolgen. Der Vorschlag richte sich aber gegen die friedliche Kundgebung zum 1. Mai, sagte Naef. Es gehe nicht an, mit einem "Buebe- oder Meitli-Trick" Grundrechte auszuschalten. Sonst könne man auch andere Veranstalter - zum Beispiel eines Räbeliechtli-Umzugs oder des Sechseläutens - ruinieren, indem man in ihrem Umfeld randaliere.

 Theo Toggweiler (svp., Zürich) erwiderte, es dürfe keine rechtsfreien Räume geben, Heinz Kyburz (edu., Männedorf) doppelte nach, die Forderung der Initiative sei nichts als konsequent. Beat Badertscher (fdp., Zürich) begründete namens seiner Fraktion die vorläufige Unterstützung: Die Veranstalter des 1. Mai hätten sich in der Vergangenheit zu wenig deutlich von gewalttätigen Demonstranten distanziert.

 Lilith Hübscher (gp., Winterthur) betonte, am 1. Mai 2010 hätten auch rund hundert Rechtsradikale zur Gewalt beigetragen. Walter Schoch (evp., Bauma) und Christoph Holenstein (cvp., Zürich) erklärten, schon die jetzige Regelung erlaube die Kostenüberwälzung bei grobfahrlässigem Verstoss der Veranstalter gegen die Bewilligung. "Der Zusatz ist nicht nötig und löst keine Probleme", meinte Holenstein.

 Noch keine Mehrheit

 In der Abstimmung übertraf die Einzelinitiative die für die vorläufige Unterstützung notwendigen 60 Stimmen deutlich und vereinigte 80 Stimmen auf sich. Sie wird nun als Nächstes in einer Kommission des Kantonsrats behandelt. Für die definitive Unterstützung ist dann eine Mehrheit des 180-köpfigen Parlaments notwendig.

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Zürichsee-Zeitung 9.11.10

1.    Mai
2.    
 Gleiche Regeln wie beim Sport

 Eine Einzelinitiative aus Zürich, wonach das 1.-Mai-Komitee für Schäden bei Nachdemos aufkommen soll, findet im Kantonsrat Unterstützung.

 Thomas Marth

 Absender der Einzelinitiative sind Susi Gut und Markus Schwyn, die bis im Frühling die Partei für Zürich (PFZ) im Stadtparlament vertraten. Mit dem diesjährigen Slogan "Verlieren wir die Beherrschung" habe das 1.-Mai-Komitee zu Gewalt aufgerufen, schreiben sie in der Begründung ihres Vorstosses. Sie fordern deshalb eine Änderung des kantonalen Polizeigesetzes, wonach auch bei der Ausübung des verfassungsmässigen Demonstrationsrechts eine Kostenpflicht für den Veranstalter entsteht, sofern bei Nachdemos Schäden entstehen oder ein massiver Polizeieinsatz nötig wird. Es wird auf die anloge Regel bei sportlichen Anlässen verwiesen.

 Gegen rechtsfreie Räume

 Gestern war die Einzelinitiative im Kantonsrat traktandiert und wurde mit den Stimmen von SVP, FDP und EDU vorläufig unterstützt. Somit muss nun der Regierungsrat einen Bericht und Antrag zu dem Geschäft ausarbeiten.

 Es gehe um die Beseitigung rechtsfreier Räume, sagte Theo Toggweiler (SVP, Zürich). Der Linksextremismus habe in letzter Zeit zugenommen, erklärte Heinz Kyburz (EDU, Männedorf). Man müsse gegensteuern. Die Schadenersatzpflicht bestehe bereits heute, hielt Beat Badertscher (FDP, Zürich) fest. Allerdings setze sie grobe Fahrlässigkeit des Veranstalters voraus, was jeweils schwer nachzuweisen sei.

 Gewalt wollte auch auf der Gegenseite niemand rechtfertigen. Der Vorstoss wurde aber als zu weitgehend oder als wenig praktikabel bezeichnet.

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20 Minuten 9.11.10

Nach Ratsentscheid: Steht 1.-Mai-Feier vor dem Aus?

 ZÜRICH. Wenn es beim 1. Mai zu Krawallen kommt, sollen künftig die Organisatoren den Einsatz der Polizei zahlen. Das würde das Ende der 1.-Mai-Feier bedeuten, sagen die Veranstalter.

 Die Kosten für die Polizeieinsätze bei gewalttätigen Nachdemos am 1. Mai sollen künftig die Organisatoren der offiziellen Kundgebung tragen. Dies fordert eine Einzelinitiative der ehemaligen Gemeinderäte der Partei für Zürich, Susi Gut und Markus Schwyn. Der Kantonsrat hat diese Initiative gestern behandelt - und mit 80 Stimmen vorläufig unterstützt. Bei den Veranstaltern könne man jeweils so etwas wie einen Aufruf zu Nachdemos ausmachen, argumentierte etwa die FDP.

 Diese neue Regelung würde für die Organisatoren sehr teuer: Die Kosten für die Polizeieinsätze am Tag der Arbeit bewegen sich jeweils in sechsstelliger Höhe. "Wenn wir solche Beträge zahlen müssten, wäre dies das Aus für die 1.-Mai-Kundgebung und das Fest", sagt Anna Klieber vom 1.-Mai-Komitee. "Denn wir sind eine Non-Profit-Organisation, die mit viel Freiwilligenarbeit und ohne Sponsoren funktioniert."

 Klieber glaubt aber nicht, dass es so weit kommen wird: "Die Kosten auf uns abzuwälzen, wäre ein Verstoss gegen das in der Verfassung garantierte Recht auf Demonstrationsfreiheit." Sie könne sich nicht vorstellen, dass der Zürcher Regierungsrat dazu Hand bieten werde. Nach dem gestrigen Parlamentsentscheid muss sich nun die Regierung mit der Sache befassen und einen Antrag ausarbeiten, über den dann wieder das Parlament abstimmt.  

Marco Lüssi

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Blick am Abend 8.11.10

Veranstalter sollen bezahlen

 DEMO

 Kommt es bei Demonstrationen wie etwa den 1.-Mai-Nachdemos zu Sachbeschädigungen und Polizeieinsätzen, sollen die Veranstalter die Kosten dafür übernehmen: Der Zürcher Kantonsrat unterstützte heute Morgen vorläufig eine Einzelinitiative mit dieser Forderung. Die Initianten fordern eine Änderung des kantonalen Polizeigesetzes. Mit dem aktuellen Gesetz würden die Veranstalter von Sportveranstaltungen zum Kostenersatz verpflichtet, die Veranstalter von politischen Veranstaltungen bei Demonstrationen hingegen nicht. Das sei ungerecht. Zugunsten des Begehrens votierten 80 Ratsmitglieder - mindestens nötig gewesen waren 60 Stimmen. Vor allem FDP und SVP sprachen sich für den Vorstoss der beiden ehemaligen Zürcher Gemeinderäte der Partei für Zürich (PFZ), Susi Gut und Markus Schwyn, aus.

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REVOLUTIONÄRER AUFBAU
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aufbau.org 11.11.10

Erklärung zur Anklageerhebung

Thursday, 11. November 2010

In ihrer Presserklärung vom 10. November 2010 informiert die Bundesanwaltschaft über die Anklageerhebung gegen einen "Exponenten des Revolutionären Aufbaus Schweiz" wegen Sprengstoffdelikten und Brandstiftung. Folgende Richtigstellung drängt sich auf:

Anfangs 2009 führte die Bundesanwaltschaft eine Hausdurchsuchung bei F.M. (Initialen geändert) durch und setzte ihn für rund einen Monat in Untersuchungshaft. Diese wurde mit dem Verdacht auf Vorbereitungshandlungen für Brandstiftung begründet. Ein paar Wochen später erweiterte die Bundesanwaltschaft die Ermittlungen zusätzlich in eine völlige andere Richtung. Dies hat uns veranlasst, in Zusammenarbeit mit F.M. mit zusätzlichen Recherchen die neu erhobenen Vorwürfe zu widerlegen. Im Verlaufe dieser Arbeit sind wir auf immer grössere Ungereimtheiten gestossen und haben eigenständig weiteres belastendes Material gefunden. Die zahlreichen Funde und Erkenntnisse sind mit den Zielsetzungen unserer Organisation absolut unvereinbar und wir haben F.M. daher im Sommer 2009 aus dem Revolutionären Aufbau ausgeschlossen. Unser Angebot, ihn bei der Suche nach psychiatrischer Hilfe zu unterstützen, hat er aufgrund seiner völligen Uneinsichtigkeit verweigert, was zu einem totalen Abbruch jeglicher Kontakte mit F.M. geführt hat.

Zürich, den 10. November 2010

Revolutionärer Aufbau Schweiz

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Tagesanzeiger 11.11.10

Linksextremer Aktivist angeklagt

 Ein Mitglied des Revolutionären Aufbaus muss sich wegen Brandstiftung vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten.

 Von Stefan Hohler

 Zürich/Bern/Bellinzona - Der Fall liegt über drei Jahre zurück: Am 5. Juni 2007 soll der Angeklagte einen neuen Mercedes an der Zürcherstrasse in Schlieren angezündet haben. Dabei brannte nicht nur das Auto ab, auch die angrenzende Gebäudefassade der Mercedes-Benz AG wurde stark beschädigt. Unter einem weiteren Neuwagen fand die Polizei noch einen Brandsatz, der aber keinen Schaden verursacht hatte. Die Kantonspolizei sprach damals von rund 200 000 Franken Sachschaden. Nach der Brandstiftung erhielten verschiedene Redaktionen ein anonymes Bekennerschreiben. Darin wurde auf den G-8-Gipfel im deutschen Ostseebad Heiligendamm Bezug genommen und die Teilnahme des DaimlerChrysler-Konzerns daran kritisiert. Am 25. Januar 2008 soll der Angeklagte ein weiteres politisch motiviertes Delikt verübt haben: Ein selbst hergestellter Sprengkörper explodierte vor einer Privatbank in Zürich. Der Sachschaden war gering. In einem Bekennerschreiben wurde auf das World Economic Forum (WEF) Bezug genommen.

 Im Januar 2009 verhaftete die Kantonspolizei den mutmasslichen Täter. Es handelt sich um einen bekannten Exponenten des Revolutionären Aufbaus. Die Festnahme erfolgte nach einer Hausdurchsuchung im Zusammenhang mit dem letztjährigen WEF. Dabei fanden Polizisten Spuren, die zu den beiden Delikten führten.

 Mann ist nicht mehr in Haft

 Gestern teilte die Bundesanwaltschaft in einer Pressemitteilung mit, dass die Anklageschrift beim Bundesstrafgericht in Bellinzona eingereicht worden sei. Der Mann wird sich wegen Sprengstoff- und Branddelikten verantworten müssen. Der Prozesstermin ist noch offen. Der Mann ist laut einer Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht mehr in Haft. Ob er geständig ist, wollte sie nicht sagen.

 Das Bundesamt für Polizei bezeichnete den Revolutionären Aufbau im Jahresbericht zur Inneren Sicherheit 2007 "als wichtigste gewaltextremistische Organisation der Schweiz". Es würden gegen dessen Vertreter Untersuchungen wegen verschiedener Straftaten laufen.

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Zürichsee-Zeitung 11.11.10

Bundesanwaltschaft

 Anklage gegen Linksextremist

 Die Bundesanwaltschaft zitiert ein Mitglied des "Revolutionären Aufbaus" wegen Anschlägen im Raum Zürich vors Bundesverwaltungsgericht.

 Im Vorfeld des G-8-Gipfels in Heiligendamm 2007 und des World Economic Forum (WEF) 2008 wurden in der Region Zürich Anschläge auf Geschäftsliegenschaften verübt. Wie die Bundesanwaltschaft am Mittwoch mitteilte, habe der mutmassliche Täter dabei unkonventionelle Spreng- und Brandvorrichtungen benutzt. Im Nachgang seien anonyme Bekennerschreiben verschickt worden.

 Die Anklage lautet unter anderem auf Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht, Brandstiftung und versuchte Brandstiftung sowie Aufbewahren und Verbergen von Sprengstoffen. Jeannette Balmer, Sprecherin der Bundesanwaltschaft, bestätigte auf Anfrage, dass es sich während des WEF um einen Anschlag mit Feuerwerkskörpern auf eine Privatbank in Zürich handelte und um ein von G-8-Gegnern angezündetes Auto in einer Garage in Schlieren.

 Gewaltbereite Organisation

 Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) bezeichnete 2007 in seinem Bericht zur inneren Sicherheit den "Revolutionären Aufbau" als "wichtigste gewaltextremistische Organisation der Schweiz". Im Jahresbericht 2009 hielt das Fedpol fest, dass gegen Vertreter der linksextremen Organisation Untersuchungen wegen verschiedener Straftaten liefen.

 Der "Revolutionäre Aufbau" kämpft unter anderem "gegen den Kapitalismus im Allgemeinen", wie seiner Webseite zu entnehmen ist. Gemäss Communiqué der Bundesanwaltschaft behält sich die Organisation "zur Erreichung ihrer Ziele die Verübung von Straftaten ausdrücklich vor". (sda)

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admin.ch 10.11.10

Anklageerhebung wegen Sprengstoff- und Branddelikten
Bern, 10.11.2010 - Die Bundesanwaltschaft (BA) erhebt vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona Anklage gegen einen Exponenten des Revolutionären Aufbaus Schweiz. Dem Angeklagten werden Sprengstoffdelikte und Brandstiftung im Raum Zürich zur Last gelegt.

Der Fall betrifft vor allem Anschläge mit unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen (sog. USBV) auf Geschäftsliegenschaften im Raum Zürich. Diese wurden im Vorfeld des G8-Gipfels in Heiligendamm (D) im Juni 2007 und zu Beginn des World Economic Forum WEF 2008 verübt. Im Nachgang an diese Vorgänge wurden anonyme Bekennerschreiben verschickt.

Der Angeklagte gehört dem Revolutionären Aufbau Schweiz (RAS) bzw. der Sektion Revolutionärer Aufbau Zürich (RAZ) an. Die Organisation ist international vernetzt, setzt sich auf eigenen Internetseiten für eine andere Gesellschaftsform ein und behält sich zur Erreichung ihrer Ziele die Verübung von Straftaten ausdrücklich vor.

Die Anklage der BA lautet vorderhand auf Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht (Art. 224 des Schweizerischen Strafgesetzbuches; StGB), Brandstiftung und versuchte Brandstiftung (Art. 221 StGB), Aufbewahren und Verbergen von Sprengstoffen (Art. 226 StGB). Für den Angeklagten gilt bis zur gerichtlichen Beurteilung die Unschuldsvermutung.

Die Anklageschrift wurde beim Bundesstrafgericht in Bellinzona eingereicht. Damit geht die Zuständigkeit für die Information der Medien auf das Bundesstrafgericht über.

Adresse für Rückfragen:
Jeannette Balmer, Mediensprecherin BA, +41 (0)31 324 32 40, info@ba.admin.ch

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SOZIALPOLIZEI ZH
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Tagesanzeiger 7.11.10

"Wenn zugeschlagen wird, dann härter"

Schüepp Werner

 Seit die SIP im Jahr 2000 erstmals durch Zürich patroullierte, ist sie um das Fünffache gewachsen. Die Stadt werde die mobilen Sozialarbeiter weiterhin brauchen, sagt Leiter Christian Fischer.

 Mit Christian Fischer sprach  Werner Schüepp

 Wie war das erste Jahr bei der SIP?

 Ich sehe das Amtshaus Helvetiaplatz vor mir. Von dort aus sind wir mit den Patrouillen gestartet. Unsere ersten Einsatzorte waren die Bäckeranlage, die Langstrasse, vereinzelte Hinterhöfe und der Stadelhoferplatz. Das waren unsere praktischen Lern- und Experimentierfelder für die Arbeit in der Öffentlichkeit. Ebenfalls noch sehr präsent ist mir eine Begegnung mit einer Bekannten auf der Bäckeranlage. Sie rief mir zu: "Jetzt mached ändlich öppis!" Da habe ich gemerkt, wie gross die Erwartungshaltung der Bevölkerung war.

 Es war eine gewagte Idee, Sozialarbeiter auf die Strasse zu schicken. Die Polizei war gegenüber der SIP skeptisch, Politiker kritisch, und die Presse beschrieb den SIP-Bus als "Märlitram für Randständige". Auf der Strasse fragte man: Sind die SIP-Leute verkleidete Alkoholiker oder Teilnehmer eines Arbeitseinsatzprogramms? Wie gingen Sie mit solchen Vorwürfen um?

 Es war keine einfache Zeit. Obwohl die SIP von der Stadt als Reaktion auf die problematischen Zustände in der Bäckeranlage und am Stadelhofen gegründet wurde, haben wir uns in den Anfangsmonaten ebenfalls gefragt, ob es Sinn macht, neben der Polizei noch eine mobile Interventionstruppe einzusetzen. Die externe Skepsis hat sich aber im Laufe der Zeit gelegt. Viele haben gemerkt, dass wir keine Polizisten sind und auch nicht zur Polizei gehören. Ab und zu flammte die Diskussion wieder auf, die SIP ins Polizeidepartement einzugliedern. Ich war immer vehement dagegen.

 Warum?

 Weil dies das Ende der SIP wäre. Ich bin der Überzeugung, dass der nicht immer einfache Spagat zwischen ordnungsdienstlichem und sozialarbeiterischem Auftrag erst die nötige betriebliche Spannung schafft.

 Sie gehen regelmässig auf Patrouille. Hatten Sie nie Schwierigkeiten mit der Doppelfunktion als Ordnungshüter und Sozialarbeiter?

 Nein, das ist für mich kein Problem. Ich bin Sozialpädagoge, und als solcher hat man immer zwei Haltungen: eine autoritäre, sanktionierende und eine führende, unterstützende. Genau dies kann ich bei meiner SIP-Arbeit umsetzen.

 Wie hat sich die SIP entwickelt?

 Heute ist sie ein etablierter Betrieb. Wir haben als Pilotprojekt mit sechs Mitarbeitern begonnen, jetzt zählt das Team fast 30 Personen, und wir bekommen Anrufe von Privatpersonen aus allen städtischen Quartieren. Es freut mich, dass sich die Idee bewährt hat, mit einer Verbindung von ordnungsdienstlichen und sozialarbeiterischen Eingriffen dafür zu sorgen, dass in der Stadt weniger Konflikte und Gewalt entstehen.

 Ihre Kundschaft hat sich in den letzten zehn Jahren verändert. Früher waren es vor allem randständige Menschen wie Obdachlose oder Drogensüchtige. Und heute?

 Momentan haben wir es fast mit allen Bevölkerungsgruppen zu tun. An einem Abend ist es eine Schar ausgelassener Partygänger, an einem andern eine Gruppe lautstarker Halbstarker. Unser Ziel bleibt gleich: Wir versuchen, überall dort zu vermitteln und Toleranz zu fördern, wo es zwischen solchen Gruppen und andern Nutzern zu Beanstandungen kommt, beispielsweise wegen Lärms oder Alkohols.

 Zürich hat sich zu einer Partystadt entwickelt. Ein Problem?

 Heute gehen viel mehr Jugendliche als früher in den Ausgang. Sie kommen erst gegen 22 Uhr und bleiben bis in alle Herrgottsfrüh. Diese Situation hat unsere Arbeit schon verändert, am Wochenende sind wir praktisch 24 Stunden lang im Einsatz. Unsere Hotspots erstrecken sich dabei über die ganze Stadt. Und es gibt Quartiere, beispielsweise den Kreis 4, wo es am Wochenende zu einer explosiven Mischung aus Party- und Drogenszene sowie Prostitution kommen kann. Das macht unser Eingreifen schwierig.

 Was heisst das genau?

 Wir versuchen, im Rahmen unseres Projekts "Züri Courage" auf Jugendliche zuzugehen, sie anzusprechen und auch die Eltern beizuziehen. Das klappt bis zwei Uhr nachts relativ gut. Nachher wird es schwieriger, weil die meisten jungen Männer, die keine Frau haben, betrunken und frustriert sind. Diese Klientel erreichen wir nicht mehr mit Worten.

 Bleibt nur noch der Ruf nach der Polizei?

 Genau. Wenn nichts mehr geht, alarmieren wir die Polizei, bei der das Gewaltmonopol liegt. Die SIP hat keine polizeilichen Kompetenzen. Wir können subjektive Sicherheit vermitteln, aber nicht mit Gewalt Sicherheit schaffen.

 Kam es schon zu Tätlichkeiten gegen SIP-Mitarbeiter?

 Ja, wenn auch selten.

 Wird es auf der Strasse brutaler?

 Nein, die Gewaltbereitschaft ist in den letzten zwei, drei Jahren eher gesunken. Man geht heute nicht mehr primär nach Zürich in den Ausgang, nur um "Lämpe" zu machen und Schlägereien anzuzetteln. Was mir auffällt: Wenn zugeschlagen wird, dann allerdings härter.

 Haben andere Schweizer Städte die Zürcher SIP kopiert?

 Wir bekommen immer wieder Besuch, auch aus dem Ausland. Es gibt Städte, die etwas Ähnliches auf die Beine gestellt haben. In Bern gibt es mit Pinto ein verwandtes Angebot, in Luzern existiert ebenfalls eine SIP.

 Wohin wird sich die SIP in den nächsten zehn Jahren entwickeln?

 Die Arbeit wird uns bestimmt nicht ausgehen, denn die Spannung zwischen denen, die den öffentlichen Raum uneingeschränkt nutzen wollen, und jenen, die für ihn Regeln fordern, wird nicht abnehmen. Ich hoffe allerdings nicht, dass die Regeln des Anstands in den kommenden Jahren weiter abnehmen. Insofern wäre es mir lieber, wenn die SIP nicht weiterhin wachsen und grösser würde.

 Christian Fischer

 Der 54-jährige Sozialpädagoge ist seit der Gründung Betriebsleiter der SIP.

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 Die SIP

 Seit zehn Jahren im Einsatz

SIP Zürich (Sicherheit Intervention Prävention) wurde als ämterübergreifender Pilotversuch im Frühling 2000 gegründet. Die mobile Einsatztruppe bewegt sich auf den Strassen, Parks, Plätzen und Schulgeländen der Stadt. Sie greift ein bei Störungen, Konflikten und Belästigungen und bietet Unterstützung. Im Fokus stehen die Anliegen und Bedürfnisse von Jugendlchen. Die SIP Zürich hat keine polizeilichen Kompetenzen und gehört dem Sozialdepartement an. (wsc)

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POLICE CH
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Sonntagsblick 7.11.10

Am Freitag wird Karin Keller-Sutter Chefin der kantonalen Sicherheitsdirektoren

 Kirche behindert Politik

 INTERVIEW:  MARCEL ODERMATT  UND  REZA RAFI  ; SABINE WUNDERLIN (FOTO)

 Die St. Galler FDP-Regierungsrätin will eine schärfere Asylpolitik und fordert regionale Polizeiverbunde.

 Der neue Bundesrat hat am Mittwoch zum ersten mal getagt - ohne Sie. Sind Sie wehmütig, dass Sie nicht dabei sind, Frau Regierungsrätin?

 Karin Keller-Sutter: Dafür habe ich keine Zeit. Für mich war das Thema am 22. September abgeschlossen.

 Das Thema Bundesrat oder das Thema Bern?

 An Bundesratswahlen kandidiert man in der Regel nur einmal. Allenfalls stehe ich für die nationalen Parlamentswahlen zur Verfügung.

 Und am 12. November werden Sie zur Präsidentin der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) gewählt.

 Sagen wir: Ich stelle mich zur Verfügung. Selbstverständlich ist es an meinen Kollegen, zu entscheiden.

 Wie ist Ihr Verhältnis zur neuen Justizministerin Simonetta Sommaruga?

 Sehr gut. Frau Sommaruga ist die vierte EJPD-Vorsteherin, die ich in meiner Amtszeit erlebe. Ihre Vorgänger waren in unterschiedlichen Parteien, was ich nicht merkte.

 Sommaruga ist eine Linke, deren Partei, die SP, aus dem EJPD ein "Menschenrechtsdepartement" machen will.

 Das EJPD hat noch andere Aufgaben ausser der Wahrung der Menschenrechte. Frau Sommaruga wird mit Fragen konfrontiert sein, wo es für eine Sozialdemokratin schwieriger ist als für Bürgerliche.

 Wie meinen Sie das?

 Denken Sie an die Asylgesetzrevision, welche die Linke bekämpft hat. Falls es darüber zu einer Abstimmung kommt, wird sie das vertreten müssen - ob sie innerlich überzeugt ist oder nicht.

 Die Schweizer Asylzahlen steigen: Von Juli bis September 2010 waren es 3926 Gesuche; 10,8 Prozent mehr als im Vorjahr. Was läuft schief?

 Die Schweiz ist geografisch exponierter als etwa Grossbritannien. Und wir sind nach wie vor sehr attraktiv für Asylsuchende. Bedingungen, die viele als hart und unmenschlich darstellen, entsprechen europäischem Durchschnitt!

 Konkret?

 Unser Nothilferegime wird oft als karg und geizig beschrieben. Aber mit dieser Nothilfe können Sie sich hier immer noch besser durchschlagen als in Somalia.

 Soll man die Nothilfe kürzen?

 Das bringt nichts, denn wir haben Schattenstrukturen. Die Kirche verpflegt Leute, die ausreisen müssen; es gibt Mittagstische und bezahlte Wohnungen für sie. Da gibt es keinen Anlass abzureisen.

 Also unterminieren Private und Kirche die Schweizer Asylpolitik?

 Es gibt Kreise, die sie behindern.

 Unter Christoph Blocher gingen die Asylzahlen zurück, bei Widmer-Schlumpf stiegen sie.

 Das liegt nicht an einer Einzelperson. Grosse Auswirkung haben Gerichtsentscheide - das Urteil etwa, das bei den Eritreern die Militärdienstverweigerung als Fluchtgrund anerkennt.

 Soll der Familiennachzug für Drittstaatler erschwert werden?

 Da gibt es ein Problem. Frauen, die nichts anderes als das Leben in ihrem Dorf im Balkan kennen, werden hier eingeheiratet. Das behindert die Integration. Wir verlangen deshalb für alle Ausländer mit B-Bewilligung Integrationsvereinbarungen. Dazu gehören Deutschkurse: Wer nicht mitmacht, verliert die Aufenthaltsbewilligung.

 Die KKJPD prüft die Schaffung einer gemeinsamen Polizeitruppe mit mehreren Hundert Mann ...

 In der Schweiz fehlen 1000 bis 1500 Polizisten. Die Kantone prüfen, wie sie dieses Problem lösen können. Mich stört ohnehin, dass wir in diesem Land Sicherheitsstrukturen haben, die von 1848 stammen. Man sollte sich mehr zusammenschliessen.

 Sie wollen die Polizeihoheit der Kantone beschneiden?

 Im Gegenteil. Das gegenseitige Abtreten von Macht stärkt die Kantone. Ich bin auch für eine Kripo Ostschweiz.

 Sie fordern regionale Polizeiverbunde?

 Man könnte es auch Sicherheitsverbunde nennen.

 Warum kämpfen Sie gegen die Ausschaffungsinitiative?

 Weil die Initiative zu lückenhaft ist - ich will am 28. November wissen, was gilt. Wenn das Parlament nachbessern muss, werden die Regelungen nur verwässert. Darum bin ich für den Gegenvorschlag.

 Ist der ehrlich gemeint - oder nur ein Mittel, um die SVP-Initiative zu bodigen?

 Er brächte eine Vereinheitlichung der Wegweisungspraxis nach dem Muster der strengeren Ostschweizer Kantone.

 Die Linke unterstützt den Gegenvorschlag nicht ...

 Das "Politbüro", also die Parteispitze, scheint mir hier sehr ideologisch, die Basis aber denkt praktischer.

 Ohne Gegenvorschlag, wie würden Sie stimmen?

 Dann würde ich Nein stimmen. Ich kann ruhig schlafen, weil wir in unserem Kanton bereits eine gute, strenge Praxis mit kriminellen Ausländern haben.

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nzz.ch 8.11.10

Kantone lassen Polizisten ungern ins Ausland

 Begehrte Polizeiexperten aus kantonalen Polizeikorps für internationale Friedensmissionen

 Am Freitag entscheidet die Konferenz der Polizeidirektoren, ob das Kontingent von Schweizer Polizisten für Friedensmissionen erhöht werden soll. Die Vereinbarung ist bei den Kantonen umstritten.

 Martin Merki

 Theoretische und praktische Schiessausbildung, Fahndung und Aufbau von Gefängnis-Administrationen. So breit gefächert und verschieden können die Einsätze von Schweizer Polizeiexperten sein, die seit rund zehn Jahren in internationalen Friedensoperationen von Uno, OSZE und EU eingesetzt werden. Zusammen mit Spezialisten aus Grenzwachtkorps und Zoll sind derzeit zwischen 10 und 20 Experten im Einsatz, und zwar in den Schwerpunktregionen der schweizerischen Friedensförderung: in Bosnien, in Kosovo und in westafrikanischen Staaten, nämlich in Côte d'Ivoire, Liberia und Guinea-Bissau. "Schweizer Experten sind aufgrund ihrer guten Qualität gefragt, und sie können in vielen Bereichen eingesetzt werden", sagt Adrian Sollberger, Mediensprecher beim EDA.

 Am kommenden Freitag entscheidet die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD), ob die Zahl der Kantonspolizisten, die in Friedensmissionen eingesetzt werden, erhöht werden soll. Die Kantonsvertreter unter dem Vorsitz von Markus Notter (Zürich) befinden über eine Vereinbarung unter den Kantonen und einen Letter of Understanding mit dem EDA. Geregelt werden sollen die Modalitäten der Freistellung von Polizeiexperten der einzelnen kantonalen Polizeikorps.

 Bis zu 30 Polizeiexperten

 Aufgrund der starken Nachfrage nach professionellen Polizeikräften bei Friedensmissionen soll das Schweizer Kontingent von derzeit 10 bis 20 Experten auf 30 erhöht werden, ein Drittel davon Grenzwächter und Zollexperten des Bundes. Das Parlament hat die Mittel für die Friedensmissionen erhöht. Stimmt die Polizeidirektorenkonferenz der Vereinbarung an ihrer Halbjahresversammlung zu, wird die Versammlung noch darüber befinden, ob die Polizisten nach Bevölkerungszahl der Kantone oder nach Korpsgrösse entsendet werden.

 Auslandeinsätze sind eine "grundsätzlich gute Aufgabe", findet Beat Hensler, Kommandant der Luzerner Kantonspolizei und ehemaliger Präsident der Konferenz der kantonalen Polizeikommandanten. Doch trotz den interessanten Auslandeinsätzen sind Polizisten aus den ordentlichen Polizeikorps bei den Friedensmissionen heute selten, weil sie die kantonalen Polizeikommandanten ungern ziehen lassen. Die wenigen, die mitmachen, künden häufig und können nachher nicht mehr im gleichen Korps weiterbeschäftigt werden. Vorgesehen ist, dass das EDA künftig die Kosten für die Auslandeinsätze übernimmt. Das sei zwar erfreulich, sagt Luzerns Polizeikommandant Hensler. Aber Geld allein löse das Problem nicht. Ins Ausland gingen keine Polizeischüler, sondern erfahrene Spezialisten, die eine Lücke ins Korps rissen. Zudem fehlten gesamtschweizerisch 1500 Polizisten. Deshalb seien die Polizeikommandanten zurückhaltend.

 Heisses Thema

 Ob die Vereinbarung gutgeheissen oder abgelehnt wird, ist offen. Die Ostschweizer Polizeidirektoren hätten sich eingehend mit der Frage beschäftigt, sagt Claudius Graf-Schelling, Sicherheitsdirektor im Kanton Thurgau. "Es ist ein heisses Thema", bestätigt Roger Schneeberger, Sekretär der Konferenz. Nur Peter Reuteler, Sicherheitsdirektor des Kantons Schwyz und Präsident der Zentralschweizer Polizeidirektoren, lässt sich in die Karten blicken und deutet Distanz an. Die Kleinkantone in der Zentralschweiz stünden dem Begehren skeptisch bis ablehnend gegenüber. "Wir haben schon Mühe, die laufenden Aufgaben bei den knappen Beständen zu erfüllen."

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Sonntagszeitung 7.11.10

Zöllner als Bahnpolizei

 Die Kantone reagieren irritiert

 Bern Das Grenzwachtkorps (GWK) hat sich in Europa als Bahnpolizei positioniert. Gemäss der europäischen Bahnpolizei-Organisation Railpol ist das GWK offizieller Ansprechpartner für die Schweiz in operativen Fragen. Kantonale Sicherheitsverantwortliche wurden darüber nicht informiert. Für die St. Galler Polizeidirektorin Karin Keller-Sutter ist die Rolle des GWK als Bahnpolizei neu. Auch der Luzerner Kantonspolizeikommandant Beat Hensler sagt, er habe bisher keine Kenntnis davon gehabt. Für Keller-Sutter ist klar: "Eine Information der Kantone wäre sicher zielführend gewesen."

 Keine Grundlagen in der Bundesverfassung

 Selbst auf der europäischen Railpol-Homepage wird betont, dass die Kantone eigentlich für die Sicherheit verantwortlich sind. Das GWK schreibt zwar korrekt, dass diese ihm sicherheitspolizeiliche Aufgaben im Bahnbereich abgetreten hätten. Doch das ist umstritten. So sagt der Basler Polizeirechtler Markus Mohler: "Grundlagen für sicherheitspolizeiliche Aufgaben des GWK gibt es in der Verfassung nicht." Vielmehr sei vorgesehen, dass es in Absprache mit den jeweiligen Kantonen grenzpolizeiliche Aufgaben erfülle. "Insofern ist es verfassungsrechtlich nicht zulässig, wenn Kantone in Vereinbarungen sicherheitspolizeiliche Aufgaben im Bahnbereich ans GWK delegiert haben."

 Stefanie Widmer, Sprecherin der Eidgenössischen Zollverwaltung, verteidigt die Mitarbeit bei Railpol: "Die operative Teilnahme begründet sich darin, dass das GWK Grenzkontrollen im Bahnverkehr wahrnimmt." Die Zusammenarbeit sei mit dem Bundesamt für Polizei und den SBB abgesprochen, das GWK bezeichne sich auch nirgends als Bahnpolizei.

Matthias Halbeis

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BIG BROTHER SPORT
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NLZ 6.11.10

Fackeln sollen erlaubt werden

 Fussballstadion

lw.

 Eine Idee aus Bern stösst in Luzern auf offene Ohren: In Stadien sollen Fackeln zugelassen werden. Doch es gibt auch Kritik.

 lw. Immer wieder zünden Fussballfans in Schweizer Stadien Fackeln. Doch das ist gemäss Sprengstoffgesetz verboten. Um die Fans zu entkriminalisieren und die Sicherheit zu erhöhen, macht die Stadtberner SP/Juso-Fraktion einen brisanten Vorschlag: In den Stadien sollen die Fans an klar definierten Orten und unter klar definierten Bedingungen legal Feuerwerk abfackeln dürfen.

 Beim FC Luzern erhält der Vorschlag gute Noten. Entschieden gegen die Legalisierung stellt sich der Schweizer Fussballverband. "Zu gefährlich", heisst es dort.

 FC St. Gallen ist gerettet

 sr. Der FC St. Gallen hat den Überlebenskampf gewonnen. Private Ostschweizer Geldgeber und die Bankenkommission haben den arg verschuldeten Super-League-Verein mit Beiträgen von 14,68 Millionen Franken saniert. "Die Gesellschaften des FC St. Gallen konnten dank diversen Kraftakten und ohne Zuschüsse der öffentlichen Hand nach- haltig gerettet werden. Erst seit Mitte Woche drehte sich das Pendel ins Positive", erklärte Dölf Früh, der neue Verwaltungsratspräsident.

 Morgen gegen GC

 Der FC St. Gallen ist nun wieder liquid und macht sich auf die Suche nach einem vollamtlichen Sportchef, der bis spätestens Ende Jahr bekannt sein soll. Morgen treffen die Ostschweizer auswärts auf die Grasshoppers, die am Ende der Tabelle sind. St. Gallen liegt mit vier Punkten Vorsprung nur einen Platz vor den Zürchern.

 Kommentar 5. Spalte

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Fackeln im Stadion legalisieren?

Luca Wolf

 Feuerwerk Immer wieder brennen Fans im Stadion verbotenerweise Fackeln ab. Politiker möchten das Verbot kippen. Die Vereine sind dafür, der Fussballverband nicht.

 luca.wolf@neue-lz.ch

Fackeln in Fussballstadien abzubrennen, ist gemäss Sprengstoffgesetz verboten. Das soll sich ändern, fordert die Stadtberner SP/Juso. Sie schlägt ein Pilotprojekt zum kontrollierten, sicheren Abbrennen von solchem Pyromaterial in klar definierten Bereichen vor. Denn das Pyroverbot werde ständig umgangen und polizeilich kaum geahndet. "Fans, die Pyros zünden, sind nicht gleichzusetzen mit den wenigen Gewalttätern im Stadion", sagt SP-Co-Präsidentin Flavia Wasserfallen gegenüber "Blick am Abend". Die Fackeln seien Teil der Fankultur und würden für gute Stimmung sorgen.

 FCL würde es ausprobieren

 Die bis zu 2000 Grad heissen Fackeln können jedoch extrem gefährlich sein. Im April 2008 etwa, beim Spiel FC Basel gegen FC Zürich, warfen FCZ-Chaoten Fackeln und Petarden auf die Basler Anhänger. Mehrere Personen wurden verletzt. An FC-Luzern-Heimspielen hingegen gab es in den letzten Jahren kaum je solche Vorfälle, sagt Sicherheitschef Mike Hauser. Zuletzt krachte es hier vor 15 Jahren, als Basler die Luzerner mit Leuchtkugeln beschossen.

 Und was hält Hauser von der Idee aus Bern? "Das kontrollierte Abfeuern würde sicherer, es gäbe wohl weniger Verletzungen. Wenn es die Gesetze erlauben würden, spricht nichts dagegen, das auszuprobieren." Jedoch könne diese Massnahme nicht garantieren, dass im Fansektor keine weiteren Pyros gezündet würden. Sowieso müssten alle Beteiligten am gleichen Strang ziehen und sich an klare Auflagen halten. Hauser erinnert daran, dass etwa auch an Nachtslaloms viel Feuerwerk gezündet werde, ohne dass es jemanden störe.

 Kritik vom Fussballverband

 Ganz anders tönt es bei Ulrich Pfister, Sicherheitsverantwortlicher beim Schweizerischen Fussballverband (SFV): "Solche Feuerwerke, die in einer Menschenmasse abgebrannt werden, sind gefährlich und gehören nicht ins Stadion." Die Idee sei wegen des Verbots auch nicht zu Ende gedacht. Das müsste zuerst aufgehoben werden. "Meine Erfahrung mit der Fanszene ist zudem, dass diese sich nicht regulieren lassen will. Und wer würde die Verantwortung übernehmen, falls doch etwas passiert? Wären die Fans bereit, zu ihrer Schuld zu stehen, oder müsste der Verein den Kopf hinhalten?"

 "Ausdruck der Fankultur"

 René Schwarzentruber, Präsident der Fanorganisation United Supporters Luzern (USL), sagt zur Idee: "Obwohl die USL das Pyroverbot respektiert und Pyroaktionen weder organisiert noch finanziert, begrüssen wir den Vorstoss aus Bern." Spieltag für Spieltag beweise sich, dass der Weg der pauschalen Repression gescheitert sei. Die Situation sei für niemanden befriedigend. Auch die Sicherheit aller Zuschauer leide, weil verstecktes Abbrennen weit gefährlicher sei als offenes, kontrolliertes. Schwarzentruber sagt: "Es ist an der Zeit, dass man das Abbrennen von Pyro nicht länger per se als Gewaltakt definiert, sondern als Ausdruck der Fankultur akzeptiert."

