MEDIENSPIEGEL 27.11.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Frauenraum, DS, Kino, Rössli)
- Squat BE: Ultimatum für die Moserstrasse
- RaBe-Info 25.+26.11.10
- AJZ Biel: Bald umzingelt von bürgerlichen Freiräumen
- Anti-SVP: Besetzung Lausanne; Farbe für SVP Bern; Aktionismus
- Club-Leben: Opfer Mokka-Schlägerei noch immer in Pflege
- Squat FR: Scheinbesetzung
- Sempach: Neues Schlachtfeier-Konzept
- Sexwork: Lösungsansätze ZH; Freier-Bussen TI
- Anti-Feminismus: Rudel-Denken
- Police CH: Bussen-Revolte; Schusswaffen Bahnpolizei
- Big Brother: Soap Opera
- Big Brother Sport: Pyro-Debatte
- Antisemitismus: Studie zur CH-Nachkriegszeit
- Asyl: Revision zurück zum Absender
- Ausschaffungen: Aufruf der Hundert; die andere CH; (Alp)TräumerInnen; Grenzen Ausschaffungshaft
- Migration Control: Gadhafi als Türsteher Europas
- Anti-Atom: Alpiq zu Niederamt; Abstimmung VD; Krebsfälle Asse; Abstimmung BE/SG; Todeszone Majak; Benken; Wellenberg; Alpiq; Mühleberg; Fricktal; Tiefenlager

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REITSCHULE
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So 28.11.10
10.00 Uhr - Grosse Halle - Ausstellung "Problemhuufe" (bis 17.00 Uhr)
20.00 Uhr - Rössli - 2MEX (USA) & PICKSTER ONE (USA). - Hiphop

Di 30.11.10
20.30 Uhr - Tojo - Lustiger Dienstag 49. Mehr als Variété. LuDi-Crew und Gäste

Fr 03.12.10
19.00 Uhr - Tojo - Cousin Ratinet. Théâtre de la grenouille. Regie: Charlotte Huldi. Ab 6 Jahren
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: RUSSKAJA (AUT/RUS) & DJ Rane. - Ska, Russendisko

Sa 04.12.10
15.00 Uhr - Tojo - Cousin Ratinet. Théâtre de la grenouille. Regie: Charlotte Huldi. Ab 6 Jahren

So 05.12.10
15.00 Uhr - Tojo - Cousin Ratinet. Théâtre de la grenouille. Regie: Charlotte Huldi. Ab 6 Jahren

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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BZ 27.11.10

Amnesty international

 Tanz gegen Gewalt an Frauen

 Gewalt gegen Frauen ist nach wie vor alltäglich. Im Rahmen der angelaufenen Kampagne

 "16 Tage gegen Gewalt an Frauen" findet heute Samstag das Tanzspektakel Tabou statt. Die Frauenrechtsgruppe von Amnesty International führt die Veranstaltung mit Hip-Hop und Breakdance um 20 Uhr im Frauenraum der Berner Reitschule durch.pd

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Blick am Abend 26.11.10

Nightlife Tipp

 Panteon Rococo (MEX)

 Fr, 21 Uhr, Reitschule Dachstock, Neubrückstr. 8.

 Hierzulande kennt man Panteon Rococo als gelegentliche Vorband von Die Ärzte. Die mexikanische Latin Ska-und Mestizo-Band wurde vor rund 15 Jahren in Mexiko-Stadt gegründet und unterstützt die mexikanischen Zapatisten, die seit vielen Jahren für die Rechte der Ureinwohner in der mexikanischen Provinz Chiapas streiten. usgang.ch

 TOP Nicht verpassen!

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Bund 25.11.10

Film "Jung und jenisch"

 Unterwegs daheim

 Es ist nicht immer so lustig, das Zigeunerleben: Karoline Arn und Martina Rieder porträtieren junge Jenische.

 Aus dem Radio scheppert Pepe Lienhards "Swiss Lady", und wenn das Handy läutet, jodelts - es sind fast zu typische Schweizer, die Karoline Arn und Martina Rieder in ihrem Film "Jung und jenisch" porträtieren. Aber eben nur fast. Denn diese Leute sind Fahrende, Jenische, die im Winter in Wohnwagen und Containern auf dem Gelände eines Freibads leben und im Sommer auf die Reise gehen, wie sie sagen. Die Filmemacherinnen wollten erfahren, wie es sich lebt als junge Schweizer Fahrende - eine anerkannte nationale Minderheit - und begleiteten eine Familie ein Jahr lang.

 Familie, das ist bei den Jenischen oft ein grösserer Verbund von Verwandten und Verschwägerten, die immer wieder auf denselben Durchgangsplätzen haltmachen. Es hat auf den ersten Blick etwas von Campingromantik, das Haarewaschen am Hydranten, das Kochen am Gasherd, die Jassrunde im Freien. Und die Freiheit, Waschmaschine und Satellitenschüssel in Kürze wieder einzupacken und sich an einen neuen Ort aufzumachen.

 Noch immer verbreitet sind aber auch die Vorurteile der Sesshaften, wie jene Szene zeigt, in der ein junger Anwohner "sein Territorium" verteidigen will - und nach einem Gespräch feststellt, dass diese Fahrenden ja recht normale Leute seien. Umgekehrt sind aber auch die Jenischen reserviert gegenüber den Sesshaften, nicht zuletzt, weil das "Kinder-der-Landstrasse"-Trauma noch immer nicht überwunden ist.

 Vieles erscheint trotz allem fremd: die Rollenverteilung unter den Geschlechtern ("Wie bei den Neandertalern: Er bringt das Fleisch, sie kocht es", scherzt ein junges Paar); das Hausieren; der Umstand, dass junge Jenische mit 15 zu arbeiten beginnen und spätestens mit 20 Kinder haben. Und dass auch Fahrende Ferien machen: Die porträtierten Jenischen campen im Herbst jeweils einen Monat im Bündnerland - um sich auf der Jagd zu erholen.(reg)

 Kino in der Reitschule Do, 25. Nov., Fr, 26. Nov. (in Anwesenheit der Filmemacherinnen), Sa, 27. Nov. (mit Lesung von Willi Wottreng), jeweils 20.30 Uhr.

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BZ 25.11.10

Gar nicht nur lustig, dieses "Zigeunerleben"

 FilmpremiereEin Jahr lang waren zwei Bernerinnen mit Schweizer Fahrenden unterwegs. Mit "Jung und jenisch" ist ihnen ein ehrlicher und aufklärerischer Dokfilm gelungen. Der Weg dazu war allerdings steinig.

 "Es war ein Spiel, ein stetes ‹Händele›, erinnert sich Karoline Arn. Die Regisseurin wirft einen Seitenblick auf Co-Regisseurin Martina Rieder, die nickt zustimmend. Ein Jahr lang haben die beiden Bernerinnen Schweizer Fahrende auf ihrer Reise begleitet. Die Kamera hat festgehalten, wie die zwei jenischen Paare Pascal und Miranda und Jeremy und Franziska leben und arbeiten, wovon sie träumen und welchen Problemen sie ausgesetzt sind.

 Das war gar nicht so leicht, wie es klingt. Denn es gab einige Hindernisse zu überwinden. Zum Beispiel sind Pläne für Jenische absolut nicht verpflichtend. So entschieden sich die Porträtierten manchmal unverhofft, am nächsten Tag ganz woanders als geplant hinzuziehen. Es gab Versteckspiele, Rieder und Arn wussten nicht, wo sich die beiden Paare überhaupt aufhielten, sie mussten sie in der ganzen Schweiz suchen. "Schliesslich fingen wir an, es so zu machen wie sie", erzählt Martina Rieder. Man meldete telefonisch einige Tage vorher einen Besuch an - und nahm bis dahin keine Anrufe mehr entgegen, damit der Termin nicht wieder abgesagt werden konnte. Ein Spiel, über das die Beteiligten in guten Momenten auch immer wieder gemeinsam lachen konnten.

 Hierarchie umgangen

 Es gab auch andere Schwierigkeiten, zum Beispiel, dass Fremde auf Plätzen von Fahrenden nicht gerne gesehen werden - und dass manche Fahrende schlicht und einfach nicht gefilmt werden wollten. "Ich musste immer aufpassen, dass ich nichts filmte, was sie nicht wollten", erklärt Rieder. Kam hinzu, dass sie sich entschieden hatten, junge Menschen ins Zentrum zu rücken - und dabei eigentlich die traditionelle Hierarchie der Jenischen umgingen: "Gegen aussen treten normalerweise nur die älteren Männer", sagt Arn.

 Klischees widerlegt

 Dank ihrer Hartnäckigkeit und der Unterstützung von Daniel Huber, Vater von Jeremy und Präsident der Dachorganisation der Schweizer Jenischen, kamen sie schliesslich doch ans Ziel. Huber war von Anfang an begeistert von der Idee des Films, vielleicht nicht zuletzt weil er die immer gleichen Fragen der Sesshaften satthatte: Wie lebt ihr? Und wie verdient ihr euer Geld? Darauf gibt "Jung und jenisch" eine Antwort. Und widerlegt ganz nebenbei Klischees, die Jenischen anhaften. Zum Beispiel wenn die Kamera festhält, wie Franziska ihren Wohnwagen ausgiebig putzt.

 Arn und Rieder wollen ihren Film in Zukunft auch in Schulen zeigen. Denn die schwere Vergangenheit der Jenischen in der Schweiz, wo während Jahrzehnten Kinder aus ihren Familien gerissen wurden, sei zwar aufgearbeitet, wie sie heute lebten, sei jedoch nahezu unbekannt.

 Marina Bolzli

 Berner Filmpremiere "Jung und jenisch": heute Donnerstag bis Samstag, jeweils 20.30 Uhr, Kino in der Berner Reitschule. Heute und morgen in Anwesenheit der Regisseurinnen. Am Samstag mit Lesung von Willi Wottreng aus seinem neuen Buch "Zigeunerhäuptling".

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Bund 25.11.10

Sounds 2Mex

 Der singende Azteken-Krieger

 Es gibt weiss Gott viele Maulhelden im Zweige der amerikanischen Sprechgesangsmusik. Doch einer hat diesen Titel aufgrund seiner künstlerischen Rastlosigkeit wahrlich verdient. Der Mann heisst Alejandro Ocana, ist besser bekannt unter seinem Kampfnamen 2Mex und seit über 15 Jahren im Rap-Geschäft tätig, und die Hip-Hop-Chronisten berichten, er habe bis heute über 35 Tonträger veröffentlicht. 2Mex ist ein Maulheld im besten Sinne des Wortes - er besitzt eine schnelle Zunge, hat viel zu sagen und ist ein bescheidener freundlicher Mensch geblieben.

 Mit Will.i.am in der Highschool

 Als er seine Karriere als Rapper und Produzent begann, schien alles möglich für den beleibten Mann mit mexikanischem Stammbaum. Er ging mit einem gewissen Will.i.am zur Highschool, der kurz darauf mit den Black Eyed Peas durchstartete, ein anderer Schulkollege namens Ahmad landete mit 16 Jahren einen amerikaweiten Rap-Hit. Auch 2Mex träumte von solchen Grosserfolgen, die ihm jedoch trotz einer beachtlichen Karriere bis heute versagt geblieben sind. Vor allem seine Beiträge in der multiethnischen Band Visionaries ab Mitte der Neunzigerjahre bescherten ihm grosses Ansehen im Hip-Hop-Underground. Mitte der Nullerjahre wurde er öfter im Zusammenhang der so genannten Aztec-Warriors-Bewegung erwähnt, kreative mexikanische Secondos, die an die Brown-Pride-Bewegung der Mestizo-Latinos in den Sechzigerjahren anknüpften.

 Angriffige Poppigkeit

 Für sein neuestes Werk hat sich 2Mex für einmal ganze zwei Jahre Zeit gelassen, und obwohl es auf den rabiaten Namen "My Fanbase Will Destroy You" getauft wurde, ist es eines der zugänglichsten Alben seiner Karriere geworden. Der dereinst temporär aufkeimende Zorn ist einer mal souligen, mal etwas angriffigeren Poppigkeit gewichen. Vor allem seine Kooperation mit dem Mars-Volta-Keyboarder Ikey Owens ist lobend herauszustreichen, mit dem er unter dem Bandnamen Look Diggers ganz nebenbei das Sub-Genre des Fusion-Hip-Hop erfunden hat.(ane)

 Reitschule RössliSonntag, 28. November, 20 Uhr. Support: Pickster One (USA).

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WoZ 25.11.10

Sa, 27. November

 Das Tanzspektakel Tabou ist eine Performance, die die Ängste, die Scham, die Verletzungen der Frauen durch Gewalt, aber auch ihre Ressourcen zur Heilung und Bewältigung thematisiert.

 Bern Frauenraum der Reitschule, 20 Uhr.

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SQUAT BE
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Bund 26.11.10

Hausbesetzer fordern Migros zu Gesprächen auf

 Das anonyme Besetzerkollektiv, das seit einer Woche illegal in dem leer stehenden Haus an der Moserstrasse 33 im Breitenrainquartier wohnt, fordert die Migros als Besitzerin der Liegenschaft zu Verhandlungen über eine Zwischennutzung auf. "Wir sind bereit, Kompromisse einzugehen und über Bedingungen zu diskutieren", schrieben sie gestern in einem Communiqué. Die Räumlichkeiten des Hauses seien "im besten Zustand", die Infrastruktur sei "tipptopp". Demgegenüber sagt die Migros, das Haus verfüge weder über Wasser noch über Gas und eine Zwischennutzung sei auch aus Haftungsgründen nicht möglich. Die Migros werde sich erst dann mit den Besetzern an einen Tisch setzen, wenn diese aus der Anonymität getreten seien und das Haus geräumt hätten ("Bund" vom Mittwoch).(pmg)

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BZ/Thuner Tagblatt 26.11.10

Migros stellt Ultimatum an die Hausbesetzer

 Breitenrain. Gestern Morgen erhielten die 15 Besetzer des Hauses an der Moserstrasse 33 Besuch aus der Migros-Chefetage. Laut einem der Besetzer hat sich Anton Gäumann, Leiter Direktion Fachmarkt und Einkaufscenter, zu ihnen begeben. "Er war ganz nett und ist okay", sagte ein Besetzer, der sich Stifu Moser nennt, am Telefon.

 Die Nachricht, welche Gäumann dem Kollektiv Moserstrasse überbrachte, war ein Ultimatum: "Bis am Montag um 18 Uhr können die Leute unsere Liegenschaft verlassen und den rechtswidrigen Zustand aufheben, ohne rechtliche Folgen zu befürchten", sagte Migros-Aare-Sprecher Thomas Bornhauser.

 Ob das 15-köpfige Kollektiv das Haus freiwillig räumt, ist laut Stifu Moser unklar. "Eigentlich will die Familie Moser ja bis zum Abriss dort wohnen", sagte er.
 tob

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RABE-INFO
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Fr. 26. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_26._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_26._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2026.%20November%202010
- Das Italienische unter Druck: Schlechte Noten für die vielsprachige Schweiz
- Sodis: Einfache Wasserentkeimung mit Hilfe der Sonne zum Schutz vor Cholera
- UNO-Milleniumsentwicklungsziele: Verpflichtung für die humanitäre Schweiz

Links:
http://www.sodis.ch/index

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Do. 25. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_25._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_25._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2025.%20November%202010
- Frauenklinik Bern: Hilfe für Opfer von sexueller Gewalt
- Schlechte Arbeitsbedingungen: AssistenzärzteInnen fordern Einhaltung der Gesetze
- Staat und Kirche: Untersuchung der Finanzflüsse in der Schweiz

Links:
http://frauenheilkunde.insel.ch/14588.html
http://www.wir-bleiben-dran.ch
http://www.snf.ch/d/medien/medienmitteilungen/seiten/2010.aspx

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AJZ BIEL
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Bund 26.10.10

"Grosszügiger Freiraum" in der Bieler Innenstadt

 Bieler Exekutive plant einen Platz, Wohn- und Gewerberaum und einParkhaus.

 Die Bieler Stadtregierung treibt ihr ambitioniertes Überbauungsprojekt "Esplanade" in der Innenstadt voran. Die erste Etappe wird jetzt dem Parlament vorgelegt. Auch das Volk soll im kommenden Mai mitreden. Die Neugestaltung des Quartiers rund um das Kongresshaus gibt seit Jahrzehnten zu reden. Schon bei seinem Amtsantritt 1990 sei er mit der Planung für das Gaswerkareal konfrontiert worden, sagte der scheidende Stadtpräsident Hans Stöckli gestern vor den Medien. Jetzt soll das ganze Gelände endlich ein neues Gesicht erhalten. Nur das Autonome Jugendzentrum (AJZ) im Gaskessel darf bestehen bleiben. Für 2,8 Millionen Franken soll es sogar renoviert und erweitert werden, weil die Jugendszene im Gegenzug die Villa Fantaisie verlassen muss.

 Neu entstehen sollen im Herzen Biels ein grosser öffentlicher Platz, Wohn- und Gewerberaum sowie ein unterirdisches Parkhaus für 500 Autos. Geplant ist auch ein neues, zentrales Verwaltungsgebäude - ob es tatsächlich gebaut wird, ist aber offen. Dieses Projekt wurde der zweiten Etappe zugewiesen, der Entscheid soll 2012 fallen.

 Zuerst aufräumen

 In einem ersten Schritt muss das Gebiet von Altlasten befreit werden. Die Entsorgung kostet 8 Millionen Franken. So viel Geld ist in etwa durch den Verkauf des Grundstücks auf der Nordseite des Gaswerkareals zu erwarten. Die Alpine Finanz Immobilien AG kann dort zu einem späteren Zeitpunkt Wohn- und Gewerberaum schaffen.

 Beide Geschäfte - Entsorgung und Landverkauf - sollten voraussichtlich im kommenden Mai dem Volk vorgelegt werden. Die Stimmberechtigten sollen dannzumal auch 15,2 Millionen Franken für die Oberflächengestaltung freigeben. Der Gemeinderat verspricht für das Geld einen "grosszügigen Freiraum" zum Spazieren, Verweilen und Spielen. Dazu müssen allerdings erst einmal die Autos unter die Oberfläche verbannt werden, wie Baudirektor Hubert Klopfenstein sagte. Der Stadtrat soll deshalb grünes Licht für ein unterirdisches Parkhaus geben. Die Baukosten belaufen sich auf 28 Millionen Franken. Als Bauherrin ist die Parking Biel AG vorgesehen.

 "Einmalige Chance"

 Die Neugestaltung des ehemaligen Gaswerkareals biete eine einmalige städtebauliche Chance, betont die Stadt in ihrem Botschaftsentwurf ans Volk. Ein neues innerstädtisches Quartier könne im Umfeld von Kongresshaus und Neumarktstrasse entstehen - ein Ort zum Wohnen und Leben, Arbeiten und Einkaufen. (sda)

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20 Minuten 26.10.10

Bieler planen neues Quartier

 BIEL. Ein neuer, öffentlicher Platz zum Spazieren, Verweilen und Spielen, Wohn- und Gewerberäume sowie ein Parkhaus für 500 Autos: Die Stadt Biel plant auf dem Gaswerkareal den Bau eines ganzen Quartiers. Über das Millionen-Projekt soll das Bieler Stimmvolk nächsten Mai befinden können. Ein Gebäude auf dem Areal darf allerdings bleiben: das autonome Jugendzentrum im Gaskessel. Es soll für 2,8 Millionen Franken renoviert und erweitert werden.

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ANTI-SVP
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Landbote 27.11.10

splitter & späne

 Als Journalist ist man es sich gewohnt, dass Politiker nicht zufrieden damit sind, wie man über etwas berichtet. Die SVP geht nun aber mit ihrer Kritik noch einen Schritt weiter: Sie beanstandet bei der Ombudsstelle des Schweizer Fernsehens, dass weder die "Tageschau" noch "10 vor 10" über eine Mitteilung der Partei berichtet hat. Manipulation durch Unterlassung sei das. In der fraglichen Mitteilung zeigt sich die Partei empört darüber, dass ihr Büro in Lausanne vorübergehend von linken Chaoten besetzt wurde. Wie wichtig diese Mitteilung war, hätten die Kollegen beim Fernsehen aber auch wirklich merken müssen. Immerhin war sie mit "Demokratie in Gefahr" überschrieben.

 Um Missverständnisse vorzubeugen: Natürlich geht es nicht an, wenn Parteibüros besetzt werden. Und dass der SVP in der ganzen Waadt niemand eine Halle für die Delegiertenversammlung vom kommenden Samstag vermieten will, spricht auch nicht gerade für den Kanton. Nun tagt die Partei unter freiem Himmel. Immerhin: Das grosse Schlottern wird sicher die nötige mediale Aufmerksamkeit bringen.

 Die SVP tagt übrigens nicht zum ersten Mal unter freiem Himmel. Bisher geschah dies allerdings im Sommer und ganz freiwillig. Die Partei nannte es SVP-Landsgemeinde. Ironie der Geschichte: Als die SVP vor 13 Jahren ein solches Partei-Open-Air abhielt, setzte sich ihre Ausserrhoder Sektion zur gleichen Zeit gerade erfolgreich für die Abschaffung der Landsgemeinde in ihrem Kanton ein.

MICHAEL BRUNNER

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Bund 27.11.10

Farbanschlag auf Haus von Peter Bernasconi

 Stadt Bern - In der Nacht auf Donnerstag haben Unbekannte mehrere Farbbeutel auf das Haus des Stadtberner SVP-Präsidenten Peter Bernasconi geworfen. Bernasconi, der den Sachschaden auf 10 000 bis 13 000 Franken schätzt, hat Anzeige gegen unbekannt erstattet.

 Er bestätigte damit einen Artikel in der "Berner Zeitung" von gestern. Bernasconi sagte, der Farbanschlag könnte mit seinem Engagement für das umstrittene Migros-Provisorium auf dem Kasernenareal im Stadtberner Quartier Breitenrain zusammenhängen.

 Die Farbbeutel hätten einen grossen Schaden angerichtet, führte der Präsident der SVP Stadt Bern und der SVP Bern-Mittelland aus. Nicht nur die Fassade wurde in Mitleidenschaft gezogen, sondern auch der Zaun und der Bodenbelag. Über ein Fenster drang Farbe auch ins Innere des Hauses.(sda)

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Telebärn 26.11.10

Farbattacke auf Haus von SVP-Chef
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/farbattacke-auf-haus-von-svpchef/c=84713&s=1093785

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Indymedia 26.11.10

Communique zur Fassadenverschönerung am Svp Hauptgebäude

AutorIn : das tapfere Schneiderlein         

In der Nacht auf den 25.11. wurde dem SVP-Sekretariat der Stadt Bern und somit gleichzeitig dem Wohnsitz von Grossrat Peter Bernasconi neue Farbe verpasst.

In der Nacht auf den 25.11. wurde dem SVP-Sekretariat der Stadt Bern und gleichzeitig Wohnsitz von Grossrat Peter Bernasconi neue Farbe verpasst. Damit soll auf die rechtspopulistische SVP, sowie auf die Ohnmacht, Wut und Ablehnung gegenüber der kommenden Ausschaffungsinitiative einer rechtspopulistischen und rassistischen Partei aufmerksam gemacht werden.
Den AktivistInnen ist bewusst, dass diese Aktion weder etwas verändert noch die SVP von ihrem Weg abbringt, allerdings sehen wir dies als einen Schritt, unseren Unmut und unsere Ablehnung gegen die hasserfüllte und menschenverachtende Politik kundzutun.
Wir laden alle dazu ein, es uns gleichzutun.

das tapfere Schneiderlein     

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Weltwoche 25.11.10

Meinungsfreiheit

 Links, zwei, drei, vier

 Von Andreas Kunz

 In Basel, Zürich und Lausanne kommt es fast täglich zu linksextremen "Aktionen". Die rot-grünen Stadtregierungen verharmlosen diese oder schweigen.

 In Basel waren am Montagmorgen die Töfflis der Zeitungsverträger mit fremden Schlössern angekettet, so dass die Basler Zeitung (BaZ) nicht ausgeliefert werden konnte. Am Abend hätte BaZ-Mehrheitsaktionär Tito Tettamanti auf Einladung der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft (SVG) eine Rede halten sollen. Nach einer angekündigten Protestkundgebung von "Basels starker Alternative" ("Basta!"), zu deren Gründungsmitgliedern die SP-Ständerätin Anita Fetz und der Soziologe Ueli Mäder gehörten, sagte die SVG den Anlass ab. Tettamanti reagierte überrascht: "Eine neue Erfahrung für mich: Redeverbot."

 Weniger überrascht reagierte der Basler Regierungspräsident Guy Morin (Grüne). Er "bedaure" zwar die Absage, liess er seine Sprecherin auf Anfrage knapp ausrichten. Seine "Sorge um Basel", die er in der NZZ am Sonntag verkündete, gilt aber weiterhin nur der neuen BaZ-Führungsriege um Tettamanti.

 Narrenfreiheit geniessen Linksextreme auch in anderen links regierten Städten. In Zürich wurde am Samstag der Eingang des SVP- Sekretariats mit Backsteinen zugemauert. Für den kommenden Abstimmungssonntag sind weitere Störaktionen und unbewilligte Demonstrationen geplant. Über das Internet wird dazu aufgerufen, die Ausschaffungsinitiative zu "sabotieren", zu "stören, wo es geht", und den Befürwortern "ins Schienbein zu treten", um "eine eigene, revolutionäre Perspektive zu erkämpfen". Eine grosse Gegenwehr der Polizei müssen die Extremisten nicht befürchten. Schon nach der Abstimmung über das Minarettverbot im letzten Jahr konnten sie ungehindert das SVP-Sekretariat verwüsten.

 Hilfe vom Gaddafi-Anwalt

 In der linken Hochburg Lausanne können die Extremisten sogar auf die tatkräftige Unterstützung der Behörden zählen. Nachdem die SVP für den 4. Dezember das Palais de Beaulieu für einen Sonderparteitag gemietet hatte, entzog ihr die Lausanner Gewerbepolizei die Bewilligung. Die Gewerkschaft Unia, die am gleichen Tag in einem anderen Raum des Gebäudes ebenfalls eine Versammlung abhalten wollte, hatte sich gegen den SVP-Anlass gewehrt. Unia-Anwalt Charles Poncet, bekannt geworden als Advokat von Libyens Diktator Gaddafi, hatte erfolgreich gedroht, dass es in der Woche nach der Abstimmung zur Ausschaffungsinitiative zu "Reibereien" kommen könnte, wenn sich die Gewerkschafter im gleichen Haus wie die SVP aufhielten würden.

 Die SVP musste in die Universität Lausanne (Unil) ausweichen und wollte ihren Parteitag nun im gleichen Saal abhalten, in dem die SP kürzlich ihr Programm zur "Überwindung des Kapitalismus" beschlossen hatte. Bald aber tauchten Flugblätter auf, die dazu aufforderten, Fenster einzuschlagen, Räumlichkeiten zu verwüsten und Autoreifen zu zerstechen. Studenten und Assistierende protestierten ebenfalls. Man dürfe "keiner Partei Raum geben, die mit Lügen politisiert". Die Universitätsleitung knickte ein. Laut Generalsekretär Marc de Perrot hat die Uni die Versammlung der SVP nur unter der Bedingung akzeptiert, dass der Uni-Betrieb nicht gestört werde. Diese Basis sei mit den Drohungen, die teilweise aus dem eigenen Hause stammten, nicht mehr gegeben gewesen. Da die SVP in der ganzen Lausanner Umgebung keinen geeigneten Raum für ihren Parteitag gefunden hat, wird sie ihn nun unter freiem Himmel halten müssen: auf einer Weide des SVP-Grossrats Jean-Marc Sordet in der 400-Seelen-Gemeinde Coinsins.

 Wie beurteilen die Waadtländer Behörden den Zustand der in der Bundesverfassung festgeschriebenen Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit in ihrem Kanton? Auf Anfrage der Weltwoche verurteilt Sicherheitsdirektorin Jacqueline de Quattro (FDP) die "schlimmen und inakzeptablen Störmanöver gegen die SVP" und garantiert die Sicherheit für "sämtliche politischen Veranstaltungen" im Kanton. Der Lausanner Polizeidirektor Marc Vuilleumier (Partei der Arbeit) hingegen lässt ausrichten, dass er "keine Analyse der Vorfälle vornehmen kann, bevor sie nicht im Stadtrat besprochen werden". Gegenüber dem Lokalblatt 24 heures hatte Vuilleumier die Drohungen noch als "Teil der Stigmatisierungs-Politik der SVP" abgetan.

 Es verwundert nicht, dass sich die Linksextremisten geradezu aufgefordert fühlten, einige Tage nach den Aussagen des Polizeidirektors die SVP-Geschäftsstelle in Lausanne zu stürmen. Etwa zwanzig Chaoten drangen am letzten Donnerstag gewaltsam in das Gebäude ein, beschimpften die Mitarbeiter, warfen Unterlagen aus dem Fenster und richteten ein Chaos an. Die herbeigerufene Polizei konnte sechs Personen festnehmen - wovon sich zwei offiziell als Journalisten auswiesen.

 In den Deutschschweizer Medien war der Angriff auf eine Geschäftsstelle der grössten Schweizer Partei kaum eine Randnotiz wert. Die Sendungen "Tagesschau" und "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens berichteten am gleichen Tag lieber minutenlang über "Energiesparen beim Hausbau" oder ein Popkonzert von Kirsty Bertarelli. Der Aargauer SVP-Ständerat Maximilian Reimann reichte daraufhin eine Beschwerde bei der Ombudsstelle ein. "Nicht auszudenken, wie das Schweizer Fernsehen wohl darüber berichtet hätte, wenn rechtsextreme Chaoten die Geschäftsstelle einer Linkspartei gestürmt hätten", schreibt Reimann.

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CLUBLEBEN
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BZ/Berner Oberländer 27.11.10

Afrikaner wurden provoziert

 Schlägerei in ThunDie Kapo Bern rekonstruiert im Schlussbericht ihrer Ermittlungen die brutale Schlägerei im "Mokka".

 Die Polizei hat die Ermittlungen mit dem Schlussbericht zur heftigen Auseinandersetzung vom 26. auf den 27. Februar in der Café-Bar Mokka in Thun abgeschlossen (vgl. gestrige Ausgabe). Das teilte die Kantonspolizei gestern in einem Communiqué mit.

 In besagter Nacht Ende Februar hatten sich mehrere Personen verschiedener Nationalitäten eine wüste Schlägerei geliefert, bei der Mesfen Semer Hagos aus Eritrea, der vor dem Vorfall in Heimberg lebte, schwere Kopfverletzungen davontrug. Nach monatelangem Spitalaufenthalt lebt Hagos derzeit in einem Krankenheim der Region Thun. Nach der Schlägerei musste er Hirnoperationen über sich ergehen lassen. Zudem musste ein Teil seiner Schädeldecke entfernt werden. Heute geht es dem Opfer besser: Er kann wieder gehen und sprechen. An die Schlägerei erinnert sich Hagos allerdings nicht. Die Polizei teilte gestern mit, dass er bis heute nicht befragt werden konnte. Im Rahmen der Ermittlungen zur "Mokka"-Schlägerei hat die Polizei rund 40 Personen - teilweise mehrmals - befragt. Somit lägen rund 100 Befragungsprotokolle vor. Zahlreiche Spuren seien ausgewertet und verschiedene Dossiers erstellt worden.

