MEDIENSPIEGEL 24.11.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Kino, Tojo, Rössli)
- Tour de Loraine 2011
- Squat BE: Kollektiv Moserstrasse in tha house
- RaBe-Info 19.-24.11.10
- Stadtratssitzung 25.11.10
- Knast-Soli: BZ erfindet 4. Gefangenen
- FAU: "Di Schwarzi Chatz" #9
- Unia: Desaster in Deisswil
- Freiraum SO: Regierung verteidigt schweigende Polizei
- Squat FR: Raie Manta besetzt weiter
- Squat VD: Ex-Squatter sollen blechen
- Squat GE: Sauvage in Bürokomplex
- Sans-Papiers: Polizeiangriff auf Autonome Schule ZH; Hubacher meint; Antirep-Demo Biel
- Big Brother Sport: Klubs solle für Hools in Zügen zahlen; Fanarbeit LU; Sanktionskatalog; Nause vs YB
- Sexwork: Bewilligungschaos; Freier TI; Sexwork SG; Sexwork BE
- Züri brännt: Jugendenunruhen als längste Party Zürichs
- Randstand Biel: Altstadtleist hetzt gegen Yucca
- Drogen: Kifferbussen SG; Suchtbericht BS
- Police CH: Grenzwachtkorps gegen Polizeimobbing; Bahnpolizei-Bewaffnung
- Big Brother: Staatsschutz SG;
- Anti-SVP: Müslüm im "Club"; Demo 28.11. ZH; Farbe für Schlüer
- Ausschaffungen: Rückführungsrichtlinie ab 1.1.2011; CH-Automatismus
- Deine Rechte: Anwalt der ersten Stunde
- Nestlé: Kolumbien & Indonesien
- Rote Flora: Am Anfang steht das Plenum
- Wider- & Aufstand: Bibliothek des Widerstandes; Der kommende Aufstand
- Homohass: Gewalt gegen Pride St. Petersburg
- Anti-Atom: Axpo unter Majak-Druck; Mühleberg; Tiefen- + Endlager; Ausstiegsabstimmungen; Gewinnaussichten

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REITSCHULE
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Do 25.11.10
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe" (bis 20.00 Uhr)
20.15 Uhr - Frauenraum - Stop Murder Music: Bündnis Rabatz über die Kampagne gegen Homophobie und Sexismus am "Chiemsee Reggae Summer"-Festival
20.30 Uhr - Kino - Berner Filmpremiere: Jung und Jenisch, Martina Rieder und Karoline Arn, CH 2010
20.30 Uhr - Tojo - Hofhuber - Ein Stück Land. Von Ruth Gundacker. Regie: Beatrix Bühler. Spiel: Michaela Jonser.
22.00 Uhr - Rössli - Heu, Stroh und Hafer: Knut2010 (beam rec / BS); Racker (midilux, festmacher / BE); Fabien (midilux, beam rec / BE). --minimal / techno / house

Fr 26.11.10
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe" (bis 20.00 Uhr)
20.15 Uhr - Infoladen - Infoveranstaltung: Süddeutschland gegen Rechts
20.30 Uhr - Kino - Berner Filmpremiere: Jung und Jenisch, Martina Rieder und Karoline Arn, CH 2010. In Anwesenheit der Filmemacherinnen
20.30 Uhr - Tojo - Hofhuber - Ein Stück Land. Von Ruth Gundacker. Regie: Beatrix Bühler. Spiel: Michaela Jonser.
21.00 Uhr - Frauenraum - Tanzbar mit DJ Zardas für Frau und Frau, Mann und Mann und Friends.
21.00 Uhr - Dachstock - Fiesta Mexicana: PANTEON ROCOCO (MEX). -- Latin, Ska, Rock

Sa 27.11.10
10.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe" (bis 17.00 Uhr)
20.00 Uhr - Frauenraum - TABOU - ein Tanzspektakel über Gewalt an Frauen
20.30 Uhr - Kino - Berner Filmpremiere: Jung und Jenisch, Martina Rieder und Karoline Arn, CH 2010. Mit Lesung von Willi Wottreng: "Zigeunerhäuptling"
20.30 Uhr - Tojo - Hofhuber - Ein Stück Land. Von Ruth Gundacker. Regie: Beatrix Bühler. Spiel: Michaela Jonser.
21.00 Uhr - Dachstock - ULTIMATE MC BATTLE VIII: MC's: Emerik 24 (ZH), Homi (ZH), Hans Nötig (AG), C.O.R. (GR), Slang n' Easy (AG), Cyphermaischter (GR), Jimmy West (VS), Mimiks (LU), Brauni (AG), Ali (GR), Freshe (ZG), Weibello (ZG), Darius Stone (AG), Sömli (BS), Drunk n' Izeo (TG). Showcase: LO & Leduc. Jury: Bzar (VS), Zitrale (BS), Liv< (GR), Knackeboul (BE), Flinn (AG)

So 28.11.10
10.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe" (bis 17.00 Uhr)
20.00 Uhr - Rössli - 2MEX (USA) & PICKSTER ONE (USA). -- Hiphop

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturagenda.be 25.11.10

Klappe
für "Jung und jenisch"

Franziska verspürte schon Wochen zuvor ein Kribbeln. Auch Jeremy war nervös, aber voller Vorfreude. Kurz bevor sie aufbrachen, räumte sie die Küche im Wohnwagen ein. Er liess sich vom Vater letzte Fahrertipps geben. Und dann konnte die Reise beginnen, so wie jeden Frühling. Franziska (18) und Jeremy (20) sind Jenische. Sie gehören zu den 3000 Schweizer Zigeunern, die heute noch fahrend leben.
Immer mehr junge Jenische entscheiden sich für ein solches Leben. Die beiden Schweizer Filmemacherinnen Karoline Arn und Martina Rieder haben vier von ihnen - Franziska Kunfermann, Jeremy Huber, Pascal und Miranda Gottier - ein Jahr lang mit der Kamera begleitet. Sie kauften sich einen Wohnwagen und besuchten ihre Protagonisten immer wieder auf sogenannten Durchgangsplätzen - kein einfaches Unterfangen, wie sich herausgestellte. Denn die vier bestimmten ihren Aufenthaltsort "nach Lust und Laune" und waren oft nicht dort, wo abgemacht. Dennoch hat die Zusammenarbeit geklappt. Das Ergebnis ist der Dokumentarfilm "Jung und jenisch", der jetzt in den Kinos zu sehen ist.

Furcht vor Sesshaften

Wie erkennt man einen Jenischen? Diese Frage steht am Anfang des Films. Schnell ist klar: Auf den ersten Blick gibt es nichts, was Jenische von Sesshaften unterscheidet. Frauen mögen Fingernägel mit French Manicure und Crocs-Sandalen. Männer stehen auf gegeltes Haar und werfen sich bei wichtigen Anlässen gerne in Schale. Ein Jenischer lässt sich nur an seiner Lebensweise erkennen. Arn und Rieder versuchten deshalb, durch Alltagsbeobachtungen und Interviews typische Werte und Gewohnheiten aufzuzeigen.
Da ist etwa die enge Verbindung zwischen Familienmitgliedern und Freunden. "Wir sind wie Murmeltiere", sagt Jeremys Vater, "ständig hocken wir aufeinander." Wohnwagen flicken, Kinder hüten, Wäsche waschen - alles wird gemeinsam erledigt. Schliesslich müssen Fahrende zusammenhalten. Denn da ist die Furcht vor den Sesshaften. Auch junge Jenische kennen dieses Gefühl. Es wurde ihnen weitergegeben von den Eltern und Grosseltern, die als Kinder im Rahmen der "Aktion Kinder der Landstrasse" des Kinderhilfswerks Pro Juventute gewaltsam aus den Familien gerissen wurden. Mit sensiblen Fragen nähern sich die Filmemacherinnen dieser Angst an. Dabei drängen sie die Jenischen aber nicht in eine Opferrolle. Sie lassen die Gefühle und Gedanken ihrer Protagonisten unkommentiert stehen.

Aufklären und Verständnis schaffen

Ebenso verfahren sie mit Hindernissen, welche die Hubers und Gottiers im Lauf des Jahres überwinden müssen. Etwa beim Kampf um Durchgangsplätze. Die Autorinnen sind dabei, wenn Pascal und Jeremy mit Behörden und Anwohnern verhandeln, und auch hier beziehen sie keine Position. Vielmehr klären sie auf und schaffen Verständnis. Und sie widerlegen das Klischee des Fahrenden, der sich von der Aussenwelt völlig abschottet.
Mit dem Platzmanko sprechen Rieder und Arn schliesslich die Zukunft an. Denn wenn die vier auch künftig fahren wollen, brauchen sie mehr sommerliche Durchgangsplätze und Standplätze für den Winter, sonst können sie ihrem innersten Bedürfnis nicht mehr folgen. "Es zieht uns einfach", sagt Jeremy und gibt damit die wohl deutlichste Antwort auf die Frage, was einen Jenischen ausmacht.

Michelle Schwarzenbach

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Kino Reitschule, Bern. Do., 25., Fr., 26., und Sa., 27.11., jeweils
20.30 Uhr. www.reitschule.ch

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kulturagenda.be 25.11.10

"Hofhuber - Ein Stück Land" im Tojo

Landleben bedeutet Gewalt, Strenge und Stumpfsinn - zumindest wenn es nach Pia geht. In einem Monolog erinnert sich die Mittvierzigerin an ihre scheussliche Kindheit auf dem elterlichen Hof. Ruth Gundacker hat "Hofhuber" 2006 als Hörspiel verfasst. Anfang dieses Jahres kam das Stück auf die Schlachthaus-Bühne, nun ist es im Tojo zu sehen. Regie: Beatrix Bühler.
Tojo Theater, Bern. Do., 25., Fr., 26., und Sa., 27.11., jeweils 20.30 Uhr

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kulturagenda.be 25.11.10

Heu, Stroh und Hafer in der Rössli Bar

Jagged, Knut2010, Racker und Fabien liefern das Futter für einen heiteren Tanzabend in der Rössli Bar. Der Basler DJ Knut 2010 serviert knackigen Deep House und Techno. Das tut auch das Berner DJ-Kollektiv Jagged (Bild). 2006 schlossen sie sich die Herren Benfay, Jay Sanders und Zukie173 zusammen, um in der Studioküche dem Sound an die Eier zu gehen. Racker und Fabien schliesslich zelebrieren crossen Minimal.
Rössli in der Reitschule, Bern. Do., 25.11., 22 Uhr

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kulturstattbern.derbund.ch 22.11.10

Von Manuel Gnos am Montag, den 22. November 2010, um 06:34 Uhr

Kulturbeutel 47/10

(...)

Frau Feuz empfiehlt:
Die Radio RaBe Clubtour Trash-Night am Donnerstag im ISC. Mit von der Partie wird der Garage-Elektroniker Urban Junior sein und die wilden Herren von Das Pferd. Im Anschluss braucht man nur über die Strasse zu marschieren und kann im Rössli im Rahmen von "Heu, Stroh und Hafer" gleich weiterelektronen, wenn auch einiges minimaler. Hinter den Plattenspielern stehen unter anderem Jagged, Knut 2010 und DJs von den Festmachern und Midilux.

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TOUR DE LORRAINE
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20 Minuten 22.11.10

Tour de Lorraine für linke Anliegen

 BERN. Mehr als 3000 Partypeople sind an der diesjährigen Tour de Lorraine durch Berner Clubs, Kinosäle, Beizen und andere Lokale gezogen. Am 22. Januar 2011 ist es wieder so weit: Unter dem Motto "Commons - Gemeingüter" öffnen in der Lorraine und in angrenzenden Berner Quartieren wieder mehr als zehn Lokale ihre Tore. Mit dabei sind unter anderem die Bar Kairo, die Brasserie Lorraine, die Turnhalle im Progr und das Kulturzentrum Reitschule. Für die nächste Ausgabe der Tour de Lorraine sind ab dem 15. Januar auch diverse künstlerische Aktionen zum Motto "Gemeingüter" geplant.

 Der Event findet bereits zum elften Mal statt und wird von linken Organisationen wie Augenauf Bern und Attac Bern auf die Beine gestellt. Die Mottos der letzten Jahren lauteten unter anderem "Alternative säen" und "Stop the Game".  nc http://www.tourdelorraine.ch

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SQUAT BE
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Bund 24.11.10

Häuserbesetzung: Migros will nicht mit Anonymen reden

 Ein anonymes Besetzerkolletiv hat beim Breitenrainplatz einen Wohnblock der Migros besetzt.

 In einem Schreiben an die Migros und an die "Berner Zeitung" fordert die Gruppe einen Zwischennutzungsvertrag für die Liegenschaft Moserstrasse 33. Das Gebäude soll den Überbauungsplänen der Migros weichen. Diese will im Strassendreieck zwischen Moserstrasse, Allmendstrasse und Breitenrainstrasse eine über 50 Millionen Franken teure Überbauung mit Laden, Restaurant und 60 Wohnungen erstellen. Das Bauvorhaben ist wegen Beschwerden blockiert.

 Migros-Sprecher Thomas Bornhauser kann dem Vorgehen der Besetzer nichts abgewinnen. Die Migros habe im Strassendreieck beim Breitenrainplatz Zwischennutzungen zugelassen, wo diese möglich seien, wie zum Beispiel in den Räumlichkeiten der einstigen Gärtnerei Ackermann. Das Haus Moserstrasse 33 verfüge aber weder über Wasser noch über Gas. Zudem sei eine Zwischennutzung auch aus Haftungsgründen nicht möglich.

 Bisher kein zeitliches Ultimatum

 "Wir verweigern das Gespräch nicht grundsätzlich", sagt Bornhauser. Die Migros werde aber erst dann mit den Besetzern an einen Tisch sitzen, wenn diese aus der Anonymität getreten seien und das Haus geräumt hätten. Über den möglichen Gegenstand eines Gespräches mit Ex-Besetzern unter diesen Voraussetzungen und allfällige Ultimaten will Bornhauser nichts sagen. Falls die Besetzer dem nicht Folge leisten würden, "überlegen wir, wie wir mit dem rechtswidrigen Zustand umgehen wollen". Die Beschwerden gegen den Neubau der Migros haben das Projekt erheblich verzögert. Während der Bauzeit will die Migros ein Provisorium auf der Kasernenwiese errichten. Gegen dieses sind über 80 Einsprachen eingegangen.(bob)

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Telebärn 23.11.10

Haus im Breitenrain besetzt
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/haus-im-breitenrain-besetzt/c=84713&s=1091576

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derbund.ch 23.11.10

Haus neben Breitsch-Migros besetzt

el

 Das bisher unbekannte Kollektiv Moserstrasse hat im "goldenen Dreieck" in der Nähe des Breitenrainplatzes einen Wohnblock der Migros-Genossenschaft besetzt, in dem bis vor kurzem eine Druckerei untergebracht war.

 Das Gebäude an der Moserstrasse 33 soll demnächst abgerissen werden, ebenso wie die angrenzende Migros-Filiale und ein weiteres Nachbarhaus. Die Migros plant einen Neubau mit Einkaufsladen und Wohnblock. Doch das Projekt ist wegen Beschwerden blockiert.

 In der "Berner Zeitung" von heute ist zu lesen, dass die Besetzer in einem anonymen Schreiben an die Migros Aare einen Zwischennutzungsvertrag fordern. "Diese Aktion ist rechtswidrig", sagt Migros-Sprecher Thomas Bornhauser laut BZ. Im Haus gebe es weder Strom noch Wasser. Eine Zwischennutzung sei aus Haftungsgründen unwahrscheinlich.

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BZ/Thuner Tagblatt 23.11.10

Linke Gruppe besetzt Haus neben Breitsch-Migros

 Breitenrain Das sogenannte Kollektiv Moserstrasse hat im "goldenen Dreieck" beim Breitenrainplatz einen Wohnblock der Migros-Genossenschaft besetzt. Das Gebäude an der Moserstrasse 33 soll demnächst ebenso abgerissen werden wie die angrenzende Migros-Filiale und ein weiteres Nachbarhaus. Die Migros plant einen Neubau mit Einkaufsladen und Wohnblock. Doch das Projekt ist wegen Beschwerden blockiert.

 In einem anonymen Schreiben an die Migros Aare fordern die Besetzer einen Zwischennutzungsvertrag. "Diese Aktion ist rechtswidrig", sagt Migros-Sprecher Thomas Bornhauser. Im Haus gebe es weder Strom noch Wasser. Eine Zwischennutzung sei aus Haftungsgründen unwahrscheinlich.
 tob

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RABE-INFO
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Mi. 24. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_24._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_24._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2024.%20November%202010
- China-Freihandelsabkommen mit Menschenrechtsklausel: Appell an die Schweizer Regierung
- 500 Berner Jugendliche ohne Berufsabschluss: Der Kanton sieht dringenden Handlungsbedarf
- Mehr Steuereinnahmen oder mehr Steuerflucht: Steuergerechtigkeitsinitiative scheidet die Geister

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Di. 23. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_23._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_23._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2023.%20November%202010
- Rettet Basel: Tausende wehren sich gegen die SVPisierung der Basler Zeitung
- Alle Zeichen stehen auf Sturm: Der 1. Landschaftszustandsbericht der Schweiz
- Tropfen auf den heissen Sand: Reportage über den Kampf gegen die Verwüstung in Burkina Faso

Links:
http://www.rettet-basel.ch
http://www.ououagadougouou.blogspot.com

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Mo. 22. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_22._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_22._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2022.%20November%202010
- Keinen Platz für LGBT in Resolution: die UNO beugt sich dem Druck der afrikanischen und arabischen Länder
- Kopf der Woche: die Friedensforscherin und Afghanistan-Expertin Citha Maas

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Fr. 19. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_19._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_19._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2019.%20November%202010
- Ungelöste Frage nach dem Atommüll-Endlager: Die Grünen fordern den Atomausstieg und eine breite gesellschaftliche Debatte
- Die Lage der Palästinenser verschlimmert sich: Immer häufiger wird von  "Apartheid" gesprochen
- Seit 15 Jahren kämpfen sie gegen Korruption: eine Bilanz von Transparency International Schweiz

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STADTRAT
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Stadtratssitzung (Traktanden)
Donnerstag, 25. November 2010 17.00 Uhr und 20.30 Uhr
Sitzungssaal im Rathaus

NEUE LISTE/////Die Stadtratssitzungen sind öffentliche zugänglich (Besuchertribüne)
Traktanden

(...)
 
25. Jugendmotion (Basil Linder) vom 3. April 2008: Legale Graffitiwände in der Stadt Bern; Fristverlängerung (08.000145) (BSS: Olibet)     

(...)
 
44. Interfraktionelles Postulat GB/JA!, SP/JUSO (Lea Bill, JA!/Cristina Anliker-Mansour, GB/Miriam Schwarz, SP): Lehrstellen auch für Sans-Papiers (SUE: Nause) 10.000044
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000044/gdbDownload

(...)

46. Interpellation Fraktion SP/JUSO (Corinne Mathieu, SP): Erbringt die Kapo die im Ressourcenvertrag definierten Leistungen weiterhin? (SUE: Nause) 10.000077
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000077/gdbDownload

47. Interpellation Fraktion GB/JA! (Hasim Sancar, GB): Private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum (SUE: Nause) 10.000123
http://www.bern.ch/stadtrat/sitzungen/termine/2010/10.000123/gdbDownload

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KNAST-SOLI
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BZ 20.11.10

Bollwerk

 Kundgebung

 Wie die Kantonspolizei auf Anfrage bestätigte, kam es gestern Abend gegen 21.30 Uhr vor dem Regionalgefängnis zu einer Kundgebung. Rund 30 Personen aus der Reithalle forderten auf einem Transparent "Freiheit für Beni". Beim Eintreffen der Polizei waren die Krawallbrüder schon wieder weg. Sachbeschädigungen gab es keine. rgi

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Indymedia 19.11.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/11/78818.shtml

Communiqué zum Knastspaziergang vom 19.11.2010 in Bern

AutorIn : mensch

Heute gegen 21.30 Uhr solidarisierten sich über 30 Menschen mit den Gefangenen Billy, Silvia und Costa.

Billy wurde vor einigen Tagen von Thun nach Bern ins Amtshaus verlegt. An der Kundgebung grüssten wir ihn lautstark mit Parolen, Knallkörpern und Leuchtpetarden.

Doch heute ist nicht alle Tage, wir kommen wieder, keine Frage!

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FAU
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Indymedia 20.11.10

FAU Bern Zeitung "Di Schwarzi Chatz" #9 erschienen ::

AutorIn : Verlinker: http://faubern.ch     

Die neunte Ausgabe der lokalen Zeitung der FAU Bern Di Schwarzi Chatz ist jetzt online.
Klicken und lesen oder direkt abonnieren!     
    
Aus dem Inhalt:
• Streikwelle in Frankreich
• Alstom entässt 750 Leute
• Zur AVIG-Revision
• Business as usual. Überlegungen zur Krise der radikalen Linken
• Anarchismus als Organisationsform
• Schwarzrot? Keine Ahnung woher das kommt
• Kultur
• Zu Emma Goldmans Autobiografie
• Rechtliches

Zum downloaden:  http://faubern.ch/_texte/Schwarzi%20Chatz_9.pdf

Wir freuen uns wie immer über Kommentare und Rückmeldungen jeder Art.

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Sowohl Di Schwarzi Chatz als auch die "Direkte Aktion" (Organ der FAU Deutschland) können bei der FAU Bern abonniert werden.
Ein Kombi-Abo kostet euch 50.- pro Jahr, beide erscheinen alle zwei Monate. Wenn ihr das wollt, schreibt uns eine Mail an info(at)faubern.ch - Adresse nicht vergessen!
Wenn ihr nur reinschnuppern wollt, können wir euch auch ein unverbindliches und kostenloses Probeexemplar schicken (solange Vorrat).

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Nicht vergessen: Veranstaltung "Streiks in China" - Samstag, 11.12.2010, 19.30 Uhr im Infoladen Bern. Mehr infos unter  http://faubern.ch

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UNIA
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Sonntag 21.11.10

"Ein Sieg, der keiner ist": Arbeiter wütend auf Unia

 Sechs Monate nach dem Aus der Kartonfabrik Deisswil haben nur 40 der ehemals 250 Arbeiter in Firmen des Berner Investors Hans-Ulrich Müller einen Job erhalten

von Christof Moser

 Ein Investor, der Jobs verspricht, eine Gewerkschaft, die frohlockt und Arbeiter, die sich verraten fühlen: Das Ende der Kartonfabrik Deisswil ist keine Erfolgsgeschichte für die Unia.

 Es klang wie ein Märchen, als der österreichische Mayr-Melnhof-Konzern am2. Juni bekannt gab, die vor dem Aus stehende Kartonfabrik Deisswil werde an Schweizer Investoren verkauft. Die 253 betroffenen Arbeiter, die bereits seit acht langen Wochen um ihren Arbeitsplatz bangten, schöpften Hoffnung.

 Erst recht, als ein paar Tage später bekannt wurde, beim Investor handle es sich um den Berner CS-Banker HansUlrich Müller, der im "Bernapark", wie das Fabrikgelände inzwischen heisst, neue Arbeitsplätze schaffen wolle.

 Geradezu euphorisch reagierten die Arbeiter, als die Gewerkschaft Unia am 4. Juni in einem Communiqué mitteilte, allen Mitarbeitenden würden Arbeitsverträge zu den bisherigen Bedingungen angeboten. Und frohlockte: "Erfolg für Unia und die Belegschaft". Seither hat die Unia in dieser Sache nicht mehr kommuniziert.

 Mit gutem Grund. Heute, rund ein halbes Jahr später, sind viele Arbeiter frustriert. Und fühlen sich über den Tisch gezogen. "Was wie ein Märchen geklungen hat, war ein Märchen", sagt einer.

 Da ist einerseits die Tatsache, dass lange nicht alle einen Job angeboten erhalten haben. Laut Berner Wirtschaftsförderung sind rund 40 Personen in einer der Firmen des Investors untergekommen. 60 Personen arbeiten befristet bis Ende November noch in der Kartonfabrik, Zukunft ungewiss. Für 15 Personen wird nach einer Lösung gesucht, die auf Frühpensionierung hinausläuft. Der grosse Rest, gegen 140 Personen, musste ausserhalb des "Bernaparks" einen neuen Job finden oder suchen noch. "Der Druck, freiwillig zu gehen, ist immens gross", sagt ein Arbeiter. "Wir werden regelrecht hinausgeekelt."

 Da ist andererseits die Tatsache, dass, wer bleibt, empfindliche Lohneinbussen hinnehmen muss. Schicht- und Sonntagszulagen werden gestrichen, das bedeutet für viele Arbeiter eine Lohneinbusse von gegen 30 Prozent. "Von gleichbleibenden Arbeitsbedingungen kann jedenfalls keine Rede sein", so ein Arbeiter.

 Jeden Freitagabend treffen sich enttäuschte Deisswiler an der Rampe der Firma Egger Bier in Worb, um sich auszutauschen. Andere tun dies in Internet-Foren. Sie sind wütend, aber ihre Wut richtet sich nicht gegen den neuen Besitzer, sondern gegen die Unia.

 Darunter sind auch Arbeiter, die ganz grundsätzliche Vorwürfe an die Gewerkschaft richten. "Die Unia hat vieles über unsere Köpfe hinweg entschieden", sagt einer. So sei der Sozialplan, den die Unia ausgehandelt hat, der Belegschaft nie vorgelegt worden. "Der Unia ging es nur darum, dass sie gut dasteht. Wir Arbeiter wurden verraten und verkauft."

 Die Vorwürfe gehen gar so weit, die Gewerkschaft habe die Selbstorganisation der Arbeiter vereitelt, nur um ihren eigenen Machtanspruch zu sichern. Als die Arbeiter Mittagstische organisierten, um sich gegenseitig über den aktuellen Stand zu informieren, "sind sofort Unia-Funktionäre eingeschritten und haben gesagt, Mitarbeiter dürften nicht selber Betriebsversammlungen einberufen", erzählt ein Beteiligter. Besonders kritisiert wird der für die Sektion Bern zuständige Unia-Sekretär Roland Herzog: "Er involvierte die Belegschaft kaum und handelte oft eigenmächtig", sagen Arbeiter.

 So habe Herzog die Information der Arbeiter, in der Lagerhalle befänden sich noch Papierrollen im Wert von 8 Millionen Franken, die im Arbeitskampf als Druckmittel eingesetzt werden könnten, tagelang ignoriert. Als Unia-Geschäftsleitungsmitglied Corrado Pardini über die Lagerbestände informiert wurde, habe dieser sofort zur Blockade der Fabrik aufgerufen. Wenige Stunden später habe Herzog die Blockade in Absprache mit der Betriebskommission wieder aufgehoben, um die Verhandlungen mit dem neuen Besitzer nicht zu gefährden.

 Als Pardini dies erfuhr, sei es zum Machtkampf gekommen. Pardini habe angeordnet, die Blockade wieder aufzunehmen, was dann auch geschah. "Die eine Hand wusste nicht, was die andere tut", kritisiert ein Arbeiter. "Spannungen innerhalb der Unia-Führung haben die Belegschaft verwirrt und letztlich auch demobilisiert", sagt ein anderer.

 Bei der Unia wehrt man sich. Geschäftsleitungsmitglied Corrado Pardini spricht von einer "sehr schwierigen Herausforderung" für die Unia: "Wir haben dem neuen Investor vertraut, obwohl wir seine Ziele für ambitioniert hielten, weil er entsprechende Garantien unterzeichnet hat." Pardini räumt ein, dass die 40 neu geschaffenen Arbeitsplätze am "unteren Rand der Erwartungen" liegen. Entscheidend sei jedoch: "Als im Juni die Fabrik geschlossen wurde, hat Investor Müller wie vereinbart alle Arbeiter übernommen. Das war unser Ziel und verschaffte den Arbeitern Zeit, sich neu zu orientieren." Dass eine Weiterbeschäftigung zu Grundlöhnen und ohne Zulagen vereinbart worden sei, habe man "immer so kommuniziert". Sämtliche Beschlüsse, inklusive der Zustimmung zum Sozialplan, der Abfindungen von 40000 Franken vorsieht, seien von den Mitarbeitern demokratisch entschieden worden.

 Unia-Sekretär Roland Herzog sagt, er verstehe Kritik, die aus "persönlicher Betroffenheit geäussert wird, weil sich nicht alle Hoffnungen erfüllt haben", ist aber überzeugt: "Wer mit uns an vorderster Front war, stellt uns ein gutes Zeugnis aus. Wir haben das Bestmögliche herausgeholt." Der Vorwurf, die Belegschaft habe den Sozialplan nicht gesehen, weist er zurück: "Der Inhalt war bekannt." Dass es rund um die Blockade zu "Problemen" kam, bestreitet er nicht.

 Von einem "Unia-Sieg, der keiner ist" sprechen die frustrierten Arbeiter. Rund ein Dutzend ist aus der Unia ausgetreten. Herzog bestätigt die Austritte, sagt jedoch: "Der grosse Zuwachs an Mitgliedern überwiegt die Austritte bei weitem."

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FREIRAUM SO
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Solothurner Zeitung 24.11.10

Volle Rückendeckung für die Polizei

 Hausbesetzung Nach der Polizei verteidigt auch die Regierung das Vorgehen bei der illegalen Party im leer stehenden Gebäude der ehemaligen Druckerei Vogt-Schild in Solothurn.

 Da können 200 bis 300 Nachtschwärmer ein leer stehendes Gebäude besetzen, eine illegale Party feiern, Sachbeschädigungen von mehreren zehntausend Franken anrichten und obwohl die Polizei vor Ort war, unbehelligt wieder von dannen ziehen - so geschehen in der Nacht auf den 7. November in der ehemaligen Druckerei der Vogt-Schild in Solothurn (wir berichteten). Ein solcher "Einsatz" der Ordnungshüter wirft auch auf politischer Ebene Fragen auf. Die CVP/EVP/glp-Fraktion (hinter-)fragt in ihrer Interpellation die Strategie der Polizei bei überraschenden Einsätzen mit hohem Polizeibedarf. Unverständlich ist für die Interpellanten insbesondere, dass nach Ende der Party nicht genügend Polizisten vor Ort waren, um Personalien von Nachtschwärmern bei Verlassen des Gebäudes oder zumindest jene der Organisatoren aufzunehmen.

 Rasches Ende dank Zurückhaltung?

 In seiner Antwort hält der Regierungsrat fest, dass die Polizei vor Ort aufgrund von Indizien (beispielsweise Verbarrikadierungen von Türen und Fenstern) von einer länger andauernden Besetzung habe ausgehen müssen. "Es waren keinerlei Hinweise vorhanden, welche auf eine derart rasche Beendigung hingewiesen hätten." Wie sich herausstellte, eine Fehleinschätzung.

 Laut der Regierung stand die Aufnahme von Personalien aber aus drei Gründen eh nicht im Vordergrund des polizeilichen Handelns: Erstens gehe der Schutz von Leib und Leben aller Betroffenen, auch der Polizeiangehörigen, grundsätzlich der Pflicht der Polizei, Straftaten zu verfolgen und Personalien zu erheben, vor. Zweitens haben im fraglichen Zeitpunkt weder ein Strafantrag noch ein Ersuchen der Liegenschaftsbesitzerin um Vornahme einer Räumung vorgelegen. "Hausfriedensbruch ist ein Antragsdelikt", so die Regierung. Bei Antragsdelikten seien die Strafverfolgungsbehörden erst dann zu Ermittlungshandlungen wie der Erhebung der Personalien berechtigt, "wenn der dazu nötige Strafantrag von der berechtigten Person gestellt wird". Brisant: Laut der Liegenschaftsbesitzerin war es die Polizei, die empfohlen habe, auf eine Zwangsräumung zu verzichten. Als dritten Grund nennt die Regierung, dass, selbst wenn einzelne Partyteilnehmer einer Kontrolle unterzogen worden wären, dadurch nicht unbedingt die für die Sachbeschädigungen Verantwortlichen bekannt wären. Auch in diesem Fall müsste die Polizei heute mitunter denselben Ermittlungsaufwand betreiben, um die mutmasslichen Täter verzeigen zu können. "Die grossen Risiken, die man auf sich genommen hätte, würden demnach in einem krassen Missverhältnis zum Zweck der Massnahme stehen. Somit ist die Entscheidung, auf einen Zugriff zwecks Erhebung der Personalien zu verzichten, auch im Nachhinein als richtig zu beurteilen", so der Regierungsrat. Dieser kommt gar zum Schluss: "Im Nachhinein erscheint es nicht undenkbar, dass nicht zuletzt die gewählte Vorgehensweise der Polizei zur raschen Beendigung der Hausbesetzung beigetragen hat." (mz)

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Solothurner Zeitung 20.11.10

Polizei schweigt zur Chaos-Party

 Solothurn Zwei Wochen sind seit der illegalen Party in der alten Druckerei der az Solothurner Zeitung vergangen. Von der Kantonspolizei wollten wir wissen, wie der Stand der Ermittlungen gegen die bisher unbekannten Party-Organisatoren sowie die Urheber der beträchtlichen Sachbeschädigungen und Verschmutzungen im Gebäude ist. Die Antwort fiel mehr als nur knapp aus: "Zum Ermittlungsstand können wir aus Rücksicht auf das laufende Verfahren derzeit keine Auskünfte erteilen", liess Polizeisprecher Bruno Gribi schriftlich verlauten. Und Fragen zum öffentlich vielfach kritisierten Nichteingreifen der Polizei in besagter Nacht werden schon gar nicht beantwortet: "Zurzeit ist zum Vorgehen der Polizei ein parlamentarischer Vorstoss hängig. Aus diesem Grund geben wir zum polizeilichen Vorgehen keine Auskunft." (szr)

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SQUAT FR
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Le Matin 24.11.10

Nargués par les squatters

 Combat. A la recherche d'un espace culturel alternatif, ils jouent au chat et à la souris avec les policiers à Fribourg.

 Décidément, les membres du collectif Raie Manta et les autorités fribourgeoises se courent après. Chaque fois que les premiers squattent un immeuble de la ville, les secondes les en délogent dans les quelques jours. Le collectif a investi en fin de semaine passée son quatrième immeuble abandonné. Et les choses ne sont pas près de changer, les discussions étant encore pratiquement au point mort.

 "Nous continuerons tant que nous n'aurons pas ce que nous voulons", expliquent les membres du collectif rencontrés, Juliette*, Cynthia*, Johnny* et Félix*, âgés de 20 à 25 ans. Ce qu'ils veulent: "Qu'on nous mette à disposition un lieu pour que l'on puisse y créer une sorte de maison de quartier", explique Johnny. Ce serait un lieu de rencontre, pour discuter autour d'un verre ou d'un repas, mais également un espace culturel alternatif, avec des concerts et des ateliers de peinture. "On veut surtout que tout soit gratuit et que nous soyons indépendants de l'Etat", ajoute Félix.

 N'y a-t-il pas un autre moyen pour se faire entendre que de squatter des immeubles? "On connaît d'autres collectifs qui discutent depuis des années sans rien obtenir, répond Juliette. Alors nous avons choisi un autre moyen. " Il semble en tout cas que le préfet de la Sarine, Carl-Alex Ridoré, les ait entendus. "Je me suis rendu dans les deux premiers squats pour leur expliquer la situation, explique-t-il. Je suis ouvert à discuter plus concrètement de leur projet. Mais je ne peux les laisser vivre dans des immeubles insalubres et dont la sécurité n'est pas garantie. "

 Il leur a également envoyé des courriers. "On va lui répondre, mais discuter, on n'y croit pas trop", précise Johnny. "D'autant que l'on a été expulsé de l'espace Boxal par la force, sans aucun préavis et sans que le préfet ne se déplace. " Et Carl-Alex Ridoré de répliquer: "Je leur ai expliqué les règles et pensais qu'ils avaient compris. Manifestement, ce n'est pas le cas. "

 "Des policiers nous saluent dans la rue"

 A chaque nouveau squat, le collectif s'agrandit. S'ils étaient au départ une petite dizaine de "potes", ils sont aujourd'hui plus d'une vingtaine, âgés de 19 à 40 ans. Certains travaillent ou étudient, d'autres sont au chômage. "Et on vient de tous bords politiques", ajoute Cynthia. "C'est pour cela que l'on est un collectif, sans chef désigné car on ne veut pas être catégorisés comme certains l'ont fait. "

 Les effectifs augmentent, comme le savoir-faire d'ailleurs. Les squatters parviennent par exemple à repérer les policiers qui surveillent leur immeuble: "Deux mecs qui attendent dans une voiture pendant trois heures, ça se repère, rigolent-ils. Et on les connaît bientôt tous. Certains nous saluent même dans la rue. " Alors pourquoi témoigner sous un faux nom, alors que les autorités connaissent toutes les identités? "Pour se protéger! Comme ce ne sont pas toujours les mêmes qui squattent, certains ne sont pas encore connus des autorités", répond Juliette. "Mais cela ne signifie en aucun cas que l'on n'assume pas. Au contraire. "

 Les squatters ne baisseront pas les bras. Les forces de l'ordre n'ont plus. "On se prépare d'ailleurs pour la prochaine intervention de la police qui devrait avoir lieu en fin de semaine", ajoute Johnny. Alors, à ce jeu du chat et la souris, difficile de savoir qui sortira vainqueur.

 Note:* Prénoms d'emprunt

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La Liberté 24.11.10

Solidaire avec Raie Manta

 Où sont les lieux vivants où l'on peut se rencontrer à Fribourg? Quand j'écris "vivants", je pense à un espace libre qui encourage la créativité, l'expérimentation, l'échange de toutes formes d'art et de connaissance et ceci dans un esprit collectif et respectueux. Marre de ce formatage, de cette pensée unique, de cette aseptisation qui s'enferme dans la peur des différences!

 Je suis solidaire avec le collectif Raie Manta ("LL" du 11 novembre), car ce que j'ai vu dans l'usine Boxal m'a profondément touchée. Raie Manta a montré que l'expression spontanée est d'une richesse et d'un foisonnement exceptionnels. Que des jeunes n'adhèrent pas à la poussée commerciale dominante, voire totalitaire, est non seulement honorable et légal, mais vraiment réjouissant. Peut-on s'offusquer que ces activités se déroulent dans des lieux vides, voués à la démolition? Personne n'a-t-il envisagé que nos lois pourraient changer et que ces bâtiments seraient légalement et obligatoirement mis à la disposition des citoyens qui ont envie de se réaliser dans des projets inventifs et constructifs?

 La curiosité est la base de tout développement humain et c'est une richesse qu'il faut faire valoir. Il serait dangereux de mettre trop rapidement une étiquette sur cette façon d'appréhender la vie autrement.

 Sandrine Tona,

 Vuisternens-en-Ogoz

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Freiburger Nachrichten 20.11.10

Schon wieder ist ein Haus in Freiburg besetzt

 Freiburg Das Kollektiv Raie Manta ist in der Nacht auf Freitag erneut in das Haus an der Industriegasse 24 in Freiburg eingedrungen. Dieses hatten die Besetzer bereits Ende September in Beschlag genommen. Das Kollektiv will zwei Wochen in dem Gebäude ausharren und kündet "eine andere Form von Widerstand" an. Oberamtmann Carl-Alex Ridoré hat das Haus als unbewohnbar bezeichnet. pj

 Bericht und Kommentar Seite 3

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Das Kollektiv Raie Manta hat erneut ein Haus an der Industriegasse besetzt

 Sie wollen Widerstand leisten: Das Besetzerkollektiv Raie Manta kündigt an, zwei Wochen lang an der Industriegasse 24 auszuharren, ohne einen Kompromiss zu suchen.

 Pascal Jäggi

 Freiburg An die Wand hat ein Unbekannter in grossen Lettern "Zu tot zum Sterben" gesprayt, die Eingänge sind zugemauert, die Scheiben mit Brettern verstärkt. Das Kollektiv Raie Manta hat sich davon nicht abschrecken lassen und in der Nacht auf Freitag das Haus an der Industriegasse 24 erneut besetzt. Sie sind an den Ort zurückgekehrt, wo alles begonnen hat. Dies, nachdem sie auf Anordnung von Oberamtmann Carl-Alex Ridoré am 29. September die geschützten Arbeiterhäuser an der Industriegasse verlassen mussten.

 In einem Communiqué teilt Raie Manta mit, dass es sich um eine "neue Form" der Besetzung handle. Es ist nicht mehr die Rede von einem Kulturzentrum, einem Infokiosk oder Diskussionsabenden. "Wir verbarrikadieren uns für zwei Wochen im Haus und werden, falls nötig, eine andere Form des Widerstands praktizieren", schreiben die Besetzer. Sie hätten genügend Nahrungsmittel und Feuerholz dabei, um zwei Wochen in dem Gebäude zu bleiben.

 Frust bei Besetzern

 Die Fronten sind mittlerweile offensichtlich verhärtet. Nachdem 19 Besetzer letzte Woche im Boxal-Areal von der Kantonspolizei überrascht und aus dem Gebäude geschafft worden sind, sitzt der Frust offenbar tief. Der Oberamtmann wird von den Besetzern als Marionette bezeichnet. Ridoré sagte gegenüber den FN, er werde sich der Sache annehmen. Entsprechend der bisherigen Politik ist davon auszugehen, dass er die Kantonspolizei anweisen wird, das Gebäude zu räumen. Er hat bereits bei der ersten Besetzung mitgeteilt, dass die Gebäude unbewohnbar seien.

 Ein weiteres einst von Raie Manta besetztes Gebäde an der Neustrasse 1 ist in der Zwischenzeit abgerissen worden.