 Gute Noten erhält der SP/Juso-Vorschlag auch vom FCB-Mediensprecher Josef Zindel. "Wir begrüssen diese Idee." Man müsste jedoch darauf achten, dass nur ungefährliche Pyros verwendet werden. Die gebe es durchaus, nicht alle Pyros würden heiss. "Kontrolliertes abbrennen von Feuerwerk hatten wir im alten Joggeli-Stadion. Das hat problemlos geklappt", sagt Zindel.

 Auch beim FCZ zeigt man sich interessiert. So sagt Sicherheitschef Martin Guglielmetti: "Diese Grundidee müsste man weiterverfolgen. Sie könnte zu mehr Sicherheit beitragen."

 Doch noch ist die Pyrolegalisierung nicht mehr als ein Vorschlag. Und so lange gilt laut FCL-Sicherheitschef Mike Hauser: "Wenn wir jemanden erwischen, der Pyros zündet oder ins Stadion schmuggeln will, erhält er ein zweijähriges Stadionverbot und wird der Polizei übergeben. Zudem gibts einen Eintrag in die Hooligan-Datenbank des Bundes."

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 Pro

 Einen Versuch wert

 Luca Wolf, Redaktor Ressort Stadt/Region Luzern

 Nein, natürlich braucht es keinen Rauch und keine Fackeln im Stadion für eine gute Stimmung. Und ja, solche Pyromaterialien können eine Gefahr für die Gesundheit darstellen.

 Also ab in den Kübel mit dem Vorschlag der Stadtberner SP, dass die Hardcore-Fans in ihrem Sektor an klar definierten Stellen und mit klaren Auflagen legal Pyros abbrennen dürfen? Nein. Denn so fahrlässig sich der Vorschlag im ersten Augenblick anhört, ihn gleich zu verteufeln, wäre zu einfach.

 Warum wohl finden die grossen Fussballclubs FC Basel, FC Zürich und FC Luzern Gefallen am Gedanken? Sind sie es doch, die sich Woche für Woche mit der Problematik konfrontiert sehen. Denn in Schweizer Stadien wird in schöner Regelmässigkeit Feuerwerk entfacht. Das geltende Verbot und die drohenden Strafen ändern da überhaupt nichts. Würden die Clubs dem Vorschlag Kredit geben, wenn sie nicht der Ansicht wären, die Sicherheit der Zuschauer könnte sich dadurch verbessern? Wohl kaum.

 Die üblen Fackelwürfe in Basel und anderswo sind auf völlig verblödete Idioten zurückzuführen. Die Täter gehören hart bestraft und sollten nie wieder ein Stadion von innen sehen. Aber das sind Einzelfälle. In Luzern etwa ist das letzte Mal vor 15 Jahren jemand übel verletzt worden. Feuerwerk und Gewalt haben zudem nichts miteinander zu tun. Vielmehr sind es in der Regel die treuen, friedlichen und enorm engagierten Fans, die für die laute und farbige Stimmung im Stadion verantwortlich sind. Für sie gehören Fackeln und Rauchpetarden zur Fankultur.

 Warum also nicht den Versuch wagen? Klappts, gibts zufriedene Fans, Clubs und Stadionbetreiber sowie vor allem noch weniger Zwischenfälle. Klappts nicht, soll die Aktion sofort beendet werden.

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 Kontra

 Kapitulation vor den Pyromanen

 Christian Bertschi, Ressortleiter Stadt/Region Luzern

 Was ist bloss in die Berner Sozialdemokraten gefahren? Sie fordern in einem Pilotversuch, Feuerwerke im Fussballstadion Stade de Suisse der Young Boys in definierten Bereichen zu erlauben. Der Grund: Die Polizei könne die Pyros in den Stadien eh nicht unterbinden.

 Das gleicht einer Kapitulation vor einer verschwindend kleinen Minderheit von Fussballfans, die sich nicht an die gängigen Spielregeln hält. Gerade im Fussball gilt: Wer grob gegen die Spielregeln verstösst, wird bestraft - mit der roten Karte. Und erhält keinen separaten Bereich, wie es für die Fans vorgeschlagen wird, wo der fehlbare Spieler vielleicht sogar noch ein paar Jonglierkünststücke dem Publikum vorführen darf.

 Pyros und Feuerwerkekönnen fürs Auge vielleicht schön sein, in einem Sportstadion haben sie während einer Partie aber definitiv nichts verloren. Die bis zu 2000 Grad heissen Fackeln sind gefährlich, in einer Masse gezündet sowieso. In Basel sind auf den Zuschauerrängen mehrmals unbescholtene Matchbesucher durch Petardengeschosse verletzt worden. Zudem schränkt der entstehende Rauch das Sichtfeld der Zuschauer ein, die für den Besuch im Stadion eine Menge Geld ausgeben. Und nicht nur Kinder erschrecken, wenn Knallpetarden im Stadion explodieren.

 Eine tolle Stimmung im Stadion erzeugen die echten, die wirklichen Fans nicht mit Zeuseleien, sondern mit ihren Gesängen, mit ihren Musikinstrumenten und mit ihren Fahnen. Der Kreativität sind kaum Grenzen gesetzt. Gerade die Luzerner Fans zeigen immer wieder ganz tolle Choreografien. Feuer brauchen sie dazu nicht.

 Pyros müssen aus den Stadien verbannt bleiben, die Feuerwerker hart bestraft werden. In unseren Fussballstadien wollen wir Fussballspiele sehen - fürs Feuerwerk treffen wir uns am Luzerner Fest.

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Blick am Abend 5.11.10

Fackeln legalisieren

 PYRO

 Legal Zünden im Stadion: Auch in Luzern ist man Feuer und Flamme für die Idee.

 michael.graber@ringier.ch

 Um Pyros ist eine heisse Diskussion entbrannt - die auch in Luzern auf offene Ohren stösst. "Die Berner Idee klingt sehr einleuchtend", sagt Simon Roth von den Jungsozialisten. Damit meint er den Vorschlag der dortigen SP/Juso Pyrotechnik im Fussballstadion im Rahmen eines Pilotprojektes zu erlauben. Das Verbot solcher Feuerwerke bringe nichts, da es von den Fans missachtet werde und von der Polizei nur selten geahndet. Dabei habe aber stets die Sicherheit der Matchbesucher oberste Priorität, so die Berner.

 Gerade mit der neuen Swissporarena sieht Roth Chancen: "Dort hat man ja im Gegensatz zum Gersag viel Platz und kann gut einen Sektor freigeben." Alle jene die Angst vor den sehr heissen Fackeln haben, könnten dann einfach diese Plätze meiden.

 Beim FC Luzern will man kein offizielles Statement zur Idee aus der Hauptstadt abgeben. Man verweist aber auf die hohe fünfstellige Summe, die man pro Saison an Bussen zahle, wegen Fackeln beim eigenen Anhang.

 Ob die Juso/SP auch in Luzern einen Vorstoss platzieren wird, kann Simon Roth noch nicht sagen: "Das kommt auch darauf an, ob die Fans überhaupt eine solche Zone wollen." Es bringe ja nichts so etwas zu schaffen, wenn es dann gar nicht genutzt werde.

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RECHTSEXTREMISMUS
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NZZ 11.11.10

Neonazis in der Fussball-Bundesliga

 Leader Dortmund stark betroffen

 ako. · Lange galt Rechtsextremismus im deutschen Fussball als ein auf den Osten des Landes beschränktes Phänomen, als ein Problem unterklassiger Klubs in maroden Stadien. Grossen Zulauf an Neonazis hat jedoch ausgerechnet der Bundesliga-Tabellenführer Dortmund. In den Stadien verhalten sich die Neonazis unauffällig; sie suchen nicht die Konfrontation, sondern versuchen, neue Leute anzuwerben. Zu Schlägereien sowie rassistischen und antisemitischen Parolen kommt es vor allem auf der Fahrt zu Auswärtsspielen.

 Die Vereinsführung von Borussia Dortmund spielt das Problem herunter. Dennoch werden im Rahmen des Fanprojekts regelmässig Fahrten zu KZ-Gedenkstätten durchgeführt.

 Sport, Seite 48

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In den Stadien auffällig unauffällig

 Die Neonazis rekrutieren ihren Nachwuchs auf den Tribünen der Fussball-Bundesliga. Zugeschlagen wird anderswo

 Rechtsextremismus im deutschen Fussball wurde gerne auf eine Erscheinung im Osten des Landes reduziert - als Problem unterklassiger Klubs in maroden Stadien. Regen Zulauf verzeichnet aber ausgerechnet der Bundesliga-Leader Dortmund.

 Olaf Sundermeyer

 Am Freitag werden sie wieder auf der grössten Stehplatztribüne Europas stehen. So wie immer bei den Heimspielen von Borussia Dortmund, dem Tabellenführer der ersten Fussball-Bundesliga. Neonazis der neuen Generation, die sich selber Autonome Nationalisten nennen - eine Gruppierung, die der Verfassungsschutz in Deutschland als "äusserst gewaltbereit" einstuft und die für eine Zunahme von Straftaten aus dem rechtsextremen Spektrum verantwortlich ist. Ihre Zahl wird bundesweit auf 800 geschätzt, die Ruhrgebietsstadt Dortmund ist ihre Hochburg. Das grösste Problem für die Sicherheitsbehörden ist, dass diese jugendlichen Aktivisten nur schwer als Neonazis zu erkennen sind. Sie tragen schwarze Basecaps, Allwetterblousons und Turnschuhe. So wie die Ultras, die erlebnisorientierten, besonders radikalen Fussballfans, die beim BVB für eine einzigartige Stadionkulisse sorgen. Auf der Tribüne stehen die Ultras und die Neonazis Schulter an Schulter.

 "Sieg Heil"

 Rolf-Arnd Marewski kennt viele der zahlreichen Ultras, und er kennt die Neonazis unter ihnen. Der Sozialarbeiter leitet das Dortmunder Fanprojekt und schätzt, dass sich "bestimmt sechzig Rechte aus der ganzen Region" im Stadion unter die Ultras mischen. So wie jener Aussteiger aus der militanten Szene, der bis vor eineinhalb Jahren mit anderen Autonomen Nationalisten in Dortmund gelebt hat. An den Wochenenden sei man mit der Ultra-Gruppe Desperados ins Stadion gegangen. "Diese Gruppe ist nicht zwangsläufig rechts drauf, aber auf jeden Fall rechtsoffen." Gemeinsam habe man mit den rechtsextremen BVB-Hooligans der Northside den Strassenkampf trainiert. Angeleitet von einem Kampfsportler, der zu dieser Zeit auch als Ordner im Stadion des BVB eingesetzt war. Bei den Kämpfen der Northside sei dieser jeweils in der ersten Reihe gestanden. Bei diesen sogenannten Matches in Wald und Wiese treffen 20 Mann auf 20 Mann eines anderen Klubs. Nach diesen Kämpfen schreien die Dortmunder bis heute "Sieg Heil, Sieg Heil, Sieg Heil" und recken die Arme zum Hitlergruss. Vorausgesetzt, die anderen liegen am Boden. Das ist ihr Siegritual.

 Auch die Mitglieder der Northside stehen diesen Freitag auf der Tribüne, manche behaupten gar, Mitglied des Vereins zu sein. Etwa ein Landesvorsitzender der inzwischen verbotenen rechtsextremen Heimattreuen Deutschen Jugend, die sich in der Tradition der Hitlerjugend sieht. Im Stadion jedoch verhalten sie sich politisch weitgehend neutral und unauffällig.

 Keine Straftaten, keine verfassungsfeindlichen Symbole, keine Neonazis, kein Problem. So sehen es die Polizei und der Klub. Der Bielefelder Gewaltforscher Wilhelm Heitmeyer kommt allerdings zu einem ganz anderen Urteil. Der Soziologe hat im Auftrag der Stadt Dortmund im vergangenen Jahr eine Studie über den Rechtsextremismus in Dortmund erstellt. "Selbst wenn die Neonazis im Stadion nicht offensichtlich agitieren, ist es für sie der ideale Ort, um neue Leute anzuwerben", sagt Heitmeyer. Er hält es für einen Fehler, die Neonazis beim BVB zu ignorieren; das erlaube ihnen, sich unbemerkt auszubreiten.

 Fahrten zu KZ-Gedenkstätten

 Auf Anfrage heisst es bei Borussia Dortmund, dass man von "solchen Umtrieben noch nichts bemerkt" habe. Grundsätzlich ist der Verein allerdings sensibilisiert für das Thema. So veranstaltet der BVB über das Fanprojekt regelmässig Fahrten mit jungen Ultras zu KZ-Gedenkstätten. Rolf-Arnd Marewski sagt, dass die Neonazis vor allem ausserhalb des Stadions ein Problem darstellten: "Das sind ganz junge, extrem gewaltbereite Leute, ihre rassistischen und antisemitischen Parolen skandieren sie meist auf den Fahrten zu den Auswärtsspielen."

 Wie zuletzt Ende September bei der Partie gegen den Aufsteiger St. Pauli in Hamburg. Dort überfielen zwei Dutzend Angreifer im Ultra-Dress die Fankneipe der St.-Pauli-Anhänger, das "Jolly Roger". "<Kommt doch raus, ihr Juden>, haben die uns zugebrüllt", berichtet ein Augenzeuge. Dann kam es zu einer Schlägerei, die von der herbeigeeilten Bereitschaftspolizei aufgelöst wurde. Erst einen Monat zuvor war es zu einem ähnlichen Überfall auf eine linke Szenekneipe in der Dortmunder Innenstadt gekommen. Die Angreifer trugen Sturmhauben und warfen Steine und Flaschen auf eine Gruppe Kneipenbesucher. Drei von ihnen wurden verletzt. Unter den Angreifern war auch Falk W., ein Hooligan und militanter Neonazi von Alemannia Aachen. Er sitzt nun wegen des Verdachts auf Vorbereitung von Sprengstoff-Straftaten in Untersuchungshaft.

 Nicht nur in Ostdeutschland

 Wenn in den vergangenen Jahren im deutschen Fussball die Rede von rechtsextremistischen Anhängern war, dann ging es stets um Ostdeutschland. Um Lokomotive Leipzig oder den Halleschen FC. Unterklassige Vereine, die in maroden Stadien spielen, in Gegenden, wo die Menschen eine rechtsextreme Partei wie die NPD für normal halten. "Im Stadion trifft man eben auch junge Leute, von denen man glaubt, die gehören zur nationalen Bewegung", erzählt der NPD-Sprecher Klaus Beier, der selber seit seiner Jugend Fussballanhänger ist. "Die spricht man dann an, die lädt man ein zur nächsten Veranstaltung."

 So geschehen im Oktober vor einem Heimspiel des Bundesligaklubs 1. FC Kaiserslautern, wo die NPD massiv Flugblätter verteilt hat. Beim FCK gibt es rechtsextreme Hooligans, die mit der Partei paktieren. Und in der modernen Münchener Allianz-Arena versammeln sich lokale Parteifunktionäre gemeinsam mit Autonomen Nationalisten und Mitgliedern von Rechtsrockbands im Fanblock des Traditionsvereins 1860 München zu einem ganzen Pulk prominenter Neonazis. Auch dort verhalten sie sich weitestgehend unauffällig. Aber gelegentlich passiert es dann doch, dann intonieren sie ihr "Sieg Heil in Weiss und Blau" und beschimpfen gegnerische Fans als Volksverräter.

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 Rechtsextreme im Schweizer Fussball

 wag. · Die Szene der Rechtsextremisten im Schweizer Spitzenfussball hat sich in den letzten Jahren verändert. Noch in den 1990er Jahren traten im Umfeld von Nationalliga-A-Spielen Gruppierungen auf, die "Hier marschiert der nationale Widerstand" intonierten. Hans Stutz, Experte für Rechtsextremismus, hat damals auch Fahnen mit Hakenkreuz gesehen. "Rechtsextreme, und damit auch Neonazis, gibt es im hiesigen Fussball noch immer. Nur sind ihre Auftritte jetzt ohne politischen Anspruch", sagt er.

 Gleiches beobachtet Thomas Gander: "Die Skinheads brauchen den Fussball nicht mehr als politische Plattform", sagt der Geschäftsführer von Fanarbeit Schweiz. Daran ändert offenbar auch der Umstand nichts, dass es etwa bei GC, YB oder dem FC Sion immer noch Fangruppen mit rechtsextremem Gedankengut gibt. "Doch heute gilt unter den Fans der Kodex, wonach die Kurve frei von Politik ist", sagt Gander. Dass die rechtsextreme Partei national orientierter Schweizer in der Fussballszene Mitglieder rekrutiere, halten beide Fachleute für unwahrscheinlich. "Die haben gar nicht die personelle Kapazität dafür", sagt etwa Stutz.

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PNOS
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Blick am Abend 11.11.10

Fahndungsfotos im Abstimmungskampf

 PRANGER

 Die Pnos publiziert auf Flugblättern Bilder von echten Gangstern. Das gibt Ärger.

 jessica.francis@ringier.ch

 34 Fahndunsfotos von Ausländern sind auf dem Flugblatt der Pnos (Partei national orientierter Schweizer) zur Ausschaffungsinitiative abgebildet. Alles Männer, die die Schweizer Kantonspolizeien in den letzten Jahren gesucht und öffentlich ausgeschrieben hatten.

 Mit einer "Schwarzen Liste" auf der Homepage der Pnos listet die Partei die Herkunft der Männer und ihr Vergehen auf.

 Die Justizdirektion Zürich kritisiert das Plakat scharf.

 "Das ist nicht der Zweck der Fahndungsfotos", sagt Mediensprecher Michael Rüegg zu Blick am Abend. Sobald der Gesuchte inhaftiert sei, müssten die Fotos verschwinden - eine weitere Verwendung sei Missbrauch.

 Um Missbrauch der Bilder zu verhindern, verzichtet die Zürcher Polizei wann immer möglich auf eine öff entliche Fahndung. "Erst wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind und die Kriminalität der gesuchten Person bewiesen ist, publizieren wir das Foto", sagt René Ruf, Mediensprecher der Stadtpolizei Zürich zu Blick am Abend. Sobald der Gesuchte inhaffiert ist, lösche die Polizei das Foto vom Netz.

 Auf dem Flugblatt finden sich prominente Gesichter: Lehrermörder Ded Gecaj. Ein anderes bekanntes Gesicht auf dem Flugblatt ist die Nummer 34: Veton Kastrati (20) ist im Frühjahr mit zwei serbischen Mithäftlingen aus dem Gefängnis in Willisau LU ausgebrochen. Seither ist er auf der Flucht.

 Problematisch ist laut René Ruf, dass eine Fahndung noch nicht die Schuld einer Person beweist. "Nicht alle Leute, nach denen die Polizei fahndet, werden wirklich verurteilt."

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SANS-PAPIERS
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20 Minuten 11.11.10

Gegen Zustupf an Sans-Papiers

 BERN. Dass auch Sans-Papiers und abgewiesene Asylbewerber Prämienverbilligungen für die Krankenkasse erhalten, nervt den Berner SVP-Grossrat Thomas Fuchs gewaltig. Er will von der Regierung wissen, wie viel Geld sie auf diesem Weg jährlich an Personen ohne Aufenthaltsbewilligung zahlt.

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Bund 8.11.10

Sans-Papiers: Krankenversicherung nach dem Zufallsprinzip

 Illegal Anwesende haben Anrecht auf Krankenversicherung und sogar auf Prämienverbilligung, betont der Bund. Kassen, Kantone und Gemeinden handeln jedoch nach Gutdünken.

 Daniel Foppa

 "Es ist unhaltbar, dass Illegale vom Krankenversicherungssystem und von staatlichen Leistungen profitieren", sagt der Schwyzer SVP-Ständerat Alex Kuprecht. Mit einer Motion forderte er deshalb die Abschaffung der Pflicht für Krankenkassen, Sans-Papiers zu versichern. Der Ständerat lehnte den Vorstoss in der letzten Session mit Stichentscheid von Präsidentin Erika Forster (FDP) ab. Gesundheitsminister Didier Burkhalter und auch bürgerliche Politiker wie FDP-Ständerat Felix Gutzwiller hatten die Motion bekämpft. "Der Zugang zu medizinischen Leistungen ist ein Grundrecht, das ein zivilisierter Staat den Illegalen gewähren sollte", sagte der Zürcher.

 Die Kassen wimmeln ab

 Damit gilt weiterhin die Bestimmung, die das Bundesamt für Sozialversicherung den Kassen 2002 in einem Kreisschreiben in Erinnerung gerufen hat: "Es liegt nicht im Ermessen der Versicherer, zu entscheiden, wer sich bei ihnen versichern kann und wer nicht. Die Versicherer sind verpflichtet, Sans-Papiers aufzunehmen."

 Trotz der Ermahnung weigern sich immer noch viele Kassen, Illegale aufzunehmen. "Wenn sich Sans-Papiers bei den Kassen melden, werden sie meist abgewimmelt", sagt Bea Schwager, Leiterin der Anlaufstelle für Sans-Papiers in Zürich. Wer sich als Ausländer zu erkennen gebe, müsse damit rechnen, nach der Aufenthaltsbewilligung gefragt zu werden. Schwager berichtet gar von einem Fall, bei dem eine Kasse die Einwohnerkontrolle über den Antrag eines Sans-Papiers informierte. Die Kasse handelte illegal, denn sie ist gegenüber Dritten zu Verschwiegenheit verpflichtet.

 Auf Anfrage erklären die beiden grössten Kassen Helsana und CSS zwar, dass sie sich an die Vorgaben aus Bern halten. Trotzdem sind die Anlaufstellen für Sans-Papiers dazu übergegangen, deren Anmeldung bei den Kassen zu übernehmen. "Für Sans-Papiers ist es praktisch unmöglich, selbstständig einer Krankenkasse beizutreten", sagt Annagun von Reding von der Sans-Papiers-Gesundheitsversorgung beim Roten Kreuz in Bern. Laut Schätzungen sind derzeit bloss 10 Prozent der 50 000 bis 300 000 illegal Anwesenden krankenversichert. Denn die meisten können die Prämien nicht bezahlen.

 "Wir helfen Sans-Papiers bei der Prämienbezahlung", sagt von Reding. Die Personen zahlten so viel wie möglich selbst, der Rest werde mit Hilfe externer Fonds und Prämienverbilligungen finanziert. Tatsächlich haben auch Sans-Papiers Anrecht auf Prämienverbilligungen, wie das Bundesamt für Gesundheit festhält. In der Praxis foutieren sich aber viele Kantone und Gemeinden darum. "Wir stellen den Antrag bei der Wohngemeinde des Sans-Papiers. Diese müsste das Gesuch der Sozialversicherungsanstalt weiterleiten - tut das aber meistens nicht", sagt Bea Schwager. Dagegen wehren könne sich ein Sans-Papiers kaum.

 "Die Rechtslage ist unklar", sagt Urs Rüegg, Sprecher der Zürcher Gesundheitsdirektion: "Laut Weisung aus Bern haben Sans-Papiers Anrecht auf Prämienverbilligungen. Laut kantonalem Recht können aber nur Steuerpflichtige Prämienverbilligungen erhalten." Die Situation sei unbefriedigend, sagt Rüegg. Er fordert eine nationale Lösung.

 Keine Vorbehalte im Kanton Bern

 Eine Übersicht, wo Sans-Papiers Prämienverbilligungen erhalten, hat niemand. Grosszügig ist beispielsweise die Stadt Zürich. Laut Monika Wehrli, Leiterin Rechtsdienst der Städtischen Gesundheitsdienste, beziehen 50 Sans-Papiers Prämienverbilligungen. Kostenpunkt: 70 000 bis 90 000 Franken pro Jahr. Das Geld geht direkt an die Kassen. In Bern ist das kantonale Amt für Sozialversicherungen zuständig. Laut eigenen Angaben prüft es Gesuche von Sans-Papiers ohne Vorbehalte. Gemäss Solidarité sans frontières können Sans-Papiers aber nur in den wenigsten Kantonen ihren Anspruch auf Prämienverbilligungen geltend machen.

 Mit einer Petition kämpft nun die Menschenrechtsorganisation Acat für einheitliche Regeln. Lanciert wird das Begehren am Menschenrechtstag, dem 10. Dezember. Das Bundesamt für Gesundheit lässt derweil den Umgang der Kassen mit Sans-Papiers analysieren. Erst nach Vorliegen des Berichts wird der Bundesrat über Massnahmen zur Klärung der Situation befinden. Das soll frühestens Ende 2011 der Fall sein.

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 Abgewiesene Asylbewerber Widersprüchliche Bundesämter

 Besonders verwirrlich ist die Situation bei der Krankenversicherung von abgewiesenen Asylbewerbern. Laut Weisung des Bundesamts für Gesundheit (BAG) müssen auch sie versichert sein. Das Bundesamt für Migration (BFM) und die kantonalen Sozialdirektoren empfehlen hingegen, abgewiesene Asylbewerber nicht mehr zwingend in das Krankenversicherungssystem aufzunehmen. Die meisten Kantone halten sich an diese Empfehlung. Sie zahlen abgewiesenen Asylbewerbern keine Kassenprämien mehr und weisen Spitäler und Ärzte an, sie nur noch im Notfall zu versorgen. Damit ignorieren die Kantone bewusst die BAG-Weisung. "Das ist illegal", sagt Françoise Kopf von SOS Racisme. Zusammen mit Alt-Bundeskanzler François Couchepin (FDP) kämpft sie vor Bundesgericht dafür, dass die BAG-Weisung eingehalten wird. Die Bundesräte Eveline Widmer-Schlumpf und Didier Burkhalter haben derweil eine Verordnungsänderung angekündigt, um die widersprüchliche Haltung zweier Bundesämter zu bereinigen. (daf)

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Tagesanzeiger 8.11.10

Kommentar Inland-Ressortleiter Iwan Städler über den inkonsequenten Umgang mit Sans-Papiers.

 Was soll die Mogelei?

Iwan Städler

 Die Frage ist delikat: Hat jemand, der sich illegal in der Schweiz aufhält und keine Steuern zahlt, Anrecht auf Krankenversicherung - und auf Prämienverbilligung? Die Schweizer Antwort lautet: theoretisch ja, in der Praxis aber nicht unbedingt.

 Obwohl laut einem bundeseigenen Bericht 50 000 bis 300 000 Illegale in der Schweiz leben, regelt der Bund die politisch brisante Frage nicht explizit im Gesetz. Stattdessen begnügt er sich mit einer Weisung des Bundesamts für Gesundheit. Danach müssen auch sogenannte Sans-Papiers versichert werden. Und sie hätten wie alle anderen Wenigverdiener das Recht auf Prämienverbilligung. Viele Kassen, Kantone und Gemeinden foutieren sich aber darum - genauso, wie sich die Sans-Papiers um die Aufenthaltsbestimmungen foutieren.

 Das ist verlogen. Will die Politik glaubwürdig bleiben und den Rechtsstaat nicht zum Gespött machen, muss sie die Angelegenheit sauber regeln. Die Frage ist zu wichtig, um ihre Beantwortung den Beamten zu überlassen. Überdies muss der Staat konsequent bleiben: Es kann doch nicht sein, dass er jemandem, den er für illegal anwesend hält, gleichzeitig die Krankenkassenprämien finanziert. Das ist schizophren.

 Vielmehr sollten die Ämter, welche die Prämienverbilligung ausrichten, mit den Migrationsbehörden zusammenarbeiten. Der Datenschutz darf nicht so weit gehen, dass beim Staat die Linke nicht mehr weiss, was die Rechte tut. Ansonsten hindert faktisch die eine Behörde die andere am Vollzug.

 Wer illegal im Land ist, muss wenn immer möglich ausgewiesen werden. Andernfalls geht das Vertrauen in die Behörden verloren und nimmt die Ausländerfeindlichkeit weiter zu. Auch Arbeitgeber, die Illegale schwarz beschäftigen, müssen konsequent bestraft werden.

 Wer nun einwendet, eine Wegweisung sei im einen oder anderen Fall aus humanitären oder wirtschaftlichen Gründen falsch, soll sich dafür einsetzen, dass der Aufenthalt dieser Menschen legalisiert wird. Sie in der Illegalität zu belassen und ihnen, wie wenn nichts wäre, die Krankenkassenprämien zu verbilligen, ist nicht ehrlich.

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AUSSCHAFFUNGEN
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St. Galler Tagblatt 11.11.10

Wegweisung - Ausschaffung - Abschaffung

 Weder die neueste Initiative der SVP noch der Gegenvorschlag greifen weit genug. Ich setze mich daher gerechterweise ein für ein neues Wegweisungsgesetz sämtlicher Ruhestörer und Friedens(ver)brecher, also gegen alle Kriminellen, ob Ausländer ersten oder zweiten Grades, aber auch aller krimineller Urschweizer!

 Sie alle gefährden die Schweiz und vor allem das Leben der guten edlen Retter und Ritter der Schweiz, die sich für einen sauberen, keimfreien Sozialfrieden des Finanz- und Wirtschaftsplatzes Schweiz einsetzen.

 Verbrecher werden nicht bestraft, um eine Besserung oder Veränderung oder gar Reintegration einzuleiten; denn wie allgemein bekannt, können kriminelle Handlungen nicht wirklich gesühnt, noch entschuldet oder gar abgegolten werden.

 Edelgefängnisse, wie sie heute betrieben werden, sind zu teuer und zu voll. Sie würden jedoch in dieser blossen Übergangsphase bis zur nächsten Abstimmung auch gar nicht mehr nötig. Es würden keine Verbrecher mehr in hotelähnliche Gefängnisse gesteckt, es bestehen genügend leerstehende Kriegsbunker. Es würde auch gar nicht mehr nötig sein für Gerichte zu sorgen; denn Ausschaffungsgefängnisse direkt beim Militärflughafen, längst ausgediente Militärflugzeuge und übungswilliges Militär würden endlich für effiziente und unsichtbare Ordnung sorgen.

 Alle Kriminellen samt ihren genetisch verseuchten Familien sollen weggewiesen, ausgeschafft und damit endgültig abgeschafft werden. Die daraus folgenden Einsparungen für die edlen echten Retter der Schweiz würden enorm sein und deren Aktien würden endlich wieder ins Unendliche steigen. Denn die Liste der ewig kriminell bleibenden Schweizer und Unschweizer ist lang. Allen voran sind dies:

 Wilhelm Tell: renitenter Aufwiegler und Mörder, Kanton Uri, deutschen Ursprungs

 Einsiedler Gallus: illegal eingewandert und unbewilligt bauender Bärenliebhaber in St. Gallen, irischen Ursprungs

 Niklaus von der Flüe: asozialer Weib und Kind vernachlässigender Querulant aus Obwalden

 Ferdinand Hodler: nekrophil malender Ehebrecher und Kriegsgegner aus dem Welschland

 Robert Walser: psychisch kranker Schreiberling und Sozialschmarotzer aus Bern und Herisau

 Henry Dunant: bankrotter Spinner und scheininvalider Weltverbesserer aus Genf und Heiden.

 Batja P. Guggenheim-Ami, St. Gallen

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WoZ 11.11.10

Fumoir

 Dafür Glück in der Liebe?

 Yusuf Yesilöz über die Ausschaffungsinitiative

 Die Schweiz redet wieder einmal über ihre AusländerInnen. Über die Kriminellen. Alle zwei Jahre starten PolitikerInnen von Rechtsaussen mit einer Initiative durch. Mal geht es gegen die erleichterte Einbürgerung von Migrantenkindern, dieses Mal um die Ausschaffung krimineller AusländerInnen. Die Argumente, die seit einiger Zeit auch in anderen politischen Lagern, sei es bei den Mitteparteien oder, wie beim Minarettverbot, auch bei den Linken, breite Zustimmung finden, sind immer dieselben. Der negative Prototyp des Ausländers wird aufpoliert. Zuerst aber eine Frage: Was bringt diese Initiative der Schweiz? Der Chef des Zürcher Migrationsamtes sagt es eindeutig: Sie bringt NICHTS. Was sollen wir noch dazu sagen?

 Der Inhalt des Initiativtextes ist ein Widerspruch in sich. Zitat von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf: "Sehr fragwürdig ist auch der Umgang mit dem Betrug bei Sozialleistungen. Darunter fällt eine Putzfrau, die Arbeitslosengeld bezieht, bei einer Nachbarin ein paar Stunden arbeitet und den Lohn nicht angibt. Nicht erfasst sind hingegen der Wirtschafts- und der grosse Steuerbetrüger. Ein so grosses Ungleichgewicht kann in einem Rechtssystem nicht sein."

 Gemäss Umfragen wird die Ausschaffungsinitiative angenommen. Sind die PolitikerInnen von Rechtsaussen klüger als die anderen SchweizerInnen, weil sie in den letzten Jahren jedes Referendum im "Ausländerbereich" gewonnen haben? Nein, im Gegenteil! Aber sie sind in ihrer Absicht, AusländerInnen aus bestimmten Kulturräumen als ÜbeltäterInnen darzustellen, ziemlich erfolgreich.

 Sie scheuen sich nicht, diese Menschen auf einige wenige negative Eigenschaften zu reduzieren. Mit der einfachen Verallgemeinerung und Kulturalisierung der Kriminalität kommen sie vorbehaltlos dort gut an, wo ein differenziertes Bild der neuen NachbarInnen fehlt. Umgekehrt gilt dies natürlich auch für einen grossen Teil der Eingewanderten. Einer differenzierten Wahrnehmung geht halt die offene Auseinandersetzung voraus. Wer ist bereit dazu?

 Warum tappt die Mehrheit der SchweizerInnen in die Falle des Rechtspopulismus? Das immigrierte Individuum wird, ob in der Schweiz oder im Ausland, stellvertretend für seine ganze Volksgruppe wahrgenommen. Die Tat des Einzelnen, ob negativ oder positiv, wird als Tat von allen betrachtet. So wird auch das Delikt des "Eigenen" harmloser bewertet als das des "Anderen". Die rechten PolitikerInnen nützen dieses Phänomen sehr gut aus und gewinnen Wahlen damit, sowohl in Wien als auch in Den Haag.

 Ich will die Migrationsprobleme, die weltweit existieren, keineswegs ausblenden. Diese aber mit Fairness anzugehen, hilft der Sache und damit auch der Schweiz.

 Die bisherige Propaganda der rechten Politik, erinnern wir uns hier etwa an das Plakat mit dem Messerstecher oder jenes mit den raketenähnlichen Minaretten, hat einen fruchtbaren Boden gefunden - so fruchtbar wie die sorgfältig gepflügten Äcker der Schweizer Bauern. Jetzt wird Erfolg geerntet.

 Diffuse Ängste vor dem "Fremden" exis tieren überall auf dieser Welt. Gefährlich wird es, wenn diese Ängste für politische Zwecke geschürt werden. Es scheint so, als ob wir dieses Spiel der Ausschaffungsinitiative verlieren. Doch vielleicht bleibt uns dafür das Glück in der Liebe, wie das Sprichwort sagt.

 Yusuf Yesilöz  , Schriftsteller, lebt in Winterthur. Sein letzter Roman, "Gegen die Flut", erschien 2008 im Limmat-Verlag.

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Bund 9.11.10

Ausschaffungsinitiative

 Rassismuskommission kritisiert SVP-Kampagne

 Die Eidgenössische Kommission gegen Rassismus kritisiert die SVP-Kampagne zur Ausschaffungsinitiative. Diese gebe vor, kriminelle Ausländer würden mit der heutigen Praxis nicht des Landes verwiesen. Die Plakate mit der Aufschrift "Ivan S., Vergewaltiger: Bald Schweizer?" unterstellten den Behörden, Vergewaltiger zur Einbürgerung vorzuschlagen. Mit solchen Plakaten würden diese Behörden verunglimpft und zugleich die Bevölkerung getäuscht. Die heutige Wegweisungspraxis der Kantone zeige, dass das geltende Recht genüge. Die Kommission empfiehlt die Initiative wie den Gegenvorschlag zur Ablehnung. (sda)

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Bund 8.11.10

In den Container - und weg

 Alle Ausländer markieren, sammeln und ausschaffen: Auf satirische Weise warben Demonstranten am Samstag für ein Nein zur Ausschaffungsinitiative.

 Marc Schiess

 Hochexplosiv wie Zweikomponentensprengstoff präsentierte sich am Samstagnachmittag die Lage auf dem Bundesplatz: Die eine Platzhälfte beanspruchte das Komitee, das mit einer vorwiegend von Kulturbeiträgen geprägten Veranstaltung für ein doppeltes Nein zu Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag warb. So mit Schuhpaaren, die mit Klebebändern mit der Aufschrift "Ausgeschafft" umwickelt waren. Bei beiden Vorlagen handle es sich um ein und dasselbe Paar Schuhe, so die Aktivisten.

 Die friedliche Stimmung wurde bald von einem aggressiv auftretenden Herrn im Anzug jäh gestört: Der Schnauzträger mit Megafon enervierte sich über die "destruktive Energie dieser degenerierten Linken" und trat dabei wütend gegen die am Boden liegenden Schuhpaare. Bei der Person handelte es sich um Alois Stocher, Geschäftsführer von "Olaf", der "Organisation zur Lösung der Ausländerfrage". Dieser stand die andere Hälfte des Bundesplatzes zur Verfügung, wo sie einen gelben Container mit eingebauter "Ausländerklappe" aufstellte. "Ausländer, die nicht mehr gewollt oder nicht mehr gebraucht werden", könne man dort einwerfen und dann ausschaffen. Das sei die beste Kriminalitätsprävention: Seien erst einmal alle Ausländer ausgeschafft, gebe es auch keine Ausländerkriminalität mehr.

 Auf Hitlerschnauz zurechtstutzen

 Dass sich die Polizei zurückhielt und den Unruhestifter nicht entfernte, hatte einen guten Grund: Alois Stocher gibt es nicht. Ein Zürcher Aktionskünstler hat die Kunstfigur ins Leben gerufen, um damit die aus seiner Sicht menschenfeindliche Ausländerpolitik der SVP und deren Ausschaffungsinitiative zu entlarven ("Bund" vom 4. November). Nicht alle Passanten verstanden die professionell mit Plakaten und Prospekten aufgemachte Aktion als Politsatire: Ein älterer, aufgebrachter Mann empfahl "Stocher", er solle seinen Oberlippenbart auf einen Hitlerschnauz zurechtstutzen, das wirke authentischer. Bei seiner um 16 Uhr gehaltenen Brandrede "zur Ausländerplage in der Schweiz" meinte eine junge, mit einem Ausländer verheiratete Frau, der Redner sei echt, bis ein Olaf-Helfer sie über den wahren Hintergrund aufklärte.

 "Verfassung wird aufgeweicht"

 Gemäss Moreno Casasola, Koordinator von "2-mal Nein", besuchten über tausend Personen die zwei gegensätzlichen Veranstaltungen, die jedoch das gleiche Ziel verfolgten - "zu verhindern, dass ein Pfeiler der Bundesverfassung aufgeweicht wird", wie es die anwesende Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (Grüne) formulierte. Gemeint war Artikel 8: "Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich."

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BZ 8.11.10

Gegner und Befürworter auf der Strasse

 AbstimmungDie Ausschaffungsinitiative der SVP mobilisierte am Wochenende sowohl die Gegner als auch die Befürworter. Erstere demonstrierten mit Schuhen, Letztere liessen Ballone steigen.