 "Afrikaner tanzten friedlich"

 Die Kapo Bern rekonstruiert den Vorfall im Untergeschoss der Café-Bar Mokka nach Abschluss der Ermittlungen so: Eine ausländische Gruppierung provozierte die Gruppe Afrikaner, die sich auf der Tanzfläche aufhielt - tanzend und in friedlicher Stimmung. In der Folge kam es zu einer Auseinandersetzung, die von beiden   Seiten teilweise mit grosser Brutalität geführt wurde: Die Beteiligten setzten Fäuste und Flaschen ein. Neben Mesfen Semer Hagos erlitten fünf weitere Personen - jeweils ein Mann aus Eritrea und Äthiopien sowie je eine Person aus Mazedonien, Kosovo und der Schweiz - Verletzungen.

 Vier Männer waren nach der Auseinandersetzung in Untersuchungshaft genommen worden. Zwei der mutmasslichen Täter befinden sich im vorzeitigen Strafantritt. Falls keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, soll bis Ende Jahr Antrag auf Überweisung der Angeschuldigten durch die Staatsanwaltschaft an das zuständige Gericht gestellt werden.
 ddt/pkb

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Bund 27.11.10

Schlägeropfer lebt heute im Heim

 Thun - Vor knapp einem Jahr gingen in einem Thuner Lokal zwei Ausländergruppen aufeinander los. Ein Mann aus Eritrea wurde schwer verletzt. Nach Monaten im Spital lebt das Opfer heute in einem Heim. Die Schlägerei vom 27. Februar 2010 zog umfangreiche Ermittlungen nach sich, die nun abgeschlossen sind, wie die Berner Kantonspolizei gestern mitteilte. Rund 40 Personen wurden zum Teil mehrmals befragt.

 Die Ermittler kommen zum Schluss, dass an jenem Abend eine Gruppe von Afrikanern im Ausgehlokal Mokka war und friedlich tanzte. Eine andere Ausländergruppe provozierte die Afrikaner. Die beiden Gruppen gingen mit Fäusten und Flaschen aufeinander los, "zum Teil mit grosser Brutalität", wie die Polizei schreibt. Ein Mann aus Eritrea wurde dabei so schwer verletzt, dass er nun in einem Krankenheim leben muss. Er konnte bis heute nicht befragt werden. Bei der Schlägerei wurden fünf weitere Personen verletzt. Vier Männer wurden in Untersuchungshaft genommen, zwei davon befinden sich bereits im vorzeitigen Strafantritt.(sda)

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BZ/Berner Oberländer 26.11.10

Opfer geht es besser - der Fall wird bald überwiesen

 schlägerei in thunVier Täter, vier Verletzte: Heute vor neun Monaten kam es im Mokka in Thun zu einer brutalen Schlägerei. Mittlerweile geht es dem Hirn verletzten Opfer wieder besser. Der polizeiliche Ermittlungsbericht ist erstellt, der Untersuchungsrichter will den Fall Ende Jahr ans Gericht überweisen.

 Genau heute vor vier Monaten gab es im Mokka in Thun eine brutale Schlägerei. Vier Männer wurden in Untersuchungshaft gestellt. Drei Personen waren leicht verletzt, ein Mann schwer verletzt. Der polizeiliche Ermittlungsbericht wurde, wie nach umfassenden Recherchen in Erfahrung gebracht werden konnte, am 18. November fertig erstellt und wird diese Tage dem zuständigen Thuner Untersuchungsrichter Christian Josi weitergeleitet. Dieser ist die Voraussetzung dafür, dass er die Voruntersuchung für die Tat, die in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar stattfand, abschliessen und an das Gericht überweisen kann.

 Dem schwer verletzten Mesfen Semer Hagos aus Eritrea, der mit B-Ausweis in Heimberg gewohnt hat, geht es besser. Trotz seiner Hirnverletzung macht er jeden Tag Fortschritte und kann wieder gehen und sprechen.

 Von den Angeschuldigten befinden sich zwei im vorzeitigen Strafvollzug, ein Mann wartet auf den Übertritt von der Untersuchungshaft zum vorzeitigen Strafantritt und der vierte wurde als so genannte Ersttäter vorübergehend frei gelassen.

 Der Hauptangeschuldigte, der dem 28-Jährigen die Hirnverletzung zugefügt hat, befindet sich zurzeit in der Strafanstalt Witzwil. Der Thuner erhielt bereits Hafturlaube und wurde in Thun gesichtet.
 sft Seite 10

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Schwerpunktthema   ● Neun Monate nach der Schlägerei in thun

 Opfer kann wieder gehen und sprechen

 Schlägerei im mokka thun Er kann wieder gehen, sprechen und macht täglich viele Fortschritte: Das schwer verletzte Opfer der brutalen Schlägerei in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar, Mesfen Semer Hagos aus Heimberg, erholt sich langsam. Noch bleibt trotzdem unklar, welche bleibenden Spuren die Hirnverletzung hinterlassen wird.

 Mesfen Semer Hagos sitzt am hintersten Tisch. Er beobachtet die vielen Leute im Kaffee in Thun und lächelt immer wieder seinem Freund Ibrahim Ahmed Hassan zu, der neben ihm sitzt. "Mesfen, wie heisst du?", fragt er ihn. Dieser lächelt. "Mesfen, sprich mir nach: M-e-s-f-e-n", sagt Hassan und macht mit den Händen neben dem Mund die Bewegung der Aussprache nach. Hagos spricht die Buchstaben aus, den Namen Mesfen dabei zu hören, ist schwierig.

 "Obwohl seine Glieder auf der rechten Körperseite zum Teil gelähmt sind, kann er seit ein paar Wochen wieder gehen und hat angefangen, Worte und Teile von Sätzen nachzusagen", erklärt der Sudanese Ibrahim Ahmed Hassan, der seinem hirnverletzten Freund seit der blutigen Schlägerei im Mokka in der Nacht vom 26. auf den 27. Februar zur Seite steht (wir berichteten).

 Keine Erinnerungen an die Tat

 Im März musste Mesfen Semer Hagos aus Eritrea, der über einen B-Ausweis verfügt und vor der Tat in Heimberg gewohnt hat, nach Hirnoperationen einen Teil der Schädeldecke entfernt werden. Heute sind die Haare nachgewachsen, sein gesundheitlicher Zustand ist viel besser. "Auf der Strasse erkennt er meistens die Menschen wieder. Auch hat er mir sogar den Weg zu seiner einstigen Wohnung gezeigt", freut sich Hassan. Doch an die Schlägerei habe er keine Erinnerung, weshalb er bis jetzt auch nicht befragt worden sei.

 "Mesfen erinnert sich immer wieder an Dinge und erkennt seinen Bruder auf der Foto", sagt Hassan. Dieser lebe im Sudan und habe ein Gesuch gestellt, damit er sich in der Schweiz um seinen Bruder kümmern könnte. "Mesfen könnte auch bei einer Tante in Äthiopien leben."

 Rehabilitation in der Klinik

 Zurzeit wohnt das hirnverletzte Opfer in einem Heim in der Region Thun. "Als er zu uns kam im August, war er für alles auf Hilfe angewiesen und konnte nur im Rollstuhl fortbewegt werden", erinnert sich Silvia Mosimann, die Teamleiterin des Wohnbereichs im Heim. Er habe sich sehr gut erholt vom intensiven Aufenthalt in der Rehabilitationsklinik in Basel und mache seither jeden Tag enorme Fortschritte. "Ihm fehlt noch die Muskelkraft, doch seine weitere Genesung hat noch Potenzial", ist sie überzeugt. Deshalb stehe die Diskussion für einen erneuten Rehabilitationsaufenthalt in der Spezialklinik in Basel bevor.

 Peter Huber, der Anwalt von Mesfen Semer Hagos, wartet auf den Gerichtstermin (vgl. Text unten). "Im Moment setzen wir alles daran", bestätigte er, "dass das Rehabilitationspotenzial von Herrn Semer optimal ausgeschöpft werden kann."

 Heimberg ist zuständig

 Die Gemeinde Heimberg ist im Auftrag des Schweizerischen Roten Kreuzes, welches die Kosten von Mesfen Semer Hagos finanziert und diese via Lastenausgleich dem Kanton weiter verrechnet, für den anerkannten Flüchtling zuständig. "Wir koordinieren die finanziellen Aufgaben und sichern die Beistandsschaft", erklärt Konrad Steiner, Abteilungsleiter der Sozialdienste. "Wir sorgen dafür", ergänzt Sozialarbeiterin Eva Salathé, "dass Herr Semer zum Beispiel Taschengeld erhält, für ihn Kleider gekauft werden können und dass Termine klappen, wie beispielsweise solche mit der Klinik in Basel."

 "Seine positive Entwicklung hat uns alle überrascht", freut sie sich, die später sogar eine Anschlusslösung für möglich hält. "Sobald er ein wenig arbeiten kann, wäre ein Platz in einer geschützten Werkstatt eine Variante."

 "Was für eine sinnlose Tat"

 Die Wände im Erdgeschoss der Café-Bar Mokka sind neu gestrichen, das Blut längst entfernt. Nichts erinnert mehr an die brutale Schlägerei. "Der Vorfall ist heute bei uns nur noch selten ein Thema, wird es aber wieder werden, sobald die Gerichtsverhandlung beginnt", sagt MC Anliker alias Beat Anliker. Es sei ein unglücklicher Zufall, dass die Tat in seinem Lokal geschehen sei. "Die Einbussen und der Umsatzverlust kann ich jedoch weder genau abschätzen noch beurteilen, in welchem Zusammenhang dies alles steht."

 Alles in allem koste dieser traurige Fall, vom Gericht über die Genesungs- und Sozialkosten bis zu den Anwälten, mindestens 1,5 Millionen Franken. "Eine solche Schlägerei", findet Beat Anliker, "ist in jeder Hinsicht etwas Sinnloses."
 

Franziska Streun

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 Ermittlungen

 Bericht ist fertig Während Mesfen Semer Hagos, das schwer verletzte Opfer von der blutigen Schlägerei im "Mokka" in Thun, täglich Fortschritte in seiner Genesung macht (vgl. oben), wurden die Abklärungen hinter den Kulissen durchgeführt. "Der polizeiliche Ermittlungsbericht steht kurz vor dem Abschluss", sagte Heinz Pfeuti, Pressesprecher der Kantonspolizei, auf Anfrage. "Wir werden dieser Tage mit einer Mitteilung weiter darüber informieren."

 Der zuständige Regierungsrat Hans-Jürg Käser (FDP) wollte es genauer wissen und fragte nach: "Laut dem Polizeikommandanten wurde der Ermittlungsbericht am 18. November beendet und wird nun fertig erstellt."

 Laut den Recherchen hat sich allerdings das Erstellen des Berichtes über mehrere Wochen hinweg verzögert. Begründet wurde dies gemäss Korrespondenzen unter anderem mit dem tragischen Bootsunfall auf dem Bielersee, dem Fall Kneubühl und Entführungen in Interlaken. Doch auf die Frage, ob diese Verzögerungen vertretbar seien, ging die Kantonspolizei nicht ein.

 Brisant ist: Der angeschuldigte Haupttäter, der sich in der Strafanstalt in Witzwil im vorzeitigen Strafvollzug befindet und einem der Opfer eine Hirnverletzung zugefügt hatte, wurde in Thun bereits im Hafturlaub gesehen. Das heisst, dass sich Täter und Opfer theoretisch in der Stadt hätten begegnen können. fs

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Die Polizei hat die Ermittlungen beendet

 Wann kommen die täter vor gericht?Die vier Täter der brutalen Schlägerei warten wie die vier Opfer auf die Gerichtsverhandlung. Nach neusten Auskünften ist der polizeiliche Ermittlungsbericht soeben abgeschlossen worden und wird nächstens an den zuständigen Untersuchungsrichter Christoph Josi in Thun überwiesen. Brisant ist: Der angeschuldigte Haupttäter, der sich in der Strafanstalt in Witzwil im vorzeitigen Strafvollzug befindet und einem der Opfer eine Hirnverletzung zugefügt hatte, wurde in Thun bereits im Hafturlaub gesehen. Das heisst: Täter und Opfer hätten sich begegnen können.

 Während Mesfen Semer Hagos, das schwer verletzte Opfer von der blutigen Schlägerei im Mokka in Thun, täglich Fortschritte in seiner Genesung macht (vgl. oben), wurden die Abklärungen hinter den Kulissen durchgeführt. "Der polizeiliche Ermittlungsbericht steht kurz vor dem Abschluss", sagte Heinz Pfeuti, Pressesprecher der Kantonspolizei, auf Anfrage. "Wir werden dieser Tage mit einer Mitteilung weiter darüber informieren." Der zuständige Regierungsrat Hans-Jürg Käser (FDP) wollte es genauer wissen und fragte nach: "Laut dem Polizeikommandanten wurde der Ermittlungsbericht am 18. November beendet und wird nun fertig erstellt."

 Verzögert, da überlastet?

 Laut den Recherchen hat sich allerdings das Erstellen des Berichtes über mehrere Wochen hinweg verzögert. Begründet wurde dies gemäss Korrespondenzen unter anderem mit dem tragischen Bootsunfall auf dem Bielersee, dem Fall Kneubühl und Entführungen in Interlaken. Doch auf die Frage, ob diese Verzögerung vertretbar sei, ging die Kantonspolizei nicht ein.

 Mit dem Vorliegen des Berichtes wird der Ball wieder beim zuständigen Untersuchungsrichter Christian Josi in Thun liegen.

 Bis Ende Jahr abgeschlossen?

 "Falls keine weiteren Beweisanträge gestellt werden, kann der Fall bis Ende Jahr abgeschlossen werden", erklärt Josi, der in Thun als Stadtrat kandidiert. So, dass die Anklageschrift dem Staatsanwalt zwecks Zustimmung überwiesen werden könne. Danach wird der Termin für die Gerichtsverhandlung in Thun festgesetzt. Wann dies sein könne, sei offen. "Da der Aktenumfang gross ist, muss mit einer entsprechenden Vorbereitungszeit gerechnet werden", schätzt Christian Josi.

 In Witzwil und in Thorberg

 Gemäss den Recherchen sowie den Telefongesprächen mit den Anwälten der Angeschuldigten* befinden sich zwei der vier Verhafteten nicht mehr in Untersuchungshaft, sondern im vorzeitigen Strafantritt: Der Hauptangeschuldigte B. D. (Mazedonien) weilt in der Strafanstalt Witzwil und D. T. (Serbien) in der Strafanstalt Thorberg in Krauchthal. Bei D. V. (Schweiz) hat sich der Tatverdacht als falsch erwiesen. Er hielt sich zwar laut Recherchen im "Mokka" auf, war jedoch nicht involviert. Wegen anderer Vorwürfe betreffend Schlägereien zusammen mit den Inhaftierten wurde er trotzdem in Untersuchungshaft in Thun belassen. Zwar wurde auch ihm der vorzeitige Strafantritt bewilligt, doch er wartet noch auf einen Platz in einer Anstalt. G. A. (Serbien) hingegen ist nicht mehr in Haft. Er wurde als sogenannter Ersttäter vorübergehend frei gelassen.

 Wer einen Antrag auf vorzeitigen Strafantritt stellt, bekennt sich im Grundsatz im Sinne der Anklage für schuldig. In einem offenen Vollzug kann ein Hafturlaub beantragt wer-den - so geschehen bei B. D. Der laut Recherchen mehrfach wegen Schlägereien vorbestrafte Mazedonier, der dem Eriträer die Hirnverletzung zugefügt hat (wir haben berichtet), wurde in Thun gesehen. Die beiden hätten sich auf offener Strasse begegnen können.

 Haupttäter in Urlaub in Thun

 "Bei einer vorzeitigen Einweisung in den Strafvollzug wird die Urlaubskompetenz delegiert", erklärt Christian Margot, Leiter der Abteilung Straf- und Massnahmenvollzug des Kantons Bern. Dies seien im Fall von B. D. der Untersuchungsrichter und die Verantwortlichen der Strafanstalt in Witzwil. "Ob und wie lange ein Hafturlaub bewilligt werden kann, wird anhand von internen Richtlinien entschieden." In der Regel handle es sich dabei in den Anfängen um einige Stunden und nicht um Tage.

 "Ich wurde von den Zuständigen in Witzwil angefragt, ob Einwände gegen einen sporadischen Hafturlaub bestehen, was ich verneint habe", präzisiert Christian Josi. Den Untersuchungszweck, den Vorfall zu klären und sicherzustellen, dass der Angeschuldigte für die Gerichtsverhandlung anwesend ist, sehe er damit nicht gefährdet. "Da sich das Opfer in der Rehabilitation befindet", ergänzte er, "war damals davon auszugehen, dass es nicht zu einer Begegnung kommen kann."

 Arbeitgeber ist enttäuscht

 Einer, der B. D. bestens kennt, wartet ebenfalls auf die Gerichtsverhandlung: "Ich habe ihm viele Chancen gegeben und bin enttäuscht", gesteht Carlo Kilchherr, sein ehemaliger Arbeitgeber (Kilchherr Malerei und Gipserei AG) und Thuner SVP-Grossrat und Gemeinderatskandidat.

 "Herr D. wird nicht mehr bei uns arbeiten können beziehungsweise höchstens noch, wenn er als unschuldig erklärt und frei gelassen würde."

 Franziska Streun

 * Die Namen sind der Redaktion bekannt.

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SQUAT FR
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Indymedia 26.11.10

Schnee-Sauvage in Fribourg - Freiraum jetzt!

AutorIn : manta         

Gestern Abend feierten wir eine Sauvage auf dem Place Python in Fribourg. Für Konzert, Feuer, Pizza, Suppe, Glühwein und Spiele war gesorgt. Der Schnee gab dem ganzen einen surrealen Anstrich. Wir haben auch dort gepennt...

Wer Bilder hat, bitte Upload.

Es folgt das neue Communiqué:     
    
Liebe Repression, wir lassen uns den Humor und die Feierlaune nicht nehmen

Mit der Fake-Wieder-Besetzung des !immer noch! leerstehenden Hauses an der Rue de l'industrie 24 haben wir den selben Humor angewandt wie du, Liebe Repression, als du mit einem Lächeln im Gesicht in unsere Häuser eingebrochen bist und uns liebevoll die Tür gezeigt hast.

Wir haben uns gut amüsiert als wir deinen Handlangern, den Polizisten, unseren Freunden und Helfern, aus angenehmer Distanz beim Fotografieren und Planen der Räumung des falschen Squats zuschauen durften. Auch die Zivilpolizisten, die in ihren engen Joggingkleidern in der Kälte patrouillierten, waren einfach nur süss. Es war so leicht wieder in das verbarrikadierte und zugemauerte Haus zu gelangen. Danke für die witzigen Barrikaden!

://netter-hausbesetzer-aus

Wir verstecken uns nicht hinter den heuchlerischen Normen dieser Gesellschaft. Das keimfreie Grinsen der Polizeisprecher und Politiker überzeugt uns ganz und gar nicht. Sie haben uns nichts zu sagen: Wir können an einem Tag einen falschen Squat eröffnen und am nächsten Tag drei echte. Wir können auch die Strasse, die Präfektur und die Kathedrale besetzen. Es geht uns um die konkrete Wiederaneignung enteigneter Räume und Lebensmöglichkeiten, jetzt!

Wir feiern an diesen Donnerstag (25. November) auf dem Place Python eine Sauvage.

Wir haben keinen Platz mehr für unsere Konzerte und Raves? Machen wir sie auf der Strasse!

Wir haben keinen Platz für unsere Voküs, unsere Bibliothek, unseren Gratisladen und unsere Druckerei? Machen wir unser Zeug auf der Strasse!

Wir können nirgends mehr pennen? Gehen wir auf die Strasse!

Sie haben uns auf die Strasse gesetzt. Wir sind auf der Strasse. Wir nehmen uns die Strasse zurück.


Kollektiv Raie Manta
raiemanta@riseup.net
http://manta.ch.gg

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Freiburger Nachrichten 26.11.10

Hausbesetzung war bloss ein grosser Witz

 Mit einem "wilden" Apero feierte das Kollektiv Raié Manta gestern Abend auf dem Python-Platz die vorgetäuschte Besetzung der Industriegasse 24.

 Pascal Jäggi

 Freiburg Wenn draussen Raie Manta steht, müssen noch keine Besetzer drin sein. Die angekündigte zweiwöchige Wieder-Besetzung des Hauses an der Industriegasse 24 hat sich als Witz entpuppt. Wie das Kollektiv mitteilte, sollte gezeigt werden, dass die Besetzer jederzeit wieder in ein Haus eindringen könnten. Zwar haben sie draussen Transparente aufgehängt, doch hatten sie nie vor, wie angekündigt zwei Wochen in dem baufälligen Gebäude zu verbringen, erklärte ein Aktivist gegenüber den FN.

 Zur Feier des Scherzes hat das Kollektiv gestern Abend den Pavillon auf dem Pythonplatz "besetzt". Rund 30 Sympathisanten trafen sich zur Unterstützung der Besetzer. Die Kantonspolizei erschien mehrmals, die Diskussionen verliefen aber einvernehmlich. Kurz vor 20 Uhr trat eine Zweimann-Band auf, zum Aufwärmen wurde Holz verfeuert, die Sympathisanten tranken Bier. Mit Plakaten und Flyern machten die Aktivisten auf ihr Anliegen aufmerksam. Matratzen lagen bereit, um die Nacht vor Ort zu verbringen.

 Alles kann besetzt werden

 Ziel der Veranstaltung: "Wir haben keinen Platz für unsere Konzerte oder unseren Gratisladen? Dann gehen wir eben auf die Strasse", heisst es im Communiqué von Raie Manta. Im Weiteren freut es sich diebisch über Polizisten, die das leere Haus überwacht haben sollen, und den leichten Weg zurück ins Haus, trotz zugemauerten Eingängen. Die Besetzer wollen nicht aufgeben.

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La Liberté 26.11.10

Fribourg

 Les squatters s'amusent bien
 
Marc-Roland Zoellig

 Vendredi dernier, le collectif Raie Manta avait revendiqué, communiqué et banderoles à l'appui, la réoccupation du numéro 24 de la rue de l'Industrie. Afin, disaient-ils, d'obliger le préfet de la Sarine Carl-Alex Ridoré à entamer le dialogue. Une grosse rigolade: en réalité, les petits plaisantins se sont contentés de pénétrer dans le bâtiment condamné en empruntant un passage secret, ont accroché quelques banderoles aux balcons, puis sont retournés dans leurs appartements.

 D'où le morne sentiment de vide qui se dégageait de ce pseudo-squat ("LL" de samedi). "Nous avons bien rigolé en voyant la police venir prendre des photos et des agents en civil monter la garde durant de longues heures devant ce faux squat", se marrent les squatters fantômes dans un flyer distribué hier soir lors d'un apéro sauvage - et en musique - à la place Python.

 Le préfet Carl-Alex Ridoré a-t-il lui aussi rigolé en apprenant la supercherie? Mercredi, il s'étonnait en tout cas du ton revendicateur employé par les membres du collectif Raie Manta. Qu'il affirme avoir invités à exprimer leurs revendications bien avant leur dernière action.

 "Le 12 novembre, j'ai écrit une lettre à plusieurs membres du collectif (dont la plupart ont des adresses à Fribourg ou ailleurs, ndlr) pour leur dire ce que je leur avais déjà expliqué la veille, sur le pas de porte de la préfecture", expose le préfet. A savoir qu'il était prêt à les écouter présenter leurs projets culturels. "Il est vrai que j'avais alors refusé qu'ils entrent tous à l'intérieur des locaux de la préfecture, afin de garantir la sécurité du personnel. Mais ils n'avaient pas souhaité envoyer une délégation."

 Dans sa lettre du 12 novembre, le préfet leur a expliqué qu'il accepterait néanmoins de rencontrer l'ensemble du collectif en dehors des heures de bureau. Depuis, c'est silence radio, affirme Carl-Alex Ridoré. Qui rappelle qu'il avait déjà adressé au collectif, le 14 octobre, une missive dans laquelle il affirmait "être à disposition" pour discuter de projets culturels. "Dans les limites de mes attributions, c'est bien volontiers que je vous informerai et vous orienterai sur les opportunités existantes de concrétiser de tels projets et sur les démarches à entreprendre pour y parvenir", peut-on lire dans ce courrier adressé en recommandé. "Je suis conscient du problème de manque de locaux pour les artistes", affirme Carl-Alex Ridoré. "Je ne l'ai pas découvert avec ces occupations de maisons. Mais il y a un ordre légal à respecter", rappelle-t-il.

 Le préfet parle-t-il un langage trop alambiqué pour Raie Manta? Le dialogue de sourds semble en tout cas se poursuivre. "Tout le monde n'a pas reçu sa lettre", explique un membre du collectif. "Et nous ne lui avons effectivement pas encore répondu." I

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SEMPACH
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20 Minuten 25.11.10

Schlachtfeier: Neues Konzept

 SEMPACH. Der Kanton Luzern will mit einem neuen Konzept Extremisten von der Sempacher Schlachtfeier fernhalten. So wird auf den Umzug vom Städtchen aufs Schlachtfeld verzichtet, der jeweils von extremen Gruppierungen genutzt wurde. Zudem wird die Feier statt wie bisher am letzten Juni-Samstag neu am ersten Sonntag im Juli stattfinden. Dies verhindert eine Terminkollision mit dem Altstadtfest. Ebenfalls geplant sind ein Forum zur Geschichte und ein Mittelalterfest. Der Kanton will sich damit laut einer Mitteilung lebendig, traditionsreich und zukunftsorientiert präsentieren.

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SEXWORK
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Landbote 27.11.10

"Schweizer Freier benutzen keine Boxen"

 Sabine Arnold

 Als Lösung für die Probleme im Sexgewerbe schlagen Fachfrauen Aufenthaltserlaubnisse für alle Prostituierten oder einen überwachten Strassenstrich vor.

 ZÜRICH - Das Problem ist vor allem der Strassenstrich am Zürcher Sihlquai. Darüber waren sich die vier Fachfrauen, die am Donnerstagabend im Theater Stadelhofen diskutierten, ziemlich einig. Die Prostituierten, die auf der Strasse ihre Dienste anbieten, seien schlechter geschützt als Prostituierte in Clubs. Der Strassenstrich belaste zudem das Quartier.

 Organisiert wurde das Podium von Teilnehmerinnen des Mentoringprogramms der Zürcher Frauenzentrale. SVP-Nationalrätin Sylvia Flückiger sagte: "Die Situation ist dort eskaliert." Grund sei die Personenfreizügigkeit, die es Frauen aus Europa ermögliche, in der Schweiz legal als Prostituierte zu arbeiten. Die schlechte Erfahrung, die Zürich mache, wollte die Aargauerin in anderen Kantonen verhindern, deshalb forderte sie den Bundesrat in einem Postulat zum Handeln auf. Staatsanwältin und CVP-Kantonsrätin Silvia Steiner gab zu bedenken, dass man am Sihlquai "bei Weitem nicht nur Zürcher Nummernschilder" sehe. Deshalb sei es nicht nur ein Stadtzürcher Problem. Sie sehe Parallelen zur ehemaligen Drogenszene am Platzspitz und am Letten und spreche deshalb von einer "offenen Prostitutionsszene". Rebecca Angelini von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration meinte, dass der Schluss "Mehr Osteuropäerinnen, mehr Probleme" zu einfach sei.

 Wohin mit Strassenstrich?

 "NZZ"-Redaktorin Brigitte Hürlimann befasste sich in ihrer Dissertation mit dem Thema Prostitution. Das Bundesgericht habe bereits 1975 befunden, dass die Wirtschaftsfreiheit auch für Prostituierte gelte und der Strassenstrich deshalb legal sein müsse. Angelini warnte davor, diesen "in die Industrie abzuschieben". Es komme nur ein Ort dafür in Frage, an dem die soziale Kontrolle gewährleistet sei. Flückiger erwähnte Olten als Beispiel, wo der Strassenstrich auf gut überschaubare 500 Meter beschränkt wurde.

 Als Lösung wurden auch die sogenannten "Verrichtungsboxen" diskutiert, die bereits in mehreren deutschen Städten zur Anwendung kommen. Angelini begrüsste zwar die Sicherheitsvorkehrungen für die Sexarbeiterinnen, zum Beispiel den Alarmknopf. Eine Massnahme gegen Ausbeutung seien sie jedoch nicht. Steiner sagte: "Schweizer Freier benutzen keine Boxen. Sie suchen die Anonymität und die Schnelligkeit."

 Hürlimann fragte, weshalb eine Prostituierte ihre Dienste nicht in ihrer eigenen Wohnung anbieten dürfe. "Das würde niemanden stören und wäre sicherer als auf der Strasse." Frauen, die sich eine Wohnung leisten können, seien meist unproblematisch, sagte Steiner. Angelini plädierte dafür, auch für Frauen aus Nicht-EU-Ländern die Prostitution zu legalisieren. Dem widersprach Steiner: "Unser Bestreben muss sein, dass so wenige Frauen wie möglich kommen." (sa)

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St. Galler Tagblatt 26.11.10

Gesetz gegen illegale Prostitution

 Als erster Kanton will das Tessin die Strafbarkeit für Kunden von illegalen Sexarbeiterinnen einführen. Wichtiger noch als die fällige Busse sei, dass fehlbare Freier auf die Polizeiwache zitiert würden. Das habe abschreckende Wirkung.

 Gerhard Lob

 lugano. Prostitution ist grundsätzlich erlaubt. Doch bei den regelmässig durchgeführten Polizeikontrollen in den einschlägigen Lokalen im Tessin fällt die hohe Zahl illegal praktizierender Prostituierter auf, das heisst von Frauen oder Transvestiten, die sich nicht bei der Polizei gemeldet haben und keine Steuern bezahlen. Dabei existiert seit Inkrafttreten des kantonalen Prostitutionsgesetzes 2001 eine entsprechende Meldepflicht. Zurzeit sind 840 Personen im kantonalen Verzeichnis registriert. Ungefähr die Hälfte dürfte aktiv im Sexgewerbe tätig sein. Die Zahl der Illegalen wird aber gleich hoch sein.

 Kriminalität eindämmen

 Das kantonale Innendepartement will diesem Treiben nicht länger zusehen. Es hat dieser Tage den Entwurf für eine Gesetzesrevision in die Vernehmlassung geschickt, welche der Ausübung der illegalen Prostitution den Kampf ansagt. Dies insbesondere, um den Sumpf an Kriminalität, der sich rund um das horizontale Gewerbe ausbreitet, einzudämmen: Delikte wie Menschenhandel, Wucher, Ausnützen abhängiger Personen oder Drogenkonsum. "Man muss mit den romantischen Vorstellungen von der Prostitution endgültig aufräumen", sagt der Tessiner Polizei- und Justizdirektor Luigi Pedrazzini (CVP) mit Verweis auf dieses kriminelle Umfeld.

