MEDIENSPIEGEL 3.12.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, DS)
- (St)Reitschule: Im falschen Verein...
- Bahnhof-Umbau: Schienenbau tangiert evtl. Reitschule
- Stadtnomaden: für 3 Monate auf dem Viererfeld
- Squat BE: Moserstrasse kriegt Vertrag
- Obdachlos: Winterthur + Bern
- Müslüm-Samichlaus: Borat aus dem Wyler
- Openair: 40'000 für innovative Musikveranstaltung
- Police BE: mehr Zusammenarbeit mit Stadt
- RaBe-Info 30.11.-3.12.10
- Sans-Papiers BE: Ausbildungsmöglichkeiten
- Freiraum SO: AFB distanziert sich von Party
- Squat BS: Wettsteinallee 40 schon wieder leer
- Molino TI: SVP verklagt Molino
- Autonome Schule ZH: Polizeiprovokationen
- Anti-Ausschaffungs-Demos: Lausanne, ZH, Bern, Basel, Fribourg
- Ausschaffungen: Banden bilden; Olaf@Kulturplatz; Automatismen; Schengen; Einbürgerungs-Aufforderung, Demo Chur; Vorarlberg; Suter-Airline; Beschwerde
- Asyl: Endstation Container
- Migration Control: Griechenland; Frontex
- SIP ZH: Sozialpolizei für Ruhe und Ordnung
- Sexwork: Sexgewerbe-Gesetz BE; Freierselbstkontrolle
- Alkohol: Schlechte Zahlungsmoral der Ausgenüchterten; Schlägerfolgekosten; Luzern
- Drogen: Der grosse Rausch im Rolling Stone; Gassenleben; Khat
- Big Brother: SMS mitlesen
- Big Brother Sport: Hooligan-Konkordat; Rassismus im Stadion
- Rechtsextremismus: Bahnhof Bern; Power Zone BS; Liechtenstein
- Taser: Toter in Frankreich
- Mussolini: vom Diktator zum guten Onkel
- Anti-Atom: Ständerat + ZH pro AKW; Strahlenrisiken; Vorarlberg gegen Endlager; Geburteneinbruch; Junge Grüne SO; BE als Testfeld; Anti-Endlager; Anti-AKW-Bewegung; Alpiq + das Kapital; Versicherungsschutz

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REITSCHULE
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Sa 04.12.10
16.00 Uhr - Tojo - "Cousin Ratinet" Ein Musiktheater von Théâtre de la Grenouille. Ab 6 Jahren.
21.00 Uhr - Kino - Kinder der Landstrasse, U. Egger, CH 1993, 117 Min., 35mm, Ov/d
22.00 Uhr - Dachstock - INFESTICONS (USA) & THAVIUS BECK (USA) live!, Support: DJ Kermit - Hiphop, Alternative

So 05.12.10
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SousLePont (bis 16.00 Uhr )
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilm am Flohmi-Sonntag: Mary Poppins, R. Stevenson, USA 1964
14.00 Uhr - Frauenraum - "Sie kam und blieb", Stube Vol. 3 mit NOUS TROIS
16.00 Uhr - Tojo - "Cousin Ratinet" Ein Musiktheater von Théâtre de la Grenouille. Ab 6 Jahren.
20.15 Uhr - Kino - Gemeinsam Tatort schauen

Do 09.12.10
17.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Art Exhibition
20.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Auction

Fr 10.12.10
17.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Art Exhibition
20.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Auction
23.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Concert Surprise, danach DJ Wicked Wiggler (LU)

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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Bund 2.12.10

Sechs Fragen an

 Schauplatz International

 Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Lars Studer und Martin Bieri sind die Theatergruppe Schauplatz International. In"Ikeaville" laden sie zu einem Audioguide-Rundgang durch die Ikea Lyssach. Busfahrt ab Schützenmatte: 3., 10. und 17. Dezember, jeweils 19 Uhr. Reservation (beschränkte Platzzahl): 031 991 99 01 oder tickets@schauplatzinternational.net. Individuelle Anreise: 7., 9., 12., 14., 16. und 19. Dezember, Geschäftszeiten. www.schauplatzinternational.net.

 In der ortsspezifischen Produktion "Ikeaville" lassen Sie Ihr Publikum mit Audioguides durch die Ikea Lyssach spazieren. Was meinen da die Hausherren dazu?

 Ikea fands eine tolle Idee. Wir sind jetzt Teil des emotionalen Marketings von Ikea. Und Ikea Teil von unserem.

 Warum bringen Sie das Theater an einen Ort wie diesen?

 Uns interessiert, wie unsere Arbeit ausserhalb des Kunstmilieus aufgenommen wird. Das bedeutet auch: raus aus der Stadt, an die Peripherie und rein in die Stadt am Rand der Autobahn namens Ikeaville. Ausserdem haben wir eine Affinität zu künstlichen Räumen. Bei Ikea verschwimmen Realität und Fiktion aus kaufmännischen Gründen von Anfang an. Das ist die moralische Peripherie. Wir wollen uns der Vermischung von Kunst und Marketing aussetzen.

 Sie sagen, dass das Ensemble der Musterwohnungen bei Ikea eine Art Bühnenbild ist, eine grosse Fiktion. Was für Geschichten erzählt Ikea - und welche erzählen Sie?

 Gemäss Firmen-Philosophie will Ikea gute, schöne Möbel günstig anbieten. Demokratisches Design. Das ist die Ikea-Story. Das nehmen wir auf und denken es noch weiter: Was wäre, wenn Ikea die Welt in einem politischen Sinn zu einem besseren Ort machen würde? Kann die Revolution gesellschaftlich outgesourct, privatisiert und von einem Unternehmen durchgeführt werden?

 "Ein besserer Alltag" lautet ja die Ikea-Geschäftsidee. Machen Sie dieses Versprechen eines besseren Lebens an den Wohnungen selber dingfest?

 Ja. Wir haben herausgefunden, dass nachts bei Ikea Menschen leben, die an der Verbesserung der Welt arbeiten. Weil die Revolution nur aus der Mitte der Gesellschaft kommen kann, leben sie in den Musterzimmern von Ikea den kleinbürgerlichen Traum. Wir haben sie dabei beobachtet. Diese Beobachtungen kann man in dem etwa 90-minütigen Rundgang per Audioguide mitverfolgen.

 Aber nochmals: Goutieren die Ikea-Verantwortlichen in Lyssach diese kritische Inszenierung des Bildes, das Ikea von sich an die Kundschaft bringt, wirklich?

 Wir sind nicht in einem destruktiven Sinn kritisch. Wir denken nur die Ikea-Idee weiter. Ikea spielt die Rolle des "anderen Möbelhauses" gut, und genau mit diesem Gedanken, mit dieser Maske setzen wir uns auseinander. Abgesehen davon weiss man im Voraus nie, welche Ideen die Welt verändern. Solche, die das beabsichtigen, oder solche, die das vermeiden wollten. Aus Marketing könnte ernst werden.

 Werde ich nach dem Rundgang mein Billy-Regal mit anderen Augen ansehen?

 Ja, Sie werden es vor das Che-Guevara-Poster stellen.

 Interview: Regula Fuchs

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20 Minuten 3.12.10

Künstler zeigen, wie in der Ikea Menschen wohnen

 LYSSACH. Leben in der Ikea Menschen? Eine Theatertruppe hat sich auf die Suche nach ihnen gemacht. Daraus ist ein Audioguide entstanden.

 Wohnst du noch oder lebst du schon? Sie leben. Und zwar zwischen Billy-Regalen und Malm-Betten. Dies behauptet jedenfalls eine muntere Theatertruppe. "Wir haben die Bewohner beobachtet. Sie lesen die Bücher in den Regalen, hören Musik, denken über ungeschlechtliche Vermehrung nach oder planen Anschläge", sagt Albert Liebl. Der Schauspieler ist Teil der Bern-Berliner Theatergruppe Schauplatz International. Auf der Suche nach den vermeintlichen Bewohnern hat sich diese eine Nacht im schwedischen Möbelhaus einschliessen lassen. Resultat des nächtlichen Streifzugs ist ein Audioguide, der Besucher im Dezember Track für Track durch die Ikea führt und ihnen zeigt, wie und wo die mysteriösen Bewohner hausen. Der akustische Führer mit dem Motto "Ikeaville - What Happened Before You Came" ist aber nicht etwa ein PR-Gag. "Wir finden es ein lustiges Projekt. Deshalb machen wir mit", so Ikea-Sprecherin Sonja Blöchlinger.

 Wer sich auf die Spuren der nächtlichen Bewohner begeben will, kann sich an sechs Tagen während der Öffnungszeiten gratis am Ikea-Eingang einen Guide schnappen. Heute und an zwei weiteren Freitagen bringt zudem ein Bus Interessierte für 25 Franken nach Ladenschluss vom Tojo-Theater Bern nach Lyssach.  nc/big

http://www.schauplatzinternational.net

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BZ 2.12.10

Verschwörung im schwedischen Möbelhaus

 Audioguide-TourDie Berner Theatergruppe Schauplatz International hat eine neue Kulisse gesucht und wurde bei Ikea Lyssach fündig. Ihre Audioguide-Tour "Ikeaville - What happened before you came" entführt das Publikum in eine geheimnisvolle Parallelwelt, von der bis anhin nichts bekannt war. Und dies alles offiziell abgesegnet vom Möbelkonzern.

 Im Schrank riechts nach Zwiebeln. Und die Bücher, waren die nicht gerade vorhin noch anders geordnet? Man setzt sich aufs Sofa, lehnt sich zurück und denkt nach. Da plötzlich, ein Preisschild sticht einem in die Rippen. Und erinnert daran, wo man sich eigentlich befindet. In Ikeaville, der Kleinstadt ohne Hauswände. Man hat das Gefühl, der Mensch, der dieses Zimmer nach Ladenschluss bewohnt, sei eben noch hier gewesen. Doch jetzt ist er spurlos verschwunden. Stattdessen sitzen vier andere hier: Martin Bieri, Anna Lisa Ellend, Albert Liebl und Lars Studer von Schauplatz International. Dank ihnen hört man erstmals mehr über die geheimnisvollen Ikea-Menschen und ihre Mission. Die freie Theatergruppe hat einen Audioguide zusammengestellt, der das Weltbild von Ikea weiterdenkt.