 Am Samstag zog es die Gegner der Ausschaffungsinitiative und des Gegenentwurfs vor das Bundeshaus in Bern. Mit Hunderten alter Schuhe bildeten sie den Schriftzug "2xNein" auf dem Bundesplatz.

 Für Irritation sorgte bei manchen Besuchern der Auftritt eines Zürcher Aktionskünstlers, der als fremdenfeindlicher "Alois B. Stocher" für ein Ja zur Ausschaffungsinitiative warb. Er hatte einen Container mitgebracht, der als "Ausländer-Klappe" dienen sollte: Wer einen Ausländer ausschaffen wolle, könne das hier tun. Die Satire-Aktion kam nicht bei allen Teilnehmern des Aktionstags gut an. Die Stadtberner Orts- und Gewerbepolizei hatte aber sowohl die Stocher-Performance als auch den politischen Anlass bewilligt, weshalb sich die beiden Parteien um friedliche Koexistenz vor dem Bundeshaus bemühten.

 In Zürich lud die SVP Schweiz zu einem Streitgespräch zwischen Christoph Blocher und dem grünen Nationalrat Daniel Vischer. Mehr als 1000 Personen - die allermeisten Anhänger von Blocher - strömten ins Theater 11 in Oerlikon. Zum Abschluss liessen die Teilnehmer 1500 weisse Ballone mit aufgedruckten schwarzen Schafen in den Himmel steigen. Sie sollten kriminelle Ausländer symbolisieren, die weggeschickt werden.

 In Lausanne und in Genf gingen 500 respektive 300 Gegner der Ausschaffungsvorlagen auf die Strasse. Sie bezeichneten die Initiative als rassistisch. Den Umzug in Lausanne hatte die Bewegung "Kampf dem Rassismus" (MLCR) organisiert.

 In Genf kritisierte eine Parodie die Ausländerpolitik der Schweiz. Etwas früher am Nachmittag führte die Bewegung "United Black Sheep" - eine Koalition von jungen Linken - eine Kundgebung durch.
 sda

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 Schlagabtausch in der "Arena"

 Kurz vor der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative gibt die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga den Tarif durch. Sie befürwortet den Schwimmunterricht für alle. Und sie will, dass Zuwanderer Deutsch lernen. Sie möchte Ausländer auf die geltenden Bildungsregeln verpflichten: "Die Schulpflicht muss voll und ganz befolgt werden", sagt die SP-Bundesrätin im Interview mit der "SonntagsZeitung". Sie spricht sich für den Gegenentwurf zur SVP-Ausschaffungsinitiative aus, über die am 28. November abgestimmt wird.

 Ihren Einstand als Bundesrätin in der freitäglichen TV-Politsendung "Arena" dürfte sich Sommaruga jedoch anders vorgestellt haben: Als sie die Diskussion mit der Bemerkung eröffnete, sie habe noch nie eine so "schludrige" Initiative gesehen, bezichtigte SVP-Nationalrat Adrian Amstutz (Bern) sie der Lüge. Sie erzähle völligen "Seich". Die Initiative verstosse weder gegen Völkerrecht, noch sehe sie vor, Strafverfahren wegen Bagatelldelikten zu eröffnen. Erregt bat Sommaruga ihn, in der Wortwahl "respektvoll und sachlich" zu bleiben. rag

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Freiburger Nachrichten 8.11.10

Demo forderte "Ausschaffung des Rassismus"

 Am Samstagnachmittag haben rund hundert Personen friedlich gegen die Ausschaffungsinitiative der SVP demonstriert.

 Freiburg "Schafft den Rassismus aus - nicht die Ausländer" riefen die Demonstranten am Samstagnachmittag, als sie durch die Romontgasse Richtung Rathaus marschierten. Zum Umzug gegen die Ausschaffungsinitiative, die am 28. November vors Schweizer Stimmvolk kommt, hatte die Kontaktstelle Schweizer-Migranten (CCSI) aufgerufen. Rund hundert Personen sind ihm am Wochenende gefolgt, wie die Kantonspolizei bestätigte.

 Daniel Blanc, Vize-Präsident des CCSI, bezeichnete die Initiative der SVP ebenso wie den Gegenvorschlag des Parlaments als "fremdenfeindlich". Migranten in der Schweiz würden damit weiter geschwächt, ihre Rechte weiter schwinden.

 Auch in anderen Schweizer Städten kam es am Wochenende zu Aktionen gegen die umstrittene Initiative. In Bern, Basel, Zürich, Lausanne und Genf forderten die Demonstranten, am 28. November ein doppeltes "Nein" in die Urne zu legen. cf

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Sonntag 7.11.10

Wegweisungen: Basel ist klar strenger als Baselland

 Im Stadtkanton werden im Vergleich deutlich mehr straffällige Ausländer ausgewiesen als auf dem Land. Die Gründe dafür dürften vielfältig sein

 "Rot-Grün wird oft mit Gutmenschentum verwechselt", sagt Klaus Mannhart. "Die Basler Regierung hat beim Thema Wegweisungen aber stehts ein konsequentes Vorgehen vertreten: Wer Straftaten begeht und sich nicht integrieren will, der gehört nicht hierher", betont der Sprecher des Justiz- und Sicherheitsdepartements Basel-Stadt.

 Tatsächlich: Eine Auswertung des "Sonntags" zeigt, dass Basel-Stadt direkt nach dem Kanton Luzern am strengsten gegenüber straffälligen Ausländern vorgeht. In den beiden Kantonen wurden 2009 gut doppelt so viele Wegweisungen ausgesprochen, als man angesichts ihrer Anteile an der ausländischen Bevölkerung hätte erwarten können. Basel-Stadt verhängte insgesamt 53 Wegweisungen aufgrund von strafrechtlichen Verurteilungen - zum Teil in Verbindung mit hoher Fürsorgeabhängigkeit und Verschuldung. Das sind 7,6 Prozent der rund 700 Wegweisungen schweizweit. Im Stadtkanton leben aber nur 3,5 Prozent aller Ausländer.

 Deutlich weniger streng als der Nachbar ist der Kanton Baselland. Im Jahr 2009 wurden hier 13 Wegweisungen verfügt. Davon sind neun vollzogen worden. Drei Rekurse sind noch hängig; ein Rekurs ist vom Kantonsgericht gutgeheissen worden. Letztlich liegt es im Ermessen der Kantone, wie sie die Wegweisungen handhaben wollen. Die Kriterien aber ähneln sich. Eine Wegweisung hängt vorab von der Schwere des Delikts ab. "Stark gewichtet wird auch das öffentliche Interesse", führt Mannhart aus. "Je grösser die Schuld, desto grösser das Interesse der Allgemeinheit, dass eine Person nicht mehr hier ist."

 Warum dann aber dieser grosse Unterschied zwischen Stadt und Land? Möglicherweise bestünden verschiedene Ermessensanwendungen, vermutet Dieter Leutwyler. "Eventuell lassen die Rekursinstanzen in Basel-Stadt dem Migrationsamt mehr Spielraum in der Entscheidfindung", sagt der Sprecher der Baselbieter Sicherheitsdirektion. In Baselland dagegen habe das Kantonsgericht mehrfach zugunsten der Straftäter entschieden, "was uns gewisse Schranken bei der Ermessensanwendung setzt".

 Auch Mannhart betont wiederholt, wie konsequent das Basler Amt für Migration vorgehe, und ergänzt: "Mit der SVP-Ausschaffungs-Initiative hat das aber gar nichts zu tun." Hinzu aber komme natürlich auch ein gewisser Stadt/Land-Unterschied, ergänzt Leutwyler. So seien in der Stadt etwa eine andere soziale Struktur bei der ausländischen Wohnbevölkerung, eine grössere Anonymität sowie auch eine grössere Drogenszene festzustellen. Alle diese Punkte könnten zu einer Steigerung der Wegweisungszahlen führen.

 Auch wenn die Verhältnisse klar zu sein scheinen, gilt letztlich zu beachten: Die Zahlen sind mit Vorsicht zu geniessen. Denn die Kantone sind erst mit Inkrafttreten des neuen Ausländergesetzes im Jahr 2008 für Wegweisungen zuständig. Ein längjähriger Vergleich also ist nur schwer möglich. So bilden etwa die 53 Wegweisungen vom vergangenen Jahr in Basel-Stadt einen statistischen Ausreisser nach oben. 2008 waren es noch 19, in diesem Jahr waren es bis Ende Oktober 28 Wegweisungen. Mannhart: "Es ist also noch schwer abzuschätzen, wo sich die Zahlen im Langzeitvergleich einpendeln werden."

 Noch unklar ist ebenfalls, welche Auswirkungen eine Annahme der Ausschaffungsinitiative oder des Gegenvorschlags hätte. "Aus den Vorlagen ist beispielsweise nicht ersichtlich, ob Wegweisungen künftig durch das Strafgericht oder weiterhin durch das Migrationsamt zu verfügen wären", sagt Leutwyler. Das Bundesamt für Migration schätzt, dass sich die Zahl der Wegweisungen bei Annahme der Initiative vervierfachen, beim Gegenvorschlag rund verdoppeln wird. "In Basel-Stadt wären es wohl etwas weniger, weil wir eben schon heute konsequent vorgehen", vermutet Mannhart.Daniel Ballmer

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Sonntagszeitung 7.11.10

Kuriose Aktionen zur Abstimmung

 "Ausländer-Klappe" in Bern, Ballone in Zürich

 Bern/Zürich Gleich in zwei Städten fanden am Samstag Aktionen zur Abstimmung vom 28. November über die Ausschaffungsinitiative statt. Die Berner Gegner der Ausschaffungsinitiative und des Gegenvorschlags hatten vor dem Bundeshaus für ein doppeltes Nein geworben. Mit Hunderten alten Schuhen formten sie den Schriftzug "2 x Nein" auf dem Bundesplatz. Mit Konzerten, Slam Poetry und Platzaktionen versuchte das "Berner Komitee 2 x Nein" die Passanten und Zaungäste zu überzeugen. Für Irritation sorgte bei manchen Besuchern der Auftritt eines Zürcher Aktionskünstlers, der als fremdenfeindlicher "Alois B. Stocher" für ein Ja zur Ausschaffungsinitiative warb. Er hatte einen Container mitgebracht, der als "Ausländer-Klappe" dienen sollte: Wer einen Ausländer ausschaffen wolle, könne dies hier tun. Die Satire-Aktion kam nicht bei allen Teilnehmern des Aktionstags gut an.

 Zwischenrufe gegen Blocher-Gegner Vischer

 In Zürich-Oerlikon standen sich Christoph Blocher (SVP) und Daniel Vischer (Grüne) in einem von der SVP organisierten Streitgespräch zum Thema "Kriminelle Ausländer ausschaffen" gegenüber. Den Anlass im Theater 11 besuchten gegen tausend Interessierte, wovon einige ihre Emotionen nicht im Zaun halten konnten und Vischer mit Zwischenrufen störten. Nach dem Anlass liessen Anwesende 1500 weisse Ballone, mit schwarzen Schafen bedruckt, in die Luft steigen. Hans Fehr, Mitorganisator des Anlasses und Nationalrat (SVP), musste die Aktion der Flugüberwachungsfirma Skyguide melden. Wegen der grossen Anzahl musste diese symbolische "Ausländerausschaffung" in zwei Staffeln erfolgen. Zu Zwischenfällen mit dem Flugverkehr kam es aber nicht.  

R. Tibolla und M. Halbeis

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Newsnetz 6.11.10

Protest gegen die Ausschaffungsinitiative

 Die Gegner der Ausschaffungsinitiative und des Gegenvorschlags haben am Samstag vor dem Bundeshaus für ein doppeltes Nein geworben. Mit Hunderten alter Schuhe bildeten sie den Schriftzug "2x Nein".

 Mit Konzerten, Slam Poetry und Platzaktionen versuchte das "Berner Komitee 2x Nein" die Passanten und Zaungäste zu überzeugen. Die Veranstaltung fand im Rahmen des Nationalen Aktionstags gegen die beiden eidgenössischen Vorlagen statt.

 Für Irritation sorgte bei manchen Besuchern der Auftritt eines Zürcher Aktionskünstlers, der als fremdenfeindlicher "Alois B. Stocher" für ein Ja zur Ausschaffungsinitiative warb. Er hatte einen Container mitgebracht, der als "Ausländer-Klappe" dienen sollte: Wer einen Ausländer ausschaffen wolle, könne das hier tun.

 Die Satire-Aktion kam nicht bei allen Teilnehmern des Aktionstags gut an. Die Stadtberner Orts- und Gewerbepolizei hatte aber sowohl die Stocher-Performance als auch den politischen Anlass bewilligt, weshalb sich die beiden Parteien um friedliche Ko-Existenz vor dem Bundeshaus bemühten.

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Bund 6.11.10

Ausschaffungen

 Schweiz nimmt Sonderflüge nach Nigeria wieder auf

 Ab Januar 2011 kann die Schweiz wieder Personen nach Nigeria ausschaffen. Die Sonderflüge werden dann wiederaufgenommen. Darauf haben sich Behördenvertreter der Schweiz und von Nigeria gestern geeinigt. Der Entscheid fiel im Rahmen von Verhandlungen über eine Migrationspartnerschaft zwischen den Ländern. "Die Wiederaufnahme der Zwangsausschaffungen ist ein wichtiger Schritt, sollte aber nicht überbewertet werden", sagte Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamtes für Migration. (sda)

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BZ 6.11.10

Ausschaffungen: Sonderflüge nach Nigeria ab Januar

 Migrationspolitik Ab Januar 2011 kann die Schweiz wieder Personen nach Nigeria ausschaffen. Darauf haben sich Behördenvertreter der Schweiz und Nigeria gestern geeinigt.

 Der Entschied fiel im Rahmen von Verhandlungen über eine Migrationspartnerschaft zwischen den beiden Ländern. "Die Wiederaufnahme der Zwangsausschaffungen ist ein wichtiger Schritt, sollte aber nicht überbewertet werden", sagte Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamtes für Migration (BFM), vor den Medien. Im Vordergrund stehe nun die umfassende Perspektive, die künftig eingenommen werde: Eine Absichtserklärung für eine Migrationspartnerschaft werde im kommenden Jahr von den Regierungen beider Länder unterzeichnet werden können, sagte du Bois-Reymond.

 Erste Pflöcke der Partnerschaft sind bereits eingeschlagen: So hilft die Schweiz, die Kapazität der nigerianischen Migrationsbehörden auszubauen. Nigerianer, die von der Schweiz freiwillig in ihr Land zurückkehren, kommen in den Genuss von verbesserten Unterstützungsprogrammen.

 Migrationsdruck verkleinern

 Weiter aufgegleist sind Ausbildungsprogramme für nigerianische Agroingenieure und Diplomaten in der Schweiz. Zudem ist die Schweiz im Gespräch mit Schweizer Firmen in Nigeria, welche jungen Nigerianern Ausbildungsplätze anbieten könnten. "Das wird den Druck zu emigrieren verkleinern", sagte du Bois-Reymond.

 Der Staatssekretär des nigerianischen Aussenministeriums, Martin Uhomoibhi, sagte vor den Medien, es sei mit Respekt und Würde verhandelt worden. Mit Blick auf die illegalen Migranten rief er in Erinnerung, dass alle Menschen, egal, woher sie stammten, mit Grundrechten ausgestattet seien.

 Peter Maurer, Staatssekretär des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten (EDA), sagte, dass Nigeria ein sehr wichtiger Staat in Afrika sei, mit dem die Schweiz exzellente Beziehungen habe. Mit Nigeria wolle die Schweiz nun auch Gespräche zur Weiterentwicklung des UNO-Menschenrechtsrats in Genf führen.

 In Bezug auf die Zwangsausschaffungen wurde zwischen den beiden Staaten weiter vereinbart, dass künftig ein Vertreter der nigerianischen Behörden den gesamten Rückführungsprozess begleitet. Schon im Sommer hatte das BFM angeordnet, dass jeweils ein Arzt mitfliegt. Ab 2011 dürfen zudem unabhängige Beobachter mitreisen.

 Nach dem Tod eines nigerianischen Ausschaffungshäftlings im März 2010 waren alle Sonderflüge gestoppt worden. Nachdem ein rechtsmedizinisches Gutachten dargelegt hatte, dass der 29-jährige Mann an einer schweren und praktisch nicht diagnostizierbaren Herzkrankheit gelitten hatte, wurden die Flüge im Juni wiederaufgenommen - mit Ausnahme jener nach Nigeria.

 Bei den gestrigen Verhandlungen habe die Schweiz erneut ihr Bedauern über den Tod des jungen Nigerianer ausgedrückt, hiess es in einer Mitteilung des BFM. Beide Parteien hätten betont, dass jede Massnahme in Bezug auf die Zwangsausschaffungen nach Nigeria gemeinsam ergriffen werde müsse.

 Migrationspartnerschaften hat die Schweiz bereits mit Serbien, Bosnien-Herzegowina und Kosovo in die Wege geleitet. Nigeria ist das erste afrikanische Land, mit dem die Schweiz eine vertiefte Partnerschaft in Migrationsfragen anstrebt.
 sda

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NLZ 6.11.10

Ausschaffung: Nigeria lenkt ein

 Asyl

Marcello Odermatt, Bern

 Immer mehr Nigerianer ersuchen in der Schweiz um Asyl. Die Mehrheit von ihnen kann aber keine Gründe geltend machen. Nun handeln die Schweiz und Nigeria.

 Marcello Odermatt, Bern

 schweiz@neue-lz.ch

 Ab Januar schafft die Schweiz wieder nigerianische Staatsbürger in ihre Heimat aus. Die Sonderflüge für Zwangsausschaffungen wurden im vergangenen März gestoppt, nachdem ein nigerianischer Ausschaffungshäftling beim Transport gestorben war. Der Mann litt an einer kaum diagnostizierbaren Herzkrankheit.

 Nach Gesprächen zwischen einer Schweizer und einer nigerianischen Delegation gestern in Bern werden die Flüge wieder aufgenommen, wie Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamts für Migration (BFM), vor den Medien sagte. Die Wiederaufnahme der Flüge ist Teil eines Verständigungsabkommens im Migrationsbereich zwischen den beiden Ländern. Die Bundesbehörden lobten das Abkommen mit "Pioniercharakter" als "erfolgreich". Ebenso zufrieden zeigte sich die nigerianische Seite, vertreten durch den Staatssekretär des Aussenministeriums, Martin Uhomoibhi. Sobald das Abkommen konkretisiert ist, muss es auf Ministerebene unterzeichnet werden.

 Nigerianische Beamte reisen mit

 Geplant ist, dass künftig nigerianische Beamte den Rückführungsprozess begleiten. Insgesamt wird die Zusammenarbeit auf Grundlage des bilateralen Rückübernahmeabkommens des Jahres 2003 wieder aufgenommen. Dazu gehört auch, dass nigerianische Beamte zur Identifizierung ihrer Staatsangehörigen vor Ort erscheinen. Die Identifikation stellt für die Migrationsbehörden hierzulande ein zentrales Problem dar.

 11 Prozent der Asylgesuche

 Es ist unklar, welche Folgen das Abkommen nun auf die Einwanderung haben wird. Seit 2009 stellt die Schweiz steigende Zahlen von Asylgesuchen aus Nigeria fest. 2009 waren die Nigerianer mit 11 Prozent Asylgesuchen die Spitzenreiter: 1786 Nigerianer stellten ein Gesuch, 2007 waren es 327. Allerdings werden die Gesuche fast alle abschlägig beantwortet. 2009 gewährte das Bundesamt für Migration nur in einem Fall Asyl. Die meisten hätten, dies stellte du Bois-Reymond Anfang Jahr fest, keine wirklichen Asylgründe. Vielmehr kämen 99,5 Prozent der Nigerianer in die Schweiz, "um illegale Geschäfte zu machen", vorab im Drogenhandel. Daher sei eine intensivere Mitwirkung der Behörden von Nigeria notwendig, insbesondere was die Identifikation und die Rückführung betrifft. Dies ist nun mit der Verständigung offenbar in die Wege geleitet worden.

 Auf freiwillige Rückkehr setzen

 Ob nun die Gesuchszahlen zurückgehen, konnte du Bois-Reymond indes nicht sagen. Er betonte, das Abkommen umfasse viele Bereiche der Zusammenarbeit, die Vorteile für beide Seiten brächten: Verbessert werden soll das schweizerische Programm für die freiwillige Rückkehr. Geplant sind Ausbildungsprogramme für nigerianische Agro-Ingenieure und Diplomaten in der Schweiz. Weiter sucht die Schweiz Projekte in Schweizer Firmen in Nigeria, um die Berufsbildung von Nigerianern zu ermöglichen. Auch wird die nigerianische Diaspora in der Schweiz, rund 2000 Personen, stärker einbezogen.

 All dies, so du Bois-Reymond, mindere das Interesse, überhaupt auszuwandern. Es sei aber wichtig, Migration nicht nur unter dem Aspekt Illegalität und Kriminalität zu sehen, sagte er weiter. Jede Person habe zuerst Rechte, wenn sie in ein Land einwandere, ergänzte der nigerianische Staatssekretär Uhomoibhi. Sie seien nicht in erster Linie kriminell.

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Südostschweiz 6.11.10

Zwangsausschaffungen nach Nigeria 2011 wieder möglich

 Nigeria wird ab Januar 2011 wieder Ausschaffungs-Sonderflüge zulassen. Die Schweiz verpflichtet sich im Gegenzug, die Nigerianer künftig verstärkt zu unterstützen.

 Von Simon Fischer

 Bern. - Abgewiesene Asylsuchende aus Nigeria können ab Januar 2011 wieder zwangsausgeschafft werden. Darauf haben sich Alard du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamts für Migration, und Martin Uhomoibhi, Staatssekretär des nigerianischen Aussenministeriums, gestern in Bern geeinigt. Die Ausschaffungs-Sonderflüge waren gestoppt worden, nachdem im März ein 29-jähriger Nigerianer während seiner Ausschaffung auf dem Flughafen Zürich verstorben war.

 Im Gegenzug hat sich die Schweiz bereit erklärt, mit Nigeria eine Migrationspartnerschaft einzugehen. Diese sieht unter anderem vor, dass die Schweiz Hilfe leistet beim Ausbau der nigerianischen Migrationsbehörden, wie du Bois-Reymond vor den Medien in Bern erklärte. Für Nigerianer, die freiwillig heimkehren, wird es verbesserte Unterstützungsprogramme geben. Die Schweiz sei ausserdem in Verhandlungen mit Schweizer Firmen in Nigeria, die jungen Nigerianern Ausbildungsplätze bieten könnten.

 Kritik aus verschiedenen Gründen

 Im bürgerlichen Lager ist die Skepsis gegenüber einer Migrationspartnerschaft gross. So sagt etwa der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller: "Dieses Paket geht zu weit und sendet ein falsches Signal an andere Staaten." Zu grosszügige Rückkehrprogramme hätten ausserdem eine Sogwirkung auf potenzielle Asylsuchende.

 Auch Denise Graf von Amnesty International übt Kritik, wenn auch aus anderen Gründen. Die Migrationspartnerschaft sei grundsätzlich positiv, die Wiederaufnahme der Sonderflüge allerdings nicht. "Denn bis heute ist nicht definitiv gesichert, was zum Tod des Ausschaffungshäftlings geführt hat." Bevor die Untersuchung nicht abgeschlossen sei, dürften die Zwangsausschaffungen nicht wieder aufgenommen werden, sagt Graf.

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Basler Zeitung 6.11.10

Mehr Ausländer weggewiesen

 Kriterien für Ausschaffungen deklariert

 Patrick Marcolli

 Im Jahr 2009 hat Basel-Stadt in 53 Fällen die Aufenthalts- oder die Niederlassungsbewilligung entzogen. 2008 waren es erst 19 Fälle gewesen.

 Auf nationaler Ebene ist der Trend bereits mit Statistiken untermauert: Unbesehen davon, ob die SVP-Ausschaffungsinitiative oder der Gegenvorschlag angenommen oder abgelehnt wird - die Ausschaffungspraxis der Behörden hat sich in den letzten Jahren verschärft.

 In ihrer Antwort auf einen Vorstoss von Jürg Meyer (SP) hat die Basler Regierung die Kennzahlen für den Stadtkanton offengelegt. Im zweiten Jahr nach Inkrafttreten des Ausländergesetzes ist die Zahl des Entzugs von Aufenthalts- oder Niederlassungsbewilligungen sprunghaft angestiegen: Den 19 Fällen aus dem ersten Jahr 2008 stehen 53 Fälle im 2009 gegenüber. 2010 sind die Zahlen gegenüber dem Vorjahr wieder leicht rückläufig. Bis zum 13. Oktober wurden 28 Wegweisungen verfügt.

 Kriterien. Ebenso genannt werden die Kriterien, aufgrund derer eine Ausschaffung im Kanton Basel-Stadt überhaupt erst in Erwägung gezogen wird:

 > Finanzen: bei Betreibungen/Verlustscheinen von über 80 000 Franken, nach mindestens einmaliger Verwarnung.

 > Sozialhilfe: ununterbrochener Bezug über einen Zeitraum von mehr als zwei Jahren und einem Betrag von mehr als 80 000 Franken für eine Einzelperson nach mindestens einmaliger Verwarnung.

 > Verurteilungen: längerfristige Freiheitsstrafe (ab zwölf Monaten) bei folgenden Delikten: strafbare Handlungen gegen Leib und Leben, Sexualdelikte, Betäubungsmitteldelikte, schwere Verkehrsregelverletzungen im Wiederholungsfall, Vermögensdelikte ab einer Strafe von zwei Jahren.

 Spekulativ

In den Entscheid der Behörden, ob jemand weggewiesen wird oder nicht, fliessen auch "gewichtige persönliche Interessen am Verbleib in der Schweiz" mit ein. So die familiären Beziehungen (Ehefrau, Kinder), die Länge der Aufenthaltsdauer in der Schweiz und die Frage, ob dem Auszuweisenden im Heimatland erhebliche Nachteile erwachsen. Diese Kriterien würden nach einem Ja zum SVP-Volksbegehren nicht mehr berücksichtigt.

 Bemerkenswert ist auch, dass sich die Basler Behörden im Gegensatz zum Bundesamt für Migration nicht auf Prognosen darüber einlassen wollen, wie hoch die Zahl der Wegweisungen nach einer Annahme der Initiative werden könnte. In den letzten Jahren bereits sei das Migrationsamt bei straffällig gewordenen Personen "konsequent vorgegangen". Das Nennen von Zahlen wäre "rein spekulativer Natur".

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Südostschweiz 6.11.10

Auch GPK entlastet Bündner Behörden

 Chur. - Die Bündner Behörden haben sich bei der Ausschaffung einer Kurdenfamilie aus der Strafvollzugsanstalt Sennhof in Chur im Juli durchwegs korrekt verhalten. Das ist das Ergebnis der Untersuchung des Ausschusses der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates, das gestern publiziert wurde. Befragungen von Beteiligten sowie die Sichtung von Akten und Bildern liessen keine Schlüsse auf Übergriffe zu. Seite 7

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GPK-Bericht zu Ausschaffung: Behörden handelten korrekt

 Die Behörden haben sich bei der Ausschaffung einer Kurdenfamilie aus der Strafvollzugsanstalt Sennhof in Chur im Juli einwandfrei verhalten. Das ist das Ergebnis der Untersuchung des GPK-Ausschusses des Grossen Rates.

 Von Denise Alig

 Chur. - "Die Sichtung und Würdigung aller Beweise lässt keine Schlüsse auf unrechtmässige Übergriffe seitens der Behörden zu. Es konnten keine Belege, Hinweise oder Anhaltspunkte gefunden werden, welche die erhobenen Vorwürfe erhärten oder belegen würden. Im Gegenteil konnten einzelne Rügen gar als klar falsch widerlegt werden." Das schreibt der von Grossrat Jakob Barandun (FDP, Bergün) präsidierte vierköpfige Ausschuss der Geschäftsprüfungskommission (GPK) des Grossen Rates in einer Medienmitteilung von gestern zum Abschluss seiner Untersuchung der Zwangsausschaffung einer syrischen Kurdenfamilie im Juli aus der Strafvollzugsanstalt Sennhof in Chur. Der GPK-Ausschuss beurteile das Verhalten und Vorgehen der Behörden "unter allen Gesichtspunkten als rechtmässig, verhältnismässig und korrekt", heisst es weiter. Dass die Behördenmitglieder bei der Erfüllung ihres gesetzlichen Auftrags konsequent vorgegangen seien, könne ihnen nicht zum Vorwurf gemacht werden.

 Untersuchung aus eigener Initiative

 Der GPK-Ausschuss war in dieser Angelegenheit aus eigenem Antrieb tätig geworden, nachdem Organisationen wie der Verein Miteinander Valzeina und Amnesty International Schweiz sowie Insassen der Strafvollzugsanstalt Sennhof in Chur die Art und Weise erwähnter Zwangsausschaffung scharf kritisiert hatten. Den beteiligten Behörden waren Verletzung der Kinderrechts- und Folterkonvention, Verstoss gegen verbindliche gesetzliche Vorschriften, wie beispielsweise der Ausländer-, Asyl- sowie Zwangsanwendungsgesetzgebung, sowie Missachtung des Verhältnismässigkeitsprinzips vorgeworfen worden. Die Beschuldigungen waren vom zuständigen Departement für Justiz, Sicherheit und Gesundheit zur Untersuchung an den Churer Rechtsanwalt Andrea Cantieni als externen Experten übergeben worden. Dieser war Ende September zum Schluss gekommen, dass die erhobenen Vorwürfe unbegründet seien.

 Auch Videoaufnahmen eingesehen

 Wie Grossrat Jakob Barandun gestern auf Anfrage sagte, sei es für ihn von Anfang an klar gewesen, "dass die GPK in diesem Fall im Rahmen ihrer gesetzlichen Aufsicht über die Verwaltung tätig werden muss." Der GPK-Ausschuss habe Sachlage und die Begründetheit der Vorwürfe denn auch unvoreingenommen und sehr detailliert geprüft. Zur Beurteilung seien dem Ausschuss Einsicht in die Akten und Überwachungsbilder gewährt worden. Zudem hätten mehrere verantwortliche Behördenmitglieder eingehend befragt werden können.

 Amnesty beharrt auf Veröffentlichung

 Denise Graf, Flüchtlingskoordinatorin bei Amnesty International, erklärte gestern hingegen, aus der Mitteilung des GPK-Ausschusses sei nicht ersichtlich, "auf welche Informationen die GPK ihre Erkenntnisse abstützt und ob sie die betroffene Familie auch befragt hat". Amnesty International verlange - gestützt auf das Öffentlichkeitsprinzip - denn auch weiterhin, "dass Transparenz geschaffen wird und der Bericht des Gutachters sowie die Videobilder veröffentlicht werden".

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10vor10 5.11.10

Ausschaffungsflüge mit Preisschild

Nigerianer ohne Aufenthaltsbewilligung können wieder ausgeschafft werden. Im Gegenzug muss die Schweiz nun stärker in die Bildung und Entwicklung in Nigeria investieren.
http://videoportal.sf.tv/video?id=4c782002-5af9-44e3-993b-f0a6599d441b

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Tagesschau 5.11.10

Wieder Zwangsausschaffungen nach Nigeria

Die Schweiz und Nigeria haben ein neues Abkommen ausgehandelt. Nachdem die Sonderflüge für Zwangsausschaffungen vor etwa einem halben Jahr gestoppt wurden, sollen sie ab Januar 2011 wieder möglich sein.
http://videoportal.sf.tv/video?id=8656ae0f-e880-473a-ba06-093ef61db1b9

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admin.ch 5.11.10

Bundesamt für Migration

Migrationspartnerschaft zwischen der Schweiz und Nigeria abgeschlossen

Medienmitteilungen, BFM, 05.11.2010

Bern. Die Schweiz und Nigeria haben heute die Verhandlungen über eine Migrationspartnerschaft zwischen den beiden Ländern erfolgreich abgeschlossen. Dies war der Höhepunkt eines Arbeitsbesuchs des Staatssekretärs des nigerianischen Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, Botschafter Dr. Martin Uhomoibhi, in Bern, wo er den Staatssekretär des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Botschafter Peter Maurer, und den Direktor des Bundesamtes für Migration, Alard du Bois-Reymond, getroffen hat.

Der Fokus des Arbeitsbesuchs, der im Rahmen regelmässiger politischer Konsultationen stattfand, war hauptsächlich auf die Zusammenarbeit im Bereich der Migration gerichtet. Die Delegationen der Schweiz und Nigerias haben die Verhandlungen über eine bilaterale Migrationspartnerschaft erfolgreich abgeschlossen. Das Memorandum of Understanding (MoU), das seit dem Besuch der Vorsteherin des Eidgenössischen Departements für auswärtige Angelegenheiten, Bundesrätin Micheline Calmy-Rey, im April 2009 in Abuja diskutiert wurde, deckt die Zusammenarbeitsbereiche wie Kapazitätenaufbau im Migrationsmanagement, Migration und Entwicklung, Förderung und Schutz der Menschenrechte sowie reguläre Migration ab, wie beispielsweise Austauschmöglichkeiten für Aus- und Weiterbildung, sowie die Bekämpfung von Menschenschmuggel und des Menschen- und Drogenhandels, die Rückkehrhilfe, die Rückübernahme und Wiedereingliederung sowie die Prävention irregulärer Migration.

Das MoU über eine Migrationspartnerschaft wird bald auf ministerieller Ebene formell unterzeichnet. Es hat Pioniercharakter und wird die Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Nigeria auf eine neue Ebene heben. Die Zusammenarbeit soll langfristig angelegt, im Interesse beider Parteien liegen und im Sinne eines umfassenden Ansatzes sowohl die Chancen und die Herausforderungen der Migration beachten. Es ist das erste derartige Abkommen zwischen der Schweiz und einem afrikanischen Land.

Die heutigen politischen Konsultationen boten eine Plattform für den Austausch über das zukünftige Vorgehen, die konkrete Umsetzung der Partnerschaft und mögliche gemeinsame Initiativen und Projekte. Nebst zahlreichen anderen Themen erörterten die beiden Delegationen, wie das schweizerische Programm für die freiwillige Rückkehr und Wiedereingliederung, das rückkehrenden Nigerianerinnen und Nigerianern seit 2005 erfolgreich angeboten wird, weiter verbessert werden kann. Es wurden auch Sondierungsgespräche mit in Nigeria tätigen Schweizer Unternehmen aufgenommen. In diesen Gesprächen soll ermittelt werden, wo sich Pilotprojekte ergeben könnten für die Aus- und Weiterbildung für eine gewisse Anzahl junger Nigerianerinnen und Nigerianer. Im Bereich der Migration und der Entwicklung wird die Schweiz ein bereits bestehendes regionales System für die Identifikation, den Schutz und die Reintegration junger gestrandeter Migrantinnen und Migranten und vulnerabler Kinder auf Nigeria ausweiten. Beide Seiten kamen des Weiteren überein, die nigerianische Diaspora in der Schweiz in die Partnerschaft einzubeziehen.

Der tragische Vorfall vom 17. März 2010 am Flughafen Zürich, bei dem ein junger Nigerianer bei der Rückführung gestorben ist, war ebenfalls Gegenstand der Gespräche. Die Schweizer Seite drückte erneut ihr Bedauern aus. Beide Delegationen machten eine Bestandesaufnahme der verschiedenen Massnahmen, die in den letzten Monaten gemeinsam erarbeitet wurden, um das Rückführungsverfahren zu optimieren, damit sich ein solcher Fall nicht mehr ereignet. Zu den Massnahmen gehört die Vereinbarung, dass nigerianische Beamte den gesamten Rückführungsprozess begleiten werden. Der Staatssekretär Uhomoibhi brachte seine Zufriedenheit mit diesen Massnahmen zum Ausdruck. Beide Parteien betonten, dass jede Massnahme gemeinsam ergriffen werden muss, damit die Gewähr besteht, dass das Rückführungsverfahren in Würde und mit Respekt vollzogen wird. Deshalb wurde vereinbart, die Zusammenarbeit auf Grundlage des bilateralen Rückübernahmeabkommens des Jahres 2003 wieder aufzunehmen. Dies schliesst auch die Wiederaufnahme der Rückführungsflüge ab dem 1. Januar 2011 ein. Vor diesem Zeitpunkt wird die normale Zusammenarbeit schrittweise wieder eingeleitet, z. B. die Missionen nigerianischer Beamter zur Identifizierung eigener Staatsangehöriger oder die Teilnahme nigerianischer Rückkehrerinnen und Rückkehrer an FRONTEX-Flügen nach Nigeria.

Die beiden Delegationen führten überdies Gespräche zu Themen von gemeinsamem Interesse, etwa zum bilateralen Handel und Investitionen, zur gemeinsamen Bekämpfung illegaler Vermögen, zu Friedensoperationen in Subsahara-Afrika, zur Sicherheitslage in der Region Sahara und Sahel, zum Vorsitz Nigerias bei der ECOWAS sowie zur Überprüfung des Menschenrechtsrats. Im Frühling 2011 wird eine Gruppe junger nigerianischer Diplomatinnen und Diplomaten zusammen mit ihren schweizerischen Kolleginnen und Kollegen an einer einmonatigen Ausbildung in Genf und Bern teilnehmen. Staatssekretär Peter Maurer nahm die Einladung von Staatssekretär Martin Uhomoibhi zu einer nächsten Runde bilateraler Konsultationen 2011 in Abuja an.

Kontakt / Rückfragen
Alard du Bois-Reymond, Bundesamt für Migration, T +41 31 325 93 50, Kontakt
Informationsdienst EDA, T + 41 31 322 31 53, Kontakt

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VOLKSBEFRAGUNG
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WoZ 11.11.10

Hier gibts Argumente

 Die SVP lügt

 Wollen Sie Ihre Bekannten überzeugen, zweimal Nein zu stimmen, aber finden keine Argumente? Der grüne Genfer Nationalrat Antonio Hodgers kann Ihnen neue liefern. Er hat aufgelistet, was in der Broschüre zur SVP-"Volksbefragung" alles nicht stimmt: von plumpen Lügen bis zu Manipulationen an Statistiken. DYT

http://www.wasdiesvpverheimlicht.ch

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Bund 10.11.10

Grüne kritisieren "Volksbefragung" der SVP

 Die SVP hat gestern die Resultate ihrer "Volksbefragung" vorgelegt. Sie sieht in der nicht repräsentativen Umfrage eine Bestätigung für ihre Ausländerpolitik. Die Partei hatte im Sommer an alle 3,9 Millionen Schweizer Haushalte einen Fragebogen verschickt. Insgesamt nahmen laut SVP rund 70 000 Personen an der Umfrage teil, was einer Beteiligung von weniger als 2 Prozent entspricht.

 Die SVP folgert aus den Antworten, dass viele eine härtere Ausländerpolitik wünschen. "Wir prüfen, ob sich eine weitere Volksinitiative aufdrängt", sagte Brunner. Vor allem die Idee der Einbürgerung auf Zeit werde weiterverfolgt.

 Die Teilnehmenden hatten verschiedene Massnahmen ankreuzen können. Am meisten Zustimmung erhielt jener Vorschlag, über den bald an der Urne abgestimmt wird: die Ausschaffung krimineller Ausländer. Die Kündigung der Personenfreizügigkeit stiess dagegen nicht auf grosse Unterstützung.