 Der Gesetzesentwurf sieht denn auch vor, dass Bordelle oder erotische Lokale einer Bewilligungspflicht unterliegen. Ein Gerant ist für den ordnungsgemässen Ablauf rechtlich verantwortlich, das heisst auch für die polizeiliche Anmeldung der dort tätigen Prostituierten. Die Polizei kann die Einhaltung der Regeln jederzeit kontrollieren. Damit entfällt der bisher nötige richterliche Durchsuchungsbefehl für ein Lokal.

 Auf die Wache zitieren

 Neu sollen auch die Freier zur Rechenschaft gezogen werden - allerdings nur diejenigen, die sich mit illegalen Prostituierten ausserhalb der autorisierten Lokale einlassen. Das Gesetz sieht Bussen ab 200 Franken vor. "Wichtiger noch als der Betrag ist die Tatsache, dass fehlbare Freier auf die Polizeiwache zitiert werden", meint Guido Santini, Chefbeamter im Innendepartement, der bei der Ausarbeitung des Gesetzentwurfes federführend war. Dies erzeuge einen abschreckenden Effekt. Viele Freier wollten auf alle Fälle vermeiden, dass Polizeikorrespondenz in Zusammenhang mit Prostitution nach Hause geschickt werde und allenfalls Familienangehörigen in die Hände falle. Laut Santini ist die Strafbarkeit von Freiern eine Schweizer Premiere. Auch in Westschweizer Kantonen, welche detailliert in Sachen Prostitution legiferiert haben, gebe es bis anhin keine entsprechende Regelung.

 Neben der Strafbarkeit von Kunden legt das neue Tessiner Gesetz zudem Zonen fest, in denen keine Prostitution ausgeübt werden kann. Dabei handelt es sich um Wohnquartiere oder Gebiete in direkter Nähe zu Schulen oder Spitälern.

 Das Departement hat die Vorschläge bis Ende Jahr in die Vernehmlassung geschickt. Danach wird eine definitive Version ausgearbeitet, vom Staatsrat diskutiert, verabschiedet und an die Legislative überwiesen. Angesichts dieser Zeitspannen wird das Gesetz wohl erst nach den Erneuerungswahlen vom April 2011 im Grossen Rat diskutiert werden.

 Florierendes Gewerbe

 Die Prostitution ist im Tessin ein florierendes Gewerbe. Rund 30 Bordelle, Kontaktlokale und erotische Saunen gibt es in einem Kanton mit gut 300 000 Einwohnern. Dazu kommen etliche Privatwohnungen. Im Jahr 2000 kam eine Erhebung der Behörden auf rund tausend Sexarbeiterinnen. Diese Zahl dürfte heute etwas tiefer liegen. Die Frauen stammen vor allem aus osteuropäischen und südamerikanischen Ländern. Sie profitieren auch von der Nähe zu Italien. Italienische Kunden fahren gerne in ein Tessiner Freudenhaus, wo sie sich unbeobachtet fühlen und der Service komfortabler ist als im eigenen Land. In Italien sind Bordelle verboten. Dort floriert der Strassenstrich, der von kriminellen Banden kontrolliert wird.

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Bund 25.11.10

Tessiner Gesetzesvorschlag

 Wer illegale Prostituierte freit, soll mindestens 200 Franken Busse zahlen

 Als erster Kanton will das Tessin Freier büssen. Das soll sie vor dem Verkehr mit illegalen Sexarbeiterinnen abschrecken.

 René Lenzin, Lugano

 Die Tessiner Behörden ziehen die Schrauben im Rotlichtmilieu weiter an. Seit dem 1. Oktober erteilen sie keine Kurzaufenthaltsbewilligungen mehr für Kabaretttänzerinnen von ausserhalb der EU. Nun planen sie gar eine schweizerische Premiere: Sie haben ein Gesetz in die Vernehmlassung geschickt, das Freier verpflichtet, die Legalität von Prostituierten zu überprüfen. Wer bei einer Sexarbeiterin oder einem Sexarbeiter ohne gültige Papiere erwischt wird, soll künftig eine Busse von mindestens 200 Franken bezahlen müssen. Diese Bestimmung ist Teil eines ganzen Katalogs, mit dem das Tessin das bald zehnjährige Gesetz über Erotiklokale und Prostitution erheblich zu verschärfen gedenkt.

 Bereits heute gibt es im Tessin eine Meldepflicht für Prostituierte. Gut 800 Frauen aus dem horizontalen Gewerbe sind derzeit registriert. Fast ebenso hoch dürfte jedoch die Zahl jener Prostituierten sein, die sich nicht melden wollen - oder nicht melden können, weil sie sich illegal in der Schweiz aufhalten. Bei ihnen wollen die Behörden durchgreifen, weil sie hier besonders oft schmutzige Geschäfte wie Menschenhandel und Ausbeutung orten. Die Bussen gegen die Kunden illegaler Prostituierter zielt weniger auf das Portemonnaie als auf die Abschreckung. Die Angst vor peinlichen Kontakten mit der Polizei oder gar vor Bussenzetteln im Briefkasten soll die Freier davon abhalten, die Dienste von Illegalen in Anspruch zu nehmen.

 Italiener schätzen Diskretion

 Neu will der Kanton auch eine Bewilligungspflicht für Striplokale und Bordelle einführen. Zudem soll die Polizei künftig Kontrollen und Hausdurchsuchungen in diesen Etablissements auch ohne richterliche Bewilligung vornehmen dürfen. Schliesslich legt der Kanton Zonen fest, in denen keine solchen Betriebe zugelassen sind: Darunter fallen Wohnquartiere, Pärke sowie Gebiete in der Nähe von öffentlichen Gebäuden, Schulen, Kirchen und Friedhöfen.

 Die Prostitution ist im Tessin besonders verbreitet, weil viele Norditaliener die diskreteren Bordelle und Saunaklubs dem verbotenen Strassenstrich in ihrem Land vorziehen. Allerdings beginnen sich immer mehr Tessiner Gemeinden gegen die Umwandlung von Hotels und Bars in Bordelle zu wehren. Bisher mussten sie dazu auf die Bau- und Zonenordnung mit den entsprechend langwierigen Verfahren zurückgreifen. Neu soll ihnen die Bewilligungspflicht helfen.

 Das Milieu nimmt solche Restriktionen aber nicht einfach hin. Gegen die Schliessung von Bordellen gibt es immer wieder Rekurse. Verschiedene Nachtklubbetreiber sind entschlossen, die neue Praxis bei den Kurzaufenthaltsbewilligungen bis vor Bundesgericht anzufechten. Ob es Widerstand gegen die vorgeschlagenen Bussen für Freier gibt, wird sich in der Vernehmlassung und in der politischen Debatte zeigen.

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ANTI-FEMINISMUS
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Südostschweiz 26.11.10

"Wir sind kein Rudel Frauenhasser"

 Urs Bleiker aus Pfäffikon ist Präsident des Schweizerischen Vereins Antifeministen. Dieser wurde im September dieses Jahres gegründet. Seine Mitglieder bekämpfen weltweit die feministische Ideologie.

 Mit Urs Bleiker sprach Andreas Züger

 Herr Bleiker, Sind Sie verheiratet?

 Nein, ich bin ledig und kinderlos. Ich entspreche dem Klischee vom Mann, der keine Frau abbekommen hat.

 Wie sieht Ihre grundsätzliche Haltung gegenüber Frauen aus?

 Ich habe gar keine grundsätzliche Haltung. Es gibt 3,5 Milliarden Frauen auf der Welt, die sind alle unterschiedlich.

 Erklären Sie in ein paar Sätzen die Beweggründe für Ihr Engagement.

 1981 gab es eine Volksabstimmung über Gleichberechtigung. Ich dachte damals, dass dies eine gute Sache sei, Männer und Frauen profitieren davon. Dem war aber nicht so. Ein Beispiel: Das niedrigere Rentenalter für Frauen gegenüber Männern blieb. Mir kam die Abstimmung so vor: Was zugunsten der Frau ist, bleibt, was zugunsten der Männer ist, ändert.

 Was änderte sich denn für Männer?

 Nach der Abstimmung erklärte der "Tages-Anzeiger", dass das Blatt ab sofort nicht mehr nur "Bürger", sondern "Bürgerinnen und Bürger" schreibt. Aber nach wie vor gab es nur Mörder und Betrüger, keine Mörderin oder Betrügerin. Da ist mir aufge- fallen, dass etwas nicht stimmt. Weiter ist auch die Ungerechtigkeit der Gerichte bei Scheidungen augenfällig. Schicksale gewisser Männer haben mich aufgeschreckt. Sie erlebten schlimme Scheidungen mit dem vollen Programm: Ihre Kinder bekamen sie nicht mehr zu Gesicht, manchmal wurde ihnen von den Ex-Frauen sexuelle Belästigung gegenüber den Kindern vorgeworfen, obwohl das gelogen war. Und trotzdem mussten sie die Unwahrheit des Vorwurfs beweisen.

 "Frauen sollten Militärdienst leisten"

 Finden Sie, dass Frauen und Männer ins Militär sollten?

 Ich finde selbstverständlich, dass auch Frauen gehen müssten.

 Sind Sie für eine klassische Rollenverteilung: Männer zur Arbeit, Frauen an den Herd?

 Diesbezüglich bin ich für gar nichts. Die Paare sollen das selber entscheiden. Schlecht finde ich aber, dass man steuerlich begünstigt wird, wenn nur ein Elternteil arbeitet. Eine solche Entscheidung soll nicht durch den Staat manipuliert werden.

 René Kuhn, Vizepräsident des Vereins Antifeministen, bezeichnete "linke Emanzen" als "ausgelumpte Vogelscheuchen" und "Mannsweiber". Führen Sie einen radikalen Verein?

 Jein. Es lebt niemand schlechter auf der Welt, weil er das Wort Vogelscheuche ausgesprochen hat. Wir bekämpfen etwas Radikales, das heute von der Gesellschaft akzeptiert wird. Ein Beispiel: Statistiken über häusliche Gewalt zeigen seit Jahren dasselbe Bild: Der Mann verprügelt die Frau. Das wird über Politik und Medien immerzu verbreitet. Das stimmt aber so nicht. Wie wir unsere Anliegen nach aussen tragen, ist schon radikal, ja. Radikal ist aber vor allem das jahrzehntelange Vorgehen von Justiz, Politik und Medien, die feministische Unwahrheiten verbreiten.

 Wie meinen Sie das?

 Die Presse hat über Jahrzehnte versagt. Sie hat ungeprüft viele Sachen übernommen, zum Beispiel die Lüge, dass Frauen für die gleiche Arbeit 20 Prozent weniger Lohn erhalten als Männer. Das ist Unsinn. Ich weiss, wie solche Statistiken zurechtgebogen wurden. Auch Zahlen der häuslichen Gewalt wurden ungeprüft übernommen.

 "Dass Frauen weniger verdienen, ist eine Lüge"

 Auf der Vereinshomepage sind verschiedene Zitate publiziert. Zum Beispiel "Es gibt drei Arten von Frauen: die Schönen, die Intelligenten und die Mehrheit".

 Das ist nicht von mir, aber ich stehe dahinter, dass man das aufgeführt hat. Diese Sprüche sollen provozieren, auch wenn ich nicht alle unterschreiben würde. Oskar Lafontaine sagte einst: "Emanzen verhüten mit dem Gesicht". Das ist witzig und provokativ, aber meiner Ansicht nach nicht schlimm.

 Die "Weltwoche" bezeichnete die Mitglieder Ihres Vereins als "verschüchtert, weinerlich, wehleidig". Stimmt das?

 Der Artikel ist schlecht. Anlass zum Bericht war das erste Internationale Antifeminismus-Treffen (siehe Kasten). Die Journalisten wollten Randale sehen und Männer, die "Scheissweiber" schreien. Dem war aber nicht so. Wir sind kein Rudel Frauenhasser.

 Immer mehr Männer üben Frauenberufe aus und umgekehrt. Stört Sie das?

 Das ist gut und recht, jeder soll machen, was er will. Das Problem entsteht erst dort, wo sehr viele Frauen Kunstgeschichte oder Soziologie studieren, dann aber das Gejammere von Feministinnen losgeht, weil viele Frauen einen Hochschulabschluss haben, aber so wenige an der Spitze von Grossunternehmen stehen. Dann muss ich sagen: Ein Studium in Maschinenbau oder Wirtschaft wäre besser gewesen.

 Sind in Ihrem Verein auch Frauen dabei?

 Ja, etwa ein Achtel der Mitglieder ist weiblich.

 Was sind die Beweggründe der Frauen, dem Verein beizutreten?

 Schwierig zu sagen. Eigentlich könnte diesen Frauen die aktuelle Situation egal sein, sie profitieren ja. Ich weiss aber, das viele Mütter von Knaben Probleme haben mit feministischen Lehrerinnen, die Mädchen bevorzugen. Es kommen auch Frauen zu uns, die etwas gemacht haben aus ihrem Leben und sich das feministische Gejammere nicht mehr anhören wollen.

 Sie haben bestimmt auch schon Diskussionen mit Feministinnen geführt. Bleibt eine Diskussion da sachlich?

 Da muss ich Sie enttäuschen, ich diskutiere nicht mit Feministinnen. Es bringt nichts. Wissen Sie: Mit Gläubigen kann man auch nicht diskutieren, ob das, was sie glauben, richtig oder falsch ist.

 Seit den letzten Bundesratswahlen sind die Frauen im Bundesrat in der Mehrheit. Ein Problem für Sie?

 Früher hätte ich wohl gesagt: Oh Gott, nicht noch mehr Weiber. Das hat sich aber geändert. Ich finde, dass die Frauenmehrheit feministische Ideologien genau gleich trägt wie vorher die Männermehrheit. Ich mache mir nicht die Illusion, dass mit sieben Männern alles besser wäre. Das Bundesgericht, das am laufenden Band ungerechte Urteile bei Scheidungen ausspricht, ist ein gutes Beispiel: Die meisten Richter sind Männer. Feminismus ist kein Frauenproblem, sondern ein Problem der Menschheit.

 Im vergangenen Sommer erhielt Ihr Verein kein Konto bei der Zürcher Kantonalbank. Fühlen Sie sich akzeptiert in der Bevölkerung?

 Ja, ich behaupte bei mehr als 50 Prozent der Leute. Bei Diskussionen mit den Leuten höre ich oft das Wort "endlich". Endlich sagt mal jemand öffentlich etwas.

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 "Die Behörden haben Angst"

 Das erste Internationale Antifeminismus-Treffen musste wegen angekündigter Randale an einen geheimen Ort verlegt werden. Trotzdem ist Urs Bleiker mit dem Anlass zufrieden. "Wir haben etwas ausgelöst", ist er überzeugt. Kurz vor dem Treffen veröffentlichte das Bundesamt für Statistik Zahlen zu häuslicher Gewalt. Erstmals war der Anteil an Frauen als Täter höher angegeben. "Das war kein Zufall", ist Bleiker überzeugt. "Die Behörden krebsen zurück, weil es verheerend wäre, wenn ans Licht käme, dass sie jahrzehntelang gelogen haben." (azü)

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POLICE CH
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Bund 25.11.10

Bussen-Frust

 Wenn Polizisten Taubenfütterer jagen sollen

 Die Polizei wehrt sich gegen die geplante Ausweitung des Bussenkatalogs: Sie habe Wichtigeres zu tun, als für den Staat Geld einzutreiben.

 Antonio Cortesi

 Ein kürzlich gefällter Entscheid des Luzerner Kantonsrats gab in Polizeikreisen viel zu reden: Diesem zufolge muss die Polizei im kommenden Jahr 700 000 Franken mehr an Bussengeld einnehmen. "Damit werden wir vom Staat als Kassierer missbraucht", ärgert sich Max Hofmann, Generalsekretär des Verbands Schweizer Polizeibeamter. Primäre Aufgabe der Polizei müssten die Prävention und die Bekämpfung von Kriminalität sein.

 Bussen für alles und jedes

 Der Ärger ist verständlich. Denn die Tatbestände, bei denen die Polizei Bussen verteilen muss, haben massiv zugenommen. Dies vor allem wegen der Littering-Gesetze, die es bald in jeder Stadt gibt. Dabei muss die Polizei für alles Mögliche und Unmögliche den Bussenzettel zücken. Ein paar Beispiele:

 Auf den Boden spucken kostet in Wallisellen 30, in Gossau SG 60 Franken.

 Wer in Luzern die Zigarettenkippe aus dem Autofenster wirft, wird mit 40 Franken gebüsst.

 Öffentliches Urinieren kostet in Winterthur 80, in St. Moritz gar 150 Franken.

 In vielen Städten gibts zudem Bussen für das Wegwerfen von Kaugummis, öffentliches Erbrechen, unfachgemässes Entsorgen von Hundekot und fürs Taubenfüttern.

 Hinzu kommt für die Polizei der Frust, dass es schwierig ist, die Sünder in flagranti zu erwischen. Oder der Ordnungshüter wird einfach ausgelacht. Alex Bukowiecki, Littering-Experte des Schweizerischen Städteverbands, räumt denn auch "Probleme beim Vollzug" ein. Damit die Littering-Verbote nicht bloss "Papiertiger" bleiben, rät er den Behörden, "sich auf konzertierte Aktionen zu beschränken, verbunden mit Sensibilisierungskampagnen".

 Auslagerung "falsch"

 Um die Polizei zu entlasten, haben einzelne Gemeinden das Bussenverteilen an private Organisationen delegiert. Dies hält Max Hofmann jedoch für den falschen Ansatz: Beim direkten Kontakt mit fehlerhaften Personen könne es schnell brenzlig werden, besonders wenn Alkohol im Spiel sei. "Ordnungsbussen müssen deshalb eine hoheitliche Massnahme des Staates bleiben", sagt der Polizeibeamten-Sekretär.

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NLZ 25.11.10

Regierung will Schusswaffen
 
Transportpolizei

 red. Angehörige der Transportpolizei sollen mit Schusswaffen ausgerüstet werden können: Das schreibt die Zuger Regierung in ihrer Vernehmlassung zur Verordnung über die Sicherheitsorgane der Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr (VST) des Bundes.

 Den Aufgaben entsprechend

 Im Unterschied zum Sicherheitsdienst habe die Transportpolizei weitergehende polizeiliche Aufgaben, argumentiert Zug gegenüber dem Bund. Transportpolizisten hätten eine ordentliche Polizeiausbildung zu durchlaufen, die eine Ausbildung im Umgang mit einer Schusswaffe beinhalten. Sie seien ihren Aufgaben und der Gefährdungslage im öffentlichen Raum entsprechend auszurüsten. "Für eine Ausrüstung mit Schusswaffen spricht sodann der Umstand, dass heute schon auch die Einsatzkräfte des Grenzwachtkorps, der Kantonspolizeien und der Militärischen Sicherheit ihre Aufgaben in öffentlichen Verkehrsmitteln bewaffnet wahrnehmen."

 Kosten mit Kantonen absprechen

 Die Kosten sollen aber nicht über das Bestellverfahren zu Lasten des öffentlichen Verkehrs gehen, sondern sollen - geht es nach Zug - im Voraus mit den Kantonen vereinbart werden.

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BIG BROTHER
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WoZ 25.11.10

Bundeskriminalpolizei

 Der Bundes polizist und das Schoggiherz

 Ein Terrorermittler der Bundeskriminalpolizei übersetzt Abhörprotokolle. Plötzlich wird er selbst Gegenstand einer umfassenden Überwachung. Es folgt eine fristlose Entlassung. Eine Seifenoper aus dem Innern des "FBI der Schweiz".

 Von Dinu Gautier

 Am 21. August 2008 wird ein Bundespolizist fristlos entlassen. Thierry Vasale (alle Namen von PolizistInnen geändert) ermittelte zuletzt gegen Terrorismusverdächtige. Fünf Polizisten bringen ihn sofort nach Hause und ziehen dort seinen Dienstpfefferspray ein. Das Bundesamt für Polizei (Fedpol) informiert alle Polizeistellen, Vasale sei wegen "schwerer Dienstvergehen" gefeuert worden. Seither ist der 44-jährige Vater zweier Kinder arbeitslos.

 Gut zwei Jahre später sitzen fünf Beamte der Bundeskriminalpolizei (BKP) in einem Besprechungszimmer zusammen und lauschen ihrem Chef. Ihre Arbeit unterliegt strengen Sicherheitsbestimmungen, ermitteln sie doch in Fällen von Terrorverdacht, Menschenhandel oder organisierter Kriminalität. Der Abteilungsleiter "Ermittlungen Mitte" ermahnt die Anwesenden, vor Gericht keine Auskunft zu "operativen Fragen" zu geben.

 Im Briefing geht es weder um einen geplanten Schlag gegen die Mafia noch um das Abhören von Menschenhändlern, sondern um einen Betrugsprozess vor dem Kreisgericht Bern-Laupen - gegen den ehemaligen Mitarbeiter Thierry Vasale. Das Fedpol wirft ihm vor, mit der Stempeluhr getrickst zu haben. Das Delikt: neuneinhalb Stunden angeblich nicht geleistete Arbeitszeit. Anzeige erstattete die Fedpol nicht etwa kurz nach der Entlassung, sondern fast ein Jahr später, nachdem Vasale einen arbeitsrechtlichen Rekurs gewonnen hatte.

 Ein Freund? Oder Gott?

 Unschön an Strafverfahren ist - aus Sicht der Fedpol - das Öffentlichkeitsprinzip. Und so erstaunt es nicht, dass der Prozess, der am 8. November dieses Jahres beginnt, nicht wie sonst üblich auf der Homepage des Gerichts angekündigt wurde. Die Richterin ist denn auch sicht- und hörbar erstaunt, als der Reporter das Verhandlungszimmer im Berner Amthaus betritt.

 Der erste BKP-Zeuge wird gleich von der Richterin gerügt: "Das ist keine wahnsinnig tolle Anzeige, die Sie da geschrieben haben." Rasch wird klar: Die BKP-Kader haben ihren eigenen Mitarbeiter umfassend überwacht.

 Der Reihe nach: Als nach den Anschlägen des 11. September 2001 innert kürzester Zeit die Bundeskriminalpolizei, eine Art schweizerisches FBI, aufgebaut wurde, bekam auch der langjährige Gemeindepolizist Thierry Vasale eine Stelle bei der BKP-Zweigstelle in Lausanne. Dort war er fortan mit Geldwäschereifällen befasst. So habe man etwa die Geldwäschereimethoden eines Genfer Drogengrosshändlers aufklären können oder Korruptionsgelder in Millionenhöhe abgefangen und beschlagnahmt, die von Nordamerika via Schweizer Banken nach Vietnam hätten verschoben werden sollen. "Das waren hochkomplexe Ermittlungen", sagt Vasale heute. Eine spezifische Ausbildung hätten die Beamten zwar nie erhalten, mit der Zeit sei man aber "autodidaktisch besser geworden". Berufsbegleitend schliesst der Ermittler ein Jurastudium ab. Vor Gericht wird ein Bundesstaatsanwalt aussagen, Vasale habe "zu seiner vollsten Zufriedenheit" mit ihm zusammengearbeitet, er sei "proaktiv" und voller "guter Ideen" gewesen.

 Vasale, der sich selbst als eine Person beschreibt, die mitdenkt und auch Chefs zu kritisieren wagt, wechselt nach Problemen mit seinem Vorgesetzten im Jahr 2007 in die BKP-Zentrale nach Bern. Im Sommer 2008 wird er zu einer grossen, streng geheimen Antiterror ermittlung "abdetachiert". Seine Aufgabe: Übersetzung abgehörter Gespräche. Gearbeitet wird in einem sonst leer stehenden Grossraumbüro, wo bei grösseren Ermittlungen Beamte verschiedener Abteilungen zusammengezogen werden.

 Mit Max Lachs, dem Kommissariatsleiter für Terrorermittlungen, habe es Reibereien gegeben, sagt Thierry Vasale heute. "Ich machte ihn etwa darauf aufmerksam, dass wir möglicherweise nicht befugt sind, Gespräche abzuhören, wenn ein Verdächtiger im Ausland mit einer anderen Person redet, die ebenfalls im Ausland sitzt." Vasale behauptet, in den ersten Tagen im Detachement weder Arbeit noch einen Arbeitsplatz gehabt zu haben. Meinungsverschiedenheiten habe es auch mit dem Chefübersetzer gegeben: "Wenn die Verbindung schlecht ist und man nicht genau hört, ob jemand von Gott oder von einem Freund spricht, und man trotzdem einfach Gott ins Protokoll schreibt, dann finde ich das sehr heikel", so Vasale.

 Vasale isst ein Brötchen

 Was dann geschah, aus der Sicht der BKP-Kader: Am 11. August 2008 traten Max Lachs und Gottfried Brülisauer, stellvertretender Abteilungsleiter "Ermittlungen Mitte", aus dem Lift und sahen Vasale bei der Stempeluhr stehen. Vasale habe "komisch geschaut" (Lachs) beziehungsweise "sich unnatürlich verhalten" (Brülisauer). Dann habe er das Gebäude verlassen. Gottfried Brülisauer überprüfte daraufhin die Stempeluhrdatenbank und fand heraus, dass Vasale ein- statt ausgestempelt hatte. Was taten die beiden Kader nun? Sie "informierten die Linie". Aus dem Beamtendeutschen übersetzt: Sie petzten nach oben - bis zur Leitung der Bundeskriminalpolizei.

 Sofort wurden Massnahmen getroffen, um herauszufinden, was es mit dem komischen Blick und dem unnatürlichen Verhalten auf sich haben könnte. Gottfried Brülisauer wies den Mann am Empfang an, fortan jedes Betreten und Verlassen des Gebäudes des Verdächtigen minutengenau zu protokollieren und auch gleich noch zu schauen, ob er die Stempeluhr betätige. (Der Empfangsmann dazu: "Über den Auftrag habe ich mich schon gewundert, weil so etwas sonst nicht unsere Aufgabe ist.")

 Brülisauer kontrollierte von nun an elektronisch die Ein- und Ausstempelungen und begann ein "Journal" zu verfassen, in dem er säuberlich die Erkenntnisse im Fall Thierry Vasale protokollierte. Das im Gerichtssaal vor ihm liegende Journal will er der Richterin nicht aushändigen, obwohl darin, wie er selbst sagt, "keine operativen Angaben" enthalten seien. Später kommt das Journal - mit einigen geschwärzten Stellen - doch noch zu den Akten. In einem Begleitschreiben der Fedpol-Rechtsabteilung heisst es: "Das Journal enthält Namen bzw. Kurzzeichen von unbeteiligten Mitarbeitenden, die aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes abgedeckt wurden." Blöd nur, hat die Rechtsabteilung schludrig geschwärzt: Fünf zusätzliche BKP-Beamte bleiben identifizierbar.

 Zwei Einträge aus dem Journal:

 •  "Dienstag, 19.8.2008, 12 Uhr 06: Vasale stempelt aus. 12 Uhr 07: Vasale trifft in der Bäckerei Sterchi ein, wo sich gleichzeitig Lachs befindet. Vasale kauft 1 Stück Apfelkuchen und 2 Schoggiherz. Spricht Lachs an und sagt ‹Salut, les grandes esprits se rencontrent›."

 •  "Donnerstag, 21.8.2008, 6 Uhr 40: Bürokontrolle. Büro Vasale abgeschlossen. Mit Passepartout geöffnet. Vasale sitzt am Pult und isst ein Brötchen. Ist sichtlich überrascht."

 Dazwischen wird jede Bewegung Vasales protokolliert. Man hat jetzt nicht mehr nur Zugriff auf die Stempeluhr, sondern auch aufs interne Badge-Sicherheitssystem. Brülisauer erfährt, wann und wo Vasale Türen öffnet. Dem Gericht wird die Fedpol aber nur eine Liste der ersten vier Tage überreichen. Den Rest habe man gelöscht.

 Mal sind es drei Minuten, ein anderes Mal 59 Minuten, die Brülisauer zur Betrugssumme hinzuzählt. Er gibt dem Gericht als weiteren Beweis zwei Fotos ab. Aufgenommen wurden sie aus seinem Büro im 4. Stock. Sie zeigen einen Mann (Vasale?) von oben, im Joggingtenue vor dem geheimnisvollen Gebäude am Hol zi ko fen weg 8 (vgl. "Bäckerei, HW8 und geheime Telefonnummern"). Journal: "12 Uhr 50: Lachs begibt sich in den Duschraum EG. Müller erzählt, dass sich vorher Vasale hier bereit gemacht und zum Joggen gegangen sei. 12 Uhr 55: Lachs begibt sich nochmals in den Duschraum. Kleider von Vasale hängen in der Dusche. Lachs fotografiert sie." Zur Erinnerung: Der Mann, der hier die Treppen rauf- und runterläuft, um die Kleider eines Mitarbeiters zu fotografieren, ist Kommissariatsleiter für Terrorismusermittlungen …

 Von der Buchbinderin zur Ermittlerin

 Neben der Stempeluhr von Vasale wird auch jene von Antoinette Galurin überwacht. Die heute 35-Jährige verbrachte mehrmals Mittagspausen mit Vasale. Vor Gericht verweigert sie auch Antworten auf Fragen, die sich nicht auf "Operatives" beziehen. Man erfährt aber, wie man heutzutage Mitarbeiterin der Fedpol wird. Max Lachs sagt aus, dass die Frau eines Arbeitskollegen Galurin als Mitarbeiterin empfohlen habe. Galurin ist gelernte Buchbinderin, nach der Lehre verkaufte sie Stoff (Textilien - nicht Drogen). Vom Fedpol wurde sie ursprünglich befristet im Stundenlohn angestellt, war "operativ tätig". Was heisst das? Von der Textilienverkäuferin direkt zur verdeckten Ermittlerin? Darauf gibt es keine Antwort. Seit August 2008 ist sie jedenfalls fest im Kommissariat Terrorermittlungen angestellt, zuständig für Adminis tratives.

 Vasale ist ungehalten, als Antoinette Galurin aussagt. Er schreit. Er ist überzeugt, die Chefs hätten sie als Spitzelin auf ihn angesetzt. Sie habe ihn verleitet, längere Mittagspausen zu machen. Am Tag seiner Entlassung habe sie ihn gebeten, bei ihr zu Hause Möbel umzustellen. Das sei ein Vorwand gewesen, damit die Chefs im Gebäude ungestört seine fristlose Entlassung hätten vorbereiten können. Galurins Vorgesetzte bestreiten, sie auf Vasale angesetzt zu haben. Auf die Frage, ob sie auf Geheiss der Vorgesetzten oder aus Zufall in jener Zeit ihre Mittagspause mit ihm verbracht habe, antwortet Galurin etwas kryptisch: "Das geschah freiwillig."

 Nach zwei Verhandlungstagen wird nicht wie geplant ein Urteil gefällt. Es wird aus Zeitgründen ins nächste Jahr verschoben. Gegenstand des Urteils wird lediglich die Frage sein: War das ein Betrug nach Strafgesetzbuch? Eine andere Frage bleibt dagegen offen: Würde ein Staat einer solchen Truppe vertrauen, gäbe es tatsächlich ernsthaften Grund zur Annahme, Terrorist Innen könnten ihm gefährlich werden?