 Konsum für alle

 Zu diesem Zweck haben sich die vier wochenlang ins Ikea gesetzt, geschaut, gelauscht, geforscht. Und dies ganz offiziell: Die Regionalverantwortlichen von Ikea Lyssach waren begeistert von der Idee, ihr Möbelhaus während der normalen Öffnungszeiten zur Theaterkulisse zu machen, und schickten die frohe Botschaft gleich an die 150 0000 Haushaltungen von "Ikea Family". "Da haben wir schon etwas leer geschluckt", sagt Anna Lisa Ellend. Schliesslich hatte man zuvor gar eine konspirative Version, bei der das Publikum heimlich mit MP3-Playern durch die Ausstellung gelotst worden wäre, in Betracht gezogen. Doch jetzt ist das Projekt Teil der Marketingstrategie von Ikea. Oder umgekehrt: "Wir brauchen sie als Plattform für unsere Kunst - und sie wollen durch uns ihre Glaubwürdigkeit steigern", sagt Albert Liebl. "Es geht um unsere Haltung", ergänzt Lars Studer, "uns diesem Einfluss auszusetzen und doch nicht vereinnahmt zu werden."

 Die Formel von Ikea, dank preiswerten und modischen Möbeln den Menschen zu einem besseren Leben zu verhelfen, wird von Schauplatz International genau unter die Lupe genommen und so wörtlich genommen, dass sie ad absurdum geführt wird.

 "Ikea hat den Konsumsozialismus erfunden", sagt Anna Lisa Ellend, "du kannst die Kinder hierher mitnehmen, es ist günstig und gemütlich. Erschwinglicher Konsum für alle." Um ihre Aussage zu unterstreichen, lässt sie sich etwas tiefer ins Sofa der 55 Quadratmeter grossen Musterwohnung zurückfallen. Ikea preist sie an mit: "Meine Wohnung: gross genug für eine Party mit 25 Personen und klein genug, um die Familie zusammenzuhalten." Als ein kleiner Junge mit seiner Mutter vorbeispaziert, sagt er zu ihr: "Schau, hier haben 25 Personen Platz."

 Revolution nach Ladenschluss

 "Ikea hat für jedes Zimmer eine Geschichte, ein Porträt der Menschen, die dort wohnen", fährt Ellend fort. Wie die Gruppe Schauplatz International betreibt auch der Möbelriese seit Jahren das Vermischen von Realität und Fiktion - mit Erfolg.

 Diese Vermischung ist der Ausgangspunkt der Audioguide-Tour. Doch Schauplatz International wollten die Fiktion noch weitertreiben: Was passiert, wenn die Revolution ausgelagert wird in ein privates Unternehmen? Was, wenn die Nachtmenschen wirklich an jenem besseren Leben arbeiten, auf das sich Ikea immer bezieht? Und was, wenn die heile Möbelwelt nur Tarnung für ganz andere Aktivitäten ist?

 Martin Bieri hat sich unterdessen an einen Tisch der Musterwohnung gesetzt und lässt sich von Albert Liebl unsichtbaren Wein aus einer Flaschenattrappe einschenken. "Und wenn es wahr wäre", sinniert Liebl, "was nachts hier geschieht, wäre das gut oder schlecht?" Die Antwort darauf muss sich das Publikum selbst geben.

 Marina Bolzli

 Vorstellungen: mit kollektiver Anreise per Bus am 3., 10., und 17. Dezember, 19 Uhr, Tojo-Theater, Bern. Reservation: 031 991 99 01 oder tickets@schauplatzinternational. net; mit individueller Anreise ins Ikea Lyssach am 7., 9., 14. und 16. Dezember, 11-19 Uhr, 12. und 19. Dezember, 11-17 Uhr.

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kulturagenda.be 2.12.10

Schauplatz Ikea

Das Theaterkollektiv Schauplatz International präsentiert seine neue Produktion in Lyssach. Der Audio-Guide "Ikeaville" wirft einen ganz neuen Blick auf das schwedische Möbelhaus und seine geheimen Bewohner.

Was, wenn in den Ausstellungsräumen von Ikea tatsächlich jemand wohnen würde? Wenn die präsentierten Muster von Schlaf-, Ess- und Wohnzimmern jemandem gehören würden? Wenn darin nachts, nachdem alle Kunden weg sind, Leben erwachen würde? Dann, wenn solche Fiktionen Realität werden, hat Schauplatz International die Finger im Spiel. Die freie Theatergruppe zimmerte aus dieser skurrilen Idee einen Audio-Guide durch das schwedische Möbelhaus, "Ikeaville - What happened before you came".

Ikea-Bewohner arbeiten an besserer Welt

Die Mitglieder des Theaterkollektivs liessen sich nämlich eines Nachts in der Ikea Lyssach einsperren. "Wir mussten mit grossem Erstaunen feststellen, dass die ausgestellten Räume tatsächlich bewohnt sind", erzählt Martin Bieri, Dramaturg und Mitglied von Schauplatz International. Die Beobachtungen über dieses geheimnisvolle, nachtaktive Völkchen haben die Theaterschaffenden festgehalten. Sie finden sich als einzelne Tracks auf dem Audio-Guide wieder. Diesen akustischen Führer leiht man sich vor dem besonderen Ikea- Rundgang beim Eingang aus. Passend zu jedem ausgestellten Zimmer, gibts eine Geschichte zu hören. Jede Zuhörerin und jeder Zuhörer kann sich ein individuelles Programm zusammenstellen und sich frei durch das Möbelhaus bewegen.
Wie bei allen Produktionen von Schauplatz International stecken auch hinter "Ikeaville" Gedanken zu Politik und Gesellschaft. Die mysteriösen Ikea-Bewohner arbeiten nämlich nachts emsig an einer besseren Welt. Damit greift Schauplatz International die Ikea-Philosophie des demokratischen Designs auf: günstige Designmöbel für alle. Ob sich dieser Begriff einer "besseren Welt" von Ikea mit den Vorstellungen des Theaterkollektivs deckt, sei dahingestellt.
"Wir fragen uns, was passiert, wenn die Demokratie privatisiert wird", erklärt Bieri. Nebst dem Soziologen Colin Crouch fanden auch Mitarbeiterinnen der schwedischen Botschaft in Bern Eingang in das Projekt. Ein Interview mit ihnen zum schwedischen Sozialstaatsmodell "folkhemmet" ("Volksheim ") findet sich auf dem Audio-Guide wieder.

Lars von Trier lässt grüssen

Der Projekttitel "Ikeaville" ist eine Anlehnung an Lars von Triers "Dogville" aus dem Jahr 2003. Der Film, der in Schweden produziert wurde, zelebriert die Reduktion. Gartenzäune, Dorfgrenzen und Häuserwände sind symbolisch als weisse Striche am Boden zu erkennen. Wie "Dogville" ist also auch das Möbelhaus eine Art Dorf ohne Hauswände.
Einmal mehr arbeitet die Theatergruppe, indem sie den Audio-Guide einsetzt, mit einem unkonventionellen Theatermittel und macht durch die aufgezeichneten Kommentare ihre Arbeitsweisen sichtbar. Und diesmal agieren die vier Theaterleute Martin Bieri, Anna-Lisa Ellend, Albert Liebi und Lars Studer auch an einem sehr ungewöhnlichen Ort. "Das Faszinierende an ‹Ikeaville› ist, dass wir mit einem Kunstprojekt in ein ganz anderes System eindringen. Der Kunstkontext fällt im Möbelhaus weg", sagt Bieri, "Ich bin gespannt, wie wir ausserhalb des Kunstmilieus funktionieren, und auch, wie das Publikum und die Ikea auf unser Projekt reagieren werden."

Simone Tanner

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"Ikeaville" kann individuell in Lyssach oder als Bustour ab Bern gebucht werden.
• Bustouren: Treffpunkt beim Tojo Theater, Bern. Fr., 3.12., 10.12. und 17.12., 19 Uhr
• "Ikeaville" mit individueller Anreise
nach Lyssach: 7., 9., 14., und 16.12., 11 bis 19 Uhr, sowie 12., und 19.12., 11 bis 17 Uhr
Reservationen unter Tel. 031 991 99 01 oder tickets@schauplatzinternational.net
http://www.tojo.ch

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WoZ 2.12.10

"Ikea-Ville"

 Musterzimmer bei Ikea sind eingerichtet, als ob da Leute leben würden, über die man viel erfahren könnte - auch über sich selbst, denn die Haushalte der bürgerlichen Gesellschaft sind durchsetzt von solchen Requisiten zurückhaltenden Wohlstands.

 Ikea ist aber auch eine Kleinstadt ohne Hauswände: Um zu sehen, wie die anderen so leben, muss man nicht mal durchs Fenster schauen. Nimmt man die verkaufstechnische Fiktion ernst, öffnet sich ein fantastisches Bühnenbild. Das Theaterkollektiv Schauplatz International nutzt diese Vorlage, um eine eigene Interpretation dessen zu geben, was bei Ikea "besser leben" heisst.

 "Ikea-Ville - What happened before you came" macht dies mit einer Audioguide-Tour durch die Ikea-Filiale in Lyssach. Die Audioguides werden für einmal nicht dazu eingesetzt, Realität zu fiktionalisieren; die Fiktion wird ernst genommen. Die Hörgeschichten basieren auf dem sozialutopischen Anspruch von Ikea, gute, schöne Möbel für alle anzubieten - ein Konzept, das parallel zum schwedischen Sozialstaatsmodell eine Mischform zwischen Sozialismus und Kapitalismus anstrebt. adr

 "Ikea-Ville - What happened before you came" in: Lyssach Ikea-Filiale, Bernstrasse. Kollektive Anreise (Busfahrt ab Bern, Tojo-Theater): Fr, 3. Dezember (Premiere), 10. und 17. Dezember, 19 Uhr (bis 23 Uhr).

 Individuelle Anreise: Di, 7., Do, 9., Di, 14., Do, 16. Dezember, 11 bis 19 Uhr; So, 12. und 19. Dezember, 11 bis 17 Uhr. Audioguides am Eingang erhältlich. Dauer ca. 75 Minuten. Preis: "Zahl, so viel du willst".