 Der Genfer Nationalrat Antonio Hodgers (Grüne) hat die Resultate unter die Lupe genommen, wie seine Partei in einem Communiqué schreibt. Er wirft der SVP "Fälschungen, Lügen, Manipulation und das Weglassen von Informationen" vor. So verschweige die SVP bei einer Einwanderungs-Grafik die Zahlen von 2009, die im Zuge der Rezession stark gesunken seien. Falsch sei die Behauptung, seit der Einführung des Freizügigkeitsabkommens 2002 habe die jährliche Zuwanderung um 65 Prozent zugenommen. Richtig sei ein jährlicher Anstieg von 4,5 Prozent.

 Ebenso falsch sei die Aussage, es gebe kaum ein Land, in dem proportional zur Bevölkerung so viele Ausländer lebten wie in der Schweiz. Tatsächlich bestehe die Schweizer Bevölkerung aus 22,1 Prozent Ausländern, diejenige in Luxemburg aus 41,6 und diejenige Liechtensteins aus 33,9 Prozent. Hodgers spricht von total "52 Manipulationen" in der Befragung. (sda/bin/Newsnetz)

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NZZ 10.11.10

Politmarketing und Satire

 SVP präsentiert Ergebnisse ihrer "Volksbefragung"

 Die SVP will ihre Umfrage zur Lancierung neuer Forderungen in der Ausländerpolitik nutzen. Die umstrittene Volksbefragung gab Anlass zu Kritik und Satire.

 nn. Bern · Ende Juli verschickte die SVP eine Zeitschrift an alle Schweizer Haushalte. Die Bevölkerung wurde darin aufgerufen, in einer suggestiv aufgemachten "Volksbefragung" migrationspolitische SVP-Forderungen zu unterstützen. Pünktlich zum Endspurt des Abstimmungskampfs um die Ausschaffungsinitiative gab SVP-Präsident Toni Brunner am Dienstag vor den Medien in Bern die Resultate der "Volksbefragung" bekannt - und er liess keinen Zweifel daran aufkommen, dass die SVP das Rad ihrer ausländerpolitischen Forderungen noch weiterdrehen wird.

 Volksinitiative wird geprüft

 3,9 Millionen Fragebogen wurden verschickt, 70 000 Antworten gingen per Post und Internet ein. Laut Brunner entspricht dies einer Rücklaufquote von 1,9 Prozent. An der Umfrage hat sich vorab beteiligt, wer eine härtere migrationspolitische Gangart will. Zwei Drittel der Teilnehmer fordern die "konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer", ähnlich hohe Raten erreichten die Ausschaffung von Sans-Papiers, die Einbürgerung auf Probe, eine Loyalitätserklärung bei Einwanderung oder der Entzug der Niederlassungsbewilligung bei langjähriger Sozialhilfeabhängigkeit. Die ersatzlose Kündigung des EU-Personenfreizügigkeitsabkommens forderten indes nur 30 Prozent. - Eine SVP-Arbeitsgruppe soll nun die fünf meistgenannten Themen weiterverfolgen. Was wann auf politischer Ebene eingebracht werde, ist noch offen. Die Lancierung einer Volksinitiative im Wahljahr werde natürlich geprüft. 20 Prozent der Teilnehmer haben eigene Vorschläge gemacht: Gewisse will die SVP im Parlament für Vorstösse nutzen.

 Störmanöver und Kritik

 Das SVP-Marketing gab Anlass zur politischen Satire. Die Jungen Grünen traten schon am Vormittag als vermeintliche SVP-Sympathisanten vor die Medien und erklärten, die Volksbefragung habe die Probleme ergeben, "die wir schaffen wollten". Der SVP-Auftritt wurde zudem von einem als Dr. Alois B. Stocher auftretenden Aktionskünstler gestört, der ein Plakat für die "Markierung" und "Ausschaffung" aller Ausländer ausrollte. Der Künstler wurde von der energischen stellvertretenden SVP-Generalsekretärin aus dem Saal geschafft.

 Inhaltliche Kritik gab es von den Grünen: Der Genfer Nationalrat Antonio Hodgers hat die Statistiken und Aussagen in der Volksbefragung-Zeitschrift mit einiger Akribie analysiert und im Internet "14 Fälschungen, 19 Lügen und 19 unterschlagene Informationen" angeprangert. Einzelne Manipulationsvorwürfe entkräftete Brunner, die anderen wies er pauschal zurück. Der SVP-Präsident räumte aber ein, dass die Umfrage nicht repräsentativ sei. Seriosität war ohnehin nicht das Ziel der Befragung: Zusätzlich zum Werbeeffekt gelang es der SVP, 2000 aktive Helfer für die Ausschaffungsinitiative und 1500 Parteimitglieder zu rekrutieren.

 Meinung & Debatte, Seite 23

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Südostschweiz 10.11.10

"Volksbefragung" sorgt für Nervosität bei Bürgerlichen

 Mit ihrer "Volksbefragung" zementiert die SVP im Hinblick auf die Wahlen 2011 ihre Vorherrschaft in der Ausländerthematik. Die FDP reagiert mit einem Parteitag zum Thema Migration.

 Von Simon Fischer und Lorenz Honegger

 Bern. - Anfang August verschickte die SVP die Unterlagen zu ihrer "Volksbefragung zur Asyl- und Ausländerpolitik" an die 3,9 Millionen Schweizer Haushalte. Gestern hat die Partei in Bern die Ergebnisse vorgestellt und dabei keinen Zweifel daran gelassen, dass sie im kommenden Wahlkampfjahr einmal mehr mit ebendiesem Thema punkten will. Gleichzeitig sieht sie sich knapp drei Wochen vor der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative sowieso schon täglich in den Schlagzeilen - und bei den anderen Parteien steigt die Nervosität, weil ihnen droht, in Migrationsfragen vollends den Anschluss zu verlieren.

 FDP-Parteitag zur Migration

 Bei der FDP und der CVP will man deshalb frühzeitig Gegensteuer geben. Wie der Aargauer FDP-Nationalrat Philipp Müller auf Anfrage erklärte, werden die Freisinnigen Mitte Februar 2011 einen Parteitag zum Thema Migration durchführen. Andere Themen sind nicht traktandiert. "Das hat es in der Geschichte der FDP noch nie gegeben", sagte Migrationsexperte Müller. Der Entscheid sei vom Parteivorstand vor einer Woche gefällt worden. Es gehe nicht darum, der SVP "nachzuplappern", so Müller. "Aber wenn wir eine Volkspartei sein wollen, müssen wir uns auch Themen widmen, welche die Leute beschäftigen." Die FDP habe das Thema Migration lange falsch eingeschätzt und zu zaghaft kommuniziert, dass sie ebenfalls intensiv am Thema arbeite - etwa bei der Revision des Asyl- und des Ausländergesetzes, welche die Partei entscheidend mitgeprägt habe.

 Auch die CVP will das Thema Ausländer "ungeschminkt anpacken", wie es Parteipräsident Christophe Darbellay formulierte. "Und im Gegensatz zur SVP werden wir Lösungen präsentieren, die umsetzbar sind", sagte der Walliser Nationalrat. So werde das Kernthema des CVP-Wahlkampfs die Sicherheit im Alltag sein - "eine Diskussion über unsere Werte, die auch Ausländer betrifft", erklärte Darbellay. Es seien deshalb bereits mehrere Positionspapiere in Arbeit, welche die Partei im Laufe des Wahlkampfs präsentieren werde. Im Übrigen habe die CVP zum Thema Migration bereits ein Positionspapier verabschiedet, "leider mit weniger Echo als die 'Volksbefragung' der SVP", so Darbellay.

 Vorwurf der Manipulation

 SVP-Parteipräsident Toni Brunner versuchte die "Volksbefragung" vor den Medien in Bern als Erfolg zu verkaufen. Allerdings haben nur rund 70 000 Personen den Fragebogen zurückgeschickt, was einer Beteiligung von weniger als zwei Prozent entspricht. Das Ergebnis: Von der SVP vorgeschlagene Massnahmen wie Ausschaffung krimineller Ausländer und illegal Anwesender, Einbürgerung auf Probe, Loyalitätserklärung bei Einwanderung und Entzug der Niederlassungsbewilligung bei langjähriger Sozialhilfeabhängigkeit erreichten jeweils weit über 60 Prozent Zustimmung.

 Vor allem im Lager der Grünen ruft dies Kritiker auf den Plan. Die SVP manipuliere Daten und Statistiken, um ihre populistischen Aussagen zu belegen, schrieb die Partei. Brunner wies diese Kritik zurück. Der grüne Genfer Nationalrat Antonio Hodgers, der laut eigener Aussage 50 Stunden Arbeit in die Analyse des Fragebogens gesteckt hat, konterte: "52 Manipulationen sind zu viel."

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 Neue Initiative: Haftdauer nach Herkunft festlegen

 Zürich. - Ein Komitee aus parteilosen Bürgern hat gestern zu einer Medienkonferenz ins Restaurant "Au Premier" in Zürich eingeladen. Drei Wochen vor der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative gab es die Lancierung einer neuen Volksinitiative bekannt. Geschmückt ist diese mit einem wahren Bestseller-Titel: "Eidgenössische Volksinitiative für die härtere Bestrafung von Kriminellen ausländischer Staatsangehörigkeit!"

 Spätestens zu diesem Zeitpunkt runzelten die anwesenden Journalisten die Stirn. Meinen die das ernst? Am 28. November stimmen wir doch über die Ausschaffungsinitiative ab. Doch das Initiativ-Komitee beteuerte: "Ja, das ist ernst gemeint." Gestern hätten sie die Initiative zur Vorprüfung in Bern eingereicht. Die Bundeskanzlei konnte das Eintreffen der Initiative allerdings nicht bestätigen.

 Die Initianten fordern nach der Nationalität des Täters unterschiedlich angesetze Haftstrafen. Konkret heisst das: Wenn Angehörige einer Nationalität viele Straftaten begangen haben, sollen Angehörige dieser Gruppe länger ins Gefängnis. Beispiel: Laut Kriminalitätsstatistik begehen Angolaner besonders viele Delikte, also sollen sie auch 2,5-mal länger ins Gefängnis als kriminelle Schweizer. Umgekehrt sähe es bei Deutschen aus. Sie begehen weniger Verbrechen als Schweizer und würden daher von einer kürzeren Haftstrafe als Schweizer profitieren. Die Initiative widerspricht dem Prinzip, dass jeder vor Gericht gleich ist. Deshalb ist es mehr als fragwürdig, ob sie die Vorprüfung übersteht. (ros)

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Kommentar

 Völlig wertlos, aber geschickt

 Von Simon Fischer

 Inhaltlich betrachtet, ist das Ergebnis der "Volksbefragung zur Asyl- und Ausländerpolitik" aus dem Hause SVP nicht das Papier wert, auf dem es geschrieben steht. Hunderttausende von Franken hat die Partei aufgewendet, um den Fragebogen an die fast vier Millionen Haushalte in der Schweiz zu versenden. Ausgefüllt haben ihn gut 70 000 Personen, was einer Beteiligung von nicht einmal zwei Prozent entspricht. Und der Verdacht liegt nahe, dass die Umfrageteilnehmer grossmehrheitlich sowieso schon zum SVP-Wählerkreis gehören. Es sind also alles andere als repräsentative Zahlen, welche die Partei gestern präsentiert hat - was Präsident Toni Brunner auch gar nicht in Abrede stellen wollte.

 War die "Volksbefragung" also ein Schuss in den Ofen? Mitnichten! Denn die SVP hat sich damit exakt jene Zahlen herbeigezaubert, die sie braucht, um im Wahlkampf mit Erfolg eine Schlammschlacht gegen Ausländer, Asylsuchende und überhaupt alles Fremde zu schlagen. Über 60 Prozent haben ihre Kreuzchen bei simpel formulierten SVP-Vorschlägen gemacht wie "konsequente Ausschaffung krimineller Ausländer und illegal Anwesender", "Einbürgerung auf Probe" oder "Loyalitätserklärung bei Einwanderung". Die Wähler werden diese Zahlen in den nächsten Monaten noch unzählige Male um die Ohren gehauen bekommen. Das ist zwar höchst unappetitlich, aber nicht verboten - und deshalb ziemlich geschickt.

 Und was machen die anderen Parteien, denen die SVP vorwirft, in Ausländerfragen nichts zu tun? Statt ruhig Blut zu bewahren und die Volkspartei einfach einmal zu ignorieren, üben sie sich in reiner Selbstverteidigung: Die Grünen bezichtigen die SVP der Manipulation von Daten und Statistiken, die FDP kündigt einen monothematischen Parteitag zur Migration an, und CVP-Präsident Christophe Darbellay erklärt, man werde bald Lösungen präsentieren, die auch umsetzbar seien. Damit verhelfen sie dem politischen Gegner zu viel Medienpräsenz und schaden sich indirekt selbst. Wieder einmal hat die SVP gestern bewiesen, wie man aus einer völlig wertlosen Zahlenbeigerei ordentlich Profit schlagen kann.

 sfischer@suedostschweiz.ch

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SVP
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NZZ 11.11.10

Uni Lausanne lädt SVP aus

Chaoten-Drohungen vor Delegiertenversammlung

 (sda) · Die Universität Lausanne (UNIL) lehnt es ab, ihre Räumlichkeiten der SVP für deren Delegiertenversammlung am 4. Dezember zur Verfügung zu stellen. Die UNIL habe die Versammlung der SVP nur unter der Bedingung akzeptiert, dass der Uni-Betrieb nicht gestört werde, sagte Marc de Perrot, Generalsekretär der Universität Lausanne. Nun seien aber Flugblätter eingegangen, die dazu aufforderten, Fenster einzuschlagen, Räumlichkeiten, zu verwüsten und Autoreifen zu zerstechen. Deshalb hat die UNIL das Kongress- und Ausstellungszentrum Beaulieu informiert, dass sie das Risiko nicht eingehen kann. Ursprünglich hätte die DV im "Beaulieu" stattfinden sollen. Da jedoch die Gewerkschaft Unia zur gleichen Zeit am gleichen Ort ihre Versammlung abhält, hatte diese durchgesetzt, dass die SVP ihre DV anderswo durchführt. Die Unia befürchtet, dass es nach der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative am 28. November zu Reibereien kommen könnte.

 "Wir machen weder dem Kongresszentrum noch der UNIL Vorwürfe", sagt Claude-Alain Voiblet, Generalsekretär der SVP Waadt. "Aber wir bedauern, dass die SVP-Delegierten sich nicht in Ruhe in Lausanne treffen können." Dies gebe ein katastrophales Bild nach aussen ab. Schon bei einem Auftritt Christoph Blochers als Bundesrat am Comptoir Suisse 2007 sei es zu Ausschreitungen gekommen. Seither machten Linksextreme mobil, sobald die SVP eine Versammlung organisieren wolle, sagte Voiblet. Nun müsse man einen neuen Ort im Waadtland für die SVP-DV finden.

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MIGRATION CONTROL
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admin.ch 10.11.10

4. Globales Forum für Migration und Entwicklung - die Schweiz hat 2011 den Vorsitz

Bern, 10.11.2010 - Am 10. und 11. November 2010 findet in Puerto Vallarta (Mexiko) das vierte Globale Forum für Migration und Entwicklung statt. 150 Staaten diskutieren über eine verstärkte internationale Zusammenarbeit im Bereich der Migration und Entwicklung. Die schweizerische Delegation unter Leitung des Sonderbotschafters für internationale Migrationszusammenarbeit, Eduard Gnesa, bereitet den Vorsitz der Schweiz für das Forum im Jahr 2011 vor.

Migration wird in der Öffentlichkeit oft überwiegend als Problem wahrgenommen. Diese Betrachtungsweise greift zu kurz. Migration kann sowohl für Herkunfts- als auch für Empfangsstaaten positiv sein. Für Empfangsstaaten können Migranten eine unverzichtbare wirtschaftliche und gesellschaftliche Ressource darstellen, die im Zuge demografischer Entwicklungen noch wichtiger werden dürfte. Herkunftsstaaten können von Geldüberweisungen und Wissenstransfer ihrer Staatsbürger in der Ferne profitieren. Die Migranten selber verbessern ihre persönlichen Lebensumstände und die ihrer Angehörigen.

Dieser Zusammenhang stösst in der internationalen Gemeinschaft auf immer grösseres Interesse. Das Globale Forum für Migration und Entwicklung bietet den Staaten in diesem Zusammenhang eine wichtige Diskussionsplattform. Das Forum wurde 2006 auf Initiative des damaligen UNO-Generalsekretärs Kofi Annan gegründet. Es ist offen für alle Uno-Mitgliedstaaten und dient der Stärkung des informellen Erfahrungsaustauschs und der Kooperation zwischen Ursprungs- und Zielländern.

Die Schweiz nimmt an der zweitägigen Konferenz in Puerto Vallarta mit einer interdepartementalen Delegation unter Leitung des Sonderbotschafters für internationale Migrationszusammenarbeit, Eduard Gnesa, teil. Gemeinsam mit Argentinien und Kenia leitet die Schweiz einen runden Tisch, welcher dem Austausch über neue Instrumente zur Datengewinnung im Bereich Migration und Entwicklung gewidmet ist. Die Schweiz beteiligt sich zudem aktiv an weiteren Diskussionsrunden, welche Themen wie die klimabedingte Migration, irreguläre Migration oder Migrationspartnerschaften behandeln.

2011 hat die Schweiz den Vorsitz für das Globale Forum für Migration und Entwicklung inne. Nach Belgien, den Philippinen, Griechenland und Mexiko wird die Schweiz für ein Jahr das Forum präsidieren. Als Vorsitzende wird die Schweiz unter anderem für die Gesamtevaluation der Aktivitäten des Forums in den letzten vier Jahren verantwortlich sein. Die Schweizer Delegation wird in Puerto Vallarta zudem Gespräche über mögliche Themenschwerpunkte des Forums für 2011 führen.

Auskunft :
Information EDA: + 41 31 322 31 53
Michael Glauser, Information BFM:  +41 31 325 93 50

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admin.ch 8.11.10

Bundesrätin Simonetta Sommaruga in Brüssel

Bern, 08.11.2010 - Bundesrätin Simonetta Sommaruga, Vorsteherin des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, hat heute erstmals am gemischten Schengen-Ausschuss des Justiz- und Innenministerrats der EU in Brüssel teilgenommen. Im gemischten Schengen-Ausschuss treffen sich regelmässig die Justiz- und Innenminister der EU-Mitgliedstaaten und der an Schengen assoziierten Staaten.

Die Minister haben über die Stärkung von FRONTEX diskutiert, der Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen. FRONTEX soll mit zusätzlichen Instrumenten und Kompetenzen ausgestattet werden, um die Mitgliedstaaten noch effizienter bei der Koordination und beim Management ihrer fremdenpolizeilichen Kontrollen an den Aussengrenzen des Schengen-Raums unterstützen zu können. Nach Abschluss einer technischen Vereinbarung kann auch die Schweiz künftig an gemeinsamen Einsätzen teilnehmen. Die Diskussionen zeigten, dass insbesondere Datenschutzbestimmungen grosse Bedeutung beigemessen wird.

Der Ausschuss beriet und beschloss die Aufhebung der Visumspflicht für Staatsangehörige aus Albanien sowie Bosnien und Herzegowina für Aufenthalte ohne Erwerbszweck bis zu drei Monaten pro Halbjahr. Mit dem Entscheid soll den Fortschritten dieser Länder im Bereich ihrer Migrationspolitik Rechnung getragen werden. Die Visumsbefreiung gilt nur für Personen mit biometrischen Pässen. Sollte es aufgrund der Visumsliberalisierung mit diesen Ländern zu Schwierigkeiten kommen, können Gegenmassnahmen ergriffen werden. Insbesondere ist ein Monitoring vorgesehen. Zudem soll eine rasche Suspendierung der Visa-Liberalisierung möglich sein. Es geht um eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstandes; eine analoge Visa-Liberalisierung wurde letztes Jahr für Mazedonien, Montenegro und Serbien eingeführt. Grenzkontrollen an der Schengen-Aussengrenze bleiben weiterhin bestehen. Mit der Inkraftsetzung der neuen Regelung wird in der zweiten Hälfte Dezember zu rechnen sein.

Die Minister wurden durch die Kommission über die nächsten Schritte im Hinblick auf die Einführung des Schengener Informationssystems SIS II informiert. SIS II soll das bestehende System ablösen beziehungsweise den Fahndungsdatenbestand um Fingerabdrücke und Fotos der gesuchten Personen erweitern. Die Einführung soll Mitte 2013 erfolgen.

Traktandiert war auch der Stand der Revisionsarbeiten an der Verordnung über die Schaffung eines Netzwerkes von Verbindungsbeamten für Einwanderungsfragen.

Bundesrätin Sommaruga nutzte die Möglichkeit, sich erstmals mit ihren EU-Amtskolleginnen und Amtskollegen auszutauschen.

Adresse für Rückfragen:
Daniel Klingele, Schweizerische Mission bei der EU, Tel. +32 473 98 34 20


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Zentralschweiz am Sonntag 7.11.10

Griechenland

 Heftige Kritik von Hilfswerken an EU-Grenzpolizei

Chrissi Wilkens, Büro n-ost, Alexandroupolis

 90 Prozent aller Flüchtlinge aus Asien und Afrika, die nach Europa wollen, versuchen dies bei der EU-Aussengrenze zwischen Türkei und Griechenland. Auf sie wartet die Hölle.

 Shogofa hält ihr Baby fest in den Armen. Die junge Frau steht mit ihrem Mann am Bahnhof von Alexandroupolis, ein paar Kilometer von der griechisch-türkischen Grenze entfernt im Evros-Gebiet in der Provinz Thrakien. Vor wenigen Stunden wurde die Familie aus dem Auffanglager in dem naheliegenden Dorf Soufli entlassen. In ihrer Hand hält Shogofa ein Entlassungspapier: Binnen 30 Tagen müssen sie und ihr Mann Griechenland verlassen.

 Von der Polizei verhaftet

 Ihre Reise nach Griechenland dauerte mehr als zwei Monate. Zu Fuss und mit dem Bus reisten sie von ihrem Heimatland Afghanistan bis in die Türkei. "Um nach Europa zu kommen, haben wir mit einem Paddelboot nachts den Fluss Evros überquert", erzählt die junge Frau. "Die Polizei hat uns verhaftet und ins Lager in Soufli gebracht." Den Eindruck, dass sie in Europa angekommen ist, hat Shogofa nicht. "Das Lager war voll. Frauen, Männer und Kinder haben sich auf engstem Raum gedrängt. Manche haben sogar vor der Toilette in den Abwässern geschlafen. Es gab keine medizinische Versorgung", sagt sie mit einem ängstlichen Blick. Nun wartet sie wie Dutzende andere afghanische und somalische Flüchtlinge auf den nächsten Zug nach Athen. Dort will sie Schutz suchen.

 Küsten in Spanien und Italien dicht

 Der Grenzfluss Evros stellt für tausende Flüchtlinge das letzte Eingangstor nach Europa dar, nachdem die europäische Grenzschutzagentur Frontex den Seeweg in der Ägäis in den vergangenen Monaten mit verstärkten Patrouillen abgeriegelt hat. Auch Spanien und Italien haben ihre Küsten schon längst geschlossen, um Flüchtlinge abzuhalten. Mehr als 90 Prozent der Migranten und Flüchtlinge aus Asien und Afrika wählten deshalb dieses Jahr die EU-Aussengrenze zwischen Türkei und Griechenland, um EU-Territorium zu erreichen. Nach offiziellen Angaben versuchen täglich über 350 Menschen, den insgesamt 530 Kilometer langen Evros zu überqueren.

 40 Flüchtlinge starben im Fluss

 Mehr als 34 000 Flüchtlinge und Migranten wurden seit Anfang des Jahres dort aufgegriffen. Im Jahre 2009 waren es nur etwa 9000. Mehr als 40 Menschen haben seit Jahresanfang in den heftigen Fluten des Flusses ihr Leben verloren. Wie die Organisation Welcome to Europe im August berichtete, wurden ihre Leichen in einem Massengrab im Evros-Gebiet verscharrt. In den fünf Auffanglagern im Evros-Gebiet herrschen laut dem Flüchtlingshilfswerk der Vereinten Nationen tragische Zustände.

 Griechenland ist mit der humanitären Krise überfordert und hat die EU um Unterstützung gebeten. Seit letztem Dienstag werden deshalb 175 Polizisten der EU-Grenzschutzagentur Frontex am Evros patrouillieren. Sie sollen mit Waffen, Helikoptern, Hunden und moderner Überwachungstechnologie die Flüchtlinge und Migranten davon abhalten, ihren Fuss auf europäischen Boden zu setzen. Ab nächstem Jahr sollen auch Schweizer Grenzschützer in Griechenland an solchen Einsätzen teilnehmen.

 Kritik am EU-Einsatz

 Obwohl Griechenland die Hilfe selbst angefordert hat, sehen viele den EU-Einsatz skeptisch. Die Rolle der wenigen Frontex-Beamten, die schon jetzt dort tätig sind, ist umstritten. Im Auftrag der Menschenorganisation Pro Asyl recherchierten im August zwei griechische Rechtsanwältinnen im Evros-Gebiet - und brachten erschreckende Ergebnisse zurück. So seien durch falsche Angaben von Frontex Minderjährige zu Erwachsenen gemacht oder einem falschen Herkunftsland zugeordnet worden. Wie im Fall eines 15-jährigen Afghanen, der als volljähriger Türke registriert worden sei. "Die Flüchtlinge werden nicht einmal in ihrer Sprache über die Gründe ihrer Inhaftierung informiert. Sie wissen manchmal nicht, dass sie unmittelbar von einer Abschiebung in die Türkei bedroht sind", betont die Rechtsanwältin Marianna Tzeferakou.

 Ein iranischer Flüchtling berichtete Pro Asyl, dass alle seine Dokumente im Abfall landeten. Er habe mehrmals verlangt, einen Asylantrag zu stellen, aber keiner habe ihn beachtet. Mittlerweile wurde er freigelassen, nachdem die griechischen Behörden erfolglos versucht hatten, ihn in die Türkei abzuschieben.

 Ohne Hoffnung in die Zukunft

 Die Afghanin Shogofa weiss nichts von diesem Einsatz. Sie weiss auch nicht, dass in Griechenland die Anerkennungsquote für Asylsuchende bei weniger als einem Prozent liegt. Mehr als 45 000 unbearbeitete Asylanträge stapeln sich in den Behörden Griechenlands. Das System ist schon vor Monaten zusammengebrochen. Shogofa und ihre Familie warten stundenlang auf dem Bahnsteig in Alexandroupolis auf den Zug. In 15 Stunden werden sie in Athen sein. Dort wartet keiner auf sie. "Wir wissen nicht, wie es weitergeht. Wahrscheinlich werden wir auf der Strasse landen."

 nachrichten@neue-lz.ch

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DROGEN
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Bund 11.11.10

Hanf-Anbau

 Tessin und Westschweiz wollen gemeinsame Regeln

 Die Justiz- und Polizeidirektoren der Westschweiz und des Tessins wollen gemeinsame Regeln für den Hanfanbau: Wer legalen Hanf anbauen und verkaufen will, braucht künftig eine Bewilligung. Die lateinischen Kantone wollen so dem Missbrauch im Hanfanbau entgegenwirken. Denn manch ein Landwirt gibt vor, seinen Hanf für Seile, Kleider oder Kosmetika zu verwenden und verkauft die verarbeitete Pflanze dann heimlich als Droge. Das Konkordat tritt in Kraft, sobald drei Kantone beitreten. Auch die Berner Kantonsregierung erwägt den Beitritt.(sda)

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Basellandschaftliche Zeitung 11.11.10

221 Koksdealer aus Stadt verbannt

Yen Duong

 Kügelidealer Seit Jahresbeginn hat das Migrationsamt gegen 221 mutmassliche Drogenhändler eine Ausgrenzung verfügt.

 Sobald die Nacht einbricht, herrscht im Kleinbasel Hochbetrieb: Schwarzafrikaner versuchen im Gebiet Claraplatz, Kaserne und am Rheinufer ihr Kokain zu verkaufen. Vor allem an den Wochenenden ist dies kaum zu übersehen. Während der Sommermonate verschärft sich die Situation. Die Drogendealer sind meistens Asylsuchende aus anderen Kantonen und stammen nicht selten aus Nigeria.

 In der Hoffnung, das grosse Geschäft im Kleinbasel zu machen, reisen die Kügelidealer aus der ganzen Schweiz an und verschwinden im Morgengrauen wieder. Dieses Problem kennt auch die Basler Kantonspolizei. Von Mitte April bis Ende Oktober führte sie im Gebiet Claraplatz und am Rheinbord insgesamt 441 Schwerpunktkontrollen durch. Die Bilanz: 39 Verhaftungen, 180 Rapporte an die Staatsanwaltschaft oder an das Migrationsamt und 15 Ordnungsbussen. Dies ging gestern im Grossen Rat aus der Antwort von Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass auf eine Interpellation von Felix Eymann (DSP) hervor.

 Beweis schwierig

 "Die schwerpunktmässigen Kontrollen zeigen kurz- bis mittelfristig Wirkung, können aber gleichzeitig zu einer Verlagerung der Problemstellung an andere Örtlichkeiten führen", meinte der FDP-Regierungsrat. Die Beweisführung sei häufig "sehr schwierig" zu erbringen, da verdeckte Ermittlungen und Festnahmen durch Polizisten in Zivil gesetzlich nicht mehr erlaubt seien.

 Das Migrationsamt sprach zudem als ausländerrechtliche Zwangsmassnahme während der sechsmonatigen Schwerpunktaktion 144 Ausgrenzungen aus dem Kanton Basel-Stadt aus. Vom 1. Januar bis 9. November waren es 221. Ausgrenzungen haben laut Gass eine nachhaltigere und rasche Wirkung. Diese werden vom Migrationsamt auch ohne strafrechtliche Beweislage verfügt, sobald eine Person zum dritten Mal in eine Kontrolle im Drogenmilieu gerät. Für Hanspeter Gass ist klar: "Wir werden die Drogenkriminalität weiterhin konsequent bekämpfen." So werden die Schwerpunktkontrollen im Kleinbasel beibehalten.

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Frankfurter Allgemeine 11.11.10

Wolfgang Götz, Direktor der Europäischen Drogenbeobachtungsbehörde (EBDD), über Rauschgiftmissbrauch

 "Kokain ist heute in allen Schichten zu finden"

 Der Heroingebrauch in Europa ist nicht länger rückläufig. In Großbritannien und in Spanien nehmen mittlerweile anteilmäßig mehr Menschen Kokain als in den Vereinigten Staaten oder Australien. Aus Europa werden synthetische Rauschgifte wie Ecstasy in die gesamte Welt exportiert. Die Zahl der statistisch erfassten Rauschgifttoten steigt. Ist die Drogenkontrolle in Europa gescheitert?

Die Trends sind nicht zu bestreiten. Sie zu ermitteln und der Politik und Offentlichkeit vor Augen zu führen ist ja gerade die Aufgabe der Europäischen Drogenbeobachtungsbehörde. Aber es gibt nicht nur Stagnation oder negative Entwicklungen, sondern auch positive.

 Die wichtigsten?

Das Injizieren von Heroin ist in vielen Regionen Europas aus der Mode gekommen. Damit hat sich wich die Übertragung des HI-Virus erheblich reduziert.
 Uberdies haben etwa die Hälfte der etwa 1,35 Milliönen Europäer, die regelmäßig Opiate gebrauchen, vor allem Heroin, Zugang zu einer Therapie mit Ersatzopiaten. Diese Substitutionsbehandlung verbessert nicht nur deren gesundheitliche und soziale Lage, sondern senkt auch die Kriminalitätsbelastung. Keine Entwarnung gibt es bei der Ubertragung von Hepatitis C. Alles in allen stellt der Heroingebrauch die europäischen Gesellschaften nach wie vor iminense Probleme.

 Die Taliban in Afghanistan können sich die Hände reiben: Die Nachfrage nach Heroin in Europa versetzt sie in die Lage, die afghanische Regierung zu korrumpieren und den westlichen Truppen nicht nur Stand zu halten, sondern erhebliche Verluste beizubringen.

 Der europäische Markt nimmt weiterhin viel Heroin aus Afghanistan auf. Aber wenn die Rekordernten der Jahre bis 2007 komplett in Europa auf den Markt gekommen wären, hätten wir wahrscheinlich noch viel größere Probleme. Mittlerweile gibt es eine Heroin-Schwemme in Zentralasien und auch in Russland. Dasselbe muss man für China annehmen, auch wenn wir so gut wie nichts über die Rauschgiftlage dort wissen.

 Wie steht es um Osteuropa und die &ansitrouten Richtung Westen?

Die russische Drogenkontrollbehörde schätzt, dass in Russland jedes Jahr etwa 10 000 Personen an Heroin- oder Opiatgebrauch sterben - also etwa 3000 mehr als in der gesamten EU. Die Zahl der problematischen Opiat-Gebraucher in Russland beträgt nach unseren Berechnungen etwa 1,68 Millionen. In der Ukraine ist die Lage relativ zur Gesamtbevölkerung genauso dramatisch, zumal in den beiden Ländern etwa 40 Prozent der Opiatgebraucher HIV-positiv sind.

 In den meisten mittel- und osteuropäischen Ländern waren Rauschgifte - von geringen Mengen Amphetamin und Methamphetamin abgesehen - vor dem Fall des Eisernen Vorhangs so gut wie unbekannt. 20 Jahre später haben sich Ost und West so weit angeglichen, dass sie sich etwa im Gebrauch von Cannabis kaum noch unterscheiden. In der Tschechischen Republik ist die Prävalenzrate von Cannabis die höchste in Europa.

 Eine freie Gesellschaft hat ihren Preis. Ein Teil dieses Preises ist, dass es illegale Drögen gibt.

 Die freien Gesellschaften, von denen Sie sprechen, scheinen diesen Preis und alle damit einhergehenden Folgekosten gerne zu bezahlen. In den neunziger Jahren gab es in Gesellschaft und Politik zum Teil erbitterte Debatten über richtige und falsche Wege in der Rauschgiftpolitik, mittlerweile ist das Thema von der Agenda verschwunden. Warum?

In den neunziger Jahren stand die Politik in Westeuropa unter dem Eindruck einer Heroin-Epidemie. Damals musste sie unter dem Druck der Gesellschaften reagieren. Mittlerweile ist die Lage relativ stabil, wenngleich auf hohem Niveau. Das hat es der Politik und dem größten Teil der Gesellschaft leicht gemacht, sich an einen Status quo zu gewöhnen. Was mich traurig stimmt: Vielleicht wird sich erst dann wieder etwas bewegen, wenn, was ich befürchte, die neuen EU-Mitgliedsländer eine Heroin-Epidemie erleben, wie wir sie im Westen gehabt haben.

 Der Gewöhnungseffrkt betrifft nicht nur den Gebrauch von Rauschgift, sondern auch die Kosten, die der Drogenkonsum für die sozialen Sicherungssysteme mit sich bringt. Allein 1,35 Millionen Heroin-Gebraucher, davon die Hälfte in Substitutionsbehandlung, dürften für Milliardenumsätze sorgen, die nirgendwo beziffert werden.

 In der EBDD sind wir erst am Anfang des Versuchs, die volkswirtschaftlichen Kosten des Rauschgiftgebrauchs genau zu ermitteln. Das ist eine Sisyphosarbeit, zumal es bis jetzt keine verlässlichen Methoden gibt, um diese Kosten zu ermitteln, Aber richtig ist: Die Kosten für eine Gesellschaft sind enorm. Wobei die des Alkoholmissbrauchs noch höher sind.

Ökonomen hausieren seit Jahren mit der These, die Freigabe des Rauschgiftgebrauchs werde volkswirtschaftlich ein Segen sein, weil die enormen Kosten der Strafverfolgung wegfielen und der Organisierten Kriminalität ein lukratives Geschäftsmodell abhanden käme.

 Ich kenne in Europa keine Regierung und keine namhafte Opposition; die einer Freigabe des Rauschgiftgebrauchs das Wort redet. Uber neue Wege in der Rauschgiftpolitik wird kaum diskutiert. Würde die Debatte geführt, käme man schnell dahinter, dass eine rein volkswirtschaftliche Betrachtung der Freigabe des Rauschgiftgebrauchs viel zu kurz greift. Niemand kann vorhersehen, wie sich in einem solchen Fall der Gebrauch entwickelt. Vor solch unkalkulierbaren Risiken für die Gesundheit vieler Personen kann ich nur warnen.

 Was machen die Ökonomen falsch?

Kokain ist die einzige illegale Substanz in Europa, deren Gebrauch signifikant steigt - und zwar nach allen Regeln des Marktes. Hier hat sich eine Substanz einen Markt gesucht, zunächst eher unauffällig, mittlerweile unübersehbar. Wegen des hohen Preises war der Gebrauch von Kokain lange Zeit auf die Welt der Reichen und Schönen beschränkt. Heute ist das Angebot größer und die Substanz billiger geworden. Kokain ist mittlerweile in allen Gesellschafts- und allen Altersschichten zu finden, bis dahin, dass Jugendliche vor der Wahl stehen, ob sie Ecstasy oder Kokain nehmen.

 Worin liegt der Unterschied?

Die Risiken des Gebrauchs von Ecstasy, einem Amphetamin-Abkömmling, sind nicht zu unterschätzen, denn die Rauschgiftdesigner schlafen nicht: Wer weiß, was wirklich in einer Pille drin ist, die als Ecstasy verkauft wird? Gleichwohl ist Kokaingebrauch statistisch betrachtet mit viel größeren Risiken verbunden. Auch bei Kokain weiß niemand vorher, wie und womit die Substanz, die er sich reinzieht, gestreckt ist und welche Wirkung sie entfaltet. Wir können inzwischen aber belegen, dass Zahl der Not- ‘und Todesfälle im Zusammenhang mit Kokain rapide steigt. Und das Dunkelfeld ist immens.
Wenn ein junger Mann mit Herz-Kreislaufversagen stirbt, dann denkt kaum jemand an Kokain und schaut nach, was da im Blut ist. Die EBDD warnt vor Kokain seit Jahren. Aber unsere Warnungen werden in den einzelnen Ländern sehr unterschiedlich aufgenommen.

 Womit begründen Sie die Warnungen?

Wir rechnen mit etwa vier Millionen Europäern, die allein im vergangenen Jahr Kokain genommen haben. Und wir wissen, dass schonkurzzeitiger Gebrauch zu Abhängigkeit und gesundheitlichen Schäden führen kann. Was wir auch wissen: Die offizielle Zahl von etwa 1000 kokaininduzierten Todesfällen im Jahr ist mit Sicherheit nur die Spitze des Eisbergs. Und: In Mittel- und Osteuropa hat sich die beschlagnahmte Menge in den vergangenen Jahren verdoppelt, wenn auch auf niedrigem Niveau.

 In den Regionen der Welt, in denen Koka produziert wird, heißt es immer wieder, wenn die Nachfrage nach dem Rauschgift in Amerika und Europa nicht so stark wäre, gäbe es dort viele Probleme nicht mehr. Teilen Sie diese Sicht?

Wie jedes Marktgeschehen lebt auch der Rauschgiftmarkt von Nachfrage und Angebot. Kokain ist eher billiger geworden, was auch auf ein höheres Angebot schließen lässt. Aber es ist auch richtig, dass Kokain in manchen Teilen Europas und Amerikas mittlerweile Teil eines bestimmten Lebensstils geworden ist. Dessen Nebenwirkungen kann man sich dann im Fernsehen anschauen, wenn wieder von neuen Toten im vermeintlich mexikanischen Drogenkrieg berichtet wird.