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 Auf Häusersuche

 Bäckerei, HW8 und geheime Telefonnummern

 Die Fedpol-Kader geben sich vor Gericht redlich Mühe, diskret zu bleiben. Einer wird während des Prozesses gefragt: "Wo befindet sich das Kommissariat für verdeckte Ermittlungen?" Antwort: "Hierzu bin ich nicht befugt, Aussagen zu machen. Ich weiss nicht, wo das Kommissariat Verdeckte Ermittlungen seinen Stand ort hat." Lieber redet man in Codes. Das Gebäude, in dem Thierry Vasale gearbeitet hat, heisst HW8. Hauptwache 8? Eine Suche im Internet ergibt nur Treffer in Umweltberichten des Fedpol. Keine Adresse, keine Angaben über die Zahl der dort angestellten Mit ar bei ter In nen. Auf einer internen Mitarbeiterliste der Bundesverwaltung sind normalerweise Name, Kürzel, Büro- und Telefonnummern vermerkt. Bei allen Personen aus HW8, die im Prozess auftauchen, fehlen Büro- und Telefonnummern.

 Bekannt ist nach den Zeugenbefragungen lediglich, dass es in der Nähe von HW8 eine Bäckerei Sterchi und eine Tramhaltestelle gibt (vgl. Text oben). In Bern und Umgebung sind sechs Bäckereien des Unternehmens Sterchi im Telefonbuch. Nur eine davon in der Nähe von Tramgleisen: im Weissenbühlquartier, an der Tramlinie 3. Eine Sichtung der Umgebung per Google Earth zeigt, dass in der Nähe vor allem Mehrfamilienhäuser und Villen stehen. Nur drei Gebäude dürften Bürobauten sein. Davon steht eines am Holzikofenweg 8. Bingo: HW8. Keine Einträge im Telefonbuch zu dieser ­Adresse. dig

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BIG BROTHER SPORT
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Bund 26.11.10

Die Pyrofackel - Gefahr und Garant für die Stadionatmosphäre

 Für die Fans ist die Pyrofackel ein Symbol der Freiheit, ihren Verein so zu feiern, wie sie wollen. In der Politik könnte sie nun zu einem heissen Thema werden.

 Marc Schiess

 "Wer kennt diesen Mann?" Unter diesem Titel veröffentlichte die Kantonspolizei Bern vorgestern ihren neusten Fahndungsaufruf im Internet. Gesucht wird ein Schnauzträger mit umgehängtem Fanschal. Von Überwachungskameras geschossene Bilder des Verdächtigen ergänzen den Beschrieb. Der Betreffende wird verdächtigt, an der Finalissima YB - FCB am 16. Mai "Pyrotechnika - Leuchtfackeln - ins Stadion hineingebracht und in den Fansektoren gezündet" zu haben.

 Entbrannt ist mittlerweile auch in der Politik eine Diskussion, mit welchen Mitteln das Problem des illegalen Feuerwerks in Stadien gelöst werden soll. Dass die bis zu 2000 Grad heissen, nicht löschbaren Fackeln in den Fanzonen für die umstehenden, oft dicht gedrängten Personen potenziell lebensgefährlich sind, wird weder von links noch rechts bestritten. Dass die rot gleissenden Fackeln zu einem stimmungsvollen Fussballmatch gehören, ist für viele Fans jedoch ebenso selbstverständlich.

 Kontrollierte Abschüsse

 Die Delegiertenversammlung der SP Stadt Bern beschloss nun als erste Partei ein Positionspapier zum Thema Fanarbeit. Darin wird eine Idee präsentiert, die beide erwähnten Aspekte der Leuchtfackel berücksichtigt. Gemäss Auskunft von SP-Grossrätin Flavia Wasserfallen sollen in einem abgesperrten Bereich der Fankurve kontrolliert Leuchtfackeln gezündet werden können. "Mit der heutigen Regelung kommt es eher zu gefährlichen Situationen", erklärt Wasserfallen.

 Ob die Idee wirklich umsetzbar wäre, wird von Nationalrätin Christa Markwalder (FDP) bezweifelt: "Ich kann mir nicht vorstellen, dass es sicherheitstechnisch machbar ist, Orte einzurichten, wo solche Leuchtkörper abzufeuern wären". Zudem sei das Pyro-Verbot nicht da, um Fans zu schikanieren, sondern um Besucher zu schützen.

 "Idee ist absoluter Humbug"

 Totale Ablehnung erfährt die SP-Idee von SVP-Nationalrat Adrian Amstutz: "Es ist absoluter Humbug, in Stadien das Abfeuern von Pyrotechnika zu erlauben." Man solle dafür nicht noch "Spielplätze" einrichten.

 Nicht ganz unerwartet steht die - neben Markwalder und Amstutz - dritte Ständeratskandidatin Ursula Wyss (SP) der von der Stadtberner SP vorgeschlagenen Massnahme wohlwollend gegenüber: "Es ist ein sinnvoller Vorschlag, da er ermöglicht, das Bedürfnis der Fans nach Feuerwerk in einer sicheren Art zu befriedigen, bei der niemand zu Schaden kommt."

 Frei sein, auch spontan zu zünden

 Ob die Fans die legalen Abschussplätze dann auch benutzen würden, ist aber alles andere als sicher. Der kürzlich von der "Berner Zeitung" interviewte "P. J.", ein YB-Fan, der regelmässig Pyrofackeln ins Stadion schmuggelt und abbrennt, freut sich zwar, "aus der Politik mal was anderes zu hören". Seiner Ansicht nach würde die Legalisierung aber nichts bringen, wenn sie mit unzähligen Auflagen verbunden wäre. Der 24-jährige Student betonte, dass man in der Fankurve frei sein wolle, "auch spontan zu zünden - etwa nach einem Torerfolg oder wenn ein euphorisches Lied angestimmt wird". Eine Gefährdung der umstehenden Personen ist für ihn nicht gegeben: "So, wie wir die Fackeln brauchen, tendiert die Unfallgefahr gegen null."

 Österreich mit Ausnahmeregel

 Die Frage, ob "P. J." ein ungefährlicher Biedermann ist, wie er sich selber sieht, oder ein Brandstifter wird zurzeit vom Gesetz noch klar mit Zweiterem beantwortet: Die Verwendung von pyrotechnischen Gegenständen in Menschenmengen wird gemäss Artikel 225 des Strafgesetzes sowie Artikel 37 des Sprengstoffgesetzes mit bis zu fünf Jahren Gefängnis bestraft. Anders in Österreich: Wie der Onlineausgabe der österreichischen Zeitung "Der Standard" zu entnehmen ist, dürfen im östlichen Nachbarland seit Beginn der aktuellen Saison erstmals seit 1974 legal Pyrofackeln gezündet werden. Dies dank einer Ausnahmebestimmung im Pyrogesetz.

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ANTISEMITISMUS
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Tacheles Nr. 47 26.11.10

STUDIE ZUR JÜDISCHEN ZEITGESCHICHTE IN DER SCHWEIZ

 Antisemitismus in der Nachkriegszeit

 Der Historiker Zsolt Keller hat in seiner soeben erschienen Studie die Geschichte des Ressorts "Abwehr und Aufklärung" des Schweizerischen lsraelitischen Gemeindebunds aufgearbeitet. Das Buch gibt einen Einblick in den Schweizer Nachkriegsantisemiti‘smus sowie seine Bekämpfung durch den Gemeindebund zwischen den Jahren 1943 und 1960. In einem Vorabdruck publiziert tachles Textauszüge aus dem Buch.

VON ZSOLT KELLER

 Das Ende des Zweiten Weltkrieges erlebte die Schweiz in einer gewissen Kontinuität. Die Selbstwahrnehmung breiter Bevölkerungsschichten war vom Gefühl geprägt, eine historische Bewährungsprobe als Kleinstaat bestanden zu haben. Das Schweizer Judentum wurde vom direkten Zugriff des Hitler-Regimes zwar verschont, war aber während den Verfolgungen und der Ermordung eines Grossteils der europäischen Juden isoliert.
Die Zeit der Bedrohung erlebte es in einem Zustand der "Lähmung, Anpassung und Empörung zugleich" (Jacques Picard). Die Schoah hinterliess neben unzähligen Toten und einer Vielzahl von Heimatlosen auch tiefe emotionale Wunden.
Dementsprechend stellte sich die Realität des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebunds (SIG) anders als die der nicht jüdischen Schweiz dar. Das Moment einer erfolgreich bestandenen Bewährungsprobe liess sich ins Geschichtsbild der jüdischen Schweiz kaum integrieren.
Die beiden Realitäten mit ihren jeweiligen Geschichtsbildern waren nicht vereinbar.
Während die Exponenten des SIG immer wieder auf das Schicksal der Verfolgten und auf die sechs Millionen Opfer der Schoah und damit verbunden des Antisemitismus hinwiesen, brachte ihre Umwelt dem Leiden, ausgelöst durch die nationalsozialistischen Judenverfolgungen, wenig Sensibilität entgegen. 1945 bildete die Wahrnehmung respektive die Rezeption der nationalsozialistischen Judenverfolgung und -vernichtung eine unüberwindbare Trennlinie zwischen der jüdischen Schweiz und der überwiegenden Mehrheit ihrer Umwelt. [...] Die Schoah galt als ein Teil der deutschen Geschichte. Der letale Antisemitismus richtete sich nicht gegen die "jüdischen Mitbürger" in der Schweiz. Eine Sichtweise, die auch Pascal Delamuraz in der Schweizer "Weltkriegsdebatte" Mitte der 1990er Jahre artikuliert. Mehr noch: Jegliche Kritik des Gemeindebundes am Verhalten der Schweiz galt in den unmittelbaren Nachkriegsjahren in den Augen der Behörden als unstatthaft und stand im Verdacht der "Undankbarkeit". [...]

Der Gemeindebund blickte 1945 einer unsicheren Zukunft entgegen. Den Antisemitismus sahen seine Exponenten als bei weitem nicht überwunden an. Im Gegenteil, sie rechneten fest mit einem Erstarken judenfeindlicher Tendenzen am Ende des Krieges. Mit dem 1944 neu geschaffenen Ressort "Abwehr und Aufklärung", dem die "Kommission des SIG zur Abwehr des Antisemitismus" angegliedert war, stellte sich der Gemeindebund den neuen Herausforderungen. Die 1936 gegründete Pressestelle des SIG, die Juna, stand ihm zur Seite.

 Versuch der strafrechtlichen Ahndung des Antisemitismus

Die Gremien des SIG verfolgten bei der "Abwehr" des Antisemitismus im Wesentlichen zwei Stossrichtungen: Eine erste Stossrichtung versuchte, eine juristische Verfolgung des Antisemitismus in Form einer "Kollektivehrverletzung respektive -beleidigung" im Schweizer Rechtssystem zu erreichen. Ausgangspunkt dieser Bestrebungen war eine im Krieg erlassene Notverordnung des Bundesrates, die unter der Bezeichnung "Demokratieschutzverordnung" unter anderem auch eine Ahndung der Hetze gegen einzelne Gruppen ihres Glaubens oder ihrer Rasse wegen vorsah. Bedingung zur Ahndung solcher Vorfälle wäre allerdings gewesen, dass der Antisemitismus, als Aufruf zum Hass und zur Verfolgung der jüdischen Bevölkerungsgruppe verstanden, eine Definition als juristischer Tatbestand erfahren hätte.

 Das politische Mittel zum Erreichen seiner Forderungen sah der Gemeindebund in Eingaben, die er vornehmlich an den Bundesrat und die Bundesanwaltschaft richtete, sowie in der Pflege vielfältiger Kontakte zu Parlamentariern und in die oberen Etagen der eidgenössischen Verwaltung. Führender Kopf dieser Kontaktnahmen war Georges Brunschvig, der von Bern aus die Geschicke des Gemeindebundes leitete. [...]

Einer juristischen Verfolgung von antisemitischen Fällen entzogen sich die eidgenössischen Verfolgungsbehörden nach dem Krieg konsequent. Die Bundesanwaltschaft war bestrebt, in einer Zeit des Abbaus des bundesrätlichen Notrechts keine Präzedenzen zu schaffen. Die Bundesanwaltschaft pathologisierte die Antisemiten und ihren Antisemitismus. Die "Judenfrage" war in den Augen der Bundesanwaltschaft auch nach dem Krieg gerechtfertigt. Die "Demokratieschutzver-Ordnung)" wurde ausser Kraft gesetzt und der Schutz, der allerdings nie eine juristische Anwendung erfuhr, ging verloren.

 Die Bestrebungen des SIG von 1949/50, bei einer Teilrevision des Schweizerischen Strafgesetzbuches eine Strafbarkeit antisemitisch motivierter Ausserungen und Taten als "Kollektivbeleidigung" zu erreichen, scheiterten am Widerstand weiter politischer Kreise, die eine massive Einschränkung der von der Verfassung garantierten Meinungs- und Pressefreiheit beftirchteten. Der Bundesrat lenkte ein und liess die Forderung des SIG fallen. Die Schweizer Juden waren antisemitischen Anfeindungen, die von der Schweiz ausgingen, bis zur Einführung der "Antirassismus-Strafnorm" im Jahre 1995 schutzlos ausgeliefert. Gegen antisemitische Pamphlete aus dem Ausland bot der "Bundesratsbeschluss vom 29. Dezember 1948 betreffend staatsgefährliches Propagandamaterial" hingegen Schutz. Die Gründung des Staates Israel verschaffte dem Judentum völkerrechtliches Gewicht. Mit Blick auf den Schutz der guten politischen und wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der Schweiz und Israel schritten die Bundesbehörden bei antisemitischen Postsendungen aus dem Ausland - auch auf die Bitte des SIG hin - vehement und mit Nachdruck ein. [...]

"Bei uns wie überall?"

Die Auseinandersetzung mit der Schweizer Geschichte geht sehr oft mit der positiv gewerteten Einsicht einher, dass diese von einer grossen Kontinuität geprägt sei. Leider trifft diese Feststellung auch auf den Antisemitismus zu. Die rhetorische Frage "Bei uns wie überall?", mit der Friedrich Külling seine Dissertation 1977 überschrieb, zeugt von einer Tabuisierung und Ausblendung des Antisemitismus als Bestandteil des helvetischen Alltages und der Schweizer Geschichte. Der SIG verstand den Antisemitismus primär als einen BegrifL den es aus einer juristischen Perspektive zu definieren galt. All seine Bemühungen im Kampf gegen den Antisemitismus in der Schweiz galten genau diesem Bestreben, dem jedoch kein Erfolg beschieden war.
 Eine zweite Perspektive, die der Gemeindebund gegenüber dem Antisemitismus in der Schweiz einnahm, war eine theologische. Der Antisemitismus galt in dieser Leseart als theologisch interpretierbarer Begriff, der durch den gegenseitigen Dialog zwischen Judentum und Christentum überwunden und in eine positive Definition des Gegenübers umgewandelt werden konnte. Diese Diskussion wurde vorwiegend von den Rabbinern in der Schweiz geführt und entzog sich dadurch über weite Strecken der "Kontrolle)) des SIG. [...]

Noch während meiner Rekrutenschule Mitte der 1990er Jahre habe ich erlebt, dass wir einen "gestampften Jud", eine Fleischkonserve, ‚vorgesetzt bekamen.
Das Judenfeindliche und Unappetitliche dieses Ausdruckes ging im männerbündischen Gebaren unter. Immerhin legten einige meiner Mit-Rekruten die Büdhse auf die Seite. Ob aus Ekel oder Protest kann ich nicht beurteilen. Mich störte dieser Begriff sehr, er machte wütend.
Abwiegelnd wurde mir versichert, dass die Bezeichnung ja nicht böse - und schon gar nicht antisemitisch - gemeint sei. Diesen Ausdruck "kannte man halt". Der Vater sprach davon, der Bruder kannte ihn auch. Erinnerungen verbinden. Mit Blick auf die, die nichts vom "gestampften Jud" essen wollten, war von einer "Übersensibilität" die Rede. Argumente, die sich auch in der unmittelbaren Nachkriegszeit in der Presse und in Korresponden-zen finden lassen. Einige Jahre später bekam ich als Student Akten des Gemeindebundes in die Hände. Der SIG hatte sich bezüglich des "gestampften Jud" bereits 1962 bei den militärischen Stellen beschwert. Diese versprachen, dieser Unsitte Einhalt zu gebieten. Der "gestampfte Jud" hielt sich jedoch im militärischen Sprachgebrauch kontinuierlich und hartnäckig weiter.

 Der Gemeindebund blieb dem Antisemitismus gegenüber bis zum heutigen Tage wachsam und passte seine Abwehrarbeit den Gegebenheiten der Zeit an. Der latente oder manifeste Antisemitismus, so wie er sich in den Augen des SIG präsentierte und nach wie vor präsentiert, wird bis auf den heutigen Tag im Archiv des Gemeindebundes dokumentiert. Die Analyse des Antisemitismus muss weitergehen, da er eine die Demokratie zersetzende Wirkung hat. Deshalb kann und darf nicht nur der Gemeindebund grösstes Interesse daran haben, antisemitische Erscheinungsformen zu kennen und ihnen entgegenzutreten. Hier sind alle Bürgerinnen und Bürger eines demokratischen Staates gefordert.

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ASYL
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BZ 26.11.10

Ohrfeige für Blocher und Widmer-Schlumpf

 Asylgesetz Die Ständeratskommission schickt die Asylgesetzrevision zurück ans Justizdepartement - Bundesrätin Sommaruga solls nun richten.

 Das Justizdepartement muss neue Vorschläge für die Asyl- und Ausländergesetzrevision erarbeiten. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Änderungen hat die staatspolitische Kommission des Ständerats diese Woche einstimmig zurückgewiesen. Mit der Begründung, die Gesetzesänderungen seien "Pflästerlipolitik". Vielmehr müsse der Vollzug gestrafft und verbessert werden.

 Die Ablehnung der Kommission sei ganz grundsätzlich, wie Rolf Büttiker (FDP, SO) auf Anfrage sagt. "Bei jeder Asylgesetzrevision hat man versprochen, das Asyl- und Ausländerwesen werde jetzt reorganisiert, danach sei alles besser. Schon Christoph Blocher hat das gesagt." Tatsächlich sei mit allen Gesetzesrevisionen der letzten Jahre nie eine Verbesserung eingetreten.

 "Das Problem liegt nicht beim Gesetz, sondern beim Vollzug. Dieser muss gestrafft werden", sagt Büttiker. Doch die Kommission übte auch Detailkritik. Der umstrittenste Änderungsvorschlag des Bundesrats war die Abschaffung der Möglichkeit, auf Schweizer Vertretungen im Ausland Asylgesuche stellen zu können. "Wenn die Leute im Ausland keine Asylgesuche mehr stellen können, kommen sie eben in die Schweiz", sagt Büttiker. Auch die Halbierung der Beschwerdefrist in Asylverfahren von 30 auf 15 Tage stiess auf Kritik sowie die Ablösung der Hilfswerke bei den Anhörungen der Asylbewerber.

 Weiter hatte der Bundesrat vorgeschlagen, politische Tätigkeiten in der Schweiz, die nur dem Flüchtlingsstatus dienen sollen, strafrechtlich zu verfolgen.

 Die Absage an all diese Vorschläge ist nicht nur eine Rüge an Eveline Widmer-Schlumpf, die als Justizministerin die Vorlage verantwortet hat. Man wolle der neuen Departementsvorsteherin Simonetta Sommaruga auch die Chance geben, im Ausländer- und Asylbereich selber Pflöcke einzuschlagen.

 Claudia Blumer, Newsnetz

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Landbote 26.11.10

Ständeräte für starke Verkürzung des Asylverfahrens

 Die Staatspolitische Kommission des Ständerates ist mit den Vorschlägen des Bundesrates zur Verschärfung des Asyl- und Ausländerrechts nicht zufrieden.

 Bern - Bis Ende März soll nach dem Willen der Ständeratskommission die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga prüfen, wie das Asylverfahren "grundlegend und wesentlich" verkürzt werden könnte. Kommissionssekretär Martin Graf bestätigte gestern eine entsprechende Meldung von "Tages-Anzeiger"/Newsnetz. Die Kommission hatte den Entscheid vom Dienstag nicht bekannt gegeben. Kommissionsmitglied Rolf Büttiker (FDP, SO) sagte auf Anfrage, der Prüfungsauftrag komme einer Rückweisung gleich. Der Entscheid fiel laut Büttiker einstimmig. Die Kommission sei mit den Vorschlägen der früheren Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf nicht zufrieden, es handle sich um "Pflästerlipolitik". Das Problem liege primär beim Vollzug, dieser müsse gestrafft werden.

 Der Bundesrat hatte im Mai Änderungen des Asyl- und Ausländerrechts verabschiedet - mit dem Ziel, den Vollzug zu beschleunigen und die Attraktivität der Schweiz als Asylland zu senken, wie Widmer-Schlumpf damals sagte. Nach dem Willen des Bundesrates soll es nur noch in bestimmten Ausnahmefällen Nichteintretensverfahren geben. In allen übrigen Fällen soll ein rasches und einheitliches materielles Verfahren durchgeführt werden. Die Beschwerdefrist will der Bundesrat von 30 Tagen auf 15 Tage verkürzen. Als flankierende Massnahme zum gestrafften Verfahren sollen Hilfswerke den Asylsuchenden eine vom Bund finanziell unterstützte allgemeine Beratung anbieten. Abschaffen will der Bundesrat weiter die Möglichkeit, ein Asylgesuch in einer Schweizer Botschaft im Ausland einzureichen. Auch bei den Asylgründen will der Bundesrat die Schraube anziehen. Dienstverweigerer und Deserteure sollen kein Asyl erhalten, wenn nicht noch andere Asylgründe vorliegen. (sda)

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AUSSCHAFFUNGEN
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WOZ 25.11.10

"Aufruf der Hundert"

 Der Ort, die Zeit, das Wort

 Die Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative und den ­Gegenvorschlag von diesem Wochenende hat viele ­ KünstlerInnen mobilisiert. Kunst+Politik hat dazu einen "Aufruf der Hundert" veröffentlicht.

 Von Adrian Riklin

 Ein Jahr ist vergangen, seit sich die Mehrheit der Schweizer StimmbürgerInnen für das Minarettverbot ausgesprochen hat. Der vorläufige Höhepunkt von Verschärfungen in der Ausländerpolitik hat zu einer ausserparlamentarischen Opposition geführt. So etwa haben sich neben dem Club Helvétique, der sich für eine Stärkung der Demokratie (und die Rechte von Minderheiten) einsetzt, unter dem Namen Kunst+Politik Schriftstellerinnen und Künstler zusammengetan: Sie wollen sich mit ihren Mitteln in die öffentliche Diskussion einbringen und so der ausländerfeindlichen Stimmung eine Kraft entgegensetzen (siehe WOZ Nr. 38/10).

 Die drohende Annahme der Ausschaffungsinitiative (oder des Gegenvorschlags) hat zusätzliche Kräfte mobilisiert. Die drei von Kunst+Politik lancierten Kurzfilme "Vor die Tür" des Filmemachers Micha Lewinsky haben eine Beachtung gefunden, die die Erwartungen weit übertroffen hat. Das gilt auch für die mediale Präsenz einer von Kunst+Politik organisierten Veranstaltung im Zürcher Theater Neumarkt vor zwei Wochen - mit AutorInnen wie Erica Pedretti, Ruth Schweikert, Melinda Nadj Abonji, Franz Hohler oder Peter Stamm.

 Pflichtliteratur - Pflichtlektüre?

 Tief blicken liess die Diskussion dazu auf "Tagesanzeiger Online" - oder eher: die überwältigende Zustimmung zur zynischen Onlineberichterstattung. 180 LeserInnen taten ihre Meinung kund, drei Viertel entpuppten sich als glühende BefürworterInnen der menschenrechtsfeindlichen Initiative. Zum Ausdruck brachten sie einmal mehr den Hass auf "Intellektuelle". Ein weiteres Beispiel dafür, wie breitensporttauglich das Bashing geworden ist   - und wie es von Medienkonzernen angeheizt wird.

 Ein direkter Zusammenhang zwischen intellektuell und kriminell wurde noch nicht hergestellt: Und doch sieht sich der nachdenkliche Künstler bei solchem Zeitgeist mit der Frage konfrontiert, ob es nicht besser wäre, sich auf die eigentliche Arbeit zu konzentrieren (unter der Voraussetzung, dass es sich dabei um Auseinandersetzungen mit menschlichen und also gesellschaftlichen Verhältnissen handelt)   - statt sich im Aktivismus zu verausgaben. Will heissen: die handwerkliche Aufgabe auf sich zu nehmen und an Gedanken, Satzgebilden und Sprachbildern zu arbeiten, die sich nötigenfalls auch noch in fünfzig Jahren einsetzen liessen. Wie jener Satz von Max Frisch aus dem Jahre 1955: "Wir riefen Arbeitskräfte, und es kamen Menschen."

 Ansonsten kann die voreilige Funktionalisierung des Wortes im Dienst einer politischen Sache umgehend im Flachgebiet gut gemeinter Parolen enden. Solche sind auch im "Aufruf der Hundert" auf der Website von Kunst+Politik zu finden. Zuweilen hat man den Eindruck, man lese Arbeiten von LiteraturstudentInnen, die dazu geprügelt wurden, ein paar originelle Sätze zum vorgegebenen Thema zu verfassen.

 Was auf die Pflichtliteratur folgt, liegt auf der Hand: Pflichtlektüre. Doch ist Literaturkritik fehl an diesem Platz. Hier geht es nicht um einen Talentwettbewerb. Es geht um Recht. Kommt hinzu: Der Fluch der Schriftstellerin, die sich öffentlich zu Wort meldet, um ihre Haltung zur politischen Situation kundzutun, besteht zunehmend darin, dass sie zunächst als Fotomodell wahrgenommen (und bewertet) wird, dann als Autorin - und erst viel später, wenn überhaupt, als Citoyenne.

 Realpoetisches Einleuchten

 Vielleicht besteht die Kunst unter solchen Bedingungen darin, auf möglichst alle äusseren Erkennungsmerkmale der Kunst zu verzichten: nicht also im künstlerischen Kleid aufzutreten, sondern überhaupt erst den Ort und den Zeitpunkt für das passende Wort zu finden und den Ton. Wer sucht, der findet solche Worte auch im "Aufruf der Hundert": Sätze, die auch noch in fünfzig Jahren in einem Schulbuch stehen könnten. Zeitlos aktuelle Sätze, die vor den Abstimmungen auf grossen Plakaten geschrieben stehen sollten - und auch in den Tagen und Jahren danach. Texte, die nicht pseudopolitisch blenden, sondern realpoetisch einleuchten. Zum Beispiel Franz Hohlers "Gegenvorschlag":

 "Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert: / Art. 121 Abs. 3-5 (neu) / I / 3 im Wissen darum, dass ohne sie / a) weder Häuser, Strassen noch Tunnels gebaut würden, / b) weder Spitäler, Alters- und Pflegeheime, Hotels und Restaurants betrieben würden, / c) weder Abfall, Reinigung, Verkehr und Informatik bewältigt würden, / bedankt sich die Eidgenossenschaft bei allen Ausländerinnen und Ausländern, die hier arbeiten. / Sie gibt ihrer Freude darüber Ausdruck, dass sie mit ihrer Tätigkeit das Leben in unserem Lande ermöglichen und heisst sie als Teilnehmer dieses Lebens willkommen.   / 4 Sie hofft, dass es ihnen gelingt, sich mit den hiesigen Gebräuchen vertraut zu machen, ohne dass sie ihre Herkunft verleugnen müssen. / 5 Sollten sie straffällig werden, unterliegen sie denselben gesetzlichen Bestimmungen wie die Schweizer Bürgerinnen und Bürger. / II / Übergangsbestimmungen: / Dieser Gegenvorschlag bedarf nicht der Volksabstimmung. Er tritt für jedermann vom Moment an in Kraft, da er dessen Richtigkeit erkannt hat."

 Nach der Abstimmung ist vor der Abstimmung. Oder frei nach Max Frisch: Jetzt nur die Wut nicht verlieren - und die Sprache.

 Alle Texte unter dem Titel "Aufruf der Hundert" unter: http://www.kunst-und-politik.ch

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 Reporter ohne Grenzen

 "Bilder zum Lesen"

 Für einmal thematisiert die Organisation Reporter ohne Grenzen nicht die von Krieg und Gewalt geprägte Aktualität. Der neue Fotoband mit den hundert Bildern zur Pressefreiheit nimmt einen mit auf eine Welt- und Zeitreise durch die vergangenen fünfzig Jahre - betrachtet durch die Linse des Schweizer Fotografen Jean Mohr. "Bilder zum Lesen" wünschte sich Mohr in dem Band versammelt. Poetische Blicke auf eine Welt des Mysteriösen und Schönen. Denn auch das sind Bilder gegen das Vergessen. Sie zeugen von Alltagssituationen und Lebensweisen in Palästina, Nordkorea oder Griechenland, die längst verschwunden sind.

 Im Begleittext zum Buch bezeichnet Schriftsteller John Berger seinen Weggefährten als zurückhaltenden Beobachter, dessen unerschütterlicher Realismus von einer geheimen Vision inspiriert sei. Ein bemerkenswertes Kompliment an einen Fotografen, der an der Seite humanitärer Organisationen jahrzehntelang Schauplätze von Krieg und Katastrophen dokumentiert hat. mei

 Reporter ohne Grenzen: "Jean Mohr. 100 Bilder für die Pressefreiheit". Labor et Fides. Genf 2010. 144 Seiten. 16 Franken.

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WoZ 25.11.10

Kommentar

 Es gibt eine andere Schweiz

 Von Franz Hohler

 Nach einem Gespräch mit einem SVP-Gemeinde rat auf dem Markt in Oerlikon überlegte ich mir, ob ich irgendetwas gegen die Enge des Bildausschnittes tun könnte, der aus der Ausschaffungsinitiative spricht. Ich beschloss dann, auch einen Verfassungsartikel vorzulegen, schrieb einen "Gegenvorschlag", der den Blick auf die Frage etwas erweiterte, und schickte ihn der Kulturredaktion des "Tages-Anzeigers". Dort erschien er am 1. November, und ab dann trat er einen Gang an, der mich in Erstaunen versetzte.

 Er wurde von vielen, die ihn gelesen hatten, kopiert und weitergereicht, er machte als E-Mail-Attachment die Runde, fand Eingang in Predigten, Pfarrblätter und Facebook, in Schulhäuser, Klassenzimmer und Grossraumbüros, er schlich sich als Leserbrief in die Zeitungen, es gab spontane Sammlungen, damit er als Inserat erscheinen konnte, in Gemeindeanzeigern, Tageszeitungen und Gratisblättern, viertelseitig, halbseitig, ganzseitig, zum Teil mit den Unterschriften derjenigen, die die Publikation mittrugen, zum Teil wurde eine Anzeige auch von Einzelnen bezahlt, Schülerinnen und Schüler, die etwas beitragen wollten, "weil wir noch nicht abstimmen dürfen", verteilten ihn in Trams und Bussen, Studentinnen und Studenten klebten ihn frühmorgens auf die Titelseiten der Gratiszeitungen oder hängten ihn als handgeschriebenes Plakat auf, eine Frau vergrösserte ihn auf Weltformat und stellte sich damit auf den Marktplatz, um mit den Leuten zu diskutieren, mein Nachbar brachte ihn von einem Café nach Hause, in dem er zum Mitnehmen auflag, eine Schulvorsteherin ergänzte ihn um einen weiteren Artikel, der die ausländischen Schulkinder mit einbezog, meine Mailbox füllte sich so schnell, dass mir der Provider den Speicherplatz erweiterte, eine Frau schrieb mir, ihr seien im Zug die Tränen gekommen, als sie das "20 Minuten"-Inserat gesehen habe, ein Gymnasiast schrieb, er habe meinen Gegenvorschlag in "seine persönliche Verfassung" aufgenommen - ich bin überwältigt.