 Reservation unter Angabe des Zeitpunkts und der gewünschten Anzahl Audioguides (Zahl beschränkt): tickets@schauplatzinternational.net; Tel. 031 991 99 01. Mitbringen eigener Kopfhörer erwünscht, aber nicht zwingend. www.schauplatzinternational.net

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kulturagenda.be 2.12.10

"Cousin Ratinet" im Tojo Theater
Das Théâtre de la Grenouille aus Biel hat aus dem Buch von Claude Boujon ein schräges
Musiktheater gemacht. Drei musikalische Ratten spielen darin die Hauptrolle. Eines Tages
bittet der noble Cousin Ratinet um Unterschlupf. Der ungleiche Verwandte stösst auf Unverständnis.
Die musikalische Fabel über Integration und Ausgrenzung eignet sich für Kinder
ab 6 Jahren. Tojo Theater, Bern. Fr., 3.12., 19 Uhr, sowie Sa., 4.12., und So., 5.12., 16 Uhr

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Bund 2.12.10

Infesticons

 Fruchtbarer kreativer Wankelmut

 Die musikalische Karriere des Mike Ladd ist ein kreatives Schlingern zwischen den Genres: Begonnen hat seine Laufbahn bei Punkrock, angekommen ist er mittlerweile bei einem Avantgarde-Hip-Hop, der politisches Bewusstsein und Kritik an den Verhältnissen mit Funk, Soul und Rock kreuzt. Ladd besucht die Reitschule mit seiner Liveband Infesticons und dem Elektroniker Thavius Beck.(reg)

 Reitschule Dachstock Samstag, 4. Dezember, 22 Uhr.

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Bund 2.12.10

"Samichlaus - Das Musical".

 Sie haben im Juni mit "Die Dällebach-Macher" das Stück zum Musical gemacht, nun malen sich Pascal Nater und Michael Glatthard das Musical zum Weihnachtsphänomen aus. "Samichlaus - Das Musical" blättert die tausend Facetten des Nikolaus auf und garniert das Dokumentarische mit Musik, genauer: mit dem Lied zum Bart oder einer mittelalterlichen Hommage an den Heiligen. (reg)

 Tojo-Theater ReitschuleMittwoch, 8. Dezember, bis Samstag, 11. Dezember, 20.30 Uhr. Sowie Sonntag, 12. Dezember, 19 Uhr.

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(ST)REITSCHULE
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20 Minuten 2.12.10

"Im falschen Verein": CVP läutet den Wahlkampf ein

 BERN. Rausgeschmissenes Geld oder clevere Taktik? Fast ein Jahr vor den Nationalratswahlen geht die Berner CVP mit einem Frühstart ins Rennen.

 "Immer nur Zweiter - vielleicht im falschen Verein": Mit diesem Slogan provoziert die CVP YB-Fans beim Stade de Suisse. Auch bei der Reitschule hat sie Plakate anbringen lassen: "Immer Ärger mit Chaoten - vielleicht im falschen Verein", stand dort. Allerdings wurden die Affichen bereits nach einem Tag heruntergerissen.

 "Wir geben uns tabulos und wollen das verstaubte Bild, das manche von uns haben, revidieren", sagt Michael Daphinoff von der CVP. "Ein cleverer Schachzug", lobt Wahlkampfexperte Mark Balsiger, "die Kampagne kommt unerwartet und greift Themen auf, die Bern bewegen." Um einen bis zu den Nationalratswahlen im Oktober 2011 anhaltenden Effekt zu erzielen, müsse die CVP aber regelmässig nachstossen.

 Unbeeindruckt vom Frühstart der CVP zeigt sich BDP-Präsident Hans Grunder: "Die Plakate bringen nichts. Im Weihnachtstrubel gehen sie völlig unter." Seine Partei lasse sich noch Zeit, werde aber mit einer vollen Liste und dem Ziel antreten, im Kanton Bern mindestens vier Sitze zu erringen. Dabei könnte es auf ein Duell mit der FDP hinauslaufen - die BDP suche dieses aber nicht. Auch SP-Kantonspräsident Roland Näf rechnet mit einem harten Wahlkampf: "Wir wollen aber nicht mit Plakaten, sondern mit Lösungen punkten."  

Patrick Marbach

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Blick am Abend 1.12.10

CVP provoziert mit Plakat

 KAMPAGNE

 "Immer Ärger mit Chaoten? Vielleicht im falschen Verein" heisst es auf einem Plakat vor der Reitschule. So wirbt die CVP Stadt Bern um neue Mitglieder. Beim Wankdorf steht auf einem anderen Plakat mit Anspielung auf YB: "Immer nur Zweiter? Vielleicht im falschen Verein." Die CVP sei mit ihrer lösungsorientierten Mittepolitik eine gute Alternative zu anderen ‹Vereinen›", sagt Michael Daphinoff, Präsident der städtischen CVP. ehi

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BAHNHOF-UMBAU
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Bund 2.12.10

RBS setzt weiterhin auf neuen Tiefbahnhof - SBB dürften verzichten

 Eigenständige Pläne von RBS und SBB für den Ausbau des Berner Hauptbahnhofs.

 Simon Thönen

 Der Regionalverkehr Bern-Solothurn (RBS) will weiterhin einen neuen RBS-Tiefbahnhof bauen. Dies liess RBS-Direktor Hans Amacker gestern an einem "Werkstattgespräch" zur Zukunft des Berner Hauptbahnhofs durchblicken. Allerdings soll der RBS-Tiefbahnhof durch Abstriche am ursprünglich geplanten Projekt rund 200 Millionen Franken billiger werden.

 Die SBB hingegen teilten gestern erneut mit, dass sie wahrscheinlich auf einen eigenen Tiefbahnhof verzichten. Für sie steht eine seitliche Erweiterung im Vordergrund: Auf dem Niveau der heutigen SBB-Perrons würden vier neue Gleise in den Hügel der Grossen Schanze hinein gebaut. Die neuen Perrons lägen unterhalb des Bahnhofparkings.

 Grosser Wurf zu teuer

 Ursprünglich waren zwei Tiefbahnhöfe geplant, zuerst einer für den RBS, später einer für die SBB. Ende 2008 wurde dies als "Jahrhundertprojekt" für den Ausbau des Berner Bahnhofs präsentiert. Doch der grosse Wurf stellte sich als zu teuer heraus. Seit 2009 suchen die Partner des Projekts "Zukunft Bahnhof Bern" nach neuen Lösungen. Die Überprüfung soll im März 2011 abgeschlossen werden. Dann soll ein Konzept vorliegen, das aufzeigt, wie der Bahnhof Bern in mehreren Teilschritten ausgebaut werden kann.

 SBB-Projekt tangiert Reithalle

 Das von den SBB gegenwärtig favorisierte Ausbauprojekt einer seitlichen Erweiterung könnte die Reitschule tangieren - allerdings erst dann, wenn nach dem SBB-Bahnhof auch die Eisenbahnbrücke über die Aare ausgebaut werden muss. Dies wäre laut SBB frühestens in ein paar Jahrzehnten nötig.

 Die Grosse Halle der Reitschule stünde dann möglicherweise einer Verbreiterung der Bahnbrücke im Weg - und müsste abgerissen werden. Obwohl die Pläne der SBB noch unausgereift sind, meldete die Stadt Bern gestern vorsorglich Vorbehalte an. - Seite 21

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SBB wollen nicht in die Tiefe, RBS schon

 Noch ist nichts entschieden, doch am "Werkstattgespräch" zur Zukunft des Bahnhofs Bern zeichneten sich diese Optionen ab: Der RBS dürfte weiterhin auf einen neuen, aber billigeren Tiefbahnhof setzen. Die SBB brauchen keinen eigenen Tiefbahnhof.

 Simon Thönen

 Wenn bei einem Sachthema wie dem Ausbau des Berner Hauptbahnhofs Wörter aus der privaten Beziehungssprache auftauchen, dann lässt dies tief blicken. "Das ist keine Scheidung von den SBB", sagte gestern Hans Amacker, Direktor des Regionalverkehrs Bern-Solothurn (RBS), "wir machen es wie ein verantwortungsvolles Konkubinatspaar, das die gemeinsame Zukunft plant."

 Übersetzt heisst dies: Beim Ausbau des Berner Bahnhofs gehen RBS und SBB getrennte Wege. Dies wurde gestern am dritten "Werkstattgespräch" zum Ausbau des Bahnhofs deutlich. Ende 2008 hatte man sich auf zwei Tiefbahnhöfe geeinigt, zuerst einen für den RBS, später einen für die SBB. Doch ein ETH-Gutachten zwang die im Projekt "Zukunft Bahnhof Bern" (ZBB) zusammengeschlossenen Partner, weitere Varianten zu prüfen.

 Im Juni brachten die SBB dann überraschend eine eigene Variante ins Spiel: Anstatt einen Tiefbahnhof zu bauen, könne der SBB-Bahnhof auch seitlich erweitert werden: Vier zusätzliche Gleise würden neben den existierenden Perrons auf der Nordseite des Bahnhofs gebaut. Das heisst: unterhalb des Bahnhofparkings in den Hügel der Grossen Schanze hinein. Dies hätte den Vorteil, dass die neuen Perrons auf der gleichen Ebene liegen würden wie die bereits vorhandenen.

 "Die Bahnhofserweiterung Grosse Schanze ist gemäss einer Grobstudie baulich machbar", sagte gestern SBB-Fahrplanchef Werner Wildener. Bereits im Oktober hatte er deutlich gemacht, dass die SBB diese Option bevorzugen ("Bund" vom 14. 10.). Allerdings sind weiterhin vertiefte Abklärungen nötig. Solange diese nicht vorliegen und positiv ausfallen, bleibt ein eigener Tiefbahnhof eine Art Reserveoption für die SBB.

 RBS hält an Tiefbahnhof fest

 Für den RBS hingegen ist ein eigener neuer Tiefbahnhof nach wie vor die bevorzugte Option, wie RBS-Direktor Amacker gestern durchblicken liess. "Wir haben eine sehr stabile Planung", sagte er. Weil das Gesamtprojekt mit dem Verzicht auf einen eigenen Tiefbahnhof für die SBB erheblich billiger werde, "wird ein Tiefbahnhof‹stand alone› jetzt realistisch" - also ein Tiefbahnhof nur für den RBS.

 Allerdings weiss Amacker natürlich, dass sich auch bei einem neuen RBS-Tiefbahnhof die Frage nach dem Verhältnis von Kosten und Nutzen stellt. Denn das ETH-Gutachten hatte seinerzeit vor allem beim RBS-Tiefbahnhof konstatiert, dass er für den zu erwartenden Nutzen zu teuer sei.

 Amacker schwebt deshalb ein "abgespeckter Tiefbahnhof" für den RBS vor: Man würde zum einen auf die sogenannte Wendeanlage verzichten. Sie hätte ermöglichen sollen, dass die Züge hinter den Passagierperrons wenden können. Zum andern würde ein allfälliger RBS-Tiefbahnhof enger gebaut. Doppelstockzüge könnten ihn dann nicht mehr benutzen. Mit solchen Sparmassnahmen könne man die Kosten für einen RBS-Tiefbahnhof von rund 750 Millionen Franken auf etwas mehr als eine halbe Milliarde senken, sagte Amacker am Rande des "Werkstattgesprächs".