Die Fragen stellte Daniel Deckers.

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nzz.ch 10.11.10

Drogen immer mehr das Problem der Alten

 Europäischer Bericht stellt neues Phänomen fest

 Die Drogenkonsumenten in Europa werden im Durchschnitt immer älter. Etwa jeder fünfte Konsument, der sich in Europa in Behandlung gibt, ist inzwischen über 40, in manchen Ländern ist es fast jeder dritte.

 (sda/dpa/afp) Der Jahresbericht der EU-Drogenbeobachtungsstelle (EBBD), der am Mittwoch in Lissabon vorgelegt wurde, stellt eine Verlagerung des Konsums fest. "Der Drogenmissbrauch ist kein Jugendphänomen mehr", sagte der Leiter der Behörde Wolfgang Götz.

 Grund dafür sei die alternde Bevölkerung. In den 80er Jahren seien viele junge Leute an Heroin geraten und nicht mehr davon losgekommen   - diese langjährigen Konsumenten seien älter geworden und liessen heutzutage das Durchschnittsalter der Drogenkonsumenten steigen. Es gebe jedoch keine Hinweise darauf, dass heutzutage Ältere ohne Drogenerfahrung vermehrt zu Rauschgiften griffen.

 Cannabis immer mehr lokal angebaut

 In ihrem Bericht warnt die EU-Behörde zudem vor dem wachsenden Einfallsreichtum der Drogenproduzenten. 2009 wurden in Europa so viele neue Drogen beschlagnahmt wie nie zuvor. Cannabis stamme immer häufiger aus der Produktion in den europäischen Ländern selbst.

 "Die Öffentlichkeit hat immer noch das Bild von ein paar Töpfen Hanf-Pflanzen auf dem Fensterbrett", sagte Götz. Die Realität aber sehe ganz anders aus: Das organisierte Verbrechen habe schon längst festgestellt, dass sich mit grossangelegtem Anbau in der Nähe der Absatzmärkte gute Gewinne erzielen liessen.

 Auch bei der Herstellung von Kokain - dem zweitwichtigsten Rauschgift in Europa - sowie von künstlichen Drogen zeigten sich die Produzenten immer erfindungsreicher, warnte die EBBD. Europa ist nach ihren Angaben der weltweit grösste Amphetamin-Produzent, mehr 80 Prozent der illegalen Labore stehen in europäischen Ländern.

 Weniger junge Kiffer in der Schweiz

 Wie in Europa ist auch in der Schweiz Cannabis die am häufigsten konsumierte illegale Droge. Über 1 Prozent der Bevölkerung kiffen einmal wöchentlich oder mehr.

 Auch hier werden die Konsumenten tendenziell älter. "Der Anteil jugendlicher Kiffer ist rückläufig", sagte Verena Maag, Drogenexpertin beim Bundesamt für Gesundheit (BAG): "Das Durchschnittsalter verschiebt sich nach oben".

 Dies sei auch beim Kokain feststellbar. Die Mehrzahl der Kokainkonsumenten, die von der Polizei verzeigt wurden, ist nach Angaben des BAG über 30 Jahre alt.

 Anlass zur Sorge gibt den Fachleuten ein Anstieg der Todesfälle im Zusammenhang mit Kokain. Jährlich werden in Europa laut der EBBD rund tausend Todesfälle gemeldet. Am häufigsten seien aber immer noch Todesfälle durch Heroinkonsum, sagte Maag.

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SEXWORK
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NZZ 8.11.10

"Ein normales Gewerbe mit Immissionen"

 Der grüne Zürcher Polizeivorsteher Daniel Leupi will eine liberale Regelung für die Prostitution

Christina Neuhaus (cn)

 Die Zustände am Prostitutions-Brennpunkt Sihlquai haben nicht nur in Zürich für Aufsehen gesorgt. Ende Jahr will der Polizeivorsteher Daniel Leupi eine neue Verordnung vorlegen. Sie soll stadtverträglich sein, Verdrängung ist aber nicht das Ziel.

 Herr Leupi, bis Ende Jahr wollen Sie die neue Prostitutionsgewerbeverordnung in die Vernehmlassung schicken. Sie soll unter anderem "den Schutz der Bevölkerung vor Immissionen gewährleisten, die öffentliche Ordnung und Sicherheit sicherstellen und den Prostituierten Schutz gewähren". Was heisst das konkret?

 Die Prostitutionsgewerbeverordnung wird derzeit verwaltungsintern diskutiert. Der Entscheid des Stadtrates steht noch aus. Ich kann deshalb nicht ausschliessen, dass sich die Vernehmlassung verzögert. Zu den einzelnen Massnahmen kann ich zu diesem Zeitpunkt noch nichts sagen. Generell gilt es aber festzuhalten, dass der Name der Verordnung bewusst gewählt wurde. Ich sehe die Prostitution als normales Gewerbe an - allerdings als eines mit relativ hohen Immissionen. Die Prostitution gehört nun einmal zur Stadt, und deshalb will ich keine Verbotsordnung und keine Verdrängungspolitik, sondern liberale Regelungen.

 Als der Stadtrat 1992 den Strichplan letztmals änderte, hagelte es Rekurse. Die Umsetzung war danach wegen juristischer Auseinandersetzungen für 5 Jahre blockiert. Ist mit einem schnellen Ersatz für den Strassenstrich am Sihlquai überhaupt zu rechnen?

 Es müssen sich alle bewusst sein, dass es die Szene am Sihlquai allenfalls noch für eine längere Zeit gibt. Wie lange es geht, bis die neue Verordnung in Kraft tritt, können wir nicht abschätzen: Das hängt von der Dauer der Rechtsverfahren ab und davon, wie lange die Verordnung im Gemeinderat diskutiert wird. Bis das neue Massnahmenpaket umgesetzt werden kann, hat die Polizei den Auftrag, Auswüchse wie Menschen- oder Drogenhandel zu bekämpfen; das Sozial- und das Gesundheitsdepartement werden ihre beratenden und präventiven Angebote weiterführen. Bis dahin bleibt die Strassenprostitution am Sihlquai erlaubt. Wir brauchen aber unbedingt eine Lösung, die stadtverträglicher ist. Zudem sollen die Frauen ihren Beruf in grösserer Sicherheit ausüben können.

 Wie muss denn ein Quartier beschaffen sein, damit der Strassenstrich "stadtverträglich" ausgeübt werden kann?

 Die Auswirkungen auf die Wohngebiete sollten geringer sein. In einigen heute geeigneten Lagen zeichnet sich für die nächsten Jahre aber eine Umnutzung ab, weshalb sie nicht in Betracht kommen. Ein geeignetes Areal muss zudem gross genug sein, dass auch die sozialen Einrichtungen wie die Gesundheits-, Ausstiegs- oder die Gewaltberatung Platz haben.

 Solche Areale dürften sich in den Nachbargemeinden leichter finden lassen als in der Stadt Zürich.

 Wenn man das grossräumlich betrachtet, ist das tatsächlich so. Auch die Etablissements, die abends auf Tele Züri für sich werben, befinden sich nicht auf städtischem Boden. Wir müssen aber eine Lösung auf Stadtboden anbieten.

 Wird die Abwanderung in die Agglomeration durch die geplante Verkürzung des heute über 10 Kilometer langen Strassenstrichs nicht noch gefördert? Braucht es eine Zusammenarbeit mit dem Kanton?

 Laut einem Bundesgerichtsurteil muss die Stadt Zürich wegen ihrer Grösse einen Strassenstrich zulassen. Kleinere Gemeinden müssen das nicht. Mit dem Kanton sind wir tatsächlich im Gespräch. Arbeitsrechtlich ist ja der Kanton zuständig. Eine Verdrängung ist nicht unser Ziel, eine Abwanderung können wir aber nicht ausschliessen. In diesem Geschäft wird knallhart gerechnet, und ausserhalb der Stadt sind die Mieten billiger. Zynisch formuliert werden die Frauen dorthin gebracht, wo sie den grössten Gewinn für die Zuhälter erwirtschaften. Unsere Aufgabe ist es, die Rahmenbedingungen der Prostitution so zu gestalten, dass Stadtverträglichkeit und Gesundheitsschutz gewährleistet sind und die Frauen selbstbestimmt und unter menschenwürdigen Bedingungen arbeiten können.

 Sie haben sich in Köln die sogenannten Verrichtungsboxen angeschaut. Sind diese für Zürich eine Option?

 Wir müssen nun prüfen, ob man das in Zürich realisieren kann. Allerdings würden wir die Boxen sicherlich umbenennen. Der Name ist ja unsäglich! Geeignet wären sie allerdings höchstens für einen Teil des Strassenstrichs. Für ortsfremde Frauen, die unter so grossem Anschaffungsdruck stehen, dass sie im Akkord arbeiten müssen und den Service gleich vor Ort erledigen, könnten sie sich allenfalls eignen. So wird verhindert, dass die sexuellen Dienstleistungen im öffentlichen Raum erbracht werden. Das ist nicht tolerierbar. Eine solche Lösung braucht aber ein Areal von einer gewissen Grösse, und solche gibt es nicht allzu viele.

 In der Kölner Stadtverwaltung zeigte man sich gegenüber der NZZ skeptisch, ob sich das Modell auch für Zürich eignet. In Köln sei es darum gegangen, Drogenprostituierte von der Strasse zu holen, in Zürich habe man es mit organisierten Zuhälterbanden zu tun. Diese mögen kein stark kontrolliertes Umfeld.

 Das Kölner Modell liesse sich in Zürich wohl tatsächlich nur in Teilbereichen anwenden. Interessanter für Zürich ist das Beispiel der Stadt Essen. Anders als in der Schweiz kennt Deutschland keine Zonen, in denen Prostitution explizit erlaubt ist, sondern umgekehrt Sperrbezirke, die keine Prostitution zulassen. In Essen sind die Verhältnisse ähnlich wie in Zürich: Ein Drittel der Frauen stammt aus Rumänien und Bulgarien, ein Drittel sind einheimische Professionelle und ein Drittel Drogensüchtige. Essen hat nun im inneren Sperrbezirk eine Enklave geschaffen, wo die Prostitution erlaubt ist. Bei einem Augenschein an einem Freitagabend haben wir uns die Szene angeschaut. Eine russische Prostituierte hat uns dann die Vor- und Nachteile in druckreifem Deutsch geschildert. Ein grosser Nachteil ist demnach, dass die Frauen gnadenlos der Witterung ausgesetzt sind. Wir müssen nun prüfen, ob das Modell auch beim doppelt so grossen Strassenstrich hier in Zürich funktionieren kann.

 Heute ist Prostitution nur in Gebäuden erlaubt, wo der Wohnanteil höchstens 50 Prozent beträgt. Wer den Strassenstrich klein halten wolle, müsse sich vermehrt dafür einsetzen, dass Prostitution vermehrt in Häusern und Wohnungen stattfinden darf, sagen Experten.

 Wenn Prostitution grundsätzlich zu einer Stadt gehört, dann gehören meines Erachtens auch Bordelle dazu - und das nicht nur an Ausfallachsen. Die heutigen Bestimmungen wurden allerdings als Konsequenz auf überbordende Verhältnisse im Langstrassenquartier eingeführt. Eine generelle Liberalisierung wäre gerade im Kreis 4 ein Problem. Mit dem Projekt Langstrasse plus machte die Stadt Efforts, dem Milieu Liegenschaften zu entziehen. Diese Bemühungen würden wieder zunichtegemacht. Grundsätzlich sind die Bedingungen in Bordellen besser kontrollierbar; auch wenn es in Zürich Häuser gibt, in denen untolerierbare Zustände herrschen. Ich persönlich kann mir gut vorstellen, dass man über die 50-Prozent-Regel diskutiert, und ich denke auch in diese Richtung. Persönlich kann ich mir zudem vorstellen, dass die Stadt eigene Institutionen zur Verfügung stellt. Aber ein solcher Entscheid müsste vom Gesamtstadtrat getragen werden.

 Ihre grüne Parteikollegin, alt Stadträtin Monika Stocker, hat sich kürzlich in der Sonntagspresse ähnlich geäussert.

 Wir denken da durchaus ähnlich. Politik muss manchmal auch Lösungen anbieten, von denen man im Voraus nicht wissen kann, ob sie wirklich funktionieren.
 
Interview: Christina Neuhaus

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HOMOPHOBIE
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nzz.ch 9.11.10

Bundesgericht weist Klage von Homosexuellen ab

 Antirassismusnorm bei Schmähung nicht anwendbar

 Das Bundesgericht hat eine Klage von rund 40 Mitgliedern von Schwulen- und Lesbenorganisationen gegen eine Schmähschrift der Jungen SVP Wallis abgewiesen. Das Walliser Kantonsgericht hatte bereits zuvor den Vorwurf der Ehrverletzung als nicht gegeben angesehen.

 (sda) Rund 40 Mitglieder von Schwulen- und Lesbenorganisationen haben beim Bundesgericht eine Klage gegen die Junge SVP Wallis eingereicht. Da dieses den Vorwurf der Ehrverletzung als nicht gegeben sah, wies es die Klage ab.

 Das Bundesgericht wolle Homosexuelle nicht schützen und bestätige mit diesem Urteil einen klar diskriminierenden Entscheid, sagte Jean- Paul Guisan, Sekretär von Pink Cross Romand in einer ersten Reaktion gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Die Schwulenorganisation könnte in Strassburg vor dem Menschenrechtshof rekurrieren.

 "Abnormales Verhalten"

 Die Junge SVP Wallis hatte im Sommer 2009 Homosexualität in einer Medienmitteilung als "abnormales Verhalten" bezeichnet. Homosexualität richte sich "gegen die Familie, den Ort des Fortbestandes des menschlichen Geschlechts und also auch das Überleben einer Nation", hiess es in dem Text.

 Schwulen- und Lesbenorganisationen reichten in der Folge Klage ein, blitzten aber sowohl vor dem Gericht erster Instanz wie auch vor dem Walliser Kantonsgericht ab. Die von der Jungen SVP verschickte Mitteilung verstosse nicht gegen das Strafrecht. Den Vorwurf der Beschimpfung sah das Kantonsgericht nicht gegeben.

 Die strittigen Äusserungen zielten ohne nähere Angaben von Zeit, Ort oder anderen Umständen ganz allgemein auf alle Homosexuelle. Dies erlaube es deshalb nicht, die Beschwerdeführer persönlich zu identifizieren.

 Antirassismusnorm nicht anwendbar

 Gemäss Bundesgericht kann eine Ehrverletzung aber nur dann vorliegen, wenn die angegriffene Personengruppe genau bestimmt und relativ klein sei. Vergeblich hatten die Rekurrenten geltend zu machen versucht, dass die Antirassismusnorm auch Gruppen vor jeglicher Diskriminierung einschliesse.

 Die Bundesrichter lehnten dieses Argument ab. Die Antirassismusnorm richte sich gegen die Unterscheidung oder den Ausschluss aufgrund von Rasse, Hautfarbe oder nationaler Herkunft aber nicht gegen Diskriminierungen aufgrund von sexueller Orientierung.

 Die Richter erinnern in ihrem Entscheid daran, dass der Nationalrat eine Motion abgelehnt hat, die dazu einlud, das Strafgesetzbuch anzupassen und diese Gesetzeslücke zu schliessen. Der Gesetzgeber habe nicht die Absicht, die Reichtweite der Antirassismusnorm auszudehnen, hält das Gericht fest.

 "Sieg der Meinungsäusserungsfreiheit"

 Die Junge SVP Wallis bezeichnete das Urteil als "definitiven Sieg der Meinungsäusserungsfreiheit". "Nachdem nun die höchste juristische Instanz des Landes sich geäussert habe, könne man sagen dass Äusserungen über Homosexualität oder Homosexuelle im allgemeinen, die Ehre von bestimmten Personen nicht beeinträchtigen", ist die Junge SVP Wallis der Ansicht.

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ANTI-FEMINISMUS
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WoZ 11.11.10

Diesseits von Gut und Böse

 Der Mann am Abgrund

 "Es ist doch himmeltraurig, wenn einer nach der Scheidung seine Kinder nicht mehr sehen darf", sage ich zu Freundin Cora. Es gibt Väter, denen ist der Kinderbetreuungstag heilig, die würden sich ohne Zögern für ihre Brut ein Stück Fleisch aus der Brust schneiden. "So einer geht zugrunde, wenn man ihn von seinen Kindern trennt", finde ich. Cora stimmt mir zu. Auch wenn wir Frauen sind, haben wir doch Gefühle.

 "Aber dass sie sich Antifeministen nennen, ist schon ein bisschen doof", räume ich ein, "vielleicht wissen ja die deutschen Männer, die da mitmachen, gar nicht, dass der René Kuhn hier als Arschloch gilt." - "Möglicherweise wirkt sich Trauer einschränkend auf die Hirnleistung aus", sinniert Cora.

 Auf www.antifeminismus.ch suchen wir Klarheit. "Der Feminismus ist eine ungerechtfertigte Ideologie der Privilegienbeschaffung durch Männerhasserinnen" steht da zum Beispiel, oder "Feminismus ist die Rache der weniger schönen Frauen an den Männern mit den schönen Frauen". Letzteres ist ein Zitat von Roger Köppel, obwohl der noch gar nicht geschieden ist.

 Der Antifeminist bleibt ein Rätsel. Doch eines wird klar: Ab einem bestimmten Quantum gefährdet väterlicher Schwachsinn das Kindeswohl. KHO

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Weltwoche 11.11.10

Replik

 Der gefürchtete Mann

 In der letzten Ausgabe schrieb die Weltwoche von "wehleidigen Memmen". Tatsache ist, dass die junge Interessengemeinschaft Antifeminismus (IGAF) ihre Gegner verängstigt zu Recht.

 Von René Kuhn

 Wenn Antifeministen in der angeblich patriarchalischen Schweiz ein Treffen organisieren, muss man sich das so vorstellen: Die Eigentümer von Veranstaltungslokalen sagen verängstigt Reservationen ab, Banken verweigern die Eröffnung eines Kontos, feministische Behördenmitglieder drohen mit Versammlungsverbot, feministische Chaoten vandalieren und drohen mit Gewalt, und die Post klärt bei der Kontoeröffnung sicherheitshalber ab, ob denn eine Gegnerschaft zur feministischen Ideologie überhaupt legal sei.

 Wären wir, wie von der Weltwoche in der letzten Ausgabe ("Der wehleidige Mann") beschrieben, Memmen und nicht Männer, hätten wir den Bettel hingeschmissen. Für uns aber war immer klar: Jetzt erst recht!

 Auf unserer Website Antifeminismus.ch steht, dass insgesamt 271 seriöse wissenschaftliche Forschungsberichte mit über 365 000 untersuchten Personen zum Thema häusliche Gewalt länderübergreifend zum selben Ergebnis gelangen: Häusliche Gewalt geht zu annähernd gleichen Teilen von beiden Partnern aus. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass uns das eidgenössische Gleichstellungsbüro, die 26 kantonalen Gleichstellungsbüros, die schweizerische Polizeidirektorenkonferenz, die Politik und die Medien seit Jahrzehnten zu dieser Frage nichts anderes als feministischen Humbug auftischen.

 Frauenquoten verbieten

 Bei der teilweise steuerfinanzierten Hetze gegen die Hälfte der Bevölkerung bleibt es aber nicht: Sind Frauen zu mindestens 50 Prozent die Täterinnen, stellen sie lediglich ungefähr 20 Prozent der diesbezüglich Verurteilten. Und die Polizei des Kantons Basel-Stadt brüstet sich sogar öffentlich damit, dass sie, gestützt auf das einem Rechtsstaat unwürdige sogenannte Gewaltschutzgesetz, in 97 Prozent aller Fälle den Mann zum Täter bestimmt. Überflüssig, zu erwähnen, dass dies ohne jegliches rechtsstaatliches Verfahren geschieht.

 Nachdem sich also jedermann über den Stand der Forschung informieren kann, scheint es inzwischen den besagten Institutionen ziemlich unwohl zu werden. Die Gleichstellungsbüros verharren wie das Kaninchen vor der Schlange: Sie schweigen seit Monaten beharrlich. Währenddessen übt sich die Bundesverwaltung verzweifelt in Schadensbegrenzung: Sie hat pünktlich auf das Antifeministen-Treffen hin vom Bundesamt für Statistik verlautbaren lassen, dass ungefähr 20 Prozent aller Verurteilten infolge häuslicher Gewalt Frauen seien.

 Mir ist neben der IGAF keine Organisation bekannt, die sich so kurz nach der Gründung unerschrocken gegen sämtliche Widerstände durchgesetzt hat und ihre etablierten Gegner in diesem Ausmass das Fürchten lehrt. Entgegen der Annahmen der Weltwoche-Redaktoren beschäftigen wir uns weder mit gezupften Augenbrauen noch mit Maniküre. Geradezu naiv wirken ihre wohlmeinenden Hinweise auf Parlamente, die Urne und den Weg der Klage vor Gericht.

 Vor gegen dreissig Jahren wurde an der Urne das Diskriminierungsverbot aufgrund des Geschlechts angenommen. Ebenso lange schon weigern sich die Parlamente und die Gerichte, diesem Verfassungsgebot nachzukommen und bezüglich Wehrpflicht, Rentenalter oder Witwenrenten dem Volkswillen zu entsprechen. Klagen kann man in einem Rechtsstaat, nicht aber in einem Land, wo es sich selbst das oberste Gericht herausnimmt, feministische Ideologie über geschriebenes Recht zu stellen.

 Wer also an den Missständen etwas ändern will, muss nicht klagen, sondern den Umbau des Staates in Angriff nehmen. Wir fordern daher:

 1 Eine für Behörden und Justiz bindende und widerspruchsfreie geschriebene Verfassung mit individuell einklagbaren Rechten, unabhängig vom Geschlecht. Das Verbot von Gruppenrechten wie zum Beispiel Frauenquoten ist in der Verfassung festzuschreiben.

 2 Die Streichung des Gleichstellungsgebots in der Bundesverfassung. Das Gleichstellungsgebot ist totalitär und nicht vereinbar mit dem Gleichberechtigungsgebot.

 3 Die Schliessung sämtlicher Gleichstellungsbüros. Diese werden dazu missbraucht, feministische Propaganda zum Schaden der Hälfte der Bevölkerung, des Mannes, zu betreiben und die Frauenprivilegien ständig auszubauen.

 4 Die völlig unwissenschaftlichen Studiengänge zu Geschlechterfragen (sogenannte Gender-Studies) haben an den Universitäten nichts verloren. Entsprechende Bachelor-, Master- und Professorentitel sind abzuerkennen, da sie den falschen Anschein einer wissenschaftlichen Ausbildung vermitteln.

 5 Das gemeinsame Sorgerecht für unverheiratete und geschiedene Paare sowie eine Strafnorm für Kindsentzug und den Verlust des Sorgerechts für Elternteile, welche dem andern Elternteil den Kontakt mit dem Kind verwehren.

 6 Ein Verbot der Abtreibung oder ein Mitspracherecht des Vaters oder eines dem Abtreibungsrecht der Mutter analoges väterliches Recht auf Abstandnahme von der Vaterschaft.

 7 Gleiches Rentenalter für Mann und Frau.

 8 Obligatorischer Militär-/Zivildienst oder Wehrpflichtersatz für alle Frauen.

 Wir sind zuversichtlich, dass wir diese Ziele für ein wirklich gleichberechtigtes Neben- und Miteinander von Mann und Frau in absehbarer Zeit erreichen werden. Daher kämpfen wir Männer zusammen mit den Frauen weiter für eine tatsächliche Gleichberechtigung von Mann und Frau.

 René Kuhn ist ehemaliger SVP-Politiker und Gründer der Interessengemeinschaft Antifeminismus.

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NZZ am Sonntag 7.11.10

Meinungen

 Die armen Männer kämpfen auf der falschen Seite

 Die Tagung der IG Antifeminismus hat für viel Lärm gesorgt. Den berechtigten Anliegen der Väter aber, die um das Sorgerecht kämpfen, schadet sie nur, schreibt Nicole Althaus

 Die Rechnung ist aufgegangen: Ein "Anti" addiert mit einem Begriff, der Ressentiments zu bündeln vermag, in diesem Fall "Feminismus", erregt so sicher Aufmerksamkeit, wie eins und eins zwei ergibt. Dieses Polit-Kalkül hat René Kuhn bei der SVP gelernt und zum 1. Internationalen Anti-Feminismus-Kongress getrommelt. Tatsächlich sind zwanzig Journalisten, zwei Radiosender und drei Fernsehstationen seiner Einladung gefolgt und der Männertruppe an einen hoch geheimen Ort in der Pampa nachgereist, um darüber zu berichten. Mit ein paar journalistischen Leckerbissen durfte man da schliesslich rechnen.

 Und auf diese hat man sich dann auch genüsslich gestürzt: "Die Zeit" porträtierte Daniel, der zwar sein Gesicht nicht zeigen wollte, dafür aber den Tiefschutz vorführte, mit dem er angereist ist, um seine Männlichkeit vor feministischen Tritten zu schützen. "Die Weltwoche" ergötzte sich an den kulinarischen Vorlieben der Antifeministen, die nach getaner Arbeit statt eines währschaften Spanferkels linienbewusst ein buntes Salatbuffet verzehrten. Der "Sonntags-Blick" konstatierte in aller Schärfe, dass es sich bei den Teilnehmern vorab um "Männer mit gebrochenem Herzen" handle, die wegen des "Gemeinschaftsgefühls" gekommen seien.

 Nicht gerade ein Bild von starken Männern, das da gezeichnet wurde. Nicht gerade eine seriöse Auseinandersetzung mit den Inhalten des Kongresses, die da geboten wurde. Man könnte auch sagen: Die Männer wurden auf ihr optisches Auftreten reduziert und zu Weicheiern gestempelt, statt ernst genommen. Eine Taktik - welche Ironie -, mit der René Kuhn, Exponent der IG Antifeminismus, jeweils den Frauen begegnet. Dabei hätten die Anliegen der Scheidungsväter, und sie waren an der Versammlung in der Mehrheit, den medialen Ernst verdient.

 Warum bloss, fragt man sich, haben diese Männer damit nicht gerechnet? Das Ergebnis des 1. Internationalen Anti-Feminismus-Kongresses stimmt nämlich vorab für einen: für René Kuhn. Seine Website wurde in jedem einzelnen Artikel erwähnt. Und sein Buch auch. Das ist gut für die Klick- und Verkaufsrate.

 Weniger gut ist das für die Anliegen der Scheidungsväter. Das mediale Trösterchen, dass sie wirklich ganz arme Kerli seien, bringt sie in ihrem zermürbenden Kampf um das Besuchsrecht für ihre Kinder keinen Schritt weiter. Im Gegenteil: Die Nähe zu einem Mann, der Bücher verfasst, die den Titel tragen "Zurück zur Frau - weg mit den Mannsweibern und Vogelscheuchen", wirft sie sogar einen Schritt zurück.

 Denn diese Männer und Väter kämpfen zwar für die richtige Sache, aber sie kämpfen an der Seite des falschen Verbündeten und gegen einen Feind, der keiner ist. Jeder, der nicht total von gestern ist, weiss, dass Feministinnen Lippenstift und Highheels längst nicht mehr als Teufelszeug betrachten. Jeder, der an der Sache und nicht bloss an einer Kampagne interessiert ist, wird bemerkt haben, dass sich emanzipierte Frauen, ob kurz- oder langhaarig, nicht gegen die Forderung der Scheidungsväter nach rechtlicher Gleichstellung, gegen ihren Kampf um das gemeinsame Sorgerecht und gegen den Missbrauch des Missbrauches aussprechen. Sie pochen lediglich darauf, dass die Sorge um die Kinder nicht nur ein Recht ist, sondern auch eine Pflicht. Und dass diese nicht erst bei der Scheidung beginnt, sondern bei der Geburt.

 In unserem "Mamablog" wurde die Stellung des Mannes in der Familie mit fast wöchentlicher Regelmässigkeit diskutiert, seine reproduktive Fremdbestimmung wurde angeklagt und die Bubenfreundlichkeit der Volksschule angezweifelt. Ganz ohne Druck der Anti-Feministen. Denn: Entsorgte Väter und mit Ritalin vollgepumpte Buben bringen niemandem etwas. Auch nicht den Frauen, Müttern und Mädchen.

 Männer, die sich ernsthaft und reflektiert mit den Sorgen von Vätern und Buben auseinandersetzen, kennen den Gegner, den sie bekämpfen. Sie haben die Richterinnen und Richter der kantonalen Ober- und der Bezirksgerichte einmal gezählt und festgestellt: Auf den Justizsesseln im Kanton Zürich etwa sitzen äusserst selten Emanzen mit Bürstenschnitt und in lila Latzhosen. Ja sogar Frauen im Deux-pièces oder im gepflegtem Hosenanzug sind in der Minderheit. Es sind über den Daumen gepeilt fast doppelt so häufig Richter, welche die besagten Väter in die Schranken weisen. Und das eben gerade nicht, weil sie feministisch indoktriniert sind und davon ausgehen, dass Mütter auch arbeiten und Väter auch Kinder betreuen können.

 An der skandalös niedrigen Zahl von einem halben Promille Vätern, die das Sorgerecht zugesprochen bekommen, sind veraltete, patriarchale Denkmuster schuld. Denkmuster, die ironischerweise gerade ein René Kuhn online und zwischen Buchdeckeln zu konservieren versucht. Dabei sollten Scheidungsväter und auch Dozenten, die ernsthaft die Gleichberechtigung suchen und nicht bloss einen Sündenbock, ihm nicht auch noch helfen.
(ura)
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 Nicole Althaus
 
 Nicole Althaus, 42, ist Chefredaktorin des Schweizer Familienmagazins "Wir Eltern". Zuvor war die studierte Germanistin und Kunsthistorikerin Reporterin für "Annabelle" und "Facts". Sie lancierte den "Mamablog" auf tagesanzeiger.ch und schreibt über frauen- und familienpolitische Themen. (ura)

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Südostschweiz.ch 7.11.10

Aufgefallen

 Feministinnen bodigen?

 Von Brigitte Erni

 Vor wenigen Tagen fand die erste internationale Antifeminismuskonferenz statt. Diese Tagung sollte frustrierten Männern Gelegenheit geben, ihrem Unmut über verschiedene Benachteiligungen ihres Geschlechts Luft zu machen. So skurril der Schlachtruf des Organisators gegen die Feministinnen auf den ersten Blick anmutet - es mehren sich tatsächlich in letzter Zeit die Stimmen, welche Jungen und Männer zu den neuen Opfern unserer Gesellschaft erklären. Das fängt schon in der Schule an, wo man(n) beklagt, dass diese "feminisiert" sei und dieser Umstand sich zum Nachteil der Buben auswirke. Tatsächlich machen weit mehr Buben als Mädchen Probleme in der Schule, sie sind häufiger hyperaktiv oder leiden unter Lernstörungen. Aufhorchen liessen dann internationale Schulstudien wie der Pisa-Test, wo Jungen schlechter abschneiden als Mädchen. Aber wer ist denn schuld daran? Die Feministinnen? Die "feminisierte" Schule?

 Die ganze Diskussion mutet doch sehr seltsam an. Nach Jahrhunderten der Unterdrückung des weiblichen Geschlechts haben unerschrockene, starke Frauen einen zähen Kampf für die Frauenrechte geführt. Es ist noch gar nicht so lange her, da wurde den Frauen jede höhere Bildung verwehrt, finanzielle Unabhängigkeit und politische Rechte waren ferne Wunschträume. Und jetzt, nachdem die Gleichberechtigung weitgehend verwirklicht ist, die Frauen sich ihren Platz in der Welt erobern und gute Arbeit leisten, bekommen einige Männer kalte Füsse. Sie glauben, wenn die Feministinnen gebodigt werden könnten, wäre die Welt wieder in Ordnung.

 So einfach ist es zum Glück nicht. Aber der Trend, dass sich Männer in die Opferrolle flüchten und den "neuen" Frauen die Schuld an ihren Problemen zuschieben, lässt aufhorchen. Wenn beklagt wird, dass den Jungen männliche Vorbilder fehlen und dass in den Schulen viel mehr Frauen als Männer unterrichten, hat das nichts mit Feminismus zu tun. Die Männer haben es selber in der Hand, sich vermehrt in Erziehung und Bildung zu engagieren, und niemand hindert sie daran, männliche Vorbilder zu sein. Starke Männer haben es jedenfalls nicht nötig, gegen den Feminismus ins Feld zu ziehen.

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FASCISMO
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Blick am Abend 5.11.10

Faschistische Töne beim Kinderkarussell

 DUCE

 Italiener an der Messe sind schockiert - eines der Karussels spielt ein Fascho-Lied.

 philipp.schraemmli@ringier.ch

 Francesco B. traute seinen Ohren nicht. Am Mittwoch besuchte er mit seiner Mutter die Herbstmesse. Auf der Rosentalanlage fiel ihnen das alte Pferdekarussell auf. Sie blieben stehen und schauten den Kindern zu. "Plötzlich erklang aus der Orgel die Melodie von ‹faccetta nera›, einem italienischen Faschistenlied. Wir waren schockiert."

 "Hundertprozentig sicher" sei sich Francesco. "In Italien ist das Lied streng verboten." Der Text erzählt vom italienischen Feldzug in Äthiopien 1935. Faccetta nera - "schwarzes Gesichtchen - ist bei den Neofaschisten noch heute beliebt.

 Das Karussell gehört Simon Senn. Als Blick am Abend ihn auf das rassistische Lied anspricht, fällt dieser aus allen Wolken. "Davon habe ich bis heute noch nie gehört - dabei waren wir dieses Jahr drei Wochen im Tessin."

 Die Melodien, welche die Orgel spielt, kauft Senn auf 100-Meter-Bändern. Wenn ein Band fertig ist, spannt er das nächste ein. "Meistens kenne ich nicht einmal die Titel. Ich achte nur auf die Musik."

 Senn prüft nun, ob und auf welchem Band das Lied ist. "Ich nehme es sofort weg. Ich möchte ja niemanden verärgern."

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ANTI-ATOM
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Tagesschau 11.11.10

Nuklearforum Schweiz fordert den Bau von Kernkraftwerken

An der Industrietagung des Nuklearforums Schweiz in Baden waren sich alle Redner einig: Die Schweiz muss auch in Zukunft über genügend Strom verfügen. Daher sollen zwei neue Kernkraftwerke gebaut werden.
http://videoportal.sf.tv/video?id=044a3cd5-137a-4b63-84ad-8c77bfbcf488

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WoZ 11.11.10

Atompolitik

 Stille Schweizer Castor-Transporte

 Von Susan Boos

 Die Schweiz hat ihr eigenes Gorleben, nur kennt es kaum jemand: das Zentrale Zwischenlager für radioaktiven Abfall (Zwilag) bei Würenlingen im Kanton Aargau. Regelmässig kommen dort Züge mit Atommüllbehältern an, doch dar über regt sich niemand auf. Das Zwilag liegt nur knapp dreissig Kilometer nordwestlich von Zürich, an einem lauschigen Ort am Ufer der Aare. Seit 2001 trafen dort elf Frachten aus dem Ausland ein - sie kamen wie die deutschen Cas tor-Transporte aus der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague. In diesem Jahr waren es sogar zwei Transporte, einer im Frühling, einer im Herbst, wie Anton Treier, Pressesprecher des Eid ge nössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi), sagt.

 Aus Sicherheitsgründen werden sowohl die genaue Route als auch der Zeitpunkt der Transporte geheim gehalten. Die strahlende Fracht kommt per Zug bis nach Würenlingen und wird für die letzte, kurze Strecke auf ein spezielles Strassenfahrzeug umgeladen.

 In Deutschland hat der Castor-Transport nach Gorleben Tausende von DemonstrantInnen mobilisiert. In der Schweiz passiert nichts: keine Aktion, keine Proteste, nicht einmal eine Medienmitteilung. Warum?

 Jahrelang schickten die Schweizer AKW-Betreiber ihre abgebrannten Brennstäbe in die Wiederaufarbeitungsanlagen nach La Hague oder Sellafield (Nordwestengland). Insgesamt wurden 1100 Tonnen Atommüll dorthin verschoben, die inzwischen aufgearbeitet sind: Man zerlegt die Brennstäbe mechanisch und löst danach chemisch das Plutonium und das Uran heraus, um es nachher wieder im Reaktor einsetzen zu können. Das Verfahren wurde ursprünglich entwickelt, um Material für Atombomben zu gewinnen. Es belastet die Umwelt massiv mit radioaktiven Stoffen und vergrössert die Abfallmenge enorm. Besser wäre es, die Brennstäbe direkt endzulagern.

 Ursprünglich glaubten die Schweizer AKW-Betreiber, so ihren Atommüll loszuwerden, weil sie davon ausgingen, sie könnten die Wiederaufarbeitungsabfälle in Frankreich respektive Britannien lassen. Inzwischen haben aber beide Länder Gesetze erlassen, aufgrund derer der Abfall in die Ursprungsländer zurückmuss. Laut Ensi werden bis 2015 noch neun Transporte aus La Hague und zwischen 2013 und 2018 drei Transporte aus Sellafield erwartet.

 Die Transportbehälter mit dem Müll werden im Zwilag in zwei Lagerhallen untergebracht, bis ein geeignetes Endlager gefunden ist. Der ganze radioaktive Abfall, den die Schweiz produziert hat oder noch produzieren wird, wird also in den nächsten Jahrzehnten vor den Toren Zürichs gehortet. Noch vor einigen Jahren versuchten Greenpeace-AktivistInnen regelmässig, Schweizer Atommülltransporte, die das Land Richtung La Hague oder Sellafield verliessen, zu blockieren - weil sie die Wiederaufarbeitung verhindern wollten.

 Gegen die Transporte zurück unternahmen die AktivistInnen nichts, weil sie zu Recht sagen: Der Müll wurde in der Schweiz produziert, also muss sie die Verantwortung dafür übernehmen. Anders als in Deutschland, wo der Salzstock von Gorleben gleichzeitig als potenzieller Endlagerstandort betrachtet wird, ist das Zwilag nur als Zwischenlösung konzipiert. Zudem hat man in der Schweiz noch kein so arges Endlagerchaos angerichtet wie in Deutschland, wo im Versuchsendlager Asse grobfahrlässig und unkontrolliert Atommüllfässer entsorgt wurden - die man jetzt angeblich nicht mehr rausholen kann.

 Kommt hinzu, dass die Schweizer Anti-AKW-Bewegung mit ihrer Kampagne gegen die Wiederaufarbeitung erfolgreich war: Seit vier Jahren gilt ein Moratorium, bis 2016 dürfen die AKW-Betreiber keine abgebrannten Brennelemente mehr nach La Hague oder Sellafield schicken. Jetzt lagern die Brennelemente bei den AKWs oder im Zwilag.

 Technisch gesehen gibt es also hierzulande wenig Grund, einen Atommülltransport zu behindern - doch den gibt es auch in Deutschland nur beschränkt. Die Gorleben-AktivistInnen werden nicht müde zu sagen, dass es ihnen gar nicht um den Transport an sich, sondern vielmehr um die Atompolitik der deutschen Regierung gehe, die die Laufzeit der Meiler verlängert hat. Die ganze Welt konnte den farbenfrohen, friedlichen Protest verfolgen, der wie eine physisch gewordene politische Botschaft wirkt. Eine "verlängerte Laufzeit" lässt sich nicht mit einer Sitzblockade behindern, ein Zug mit Atommüll schon.