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Kommentar

 Eine nutzlose Aktion

 Pascal Jäggi

 Das Kollektiv Raie Manta verspielt sich mit einer Aktion wie der Wiederbesetzung eines Hauses an der Industriegasse jegliche Sympathien. Den Traum von einem alternativen Kulturzentrum kann dort niemand verwirklichen, und die Besetzer wollen es in diesem Fall offensichtlich auch nicht. Es geht nur noch um die Konfrontation mit den Behörden. Das ist mit Sicherheit der falsche Weg.

 Dabei haben die Besetzer auf dem Boxal-Areal durchaus lobenswerte Ansätze gezeigt. Sie haben eigenhändig Konzertabende auf die Beine gestellt und es geschafft, dass auch um drei Uhr morgens alles friedlich blieb, als Nachtschwärmer aus ganz Freiburg im "To Bee" vorbeigeschaut haben. Raie Manta hat damit einen Beitrag zur Alternativkultur geleistet. Denn nicht alle wollen oder können ins Fri-Son oder ins Nouveau Monde.

 Die Besetzer haben den Rauswurf aus dem Boxal-Areal als Kampfansage verstanden. Sie geben mit ihrer Reaktion aber die falsche Antwort. Ohne Dialog erreichen sie nichts. Ohne Gespräche wird jede Aktion gleich enden: mit einem Rauswurf. Das bringt niemanden weiter.

 Es darf nicht vergessen werden, dass eine Hausbesetzung nicht nur von Hausbesitzern und Behörden, sondern wohl auch von einem grossen Teil der Bevölkerung nicht verstanden wird. Mit dieser sinnlosen Aktion werden die Besetzer keinen Meinungsumschwung herbeiführen.

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La Liberté 20.11.10

Fribourg

 Les squatters sont de retour

 Marc-Roland Zoellig

 Tiens, il y a de nouveau des banderoles accrochées aux balcons d'un des vieux immeubles de la rue de l'Industrie, à Fribourg... Toutes les entrées avaient pourtant été murées, et les fenêtres condamnées, après l'évacuation, à la fin septembre, des squatters du collectif Raie Manta. "Nous avons décidé d'agir autrement cette fois", explique un dénommé Nicolas, membre du collectif. D'après lui, les squatters seraient revenus sur les lieux de leurs premiers exploits, en réaction à leur dernière expulsion mouvementée de l'espace Boxal (cf. "La Liberté" des 10 et 11 novembre). Seraient, car depuis l'extérieur, le numéro 24 de la rue de l'Industrie paraît toujours aussi vide... Et faute d'invitation de la part des occupants, pas possible d'aller vérifier à l'intérieur, sauf en trouvant le passage secret.

 D'après Nicolas, et à lire le dernier texte publié sur le blog de Raie Manta, cette dernière manœuvre pourrait s'avérer délicate. "Si la police arrive avant que le préfet soit venu discuter avec nous, il faut qu'ils s'attendent à devoir utiliser des moyens lourds pour nous faire partir", lâche-t-il. "On apprend à chaque évacuation, on commence à s'habituer..." On l'aura compris: les squatters ne sont pas contents. "Profitant des barricades déjà installées par la police, nous sommes prêts cette fois à tenir le siège et s'il le faut nous pratiquerons une autre forme de résistance que celle utilisée jusqu'à présent", écrit le collectif. "Nous avons de la nourriture pour plusieurs semaines, du bois pour le chauffage, des bougies et des livres. On ne nous empêchera pas de vivre la vie que nous souhaitons!"

 "Murer une maison n'empêche absolument rien", affirme Nicolas. "On peut retourner à l'espace Boxal n'importe quand." Cela dit, difficile de transformer une maison murée - pas si bien que ça, apparemment... - en lieu de vie. Il n'y aura donc pas de concerts à la rue de l'Industrie, ni rien du tout. "Nous avons déjà montré ce que nous étions capables de faire comme manifestations publiques", affirme Nicolas, se référant à l'occupation de l'espace Boxal. "On ne va pas s'arrêter. On ne va pas changer d'idées", avertit-il.

 Dans l'immédiat, le but des membres du collectif est d'entrer en contact avec celui qu'ils appellent, sur leur blog, "l'Obama de Fribourg". A savoir le préfet de la Sarine Carl-Alex Ridoré. Dans une communication adressée aux squatters, affirme Nicolas, celui-ci se serait dit prêt à rencontrer l'ensemble du collectif. Et non une délégation seulement, offre que les squatters avaient rejetée. Contacté hier, Carl-Alex Ridoré n'a pas souhaité réagir, à chaud, au nouveau défi lancé par Raie Manta. I

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SQUAT VD
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24 Heures 24.11.10

Squatters de Chéserex toujours sous pression

Didier Sandoz

 La propriétaire réclame une somme à six chiffres aux jeunes qui ont quitté la ferme il y a dix-huit mois

 Tandis que la rénovation de la ferme du Vieux-Crêt peine à débuter, ses anciens occupants indésirables vivent toujours avec une épée de Damoclès sous la forme d'une procédure en prétention civile à leur encontre.

 Les squatters de Chéserex ont quitté le domaine en mai 2009. Trois plaintes étaient alors pendantes. Une, pénale, avait été déposée par la propriétaire pour violation de domicile. L'autre plainte pénale émanait des squatters eux-mêmes, contestant le caractère légal de la tentative d'expulsion de fin avril 2009. Toutes deux ont été retirées suite à une conciliation il y a un an.

 Reste la troisième requête, d'ordre civil cette fois. La propriétaire, qui possède la ferme depuis 2002, exige près de 200 000 francs pour réparer les dommages et la perte de jouissance de son bien durant près de quatre ans. "D'autres discussions ont eu lieu depuis et on ose espérer que la partie adverse pourrait se contenter d'une somme sensiblement moindre", signale Me Jean Lob, avocat des squatters.

 L'affaire devra être tranchée à la Cour civile du Tribunal cantonal. Quand? Nul ne peut le prédire. "Et c'est ça qui est pénible, déplore Jonathan, qui figurait parmi le noyau dur des squatters. On ne roule pas sur l'or et cette menace permanente plombe le moral. Le Vieux-Crêt, ce fut une belle aventure, mais le prix à payer est cher. "

 Me Jean Lob avance quelques pistes de défense. Selon lui, les occupants n'ont pas causé de déprédation et ont au contraire entretenu la bâtisse. "La propriétaire n'aurait jamais pu louer son bien en l'état", constate l'avocat. En quête de soutiens, les squatters ont distribué un tous-ménages à Chéserex pour sensibiliser les villageois à leur cause. Une démarche qui est restée sans effet, les autorités ayant en outre toujours refusé de prendre position.

 Au Vieux-Crêt, les choses n'ont guère plus avancé que dans les instances judiciaires. Annoncé comme urgent, le chantier peine à démarrer sérieusement. Le site est symboliquement fermé et des échafaudages habillent le corps de logis. Mais nul coup de marteau ou mouvement de pelleteuse ne se fait entendre. Par contre, les mises à l'enquête se suivent à intervalles réguliers. Après la rénovation des logements et d'une grange, la propriétaire sollicite actuellement le permis de démolir et de reconstruire une écurie. D. SZ

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SQUAT GE
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20 Minutes 22.11.10

Squat express à la Coulou au beau milieu de la nuit

 jonction. Quelque deux cents personnes ont brièvement occupé un immeuble de bureaux proche de L'Usine.

 Le bâtiment du 40, rue de la Coulouvrenière, acheté pour 14 millions de francs en 2007 par une société néerlandaise, reste désespérément vide. Cela explique-t-il ceci? Samedi vers 2 h du matin, après un concert improvisé devant L'Usine, environ 200 jeunes ont occupé l'immeuble. Ils ont réclamé par le biais de tags, graffitis et affiches davantage d'endroits festifs et de logements.

 Face à cette opération surprise, la police s'est contentée d'observer de loin les agissements de la foule. "En réalité, au début de l'occupation, un policier s'est rendu sur les lieux pour analyser la situation, explique Patrick Puhl, porte-parole de la police. Le contact a été un peu chaud." Pour ne pas jeter de l'huile sur le feu, les patrouilles ont ensuite contrôlé la situation du haut de la rue et bloqué les artères adjacentes. "A 5 h, tout était fini", conclut-il.

 Cette affaire survient alors que l'Etat va racheter le Moa et mettre à disposition 400 m2, au sentier des Saules, pour la culture alternative. L'immeuble de la Coulou, déjà squatté en 2007, est à louer mais "est destiné principalement à un usage bancaire ou administratif", peut-on lire sur le site de la Régie du Rhône. Le prix n'est pas précisé. -dti/tpi

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SANS-PAPIERS
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alles-fuer-alle.jiimdo.com 24.11.10
http://alles-fuer-alle.jimdo.com/2010/11/24/personenkontrollen-und-festnahmen-die-stadtpolizei-greift-die-autonome-schule-an/#permalink

Personenkontrollen und Festnahmen - Die Stadtpolizei greift die Autonome Schule an!

Heute Nachmittag hat die Stadtpolizei in ihrer Repression gegen illegalisierte MigrantInnen ein neues Mass an Unverschämtheit erreicht.

Erstmals in den fast zwei Jahren, seit es die Autonome Schule Zürich (ASZ) gibt, wurden direkt vor der Schule illegalisierte MigrantInnen kontrolliert und festgenommen. Hilflos mussten Kursteilnehmende und Kursleitende zusehen, wie einer ihrer Kollegen unter herablassenden Sprüchen von einer Polizeistreife abgeführt wurde. Der Polizeiwagen hatte das Kennzeichen ZH 728 002.

Die ASZ ist ein selbstorganisiertes Bildungsprojekt von und für MigrantInnen. Unter anderem finden kostenlose Deutschkurse statt. Über hundert Personen - vor allem Flüchtlinge, abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papiers - nehmen regelmässig an den Kursen teil.

Die ASZ mobilisiert Unterstützung

Den ganzen Nachmittag über markierte derselbe Polizeiwagen Präsenz direkt vor dem Schulhaus. In der Zwischenzeit mobilisierte die ASZ Unterstützung, um weitere Verhaftungen zu verhinden. Nach Kursende versammelten sich Kursteilnehmende, Kursleitende und Unterstützende vor dem Schulhaus. Nach heftigen Diskussionen mit der Polizeistreife zog diese vorerst ab - aber nur, um auf der anderen Seite des Schulgebäudes, bei der Tramhaltestelle Güterbahnhof, einen nigerianischen Kursteilnehmer festzuhalten.

Festnahme dank Protest verhindert

Als die Protestierenden die Tramhaltestelle erreichten, die Polizisten direkt konfrontierten und "Haut ab, haut ab" skandierten, forderte die Polizei Verstärkung an. Innert kürzester Zeit gelangten sieben Streifenwagen zur Haltestelle. Die Situation war angespannt. Die Protestierenden zogen sich in der Folge ins Schulhaus zurück. Darauf zog sich auch die Polizei zurück - und liess den festgehaltenen Nigerianer wieder frei. Es ist uns also gelungen, dank unseres entschlossenen Handelns eine Festnahme zu verhindern. Der am frühen Nachmittag verhaftete Kenianer bleibt jedoch in Haft, genauso wie ein anderes Mitglied der ASZ, das am Samstag festgenommen wurde.

"Bildung für Alle" und "Bleiberecht" verurteilen Polizeieinsatz scharf: Leupi muss handeln

Die beiden Kollektive "Autonome Schule Zürich" und "Bleiberecht für Alle" verurteilen den heutigen Polizeieinsatz scharf. Es ist ein Tabubruch in der Stadt Zürich, dass selbst beim Deutschlernen illegalisierte Menschen sich vor der Polizei fürchten müssen. Die beiden Kollektive fordern den zuständigen Stadtrat Daniel Leupi auf, seine politische Verantwortung wahrzunehmen und dafür zu sorgen, dass solche Übergriffe nicht mehr stattfinden.

Protestkundgebung am Abend

Um gegen die Angriffe auf die Teilnehmenden der ASZ und gegen die Repression gegen illegalisierte MigrantInnen allgemein zu protestieren, haben sich am Abend etwa 100 Personen beim Kanzleiarreal versammelt. Anschliessend zogen sie Parolen skandierend weiter vor die Kaserne, wo sich die zwei Verhafteten befinden. Auf dem Helvetiaplatz löste sich die friedliche Kundgebung auf.

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Sans-Papiers 22.11.10

NOTABENE

 Egal, ob illegal?

 Helmut Hubacher

 Die Gemeinde Krauchthal in der Nähe von Bern ist ein Dorf wie hundert andere. Und doch nicht ganz. Krauchthal hat etwas Besonderes, Einmaliges. Den Thorberg, das bekannte Gefängnis. Der Gemeindepräsident meinte mal ironisch zu mir, er kenne die Zahl der Einwohner nie auf den letzten Mann genau. Oben im Thorberg wechsle es ständig.

 Üblich ist natürlich, dass bei uns die Einwohnerzahlen stimmen. Die Statistik ist eine exakte Wissenschaft. Das "Statistische Jahrbuch der Schweiz", herausgegeben vom Bundesamt für Statistik, ist einen Fundgrube der Extraklasse. Sogar die Hühner werden gezählt. Möchten Sie wissen, wie viele es sind? Oder 2009 waren? Nicht etwas aufgerundete 8,2 Millionen, sondern akkurat 8 116 604 "Nutzhühner", so die Benennung. Ein Land, das seine Statistik bis auf das letzte Huhn offenlegt, ist in Sachen Genauigkeit nicht zu überbieten. Sollte man meinen. Manchmal überraschen wir uns selber.

 Über weisse Flecke wird lieber nicht geredet. Und wenn, dann eben ungern. Zum Beispiel über die Sans-Papiers. Das sind Menschen, die hier illegal leben. Die kommen in keiner Statistik vor. Fragt man im Bundeshaus, wie viele es denn seien, haut es einen fast um. Keine Amtsstelle weiss genau Bescheid. Es gibt nur Schätzungen. Und was für welche. Sie liegen weit auseinander. Zwischen 50 000 bis 300 000. Das bedeutet doch, die Behörden tappen im Ungewissen. Es könnten auch mehr sein als 300 000.

 So viel Ahnungslosigkeit ist schon wieder verdächtig. Diese statistische Unordnung passt so gar nicht zu der bis zum Letzten durchorganisierten Schweiz. In der neben Hühnern auch Geissen, Kälber, Kühe exakt gezählt und notiert werden. Sans-Papiers hingegen sind kein Thema. Da kommt es auf ein paar Hunderttausend mehr oder weniger nicht an. Der Hinweis, offiziell dürfte es sie gar nicht geben, überzeugt nicht. Sie leben und arbeiten hier illegal. Im helvetischen Untergrund. Auf dem illegalen Arbeitsmarkt, ohne Aufenthaltspapiere halt. Deshalb heissen sie ja Sans-Papiers. Sie haben formell Arbeitsverbot. Um nicht zu verhungern, müssen sie arbeiten. Bedarf dafür gibt es offenkundig. Meine Vermutung, rechtlose Sans-Papiers seien billige Arbeitskräfte, liegt wohl kaum daneben.

 Für einen Deal, auch wenn er verboten ist, braucht es zwei. Eine, die für wenig Geld schuftet, und einer, der nicht mehr Lohn zahlt. Solche Billigjobs sind auf dem normalen Arbeitsmarkt nicht gefragt. Die Sans-Papiers füllen diese Marktlücke auf. Schlecht bezahlte Arbeit ist für sie allemal besser als gar keine. Sie arbeiten ständig mit der Angst im Genick, erwischt und ausgewiesen zu werden. Zum Dank dafür dürfen sie bleiben. Illegal halt.

 Für Arbeitnehmer gibt es jede Menge Schutzbestimmungen. Sans-Papiers haben keine Rechte. Sie sind Freiwild und müssen froh sein, hier bleiben und arbeiten zu können. Das tönt nicht nur, das ist brutal. Da meldet sich das schlechte Gewissen. Deshalb wird das harte Brot dieser armen Teufel mit Zuckerguss etwas versüsst. Besser wird es deshalb nicht. Das Bundesamt für Sozialversicherungen schreibt den Krankenkassen vor, sie müssten Sans-Papiers aufnehmen. Damit sie wenigstens bei Krankheit versichert sind und behandelt werden. Die Schweiz hat die Menschenrechtskonvention schliesslich unterschrieben.

Sans-Papiers bekommen ebenso einen AHV-Ausweis. Offenbar wird damit gerechnet, dass sie auch noch als Rentner hier sind. Das zuständige Bundesamt beschwichtigt: "Der AHV-Ausweis ist kein offizielles Papier. Am illegalen Aufenthalt ändert sich nichts." Weder AHV noch Krankenkassen melden der Polizei, wenn sie Sans-Papiers versichern. Das hat schon fast etwas Versöhnliches.

 Fassen wir zusammen. Sans-Papiers sind jene 300 000 oder noch mehr Menschen, die es offiziell überhaupt nicht gibt. Sie werden in keiner Einwohnerkontrolle oder in keinem sonst wie amtlichen Register aufgeführt. Sie dürften sich eigentlich gar nicht in der Schweiz aufhalten. Aber sie werden gebraucht. Sonst fänden sie ja keine Arbeit. Also werden sie geduldet. Wer daraus folgert, das sei illegal, liegt richtig.

Sans-Papiers sind dem Gesetz des Stärkeren ausgeliefert. Wie im Dschungel. Rechtsstaatlich ist das unhaltbar und staatspolitisch nicht zu verantworten. Die offizielle Schweiz tut, als ob illegal egal wäre.

 HELMUT HUBACHER, 84, ehemaliger SP-Präsident und Buchautor

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Indymedia 21.11.10

Demo in Biel gegen Rassismus ::

AutorIn : Solidarität statt Ausgrenzung

Etwa 30 Personen beteiligten sich am 17. 11 an einer kleinen Demonstration für die sofortige Freilassung von Sopoudé. Es fand ein längerer Halt vor dem Gefängniss statt, während dem wir Kontakt mit ihm aufnehmen konnten und eine Rede gehalten wurde. Mehrere Male wurde auch lautstark Silvia gegrüsst. Anschliessend begab sich die Demo zum Zentralplatz wo sie sich auflöste.
verteiltes Flugblatt:     
    
Flugi
http://ch.indymedia.org/media/2010/11//78851.pdf

Solidarität statt Ausgrenzung!

Sopoudé steht exemplarisch für Tausende von Sans-Papiers in der Schweiz. 6 Jahre lebte er als Asylsuchender aus der Elfenbeinküste hier in Biel. Hier arbeitete er, hier baute er sich ein Leben in der Schweiz auf, fand gute Freunde, engagierte sich. Bis sein Asylgesuch nach vielen Jahren Wartezeit abgelehnt wurde und er Wohnung und Arbeitsplatz verlor. Auf das erneute Gesuch erhielt er einen Nichteintretensentscheid (NEE). Wir konnten hautnah erleben, wie es ist, seine Existenz zu verlieren, die behördlichen Schikanen, die immer wiederkehrenden Polizeikontrollen, Bussen und Gefängnisaufenthalte, die darauf angelegt sind die Menschen zu brechen, ihre letzte Hoffnung zu zerstören. Am Freitag wurde Sopoudé bei einer Kontrolle erneut verhaftet und muss 20 Tage im Regionalgefängnis Biel verbringen, weil er ein "Illegaler" ist. Die Absurdität des Systems von stetiger Schikane ist augenfällig. Aber damit nicht genug. Seit Jahren findet eine breit angelegte Kampagne gegen MigrantInnen statt. Die Parteien jeder Couleur betreiben ihre Politik auf dem Rücken der "Ausländer".
Dasselbe Prinzip wird gegen IV-BezügerInnen, SozialhilfeempfängerInnen und Arbeitslose angewandt. Diese Politik führt zu einem immer tiefer werdenden Riss in der Gesellschaft. Wir halten dagegen mit unseren bescheidenen Mitteln und Möglichkeiten: für eine solidarische Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Unterdrückung.
Dafür gehen wir heute auf die Strasse. Nicht nur für Sopoudé sondern für alle deren Namen und Schicksal wir nur erahnen können.

Wir fordern die sofortige Freilassung von Sopoudé!

Bleiberecht für alle !

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BIG BROTHER SPORT
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20 Minuten 24.11.10

Klubs sollen für Schäden von Hooligans in Zügen zahlen

 ZÜRICH. Im Kampf gegen Hooligans greifen die Schweizer Kantone durch: Sie wollen die Klubs ab Herbst 2011 für Schäden in Zügen zur Kasse bitten.

 Aufgerissene Polster, herausgerissene Sitze und zerschlagene Scheiben: Randalierer verursachten den SBB in der letzten Saison insgesamt Schäden von rund 3 Millionen Franken. Ab der nächsten Spielzeit sollen die Klubs dafür zur Kasse gebeten werden: Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) will sie für die Schäden haftbar machen, die Fans auf der Reise an Auswärtsspiele verursachen.

 Das Vorbild ist Holland: Dort müssen die Fussballfans bei Risikospielen immer geschlossen anreisen und die Klubs müssen seit 2005 die durch Hooligans verursachten Schäden bezahlen. Seither sind die Kosten für die Sachbeschädigungen an Zügen von jährlich Hunderttausenden Euro auf 5000 Euro gesunken. "Wir sind überzeugt, dass man das holländische Modell in der Schweiz einführen muss", sagte KKJPD-Generalsekretär Roger Schneeberger in der SF-Sendung "10 vor 10".

 Die Swiss Football League blockt den Angriff aufs Portemonnaie vorerst ab: Sie wolle zuerst die Situation analysieren, sagt der Sicherheitsverantwortliche Christian Schöttli. Weigern sich die Klubs jedoch wie bis anhin, für Schäden an den insgesamt 140 Extrazügen zu bezahlen, wollen die Kantone ihnen künftig einfach höhere Sicherheitskosten in Rechnung stellen.  hal

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10vor10 sf.tv 23.11.10

Hooligans: Klubs an die Kasse gebeten

Holland hat eine Lösung für das das Hooligan-Problem. Fussball-Klubs haften dort für Schäden, die ihrer Fans an Auswärtsspiele verursachen. Nun fordern die SBB, dass auch in der Schweiz Klubs für Schäden aufkommen, und erhalten erstmals Unterstützung durch die Kantone.
http://videoportal.sf.tv/video?id=2786e468-a7c6-4d59-9fff-fa40b623494d

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sf.tv 23.11.10

Kantone fordern: Klubs sollen Schäden ihrer Hooligans bezahlen

sf

 Schweizer Fussball-Randalierer verursachen jede Saison Schäden in Höhe von über drei Millionen Schweizer Franken an SBB-Extrazügen. Kantone wollen Klubs neu für Schäden ihrer Hooligans haftbar machen. KKJPD-Generalsekretär Roger Schneeberger bestätigt: "Wir wollen diese Massnahme bis Herbst 2011 realisieren."

 In den Niederlanden haften Fussball-Klubs seit 2005 für Schäden ihrer Fans, die an Auswärtsspiele reisen. Seither sind die Sachbeschädigungen an Zügen von jährlich hunderttausenden von Euro auf 5000 Euro gesunken, wie "10vor10" berichtete.

 Die SBB fordert nun, dass auch die Schweiz das Modell der Niederlande übernimmt: Fans müssen dort bei Risikospielen immer geschlossen anreisen und Klubs für sämtliche Schäden an Auswärtsspielen haften. In der Sendung "10vor10" sagt SBB-Mediensprecher Reto Kormann: "Die SBB hat über drei Millionen Franken an Schäden. Wir wollen, dass die Klubs endlich auch ausserhalb der Stadien zu ihrer Verantwortung stehen für die Schäden an Zügen und Bahnhöfen."

 Kantone wollen bis Herbst 2011 Klubs finanziell haftbar machen

 Unterstützung erhält die SBB jetzt von den Kantonen. Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren (KKJPD) will, dass Schweizer Klubs neu für Schäden ihrer Hooligans haftbar sind. Dies bestätigt Roger Schneeberger, Generalsekretär der KKJPD gegenüber "10vor10". Schneeberger: "Wir sind der Überzeugung, dass man das Holländermodell in der Schweiz einführen muss. Wir wollen diese Massnahmen bis Herbst 2011 realisieren."

 Fussball-Liga zögerlich

 Die Schweizer Profiklubs blocken den Angriff aufs Portemonnaie ab. Christian Schöttli, Sicherheitsverantwortlicher der Swiss Football League, sagt gegenüber "10vor10": "Wir sind bereit für Massnahmen, welche die Sicherheit verbessern. Jetzt wollen wir zuerst die Situation analysieren und dann eine umsetzbare Lösung definieren und anwenden."

 Einen konkreten Termin dafür wollte die Swiss Football League aber nicht nennen. Klar ist: Weigern sich die Klubs, für Schäden an Extrazügen zu zahlen, wollen die Kantone künftig höhere Sicherheitskosten stärker in Rechnung stellen.

 Mehr dazu heute in der Sendung "10vor10", um 21:50 Uhr.

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20 Minuen 23.11.10

Weniger Geld für Fanarbeit: Kritik an Luzerner Stadtrat

 LUZERN. Der Stadtrat will bei der Luzerner Fanarbeit sparen - und widerstrebt damit den Bemühungen des Bundes. Dies stösst Beteiligten und Politikern sauer auf.

 "Mit der Kürzung der Gelder zieht sich der Stadtrat aus der Verantwortung", sagt Jörg Häfeli, Präsident der Luzerner Fanarbeit. Grund für seinen Ärger: Im Zuge des Sparpakets soll der städtische Beitrag an die Fanarbeit Luzern (siehe Box) in den nächsten Jahren schrittweise von 65 000 auf 20 000 Franken pro Jahr gekürzt werden. Dieser Plan widerspricht jedoch einem neuen Rahmenkonzept, in dem das Bundesamt für Sport (Baspo) zusammen mit Sportverbänden und Polizei die Bedingungen für die Fanarbeit definiert. Darin wird festgehalten, dass die Finanzierung zu je einem Drittel von Kanton, Stadt und den Klubs übernommen werden sollte. Die Stadt will jedoch, dass der FCL künftig einen höheren Beitrag leistet. Für Häfeli keine Lösung: "Dann wäre die Fanarbeit nicht mehr unabhängig."

 Beim Bund würde man eine Kürzung des städtischen Beitrags bedauern. "Die Fanarbeit ist eine erfolgsversprechende Massnahme gegen Gewalt bei Sportveranstaltungen", sagt Markus Feller vom Baspo. Die Grünen der Stadt Luzern haben jetzt einen dringlichen Vorstoss eingereicht. Darin fordern sie, dass die Stadt auf die Kürzung verzichtet, bis sich andere Gemeinden am Projekt beteiligen.

 Bei der Stadt will man zu dem hängigen Vorstoss noch keine Stellung nehmen. Daniel Deicher von der Sicherheitsdirektion sagt aber: "Das Konzept vom Bund wurde uns nie zugestellt."
Markus Fehlmann

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 Die Luzerner Fanarbeit

 LUZERN. Die Fanarbeit Luzern existiert seit 2007 und verfügt über 120 Stellenprozente. Die Kosten von 200 000 Franken werden zu je einem Drittel von Kanton, Stadt und dem FC Luzern getragen. Die Fanarbeit dient als Anlaufstelle für Fans, Fanclubs und Behörden. Zudem initiiert sie präventive Projekte gegen Gewalt, Rassismus und übermässigen Alkoholkonsum. So gibt sie zum Beispiel in Extrazügen Getränkebons für Mineralwasser an junge Fans ab.

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20min.ch 21.11.10

Sanktionskatalog: Hooligans geht es einheitlich an den Kragen

 Die Schweizer Staatsanwaltschaften gehen gemeinsam gegen Fussballchaoten vor. Die Kantone haben am Freitag einen gemeinsamen Sanktionskatalog vorgestellt.

 Die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) hat am Freitag einen einheitlichen Sanktionskatalog verabschiedet. "Es ist das erste Mal, dass wir eine solche detaillierte Empfehlung abgeben", sagt Felix Bänziger, KSBS-Präsident gegenüber der "SonntagsZeitung". Festgehalten wird ihm Strafenkatolog, wie Delikte von Gewalttätern an Sportveranstaltungen bestraft werden sollen. Ziel sei es, dass Straftaten zu ähnlichen Sanktionen in den unterschiedlichen Kantonen führen. Die Empfehlungen sind bereits Standard in Basel, Luzern und St. Gallen.

 Inhaltlich gehört zur neuen Gangart, dass die Staatsanwaltschaften Hooligans, die eine bedingte Strafe kassieren, künftige Matchbesuche verbieten wollen. Gehen sie trotz einer solchen Auflage zum Spiel, könnte in der Folge ihre Strafe in eine unbedingte umgewandelt werden. Gemäss Strafgesetzbuch gelten solche Auflagen in einer Probezeit, die zwischen zwei und fünf Jahre dauern kann. Konkret empfielt der Katalog beispielsweise beim Mitführen von Feuerwerkskörper von 60 bis 90 Tagessätzen bedingt und eine Busse. Für aktiven Landfriedensbruch ist ein Strafmass von mindestens 130 Tagessätzen vorgeschlagen. Anführer von Ausschreitungen sollen ohne Ausnahme vor den Richter. Werden sie verurteilt, drohen ihnen bis zu sechs Monate Gefängnis.

 Im Kanton St. Gallen sind laut Staatsanwalt Thomas Hansjakob schon zwei Dutzend solcher Matchauflagen, wie es die neuen Richtlinien vorschlagen, ausgesprochen worden: Sie verbieten den Betroffenen, sich zwei Stunden vor bis zwei Stunden nach einem Spiel einem Stadion auf weniger als einen Kilometer zu nähern. (amc)

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Sonntagszeitung 21.11.10

Härtere Gangart gegen Hooligans
Kantone beschliessen einheitlichen Sanktionskatalog - Klubs fürchten um Integrationsprojekte

 Zürich Die Staatsanwaltschaften verschärfen die Gangart gegen Hooligans massiv: Am Freitag hat die Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz (KSBS) einen einheitlichen Sanktionskatalog verabschiedet. Darin wird festgehalten, wie Delikte von Gewalttätern an Sportveranstaltungen bestraft werden sollen. Experten beurteilen ihn als streng und abschreckend. "Es ist das erste Mal, dass wir eine solche detaillierte Empfehlung abgeben", bestätigt Felix Bänziger, KSBS-Präsident und Oberstaatsanwalt im Kanton Solothurn. Ziel sei es, dass Straftaten zu ähnlichen Sanktionen in den unterschiedlichen Kantonen führen.

 Zur neuen Gangart gehört, dass die Staatsanwaltschaften Hooligans, die eine bedingte Strafe kassieren, künftige Matchbesuche verbieten wollen. Gehen sie trotz einer solchen Auflage zum Spiel, könnte in der Folge ihre Strafe in eine unbedingte umgewandelt werden. Gemäss Strafgesetzbuch gelten solche Auflagen in einer Probezeit, die zwischen zwei und fünf Jahre dauern kann.

 Gemäss Sanktionskatalog riskieren Hooligans, die beispielsweise verbotene Feuerwerkskörper mit sich führen, neu Geldstrafen von 60 bis 90 Tagessätzen bedingt und eine Busse. Für aktiven Landfriedensbruch empfiehlt die Konferenz ein Strafmass von mindestens 130 Tagessätzen. Anführer von solchen Ausschreitungen wollen die Staatsanwaltschaften zwingend vor Gericht bringen. Dort drohen, falls es zu einer Verurteilung kommt, mindestens sechs Monate Gefängnis.

 Gemäss Bänziger übernimmt die Empfehlung Standards, wie sie in den Kantonen Basel-Stadt, Luzern und St. Gallen schon gebräuchlich sind. Im Ostschweizer Kanton sind laut Staatsanwalt Thomas Hansjakob schon zwei Dutzend Matchauflagen ausgesprochen worden: Sie verbieten den Betroffenen, sich zwei Stunden vor bis zwei Stunden nach einem Spiel einem Stadion auf weniger als einen Kilometer zu nähern. Damit soll verhindert werden, dass Fans mit Stadionverboten trotzdem zu Spielen fahren oder dass sie sich in den Klublokalen rund um die Stadien treffen. Fussballverband-Sicherheitschef Ulrich Pfister rechnet mit positiver Wirkung: "Die Reisetätigkeit von Fans mit Stadionverboten wird eingeschränkt."

 Laut Hansjakob sichern die Behörden im Grunde verbandsrechtliche Stadionverbote zusätzlich ab. Dies, weil er den Eindruck habe, dass verschiedene Klubs sehr zurückhaltend seien, wenn es darum gehe, Stadionverbote eigener Fans bei Heimspielen durchzusetzen. Auch Roger Schneeberger, Generalsekretär der Konferenz der Polizeidirektoren (KKJPD), bemängelt: "Die bisherige Stadionverbotspraxis war uneinheitlich, weil Klubs mit Integrationsprojekten einzelnen Betroffenen eigenständig Zugang zu Heimspielen gewährten." Darum begrüsse er, dass Straftäter Auflagen erhalten, die sie von allen Spielen fernhalten.

 Josef Zindel verteidigt das Integrationsprojekt des FC Basel: "Bisher haben wir gute Erfahrungen gemacht." Wobei schon früher keine Personen aufgenommen worden seien, denen ein Offizialdelikt vorgeworfen werde. Zindel hofft, dass mit diesem Entscheid das erfolgreiche Projekt "nicht stirbt".  

Matthias Halbeis

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BZ 20.11.10

Nause erhöht Druck auf YB

 Der Fussballverband hat die Pyrobussen an die Clubs gesenkt. Für Berns Sicherheits-direktor Reto Nause (CVP) ein "falsches Signal". Er kritisiert den Verband und die Vereine für ihre "lasche Politik" - und droht YB, mehr Sicherheitskosten zu verrechnen.

 Mehr als 100 000 Franken Busse musste YB letzte Saison an den Fussballverband bezahlen. Diese Summe dürfte sich in der aktuellen Spielzeit verringern. Aber nicht etwa, weil die YB-Fans weniger Pyrofackeln zünden. Sondern weil die Swiss Football League (SFL) zu Saisonbeginn die Bussen wegen Pyrodelikten an die Vereine gesenkt hat.

 "Die Fussballclubs geben viel Geld für die Pyrorepression aus - mit bescheidenem Erfolg", sagt SFL-Pressesprecher Roger Müller. Die drastischen Strafen in der Vergangenheit hätten ihre Wirkung verfehlt. "Die Vereine sollen die knappen Ressourcen dazu verwenden, um wirkliche Gewaltakte und Vandalismus zu verhindern." Um welchen Betrag sich die Bussen verringern, lässt sich gemäss SFL-Sprecher Roger Müller erst sagen, wenn mehrere Urteile der Disziplinarbehörden vorliegen.

 Nause droht Konsequenzen an

 Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) kritisiert den Verband: "Die Bussen zu senken, ist das komplett falsche Signal." Nause will gegen die "zu lasche Politik des Verbandes und der Clubs" vorgehen. "Wir brauchen keine Ausreden, sondern klare Statements." Er werde YB in die Pflicht nehmen: "Wenn sich der Club im Kampf gegen Pyro weiterhin so zurückhält, verstärke ich den Druck." Dazu habe er nur einen Hebel: eine höhere Abgeltung der Sicherheitskosten.

 Er verstehe nicht, sagt Reto Nause, weshalb das Pyrozünden in Schweizer Stadien überhaupt noch möglich sei. "In anderen Ländern ist diese Unsitte längst Geschichte." Nause kritisiert die Swiss Football League ebenso wie die Young Boys. "Die Clubs und der Verband könnten das Problem von heute auf morgen lösen, wenn sie nur wollten." Der Berner Sicherheitsdirektor liefert Ansätze für den Kampf gegen Pyros: "Geisterspiele, Punkteabzug, gesperrte Gästesektoren."

 YB-Sprecher Albert Staudenmann weist Nauses Kritik zurück: "Wir sind froh für konstruktive Lösungsansätze. Aber wenn das Problem so einfach zu lösen wäre, würden wir es sicher tun", sagt er. Die Young Boys seien nicht untätig und hätten in jüngster Vergangenheit 70 Stadionverbote erteilt. "Hundert Prozent sichere Eingangskontrollen sind unmöglich, sonst müssten die Leute vor dem YB-Match stundenlang anstehen." Als "realitätsfremd" wird Nauses Kritik von Roger Müller taxiert. "Das Gewaltmonopol liegt beim Staat. Wir müssen unseren Teil beitragen, aber ohne die Hilfe der Behörden sind wir machtlos", sagt er. Doch die Polizei sei ebenfalls zurückhaltend. "Als wir vor wenigen Jahren in Zürich wegen Pyros Geisterspiele verhängten, haben sich die Fans vor dem Stadion versammelt und ein gigantisches Feuerwerk veranstaltet." Weder Polizei noch Feuerwehr hätten eingegriffen.

 "Dann gibts Schwerverletzte"

 "Wenn die Polizei einschreitet, während Fackeln brennen, riskiert sie Schwerverletzte", sagt Reto Nause. Einsätze im Fanblock seien heikel. "Würden Polizisten die einzelne Pyrozünder aus der Fankurve holen, gibts eine Schlacht im Stadion", das wäre unverhältnismässig. Wenig hält Reto Nause vom Vorschlag der Stadtberner SP. Diese will das kontrollierte Abbrennen von Pyrofackeln erlauben (wir berichteten). "Die Fackeln sind hochgefährlich, auch wenn sie kontrolliert abgebrannt werden", sagt Nause. Sie werden über 1000 Grad heiss und lassen sich nicht mit Wasser löschen (siehe Text unten). "Brauchts wirklich zuerst einen Schwerverletzten, damit die SP die Idee verwirft?"

 Auch YB-Sprecher Albert Staudenmann kommentiert den SP-Vorschlag skeptisch: "Der Begriff kontrolliertes Abbrennen müsste zuerst auf nationaler Ebene definiert werden", sagt er. Es gehe dabei auch um Haftungsfragen bei Unfällen. "Wir erhalten immer wieder Rückmeldungen von Zuschauern, die sich über diese Pyros und den Rauch aufregen."

 Tobias Habegger

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 "Wegen Pyrofackeln könnte jederzeit ein schlimmer Unfall passieren"

 Sicherheit im Stadion

 Ist Pyrotechnik im Fussballstadion gefährlich? "So wie wir die Fackeln brauchen, tendiert die Unfallgefahr gegen null", sagte YB-Fan P. J. (Name der Redaktion bekannt) gestern in dieser Zeitung. Bei YB werde seit 20 Jahren gezündet. "Verletzte gab es nie." Dem widerspricht Roger Müller, Pressesprecher der Swiss Football League (SFL). "Wir erhalten immer wieder Meldungen von Verbrennungen und Atemwegproblemen." Ein schlimmer Unfall sei bisher glücklicherweise ausgeblieben. "Doch es könnte jederzeit etwas Schlimmes passieren. Es hat viele Menschen auf engem Raum im Stadion. Die Fluchtwege sind begrenzt." YB-Sprecher Albert Staudenmann gibt zu bedenken: "Auch wenn bisher zum Glück keine gravierenden Unfälle zu verzeichnen waren, ist das Gefahrenpotenzial keinesfalls zu unterschätzen. Unser Sicherheitsdienst hat schon Videoaufnahmen ausgewertet, auf denen zu erkennen war, dass sich die Zünder von Pyros kleinere Verletzungen zugezogen haben." Die Nebenwirkungen wie Rauch und grelles Licht seien sowohl für die Akteure auf dem Spielfeld als auch für die Zuschauer in der Umgebung unangenehm und schädlich. "Spielunterbrüche aufgrund der Rauchentwicklung sind nicht im Sinn des Fussballs." tob

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SEXWORK
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Rundschau sf.tv 24.11.10

Bewilligungschaos im Milieu

Jeder Kanton regelt den Aufenthalt von Tänzerinnen und Prostituierten anders. Fachleute kritisieren, dass Politiker die Frauen zu wenig schützen. Eine Reportage im Milieu und im Bundeshaus.
http://videoportal.sf.tv/video?id=0c778f05-7c5c-4e31-a7ff-29c7cceefb9e

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Basler Zeitung 23.11.10

Jetzt kommen die Freier dran

 Als erster Kanton will das Tessin Kunden von illegalen Sexarbeiterinnen büssen

 Gerhard Lob, Bellinzona

 Der Kanton Tessin sagt der illegalen Prostitution den Kampf an. Laut dem Gesetzesentwurf sollen neu auch die Freier zur Rechenschaft gezogen werden.

 Prostitution ist im Tessin grundsätzlich erlaubt. Es gibt rund 30 Bordelle, Kontaktlokale und erotische Saunen. Doch bei den regelmässig durchgeführten Polizeikontrollen in den einschlägigen Lokalen fällt die hohe Zahl illegal praktizierender Prostituierter auf, das heisst von Frauen oder Transvestiten, die sich nicht bei der Polizei gemeldet haben und keine Steuern bezahlen. Dabei existiert seit Inkrafttreten des kantonalen Prostitutionsgesetzes 2001 eine entsprechende Meldepflicht. Zurzeit sind 840 Personen im kantonalen Verzeichnis registriert. Die Zahl der Illegalen dürfte etwa gleich hoch sein.

 kriminelles umfeld. Das kantonale Innendepartement will diesem Treiben nicht länger zusehen. Es hat dieser Tage den Entwurf für eine Gesetzesrevision in die Vernehmlassung geschickt, welche der Ausübung der illegalen Prostitution den Kampf ansagt. Dies insbesondere, um den Sumpf an Kriminalität, der sich rund um das horizontale Gewerbe ausbreitet, einzudämmen: Delikte wie Menschenhandel, Wucher, Ausnützen abhängiger Personen oder Drogenkonsum. "Man muss mit den romantischen Vorstellungen von der Prostitution endgültig aufräumen", sagt der Tessiner Polizei- und Justizdirektor Luigi Pedrazzini (CVP) mit Verweis auf dieses kriminelle Umfeld.