 Ausbau der Publikumsanlagen

 Neben diesen zwei offensichtlich favorisierten Optionen von RBS und SBB wird weiterhin eine Vielzahl von Varianten studiert. Bis im März soll ein "etappiertes Gesamtkonzept" für den Ausbau des Bahnhofs Bern vorliegen.

 Für den RBS ist zentral, dass sein neuer Tiefbahnhof möglichst rasch in das Agglomerationsprogramm des Bundes aufgenommen wird. Die SBB hingegen werden die Erweiterung ihres Bahnhofs frühestens 2030 anpacken. Zuvor werden sie die Kapazität des Hauptbahnhofs mit einer Serie von Massnahmen steigern. Ab 2012 sollen etwa die heute schon überlasteten Publikumshallen ausgebaut werden.

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Ausbau des Hauptbahnhofs

 SBB-Variante könnte Grosse Halle der Reitschule tangieren

 Falls die SBB die Eisenbahnbrücke verbreitern sollten, könnte dies zum Abriss der Reithalle führen.

 Um es gleich vorwegzunehmen: Reitschul-Aktivisten müssen jetzt nicht gleich zum Protest aufrufen. Aber vielleicht sollten sie bei Gelegenheit ihre Kinder auf ein Problem aufmerksam machen, das in ein paar Jahrzehnten anstehen könnte.

 Der mögliche Abriss der Grossen Halle der Reitschule wurde gestern für einmal nicht von der SVP aufs Tapet gebracht - sondern von den SBB. Sie klären gegenwärtig ab, ob sie den Berner Hauptbahnhof ausbauen können, indem sie ihn seitlich unter dem Bahnhofparking erweitern. Dies als Alternative zu einem Tiefbahnhof (siehe Artikel links).

 Diese Option liesse sich "in einem ersten Schritt realisieren, ohne die Reithalle zu tangieren", sagte gestern SBB-Fahrplanchef Werner Wildener. Später aber könnte es notwendig sein, die nordöstliche Zufahrt zum Bahnhof, also die Eisenbahnbrücke, zu verbreitern. Auch in diesem Fall "können wir noch nicht sagen, dass man dafür die Reithalle abreissen muss", sagte Wildener. Es wäre allerdings, kann man anfügen, die naheliegendste Variante. Die Brücke liegt bereits heute direkt neben der Reithalle, würde man sie auf der nördlichen Seite verbreitern, stünde Letztere im Weg.

 Stadt meldet Vorbehalte an

 Der Planungshorizont der SBB ist allerdings 2050, und der Ausbau der Zufahrten steht erst zuletzt an. Der städtische Verkehrsplaner Hugo Staub meldete gestern allerdings bereits vorsorglich Vorbehalte an. "Der Raum Schützenmatt/Reitschule steht nicht zur Disposition", sagte er. Auf Nachfrage hin präzisierte Staub, dass dies nicht als Veto der Stadt zu verstehen sei: "Die Stadt will bloss deutlich machen, dass man sich nicht bereits jetzt auf den Weg des geringsten Widerstands über die Schützenmatte festlegen darf." Ein Ausbau der Bahnzufahrt von Osten her sei "ein schwerwiegender Eingriff", bei dem die Interessen sorgfältig abgewogen werden müssten.

 Stadtbachstrasse im Westen

 Die Frage dürfte sich konkret erst in einigen Jahrzehnten stellen. Bereits etwas früher, mit einem allfälligen seitlichen Ausbau des SBB-Bahnhofs, würde das Thema der Gleisausgänge im Westen des Bahnhofs akut. Im Bereich der Stadtbachstrasse müsse man gute städtebauliche Lösungen finden, sagte Staub gestern, allerdings wären die Eingriffe dort weniger schwerwiegend.(st)

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BZ 2.12.10

Wende im Bahnhof-Streit: Luxusvariante vor dem Aus

 Stadt Bern. Die SBB erhalten wohl keinen neuen Tiefbahnhof in Bern. Das Milliardenprojekt steht vor dem Aus. Eine seitliche Erweiterung mit vier Geleisen steht im Vordergrund.

 Bei den Planern des neuen Berner Bahnhofs scheinen sich auf einmal alle einig zu sein: Nicht der Ausbau des SBB-Bereiches stehe im Vordergrund, sondern die Behebung des Kapazitätenproblems der RBS-Station. Diese Message verkündete das Leitorgan der Projektgruppe Zukunft Bahnhof Bern (ZBB) gestern in Bern vor den Medien. Aus den Aussagen wurde klar: Die SBB will gar keinen milliardenteuren Tiefbahnhof, wie ihn die kantonale Baudirektorin Barbara Egger (SP) geplant hat.

 "Die SBB kommen bis ins Jahr 2030 ohne zusätzliche Geleise in Bern aus", sagte Fahrplanleiter Werner Wildener. Allerdings müssten die Publikumsanlagen ausgebaut werden. Für die Zeit nach 2030 wären vier zusätzliche Geleise seitlich der bestehenden Perronhalle ausreichend. "Ein neuer Tiefbahnhof steht für uns nicht im Vordergrund."

 Wie viel Geld sich im Vergleich zur ursprünglich geplanten Luxusvariante sparen liesse, sei noch unklar. "Die Pläne befinden sich im Anfangsstadium. Wir haben keinen Zeitdruck", sagte Werner Wildener.

 Ganz anders ist die Situation bei der RBS-Station. Diese hat mit täglich 54 000 Pendlern die Kapazitätsgrenze erreicht. Gebaut wurde sie für 16 000 Benutzer pro Tag "Wir brauchen rasch eine Lösung", sagte RBS-Direktor Hans Amacker gestern - und erhielt Zustimmung der anderen Mitglieder des ZBB-Leitorgans.

 Dieses Leitorgan will sich bis im März 2011 für die definitive Ausbauvariante des Bahnhofs entscheiden. tobSeite 3

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Es geht also doch

 Endlich sind die Planer des neuen Berner Bahnhofs zur Vernunft gekommen. Das über zwei Milliarden Franken teure Bauprojekt mit je einem eigenen Tiefbahnhof für SBB und RBS wurde de facto beerdigt. Zu Recht. Denn Experten hatten schon immer an der Finanzierbarkeit des Luxusprojekts gezweifelt.

 Doch die kantonale Baudirektorin Barbara Egger (SP) wollte ihr Jahrhundertbauwerk durchboxen. Gegenüber Kritikern war sie auf beiden Ohren taub. Jetzt ist zu hoffen, dass die Intervention der kühl rechnenden SBB-Chefs die SP-Politikerin auf den Boden der Realität zurückholt.

 Der Entscheid über die Ausbauvariante fällt im März 2011. Doch der Durchbruch im Bahnhofsstreit scheint gelungen. Von den Pragmatikern, die im Leitorgan der Projektgruppe das Sagen haben, sind keine weiteren Überraschungen zu befürchten.

 Tobias Habegger  ist Stadtredaktor der Berner Zeitung.

 tobias.habegger@bernerzeitung.ch

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Die SBB lassen den Tiefbahnhof fallen

 Neuer Bahnhof BernVieles deutet darauf hin, dass in Bern kein Normalspur-Tiefbahnhof gebaut wird. Stattdessen soll der bestehende SBB-Bahnhof mit vier Geleisen seitlich erweitert werden. Der Ausbau des RBS-Bahnhofs geniesst Priorität.

 Da wollte die kantonale Baudirektorin Barbara Egger (SP) einen milliardenteuren Tiefbahnhof in den Berner Boden stampfen lassen. Doch ausgerechnet die SBB-Vertreter im Leitorgan des Projekts Zukunft Bahnhof Bern (ZBB) nehmen nun Abstand vom geplanten "Jahrhundertbauwerk" (Zitat Egger).

 Zwar fällt der definitive Entscheid erst im kommenden März. Doch die Meinungen der Leute, die diesen Entscheid im Rahmen des ZBB-Leitorgans fällen, sind seit gestern öffentlich bekannt: "Der Normalspur-Tiefbahnhof steht nicht mehr im Vordergrund", sagte SBB-Fahrplanleiter Werner Wildener vor den Medien. Eine seitliche Erweiterung um vier Geleise unter dem Uni-Hauptgebäude würde die nötige Entlastung bringen. Am gleichen Strick zieht RBS-Direktor Hans Amacker. "Die seitliche Erweiterung bietet für alle Beteiligten optimale Perspektiven." ZBB-Projektleiter Ulrich Seewer kommentierte die jüngste Idee vielsagend: "Es ist besser, spät eine gute Lösung zu finden, als gar nie."

 Noch unklar ist, wie viel Geld sich mit einem Verzicht auf den geplanten Normalspur-Tiefbahnhof einsparen liesse. Fakt aber ist: "Eine seitliche Erweiterung lässt sich besser in Etappen aufteilen als der Bau eines Tiefbahnhofs", sagte SBB-Fahrplanleiter Werner Wildener. Aus finanzpolitischer Sicht sei dies ein Vorteil. Eine Etappierung wird möglich, weil für die seitliche Bahnhoferweiterung vorerst kein weiteres Viadukt über die Aare gebaut werden müsste.

 Brücke nicht am Anschlag

 "Die Kapazität auf der bestehenden Lorrainebrücke lässt sich um 50 Prozent steigern, wenn die Züge in kürzeren Abständen darüber rollen", sagte Wildener. Frühstens im Jahr 2050 müsste die Zufahrt aus dem Osten über die Lorrainebrücke von vier auf sechs Geleise erweitert werden. Bei einem SBB-Tiefbahnhof bräuchte es mit dem Eröffnungsdatum eine zweite, sich absenkende Aareüberquerung, weil die Züge unter der Reitschule durch in den Bahnhof einfahren würden.

 Was die Ost-Zufahrt der Züge betrifft, könnte sich also "die nächste Generation verwirklichen", wie es ZBB-Projektleiter Ulrich Seewer sagte. Die Hürden für seine Nachfolger dürften allerdings kaum tiefer liegen als heute. Denn das Gebiet liegt in der "Schutzzone Aareraum". Dazu sagt der städtische Verkehrsplaner Hugo Staub: "Das ist etwa die gleiche Liga wie das Unesco-Label in der Altstadt." Im nächsten Atemzug fügt er jedoch an: "Wenn der ÖV weiterhin so stark wachsen soll, kommen wir irgendwann nicht mehr an einer weiteren Aareüberquerung vorbei."

 Zum Zeitrahmen des Bahnhofausbaus sagte Wildener: "Bis im Jahr 2030 kommen die SBB ohne neue Geleise aus." Allerdings müssten die Publikumsanlagen ausgebaut, einige Perrons verlängert und die Entflechtung im Wylerfeld realisiert werden.