 In der Schweiz stehen so harmlose Fragen wie "verlängerte Laufzeit" gar nicht an, die Reaktoren dürfen alle unbefristet laufen (vorerst noch mit Ausnahme von Mühleberg). Es geht bei uns um viel mehr: um den Bau von drei neuen AKWs. Am kommenden Montag werden das Ensi und das Bundesamt für Energie Stellung nehmen zu den drei Rahmenbewilligungsgesuchen der Energiekonzerne Axpo, BKW FMB Energie und Alpiq. Die Planung wird also immer realer.

 Eine Lösung für die Endlagerung des Atommülls können die AKW-Betreiber, die auch die drei neuen Meiler bauen wollen, immer noch nicht bieten. Die heute favorisierte Idee, den Müll tief im Boden in einer Tonschicht zu vergraben, birgt technisch schier unlösbare Probleme (siehe WOZ Nr. 10/10). Auch ist die Finanzierung nicht geklärt: Der Bau des Endlagers soll schätzungsweise 3,5 Milliarden Franken kosten. Dafür müssen die AKW-Betreiber aufkommen.

 Die Vorgabe ist, dass der Müll - falls nötig - zurückgeholt werden kann. Sollte dies aber wirklich nötig werden, dürfte es nochmals 3,5 Milliarden Franken kosten, wie der Bundesrat in einer soeben publizierten Antwort auf eine Anfrage des Schaffhauser SP-Nationalrates Hans-Jürg Fehr schreibt. Bezahlen müsste dies allerdings die Allgemeinheit - und nicht die AKW-Betreiber.

 Es gibt also für die Anti-AKW-Bewegung genügend Gründe, sich kreativ einzumischen.

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BZ 11.11.10

AKW-Gegner in Geldnot

 AtomstromAm 13. Februar stimmt Bern über die Zukunft der Kernenergie ab. Die Gegner eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg tun sich schwer, für die Abstimmungskampagne genügend Geld aufzutreiben.

 Drei Monate dauert es noch, bis sich die Bernerinnen und Berner zur Zukunft der Kernenergie in ihrem Kanton äussern können. Im Hintergrund werden derzeit die Werbekampagnen vorbereitet und die Kriegskassen gefüllt. Dabei fällt auf, dass sich das Lager der Kernenergiegegner schwertut, genügend Geld aufzutreiben. Laut dem WWF Bern hat das Komitee ein Budget von gegen 200 000 Franken zur Verfügung, das für eine wirkungsvolle Kampagne nur knapp reichen dürfte. Finanziell bessergestellt ist das bürgerliche, den Bau von Mühleberg II befürwortende Lager. Das Pro-Komitee wird vom kantonalen Handels- und Industrieverein (HIV) angeführt und verfügt über rund 200 000 Franken. Mehr als die Hälfte davon steuert der HIV selber bei. Dazu kommen nochmals rund 150 000 Franken von Aves Bern, der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik der Schweiz. Die AKW-Lobby hat demnach fast doppelt so viel Geld zur Verfügung wie die Gegner.

 Definitiv entschieden wird am 13. Februar noch nichts. Dennoch geht es bei der Abstimmung um eine wichtige Weichenstellung in der Energieversorgung. Das Stimmvolk macht an der Urne klar, ob es im Kanton Bern auch in fünfzig Jahren noch ein Atomkraftwerk will oder nicht. Ob bei einem allfälligen Ja später in Mühleberg auch tatsächlich ein neues AKW gebaut wird, entscheiden das eidgenössische Parlament und das Stimmvolk erst in etwa drei Jahren.

 Klar ist aber: Bei einem Nein Mitte Februar würden die Chancen für Mühleberg II im Nu drastisch sinken.phmSeite 17

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Mit oder ohne Atomausstieg: Der Strom wird teurer

 Stadt BernAm 28. November können die Bernerinnen und Berner über den Ausstieg aus der Atomenergie befinden. Welche Auswirkungen dieser zukunftsweisende Entscheid auf ihre Stromrechnungen hat, ist umstritten.

 In einem Punkt sind sich alle einig: Der Strom in der Stadt Bern wird teurer werden. Warum und in welchem Masse - darüber streitet sich die Politik im Vorfeld der Abstimmung über die Energiewende-Initiative vom 28. November. FDP, SVP und Teile der BDP wollen der Bevölkerung den Atomausstieg ausreden mit dem Argument, dass sich die Strompreise verdoppeln würden.

 Ironischerweise stützen die Ausstiegsgegner ihre Argumentation ausschliesslich auf eine Studie des Forschungs- und Beratungsbüros Infras, die von linken Umweltverbänden in Auftrag gegeben wurde. Beteiligt haben sich auch die Kantone Genf und Basel-Stadt sowie der Stadtberner Stromversorger Energie Wasser Bern (EWB).

 Entsprechend den Auftraggebern der Studie braucht es denn auch viel Fantasie, um die Argumentation der Bürgerlichen aus dem 211 Seiten starken Papier herauszulesen. Die Schlussfolgerung der Studie ist nämlich eine Gegensätzliche: Der Bau neuer AKW rechne sich erst, wenn die Strompreise um 60 Prozent stiegen. Der Ersatz von Atomstrom durch erneuerbare Energien und eine Steigerung der Energieeffizienz könnten schon ab einer Preissteigerung von 15 Prozent rentabel sein. Allerdings, auch das hält die Studie fest, ist eine Lenkungsabgabe nötig, um die Entwicklung in die "grüne" Richtung zu steuern.

 Grüner Strom wird günstiger

 Hinter diesem Fazit stecken Berechnungen, wie sich die Gestehungskosten der verschiedenen Kraftwerkstechnologien entwickeln. Laut der Studie schliesst sich der momentan noch grosse Abstand zwischen den "teuren" grünen Energien und dem "billigen" Strom aus Wasser, Gas und AKW (siehe Grafik oben). Erstere werden etwa darum günstiger, weil die Wirkungsgrade steigen und die Mengen zunehmen. Gaskraft verteuert sich, weil Gas knapper und teurer wird; Wasserkraft wird kostspieliger, weil die besten Standorte in der Schweiz bereits erschlossen sind.

 Milliardenteure neue AKW

 Die Atomenergie wird aus diversen Gründen teurer. Der wichtigste: Laut der Studie, die sich ihrerseits auf mehrere internationale Studien stützt, ist man bislang von zu tiefen Gestehungskosten ausgegangen. So decken heutige AKW ihre Kapitalkosten nicht, seien viel zu tief versichert und finanziell zu wenig gut auf die Stilllegung vorbereitet.

 Ein Indiz dafür, dass Stromkonzerne die Kosten neuer AKW tendenziell zu tief einschätzen, liefert aktuell der Bau eines topmodernen AKW in Finnland, das rund doppelt so teuer wird wie ursprünglich angenommen. Ein weiteres Indiz, dass Atomstrom nicht per se billig ist, lieferte jüngst eine Studie aus Deutschland: Obschon dort bloss 30 Prozent des Stroms aus AKW kommt, ist der Strom nicht teurer als in Frankreich, wo 80 Prozent aus AKW kommt.

 Die grossen Stromkonzerne wie die BKW zweifeln die Infras-Studie an: Das Potenzial von Ökostrom sei zu optimistisch eingeschätzt. Ohne neue AKW drohe eine Versorgungslücke. Auch das Bundesamt für Energie spricht davon, dass es neue "Grossanlagen", sprich AKW oder Gaskraftwerke brauche.

 "Trend in richtige Richtung"

 Trotz der Vorbehalte der grossen Energiekonzerne war die Infras-Studie für den Stadtberner Energieversorger EWB ein Fingerzeig bei der Ausarbeitung seiner Strategie. Diese sieht auch ohne Energiewende-Initiative den Atomausstieg vor.

 Die Trends seien klar, sagt CEO Daniel Schafer: "Bei den erneuerbaren Energien geht die Entwicklung in die richtige Richtung: Die Gestehungskosten sinken. Bei neuen Kernkraftwerken hingegen steigen sie." Was das für die Strompreise bedeute, sei aber schwer zu sagen: "Prognosen über die Entwicklung der Preise sind, je weiter entfernt diese sind, umso schwieriger." Denn neben den Gestehungskosten gibt es viele weitere Faktoren, welche den Preis beeinflussen (siehe kleine Grafik links).

 EWB sieht keine Stromlücke

 Trotzdem ist auch für Schafer klar, dass Strom in Zukunft teurer wird. Dies hänge mit der kompletten Liberalisierung des Strommarkts im Jahr 2014 zusammen. Die momentan noch tieferen Preise in der Schweiz werden sich dann europäischem Niveau angleichen.

 "Es ist abzusehen, dass die Strompreise steigen - ob mit oder ohne Atomstrom", resümiert Schafer. "Die Marktpreise zeigen tendenziell nach oben, dies weil Strom momentan eher knapp ist", erklärt der EWB-Chef. Eine Stromlücke gebe es deswegen aber nicht: "Der Markt, sprich höhere Preise werden für einen effizienteren Umgang mit Strom sorgen."
 
Adrian Zurbriggen

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 Abstimmung

 Die von links-grünen Parteien und Verbänden lancierte Energiewende-Initiative will, dass EWB bis 2030 ohne Atomstrom auskommt. Der Gegenvorschlag des Gemeinderats gibt für den Atomausstieg bis 2039 Zeit. EWB hält diesen Zeithorizont für realistisch und hat den Ausstieg mit Beteiligungen an deutschen Windparks gestartet. Bei Annahme der Initiative müsste EWB Strom teuer auf dem Markt zukaufen - dies würde einen Wertverlust von 351 Millionen Franken bedeuten.azu

 Wie sauber ist Strom aus Erdgas?

 Neben der Verteuerung der Strompreise (siehe Haupttext) argumentieren die Gegner des Atomausstiegs zudem mit einer Verschlechterung der CO2-Bilanz, welche der Verzicht auf AKW bringe. Sie zielen dabei vor allem auf die neue Kehrrichtverbrennungsanlage KVA Forsthaus, welche mit ihrer Inbetriebnahme 2012 zu einem grossen Kraftwerk wird. In der EWB-eigenen Anlage wird künftig nicht nur Kehricht, sondern auch Holz und Gas verbrannt und so rund 350 Gigawattstunden Energie produziert. Damit kann EWB die Strommenge aus dem französischen AKW Fessenheim mehr als kompensieren: Das AKW, das 2015 vom Netz geht, produziert für EWB jährlich 130 Gigawattstunden.

 Während die Verbrennung von Holz CO2-neutral ist, gilt dies für Erdgas natürlich nicht. Laut EWB-Chef Daniel Schafer werden in der neuen KVA jährlich 100 000 Tonnen CO2 freigesetzt. Zum Vergleich: Im Rahmen der Klimaplattform, eines Vorzeigeprojekts der Stadt Bern, sparten 43 Firmen letztes Jahr 5151 Tonnen CO2 ein. Seit 1990 sank der gesamte CO2-Ausstoss in der Stadt um knapp 50 000 Tonnen.

 Trotzdem weise die neue KVA eine positive CO2-Bilanz auf, sagt Schafer. Weil durch die neue KVA kein Strom am internationalen Markt eingekauft werden müsse, könne EWB 57 000 Tonnen CO2 einsparen. Schafer erinnert daran, dass auch Atomstrom nicht CO2-neutral sei. Insbesondere beim Abbau, aber auch beim Transport von Uran werde CO2 freigesetzt.azu

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Kriegskasse der Atom-Lobby ist bereits prall gefüllt

 AKW-Abstimmung Vor dem wegweisenden Urnengang zur Zukunft der Kernenergie im Kanton Bern füllen sowohl Gegner wie auch Befürworter ihre Kassen für den Abstimmungskampf. Den AKW-Anhängern fliesst deutlich mehr Geld zu.

 Eine Faustregel besagt: Eine wirksame Abstimmungskampagne kostet in einem Kanton von der Grösse Berns mindestens 200 000 Franken. Das gilt auch für die Kernkraft-Abstimmung vom 13. Februar 2011, wenn die Bernerinnen und Berner darüber befinden, ob sie den Ersatz des AKWs Mühleberg befürworten oder der Kernenergie den Rücken kehren wollen (siehe Kasten).

 In der Tendenz sieht es so aus, als würden die AKW-Gegner für ihre Werbekampagne diese Summe nur knapp erreichen. Das Anti-Mühleberg-Komitee wird von den Umweltverbänden angeführt, namentlich vom WWF Bern. Mit dabei sind weiter Greenpeace, die Grünen und die SP. Laut Jörg Rüetschi vom WWF wird es kaum möglich sein, für Inserate und Plakate viel mehr als besagte 200 000 Franken aufzutreiben.

 Ein Grund dafür, dass die Kernkraftgegner nicht mehr Mittel zur Verfügung haben, ist die Ständeratsersatzwahl. Ebenfalls am 13. Februar wird bekanntlich der vakante Berner Sitz im Stöckli neu besetzt. Und da die SP bestrebt ist, mit Kandidatin Ursula Wyss ihren Sitz zu verteidigen, setzt die Partei praktisch alle Mittel für den Ständeratswahlkampf und nicht für die AKW-Abstimmung ein.

 Mehr Geld für Befürworter

 Deutlich feudaler präsentiert sich drei Monate vor der Abstimmung die finanzielle Situation im bürgerlichen und wirtschaftsnahen Lager. Der Handels- und Industrieverein des Kantons Bern (HIV) etwa wirft zwischen 100 000 und 150 000 Franken auf, um für ein Ja zum Mühleberg-Ersatz zu werben. HIV-Direktor Adrian Haas, der das Pro-Komitee der Wirtschaftsverbände anführt, hofft aber auf zusätzliche Spenden. "Ich hoffe, dass von den Mitgliedern des HIV und den anderen Verbänden nochmals mindestens 50 000 Franken zusammenkommen." Speziell denkt Haas dabei an Zustüpfe des Hauseigentümerverbands sowie der Dachorganisation Berner KMU.

 Damit hätten die Befürworter dann die gleiche Summe gesammelt wie die Mühleberg-Gegner. Den Unterschied zugunsten der Kernkraft-Anhänger macht jedoch die Berner Sektion von Aves (Aktion für eine vernünftige Energiepolitik der Schweiz): Die von FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen präsidierte Organisation steuert für den Abstimmungskampf rund 150 000 Franken bei. Dieser Betrag wird vor allem in Inserate investiert. Die Kampagne ist kürzlich angelaufen und erklärt, weshalb der Kanton Bern aus Sicht von Aves nicht auf den Ersatz des AKWs Mühleberg verzichten kann.

 Das Ergebnis der Milchbüchleinrechnung: Die AKW-Befürworter verfügen für den Abstimmungskampf mit rund 350 000 Franken fast über doppelt so viel Geld wie die AKW-Gegner.

 BKW spendet nichts

 Der Energiekonzern BKW, der das AKW betreibt, darf sich bekanntlich nicht aktiv in den Abstimmungskampf einmischen, wie der Berner Regierungsrat diese Woche einmal mehr deutlich gemacht hat (wir berichteten). Gestern bekräftigte BKW-Sprecher Antonio Sommavilla, das Unternehmen werde sich an diese Direktive halten. Auch Spenden an den HIV oder Aves werde die BKW nicht ausrichten.

 Auch wenn die Spiesse nicht gleich lang sind, ist die Abstimmung noch lange nicht entschieden: Sowohl Gegner wie auch Befürworter der Kernenergie rechnen am 13. Februar mit einem äusserst knappen Ausgang.
 
Philippe Müller

 Die AKW-Befürworter haben für den Abstimmungskampf rund doppelt so viel Geld zur Verfügung wie die Atomgegner.

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 Noch ein weiter Weg

 Neue AKW Die drei Energiekonzerne Alpiq, Axpo und BKW wollen je ein neues Atomkraftwerk der neusten Generation bauen und haben beim Bund ein Rahmenbewilligungsgesuch eingereicht. Die drei Standortkantone Bern, Aargau und Solothurn müssen bis Anfang 2011 eine Stellungnahme zuhanden des Bundes abgeben und die Frage beantworten, wie sie einem AKW-Neubau gegenüberstehen. Der Kanton Bern lässt diese Frage am 13. Februar 2011 vom Stimmvolk beantworten.

 Es handelt sich dabei um eine konsultative Abstimmung. Das heisst: Ein Ja zum Mühleberg- Ersatz bedeutet noch nicht automatisch, dass ein neues AKW gebaut werden kann. Bei einem Nein dagegen stünden die Chancen, dass der Kanton Bern vom Bund den Zuschlag für Mühleberg II erhält, eher schlecht. Der Entscheid, ob und wo neue AKW gebaut werden, fällt zwischen 2012 und 2013 im eidgenössischen Parlament, wobei der definitive Entscheid in einer Volksabstimmung fallen wird. phm

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Professor für Ausstieg

 AtomkraftDer St. Galler HSG-Professor und Energie-Experte Rolf Wüstenhagen plädiert für ein Umdenken in der Energiepolitik und für den Atomausstieg.

 "Die Technologie ist weiter, als viele denken", sagte Rolf Wüstenhagen in einem Interview im "St. Galler Tagblatt". Wüstenhagen ist Professor für Management erneuerbarer Energien und Co-Direktor des Instituts für Wirtschaft und Ökologie der Universität St. Gallen (HSG).

 Im Zusammenhang mit der Initiative "Stadt ohne Atomstrom", über die in St. Gallen am 28. November abgestimmt wird, empfiehlt der Energie-Experte ein Umsteigen auf Alternativenergie ohne Umwege.

 Solar- und Windenergie seien zwar noch relativ teuer. Sie erstarkten aber "so rasant, dass sie bald wettbewerbsfähig sein werden". Je früher sich eine Stadt um Beteiligungen an erneuerbaren Energien bemühe, desto grösser sei die Chance, gute Verträge abzuschliessen.

 Wüstenhagen erwähnte als Beispiel Zürich: Die Stadt habe in kurzer Zeit Investitionen in deutsche Windparks getätigt, "die schon jetzt so viel Strom produzieren, wie 49 000 Haushalte verbrauchen". Zürich liege damit im Trend. "Immer mehr Kunden wollen erneuerbare Energien."

 Auch in der Schweiz gebe es gute Windenergie-Projekte, zum Beispiel in Collonges im Wallis oder im Jura. In der Solarenergie biete die starke Sonneneinstrahlung in den Alpen Chancen. Der Weg führe in der Schweiz daneben über Geothermie und über "Plus-Energie-Häuser", die vor Ort Sonnenenergie nutzten.
 sda

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Tagesanzeiger 11.11.10

Zu wenig Dampf in der AKW-Debatte: Grüne engagieren sich stärker

 Anders als ihre deutschen Kollegen protestieren die Zürcher Grünen nur lau gegen den Bau neuer AKW und eines Endlagers. Das soll sich nun ändern.

 Von Stefan Häne

 Zürich - Der Unterschied ist frappant: Während sich in Süddeutschland unter Führung der Grünen breiter Widerstand gegen ein mögliches Endlager im Zürcher Weinland formiert, ist im Kanton Zürich der Protest kaum wahrnehmbar. Im grenznahen Jestetten sprechen grüne Politiker provokativ vom "Atommülllager Zürich" (TA vom Dienstag).

 Und was tun ihre Zürcher Parteikollegen? Zu wenig, findet die Grüne Ex-Kantonsrätin Susanne Rihs-Lanz, die im Sommer nach zwölf Jahren im Parlament zurückgetreten ist. Ihre Partei müsse in ihrem "Urthema" aktiver werden. Rihs-Lanz' Position findet in der Partei Zuspruch. Letzte Woche haben grüne Politiker den Verein "Klar! Züri Unterland" gegründet. Dieser will, wie die schon länger bestehende Mutterorganisation "Klar! Schweiz", "kein Leben mit atomaren Risiken". Rihs-Lanz versucht nun, Kontakte mit Grünen aus dem süddeutschen Raum zu knüpfen, um eine "starke Allianz zu bilden".

 "Zu technokratisch"

 Nachholbedarf ortet auch Nationalrätin Marlies Bänziger. Sie will "die Widerstandskraft wiedererwecken". Die Grünen hätten ihren Sachverstand zur verbesserten möglichen Sicherheit eines allfälligen Lagers eingebracht. Dabei, räumt Bänziger ein, habe sich ihre Partei aber "stark auf die technokratischen Diskussionen eingelassen".

 Rihs-Lanz verweist auf den Kurs, den ihre Partei in der Atompolitik fährt. Solange der Ausstieg aus der Atomenergie nicht beschlossen ist, kommt für die Grüne Partei ein Endlager - Grüne nennen es ein "endloses Zwischenlager" - nicht infrage. Aus diesem Grund, so Rihs-Lanz, habe sich die Kantonalpartei in ihrer Arbeit auf den Atomausstieg fokussiert. "Es ist höchste Zeit, dass wir auch die Endlagerfrage breit thematisieren." Ansonsten werde die Zürcher Bevölkerung von der Nagra über den Tisch gezogen.

 Dampf machen soll nun eine neue parteiinterne Arbeitsgruppe. Der Kanton Zürich als Mitbesitzer des Stromkonzerns Axpo nimmt in den kommenden Wochen Stellung zu den Rahmenbewilligungsgesuchen von Axpo (und BKW) für den Bau neuer Atomkraftwerke. Die Grünen wollen dabei Gegensteuer zur atomfreundlichen Haltung der Zürcher Regierung geben, auch im Hinblick auf die kantonalen Wahlen im Frühling, wie Bänziger sagt. Ob ihre Partei öffentliche Proteste organisieren wird, lässt Bänziger offen. Philipp Maurer, Co-Präsident der Kantonalpartei, beurteilt Sitzblockaden und ähnliche Formen zivilen Ungehorsams skeptisch: "Wir wollen konstruktive Debatten führen."

 Träge wegen der SP?

 Auch Esther Guyer, Fraktionschefin der Grünen, will "nicht ungezielt ins Feld sitzen und protestieren". "Gorleben ist jetzt. Einen derart aktuellen Aufhänger gibt es hier nicht." Vehement bestreitet Guyer, die Grünen seien träge geworden, weil sie wegen der schwächelnden SP quasi im Schlafwagen zu Wahlerfolgen kämen. Guyer verweist auf die parlamentarische Arbeit und auf die Demonstrationen, die ihre Partei wie 2008 in Benken mitgeprägt habe. Der Protest damals war getragen von wütenden Atomgegnern. Zu dieser Emotionalisierung werde es wieder kommen, sagt Nationalrätin Bänziger. Sie geht davon aus, dass spätestens dann eine Volksbewegung entsteht, wenn es zur Abstimmung über den Bau neuer AKW oder den Standort des Endlagers kommt.

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Aargauer Zeitung 11.11.10

"Betroffene Region würde an Attraktivität verlieren"

 Laufenburg Eingabe des Gemeinderats zum Tiefenlager Bözberg

 Im Sachplanverfahren Geologisches Tiefenlager Bözberg läuft vom 1. bis 30. November das öffentliche Anhörungsverfahren. Der Gemeinderat Laufenburg hat sich mit dem Thema befasst und hält in seiner Eingabe folgende Punkte fest:

 "Es muss vermutet werden, dass ein solches Tiefenlager a priori niemand vor seiner Haustür oder in seiner Nähe haben will. Aus verständlichen Gründen sind deshalb viele Bedenken und Ängste an den Informa-tionssitzungen vorgebracht worden."

 Die gewonnenen Eindrücke führen nach Bekanntgabe des Gemeinderats Laufenburg zu folgenden Überlegungen: "Vor irgendwelchen ideologischen Standpunkten ist das Thema ‹Sicherheit› zu behandeln. Aus diesem Grund muss der ausgewählte Standort in jeder Hinsicht, zweifelsfrei und unverhandelbar den Sicherheitsstandards vollumfänglich genügen. Finanzielle Überlegungen zum Thema Sicherheit sind dabei in den Hintergrund zu stellen. Es müssen objektive und von unabhängiger Seite entsprechende Gutachten vorliegen, in welchem auch international anerkannte Experten und Organisationen die Sicherheitsstudien zu prüfen und zu kommentieren haben."

 Auswirkungen aufs Trinkwasser?

 Weiter fragt der Gemeinderat Laufenburg in seiner Eingabe: "Sind durch das Tiefenlager Auswirkungen auf Personen und Umwelt, insbesondere auf unser Trinkwasser, zu erwarten, wenn nein, warum nicht? Bei einem Dammbruch des Schluchsees ist zu erwarten, dass grenznahe Schweizer Gebiete überschwemmt werden. Welche Auswirkungen hätte deshalb ein Dammbruch des Schluchsees auf das Tiefenlager Bözberg? Wenn keine Auswirkungen zu erwarten sind, weshalb nicht?"

 Den Gemeinderat Laufenburg nimmt wunder, welche Auswirkungen Naturereignisse auf ein Tiefen- lager haben können, zum Beispiel Hochwasser, Überschwemmungen, Erdrutsche, Erdfall und anderes. Die Behörde will auch wissen, welche Auswirkungen ein Erdbeben der Intensität ab 7,5 auf der Richterskala auf das Tiefenlager hätte.

 Bereits durch AKW belastet

 Einige Gemeinden seien durch die Atomkraftwerk-Standorte, aber auch durch das Zwischenlager (Zwilag) in Würenlingen bereits "belastet", so der Gemeinderat Laufenburg. Und weiter: "Ein Tiefenlager im Bözberg würde die Region zusätzlich belasten. Es ist davon auszugehen, dass die betroffene Region an Attraktivität verliert und die jahrelangen Anstrengungen zur Ansiedlung von natürlichen und juristischen Personen arg strapaziert würden."

 "Immobilienpreise würden fallen"

 "Es ist zu befürchten, dass die Liegenschaftspreise, die Landpreise und auch die Mieten massiv sinken würden und mit finanziellen Einbussen zu rechnen wäre. Bei einem allfälligen Standort Bözberg hätte die ganze Region deshalb massive Nachteile zu tragen. In einem solchen Fall wären nicht nur die so genannten Standortgemeinden, sondern die ganze Region zu berücksichtigen. Unabhängig eines Standortentscheids,: Wie soll der finanzielle Ausgleich für die betroffene Region ausgestaltet werden?"

 Der Gemeinderat stellt die Frage in den Raum: "Was sind die Kriterien und Gewichtungen für einen finanziellen Ausgleich in der vom Standort betroffenen Region?"

 Die Planung für das Tiefenlager erfolge auf dem Stand der heutigen Technik und Wissenschaft, heisst es in der Eingabe des Gemeinderats Laufenburg. Unabhängig des Standorts müssten deshalb der Zugang zum eingelagerten Material und die Rückholbarkeit der Abfälle stets gewährleistet sein.

 Der Gemeinderat Laufenburg erwartet deshalb von den Verantwortlichen des Projekts, dass alle diese vorstehenden Überlegungen in die weitere Bearbeitung der Pläne für ein Tiefenlager Bözberg einbezogen werden. (az)

 Welche Auswirkungen hätte ein Erdbeben der Stärke 7,5 auf der Richterskala auf das Tiefenlager Bözberg?

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St. Galler Tagblatt 11.11.10

Eine Frage der Fristen

 Atom-Ausstieg Am 28. November stimmen die städtischen Stimmberechtigten nebst dem Geothermie-Kredit auch über die SP-Initiative "Stadt ohne Atomstrom" und den Gegenvorschlag des Stadtparlaments ab. Beide Vorlagen fordern den Atom-Ausstieg: Bei der Initiative soll dieses Ziel schrittweise ab 2018, beim Gegenvorschlag bis spätestens 2050 erreicht werden.

 Gehen bei Annahme der Initiative "Stadt ohne Atomstrom" plötzlich die Lichter aus? Könnte ein allfälliger Versorgungsengpass ab 2018 mit erneuerbaren Energien beseitigt werden? Und was hat das mit dem Kinok zu tun? Ein Streitgespräch zwischen Roger Dornier und Felix Birchler.

 Die Anti-Atomstrom-Bewegung in Deutschland ist wieder erwacht. Gerade rechtzeitig auf den Abstimmungskampf "Stadt ohne Atomstrom", Felix Birchler?

 Felix Birchler: Die Bewegung hat in der Tat wieder Auftrieb erhalten. Ob das die Abstimmung in St. Gallen jedoch beeinflusst, kann ich nicht sagen. Das Thema zumindest ist auf die politische Agenda zurückgekehrt.

 Die Bundesregierung will die AKW-Laufzeiten um durchschnittlich zwölf Jahre verlängern. Roger Dornier, begrüssen Sie diesen Ausstieg aus dem Ausstieg?

 Roger Dornier: Langfristig wollen auch wir den Ausstieg und setzen ebenso auf erneuerbare Energien. Die Regierung in Deutschland ist nun aber zum Schluss gekommen, dass die Zeit für einen Ausstieg noch nicht reif sei. Das deckt sich mit unseren Ansichten.

 Entsprechend argumentieren die Initiativgegner mit Gefährdung der Versorgungssicherheit. Ein Ausstieg zum jetzigen Zeitpunkt sei "grobfahrlässig". Haben Sie keine Angst, dass in St. Gallen plötzlich die Lichter ausgehen, Herr Birchler?

 Birchler: Grobfahrlässig ist das Festhalten am Atomstrom. Die Gefahren sind nicht erst seit Tschernobyl bekannt. Kernenergie ist zwar veraltet, endgültig ersetzt werden muss sie jedoch erst in etwa zwanzig bis dreissig Jahren. Bis dahin sind Alternativen gefunden, die bei entsprechendem politischen Willen auch gefördert werden.

 Atomstrom habe zu Unrecht ein schlechtes Image, haben Sie unlängst im Stadtparlament gesagt, Herr Dornier. Wie gelangen Sie als branchenfremder Rechtsanwalt zu dieser Überzeugung?

 Dornier: Ich setze mich seit Jahren mit Energiefragen auseinander, habe das AKW Gösgen besucht und mir vor Ort einen Eindruck verschafft. Ich sehe die Gefahren der Atomenergie durchaus, wehre mich aber gegen deren Verteufelung.

 Waren Sie auch schon in Gösgen oder sonst in einem Atomkraftwerk, Herr Birchler?

 Birchler: Nein. Ich wüsste nicht, was ich dort Spannendes entdecken könnte.

 Sie könnten sich informieren lassen.

 Birchler: Bei den AKW-Betreibern wird man kaum neutrale Informationen erhalten.

 Herr Dornier wurde also eingeseift?

 Birchler: Das kann ich nicht beurteilen. Aber ich gehe gerne mit ihm ins AKW Gösgen, wenn es dann ausgeschaltet wird.

 Gemäss einer repräsentativen Umfrage von Demoscope im Auftrag des WWF sind 69 Prozent der Befragten gegen Atomenergie. Wie gehen Sie mit dieser Zahl um?

 Dornier: Umfragen sind immer mit grosser Vorsicht zu geniessen, mit umso grösserer, wenn sie vom WWF kommen.

 Birchler: Nicht der WWF, Demoscope hat die Umfrage gemacht, die übrigens andere Studienergebnisse bestätigt: Die Bevölkerung will keinen Atomstrom.

 In einem Leserbrief mutmassen Sie, Herr Birchler, die Atomlobby finanziere den gegnerischen Abstimmungskampf. Wie viel Geld fliesst in die Kampagne, Herr Dornier?

 Dornier: Ich weiss es nicht, ich bin einfaches Komiteemitglied.

 In einem Komitee, das auch dem moderateren Gegenvorschlag mit einem Ausstiegsszenario bis 2050 nichts abgewinnen kann. Warum?

 Dornier: Wir wehren uns dagegen, einen abstrakten Energieartikel in die Gemeindeordnung aufzunehmen. Visionen gehören da nicht hinein. Heute zu sagen, dass wir in vierzig Jahren keinen Atomstrom mehr beziehen, finde ich unseriös und unehrlich. Ohnehin wäre damit nicht ausgeschlossen, dass wir bei Versorgungsengpässen Strom dereinst zwar nicht mehr aus AKWs, dafür aus Kohlekraftwerken bestellen müssten.

 Das wäre angesichts des zusätzlichen CO2-Ausstosses tatsächlich die energetische Bankrotterklärung.

 Birchler: Ich erinnere an den Initiativtext, der die Förderung von erneuerbaren Energien fordert. Der Bezug von Strom aus Kohlekraftwerken wäre eine klare Missachtung dessen.

 Kein Strom aus AKW, keiner aus Gas- und Kohlekraftwerken: Wie erfüllt die SN Energie künftig ihren Versorgungsauftrag?

 Birchler: Wind-, Wasser-, Solarenergie, Biomasse…

 Dornier: Das reicht nirgends hin.

 Birchler: Heute noch nicht, aber bald. Davon bin ich überzeugt.

 Dornier: Ich sage Ihnen, was wirklich passieren wird: Der Strom für den Normalverbraucher verteuert sich massiv und Grosskunden werden dank der Strommarktöffnung weiterhin günstigen Atomstrom beziehen.

 Birchler: Das ist eine Behauptung. Zweifellos aber wird der Strompreis auch künftig Marktschwankungen ausgesetzt sein. Bei Annahme der Initiative sind deshalb zwingend Massnahmen zur Energieeffizienz und zum Stromsparen zu ergreifen.

 Laut Stadtrat wäre bei einem Ja zur Initiative auch der Beteiligungsvertrag mit SN Energie neu auszuhandeln. Mit welchen Konsequenzen?

 Birchler: Vertragsdetails zwischen Stromlieferant und Stadt sind leider nicht öffentlich. Wohl müssten die Verträge aber neu ausgehandelt werden. Das wäre dann die Aufgabe von Stadtrat Fredy Brunner, der vor kurzem viel Lob bekommen hat für den Glasfaser-Deal mit der Swisscom.

 Basel bezieht keinen Atomstrom, Zürich wird ebenfalls aussteigen. Warum soll das St. Gallen nicht können, Herr Dornier?

 Dornier: Basel und Zürich sind links regierte Städte. Ob sie längerfristig aussteigen können, wird sich erst zeigen.

 Birchler: Zürich hat den Atomausstieg 2008 mit 76 Prozent gutgeheissen. Alles Linke? Ich bleibe dabei: Der Ausstieg ist eine Frage des politischen Willens.

 Noch einmal: warum kann St. Gallen nicht, was Zürich anstrebt?

 Dornier: Weil wir andere Verträge haben und einen Atomstromanteil von aktuell 54 Prozent. Wir müssten bereits ab 2018 aussteigen, in Zürich ist das erst zwanzig Jahre später der Fall.

 Wie viel Atomstrom müssten wir ab 2018 denn ersetzen?

 Birchler: Das ist Teil der geheimen Verträge. Wir wissen es nicht.

 Eine Prognose: Wie sieht das städtische Strom-Portfolio 2018 aus?

 Birchler: Ein Teil des Atomstroms wird durch Windenergie ersetzt sein. Zu wie vielen Prozenten, weiss allein die SN Energie.

 Dornier: Bei den erneuerbaren Energien tippe ich auf Wasser- kraft. Und auch bei der Geothermie sind wir dann viel weiter.

 Und 2050?

 Dornier: Bis dahin wird die Menschheit dank des technologischen Fortschritts weitere Energiequellen erschlossen haben…

 Birchler: …und den Atomausstieg sicher geschafft haben.

 Ein Nebenschauplatz zum Schluss. Herr Dornier, Sie haben in einem Leserbrief das Kinok kritisiert, das einen Anti-Atom-Film ins Programm aufgenommen hat. Was soll daran schlecht sein?

 Dornier: Ich bin skeptisch, wenn sich mit viel Steuergeld subventionierte Kultur einseitig in die Politik einmischt.

 Darf die Hand, die einen füttert, nicht mehr gebissen werden?

 Birchler: Im Gegenteil, das muss selbstverständlich möglich sein.

 Gesprächsleitung:

 Andreas Nagel, Ralf Streule

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 Person

 Roger Dornier

 Der FDP-Stadtparlamentarier ist Mitglied des Abstimmungskomitees "2× Nein zum Verzicht auf Atomstrom". Der 44jährige Anwalt ist Leiter des Rechtsdiensts der St. Galler Kantonalbank. Er ist verheiratet und Vater einer Tochter.

 Person

 Felix Birchler

 Der Co-Präsident der SP-Stadtpartei ist Mitinitiant der Volksinitiative "Stadt ohne Atomstrom". Der 32-Jährige ist Soziologe, Unia-Gewerkschaftssekretär und mitverantwortlich für die "3 × Ja"-Abstimmungskampagne.

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Weltwoche 11.11.10

Geschichten

 "Eine sehr teure Variante"

 Axpo-Chef Heinz Karrer nimmt Stellung zu den Vorwürfen der Lieferung von verschmutztem Uran aus Russland, warnt vor der zunehmenden Versorgungsunsicherheit und davor, dass die Kosten für erneuerbare Energien zu einem volkswirtschaftlichen Problem werden.

 Von Carmen Gasser

 Ein "Rundschau"-Report deckte kürzlich auf, dass die Axpo schmutziges Uran aus Russland bezieht. Was haben Sie unternommen?

 Wir haben auf die Vorwürfe damals gesagt, dass wir abklären wollen, aus welcher Quelle das aufbereitete Uran kommt. Das haben wir mittlerweile getan. Wir haben bei unserem Lieferanten Areva mehrere Lieferverträge für Uran. Jener aus dem Jahr 2003 läuft bis 2010. Unter diesem Vertrag wurden etwa 10 Prozent in Mayak aufbereitetes Uran verwendet. Einen zweiten Vertrag haben wir 2005 abgeschlossen. Er läuft noch bis 2020. Hier überprüfen wir ebenfalls die Herkunft des Urans.

 Noch vor kurzem hatten Sie alle Vorwürfe bestritten. Warum erst jetzt das Eingeständnis?

 Wir sind einer der ersten KKW-Betreiber auf der Welt, die eine auf die Anlage bezogene Umweltdeklaration ausweisen. Entsprechend haben wir Druck auf unsere Lieferanten ausgeübt. Auf deren vertragliche Verpflichtungen und Aussagen haben wir uns bisher verlassen.

 Weshalb dauern die Abklärungen so lange?

 Die Lieferkette ist kompliziert. Unser Vertragspartner hat wiederum einen Vertragspartner in Russland, der wieder mehrere Partner hat, die Uran aufbereiten. Aufgrund unseres Bekenntnisses zur Nachhaltigkeit haben wir regelmässig unsere Lieferanten befragt, ob es sich um hochangereichertes Uran handelt und welche Prozesse zur Herstellung verwendet wurden. Bislang konnten wir jedoch noch nicht vollständig klären, ob und welche Zulieferfirmen davon betroffen sind.

 Offensichtlich hat jegliche Kontrolle versagt.

 Genau genommen, haben wir es durch unsere erhöhte Transparenz und die verschärfte Kontrollpolitik erst ermöglicht, diesen Fall ans Licht zu bringen. Wir haben vor fünf Jahren beschlossen, für all unsere Produktionsanlagen eine Umweltzertifizierung vorzunehmen, um zu wissen, welche Prozesse angewendet, welche Energie und welche Abfälle produziert werden. Wir arbeiten seither nur mehr mit Partnern zusammen, die entsprechend zertifiziert sind. Auch unser französischer Partner Areva und seine Partner, mit denen wir in Russland zusammenarbeiten, sind zertifiziert. Nur beim letzten Teil der Lieferkette sind wir erst dabei, dies zu klären. Dort fielen uns Ungereimtheiten auf. Greenpeace hat den Fall in die Medien gebracht .

 Wurden die Lieferungen aus dem russischen Mayak mittlerweile gestoppt?