 Der Gesetzesentwurf sieht denn auch vor, dass Bordelle oder erotische Lokale einer Bewilligungspflicht unterliegen. Ein Gerant ist für den ordnungsgemässen Ablauf rechtlich verantwortlich, das heisst auch für die polizeiliche Anmeldung der dort tätigen Prostituierten. Die Polizei kann die Einhaltung der Regeln jederzeit kontrollieren. Damit entfällt der bisher nötige richterliche Durchsuchungsbefehl für ein Lokal.

 abschreckend. Neu sollen auch die Freier zur Rechenschaft gezogen werden, allerdings nur diejenigen, die sich mit illegalen Prostituierten ausserhalb der autorisierten Lokale einlassen. Das Gesetz sieht Bussen ab 200 Franken vor. "Wichtiger noch als der Betrag ist die Tatsache, dass fehlbare Freier auf die Polizeiwache zitiert werden", sagt Guido Santini, Chefbeamter im Innendepartement, der bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes federführend war. Dies erzeuge einen abschreckenden Effekt. Viele Freier wollten auf alle Fälle vermeiden, dass Polizeikorrespondenz in Zusammenhang mit Prostitution nach Hause geschickt werde und allenfalls Familienangehörigen in die Hände falle.

 Laut Santini ist die Strafbarkeit von Freiern eine Schweizer Premiere. Auch in Westschweizer Kantonen, die in der Gesetzgebung in Sachen Prostitution sehr detailliert sind, gebe es bis anhin keine entsprechende Regelung. Neben der Strafbarkeit von Kunden legt das neue Tessiner Gesetz zudem Zonen fest, in denen keine Prostitution ausgeübt werden kann. Dabei handelt es sich um Wohnquartiere oder Gebiete in direkter Nähe zu Schulen oder Spitälern.

 Das Departement hat die Vorschläge bis Ende Jahr in die Vernehmlassung geschickt. Danach wird eine definitive Version ausgearbeitet, vom Staatsrat diskutiert, verabschiedet und an die Legislative überwiesen. Angesichts dieser Zeitspannen wird das Gesetz wohl erst nach den Erneuerungswahlen vom April 2011 im Grossen Rat diskutiert werden.

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Südostschweiz 21.11.10

Realität und Tabu zugleich

 Seit Tausenden von Jahren gehört die Prostitution zur Menschheit. Doch anschaffende Frauen kämpfen noch immer in einem Umfeld voller Tabus und prekären Arbeitsbedingungen, wie eine Podiumsdiskussion in St. Gallen aufzeigte.

 Von Stefan Ehrbar

 St. Gallen. - Seit nun zehn Jahren kümmert sich im Kanton St. Gallen die Organisation "Maria Magdalena" um Frauen, die ihr Einkommen im Sexgewerbe verdienen. Das Jubiläum der zum Gesundheitsdepartement gehörenden Institution war denn auch Anlass für eine am Freitagabend in St. Gallen durchgeführte Podiumsdiskussion zum Thema "Sexarbeit ist Arbeit".

 In einer Rede machte sich vorab der Journalist Ludwig Hasler Gedanken zur Prostitution. "Keine Kraft überwältigt den Menschen so sehr wie die Sexualität", meinte der Autor. Doch in der abendländischen Kultur sei die Begierde immer der dunkle Teil der Liebe gewesen. Die Gesellschaft habe sich mittlerweile zwar geändert. Doch noch immer stehe die Prostitution ausserhalb der bürgerlichen Ordnung. "Wir müssen nicht gleich die Moral fallen lassen", meinte Hasler - doch es sei klüger, moralfreie Zonen zu belassen und dafür dort für anständige Verhältnisse zu sorgen.

 Verklären dürfe man die Sexualität ohnehin nicht. Sex habe schon immer einen ökonomischen Aspekt gehabt und habe sich immer schon rechnen müssen.

 Rund 350 000 Freier

Prostitution ist in der Schweiz seit knapp siebzig Jahren legal; schätzungsweise 350 000 Freier und etwa 18 000 Prostituierte gibt es hierzulande. Die Frage, wie ein menschenwürdiges Umfeld für Prostituierte geschaffen werden kann, wurde während der Podiumsdiskussion unterschiedlich beantwortet. Die NZZ-Redaktorin und Juristin Brigitte Hürlimann vertrat die Meinung, dass keine neuen Gesetze notwendig seien. Denn bei den Prostitutionsgesetzen, die in den letzten Jahren in verschiedenen Kantonen verabschiedet worden seien, handle es sich um reine Polizeigesetze. Diese verfolgten das Ziel, die Sexarbeiterinnen stärker zu kontrollieren, ohne ihnen mehr Rechte einzuräumen.

 Heidi Hanselmann, ihres Zeichens St. Galler Gesundheitsdirektorin, gab zu bedenken, dass Gesetze nur eine Seite seien - die gesellschaftliche Meinung eine andere. "Prostitution ist Realität, aber immer noch ein Tabu", fasste Hanselmann die heutige Situation zusammen.

 Keine Patentrezepte

 Die Tabuisierung der Prostitution hat derweil weitreichende Folgen. Der Treuhänder Karl J. Hirzel etwa, der auch Prostituierte berät, gab an, erst eine Sexarbeiterin betreut zu haben, die sich bei den Sozialversicherungen auch als solche angemeldet habe. "Die Prostituierten verstecken sich heute", führte Susanne Gresser von "Maria Magdalena" aus. Dabei wäre nur schon der psychischen Gesundheit dieser Frauen gedient, wenn die Prostitution auch gesellschaftlich akzeptiert würde, meinte die Sozialarbeiterin.

 Als dann am Ende das Publikum Fragen stellen durfte, wurde die Diskussion emotionaler. Ein Mann, der sich selbst als gelegentlichen Freier bezeichnete, prangerte beispielsweise die Arbeitsumstände der Prostituierten an.

 Diese kämen ihm "wie Batteriehaltung" vor, und auch die Polizei tue zu wenig - worauf ein Polizist aus dem Publikum anmerkte, Prostituierte seien selten kooperationswillig. Dadurch seien konkrete Schritte gegen straffällige Betreiber schwierig.

 Ein Patentrezept gegen bestehende Missstände konnte denn auch niemand präsentieren. Conny Sallmayer, die selber eine Kontaktbar betreibt, erinnerte an die Verantwortung der Freier: "Wenn ein Mensch etwas Gefühl hat, merkt er, wie es den Mädchen im Betrieb geht."

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Bund 20.11.10

Das grosse Basteln am Prostitutionsgesetz

 Noch vor dem ersten Entwurf des Gesetzes werden Politikerinnen aktiv.

 Anita Bachmann

 Im Frühling 2009 entschied der Grosse Rat, dass es im Kanton Bern ein Prostitutionsgesetz braucht. Ein Gesetz, welches alle nötigen Vorschriften über das Sexgewerbe an einem Ort vereinigt, die Situation der Prostituierten verbessert und sie vor Ausbeutung schützt. Und schliesslich auch verhindern soll, dass grosse Teile des Gewinns aus dem Gewerbe am Fiskus vorbeigeschleust werden. Noch bevor das Prostitutionsgesetz fertig erarbeitet war und in die Vernehmlassung geschickt wurde, reichten Grossräte bereits wieder Motionen ein, die das Regelwerk des Sexgewerbes betreffen. Seit das neue Gesetz am 12. November in der Vernehmlassung ist, wies nun auch Xenia, die Beratungsstelle für Frauen im Sexgewerbe, auf Schwachstellen hin. Xenia hat zwar an der Ausarbeitung des Gesetzes mitgeholfen, sei dabei aber als Minderheit auch überstimmt worden. "Zusammen mit der Aids-Hilfe Bern waren wir zwei Leute von NGOs, dagegen waren acht Behördenmitglieder in der Arbeitsgruppe", sagt Martha Wigger, Leiterin der Beratungsstelle Xenia. Bei den neusten Vorschlägen zur Regelung des Sexgewerbes handelt es sich um drei Punkte:

 Zwar verzichtet die Kantonsregierung im ersten Entwurf des Gesetzes bewusst auf eine allgemeine Meldepflicht für die Sexarbeiterinnen. Eine solche Meldepflicht sei eine zusätzliche Stigmatisierung der Sexarbeiterinnen und hätte einen nicht zu unterschätzenden bürokratischen Aufwand zur Folge, schreibt der Kanton. Jetzt fordert die grüne Stadtberner Grossrätin Barbara Mühlheim in einer Motion aber genau diese generelle Meldepflicht - zum Schutz vor kriminellen Organisationen und Menschenhandel. Wenn die Behörden wüssten, wann und wo die Frauen arbeiteten, würden sie unter Umständen auf allfällige Hintermänner und Organisationen aufmerksam, die versuchten, die Sexarbeiterinnen auszubeuten, begründet Mühlheim. "Xenia und Aids-Hilfe Bern bekämpfen diese Pflicht zur Registrierung vehement", sagt Wigger. Die Meldepflicht knüpfe an die Tradition der Homosexuellenregister der 1930er-Jahre an. Wenn sich eine Sexarbeiterin der Registrierung entziehe, weil sie privat und diskret arbeiten wolle oder sich vor Ausgrenzung fürchte, handle sie gezwungenermassen illegal. Ausländerinnen würden zudem bereits heute mehrfach registriert, etwa bei der Migrationsbehörde, der Arbeitsmarktbehörde, dem AHV-Register und der Gemeinde.

 Businessplan wieder abschaffen

 Seit letztem Herbst müssen selbstständige Sexarbeiterinnen aus den EU- und Efta-Staaten ein anspruchsvolles Meldeverfahren durchlaufen. Nebst einem Mietvertrag für einen Arbeitsraum und einer Krankenversicherung müssen die Frauen beim Wirtschaftsamt einen Businessplan vorlegen. Xenia befürchtet, dass die Frauen deswegen vermehrt schwarzarbeiten oder sich verschulden, weil der Papierkram einige Zeit in Anspruch nimmt. Mit einer ähnlichen Argumentation reichte nun auch die FDP-Grossrätin Katrin Zumstein eine Motion ein, die verlangt, die Änderungen im Meldeverfahren aufzuheben. Der Regierungsrat wolle aber die Praxis so lange beibehalten, bis das neue Prostitutionsgesetz in Kraft sei, heisst es in der Antwort auf die Motion. Erst dann soll die Meldepraxis neu überprüft werden. Dies wird aber nicht vor Mitte 2012 der Fall sein. Zudem schreibt der Regierungsrat auch über in seinen Augen positive Effekte des verschärften Meldewesens: Seit der Einführung der neuen Praxis seien weit weniger Meldungen betreffend selbstständige Tätigkeit im Erotikgewerbe eingegangen, und es gebe auch keinen Anstieg illegaler Sexarbeit. Im neuen Prostitutionsgesetz kommt das umstrittene Meldeverfahren für selbstständig erwerbende Europäerinnen nicht vor. "Es ist im Gesetz nicht geregelt", sagt Wigger.

 Kern des Prostitutionsgesetzes ist eine Bewilligungspflicht für Leute, in deren Verantwortung Prostitution ausgeübt wird. So müssen sich etwa Salonbetreiber künftig an klare Regeln halten, wenn sie denn überhaupt eine Bewilligung bekommen. Xenia bemängelt nun, dass der Begriff Bewilligungsinhaber im Gesetz zu schwammig formuliert sei. Im Gesetzesentwurf werde nicht klar, ob der Hausbesitzer, die Verwaltung, der Mieter oder der Untermieter gemeint sei. Eine Gruppe von zwei bis drei Frauen, die sich einen Salon teilten, um sich gegenseitig Schutz und Sicherheit zu geben, dürfe nicht darunter fallen. "Der Grosse Rat muss diese Schwachstelle bei der Gesetzesberatung korrigieren", sagt Wigger.

 Regelt das Steuerwesen

 Nebst der Kritik gibt es aber für den Gesetzesentwurf auch Lob von Xenia: Er stärke die Position der Beratungsstellen, schütze die Bevölkerung vor unzumutbaren Störungen und stärke die Rechte der Sexarbeiterinnen, regle aber auch ihre Pflichten. Wie in jedem anderen Beruf sollen Steuer- und Sozialversicherungsvorschriften eingehalten werden, sagt Wigger.

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ZÜRI BRÄNNT
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Blick am Abend 22.11.10

Die längste Party Zürichs

 ZÜRI BRÄNNT

 Vor 30 Jahren begannen die Jugendunruhen, sie halten Zürich zwei Jahre auf Trab.

 michael.perricone@ringier.ch

 Am Anfang steht, wie es sich für eine Jugendbewegung gehört, die Musik. Die Jugendgruppe "Rock als Revolte" und andere Gruppierungen fordern 1979 einen eigenen Raum für Jugendliche. Ausser den Angeboten von Pfadi und Kirchgemeinden gibt es nur eine Handvoll Discos in Zürich. Heute vor 30 Jahren, am 8. Juni, sagt das Zürcher Stimmvolk aber Ja zu einem 60-Mil lionen-Franken-Kredit für das Opernhaus.

 Bereits im Vorfeld demonstrieren die Jungen auf Zürichs Strassen: Mil lionen für die etablierte Kultur, aber nichts für die Jungen? Das bringt das Fass zum Überlaufen. Nach einem Bob-Marley-Konzert rollte der erste "Opernhauskrawall" über die Strassen - Zürich gerät in eine zwei Jahre anhaltende "Bewegung". Demonstrationen, Tränengas, ja sogar Brandanschläge halten die geschockten Bürger auf Trab. Im November 1980 kommt es in der Innenstadt zu Plünderungen.

 Weder Politiker noch die breite Bevölkerung können nachvollziehen, was da in die Jugend gefahren ist. Im Gegensatz zur 68er-Bewegung gehen die Jugendunruhen nämlich nicht ideologisch von Studenten aus, sondern bündeln den Wunsch der allermeisten Jungen, die einfach Platz haben wollen für Rockkonzerte, zum Abhängen, zum Feiern. Was heute selbstverständlich ist, ist in einer Zeit, als die Trottoirs um 22 Uhr hochgeklappt werden und auf Wiesen das Sitzen noch verboten ist, eine echte Revolte. Wegen "unzüchtiger Bilder" ziehen die Behörden sogar Filme und Flugblätter ein. Die Politiker reagieren ratlos. Gegen Besetzungen, die wöchentlichen Demonstrationen und die oftmals ironischen Forderungen ("Freie Sicht aufs Mittelmeer") haben sie kein Rezept. Aber die Bewegung radikalisiert sich und ist sich über die Gewaltanwendung uneins. Im März 1982 schliesslich wählen die Zürcher eine klar bürgerliche Regierung. Die Bewegung ist am Ende, erringt aber die "Rote Fabrik".

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 Typisch Bewegung

 Aktivisten der Bewegung sorgten landesweit immer wieder für Lacher - und Empörung: Berühmt die "Müllers", zwei Bewegte, die in der TV-Sendung "CH Magazin" als Bünzlis über die Jugendunruhen schimpften.

 Gut gemeint

 Das Wie, Warum und Weshalb entschied die Jugendbewegung an Vollversammlungen (VV), wo jeder mitdiskutieren und mitentscheiden konnte. Versammlungsorte waren das AJZ oder die Rote Fabrik.

 18. Juni 1980
 Die Polizei räumt das Zürcher Rathaus nach einem "Sit-in" der Bewegung.

 Gewalt
 Menschen kamen bei den diversen Brandanschlägen nie zu Schaden.

 15. Juni 1980
 Bilder der berühmten Nackt-Demo gehen um die Welt.

 März 1981
 Das AJZ wird - wieder einmal - geschlossen.

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 Gewalt und Feuer für etwas Freiheit.

 KOMMENTAR

 Was blieb?

 Die "Rote Fabrik" ist ein Relikt der Jugendunruhen, aber kein Anziehungspunkt mehr für Junge. Zürichs Jungvolk ist heute anders gewickelt. Aber als "Partystadt" ist sie 1980 geboren worden. Die Nachfolger der Bewegung, die Betreiber illegaler Klubs Ende 80er-Jahre, waren inspiriert von den Zielen der Bewegung: in Eigenverantwortung Eigenes kreieren. Die Behörden waren weichgeklopft und zeigten sich gesprächsbereit. Ironie der Geschichte: Die SP, Anfang 80er die einzige Partei mit einem offenen Ohr für die Jugend, ist zur Vorschrifts- und Verhindererpartei mutiert.

 Michael Perricone  Stv. Chefredaktor

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 Herzstück abgerissen

 AREAL

 Das AJZ, das Autonome Jugendzentrum, war Herzstück der Jugendunruhen. Das alte Haus stand auf dem heutigen Carparkplatz hinter dem Hauptbahnhof. Die Jungen forderten das Areal als selbstverwaltetes Zentrum - also ohne behördliche Kontrolle, nach dem Slogan "AJZ subito, sonst tätschts!". Das Haus wurde zwischen 1980 und 1982 mehrmals geöffnet, geschlossen und von der Polizei gestürmt. Bald machte sich die Drogenszene im Areal breit, was zum Streit zwischen den AJZ-Aktivisten führte. Ausser der SP wollten die Zürcher Parteien und eine Mehrheit der Bevölkerung den "Schandfleck von Zürich" weg haben. Resig niert schlossen die Aktivisten im März 1982 das Haus. Die Stadt nutzte die "Chance" und brach das Gebäude umgehend ab. mip

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RANDSTAND BIEL
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bielertagblatt.ch 24.11.10

Bieler Altstadt  

"Yucca" soll raus aus Altstadt

Der Bieler Altstadtleist gibt dem "Yucca" die Schuld am zunehmenden Drogenhandel in der Altstadt. Jetzt verliert der Leist die Geduld.

Im Januar soll das neue Drogenkonzept für die Stadt Biel vorliegen. Projektleiter Daniel Kessler vom Bieler Büro KEK-CDC Consultants hat sich am Dienstagabend beim Bieler Altstadtleist nach den dringendsten Problemen umghehört. Kessler hat den Auftrag der Sozialdirektion, der Stadt Grundlagen für das neue  Drogenkonzept zu liefern. Seit der Sommerpause ist er daran, Eindrücke und Fakten zu sammeln. Er hat bislang mit verschiedenen Institutionen Gespräche geführt und sich die Situation jeweils vor Ort angeschaut. Im Brennpunkt des Konzepts, das die künftige Drogenpolitik der Stadt bestimmen soll, steht die Institution "Yucca/Cactus" an der Gerbergasse. Die Brasserie mit dem angeschlossenen Raum für Drogenkonsum ist nach Ansicht des Altstadtleists Anziehungspunkt für Drogenhändler- und Konsumenten. Die Leistmitglieder sprachen an der Infoveranstaltung im Restaurant St. Gervais von unhaltbaren Zuständen. Sie sprachen von Drogenkonsum auf offener Strasse, ungehemmtem Drogenhandel und damit verbundenen Ängsten von Passanten und Ladenbesitzern. Die Altstadt verliere dadurch an Attraktivität, so der Vorwurf des Leists. Er fordert konkret, "Yucca/Cactus" müsse aus der Altstadt verschwinden. Die Institution wurde im September 2001 offiziell eröffnet und wird von der Stadt und dem Kanton finanziell unterstützt. In seiner damaligen Eröffnungsrede appellierte der Bieler Stadtpräsident Hans Stöckli an die Benutzer, "mit ihrem Verhalten die Initianten des Projekts zu unterstützen". Dies, weil es in der kurzen Zeit seit der Eröffnung Anfang August bereits "ernsthafte Probleme" gegeben hatte. Nun ist die Geduld des Altstadtleists am Ende. Er ist skeptisch, ob das neue Drogenkonzept Lösungen bringen wird.

Den vollständigen Bericht lesen Sie im BT vom 25. November

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DROGEN
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St. Galler Tagblatt 24.11.10

Härtere Zeiten für junge Kiffer

 Wer Cannabis raucht, soll nur eine Busse zahlen: Was schweizweit diskutiert wird, ist in St. Gallen Standard. Jetzt fordert die Jugendanwaltschaft aber, dass minderjährige Kiffer wieder verzeigt werden - um Problemfälle früh zu erkennen.
 
Urs-Peter Zwingli

 St. Gallen. Volksdroge Cannabis: In der Schweiz zünden sich - je nach Erhebung - zwischen 300 000 und 500 000 Personen regelmässig einen Joint an. Eine nicht unerhebliche Bevölkerungsgruppe also, die bisher mit einem Strafverfahren rechnen musste. Jetzt hat die Politik umgeschwenkt: Die Gesundheitskommission des Nationalrats hat sich Mitte Oktober dafür ausgesprochen, Kiffer zukünftig wie Falschparkierer zu bestrafen. Das heisst, dass eine Ordnungsbusse bezahlt, wer mit einer kleinen Menge Cannabis erwischt wird. Weiter aber passiert nichts: keine Verzeigung, keine Strafverfolgung.

 St. Gallen als Cannabis-Labor

 Was schweizweit als neu gilt, ist im Kanton St. Gallen längst Standard. "Seit dem Jahr 2000 haben wir eine entsprechende, kantonal einheitliche Regelung", sagt Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen. Demnach werden banale Verstösse gegen Bundesrecht - dazu gehören etwa das Betäubungsmittelgesetz, das Ausländergesetz und weitere Gesetzestexte - vom Kanton mit Ordnungsbussen sanktioniert. "Wir sparen uns dadurch viel Aufwand", lautet Hansjakobs Begründung.

 Wenn man so will, war St. Gallen das Labor für die Cannabis-Regelung, die nun für die ganze Schweiz eingeführt werden soll. Gespannt auf die Ergebnisse dieses 10jährigen "Versuchs" waren anscheinend auch Journalisten der Sendung "10 vor 10". Sie begleiteten vergangene Woche Stadtpolizisten, die jugendliche Kiffer filzten und mit einer Busse abfertigten. Ein Suchtexperte der Uni Zürich kritisierte im Beitrag, dass so Minderjährige, die einen problematischen Cannabis-Konsum aufweisen, durch die Maschen des Präventionsnetzes fielen.

 Laut Hansjakob können heute tatsächlich Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren von der Bussenregelung profitieren - sie zahlen, müssen sich aber nicht vor der Jugendanwaltschaft und auch nicht vor der Suchtfachstelle verantworten. Esther Beyeler, Jugendanwältin des Kantons St. Gallen, ist "nicht glücklich" damit, dass diese Altersgruppe deswegen kaum greifbar ist. "Auch Jugendliche in diesem Alter sind durch Drogen noch immer in ihrer Entwicklung gefährdet", sagt sie. Die Jugendanwälte würden es begrüssen, dass auch Kiffer von 15 bis 18 Jahren wieder standardmässig verzeigt werden - so, wie es bei unter 15-Jährigen (oder bei minderjährigen Konsumenten harter Drogen) bereits heute der Fall ist.

 "Polizisten haben Kompetenz"

 Diese neue, härtere Regelung für minderjährige Cannabis-Konsumenten soll per 1. Januar 2011 in Kraft treten. Sie wird Bestandteil der kantonalen Verordnung zur neuen Strafprozessordnung (StPO) sein, die von der Regierung allerdings noch abzusegnen ist.

 Hansjakob lässt im Gespräch durchblicken, dass er die bisherige Regelung als ausreichend erachtet. "Bisher entscheiden die Polizisten an der Front, ob ein Jugendlicher verzeigt wird, also einer genaueren Abklärung unterzogen werden muss." Die Polizisten verfügten dafür über genügend "Kompetenz und Menschenkenntnis", sagt Hansjakob.

 Eine solche Verzeigung hat in der Regel auch heute kein Strafverfahren zur Folge. Die Jugendlichen und ihre Eltern erhalten eine Einladung, auf der Suchtfachstelle St. Gallen zu einem Gespräch zu erscheinen. Wer dort nicht auftaucht, wird strafrechtlich belangt. Die Suchtfachstelle erfuhr gestern von unserer Zeitung, dass ihr im kommenden Jahr von den Behörden sehr wahrscheinlich viele Jugendliche mehr zugeführt werden. Für einen allfälligen Ansturm sei man aber gerüstet, sagt Leiterin Barbara Hausherr. Zudem hätten Jugendliche, die bei der Suchtfachstelle einen entsprechenden Präventionskurs absolvieren, eine "sehr tiefe Rückfallquote".

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Basler Zeitung 20.11.10

Alkohol bleibt das Hauptproblem

 Basel. Zum ersten Mal ist ein Bericht zur Suchtpolitik erschienen

 David Weber

 Trotz der zunehmenden Verbreitung von Kokain und Amphetamin bleibt im Suchtbereich der Alkohol das Hauptproblem.

 Es ist eine Premiere. Gestern ist der erste Montoringbericht zur Suchtpolitik des Kantons Basel-Stadt erschienen. Er fasst die wesentlichen Angebote kantonaler und privater Träger der Suchthilfe zusammen und liefert Kennzahlen zu deren Nutzung im Jahr 2009. Der zweite Teil, ein Überblick über die aktuellen Entwicklungen im Suchtbereich, fällt allerdings recht vage aus. Dies liegt daran, dass dies der erste derartige Bericht ist. Künftig soll dieser jährlich erscheinen. "Erst mit weiteren Berichten können fundierte Aussagen zu Veränderungen der Nutzung der Angebote im Suchtbereich Basel-Stadt festgestellt werden", sagt Eveline Bohnenblust, Leiterin der Abteilung Sucht bei den Gesundheitsdiensten Basel-Stadt. Der vorliegende Bericht sei ein "erster Wurf".

 Gleichwohl lassen sich zum Suchtverhalten Aussagen machen. "Der Trend zu sogenannten aufputschenden Drogen wie Kokain und Amphetamin scheint anzuhalten", heisst es im Bericht. Heroin hingegen habe bei Neukonsumenten nicht an Attraktivität gewonnen. Das grösste Problem im Suchtbereich sind aber nicht die illegalen Drogen, sondern der Alkohol, wie Bohnenblust erklärt. Gemäss einem Bericht von 2007 haben in Basel-Stadt 7000 Personen ein mittleres und über 2500 Personen ein hohes Gesundheitsrisiko aufgrund des starken Alkoholkonsums.

 Wartezeiten

Während 70 Prozent der Heroinabhängigen mit den Suchthilfeangeboten erreicht werden, sind es laut Bohnenblust beim Alkohol nicht einmal zehn Prozent. Deshalb hat man bei der Beratung im Alkoholbereich zusätzliche Mittel für mehr Stellenprozente eingesetzt. "Die Wartezeiten auf ein Erstgespräch für Personen mit einer Alkoholproblematik waren zu lang", begründet Bohnenblust. Ebenso seien Kurzberatungsmodelle und Gruppenangebote eingeführt worden.

 Insgesamt wurden 2009 in allen Beratungsstellen des Suchtbereichs 2504 Beratungsfälle mit knapp 10 000 Beratungsgesprächen gezählt. Die Auslastung der Suchthilfeangebote sei sehr hoch, heisst es im Bericht, der eine Fülle an Zahlen enthält. So haben etwa die "Mittler im öffentlichen Raum" der Abteilung Sucht letztes Jahr knapp 2000 Nadeln und Spritzen eingesammelt. An den Kontakt- und Anlaufstellen wurden insgesamt 1,5 Millionen Nadeln und Spritzen abgegeben.

 > http://www.baz.ch/go/suchtbericht

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Erster Bericht zur Suchtpolitik und Monitoring des Suchtbereichs Basel-Stadt 2010 erschienen
http://www.medienmitteilungen.bs.ch/showmm.htm?url=2010-11-19-sd-001
Bericht Suchtpolitik und Monitoring des Suchtbereichs Basel-Stadt 2010
http://www.gesundheitsdienste.bs.ch/as_final_suchtpolitik_und_monitoring_2010-2.pdf

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POLICE CH
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ots 23.11.10

garaNto - Die Gewerkschaft des Zoll- und Grenzwachtpersonals/ Schluss mit den Angriffen auf die Grenzwache!

 Bern (ots) - In den kommenden Wochen entscheidet der Bundesrat über die Neugliederung der Departemente. Dies ermuntert verschiedene Exponenten aus Politik und Polizei das Grenzwachtkorps (GWK) wiederholt und medienwirksam in ein besonders schlechtes Licht zu stellen, letztmals in der "Sonntags-Zeitung" vom 14.11.2010 und in "L'Hebdo" vom 18.11.2010.

 Erhoben werden immer wieder die gleichen Vorwürfe: Das GWK sei seit dem Beitritt der Schweiz zum Schengener Raum unterbeschäftigt und suche daher neue Aufgaben im Polizeibereich, es überschreite seine Kompetenzen oder es handle unverhältnismässig.

 Die Gewerkschaft garaNto weist derartige Unterstellungen in aller Form zurück. Sie sind nachweislich falsch: Das GWK bildet an den Grenzübergängen und im grenznahen Raum das erste Sicherheitsdispositiv des Landes - gestützt auf das Zollgesetz und auf der Basis von Vereinbarungen mit den Kantonen. Es leistet bei der Schmuggelbekämpfung, der Bekämpfung der grenzüberschreitenden Kriminalität und beim Vollzug von Migrationsaufgaben im Interesse der Sicherheit des Landes hervorragende Arbeit.

 Es ist völlig inakzeptabel politisch motivierte Profilierungsmanöver und Begehrlichkeiten aus gewissen Kantonen auf dem Rücken des Grenzwachtpersonals auszutragen. Von den Kantonen erwartet garaNto denn auch mehr Selbstkritik. Die Kantone sind Teil des Problems: Den Polizeikorps fehlen landesweit 1'500 - 3'000 Mitarbeitende; dies bei einer signifikant ansteigenden Kriminalitätsrate. Und es ist nicht redlich, nur dem GWK mangelnde Kooperationsbereitschaft vorzuwerfen, denn Defizite bestehen auch bei den Kantonen auf der Ebene der Polizeikommandi. Kaum Probleme gibt es dagegen bei gemeinsamen Einsätzen vor Ort.

 garaNto befürwortet Gespräche zur besseren Koordinierung der Zusammenarbeit zwischen GWK und den Kantonen. Dieser Diskurs ist jedoch nicht über die Medien zu führen. Dafür besteht die gemeinsame Plattform der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD). Darin vertreten sind die Zollverwaltung und Vertreter der KKJPD und der Kantonspolizeien. Dort lassen sich anstehende Probleme immer sachlich und für beide Seiten befriedigend lösen.

 Kontakt: André Eicher, Zentralsekretär garaNto, Tel. 079 380 52 53 Oscar Zbinden, Informationsbeauftragter garaNto, Tel. 079 698 34 17

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NLZ 20.11.10

Bewaffnung bleibt umstritten

 Bahnpolizei

 sda/red. Sollen Bahnpolizisten mit Schusswaffen ausgerüstet werden? Darüber gehen die Meinungen von Transportunternehmen und Polizisten auseinander, wie eine Anhörung durch das Bundesamt für Verkehr zeigt. Die geplante Verordnung sieht von einer Bewaffnung ab. Sie soll im Frühling 2011 in Kraft treten.

 Bahnen sehen kein Bedürfnis

 Seitens der Transportunternehmen wird begrüsst, die Transportpolizei nicht mit Schusswaffen auszustatten. Die SBB sehen keinen Grund dafür, die aktuelle Bewaffnung mit Polizeimehrzweckstock und Pfefferspray zu ändern, erklärt SBB-Sprecher Christian Ginsig, meint aber: "Sollte sich die Bedrohungslage verschärfen, muss eine Neubeurteilung vorgenommen werden."

 Auch die BLS, die ab Fahrplanwechsel im Dezember den Regionalverkehr im Entlebuch und im Luzerner Hinterland betreibt, will keine Schusswaffen für die Transportpolizei. "In der Praxis wäre der Einsatz einer Schusswaffe in einem Zug oder Bahnhof viel zu gefährlich", sagt BLS-Sprecher Hugo Wyler.

 Justizdirektoren kontern

 Die Konferenzen der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) und der kantonalen Polizeikommandanten der Schweiz (KKPKS) zusammen mit dem Verband Schweizerischer Polizei-Beamter (VSPB) fordern in einer gemeinsamen Stellungnahme hingegen, Bahnpolizisten müssten bewaffnet sein. Diese Forderung unterstützt auch die Gewerkschaft des Verkehrspersonals SEV. Dies entspreche der Stimmung an der Basis, also beim Bahnpersonal, betont der SEV.

 Als ausgebildete Polizisten hätten die Bahnpolizisten gelernt, mit Waffen und deren Sicherheitsrisiko umzugehen. Aufgrund der Zusammenarbeit mit Kantonspolizisten und dem Grenzwachtkorps, die alle Schusswaffen tragen, sollten Transportpolizisten nicht anders behandelt werden, argumentieren die Befürworter einer Bewaffnung.

 Bundesrat muss entscheiden

 Die Frage der Bewaffnung von Bahnpolizisten war bei der Beratung im Parlament umstritten. Die Linke hatte sich bei der Debatte über das Gesetz über die Sicherheitsorgane in Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr für ein explizites Verbot von Schusswaffen ausgesprochen. Das Parlament übertrug schliesslich dem Bundesrat die Aufgabe, eine Antwort auf diese heikle Frage zu geben; die Bewaffnung der Bahnpolizei soll auf Verordnungsstufe geklärt werden. Nach der heute ablaufenden Anhörungsfrist muss sich nun der Bundesrat entscheiden.

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BIG BROTHER
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St. Galler Tagblatt 20.11.10

Werden auch St. Galler fichiert?

 Im Kanton St. Gallen arbeiten drei Kriminalpolizisten ausschliesslich für den Staatsschutz. Wie viele Einwohnerinnen und Einwohner in Bern fichiert sind, weiss die St. Galler Regierung nicht.

 ANDREAS KNEUBÜHLER

 Der Nachrichtendienst des Bundes ist auch in den Kantonen aktiv: 84 Vollzeitstellen kosten jährlich 8,4 Mio. Franken. Wie die Staatsschutz-Filiale im Kanton St. Gallen organisiert ist, zeigen die Antworten der St. Galler Regierung auf eine Einfache Anfrage von SP-Kantonsparlamentarier Fredy Fässler. Anlass des Vorstosses war die massive Kritik der Geschäftsprüfungsdelegation der eidgenössischen Räte, die eine willkürlich zusammengestellt und unstrukturiert wachsende Fichensammlung entdeckt hatte und die Missstände im Juli publik machte.

 Im Kanton St. Gallen sind drei Polizisten für den Staatsschutz tätig. Sie seien der Kriminalpolizei zugeordnet, erklärt die Regierung. Zum Vergleich: Im Kanton Zürich zahlt der Bund sechs Vollzeitstellen. Die Informationen, die die kantonalen Stellen liefern, werden in Bern gesammelt. Der Kanton St. Gallen führt selber keine Datenbank.

 Nach Bern weitergeleitet

 Sämtliche Berichte würden im Original nach Bern weitergeleitet, schildert die Regierung. Es gebe auch keine recherchierbaren Ablagen dieser Berichte. In der Datenbank des Bundes sind 200 000 Personen registriert, davon gelten 80 000 als sogenannte "Drittpersonen". Das bedeutet, dass sie einen Bezug zu jemandem haben, der ins Visier des Staatsschutzes geraten ist. Als Beispiel dafür nannte die Geschäftsprüfungsdelegation den Eintrag über eine Person, deren Auto mehrmals von einem Verdächtigen benutzt worden war.

 Wie viele Einträge aus dem Kanton St. Gallen stammen, ist nicht bekannt. Die Aufarbeitung der Daten sei im Nachrichtendienst im Gange, schreibt die St. Galler Regierung. Auskünfte über Zahlen "können deshalb zurzeit nicht eingeholt werden". Dies gilt offensichtlich nicht für den Kanton Zürich. Dort hat die Regierung nach einer parlamentarischen Anfrage der CVP herausgefunden, wie viele Einwohnerinnen und Einwohner registriert wurden.

 Fichen von Basler Grossräten

 Das Resultat: In den letzten fünf Jahren sind 4254 Personen nach Bern gemeldet worden. Parlamentarierinnen und Parlamentarier seien keine dabei, stellte die Zürcher Regierung fest.

 Dies im Gegensatz zum Kanton Basel-Stadt. Dort waren türkischstämmige Grossräte fichiert worden, weil eine der kurdischen Arbeiterpartei nahestehende Zeitung über deren Wahl berichtet hatte. Basel-Stadt ist denn auch der bisher einzige Kanton, der für den Staatsschutz eine eigene Kontrollinstanz einsetzen wird. Das Konzept dafür sei an alle anderen Kantone verschickt worden, heisst es dazu in Basel.

 St. Galler Beobachtungsaufträge

 Was machen die drei St. Galler Staatsschützer den ganzen Tag? Die Polizisten bekommen konkrete Aufträge des Nachrichtendienstes und überwachen Personen "gemäss einer Beobachtungsliste", beschreibt die St. Galler Regierung die Tätigkeit. Die Ermittler werden aber auch selber aktiv und machen eigene Feststellungen, "die einen begründeten Verdacht erhärten". Darunter fallen "Vorbereitungshandlungen für extremistische oder terroristische Ereignisse oder die Unterstützung entsprechender Ereignisse". Weiter gehen die Staatsschützer Hinweisen aus der Bevölkerung nach, gibt die Regierung Auskunft. Bislang gibt es für Leute, die wissen wollen, ob sie fichiert wurden, keine konkreten Informationen. Jede Person könne beim Eidgenössischen Datenschutzbeauftragten verlangen, dass geprüft wird, ob im Informationssystem des Bundes Daten über sie bearbeitet werden, schreibt zwar die St. Galler Regierung. Diese Auskunft könne man vom Bundesverwaltungsgericht überprüfen lassen.

 Nach Recherchen der "NZZ am Sonntag" werden solche Gesuche allerdings mit einem Standardbrief des Datenschutzbeauftragten beantwortet. Darin stehe: "Wir teilen Ihnen mit, dass in bezug auf Sie entweder keine Daten unrechtmässig bearbeitet werden oder dass wir bei Vorhandensein allfälliger Fehler in der Datenbearbeitung eine Empfehlung zu deren Behebung an den Nachrichtendienst des Bundes gerichtet haben." Der Bundesrat hat im Oktober angekündigt, dass er das Auskunftsrecht ausbauen wolle.

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ANTI-SVP
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kleinreport.ch 24.11.10

"Club Extra" mit Anti-SVP-Rapper

 In einer Spezialsendung bringt der "Club" im Kulturzentrum Progr in Bern Exponenten der jungen Generation mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft zusammen. Am Dienstag, 7. Dezember, leiten Christine Maier und Röbi Koller im "Club Extra" den sogenannten Talk der Generationen. In der Gesprächsrunde werden Jugendliche sowie junge Frauen und Männer mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft über Fragen wie "Verludern Politik und Wirtschaft?" und "Wie viel Egoismus erträgt die Schweiz?" diskutieren.

 Mit dabei sind in der Sendung auch Sängerin Caroline Chevin und Komiker Müslüm, die gemäss SF für musikalische Unterhaltung sorgen sollen. Besonders die Einladung für Müslüm dürfte bereits im Vorfeld der Sendung Anlass zu Diskussionen geben, hat er doch kürzlich mit einem Spottgesang über den Berner SVP-Stadtrat Erich Hess für etlichen Ärger in der Bundesstadt gesorgt.

 Interessierte, die beim "Club Extra" im Kulturzentrum Progr in Bern dabei sein möchten, melden sich unter www.club.sf.tv an. Die Aufzeichnung beginnt am 7. Dezember 2010 um 18.30 Uhr. Ausgestrahlt wird die Sendung am Dienstag, 7. Dezember, um 22.20 Uhr auf SF 1.

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Rudolf Joder: "Diese Wahl ist nicht glücklich"

 Rudolf Joder, Nationalrat und Präsident der SVP Kanton Bern, erfuhr am Dienstag vom Klein Report, welche prominente Plattform das Schweizer Fernsehen dem Anti-SVP-Rapper Müslüm im "Club Extra" am 7. Dezember geben will. "Diese Wahl ist nicht glücklich, man sollte sie aber nicht überbewerten", kommentierte Joder die Planung des Senders. Die SVP Kanton Bern werde sich nicht beim Schweizer Fernsehen beschweren.

 Dies nicht zuletzt auch, um die Situation wieder zu beruhigen, die für sämtliche Beteiligten je länger, desto unhaltbarer werde. Gemäss "Tages-Anzeiger" werden redaktionsintern kurzfristige Abo-Ver luste von rund 1500 Stück beklagt, was einem sechsstelligen Schaden entspräche.

 "Wir kümmern uns um politische Themen, die wirklich wichtig sind", erklärte Joder gegenüber dem Klein Report am Dienstag. Er betonte aber, dass die SVP bei SF-Sendungen untervertreten sei. "Wir haben uns damit abgefunden und machen weiterhin unsere Politik", erklärte er.

 Dass es andere Fernsehmacher besser machen als die Leutschenbacher, ist für den Präsidenten der Berner SVP offensichtlich. "Regionalsender wie Tele Bärn und Tele Züri präsentieren Themen unvoreingenommen und ausgewogener, bei Diskussionssendungen stimmt die Gewichtung der Parteienvertretung besser", lobte Joder.