 Ganz anders präsentiert sich die Situation bei der RBS. Deren Bahnhof hat die Kapazitätsgrenze erreicht, darin waren sich die Vertreter des ZBB-Leitorgans an der gestrigen Medienkonferenz einig. "Wir brauchen rasch eine definitive Lösung", sagte etwa RBS-Direktor Hans Amacker. Hugo Staub pflichtete bei: "Das Problem der RBS ist als erstes zu lösen." Und sogar der SBB-Vertreter Werner Wildener sagte: "Der Ausbau des RBS-Bahnhofs hat Priorität."

 Lösung für RBS gesucht

 Bleibt die Frage, wie das RBS- Kapazitätsproblem gelöst wird. Auch da stehen sich zwei grundsätzliche Varianten gegenüber. Einerseits der Bau eines neuen Tiefbahnhofs. Andererseits eine seitliche Erweiterung der bestehenden Station. Etwas weniger realistisch, aber trotzdem als offizielle Variante in den Plänen vermerkt ist die Verlagerung einiger RBS-Schmalspurlinien auf das SBB-Normalspurnetz. Dazu müsste die Strecke Solothurn- Zollikofen neu gebaut werden.

 Tobias Habegger

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STADTNOMADEN
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Bund 1.12.10

Stadtnomaden haben sich auf dem Viererfeld eingerichtet

 Der Verein Alternative ist vom Schermenareal ins Viererfeld umgezogen. Der Kanton Bern stellt ihnen das Terrain für drei Monate zur Verfügung.

 Simon Wälti

 Zwischen der Stadt Bern, der Burgergemeinde und dem Kanton besteht ein Abkommen: Alle drei Monate wird ein neuer Standort für den Verein Alternative gesucht. Das Rotationsprinzip dauert an, bis die Stadt Bern eine Zone für experimentelles Wohnen geschaffen hat. Das Prinzip geht auf Verhandlungen der Stadt mit Besetzergruppen im Jahr 2008 zurück. Nun ist die als Stadtnomaden bekannte Gruppierung mit ihren Traktoren und Bauwagen vom Schermenareal, das der Burgergemeinde gehört, aufs Viererfeld gezogen. Dort, gleich neben der alten Studerstrasse, dürfen sie bis Ende Februar bleiben, wie Brigitte Graf vom kantonalen Amt für Gebäude und Grundstücke sagte. Es sei eine entsprechende Vereinbarung getroffen worden. Es handle sich um das am besten geeignete Areal, das der Kanton auf Stadtgebiet oder in Stadtnähe besitze. "Der Kanton hat schlicht und einfach keine geeignetere Lösung." Das Viererfeld komme aber nur im Winter und nicht im Sommer infrage. Während des Sommers werde das Viererfeld zu stark genutzt. Gleich neben dem Areal befinden sich Familiengärten und ein Spielplatz. Ob der Verein für die Benutzung des Geländes einen Mietzins bezahlt, wollte Graf nicht sagen. Die Zahl der Personen ist nicht bekannt, die Personalien würden aufgenommen. Die Stadtnomaden nahmen bereits vor drei Jahren einen Teil des Viererfelds in Beschlag.

 Vorher in Wankdorf City

 Vor dem Schermenareal hielt sich der Verein Alternative auf dem Areal Wankdorf City auf. Dort steht aber nun die Halle für das Musical "Ewigi Liebi". Der Verein hat das Rotationsprinzip akzeptiert, anders als die Stadttauben, eine weitere alternative Gruppierung. So weigerten sich die Stadttauben in diesem Jahr, auf das Areal Wankdorf City umzuziehen. In Bern-Bümpliz gab es Probleme mit der Anwohnerschaft, danach verzog sich die Gruppierung weiter in den Westen und besetzte im Sommer ein Gebiet in Matzenried.

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bernerzeitung.ch 30.11.10

Stadtnomaden ziehen ins Viererfeld

js

 Am Samstag sind die Stadtnomaden bei verschneiten und vereisten Strassen vom Schermenareal ins Viererfeld umgezogen.

 Gemäss einem Abkommen zwischen Stadt, Kanton und Burgergemeinde müssen die Stadtnomaden dreimonatlich den Standort wechseln. Dies soll so lange dauern, bis die Stadt die planungsrechtlichen Voraussetzungen für eine Zone experimentellen Wohnens geschaffen hat.

 Wunschstandort für die Stadtnomaden

 Der Umzug ins Viererfeld war wegen des Schneefalls und der vereisten Strassen sehr umständlich, sagte eine Stadtnomadin gegnüber Capital FM. Sie habe keine Erwartungen an den neuen Standort, freue sich aber über die Nähe zum Wald. Zudem sei sie sehr froh, dass sie jetzt von der Strasse weg sind. Einen Standort dieser Art, wünsche sie sich auch im Bezug auf die langfristige Lösung.

 Kein Problem scheinen die Stadtnomaden mit der Kälte zu haben. Sie hätten dank ihren Holzöfen warm genug.

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SQUAT BE
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Bund 3.12.10

Besetzer im Breitsch können vorläufig bleiben

 Die Migros und die Besetzer des Hauses Moserstrasse 33 haben sich "in letzter Minute" geeinigt, wie Migros-Sprecher Thomas Bornhauser sagt. Ein Ultimatum des Grossverteilers an das "Kollektiv Moserstrasse" ist am Dienstag dieser Woche abgelaufen (siehe "Bund" vom Dienstag). Die Migros werde mit den Besetzern einen Zwischennutzungsvertrag abschliessen, da drei von ihnen die Verantwortung für die Zwischennutzung übernommen hätten. Diese drei hätten sich zudem verpflichtet, innerhalb von zehn Tagen die Identität sämtlicher Bewohner bekannt zu geben. Der Vertrag laufe regulär bis 30 Tage vor Abbruch des Gebäudes. Er sei aber auch "innerhalb sehr kurzer Frist" kündbar, sofern keine geordnete Nutzung möglich sei. Die Besetzer würden sogar Miete zahlen. Die Liegenschaft werde deswegen aber nicht "zur Cash-Cow für die Migros", sagt Bornhauser. Die Migros will im Breitenrain eine Überbauung mit Laden errichten. Diese ist zurzeit durch Einsprachen blockiert.(bob)

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BZ 1.12.10

Migros will verhandeln

 Breitenrain Die Migros will mit den Hausbesetzern an der Moserstrasse unter Vorbehalten verhandeln.

 Das sogenannte "Kollektiv Moserstrasse", das an der Moserstrasse 33 im Breitenrain einen Wohnblock der Migros-Genossenschaft mit sechs Wohnungen und fünf Dachmansarden besetzt hält, hat vorgestern Abend Besuch von Migros-Verantwortlichen erhalten. Nachdem die Migros den 15 Besetzern vor wenigen Tagen noch ein letztes Ultimatum zur Räumung gestellt hatte, zeigt sie sich nun versöhnlicher. "Es gibt zwei Möglichkeiten für sie, diese illegale Aktion zu beenden", sagte Migros-Sprecher Thomas Bornhauser. "Sie können das Haus verlassen, oder sie unterbreiten uns bis Mittwoch, 1. Dezember, einen akzeptablen Vorschlag zur Zwischennutzung bis zum Abbruch der Liegenschaft respektive bis 30 Tage vor Abbruchbeginn." Die Möglichkeit einer Mieterstreckung sei ausgeschlossen.

 Die Migros verlangt laut Bornhauser von den Besetzern, dass drei Personen aus dem Kollektiv die Verantwortung für die Nutzung übernehmen, und zwar mit den genauen Angaben der Personalien. "Weiter verlangen wir, dass alle Personen, die sich in der Liegenschaft befinden, namentlich und mit Adresse bekannt sind", erklärte der Migros-Sprecher weiter. Zudem müsse der Zugang zur eigenen Liegenschaft jederzeit und ungehindert möglich sein. Bornhauser: "Sollte es zu einer Einigung kommen, was wir hoffen, werden wir die Stromzufuhr wieder sicherstellen." Die Wasserversorgung sei bereits wieder "überbrückt" worden.
 sru

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Bund 1.12.10

Migros stellt Besetzern ein Ultimatum

 Die Besetzer der Liegenschaft Moserstrasse 33 müssen bis heute drei Leute benennen, welche die Verantwortung für die verlangte Zwischennutzung übernehmen. Zudem müssen sie die Identität sämtlicher Bewohner bekannt geben und einen "akzeptablen Vorschlag" zur Zwischennutzung unterbreiten. Dies teilt Migros-Sprecher Thomas Bornhauser in einem Schreiben an den "Bund" mit. Kommen die Besetzer diesen Forderungen nicht nach, "erstatten wir Strafanzeige", sagt Bornhauser. Die Moserstrasse 33 ist Teil eines Grundstücks, auf dem die Migros eine Überbauung mit Laden und 60 Wohnungen plant. Das Bauvorhaben ist wegen Beschwerden blockiert.(bob)

 Stadt Bern

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OBDACHLOS
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Landbote 2.12.10

Notschlafstelle für den Winter

 Eva Kirchheim

Winterthur - Alle Notwohnungen der Stadt Winterthur sind seit Längerem völlig ausgelastet. In Notfällen muss das Sozialamt Menschen, die als obdachlos gelten, im Hotel unterbringen. Um die Situation während der Wintermonate zu entschärfen, wird die Heilsarmee in einem temporären Durchgangswohnheim zwölf Schlafplätze anbieten. Der Stadtrat hat gestern die Unterstützung des vorerst auf fünf Monate beschränkten Pilotprojekts beschlossen. Um das finanzielle Risiko für die Heilsarmee abzufedern, garantiert ihr die Stadt eine Mindestbelegung von fünf Personen pro Nacht. Die Übernachtungspauschale von 95 Franken wird von der Sozialhilfe übernommen. Die Notschlafstelle wird in einer städtischen Liegenschaft an der Habsburgstrasse 29 untergebracht werden und soll nur zum Übernachten dienen. Tagsüber bleibt die Einrichtung geschlossen. (kir) ISeite 11

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Die Zeit ist reif für eine Notschlafstelle

 Eva Kirchheim

 Damit im Winter niemand auf der Strasse schlafen muss, richtet die Heilsarmee jetzt mit Unterstützung der Stadt eine Notschlafstelle ein.

 Die städtische Notschlafstelle wurde vor sieben Jahren mangels Bedarf aufgelöst. Die wenigen Personen, die in den letzten Jahren ein Bett für die Nacht suchten, habe man jeweils zu Pfarrer Sieber geschickt, sagt Sozialstadtrat Nicolas Galladé (SP). Seit dessen Notschlafstelle aufgelöst worden ist, falle diese Möglichkeit weg.