 Wie immer die Abstimmung ausgeht, ich weiss, dass es auch eine andere Schweiz gibt, eine Schweiz jenseits von xenophobem Donnergrollen, wie immer die Abstimmung ausgeht, ich werde die Hoffnung nicht verlieren.

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WoZ 25.11.10

Ausschaffungsabstimmung

 Vernünftige gegen TräumerInnen?

 Das gibt Ärger: Flüchtlingshilfe-Chef Beat Meiner bezichtigt die WortführerInnen eines doppelten Neins zu Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag als Zyniker und Träumer und sucht die Allianz mit FDP-Hardliner Philipp Müller. Dabei kämpft seine eigene Basis gegen den Gegenvorschlag.

 Von Dinu Gautier

 Kurz vor der Abstimmung über Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag liegen die Nerven blank: In den Reihen der InitiativgegnerInnen ist ein Konflikt eskaliert. Im Zentrum der Aufregung: Beat Meiner, der Generalsekretär der Schweizerischen Flüchtlingshilfe (SFH), der AnhängerInnen eines doppelten Neins hart kritisierte.

 Zur Eskalation führte eine Pressekonferenz am letzten Freitag in Bern, wo um ein Ja zum Gegenvorschlag geworben wurde. Es nahmen teil: Bea Heim und Andy Tschümperlin (beide SP), Gerhard Pfister (CVP), Philipp Müller (FDP) - und Beat Meiner. Das Motto des Anlasses: "Herz und Verstand müssen gewinnen". Meiner bezeichnete die Anwesenden als eine "Koalition der Vernünftigen" und bezichtigte jene, die sich für ein doppeltes Nein einsetzen, der "Träumerei".

 Dachverband gegen Mitglieder

 Die Flüchtlingshilfe ist ein Dachverband, der von fünf NGOs getragen wird. Davon setzen sich die grössten drei offiziell für ein doppeltes Nein ein: Amnesty International, Caritas und Heks. Alles Träumer? Daniel Graf, Mediensprecher von Amnesty International, hält fest: "Wir waren an dieser Pressekonferenz nicht beteiligt." Amnesty setze sich konsequent für ein doppeltes Nein ein, weil auch der Gegenvorschlag Vorurteile gegenüber der ausländischen Wohnbevölkerung verstärken und zu "diskriminierender Doppelbestrafung" führen könne.

 Fragt sich, wieso die drei Organisationen trotz Mehrheit im SFH-Vorstand die Ja-Parole nicht verhinderten. Beat Meiner sagt, der Vorstand habe im Juni einstimmig ein Ja gutgeheissen. Daniel Graf: "Im Vorstand der SFH gab es keine offizielle Abstimmung. Unsere Vertretung konnte sich nicht abschliessend dazu äussern, da wir zu diesem Zeitpunkt - wie auch andere Hilfswerke - noch keine Abstimmungsparole gefasst hatten." Die Pressestelle des Heks verweigert jeden Kommentar. Caritas-Direktor Hugo Fasel war nicht erreichbar. Offenbar haben es die Organisationen versäumt, das Thema nach ihrer Parolenfassung in der SFH erneut zu traktandieren.

 Nicht nur die Stossrichtung der Pressekonferenz, sondern auch Meiners Auftritt neben Philipp Müller gibt zu reden. Müller hat sich einst mit einer Initiative einen Namen gemacht, die den AusländerInnenanteil in der Schweiz auf 18 Prozent beschränken wollte. Seither profiliert er sich in Parlament und Medien als Hardliner in Asyl- und Migrationsfragen. Am Donnerstag, sagt Müller, habe ihn Meiner für die Pressekonferenz angefragt, und er habe spontan zugesagt.

 Ueli Leuenberger, Präsident der Grünen, zeigte sich in einer Mail an Beat Meiner enttäuscht: "Du und Dein neuer Wegge fährte (18-Prozent-Müller) bezeichnen uns als Träumer. Ausgerechnet uns, die sich seit Jahrzehnten für Flüchtlinge und MigrantInnen engagieren."

 "Reichlich bizarr"

 Verärgert hat die Pressekonferenz auch Solidarité sans frontières. Die Organisation koordiniert Aktivitäten der asyl- und migrationspolitischen Basisbewegungen. Für Generalsekretär Moreno Casasola ist die Allianz mit Müller "reichlich bizarr". Er schickte Beat Meiner einen offenen Brief, in dem er dessen Position als "nicht nachvollziehbar" bezeichnete. Der Gegenvorschlag übernehme die fremdenfeindliche Idee der Initiative und giesse sie in eine juristisch korrekte Form, was die Grundidee wiederum verharmlose. "Der Integrationsartikel wird dazu führen, dass das Parlament neue Integrationsforderungen aufstellt und gleichzeitig die Förderung vernachlässigt", sagt Casasola.

 Selbst der Schriftsteller Franz Hohler intervenierte bei Beat Meiner. Sein Konterfei war auf der SFH-Website gleich neben dem Konferenz-Communiqué zu sehen, obwohl Hohler öffentlich für ein doppeltes Nein eintritt.

 Beat Meiner nimmt Stellung: "Ohne Kompromisse gibt es in der Politik keine Lösungen", so der SFH-Chef. Auf die Frage, was denn ein Philipp Müller mit "Herz und Verstand" zu tun habe, sagt Meiner: "Jeder hat Herz und Verstand, der für den Gegenvorschlag kämpft." Er habe sich selber aktiv für das Zustandekommen des Gegenvorschlags eingesetzt. "Mir war bald klar: Nur damit ist die sehr populäre Ausschaffungsinitiative zu stoppen." Was zunächst eine rein taktische Überlegung gewesen sei, habe sich in eine inhaltliche gewandelt, als der Integrationsartikel aufgenommen wurde. "Künftig müssten Bund, Kantone und Gemeinden bei allen Geschäften die Frage der Integration berücksichtigen - und es ist sonnenklar, dass viel mehr Mittel in diese zentrale Aufgabe fliessen würden." Das sei insgesamt positiv, auch wenn er den repressiven Teil nicht toll finde, so Meiner. "Die allermeisten, die sich für ein doppeltes Nein einsetzen, tun dies sicher aus edlen Motiven. Die Parteistrategen und Wortführer hingegen betreiben mit ihren falschen Behauptungen offenbar lieber Symbol- als Sachpolitik. Sie handeln überdies zynisch, weil sie ganz genau wissen, dass die Initiative ohne Gegenvorschlag mit mindestens sechzig Prozent Zustimmung angenommen würde. Zynisch deshalb, weil dies eben auf dem Buckel derjenigen geschieht, für die sie sich einzusetzen vorgeben."

 Das wiederum lässt Valentina Smajli nicht gelten. Die gebürtige Kosovarin ist Geschäftsleitungsmitglied der SP: "Alle fortschrittlichen Organisationen, die sich mit Migration beschäftigen, auch jene der Migranten selber, setzen sich für ein doppeltes Nein ein   - ausser die SFH", so Smajli.

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NZZ 25.11.10

Engere Grenze für Ausschaffungshaft

 (sda) · Ab dem 1. Januar gelten neue Regeln bei Ausschaffungen. Der Bundesrat hat auf diesen Zeitpunkt Änderungen des Ausländer- und Asylgesetzes in Kraft gesetzt. Es handelt sich um Anpassungen an die Rückführungsrichtlinie der EU, zu denen die Schweiz nach dem Schengenabkommen verpflichtet ist. Damit wird die Höchstdauer der Ausschaffungshaft von 24 auf 18 Monate verkürzt. Neu können zudem Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, nicht mehr formlos, sondern nur in einem Verfahren weggewiesen werden. Ferner müssen auf Ausschaffungsflügen unabhängige Beobachter mitreisen. Das Bundesamt für Migration hat dafür bisher keine Organisation gefunden. Es will die Aufgabe demnächst ausschreiben.

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St. Galler Tagblatt 25.11.10

Neue Richtlinie bei Ausschaffung

 bern. Der Bundesrat setzt Änderungen des Ausländer- und Asylgesetzes auf den 1. Januar in Kraft. Es handelt sich um Anpassungen an EU-Normen. Weil die neue Richtlinie eine Weiterentwicklung des Schengen-Abkommens darstellt, ist die Schweiz dazu verpflichtet, sie zu übernehmen. Damit wird die maximale Dauer der Ausschaffungshaft von 24 auf 18 Monate verkürzt. Neu ist auch, dass Personen, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, nicht mehr formlos, sondern nur nach einem Verfahren weggewiesen werden können. Die Richtlinie sieht ferner vor, dass auf Ausschaffungsflügen unabhängige Beobachter mitreisen müssen. Dies stellt den Bund vor Probleme: Das Bundesamt für Migration (BFM) hat bisher keine Organisation gefunden, welche diese Aufgabe übernehmen will. Als Übergangslösung sollen Mitglieder der Kommission zur Verhütung von Folter die Flüge begleiten. (sda)

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MIGRATION CONTROL
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Die Zeit 25.11.10

Unser Türsteher

 Libyens Staatschef Muammar al-Gadhafi soll Flüchtlingsströme aus Afrika verhindern. Dafür wird er von den Europäern hofiert wie kein anderer Diktator

VON ANDREA BÖHM

 Wer im Golf von Sidra auf Fisch- fang geht, muss auf der Hut sein. Die libysche Küstenwache sucht dort nach Bootsflüchtlingen. Manchmal bringt sie auch italienische Trawler auf. Darum nahm Gaspare Marrone, Kapitän derAriete, in der Nacht zum 13. September mit Volldampf Kurs in Richtung italienische Küste, als ihn ein libysches Schnellboot auf internationalen Gewässern zum Beidrehen aufforderte. Das nächste, was Marrone hörte, waren Salven aus einem Maschinengewehr. Er schaffte es unverletzt und mit durchlöcherter Bordwand bis zur nahe gelegenen Mittelmeerinsel Lampedusa.

 Der Vorfall löste in Italien Proteste der Opposition aus. Denn bei dem Schnellboot handelt es sich um ein Geschenk der italienischen Regierung an Libyen zur Bekämpfung illegaler Migration. Und in jener Septembernacht befanden sich neben Angehörigen der libyschen Küstenwache auch italienische Polizisten an Bord - als "technische Berater". Für den italienischen Innenminister Roberto Moroni kein Grund zur Aufregung. Libyen habe sich entschuldigt, die Patrouille habe den Trawler "wohl mit einem Migrantenschiff verwechselt".

 Die Schüsse auf die Ariete stehen nicht auf der Tagesordnung, wenn sich an diesem Montag die Staats- und Regierungschefs Europas und Afrikas in der libyschen Hauptstadt Tripolis zum dritten Gipfel zwischen Europäischer und Afrikanischer Union treffen. Und es ist der ganz große Auftritt für den Gastgeber, einen Mann, der ohnehin nicht zu kleinen Gesten neigt: Revolutionsführer Muammar al-Gadhafi, seit 1969 an der Macht, ehemals Erzfeind der USA, in den achtziger Jahren mutmaßlicher Drahtzieher eines Bombenanschlags auf eine Berliner Diskothek, auf ein amerikanisches und ein französisches Passagierflugzeug, Zielscheibe eines ebenso terroristischen Luftangriffs der USA, Förderer zahlreicher Rebellenund Terrorgruppen. Heute ist Gadhafi Mitstreiter des Westens im Kampf gegen al-Qaida und Verhandlungspartner der Europäischen Union, die um seine Gunst so hartnäckig buhlt wie bei keinem anderen afrikanischen Staatsoberhaupt. Denn die EU wünscht sich Libyen in der neuen Rolle eines verlässlichen Wirtschaftspartners und Türstehers Europas, der Flüchtlinge und illegale Migranten abhält.

 Die Geschichte der Annäherung Europas an einen der dienstältesten Diktatoren erzählt viel über die politische Uberlebenskunst des Muammar al-Gadhafl. Sie erzählt auch viel von Europas wachsender Schwierigkeit, strategische Interessen wie die Steuerung von Migration mit dem viel beschworenen Kern seiner Identität und seiner Außenpolitik zu vereinbaren: dem Bekenntnis zu Menschenrechten, Demokratie und Rechtsstaatlichkeit.

 Berlusconis Libyen-Politik lautet: "Mehr Gas, weniger illegale Einwanderung"

Das Tauwetter zwischen Libyen und dem Westen beginnt unmittelbar nach den Terroranschlägen al-Qaidas vom 11. September2001. Gadhafi, zu diesem Zeitpunkt noch Ziel amerikanischer und europäischer Sanktionen, verdammt die Attentäter als "gottlose Verfechter eines politischen Islams". Das tut er nicht nur aus taktischen Gründen. Religiöser Fundamentalismus ist ihm ein Gräuel, und er sieht ihn als Bedrohung seiner eigenen Macht. Im "Krieg gegen den Terror" steht Gadhafi nun plötzlich auf der Seite des Westens. Als er zwei Jahre später sämtliche Programme zur Herstellung von Massenvernichtungswaffen stoppt und über zwei Milliarden Dollar Schadensersatz für die Hinterbliebenen der Opfer des Lockerbie-Flugzeugattentats hinterlegt, werden die Sanktionen aufgehoben. Libyen bewegt sich aus seiner jahrzehntelangen Isolation heraus. Der Mobilfunkmarkt und Internetcafés boomen, die veralteten Olförderanlagen werden erneuert. Benzin bleibt spottbillig, der Besitz eines Autos galt schon vorher als Grundrecht, jetzt kommt die Satellitenschüssel als neues Statussymbol hinzu. Die Jugend genießt nun libanesische Seifenopern, statt ödes Staatsfernsehen zu schauen. Zumindest wirtschaftlich hat sich Libyen dramatisch verändert. Die Frage ist: Hat sich auch Muammar al-Gadhafi verändert?

Ja, fand vor drei Jahren die damalige EU-Kommissann für Außenbeziehungen und Nachbarschaftspolitik, Benita Ferrero-Waldner, und unterzeichnete im Juli2007 mit der libyschen Regierung ein Memorandum of Understanding eine Absichtserklärung für ein sogenanntes Rahmenabkommen, in dem die neue Zusammenarbeit zwischen Europa und Libyen auf eine juristisch verbindliche Grundlage gestellt werden soll. So werde, erklärte Ferrero-Waldner, "die Beziehung zwischen der EU und Libyen gestärkt". Zu diesem Zeitpunkt hatte der Oberste Gerichtshof Libyens gerade die Todesurteile gegen fünf bulgarische Krankenschwestern und einen palästinensischen Arzt bestätigt, die "gestanden" hatten, mehrere Hundert Kinder in einem Krankenhaus vorsätzlich mit dem HI-Virus infiziert zu haben. Nach Intervention von Ferrero-Waldner und Frankreichs damaliger First Lady Ckilia Sarkozy wurden der Arzt und die Krankenschwestern freigelassen. Bulgarien erließ Libyen Auslandschulden in Höhe von über 50 Millionen Dollar, Cécilias Gatte Nicolas Sarkozy unterzeichnete am Tag nach der Freilassung mit Gadhafi eine "Vereinbarung über atomtechnische und militärische Zusammenarbeit". Und EU-Kommissarin Ferrero-Waldner lobte die Politik Libyens, "seine Position in der internationalen Gemeinschaft zu festigen".

 Es ist eine alte Klage, dass die Vision einer gemeinsamen wertegeleiteten EU-Außenpolitik immer wieder durch nationale Alleingänge ihrer mächtigsten Mitgliedsländer untergraben wird. Im Fall Libyen stellt sich allerdings die Frage, ob eine solche gemeinsam formulierte Politik sehr viel anders ausgefallen wäre oder ob die Mehrheit der Mitgliedsländer nicht ganz willig dem Kurs folgt, den einzelne Nationen vorgeben. Was die Umwerbung Libyens betreffe, so heißt es bei der ständigen Vertretung Deutschlands bei der EU, "so waren wir nicht die Hauptantreiber". Es seien Frankreich, Spanien, Malta und Zypern gewesen. Deutschland habe den Prozess lediglich am Rande begleitet. "Aber das, was die EU macht, können wir so mittragen."

Doch der eigentliche Hauptantreiber ist Italien - und ob dessen Politik tragbar ist, wird demnächst der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte überprüfen. "Mehr Gas, mehr Benzin, weniger illegale Einwanderung" - mit diesen Worten hat Italiens Ministerpriisident Silvio Berlusconi seine Libyen-Politik umschrieben. Berlusconis Vorgehen ist weniger ein Vorstoß als eine Reaktion auf eines der umstrittensten Themen innerhalb der EU: den Umgang mit illegalen Einwanderern und Flüchtlingen. Seitdem sich die EU-Mitgliedsländer - vor allem auf deutschen Druck - darauf verständigt haben, dass Asylverfahren in dem Land durchgeflihrt werden müssen, in dem der Asylbewerber das EU-Gebiet betreten hat, wird das Flüchtlingsproblem buchstäblich an den Band Europas gedrängt. Die Folgen sieht man aktuell in den katastrophalen Asylunterkünften in Griechenland, das weder wifiens noch in der Lage ist, humanitäre Mindeststandards einzuhalten und Asylanträge zu bearbeiten. Die Folgen sah man bis vor einigen Jahren auch in den überfüllten Aufnahmelagern auf Malta und Lampedusa, wo, aus dem Transitland Libyen kommend, Tausende von Bootsflüchtlingen anlandeten.

 Inzwischen haben sich die Auffanglager inItalien deutlich geleert. Warum? Weil Italien - zum Teil mit logistischer Hilfe der europäischen Grenzagentur Frontex und in Kooperation mit der libyschen Küstenwache - dazu übergegangen ist, Bootsflüchtlinge auf hoher See abzufangen und nach Libyen zurückzuverfrachten. Was ihnen dort droht, ist in den Berichten von Amnesty International, Human Rights Watch, Pro Asyl oder dem Flüchtlingsdienst der Jesuiten nachzulesen: Inhaftierung in überflulten Gefängnissen, Unterernährung, Schläge (vor allem für Flüchtlinge aus nicht muslimischen Ländern), Abschiebung in überfüllten fensterlosen Containern an die libysch-sudanesische Grenze, wo die Flüchtlinge von libyschen Grenzern oft direkt wieder an Menschenschmuggler verkauft werden. Bei einem Ausbruch im August 2009 aus dem Gefangenenlager Ganfouda nahe der libyschen Stadt Benghazi töteten Sicherheitskräfte mehrere Insassen durch Schüsse und Messerstiche. Die Jesuiten weisen in ihrem Bericht nachdrücklich darauf hin, dass es sich bei einem großen Teil der Migranten, die von Libyen aus nach Europa zu gelangen versuchen, um Flüchtlinge gemäß der Genfer Konvention handelt. Vor allem Somalier und Eritereer haben aufgrund der Lage in ihren Heimatländern Anspruch auf Schutz. Libyen aber kennt weder ein Asylverfahren, noch hat es die Genfer Flüchtlingskonvention unterzeichnet, noch erlaubt es dem UN-Flüchtlingskommissariat, ungehindert im Land zuarbeiten. Flüchtlinge in ein solches Land zurückzuschieben ist ein Bruch des völkerrechtlichen Grundsatzes, wonach kein Flüchtling in ein Land zurückgeschickt werden darf, in dem sein Leben geflihrdet sein könnte. Ein italienischer Anwalt hat nun den Fall von 24 Somaliern und Eritreern vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gebracht, die von der italienischen Marine vor Lampedusa aufgegriffen und den Behörden in Tripolis übergeben wurden.

 "Mit Gadhafi kann man keinen Deal über Flüchtlingsschutz machen"

Bislang hat kein anderes EU-Mitgliedsland Italien für seine push back-Praxis kritisiert. Aber womöglich wird das Urteil des EMGR jener italienisch-libyschen Partnerschaft einen Schlag versetzen, die Berlusconi und Gadhafi im August 2008 in einem "Freundschafts- und Kooperationsabkommen" besiegelt haben. Darin entschuldigt sich Itälien für sämtliche Verbrechen auf libyschem Boden während seiner Kolonialzeit und verpflichtet sich zu einer Entschädigung in Höhe von fünf Milliarden Dollar (zahlbar über die nächsten 25 Jahre). Im Gegenzug erhält Rom Öl- und Gaslieferungen sowie die Hilfe beim "Kampf gegen illegale Migration". Seither stattet Gadhafi Italien, wo seine Staatsunternehmen inzwischen als Anteilseigner bei Fiat, der UniCredit-Bank und dem Fußballklub Juventus Turin eingestiegen sind, regelmäßige Besuche ab. Zuletzt im August 2010, kurz vor dem Kugelhage! auf die Ariete. Der Revolutionsflihrer belehrte wie schon im Jahr zuvor ausgewählte italienische Hostessen über die Vorzüge des Korans und die Freiheiten libyscher Frauen, propagierte den Islam als Religion Europas und forderte an der Seite des strahlenden Berlusconi von der EU jährlich mehrere Milliarden Euro, um Europa "vor der Invasion hungernder und ignoranter Afrikaner" zu schützen.

 Kurz zuvor hatte Gadhafi auf Vermittlung Berlusconis seine Auseinandersetzung mit der Schweiz vorläufig unterbrochen, die 2008 durch die kurzzeitige Festnahme eines Sohnes Gadhafis in dem Land ausgelöst worden war. Der Revolutionsführer stoppte daraufhin alle Öllieferungen in die Schweiz, zog Geld von Schweizer Konten ab, forderte die Zerschlagung des gesamten Landes, nahm zwei Schweizer Geschäftsleute in Libyen quasi als Geiseln und verhängte zwischenzeitlich einen Visumstopp für sämtliche Bürger aus den Schengen-Ländern.
 Erst nach mehreren Berner Demutsgesten setzte Gadhafi seinen "Heiligen Krieg" gegen die Schweiz fürs Erste aus. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hätte man in Brüssel einen Aufschrei der Empörung darüber erwartet, wen die EU da als Partner zu kaufen versucht. Es wurden auch Zweifel laut. Nicht in der Kommission, nicht im Europäischen Rat, auch nicht Berlin, Paris oder Rom, sondern im Europäischen Parlament.

 Das versuchte im Juni 2010 - nach den wiederholten italienisch-libyschen push back-Operationen und unmittelbar nach der Vollstreckung von 18 Todesurteilen in libyschen Gefängnissen -‚ mit einer Resolution in die Bremsen zu steigen. Keine Vereinbarung, kein Abkommen, solange Libyen nicht die Genfer Flüchtlingskonvention und andere Menschenrechtsabkommen unterzeichnet und umsetzt, lautete die Forderung der Parlamentarier. Und: Transparenz bei den Verhandlungen. Das Parlament weiß bis heute nicht, unter welchen Maßgaben die Kommission mit Tripolis verhandelt. Franziska Brantner, Abgeordnete der Grünen, argwöhnt, dass die EU tatsächlich eine "Rücknahmeklausel" durchsetzen will, Libyen also verpflichtet werden soll, de facto sämtliche im Mittelmeer aufgegriffenen Flüchtlinge zurückzunehmen - auch solche, die in Europa Anspruch auf Schutz vor Krieg und Verfolgung hätten. Brantner ist keineswegs grundsätzlich dagegen, dass die EU auch mit undemokratischen Regimes Dialoge führt. "Aber mit Gadhafi kann man keinen Deal über Flüchtlingsschutz machen." Die Frage ist, ob der politische Wille für solche Erwägungen überhaupt noch da ist oder ob Brüssel sich auf den Versuch beschränken wird, Europas neuem Türsteher wenigstens ein paar humanitäre Manieren beizubringen.

 Am 4. Oktober 2010, genau drei Wochen nach den Schüssen auf den italienischen Trawler Ariete, unterzeichnete eine EU-Delegation unter Leitung von Stefan Füle, Kommissar für Erweiterung und Nachbarschaftspolitik, und Innenkommissarmn Cecilia Malmstro.m in Tripolis eine Vereinbarung über "Migrationskooperation". Rund 50 Millionen Euro will die EU nun vor Ort investieren - unter anderem in eine verbesserte Uberwachung der libyschen Grenzen und eine bessere Betreuung und Versorgung illegaler Migranten. Gerade weil die Lage für Flüchtlinge in Libyen so prekär sei, sagt Malmstroem, müsse man alles unternehmen, um ihren Schutz zu verbessern. "Den Status quo hinzunehmen ist für mich keine Option. Nichts zu tun, weil Libyen sich womöglich nicht als verlässlicher Partner erweist oder die Genfer Konvention nicht unterzeichnet, wäre unmenschlich." Was stimmt. Nur beginnt die Unmenschlichkeit eben nicht erst in libyschen Haftlagern, sondern bereits mit der europäischen Strategie des push back, des gewaltsamen Zurückschiebens von Flüchtlingen.

 Die EU-Flüchtlings- und Migrationspolitik, so heißt es in einer Analyse des European Council on Foreign Relations, habe wahrscheinlich wie kaum ein anderer Politikbereich Europas Glaubwürdigkeit in Sachen Demokratie und Menschenrechte beschädigt - und das in einer Phase, da Länder wie China, Russland oder Iran die Deutungshoheit Europas in Sachen Demokratie und Menschenrechte immer erfolgreicher infrage stellen. Auch dadurch verliert Europa an Macht und Autorität. Libyen verweist in den Verhandlungen mit der EU gern auf den katastrophalen Umgang mit Flüchtlingen in Griechenland und auf die unzähligen Migranten, die auf dem Weg zur Festung Europa im Mittelmeer ertrunken sind.

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ANTI-ATOM
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Le Temps 27.11.10

"Le projet de centrale nucléaire au Niederamt est bon au plan technique et politique"

 Giovanni Leonardi, président de la direction du groupe d'électricité Alpiq

Propos recueillis par Willy Boder

 Propos recueillis par Willy Boder Le Temps: L'inspection fédérale de la sécurité nucléaire a avalisé trois dossiers de nouvelles centrales, dont celui de Niederamt, à proximité du réacteur de Gösgen, qui concerne directement Alpiq. Etes-vous satisfait?

 Giovanni Leonardi: Cette approbation marque le début d'un long processus administratif et politique clairement réglementé par la loi. La branche électrique décidera sans doute au début de l'année 2012, soit avant la publication du message du Conseil fédéral, quels projets il convient de réaliser. Conformément à la nouvelle stratégie énergétique du Conseil fédéral, qui s'appuie aussi sur l'énergie nucléaire, la branche électrique est d'avis que pour compenser le déficit de production dû à l'arrêt des anciennes centrales suisses et à l'échéance de certains contrats d'importation avec la France et pallier l'augmentation de la consommation d'électricité, il faudra au moins deux nouvelles centrales nucléaires en Suisse.

 - Pourtant, le responsable financier du groupe Alpiq a estimé qu'il n'y a pas la capacité financière, en Suisse, de conduire deux projets pour un total de quelque 16   milliards de francs…

 - Les propos de Kurt Baumgartner ont été mal interprétés. Il n'a pas voulu dire que c'était impossible, mais que mener plusieurs projets en parallèle multiplie les risques de gestion, au niveau administratif, politique et financier. Pour les maîtriser, la branche électrique devrait pouvoir compter sur des conditions-cadres stables, ce qui n'est jamais garanti pour ce genre d'installations. Il est donc raisonnable d'envisager des constructions échelonnées sur quelques années. C'est d'autant plus logique que l'arrêt des centrales existantes se fera probablement aussi en décalage.

 - Faut-il comprendre que Mühleberg II sera la première installation à remplacer Mühleberg I?

 - Je ne parle pas de substitution physique, mais de substitution de capacité de production nucléaire. Ce transfert peut bien entendu se produire à un autre endroit qu'au lieu d'arrêt de la première centrale.

 - En quoi, selon vous, le projet Nieder amt (SO), est-il mieux positionné que Mühleberg II défendu par les Forces motrices bernoises, ou celui de Beznau III défendu par Axpo?

 - Le projet Niederamt est bon, à la fois au plan technique et politique. Techniquement il a notamment pour avantage de pouvoir être facilement relié à un réseau de distribution de très grande capacité. Le type de réacteur et le système de refroidissement seront basés sur les derniers développements technologiques. Au plan politique, le parlement du canton de Soleure a donné un mandat très clair au Conseil d'Etat pour qu'il s'engage en faveur de la construction d'une nouvelle centrale nucléaire dans le canton.

 - Les treize communes riveraines du site de Niederamt sont pourtant dans le camp des opposants. Est-ce que cela vous inquiète?

 - Non. Les communes du Nieder amt ne sont pas contre le projet. Elles ont par contre des questions et oppositions au nouveau plan directeur cantonal. Ce mouvement fait finalement partie du processus d'analyse et de décision démocratique voulu par la loi. La Suisse possède, dans le domaine nucléaire, des règles uniques au monde. Mais si le peuple approuve le projet, l'investissement obtient alors une forte légitimité qui réduit les risques pour les promoteurs.

 - Certains prétendent que les progrès techniques et une lutte active contre le gaspillage permettent, par des économies d'énergie, d'éviter la construction d'une nouvelle centrale nucléaire. Pourquoi la branche électrique exige-t-elle au moins deux nouveaux réacteurs?

 - Regardons la réalité en face. Depuis les années 1960 la consommation d'électricité augmente chaque année de 0,5 à 2%. Ce mouvement ne s'est jamais inversé malgré les progrès techniques. De plus, on va assister, dans le cadre de la lutte contre les émissions de CO2 produites par les énergies fossiles, à un report sur l'électricité, énergie nettement plus propre, qui représente aujourd'hui un quart seulement de la consommation d'énergie par personne. L'électrification du système, encore accru par le développement des voitures électriques, est en route. Le Conseil fédéral est également d'avis que la Suisse a besoin de deux nouvelles centrales nucléaires pour combler les mégawatts (MW) manquants à moyen terme.

 - Mais électricité n'est pas synonyme de nucléaire…

 - Je suis d'accord qu'à très long terme il faudra parvenir à remplacer les énergies fossiles par des énergies renouvelables.

 Mais durant la phase de transition, qui s'annonce longue, on aura encore besoin du nucléaire pour faire face à l'augmentation de la consommation d'électricité.

 - En quoi Alpiq est-il concerné par l'importation de barres de combustibles du site russe pollué de Mayak?

 - Du combustible de la région de Mayak est parvenu de manière indirecte à la centrale de Gösgen, dont Alpiq détient 40%. Alpiq n'achète pas d'uranium, mais la centrale de Gösgen s'en est procuré auprès de la société française Areva qui, elle-même, a sous-traité avec la société russe MSZ Elktrostal.

 - Le Conseil fédéral vient d'accorder un régime de faveur au projet de centrale à gaz de Chavalon malgré son rendement énergétique inférieur à la norme. Quand sera-t-elle inaugurée?

 - Alpiq a toujours dit que des centrales à gaz comme Chavalon constituaient une solution transitoire intelligente pour garantir la sécurité de l'approvisionnement électrique jusqu'à ce que de nouvelles grandes centrales soient mises en service. Le Conseil fédéral partage cet avis.