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Polit-"Müslüm tritt nicht wegen seiner politischen Ansichten auf"

 Am Dienstag erklärte Christine Maier, Redaktionsleiterin des "Clubs", gegenüber dem Klein Report, warum am 7. Dezember erneut junge Leute in die Diskussionssendung eingeladen werden und was es mit dem Auftritt des bei der SVP so verpönten Rappers Müslüm auf sich hat.

 Wie viele Male hat sich der "Club" schon der jungen Generation gewidmet? Christine Meier: Der "Club" hat sich schon wiederholt der jungen Generation angenommen. Zum Beispiel mit zwei sogenannten "Jugenddebatten" oder einer Sendung im Februar 2010, in der Ueli Maurer im "Club" mit Jugendlichen über den Sinn der Schweizer Armee sprach. Mit dem "Talk der Generationen" wollen wir der jungen Generation erneut eine Plattform geben, um ihre Anliegen mit Entscheidungsträgern aus Politik und Wirtschaft zu diskutieren.

 Warum wurde als Location das Kulturzentrum Progr in Bern gewählt? Meier: Wir haben eine Location in Bern gesucht, weil in derselben Woche Session ist. Das "Progr" ist zentral gelegen und entspricht den Bedürfnissen einer TV-Sendung auch technisch perfekt.

 Wieso hat man musikalische Gäste eingeladen - insbesondere Müslüm? Meier: Es liegt in der Natur einer derartigen Sendung, die als Event daherkommt, dass Auftritte von Künstlern das Programm ergänzen. Das war auch 2007 bei der "Jugenddebatte" im Berner Tramdepot nicht anders. Müslüm, der für seine vielseitigen Auftritte bekannt ist, wird im "Club Extra" wie auch Caroline Chevin als Künstler auftreten und nicht wegen seiner politischen Ansichten.

 Werden die 200 Leute im Publikum, die für die Sendung ein Ticket bestellen können, in der Sendung aktiv miteinbezogen? Meier: Die Tickets sind gratis und selbstverständlich erhoffen und wünschen wir uns Beteiligung des Publikums.

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tagesanzeiger.ch 23.11.10

Autonome planen Demo

Tages-Anzeiger / Stefan Häne

 Die Stadtpolizei hat die SVP darüber informiert, dass linksautonome Kreise für den Fall eines Volks-Ja zur Ausschaffungsinitiative eine Demonstration in Zürich planen.

 Die Ausschaffungsinitiative der SVP provoziert linke Kreise. Am Samstag haben Unbekannte den Eingang des Sekretariats der Zürcher SVP mit Backsteinen zugemauert - als Zeichen gegen die "Hetze" und "Ghirnwösch-Politik", die "der Erweiterung der politischen Macht einer Partei dient". Die Stadtpolizei hat die Mauer an der Nüschelerstrasse im Stadtzentrum am Samstagabend abgebrochen. Die SVP überlegt sich laut Parteisekretär Yves Gadient, Anzeige zu erstatten. Zur Zielscheibe wurde auch der Flaacher Nationalrat Ulrich Schlüer: Auf sein Haus wurde in der Nacht auf Montag ein Farbanschlag verübt.

 Neues Ungemach droht der SVP am kommenden Sonntag im Nachgang zur Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative. Die Stadtpolizei hat die Partei darüber informiert, dass linksautonome Kreise für den Fall eines Volks-Ja zum SVP-Begehren eine Demonstration in Zürich planen. Ob und wie die SVP ihr Sekretariat am Sonntag schützen wird, dazu will sich Gadient nicht äussern.

 Ein Gesuch für eine Demonstration ist bei der Stadtpolizei noch nicht eingegangen, wie ein Sprecher sagt. Selbst wenn dies noch geschehen sollte, hätten die Organisatoren eine Bewilligung nicht auf sicher: Demonstrationen auf öffentlichem Grund sind am Sonntag verboten; so sehen es die städtischen Vorschriften über die Benützung des öffentlichen Grundes zu politischen Zwecken vor. Eine Sonderbewilligung kann nur der Stadtrat erteilen. Ob er dies täte, lässt sich nicht sagen. Der zuständige Stadtrat, Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne), war für eine Stellungnahme gestern Montag nicht erreichbar.

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Indymedia 23.11.10

Demo gegen rassistsiche Tendenzen 28.11. Zürich ::

AutorIn : antiracist         

Alle auf zur Grossdemo am Sonntag, 28. November 2010

Treffpunkt: Helvetiaplatz, 20 Uhr     

Gegen wir zusammen auf die Strasse am Sonntag und setzten wir ein Zeichen gegen Fremdenfeindlichkeit und Rassismus!

Ausschaffungen abschaffen!
Rassistische Tendenzen bekämpfen!

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20min.ch 22.11.10

Flaach ZH

Farbanschlag auf Ulrich Schlüer

Im zürcherischen Flaach haben Unbekannte eine Parole gegen die Ausschaffungsinitiative an die Hauswand des SVP-Politikers Ulrich Schlüer gesprayt - und eine ganze Wand braun angemalt.

Am Montagabend informieren die Urheber die Medien gleich selbst - und das auch noch im Namen Ulrich Schlüers: Man habe in der Nacht auf Montag einen Farbanschlag auf das Haus des SVP-Politikers verübt. An eine Ecke des Hauses, in welchem nicht nur der Politiker wohnt, sondern auch die SVP-nahe Zeitschrift "Schweizerzeit" produziert wird, wurde die Parole "GEGEN AUSSCHAFFUNGEN" geschrieben. Obendrein wurde eine ganze Hausmauer braun eingefärbt.

Schlüer bestätigt den Sachverhalt am Montagabend gegenüber 20 Minuten Online. Die Tat sei in der Nacht auf Montag zwischen Mitternacht und halb sieben Uhr morgens verübt worden. Die Polizei sei schon am Montagmorgen vor Ort gewesen. "Es handelt sich um ein altes, denkmalgeschütztes Bauernhaus", sagte Schlüer. "Die Fassade besteht aus Sandstein", sagt der Politiker. Die Parole und die angemalte Wand liessen sich deswegen nicht einfach übermalen.

Über die Schadenshöhe kann der "Schweizerzeit"-Verleger noch keine Angaben machen. "Das muss ein Sachverständiger abklären." "Den Tätern ging es offenbar darum, einen möglichst hohen Sachschaden zu verursachen", ärgert sich Schlüer. Der Schaden sei für ihn materiell wohl "hoch".

(ast)

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AUSSCHAFFUNGEN
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amin.ch 24.11.10

Umsetzung der Rückführungsrichtlinie: Inkraftsetzung der Gesetzesänderungen auf den 1. Januar 2011

Medienmitteilungen, EJPD, 24.11.2010

Bern. Der Bundesrat hat heute entschieden, die Anpassungen im Ausländer- und Asylgesetz zur Übernahme und Umsetzung der so genannten Rückführungsrichtlinie auf den 1. Januar 2011 in Kraft zu setzen.

Die "Richtlinie 2008/115/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über gemeinsame Normen und Verfahren in den Mitgliedstaaten zur Rückführung illegal aufhältiger Drittstaatsangehöriger vom 16. Dezember 2008 (Rückführungsrichtlinie)" ist eine Weiterentwicklung des Schengen-Besitzstands. Die Schweiz hat sich zur Übernahme solcher Weiterentwicklungen verpflichtet.

Mit der Rückführungsrichtlinie sollen die Verfahren zur Wegweisung von illegal anwesenden Personen aus Nicht-Schengen-Staaten, also aus Drittstaaten, harmonisiert werden. Die Richtlinie setzt Mindeststandards für Wegweisungsverfügungen, deren Vollzug, die Inhaftierung sowie den Erlass von Einreiseverboten.

Formelles statt formloses Wegweisungsverfahren

Die Umsetzung dieser Richtlinie erforderte eine Anpassung des Ausländer- und Asylgesetzes. Die wichtigsten Änderungen betreffen das Ausländergesetz (AuG). Dort kam es zu Anpassungen in den Bereichen Entfernungs- und Fernhaltemassnahmen, Ausschaffung und Zwangsmassnahmen. Insbesondere wird die formlose Wegweisung durch ein formelles Wegweisungsverfahren ersetzt. Eine weitere Änderung betrifft die maximale Haftdauer aller Haftarten. Die Maximaldauer beträgt neu 18 Monate.

Die Rückführungsrichtlinie sieht zudem die unabhängige Überwachung von Ausschaffungen auf dem Luftweg vor, ein so genanntes Monitoring. Dazu musste die Verordnung über den Vollzug der Weg- und Ausweisung von ausländischen Personen (VVWA) angepasst werden. Es ist zurzeit noch offen, welche Organisation bzw. Personengruppe diese Aufgabe übernehmen wird. Dazu wird eine Ausschreibung durchgeführt.

Die Gesetzes- und Verordnungsänderungen treten am 1. Januar 2011 in Kraft.

Kontakt / Rückfragen
Marie Avet, Bundesamt für Migration, T +41 31 323 43 88, Kontakt

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Bund 20.11.10

Eine automatische Ausschaffung praktiziert kein EU-Land

 Die Ausschaffungsinitiative brächte der Schweiz eines der strengsten Regime Europas. Grossbritannien und Deutschland kennen zwar automatische Ausweisungen für Straftaten, wenden sie aber nicht an.

 Markus Brotschi

 Die meisten europäischen Länder weisen kriminelle Ausländer aus. Allerdings zeigt sich in der Praxis, dass selbst harte Gesetze nie so kompromisslos angewendet werden, wie das die SVP mit ihrer Initiative anstrebt. Diese sieht für eine Reihe von Delikten die automatische Ausschaffung ohne Prüfung des Einzelfalls vor. Die Initiative schliesst bewusst aus, dass die Aufenthaltsdauer in der Schweiz, das Alter des Täters oder familiäre Bindungen berücksichtigt werden. Ziel der SVP ist die automatische ausnahmslose Ausschaffung.

 Diese Idee verfolgten im Grundsatz auch schon andere Länder. So kennen die Gesetze Deutschlands und Grossbritanniens eine zwingende Ausweisung. Im Vereinigten Königreich genügt dafür eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr. Für einige "spezifische Delikte" reicht schon eine geringere Strafe, wenn es sich beim Täter um einen "schweren Kriminellen" handelt. Das deutsche Gesetz sieht ab einer mindestens dreijährigen Freiheits- oder Jugendstrafe die "zwingende Ausweisung" vor.

 Grossbritannien wendet den noch unter Premier Tony Blair ausgearbeiteten "UK Borders Act 2007" bis heute allerdings nicht an, wie Cesla Amarelle, Rechtsprofessorin an der Universität Neuenburg, feststellt. Das dort angesiedelte Zentrum für Migrationsrecht hat die Ausschaffungsgesetze und die Praxis europäischer Länder miteinander verglichen. Dabei zeigt sich, dass kein Land eine automatische Ausschaffung praktiziert. Das britische Gesetz sieht explizit Ausnahmen für unter 18-Jährige vor, die nicht ausgeschafft werden dürfen. Auch werden die völkerrechtlichen Verträge beachtet. Die SVP-Initiative macht keine solchen Vorbehalte, weshalb beispielsweise Minderjährige ausgeschafft werden müssten.

 Deutschland prüft jeden Fall

 In Deutschland verhindert die richterliche Prüfung, dass die gesetzlich geforderte zwingende Ausweisung zu einem Automatismus führt. Jede Ausweisung muss nochmals in einem gesonderten Entscheid verfügt werden. Auf eine Ausweisung kann aus humanitären, völkerrechtlichen oder politischen Gründen verzichtet werden. In Deutschland wird die zwingende Ausweisung zudem nicht angewandt, wenn sie gegen die europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) verstösst. Das bedeutet, dass unter 18-Jährige in der Regel nicht ausgeschafft werden. Das deutsche wie das britische Recht sehen ausdrücklich ein Ausschaffungsverbot vor, wenn der Betroffene in seinem Herkunftsland an Leib und Leben gefährdet wäre. Selbst diesen Vorbehalt macht die SVP-Initiative nicht. Allerdings müsste die Schweiz aufgrund des Non-Refoulement-Prinzips auf eine Ausschaffung verzichten, wenn Flüchtlingen in ihrem Herkunftsland Tod oder Verfolgung droht. Dieses Non-Refoulement-Prinzip gehört zum zwingenden Völkerrecht.

 In den meisten Ländern lässt das Gesetz den Behörden einen grossen Ermessensspielraum. Viele Staaten berücksichtigen beim Ausschaffungsentscheid die Bindung zum Land. So kann in Frankreich niemand ausgewiesen werden, der 20 Jahre oder länger in Frankreich gelebt hat oder vor dem 13. Geburtstag ins Land kam. Allerdings könnte dieser Schutz mit der laufenden Revision des Migrationsgesetzes wegfallen. In Österreich und Belgien werden Angehörige der zweiten Ausländergeneration nicht ausgewiesen.

 Auch Dänemark kennt Gnade

 Selbst das für seine restriktive Ausländerpolitik bekannte Dänemark sieht zahlreiche Ausnahmen vor, bei denen auf die gesetzlich vorgesehene Ausschaffung verzichtet wird. Eine Rolle spielen Integration, Familienverhältnisse, Gesundheitszustand oder mögliche harte Konsequenzen einer Ausschaffung.

 Ein weiteres Ausschaffungshindernis ist für alle EU-Länder die Personenfreizügigkeit. Diese erlaubt eine Ausweisung nur, wenn jemand die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet. Dazu genügt eine blosse Verurteilung wegen eines Verbrechens nicht. Die Gesetze zur Ausschaffung werden deshalb in den EU-Ländern vor allem auf Bürger von Drittstaaten angewendet.

 Selbst der Gegenvorschlag zur SVP-Initiative würde im europäischen Vergleich zu einer harten Ausschaffungspraxis führen, die jener des britischen "UK Borders Act 2007" nahekommt. Einzig die Strafdauer, die zur Ausweisung führt, läge in der Schweiz mit zwei Jahren etwas höher. Der Gegenentwurf nimmt keine Rücksicht auf die Aufenthaltsdauer oder die familiäre Bande des Täters in der Schweiz. Allerdings beachtet er alle völkerrechtlichen Verträge, die die Schweiz eingegangen ist. Deshalb könnte im Einzelfall auf eine Ausweisung verzichtet werden, wenn etwa ein Verurteilter keine Bindung zum Herkunftsland hat oder schon Jahrzehnte in der Schweiz lebt. Auch unter 18-Jährige und EU-Bürger genössen beim Gegenvorschlag einen besonderen Schutz.

 Selbst der Gegenvorschlag zur SVP- Initiative würde im europäischen Vergleich zu einer harten Ausschaffungspraxis führen.

 Dossier zur Ausschaffungsinitiative http://www.ausschaffung.derbund.ch

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DEINE RECHTE
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NZZ 20.11.10

Zwist um den "Anwalt der ersten Stunde"

 Staatsanwaltschaft, Polizei und die Anwaltschaft sind sich uneinig über die Belehrungspflicht

 Wenn die Handschellen klicken, darf jeder Festgenommene sofort einen Anwalt beiziehen, bevor ihm die Polizei die erste Frage stellt. Im Kanton Zürich gibt es jedoch Kontroversen darüber, wie der Betroffene korrekt über seine Rechte informiert wird.

 Brigitte Hürlimann

 Wer kennt die Szene nicht? Amerikanische Cops jagen einen Bösewicht (oder einen Unschuldigen . . .), der Gesuchte wird gefasst, die Handschellen klicken, und dann setzt einer der Polizisten zu einem Spruch an, der etwa so lautet: "Sie haben das Recht zu schweigen. Alles, was Sie sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden. Sie haben das Recht, zu jeder Vernehmung einen Rechtsanwalt beizuziehen. Wenn Sie sich keinen leisten können, wird Ihnen einer gestellt." Eine solche Belehrung muss in den USA seit Jahrzehnten obligatorisch jedem Beschuldigten sofort vorgetragen werden: dank Ernesto Arturo Miranda, der 1963 wegen Raubs, Entführung und Vergewaltigung festgenommen worden war und sich im Nachhinein das Recht auf eine korrekte Belehrung erstritt. Die Rede ist deshalb bis heute von der "Miranda-Warning".

 Politische Anfragen

 So viel also zur Situation im Kriminalfilm und in den USA - und wie sieht es in der Schweiz aus? Ab dem kommenden Januar, mit Inkrafttreten der ersten eidgenössischen Strafprozessordnung, wird das Institut des "Anwalts der ersten Stunde" erstmals schweizweit umfassend gesetzlich geregelt. Diese Neuerung bedeutet für die Anwaltschaft und für die Strafverfolger (Polizei und Staatsanwaltschaft) Neuland und eine Herausforderung. Dazu kommt, dass sich im Kanton Zürich die Strafverfolger und die Anwälte nicht einig darüber sind, wie die Beschuldigten korrekt und gesetzeskonform über ihre neuen Rechte informiert werden. Mehrere Sitzungen am runden Tisch haben keine Einigung gebracht, und inzwischen sind auch auf politischer Ebene, im Gemeinderat und im Kantonsrat, Anfragen zu diesem Thema hängig.

 Die Oberstaatsanwaltschaft will mit einem standardisierten Text arbeiten, der von der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz empfohlen wird, und die Zürcher Polizeikorps schliessen sich diesem Entscheid an. Man sei bestrebt, innerhalb des Kantons Zürich einheitlich und nach den Vorgaben des Gesetzes zu belehren, sind sich Oberstaatsanwalt Martin Bürgisser und Kripo-Chefin Christiane Lentjes Meili einig. Die Anwaltschaft jedoch, und zwar sowohl der Anwaltsverband als auch der Verband der Demokratischen Juristen Zürich, wehren sich geschlossen gegen die vorgeschlagene Formulierung: Diese sei unfair, nicht umfassend genug und inhaltlich falsch.

 An der Uni nachgefragt

 Die beiden Anwaltsverbände stören sich vor allem am ersten Satz der Belehrung, die lautet: "Sie können jederzeit eine Verteidigung nach freier Wahl und auf Ihre Kosten beiziehen. Auch können Sie eine amtliche Verteidigung beantragen. Die Voraussetzungen der amtlichen Verteidigung wurden Ihnen erläutert." Die Kosten zu erwähnen, sagt Oberstaatsanwalt Bürgisser, gehöre zur Aufklärungspflicht der Strafverfolger - vom Gesetz allerdings wird diese Information nicht verlangt. Die Anwaltsverbände haben deshalb im Rechtswissenschaftlichen Institut der Universität Zürich nachgefragt, ob die vorgesehene Belehrung gesetzeskonform sei, und die Antwort von Professor Wolfgang Wohlers und seinem Mitarbeiter Stephan Schlegel (der zum "Anwalt der ersten Stunde" eine Dissertation publiziert hat), lautet: nein - und zwar aus mehreren Gründen.

 Erstens, so die beiden Rechtsgelehrten, sei dem Beschuldigten aufgrund der Zürcher Belehrung nicht klar, dass er sich noch vor Beginn der ersten Einvernahme mit einem Verteidiger beraten dürfe und dass der Verteidiger anschliessend bei der Einvernahme anwesend sein könne. Als problematisch wird zweitens der Hinweis auf die Kosten erachtet. Dieser sei in dieser pauschalen Form unzutreffend. Wenn die beschuldigte Person freigesprochen wird oder wenn die Strafverfolger das Verfahren einstellen, bekommt sie in aller Regel Entschädigung für ihre Aufwendungen. Dazu gehören auch die Kosten für die erbetene Verteidigung; ausgenommen sind Bagatellfälle.

 Zudem kann der beigezogene Anwalt häufig (und sofort) ein Gesuch um amtliche Verteidigung stellen; dies ist etwa in mittelschweren Fällen möglich, wenn "die beschuldigte Person nicht über die erforderlichen Mittel verfügt und die Verteidigung zur Wahrung ihrer Interessen geboten ist", wie es in der künftigen Strafprozessordnung heisst. Bei schweren Delikten braucht es zwingend eine Verteidigung, ob der Beschuldigte dies will oder nicht.

 Verhaftung ist ein Schock

 Für Matthias Brunner von den Demokratischen Juristen Zürich, der an den Gesprächen mit den Strafverfolgern teilgenommen hat, läuft die vorgesehene Belehrung darauf hinaus, dass sich ein Beschuldigter ein falsches Bild über seine Rechte macht. "Verhaftet zu werden", sagt Brunner, "ist ein grosser Schock und jedermann kann von einer Verhaftung betroffen werden. Es widerspricht dem europäischen Rechtsverständnis, den Verhafteten in dieser Stresssituation davon abzuhalten, einen Anwalt beizuziehen." Thomas Fingerhuth vom Zürcher Anwaltsverband ergänzt, der rasche Beizug eines Verteidigers trage zur Wahrheitsfindung bei.

 Beide Anwälte sind sich darin einig, dass es nicht darum gehen könne, mit Überrumpeln und unter Ausnützung des Schockzustands möglichst rasch ein Geständnis zu erwirken; das entspreche nicht den Spielregeln des modernen Strafprozesses. Die Anwaltsverbände haben ihre Pikett-Organisation im Übrigen grundlegend erneuert, so dass die Strafverfolger jederzeit einen Anwalt telefonisch erreichen können, der sofort einspringt. Wie lange man mit der Einvernahme zuwartet, bis der Anwalt bei der Polizei eintrifft, und wie lange sich der Beschuldigte vor der Einvernahme mit seinem Verteidiger beraten darf, muss sich in der Praxis noch klären. Auch hier haben die Strafverfolger und die Anwälte naturgemäss unterschiedliche Ansichten.

 Ungültige Befragung?

 Und wie geht es nun weiter ab dem 1. Januar 2011? Die Zürcher Polizeikorps und die Staatsanwälte werden die umstrittene Belehrung anwenden, und den Anwälten bleibt nichts anderes übrig, als Einvernahmen, die nach solchen Belehrungen ohne Verteidigung stattfinden, im Nachhinein vor Gericht anzufechten. Professor Wohlers und sein Assistent Schlegel gehen davon aus, dass eine fehlerhafte Belehrung einer Nichtbelehrung gleichzusetzen ist und die entsprechenden Einvernahmen nicht verwertet werden dürfen: "Der Hinweis auf die Kosten sollte daher gestrichen werden." Dass dies problemlos möglich ist, zeigt beispielsweise die Haltung der Basler Strafverfolger. Der Leitende Staatsanwalt Beat Voser sagt auf Anfrage, man sehe keinen Grund dafür, bei der Belehrung die Kosten zu erwähnen, und weiche in diesem Punkt vom Vorschlag der Konferenz der Strafverfolgungsbehörden der Schweiz ab; dieser stelle ja nur eine Empfehlung dar.

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NESTLÉ
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Work 19.11.10

Der kolumbianische Gewerkschafter Alfonso Barón über die Praktiken von Paramilitärs und von Nestlé

 Auch mal ein Mord ist drin

 Paramilitärs drohen damit, sechs kolumbianische Nestlé-Gewerkschafter zu töten. Alfonso Barón erzählt, mit welchen Methoden Nestlé die Arbeiter einschüchtert.

 Michael Stötzel

 Erstaunlich gelassen redet Alfonso Barón über die Probleme von Sinaltrainal, der "Nationalen Gewerkschaft der Arbeiter der Nahrungsmittelindustrie". Er ist ihr Vizepräsident. Sinaltrainal hat in Auseinandersetzungen mit Multis wie Coca-Cola, Kraft oder Nestlé schwere Niederlagen einstecken müssen. Dabei verlor sie die Mehrheit ihrer Mitglieder. Und jetzt müssen sechs Aktivisten am Nestlé-Standort Bugalagrande um ihr Leben fürchten. Ende September kündigten Paramilitärs an, sie umzubringen: Sinaltrainal solle in Bugalagrande beseitigt werden.

 Das tödliche Netz

 "Natürlich haben die sechs Angst", sagt Barón. "Aber sie bemühen sich, normal weiterzuleben." Ihre Angst ist berechtigt: In Kolumbien wurden im Verlauf dieses Jahres bereits 43 Gewerkschafterinnen und Gewerkschafter umgebracht. In den letzten 25 Jahren kamen 2729 Aktivisten um, darunter 12 Funktionäre von Sinaltrainal.

 In den beiden letzten Jahren tauchten schon in der Nestlé-Fabrik selbst Todesdrohungen gegen Gewerkschafter auf. Sie seien "Guerrilleros, die sich in Sinaltrainal versteckten", hiess es auf Flugblättern. Nestlé Kolumbien erklärte, der Konzern habe damit nichts zu tun, und informierte die Staatsanwaltschaft. Ein überflüssiger Schritt, denn, so Barón, "99 Prozent der Fälle werden nicht verfolgt".

 Die Straffreiheit ist Konsequenz der Verflechtung von Politik, Wirtschaft und Paramilitärs. Barón spricht von "Parapolitik". Ist auch Nestlé Teil dieses Netzes? "Dafür haben wir keine Beweise", sagt Barón. Aber einige Hinweise. So habe ein bekannter Kommandant einer der Privatarmeen bei der Untersuchung der Ermordung des Gewerkschafters Luciano Romero ausgesagt, er habe Geld von einer der Nestlé-Fabriken bekommen. An mehreren Standorten des Konzerns werde zudem gegen Grossgrundbesitzer, die die Milch liefern, wegen Verbindung zu Paramilitärs ermittelt. Auch Bugalagrande erhalte die Milch aus Gebieten, die von Mörderbanden kontrolliert würden, sagt Barón. Schliesslich schüre Nestlé die Feindschaft zwischen Milchlieferanten und der Sinaltrainal. Man könne für die Milch nicht mehr zahlen, heisst es, weil die Gewerkschaft zu hohe Forderungen stelle.

 Gewerkschaft raus

 Als ob es nicht genau umgekehrt wäre. Nestlé hat in den letzten zehn Jahren seine Arbeitskosten massiv gesenkt. Das gelang, weil das Unternehmen systematisch die Gewerkschaft aus den Betrieben drängte. Barón hat das am eigenen Leib erfahren. Der heute 49jährige ist seit 1986 im Werk Cicolac in Valledupar angestellt. Dort waren früher mehr als drei Viertel der Belegschaft gewerkschaftlich organisiert. Und sie hatten einiges erreicht. Zum Beispiel eine Krankenversicherung und Wohngeld.

 Um diese Kosten los zu werden, kündigte Nestlé 2002 den Gesamtarbeitsvertrag. Von 192 Arbeiterinnen und Arbeitern liessen sich 181 abfinden und akzeptierten die Kündigung. Wenn auch nicht freiwillig: Mehrere Gewerkschafter wurden mit dem Tod bedroht. Wer neu angestellt werden wollte, bekam gerade noch die Hälfte des früheren Lohns. Und musste sich verpflichten, auf einen Gesamtarbeitsvertrag und auf Mitgliedschaft in der Gewerkschaft zu verzichten. Damit war Sinaltrainal bei Cicolac zerschlagen.

 Ende 2003 blieb noch genau ein Mitglied: Alfonso Barón. Er wird bis heute nach dem alten Vertrag entlohnt. Wenn er auch die Fabrik selbst nicht mehr betreten darf und in einer Werkstatt am Rande des Geländes seine Zeit absitzt.

 Auch in Bugalagrande senkte Nestlé seit 2004 die Löhne um 35 Prozent. Barón berichtet, von den 500 Beschäftigten seien heute etwa die Hälfte scheinselbständig oder bei Verleihfirmen angestellt.

 Die grosse nestlé-Familie

 Das reicht der Firma aber offenbar noch nicht, um den Einfluss von Sinaltrainal in Bugalagrande zu brechen. Nach einem Bericht der Gewerkschaft rekrutiert Nestlé neues Personal nur ausserhalb der Stadt. Die neuen Beschäftigten hätten so keine gewachsenen Beziehungen zur lokalen Gewerkschaft. Darüber hinaus initiierte die Fabrik diverse Programme für die Kinder und Frauen der neuen Arbeiter. Das offen erklärte Ziel dabei ist die Schaffung einer grossen Nestlé-Familie, in der Arbeitskonflikte keinen Platz haben. Bittere Ironie der Geschichte: Teilweise werden Kindergärten und Suppenküchen wieder eröffnet, die Sinaltrainal einmal betrieben hat, nach dem Verlust vieler Mitglieder aber nicht mehr finanzieren konnte.

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Prekäre Arbeit als Unternehmensstrategie

 Das System Nestlé: Teile und herrsche

 Beispiel Nestlé Indonesien: Die Mehrzahl der Nestlé-Beschäftigten werden neu nur temporär angestellt. Damit schwächt Nestlé die Verhandlungsposition der Gewerkschaft.

 In seinen Unternehmensgrundsätzen erklärt der Nahrungsmittelmulti Nestlé das Personal zu seinem "wichtigsten Aktivposten". Was da Ausdruck von Menschenfreundlichkeit sein soll, ist in Tat und Wahrheit eine üble Drohung. Das belegen Richtlinien Nestlés zur internen Managementschulung, welche die Internationale Föderation der Nahrungsmittelgewerkschaften (IUTA/IUF) kürzlich publik machte (http://3.ly/iuta). Die Leutnants der Nestlé-Welt müssen nämlich lernen, wie gerade dieser "wichtigste Aktivposten" wo immer möglich geschwächt werden kann.

 Mord und Totschlag gehören, soweit bekannt, nicht zu den Schulungsinhalten. Der elegantere Weg ist der Abbau regulärer Anstellungsverhältnisse. Weltweit machen heute bei Nestlé immer mehr Temporäre oder Scheinselbständige die gleiche Arbeit wie vormals regulär Angestellte. Sie sind billiger und haben meist keinen gewerkschaftlichen Schutz.

 Beispiel: Nestlé Indonesien. Die IUTA fand heraus, dass die Mehrzahl der 2300 Beschäftigten Temporäre sind. Zudem hatte die Firma viele Reguläre zu Vorarbeitern befördert. Sie machen die gleiche Arbeit wie zuvor, sind aber als "Kader" nicht mehr dem Gesamtarbeitsvertrag unterstellt. Damit war nur noch knapp ein Drittel der Belegschaft für die Gewerkschaft erreichbar. Konsequenz: Als sie 2007 am Standort Panjang Forderungen für einen neuen GAV stellte, bestritt Nestlé ihre Repräsentativität. Nach internationalen Protesten machte die Firma erst Mitte dieses Jahres einen Rückzieher und erklärte sich zu Vertragsverhandlungen bereit. Allerdings nur, wenn auch eine inzwischen von der Betriebsleitung selbst gegründete zweite "Gewerkschaft" daran teilnehmen kann.

 Nicht nur in den Ländern des Südens, sondern auch in Europa und den Vereinigten Staaten baut Nestlé Stammbelegschaften ab und ersetzt sie immer öfter durch billigere, gewerkschaftlich nicht geschützte Leiharbeiter. (ms)

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ROTE FLORA HH
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Süddeutsche Zeitung 22.11.10

Rufmord

 Seit zwanzig Jahren besetzen Freigeister die Rote Flora im Hamburger Schanzenviertel. Die Ikone der Autonomen lebt. Aber hinter der Krawall-Fassade herrscht eine fast schon putzige Spießigkeit. Aufruhr gibt es nur noch, wenn der Besitzer Gerüchte streut

Von Jens Schneider


 Hamburg Am Anfang steht das Plenum. Immer. "Ist wohl kein Problem", sagt Andreas Blechschmidt. "Aber erst muss das Plenum Ja sagen." Blechschmidt fungiert als eine Art Sprecher dieses Hauses. Ihn rufen Journalisten an, wenn es wieder Unruhe gibt. So wie jetzt. Der schwarzhaarige Mittvierziger will nicht Sprecher genannt werden. In diesem Haus soll keiner für alle sprechen. Das Plenum entscheidet, ob ein Reporter Fragen stellen darf.

 Die "Rote Flora" ist das einzige seit mehr als zwanzig Jahren besetzte Haus Deutschlands. Europaweit ist der gelbe Klotz im Hamburger Schanzenviertel zu einer Ikone der Autonomen geworden. Er wird vom Staatsschutz beobachtet und zugleich von Reiseführern als schriller Farbtupfer in der reichen Stadt vorgeführt. Es wäre interessant, dem Plenum der "Rotfloristen" zuzuhören. Aber das kommt nicht in Frage. "Du darfst ja auch nicht an der Kabinettssitzung der Bundesregierung teilnehmen", sagt Blechschmidt, der Nicht-Sprecher. Er ist Germanist und Krankenpfleger und einer der wenigen Übriggebliebenen aus der Anfangszeit. Der Vergleich mit dem Bundeskabinett fällt ihm spontan ein, er ist nicht mit dem Plenum abgesprochen. Passt aber zu diesem Haus mit seiner Regierung, die keine sein will, weil ja Anarchie herrschen soll. Diese Regierung, die sich so exterritorial fühlt, dass sie dem Hamburger Senat jeden Einfluss und der Polizei den Zugang abspricht. Bei der selbst Grüne, die sich für sie einsetzen, nicht ohne Ankündigung willkommen sind. Im Kabinett darf vorBeginn fotografiert werden, in der Flora gilt: keine Fotos innen. Wer redet, sagt höchstens den Vornamen.

 All das nährt den Mythos um dieses Haus, dessen Name immer fällt, wenn Proteste anstehen. Rund um die Flora sei Unruhe zu erwarten, heißt es dann. Die Polizei kündigt besondere Beobachtung an. Bei Festen im Quartier beginnen, als ob es zum Veranstaltungsplan gehört, mit der Dämmenmg die Krawalle. Steinewerfer und Barrikaden-Bauer kommen oft nicht aus der Flora, sondern aus Hamburgs Vorstädten. Die Polizei spricht von erlebnisorientierten Randalierern. Das Ritual nervt selbst Floristen. Einige stellten sich zuletzt sogar mit verärgerten Nachbarn Krawallos entgegen: "Geht woanders spielen!"

Wenn dann alles vorbei ist, schimpfen Hamburgs Konservative über die Anarchie. Nach zwei Tagen kehrt wieder Ruhe ein. Seit ein paar Monaten aber wird spekuliert. Der Besitzer der Flora, der Immobiien-Kaufmann Klausmartin Kretschmer, hat die Verhältnisse in Frage gestellt. Seither wappnet sich die linke Szene für den Fall einer Räumung. Manche Autonome halten sich, erzählt ein Rotflorist, jetzt zurück, um bei einer Konfrontation nicht zu viel auf dem Kerbholz zu haben und dann losschlagen zu können.,, Kannste schreiben", sagt er, "das ist ernst."

Wie eine Trutzburg sieht das frühere Varietö-Theater aus: abweisend, düster, leblos. Vor mehr als zwanzig Jahren sollte es nach langem Leerstand ein Musical-Theater werden. Nachbarn widersetzten sich aus Sorge, das Viertel würde zur Touristen-Meile. Einige besetzten die Flora. Nun ist es ohne Musical so gekommen: Längst sind die Cafés und Restaurants hier cooler als auf der Reeperbahn, die sanierten Altbauten rundum sind begehrt und teuer. Die Flora mit ihren Graffiti und Transparenten dient als schmuddelig-urbade Kulisse. Der Haupteingang ist verrammelt. Auf den Treppen leben Punks. In der Flora darf niemand wohnen, die Treppen sind ihr Wohnzimmer. Tagsüber legen sie die Schlafsäcke zusammen und baggern Leute an: "Kleingeld, bitte?"

Die Flora duldet sie. So wie die Alkoholiker, die bei schlechtem Wetter ins Haus kommen, und viele verwirrte Menschen, die im Flur sitzen oder vor sich hinbrabbein, während um sie Reggae-Musik wummert. Romantisch ist das nicht. Es erfordert viele "normverstärkende Gespräche", wie Blechschmidt sagt. Oft müssen Betrunkene daran erinnert werden, dass sie Frauen nicht anmachen und nicht rumpöbein sollen. Und dass es nicht schön ist, "in ihr Wohnzimmer zu pissen".

 Links neben dem Eingang hängt ein altes Rad über einer Pforte. "Das wird nach dem Michel am häufigsten fotografiert", sagt Hans-Martin, 50. Auch er ist ein Veteran. Er sorgt dafür, dass bei der Sparkasse nebenan Gas, Wasser, Strom fürs Haus bezahlt werden. Die Bank soll, das deutet auf gelungene Kundenbindung hin, bei Zoff von Steinwürfen ausgenommen werden. Das klappt oft nicht.

 Hans-Martin übernimmt, da das Plenum zugestimmt hat, die Führung durch das Haus. Er macht das gern, oft führt er Uni-Seminare und Volkshochschulkurse. Montags hockt er in der Motorradgruppe zwischen Werkbänken und einigen sehr eindrucksvollen Maschinen. Die Werkstatt haben die Bastler über zwei Jahrzehnte aufgebaut. Jeder, der kommt, kann sie benutzen. Umsonst, das ist Flora-Prinzip. "Betreutes Schrauben." Sogar ein gemeinsames Motorrad haben sie. "Wir sind", sagt einer, "die Fossilien hier." Seine 18-jährige Tochter komme auch in die Flora. Die Fossilien nehmen sich heraus, im Garten zu grillen. Fleisch. Wo doch in der Flora sonst strikt vegan gekocht wird.

 Im Keller nebenan schrauben Jungs an einem Mountain-Bike. das an Ketten von der Decke hängt. Hier stehen für jeden Ersatzteile zur Verfügung, oft ausgeschlachtet aus alten, von Nachbarn gespendeten Rädern. "Ich liebe Fahrräder", sagt Andi, er ist 42, von Beruf Bademeister. Er freut sich über jeden, der radelt. "Deshalb helfe ich. Aus Idealismus." An der Wand hängen alte Fahrradschiäuche, penibel nach Größe geordnet.

 "Alles schön ordentlich", sagt Hans-Martin im Bau-Raum der Flora. Hier hängen die Helme in drei langen Reihen so fein an Haken, wie es viele Poliere auf Baustellen vergeblich fordern. All das passt nicht zum Ruf der Flora. "Macht nix", sagt er. "Wir leben unheimlich gut von unserem schlechten Ruf." Als wäre der Ruf eine Lebensversicherung für das Haus: "Wenn sie uns plattmachen, gibt es Arger." Einer der Sanften aus der Motorradgruppe sagt: "Die Glaser-Innung dürfte ihre Freude haben."

Der Ruf ist so eine Art Frischzellenkur für die linken Gruppen, die sich hier treffen, Info-Abende anbieten und Aktionen planen, gegen die Atompolitik oder für offene Grenzen für Flüchtlinge. Er lockt Studenten, Schüler und Lehrlinge an, die für sich Freiräume suchen, ohne Betreuung und mit revolutionärem Grundrauschen. In der "Volxküche" im ersten Stock kostet das Essen fast nichts - gar nichts für jeden, der sagt, er hat nichts. "Das Gemüse holen wir von Händlern aus den Vierteln, die es für uns zur Seite legen", sagt Lasse. Er ist Klempner und hat hier in seiner Freizeit die Toiletten eingebaut. Gerade macht er vegetarische Frikadellen. Vegetarier ist er nicht. Zum Kochen hat er schräge Goa-Musik aufgelegt, aberwitzig laut. Er schwärmt vom wilden Nebeneinander hier. Einmal, es hatte auf der Straße Rabatz gegeben, hat er sich verweigert. "Ich koche nicht für Steinewerfer." Es folgten Grundsatzfragen.

 Zu Motto-Partys wie "danse against facism" in der Flora kommen inzwischen viele, die Politik gar nicht interessiert. Wo sonst können 14-Jährige bis in den Morgen feiern? "Gibt ja keine Gesichtskontrolle", sagt Hans-Martin. Selbst der Sohn eines hohen Polizeibeamten soll hier schon abgestürzt sein. Früher trugen alle schwarz, hochgeschlossen bis zur Kapuze.

 Nun kämen auch Mädchen mit knappen Dekolletös, oft sturzbetrunken. Eltern beklagen sich am nächsten Tag in E-Mails bei den Autonomen.

 Ach, Eltern! In der Flora werden Bier und Wein billig ausgeschenkt, aber es gibt "keinen Hart-Alk". Hans-Martin hat schon einigen Mädchen mitgebrachte Wodka-Flaschen abgenommen. Er verdreht die Augen, weniger wegen des Wodkas, sondern weil es keinen Widerspruch gab. "Die haben sie mir einfach gegeben." Und, noch schlimmer, sie haben ihn gesiezt:,,Das ist die Pest."

Draußen knallt es plötzlich. Hans-Martin schaut raus. Ein betrunkener Punk hat eine Tasche vom Balkon geworfen, zum Glück ging niemand vorbei. "Es kommen halt Leute hierher, die sind sozial auffällig." Aber die Polizei würden sie hier nie rufen. Als immer wieder Pfandfiaschen fehlten, wechselten sie einfach die Schlösser aus. Hans-Martin hat ein Bündel mit 40 Schlüsseln. Der Keller, in dem Bands proben und edle Drums und Keyboards herumstehen, ist fünffach gesichert. Die Flora beherbergt kleine Ateliers und hat einen Ruf als Konzert-Adresse. Zum Zwanzigjährigen spielte die Band Tocotronic. Das Plenum wacht streng über die Auswahl Niemand will, dass Bands nur kommen, um ihre linke "credibility" aufzuwerten.