 "Die Lage wird langsam prekär", sagt Rolf Girschweiler, der das Wohnheim der Heilsarmee führt, das nur Dauerwohnplätze anbietet: "Wir sind seit längerer Zeit immer voll belegt." Täglich würden Leute anrufen, die einen Schlafplatz suchen. Auch die städtischen Notwohnungen sind seit Langem überfüllt ("Landbote" vom 8. November). Seit April hätten die Heilsarmee und die Mitarbeiter des städtischen Büros für Notwohnungen deshalb nach Lösungen gesucht.

 Defizitgarantie der Stadt

 Mit einem vorerst auf fünf Monate beschränkten Pilotprojekt soll jetzt Abhilfe geschaffen werden: Am Montag wird in der städtischen Liegenschaft Habsburgstrasse 26 auf zwei Stockwerken ein Durchgangswohnheim mit zwölf Schlafplätzen eröffnet. Betrieben wird es von der Heilsarmee, der die Stadt eine Defizitgarantie von maximal 70 000 Franken gibt. "Wir wissen ja überhaupt nicht, wie viel Personen kommen werden", sagt Galladé. Offiziell gebe es in Winterthur keine Obdachlosen. Die Stadt habe die Pflicht, jedem der in Not ist, einen Schlafplatz anzubieten. Galladé erhofft als Nebeneffekt des Projektes in diesem Punkt eine bessere Übersicht.

 Da niemand einschätzen könne, wie viele Schlafplätze gebraucht werden, garantiert die Stadt der Heilsarmee finanziell eine Mindestbelegung von fünf Betten. Eine Übernachtung kostet 95 Franken und wird wohl in den meisten Fällen von der Sozialhilfe übernommen werden. Der relativ hohe Preis komme durch die Personalkosten zustande. Wenn die Stadt die Notschlafstelle selber führen würde, käme das laut Galladé "sehr viel teurer". Die Zuweisung soll in der Regel über das Büro für Notwohnungen erfolgen. Wer seinen Wohnsitz ausserhalb von Winterthur hat, braucht eine entsprechende Kostengutsprache der Wohnsitzgemeinde.

 Die Tür der Notschlafstelle wird jeden Tag um 19 Uhr geöffnet, spätestens um 9 Uhr morgens, nach einem Frühstück, müssen alle Übernachtungsgäste wieder draussen sein. Angeboten werden Doppel- und Dreifachzimmer, die mit Betten, Duvets und Nachttischen ausgestattet sind. Dazu gehören Duschen, WCs und eine Waschküche. Zur Betreuung wird immer eine Fachperson anwesend sein. Das Team von drei Leuten wird von Dragana Blanc geleitet. (kir)

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Telebärn 30.11.10

Der Winter ist hart für Obdachlose
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/der-winter-ist-hart-fur-obdachlose/c=84713&s=1096755

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MÜSLÜM
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Bund 2.12.10

Angaben zur Person Müslüm-Samichlaus

 "Dem Erich eins aufs Füdeli geben"

 Meine früheste Erinnerung in Sachen Kultur:

 Die Rute meines Vaters.

 Das letzte Buch, das mir Tränen in die Augen trieb:

 Mein Chlausenbuch.

 Wen ich auf den Mond schiessen würde:

 Mich selber. Das wäre dann ein grosser Schritt für mich und ein kleiner für gewisse Politiker.

 Warum ich geworden bin, was ich bin:

 Ich hatte chaine andere Möglichkeiten.

 Was ich nie mehr verpassen möchte:

 Dem Erich eins aufs Füdeli zu geben.

 Wohin ich eine neue Liebschaft ausführen würde:

 Oberstes Chlausengesetz isch das Zölibat. Gut, ab und zu darf man ein bischen mit dem Schmutzli chuscheln, aber alles andere isch Handarbeit.

 Mein letzter peinlicher Auftritt:

 Da hab ich bei einem Plattenbau stundelang nach einem Cheminée gesucht.

 Würde ich nie sagen:

 Ich würde nie sagen, dass die Versli der Chinder schlecht sind. Da mach ich fascht immer gute Miene zum bösen Spiel.

 Das bereitet mir Ohrenweh:

 Wenn ich höre das Chinder nicht an den Samichlaus glauben.

 Hier trifft man mich garantiert nicht an:

 Auto-Salon Genf - da müsste jemand schon einen Schlitten-Salon ins Leben rufen.

 Das mache ich an einem verregneten Sonntag:

 Ich lasse den Schlitten in der Garage stehen.

 Wenn ich meine Arbeit überblicke - darauf bin ich stolz:

 Als ich letztes Jahr bei den Samichlaus-Awards den goldenen Samichlaus gewonnen habe.

 Mein Wunsch:

 Das ich dieses Jahr statt Manderinli und Nüssli vielleicht auch Chebap verteilen chan. Dann würde ich sicher einige Leute chulinarisch integrieren und so Gutes tun.

 Und das steht auf meiner Kulturagenda:

 3. 12. 2010 da bin ich zu Besuch in der Reitschüle im Dachstock.(ane)

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 Müslüm

 Der Spassmacher stellt in einem Showcase am Freitag, 3. Dezember, im Dachstock der Reitschule seine neue Single "Samichlaus" vor. Hauptact ist die Band Russkaja (22 Uhr).

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Kulturplatz sf.tv 1.12.10

Der helvetische Borat - warum die Schweiz einen "Müslüm" braucht
http://videoportal.sf.tv/video?id=eaf22a80-cede-4028-86dd-695a7367e91b

Mit seinem buschigen, angeklebten Schnauzbart ist er der Star der Stunde: "Müslüm". Politisch unkorrekt und mit tölpelhaftem Charme gibt er den Klischeeausländer vom Balkan - und wirkt so wie eine Schweizer Version von "Borat". Hinter der Kunstfigur "Müslüm" steckt der 31-jährige Semih Yavsaner, der im Berner Nordquartier als Sohn einer Gastarbeiterfamilie aufgewachsen ist. Nun liefert "Müslüm" mit einer CD neues Futter für seine Fans. "Kulturplatz" hat einen entspannten und zurückhaltenden Menschen hinter der schrillen Kostümierung kennengelernt.
Beitrag: Richard Herold

Müslüm: "Samichlaus", erschienen bei Sound Service

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Müslüm schreibt den "Kulturplatz"-Blog

In der Vorweihnachstzeit bloggt die Kunstfigur Müslüm bei "Kulturplatz". Müslüm ist eine Kunstfigur, die mit Telefonscherzen auf "Radio Rabe" und "Radio 105" bekanntgeworden ist. Mit dem Song "Erich, warum bist du nicht Ehrlich?" war Müslüm im Herbst 2010 in der Hitparade.

* Zum Blog
http://kulturplatz.blog.sf.tv/

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Bund 30.11.10

Jetzt schafft der Samichlaus schwarze Schäfli aus

 Semih Yavsaner alias Müslüm pflegt mit seinem neuen Song die Wunden der Abstimmungsverlierer.

 Marc Lettau

 Die schnellste Auswirkung des Volks-Jas zur Ausschaffungsinitiative ist vorerst rein musikalischer Natur und seit gestern auf dem Markt: Der türkischstämmige Berner Semih Yavsaner alias Müslüm schiebt nach "Erich, werum bisch Du nid Ehrlich" die zweite, chartverdächtige Single "Samichlaus" nach, ein Türk-Pop-Ohrwurm, dessen Message so gradlinig gezimmert ist wie die SVP-Reklame der letzten Wochen:

 Grissi, Grissi Mitenander,

 ich bi der Samichlaus, ich schaffe,

 ich schaffe de alle, die schwarzen Schäfli aus, ich bin der Sami, Leeein!

 ich bin der Samichlaus

 und schaff de schwarze Schäfli aus. ( . . .)

 Erste Kommentare auf den Bestellportalen der Musikvertreiber machen deutlich, dass das neue Werk angesichts des Erscheinungsdatums politisch rezipiert wird: "Bestens geeignet für die Wundpflege nach einem schrecklichen Abstimmungswochenende", schreibt ein Kunde. Die Verknüpfung mit der Tagespolitik geht vom Song selber aus, denn Samichlaus Müslüms Hintergrundchörli konversiert zu orientalischen Melodiebögen mit einem Herrn Mörgeli:

 Wunderschöne Tag Herr Mörgeli

 haben Sie denn heute keni Sörgeli?

 Chommet mir spile mit em Handörgeli

 bis am Mörgeli( . . .)

 Kritisch nachgefragt: Macht hier ein frecher Politbarde knallhart kalkulierend Umsatz just am Tag nach einer politischen Erschütterung? Semih Yavsaner kontert mit einer Gegenfrage. Ob es denn ein scharf kalkuliertes Konzept der SVP gewesen sei, Schweizer und Ausländer immer weiter auseinander zu bringen? Yavsaner: "Wenn die Antwort ja ist, dann habe ich scharf kalkuliert." Mag er über die Gegenfrage hinaus das Abstimmungsergebnis kommentieren? Yavsaner sieht einen persönlichen Gewinn: "Theoretisch gesehen, hat mein C-Ausweis an Wert gewonnen. Nun ist er Identität und eventuelles Flugticket nach Istanbul zugleich."

 Ganz überraschend tritt der Samichlaus nicht auf. Die Kunstfigur Müslüm hat schon seit einiger Zeit angedeutet, dass die Veröffentlichung eines sehr "weihnächtlichen" Werkes anstehe. Und dass Müslüm in die Arbeitskluft des Samichlauses gestiegen ist, wussten die an seinem Werdegang Interessierten ebenfalls bereits vor der Abstimmung, denn auf dem "Kulturplatz" von SF1 bloggte Müslüm vor dem Wochenende über seine berufliche Neuorientierung:

 "Vor ainem Jahr war ich noch arbaislos und dieses Jahr bin ich schon Samichlaus. Ich habe es schon immer gesacht, in der Schwais isch alles möglich. Maine nöie Arbeit gefällt mir simlich gut, nur an ainem Tach arbaiten und dann de ganse Jahr Ferie. Jest weiss ich auch wieso de Samichlöise immer so gut drauf sind."

 Gestern schob Müslüm gleichenorts nach, er sei in "Chonfrontasion" mit seinem Nachbarn geraten. Dieser habe ihm "wie aus heiterer Hölle" gesagt, er sei kriminell, weil er den Schnee vor dem Haus nicht wegschaufle. Nur: "Wenn ich den Schnee wegschüfele, dann chan ich mit mainem Schlitten nicht wegfahre!"