 Le projet de Chavalon est développé par EOS Holding, et la décision de construire lui incombe. Cette décision dépendra surtout du niveau de rentabilité de cette centrale thermique, impossible à déterminer avant la conclusion, avec l'Office fédéral de l'énergie, d'un contrat de compensation des émissions de CO2 qui doit être réalisé à 70% en Suisse.

 - Les conditions d'acheminement du courant nucléaire français via des contrats à long terme sont au centre des négociations entre la Suisse et l'Union européenne. Si elles sont favorables, cela évitera-t-il la construction d'une centrale nucléaire en Suisse?

 - Certainement pas. Le problème de la sécurité d'approvisionnement se posera de toute manière un jour ou l'autre. La France sera aussi contrainte de mettre hors service ses anciennes centrales nucléaires. Nous n'aurons alors peut-être plus accès à du courant nucléaire étranger excédentaire.

 - Alpiq dispose, en Suisse, de seulement 6 mégawatts (MW) de puissance dans des installations produisant des nouvelles énergies renouvelables (éolien, solaire, biomasse). Etes-vous pronucléaire?

 - Nous désirons diversifier nos installations de production d'électricité afin d'obtenir un mélange de toutes les formes d'énergies.

 - Les projets de ce type fleurissent en Bulgarie, avec 20 éoliennes à 200   km à l'est de Sofia, ou en Italie. On a l'impression qu'il vous est plus facile d'investir dans les énergies renouvelables à l'étranger qu'en Suisse. Est-ce vraiment le cas?

 - C'est le cas, car en Suisse il faut investir énormément d'argent simplement pour obtenir un permis de construire. Je constate que les pouvoirs publics désirent promouvoir les énergies renouvelables, mais qu'Alpiq se heurte à de nombreuses résistances des autorités et des organisations de protection de l'environnement lorsqu'il s'agit de faire aboutir un projet. Pour chaque projet, il faut trouver des compromis entre les intérêts divergents. Je ne m'en plains pas. Cela fait partie d'un processus inhérent à notre système politique de démocratie directe qui a l'avantage de garantir la réalisation d'un projet une fois que le peuple l'a accepté. La Confédération s'est fixé pour objectif la production, d'ici à 2030, de 5,4   milliards de kWh d'électricité provenant du "nouveau renouvelable". Alpiq a décidé de contribuer au tiers de cette quantité. Cela se fera principalement dans le domaine de la petite hydraulique où il existe encore un fort potentiel, et dans l'éolien.

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 Le flair latin

 Giovanni Leonardi, 50 ans, né à Bodio (TI), est à la tête de la plus grande entreprise électrique suisse, issue de la fusion du groupe romand EOS et de la société soleuroise Atel. Alpiq, créé début 2009, dispose d'une place privilégiée sur le marché avec l'héritage des barrages valaisans apportés par EOS, qui fournissent de l'énergie de pointe, et des installations d'Atel, qui produisent de l'énergie de ruban, notamment via la centrale nucléaire de Gösgen. Giovanni Leonardi, patron d'Atel dès 2004, a su se profiler comme le leader naturel du groupe fusionné. L'entregent et le flair latin de cet ingénieur diplômé de l'EPFZ lui ont permis de gravir les échelons d'Atel dès 1991. Ces qualités lui seront d'une grande utilité au moment d'affronter l'opinion à propos du lancement d'une nouvelle ère nucléaire en Suisse.

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 "Le niveau des investissements sera ajusté"

 La crise financière et économique n'a pas épargné le groupe

 Le Temps: Lors de la publication des résultats à fin septembre, Alpiq a déclaré que le chiffre d'affaires 2010 sera inférieur à celui de l'an dernier qui était de 14,8 milliards de francs. Comment expliquer ce recul?Giovanni Leonardi: La crise financière et économique n'a pas épargné le groupe qui souffre de la dépréciation de l'euro et d'une baisse de la consommation, qui ont conduit à une pression sur les prix. La situation me semble aujourd'hui stabilisée.

 - Maintenez-vous la prévision, faite en juin, de croissance moyenne annuelle du bénéfice EBITDA de 3 à 4% entre 2010 et 2014?

 - Nous sommes en train de revoir la planification. Je ne dispose pas, en ce moment, de données suffisamment précises pour répondre à cette question.

 - La fusion, il y a deux ans, entre EOS et Atel pour former Alpiq a entraîné un programme modéré de restructuration. Allez-vous le renforcer?

 - L'intégration se déroule parfaitement. Je suis agréablement surpris de la vitesse de réalisation, supérieure à ce que je prévoyais il y a deux ans. Les frais de la fusion ont cependant fait temporairement augmenter nos coûts, ce qui oblige Alpiq, comme n'importe quelle autre entreprise, à optimiser ses résultats.

 - La dette nette du groupe se monte à environ 4 milliards de francs. Pensez-vous la réduire par la vente de certaines activités à l'étranger?

 - Il n'y a, en ce moment, aucun projet de désinvestissement. La dette sera progressivement réduite par l'utilisation d'une partie du cash-flow annuel.

 - En juin, vous annonciez la planification de 4 milliards de francs d'investissements jusqu'en 2014. Ce programme est-il maintenu?

 - Toutes les installations en cours de réalisation, notamment en France, en Italie, en Bulgarie et en Suisse, seront achevées comme prévu. Le niveau des investissements à moyen terme dépendra du cash-flow généré chaque année et sera ajusté en conséquence. L'objectif d'Alpiq consiste toujours à investir une dizaine de milliards de francs jusqu'en 2020.

 - Le prix de l'électricité en Suisse est-il trop élevé, comme le prétendent un grand nombre d'industriels?

 - Le prix du courant pour les gros clients industriels en Suisse se situe dans la moyenne européenne. Précisons que le prix de l'électricité est plus bas aujourd'hui que dans les années 1990. Les clients affichant une consommation supérieure à 100   000 KWh sont libres de s'approvisionner sur le marché international.

 - Le marché de l'électricité est-il vraiment ouvert en Suisse?"

 - En raison d'un compromis politique, le marché n'est pas encore ouvert, puisque 1% seulement de la consommation provient effectivement du marché libre. Les dispositions légales qui font que les gros clients peuvent constamment obtenir le meilleur prix, entre celui du marché international et celui de revient de la production en Suisse, fausse le système qui doit être corrigé par le parlement.

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24 Heures 27.11.10

Les Vaudois voteront sur des centrales nucléaires

Joëlle Fabre

 La Confédération demande l'avis des cantons sur trois nouvelles installations. Attendra-t-elle le vote vaudois? Casse-tête

 Le Conseil d'Etat vaudois a retenu la leçon de Mühleberg. On se souvient des circonstances chaotiques du scrutin sur la prolongation de cette centrale nucléaire: le gouvernement avait répondu à la consultation sur l'exploitation des installations bernoises, avant que la justice ne lui rappelle qu'il avait l'obligation constitutionnelle de consulter le peuple sur toute question nucléaire. Qui avait dit non.

 En 2011, les Vaudois se prononceront donc sur quatre consultations fédérales nucléaires, vraisemblablement en mai. Il s'agit de la construction de trois nouvelles centrales, à Niederamt (SO), Mühleberg (BE) et Beznau (AG), ainsi que sur une sélection de sites pour entreposer des déchets. Encore faut-il que l'avis des Vaudois parvienne à temps à la Confédération, qui attend le préavis des gouvernements pour fin mars 2011 et a refusé la demande du canton de Berne de prolonger ce délai.

 Or, le Conseil d'Etat ne peut donner son préavis sans vote populaire et juge impossible d'organiser un scrutin avant fin mai. "Tous les services concernés ont adopté la clause d'urgence", assure Henri Rollier, chef du Service vaudois des énergies. Mais à l'heure actuelle, Berne n'a pas envoyé tous les documents nécessaires. Officiellement, certains sont même sous le sceau de la confidentialité jusqu'en juin 2011, ce qui ne facilite pas le débat public… Le gouvernement devra ensuite émettre son préavis, consulter le Grand Conseil, puis convoquer la consultation populaire. Le Conseil d'Etat va donc tenter sa chance, après Berne, et demander une prolongation du délai.

 Laure Pingoud

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sf.tv 26.11.10

Längere Laufzeit für deutsche AKW - Analyse der Krebsfälle von Asse

agenturen/bosy

 Die Atomkraftwerke in Deutschland können rund 12 Jahre länger am Netz bleiben als bislang geplant. Der Bundesrat billigte das Energiekonzept der Bundesregierung. Dadurch wird auch eine Brennelemente-Steuer eingeführt und ein Fonds zur Förderung erneuerbarer Energien aufgelegt. Gleichzeitig sollen die vermehrt aufgetretenen Leukämiefälle in der Gemeinde Asse, wo ein Atommülllager steht, genauer untersucht werden.

 Die Bundesregierung hatte den Ländern zuvor zugesichert, die Einnahmeausfälle durch die Brennelemente-Steuer zu kompensieren.

 Einige Bundesländer haben in letzter Minute mit einem Aufstand gegen die Steuer im Bundesrat gedroht, weil sie Einnahmeausfälle fürchten. Der Bund verlangt von den Atombetreibern von 2011 bis 2016 jährlich 2,3 Milliarden Euro.

 Da diese Steuer die Gewinne der Unternehmen schmälert, werden Steuereinbussen bei Ländern und Kommunen von schätzungsweise 500 Millionen Euro befürchtet. Letztlich verzichteten die Länder aber darauf, den Vermittlungsausschuss von Bundestag und Bundesrat anzurufen.

 SPD will klagen

 Die Bundesregierung begrüsst, dass die neue Steuer auf Atombrennelemente wie geplant am 1. Januar in Kraft treten kann. Regierungssprecher Steffen Seibert sagte in Berlin, im Gegenzug sei den Bundesländern zugesagt worden, bis zum 30. Juni 2012 festzustellen, welche Auswirkungen die Steuer auf die Länderhaushalte hat.

 Die SPD-geführten Länder bekräftigten im Bundesrat, mit einer Verfassungsklage gegen die längeren Laufzeiten vorzugehen.

 Einspruchsgesetz statt Zustimmungsgesetz

 Aus ihrer Sicht erfordern die Laufzeiten ein sogenanntes zustimmungspflichtiges Gesetz. Dieses muss der Bundesrat durchwinken, damit es in Kraft treten kann. Da Schwarz-Gelb in der Länderkammer keine Mehrheit hat, wären in diesem Fall die Laufzeiten nicht verlängert worden.

 Die Bundesregierung hat jedoch die längeren Laufzeiten in einem Einspruchsgesetz formuliert. Bei dieser Gesetzesform muss sich eine Mehrheit finden, die es ablehnt, sonst gilt es als gebilligt.

 Wie Union und FDP haben allerdings auch SPD, Grüne und die Linkspartei keine Mehrheit in der Länderkammer. Die Gründe dafür liegen in Koalitionen wie die schwarz-grüne in Hamburg oder das Bündnis von CDU, FDP und Grünen im Saarland. Diese Länder enthalten sich in koalitionsintern strittigen Fragen der Stimme, um keine Regierungskrise heraufzubeschwören.

 Die Anträge der SPD-geführten Länder, ein Einspruchsgesetz sei bei den Laufzeiten nicht zulässig, fanden erwartungsgemäss nicht die notwendige Mehrheit von mindestens 35 Stimmen. Die SPD-geführten Länder wollen nun in Karlsruhe eine Normenkontrollklage anstrengen.

 Hierbei geht es nur um die Frage, ob der Bundesrat den längeren Laufzeiten mit einer Mehrheit hätte zustimmen müssen anstatt sie mangels Einspruch zu billigen. Es geht hier nicht darum, ob sie grundsätzlich zulässig sind.

 Bevor die Klage offiziell eingereicht werden kann, muss jedoch das Laufzeitengesetz von Bundespräsident Christian Wulff unterschrieben werden.

 Patienten nur anonymisiert erfasst

 Gleichzeitig will das niedersächsische Sozialministerium nach Bekanntwerden von erhöhten Leukämieraten in der Umgebung des Atommülllagers Asse nun möglichst detaillierte Angaben über die Krebspatienten einholen.

 Im Epidemiologischen Krebsregister seien die Erkrankten lediglich anonymisiert erfasst. "Wir wissen also bislang nichts Genaueres über den Wohnort oder die Tätigkeit der Betroffenen", sagte ein Sprecher des Sozialministeriums in Hannover.

 Das Ministerium will etwa herausbekommen, ob unter den Betroffenen auch Menschen sind, die in dem Atommülllager arbeiteten, wodurch eine Krebserkrankung eher erklärbar wäre. Im Atommülllager Asse nahe Wolfenbüttel lagern seit 1978 rund 126'000 Fässer mit schwach und mittel radioaktivem Atommüll.

 Zunahme von Schilddrüsenkrebs bei Frauen

 Nach Angaben des Ministeriums war die Rate der Leukämieerkrankungen in der Gemeinde Asse im Zeitraum von 2002 bis 2009 doppelt so hoch wie statistisch zu erwarten. Statt der zu erwartenden 8 Fälle gab es insgesamt 18 Erkrankungen, darunter 12 Männer und 6 Frauen.

 Die Erkrankungsrate für Schilddrüsenkrebs bei Frauen hat sich den Angaben zufolge im untersuchten Zeitraum sogar verdreifacht. Dass Radioaktivität eine Ursache für eine Leukämieerkrankung sein kann, ist nach Angaben des Sozialministeriums "unbestritten".

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Landbote 26.11.10

Erste Stimmungstests zur Atomenergie

 Am kommenden Wochenende stimmen die Städte Bern und St. Gallen über die Abkehr vom Atomstrom ab. Parteien und Lobbyisten erhoffen sich daraus Rückschlüsse für die nationale AKW-Abstimmung.

 Bern - In den nächsten Jahren werden die Schweizerinnen und Schweizer an der Urne über den Bau neuer AKWs entscheiden. Der Ausgang ist offen. In den Städten aber zeichnet sich ein deutlicher Trend ab: Richtung Atomausstieg. Basel hat ihn bereits umgesetzt, Zürich per 2044 beschlossen, und am kommenden Sonntag stimmen die Städte St. Gallen und Bern über eine langfristige Abkehr vom Atomstrom ab.

 In Bern verlangt eine Initiative des Grünen Bündnisses einen Ausstieg bis 2030, die Regierung will sich mit einem Gegenvorschlag bis 2039 Zeit lassen. Bei einem Wegfall von Atomstrom hat Bern durchaus eine grosse Lücke zu schliessen: Das stadteigene Elektrizitätswerk EWB beliefert seine Kunden derzeit mit 60 Prozent Atomstrom, der grösstenteils aus den AKWs Gösgen und Fessenheim (F) stammt, an denen EWB beteiligt ist. Doch EWB hat vorgerechnet, dass es anders geht: Bis 2039 will das städtische Werk den billigen Strom aus den Beteiligungen an alten, abgeschriebenen AKWs nutzen und so die Investitionen in erneuerbare Energien finanzieren. Die neue städtische Kehrichtverbrennungsanlage, in der künftig nebst Kehricht auch Holz und Gas verbrannt und so Energie produziert wird, geht 2012 ans Netz. Zudem soll Strom aus Biomasse, Sonne, Wasser und Wind zugebaut oder zugekauft werden, auch ein Geothermiekraftwerk gilt als Option.

 Ein Umstieg bis 2030 wäre zwar laut EWB möglich, aber mit erheblichen finanziellen Verlusten im dreistelligen Millionenbereich verbunden. Vorwiegend mit finanziellen Argumenten machen denn auch FDP und SVP grundsätzlich gegen den geplanten Atomausstieg mobil: Die Strompreise würden sich verdoppeln und die Gewinne des Elektrizitätswerkes zugunsten der Stadtkasse sinken. EWB-CEO Daniel Schafer hingegen sagt, eine exakte Prognose zur langfristigen Entwicklung von Strompreisen wäre unseriös. "Sicher aber ist, dass erneuerbare Energien in Zukunft günstiger werden, bei der Kernenergie ist vom Gegenteil auszugehen."

 Gegenvorschlag hat Chancen

 Es ist wahrscheinlich, dass die rot-grüne Stadt Bern zumindest den Gegenvorschlag annimmt und somit den Atomausstieg, dem sie im Grundsatz schon 1999 zugestimmt hat, konkret besiegelt. Selbst CVP und BDP stehen hinter einem Ausstieg bis 2039. Das heisst allerdings noch lange nicht, dass sie auch national ihre AKW-Haltung überdenken. Mehrere Mitte-Politiker haben angedeutet, dass sie den Bau neuer AKWs befürworten. Dennoch wertet der AKW-Befürworter und Solothurner Ständerat Rolf Büttiker, der im Verwaltungsrat des AKW Leibstadt sitzt, das Resultat der Stadt Bern als "nicht unerheblichen Fingerzeig" für kommende Auseinandersetzungen.

AKW-Befürworter Rolf Schweiger, Zuger FDP-Ständerat und Aves-Präsident (Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz), verfolgt mit Spannung, wie unterschiedlich in Bern die städtische und die kantonale Abstimmung ausfallen werden. Denn schon im Februar 2011 folgt der nächste bernische AKW-Stimmungstest vor dem nationalen Volksentscheid. In einer konsultativen Abstimmung werden die Berner im ganzen Kanton nach ihrer Meinung zu einem neuen AKW in Mühleberg gefragt. Schweiger interessiert, wie unterschiedlich die rot-grünen Städter und die eher konservative Landbevölkerung abstimmen werden. Er ist auch gespannt, wie sich das Abstimmungsverhalten von einer "eher theoretischen, langfristigen" Abstimmung in der Stadt Bern zu einer "konkreteren" über den Bau eines neuen AKW verändert.

 Auf der gegnerischen Seite misst man bereits dem Stadtberner Entscheid eine grosse Bedeutung zu. Beat Jans, Basler SP-Nationalrat und Ko-Präsident von "Nie wieder Atomkraftwerke" sagt: Ein deutliches Ja der Berner wäre ein "Signal für die Schweiz" und ein Statement gegen die vielbeschworene Stromlücke. "Schliesslich stehen auch die Städte, die sich für den Ausstieg entscheiden, in der Verantwortung und müssen die Stromversorgung gewährleisten." Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energiestiftung erachtet einen allfälligen Atomausstieg der Berner als Bestätigung für eine Entwicklung, die sich von Genf bis Schaffhausen abzeichne: "Städte und Gemeinden wollen eine unabhängige und saubere Stromversorgung." Alle diese Beispiele könnten gut für den nationalen Abstimmungskampf 2013 oder 2014 genutzt werden, meint von Stockar.

BARBARA SPYCHER

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BZ 26.11.10

AKW-Gegner spannen die Wirtschaft ein

Atomkraft. Rund zwei Dutzend Berner Firmen schalten sich in den Abstimmungskampf um ein neues AKW in Mühleberg ein - und kämpfen gegen die Kernkraft-Lobby.

 Wer erwartet hätte, dass sich nur die Umweltverbände und links-grüne Politiker für den Atomausstieg starkmachen, hat sich getäuscht: Rund 25 Firmen aus dem Kanton Bern haben sich zur "Gruppe Neue Energie Bern" zusammengeschlossen und steuern Geld für eine Anti-AKW-Kampagne bei.

 Das primäre Ziel ist es, das Stimmvolk dazu zu bewegen, am 13. Februar Nein zu einem neuen AKW in Mühleberg zu sagen. Später will sich die Gruppe bei den Abstimmungen über das kantonale Energiegesetz und zur Volksinitiative "Bern erneuerbar" für die Förderung der erneuerbaren Energien einsetzen.

 150000 Franken im Pot

 Die Mitgliederfirmen stammen praktisch alle aus der Energiebranche: Die Jenni Energietechnik AG aus Oberburg etwa ist ebenso mit dabei wie die Pumpenherstellerin Biral aus Münsingen. Eine der bekanntesten Firmen der Branche fehlt allerdings in der Mitgliederliste: Die Solarsägen-Herstellerin Meyer Burger aus Thun unterstützt die Kampagne gemäss Auskunft von Kampagnenleiter Stefan Batzli nicht finanziell.

 Die Gegner holen auf

 Batzli koordiniert mit seiner Agentur cR Kommunikation die Geschicke der "Gruppe Neue Energie Bern". Er hofft, dass für den Abstimmungskampf rund 150 000 Franken zusammenkommen werden. Einen Drittel davon steuerten im Sinn einer Anschubfinanzierung bereits Greenpeace, WWF Schweiz und die Schweizerische Energiestiftung bei. Den Rest sollen die Firmen selbst beisteuern. Die Inseratekampagne startet im Januar. Hauptgrund für die Firmen, die Anti-AKW-Kampagne zu unterstützen, ist der Glaube an die erneuerbaren Energien. Biral-Chef Roger Weber sagt etwa: "Das Potenzial ist so gross, dass wir keine neuen AKW brauchen."

 Mit den rund 150 000 Franken, welche die Firmen-Vereinigung in den Abstimmungskampf einschiesst, holen die AKW-Gegner kräftig auf: Sie verfügen damit insgesamt etwa über die gleichen Mittel wie das bürgerliche Pro-Lager des Kantons - also rund 350 000 Franken.

 Philippe Müller

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Beobachter 26.11.10

Leben in der Todeszone

 Schweizer Atomkraftwerke produzieren sauberen Strom - sagen ihre Betreiber. Ein Augenschein im Südural, wo das dafür notwendige Uran herstammt, zeigt ein anderes Bild.

 Text: Thomas Angeli; Fotos: Tomas Wüthrich

 Wir werden nichts anfassen, was wir nicht unbedingt anfassen müssen. Sollten wir irgendwo eingeladen werden, werden wir Essen und Getränke höflich ablehnen, frische Milch wird sowieso niemand trinken. Und sobald die Tagesdosis von 0,1 Millisievert erreicht ist, verschwinden wir. Notfalls ohne unsere Schuhe. Die würden wir vor unserem Bus stehenlassen und wegfahren.

 Wir sind da, wo wir hinwollten, obschon uns allen beim Gedanken ein wenig mulmig war. Wir stehen auf der schweren, schlammigen Erde von Musljumovo, 55 Grad 36 Minuten Nord, 61 Grad 38 Minuten Ost, zweieinhalb Flugstunden von Moskau entfernt. Weil wir erfahren wollen, was Schweizer Atomkraftwerke mit einer ökologischen und sozialen Wüste im Südural zu tun haben.

 "Wir", das sind zwei Journalistinnen und drei Journalisten, drei Fotografen, drei Atom-Campaigner von Greenpeace, ein Reiseleiter, ein Übersetzer. Und Heinz Smital, Strahlenschutzexperte von Greenpeace, der leicht erstaunt auf den Monitor seines Detektors schaut. Am Morgen im Hotel in Tscheljabinsk, 60 Kilometer entfernt, hatte der Zeiger bei unbedenklichen 15 Einheiten gestanden. Jetzt schwankt er zwischen den Zahlen 5 und 10, nicht mehr als in jedem beliebigen Ort in der Schweiz. "Hier ist nichts", sagt Smital, "nur Hintergrundstrahlung." Wir atmen auf und sind zugleich überrascht. Nur natürliche Strahlung an einem der angeblich am stärksten radioaktiv verseuchten Orte der Welt, das hatten wir nicht erwartet. Noch ahnen wir nicht, dass sich der atomare Schrecken nicht bloss an der Skala eines Geigerzählers manifestiert.

 Bewohner waren Stalins Versuchskaninchen

 Wir sind hierhergekommen, weil wir nicht in den abgeriegelten Atomkomplex von Majak können, um den es auf der Medienreise eigentlich geht, die Greenpeace organisiert hat. Die Umweltorganisation hat in den vergangenen Monaten mit hartnäckigen Recherchen nachgewiesen, dass in Schweizer AKWs Brennelemente im Einsatz sind, die Uran aus dem "Föderativen Einheitsbetrieb Produktionsgenossenschaft Majak" enthalten. Für das Image der Schweizer Atomindustrie ist das Gift: Was im riesigen, hermetisch abgeriegelten Atomkomplex mit seinen 14000 Angestellten in den vergangenen Jahrzehnten geschehen ist und vermutlich immer noch geschieht, passt so gar nicht ins Bild der angeblich sauberen Atomenergie. Hier im Südural, wo das Uran für die Schweizer Atomkraftwerke aufbereitet wird, zeigt sich die schmutzige Seite.

 Die Katastrophe, an deren Folgen Musljumovo mit seinen knapp 2000 Einwohnern bis heute leidet, begann mit einer Geheimoperation. Auf Geheiss Stalins wurde 1948 in Majak innert 18 Monaten ein Plutoniumreaktor aus dem Boden gestampft, um die sowjetische Atombombe zu bauen. Im beginnenden Kalten Krieg drängte die Zeit derart, dass man während der ersten zwei Jahre die flüssigen hochradioaktiven Abfälle ungefiltert in die Tetscha ableitete. Am Fluss aber, der durch Musljumovo und viele andere kleine Dörfer floss, weideten Kühe, es wurde gefischt, und Kinder badeten darin. Die Tetscha war die Lebensader in einer kargen Steppenlandschaft.

 Während man die umliegenden Dörfer entlang der Tetscha evakuierte, liess man Musljumovo, 70 Kilometer flussabwärts von Majak, stehen. "Man brauchte uns als Versuchskaninchen, um die langfristigen Folgen der Strahlenbelastung zu untersuchen", sagt Gosman Kabirov. Er und seine Frau Milya sind in Musljumovo aufgewachsen, heute wohnen sie in Tscheljabinsk. Im Körper des Taxifahrers steckt die dreifache Maximaldosis an radioaktiver Strahlung, die ein Mensch aufnehmen kann. "Ich lebe auf Kredit", sagt er. Milya Kabirova leidet unter der Strahlenkrankheit. Kinder kann sie keine bekommen.

 Zwei weitere Katastrophen werden publik

 Die Gräber von Mylias Eltern stehen ganz am Rand eines der fünf Friedhöfe in Musljumovo in einem Birkenwald. Milyas Vater Murmuchamet Schagiachmetow wurde bloss 44 Jahre alt. Er hatte 1961 eine Stelle als Aufseher an der Tetscha angetreten und musste Kinder und Vieh vom Ufer des verseuchten Flusses fernhalten. Kein Jahr später starb er. Sein Blut sei gelb gewesen, erzählt Gosman. Heute weiss das Paar, dass Schagiachmetow vermutlich an einer akuten Leukämie starb, obschon auf dem Totenschein eine unverfängliche Krankheit angegeben war. Krebs als Todesursache zu nennen war verboten. Was in Majak vor sich ging, durfte niemand wissen.

 Erst 1989, als sich Russland gegenüber dem Westen zu öffnen begann, erfuhr die Welt von zwei weiteren Atomkatastrophen, die sich in der Anlage ereignet hatten. 1957 war ein Tank mit 250000 Litern einer plutoniumhaltigen Flüssigkeit explodiert und hatte eine Fläche von rund 10000 Quadratkilometern im Nordosten der Anlage verseucht. Zehn Jahre später, im heissen Sommer 1967, trocknete der Karatschai-See aus, den die Majak-Verantwortlichen ab 1951 als atomare Müllkippe verwendet hatten. Die radioaktiven Substanzen, die sich am Seegrund abgelagert hatten, wurden vom Wind aufgewirbelt und verstreut. Beide Gebiete, zusammen halb so gross wie die Schweiz, gelten heute als "Naturschutzgebiet", mit Stacheldrahtzaun und Bewachern.

 In Musljumovo hingegen leben weiterhin Menschen. Venera Gaynetdinova ist eine von ihnen. Noch wohnt sie mit ihren zwei Söhnen und der Schwiegertochter in ihrem alten Haus im ursprünglichen Ort nahe am Fluss. Bald soll die Familie in eins der neuen Häuser in Novomusljumovo einziehen, bloss zwei Kilometer entfernt. 60 Jahre nachdem die radioaktiven Abwässer den Fluss verseucht haben, lässt die Regierung das Dorf an der Tetscha räumen.

 Venera Gaynetdinovas neues Daheim steht am Ende einer Strasse aus zäher, schwarzer Erde und grobem Schotter, an der alle Häuser gleich aussehen. Wie auch in der nächsten und übernächsten Strasse, wie überall in Novomusljumovo: gelb angestrichene Einheitskisten mit rotem Dach, drei Zimmern, Küche und Badezimmer. 200 solche Häuser haben die "Produktionsorganisation Majak" und die Regionalregierung hingestellt, 300 sollen es am Schluss sein. Im Prospekt, den man über das neue Dorf hat drucken lassen, sieht man zufriedene Menschen vor schmucken Häusern und lachende Kinder, die einen Gemüsegarten anlegen. Der Kontrast zur Tristesse der Wirklichkeit könnte nicht grösser sein.

 "Untersuchungsergebnisse erfahre ich nie"

 Venera Gaynetdinova musste sich zwischen einem neuen Haus und einer Abfindung von einer Million Rubel (etwa 32000 Franken) entscheiden. "Es war gar keine Wahl", sagt sie, "ich musste das Haus nehmen." Für eine Million Rubel finde man keine Wohnung. Nun drängen die Behörden sie, noch vor Wintereinbruch umzuziehen. Unmittelbar danach soll ihr altes Heim geschleift werden. In Venera Gaynetdinovas neuem Haus jedoch sind weder Gas- noch Stromleitungen montiert, in der Badewanne stehen Gipssäcke. Die Aussenwände sind keine zehn Zentimeter dick und kaum isoliert, und für die Heizung war nur das billigste Modell aus China günstig genug. Dabei kann die Temperatur hier auch mal auf minus 40 Grad fallen.

 Venera Gaynetdinova gilt offiziell als "Betroffene" der Kontaminationen durch das Atomwerk Majak. Sie erhält im Monat 78 Rubel - knapp drei Franken - als "Kompensation", wie die Behörden das offiziell nennen. 200 Rubel bezahlt der Staat an die Medikamente für ihre Herzprobleme. Alle drei Monate muss sie sich in Tscheljabinsk untersuchen und die Strahlenbelastung in ihrem Körper messen lassen. "Die Resultate erfahre ich nie", sagt sie.

 Venera Gaynetdinovas Kuh grast im Sommer täglich am Ufer der Tetscha. Sie wird das auch weiterhin tun, unabhängig vom Wohnort ihrer Besitzerin, denn frisches Gras gibt es nur am Fluss. Venera Gaynetdinova weiss, dass sie diese Milch nicht trinken sollte, weil sie sich sonst selber vergiftet. Mit jedem Schluck nimmt sie Radionuklide auf, die sie innerlich verstrahlen - um ein Vielfaches stärker als die äussere Strahlung, die sie abbekommt, wenn sie ihre Kuh am Fluss abholt.

 Denn hier an der Tetscha ist sie plötzlich da, die Strahlung, die Greenpeace-Experte Heinz Smital am Anfang unseres Besuchs im neuen Musljumovo ungläubig vermisst hat. Je näher wir dem Fluss kommen, desto schneller wird das Knattern seines Szintillationsdetektors. Die Nadel, die im Dorf noch zwischen 5 und 10 schwankte, steht plötzlich bei 50, ein paar Schritte später bei 100 - Zeit für Massnahmen. Wer keine Bilder von Smitals Messungen am Wasser machen muss, geht nicht mehr weiter. Die Fotografen weist der Strahlenschutzexperte an, nichts anzufassen, nicht in die Hocke zu gehen und nichts auf den Boden zu stellen. 25 Minuten bleibt er mit der Gruppe an einem kleinen Tümpel an einem Seitenarm der Tetscha, dann bläst er zum Rückzug. Das Personendosimeter, das Smital auf sich trägt, zeigt am Ende des Tages 0,9 Mikrosievert an. Das ist rund 100-mal weniger als das, was er noch am Morgen als Grenzwert für die Tagesbelastung definiert hat, und doch: "Da ist eindeutig ein erhöhtes Strahlungsfeld."