 Hans-Martin öffnet den Sportraum. Burschen mit Kapuzen hantieren an Sandsäcken. Er sagt: "Hier ist ein Reporter." Sie lassen ihn nicht ausreden: "Sag, er soll sich verpissen. Sonst kriegt er aufs Maul"-

Aber es gibt einen Plenumsbeschltuss, sagt Hans-Martin. Er ist genervt, er sagt: "gepisst". Warum macht er das mit, seit Jahren? "Es ist eben mein politischer Anspruch, anders zu leben." Dazu gehört, jeden in den Bahnen der linken Szene gewähren zu lassen - die Graphiker, Künstler, jungen Skater~ die hinterm Haus ihre Bahn gebaut haben, ohne Behörden zu fragen. An die hundert Schlüssel sind im Umlauf. Doch niemand weiß, wie viel zwischen Chaos und Ordnung wirklich passiert. Wenig, sagen Kritiker. Vor Jahren, als die Szene ermattet schien, reimte eine lokale Zeitung Rote Flora - Tote Flora.

 Wer den Besitzer Klausmartin Kretschmer danach fragt, hört erst mal wolkige Sätze, in denen es um eine "geistige Samenbank" geht, die dieser "sakrale Ort" hätte sein sollen. Aber nicht wurde. Dazu schüttelt der Immobilien-Kaufmann seine langen Haare. Ihm gehört das Haus seit 2001. Damals verkaufte der Senat ihm die Flora für 370 000 Mark. So gilt das Haus weiter als besetzt, ist aber ordentlich verbucht. Kretschmer sicherte zu, das Stadtteilzentrum nicht in Frage zu stellen. "Es sollte ein Tun außerhalb des Wirtschaftslebens möglich sein", sagt er. Die Floristen ignorieren ihn bis heute.

 Zehn Jahre schaute er zu. Jetzt sagt er, dass "die Freiräume nicht genutzt wurden". Das erzeugt Unruhe. Am 26. März im nächsten Jahr läuft das Wiederkaufsrecht der Stadt aus. Kretschmer glaubt, die Flora frei verkaufen zu können. Angeblich hat er lukrative Angebote. Von bis zu 19 Millionen Euro spricht er. Mit einem neuen Besitzer könnte die Situation eskalieren. Kretschmer sagt nicht, was er will. Nur, dass er eine inhaltliche Lösung anstrebe. Danach könne man, über Geld reden. Ein Tauschgeschäft gegen erstklassige städtische Immobilien würde ihm gefallen. "Der Senat befürchtet eine Explosion", sagt Kretschmer. Und: "Die Stadt weiß, dass ich ab März handeln kann."

Längst haben Schwarzseher ausgerechnet, wie viel der Polizei-Einsatz bei einer Räumung kosten würde. Dazu kämen die politischen Kosten, die schwarz-grüne Regierung wäre sicher am Ende. Aber im Rathaus glaubt man nicht an die düsteren Szenarien. Auch der neue CDU-Bürgermeister Christoph Ahihaus stellt die Rote Flora nicht in Frage.

 Hoch oben, unter dem Dach der Flora, beendet Hans-Martin seine Führungen in einer Welt aus grauen Pappkartons und Leitz-Ordnern. Hier liegen die Flugblätter und Pamphiete der Bewegungen - ob es nun um Frauenrechte, den Frieden oder den Aufstand der 68er ging. Die Stadtguerilla ist archiviert wie die Hausbesetzer der Achtziger, und die "RAF" in Ordnern mit roten Rücken. Eine phantastische Quelle für Politikstudenten, die aber gedacht ist "als Gedächtnis der Szene". Mehr Material habe, sagt Hans-Martin trocken, nur der Verfassungsschutz.

 In Regalen aus Kiefernholz ist dieses "Archiv der sozialen Bewegungen" ein Zeugnis vom ständigen Erblühen und Sterben des Protests. Ein Plakat von der Flora-Besetzung hat einen Ehrenplatz. Damals glaubte die Stadt, dass sich alles schnell erledigt. "Ja, wir haben viele verschlissen", sagt Hans-Martin. "Sie engagieren sich, dann verdunsten sie in ein anderes Leben." Aber es kommen stets Neue, auf den schlechten Ruf ist Verlass.

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WIDER- & AUFSTAND
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linksunten.indymedia.org 24.11.10

Gedächtnis des Widerstands - Ein Gespräch mit Karl Heinz Dellwo

Verfasst von: freie radios fan.
Die Bibliothek des Widerstands dokumentiert und reflektiert Kämpfe für soziale Veränderung weltweit. Von der Mitte der Sechziger Jahre bis heute. Rund hundert LAIKA-Mediabooks - eine Kombination aus Dokumentarfilm und Buch - wird die Reihe einmal umfassen.
Die Texte und Filme erzählen auch von Niederlagen und Rückschlägen. Aber sie zeigen zugleich, wie Kämpfe um die soziale Befreiung der Menschen immer wieder neu entstehen.

In dem Gespräch mit Karl Heinz Dellwo geht es unter anderem um die "Verschwundenen" in Argentinien und die Schuld des Auswärtigen Amtes, um kulturindustrielle Bearbeitungen des militanten Widerstandes im Mainstream-Kino und um Ähnlichkeiten und Unterschiede zwischen RAF und der US-Guerilla der Weather People.

Ein sehr spannendes Gespräch.

http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=37544
http://www.freie-radios.net/mp3/20101123-gedchtnisd-37544.mp3

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Radio Dreyeckland (Freiburg) 24.11.10

Der kommende Aufstand - Buchbesprechung

"Der kommende Aufstand" heißt das Manifest des "unsichtbaren kommitees" Es wurde vor dem Hintergrund der Banlieu-Aufstände 2005 verfasst und ist nun auf Deutsch erschienen.
http://www.freie-radios.net/mp3/20101124-hannesbeitr-37576.mp3

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Spiegel 22.11.10

DOKUMENTATION

Der kommende Aufstand

 Dokumentation: Auszüge aus der linken Theorieschrift "Der kommende Aufstand"

Eine linke Theorieschrift erfährt derzeit eine ungewöhnlich große Aufmerksamkeit: Das Buch "Der kommende Aufstand" wurde von anonymen Autoren aus Frankreich verfasst, die sich "Unsichtbares Komitee" nennen. Dort ist das Buch mehr als 25 000-mal verkauft worden, es zirkuliert in mehreren Sprachen im Internet, die deutsche Print-Ausgabe erschien im August in der Edition Nautilus und war nach wenigen Wochen vergriffen. Ein US-Fernsehkommentator nannte es "möglicherweise das Böseste", was er je gelesen habe. Bekannt wurde die Schrift im November 2008, als französische Behörden mehrere Bewohner einer Kommune in dem Dorf Tarnac festnahmen, die beschuldigt wurden, einen Anschlag auf eine Eisenbahnstrecke begangen zu haben, um einen Castor-Transport zu verhindern. Einer von ihnen, der 36-jährigen Julien Coupat, war in Verdacht geraten, Mitautor dieses "Handbuchs des Terrorismus" zu sein. Tatsächlich ruft "Der kommende Aufstand" zu Sabotage, Subversion und auch zu Gewalt auf. In einem glühenden Untergangsszenario wird der postmoderne Kapitalismus beschrieben, in dem der Mensch nurmehr als ein ortloses, beziehungsarmes und maximal entfremdetes Wesen vorkommt. Anders als die Schriften des ultralinken Establishments verzichtet der Text auf theorieschwere Technokratenprosa. Manches klingt, als hätte es der Entfremdungsdichter Michel Houellebecq geschrieben. In ihren Anleitungen zum Aufstand empfehlen die Autoren die Gründung von Kommunen, die aus der Unsichtbarkeit heraus agieren und den Staat durch eine umfassende Unterwanderung zu Fall bringen sollen, ohne allerdings die frontale Konfrontation zu suchen. Die brennenden Vorstädte in Frankreich, die Straßengewalt in Griechenland seien Symptome des Zusammenbruchs der Demokratien. Dieser Text fällt in eine Zeit, in der auch hierzulande fast jede Nacht Autos brennen, in der Bürger gegen Regierungsentscheidungen demonstrieren. "Der kommende Aufstand" gilt als eine Art Manifest des militanten Aussteigertums und als Abkehr von bisherigen Proteststrategien. Es ist auch der radikalste und problematischste Ausdruck eines neuen gesellschaftlichen Unbehagens. DER SPIEGEL druckt Auszüge.

I. WAS PASSIERT IST

Unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, die Gegenwart ist ausweglos. Denen, die unbedingt hoffen wollen, raubt sie jeden Halt. Diejenigen, die vorgeben, Lösungen zu besitzen, werden auf der Stelle widerlegt. Es besteht Einverständnis, dass alles nur noch schlimmer werden kann.

Der Kreis der politischen Vertretung schließt sich. Von links bis rechts ist es dasselbe Nichts, das Champion-Posen einnimmt oder Unschuldsmienen aufsetzt, von links bis rechts sind es die gleichen Gondelköpfe, die ihre Reden gemäß den neuesten Funden der Werbeabteilung austauschen. Diejenigen, die noch wählen, machen den Eindruck, nur noch die Urnen sprengen zu wollen, indem sie aus reinem Protest wählen. Der Deckel des sozialen Kessels wird gesichert verschlossen, während der Druck im Inneren unaufhörlich steigt.

Für die gegenwärtige Situation wird es keine soziale Lösung geben. Zunächst weil das vage Konglomerat von Milieus, Institutionen und individuellen Blasen, das man ironisch "Gesellschaft" nennt, keine Konsistenz hat, außerdem, weil es keine

Sprache mehr für die gemeinsame Erfahrung gibt. Und man teilt keine Reichtümer, wenn man keine Sprache teilt. Es hat ein halbes Jahrhundert Kämpfe um die Aufklärung gebraucht, um die Möglichkeit der Französischen Revolution zu schaffen, und ein Jahrhundert Kämpfe, um die Arbeit, um den furchterregenden "Wohlfahrtsstaat" hervorzubringen. Die Kämpfe schaffen die Sprache, in der man die neue Ordnung spricht.

Nichts Ähnliches heute. Europa ist ein geldloser Kontinent, der heimlich bei Lidl einkaufen geht und "low cost" reist, um überhaupt noch zu reisen. Kein einziges der "Probleme", die in der sozialen Sprache formuliert werden, lässt in ihr eine Lösung zu. Die "Frage der Renten", die der "Prekarität", der "Jugend" und ihrer "Gewalt" können nur im Raum stehen bleiben, während man das immer unfassbarere Zur-Tat-Schreiten polizeilich verwaltet. Die Alten, die von ihren Leuten verlassen wurden und nichts zu sagen haben, bekommen für schändliche Löhne den Hintern abgewischt. Diejenigen, die auf kriminellen Wegen weniger Erniedrigung und mehr Gewinn gefunden haben als in der Gebäudereinigung, werden ihre Waffen nicht niederlegen, und das Gefängnis wird ihnen nicht die Liebe zur Gesellschaft einhämmern. Die Lustgier der Rentnerhorden wird nicht untätig düstere Einschnitte in ihre monatlichen Renten ertragen und kann sich nur noch mehr über die Arbeitsverweigerung einer breiten Fraktion der Jugend erregen.

Von einem Punkt extremer Isolation, extremer Ohnmacht brechen wir auf. An einem aufständischen Prozess ist alles noch aufzubauen. Nichts scheint unwahrscheinlicher als ein Aufstand, aber nichts ist notwendiger.

Ein explosiv lautes Auflachen, das ist die passende Antwort auf all die ernsten "Fragen", die die Aktualität aufzuwerfen beliebt. Um mit der abgedroschensten zu beginnen: Es gibt keine "Einwanderungsfrage". Wer wächst noch da auf, wo er geboren ist? Wer wohnt da, wo er aufgewachsen ist? Wer arbeitet da, wo er wohnt? Wer lebt da, wo seine Vorfahren wohnten? Und die Kinder dieser Epoche, wessen Kinder sind sie, die des Fernsehens oder die ihrer Eltern? Die Wahrheit ist, dass wir in Massen von jeder Zugehörigkeit losgerissen wurden, dass wir von nirgendwo mehr sind und dass daraus ein unleugbares Leiden folgt. Unsere Geschichte ist die der Kolonisierungen, der Migrationen, der Kriege, der Exile, der Zerstörung aller Verwurzelungen. Es ist die Geschichte all dessen, was aus uns Fremde in dieser Welt, Gäste in unserer eigenen Familie gemacht hat. Wir wurden unserer Sprache enteignet durch den Unterricht, unserer Lieder durch die Schlagermusik, unserer Körperlichkeit durch die Massenpornografie, unserer Stadt durch die Polizei, unserer Freunde durch die Lohnarbeit.

Das Volk von Fremden, in dessen Mitte wir leben, "Gesellschaft" zu nennen ist eine solche Anmaßung, dass selbst die Soziologen erwägen, ein Konzept aufzugeben, das ein Jahrhundert lang ihr Broterwerb war. Sie bevorzugen jetzt die Metapher des Netzes, um die Art zu beschreiben, wie sich die kybernetischen Einsamkeiten verbinden, wie sich die schwachen Interaktionen verknüpfen, die unter den Namen "Kollege", "Kontakt", "Kumpel", "Beziehung" oder "Abenteuer" bekannt sind.

Es wäre Zeitverschwendung, einzeln aufzuführen, was alles in den bestehenden sozialen Beziehungen im Sterben liegt. Man sagt, dass die Familie wiederkommt, dass die Paarbeziehung wiederkommt. Aber die Familie, die wiederkommt, ist nicht diejenige, die weggegangen war. Ihre Rückkehr ist nur eine Vertiefung der herrschenden Trennung, über die hinwegzutäuschen sie hilft, wodurch sie selber zu einer Täuschung wird. Jeder kann die Mengen an Traurigkeit bezeugen, die die Familienfeste Jahr für Jahr kondensieren, diese mühsamen Erinnerungen, diese Verlegenheit, weil man sieht, wie alle vergeblich simulieren; dieses Gefühl, dass da, auf dem Tisch, ein Kadaver liegt und dass alle so tun, als ob nichts wäre.

Wir gehören zu einer Generation, die sich nie auf die Rente, auf das Arbeitsrecht und noch weniger auf das Recht auf Arbeit verlassen hat. Die nicht einmal "prekär" ist, wie die fortschrittlichsten Fraktionen des linksradikalen Aktivismus es gern theoretisieren, weil prekär sein bedeutet, sich immer noch im Verhältnis zur Arbeitssphäre zu definieren, in diesem Falle: zu ihrem Zerfall. Wir erkennen die Notwendigkeit an, Geld zu finden, ganz gleich mit welchen Mitteln, weil es gegenwärtig unmöglich ist, darauf zu verzichten, was wir aber nicht anerkennen, ist die Notwendigkeit zu arbeiten. Im Übrigen arbeiten wir nicht mehr: Wir jobben. Das Unternehmen ist kein Ort, in dem wir existieren, es ist ein Ort, den wir durchqueren. Wir sind nicht zynisch, wir haben nur Vorbehalte, uns missbrauchen zu lassen.

Die Vermehrung der Verkehrs- und Kommunikationsmittel reißt uns ununterbrochen aus dem Hier und Jetzt heraus - durch die Versuchung, immer anderswo zu sein. Einen TGV, einen Regionalexpress, ein Telefon zu nehmen, um schon da zu sein: Diese Mobilität bedeutet nur Herausreißen, Isolation, Exil. Die Metropole ist eine der verletzbarsten menschlichen Formationen, die es je gegeben hat. Flexibel, subtil, aber verletzbar. Eine brutale Schließung der Grenzen aufgrund einer wütenden Seuche, irgendeine Lücke in einer lebenswichtigen Versorgung oder eine organisierte Blockade der Hauptverkehrswege, schon stürzt das ganze Bühnenbild ein. Diese Welt würde nicht so schnell rasen, wenn sie nicht ununterbrochen von ihrem nahenden Einsturz verfolgt würde.

Ihre Netzstruktur, ihre gesamte technologische Infrastruktur aus Knoten und Verbindungen, ihre dezentralisierte Architektur möchten die Metropole vor ihren unvermeidlichen Funktionsstörungen schützen. Das Internet muss einem Atomangriff standhalten. Die permanente Kontrolle der Informations-, Menschen- und Warenflüsse soll die metropolitane Mobilität sichern und garantieren, dass die Herkunft zurückverfolgt werden kann und niemals eine Palette im Warenlager fehlt, dass man niemals einen geklauten Geldschein im Handel oder einen Terroristen im Flugzeug findet. Mit Hilfe eines RFID-Mikrochips, eines biometrischen Reisepasses, einer DNA-Datei.

Aber die Metropole produziert auch die Mittel zu ihrer eigenen Zerstörung. Ein amerikanischer Sicherheitsexperte erklärt die Niederlage im Irak durch die Fähigkeit der Guerilla, sich die neuen Kommunikationswege zunutze zu machen. Mit ihrer Invasion haben die Vereinigten Staaten nicht so sehr die Demokratie importiert als vielmehr die kybernetischen Netze. Sie haben eine der Waffen für ihre Niederlage mitgebracht. Die Vervielfachung der Handys und der Internetzugänge hat der Guerilla ganz neue Mittel geliefert, sich zu organisieren und sich selber so schwer angreifbar zu machen.

II. WAS ZU TUN IST

Sich zu Kommunen zusammenschließen. Die Kommune ist das, was passiert, wenn Wesen sich finden, sich verstehen und beschließen, zusammen ihres Weges zu ziehen. Sie ist die Freude der Begegnung, die ihr eigentlich vorgeschriebenes Ersticken überlebt. Eine Kommune bildet sich jedes Mal, wenn einige - aus der individuellen Zwangsjacke Befreite - plötzlich anfangen, sich nur noch auf sich selbst zu verlassen und ihre Kraft an der Wirklichkeit zu messen. Jeder wilde Streik ist eine Kommune, jedes auf klaren Grundlagen kollektiv besetzte Haus eine Kommune, die Aktionskomitees von '68 waren Kommunen, so wie es die Dörfer der entlaufenen Sklaven in den Vereinigten Staaten waren. Jede Kommune will für sich selbst die eigene Basis sein. Sie will die Frage der Bedürfnisse auflösen. Sie will - gleichzeitig mit jeder ökonomischen Abhängigkeit - mit jeder politischen Unterwerfung brechen.

Sich organisieren, um nie wieder arbeiten zu müssen. Die Zeit der Kommune entzieht sich von vornherein der Arbeit, sie fällt nicht auf den Trick rein, sie zieht ihm andere vor. Für die Kommune muss Geld herangeschafft werden, aber keinesfalls hat sie die Pflicht, sich ihr Leben zu verdienen. Alle Kommunen haben ihre schwarzen Kassen. Es gibt vielerlei Tricks. Außer der Sozialhilfe gibt es Beihilfen, Krankmeldungen, kumulierte Stipendien, erschlichene Prämien für fiktive Geburten, alle möglichen Schiebereien und so viele andere Mittel, die bei jeder Veränderung der Kontrolle entstehen. Wichtig ist, diese notwendige Bereitschaft zum Betrug und dessen Neuerungen miteinander zu teilen. Der Anspruch der Kommune ist, so viel Zeit wie möglich für alle zu befreien. Die vakante Zeit, die tote Zeit, die Zeit der Leere und der Angst vor der Leere, das ist Arbeitszeit. Von nun an gibt es keine Zeit mehr, die zu füllen ist, sondern eine Freisetzung von Energie, die keine "Zeit" mehr begrenzt.

Plündern, kultivieren, fabrizieren. Einerseits kann eine Kommune nicht auf die Ewigkeit des "Wohlfahrtsstaats" setzen, andererseits kann sie nicht darauf zählen, lange vom Ladendiebstahl, vom Sammeln von Brauchbarem in den Mülltonnen der Supermärkte oder nachts in den Lagerhallen der Industriegebiete, vom Subventionsmissbrauch, Versicherungsbetrug und anderen Betrügereien zu leben - kurz: vom Plündern. Sie muss sich also darum kümmern, das Niveau und den Umfang ihrer Selbstorganisation ständig zu erhöhen. Nichts wäre logischer, als dass die Drehbänke, Fräsmaschinen und Fotokopierer, die bei der Schließung einer Fabrik verramscht werden, im Gegenzug dazu dienten, eine Verschwörung gegen die Warengesellschaft zu unterstützen.

Nach und nach alle Hindernisse umwerfen. Was die Methode betrifft, lasst uns von der Sabotage folgendes Prinzip behalten: ein Minimum an Risiko, ein Minimum an Zeit, ein Maximum an Schäden. Die technische Infrastruktur der Metropole ist verletzbar: Ihre Ströme sind nicht nur Personen- und Warentransporte; Informationen und Energie zirkulieren durch Kabel-, Glasfaser- und Kanalisationsnetze, die man angreifen kann. Wie macht man eine TGV-Strecke und ein elektrisches Verbundnetz unbrauchbar? Wie findet man die Schwachpunkte der Computernetze, wie stört man die Radiowellen und bringt Schneegestöber auf den Bildschirm?

Die Sichtbarkeit meiden. Die Anonymität in eine offensive Position umkehren. Sichtbar zu sein bedeutet, ohne Deckung zu sein, das heißt vor allem, verwundbar. Wenn die Linksradikalen aller Länder ihre Sache ständig "sichtbar machen", in der Hoffnung, dass sie übernommen wird, dann machen sie das genaue Gegenteil dessen, was sie machen müssten.

Kein Anführer, keine Forderung, keine Organisation. Gesellschaftlich nichts zu sein ist keine erniedrigende Situation, sondern im Gegenteil die Bedingung für maximale Aktionsfreiheit. Seine Missetaten nicht zu unterzeichnen, nur Phantasie-Kürzel zu benutzen ist eine Art, diese Freiheit zu wahren.

In Waffen sein. Alles tun, um ihren Gebrauch überflüssig zu machen. Gegen die Armee ist der Sieg politisch. Es gibt keinen friedlichen Aufstand. Waffen sind notwendig: Es geht darum, alles zu tun, um ihren Gebrauch überflüssig zu machen. Ein Aufstand ist mehr ein Ergreifen der Waffen, ein "bewaffneter Bereitschaftsdienst", als ein Übergehen zum bewaffneten Kampf. Es ist ganz in unserem Interesse, die Bewaffnung vom Gebrauch der Waffen zu unterscheiden. Waffen sind eine revolutionäre Konstante, obgleich ihre Benutzung in den Augenblicken großen Umschwungs nicht sehr häufig oder nicht sehr entscheidend ist: 10. August 1792, 18. März 1871, Oktober 1917. Wenn die Macht im Rinnstein liegt, genügt es, sie niederzutreten. Strategisch gesehen scheint sich die indirekte, asymmetrische Aktion am meisten zu lohnen, der Zeit am besten angepasst zu sein: Man greift eine Besatzungsarmee nicht frontal an. Die Militarisierung des Bürgerkriegs ist das Scheitern des Aufstandes.

III. WAS PASSIEREN WIRD

Es gibt kaum noch Zweifel, dass es die Jugend ist, die als Erste die Macht wild angreifen wird. Die letzten Jahre sind nichts als eine einzige Folge von diesbezüglichen Warnungen. Diejenigen, die vor dreißig oder vierzig Jahren gegen die Moral ihrer Eltern revoltierten, werden es nicht versäumen, das auf einen neuen Generationskonflikt zu reduzieren, wenn nicht gar auf eine vorhersehbare Auswirkung der Adoleszenz.

Die Tradition möchte, dass alles mit einer "sozialen Bewegung" anfängt. Vor allem in dem Moment, wo die Linke, die nur weiter verwest, scheinheilig versucht, sich wieder eine "street credibility" zu verschaffen. Nur dass sie das Monopol der Straße nicht mehr besitzt.

Die Zeit ist vorbei, in der man die Zusammenbrüche voraussieht oder ihre frohe Möglichkeit beweist. Mögen sie früher oder später kommen, man muss sich auf sie vorbereiten. Bleibt nur noch, einen gewissen Blick, ein gewisses taktisches Fieber zu erregen - zu schüren, wie man ein Feuer schürt -, das sich, wenn der Moment gekommen ist, gleich jetzt, als entscheidend erweist und als ständige Quelle von Entschlossenheit.

Ein Aufstand - wir wissen nicht einmal mehr, womit der anfängt. Sechzig Jahre Befriedung, Stilllegung historischer Umwälzungen, sechzig Jahre demokratische Anästhesie und Verwaltung der Ereignisse haben unsere Wahrnehmung der Wirklichkeit, unseren Partisanen-Sinn für den laufenden Krieg geschwächt. Genau diese Wahrnehmung müssen wir wieder erlangen, um anzufangen.

Es geht nicht darum, sich zu engagieren - in diesem oder jenem Bürgerkollektiv, in dieser oder jener linksextremen Sackgasse, in der neuesten Vereinshochstapelei. All die Organisationen, die behaupten, die gegenwärtige Ordnung in Frage zu stellen, haben selber Form, Sitten und Sprache von Miniaturstaaten, nur noch marionettenartiger.

Es geht nicht mehr darum zu warten - auf einen Lichtblick, die Revolution, die atomare Apokalypse oder eine soziale Bewegung. Noch zu warten ist Wahnsinn. Die Katastrophe ist nicht das, was kommt, sondern das, was da ist. Wir befinden uns schon jetzt in der Untergangsbewegung einer Zivilisation. Das ist der Punkt, an dem man Partei ergreifen muss.

Nicht mehr warten heißt, auf diese oder jene Weise in die aufständische Logik einzutreten. Es bedeutet, in der Stimme unserer Regierenden wieder das leichte Zittern des Entsetzens zu hören, das sie nie verlässt. Denn Regieren ist nie etwas anderes gewesen, als durch tausend geschickte Täuschungen den Moment hinauszuschieben, an dem die Menschenmenge einen hängen wird, und jede Regierungshandlung nur eine Art, nicht die Kontrolle über die Bevölkerung zu verlieren. ◆

CARSTEN KOALL

© Edition Nautilus, Hamburg 2010.

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HOMOHASS
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sf.tv 21.11.10

Russland: Gewalt gegen genehmigte Schwulen-Kundgebung

sda/halp

 Bei der ersten in Russland genehmigten Schwulen-Kundgebung haben orthodoxe Christen und Radikale die Teilnehmer in St. Petersburg mit Eiern beworfen und beschimpft. Die Polizei nahm mindestens zehn Störer der Demonstration fest, wie die Agentur Interfax aus der zweitgrössten russischen Stadt meldete.

 Auch Behörden in der Hauptstadt Moskau hatten in der Vergangenheit angesichts mangelnder Toleranz gegenüber Homosexuellen solche Veranstaltungen stets verboten. Russlands Schwule und Lesben hatten es als schweren Menschenrechtsverstoss kritisiert, dass Kundgebungen nicht erlaubt oder mit Polizeigewalt aufgelöst wurden.

 Erste öffentliche Werbung für Toleranz

 Die Aktion in St. Petersburg musste nach 40 Minuten wegen der Anfeindungen abgebrochen werden."Wir sind trotzdem zufrieden, weil wir das erste Mal öffentlich für Toleranz werben durften", sagte Organisatorin Maria Efremenkowa.

 Etwa 100 Menschen gingen bei der Kundgebung gegen die rund zehn Homosexuellen-Aktivisten vor, wie der Radiosender Echo Moskwy berichtete. Sie hätten schwulenfeindliche Parolen gerufen sowie Plakate und Regenbogenfahnen - das Symbol der Homosexuellen-Bewegung - zerrissen.

 Gesetz gegen "Homosexuellen-Propaganda"

 Der Grossteil der russischen Bevölkerung ist gemäss Umfragen gegen eine Ausweitung von Rechten für Homosexuelle. Der Radiosender strahlte auch die Gebetsgesänge von russischorthodoxen Christen aus. Diese waren auch in der Vergangenheit gewalttätig gegen Vertreter der sogenannten sexuellen Minderheit vorgegangen.

 Die russisch-orthodoxe Kirche warnt vor einem Werteverfall. Radikale forderten unlängst auch ein Gesetz, das "Homosexuellen-Propaganda" verbieten solle.

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ANTI-ATOM
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Rundschau sf.tv 24.11.10

Axpo unter Druck

Die Rundschau hatte es aufgedeckt: AKW-Betreiberin Axpo bezieht Uran aus dem verseuchten russischen Majak. Jetzt kündigt der Stromkonzern an, selber Nachforschungen in Majak betreiben zu wollen. Die Rundschau hakt nach: Warum dauert das so lange?
http://videoportal.sf.tv/video?id=f9849027-9087-474a-9202-d8973dbe6628

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Forum: Axpo unter Druck

In unserem Internetforum können Sie über dieses Thema diskutieren.
http://www.sf.tv/sendungen/rundschau/forum/forum.php?forumid=2453

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Blick am Abend 24.11.10

AKW Mühleberg ist Thema im Rat

 ATOMENERGIE

 Kommt die Kernkraftwerk-Stellungnahme der Berner Regierung vor das Volk?

 Der Grosse Rat debattiert seit heute Morgen über einen allfälligen Neubau eines Kernkraftwerks in Mühleberg. Es geht um die Stellungnahme des Kantons zuhanden des Bundes. Die Diskussion verlief bisher gemäss dem bekannten Schema.

 Rot-Grün sprach sich mit Vehemenz gegen Atomkraft aus, die Bürgerlichen taten dies ebenso überzeugt dafür.

 Atomkraft sei ein grosses Risiko, sagten die einen, ohne sie drohe eine Stromlücke die anderen. Trotz der Emotionen, welche das Thema weckt, verlief die Diskussion bisher sehr sachlich.

 Zuerst musste der Rat entscheiden, ob er auf die Vorlage zur Stellungnahme des Kantons Berns zuhanden der Bundesbehörden überhaupt eingehen wollte. Gegen Ende des Vormittags zeichnete sich aufgrund der Voten der Fraktionssprecher ein Ja zu diesem sogenannten Eintreten ab.

 Ebenfalls auf dem Programm steht der Entscheid, ob die Stellungnahme des Kantons im kommenden Februar dem Volk vorgelegt werden soll. Damit wird allgemein gerechnet. SDA

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Basler Zeitung 24.11.10

Am verstrahltesten Winkel der Welt

 Radioaktivität, Armut, Krebs - die AKW Beznau und Gösgen beziehen Uran aus dem verseuchten Majak

 Susanna Petrin, Majak

 Die Gegend um Majak ist so verstrahlt wie Tschernobyl, dennoch interessierte sich der Rest der Welt jahrzehntelang kaum dafür. Erst seit klar ist, dass auch deutscher Atom-Müll dort entsorgt werden soll und Schweizer AKW in Majak Uran aufbereiten lassen, schauen viele hin.

 Ich habe Angst, auch nur einen Fuss in diese Gegend zu setzen. Am liebsten trüge ich einen Anzug aus Blei und eine Atemmaske. Doch es wäre taktlos, hier wie auf einer Marsmission aufzutreten. Denn wo es mir vor einem Aufenthalt von wenigen Stunden schaudert, haben Tausende von Menschen ihr ganzes oder einen Grossteil ihres Lebens verbracht. Rund 20 000 Menschen wohnen immer noch da, die meisten von ihnen sind zu arm, um sich an einem sicheren Ort eine neue Existenz aufzubauen. So sind sie hiergeblieben: im Umkreis der Atomanlage Majak, in der Region Tscheljabinsk, am Ural im Südwesten Russlands. Diese Gegend konkurrenziert mit Tschernobyl um den unrühmlichen Titel "meistverstrahlter Ort der Welt".

 In Majak explodierte 1957 ein Tank mit hochradioaktiver Flüssigkeit. 200 Menschen starben sofort, Tausende wurden verstrahlt, rund 15 000 Quadratkilometer Land kontaminiert. Offiziell über die Katastrophe informiert wurde erst rund 30 Jahre später.

 Verseuchter Fluss. Jetzt sind wir hier, im Dorf Musljumowo, nur 30 Kilometer Luftlinie von der Majak-Anlage entfernt. Wir laufen über eine Wiese Richtung Fluss Tetscha. Sechs Journalisten, von der Umweltorganisation Greenpeace dazu eingeladen, sich vor Ort ein Bild von dem Ort zu machen, aus dem die Schweizer AKW Beznau und Gösgen einen Teil wiederaufbereiteten Urans für ihre Brennstäbe beziehen. Mit jedem Schritt knirscht unser Strahlungsdetektor etwas lauter. 20 counts pro Sekunde, 30, 40, 50. Links und rechts von uns ragt je eine Ruine; die eine war bis 1992 ein Internat für Kinder, die andere eine Mühle. Bei einer Pfütze unten am Fluss knarrt der Detektor laut: 100 counts pro Sekunde, 200, 300, am Flussufer: 400 - eine rund 20-mal höhere Strahlung als üblich.

 Der Fluss Tetscha ist eine radioaktive Kloake. Die Umwelt ist hier nicht nur wegen des Tankunfalls verstrahlt, sondern auch weil jahrelang radioaktive Abfälle aus der Majak-Anlage hineingeleitet wurden, Millionen von Kubikmetern. Das war von 1949 bis 1956. Die grosse Frage lautet nun: Ist die Region heute nur wegen der alten Katastrophen dermassen verstrahlt, wie die Behörden sagen. Oder werden, das beklagen Umweltschützer, Wasser und Luft weiterhin von der nahen Uran-Wiederaufbereitungsanlage, den Plutoniumfabriken sowie dem atomaren Lager in Majak verseucht, Tag für Tag, bis heute?

 Viele Krebskranke. Zwei Fussballtore rosten auf der Wiese vor dem einstigen Internat vor sich hin, ein kleiner Turnschuh liegt im Gras. Bis vor wenigen Jahren spielten Schulkinder hier, badeten Kinder und Erwachsene in diesem Fluss, tranken daraus, fischten, liessen ihr Vieh hier weiden, tränkten ihre Äcker mit Tetscha-Wasser. Die Menschen bekamen täglich erhöhte Strahlendosen von aussen ab. Dazu tranken sie die kontaminierte Milch, assen das verseuchte Fleisch, das selbst gezogene Gemüse.

 Die Krebsrate, die Kindersterblichkeit und die Zahl vieler weiterer Krankheiten stiegen und stiegen - "und liegen bis heute weit über dem russischen Durchschnitt", sagt die Ingenieurin Natalia Mironowa, Präsidentin der russischen NGO "Bewegung für Atomsicherheit". Die 64-Jährige kämpft seit 20 Jahren gegen den Atombetrieb. "Die Behörden wollen uns überzeugen, dass wir nur alte Probleme haben", sagt sie, "aber wir messen aktuelle Verschmutzungen." Jährlich würden zudem weitere Millionen von Kubikmeter radioaktiven Abfalls im künstlichen Deichsystem von Majak landen. "Doch der Erddamm hält nicht ganz dicht, ein Teil des Mülls gelangt weiterhin in die Tetscha." Hinzu komme, dass am Grund des Karachai-Sees tonnenweise Plutonium-Müll lagere und allmählich via Grundwasser durchzusickern drohe. Noch gefährlicher ist der radioaktive Staub, der entsteht, wenn Teile des Sees austrocknen.

 Mit leicht gequältem Gesichtsausdruck beantwortet später der Minister für radioaktive Sicherheit der Region Tscheljabinsk, Konstantin Smolin, unsere Fragen. Er spricht von einem Monitoring der Region. "Die Grenzwerte werden nicht überschritten, sonst würden wir Alarm schlagen."

 Dutzende nah am Fluss gelegene Dörfer sind nach Jahrzehnten der Verseuchung evakuiert und zerstört worden. Doch bis zu diesem Tag ist die Tetscha zugänglich, manche der verbliebenen Bewohner tränken laut Mironowa dort ihr Vieh, nehmen weiterhin belastete Nahrung zu sich. Smolin versichert jedoch: "Wir pflanzen entlang den Flussböschungen stachlige Hecken."

 Zweifelhafte Umsiedlung. Ein alter Mann aus Musljumowo steht auf einer Kreuzung, ein Protestplakat in der Hand. "Rosatom (die russische Atomaufsicht), nimm die Atomabfälle weg, bring die Leute weg", hat er darauf geschrieben. Der Demonstrant weint, sobald er zu reden beginnt. Fast alle Menschen hier seien krank oder gestorben. Später zeigt er uns einen Ausweis: Rawil Galyautdinow, geboren 1940. Darüber als erster Eintrag: "Auf kontaminiertem Territorium lebend." Wie viele Geschädigte bekommt er monatlich einen Zustupf als Entschädigung für sein Leid. 2006 habe er zudem ein Formular bekommen, das ihm eine Million Rubel für eine Umsiedlung zusprach. Doch die Behörden hätten das Papier verloren.

 Sonst könnte Galyautdinow vielleicht nach Neu-Musljumowo ziehen. Nur drei Kilometer entfernt vom alten Dorf ist es in den letzten Jahren aus dem Boden gestampft worden. An diesem Novembermorgen hängen die Wolken dunkel und tief; die rotbedachten, beigen Häuser leuchten im Sturmlicht. Doch längst nicht alle Bewohner sind zufrieden mit ihren neuen Heimen. Kaum steigen wir aus dem Auto, scharen sich immer mehr Leute um uns, klagen über nicht funktionierende Heizungen oder darüber, dass sie zu wenig Geld bekommen hätten für eine neue Existenz. Eine Frau ist mit ihrem behinderten Sohn da; er werde nicht als Strahlenopfer anerkannt, sagt sie. Für misslungen halten auch lokale Umweltschützer die Umsiedlung der Bewohner von Alt- nach Neu-Musljumowo. Einige Häuser stünden näher am Fluss als zuvor, besser wäre eine Siedlung nahe der Zivilisation, etwa der Stadt Tscheljabinsk.

 Die Polizei parkt wenige Meter von der Menschenansammlung entfernt am Strassenrand, und plötzlich sind da auch zwei Männer mit einer Kamera, die sich als lokales Fernsehteam ausgeben. Später werden dieselben Männer wieder auftauchen und uns durch schmutzige Autoscheiben beobachten.

 Dann kommt Nadjescha Kutepowa. Die Juristin vertritt hier viele Menschen; einige ihrer Fälle sind derzeit beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte hängig. Beide Frauen, Kutepowa und Mironowa, haben selber eine vom Urangeschäft geprägte Familiengeschichte. Kutepowas Grossmutter produzierte einst in Majak Plutonium für Stalins Bombe, sie starb jung an Lungenkrebs; ihr Vater, ein Ingenieur in der Majak-Fabrik, erlag einem Magenkrebs - bis heute arbeiten dort 14 000 Arbeiter in der gesperrten Zone, unter welchen Bedingungen ist nicht bekannt.

 Mironowa wuchs in der Ex-DDR bei der Uranmine Wismut auf. Sie erinnert sich noch, wie ihr und den anderen Kindern als Vorkehrung gegen die Strahlung jeden morgen frischer Zitronensaft verabreicht worden war. Jetzt kämpfen beide Frauen für einen wirksameren Schutz der Menschen hier. Und lassen sich nicht einschüchtern. Auch wenn schon mal ihre Bürotüre von einer Axt eingeschlagen wurde, auch wenn sie schon ausgeraubt wurde, wie Mironowa erzählt.

 Axpo will Prüfung vor Ort. Tags darauf in der Millionenstadt Tscheljabinsk. "Wir lassen keine Abfälle mehr ins offene Wassersystem", versichert der neue Direktor von Majak, Sergej Baranow. Die Technologie sei fortschrittlich und werde stetig weiter verbessert. Schweisstropfen sammeln sich in den Tränensäcken des beleibten Direktors, das Konferenzgebäude wird tüchtig geheizt. Die Messdaten seien öffentlich, man müsse sie nur beantragen, sagt er, ebenso einen Besuch der Werke.

 Das will die Schweizer AKW-Betreiberin Axpo nun tun und damit einer Forderung von Greenpeace nach Transparenz und der Einhaltung internationaler Standards nachkommen. "Wir wollen die Anlagen besichtigen", sagt Mediensprecher Erwin Schärer. Sollte das gelingen, bekäme die Axpo mehr Einblick als die IAEA, deren Kontrolleure in Majak nicht zugelassen sind. Militärgeheimnis, heisst es. Denn im einstigen Chemie- und Waffenkombinat verschmelzen militärische und zivile Nutzung weiterhin. Sogar die russische Atomaufsicht stellt in einem Bericht von 2009 resigniert fest, dass gesetzliche Grundlagen fehlten.

 Eigentlich wäre das "Recycling" von Uran wohl tatsächlich das geringste Übel, denn der Abbau von Natururan ist ein mindestens so umweltschädigendes Geschäft. "Die konsequente Verwendung dieser Wertstoffe reduziert den Verbrauch an Ressourcen um rund 20 Prozent", sagt Schärer. Greenpeace rechnet einiges pessimistischer. Doch noch hat kaum ein Aussenstehender einen Fuss in die Anlage gesetzt, noch sind viele Fragen offen. "Die Verschmutzung hält an", sagt Mironowa: "Die Geschichte von Majak ist noch nicht fertig geschrieben."

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Neuer Club für AKW-Gegner über 55

 Unterstützung. Die Atomkraftgegner von NWA ("Nie wieder Atomkraftwerke") gründen am morgigen Donnerstagabend in Basel einen Club NWA 55plus. Die Seniorinnen und Senioren, wie die 55-jährigen und älteren Mitglieder bezeichnet werden, sollen mit dem Verein die NWA Schweiz finanziell, politisch und logistisch unterstützen. Geplant ist ferner unter anderem ein Archiv, das die Akten und Literatur aus dem bisherigen Kampf gegen die Nutzung der Atomenergie bewahren und zugänglich machen soll.