 Darf man - soll man - Müslüms "Samichlaus" überhaupt zum politischen Song hochstilisieren? Trotz der offensichtlichen Seitenhiebe ist er ja auch eine sowohl leichtfüssige wie sehnsüchtige Ballade. Oder, um es mit Müslüm zu sagen: "Vergesst nid, Politik isch wichtig, aber die Liebe isch wichtiger." So sieht es auch Müslüms Schöpfer: Weihnachten sei "Orgasmus des Kapitalismus" und "Fest der Liebe" zugleich. Dieser Widerspruch finde sich auch in Müslüms Werk, aber "er setzt dieses Jahr pünktlich zu Zeiten der Besinnlichkeit ein Zeichen der Liebe". Müslüm selbst mag sich übrigens nicht darauf reduzieren lassen, er sei ein Synonym für die Wiederbelebung des politischen Songs in der Schweiz: "Heute singe ich, vielleicht spiel ich Morgen bei Petchovich in der erschten Elf, werweiss. Man muss sein potensial ausschöpfen und das hat nichts mit politich su tun!"

Müslüm in der Sendung Kulturplatz SF 1, morgen Mittwoch, 22.55 Uhr. Müslüm "Samichlaus" (Maxi Single), Sound Service, EAN 7619954442465.

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BZ 30.11.10

"Liebe isch wichtiger"

 müslümDer Berner Musiker und Komiker hat einen neuen Job: Als Samichlaus will er den Schweizern die Liebe bringen - und schwarze Schäfli wieder zurückholen.

 Statt seines rosaroten Armani-Anzugs trägt er neu eine rote Zipfelmütze und einen weisen weissen Bart. Aber schon von den ersten Takten an ist klar, wer da auf dem Schlitten gefahren kommt. Müslüm, der Mann, dem Erich Hess ein Dorn im Auge ist, meldet sich zurück mit einem neuen Song. "Samichlaus" heisst das Stück.

 Es startet mit einem Panflötenton, der an weihnächtliche Strassenunterführungen erinnert. Dann setzt der typische Dancebeat à la DJ Bobo ein, der die früheren orientalischen Rhythmusfolgen fast gänzlich verdrängt hat. "Grissi miteinander, ich bin dä Samichlaus", stellt sich Müslüm gleich selbst vor. Um dann weiterzufahren mit seiner Mission, nämlich die schwarzen "Schäfli" auszuschaffen. Doch Müslüm, die von Semih Yavsaner geschaffene Figur, ist natürlich viel zu friedliebend, um Ernst zu machen. Und so besinnt sich der Samichlaus bald auf die Liebe und die Verbrüderung "Wir sind alle anders, aber glaub mir, wir sitzen im gleichen Schlitten", singt er, und versichert: "Und wenn du mal rausfliegscht, hol ich dich sofort wieder surück."

 Das ist ein Trost für alle Abstimmungsverlierer. An sie und alle sonstwie politisch Vergifteten richtet er auch auf seiner Website ein samichläusliches Wort: "Vergesst nid, Politik isch wichtig, aber die Liebe isch wichtiger."
 bol

 Single: Müslüm - "Samichlaus". Das Video dazu erscheint am 6. Dezember.

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OPENAIR
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bern.ch 30.11.10

40'000 Franken für innovative Musikveranstaltung

Die Städtische Musikkommission schreibt einen Wettbewerb zur Durchführung einer Musikveranstaltung unter freiem Himmel aus. Dem Gewinner oder der Gewinnerin werden 40'000 Franken in Aussicht gestellt, um den Anlass durchzuführen. Bewerbungen können bis zum 31. Januar 2011 eingereicht werden.

Veranstalterinnen und Veranstalter aus allen musikalischen Sparten (Klassik, Neue Musik, Jazz, Rock/Pop, HipHop, Electronica, Folk, Chanson, Volksmusik u.a.) sind eingeladen, sich am Wettbewerb der Musikkommission zu beteiligen. Für die Konzeption und Durchführung einer innovativen Musikveranstaltung stellt die Musikkommission eine Summe von 40'000 Franken in Aussicht. Die Veranstaltung findet zwischen Juni und September 2011 statt, der Eintritt muss frei sein.

Der Kreditrahmen von 40'000 Franken ist von den Wettbewerbsteilnehmenden eingehalten. Falls zusätzliche Mittel nötig sind, muss in der Bewerbung verbindlich zugesichert werden können, dass die städtische Summe diese auslösen wird. Die notwendigen Bewilligungen bei der Gewerbepolizei organisieren die Bewerberinnen und Bewerber selber (Kontakt: Veranstaltungsmanagement, 031 321 52 20, oder veranstaltungsmanagement@bern.ch).

Die Bewerbungen mit ausführlicher Projektbeschreibung und detailliertem Budget sind bis 31. Januar 2011 einzureichen bei der Abteilung Kulturelles, Gerechtigkeitsgasse 79, 3011 Bern (Vermerk: Veranstaltungswettbewerb). Die Bewerbungen werden durch die Städtische Musikkommission am 7. Februar 2011 geprüft.
 
Präsidialdirektion

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POLICE BE
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20 Minuten 2.12.10

Polizei soll besser informieren

 BERN. "Wir erwarten, dass wir von der Kantonspolizei besser informiert werden", sagt Corinne Mathieu von der SP. Seit der Fusion der Stadtpolizei mit der Kantonspolizei sei die Zusammenarbeit mit dem Stadtrat "klar verbesserungsfähig", wie Mathieu sich ausdrückt. Sie will vor allem auch mehr über die Jugendprävention der Polizei wissen. "Wir haben den Eindruck, dass Prävention vernachlässigt wird." In einem Fraktionspostulat fordert die SP-Politikerin nun den Gemeinderat auf, sich vermehrt um die Police Bern zu kümmern - immerhin zahle die Stadt ja einen grossen Beitrag.

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RADIO RABE
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Fr. 3. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_3._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_3._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%203.%20Dezember%202010
- Kopfschütteln nach dem FIFA-Entscheid: Russland und Katar als Austragungsorte der Fussball-Weltmeisterschaften
- Der Zusammenschluss "gewählte Stimme" fordert: Mehr Chancen für sozial benachteiligte Kinder an Schweizer Schulen
- Insieme fordert "eine Schule für alle": Kinder mit einer geistigen Behinderung sollen in die Regelschulen

Links:
http://www.gewählte-stimme.ch
http://www.proinfirmis.ch/index.php

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Do. 2. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%202.%20Dezember%202010
- warum man sich in Cancun trifft- PolitikerInnen, NGOs und AktivistInnen am Klimagipfel
- warum die Schweiz nicht wie Weissrusland werden soll- Gespräch mit neuer Richterin vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof
- warum Arbeit in China billig ist- eine Gewerkschafterin über Veratwortung und Proteste

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Mi. 1. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%201.%20Dezember%202010
- 40 Jahre nach der "Schwarzenbach- Initiative": "wir riefen Arbeitskräfte und es kamen Menschen"
- Neustart in Zürich: erster Schritt zur ökologischen und sozialen Schweiz
- Gemeinschaftsradios in Japan: von der Erdbebenhilfe zur Integration von Flüchtlingen

Links:
http://www.alter-migration.ch/index.cfm
http://neustartschweiz.ch
http://www.tcc117.org/fmyy/en/history.html

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Di. 30. November 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._November_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_30._November_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2030.%20November%202010
- Signalwirkung für die ganze Schweiz? - Was bedeutet der Atomausstieg der Stadt Bern
- Verrückte Utopie oder reale Vision? - Der Traum vom Neustart Schweiz
- Alles nur Fassade? - Präsidentschaftswahlen in Burkina Faso

Links:
http://neustartschweiz.ch
http://ououagadougouou.blogspot.com

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SANS-PAPIERS
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Bund 3.12.10

Berner Stadtrat zeigt Herz für die Kinder von Sans-Papiers

 Die Kinder von Sans-Papiers in der Stadt Bern sollen auch nach der Schule Ausbildungsmöglichkeiten erhalten. Der Stadtrat hiess ein Postulat von SP und GB gut.

 Tausende von Kindern in der Schweiz hätten keinen geregelten Aufenthaltsstatus in der Schweiz, sagte Lea Bill (Junge Alternative) im Stadtrat. Es könne nicht sein, dass diese Kinder zwar die Schule besuchen könnten, aber keine Anschlusslösung mehr fänden. Die Fraktion GB/JA und die SP forderten den Gemeinderat daher auf, "städtische Lösungen" für den Zugang von Sans-Papiers zu Lehrstellen zu prüfen. Namentlich die Angebote des Kompetenzzentrums Arbeit (KA), das für die berufliche Integration zuständig ist, sollten auch Sans-Papiers zugänglich sein. Zudem soll sich der Gemeinderat beim Kanton dafür einsetzen, dass alle weiterführenden Ausbildungsinstitutionen für Sans-Papiers zugänglich gemacht werden.

 "Kinder sind die Leidtragenden"

 Unerwarteten Support erhielt Rot-Grün in dieser Frage von der Fraktion BDP/CVP. Die Regelung des Aufenthalts von Sans-Papiers sei zwar Angelegenheit des Bundes, sagte Martin Schneider. Kinder seien aber "unschuldige Wesen" und hätten daher Anspruch auf eine Ausbildung, so Schneider.

 Bei der SVP stiess diese Haltung erwartungsgemäss auf wenig Verständnis. "Man kann sich in diesem Land nicht einfach verstecken und hoffen, dass man nicht entdeckt wird", sagte Roland Jakob (SVP). Sans-Papiers könnten ihre Papiere auch absichtlich vernichtet haben, um sich einer Ausschaffung zu entziehen. Mitunter befänden sich also auch Kriminelle unter den Eltern von auszubildenden Kindern. Kriminelle gehörten aber ausgeschafft, wie seit dem letzten Abstimmungswochenende endgültig klar geworden sei. "Die Kinder sind hier die Leidtragenden", sagte Jakob. Aber wer sich vor dem Staat verstecke, habe etwas zu verbergen. Die Schuld liege hier nicht beim Staat, sondern bei den Eltern, sagte Jakob.