 "Der soll das bitte erst mal beweisen"

 Welche radioaktiven Elemente dieses Strahlungsfeld bewirken, kann Smital aufgrund seiner Messung nicht sagen, und auch nicht, wann diese in den Fluss eingeleitet wurden. Noch eine Woche vor der Reise in den Südural, am Rand einer Tagung der Schweizer Atombranche, hat sich Axpo-CEO Manfred Thumann überzeugt gezeigt, dass die radioaktive Kontamination, die um Majak herum die Menschen krank werden lässt, eine "Altlast" sei: "Mit der aktuellen Produktion hat das nichts zu tun."

 Die Aussage war im besten Fall gewagt. Ausser den Verantwortlichen des Werks Majak selber weiss niemand, ob wie behauptet tatsächlich seit Jahrzehnten keine atomar verseuchten Abwässer mehr in die Tetscha gelangen - und diese Verantwortlichen sind äusserst schweigsam.

 Das gilt auch für Sergei Baranow, den wir am nächsten Tag in Tscheljabinsk besuchen, am Rand eines Forums mit dem Titel "Atomproduktion, Gesellschaft und Sicherheit". Baranow ist ein grosser, mächtiger Mann: der Chef über die "Produktionsorganisation Majak". Und Baranow sagt, was die Verantwortlichen von Majak stets sagen, seit sie die Verschmutzung der Tetscha, die Explosion 1957 und die Verseuchung aus dem Karatschai-See 1967 zugeben mussten: Flüssige radioaktive Abfälle würden in speziellen Reservoiren aufbewahrt und gelangten nicht in die Tetscha. Und wenn Umweltschützer behaupteten, es gebe Lecks in den Dämmen, die diese Reservoire vom Fluss abtrennen, dann stimme das schlicht nicht. Er jedenfalls würde in der Tetscha sogar schwimmen gehen, "vielleicht im Sommer". Bei allen übrigen Auswirkungen auf die Umwelt, fährt Baranow schnell weiter, befinde man sich "innerhalb der Grenzwerte". Und wer behaupte, Majak gebe weitere Radionuklide wie Tritium und Plutonium in die Umwelt ab, der soll das bitte erst mal beweisen.

 Es ist der Punkt, an dem sich Forscher und Umweltorganisationen die Zähne ausbeissen. Denn unabhängig erhobene Messresultate gibt es praktisch keine, offizielle Zahlen etwa zur Belastung durch die hochgefährlichen Radionuklide Plutonium-239 und Tritium - zwei der wichtigsten Produkte, die neben der Wiederaufbereitung von Uran und dem militärischen Programm in Majak hergestellt werden - fehlen fast ganz. Eine unabhängige Studie von 1996 geht davon aus, dass aufgrund der Plutoniumspuren in der Luft selbst die 60 Kilometer entfernte Millionenstadt Tscheljabinsk teilweise evakuiert werden müsste.

 Dort, im medizinischen Museum der Universität, stehen in Gestellen in Formaldehyd eingelegte Föten. Bilder, die man eigentlich nicht sehen will: Totgeborene mit offenen Rücken oder ohne Hirn, in Gläser gepresst. Ein direkter Zusammenhang mit Emissionen von Majak ist in der Industriestadt Tscheljabinsk mit ihren dreckigen Metallurgiewerken wissenschaftlich nicht haltbar. Indizien hingegen, dass dem so ist, gibt es durchaus: die Anzahl der Geburtsanomalien etwa, die das Anderthalbfache des russischen Durchschnitts beträgt. Dass diese mit Plutoniumverseuchung zusammenhängen können, zeigte sich nach dem Reaktorunglück in Tschernobyl: Nachdem grosse Mengen Plutonium ausgestossen worden waren, stellte man eine signifikante Häufung dieser Missbildungen fest.

 Schweizer AKW-Betreiber verunsichert

 Zwei Tage später, Zollstrasse 62 in Zürich, bei der Medienstelle der Axpo. Im Verlauf der Woche haben die Betreiber aller Schweizer AKWs eingeräumt, Uran aus Majak einzusetzen oder eingesetzt zu haben. Bei der Axpo sagt CEO Manfred Thumann plötzlich, man werde alles daransetzen, um die Produktion in Majak mit eigenen Augen begutachten zu können: "Ich befürchte, dass wir Dinge sehen werden, die uns nicht gefallen." Und Stephan Döhler, Chef der Nukleardivision, spricht davon, dass man sich überzeugen wolle, "dass in Majak eine Betriebs- und Sicherheitskultur herrscht, die wir verantworten können".

 In Musljumovo wird Venera Gaynetdinova davon nichts mitbekommen. Sie wird weiter täglich die Milch ihrer Kuh trinken, und sie wird Gemüse aus dem Garten essen, den sie mit Flusswasser giesst, denn viel anderes kann sie sich gar nicht leisten. Und so wird Venera Gaynetdinova bis an ihr Lebensende täglich ein wenig mehr vergiftet sein.

 Wenn sie am Abend ihre Kuh zum Melken vom Ufer der Tetscha holt, wird sie dort auch andere Kühe antreffen und andere Bewohner, die deren Milch trinken. Nur Sergei Baranow, den Direktor von Majak, der "vielleicht" einmal dort schwimmen gehen will, den wird sie am Ufer der Tetscha sicher nie antreffen.

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NZZ 26.11.10

Winterthurer Skepsis zum Endlager Benken

 Stadtrat fordert mehr Mitsprache

 flo. · Der Winterthurer Stadtrat äussert sich kritisch zur Möglichkeit eines Atomendlagers in Benken. Er verlangt, künftig in den regionalen Partizipationsprozess einbezogen zu werden. Die Stadt macht in einer Mitteilung geltend, bei der Standortsuche sei den übrigen Belastungen der Regionen angemessen Rechnung zu tragen; so habe der Kanton Zürich bereits landesweit das grösste Verkehrsaufkommen zu bewältigen. Es sei anzunehmen, dass die Transportroute zu einem allfälligen Tiefenlager im Zürcher Weinland sowohl auf der Strasse als auch auf der Schiene durch Winterthurer Stadtgebiet führen würde. Die Forderung nach mehr Mitsprache begründet Winterthur mit seiner engen Verflechtung mit dem Weinland. So verfüge die Stadt über eine Konzession zur Nutzung des Grundwasserstroms, zudem falle die Bedeutung des Weinlandes mit seinen stadtnahen Erholungsräumen ins Gewicht.

 Der Winterthurer Sicherheitsvorstand Michael Künzle räumt ein, im Grundsatz befürworte der Stadtrat den Einsatz des Bundes für eine sichere Entsorgung radioaktiver Abfälle. Dabei müssten aber alle denkbaren Standorte mit der gleichen Sorgfalt überprüft werden; vor allem gelte es zu verhindern, dass Benken vorschnell politisch favorisiert werde.

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Bericht zu Tiefenlager-Kenntnissen

 dsc. · Der jetzige geologische Kenntnisstand erlaube "eindeutige quantitative Aussagen" zu den möglichen Standortgebieten für ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle - so lautet das Fazit eines neuen Berichts der mit dem Projekt betrauten Genossenschaft Nagra. Allerdings werden weitere Untersuchungen in den nächsten Jahren in Aussicht gestellt. Im Juni dieses Jahres hatte der Ausschuss der Kantone (AdK) im Tiefenlager-Verfahren gefordert, dass die Kenntnisse über die Standortgebiete auf ein vergleichbares Niveau gehoben werden. In den nächsten Monaten wird das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat wie auch der AdK den Nagra-Bericht prüfen.

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Landbote 26.11.10

Stadtrat: "Benken ist der falsche Ort"

 Felix Reich

 Winterthur - Die Gegner des Endlagers für Atommüll erhalten Unterstützung aus Winterthur: Der Stadtrat hält in einem Schreiben an den Bund und die Städteinitiative fest, dass er Benken nicht für einen geeigneten Standort hält. Das Weinland sei ein wichtiges Erholungsgebiet und dürfe nicht belastet werden. Zudem trage der Kanton Zürich bereits genug Lasten im Dienst des Landes: Er zahle am meisten in den Finanzausgleich ein und müsse mit dem grössten Verkehrsaufkommen im ganzen Land leben.

 Das dreistufige Verfahren, das der Bund eingeleitet hat, lobt der Stadtrat zwar. Er fordert aber, dass Winterthur in den Evaluationsprozess eingebunden wird. Weil der für Benken bestimmte Atommüll durch Winterthur transportiert würde, wäre die Stadt "unmittelbar betroffen". (fmr) lSeite 13

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Support für die Gegner des Atomendlagers
 
Felix Reich

 Der Stadtrat will zwar, dass der radioaktive Müll in der Schweiz entsorgt wird. Ein Atomendlager in Benken ist ihm aber ein Graus: Zürich trage schon genug Lasten für die Schweiz, und das Weinland sei ein wichtiges Erholungsgebiet.

 Es ist ein "Ja" mit einem sehr gewichtigen "Aber", das der Stadtrat an den Bund und den Städteverband verschickt hat. Die Regierung anerkennt zwar, dass die atomaren Abfälle in der Schweiz entsorgt werden müssen, und auch mit dem in drei Etappen gegliederten Vorgehen des Bundes, der auf der Suche nach einem Standort für die Lagerung des strahlenden Mülls ist, erklärt er sich einverstanden.

 Weil keiner das Endlager will

 Einem möglichen Atomendlager im Zürcher Weinland steht der Stadtrat jedoch "sehr kritisch gegenüber". Weil er das Verfahren lobt, sei der Zeitpunkt, Position zu beziehen, noch nicht reif, sagt Stadtrat Michael Künzle (CVP), Chef des Departements Sicherheit und Umwelt. Er tut es trotzdem. Denn mit einem Endlager in Benken wird sich der Stadtrat kaum anfreunden, egal was die Evaluation ergibt. "Es werden sich alle in Frage kommenden Standortgemeinden wehren." Deshalb sei es legitim, schon jetzt Bedenken anzumelden, sagt Künzle.

 Der Stadtrat befürchtet, dass die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) das Verfahren am Ziel anpasst und die Suche so steuert, dass sich am Ende der bereits jetzt feststehende Favorit als idealer Standort erweist. Um dieser Gefahr vorzubeugen, müsse nochmals wissenschaftlich geprüft werden, ob sich das in Benken vorhandene Gestein gut eigne. Zudem kritisiert der Stadtrat das vorliegende Entsorgungskonzept und befindet sich damit auf einer Linie mit den Gegnern des Atomendlagers, die sich letzte Woche in Laufen am Rheinfall zu Wort gemeldet haben ("Landbote" vom 18. November): Die radioaktiven Abfälle "sollen jederzeit aus dem geologischen Tiefenlager zurückgeholt werden können, falls neue wissenschaftliche Erkenntnisse dies nahelegen", verlangt die Regierung. Bei einem Endlager, wie es jetzt geplant ist, werden die Behälter definitiv verschlossen, sobald sie gefüllt sind.

 Atomverlad am Hauptbahnhof

 Der Stadtrat will in den Prozess, der die Partizipation der betroffenen Gebiete ermöglicht, eingebunden werden. Er rechtfertigt seine Forderung damit, dass Winterthur als "bevölkerungsreiche Stadt mit überregionaler Zentrumsfunktion" eng mit dem Weinland verflochten sei. Und: Es sei absehbar, dass die Transportroute zu einem allfälligen Endlager in Benken über Stadtgebiet führen und der Atommüll auch durch die Stadt gefahren werde. Daraus ergebe sich "eine unmittelbare Betroffenheit", sagt Künzle.

 Für den Umweltminister der Stadt wäre es auch ein Gebot der Fairness, wenn der atomare Abfall nicht im Kanton Zürich gelagert würde: Zürich sei nämlich der grösste Nettozahler im Finanzausgleich und müsse zugleich "das landesweit mit Abstand grösste Verkehrsaufkommen mit all seinen umweltschädlichen Immissionen bewältigen". In der Lastenverteilung sei deshalb "ein gewisser Ausgleich" nötig, sagt Künzle. lFELIX REICH

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NLZ 26.11.10

SP ist gegen das Atomendlager
 Obwalden

jvm.

 jvm. "Wir wollen, dass der Wellenberg aus der Liste der möglichen Lagerstandorte gestrichen wird", sagt Ruth Koch, Fraktionspräsidentin der SP Obwalden. Die SP Obwalden und die SP Engelberg wollen nichts von einem Atomendlager im Wellenberg wissen, deshalb haben die beiden Parteien eine entsprechende Stellungnahme an das Bundesamt für Energie geschickt. Der Wellenberg sei für eine sichere Entsorgung nicht geeignet, und zudem gefährde ein Endlager in der Region die Tourismusdestination Engelbergertal.

 Eine volkswirtschaftliche Studie wies die zu erwartenden Ausfälle im Tourismus durch ein Lager für radioaktive Abfälle in der Region als erheblich aus. "Ein Atomendlager im Wellenberg ist für den Tourismus in der Region nicht tragbar", ist Elisabeth Brun, Präsidentin der SP Engelberg, überzeugt. Zusätzlich fürchtet die SP Obwalden die Gefahr von Erdbeben. Das Engelbergertal ist auch heute noch von der Alpenfaltung betroffen - wie sich ein Erdbeben auf ein Endlager auswirkt, ist nicht absehbar.

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Le Temps 26.11.10

"Nous désirons diversifier nos installations de production d'électricité"

Propos recueillis par Willy Boder

 Giovanni Leonardi, patron du groupe d'électricité Alpiq, défend la construction de deux nouvelles centrales nucléaires en Suisse. Il estime que le projet du Niederamt, près de la centrale actuelle de Gösgen, est le mieux positionné, notamment car il a le soutien politique du Législatif du canton de Soleure. Entretien

 Le Temps: L'inspection fédérale de la sécurité nucléaire a avalisé trois dossiers de nouvelles centrales, dont celui de Niederamt, à proximité du réacteur de Gösgen, qui concerne directement Alpiq. Etes-vous satisfait?

 Giovanni Leonardi: Cette approbation marque le début d'un long processus administratif et politique clairement réglementé par la loi. La branche électrique décidera sans doute au début de l'année 2012, soit avant la publication du message du Conseil fédéral, quels projets il convient de réaliser. Conformément à la nouvelle stratégie énergétique du Conseil fédéral, qui s'appuie aussi sur l'énergie nucléaire, la branche électrique est d'avis que pour compenser le déficit de production dû à l'arrêt des anciennes centrales suisses et à l'échéance de certains contrats d'importation avec la France et pallier l'augmentation de la consommation d'électricité, il faudra au moins deux nouvelles centrales nucléaires en Suisse.

 Pourtant, le responsable financier du groupe Alpiq a estimé qu'il n'y a pas la capacité financière, en Suisse, de conduire deux projets pour un total de quelque 16   milliards de francs…

 Les propos de Kurt Baumgartner ont été mal interprétés. Il n'a pas voulu dire que c'était impossible, mais que mener plusieurs projets en parallèle multiplie les risques de gestion, au niveau administratif, politique et financier. Pour les maîtriser, la branche électrique devrait pouvoir compter sur des conditions cadres stables, ce qui n'est jamais garanti pour ce genre d'installations. Il est donc raisonnable d'envisager des constructions échelonnées sur quelques années. C'est d'autant plus logique que l'arrêt des centrales existantes se fera probablement aussi en décalage.

 Faut-il comprendre que Mühleberg II sera la première installation à remplacer Mühleberg I?

 Je ne parle pas de substitution physique, mais de substitution de capacité de production nucléaire. Ce transfert peut bien entendu se produire à un autre endroit qu'au lieu d'arrêt de la première centrale.

 En quoi, selon vous, le projet Niederamt, est-il mieux positionné que Mühleberg II défendu par les Forces motrices bernoises, ou celui de Beznau III défendu par Axpo?

 Le projet Niederamt est bon, à la fois au plan technique et politique. Techniquement il a notamment pour avantage de pouvoir être facilement relié à un réseau de distribution de très grande capacité. Le type de réacteur et le système de refroidissement seront basés sur les derniers développements technologiques. Au plan politique, le parlement du canton de Soleure a donné un mandat très clair au Conseil d'Etat pour qu'il s'engage en faveur de la construction d'une nouvelle centrale nucléaire dans le canton.

 Pourtant les treize communes riveraines du site de Niederamt sont dans le camp des opposants. Est-ce que cela vous inquiète?

 Non. Les communes du Niederamt ne sont pas contre le projet. Elles ont par contre des questions et oppositions au nouveau plan directeur cantonal. Ce mouvement fait finalement partie du processus d'analyse et de décision démocratique voulu par la loi. La Suisse possède, dans le domaine nucléaire, des règles uniques au monde. Mais si le peuple approuve le projet, l'investissement obtient alors une forte légitimité qui réduit les risques pour les promoteurs.

 Certains prétendent que les progrès techniques et une lutte active contre le gaspillage permettent, par des économies d'énergie, d'éviter la construction d'une nouvelle centrale nucléaire. Pourquoi la branche électrique exige-t-elle au moins deux nouveaux réacteurs?

 Regardons la réalité en face. Depuis les années 1960 la consommation d'électricité augmente chaque année de 0,5 à 2%. Ce mouvement ne s'est jamais inversé malgré les progrès techniques. De plus, on va assister, dans le cadre de la lutte contre les émissions de CO2 produites par les énergies fossiles, à un report sur l'électricité, énergie nettement plus propre, qui représente aujourd'hui un quart seulement de la consommation d'énergie par personne. L'électrification du système, encore accru par le développement des voitures électriques, est en route. Le Conseil fédéral est également d'avis que la Suisse a besoin de deux nouvelles centrales nucléaires pour combler les mégawatts (MW) manquants à moyen terme.

 Mais électricité n'est pas synonyme de nucléaire…

 Je suis d'accord qu'à très long terme il faudra parvenir à remplacer les énergies fossiles par des énergies renouvelables. Mais durant la phase de transition, qui s'annonce longue, on aura encore besoin du nucléaire pour faire face à l'augmentation de la consommation d'électricité.

 En quoi Alpiq est-il concerné par l'importation de barres de combustibles du site russe pollué de Mayak?

 Du combustible de la région de Mayak est parvenu de manière indirecte à la centrale de Gösgen dont Alpiq détient 40%. Alpiq n'achète pas d'uranium, mais la centrale de Gösgen s'en est procuré auprès de la société française Areva qui, elle-même, a sous-traité avec la société russe MSZ Elktrostal.

 Le Conseil fédéral vient d'accorder un régime de faveur au projet de centrale à gaz de Chavalon malgré son rendement énergétique inférieur à la norme. Quand sera-t-elle inaugurée?

 Alpiq a toujours dit que des centrales à gaz comme Chavalon constituaient une solution transitoire intelligente pour garantir la sécurité de l'approvisionnement électrique jusqu'à ce que de nouvelles grandes centrales soient mises en service. Le Conseil fédéral partage cet avis.

 Le projet de Chavalon est développé par Eos holding, et la décision de construire lui incombe. Cette décision dépendra surtout du niveau de rentabilité de cette centrale thermique, impossible à déterminer avant la conclusion, avec l'Office fédéral de l'énergie, d'un contrat de compensation des émissions de CO2 qui doit être réalisé à 70% en Suisse.

 Les conditions d'acheminement du courant nucléaire français via des contrats à long terme sont au centre des négociations entre la Suisse et l'Union européenne. Si elles sont favorables, cela évitera-t-il la construction d'une centrale nucléaire en Suisse?

 Certainement pas. Le problème de la sécurité d'approvisionnement se posera de toute manière un jour ou l'autre. La France sera aussi contrainte de mettre hors service ses anciennes centrales nucléaires. Nous n'aurons alors peut-être plus accès à du courant nucléaire étranger excédentaire.

 Alpiq dispose, en Suisse, de seulement 6 mégawatts (MW) de puissance dans des installations produisant des nouvelles énergies renouvelables (éolien, solaire, biomasse). Etes-vous pronucléaire?

 Nous désirons diversifier nos installations de production d'électricité afin d'obtenir un mélange de toutes les formes d'énergies.

 Les projets de ce type fleurissent en Bulgarie, avec 20 éoliennes à 200 km à l'est de Sofia, ou en Italie. On a l'impression qu'il vous est plus facile d'investir dans les énergies renouvelables à l'étranger qu'en Suisse. Est-ce vraiment le cas?

 C'est le cas, car en Suisse il faut investir énormément d'argent simplement pour obtenir un permis de construire. Je constate que les pouvoirs publics désirent promouvoir les énergies renouvelables, mais qu'Alpiq se heurte à de nombreuses résistances des autorités et des organisations de protection de l'environnement lorsqu'il s'agit de faire aboutir un projet. Pour chaque projet, il faut trouver des compromis entre les intérêts divergents. Je ne m'en plains pas. Cela fait partie d'un processus inhérent à notre système politique de démocratie directe qui a l'avantage de garantir la réalisation d'un projet une fois que le peuple l'a accepté. La Confédération s'est fixé pour objectif la production, d'ici 2030, de 5,4 milliards de kWh d'électricité provenant du "nouveau renouvelable". Alpiq a décidé de contribuer au tiers de cette quantité. Cela se fera principalement dans le domaine de la petite hydraulique où il existe encore un fort potentiel, et dans l'éolien.

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Bund 25.11.10

Grosser Rat stimmt erneut für ein neues AKW in Mühleberg

 Gestern sprach sich der Grosse Rat für Mühleberg II aus. Das Volk stimmt im Kanton Bern am 13. Februar über ein neues AKW ab.

 Simon Thönen

 In wenigen Tagen stimmen die Stadtberner darüber ab, ob die Bundesstadt aus der Atomenergie aussteigt. Bereits am 13. Februar folgt dann auf kantonaler Ebene die Volksabstimmung, ob in Mühleberg ein neues Atomkraftwerk gebaut werden soll. Der Grosse Rat sprach sich gestern mit 91 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen für ein neues Kernkraftwerk in Mühleberg aus. Weiter beschloss er mit 148 zu 1 Stimmen bei einer Enthaltung, diesen Entscheid dem obligatorischen Referendum zu unterstellen.

 Überraschend ist der Entscheid nicht. Der Grosse Rat hatte sich bereits im Juni dafür ausgesprochen, dass der Kanton Bern dem Bund mitteilen soll, dass er ein neues AKW in Mühleberg befürwortet. Der Anlass für die Stellungnahme ist die Vernehmlassung des Bundes zur Rahmenbewilligung für neue AKW.

 Eggers engagiertes Plädoyer

 Wie schon im Juni überstimmte das mehrheitlich bürgerliche Kantonsparlament gestern erneut die rot-grün dominierte Regierung. Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP), die sich im Juni noch mit einer eher knappen Stellungnahme begnügt hatte, hielt gestern eine ausgesprochen engagierte Rede gegen ein neues AKW in Mühleberg.

 "Das rechnerische Risiko eines grossen AKW-Störfalls ist zwar sehr klein", sagte Egger, "seit Tschernobyl und Harrisburg wissen wir jedoch, dass solche Unfälle nicht nur möglich sind, sondern auch geschehen." Sie rief die "lieben Grossrätinnen und Grossräte" dazu auf, sich vorzustellen, "dass die Bundesstadt und der grösste Teil der Agglomeration evakuiert werden müssten". Der Regierungsrat wolle und könne die Bevölkerung diesem Risiko nicht weitere fünfzig Jahre aussetzen.

 Atomenergie sei wenig wirtschaftlich, warnte Egger, die zuständige Behörde in den USA sei "klar zum Schluss gekommen, ohne staatliche Unterstützung würde sich der Neubau von AKW nicht lohnen". Die Stromlücke, vor der die Befürworter von neuen AKW warnen, bezeichnete Egger als "Gespenst". Im liberalisierten Strommarkt könnten Versorger jederzeit Strom kaufen. Auch volkswirtschaftlich würden, so Egger, erneuerbare Energien mehr Sinn machen als AKW. Studien zeigten, dass sich so 20 bis 80 Prozent mehr Arbeitsplätze schaffen liessen. Sukkurs erhielt Egger natürlich von den rot-grünen Fraktionen, den Grünliberalen und einem Teil der EVP. "Atomenergie ist das grösste anzunehmende Klumpenrisiko", sagte etwa die Grüne Natalie Imboden.

 Bürgerliche: Standortvorteil

 Ebenfalls nicht überraschend plädierten alle Sprecher der bürgerlichen Parlamentsmehrheit für Mühleberg II. "Es kann niemand mit Euphorie für Kernenergie sein, aber man darf sie auch nicht einfach aus emotionalen Gründen ablehnen", sagte BDP-Grossrat Mathias Tromp. Die Energieeffizienz greife noch nicht. "Wir können doch nicht sofort alle unsere Geräte wegwerfen und neue A-Geräte kaufen."

 Wirtschaft und Bevölkerung brauchten Energiepreise, die bezahlbar sind, sagte SVP-Sprecher Fritz Ruchti. "Alternative Energie ist subventioniert." Man könne von der Wirtschaft jedoch nicht verlangen, dass sie Energie subventioniere. Ruchti räumte allerdings ein, dass die Entsorgung des Atommülls "noch nicht zu Ende gedacht ist".

 Für FDP-Sprecher Peter Flück ist ein neues Kernkraftwerk in Mühleberg ein Standortvorteil für den Kanton Bern. Es sei eine Bruttowertschöpfung von mehreren Hundert Millionen Franken zu erwarten. Der rot-grünen Ratseite warf er vor, sie würde nicht nur AKW, sondern auch Wasserkraftwerke bekämpfen. "Es beelendet mich, dass Energieeffizienz und erneuerbare Energien gegen die Kernenergie ausgespielt werden", sagte sein Fraktionskollege Ruedi Sutter. Man brauche alle CO2-armen Technologien, um den Klimawandel zu bekämpfen.

 Im kommenden Abstimmungskampf wird nun der Grosse Rat gegen die Regierung stehen. Sie werde wie üblich an Podien auftreten und eine Medienkonferenz zur Vorlage abhalten, sagte Egger auf Anfrage. "Dabei werde ich die Haltung des Grossen Rates darlegen - aber selbstverständlich werde ich auch die regierungsrätliche Haltung nicht zurückhalten."

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Grosser Rat

 Das Problem der radioaktiven Abfälle "umgehend lösen"

 Der Regierungsrat muss beim Bund eine Standesinitiative einreichen, die verlangt, dass das Problem der Entsorgung radioaktiver Abfälle "umgehend gelöst" wird. Der Grosse Rat überwies gestern eine entsprechende Motion von Christoph Grimm (Grüne, Burgdorf) in diesem Punkt ohne Gegenstimme. Das Parlament sprach sich aber recht klar gegen weitere Forderungen aus, die Grimm in der Initiative unterbringen wollte. (sda)

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BZ 25.11.10

Ein AKW-Ja wider Willen

 Kanton Bern. Die Berner Bevölkerung wird im Februar über ein neues AKW in Mühleberg befinden. In der Stellungnahme des Kantons gegenüber dem Bund muss sich die Regierung auf Geheiss des Parlaments für ein neues Atomkraftwerk aussprechen - gegen ihren Willen.

 Nun ist es definitiv:   Im Februar kann die Berner Bevölkerung zu einem neuen Atomkraftwerk in Mühleberg abstimmen. Dies hat gestern der Grosse Rat des Kantons Bern entschieden. Das Resultat dieser Konsultativabstimmung wird anschliessend dem Bund vorgelegt.

 Ebenfalls entschieden hat das Kantonsparlament in der gestrigen Sitzung, in welcher Form die Stellungnahme dem Bernervolk vorgelegt wird: Sie wird atomfreundlich abgefasst - obwohl dies dem rot-grün dominierten Regierungsrat gründlich gegen den Strich geht.

 Zwar handelt es sich bei der Abstimmung am 13.Februar 2011 wie erwähnt nur um eine Konsultativabstimmung. Doch ihr Resultat wird allgemein als Stimmungsbarometer für die nationale AKW-Abstimmung im Jahr 2013 angesehen. Der Kanton Bern ist nämlich der einzige der vorgesehenen Standortkantone, der die Bevölkerung dazu befragt, ob sie mit dem Bau eines neuen Atommeilers auf ihrem Gebiet einverstanden ist oder nicht.

 Neben Mühleberg stehen noch zwei Ersatzwerke in Beznau AG und Gösgen SO zur Diskussion. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) kam vor zwei Wochen zum Schluss, dass grundsätzlich alle Standorte für den Bau von Atommeilern der neuesten Generation geeignet sind. Spricht sich das Bernervolk in drei Monaten gegen Mühleberg II aus, stehen praktisch nur noch Gösgen und Beznau zur Diskus-sion. sda/pasSeite 12 + 13

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Nur zwei AKW-Gegner

 Grosser Rat8 der 12 Oberaargauer Grossräte sind für ein neues AKW in Mühleberg.

 Am 13. Februar 2011 wird das Bernervolk über die Stellungnahme des Kantons zu einem neuen Atomkraftwerk (AKW) in Mühleberg zuhanden des Bundes abstimmen. Gestern hat sich der Grosse Rat damit befasst. Er sprach sich mit 91 gegen 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen für eine positive Stellungnahme aus. Die zwölf Oberaargauer Grossratsmitglieder haben folgendermassen abgestimmt:

 Ja: Christian Hadorn (SVP, Ochlenberg), Jürg Schürch (SVP, Huttwil), Käthi Wälchli (SVP, Obersteckholz), Monika Gygax (BDP, Obersteckholz), Dieter Widmer (BDP, Wanzwil), Hans Baumberger (FDP, Langenthal), Katrin Zumstein (FDP, Bützberg), Daniel Steiner (EVP, Langenthal).

 Nein: Nadine Masshardt (SP, Bern/Langenthal), Adrian Wüthrich (SP, Huttwil).

 Enthalten: Markus Meyer (SP, Roggwil).

 Abwesend: Thomas Rufener (SVP, Langenthal).
 drh

 Berichterstattung zur Grossratsdebatte siehe Seite 12 und 13.

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Das Kantonsparlament setzt auf ein AKW in Mühleberg

 Der Grosse Rat des Kantons Bern empfiehlt dem Stimmvolk wenig überraschend, sich am 13. Februar für den Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg auszusprechen. Die Ratslinke unterlag deutlich, selbst die mahnenden Worte von SP-Energiedirektorin Barbara Egger halfen nichts.

 "Wollen Sie die zustimmende Stellungnahme des Kantons Bern zu einem Ersatz-AKW in Mühleberg akzeptieren oder ablehnen?" Diese Frage wird den Stimmberechtigten des Kantons Bern am 13. Februar 2011 vorgelegt. Falls ein Ja resultiert, nimmt der Kanton zuhanden des Bundesamts für Energie zustimmend Stellung zum Rahmengesuch für ein neues AKW in Mühleberg.