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Atommülllager nur für bestehende Kraftwerke

 Vernehmlassung. Der basel-städtische Regierungsrat fordert in der Vernehmlassung zum Sachplan geologische Tiefenlager, dass radioaktive Abfälle aus allfälligen künftigen Atomkraftwerken nicht berücksichtigt werden dürften. Das Abfallinventar und die Lagerkapazität sollen am bestehenden schweizerischen Atomenergieprogramm ausgerichtet werden. Denn der Kanton Basel-Stadt lehnt gemäss seiner Verfassung eine Verlängerung der Betriebsdauer der heutigen AKW und den Neubau weiterer atomarer Anlagen zur Energiegewinnung ab, wie es in der Mitteilung heisst. Zudem verlangt der Regierungsrat, dass die Nagra und der Entsorgungsfonds dem Bund unterstellt und von den Stromversorgern unabhängig werden. Die Produzenten des Atomstroms sollen keinen Einfluss auf das Verfahren der Lagerung der AKW-Abfälle haben.

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L'Illustré 24.11.10

Le reportage

 BIENVENUE À MAYAK, POUBELLE ATOMIQUE

 PHOTOS PIERRE-ANTOINE GRISONI/STRATES - TEXTES PHILIPPE CLOT

 LA MORT INVISIBLE

 C'est à Mayak, au sud de l'Oural, que fut mise au point la bombe atomique russe. Aujourd'hui, cette région est, après Tchernobyl, la plus contaminée du monde. Un complexe désormais civil et militaire y retraite notamment de l'uranium usagé pour deux centrales nucléaires suisses.

 Calmes durant toute la matinée, les appareils de mesure de Heinz Smital, spécialiste en radiations de Greenpeace, s'animent près de la rivière Tetcha. La petite délégation de journalistes invités par l'ONG écologiste la semaine passée vérifie enfin la réalité de l'invisible fléau. Un grand bâtiment en ruine, un ancien moulin, donne la touche finale de désolation.

 Dans la zone humide bordant la rivière, le compteur indique des valeurs plus de 100 fois supérieures à la normale. Les habitants du village voisin de Muslimova, qui ont exposé tout à l'heure leurs misères aux visiteurs occidentaux, bravant la surveillance de policiers en uniforme et sans doute aussi d'agents en civil, ne somatisent donc pas. Ces malheureux vivent bel et bien dans une poubelle atomique et subissent à des degrés variables les conséquences de ces bombardements de particules.

 Ils ont en tout cas tous perdu des proches dans l'épidémie de cancers qui sévit ici depuis les années 60. Et certains de leurs enfants sont handicapés de naissance, comme le fils de Nazhya Achmadijewa, 49 ans: "Regardez ces documents officiels! Ils prouvent que c'est bien la radioactivité qui a causé les troubles psychiques de mon fils Kamil. Et pourtant je n'ai droit à aucune aide de l'Etat. Au contraire, ils ont rasé la moitié de ma maison au bulldozer. Nous logeons dans ce qu'il reste de murs."

 Car l'arrangement proposé par Rosatom, l'Agence fédérale de l'énergie atomique russe, aux 4000 villageois de Muslimova consiste à abandonner leur ancienne isba trop proche de la Tetcha pour emménager gratuitement dans le nouveau village qui a commencé à s'élever il y a quatre ans loin des eaux mortifères, mais au milieu de nulle part. Ces baraques préfabriquées, sans âme, alignées au cordeau, attendent encore souvent l'installation de l'indispensable chauffage à gaz qui permettra d'affronter les températures pouvant descendre jusque vers - 20 °C. Et ceux qui boudent ce village de substitution peuvent revendiquer une enveloppe de 30 000 francs.

 Recasés ou non dans cette zone de villas lugubre, ces Tatares, descendants sédentarisés des cavaliers des hordes sauvages, ne sont plus que l'ombre d'eux-mêmes. Beaucoup se plaignent de douleurs articulaires, de céphalées, d'arythmies cardiaques. "Je travaille dans les chemins de fer, explique Waliulla Abdullin, 51 ans, qui a perdu son père en 1973 d'une leucémie et dont la mère de 75 ans est paralysée depuis cinq ans dans son lit. La direction m'a imposé un mois de repos sans salaire par année. Car j'ai tellement mal aux genoux et aux coudes, parfois, que je ne peux que pleurer. Ma femme et ma sœur ont de gros problèmes aux pieds: elles doivent porter des chaussures avec deux pointures au-dessus de leur taille." A lui aussi, l'Etat fait des misères en ignorant son droit de propriété sur la maison qu'il a pourtant construite dans les années 80 pour sa fille. Le cheminot risque donc de voir un jour une pelle mécanique raser l'isba sans le moindre rouble en contrepartie. Ses expressions mélancoliques indiquent qu'il ne croit plus au pouvoir de la grosse liasse de documents officiels qu'il trimballe avec lui.

 HÉCATOMBE DE JEUNES

 Une balade dans les cimetières du village rappelle enfin la proportion suspecte de tombes de citoyens décédés jeunes ou dans la fleur de l'âge. D'après une enquête menée par Greenpeace, le taux de cancers dans la région serait presque trois fois supérieur à la moyenne nationale. Et, pour le réconfort du ciel, il ne reste plus qu'une mosquée. La plus ancienne est elle aussi contaminée.

 Comment en est-on arrivé là? Jusqu'en 1946, la Tetcha était une simple rivière coulant d'ouest en est dans la province de Tcheliabinsk. Une rivière banale, mais vitale pour les centaines de communautés tatares et bachkires habitant ces plaines parsemées de lacs et de forêts de bouleaux. Ses poissons garantissaient un bonus de protéines et ses flots palliaient l'absence de réseau d'eau. Les vaches de ce peuple dont le lait constitue la base alimentaire pouvaient s'y abreuver. Et la population ellemême allait y barboter en été, après la traite et les travaux des champs. Aujourd'hui, ces eaux ne véhiculent que de la mort. De rares panneaux rouillés rappellent qu'il est interdit d'y tremper le doigt et de cueillir les baies sauvages et les champignons.

 LA BOMBE DE STALINE

 La tragédie débute juste après la Seconde Guerre mondiale, quand Staline ordonne à ses scientifiques de fabriquer à toute allure la bombe atomique. Le régime soviétique est obsédé par la nécessité stratégique de rattraper l'ancien allié améri cain. Pour loger les milliers de chercheurs et d'ouvriers, on construit donc Tcheliabinsk-65 (rebaptisée Ozierk en 1994), une ville interdite, à 70 km au nord de la "vraie" Tcheliabinsk, grande ville industrielle sur la ligne du Transsibérien. Et à l'est de cette ville secrète, entre deux lacs, poussent les multiples installations nucléaires. Comme les effets des radiations sur les organismes vivants sont encore presque inconnus à l'époque, on ne fera pas dans la dentelle: jusqu'en 1956, l'eau utilisée dans les procédures d'enrichissement de l'uranium et les matériaux irradiés sont déversés ou jetés tels quels dans les lacs et les rivières. Et tant pis pour la population en aval.

 En 1957, c'est le gros accident: un des réservoirs d'eau chargés de refroidir des matériaux radioactifs tombe en panne, explose et pulvérise dans l'atmosphère des centaines de kilos d'éléments radioactifs. Les villages les plus proches sont évacués.

 La liste des autres épisodes de contamination est longue et sans doute incomplète, secret militaire oblige. Comme le dit Natalia Mironova, présidente de l'ONG russe Mouvement pour la sûreté nucléaire, "la vraie histoire de Mayak reste à écrire".

 Et c'est bien là le problème: son statut militaire rend impossible toute inspection indépendante et complète du site. Or, la question qui reste en suspens, c'est celle de savoir si ce supermarché atomique a réussi ou non à sécuriser ses procédures. Pour Sergeï Baranov, directeur général de Mayak rencontré à Tcheliabinsk, son usine est désormais irréprochable. Il reconnaît tout au plus qu'il faudrait "cimenter quelques anciens déchets" qui doivent traîner çà et là. Pour Greenpeace, qui cite un rapport officiel russe datant de 2009, il ne fait aucun doute que Mayak continue à polluer. "Les activités de retraitement d'uranium demandent énormément d'eau. Or, cette eau contenant des déchets radioactifs, il faut bien la confiner dans des réservoirs parfaitement étanches. Nous avons le sentiment que nous sommes encore loin de cela", déplore Florian Kasser, de Greenpeace Suisse.

 L'EMBARRAS DES SOCIÉTÉS SUISSES

 Or, trois des cinq réacteurs nucléaires suisses, les deux petits de Beznau (dirigés par Axpo) et le grand de Gösgen (dirigé par Alpiq) sont approvisionnés en combustible nucléaire par MSV Elektrostal, une entreprise russe directement liée au site de Mayak, via la firme française Areva. Le choix des Suisses de privilégier l'uranium cuisiné à la manière russe (une technologie à laquelle même les Etats-Unis ont renoncé) plutôt que d'acheter de l'uranium naturel risque de peser lourd dans les urnes. "Si ces soupçons de pollution devaient se vérifier, cela nous poserait un problème éthique et nous devrions réenvisager les conditions de notre partenariat. Mais nous notons des progrès de communication, de transparence de la part des Russes sur leurs méthodes", se rassure Werner Döhler, vice-président d'Axpo, qui a reçu quelques journalistes à l'issue de leur voyage en Russie.

 Axpo et Alpiq, prises en étau entre leurs engagements contractuels avec les Russes et les critiques de plus en plus documentées de Greenpeace, semblent vouloir redresser la barre d'uranium à l'approche de plusieurs votations cantonales sur des objets nucléaires, notamment en adoptant une inédite politique de transparence. Car ce qui se passe dans la région de Tcheliabinsk, sur un territoire grand comme la moitié de la Suisse, donne une image très éloignée de celle, sereine, que les promoteurs de futures centrales tentaient de donner de l'atome.

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Schaffhauser Nachrichten 24.11.10

Regierung kritisiert Endlagersuche

 In wenigen Monaten soll entschieden werden, welche Gebiete als potenzielle Standorte für die Lagerung radioaktiver Abfälle im Rennen bleiben. Die Schaffhauser Regierung findet das zu früh. Und fordert weitere Studien.

VON ZENO GEISSELER

 Frühling 2011. Tausende von Demonstranten versammeln sich auf dem Bundesplatz. Sie skandieren Parolen, trommeln auf gelben Fässern, der Lärm dringt bis in das Bundesratszimmer vor. Dort legt Uvek-Vorsteherin Doris Leuthard ihren sechs Kolleginnen und Kollegen eine Karte der Deutschschweiz vor. Sechs Standortgebiete für die Lagerung radioaktiver Abfälle sind darauf verzeichnet. Jetzt entscheidet die Landesregierung, welche Gebiete näher untersucht werden. Und welche aus der Evaluation gestrichen werden. Die anschliessende Medienkonferenz wird zu einer der meistgesehenen Sendungen in der Geschichte des Schweizer Fernsehens. Kurze Zeit später trifft sich der Schaffhauser Regierungsrat zu einer Krisensitzung.

 So könnte das Ende der ersten Etappe der Suche nach einem Endlager aussehen (siehe auch Kasten). Geht es aber nach dem Willen der Schaffhauser Regierung, wird sich das Fernsehen diesen Frühling noch keine Rekordquote sichern können, darf der Bundesrat noch keinen Vorentscheid fällen, sollen alle sechs möglichen Standorte im Rennen verbleiben.

 Kein Fokus auf Opalinuston

Das hat der Regierungsrat gestern mitgeteilt. Der Grund: "Die naturwissenschaftlich-technischen Erkenntnisse reichen nicht aus, um die Standortvorschläge einzuengen", sagte die zuständige Regierungsrätin Ursula Hafner-Wipf (SP). Konkret moniert die Regierung in erster Linie, dass bestimmte sicherheitstechnische Fragen noch offen seien. Das beinhaltet die Frage der Gasentwicklung, die Folgen von Erosionen in Eiszeiten, die Tiefe des Lagers sowie das Wissen über die Wirtgesteine Brauner Dogger (in den Gebieten Nördlich Lägeren und Zürich-Nordost) und die Effinger Schichten (im Jurasüdfuss). Insbesondere dieser letzte Punkt hat es in sich. Die Regierung ist der Ansicht, dass ein Wirtgestein, der Opalinuston, besser erforscht ist als die anderen und damit bereits ein Vorentscheid fallen könnte. Dies, wenn eine andere Region frühzeitig ausgeschlossen würde, nur weil die Experten über das dortige Wirtgestein nicht so viel wissen wie über den Opalinuston. Deshalb fordert die Schaffhauser Regierung, dass alle Regionen (und Gesteine) umfassend und gleichwertig untersucht werden.

 Beim dafür zuständigen Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) versteht man diesen Vorbehalt nicht "Wir sind nicht der Ansicht, dass es zum jetzigen Zeitpunkt erneute vertiefte Untersuchungen braucht", sagt Kommunikationsleiter Anton Treier.
 "Wir haben für alle sechs provisorischen Standortgebiete genügend Datenmaterial gesammelt." Ob ergänzende Untersuchungen notwendig sein werden, werde das Ensi prüfen. Die Nagra habe einen entsprechenden Bericht erstellt. Dazu werde das Ensi voraussichtlich im Frühjahr 2011 Stellung nehmen, sagt Treier. Das gelte auch für die Wirtgesteine Brauner Dogger und Effinger Schichten.

 Neben diesen technischen Punkten legt die Schaffhauser Regierung auch Gewicht auf gesellschaftliche, wirtschaftliche und ökologische Aspekte. Insbesondere Fragen zum Image und zu dessen Auswirkungen auf Gesellschaft und Wirtschaft dürften nicht ausgeklammert werden. Diese Themen, verlangt die Regierung, sollen Eingang finden in die sozio-ökonomischen Untersuchungen, die für Etappe zwei geplant sind. Beim Bundesamt für Energie (BFE), das diese Studie aufsetzen muss, sieht man die Forderung aus Schaffhausen allerdings kritisch. "Es ist schon sehr schwierig, zu eruieren, welches Image eine Region in dreissig Jahren haben wird. Fast unmöglich ist es, daraus zum Beispiel die Entwicklung der Immobilienpreise abzuleiten", sagt Marianne Zünd, Leiterin Kommunikation beim BFE. In einem Punkt immerhin sind sich Experten und Regierungsrat einig: Alle sechs Standorte sollen in der Evaluation bleiben und in die zweite Etappe aufgenommen werden. In Schaffhausen hofft man, dass der Bundesrat das auch so sieht.

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 Endlager
 Was passiert ist, was in den nächsten Jahren ansteht

Die Suche nach einem Endlager verläuft gemäss dem sogenannten Sachplan in drei Etappen:
Erste Etappe (bis Mitte 2011): Die Nagra hat 2008 sechs Standortregionen vorgeschlagen, darunter den Südranden. Diese Vorschläge wurden von Experten bestätigt, bis Ende November läuft eine öffentliche Anhörung. Dann entscheidet der Bundesrat, welche Standorte im Rennen verbleiben.

 Zweite Etappe (ab Mitte 2011): Die Projekte werden unter Beteiligung der Regionen konkretisiert. Dann legt der Bundesrat mindestens je zwei Standorte für schwach- und mittelaktive sowie für hochaktive Abfälle fest.

 Dritte Etappe (bis ca. 2018-2020): Vertiefte Untersuchungen. Der Bundesrat bestimmt den definitiven Standort. Das Parlament bestätigt ihn. Gegen den Entscheid ist ein Referendum möglich.

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NLZ 24.11.10

Das MNA fordert Übungsabbruch

 Wellenberg

 wy. Abbruch aller Bemühungen, die den Wellenberg weiterhin als Endlager für atomare Abfälle verfolgen: Dies fordert das Komitee für die Mitsprache des Nidwaldner Volks bei Atomanlagen (MNA). Die Gründe dafür seien mehr als genügend, hält das MNA in seiner Stellungnahme zum Sachplan geologisches Tiefenlager fest. Zurzeit läuft die Vernehmlassung dazu. Sowohl das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat wie auch die Kommission Nukleare Entsorgung hätten den Standort Wellenberg im Beurteilungsraster vielfach als nur "bedingt günstig" bewertet. "Im Vergleich mit den von der Nagra vorgeschlagenen Standorten im nördlichen Vorland schneidet der Wellenberg am schlechtesten ab", so das MNA.

 "Tunnel zeigte Unwägbarkeit"

 Das MNA erwähnt auch den Bahntunnel nach Engelberg, der gezeigt habe, wie unwägbar der Bau einer unterirdischen Anlage im Raum Wellenberg sei. Weiter hemme der Verbleib des Wellenbergs als mögliches Endlager die Entwicklung namentlich des Tourismusortes Engelberg.

 Nach der Vernehmlassung wird der Bundesrat voraussichtlich Mitte 2011 entscheiden, welche Standorte definitiv im Sachplan aufgenommen werden und damit im Auswahlverfahren bleiben.

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Bund 23.11.10

Was in Benken für den Atommüll genügt, reicht Stuttgart nicht

 Das Umweltministerium in Stuttgart findet, 100 Meter dicke Opalinustonschichten seien für ein Atommüll-Lager ungeeignet. Die Schweiz sieht das anders.

 Felix Maise

 Im Untergrund des Zürcher Weinlands könne ein Atommüll-Tiefenlager gebaut werden, finden die Schweizer AKW-Betreiber und die Atomaufsichtsbehörde des Bundes. Der von den Werkbetreibern verlangte Nachweis für die über Jahrtausende nötige, sichere Lagerung des strahlenden Abfalls sei am Standort Benken erbracht. Die Eigenschaften des Opalinustons und die Mächtigkeit der Tonschicht machten den Bau, den Betrieb und den Verschluss eines Atommüll-Lagers ohne Gefahr für die Nachwelt möglich.

 Stuttgart mit anderem Schluss

 Zu einem ganz anderen Schluss kommt man im Umweltministerium von Baden-Württemberg in Stuttgart, wie einer Presseerklärung des Ministeriums vom 18. September dieses Jahres zu entnehmen ist. Stuttgart äussert sich darin nicht zum möglichen Lagerstandort Benken. Doch im Zusammenhang mit der neu entbrannten Diskussion um Atommüll-Lager in Deutschland heisst es, dass sich neben Salz wie in Gorleben "nach Expertenmeinung auch Opalinustongesteinsvorkommen zur Einlagerung hoch radioaktiven Materials" eigneten und solche Gesteinsformationen auch im Süden des Bundeslandes vorkämen. Nach einer Bewertung des Landesamts für Geologie seien jedoch die Bedingungen in Baden-Württemberg gegenüber anderen Tonvorkommen ungünstig. Als Hindernis erachteten die Experten des Landesamts etwa die geringe Mächtigkeit/Dicke des Gesteins, schreibt CDU-Umweltministerin Tanja Gönner.

 "Die Dicke der gesteinskundlich geeigneten Tonschichten ist mit bis zu 100   Metern im Vergleich zu den Tonschichten in Norddeutschland mit Mächtigkeiten von bis zu circa 1000 Metern gering", hielt schon Gönners Amtsvorgänger und Parteikollege Ulrich Müller fest. Sind die deutschen Tonschichten rund 100 Meter dick, so beträgt die Mächtigkeit im Untergrund von Benken 113 Meter. Nur hält man diese Ausdehnung in der Schweiz anders als in Stuttgart für ausreichend für ein Atommüll-Lager.

 Offener Brief der AKW-Gegner

 Der Freiburger Regionalverband Bund für Umwelt und Naturschutz (Bund) weist zusammen mit dem Nordwestschweizer AKW-Gegner-Komitee Nie wieder Atomkraftwerke (NWA) das Stuttgarter Ministerium jetzt in einem offenen Brief auf diesen Widerspruch hin und verlangt eine Erklärung dafür. "Wenn man die fraglichen Tonschichten in Baden-Württemberg für endlageruntauglich hält, müsste sich Stuttgart konsequenterweise doch auch vehement gegen die Schweizer Lagerpläne in derselben Gesteinsformation in der Nordschweiz wehren", meint Bund-Geschäftsführer Axel Mayer dazu.

 Eine Antwort auf ihr Schreiben vom 11. November haben die deutschen und Schweizer Umweltschützer bisher nicht erhalten. Auf eine entsprechende Anfrage des Deutschlandfunks meinte ein Sprecher des Stuttgarter Ministeriums summarisch, die deutschen Opalinusschichten seien nicht mit den schweizerischen vergleichbar. Bund-Geschäftsführer Mayer glaubt das nicht, sondern sieht die Differenzen in der Politik, nicht in der Geologie: "Denn Letztere dürfte dies- und jenseits des Rheins ja keine grundlegend andere sein."

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 Schaffhausen

 Widerstand auf Zürich ausgeweitet

 Der Kanton Schaffhausen will sich mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen ein Atommüll-Endlager auch in der Nachbarschaft wehren. Eine entsprechende Gesetzesänderung hat der Kantonsrat gestern mit 46 zu 6 Stimmen verabschiedet.Bislang galt der seit 1983 gesetzlich vorgeschriebene Widerstand nur für das Schaffhauser Kantonsgebiet. Dort liegt der vorgeschlagene Standort Südranden.Mit der Änderung des Gesetzes sind die Behörden des Kantons Schaffhausen dazu verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass auch in Benken im Zürcher Weinland keine Lagerstätten für radioaktive Abfälle errichtet werden.(sda)

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St. Galler Tagblatt 23.11.10

Initiative mit Ausstrahlung

 Die städtische Abstimmung über den Atomausstieg interessiert über die Stadtgrenzen hinweg. Auch nationale Organisationen mischen im Abstimmungskampf mit. Wer bezahlt die Kampagnen?

 Ralf Streule

 Die Debatte um Atomstrom ist auch schweizweit wieder lanciert. Die Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW wollen in Mühleberg, Gösgen und Beznau neue AKW bauen (siehe Kasten), was Bewegung in die Reihen der Atomstrom-Gegner und -Befürworter bringt. Die Stadtsanktgaller Abstimmung zum Atomausstieg vom kommenden Sonntag dürfte aufgrund der aktuellen Diskussion über die Stadtgrenzen hinweg Beachtung finden.

 Kritik an "Atomstrom-Lobby"

 Die Brisanz der städtischen Initiative scheinen nationale Organisationen aber schon lange erkannt zu haben. In einem Leserbrief hat Stadtparlamentarierin Bettina Surber, Co-Präsidentin der SP-Stadtpartei, die schweizerische "Atomstrom-Lobby" kritisiert, dass sie sich in die kommunale Abstimmung einmische. Dass es dabei nicht um die städtische Abstimmung, sondern um die schweizweite Kampagne für den Bau neuer AKW handle, liege auf der Hand. Das Nein-Komitee, das sowohl die Initiative als auch einen Atomausstieg bis 2050 ablehnt, scheint im aktuellen Abstimmungskampf tatsächlich mit grösserer Kelle anzurühren als die Ja-Seite. Dies zeigen grossformatige Plakate und viele Inserate.

 Projektleiter des Nein-Komitees ist Sven Bradke von der Mediapolis AG für Wirtschafts- und Kommunikationsberatung. Er erklärt auf Anfrage, dass die Schweizer Wirtschaft "natürlich von der Initiative gehört" habe und die Industrie ein Interesse daran habe, Atomstrom zu beziehen. Es sei kein Geheimnis, dass der Schweizer Wirtschaftsverband Economiesuisse "ein Gesprächspartner" sei. Auf die Frage, wer die Kampagne finanziell unterstützt, werden aber keine Namen preisgegeben. Es sei ein "Sammelbecken" von Sponsoren aus der "Industrie, die sich mit Strom befasst". Die Axpo oder der St. Galler Stromlieferant SN-Energie seien aber nicht darunter, so Bradke.

 Das Ja-Komitee unter Federführung der SP-Stadtpartei erhält finanzielle Unterstützung von regionalen Sektionen nationaler Organisationen wie WWF oder Pro Natura. Diese sind auf den Plakaten mit ihrem Label vermerkt. Felix Birchler, Co-Präsident der SP-Stadtpartei, erklärt, dass zwei Drittel des Gesamtbudgets von der Partei stamme, ein Drittel von den Organisationen.

 Zahlen Stromkunden mit?

 Vor einem halben Jahr, als die nationale Organisation Umverkehr sich für die St. Galler Städte-Initiative einsetzte, waren die Vorzeichen umgekehrt: Die SP profitierte von einem finanzkräftigen nationalen Partner. Birchler will die beiden Situationen nicht direkt vergleichen. Umverkehr lebe von Mitgliederbeiträgen, bei der "Strom-Lobby" sei die Sachlage anders: Es sei nicht auszuschliessen, dass Stromkunden indirekt für den Abstimmungskampf und damit für "Partikularinteressen" bezahlten.

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 Nationale Debatte läuft an

 Vor einer Woche gab das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat grünes Licht für die drei AKW-Projekte in Beznau, Gösgen und Mühleberg (Ausgabe vom 16. November). Möglicherweise wird das Schweizer Stimmvolk bereits 2013 über den Bau der AKW abstimmen. Dies hat die Atomstromdebatte schweizweit wieder angekurbelt. Die "NZZ am Sonntag" spricht gar von der "Abstimmungsschlacht des Jahrzehnts", die auf die Schweiz zukommen soll. Schon heute arbeiteten rund zwanzig Mitarbeiter vollamtlich im Auftrag der Stromkonzerne dafür, die Bevölkerung von einem Ja zur Kernenergie zu überzeugen. Auf der anderen Seite formiere sich eine Allianz von Umweltverbänden wie Greenpeace, WWF oder dem Energieforum. (rst)

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Thurgauer Zeitung 23.11.10

Schweizer Delegation reist 2011 nach Mayak
 
Martin Knoepfel

 Kaspar Schläpfer ist sicher, dass Axpo den Lieferanten von Brennelementen genau auf die Finger schaut.

 FRAUENFELD - Die Stromfirmen hätten bei Uranlieferungen ihre Hausaufgaben nicht so sorgfältig gemacht wie nötig. Das sagt nicht Greenpeace, sondern FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, Präsident der Berner Sektion der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz. Der Hintergrund: Die Kernkraftwerke Beznau, Gösgen und Leibstadt beziehen Brennstäbe aus Russland. Beznau gehört der Axpo. Bei Leibstadt und Gösgen ist die Axpo Mitbesitzer, bei Leibstadt auch Geschäftsführer. Das EKT, das dem Thurgau gehört, besitzt 12,51 Prozent der Axpo.

 Die Kernkraftwerke erhalten die Brennstäbe vom französischen Areva-Konzern. Die russischen Wiederaufbereitungsanlagen Seversk und Mayak sind Unterlieferanten von Areva. Sie erfüllen internationale Standards im Umgang mit niedrig- und mittelradioaktiven flüssigen Abfällen mehrheitlich, also nicht vollständig. Das gab Axpo bekannt.

 Für den Thurgauer Regierungsrat Kaspar Schläpfer, Chef des Departements des Innern und der Volkswirtschaft, ist es wichtig und richtig, dass Axpo jetzt die Abläufe klärt. Dann müsse das Unternehmen Konsequenzen ziehen und bei den Unterlieferanten besser hinschauen. Schläpfer ist zuversichtlich, dass genau das geschehen wird. Er betont, dass Axpo nicht versucht hat, die Informationen über fehlende Umweltzertifikate bei den Anlagen Mayak und Seversk unter dem Deckel zu halten. Axpo stelle als erster Stromproduzent auf zertifizierte Lieferanten ab. Schläpfer erwartet, dass die Sache abgeklärt und der Verwaltungsrat informiert wird. Grund für den Thurgau, aktiv zu werden, sehe er nicht.

 Auf Areva vertrauen

 Die beiden Verträge mit Areva von 2003 und 2005 hat der Verwaltungsrat der Axpo genehmigt. Dem Gremium gehört der Weinfelder Hansjakob Zellweger seit Juli 2004 als Thurgauer Vertreter an. Die Verträge betreffen Lieferungen für das Kernkraftwerk Beznau. Der Verwaltungsrat nehme die Sache nicht auf die leichte Schulter, versicherte Zellweger. Vielmehr habe man sich letzte Woche an einem Seminar intensiv mit dem Problem befasst. Zellweger räumt ein, dass der Verwaltungsrat der Axpo wusste, dass Greenpeace die Lieferkette für Kernbrennstäbe zum Thema machen will. 2011 werde eine Delegation des Verwaltungsrats und der Geschäftsleitung der Axpo Mayak besichtigen, sagte Zellweger, der allerdings nicht zur Delegation gehören wird. Areva sei mehrfach zertifiziert. Zellweger findet, man sollte sich auf die Areva als weltweit tätigen Konzern verlassen können.lMARTIN KNOEPFEL

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Aargauer Zeitung 23.11.10

Frauen kritisieren "mangelnde Demokratie"

 Rheinfelden Die Gruppe "Frauen und Politik im Fricktal" beschäftigte sich mit einem atomaren Tiefenlager am Bözberg

 Ann-Kathrin Leuz, Vertreterin des Ensi (Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat), und Sabine von Stockar, Schweizerische Energie-Stiftung, SES, informierten Grossrätinnen, Gemeinderätinnen und politisch aktive Frauen des Fricktals über die atomare Tiefenlagerung am Bözberg. Das Thema gewinnt auch im Bezirk Rheinfelden zunehmend an Bedeutung.

 In der Diskussion mit den beiden Wissenschafterinnen wurde klar, dass unabhängig von der Standortfrage noch offene Fragen vorhanden sind. Aus Sicht des Ensi stellen die offenen Einzelpunkte die grundsätzliche Machbarkeit eines geologischen Tiefenlagers nicht infrage. Die Position war klar: Zeiträume von über einer Million Jahre überschritten das menschliche Vorstellungsvermögen. Doch weltweit habe sich das Konzept der Lagerung von hochaktiven Abfällen in geologischen Formationen durchgesetzt, weil die geologischen Schichten langlebiger als Staaten und Gesellschaften seien. "Unsere Gesellschaft produziert radioaktive Abfälle, die es zu entsorgen gilt. Für die zukünftigen Generationen darf die Entsorgung keine Hypothek darstellen." Im Moment würden die radioaktiven Abfälle im Zwischenlager in Würenlingen aufbewahrt. Das Kernenergiegesetz schreibe vor, dass die Entsorgung in geologischen Tiefenlagern, mehrere hundert Meter unter der Erdoberfläche, zu geschehen hat.

 Der Sachplan geologische Tiefenlager legt ein dreistufiges Auswahlverfahren fest, um geeignete Standorte zu finden. Dieses rund zehnjährige Verfahren wird vom Bundesamt für Energie geleitet. Oberste Priorität hat die Langzeitsicherheit eines geologischen Tiefenlagers.

 Mehrheitlich tönte es unter den Frauen, dass zu wenig Demokratie in dem Abwägungsprozess stecke. Was die Fricktalerinnen nicht möchten, ist ein Lager am Bözberg, "nur weil die Zuständigen eine willige Bevölkerung suchen". (az)

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NZZ am Sonntag 21.11.10

Kampf um neue AKW wird zur bisher teuersten Politschlacht

 Stromkonzerne investieren mit Blick auf die Volksabstimmung 2013 Rekordsummen

 Zur Verfügung stehen Dutzende von Millionen Franken. Bereits jetzt bearbeitet ein 20-köpfiges Team gezielt die Bevölkerung.

 Benjamin Tommer

 Die Schweiz steht vor der wahrscheinlich längsten Abstimmungsschlacht ihrer Geschichte - dem Kampf um neue Atomkraftwerke. Voraussichtlich Ende 2013 kann das Volk erstmals zu konkreten AKW-Plänen Stellung nehmen. Bereits ist klar, dass der Abstimmungskampf mit härtesten Bandagen geführt werden wird.

 In den Zentralen von Befürwortern und Gegnern haben die Kampagnen denn auch längst begonnen. Seit 2006, als Axpo-Chef Heinz Karrer bekanntgab, sein Konzern bereite den Bau eines neuen AKW vor, wird die Bevölkerung gezielt bearbeitet. So beschäftigt die Stromwirtschaft schon heute rund 20 Personen vollzeitlich damit, im Volk Stimmung für ein Ja zu neuen Atomkraftwerken zu machen. Der Kampf läuft auf TV-Bildschirmen, im Internet und auf Sportplätzen. Daneben hat sich die Stromwirtschaft beispielsweise auch Internetadressen gesichert, die ihr schaden könnten.

 Für die grossen drei der Schweizer Stromwirtschaft, die Energiekonzerne Axpo, Alpiq und BKW, stehen Milliardenumsätze auf dem Spiel. Hochrechnungen machen deutlich, dass sich die Wirtschaft den Kampf für neue Atomkraftwerke Dutzende Millionen Franken kosten lässt. Medienstellen der Stromwirtschaft hüllen sich dazu allerdings in Schweigen. Fest steht aber, dass die Schweiz am Anfang des wohl teuersten Abstimmungskampfs aller Zeiten steht. Auch die Atomkraftgegner werden, wenn auch mit kleinerem Budget, nichts unversucht lassen, das Ende der Atomtechnik in der Schweiz einzuläuten. Sie schiessen im Verbund mit Medien bei jeder Gelegenheit scharf gegen die Atomlobby und mobilisieren das Volk beispielsweise mit Protestmärschen.

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Der grosse Kampf

Tommer B. (bto)

 Voraussichtlich 2013 stimmt die Schweiz über den Bau von Atomkraftwerken ab - eine Premiere. Eine der grossen Abstimmungsschlachten des Jahrzehnts zeichnet sich ab. Das Ringen um die Stimmen ist schon jetzt in vollem Gang. Und die Kosten der Kampagnen dürften alle Rekorde brechen. Von Benjamin Tommer

 Axpo-Chef Heinz Karrer brach das Tabu: Sein Stromkonzern plane konkret ein neues Kernkraftwerk in der Schweiz, liess er im Oktober 2006 die überraschte Öffentlichkeit wissen. Seither ist eine politische Auseinandersetzung im Gang, die voraussichtlich Ende 2013 in einer Volksabstimmung entschieden wird. Dann wird die Schweiz ihre Energiepolitik für den Rest des 21. Jahrhunderts festlegen.

 Entsprechend hoch ist der Einsatz der Akteure. Befürworter und Gegner ziehen alle Register. Die dominanten Kräfte im Spiel sind die drei grossen Stromkonzerne Axpo, Alpiq und BKW, die eng mit den bürgerlichen Parteien SVP, FDP und CVP verbunden sind; im Gleichschritt marschiert der Wirtschaftsdachverband Economiesuisse. Im Auftrag und Sold der Stromkonzerne arbeiten schon heute rund zwanzig Mitarbeiter hauptberuflich darauf hin, die Bevölkerung von einem Ja zur Kernenergie im Jahr 2013 zu überzeugen. Sieben Jahre Vorlaufzeit: Das ist in der Geschichte der Schweizer Demokratie wohl ein einsamer Rekordwert.

 Gekämpft wird auf allen Ebenen: So hat sich die Stromwirtschaft Internetadressen gesichert, die ihr schaden könnten - etwa www.moratorium.ch.

 Werbung bis zur Schmerzgrenze

 Hauptpfeiler der Goodwill-Arbeit ist indessen das Sponsoring: Die Axpo etwa buhlt als Gönnerin der nationalen Fussballliga um Gunst und Stimmen; sie finanziert aber auch potenziell atomkritische Gruppen wie den Schweizer Alpenclub (SAC) und rundet ihr Werbe-Portfolio mit Kulturförderung ab. Dazu kommt die direkte Kommunikation: Auf gekauften Zeitungsseiten porträtiert der Konzern sympathische Mitarbeiterinnen und zeichnet in TV-Spots das Bild einer zukunftsgerichteten Energieversorgung dank Strom. Daneben lädt die Branche Journalisten zu Auslandreisen zu Kernkraftanlagen ein und wirbt in Lehrerzeitungen für Schulreisen in Atomkraftwerke. Auch hat die Branche schon Grenzen überschritten: In TV-Spots liess die Axpo 2007 Köbi Kuhn die Solarenergie derart ins Lächerliche ziehen, dass sie die Werbung nach Protesten zurückziehen musste.

 Den Stromkonzernen steht eine bunte Allianz von Umweltverbänden wie Greenpeace, WWF, VCS und das Energieforum gegenüber, das vom linken politischen Lager unterstützt wird. Diese Allianz geht ebenfalls wenig zimperlich zu Werk. Wo immer Kritik an den Kraftwerk-Betreibern denkbar ist ("Tschernobyl auch in der Schweiz möglich", "Uran knapp", "Entsorgung nicht finanziert"), schiessen die Gegner scharf gegen die "Atomlobby" und können dabei auf die Unterstützung von Medien zählen. Mobilisiert wird mit einem Pfingstmarsch, mit Plakataktionen in Zürcher Bahnhöfen und in der Nähe von Kraftwerken ("Sie leben in Zone 1"), mit Kursen für Anti-Atomkraft-Kämpfer. Beispiel einer Ausstiegs-Botschaft: "Hätte Cäsar 1000 g Plutonium vergraben, wären heute noch 942 g vorhanden!" Auch die Atomgegner setzen aufs Internet: Unter www.agspo.ch wird der Stromkonzern verballhornt.

 Sich auf Meinungsumfragen stützend, legen beide Seiten ihre Kommunikationsstrategien fest. Klar ist: Standortgemeinden sind atomfreundlich, was wohl auch damit zu tun hat, dass zwei Drittel der Steuereinnahmen beispielsweise der Beznau-Gemeinde Döttingen vom Kraftwerk bezahlt werden. Die Schweiz insgesamt ist gespalten: Seit 2001 jährlich durchgeführte Umfragen von Swissnuclear zeigen zwei etwa gleich grosse Blöcke von Befürwortern und Gegnern neuer Kernkraftwerke, wobei die Befürworter seit 2006 die Nase vorn haben; 2009 lag ihr Anteil bei 54,6 Prozent. Das deckt sich mit einer Erhebung, die Greenpeace, aufgeschreckt durch Karrers Ankündigung, 2006 durchführen liess. Brisant sind die Details: Frauen und Städter sind skeptischer, was zur eigentümlichen Konstellation führt, dass SP-Männer und SVP-Frauen über Atomenergie gleich denken.

 Auf der Basis solcher Erkenntnisse wird argumentiert: Während die Strombranche lange Zeit gebetsmühlenartig von einer "Stromlücke" im Fall des ersatzlosen Abschaltens von Mühleberg und Beznau sprach, wirbt sie neuerdings mit dem "bewährten Schweizer Strommix" und einer Verbindung von Kernenergie und Umweltschutz. Schliesslich, so der PR-Gedanke, brauchen auch Elektroautos Strom. BKW-Sprecher Antonio Sommavilla fasst zusammen: "Kernenergie ist die effizienteste Art der Stromgewinnung für die kleinräumige Schweiz. Dank geringen CO2-Emissionen leistet sie einen Beitrag zum Klimaschutz."

 Die Atomgegner kommunizieren laut Leo Scherer, dem langjährigen Kampagnenleiter von Greenpeace, bewusst zweigleisig: gegen die Atomenergie und für die Alternativen. Die "Stromlücke" hält Scherer für einen ideologischen Kampfbegriff: Selbst das Bundesamt für Energie bezeichne es als möglich, den Wegfall alter Atomkraftwerke mit erneuerbaren Energien zu kompensieren. Weltweit werde schon deutlich mehr Geld in erneuerbare als in atomare Energie investiert, sagt Scherer. Mit Blick auf 2013 gibt er sich zuversichtlich: Praktisch alle Neuigkeiten zu Atomkraft, seien es Störfälle irgendwo auf der Welt, Probleme mit der Abfall-Lagerung oder zurzeit die Feststellung, dass die Axpo Uran aus zwielichtiger Quelle bezieht, spielten den Atomgegnern in die Hände.

 Dutzende Millionen Franken

 Während die Atomgegner ihre Kampagnen vorab mit Spenden finanzieren, deutet vieles darauf hin, dass Stromwirtschaft und Economiesuisse kräftig investieren. Zwar schweigen sich die Medienstellen zu den Ausgaben für den Abstimmungskampf 2013 aus. Klar ist aber, dass allein das von der Branche finanzierte Nuklearforum laut Jahresbericht pro Jahr mehr als drei Millionen Franken für PR ausgibt. Dazu kommen Werbebudgets und Öffentlichkeitsarbeiter in Konzernen und assoziierten Organisationen (Christen und Energie, Frauen für Energie, Forum Medizin und Energie), so dass der jährliche Aufwand mehrere Millionen Franken erreicht. Aufgerechnet auf die sieben Jahre gibt allein die Stromwirtschaft Dutzende Millionen Franken aus, was gemessen an den summierten Konzernumsätzen von 25 Milliarden Franken plausibel ist. Die Schweiz erlebt zurzeit also nicht nur den längsten, sondern wohl auch den teuersten Abstimmungskampf ihrer Geschichte.

 Obwohl erst in rund drei Jahren abgestimmt wird, steht die Atomenergie schon heute in den Schlagzeilen. Das liegt daran, dass sich die Kantone konsultativ zum Bau neuer Atomkraftwerke äussern dürfen. Die Städte Bern und St. Gallen legen zudem ihren künftigen Strommix fest. Diese Urnengänge sind aber nicht mehr als Stimmungstests.

 Eine Volksabstimmung über ein Atomkraftwerk ist selbst für die direktdemokratische Schweiz neu: Die bestehenden Kraftwerke hiess der Bundesrat noch in Eigenregie gut - die Standortbewilligung für Beznau I soll knapp zwei Schreibmaschinenseiten umfasst haben. Die Proteste gegen den bewilligten Bau des Kernkraftwerkes Kaiseraugst 1975 machten aber klar, dass weitere solche Anlagen nur mit Zustimmung des Volkes gebaut werden können. 2013, nach jahrelangem Abstimmungskampf, findet die Premiere statt.