 Wir haben Abnahmeverpflichtungen bis ins Jahr 2020 aufgrund eines Vertragsabschlusses aus dem Jahr 2005. Zuerst wollen wir jetzt genau klären, wie die Situation in Mayak wirklich ist. Dass vor Jahrzehnten Umweltsünden zu Lasten der Bevölkerung begangen wurden, ist allgemein bekannt. Wir wollen wissen, wird heute sauber produziert und welche Anstrengungen werden unternommen, um die Situation in und um Mayak zu verbessern. Zudem prüfen wir, welche Möglichkeiten wir in Bezug auf den bestehenden Vertrag haben.

 Wie wollen Sie einem derartigen Desaster in Zukunft vorbeugen?

 Wir werden unsere Lieferanten bei der Beschaffung noch konsequenter auf die Einhaltung von internationalen Standards verpflichten. Wir wollen, dass bei der Aufbereitung unseres Urans alle Grenzwerte und Richtlinien eingehalten werden.

 Wie steht es mit Ihren Gaslieferverträgen mit dem Iran? Der Iran nutzt die Einnahmen, um seine atomare Stellung zu festigen.

 Bisher ist weder Gas noch Geld geflossen. Es stellt sich die Frage, welche Strategie für ein Land besser ist, damit es zu einer friedlichen Lösung kommt: Isolation oder Zusammenarbeit? Es hat in letzter Zeit gegenüber dem Iran international eine politische Verschärfung gegeben. Deshalb ist der Vertrag im Moment sistiert.

 Zurück zur Schweiz. Sie sprachen davon, dass im Winter die Lichter ausgehen würden. Stehen Sie zu dieser Aussage?

 So etwas habe ich nie gesagt. Das war eine Interpretation in einer Schlagzeile einer Zeitung. Was ich gesagt habe, war, dass wir in Zukunft mit instabileren Situationen rechnen müssen. Früher hatten wir viel freie Produktions- und Netzkapazitäten. Doch wenn der Verbrauch immer steigt und gleichzeitig die Kapazitäten nicht angepasst werden, gibt es irgendwann Probleme. In Frankreich beispielsweise gab es letzten Winter in einigen Regionen Stromausfälle.

 Stand die Schweiz schon einmal vor einem Black out?

 Schon mehrere Male. Auch in Italien und Deutschland gab es in den letzten Jahren Black outs. Da schlitterte die Schweiz nur ganz knapp daran vorbei. Instabil sind auch die Kantone Wallis und Tessin, aufgrund der Netzsituationen.

 Weshalb gehen in der Schweiz die Lichter aus, wenn die deutsche Stromversorgung kollabiert?

 Mit dem Ziel einer höheren Versorgungssicherheit in Europa sind die Netze der EU-Länder seit Jahrzehnten zusammengeschaltet. Wenn die Schweiz ein Problem hat, hilft Deutschland oder Frankreich aus und umgekehrt. Wenn jedoch in mehreren Ländern praktisch gleichzeitig Probleme entstehen, kann es kritisch werden. So geschehen vor ein paar Jahren in Mitteleuropa.

 Wladimir Putin dreht mindestens einmal im Jahr den Gashahn zu und demonstriert, welche machtpolitische Bedeutung Gas und die Energie haben. Wie stark ist die Schweiz diesem Ränkespiel ausgeliefert?

 Grösse allein ist nicht ausschlaggebend. Die Schweiz ist international gut vernetzt und hilft mit, aufgrund ihrer neutralen Haltung politische Eskalationen zu verhindern. Als Unternehmen sind wir in einer guten Ausgangssituation aufgrund unserer Infrastrukturen, unseres Kraftwerkparks und unserer internationalen Energiehandelskompetenzen.

 Ist es ein Nachteil für die Stromwirtschaft, dass die Schweiz nicht der EU angehört?

 Für unseren Sektor würde sich nichts ändern, sofern wir in nächster Zeit in Zusammenhang mit der Diskussion um das bilaterale Stromabkommen keine Nachteile erfahren. Europa profitiert von der Schweiz. Wir sind ein Transitland, und es ist für Europa wesentlich, dass wir unsere Kraftwerke, insbesondere unsere Wasserkraftwerke, in die Versorgungssicherheit einbringen.

 Die Schweiz kann im Notfall auch drohen?

 Die theoretische Möglichkeit gäbe es zwar, aber realpolitisch ist das nicht machbar. Doch die Schweiz muss sich nicht mit der "Indianerrolle" zufriedengeben. Sie darf selbstbewusst im internationalen Kontext auftreten.

 Die "Stromlücke" ist mittlerweile zu einem geflügelten Wort geworden. Haben die Energieversorger geschlafen?

 Viele Jahre lang wurde in Europa aufgrund von Überkapazitäten nicht mehr investiert. Zu Beginn dieses Jahrzehnts jedoch wurden gewisse Kapazitäten schneller abgebaut, als man gedacht hatte. Aufgrund der höheren Auflagen im Umweltbereich mussten beispielsweise ältere Kohle-, Gas- und Ölkraftwerke abgestellt werden. In der Stromindustrie kann man nicht den Schalter umkippen und auf die Schnelle neue Anlagen bauen.

 Der ehemalige deutsche Umweltminister Jürgen Trittin bezeichnete die drohende Stromlücke als Mythos. Mittlerweile trügen in Deutschland erneuerbare Energien 17 Prozent zur Stromproduktion bei.

 Herr Trittin hat explizit darauf hingewiesen, dass er dies nur auf Deutschland bezieht. 17 Prozent ist in der Tat eine hohe Zahl. Allerdings gibt es berechtigte Zweifel in Bezug auf die Erreichung der Planzahlen in Deutschland. Bei Onshore-Windanlagen stösst man zunehmend auf den Widerstand der Bevölkerung und des Naturschutzes. Bei Offshore-Anlagen sieht man sich zudem mit technischen Herausforderungen konfrontiert. Überdies wird die Netzanbindung schwierig werden. In der Schweiz gibt es Beispiele von dreissig Jahren Verfahrenszeit, bis eine Leitung gebaut werden kann.

 Die Ziele des deutschen Umweltbundesamtes sind also illusorisch, bis 2050 100 Prozent des Stroms aus erneuerbaren Quellen beziehen zu können?

 Politiker, die heute diese Aussagen machen, übernehmen für die Nichteinhaltung der Ziele im Jahr 2050 ja keine Verantwortung.

 Ein Prozent des Axpo-Stroms stammt aus Solar- und Windenergieprojekten. Das sieht ganz nach Alibiübung aus.

 Wir haben uns 2005 gefragt, welches Potenzial in der Schweiz für erneuerbare Energien besteht, und haben daraus unsere Strategie abgeleitet. Wir sind heute bei weitem der grösste Produzent erneuerbarer Energie in der Schweiz. Wir sagen, was wir tun, und tun auch, was wir sagen. In absoluten Zahlen bleibt die Menge natürlich noch gering.

 Ist erneuerbare Energie der richtige Weg zur CO2-Vermeidung?

 Die CO2-Vermeidung durch die Förderung von erneuerbaren Energien ist eine sehr teure Variante. Das Geld könnte man beispielsweise mit einem Cap-and-Trade-System effizienter einsetzen. Die Kosten werden volkswirtschaftlich zunehmend zu einem Problem. Und wir stehen erst am Anfang.

 Können Sie ein Beispiel nennen?

 Spanien hat zwischen 2001 und 2009 28 Milliarden Euro an Fördergeldern für erneuerbare Energien gesprochen. Doch die Investitionen decken nur 1 Prozent des Energiebedarfs von Spanien. Ein Arbeitsplatz wurde somit mit 500 000 Franken subventioniert. Dieses Geld fehlt irgendwo anders in Spanien, sei es beispielsweise im Infrastrukturbereich, im Gesundheits- oder im Bildungswesen. In Deutschland ist es noch extremer. Dort wurden im gleichen Zeitraum für 67 Milliarden an Fördergeldern Verpflichtungen eingegangen.

 Zum Schluss: In der Wüste Nordafrikas soll unter dem Namen Desertec ein gigantisches Solarprojekt entstehen. Wie sinnvoll ist dieses?

 Desertec dürfte in ferner Zukunft einen gewissen Teil Europas mit Strom beliefern. Doch das Projekt befindet sich in, ich sage mal: politisch anspruchsvollen Ländern. Hierzulande gibt es in den Berggebieten den Wasserzins. Die Gemeinden lassen sich dafür entschädigen, dass man Wasserkraft für die Stromerzeugung nutzbar macht. Ich könnte mir vorstellen, dass es irgendwann so etwas wie Sandzinsen geben wird. Eigentlich wollte man mit diesem Projekt die Abhängigkeit reduzieren. Doch es wird zu einer anderen Art von Abhängigkeit führen.

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Bund 10.11.10

Problemlose Atommülltransporte nach Würenlingen

 AKW Mühleberg - Gestern Morgen ist die Odyssee des Castor-Transports ins deutsche Zwischenlager Gorleben nach 91 Stunden zu Ende gegangen. Zuletzt waren die Polizisten gar mit einbetonierten Atomgegnern konfrontiert.

 Zu solchen Szenen kommt es in der Schweiz nicht. "Die Transporte ins zentrale Zwischenlager Würenlingen verlaufen problemlos", sagt Antonio Sommavilla, Sprecher der BKW Energie AG. Jährlich werden im Atomkraftwerk Mühleberg 36 Brennelemente ausgewechselt. Alle zwei Jahre bringen zehn LKW diese hochradioaktiven Stoffe in Spezialbehältern nach Würenlingen. Dort werden sie zwischengelagert, bis die Frage der Endlagerung gelöst oder die Wiederaufbereitung im Ausland erneut aufgenommen wird. (rw) - Seiten 5, 20

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Atommüll: Mühleberg-Würenlingen einfach

 Alle zwei Jahre fahren zehn Lastwagen mit ausgedienten Brennelementen von Mühleberg nach Würenlingen. Probleme gibts dabei keine.

 Reto Wissmann

 91 Stunden waren die elf Castor-Behälter mit radioaktiven Abfällen unterwegs, bevor sie gestern Morgen im niedersächsischen Atommülllager Gorleben ankamen. Tausende Atomgegner hatten während Tagen mit allen Mitteln versucht, den Transport zu blockieren. Ihnen gegenüber sollen insgesamt 20 000 Polizisten gestanden haben. Der Einsatz hat Millionen gekostet und zahlreiche Verletzte gefordert. Die Politik ist ratlos, wie es mit den Atommülltransporten weitergehen soll (siehe Seite 5).

 Auch im Kernkraftwerk Mühleberg fallen hochradioaktive Abfälle an. Deren Transport ins Zwischenlager in Würenlingen geht jedoch jeweils in aller Stille und ohne jegliche Proteste über die Bühne. Laut Antonio Sommavilla, Sprecher der BKW Energie AG, wechselt das Werk pro Jahr 36 Brennelemente aus. Verpackt in Spezialbehälter, werden sie alle zwei Jahre per LKW in den Aargau transportiert. Ansonsten erfolgt die Anlieferung von radioaktiven Abfällen beim Zwischenlager Würenlingen vorwiegend per Bahn. Wegen der schwierigen Topografie fehlt jedoch in Mühleberg ein Industriegleis. Beim nächstgelegenen Bahnanschluss eine spezielle Verladestation für die viele Tonnen schweren Behälter zu bauen, wäre zu aufwendig. Daher fahren nun alle zwei Jahre Castor-Transporter das Gefahrengut unter Polizeischutz ins 130 Kilometer entfernte Würenlingen.

 Ruhe seit den Neunzigerjahren

 Auf militante Demonstranten trifft die BKW während solcher "Kampagnen" nicht. "Die Transporte nach Würenlingen verlaufen heute problemlos", sagt der BKW-Sprecher. Er weiss lediglich von einem Vorfall Mitte der Neunzigerjahre, als Atomgegner einen Transport von ausgedienten Brennelementen von Mühleberg ins Ausland blockieren wollten. Unterdessen gilt jedoch für solche "Exporte" zur Wiederaufbereitung ein Moratorium bis 2016.

 Neben den ausgedienten Brennelementen fallen in Mühleberg pro Jahr auch rund 50 Kubikmeter leicht- oder mittelaktive Abfälle an. Diese werden in zehn Transporten jährlich ebenfalls nach Würenlingen gebracht, jedoch ohne zusätzliche Sicherheitsmassnahmen. Sämtliche Transporte sind jedoch genehmigungspflichtig, und die Verpackung der radioaktiven Abfälle richtet sich nach internationalen Vorschriften.

 Am Zwilag Würenlingen ist die BKW mit 10,7 Prozent beteiligt. Alle anderen Schweizer Atomkraftwerkbetreiber sind ebenfalls Teilhaber. Im 2001 eröffneten Komplex werden schwach- und mittelradioaktive Abfälle verarbeitet. Hochaktive ausgediente Brennelemente warten in einem Zwischenlager auf die Lösung der Endlagerfrage oder auf eine Wiederaufbereitung. Laut Angaben der Zwilag Würenlingen AG war diese Lagerhalle Ende 2009 zu 16 Prozent belegt. Anders als in Gorleben ist in Würenlingen kein Endlager geplant.

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Schaffhauser Nachrichten 10.11.10

Widerstand gegen Endlager Südranden

Widerstandsstrategien gegen ein Atommüll-Endlager Südranden bildeten das Thema der von der IG Lebensraum Klettgau durchgeführten Infoveranstaltung. Auch eine Delegation des erfolgreichen Widerstandes am Weiienberg war zugegen.

VON HANS-CASPAR RYSER

BERINGEN Während der vergangenen Tage prägten die gewaltlosen Protestdemonstrationen in Deutschland gegen die Castor-Transporte von Atombrennstäben die Schlagzeilen. Doch nun hat der Atommülltransport den Bestimmungsort mit zweitägiger Verspätung erreicht. Aller Protest umsonst?

Beharrlichkeit im Widerstand

Die beharrliche Verfolgung der von einer breiten Bevölkerung getragenen Widerstandsstrategie könne sehr wohl die Einrichtung eines Atommüll-Endlagers in einer Region verhindern. Das betonte Paolo Fuchs vom Widerstand für den Wellenberg anlässlich der Diskussionsveranstaltung der IG Lebensraum Klettgau zum Anhörungsverfahren und Widerstand Atommüll-Endlager Südranden. Und der muss es ja wissen.

 Mit der Hartnäckigkeit der früheren Urkantone zur Befreiung von fremden Vögten habe die Bevölkerung der Region Wolfenschiessen/Engelberg so lange erbitterten Widerstand geleistet, bis die Nagra den Endlagerstandort Wellenberg fallen liess, getreu der Erkenntnis, dass ein Endlager dort gebaut wird, wo der Widerstand der Bevölkerung am geringsten ist.

 Richtige Strategie entscheidend

Wie Paolo Fuchs betonte, sei es mit einigen medienwirksamen Demonstrationen nicht getan. Die Widerstandsbewegung Wellenberg gründe auf einer wohldurchdachten Strategie, welche allen politischen Widerständen zum Trotz durchgezogen worden sei. Im Unterschied zum Kanton Schaffhausen, wo die Regierung sogar über einen gesetzlichen Auftrag zur Verhinderung von Atommüll-Endlagern verfüge, habe die damalige Nidwaldner Regierung aus pekuniären Interessen der Nagra angeboten, im Kanton Probebohrungen für ein Endlager durchzuführen. Und dieser Verrat der Regierung habe dann die Bevölkerung zum Widerstand wachgerüttelt und rechtzeitig geeint.

 Sozioökonomische Auswirkungen

Die sozioökonomischen Auswirkungen seien für die fast ausschliesslich vom Tourismus abhängige Region unbezifferbar gewesen. Die im ganzen Tal an den Bergflanken angebrachten Widerstandsparolen wie "Hütet Euch am Wellenberg" oder "Atommühl im Wellenberg: nie" seien auch vom Tourismus mitgetragen worden, zumal langjährige Feriengäste sogar den Grossteil der finanziellen Mittel für den Widerstand aufgebracht hatten Das Wellenberg-Widerstandsmodell sei nicht auf Schaffhausen übertragbar Doch empfahl Fuchs den Schaifhau senil, unbedingt den Rheinfall als Scharnier zwische4 den Atommüll-Endlagern Benken und Südranden klug in den Widerstand einzubringen.

 Startmoderator vom Südranden

Etwas nüchterner zu und her ging es dann bei der von Othmar Schwank präsentierten Funktion als sogenannter Startmoderator im Rahmen des vom Bundesamt für Energie vorgegebenen Partizipationsverfahrens bei der Standortevaluation für ein Endlager Beim nach wie vor reichlich undurchsichtigen Sachplanverfahren kritisierte er insbesondere den viel zu engen Zeitrahmen und die fehlende Möglichkeit für die Bevölkerung, bei sicherheitsrelevanten Fragen mitzureden. Während der Opalinuston als Lagergestein wissenschaftlich unbestritten sei, zeitige das vorgängige Handling des Atommülls noch viel zu viele Unsicherheiten. Schwank plädierte deshalb vehement für eine Zwischenlagerung von Atommüll in bestehenden Stollen.

 Diese Argumentation wurde denn auch von Daniel Leu, Fachbereichsleiter Tiefenlager radioaktive Abfälle des interkantonalen Labors, unterstützt. Dabei sprach er sich ebenfalls klar für eine gewährleistete Rückholbarkeit von Atomabfällen aus. Leu unterstützte auch die von Schwank geforderte Einführung alternativer Energien zur Eindämmung des nach wie vor anfallenden Atommülls. Diese Vorgehensweise wurde dann auch in der anschliessenden Diskussion klar unterstützt.

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Thurgauer Zeitung 10.11.10

Bedenken zum Endlager: Anhörung läuft noch

 Barbara Hettich

 Bis Ende November läuft noch die öffentliche Anhörung zur 1. Etappe des Standortauswahlverfahrens für die Lagerung radioaktiver Abfälle. Die Gemeinde Schlatt werde ihre Bedenken anmelden, sagt Gemeindeammann Kurt Engel.

 SchlatT - Die Unterlagen wiegen mehrere Kilos und wer sich intensiv mit der 1. Etappe des Standortauswahlverfahrens eines geologischen Tiefenlagers auseinandersetzen will, sollte dafür mehrere Tage einrechnen. Allein der technische Bericht der Nagra (Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle), die im Auftrag des Bundes Standorte untersucht hat und abschliessend sechs mögliche Standorte vorschlägt, ist über 400 Seiten stark. Dazu kommen folgende Gutachten und Stellungnahmen:

 • Sicherheitstechnisches Gutachten des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats Ensi (192 Seiten)

 • Stellungnahme zur Sicherheit und bautechnischen Machbarkeit von der Kommission Nukleare Entsorgung KNE (103 Seiten)

 • Beurteilung der Sammelprofile und der hergeleiteten Wirtgesteine von Swisstopo (46 Seiten)

 • Stellungnahme der Eidgenössischen Kommission für nukleare Sicherheit KNS zum Gutachten des Ensi (50 Seiten)

 • Zwei Berichte des Bundesamtes für Raumentwicklung ARE zu den Entwürfen der Planungsperimeter (54 Seiten) und zur raumplanerischen Beurteilungsmethodik für den Standortvergleich (112 Seiten)

 • Stellungnahme zur 1. Etappe vom Ausschuss der Kantone (60 Seiten)

 • Zwei Berichte vom Bundesamt für Energie BfE, Ergebnisbericht (23 Seiten) und Erläuterungsbericht (27 Seiten)

 Die Unterlagen liegen in der Staatskanzlei in Frauenfeld und auch auf der Gemeindeverwaltung Schlatt öffentlich auf. In Schlatt, weil die Gemeinde durch den Standort "Zürcher Weinland" am Rande direkt betroffen wäre.

 Ist der Laie mit einer solchen Flut von Informationen überfordert? Ja, sagt Gemeindeammann Kurt Engel. Das Standortauswahlverfahren sei ein sehr komplexes Verfahren und der Bund habe bislang sehr offen kommuniziert. Dazu gehöre eben auch, dass sämtliche Unterlagen öffentlich aufgelegt werden. Man wolle sich nicht dem Vorwurf aussetzen, es werde etwas verschwiegen. Zudem gebe es Fachleute, die es schätzen, wenn umfassend dokumentiert werde.

 Jeder kann schreiben

 Von der Komplexität der Unterlagen sollten sich die Bürger aber nicht einschüchtern oder entmutigen lassen, sagt Kurt Engel: "Jeder Verein, jede Privatperson kann dem Bundesamt schreiben, welche möglichen Folgen ein Endlager für sie hätte." Auch die Gemeinde Schlatt werde ihre Bedenken einbringen, sagt der Gemeindeammann. Bislang sei das Standortauswahlverfahren fair verlaufen. Man werde weiter darauf achten, dass die radioaktiven Abfälle dort gelagert werden, wo sie auch am sichersten sind, politisches Kalkül dürfe keine Rolle spielen. Diesbezüglich könne er die Proteste in Deutschland gut nachvollziehen. Denn mittlerweile sei erwiesen, dass sich Opalinuston als Wirtgestein besser eigne als der Salzstock in Gorleben. "Ich habe lieber ein sicheres Endlager vor der Haustür, als ein unsicheres nur wenige Hundert Kilometer entfernt", so Engel.

BARBARA HETTICH

 Stellungnahmen

 Bis 30. November an Bundesamt für Energie, Herr Omar El Mohib, 3003 Bern.

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St. Galler Tagblatt 10.11.10

"Es gibt viele falsche Überzeugungen"

 Die Stadt St. Gallen stimmt über den Atomausstieg ab, in Deutschland hingegen werden AKW-Laufzeiten verlängert. Der HSG-Energieexperte Rolf Wüstenhagen erklärt, wie realistisch ein Atomausstieg ist - und was er mit einem Orientierungslauf zu tun hat.

 Herr Wüstenhagen, Basel und Zürich wollen zukünftig auf Atomstrom verzichten, Bern und St. Gallen stimmen über einen Ausstieg ab. Eine Entwicklung, die Sie freut?

 Rolf Wüstenhagen: Was mich vor allem freut: Das Thema erneuerbare Energien ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Dies zeigen Umfragen bei Energiekonsumenten, dies zeigt aber auch die Zustimmung des St. Galler Stadtparlaments zum Gegenvorschlag zur Atomstrom-Initiative.

 Atomstrom hat aber auch Vorteile: Er ist der sichere Wert im Strommix vieler Städte und er ist CO2-neutral. Ist ein Ausstieg überhaupt nötig?

 Wüstenhagen: Den Vorteilen stehen Risiken gegenüber. Die Investitionskosten für neue Kraftwerke sind sehr hoch, das Risiko des Unfalls ist da, mit der Endlagerung muten wir zudem kommenden Generationen einiges zu. Dazu kommt die Gefahr von Missbrauch der Kernenergie. In der internationalen Diskussion wird es immer schwieriger, gewissen Ländern wie Iran aus politischen Gründen Kernkraft zu verbieten. Das birgt grosse Gefahren.

 Müssen wir sofort aussteigen? Wir können auch warten, bis die Uranvorkommen in 40 bis 60 Jahren ohnehin zur Neige gehen.

 Wüstenhagen: Es geht ja bei der Abstimmung nicht um den sofortigen Ausstieg, sondern um die Beteiligung an neuen Kraftwerken. Warum heute in etwas investieren, wofür es absehbar bessere Lösungen gibt? Solar- und Windenergie erstarken so rasant, dass sie bald wettbewerbsfähig sein werden. Die Windenergie-Erzeugung wächst mit 30 Prozent jährlich, dies seit 20 Jahren. Ähnlich ist die Situation bei der Solarenergie: Das Elektrizitätswerk Zürich zahlte für die Kilowattstunde Solarstrom vor eineinhalb Jahren noch 60 Rappen, heute bekommt es wesentlich günstigere Angebote. Die St. Galler Stadtwerke hingegen verrechnen mir die Kilowattstunde immer noch für einen Franken. Wenn sich dies ändert, muss man den Leuten die Atomkraftwerke nicht mehr verbieten.

 Sie setzen also auf eine automatische Ablösung des Atomstroms durch wettbewerbsfähige erneuerbare Energien und sind gegen einen "erzwungenen" sofortigen Atomausstieg, wie ihn die Initiative in St. Gallen verlangt?

 Wüstenhagen: Dass in der Initiative die Grundsatzfrage gestellt wird, ob die Beschaffungspolitik der Stadt mit der Geschwindigkeit des Wandels im Energiemarkt Schritt hält, finde ich nachvollziehbar. Die Frage ist hier: Braucht's einen "Schubs" oder läuft der Umstieg von selbst? Die Innovationsforschung spricht von einer "Pfadabhängigkeit": Wenn ein Unternehmen auf einem bequemen Weg unterwegs ist, kann ein Impuls Sinn machen, um es davon abzubringen. Ich mache Orientierungslauf: Auch hier macht sich dieses Phänomen bemerkbar. Liegt ein Posten auf einer Anhöhe abseits des Wegs, braucht es einen bewussten Impuls, dass man nicht dem bequemen, breiten Weg folgt und das Ziel aus den Augen verliert.

 Die Initiative wäre also ein "Schubs" in die richtige Richtung?

 Wüstenhagen: Befindet sich ein Unternehmen in einer Pfadabhängigkeit, kann es hilfreich sein, wenn jemand Leitplanken gibt. Ein gutes Beispiel ist Zürich: Das politisch formulierte Ziel in der Stadt, sich in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft zu bewegen und auf Atomstrom zu verzichten, hat eine grosse Dynamik ausgelöst. Zürich tätigte in kurzer Zeit Investitionen in deutsche Windparks, die schon jetzt so viel Strom produzieren, wie 49 000 Haushalte verbrauchen.

 Der Gegenvorschlag des St. Galler Stadtparlaments gibt als Ziel den Ausstieg per 2050 vor. Ebenfalls ein gangbarer Weg?

 Wüstenhagen: Es ist ein Abwägen: Welchen Ausstiegsmoment zwischen heute und 2050 hält man für richtig? Wenn eine Stadt aber weiss, wohin sie will: Warum geht sie auf Umwegen zum Ziel? Nehmen wir die Geothermie als gutes Beispiel: Zunächst wollte die Stadt Wärme mit einem Gaskraftwerk gewinnen, dieses dann später mit Geothermie ersetzen. Dann hat man sich gefragt: "Warum überhaupt dieser Umweg?" und hat direkt das Geothermie-Projekt aufgegleist. Es gibt einen Kontrast zwischen dieser mutigen Herangehensweise im Wärmebereich und derjenigen im Strombereich.

 Aber der Strom würde wohl teurer, wenn die Stadt auf Atomstrom verzichtet.

 Wüstenhagen: In diesem Argument stecken Annahmen. Fährt die Stadt wirklich günstiger, wenn sie lange auf einen Atomstrom-Ausstieg wartet? Sie kommt zwar in den nächsten Jahren in den Genuss der heutigen Konditionen. Je früher sie sich aber um Beteiligungen an erneuerbarer Energien bemüht, desto grösser ist die Chance, dass sie gute Verträge abschliessen kann. Je mehr Städte nachziehen, desto knapper werden die Angebote. Der ideale Ausstiegszeitpunkt muss vor diesem Hintergrund abgewägt werden.

 Er könnte im Jahr 2050 liegen…

 Wüstenhagen: …oder auch wesentlich früher. Es wird sich schon in einigen Jahren die Frage stellen, was man mit auslaufenden AKW-Verträgen macht. Wenn man sich wieder an einem AKW beteiligt und dies wieder mit dieser langen Perspektive macht, dann wird man 2048 wieder am gleichen Punkt wie heute stehen.

 Nun behaupten aber Gegner, dass ein Atomausstieg einer kleinen Stadt wie St. Gallen nicht viel bewirkt. Die Signalwirkung sei klein, zudem würden dann ganz einfach andere Gemeinden den Atomstrom beziehen.

 Wüstenhagen: Im Strommarkt spielt Angebot und Nachfrage wie in anderen Bereichen. Immer mehr Kunden wollen erneuerbare Energien. Die Frage für eine Stadt muss sein: Wo kriege ich in Zukunft Strom her, der preiswert und umweltverträglich ist? Eine Stadt muss es nicht kümmern, wie der Atomkraftwerk-Betreiber seinen Strom los wird.

 Sie haben die schnelle Entwicklung bei der Solarenergie angesprochen. Solarstrom kann aber - zum Beispiel im Winter und bei Dunkelheit - die entscheidende Grundlast nicht tragen.

 Wüstenhagen: Das ist richtig, aber wenn man den Mix verschiedener erneuerbarer Energien anschaut, sieht es anders aus. Wind- und Sonnenenergie ergänzen sich gut. Biomasse und Geothermie produzieren rund um die Uhr Strom. Und die Schweizer Wasserkraft kann die verbleibenden Schwankungen ausgleichen. Wichtig ist es, das Strom-Portfolio einer Stadt langfristig auf den Strommix der Zukunft auszurichten.

 Windenergie hat einen grossen Nachteil: Windturbinen sind nicht sehr schön anzusehen. In der Schweiz ist zudem der Platz knapp.

 Wüstenhagen: Bei der Ästhetik von Windturbinen gehen die Meinungen auseinander, das stimmt. Aber es gibt in der Schweiz gute Windenergie-Projekte, eines zum Beispiel im Wallis in Collonges, ein anderes im Jura. Auch auf dem Gotthard ist einiges geplant. Für die Schweiz sehe ich aber auch grosse Chancen bei der Solarenergie: In den Alpen ist die Sonneneinstrahlung stark. In St. Antönien gibt es zum Beispiel ein interessantes Pionierprojekt: Lawinenverbauungen werden mit Solarmodulen versehen. Der Weg führt in der Schweiz zudem über Geothermie und Häuser, die mehr Energie liefern als sie brauchen. Diese "Plusenergiehäuser" gibt es schon heute. Es spricht vieles dafür, Solarenergie "vor Ort" zu produzieren.

 Nicht alle sind so optimistisch wie Sie. Ein schneller Atomausstieg ist für viele eine Träumerei.

 Wüstenhagen: Es gibt in der Energiebranche viele langgehegte Grundüberzeugungen, die sich in der Vergangenheit bewährt haben. Seit einigen Jahren ist aber ein enormer Wandel im Gang. Wenn man's vertiefter anschaut, tun sich sehr viele Möglichkeiten auf. Positiv ist, dass es immer einfacher wird, Fortschritte zu sehen. Im Zug spiele ich oft ein Spiel mit meiner Tochter. Was sieht man beim Vorbeifahren mehr: Rote Autos oder Solardächer? Das Verhältnis bewegt sich immer mehr zugunsten der Sonnenenergie. Zwischen Friedrichshafen und Ulm hält es sich schon heute die Waage, auf dem Weg von St. Gallen nach Zürich noch nicht. Auch das kann sich schnell ändern.
 
Ralf Streule

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 Person

 Rolf Wüstenhagen

 Der Professor für Management erneuerbarer Energien ist einer der Direktoren des Instituts für Wirtschaft und Ökologie an der HSG. Seine Forschung widmet sich dem Entscheidungsverhalten von Energie-Investoren und -Konsumenten im Zusammenspiel von Markt und Politik. Er war von 2004 bis 2010 Mitglied der Eidgenössischen Energieforschungskommission und vertritt die Schweiz im Leitautorenteam des Weltklimarats für einen Sonderbericht über die Rolle erneuerbarer Energien für den Klimaschutz. Er hat an Universitäten in Kopenhagen, Vancouver, Lissabon und Helsinki doziert.

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"Wird originelle Aktionen geben"

 Der Abstimmungskampf um die Atomstrom-Initiative ist lanciert, aber dennoch nicht richtig aus den Startlöchern gekommen. Die Komitees haben aber noch "geheime" Trümpfe in den Ärmeln.

 In zweieinhalb Wochen stimmen St. Gallerinnen und St. Galler über die Initiative "Stadt ohne Atomstrom" ab. Bei einem Ja wird die Stadt beauftragt, aus laufenden Atomstrom-Verträgen auszusteigen, bei einem Nein sind Verlängerungen von AKW-Verträgen bis auf weiteres möglich. Und bei der Annahme des Gegenvorschlags des Stadtparlaments wird sich die Stadt zum Ziel nehmen, bis 2050 atomstromfrei zu sein - bei dieser Ausgangslage und einer derart von Ideologien triefenden Grundsatzdebatte müsste der Abstimmungskampf eigentlich toben.

 Kaum öffentliche Diskussionen

 Tut er aber nicht. Im Vergleich zur heissumkämpften Städte-Initiative von Anfang Jahr scheinen die Komitees dieses Mal um einiges kleinere Brötchen zu backen. Ein Indiz sind die spärlichen Leserbriefe, ein weiteres die wenigen öffentlichen Diskussionsveranstaltungen zur Abstimmung in der Stadt. Im Stadtbild sind seit vergangener Woche immerhin die Plakate des Nein-Komitees zu sehen.

 Dass bis jetzt weniger Feuer im Abstimmungskampf ist, hat laut SP-Co-Präsident und Ja-Komitee-Mitglied Felix Birchler mit der Konstellation der Lager zu tun. "Zuerst musste man sich finden", sagt er. Lange sei unklar gewesen, wer dem Nein-Komitee angehöre und wie argumentiert werde. Zudem habe sich bei der Städte-Initiative stark ausgewirkt, dass sich die nationale "Umverkehr"-Organisation finanziell am Abstimmungskampf beteiligt habe. Doch auch diesmal sei vom Ja-Komitee noch mit Plakaten zu rechnen. Zudem werde es noch Strassenaktionen geben. Wie genau diese aussehen wird, könne er noch nicht sagen, aber "sicher etwas Originelles".

 Nein-Komitee ist auch bereit

 FDP-Stadtparlamentarier Roger Dornier, Mitglied des Nein-Komitees, führt den bisher ruhigen Abstimmungskampf ebenfalls auf die späte Formierung der Abstimmungslager zurück. Auch er verspricht noch Aktionen auf der Strasse. Doch auch hier heisst es: Genauere Infos folgen. (rst)

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Bund 9.11.10

Leben und Sterben mit der Schweiz

 Jenseits der Grenze, im deutschen Jestetten, formiert sich der Widerstand gegen das nur wenige Kilometer entfernte "Atommülllager Zürich", im unmittelbar betroffenen Zürcher Weinland hingegen ist es ruhig.

 René Donzé

 Das Plakat hängt im deutschen Altenburg, zwei Autominuten von der Zürcher Gemeinde Rheinau entfernt. "Atommüll-Endlager am Rheinfall?", steht in fetten schwarzen Lettern auf giftig gelbem Grund. Im Oktober hingen noch mehr solcher Transparente entlang der deutschen Strassen im grenznahen Raum. In der Zwischenzeit sind viele entfernt worden. Vorübergehend. "Das Gesetz erlaubt uns solche Plakate nur im Zusammenhang mit Veranstaltungen", sagt Markus Weissenberger, Vorsitzender der Grünen von Jestetten/Altenburg, der grenznahen Gemeinde mit 5000 Einwohnern. "Aber wir suchen nach Lösungen, um unseren Protest besser sichtbar zu machen."

 Die Opposition ist in Jestetten nicht bloss visuell präsenter als im Kanton Zürich, auch die Wortwahl ist schärfer. Weissenberger spricht nicht von einem Tiefenlager im Weinland oder im Randen oder bei den Lägern (vgl. Grafik und Kasten). Er spricht vom "Atommülllager Zürich". Und er sagt: "Ich hoffe, es wird den Zürchern bewusst, dass sie sich ein Problem einhandeln, wenn bei ihnen eine solche Anlage gebaut wird."

 "Mir ghöret doch zäme"

 Auch seine Heimat wäre betroffen, wenn die Nagra tatsächlich ein paar Kilometer weiter südlich Atommüll im Boden vergraben würde, sagt Weissenberg: Die Wirtschaft geriete ins Stocken, der Tourismus würde leiden. Ein Unfall so nahe am Rhein - der Wasserschlagader Europas - hätte ungeheure Auswirkungen. "Wir leben und sterben mit der Schweiz", sagt der Familienvater, der seit Geburt in Jestetten lebt und als Mechatroniker in Winterthur arbeitet: "Mir ghöret doch zäme."

 Die Deutschen sorgen sich mehr als die Schweizer und machen ihren Sorgen lautstark Luft. Vor zwei Jahren, als in Benken eine grosse Demonstration stattfand, waren sie in der Überzahl. Sogar aus dem niedersächsischen Gorleben - dem Mekka der deutschen Anti-Atombewegung - fuhren Busse vor. Unlängst demonstrierten 400 Personen vor der Jestetter Gemeindehalle, als dort das Schweizer Bundesamt für Energie (BFE) eine Informationsveranstaltung durchführte. Die Fragen am Schluss der Veranstaltung wollten kein Ende nehmen. Und jetzt formiert sich die überparteiliche Jestetter Bürgerinitiative Hochrhein Aktiv.

 "Die Planung ruft Ängste in der Bevölkerung hervor", sagt Ira Sattler, die Bürgermeisterin von Jestetten. Die parteilose Frau spricht leise und wählt ihre Worte mit Bedacht. Als Profipolitikerin sitzt sie einem 18-köpfigen, mehrheitlich bürgerlichen Gemeinderat vor, der Position gegen das Endlager bezieht. Jestetten wird von drei möglichen Standorten in die Zange genommen. "Das Atommüll-Tiefenlager ist gar keine richtige Entsorgung, sondern eine Deponie", sagt sie. "Das Wort Entsorgung vermittelt den Eindruck, das Problem sei gelöst, doch das ist nicht der Fall." Natürlich müsse eine Lösung für den radioaktiven Abfall gefunden werden. Aber Sattler argwöhnt, dass es der Schweiz pressiere, "um wieder neue Atomkraftwerke bauen zu dürfen".

 Sie kritisiert, dass das "ob und wie" der Entsorgung bereits feststeht und die Mitwirkung der betroffenen Regionen einzig die Oberflächenanlagen betrifft. Das Standortauswahlverfahren sei bloss ein "Feigenblattverfahren", dessen Ergebnis eigentlich schon feststehe. "Die Sache wurde falsch aufgezäumt." Zuerst wurde in Benken gebohrt, dann der dortige Untergrund für geeignet befunden und mit dem Entsorgungsnachweis genehmigt. Erst danach wurden mit dem Sachplanverfahren noch andere Standorte ins Spiel gebracht: "Es müsste doch mit dem Teufel zugehen, wenn nicht am Schluss Zürich Nordost als beste Lösung bezeichnet würde."

 Zürich Nordost ist vor allem Benken im Weinland. Von Jestetten aus sind das zehn Kilometer. Die Fahrt im Auto geht über eine gedeckte Holzbrücke, durch das pittoreske Rheinau, wo eine Schweizer Fahne deutlich macht, in wessen Landen man sich nun bewegt. Die Strasse führt vorbei an der Stelle, wo die Nagra 1995 Probebohrungen durchgeführt hat. Zeichen des Protestes sind nicht zu sehen. "Das Tiefenlager war in der Bevölkerung noch gar nie richtig ein Thema", sagt Verena Strasser (SVP), Präsidentin der 770-Seelen-Gemeinde Benken. An der Veranstaltung des Bundesamts für Energie in Trüllikon habe sie kaum Mitbürger gesehen, und auch an der Demo 2008 hätten nur wenige teilgenommen.

 Warum? "Vielleicht, weil wir es gut gemacht haben mit der Information", sagt Strasser. Sie ist auch Präsidentin des Forums Opalinus, das die Gemeinden Benken, Marthalen und Trüllikon 2002 gegründet haben. "Wir pflegen ein neutrales Verhältnis zur Endlager-Frage", sagt sie. Es gehe um Information, nicht um Opposition. Laut einer von der Nagra finanzierten Studie hätten 2005 knapp zwei Drittel der Weinländer ein Endlager in der Region akzeptiert, wenn auch viele mit "ungutem Gefühl". Angst hatten die Leute primär vor einer Polarisierung wie in Gorleben. In den deutschen Nachbarorten war die Ablehnung grösser (vgl. Grafik).