 Falls sich eine Mehrheit der Stimmenden für ein Nein ausspricht, wird die Regierung dem Bund dieses Resultat mitteilen und schreiben, Bernerinnen und Berner lehnten ein neues Kernkraftwerk 14 Kilometer westlich der Bundesstadt ab.

 Der Grosse Rat verabschiedete die zustimmende Stellungnahme gestern mit 91 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen. Das deutliche Resultat widerspiegelt klar die geltenden Fronten und Mehrheitsverhältnisse: Rot-grün sprach sich vehement gegen eine atomfreundliche Stellungnahme aus, der Bürgerblock tat dies ebenso überzeugt dafür.

 Egger mahnte vergebens

 Verloren hat gestern die rot-grüne Regierung. Sie hat nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie ein neues Atomkraftwerk ablehnt. Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) wehrte sich bis zuletzt gegen eine positive Stellungnahme und versuchte auch in der gestrigen Debatte noch einmal, das Blatt zu wenden - vergeblich.   "Stellen Sie sich vor, Stadt und Agglomeration Bern müssten bei einem Störfall evakuiert werden", sprach sie den Parlamentariern ins Gewissen. Dies sei ein Szenario, das kein Politiker in Kauf nehmen könne. Nun biete sich Gelegenheit, "der überholten, teuren und gefährlichen Technologie" abzuschwören und die Zukunft auf erneuerbaren Energien aufzubauen. Die Technologien dazu seien vorhanden. "Die Regierung will nicht nur eine gesicherte, sondern auch eine sichere Stromversorgung", rief sie ins Plenum. Doch die Meinungen waren längst gemacht. Und auch Eggers Argument, dass das hiesige Gewerbe viel mehr von Solar-, Wasser-, Wind- und Biomassenenergie profitieren würde als von der Atomenergie, wurde von bürgerlicher Seite nicht gehört.

 Die Sprecher von SVP, FDP, BDP, EDU sowie Teilen der EVP wiederholten, dass der Schweiz ohne neue Grosskraftwerke eine Stromlücke drohe. Denn der Energiehunger steige stetig und sei mit Sparmassnahmen und dem Einsatz von alternativen Energien schlicht nicht wettzumachen.

 Schliesslich wiederholte sich das, was bereits im Juni passiert war: Damals zwang die bürgerliche Mehrheit im Kantonsparlament die Regierung, dem Grossen Rat eine zustimmende Stellungnahme zur Beratung vorzulegen. Nun wird im kommenden Jahr eine ebenso positiv formulierte Stellungnahme dem Stimmvolk vorgelegt.

 Trotz der Emotionen, welche das Thema Atomenergie bei den Politikern weckte, verlief die Diskussion im Rathaus aber weitgehend sachlich. Wohl auch darum, weil das Resultat vorhersehbar war.

 Allgemein wird erwartet, dass das Berner Abstimmungsresultat vom 13. Februar entscheidende Bedeutung hat für die Pläne der Energiekonzerne, ihre Atomkraftwerke zu ersetzen.

 Nur Bern befragt das Volk

 Die weiteren Schritte in der AKW-Diskussion sind vorgezeichnet: 2011 will der Bund die Vernehmlassung eröffnen. Alle Kantone sollen Stellung zu den drei Gesuchen für Neubauten in Mühleberg BE, Beznau AG und Gösgen SO nehmen. Bern ist dabei der einzige Standortkanton, der das Volk vorgängig befragt. Das Resultat wird darum als wichtiger Stimmungsbarometer genommen.

 2012 wird der Bundesrat voraussichtlich über die Gesuche entscheiden. Anschliessend kommt die Vorlage ins Parlament. Das Referendum gilt bereits als sicher, sodass Ende 2013 die Schweizer Stimmberechtigten das letzte Wort sprechen würden.

 Nach rund zehn Jahren Bauzeit könnte 2025 das erste neue Atomkraftwerk in der Schweiz den Betrieb aufnehmen und während rund 50 Jahren Energie produzieren.
 pas/sda

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 "50 Jahre Nuklearstrom konsumieren und so radioaktiven Abfall für 10 000 Jahre anhäufen: Das geht nicht auf."
 Flavia Wasserfallen, SP/Bern

 "In Entwicklungsländern gibt es Krawalle, wenn das Brot fehlt, in Industrieländern, wenn die Energie ausgeht."
 Erwin Burn, EDU/Adelboden

 "Wenn neue KKW gebaut werden, dann in Bern - zum volkswirtschaftlichen Nutzen des Kantons."
 Peter Flück, FDP/Brienz

 "Die Reduktion des Treibhausgases CO2 hat eine höhere Priorität als der Ausstieg aus der Atomenergie."
 Mathias Tromp, BDP/Bern

 "Wir müssen immer mit Risiken leben. Auch bei einem Wasserkraftwerk kann mal eine Staumauer brechen."
 Fritz Ruchti, SVP Seewil

 "Ein neues AKW kostet Milliarden von Franken. Ohne staatliche Hilfe ist das nicht zu finanzieren."
 Nadine Masshardt, SP/Bern

 "Dann sitzen wir bis 2075 auf einem veralteten Monster-AKW, das teuren, umweltschädlichen Strom produziert."
 Andreas Hofmann, SP/Bern

 "AKW sind das grösste anzunehmende Klumpenrisiko - finanziell, wirtschaftlich und für die Umwelt."
 Natalie Imboden, Grüne/Bern

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Langenthaler Tagblatt 25.11.10

Jetzt ist die Meinung des Volkes gefragt

 Atomstrom Der Grosse Rat unterstützt deutlich den Ersatz des Berner Atomkraftwerks in Mühleberg

Bruno Utz

 "Der Kanton Bern ist an einer sehr wichtigen Weichenstellung zur Zukunft des Atomstroms beteiligt. Wir treffen einen Vorentscheid zur schweizerischen Abstimmung in einigen Jahren." So versuchte Andreas Hofmann (SP/Bern) die Bedeutung der Stellungnahme des Kantons an die Bundesbehörden zum Ersatz des Atomkraftwerks Mühleberg ins nationale Licht zu stellen. Er warnte vor dem von der BKW Energie AG geplanten "Monsterkraftwerk", das dreimal mehr Strom produzieren würde, als im gesamten Kanton verbraucht werde. Bei einer Inbetriebnahme im Jahr 2025 und einer Produktionsdauer von 50Jahren wäre der Kanton bis 2075 energiepolitisch handlungsunfähig. Antonio Bauen (Grüne/Münsingen) bezeichnete das neue Atomkraftwerk als "gigantisches Klumpenrisiko". Weder die Uranabfall- noch die CO2-Problematik seien gelöst. Mit der Energiestrategie 2006 habe der Regierungsrat den Weg in eine langfristig sichere Stromversorgung aufgezeigt. "Setzen wir nicht aufs falsche Ross. Es gibt nur einen Weg, und der heisst Ausstieg aus der Atomenergie." Ins gleiche Horn stiess Franziska Schöni (GLP/ Bremgarten). Atomstrom sei längst nicht so preisgünstig wie behauptet. "Wir müssen auch die nicht versicherbaren Risiken berücksichtigen."

 Für die Grünen mahnte Natalie Imboden (Bern): "Wir spielen ‹russisches Roulette› mit unseren Kindern und Kindeskindern." Auch Christine Häsler (Grüne/Burglauenen) zeigte sich besorgt ob der Langfristigkeit der Betriebs- und Endlagerrisiken: "Um uns geht es nicht, aber um all die, die nach uns kommen." Flavia Wasserfallen (SP/Bern): "Wir profitieren 50 Jahre lang von der Stromproduktion, hinterlassen aber für 100000 Jahre radioaktiven Abfall. Das ist unverantwortlich."

 Hans-Jörg Rhyn (SP/Zollikofen) verwies auf Erfahrungen in Deutschland mit Alternativenergien. "Die sind dort ein Job-Motor." Dank des Booms von Solar- und Windenergie seien 170000 neue Jobs entstanden. Josef Jenni (EVP/Oberburg) verglich auch mit Deutschland: "Was vor wenigen Jahren fast niemand möglich hielt, ist Tatsache: Heute decken erneuerbare Energien 17 Prozent des deutschen Strombedarfs." Neue Schweizer Atomkraftwerke seien daher völlig überholt, wenn sie einmal in Betrieb gehen. Jennis Empfehlung: "Der Kanton Bern soll sich für Pumpspeicherwerke einsetzen und so die erneuerbaren Energien fördern und Geld verdienen.

 "Niemand kann mit Euphorie für Atomenergie eintreten", räumte Mathias Tromp (BDP/Bern) ein. "Aber die Versorgungslage mit Energie ist zu ernst." Die BDP unterstütze einstimmig den "Mühleberg"-Ersatz. Auch daher, weil die BDP hinter der Energiepolitik des Bundes stehe, die auf den vier Säulen Energieeffizienz, erneuerbare Energien, Ersatz und Neubau von Grosskraftwerken und Energieaussenpolitik basiere. "Erneuerbare Energien sind nötig, können Atomenergie aber nicht rechtzeitig ersetzen."

 Bürgerliche setzen Kontrapunkte

 Er sei zwar kein Atom-Turbo, aus heutiger Sicht bleibe der Atomstrom aber unverzichtbar, sagte Erwin Burn (EDU/Adelboden): "Auch da Strom immer mehr zur Schlüsselenergie wird." Fritz Ruchti (SVP/Seewil) mahnte, der Strom müsse bezahlbar bleiben: "Heute werden die erneuerbaren Energien stark subventioniert. Es ist aber unmöglich, den gesamten Strombedarf von Industrie und Gewerbe zu subventionieren." Die SVP sei bereit, die mit einem Atomkraftwerk verbundenen Risiken zu tragen. Ruchti: "Auch Staumauern können brechen." Der Inhaber einer Schreinerei, Ueli Lehmann (BDP/Zäziwil), sagte, er traue den Versprechen nicht, mit erneuerbaren Energien könne die Versorgungssicherheit gewährleistet werden. "Für KMUs ist jedoch eine sichere und bezahlbare Stromversorgung überlebenswichtig." Deshalb, und weil der Energieverbrauch stetig wachse, müsse "Mühleberg" ersetzt werden, sagte Peter Flück (FDP/Brienz). Die FDP befürworte erneuerbare Energien. Leider wehrten sich die Atom-Gegner jedoch auch gegen Bewilligungen für neue Wasser- und Windkraftwerke. Ein Atomkraftwerk zu haben, sei für den Kanton auch volkswirtschaftlich interessant. Flück: "Das neue ‹Mühleberg› bietet 800 Arbeitsplätze und bringt 70 Millionen Franken Steuereinnahmen." Laut der Mühlebergerin Anita Herren (BDP) ist das neue AKW im Dorf im Westen Berns willkommen: "Bei einer Umfrage sprachen sich 55 Prozent der Bevölkerung dafür aus."

 Im Gegensatz zur Regierung (vgl. Text unten) ist "Mühleberg" auch beim Grossen Rat willkommen: Nach einer mehrstündigen Auslegeordnung hat sich das Parlament mit 91 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen für eine positive Stellungnahme des Kantons an die Bundesbehörden ausgesprochen.

 Ob Berns Atom-Weichen tatsächlich auf Grün stehen, entscheidet das Stimmvolk am 13. Februar. Für das Referendum stimmten 148 Räte.

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 Barbara Egger: "Stromlücke kann es gar nicht mehr geben"

 "Obwohl sich technologisch viel geändert hat, diskutieren wir heute dieselbe Frage wie vor vierzig Jahren: Nein, wir brauchen kein neues AKW, inzwischen haben wir bessere Alternativen", so Energiedirektorin Barbara Egger in der gestrigen AKW-Debatte. Der Regierungsrat nehme Ängste zur Versorgungssicherheit ernst. Doch es gehe "nicht nur um gesicherten Strom, sondern auch um eine sichere Versorgung". Zwar sei Tschernobyl längst nicht mehr Thema in den Medien; der GAU sei jedoch in ihrer Erinnerung geblieben: "Es ist nicht ausgeschlossen, dass ein solcher Unfall in Mühleberg passieren kann." Versicherbar sei nur ein Tausendstel der Schäden: "Die Regierung kann und will ihre Bevölkerung nicht nochmals 50 Jahre diesem Risiko aussetzen." Dazu komme die offene Frage der Entsorgung. Den Mühleberg-Neubau mit der Forderung nach dessen unverzüglicher Lösung zu verknüpfen, wie es Christoph Grimm (Grüne/Burgdorf) forderte, wollte das Parlament jedoch nicht. Auch punkto Arbeitsplätze stehe es nicht so gut um einen AKW-Neubau. Auf einen Vorstoss von Nadine Masshardt (SP/Bern) sagte Egger, erneuerbare Energien hätten einen Beschäftigungseffekt, der 20 bis 80 Prozent höher liege als bei Grosskraftwerken. "Eine Stromlücke kann es gar nicht mehr geben", so Egger. "Strombezüger können ja überall einkaufen." Wer trotzdem noch von Stromlücke spreche, glaube nicht an den Markt. "Fakt ist: Nach allen Energieszenarien des Bundes wird 2035 ohne neue AKWs genug Strom produziert werden, um unseren Bedarf zu decken." (sat)

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20 Minuten 25.11.10

Atomkraftwerk statt Energiespargesetz?

 BERN. Die Atomtechnologie sei gefährlich, das Problem der radioaktiven Abfälle ungelöst und ein neues AKW bringe kaum Arbeitsplätze: Diesen Standpunkt vertrat Energiedirektorin Barbara Egger Jenzer gestern vehement vor dem Berner Kantonsparlament. Vielleicht muss sie bald ganz andere Töne anschlagen: Das Volk wird am 13. Februar an der Urne entscheiden, welche Haltung der Kanton zum Neubau des Kernkraftwerks Mühleberg künftig offiziell vertritt. Die bürgerliche Ratsmehrheit setzte gestern sogar eine Abstimmungsempfehlung zugunsten des AKWs durch. Eine Niederlage musste die Linke auch bei der Stellungnahme zum neuen Energiegesetz einstecken: Der Rat empfiehlt dem Volk, bei der Abstimmung über das Energiegesetz den Volksvorschlag anzunehmen, also jene Version, die auf Gebäudeenergieausweis und Förderabgabe verzichtet. sda/mar

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20 Minuten 25.11.10

Atomausstieg: Schweiz schaut auf St. Gallen

 ST. GALLEN. Am Sonntag stimmen die St. Galler über den Ausstieg aus der Atomenergie ab. Atomlobby und AKW-Gegner warten gespannt auf das Resultat.

 Neben den nationalen Abstimmungen wird das Augenmerk am Sonntag auch auf St. Gallen gerichtet sein: Die Stimmbürger entscheiden, ob die Stadt ab 2018 aus der Atomenergie aussteigt. Weil bald auch in anderen Städten darüber abgestimmt wird, ist das nationale Interesse gross. "Ich erhoffe mir durch ein Ja in St. Gallen einen Dominoeffekt für das ganze Land", so Geri Müller, Nationalrat der Grünen und Präsident der Schweizerischen Energiestiftung. Er ist zuversichtlich, weil er in der Bevölkerung einen klaren Trend zu erneuerbaren Energien spürt.

 Optimistisch ist aber auch das überparteiliche St. Galler Komitee gegen den Atomstrom-Ausstieg. "Erneuerbare Energien können den heutigen Stromverbrauch nicht abdecken", sagt Projektleiter Sven Bradke. Mit grossen Plakaten und Inseraten setzt sich das Komitee für ein Nein ein. Wie viel die Atomlobby mitzahlt, will Bradke nicht bekannt geben. "Die Kampagne wird von Sponsoren aus der Stromindustrie unterstützt", sagt er bloss. Auch die Fachgruppe Swiss Nuclear wollte sich dazu nicht äussern. Dass bezahlt wird, steht für Müller fest. Aber: "Obwohl die Atomlobby Millionen in Gegenkampagnen investiert, haben wir schon ähnliche Abstimmungen gewonnen."  

Simon Städeli

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Basler Zeitung 25.11.10

Fricktaler Frauen sehen offene Fragen bei Atommüll-Endlager

 Rheinfelden. Gruppierung fordert vor allem Sicherheit
 
Franziska Laur

 Auch im unteren Fricktal wird das Endlager für Atommüll immer mehr zum Thema: Dort informierten Fachfrauen eine Gruppe politisch aktiver Frauen. Diese bestehen auf ihrem demokratischen Mitspracherecht.

 Ann-Kathrin Leuz, Vertreterin des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi), und Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES) informierten in Rheinfelden die Gruppierung "Frauen und Politik" im Fricktal bezüglich Standortsuche für ein Atommüllendlager. Die Gross- und Gemeinderätinnen sowie die weiteren politisch aktiven Frauen zeigten sich hoch interessiert an den Ausführungen bezüglich Standortsuche und politisches Begleitverfahren.

 "Das Thema wurde engagiert diskutiert", sagt Brigitte Rüedin, Vizeammann von Rheinfelden. Dabei sei deutlich geworden, dass die Thematik nicht nur im oberen Fricktal nahe dem Bözberg, sondern auch im Bezirk Rheinfelden zunehmend an Bedeutung gewinne. Der Bözberg gilt als einer der potenziellen Standorte für ein Atommüllendlager.

 Die Diskussion zeigte, dass unabhängig von der Standortfrage noch Fragen offen sind. Aus Sicht des Ensi stellen die offenen Punkte die grundsätzliche Machbarkeit eines geologischen Tiefenlagers nicht infrage. Doch die SES weist den Ergebnisbericht des Bundesamtes für Energie zurück: Das Lagerkonzept scheint ihr unausgereift, die Standortsuche sei verfrüht und der Ergebnisbericht verharmlosend. Der Sachplanprozess erscheint der Stiftung als Alibi-Übung, weil die wirklichen Fragen der Atommüllentsorgung nicht diskutiert werden, hiess es.

 Auseinandersetzung

Auch aus der Gruppe der Fricktaler Frauen waren viele der Meinung, dass zu wenig Demokratie in diesem Prozess stecke. Sie möchten kein Lager am Bözberg, bloss weil die Zuständigen hier eine willige Bevölkerung vorfinden. Die Sicherheit müsse beim Entscheid zum Standort an oberster Stelle stehen, so die einhellige Meinung. Auch sollten sämtliche noch offenen Fragen beantwortet werden. Und die Bevölkerung müsse die nötige Zeit für eine kritische Auseinandersetzung erhalten. Erst dann dürften die schwerwiegenden Entscheide getroffen werden, welche viele kommende Generationen betreffen.

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Aargauer Zeitung 25.11.10

Noch kein Ansturm gegen Tiefenlager

 Anhörung Bisher bescheidenes Echo aus Aargauer Regionen, Frist endet am 30. November

Hans Lüthi

 Jetzt geht die erste Etappe der aufwendigen Standortsuche für je ein geologisches Tiefenlager zur Entsorgung der schwach- und der hochaktiven Abfälle dem Ende zu. Der Aargau ist stark gefragt: Von den tangierten rund 200 Gemeinden in acht Kantonen liegen 88 Gemeinden bei uns. Die Hälfte davon in der Region Bözberg, die von Döttingen bis Wittnau reicht und von Birmenstorf bis zum Rhein. "Aus dem Raum Bözberg haben wir auch die meisten Reaktionen", sagt Projektleiter Leonhard Zwiauer von der Raumentwicklung im Departement Bau, Verkehr und Umwelt (BVU). Insgesamt aber sei "das Echo der Bevölkerung eher bescheiden", meint er zur Anhörung, die bis zum 30. November dauert.

 Fristerstreckung für Zurzibiet

 Im Osten und Westen ist der Aargau ebenfalls von den Abklärungen des Bundesamtes für Energie (BFE) und der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) tangiert. Primär auf Zürcher Gebiet liegt die Region Nördlich Lägern, ragt aber in einem Streifen von Ehrendingen über Endingen und bis Rekingen über die Kantonsgrenze. Die Reaktionen aus dem Zurzibiet fehlen noch, der Planungsverband hat auf Gesuch hin vom Bund ein paar Tage Fristerstreckung erhalten. "Das Treffen der Gemeindeammänner findet am 2.Dezember statt, dann werden wir den Entwurf für unsere Reaktion diskutieren und verabschieden", erklärt Repla-Präsident Felix Binder. Und die Gemeinden warten in der Regel ab, was der Planungsverband fordert, um auf der gleichen Linie zu liegen. Im Westen reicht der Perimeter für die Region Jura-Südfuss weit in den Aargau hinein, bis Küttigen, Lenzburg, Seon, Oberkulm, Staffelbach, Oftringen und bis Rothrist. Von den insgesamt 47 Gemeinden liegen 28 im Aargau und 19 im Kanton Solothurn.

 Komplizierte, abstrakte Materie

 Die im September durchgeführten Informationsanlässe waren zwar gut besucht, aber die Möglichkeit zur Stellungnahme benutzen vor allem Planungsverbände und Gemeinden. Kein Wunder: "Die Dokumente sind komplex, das Thema ist noch immer relativ weit entfernt", begründet Zwiauer die zahlenmässig schwachen Reaktionen. Denn noch ist es ja offen, welche Standortregionen ganz aus dem Rennen fallen und welche später in die engere Wahl kommen werden. Das Bundesamt für Energie will sich nicht in die Karten blicken lassen, "wir geben zu den eingegangenen Stellungnahmen grundsätzlich keine Inhalte bekannt", antwortet Mediensprecherin Marianne Zünd vom BFE auf Anfrage. Und sie verweist auf den Auswertungsbericht, wenn einmal die gesamte Anhörung vorliegt und ausgewertet ist.

 Sofern ein Doppel der Eingaben an den Kanton geht, sammelt Projektleiter Zwiauer diese für die Stellungnahme der Aargauer Regierung. Deren Frist ginge bis Ende Jahr, aber über die Festtage will sich die Regierung nicht mit radioaktiven Abfällen herumschlagen. "Darum werden wir unsere Stellungnahme Mitte Dezember nach Bern schicken", betont der Fachmann. Derzeit liege der Beschlussder Regierung noch nicht vor.

 Wichtige Phase ab Mitte 2011

 Für die relativ schwache Teilnahme der Bevölkerung gibt es einen weiteren Grund: Nach den Sommerferien 2011 beginnt die zweite Etappe, in deren Zentrum die regionale Partizipation steht. Dann rücken eigenständige Regionalkonferenzen ins Zentrum der Mitwirkung, in die laut BFE "alle wichtigen Interessen und Gruppierungen einbezogen werden". In der zweiten Etappe wird das Tiefenlager konkreter, weil es um die Oberflächenanlagen geht. Gemäss Fahrplan entscheidet der Bundesrat Mitte des nächsten Jahres, ob alle sechs Standortregionen im Rennen bleiben.

 Für die in der dritten Etappe verbleibenden Gebiete braucht es zusätzliche Bohrungen. Das Lager für schwachaktive Abfälle muss laut Planung des Bundes frühestens 2030, jenes für hochaktive Abfälle nicht vor dem Jahr 2040 bereit sein.

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be.ch 25.11.10

Entsorgung radioaktiver Abfälle: Es braucht konkrete Lösungen

Der Regierungsrat des Kantons Bern hat die erste Etappe des Sachplans geologische Tiefenlager für die Entsorgung radioaktiver Abfälle zur Kenntnis genommen. In seiner Anhörungsantwort an den Bund begrüsst er das schrittweise Vorgehen und den Einbezug aller betroffenen Kreise. Die Ergebnisse des Sachplans seien transparent und plausibel. Für den Regierungsrat ist die Suche nach einem geologischen Tiefenlager von grosser Bedeutung, weil es in den nächsten Jahren um die Frage gehen wird, ob in der Schweiz neue Atomkraftwerke bewilligt werden sollen. Der Regierungsrat ist überzeugt, dass es für die Entsorgung radioaktiver Abfälle konkrete Lösungen geben muss, bevor über die Bewilligung neuer Atomkraftwerke entschieden werden kann.

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admin.ch 25.11.10

Geologische Tiefenlager: Nagra-Bericht zum geologischen Kenntnisstand für Etappe 2

Bern, 25.11.2010 - In Etappe 2 der laufenden Standortsuche muss die Nagra quantitative provisorische Sicherheitsanalysen und einen sicherheitstechnischen Vergleich der potenziellen Standorte durchführen. In ihrem Bericht zuhanden des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (ENSI) legt die Nagra den aktuellen geologischen Kenntnisstand dar. Sie kommt zum Schluss, dass dieser eindeutige quantitative Aussagen zu allen Standortgebieten erlaubt und damit zuverlässige sicherheitstechnische Beurteilungen und Vergleiche möglich sind. Neben anderen Arbeiten plant die Nagra in Etappe 2 das regionale seismische Messnetz in den potenziellen Standortgebieten für ein Lager für hochradioaktive Abfälle zu verdichten. Der Nagra-Bericht wird nun vom ENSI geprüft.

2011 wird der Bundesrat über die definitive Festlegung der Standortgebiete im ,Sachplan geologische Tiefenlager" entscheiden (siehe Medienmitteilung des BFE vom 23.08.2010). Danach beginnt Etappe 2 der Standortsuche (Infobox), in der die Nagra mindestens je zwei Standorte für ein Lager für hochradioaktive Abfälle (HAA) und ein Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle (SMA) vorschlagen muss. Höchste Priorität hat dabei die langfristige Sicherheit von Mensch und Umwelt. Zu diesem Zweck muss die Nagra in Etappe 2 quantitative provisorische Sicherheitsanalysen und einen sicherheitstechnischen Vergleich der Standorte durchführen. Dazu braucht es einen ausreichenden Kenntnisstand über die geologischen Gegebenheiten an den Standorten. Gemäss ,Sachplan geologische Tiefenlager" muss die Nagra zuhanden des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats ENSI vor Beginn von Etappe 2 aufzeigen, ob der aktuelle Kenntnisstand dafür ausreichend ist oder ob in Etappe 2 zusätzliche Untersuchungen, beispielsweise auch bewilligungspflichtige Sondierbohrungen, notwendig sind. Der vorliegende Bericht dokumentiert den aktuellen Kenntnisstand und beinhaltet die Schlussfolgerungen der Nagra zu dieser Frage.

Umfangreiche Datenbasis vorhanden

Gemäss Nagra-Bericht liegen für jedes Standortgebiet umfangreiche Informationen zu Geometrie, Strukturen, Wirtsgesteinen, hydrogeologischen Verhältnissen sowie zur tektonischen Langzeitentwicklung (Hebung, Erosion, etc.) vor. Diese Daten stammen aus seismischen und geophysikalischen Untersuchungen, aus Bohrungen, Oberflächenaufschlüssen, aus Tunneln, aus der geologischen Kartierung oder auch aus Felslaboren.

Die Nagra hat geprüft, ob mit der vorhandenen Datenbasis quantitative Aussagen zur Sicherheit und technischen Machbarkeit, zur Charakterisierung der Wirts- und Rahmengesteine, zur Hydrogeologie, zu den Mechanismen der Radionuklidausbreitung (Dosisverlauf), zu den geochemischen Bedingungen und zur Biosphäre gemacht werden können.

Zuverlässige quantitative Beurteilungen und Vergleiche sind möglich

Aufgrund der dazu durchgeführten Testrechnungen kommt die Nagra zum Schluss, dass sie aufgrund des aktuellen Kenntnisstands und der vorhandenen Datenbasis in Etappe 2 eindeutige und belastbare quantitative Aussagen zu allen Standortgebieten machen kann. Nach Abschluss der bereits laufenden oder in Planung befindlichen Untersuchungen, könne die sicherheitstechnische Eignung und der Vergleich der geologischen Standortgebiete zuverlässig beurteilt und durchgeführt werden. Die Nagra will den vorhandenen Kenntnisstand in Etappe 2 mit weiteren Untersuchungen zu Geometrie, Wirtsgesteinen, Rohstoffvorkommen, hydrologischen Verhältnissen, der geologischen Langzeitentwicklung, zur Lagerauslegung oder zur Gasbildung und -freisetzung ergänzen. Zudem plant die Nagra, sich an Bohrungen Dritter zu beteiligen (z.B. Bohrungen für Erdwärmesonden) und das regionale seismische Messnetz in den potenziellen Standortgebieten für ein HAA-Lager in Etappe 2 zu verdichten.

Weiteres Vorgehen

Der Bericht und die darin enthaltenen Schlussfolgerungen der Nagra werden nun durch das ENSI und die KNS geprüft und zusätzlich den Standortkantonen zur Stellungnahme unterbreitet. Das ENSI wird seine Ergebnisse im 1. Quartal 2011 publizieren. Im Verlauf von Etappe 2 wird der dann erreichte Kenntnisstand von den Behörden nochmals überprüft. Auf dieser Basis soll festgelegt werden, an welchen Standorten die Nagra in Etappe 3 weitere, auch bewilligungspflichtige Felduntersuchungen (Sondierbohrungen) durchführen muss, um die definitive Standortwahl zu treffen und die Rahmenbewilligungsgesuche für das SMA- und HAA-Lager auszuarbeiten.

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INFOBOX

Der Sachplan geologische Tiefenlager wurde vom Bundesrat im April 2008 verabschiedet. Er definiert ein transparentes Auswahlverfahren mit klaren Regeln: In drei Etappen soll dieses in zehn bis zwölf Jahren zu Standorten für je ein Lager für schwach- und mittelradioaktive sowie für hochradioaktive Abfälle führen. Denkbar ist auch ein Kombilager für beide Abfalltypen. Oberstes Ziel ist dabei stets die Sicherheit von Mensch und Umwelt.

Im Zentrum von Etappe 2, die voraussichtlich von Herbst 2011 bis 2015/16 dauern wird, stehen zwei Ziele:

1. Partizipation: Die Standortregionen haben die Möglichkeit, bei der Konkretisierung der Oberflächeninfrastruktur der Lager sowie den Untersuchungen der sozioökonomischen und raumplanerischen Auswirkungen mitzuarbeiten.

2. Sicherheitstechnische Analysen und Vergleiche der Standorte: In Etappe 2 muss die Nagra die in Etappe 1 vorgenommene qualitative Bewertung von Sicherheit und Geologie durch quantitative provisorische Sicherheitsanalysen und einen sicherheitstechnischen Vergleich der Standorte erhärten.

Im Verlauf von Etappe 2 muss die Nagra auf Basis der bis dahin vorliegenden Erkenntnisse mindestens je zwei geeignete Standorte für SMA- und HAA-Lager vorschlagen.

Diese Standorte werden von der Nagra in der letzten Etappe 3, voraussichtlich von 2015/16 bis 2019/2020, vertieft untersucht, so dass sie für beide Lagertypen ein Rahmenbewilligungsgesuch erarbeiten und einreichen kann. Aufgrund dieser Gesuche wird der Bundesrat über die Erteilung der Rahmenbewilligung für je einen Standort für ein SMA- und ein HAA-Lager oder für einen Standort für ein Kombilager entscheiden. Nach dem Entscheid des Bundesrats folgt die Genehmigung durch das Parlament, die dem fakultativen Referendum unterliegt.

Adresse für Rückfragen:
Marianne Zünd, Leiterin Kommunikation BFE, 031 322 56 75 / 079 763 86 11

Herausgeber:

Bundesamt für Energie
Internet: http://www.bfe.admin.ch