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 Die Etappen

 2008
Die drei grossen Schweizer Stromkonzerne Alpiq, Axpo und BKW reichen je ein Gesuch für den Bau eines neuen Kernkraftwerkes ein. Gebaut werden soll an den bisherigen Standorten Mühleberg, Gösgen und Beznau.

 2011
Die Kantone können gegenüber dem Bundesrat zu den Plänen für neue Atomkraftwerke Stellung nehmen. Aus diesem Grund finden landauf, landab Konsultativabstimmungen statt. Mit Spannung erwartet wird der Volksentscheid im Kanton Bern, weil es der einzige Standortkanton ist, der zu neuen AKW an der Urne Stellung nehmen kann.

 2013
2012 entscheidet der Bundesrat über die Baugesuche. Beobachter rechnen mit einem Ja zu zwei neuen Kraftwerken; alle drei Stromkonzerne werden sich daran beteiligen. Stimmt danach auch das Parlament zu, gilt ein Referendum als sicher. Gegen Ende 2013 dürfte es zur Volksabstimmung kommen.

 2015
Stimmt das Volk zu, konkretisieren die Konzerne ihre Baupläne. Erst jetzt werden Kraftwerktypen und Leistung bestimmt. Der Bundesrat, der sich wiederholt für neue Atomkraftwerke ausgesprochen hat, bewilligt die Gesuche.

 2025
 Nach zehn Jahren Bauzeit nehmen die neuen Kraftwerke frühestens im Jahr 2025 ihren Betrieb auf. Die erste Generation Schweizer AKW (Mühleberg und Beznau I + II) geht vom Netz. (bto.)

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 Der Zeitplan für neue Schweizer AKW

 2007 beschloss der Bundesrat, die bestehenden AKW zu ersetzen oder durch Neubauten zu ergänzen. Gemäss dem Nuklearsicherheitsinspektorat eignen sich sowohl Gösgen (Energiekonzern Alpiq) wie auch Beznau und Mühleberg (Axpo/ BKW) als Standort. 2011 beginnt die Vernehmlassung, 2012 soll der Bundesrat über die Gesuche entscheiden, dann kommt die Vorlage ins Parlament. 2013 oder 2014 muss das Volk entscheiden. Ans Netz gehen könnte ein neues AKW um 2025.

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Sonntag 21.11.10

Widersprüchliche Baselbieter Atompolitik

 Die Baselbieter Regierung wehrt sich gegen nahe Atommülldeponien - nicht aber gegen ein potenziell gefährlicheres Atomkraftwerk

VON ANDREAS MAURER

 Das Baselbiet zieht klare Grenzen: Die Regierung bekämpft nur Atomprojekte im Umkreis von 20 Kilometern - die Höhe der Risiken ist dabei egal.

 Die Baselbieter Regierung wehrt sich gegen alle neuen Atomkraftwerke (AKW) und Atommülldeponien im Umkreis von 20 Kilometern. Das Beharren auf dieser Grenze sorgt für eine paradoxe Situation: Gegen das geplante neue AKW in Gösgen wehrt sich die Regierung, da es innerhalb des 20-Kilometer-Radius liegt. Sie wehrt sich aber nicht gegen das fünf Kilometer weiter weg geplante neue AKW in Beznau. Basel-Stadt stuft das Risiko anders ein: Die Basler Regierung wehrt sich gegen beide Projekte.

 Nun führt die 20-Kilometer-Grenze zu einem weiteren Widerspruch: Diese Woche hat die Baselbieter Regierung bekannt gegeben, dass sie sich mit allen rechtlichen und politischen Mitteln gegen die geplanten Atommülllager am Bözberg und Jura-Südfuss wehren werde. Denn die vorgesehenen Standorte liegen drei und acht Kilometer von der Baselbieter Kantonsgrenze entfernt.

 Es stellt sich die Frage: Geht von Atommüll, der zwar nahe, dafür tief im Berg lagert, nicht ein viel geringeres Risiko aus als von einem Atomkraftwerk in Betrieb, auch wenn es rund 20 Kilometer weiter entfernt ist? Alberto Isenburg, Leiter des Baselbieter Amts für Umweltschutz und Energie, entgegnet: "Das Risiko ist nicht anders, da es beide Male um Radioaktivität geht. Im Normalfall ist die Strahlung in beiden Fällen gering. Der Störfall ist entscheidend."

 Auf die Nachfrage, ob von einem Störfall eines AKW nicht ein grösseres Risiko ausgehe als vom Störfall in einer Deponie, verweist Isenburg auf höhere Stellen: "Bei der Risikoabschätzung stützen wir uns auf den Bund." Daher hält sich das Baselbiet strikt an die 20-Kilometer-Grenze - ohne Differenzierung unterschiedlicher Risiken. "Der Verfassungs-artikel unterscheidet bewusst nicht nach Risiken", begründet Isenburg.

 Offen bleibt auch die Frage, wo denn der Atommüll, den das Baselbiet durch seinen Atomstromkonsum mitproduziert, deponiert werden soll, wenn der Bözberg und der Jura-Südfuss dafür nicht infrage kommen sollen. Darauf hat Isenburg keine Antwort: "Das Volk des Baselbiets hat entschieden, dass radioaktive Abfälle nicht bei uns gelagert werden sollen. Die Verfassung sagt aber nicht, wo man dies stattdessen tun soll."

 Der Anti-atom-Artikel der Baselbieter Verfassung führt zu weiteren Widersprüchen. Er hält fest, dass sich die Baselbieter Regierung gegen sämtliche Atomprojekte auf dem eigenen Kantonsgebiet und in der Nachbarschaft wehren soll. Im gleichen Paragrafen ist aber auch verankert, dass Energie wirtschaftlich verwendet werden muss. Darauf stützt sich die Regierung, wenn sie für den Bezug von Atomenergie argumentiert. Auch in ferner Zukunft hat die Baselbieter Regierung nicht vor, ganz auf Atomstrom zu verzichten. Die Herausforderungen der Stromversorgung seien nicht im Baselbiet, sondern auf Bundesebene zu lösen, betont die Regierung stets.

 Im Gegensatz dazu überlässt sie die Auswahl von AKW- und Deponiestandorten jedoch nicht dem Bund, sondern wird als Kanton selber aktiv. Ein Widerspruch? Auf solche Fragen antwortet die Baselbieter Regierung gewöhnlich diplomatisch nichtssagend. Ab und zu äussern sich Regierungsräte aber auch unverblümt. "Der eigentliche Widerspruch ist doch, dass wir überhaupt einen Anti-Atom-Artikel in der Verfassung haben", sagte Finanzdirektor Adrian Ballmer in der Basellandschaftlichen Zeitung, als diese einen vermeintlichen Widerspruch der kantonalen Pensionskasse thematisierte. Diese investiert trotz Anti-Atom-Artikel in Atomkraftwerke.

 Das legt den Schluss nahe, dass die Regierung den Verfassungsartikel je nach Interesse anders interpretiert. Geht es um die eigenen Finanzen, ist Atomstrom willkommen. Geht es jedoch um dessen Risiken, wie zurzeit bei der Deponiefrage, wird halbherziger Widerstand demonstriert, um der Verfassung gerecht zu werden. Gegen den Eindruck, das Baselbiet verhalte sich widersprüchlich, wehrt sich Isenburg: "Die jetzige Botschaft ist doch klar und deutlich."

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Sonntagszeitung 21.11.10

Neue AKW: Investoren sind skeptisch

 Die Gewinnaussichten werden als zu niedrig angesehen

 Zürich Die Schweiz diskutiert über den Bau neuer AKW - Investoren stehen den Werken jedoch skeptisch gegenüber. Grund: Finanzexperten trauen den Gewinnaussichten neuer Anlagen immer weniger. Kurt Rohrbach, CEO der BKW, sagt: "Die Finanzierung ist sicherlich kein Spaziergang." Am Freitag musste der Stromkonzern Axpo einräumen, dass das russische Majak, aus dem ein Teil seines Urans für das AKW Beznau stammt, möglicherweise nicht internationalen Standards entspricht. Die Gegend von Majak ist radioaktiv belastet, wie eine Reportage zeigt. Seite 13

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Atomkraft? Lieber nicht!

 In der Schweiz sollen neue AKW gebaut werden. Investoren und Experten sehen die Nuklearenergie jedoch zunehmend als finanzielles Risiko

 Catherine Boss

 Die Atomkraftdebatte ist lanciert. Am vergangenen Montag gab das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat grünes Licht für die drei AKW-Projekte in Bez-nau AG, Gösgen SO und Mühleberg BE. Am kommenden Wochenende stimmen die Städte Bern und St. Gallen über einen Atomausstieg ab (siehe Box).

 Bis vor kurzem sah es nach einer Renaissance der Atomenergie aus. 400 neue Meiler sollen bis 2030 weltweit gebaut werden, sagte Siemens-Chef Peter Löscher vor einem Jahr. Doch wirklich Aufwind hat die Industrie nur in China, Indien und Korea. Dort wird die Atomkraft systematisch ausgebaut. Im Westen ist sie im Rückgang. Heute sind weltweit 436 Atomreaktoren in Betrieb, acht weniger als 2002. 48 AKW sind "in Bau", 13 davon schon seit 20 Jahren.

 Der Grund für die Flaute: Investoren und Energiekonzerne trauen den Gewinnaussichten immer weniger. Bauernsohn John Rowe, CEO von Exelon, einem der grössten US-Energiekonzerne mit 17 AKW, formuliert es nüchtern: "Mein Vater hielt es mit seinen Kühen wie ich mit den Kernkraftwerken. Sie sind ein Geschäft und keine Passion." 2008 ging Rowe davon aus, dass Investitionen in neue Reaktoren zwar teuer, aber gewinnbringend seien. Heute rechnet er anders: "Wegen des tiefen Erdgaspreises sehen neue AKW in der Analyse extrem teuer aus. Deshalb haben wir unsere Pläne für ein AKW in Texas zurückgestellt", sagte Rowe kürzlich an einer Tagung des US-Hauseigentümerverbandes.

 Staatliche Kreditgarantien für AKW gibts nicht in der Schweiz

 Dasselbe hat der Staat Ontario in Kanada vor einem Jahr getan. Umweltminister George Smitherman hat das Projekt für zwei neue Reaktoren sistiert. Ontario hätte 26 Milliarden Franken bezahlen müssen. "Der Preis ist um Milliarden zu hoch", so der Umweltminister. Die Notbremse gezogen hat vor einem Monat auch der US-Konzern Constellation Energy. Er wollte in Maryland drei neue Reaktoren aufstellen. Zu teuer, entschied der Konzern nun zur Überraschung aller. Immerhin hatte die Obama-Administration für das Projekt 7,5 Milliarden Dollar Kreditgarantien gesprochen. Die "Washington Post" schrieb von einem harten Schlag für die viel beschworene Renaissance der Atomenergie: "Die hohen Baukosten bringen selbst Giganten wie Constellation ans Limit." Hart ist die Entscheidung auch für den französischen Stromkonzern Electricité de France (EDF), der die Reaktoren hätte bauen sollen. "Wir sind enttäuscht und schockiert", so EDF.

 Schlechte Nachrichten auch aus Europa: Der grösste tschechische Elektrizitätskonzern CEZ hat vor drei Wochen seine Pläne für zwei neue Reaktoren in Temelin vorläufig schubladisiert. "Wir sind nicht mehr die Lieblinge des Finanzmarktes. Wir erhielten kürzlich erste negative Signale der Ratingagenturen", zitiert "Bloomberg News" eine anonyme Quelle im Konzern. Die Ratingagentur Moody's hat ihre Einschätzung der Atomindustrie in einer Studie bereits 2009 revidiert: "Moodys erwägt, jene Konzerne, die neue AKW planen, negativ zu bewerten."

 Auch Analysten der Grossbank Citigroup empfehlen Investitionen in neue AKW nur, wenn der Staat weitreichende Kreditgarantien übernimmt. Die finanziellen Risiken seien sonst zu gross.

 Staatliche Kreditgarantien für neue AKW gibt es in der Schweiz nicht. Die Energiekonzerne müssen rund 60 Prozent der 8 bis 10 Milliarden Franken pro Werk auf dem internationalen Finanzmarkt beschaffen. Ein schwieriges Un- terfangen, meint der Schweizer Finanzexperte Kaspar Müller: "Kernkraftwerke sind aufgrund der heute verfügbaren Informationen ohne staatliche Unterstützung nicht kapitalmarktfähig und somit auch nicht in der Lage, in einem subventionsfreien Markt zu bestehen." Müller ist unter anderem Präsident der Stiftung Ethos. Auch der ETH-Professor Massimo Filippini ist skeptisch: "Läuft die Marktöffnung in der Schweiz nach Plan, können ab 2014 nicht nur die Grossverbraucher, sondern auch die Haushalte ihre Lieferanten frei wählen." Das verstärke das finanzielle Risiko von Investitionen in Atomstrom, denn die alternativen Energien würden kontinuierlich wettbewerbsfähiger.

 Ein neues AKW wäre erst nach 40 Jahren gewinnbringend

 Kurt Rohrbach, CEO des Energiekonzerns BKW, widerspricht: Die Finanzierung zweier neuer AKW in der Schweiz sei "kein Spa-ziergang", aber möglich (siehe Seite 15). Die Grossbanken CS und UBS halten sich mit Einschätzungen zurück. Sie wollen erst den AKW-Volksentscheid abwarten. "Erst dann wird es möglich, sich mit Finanzierungsfragen aus einanderzusetzen", sagt UBS-Spre- cher Andreas Kern. Ein Hauptproblem sind die langen Zeiträume. Ein neues AKW würde nach 40 Jahren Laufzeit schwarze Zahlen schreiben, sagte Giovanni Leonardi, Chef der Gösgen-Besitzerin Alpiq, kürzlich an der ETH Zürich. Ein neues AKW käme frühestens 2025 ans Netz. Gewinn brächte es ab 2065 - in 55 Jahren. Experten wagen aber nicht einmal vorauszusagen, wie der Markt 2020 aussehen wird.

 Die Internationale Energieagentur (IEA) hat berechnet, dass in den nächsten 20 Jahren weltweit 2Billionen Franken in Kraftwerke investiert werden müssen - das sind 100 Milliarden Franken pro Jahr. "Es entsteht eine ganz neue Energiewelt", sagte Josef Auer im Frühling in der Zeitung "Die Zeit". Auer ist bei der Deutschen Bank für die Analyse der Trends in der Energiewirtschaft zuständig. Das viele Geld werde kaum noch in die Wahrzeichen der alten Welt gesteckt werden, also in Schornsteine und Kühltürme. Nach IEA-Szenarien werden vier Fünftel der künftigen Investitionen in Ökostrom aus Wind- und Sonnenenergie sowie neue Stromnetze fliessen.

 Die Entwicklung hat bereits eingesetzt: In der ersten Hälfte dieses Jahres wurden weltweit Windenergiekapazitäten in der Höhe von 16 Gigawatt installiert. Das entspricht zwölf grossen, neuen AKW. Das Deutsche Zentrum für Luft- und Raumfahrt schätzt, dass in 20 Jahren die Offshore-Windparks in der Nordsee die grösste Energiequelle Deutschlands sein werden. Selbst der bisher horrend teure Solarstrom wird konkurrenzfähiger. Der Bau neuer AKW dagegen wird ständig teurer - um jährlich 15 Prozent, wie Forscher am Massachusetts Institute of Technology (MIT) berechnet haben.

 Effizientere Reaktoren sind frühestens 2030 realisierbar

 Investoren dürfte ein weiterer Befund der MIT-Forscher interessieren. Die jetzigen Reaktortypen seien unausgereift, meinen sie, es brauche massiv mehr Forschung. Die Wissenschafter sehen Möglichkeiten für effizientere Reaktoren, eine solche Reaktor-Generation wäre frühestens 2030 baufähig. Sie soll den Brennstoff effizienter nutzen und die Menge der langlebigen Bestandteile im hochaktiven Abfall reduzieren - ein Plus für die spätere Atommüll-Entsorgung.

 Die jetzt baufähige Generation - z. B. der Europäische Druckwasserreaktor (EPR) - steckt in der Krise. Der EPR wird zurzeit von den französischen Firmen Areva und EDF (die an Alpiq beteiligt ist) im finnischen Olkiluoto und im französischen Flammanville gebaut. Diese Vorzeigeprojekte sind bisher ein Reinfall. In Finnland betragen die Kostenüberschreitungen 77 Prozent. An beiden Orten sind sicherheitsrelevante technische Probleme ungelöst.

 Steve Thomas von der Londoner Greenwich-Universität zieht den Schluss: "Der einzige richtige Weg für Areva und Electricité de France scheint klar: Um ihre Verluste zu minimieren, müssten sie das Projekt EPR abbrechen", schreibt der Ökonom in einer neuen Studie. Atomstrom aus einem EPR sei viel zu teuer. "Es ist unwahrscheinlich, dass sich ein Energiekonzern dies leisten kann, ausser er erhält immense staatliche Subventionen und könnte alle Risiken auf die Konsumenten abwälzen."

 Der EPR ist auch für die Schweiz die wahrscheinlichste Option. Hierzulande gehören die Energiekonzerne mehrheitlich den Kantonen. Dies kommt einer Staatsgarantie gleich - das Risiko tragen am Schluss die Steuerzahler.

 Der Zeitplan für neue Schweizer AKW

 2007 beschloss der Bundesrat, die bestehenden AKW zu ersetzen oder durch Neubauten zu ergänzen. Gemäss dem Nuklearsicherheitsinspektorat eignen sich sowohl Gösgen (Energiekonzern Alpiq) wie auch Beznau und Mühleberg (Axpo/ BKW) als Standort. 2011 beginnt die Vernehmlassung, 2012 soll der Bundesrat über die Gesuche entscheiden, dann kommt die Vorlage ins Parlament. 2013 oder 2014 muss das Volk entscheiden. Ans Netz gehen könnte ein neues AKW um 2025.

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Stärker verstrahlt ist nichts auf der Welt

 Die russische Atomfabrik Majak bereitet unter anderem Schweizer Brennstäbe auf und gilt weitum als Gesundheitsrisiko

 von Claudia Stahel (Text) und Denis Sinjakow (Fotos)

 Gilani Dambajew steht hinter seinem Haus. Gleich nebenan ein verrostetes Schild: "Verbotene Zone - Sammeln von Beeren und Pilzen sowie Fischen verboten". Mit jedem Schritt, den Dambajew hinunter zum Fluss Tetscha geht, schlägt der Geigerzähler in seiner Hand, der die radioaktive Strahlung misst, stärker aus.

 Der 55-jährige ehemalige Bauarbeiter lebt mit seiner Frau, fünf Kindern und einer dreijährigen Enkelin in Musljumowo, einem alten Tatarendorf im Bezirk Tschel- jabinsk. Das Dorf liegt rund 50 Ki- lometer von der russischen Atomfabrik Majak entfernt. Ein Teil des Urans, das in den Schweizer Atomkraftwerken Beznau, Gösgen und Mühleberg in den letzten Jahren verbrannt worden ist, stammt aus der Wiederaufarbeitungsanlage Majak (siehe Box). Die Gegend gilt als eines der radioaktiv am stärksten verstrahlten Gebiete der Welt.

 Globale Sicherheitsstandards werden nicht eingehalten

 Vergangene Woche organisierte Greenpeace Schweiz eine Reise in das verseuchte Gebiet. Die Umweltorganisation verlangt von den Schweizer AKW-Betreibern, dass sie aus den Verträgen mit Unterlieferanten aussteigen, die Material aus Majak für die Herstellung von Brennstäben verwenden. Am Abend nach dem Besuch bei Gilani Dambajew sagt Florian Kasser im Hotel zu den mitgereisten Journalisten: "Die internationalen Sicherheitsstandards werden in Majak nicht eingehalten." Kasser leitet die Greenpeace-Kampagne gegen die Verwendung von "schmutzigem" Uran aus Russland.

 Nach dem Zweiten Weltkrieg produzierten in Majak Tausende von Arbeitern Material für die sowjetischen Atombomben. "Stalin wollte die Bombe unbedingt", erzählt Waleri Menschikow. Der Physiker ist Mitglied des unabhängigen Beirats von Rosatom, dem staatlichen Atomkonzern, zu dem auch Majak gehört. "Die Zeit war zu knapp, um ein Auffangbecken für das bei der Plutoniumherstellung verstrahlte Wasser zu bauen", so Menschikow. Von 1949 bis 1956 wurden 76 Millionen Kubikmeter atomare Abfälle direkt im Fluss Tetscha entsorgt.

 1957 explodierte ein Stahltank mit hoch radioaktivem Atommüll, die Giftwolke verteilte sich über rund 23 000 Quadratkilometer. 1967 verdunstete während einer Dürreperiode das Wasser des Karatschai-Sees. Dieser ist Teil eines Deichsystems, das zur Lagerung von leicht und mittel radioaktiven Abfällen diente. Durch den freigesetzten Staub wurde erneut ein riesiges Gebiet verseucht.

 Das Deichsystem wird noch heute verwendet. Greenpeace wirft den Betreibern von Majak vor, dass es nicht dicht sei. "Nach wie vor gelangen radioaktive Abfälle in die Tetscha und belasten die Anwohner und die Umwelt", sagt Florian Kasser.

 Die Zahl der Krebsfälle ist höher als im übrigen Russland

 Die Menschen entlang der Tetscha erfuhren von den Unfällen in Majak erst im Jahr 1989, nach Beginn der Perestroika. Gilani Dambajew war ein paar Jahre zuvor aus Tschetschenien nach Musljumowo gezogen. Er fand eine Stelle beim örtlichen Bauunternehmen. Der ehemalige Balletttänzer zog in das eingeschossige Haus an der Tetscha, in dem er noch heute lebt. "Nach der Arbeit haben wir alle im Fluss gebadet", erinnert er sich. In den letzten acht Jahren erlitt Dambajew zwei Hirnschläge und einen Herzinfarkt. Mittlerweile ist er invalid. Vor drei Jahren stellten ihm die Behörden einen der begehrten Ausweise aus, der ihm das Recht auf "Vergünstigungen und Kompensation" einräumt wegen der "Havarie von 1957 in Majak und der Entsorgung radioaktiver Abfälle in den Fluss Tetscha". Dambajew ist nicht der Einzige, der an den Folgen der Verstrahlung leidet. Gemäss Natalia Mironowa, Leiterin der Tscheljabinsker "Bewegung für Atomsicherheit", erkranken in der Region deutlich mehr Menschen an Krebs als im übrigen Russland.

 Hinter dem Haus von Gilani Dambajew misst Greenpeace-Strahlenexperte Heinz Smital eine Radioaktivität von 0,1 Mikrosievert pro Stunde. Das entspricht etwa der natürlichen Strahlung in der Schweiz. Unten an der Tetscha steigt der Wert auf bis zu 4,8 Mikrosievert. An einer Stelle weiter oben am Fluss misst Smital gar einen Wert von 15.

 Die radioaktive Belastung summiert sich mit jeder Stunde. "Vor allem der Fluss und die Ufergebiete sind kontaminiert", sagt Smital. In der Schweiz beträgt der Grenzwert für nicht beruflich strahlenexponierte Personen 1000 Mikrosievert pro Jahr. Hier an der Tetscha, sagt Greenpeace-Experte Smital, könne dieser Grenzwert je nach Aufenthaltsort und Verhalten in einem Monat oder gar weniger als einer Woche erreicht werden. "Fluss und Uferzone dürften nicht frei zugänglich sein."

 Seit vier Jahren läuft für das Dorf Musljumowo ein Umsiedlungsprogramm, finanziert vom Bezirk Tscheljabinsk und dem russischen Atomkonzern Rosatom. Die Familien können wählen zwischen einer einmaligen Auszahlung von einer Million Rubel (rund 32 000 Franken) und einem Haus in Neu-Musljumowo unweit des alten Dorfs. Betroffen sind 2400 Personen, darunter auch Dambajew und seine Familie. Wenn es nach ihm ginge, wäre er längst weg. Doch mit seiner Rente von 8000 Rubel findet er nirgends eine Wohnung. Und nach Neu-Musljumowo will er nicht. Er nennt es "das Dorf der Rentner und Invaliden".

 Axpo-Fachleute werden sich vor Ort ein Bild der Lage machen

 Mittlerweile ist Majak auch in der Schweiz ein Thema. Vorgestern räumten die Axpo-Verantwortlichen erstmals ein, dass "die heutige Produktion in Majak in einzelnen Punkten, beispielsweise der Abwasserbehandlung, noch nicht internationalen Standards entspricht".

 Axpo-Chef Manfred Thurmann erklärte an einer Pressekonferenz am Freitag, dass sich die Axpo vor Ort ein Bild machen wolle, wie gross das Ausmass der Verschmutzung sei. Er habe kein gutes Gefühl. "Wir werden möglicherweise Sachen finden, die uns nicht gefallen." Axpo-Fachleute würden in Kürze nach Russland reisen. Wenn sich der Konzern ein Bild von den Zuständen in Majak gemacht habe, wolle er über das weitere Vorgehen entscheiden.

 Die lokalen Behörden dagegen versichern, dass heute keine Gefahr mehr bestehe. Anders als Greenpeace behaupte, sei die Verstrahlung ausschliesslich auf die Unfälle in der Vergangenheit zurückzuführen. Die Vorwürfe von Umweltorganisationen, dass weiterhin verseuchtes Wasser versickere, weisen sie von sich.

 Ähnlich tönt es aufseiten der Betreiber von Majak. An einem Treffen mit den Schweizer Journalisten und Greenpeace-Vertretern in Tscheljabinsk versichert Majak-CEO Sergei Baranow, heute gelangten keine Abfälle mehr in die Tetscha. Baranow sagt: "Im Sommer würde ich jederzeit mit Ihnen in diesem Fluss baden gehen."

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"Die Finanzierung ist sicherlich kein Spaziergang"

 Kurt Rohrbach, CEO des Energiekonzerns BKW, über die Notwendigkeit von Ersatz-AKW

 von Markus Schär (Text) und Simon Tanner (Foto)

 Herr Rohrbach, haben Sie am Montag den Champagner aufgemacht?

 Nein, das hat wohl niemand. Die Aufsichtsbehörde hat bestätigt, dass sich die Standorte Mühleberg, Beznau und Gösgen für neue KKW eignen. Das ist nur eine Etappe in einem langen Prozess.

 Eine der schwierigsten Etappen, die Befragung des Volkes, steht Ihnen jetzt bevor.

 Das ist so.

 In einer Woche stimmt die Stadt Bern darüber ab, ob sie bei ihrer eigenen Versorgung auf Atomstrom verzichten will.

 Ja, das ist ein punktueller Stimmungstest. Mit grosser Wahrscheinlichkeit wird sich die Stadt für einen Ausstieg aussprechen. Sie allein liesse sich durchaus nur mit erneuerbarer Energie versorgen, es bliebe dann allerdings weniger für die anderen.

 Am 13. Februar 2011 folgt Ihr grosser Kampf: die Konsultativ- abstimmung im Kanton Bern über ein Ersatz-AKW Mühleberg. Wie wollen Sie die Stimmung kehren?

 Bei früheren Gelegenheiten sprach sich der Kanton Bern immer wieder für die Kernenergie aus. Wir sind zuversichtlich, dass wir die Bernerinnen und Berner mit sachlichen Argumenten überzeugen können, vor allem indem wir aufzeigen, was der Verzicht auf die Kernenergie für die Volkswirtschaft des Kantons Bern und für die BKW bedeuten würde.

 Was?

 Wir könnten unsere Strategie, die Versorgung mit CO2-freiem Strom sicherzustellen, nicht umsetzen. Wenn rund die Hälfte unserer Produktion wegfällt - nicht nur Mühleberg, sondern auch die Lieferverträge mit Frankreich -, können wir sie kaum mit erneuerbaren Energien ersetzen. Im Übrigen gibt es ja auch hier Opposition, sowohl bei der Nutzung der Wasserkraft als auch beim Bau von Windkraftanlagen.

 Gegenwärtig treiben immer noch drei Schweizer Stromkonzerne drei AKW-Projekte voran. Warum ist keine Einigung möglich?

 Es geht um grosse Projekte, bei denen schwierige Fragen zu klären sind. Ich bin immer noch optimistisch, dass wir zu einer Einigung kommen.

 Aber es gibt keinen Zeithorizont dafür?

 Es wäre ungeschickt, in Verhandlungen Daten zu nennen, so setzt man sich selber unter Druck. Aber bei allen drei Unternehmen ist die Erkenntnis gereift, dass wir zu einer Lösung kommen müssen. Wir können sicher nicht mit drei Standorten in den politischen Prozess gehen.

 Die Gegner können sich freuen: Es gibt in der Schweiz keine Atomlobby, weil Sie sich selber am schärfsten bekämpfen.

 Ich staune immer wieder, dass wir als Lobby gelten. Wir sind drei Unternehmen, die zwar in vielen Bereichen zusammenarbeiten, in vielen aber als Konkurrenten auftreten. Natürlich geht es darum, wie wir uns für die Zukunft positionieren.

 Insider sagen, das eigene AKW sei für Ihr Unternehmen eine Existenzfrage. Ohne Mühleberg würde die BKW von der Axpo übernommen.

 Mit dieser Behauptung gehe ich gelassen um. Natürlich ist Mühleberg ein wichtiger Pfeiler für die BKW. Wir haben aber einen bewährten und breit abgestützten Strommix. Wir haben eine starke Position in der Wasserkraft, da sind wir beispielsweise zu 50 Prozent an den Kraftwerken Oberhasli KWO mit den Pumpspeicherkraftwerken auf der Grimsel beteiligt. Und wir sind vertikal integriert: Wir können Produktion und Verbrauch zusammenbringen - das ist gerade im Hinblick auf die effiziente Nutzung des Stromes und die Entwicklung von Smart Technologies sehr interessant.

 Der Finanzchef Ihres Konkurrenten Alpiq sagte kürzlich, in der Schweiz liessen sich nicht gleichzeitig zwei AKW finanzieren.

 Die Finanzierung ist sicherlich kein Spaziergang, aber sie ist auf dem Schweizer Kapitalmarkt möglich. Und was heisst "gleichzeitig"? Wir brauchen zwei KKW, und wir wollen die Synergien beim Bau und beim Betrieb nutzen. Deshalb planen wir sie auch zusammen, und es wäre nicht redlich, dies nicht so zu kommunizieren. Bei der Realisierung wird es aber schon aus Kapazitätsgründen zu einer Abfolge kommen. Diese Staffelung um ein paar Jahre ist für mich zwar immer noch gleichzeitig, die Finanzierung würde aber etwas entlastet.

 International werden AKW-Projekte zurückgestellt, weil sie sich nicht rechnen.

 Es kommt immer auf die Rahmenbedingungen und auf die Stromversorgungslage des jeweiligen Landes an. Die Schweiz ist zwar gut in Europa eingebettet, aber die Importkapazitäten sind beschränkt. Deshalb muss der Preis für diese beschränkten Kapazitäten in die Wirtschaftlichkeit einberechnet werden. Das beeinflusst die Rechnung zugunsten der inländischen Produktion.

 Was sagen Sie zum Verdacht, dass Sie AKW bauen wollen, damit Sie genug Strom haben, den Sie dank Ihren Pumpspeicherkraftwerken zu Spitzenzeiten teuer ins Ausland verkaufen können?

 Wir brauchen die Ersatzwerke, um genügend Menge für die zuverlässige Stromversorgung der Schweiz zu erzeugen. Natürlich ist der Verkauf von Spitzenenergie interessant und ökologisch sinnvoll. Er erlaubt uns, die Preise in der Schweiz zu entlasten. Das Mengenproblem können wir aber mit der Speicherkraft nicht lösen.

 Die ausländischen Konzerne halten AKW für unrentabel, weil der Gaspreis tief bleibt und die Kosten für erneuerbare Energien sinken.

 Natürlich behalten wir die Preisentwicklung dauernd im Auge. Wir sind heute überzeugt, dass die Kernkraft auf lange Sicht wirtschaftlich und finanzierbar ist. Wenn wir jetzt darauf verzichten, geben wir eine zuverlässige Produktion ohne Grund einfach auf.

 Moody's gibt Energiekonzernen allerdings ein tieferes Rating, wenn sie auf AKW setzen.

 Was sind denn die Alternativen? Wenn wir auf Gas-Kombikraftwerke setzten, würde kommentiert: Wahrscheinlich kommt eine CO2-Abgabe - es ist nicht attraktiv, das Geld dafür auszugeben. Heute wird fast jedes Unternehmen tiefer eingestuft, wenn es investiert. Das ist bedenklich. Natürlich wäre es bequemer, von vernünftigen Investitionen unserer Vorfahren zu profitieren und selber nicht zu investieren - aber das wäre nicht sehr verantwortungsvoll.

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Bund 20.11.10

Axpo gesteht Fehler in der Deklaration der Uran-Herkunft ein

 Die PR-Strategie der Axpo setzt voll auf die positive CO2-Bilanz von Atomstrom. Nach einer Greenpeace-Kampagne muss der Konzern nun die Verträge mit bisher unbekannten Uran-Lieferanten überprüfen.

 Maurice Thiriet

 Wenn der Chef eines grossen Unternehmens vor die Medien steht und sagt: "Wir haben einen Fehler gemacht", dann ist die Lage ernst. So wie gestern Morgen für Manfred Thumann, CEO der Axpo AG. Voraussichtlich 2013 wird das Schweizer Stimmvolk über die Errichtung von einem bis drei neuen Atomkraftwerken (AKW) abstimmen müssen. Auch die Axpo möchte eines errichten.

 Bis vor kurzem war sie auf gutem Weg, die Öffentlichkeit für ihr geplantes Vorhaben zu gewinnen. Die PR-Strategie der Axpo beruhte auf einer Umweltdeklaration für das AKW Beznau. Das Papier wies einen tiefen CO2-Ausstoss auf. "Atomstrom ist sehr sauber", war die Botschaft. Wissenschaftlich unterlegt.

 Doch die Axpo hatte sich eine Unterlassung geleistet, die Atom-Gegnerin Greenpeace nutzte, um die gesamte Strategie der Axpo ins Gegenteil zu verkehren: Stefan Füglister, Stratege der von Greenpeace beauftragten Lobbyistin Kampagnenforum, hat gemerkt, dass die Axpo in ihrer Umweltdeklaration angibt, das zur Wiederaufbereitung der Brennstäbe verwendete Uran stamme aus ungebrauchten Atomwaffen (siehe Box). Bloss: Solch hochpotentes Waffen-Uran ist seit geraumer Zeit gar nicht mehr erhältlich. Also muss das Uran, mit dem die Axpo ihre gebrauchten Brennstäbe wieder anreichern liess, aus anderen Quellen stammen. Infrage kam nur gebrauchtes Uran aus U-Booten, Eisbrechern und Schnellen Brütern.

 Problem Majak

 Zum Unglück der Axpo wird Uran aus solchen Quellen hauptsächlich im russischen Majak verarbeitet. Dort ist verstrahltes Wasser in die Landschaft geleitet worden, 1957 ein Lagertank mit Atommüll explodiert und 1967 ein mit radioaktivem Wasser gefüllter See ausgetrocknet, worauf sich der radioaktive Staub in alle Winde verteilt hat. Erde, Wasser, Lebensmittel und Menschen sind weit um Majak verstrahlt, und es ist nicht klar, ob die Produktionsbedingungen von Uran dort heute in einem akzeptablen Mass umweltverträglich sind.

 All dies teilte die Umweltorganisation Greenpeace der Axpo im Sommer 2009 mit. Als diese nach über einem Jahr noch immer nicht geklärt hatte, woher ihre Brennstäbe kommen, machte die "Rundschau" Anfang September die Geschichte publik. Bis gestern nahm der mediale Druck auf die Axpo weiter zu. Noch immer wand sich die Axpo: "Wir klären die genaue Lieferkette derzeit noch ab."

 Gestern Morgen dann präsentierte Axpo-Chef Thumann die Fakten und übte Selbstkritik. "Wir haben geglaubt, das Uran stamme aus der Waffenproduktion. Das war verkehrt, da können sie uns jetzt prügeln", sagte Thumann. Aber: Als Endkundin habe die Axpo kein Recht auf Informationen über die Zulieferer gehabt. Diese Erkundigungen hätten gegen bürokratische Widerstände durchgeführt werden müssen. Es zeigte sich auch, dass in den Brennstäben der französischen Vertragslieferantin Areva auch Uran aus Seversk verarbeitet ist. Auch dort gab es Zwischenfälle, auch dort gibt es Spätfolgen.

 Mangelnde Alternativen

 Neben einem Liefervertrag, der 2010 endet, hat die Axpo mit der Areva einen weiteren Vertrag bis 2020 laufen. Vor diesem Hintergrund will die Axpo laut Thumann die Anlagen in Majak und Seversk nun per Augenschein überprüfen. Zwar entsprächen die Fabrikanlagen westlichen Standards. Bei der Entsorgung der Abfälle sei das aber eventuell anders. "Wir müssen wissen, ob es da nicht irgendwelche Sauereien gibt", sagte Thumann. Und er sagt selbst: "Man wird Sachen finden, die uns nicht gefallen." Die entscheidende Frage sei, ob sich die Situation bessere oder ob einfach weitergemacht werde wie bisher.

 Stefan Füglister vom Kampagnenforum geht zwar davon aus, dass die Axpo die Verträge mangels Alternative nicht künden wird. Aber das Ziel seiner Kampagne, die CO2-Bilanz und die Umweltdeklaration von Beznau in den Hintergrund zu drängen, hat er erreicht: "Jetzt reden wir über die tödlichen Dinge. Strontium, Cäsium, Radioaktivität".

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 Brennelemente Die Lieferkette zur Wiederaufbereitung

 Die Axpo retourniert Brennelemente, die nach Gebrauch schwach an spaltbarem Material (Uran) angereichert sind, über Sellafield (GB) nach Seversk ans Sibirische Chemische Kombinat (SKhC). Dort wird das schwach angereicherte Uran (0,9%) mit angereichertem Abfall-Uran (0.7%) aus russischen schnellen Brütern gemischt. Durch dieses sogenannte Blending erhält das Material eine höhere Konzentration an Uran (3%). Nach dieser Zwischenstufe wird das Uran an die Firma MSZ im russischen Elektrostal geliefert, wo es in einem erneuten Blending-Prozess mit höher angereichertem Uran (14%) aus schnellen Brütern und Atom-U-Booten gemischt wird. Das Endprodukt, das die Axpo zurückerhält, ist ein Brennelement mit schwach angereichertem Uran (4,7%) zur zivilen Nutzung.

 Diesen Prozess liess die Axpo beim Erstellen ihrer Umweltdeklaration ausser Acht. Die Axpo nahm an, das Uran, mit dem ihre alten Brennstäbe wieder angereichert werden, stamme aus der Produktion von Atomwaffen. Das CO 2, das bei der Produktion von Atomwaffen entsteht, muss bei einer CO2-Bilanz nicht berücksichtigt werden, weil der Prozess zu lange zurückliegt.(thi)

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BZ 20.11.10

Axpo will es ganz genau wissen

 Uran-HerkunftDer Energiekonzern Axpo gibt dem öffentlichen Druck nach und will in Kürze direkt im verseuchten russischen Gebiet Majak überprüfen, wie stark die dortige Uran-Wiederaufbereitungsanlage die Umwelt belastet. Danach will Axpo entscheiden, ob die neuen Verträge mit dem französischen Brennstablieferanten Areva, welcher Uran aus Majak verwen-det, unterzeichnet werden. Für Greenpeace ist die Region um Majak einer der meistverstrahlten Orte der Welt.
 sda

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sf.tv 20.11.10

"Arena": Ist Atomkraft eine veraltete Technologie?

sf/coro

 Für die einen stellt die Atomkraft eine veraltete Technologie dar, in die es sich nicht mehr zu investieren lohne. Die anderen sagen, es brauche neue Atomkraftwerke, um angesichts des steigenden Energiebedarfs die Versorgungssicherheit darzustellen. Die Diskussion um die Atomenergie in der Schweiz ist mit dem Ja zu möglichen AKW-Standorten neu lanciert, wie die "Arena" zeigt.

 Die Energiekonzerne Alpiq, Axpo und BKW wollen die bestehenden Atomkraftwerke in Mühleberg (BE), Beznau (AG) und Gösgen (SO) ersetzen. Für Manfred Thumann, Chef des Axpo-Konzerns, ist klar, dass es neue Atomkraftwerke braucht. Das technische Potenzial für erneuerbare Energien reiche bei weitem nicht aus, um den steigenden Strombedarf zu decken, wie er in der "Arena" sagte.

 Es brauche den Mix zwischen erneuerbaren Energien, Kernenergie, Energieaussenpolitik und Effizienzmassnahmen, damit eine sichere Stromversorgung gewährleistet sei, pflichtete ihm der Berner FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen bei. Der Strombedarf werde steigen und deshalb müsse auch auf neue Atomkraftwerke gesetzt werden. Andernfalls "gehen die Lichter aus."

 Jürg Buri, Geschäftsleiter Schweizerische Energie-Stiftung (SES), ist dagegen sicher, dass die Schweiz ihre Stromversorgung ohne neue Atomkraftwerke sicherstellen kann. "Atomenergie ist eine veraltete Energie und nicht sauber", sagt er.