 Verena Strasser sagt, die Schweiz habe nun einmal den radioaktiven Abfall produziert und müsse jetzt dafür eine Lösung finden. Ein nach heutigem Wissen sicheres Lager unter dem Boden sei ihr lieber, als wenn das Problem exportiert werde. "Wir schauen dem Zeugs besser selber", sagt die Hausfrau und Bäuerin. In einem Punkt ist sich die Benkemer Gemeindepräsidentin aber mit ihrer Jestetter Amtskollegin einig: Man hätte von allem Anfang an verschiedene Standorte evaluieren müssen "und sich nicht auf Benken einschiessen dürfen".

 Ohne Vorschlaghammer

 Wer die Weinländer Endlager-Gegner sucht, wird bei den Behörden kaum fündig. Er landet im Ärztezentrum Marthalen, bei Jean-Jacques Fasnacht, Co-Präsident von Klar Schweiz. "Die Opposition lebt sehr wohl", diagnostiziert er. "Aber wir schlagen nicht mit dem Vorschlaghammer drein." Seit 16 Jahren schon leistet Klar Schweiz Widerstand gegen die Nagra-Pläne. Im Weinland, wo zwei Drittel der Stimmberechtigten bürgerlich und vor allem SVP wählen, hätten Linke und Grüne aber einen schweren Stand, sagt Fasnacht. "Eine Fundamentalopposition wäre kontraproduktiv."

 Als Kampftruppe sorgen im Weinland ein paar junge Aktivisten des Strahlenbundes für Farbtupfer - etwa wenn sie illegal Vogelscheuchen und Kreuze entlang der A4 aufstellen. Klar Schweiz jedoch marschiert durch die Instanzen. Fasnacht will, dass am Ende in jeder Gemeinde die Bevölkerung sagen darf, wie sie zum Endlager steht. Er nennt das Kantonsparlament von Schaffhausen als Vorbild, das unlängst die Opposition gegen ein Endlager in der Nachbarschaft im Gesetz verankert hat. "Im Weinland wäre ein solches Plebiszit vor zehn Jahren noch negativ ausgefallen", sagt er. Jetzt aber steige die Skepsis mit zunehmender Information. "Die Opposition wird sich auch bei uns verdichten", sagt Fasnacht. Die grenzüberschreitende Zusammenarbeit werde gepflegt, er brauche aber keine Nachhilfe von deutscher Seite: "Wir sind demonstrationstechnisch auf der Höhe. Und wir werden unsere Sache auch knallhart durchziehen."

 Weitere Berichte Seite 5

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 Sechs mögliche Standorte

 Der Bundesrat muss entscheiden

 Die deutsche Gemeinde Jestetten sieht sich gleich von drei möglichen Standorten für ein Atomendlager in der Schweiz umgeben. Am längsten im Gespräch ist das Gebiet "Zürich Nordost" im Zürcher Weinland, das seit dem Entsorgungsnachweis 2002 als geeignet gilt. Ebenfalls infrage käme aus Sicht der Nagra auch "Nördlich Lägern" im Zürcher Unterland. In diesen zwei Gegenden könnte ein Endlager für hoch radioaktive Abfälle (HAA), aber auch für schwach- und mittelaktive Abfälle (SMA) gebaut werden. Im Südranden im Kanton Schaffhausen wäre ein SMA-Lager denkbar. Als weitere Standorte in der Schweiz gelten der Bözberg (AG), der Wellenberg (NW, OW) und der Jura-Südfuss (SO, AG).

 Derzeit läuft ein Anhörungsverfahren bei Behörden und Verbänden, zu dem auch die betroffenen deutschen Gemeinden eingeladen sind. Voraussichtlich Mitte 2011 wird der Bundesrat entscheiden, welche Standortgebiete im Auswahlverfahren bleiben. Bis 2014 sollen mindestens zwei Standorte pro Lagertyp festgelegt werden, die dann bis 2019 vertieft untersucht werden. Erst danach kann die Nagra das Rahmenbewilligungsgesuch einreichen. (rd)

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"Wir dürfen den Nachkommen nicht ungelöste Probleme hinterlassen"

 BDP-Stadträtin Sonja Bietenhard erklärt, warum ihre Partei den Atomausstieg der Stadt Bern bis 2039 unterstützt, einen schnelleren Ausstieg gemäss der Initiative "Energiewende Bern" aber ablehnt.

 Interview: Simon Thönen

 Bei den zwei Energievorlagen werben die meisten Stadtparteien für ein doppeltes Ja oder ein doppeltes Nein. Die BDP sagt Nein zur Energiewende-Initiative und Ja zum Gegenvorschlag - weshalb?

 Wir unterstützen das Anliegen von "Energiewende Bern": dass das stadteigene Werk EWB nur noch in erneuerbaren Strom investiert und die AKW- Beteiligungen aufgibt. Wir finden es aber abenteuerlich, dies bereits bis 2030 zu tun, wie es die Initiative fordert. Der Gegenvorschlag sieht eine Frist bis 2039 vor. Die zusätzlichen neun Jahre ermöglichen es, die Beteiligung von EWB am Kernkraftwerk Gösgen auszuschöpfen. Ein schnellerer Ausstieg würde uns 350 Millionen Franken kosten - dieses Geld würden wir lieber in erneuerbare Energien investieren.

 Dies ist die Position des Gemeinderats und des CVP-Energiedirektors Reto Nause. Dennoch sind BDP und CVP nun die einzigen bürgerlichen Parteien, die den Atomausstieg bis 2039 unterstützen.

 Da müssen wir präzisieren: Wir unterstützen den Atomausstieg bis 2039 für die Stromversorgung der Stadt Bern. Dies ist noch keine grundsätzliche Position zur Kernenergie. Wir sind dafür, dass die bestehenden Kernkraftwerke weiter genutzt werden. Wir sehen aber auch die Probleme. So ist die Endlagerung von atomaren Brennstäben nach wie vor ungelöst. Wir dürfen in Bern nicht die Hände in den Schoss legen, sondern müssen ein Zeichen setzen: EWB soll in erneuerbare Energien investieren. Die nationale Energiestrategie ist ein anderes Thema, zu dem wir uns noch nicht geäussert haben. Ich kann mir gut vorstellen, dass die BDP Stadt Bern ein neues AKW Mühleberg unterstützt.

 Würde der Atomausstieg der Stadt Bern denn noch Sinn machen, falls vor den Toren der Stadt ein neues AKW in Mühleberg gebaut wird?

 Es ist durchaus möglich, dass ein kleinerer Stromversorger wie EWB eine Strategie verfolgt, die für sein Versorgungsgebiet gut ist. Auf nationaler Ebene reden wir von einer Versorgung in viel grösseren Dimensionen. Entscheidend wird sein, dass wir eine sichere Stromversorgung haben.

 Viele Stadtberner dürfte die Frage, ob sie erneut ein AKW in der Nachbarschaft haben, stärker beschäftigen als die EWB-Strategie.

 Die Ausstiegsstrategie von EWB ist sehr konkret, es geht um Investitionen, die nun getätigt werden sollen. Darüber entscheiden wir jetzt. Ob in Mühleberg wirklich ein neues Kernkraftwerk gebaut wird und ob die Endlagerung gelöst werden kann - diese Fragen werden uns bestimmt noch länger als ein Jahrzehnt beschäftigen. Es könnte ja auch sein, dass das Schweizervolk dereinst neue Kernkraftwerke ablehnt - dann hätten wir gar nichts. Dann würden wir in der Stadt Bern in zehn oder fünfzehn Jahren mit derselben Strategie beginnen, die wir heute schon starten können. Es geht auch um Verantwortung: Wir müssen der nachfolgenden Generation mehr hinterlassen als ungelöste Versorgungsfragen und Endlagerprobleme.

 Im Abstimmungskampf war die differenzierte Position der BDP-Stadtpartei bisher nicht sichtbar - dafür kämpft BDP-Grossrat Mathias Tromp für ein doppeltes Nein.

 Letzte Woche haben wir mit der CVP unser "Mitte-Komitee 2039" vorgestellt, am Donnerstag findet die Pressekonferenz dazu statt. Was die BDP-internen Differenzen und die unterschiedlichen Meinungen angeht: Wir sind eine liberale Partei und schreiben niemandem seine Meinung vor.

 Auf kantonaler Ebene ist die BDP pronuklear und via BKW-Verwaltungsratspräsident und BDP-Präsident Urs Gasche eng liiert mit der BKW. Wurde die Stadtpartei von dieser Seite unter Druck gesetzt?

 Was heisst Druck? Es gibt Leute innerhalb der Partei, die uns überzeugen wollen. Aber Druck anders als mit Argumenten, mit Fragezeichen oder mit hochgezogenen Augenbrauen verspüren wir nicht. Das muss man fairerweise sagen - und Druck anderer Art würde ich auch nicht akzeptieren.

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Regierung verlangt von BKW Mässigung

 Der Regierungsrat will den Energiekonzern BKW verpflichten, sich künftig bei Abstimmungen zurückzuhalten. Er ist bereit, eine entsprechende Motion von Nadine Masshardt (SP, Bern) anzunehmen. Der Regierungsrat solle sich dafür einsetzen, dass die BKW ihre finanziellen Beteiligungen in Abstimmungskampagnen und -komitees beende oder zumindest offenlege, forderte Masshardt. Schliesslich dürfe es nicht sein, dass Stromkonsumenten zum Beispiel AKW-Propaganda mit dem Begleichen ihrer Stromrechnung unterstützen müssten, schrieb Masshardt mit Blick auf die Abstimmung über den Ersatz des AKW Mühleberg am 13. Februar 2011.

 Unternehmen wie die BKW, die mehrheitlich in öffentlichem Besitz seien, sollten vor Abstimmungen grundsätzlich keine Informations- und Kommunikationsmassnahmen finanzieren, schreibt der Regierungsrat. Zulässig sei hingegen eine eigene Information, wenn sie sachlich und verhältnismässig sei. Im Fall von Mühleberg habe der Regierungsrat dem BKW-Verwaltungsrat bereits im April mitgeteilt, das er eine Einmischung in die anstehende kantonale Volksabstimmung ablehne.

 BKW-Sprecher Antonio Sommavilla sagte auf Anfrage, es gebe zur Mühleberg-Abstimmung keine aussergewöhnliche Finanzierung. Man wolle den eigenen Standpunkt via die existierenden Informationskanäle wie Kundeninformationen, die Firmen-Website und Medienmitteilungen einbringen. Die BKW richte ihre Information grundsätzlich nach den geltenden Informationsgesetzen und der Bundesgerichtspraxis. "Wenn jemand verfälschte Infos abgibt, werden wir reagieren. Wir haben das Recht, unseren Standpunkt darzulegen", fügte Sommavilla hinzu. Die BKW unterstütze aber keine Partei und keine Organisation finanziell. (sda)

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20 Minuten 9.11.10

Stromkonzerne im AKW-Streit

 BERN. Die BKW mischt sich mit einem Kampagnenbudget von 500 000 Franken in den Abstimmungskampf um das AKW Mühleberg ein. Diese Propaganda auf Kosten der Stromkonsumenten müsse unterbunden werden, fordert die SP per Vorstoss. Der Regierungsrat stimmt zu und setzt sich im BKW-VR ein, dass der Konzern nicht länger Volksentscheide beeinflusst. Ungerührt rührt EWB-CEO Daniel Schafer die Werbetrommel. Mit Gemeinderat Reto Nause plädiert er in einer Videobotschaft für den Atomausstieg.

http://www.ewb.ch/atomausstieg2039

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nzz.ch 9.11.10

Geheime Atommülltransporte durch die Schweiz

 Behörden verschweigen Zeitpunkt und Route von Fahrten bewusst

 Während in Deutschland praktisch jeder Castor-Transport von Massenprotesten begleitet wird, kommt es in der Schweiz kaum je zu Demonstrationen oder Blockaden von Atommüll-Transporten. Warum das so ist, hat einen einfachen Grund.

 Andrea Hohendahl

 Atomproteste, wie sie in Deutschland seit Jahren immer wieder vorkommen, gibt es in der Schweiz nicht. Dies hat einen einfachen Grund: Die Route und der Zeitpunkt dieser Fahrten bleiben geheim. In Deutschland erfährt jedoch die Öffentlichkeit den voraussichtlichen Termin und die Route der Strahlentransporte.

 Genehmigung einsehbar

 "Das sind Erfahrungswerte", sagt ein Aktivist. Dass dem so ist, bestätigt Anja Schulte-Lutz vom deutschen Bundesamt für Strahlenschutz: "Wir erteilen eine Transportgenehmigung für hochradioaktive Abfälle." Diese kommt laut Schulte-Lutz ins Internet. Die Protestgruppen wissen aus Erfahrung, dass die Castor-Transporte jeweils im Herbst stattfinden. "Wir tun dies der Transparenz wegen", sagt die Sprecherin vom Bundesamt für Strahlenschutz. Eine Verpflichtung bestehe nicht.

 Theoretisch wäre es auch in der Schweiz möglich, an die Daten der Atommüll-Transporte zu gelangen. Doch: "Dies ist für uns kein Schauplatz", sagt die Sprecherin von Greenpeace Schweiz, Franziska Rosenmund auf Anfrage. Anders als in Deutschland stünden der Schweiz demoratische Mittel zur Verfügung, um sich gegen Atomkraftwerke einzusetzen.

 Bei der Grünen Partei tönt es ähnlich. Der Fokus der politischen Protestbewegung in der Schweiz liegt auf dem Endlager für atomare Abfälle, sagt Miriam Behrens, Medienverantwortliche der Grünen Partei.

 Über Geheimhaltung erstaunt

 Daher erstaunt es auch nicht weiter, wenn das Bundesamt für Energie gegenüber der Sendung "10 vor 10" mitteilt, die Öffentlichkeit werde bewusst nicht über die Transporte mit atomaren Abfällen informiert. Laut der Sprecherin des Bundesamts, Marianne Zünd sind seit 2009 bereits zwei Transporte von La Hague in Frankreich nach Würenlingen ins Zwischenlager gelangt. Proteste und Kundgebungen fanden keine statt.

 Dennoch ist Grünen-Sprecherin Behrens überrascht, dass die Atommüll-Transporte in der Schweiz stattfinden, ohne dass die Bevölkerung auch nur im Geringsten über den Zeitpunkt und die Strecke orientiert wird. Bei Greenpeace sieht man dies gelassener. "In diesem Punkt üben wir Zurückhaltung", heisst es bei der Umweltorganisation. Frühere Aktionen, etwa   bei Verladestationen, sind laut Rosenmund auf wenig Resonanz gestossen.

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Südostschweiz 9.11.10

"Szenen wie in Deutschland sind hier undenkbar"

 Zweimal pro Jahr kommen Castor-Behälter aus Frankreich in die Schweiz. Proteste wie in Deutschland gab es aber zuletzt vor 20 Jahren.

 Von Roman Schenkel

 Bern. - "Pro Behälter so viel Strahlung wie in Tschernobyl", sprang gestern allen Besuchern der Website von Greenpeace Schweiz entgegen. Dazu ein Wärmebild des deutschen Castor-Zugs, welches die hohe Strahlung der Behälter aufzeigen soll. Nicht nur im Internet ist die Schweizer Sektion von Greenpeace aktiv: Eine Gruppe von 15 Schweizern ist nach Angaben der Umweltschutzorganisation sogar an die Demonstrationen gereist, um den Castor-Transport auf seiner Fahrt ins Zwischenlager Gorleben zu stoppen oder zumindest zu verlangsamen (siehe Kasten).

 Während die Proteste gegen Atommüll-Transporte in Deutschland so viele Demonstranten wie schon lange nicht mehr anziehen, wird in der Schweiz deswegen längst kein Aufstand mehr gemacht. Auch von Greenpeace nicht: "Wir akzeptieren die Zwischenlagerung von Atommüll in Würenlingen als kleineres Übel", sagt Stefan Füglister von Greenpeace Schweiz.

 Logische Folge der Atomkraft

 Wichtig sei, dass der hoch radioaktive Atommüll nicht mehr durch halb Europa gefahren werde, betont Füglister. "Wir können den Schweizer Atommüll nicht auf andere Länder abschieben", sagt er. Der Atommüll und das Zwischenlager seien die logische Folge, solange es in der Schweiz Kernkraftwerke gebe. "Für die nächsten 20 Jahre ist dies der gangbarste Weg, danach muss aber eine andere Lösung gefunden werden", sagt Füglister. Die Protestwelle in Deutschland erklärt er sich mit der Symbolkraft von Gorleben: "Gorleben ist der Fiebermesser der Anti-Atom-Bewegung Deutschlands." Der Ort sei stark verknüpft mit der Diskussion um ein Endlager. "Die Atomgegner gehen davon aus, dass aus dem Zwischenlager Gorleben nach und nach ein Endlager wird", sagt Füglister.

 Zwei Transporte in die Schweiz

 In der Schweiz gibt es pro Jahr mehrere Atommüll-Transporte ins Zwischenlager Würenlingen im Kanton Aargau. Sie bestehen aus radioaktivem Material der fünf Schweizer Kernkraftwerke oder aus radioaktiven Rückständen, die bei der Wiederaufbereitung in Frankreich anfallen. "2010 sind bisher zwei Transporte ins Zwischenlager gelangt", sagt Roland Keller, Mediensprecher des Zwischenlagers. "Im März kamen per Lastwagen 69 abgebrannte Brennelemente vom Kernkraftwerk Leibstadt, im April brachte ein Zug drei Castor-Behälter aus der französischen Wiederaufbereitungsanlage La Hague." Die Transporte seien ohne Zwischenfälle verlaufen. Szenen wie in Deutschland seien in der Schweiz "undenkbar", so Keller. 1990 hätten Greenpeace-Aktivisten zum letzten Mal versucht, einen Atommüll-Transport ins Zwischenlager aufzuhalten.

 Moratorium bis 2016

 Die Ausfuhr von radioaktiven Abfällen aus der Schweiz ist bis 2016 verboten. Bis dann gilt das Moratorium, das mit der Revision des Kernenergiegesetzes 2006 beschlossen wurde. "Die Exporte von radioaktivem Material, die vor dem Moratorium getätigt wurden, kommen nun nach und nach in die Schweiz zurück", erklärt Keller die Transporte aus dem Ausland. Bei der Wiederaufbereitung der Brennelemente fielen Rückstände an, welche die Schweiz zurücknehmen müsse, so Keller.

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 Die Schweizer sind "gekommen, um zu bleiben"

 Eine Gruppe von Schweizer Greenpeace-Aktivisten demonstriert gegen den Castor-Transport im niedersächsischen Gorleben.

 Von Sarah Weber

 Gorleben. - "Nein, Angst vor der Polizei haben wir keine", sagt die 24-jährige Michaela Lötscher aus Basel. Die Umweltaktivistin ist extra nach Deutschland gereist, um den Transport mit dem hoch radioaktiven Atommüll ins Zwischenlager in Gorleben zu blockieren. Nach den Ausschreitungen am Wochenende sei es jetzt auf der Strasse bei der Sitzblockade friedlich, erzählt Lötscher. Am Rande komme es zwar noch vereinzelt zu Übergriffen, die Blockaden verliefen bisher aber gewaltfrei. Die Demonstranten hätten sogar Flugblätter verteilt, auf denen sie Polizisten und Atomgegner zur Gewaltfreiheit aufriefen. Auch vom Nieselwetter lässt sich die Baslerin die Laune nicht verderben: "Wir sind ausgerüstet, haben warme Kleider und es wurden Wärmedecken verteilt. Zudem sitzen wir auf der Strasse auf Stroh."

 Jeden einzeln weggetragen

 Der Zug mit den elf Spezialbehältern wird seit Tagen durch Gleisblockaden immer wieder aufgehalten. Die Polizisten mussten die Atomgegner von den Gleisen wegtragen. Gestern kam dann der Zug mit einem Tag Verspätung bei der Verladestation in Dannenberg an. Darauf wurden die Castoren mit dem radioaktiven Müll auf Lastwagen umgeladen, damit sie die letzten 20 Kilometer bis zum Zwischenlager in Gorleben auf der Strasse zurücklegen können. Auf dieser Strasse werden die Transporter schon von den Demonstranten erwartet, die nicht vorhaben, das Feld freiwillig zu räumen: "Wir sind gekommen, um zu bleiben", hält Michaela Lötscher fest.

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Basellandschaftliche Zeitung 9.11.10

"Ist kein Journalist da, schlagen sie zu"

 Augenzeuge Basler Atomgegner berichtet über Demonstrationen gegen Castortransport nach Gorleben

Daniel Haller

 Im Landkreis Lüchow Dannenberg in Niedersachsen demonstrieren Tausende gegen Atommüll-Transporte ins Zwischenlager Gorleben. Die Basellandschaftliche Zeitung erreichte gestern Mittag den Basler Aktivisten Dominik - seinen vollen Namen möchte er nicht nennen - auf einer Kreuzung mitten in Dannenberg. Dort wurden die Castor-Behälter von der Bahn für die Fahrt nach Gorleben auf Lastwagen umgeladen.

 Seit wann sind Sie vor Ort und was haben Sie gemacht?

 Dominik: Seit Freitag bin ich hier und habe an Schienen- und Strassenblockaden teilgenommen.

 Wie ist die Stimmung?

 An dieser einfachen Kreuzung in Dannenberg stehen 14Polizeifahrzeuge. Wenn ich das ganze Polizei- und Armeearsenal hier sehe und bei den Einsätzen das tiefe Brummen der Helikopter höre, kommt mir der Bosnienkrieg in den Sinn.

 Ist das wirklich so militärisch?

 Die Polizei rollt bei Räumungen in Kolonnen mit 60 Polizeifahrzeugen an. Da sind nicht nur Wasserwerfer dabei, sondern auch Mowag-Räumungspanzer.

 Die Polizei kritisiert selbst die überlangen Einsätze. Entsteht da nicht auch angesichts gemeinsamen Schlafmangels und des für alle gleich kalten Wetters eine Art Schicksalsgemeinschaft?

 Nein, überhaupt nicht. Dazu ist ihr Vorgehen zu brutal.

 Die Polizei hat aber gesagt, sie würde auf die körperliche Unversehrtheit der Demonstrierenden Rücksicht nehmen.

 Sie geht sehr unterschiedlich vor. Sind Medien vor Ort, läuft es relativ zivilisiert ab. Ist aber kein Journalist da, schlagen sie mit erschreckender Rücksichtslosigkeit zu. Das moralisch Bedenklichste, was ich je erlebt habe, ist ein Polizeiangriff auf Sanitäter, die gerade dabei waren, Leute, die mit Pfeffersprayverletzungen am Boden lagen, zu versorgen. Eigentlich könnte die Polizei ruhig ihre Arbeit machen und die Leute einfach wegtragen. Aber ich habe gesehen, wie drei Frauen, die am Boden sassen und die Hände in die Luft streckten, einfach mit den Schlagstöcken niedergeknüppelt wurden.

 Bekommt man da nicht einfach Angst?

 Angesichts dieser Brutalität muss sich jede und jeder fragen, was überwiegt: Unsere Angst, einen bleibenden Schaden davonzutragen, oder der Wille, das Demonstrationsrecht auszuüben.

 Wo übernachtet man bei einer tagelangen Aktion, die im Freien bei Minustemperaturen stattfindet?

 Ich habe in Camps und bei Familien geschlafen, die spontan Demonstranten aufnehmen. Die Bevölkerung hilft mit Essen, warmem Tee, Unterkunft, übernimmt Shuttledienste und sucht Schleichwege für die Demonstranten, um ins militärisch abgeriegelte Gebiet zu kommen.

 Sie trägt also den Protest mit?

 An fast jedem Haus hängt das gelbe Kreuz als Symbol des Protests. Ich schätze, dass hier 80 bis 90 Prozent der Bevölkerung gegen das atomare Zwischenlager - das möglicherweise zum Endlager wird - und gegen die Castortransporte sind.

 Wie reagiert sie auf die Polizei?

 Das rücksichtslose Vorgehen des Staats löst zusätzliche Wut aus und wirkt traumatisch. So fragte gestern Morgen der Vater der Familie, bei der wir übernachten konnten: "Wie kann ich meinen Kindern beibringen, dass die Polizei im Alltag sinnvolle Aufgaben erfüllt, wenn sie sehen, wie die Polizei hier mit Panzern ankommt, um uns etwas aufzuzwingen?"

 Haben Sie auch mit Polizisten gesprochen?

 Ich habe versucht, mit einem Polizisten zu diskutieren. Er sagte, dass wir bald alle in ein Lager gesteckt und umerzogen würden. So eine Antwort weckt - ausgerechnet in Deutschland - böse Erinnerungen.

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10vor10 8.11.10

Schweizer Atommüll-Proteste möglich

Die wohl teuerste Bahnfahrt durch Deutschland kostet 40 Millionen Franken. 20'000 Polizisten bewachen den Castor-Transport. Die Demonstranten konnten mit den schwersten Protesten seit langem den Transport von Atommüll verzögern. "10vor10" wollte wissen, ob solche Aktionen auch in der Schweiz möglich wären.
http://videoportal.sf.tv/video?id=da6464a2-0249-45f2-ae82-744cdcb96257

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Migros Magazine 8.11.10

Reportage

 Au cœur de l'eldorado atomique

 La presqu'île d'Olkiluoto en Finlande est une place forte du nucléaire, en avance sur son temps et enviée de partout. Notamment par une Suisse qui songe à renouveler ses centrales et à creuser un emplacement en profondeur pour ses déchets.

 Sûrement de l'humour finlandais: une grande éolienne accueille le visiteur à l'entrée de la presqu'île d'Olkiluoto, qui abrite, sur 15 kilomètres carrés, tout de même deux centrales nucléaires, une troisième en construction, et bientôt une quatrième. Ainsi qu'un dépôt (lire encadré) pour les déchets faiblement et moyennement radioactifs.

 Bien qu'idyllique, au milieu des pins, face à la mer, l'endroit fait plutôt saliver les lobbys nucléaires que les voyagistes. C'est ainsi qu'en septembre dernier le Forum nucléaire suisse avait convié les médias à une petite visite, là-bas, dans cet eldorado atomique, à 270 kilomètres au nord-ouest d'Helsinki. Bien normal à l'heure où les discussions s'accélèrent sur le renouvellement des cinq vieilles centrales confédérales. Où, aussi, progresse la recherche d'un "site de dépôt en couches géologiques profondes" pour les déchets collatéraux.

 A Olkiluoto, la troisième centrale en construction - répondant au sobriquet attendu de "OL3" et capable de résister à l'impact d'un avion de ligne - n'est autre que le fameux EPR français nouvelle génération. Premier réacteur à eau sous pression de ce type construit dans le monde, sous la houlette d'Areva. Pas moins de 3500 personnes et 55 nationalités, 8 langues de travail sont à l'œuvre. A partir de 2013, la centrale devrait assurer une production nette de 1600 MW, soit le double de la plus grosse centrale suisse à Leibstadt. Ou encore davantage que Mühleberg et Beznau I et II réunies. Toutes des centrales de deuxième génération.

 Avec en sus la promesse, selon Jean-Pierre Mouroux, le responsable du projet OL3 chez Areva, "d'utiliser moins de combustibles et de produire moins de déchets". Comment dit-on "trop fort!" en finlandais? Sauf que, jusqu'ici, cet EPR a fait parler de lui par ses explosions de coûts - devisé à 3 milliards, il en coûtera au minimum 2 de plus - et ses 3 ans de retard sur les délais. De quoi perdre en rentabilité ce qui a été gagné en production.

 Une bataille devant les tribunaux

 Depuis, l'entreprise finlandaise TVO, commanditaire, et Areva en sont à se battre devant les tribunaux, histoire de savoir qui va payer l'ardoise. En gros, les Finlandais reprochent aux Français les retards importants pris dans la construction et les Français répliquent en accusant les Finlandais d'avoir lambiné à délivrer les autorisations nécessaires et octroyer une information suffisante aux fournisseurs et sous-traitants (plus de 1700).

 Dans une atmosphère qu'on pressent glaciale, Jean-Pierre Mouroux et Jouni Silvennoinen, responsable du projet OL3 chez TVO, s'accordent ce matin-là au moins sur une chose: les montants exacts en jeu sont désormais de l'ordre du "secret économique".

 Près de quatre ans de retard

 OL3 en tout cas aurait dû être livré clés en main au printemps 2009. Il ne le sera, au plus tôt, que fin 2012. Jean Puppin, responsable de la coordination technique du chantier pour Areva, raconte "être là depuis 2005". Avant, dans un sourire crispé, d'évoquer la date de son départ: "On verra bien, on ne fait plus de pronostics."

 En Suisse, l'Inspection fédérale de la sécurité nucléaire (IFSN) se montre d'autant plus attentive à ce qui se passe à Olkiluoto que l'intérêt de nouvelles centrales réside également dans l'implication des entreprises locales. Des séminaires d'information, des cours, des exemples de réglementation sont déjà mis sur pied dans le cas où le peuple, sans doute en 2013, se prononcera pour de nouveaux réacteurs. Axpo, BKW (Forces Motrices Bernoises) et Alpiq sont en tout cas sur les rangs.

 Les ratés de l'EPR finlandais sont évidemment pris comme argument par les adversaires d'un renouvellement du parc nucléaire suisse. Du côté des pro-nucléaires on rétorque que les retards pris par Areva sont surtout la conséquence d'une longue période où l'Europe n'avait plus bâti de centrales - en gros depuis Tchernobyl - et qu'il y avait une nouvelle expérience, un nouveau savoir-faire à acquérir. Le secrétaire du Forum nucléaire suisse, Roland Bilang, a ainsi salué les ingénieurs d'Areva à Olkiluoto en les qualifiant de "pionniers ayant pris des risques dont les autres profiteront".

 Une ONG critique la construction

 Une ONG comme "Sortir du nucléaire" affirme que les réacteurs de troisième génération seraient particulièrement dangereux du fait que le système de sécurité n'y est pas séparé du système d'exploitation, "un peu comme si dans une voiture les freins étaient dépendants du chauffage".

 Jörg Starflinger, de l'Institut de génie nucléaire de Karlsruhe - une structure cofinancée par Areva, - était invité comme expert par le Forum nucléaire suisse. Lui assure qu'au contraire les réacteurs de la troisième génération sont "plus sûrs que leurs prédécesseurs". Grâce notamment à "un récupérateur de surface, à l'intérieur du réacteur, dans lequel le cœur fondu pourrait être refroidi efficacement en cas de fusion accidentelle". Mieux: "Les effets seraient alors limités à la centrale elle-même." Croix de bois, croix de fer.  

Laurent Nicolet, de retour de Finlande

Photos Reuters / LDD

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 La grotte miraculeuse

 D'abord une route goudronnée en pente douce qui s'enfonce dans les profondeurs de la terre, puis, pour aller plus vite, des ascenseurs, qui conduisent le visiteur 60 mètres plus bas. C'est là que la société finlandaise Posiva Oy entrepose les déchets faiblement et moyennement radioactifs. Son directeur, Reijo Sundell, use d'un argument classique: les déchets prennent très peu de place. Sous nos pieds dorment ceux "des trente dernières années" avec encore suffisamment d'espace pour "ceux des trente prochaines". Le tout dans deux silos de 24 mètres de diamètre et de 34 mètres de profond.

 Tout cela n'est pourtant que rigolade. La grande affaire, ce sera, d'ici à 2020 et à 420 et 520 mètres de profondeur, l'achèvement d'un lieu de stockage définitif pour les déchets hautement radioactifs et entreposés pour l'heure, comme en Suisse, dans un dépôt intermédiaire.

 Au bout d'une galerie d'accès de 5,5 kilomètres, des forages de 8 mètres de profond seront pratiqués, où viendront prendre place, à la verticale, les containers de cuivre et d'acier d'un mètre de diamètre, recelant les déchets. L'espace vide entre la roche et les containers sera comblé par de la bentonite, "une cendre volcanique naturelle, spécialement traitée, étanche à l'eau".

 Le challenge de ce genre d'ouvrage est qu'effectivement aucune forme d'eau, à travers les millénaires, n'entre en contact avec les déchets. Reijo Sundell se montre catégorique: une telle installation résistera à des événements aussi extrêmes que des tremblements de terre et une calotte glaciaire qui recouvrirait la planète. Même assurance chez son homologue suisse Markus Fritschi, membre de la direction de la Nagra (Société coopérative nationale pour le stockage de déchets radioactifs): "Le problème du stockage des déchets en couches géologiques profondes est techniquement résolu." La Suisse a fait le choix de containers en acier qui seront enfouis non pas dans du granit comme à Olkiluoto, mais de l'argile à Opaline. Six sites sont encore sur les rangs pour accueillir dès 2030 les déchets faiblement et moyennement radioactifs et dès 2040 les déchets hautement radioactifs.

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Aargauer Zeitung 6.11.10

"Tiefenlager hier unerwünscht"

 Atommülldeponie Der Planungsverband Fricktal Regio hat seine Stellungnahme herausgegeben zur Vernehmlassung Sachplan geologisches Tiefenlager, Etappe 1. Daraus geht hervor, dass der Bau und Betrieb eines geologischen Tiefenlagers in der Region Bözberg mehreren regionalen Entwicklungszielen widerspricht: "Vor diesem Hintergrund ist ein geologisches Tiefenlager in unserer Region nicht erwünscht", heisst es in der von Planungsverbandspräsident Hansueli Bühler und Geschäftsführer Gerry Thönen unterzeichneten Stellungnahme. Zudem bestehe die Möglichkeit, dass die Bezeichnung "Bözberg" zu einem Symbol für Negatives werde, was die weitere positive Entwicklung der Region und der Gemeinden beeinträchtige. (az) Seite 30

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"Atommülldeponie in der Region unerwünscht"

Tiefenlager Fricktal Regio Planungsverband weist darauf hin, dass mehreren regionalen Planungszielen widersprochen wird

 Das Sachplanverfahren geologische Tiefenlager gewährleistet, dass die Standorte für geologische Tiefenlager in einem fairen, transparenten und partizipativen Verfahren evaluiert und bezeichnet werden. Der Planungsverband Fricktal Regio anerkennt die grossen Anstrengungen, die das federführende Bundesamt für Energie unternommen hat und unternimmt, um die Öffentlichkeit über das Sachplanverfahren geologische Tiefenlager im Raum Bözberg/Oberes Fricktal zu informieren.

 Aufgrund von Rückmeldungen aus den Mitgliedgemeinden und aus der Bevölkerung stellt der Planungsverband aber fest, dass im Zusammenhang mit der Vernehmlassung zur ersten Etappe des Sachplanverfahrens eine weitergehende Unterstützung hilfreich gewesen wäre. Namentlich eine zusammenfassende und auch für Laien verständliche Broschüre mit den wichtigsten Informationen zum Sachplanverfahren allgemein und zum Gegenstand der ersten Etappe speziell hätte den Menschen den Zugang zur komplexen Fragestellung und zu den umfangreichen Vernehmlassungsunterlagen erleichtert.

 Der Planungsverband Fricktal Regio hat im Rahmen eines breit abgestützten partizipativen Prozesses ein regionales Entwicklungskonzept (REK) erarbeitet und ist seit 2 Jahren daran, dieses umzusetzen. Mit der Unterzeichnung der Fricktal-Charta haben sich sämtliche Gemeinden unserer Region zu den im REK formulierten Zielen bekannt und den Willen zur gemeinsamen Umsetzung im Rahmen von Projekten erklärt. "Wir stellen fest, dass der Bau und Betrieb eines geologischen Tiefenlagers in der Region Bözberg mehreren regionalen Entwicklungszielen widerspricht. Vor diesem Hintergrund ist ein geologisches Tiefenlager in unserer Region nicht erwünscht", heisst es in der von Planungsverbandspräsident Hansueli Bühler und Geschäftsführer Gerry Thönen unterschriebenen Stellungnahme. Und weiter: "Wir anerkennen andrerseits die Notwendigkeit, die in der Schweiz aus der Energiegewinnung sowie aus Forschung, Technik und Medizin anfallenden radioaktiven Abfälle dauerhaft und sicher zu entsorgen und sind bereit, uns am Sachplanverfahren geologische Tiefenlager - namentlich an der regionalen Partizipation - zu beteiligen. Oberstes Ziel bei der Entsorgung radioaktiver Abfälle muss der dauerhafte Schutz von Mensch und Umwelt sein. Dieses Ziel ist nicht verhandelbar."

 "Bözberg" als Symbol für Negatives

 Die Bezeichnung des Standortgebietes beziehungsweise der Standortregion Bözberg steht für ein geografisches Gebiet, das in der Schweiz nicht zuletzt wegen der gleichnamigen Eisenbahn- und Autobahntunnel relativ bekannt und klar lokalisierbar ist. Es besteht die Gefahr, dass die Bezeichnung "Bözberg" im weiteren Verlauf des Sachplanverfahrens zu einem Symbol für etwas Negatives wird, was die weitere positive Entwicklung der Region und der betreffenden Gemeinden beeinträchtigt. Das gilt namentlich für die Gemeinden, die beabsichtigen, sich im Rahmen eines Fusionsprojekts zur Gemeinde Bözberg zusammenzuschliessen. Der Planungsverband Regio Fricktal unterstützt den Wunsch der betroffenen Gemeinden und beantragt für die Region Bözberg eine Bezeichnung, die keine klare geografische Zuweisung zulässt. Das Startteam der Plattform Bözberg wird in den nächsten Wochen nach geeigneten Alternativen suchen und dem Bundesamt für Energie Vorschläge unterbreiten.

 Beurteilung der Sicherheit

 Wichtigstes Kriterium für die Festlegung des Standortes für ein geologisches Tiefenlager für radioaktive Abfälle muss die Sicherheit sein. Der Planungsverband teilt die Beurteilung des Ausschusses der Kantone (AdK), dass eine vorschnelle sicherheitstechnisch-geologische Bewertung nicht akzeptabel ist. Die qualitative Bewertung der höchsten Langzeitsicherheit muss konsequent durchgeführt, mit etappengerechten erdwissenschaftlichen Grundlagen dokumentiert und nachvollziehbar dargelegt werden. Die Kriterien müssen nach ihrer Sicherheitsrelevanz gewichtet und bewertet werden.

 "Als regionaler Planungsverband sind wir weder fachlich noch zeitlich in der Lage, zu beurteilen, ob die sicherheitstechnische Überprüfung aktuell ausreicht, um die geologischen Standortgebiete bereits heute festzulegen. Wir fordern aber, dass die weiteren Abklärungen für alle Standortregionen auf den gleichen und untereinander vergleichbaren technischen Wissensstand gebracht werden. Es darf keinesfalls sein, dass ein Gebiet im Auswahlverfahren bleibt oder ausscheidet, nur weil hier mehr oder eben weniger geologische Fakten vorliegen als in anderen Gebieten. Ein solches Vorgehen widerspricht klar dem Anspruch, sich bei der Standortsuche nicht von weichen Faktoren, sondern vom Prinzip der Sicherheit leiten zu lassen. Wenn es um die Sicherheit geht, haben Zeit und Geld eine untergeordnete Rolle zu spielen", heisst es weiter in der von Hansueli Bühler und Gerry Thönen unterschriebenen Stellungnahme des Planungsverbandes. (az)

 Eine Broschüre mit Informationen zum Sachplanverfahren wäre für die Bevölkerung sehr nützlich gewesen.