 Unterschiedliche Einschätzung der Stimmung in der Bevölkerung

 Wie schätzen die Diskussionsteilnehmer die Stimmung in der Bevölkerung gegenüber neuen Atomkraftwerken ein? Nick Beglinger, Präsident des Verbands Swisscleantech für eine nachhaltige und dynamische Wirtschaft, geht davon aus, dass es schwierig wird, in der Schweiz ein neues Kernkraftwerk zu bauen. Ein sofortiger Ausstieg aus der Kernenergie sei aber keine Lösung, denn die Versorgungssicherheit sei für die Wirtschaft sehr wichtig. Langfristig ist er jedoch davon überzeugt, dass die Schweiz auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien setzen müsse.

 "Kernkraft ist eine Vernunftsentscheidung", sagt dagegen Axpo-Konzernchef Thumann. Der Schweizer Stromverbraucher entscheide im Normalfall vernünftig. Deshalb wisse der Konsument auch, dass er auch in Zukunft die Kernenergie brauche.

 Marktpotenzial der erneuerbaren Energien

 Beglinger sieht in den erneuerbaren Energien ein grosses wirtschaftliches Potenzial. Ein Blick ins Ausland zeige, dass die erneuerbaren Energien und die Energieeffizienz ein gewaltiges Marktpotenzial hätten. Zudem bewegten sich im Bereich der nachhaltigen Stromerzeugung die Preise nach unten.

 Erneuerbare Energie werde jeden Tag billiger, pflichtete ihm SES-Geschäftsleiter Buri bei. Und wenn Axpo-Chef Thumann in 20 Jahren mit seinem neuen AKW ans Netz geht und dann der Photovoltaikstrom vom Hausdach billiger ist als der neue Atomstrom, "hat er ein Problem". Dann sitze er auf einer Technologie, die er 60 Jahre lang amortisieren müsse, sagte Buri.

 Bundesrat setzt zuerst auf einen Mix

 Der Bund geht aber davon aus, dass die Schweiz erst nach dem Jahr 2050 voll auf erneuerbare Energien setzen kann, gab Walter Steinmann, Direktor des Bundesamts für Energie, zu bedenken. Bis dahin brauche es eine Überbrückung mit einem Mix aus anderen Technologien. Dazu gehören laut Steinmann auch neue Atomkraftwerke.

 Können Atommüllberge sauber sein?

 Doch wie sauber ist diese Technologie? Auch hier herrschte Uneinigkeit. Das Argument, dass die Atomtechnologie in Sachen CO2-Reduktion gut abschneidet, will SES-Geschäftsleiter Buri nicht gelten lassen. Wenn man nicht wisse, was mit den Atommüllbergen gemacht werden soll, dürfe von Sauberkeit keine Rede sein. Und wenn die Axpo nicht einmal wisse, woher ihre wieder aufbereiteten Brennstäbe herkämen, dürfe nicht von sauberer Technologie gesprochen werden, sagte Buri. Dabei verwies er auf Berichte, wonach der Konzern für das Atomkraftwerk Beznau Uran aus der umstrittenen russischen Wiederaufbereitungsanlage Majak einsetzt - laut Greenpeace einem der "meistverstrahlten Orte der Welt".

 Axpo-Chef Thumann will diese Vorwürfe nicht gelten lassen. Von der Umweltbelastung her sei Kernkraft ungefähr mit der Wasserkraft zu vergleichen. Erneuerbare Energien brauchten ebenfalls Ressourcen. So etwa die Windräder, die etwa zehn Mal mehr Metall brauchten als die Wasserkraft.

 Der grünliberale Zürcher Nationalrat Martin Bäumle räumt ein, dass die Kernenergie in Sachen CO2 nicht schlecht abschneidet. Würden aber alle Aspekte - etwa auch die Entsorgung - berücksichtigt, sehe die Kernenergie in der Gesamtbilanz nicht mehr gut aus.

 Das Problem der Endlagerung sei immer noch nicht gelöst, pflichtete ihm Beat Bloch, Präsident der CSP Zürich, bei. Die erste Generation von Atomkraftwerken laufe aus. "Und wir wissen immer noch nicht, wohin mit dem Dreck, der von dieser ersten Generation produziert worden ist".

 Bundesamt für Energie: Endlager ist möglich

 Laut Steinmann, Direktor des Bundesamts für Energie, ist ein Endlager für den atomaren Abfall in der Schweiz möglich. Der Entscheidungsprozess für den Standort sei im Gang. Am Ende werde eine Volksabstimmung über den definitiven Ort befinden.

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Le Matin Dimanche 21.11.10

Pourquoi Doris Leuthard freinera son élan nucléaire

Magalie Goumaz

NOUVELLES CENTRALES Ce n'est pas parce qu'une ministre de l'Energie plébiscite le nucléaire qu'elle pourra faire pousser les centrales. La partie s'annonce serrée… jusque dans sa propre famille politique.

Une enfant du nucléaire aux commandes du Département de l'énergie. Doris Leuthard a été lointaine membre d'honneur du Forum nucléaire suisse, elle a siégé au conseil d'administration de la compagnie d'électricité de Laufenburg. Et elle est Argovienne, un canton terre d'accueil du nucléaire. Pour les écolos, le loup est dans la bergerie. Et s'il était neutralisé? Quatre raisons de le croire.

1 PEU DE MARGE DE MANŒUVRE

En Suisse, un ministre part, l'administration reste. Doris Leuthard travaille avec l'équipe du socialiste Moritz Leuenberger. Politiquement, les cartes sont aussi posées sur la table. Le Conseil fédéral a relancé la construction de nouvelles centrales en 2007. La procédure est lancée, le peuple aura le dernier mot.

Pro et antinucléaires l'avouent: Doris Leuthard a peu de marge de manœuvre. Elle peut faire respecter les échéances, affiner les rapports, convaincre. Pour le conseiller national Jacques Bourgeois (PLR/FR), président de la Commission chargée de cette question, c'est déjà pas mal. "Moritz Leuenberger se perdait dans des rapports alors qu'on demandait des décisions", explique-t-il.

Mais les relations avec le lobby nucléaire risquent aussi de se ternir pour Doris Leuthard. Trois projets sont en concurrence, à Beznau (AG), Mühleberg (BE) et Gösgen (SO). C'est un, voire deux de trop. Leurs promoteurs sont chargés de s'entendre, ce qui est loin d'être fait. Elle devra les y forcer… ou trancher!

2 SON PROPRE PARTI EST DIVISÉ

Le PDC veut affirmer sa fibre verte. Le nucléaire? En sortir n'est plus tabou. Reste à l'affirmer. Le PDC peine à accoucher d'un papier de position qui remplacerait celui adopté en 2007. Une année qu'il planche là-dessus. Mais des voix à l'intérieur parlent d'un possible tournant important, d'une position unique pour un parti bourgeois. Le groupe parlementaire abordera la question début janvier, avec Doris Leuthard. L'enjeu: conditionner l'aval du parti au nucléaire aux efforts mis dans les énergies vertes, à la présentation d'une solution acceptable pour les déchets, et des preuves que la Suisse a besoin de plus d'une centrale.

Le lobby nucléaire est pourtant bien présent au sein du PDC, avec des élus qui siègent dans les conseils d'administration de centrales ou sociétés d'électricité proches. Mais ce lobby du "Mittelland" se trouve en face des urbains comme Jacques Neirynck, ancien professeur à l'EPFL, ou des Alpins qui se battent pour l'hydraulique. Si le PDC bascule, c'est le Parlement qui suit. Le président des Verts Ueli Leuenberger le reconnaît: "Le PDC est la pierre angulaire de ce débat. " Isabelle Chevalley, des Verts libéraux, le confirme: "La cause écologique avancera grâce au PDC. Au PLR ou à l'UDC, il faut qu'un des leurs soit malade pour gagner une voix. "

3 LE PIÈGE DES DÉCHETS

Sans solution pour l'entreposage des déchets nucléaires, pas de nouvelle centrale. Même la droite le dit. Pour l'instant, les déchets sont stockés dans un dépôt intermédiaire, près de la centrale de Beznau (AG). Six lieux définitifs ont été retenus, tous en Suisse allemande, et il faudra en choisir deux. Qui se dévouera? La bataille risque d'être encore plus dure que pour la construction d'une centrale.

De plus, le lobby nucléaire n'a pas droit à l'erreur. Vendredi, Axpo a dû reconnaître que son uranium enrichi provenait bel et bien de Mayak, en Russie, un des sites nucléaires les plus pollués du monde. Pas bon.

4 ELLE VEUT S'ACHETER UNE VERTU ÉCOLOGIQUE

Cinquante mesures "vertes" en faveur des Cleantechs présentées début novembre, un voyage à Cancún pour le Sommet sur le climat alors que Moritz Leuenberger voulait y aller: Doris Leuthard montre patte "verte". Ce positionnement est habile car elle est attendue au contour par les antinucléaires surtout pour ce qu'elle fera - ou ne fera pas - en faveur des énergies vertes. En fait, la nouvelle cheffe du Département sait qu'elle n'a pas le choix. Si elle veut trouver une majorité en faveur du nucléaire, elle doit montrer qu'elle en fait tout autant pour les solutions alternatives. Ce qui revient à dire que pour faire passer le renouvellement des centrales, Doris Leuthard doit être tout sauf pronucléaire. Et elle l'a compris.

OÙ ENEST-ON?

1990 Moratoire

Les Suisses acceptent un moratoire de dix ans sur le nucléaire.

2003 La machine est relancée

Deux initiatives antinucléaires sont rejetées.

2007 La procédure commence

Le Conseil fédéral adopte sa nouvelle politique énergétique incluant le nucléaire.

2010 Premiers feux verts

L'Inspection fédérale de la sécurité nucléaire décrète que les trois sites envisagés pour une nouvelle centrale, Gösgen (SO), Beznau (AG) et Mühleberg (BE), sont adéquats. Prochaines étapes: le Conseil fédéral, le Parlement et enfin la population, en 2013.

PEUT-ON SE PASSER DU NUCLÉAIRE?

PHILIPP STÄHELIN Conseiller aux Etats thurgovien PDC, ancien membre du conseil d'administration de la centrale de Gösgen et d'Axpo

"NON Pas pour le moment. On devrait même pouvoir décider assez vite de construire au moins une centrale et les autres après.

Mais je reconnais que c'est difficile avant les élections fédérales. Et puis les trois entreprises qui ont des projets ne s'entendent toujours pas alors que ce sont elles qui doivent présenter leur choix. Je peux parfaitement m'imaginer que le Conseil fédéral doive trancher.

C'est vrai, mon parti est divisé sur la question. Pour ma part, je suis aussi favorable aux énergies renouvelables sauf que pour l'instant, ça ne suffit pas, on a besoin de centrales nucléaires et je suis contre de nouvelles taxes qui serviraient à développer les énergies vertes. En Suisse, on a déjà assez de taxes et ce n'est pas à l'Etat de se mêler de ce qui doit rester du ressort de l'économie. Les entreprises font déjà beaucoup en faveur des énergies renouvelables. Axpo par exemple (ndlr: centrale nucléaire de Beznau) a décidé il y a deux ans d'investir trois milliards dans ce domaine. "

CHRISTOPHE DARBELLAY Président du PDC Suisse

"OUI Dans un délai de 50 ans, nous devons sortir du nucléaire. Il faut préparer cette échéance dès maintenant en mettant en place un vrai plan en faveur des énergies renouvelables, en mettant fin au gaspillage et en réduisant notre dépendance au pétrole.

Une telle vision à 50 ans doit être une condition au remplacement d'une centrale existante. Car il ne faut pas se voiler la face, à court terme, on n'a pas d'autres choix. Le nucléaire couvre 40% de nos besoins en électricité et on ne s'en passera pas du jour au lendemain. Nos installations vieillissent et nos contrats d'approvisionnement avec la France arrivent à échéance. Parallèlement, les besoins en électricité augmentent, notamment pour les voitures électriques et les pompes à chaleur. Il faut donc accepter cette solution transitoire. Mais je suis certain qu'elle n'a des chances d'être acceptée que si les citoyens suisses ont la conviction qu'on a tout fait pour favoriser les énergies renouvelables et une politique énergétique durable. "

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NZZ 20.11.10

Gegen Missstände bei Uran-Herkunft

AKW-Betreiber wollen Transparenz

 dsc. · Der Stromkonzern Axpo bestätigt Probleme und Unklarheiten bei Unterlieferanten des Brennstoffs für das AKW Beznau. Es sollen noch genauere Abklärungen durchgeführt werden. Die Betreiber der umstrittenen kerntechnischen Anlage Mayak in Russland räumen den Sanierungsbedarf des Abwassersystems selbst ein. Greenpeace kritisiert schon seit langem die Auswirkungen auf die Umwelt. Auch andere AKW-Betreiber beziehen ihren Brennstoff aus Russland. Für die Zukunft werden Verbesserungen in Aussicht gestellt.

 Schweiz, Seite 13

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Dunkle Aspekte in den Uran-Kreisläufen
 
Zweifelhafte russische Anlagen als Unterlieferanten von Schweizer AKW - langwierige Abklärungen

 Es mehren sich die Indizien, dass die Herstellung der Brennstäbe für die AKW Beznau, Gösgen und Leibstadt in Russland ökologische Schäden verursacht.

 Davide Scruzzi

 Am Freitag hat der Stromkonzern Axpo über die Produktion des Brennstoffs für das AKW Beznau informiert, nachdem Greenpeace die unternehmenseigene Umweltbilanz bezweifelt hatte. Die Firma hat die Kontroverse mit der positiven Umweltbilanz also selbst ausgelöst. Nach langen Abklärungen erklärte Axpo, wie schon vor einigen Wochen, dass die russischen Unterlieferanten auch Uran aus den Wiederaufbereitungsanlagen Mayak und Seversk bezögen. Axpo bestätigt nun, dass die Anlagen keine Umweltzertifikate haben - bisher sprach man von einer zertifizierten Qualität der Prozesse. Eigene Abklärungen sollen das genaue Ausmass der Probleme klären. Dabei nimmt Axpo freilich international eine Pionierrolle ein. Auch die anderen Schweizer AKW-Betreiber werden Schlüsse aus den Erkenntnissen ziehen. Ein Teil der Verschmutzungen in Mayak ist Unfällen vergangener Jahrzehnte anzulasten, weiterhin ist aber ein Anstieg der Radioaktivität in Gewässern dokumentiert (NZZ 19. 11. 10). Erwiesen sind Mängel im System für radioaktive Flüssigabfälle, die laut Greenpeace weitere Verschmutzungen verursachen.

 Uran aus Wiederaufbereitung

 Den in Reaktoren benötigten Brennstoff erhält man, wenn bei Uran, das in Minen abgebaut wurde, durch Zentrifugieren der Anteil des Isotops 235 von 0,7 auf die erforderlichen rund 5 Prozent erhöht wird. Eine Alternative dazu ist die Produktion von Brennstäben aus bereits abgebranntem Uran - und um diesen Prozess geht es in der Kontroverse. Bis zur Inkraftsetzung eines Moratoriums wurden auch Brennstäbe aus Schweizer AKW zur Wiederaufbereitung exportiert. Nach der Wiederaufbereitung in französischen und britischen Anlagen muss dabei das Material ebenfalls angereichert werden, um die gewünschte Konzentration an Uran-235 zu erhalten. Axpo ging in seiner Umweltdeklaration davon aus, dass dies in Russland durch die Ergänzung mit stark hochangereichertem Uran erfolgt, das bei der Atombomben-Abrüstung anfällt. Das war falsch. In Russland wird dazu Material mit einem kleineren Uran-235-Anteil gebraucht. Dieses wird in den kerntechnischen Anlagen von Mayak hergestellt, mittels abgebrannter Brennstäbe aus U-Booten, Eisbrechern sowie russischen AKW.

 In Kombination mit Auswirkungen von Altlasten sind laut Umweltorganisationen der Betrieb und die mangelnde Sanierung immer noch für gesundheitliche Risiken in der Region verantwortlich. - Axpo verliess sich bisher auf Folgerungen aus einem Vertrag mit dem französischen Areva-Konzern (der als eine Art Generalunternehmer auftritt) und auf die Tatsache, dass die Endfertigung der Brennstäbe tatsächlich in einer zertifizierten "modernen" Fabrik im russischen Electrostal erfolgt.

 Nützt Kündigung der Umwelt?

 Manfred Thumann, CEO der Axpo AG, räumte ein Unbehagen ein und erklärte, dass die nun anstehenden Abwägungen nicht einfach seien. Auch bei einem bis 2020 geltenden Bezugsvertrag ist die Anlage in Mayak nämlich noch im Spiel. Es geht um Vereinbarungen für dreistellige Millionenbeträge. Axpo ist zuversichtlich, dass man - je nach Erkenntnissen - im Nachhinein die Kreisläufe modifizieren könnte. Für Thumann stellt sich aber die Frage, ob nicht mit dem Festhalten am Vertrag - und gleichzeitigen Forderungen nach Verbesserungen - der Umwelt mehr gedient wäre.

 Die Produktionsverfahren beim AKW Gösgen weisen ebenfalls die Zwischenstation Mayak auf. Jener Vertrag läuft bis 2016. Beim Werk Leibstadt ist Mayak nicht in der Lieferkette, wohl aber (wie auch bei Beznau) der nicht unproblematische Standort Seversk, wo Axpo ebenfalls Abklärungen durchführt. Das AKW Mühleberg gründet seine Lieferungen hingegen nicht auf Wiederaufbereitungs-Uran, sondern vor allem auf Material aus teilweise zertifizierten Minen in Australien sowie Kasachstan und Usbekistan. Lediglich ein Teil einer Lieferung aus den USA könnte mit Mayak in Verbindung stehen, weil diese im Zusammenhang mit der Abrüstung stand.

 Parlamentarische Vorstösse der Linken verlangen eine stärkere Aufsicht des Bundes über die Uran-Kreisläufe. Die AKW-Betreiber als Kunden dürften aber wohl über mehr Einfluss bei den Lieferanten verfügen. FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, Präsident der Berner Sektion der atomkraftfreundlichen "Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz" (Aves), stellt fest, dass die Stromfirmen bezüglich der Uranlieferungen ihre Hausaufgaben "nicht mit der nötigen Sorgfalt" gemacht hätten. Die angekündigte Transparenz sei positiv.

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Inakzeptables Unwissen

Späte Einsicht der AKW-Betreiber

 dsc. · Der Stromkonzern Axpo und andere AKW-Betreiber haben sich für Arbeitsprozesse in Russland entschieden, ohne die dahinterstehenden Stoffkreisläufe genau zu kennen oder zumindest vertraglich zu definieren. Dass vor knapp zehn Jahren immer noch so wenig grenzüberschreitende ökologische Verantwortung vorhanden war, ist bedenklich. Immerhin wurden etwa im Fall von Axpo jene Verträge von den höchsten Gremien eines Unternehmens bewilligt, das im Besitz der Nordostschweizer Kantone ist. Zumindest in den politisch abgestützten Verwaltungsräten der Stromunternehmen muss eine Sensibilität für die weltweite Sorge um Mensch und Umwelt vorhanden sein.

 Für AKW zu sein, bedeutet nicht, keine kritischen Fragen zu stellen. Immerhin haben sowohl die Wiederaufbereitung von abgebrannten Brennstäben wie auch der Uranbergbau das Potenzial, schwere gesundheitliche Schäden bei der Bevölkerung zu verursachen. Vorsicht ist vor allem dann geboten, wenn solche Prozesse in Weltgegenden ohne ausreichende Strukturen demokratischer Kontrolle und gesundheitlicher Vorsorge durchgeführt werden.

 Die Atomkraft hat einen ökologischen Vorteil, den Axpo in einer Umweltbilanz stolz vorgerechnet hat: Sie generiert sehr wenig Kohlendioxid, auch wenn man die vorgelagerten Prozesse wie den Uranabbau oder die Wiederaufbereitung einrechnet. Die Kohlendioxid-Werte des AKW Beznau werden sich mit den neuen Erkenntnissen nicht stark verändern. Die erste Rechnung ergab 3,04 Gramm Kohlendioxid pro Kilowattstunde, gemeinhin werden Werte zwischen 8 und 30 Gramm angegeben. Das ist immer noch bedeutend weniger als die Stromproduktion mit Gas und Kohle (400 bis 900 Gramm), und sogar die Photovoltaik kommt, die Solarzellen-Herstellung mitgerechnet, schlechter weg. Dieser Sachverhalt provoziert grüne Kreise und führte dazu, dass Greenpeace den Fokus auf andere Umweltbelastungen gelegt hat.

 Dass Axpo trotz ziemlich klaren Indizien noch kein abschliessendes Urteil über die Missstände in Russland wagt und noch keine Konsequenzen beschliesst, ist zu bemängeln. Der glaubhafte Wille von Axpo, Licht in die Prozesse zu bringen, könnte aber bei den russischen Lieferanten zu einem Umdenken beitragen. Diese haben ja ein vitales Interesse an Kunden.

 Es gibt auch unbedenkliche Optionen für Uranlieferungen. Fest steht: Das Volk wird kaum für neue AKW stimmen, wenn damit die Verseuchung russischer Landstriche verknüpft ist. Ohne akzeptable Umweltstandards rund um die Produktion der Brennstäbe sind Atomkraftwerke keine energiepolitische Option.

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Bund 20.11.10

Atombefürworter und -gegner formieren sich

 "Ja zu Mühleberg" hüben, "neue Energie Bern" drüben: Der Abstimmungskampf um ein neues Atomkraftwerk ist lanciert.

 Drei Monate vor der kantonalen Volksabstimmung zu einem neuen Atomkraftwerk in Mühleberg formieren sich im Kanton Bern die Befürworter. Sie haben das Komitee "Ja zu Mühleberg" gegründet, das aus Mitte-rechts-Politikern und Wirtschaftsvertretern besteht. Alle 17 eidgenössischen Parlamentarierinnen und Parlamentarier von SVP, FDP, BDP, EDU und SVP gehören dem Komitee an, dazu die Mehrheit der Berner Grossratsmitglieder und Vertreter aller wichtigen Wirtschaftsverbände, wie das Komitee in einer Mitteilung schriebt. Als Slogan hat das Komitee den Spruch "Bewährtes Mühleberg" gewählt, wie aus der Mitteilung weiter hervorgeht. Neben diesem Slogan leuchtet der Berner Wappenbär.

 Für das Komitee gilt es Ja zu sagen zu einem neuen KKW im Kanton Bern, weil ohne neue Atomkraftwerke in der Schweiz eine Stromlücke drohe und weil so der Strom in der Schweiz weiterhin praktisch CO2-frei hergestellt werde. Auch litte die Berner Wirtschaft, falls in Mühleberg kein neues AKW gebaut würde. Am 13. Februar kommt die Vorlage vors Volk. An der Urne entscheiden die Stimmbürger konkret, wie die Stellungnahme der bernischen Regierung zum Rahmenbewilligungsgesuch zuhanden der Bundesbehörden ausfallen soll: zustimmend oder ablehnend.

 Aus Wirtschaftsvertreterinnen und -vertretern hat sich Anfang November auch ein gegnerisches Komitee mit dem Namen "Neue Energie Bern" gebildet. Es lehnt den Neubau des Atomkraftwerks Mühleberg ab, wie die Gruppierung gestern mitteilte. Ihr gehören rund 15 Geschäftsleiter von Berner KMU-Betrieben an. Ihr Argument: Der Kanton Bern verfüge über "beste Voraussetzungen, um in Zukunft seine Energieversorgung auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz auszurichten".(sda/pd)

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Aargauer Zeitung 20.11.10

Atom-Recycling ist "wirtschaftlich interessant"

 Marcel Speiser

 Wenn Manfred Thumann, Mitglied der Axpo-Konzernleitung, fast zwei Stunden lang höchstselbst in allen Details über die Lieferkette der Brennelemente für das Axpo-AKW in Beznau spricht, ist klar: Der Stromkonzern hat ein Problem. Und Probleme sind ungefähr das Letzte, was ein AKW-Betreiber, der demnächst eine Volksabstimmung über den Bau neuer AKWs gewinnen muss, brauchen kann.

 Das Axpo-Problem hat einen Namen: Majak. Das ist eine im Kalten Krieg von Stalin gebaute Uran-Recycling- oder Wiederaufbereitungsanlage für gebrauchte Brennelemente in Russland, 2000 Kilometer von Moskau entfernt hinter dem Ural gelegen.

 Verheerende Unfälle

 In Majak kam es in der Vergangenheit zu diversen, teilweise verheerenden Atomunfällen. Für die Umweltschutzorganisation Greenpeace gehört die Gegend um Majak zu den am schlimmsten verstrahlten Orten der Welt. Klar ist: Bevölkerung und Umwelt leiden. Unklar aber ist, ob dies "nur" wegen Altlasten der Fall ist oder ob die Anlage nach wie vor Gewässer und Boden kontaminiert.

 Greenpeace-Recherchen scheinen Letzteres zu bestätigen. Die Axpo will in Kürze vor Ort selber prüfen, wie schlimm es ist. "Wir werden möglicherweise Sachen finden, die uns nicht gefallen", sagte Thumann am Freitag an einer Pressekonferenz. Er habe jedenfalls kein gutes Gefühl.

 Ist Atomstrom doch nicht sauber?

 Aber was genau hat Majak mit der Axpo oder mit dem AKW Beznau zu tun? Mehr, als dem Unternehmen, das die Atomkraft gern als genauso sauber wie Wasserkraft anpreist, lieb sein kann.

 Denn bis zu den Greenpeace-Recherchen hat die Axpo nicht ein- mal davon gewusst, dass ein Teil des Urans für die Beznau-Brennelemente überhaupt in Majak aufbereitet wird. Geschweige denn davon, dass die Elemente auch Uran aus Atom-U-Booten oder Atom-Eisbrechern enthalten. Schliesslich hat die Axpo in ihren Brennstoff-Lieferverträgen mit dem französischen Atomkonzern Areva festgeschrieben, dass für die Beznau-Brennelemente nur wiederaufbereitetes Uran aus dem britischen Sellafield und aus der Vorzeigeanlage in Elektrostal bei Moskau verwendet werden soll. Dass die Brennstäbe, bevor sie in Elektrostal ankommen, verschlungene Wege gehen, interessierte die Axpo vor den Greenpeace-Recherchen nicht. Man sei, gestand Thumann, zu blauäugig gewesen.

 Wie weiter? Die Axpo arbeitet weiter an der Transparenz ihrer Brennelement-Lieferkette. Sie nennt es "ökologisch", gebrauchtes Uran wiederzuverwerten. Klar ist aber auch: Es ist günstiger als Natur-Uran. Thumann sagt: "Wiederaufbereitung ist wirtschaftlich interessant."

 Ein Rückzieher aus Majak - und damit ein Bruch der Lieferverträge mit Areva - sind vorerst kein Thema. "Es geht auch um Versorgungssicherheit", sagt Thumann.

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Axpo-Chef: "Dinge, die nicht gefallen"

 Beznau Atom-Brennstäbe mit U-Boot-Abfall

Marcel Speiser

 Der Stromkonzern Axpo schickt "in Kürze" eine Delegation nach Russland. Sie soll sich selbst ein Bild darüber machen, wie schlimm die Situation in der Uran-Wiederaufbereitungsanlage Majak ist. Dies, nachdem Recherchen der Umweltschutzorganisation Greenpeace gezeigt haben, dass Brennstäbe für das Axpo-AKW Beznau Material aus Majak enthalten. In der Anlage ist es in der Vergangenheit zu diversen, teilweise schlimmen Unfällen gekommen. Laut Greenpeace werden Boden und Gewässer rund um die Anlage nach wie vor kontaminiert.

 "Wir müssen uns selber ansehen, wie gross das Ausmass der Verschmutzung ist", sagte Axpo-Konzernleitungsmitglied Manfred Thumann gestern an einer Medienkonferenz in Zürich. Er habe kein gutes Gefühl. "Wir werden möglicherweise Dinge finden, die uns nicht gefallen."

 Seit die "Rundschau" im September über die Greenpeace-Recherchen in Majak berichtet hatte, durchleuchtete die Axpo selbst die Lieferkette ihrer Brennelemente. Sie stellte sich als komplizierter heraus als angenommen. Axpo hat Verträge mit dem französischen Konzern Areva. Sie sehen vor, dass für Beznau Brennstäbe aus der britischen Wiederaufbereitungsanlage in Sellafield und aus einer russischen Firma in Elektrostal bei Moskau kommen. Fakt aber ist, dass in Elektrostal auch Uran aus Majak verwendet wird.

 Für die Axpo ist die Causa Majak eine politische Hypothek. Schliesslich preist die Firma Strom aus Atomkraft als praktisch gleich grün wie Strom aus Wasserkraft an.Seite 3

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"Ich habe die AKW-Debatte lanciert"

Alpiq-Chef Giovanni Leonardi über neue AKWs, Strompreise und den Handel mit Stromderivaten

Sven Millischer und Marcel Speiser

 Das Nuklearsicherheitsinspektorat Ensi stellt Gösgen das beste Zeugnis der drei AKW-Standorte aus. Welche Note gibt sich Alpiq selbst?

 Giovanni Leonardi: Ich gebe uns die Note fünfeinhalb. Aber wir stehen erst am Anfang des Behördenprozesses. Das Ensi-Gutachten ist zwar ein erster Meilenstein, doch abgerechnet wird am Schluss.

 Sind Gösgens Chancen gestiegen?

 Nein. Die Ausgangslage hat sich nicht verändert. Die Betreiber haben mit dem Niederamt, Beznau und Mühleberg drei gleichwertige Projekte.

 Wann raufen sich Alpiq, Axpo und BKW endlich zusammen?

 Bevor wir Ende 2011 mit dem Geschäft in den Bundesrat gehen, ist die Standortfrage vom Tisch. Davon bin ich überzeugt. Dabei wird es maximal zwei Projekte geben. Welche Standorte letztlich das Rennen machen, hängt auch von den Konsultativabstimmungen in den Kantonen ab.

 Auf welchen Reaktortyp setzen Sie?

 Sicherheit ist das oberste Gebot. Wir dürfen in der Schweiz keine Prototypen einsetzen, sondern müssen einen bewährten Reaktortyp kaufen.

 Alpiq hat die Finanzierbarkeit von zwei AKWs am Kapitalmarkt angezweifelt. Stehen Sie dazu?

 Eine Finanzierung ist möglich. Aber wir schätzen die Aufnahmefähigkeit des Schweizer Kapitalmarktes als beschränkt ein. Wir können nicht zwei Anlagen gleichzeitig vernünftig finanzieren. Die Projekte müssen gestaffelt realisiert werden.

 Gleichzeitig zwei AKWs vom gleichen Typ zu bauen, wäre günstiger.

 Wenn wir zwei Anlagen vom gleichen Typ bauen, kommt das sehr wahrscheinlich günstiger. Aber wenn wir sie gleichzeitig finanzieren müssen, kommt es sehr wahrscheinlich teurer. Darum die Staffelung.

 lpiq will doch staffeln, damit Gösgen als jüngste Anlage überhaupt Chancen hat, erneuert zu werden.

 Nein. Die Schweiz ist klein. Es geht um gigantische Projekte - wir sprechen von 6 bis 8 Milliarden Franken pro neues Kernkraftwerk. Wir müssen für diese Projekte je die besten Köp- fe des Landes zusammenziehen, auch deshalb ist der parallele Bau von zwei Kernkraftwerken nicht sinnvoll.

 Warum werden dann drei geplant?

 Es gibt politische Risiken. Deshalb ist es klug, mit drei Projekten zu starten. So ist gewährleistet, dass die zwei besten realisiert werden können.

 Wird über zwei AKWs abgestimmt, haben Mühleberg und Beznau die besseren Karten.

 Das sagen Sie. Wie sich das Volk auch immer entscheidet, wir akzeptieren das Abstimmungsresultat.

 Unter der Voraussetzung, dass Alpiq an den Projekten beteiligt wird.

 Ich gehe davon aus, dass jedes neue AKW ein Partnerwerk sein wird.

 Welche Bedingungen stellt Alpiq?

 Nochmals. Wir befinden uns im Einigungsprozess.

 Alpiq spekuliert also darauf, dass Axpo oder BKW einen Rückzieher machen.

 In Sachen Rückzieher müssen Sie Axpo und BKW fragen. Für den Moment aber ist es gut, dass wir drei gleichwertige Projekte auf dem Tisch haben.

 Je länger die Stromkonzerne nicht mit einer Stimme sprechen, desto schlechtere Karten haben sie dereinst vorm Volk.

 Im Grundsatz sind sich die drei Gesuchsteller einig: Die Schweiz braucht mittelfristig zwei neue AKWs. Wir müssen einfach noch viele Details klären.

 In der AKW-Debatte hat sich bislang vor allem Axpo-Chef Heinz Karrer exponiert. Warum lassen Sie ihn im Regen stehen?

 Das ist Geschichtsklitterung. Ich stand als Erster bereits 2007 im Regen, um bei Ihrem Bild zu bleiben. Damals sagte ich: Wir brauchen in der Schweiz zwei neue AKWs. Ich habe die Debatte lanciert, und wir haben konsequent unser Gesuch eingereicht.

 Alpiq gehört zu einem Viertel dem französischen Energieriesen EDF. Warum bauen Sie die AKWs nicht mit ausländischer Beteiligung?

 Es geht um die Schweiz und deren Versorgungssicherheit. Das ist die zentrale Aufgabe eines jeden nationalen Stromkonzerns. Der Bedarf für zwei neue Kernkraftwerke zur Deckung des inländischen Verbrauchs ist durch den Bundesrat nachgewiesen.

 Sie sprechen die Versorgungssicherheit an. AKW-Gegner sagen, die Stromlücke lasse sich auch ohne neue Atomanlagen schliessen.

 Sehen Sie, die bestehenden AKWs decken heute 40 Prozent des inländischen Strombedarfs. Auch mit Laufzeitverlängerungen stossen wir früher oder später an die Kapazitätsgrenzen. Ganz zu schweigen von den langfristigen Lieferverträgen mit Frankreich, die sich nicht erneuern lassen.

 Schweizer Stromkonzerne produzieren heute schon ein Drittel ihrer Kapazitäten im Ausland. Wieso schliessen Sie die Lücke nicht mit Import-Strom?

 Wir haben nicht die Netzkapazitäten, um genügend Strom aus dem Ausland zu importieren.

 Also braucht die Schweiz neue AKWs, weil sie zu wenige Strommasten hat?

 Nicht nur. Die Versorgungssicherheit ist mit Anlagen im Ausland nicht garantiert. Je weiter weg der Strom produziert wird, desto weniger kommt in der heimischen Steckdose an.

 Dennoch produziert Alpiq 40 Prozent des Stroms im Ausland.

 Unser Engagement im Ausland ist strategischer Natur. Jedes Unternehmen will sich entwickeln. Als sich der europäische Markt vor ein paar Jahren öffnete, haben wir die Chance gepackt.

 Chance? Die Strompreise in Europa sind seit längerem rückläufig.

 Wegen der Finanzkrise ist der Verbrauch kurzfristig zurückgegangen. Es gibt Überkapazitäten, auch weil zahlreiche neue Anlagen ans Netz gingen. Das ist ein vorübergehendes Phänomen.

 In der Schweiz gibt sich Alpiq umweltfreundlich, setzt auf Wind und Wasser. Im Ausland produziert Ihr Unternehmen aber fast ausschliesslich mit Kohle und Gas.

 Wir passen uns den jeweiligen Verhältnissen an. Auch im Ausland betreiben wir Windkraftanlagen. Wenn aber beispielsweise die italienische Regierung auf Gas setzt, dann richten wir uns danach aus. Gleichzeitig hat Alpiq den strategischen Beschluss gefasst, den CO-Ausstoss pro Kilowattstunde zu reduzieren. Wir werden künftig mehr in die Wind- und Wasserenergie investieren.

 Alpiq handelt auf eigene Rechnung mit Stromderivaten. Solcher Eigenhandel ist bei den Banken höchst umstritten.

 Ich weise auf einen grossen Unterschied zum Finanzmarkt hin. Stromderivate sind stets mit Produktionsanlagen hinterlegt. Auch wenn ein Elektrizitätswerk in Konkurs ginge, würde dies nicht zu einem Stromausfall führen.

 Aber gehört Stromderivate-Handel eigentlich zu den Aufgaben eines Unternehmens, das mehrheitlich im Besitz der öffentlichen Hand ist?

 Grundsätzlich basieren alle Stromgeschäfte auf Verträgen. Der Derivatehandel hilft, die Preise zu glätten. Das ist im Interesse unserer Kunden.

 An der europäischen Strombörse gehen die Preise seit langem zurück. Warum steigen hierzulande die Elektrizitätstarife?

 Aufgeschlagen haben nicht in erster Linie die Energiepreise, sondern die Steuern und Netzabgaben darauf. Sie machen heute zwei Drittel der Elektrizitätstarife aus.

 Mit anderen Worten: Ist die Politik schuld an den steigenden Preisen?

 Das Parlament hat den reinen Energiepreis künstlich gesenkt, aber gleichzeitig Abgaben wie Wasserzinsen oder Systemdienstleistungen erhöht. Dies hat letztlich den Preisschub bei den Endkundentarifen verursacht.

 Ist die teilweise Öffnung des Strommarktes also gescheitert?

 Die Liberalisierung hat Kinderkrankheiten. Die Preise in der Grundversorgung sind bislang so günstig, dass nur wenige Grosskunden in den freien Markt wechseln. Dieser macht heute nur ein Prozent des gesamten Stromverbrauchs aus.

 Hat eine vollständige Liberalisierung überhaupt Chancen, wenn sich schon jetzt abzeichnet, dass die Tarife für Endkunden ansteigen werden?

 Die Schweiz ist die Stromdrehscheibe Europas. Wir können und werden uns nicht isolieren. Europa braucht die Schweiz, aber auch wir brauchen Europa.

 Das gilt vor allem für Stromkonzerne wie Alpiq. Sie exportieren teure Spitzenenergie aus den Pumpspeichern und kaufen dafür billigen Atomstrom ein.

 Gewiss machen wir gute Geschäfte. Aber auch die Bevölkerung profitiert, indem Alpiq in der Schweiz Arbeitsplätze schafft, Steuern zahlt und mit grenzüberschreitender Handelstätigkeit die Versorgung optimiert.

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Le Temps 20.11.10

Axpo "trop naïf" sur l'origine de son uranium
Le groupe admet ne rien savoir du degré de pollution sur le site de production de Mayak

Jean-Claude Péclet

Soumis à une forte pression des écologistes, en particulier de Greenpeace, le groupe Axpo, qui possède la centrale nucléaire de Beznau en Argovie ainsi que des participations dans celles de Gösgen et de Leibstadt, a admis vendredi s'être montré "trop naïf" sur l'origine des quelque 40 éléments d'uranium enrichi qu'utilisent chaque année ses installations. Le contrat qui le lie au fournisseur français Areva sera modifié, éventuellement non reconduit si la transparence de la filière ne s'améliore pas.

Areva s'approvisionne lui-même en combustible auprès de la société russe MSZ Elektrostal. C'est là que le bât blesse car, bien que la filière d'Areva soit certifiée ISO, un des trois centres de traitement de MSZ Elektrostal est l'usine de Mayak, située à 200   km de Moscou, et considérée comme un des sites nucléaires les plus pollués du monde avec Tchernobyl.

En 1957, un grave accident y exposa plus de 200   000 personnes à de fortes doses d'irradiation. Il ne fut dévoilé que 19   ans plus tard. Plus récemment, Mayak est devenue la poubelle nucléaire de la flotte russe. Des analyses de la rivière Techa y ont révélé une radioactivité dépassant largement les normes internationalement admises.

Greenpeace dénonce cet état de fait depuis deux ans. En mars 2009, l'organisation contestait auprès d'Axpo le bilan écologique très favorable que le groupe suisse avait établi à propos de Beznau, ignorant les critiques sur la provenance douteuse de son combustible. Lors de l'émission Rundschau du 8   septembre 2010, le CEO d'Axpo, Manfred Thumann, a admis qu'une part de l'uranium enrichi utilisé par la société vient de Mayak, tandis qu'un porte-parole reconnaissait la difficulté de vérifier les conditions de production sur place.

Le groupe pouvait difficilement rester les bras croisés au moment où l'enjeu nucléaire resurgit en Suisse. Lundi dernier, l'Inspection fédérale de la sécurité nucléaire a donné son feu vert technique à trois projets de nouvelles centrales. Ils devront suivre une longue procédure, qui mènera à un vote populaire en 2014 probablement. Le caractère "propre" ou non de cette forme d'énergie par rapport à ses concurrentes sera un élément important du débat.

"Oui, nous nous sommes trompés", a dit Manfred Thumann, cité par l'ATS. Les experts d'Axpo se rendront prochainement en Russie pour vérifier l'ampleur de la pollution à Mayak. Le groupe suisse décidera ensuite s'il prolonge ou non de dix ans un contrat d'approvisionnement qui le lie à Areva, et qui vient à échéance dans un an. Il stipule que 10% de l'uranium enrichi vient de Mayak. Un autre contrat court jusqu'en 2020.

"Je n'ai pas un bon sentiment. Nous allons peut-être découvrir des choses qui ne nous plaisent pas", a ajouté Manfred Thumann. Le directeur général d'Axpo a déploré les lenteurs administratives russes et le manque de coopération de la société gérant les sites nucléaires du pays.

Greenpeace a envoyé le 5   octobre 2010 une lettre ouverte aux actionnaires (publics) d'Axpo. Plusieurs interventions parlementaires, du conseiller national Geri Müller (Vert/AG) et de l'actuelle conseillère fédérale socialiste Simonetta Sommaruga, ont aussi soulevé la question de la transparence de la filière d'uranium enrichi.

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telem1.ch 19.11.10

Axpo gibt Fehler zu
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