 Sans-Papiers nicht alleine schuld

 Conradin Conzetti (GFL) warnte an seiner letzten Stadtratssitzung davor, den Sans-Papiers die alleinige Schuld für ihre Situation zuzuschieben. Es gebe Arbeitgeber, die illegal Sans-Papiers beschäftigten. Solche Praktiken dürften nicht "auf dem Buckel der Kinder" geschehen. Den Kindern dürfe man daher eine Ausbildung nicht verwehren, sagte Conzetti. Das Postulat wurde schliesslich mit 52 zu 15 Stimmen angenommen. Nebst der SVP haben auch grosse Teile der FDP gegen den Vorstoss gestimmt.(bob)

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FREIRAUM SO
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Solothurner Zeitung 1.12.10

"Wir wollen nichts Böses, kein Chaos"

 Interview Autonome Freiraumbewegung (AFB) distanziert sich von der Party in der Vogt-Schild-Druckerei

Andreas Kaufmann

 Hat die Autonome Freiraumbewegung AFB seit dem Vorfall in der Vogt-Schild-Druckerei von Anfang November ein Imageproblem?

 Robine Müller, Sprecherin der AFB: Wieso sollte sie das?

 Weil der Verdacht nahe liegt, dass sie bei der "Party" massgeblich die Finger im Spiel hatte.

 Verdacht hin oder her, die AFB hat in keinster Weise etwas mit der Party zu tun. Es gibt sicher Leute, die nicht unterscheiden können, wenn sich Jugendliche für etwas einsetzen, wie es die AFB für ein Jugendzentrum tut, oder wenn Jugendliche irgendeine Party schmeissen. Was genau der Hintergrund der Party war, weiss ich noch heute nicht.

 Im Grunde trug die Hausbesetzung doch aber die Handschrift der AFB, oder nicht?

 Die da wäre?

 2009 hat die AFB die ehemalige Drogenanlaufstelle am Dornacherplatz in Beschlag genommen - die letzte Aktion dieser Art. Das lässt gewisse Vermutungen zu.

 Die Besetzung der Drogenanlaufstelle war keine Aktion der AFB. Sie wurde von Einzelpersonen organisiert und durchgeführt - aus Solidarität zu unserem Anliegen, dem Wunsch eines Jugendzentrums. Die AFB hat sich für den "legalen" Weg zum Jugendzentrum entschieden und organisiert weder illegale Hausbesetzungen noch irgendwelche "Chaos-Partys"!

 Wer ist die AFB eigentlich?

 Die AFB ist ein Organisationskomitee, welches sich für die Jugend von Solothurn einsetzt. Ihr Ziel ist es, ein Jugendzentrum auf die Beine zu stellen.

 Wie viele Leute gehören zur AFB?

 Im Organisationskomitee findet sich eine Zahl an Leuten (welche ich nicht nennen werde), genug eben, um Entscheidungen zu treffen und Aktionen zu planen. Hinter der AFB stehen dann natürlich viele Einzelpersonen, die sich mit unserem Anliegen solidarisieren.

 Der Personenkreis der AFB lässt sich also nur diffus eingrenzen. Kann da nicht sowieso jeder die Aktionen lancieren, die er möchte?

 Jede Aktion der AFB wird im Komitee besprochen.

 Kennen Sie Leute, die noch von der rebellischen Party schwärmen?

 Ich kenne niemanden, der an dieser Party teilgenommen hat. Deshalb kenne ich auch niemanden, der davon schwärmen könnte.

 Sie halten fest: Die AFB war unbeteiligt. Aber wie stellt sie sich zur stattgefundenen Chaos-Party?

 Wenn ich den Grund und die Hintergründe der Party kennen würde, könnte ich besser dazu Stellung nehmen.

 Es geht eher um die Konsequenzen: mehrere zehntausend Franken Sachschaden und auf drei Etagen ein heilloses Durcheinander.

 Schade um den Sachschaden, das hätte nicht sein müssen. Laut eines Kommentars auf Ihrer Onlineausgabe des Artikels sind ja diese Sprayereien schon vor vielen Jahren gemacht worden?!

 uf einen Teil dieser Sprayereien mag dieser Kommentar zutreffen. Unabhängig von Ihrer Beteiligung: Inwieweit könnten solche Aktionen mit politischen Absichten verbunden sein?

 Keine Ahnung.

 Kommen wir zu Ihrem Hauptanliegen: der Schaffung eines Autonomen Jugendzentrums (AJZ). Solothurn hat doch genügend Kultur für junge Menschen.

 Die AFB verfolgt dieses Ziel seit über vier Jahren, nämlich Kultur für junge Menschen. Nennen Sie mir Beispiele.

 Kofmehl, Eleven, die Jugendarbeit des Alten Spitals, und viele mehr ...

 Jene Angebote sind zwar vorhanden, entsprechen aber nicht dem Konzept eines Jugendzentrums, wo sich jeder auch "einfach nur so" aufhalten darf - ohne Konsumzwang.

 Wie stellen Sie sich die Finanzierung eines AJZ vor?

 Für die Aufbauzeit würden uns Jugendförderung und Jugendkommission finanziell unter die Arme greifen. Später sollte das Projekt mehr oder weniger selbsttragend sein.

 Mit welchen Mitteln wollen Sie der Bevölkerung das Anliegen AJZ schmackhaft machen?

 Mit vielen Aktionen in der Stadt Solothurn, mitten in der Bevölkerung. Das Feedback auf uns war bisher nie negativ, wenn wir konkret konfrontiert haben. Wir wollen ja nichts Böses, kein Chaos, keine Randale! Wir stehen für den Wunsch der Jugend da, den Wunsch eines Platzes, um sich aufzuhalten, sich kreativ auszuleben. Dieser Wunsch wurde auch am Jugendpolittag am 3. Oktober klar ersichtlich. Viele Jugendliche im Alter von 16 bis 20 Jahren äusserten unabhängig voneinander den Wunsch eines Jugendzentrums. Solothurn braucht Platz für die Jugend. Solothurn braucht ein Jugendzentrum. Die AFB-Sprecherin Robine Müller wollte sich nicht fotografieren lassen.

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 Ziel: für ein Jugendzentrum

 Die Autonome Freiraumbewegung AFB steht seit vier Jahren durch ihren Kampf für ein Jugendzentrum in der Öffentlichkeit. In Gesprächen mit der Stadt kam man aber auf keine einhellige Lösung. Derweil hat die AFB durch Aktionen auf sich aufmerksam gemacht. So beispielsweise im Mai 2009, als sie in der Aktion "RaumLos!" in der Altstadt kulturelle und kulinarische Posten einrichtete, um aufs Bedürfnis nach einem Jugendzentrum aufmerksam zu machen. Als vielversprechendste Liegenschaft dafür erwies sich die abseits von Wohngebieten gelegene Villa Schürch in Biberist, die durch eine Umgestaltung der AFB zur "Villa Kunterbunt" hätte werden sollen. Doch bevor das vorliegende Konzept der AFB umgesetzt werden konnte, wurde die Liegenschaft - bisher im Besitz des Kantons - zum Verkauf ausgeschrieben. Bis heute konnte jedoch kein definitiver Käufer gefunden werden. Mit diesem Zentrum will die AFB Raum schaffen, der autonom, sprich: frei von Konsumzwang junge Menschen zusammenbringt, für Konzerte, Künstlerateliers, eine Bibliothek, für kulinarische Zwecke oder schlicht fürs Gesellige. (ak)

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SQUAT BS
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Indymedia 3.12.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/12/79087.shtml

Besetzung der Villa an der Wettsteinallee 40 in Basel

AutorIn : Wettsteinvilla: http://www.wettsteinvilla.ch.vu     

Programm der kommenden Tage In diesem Moment besetzen wir die Villa an der Wettsteinallee 40 in Basel.     
    
Das Haus ist im Besitz der Christoph Merian Stiftung. Jahrzehntelang wurde es als Künstlerhaus betrieben und hat eine grössere Wohngemeinschaft beherbergt. Da das Haus laut der Christoph Merian Stiftung baufällig sei, soll es an eine Privatperson verkauft und teuer und aufwendig renoviert werden. Einmal mehr wird die Privatisierung eines zuvor halböffentlichen Raumes geplant.

Seit Jahren verschwinden Freiräume und stattdessen schiessen Büroflächen und luxuriöse Wohnüberbauungen für die erwünschten "neuen Steuerzahler" und zugunsten der "sozialen Stadtaufwertung" aus dem Boden. Während 80 000 m2 Büroflächen leerstehen, fehlt es in der Region an bezahlbarem Wohnraum und selbstbestimmtem Freiraum für Jung und Alt.

Aus diesen Gründen nehmen wir uns das Haus an der Wettsteinallee 40 zurück. Von der Stadt und den Institutionen wünschen wir uns nichts - wir nehmen uns den Raum, den wir brauchen.

Von nun an füllen wir die Räume mit unseren Ideen. Wir schaffen Raum für die Entstehung einer autonomen Schule, einen Ort für Diskussionen, Film, Konzerte, selbstbestimmten Wohnraum und Platz für "Niedrigkultur".

Alle sind aufgerufen, sich mit Ideen und Engagement zu beteiligen. Das Plenum am Sonntag soll eine erste Plattform sein. Kommt vorbei!     

1 Inhaltliche Ergänzung :

Wettsteinvilla bereits wieder leer

04.12.2010 13:31  

Die Christoph Merian Stiftung als Eigentümerin der Wettsteinvilla hat bereits heute Samstag morgen Anzeige erstattet. Wir haben das Haus im letztmöglichen Zeitpunkt vor der polizeilichen Räumung verlassen.

Der Workshop "Autonome Schule" mit Leuten aus der Autonomen Schule Zürich wird trotzdem um 17 Uhr im Magazin (Inselstrasse 79) stattfinden.

Eine Stellungnahme folgt.

AutorIn: wettsteinvilla | Web:: http://www.wettsteinvilla.ch.vu

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MOLINO TI
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20 Minutes 3.12.10

L'UDC se bat contre la vandalisation de ses affiches

 LUGANO (ti). La section tessinoise du parti de Christoph Blocher part en guerre contre l'arrachage systématique de ses affiches de campagne. Selon le "Corriere del Ticino", une plainte a été déposée contre le collectif d'extrême gauche du Molino. L'UDC tessinoise accuse le mouvement autonome d'avoir endommagé plusieurs de ses affiches controversées en faveur du "oui" à l'initiative sur le renvoi des étrangers criminels.

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AUTONOME SCHULE ZH
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Indymedia 3.12.10

Bullenkontrollen wegen ASZ in Zürich ::

AutorIn : egal         
Die Stadtpolizei macht z.Zeit an der Tram / Bushaltestelle Bäckeranlage gezielt Personenkontrollen nach Menschen die "autonom" oder nach ev. Besucher der autonomen Schule Zürich (ASZ) aussehen.     
    
Anscheinend dürfen die 3 Bullen, die sich auf die ASZ eingeschossen haben nicht mehr direkt vor der Schule ihre schickanösen Kontrollen durchführen. So sind wohl die 3 Supercops auf die klevere Idee gekommen Flüchtlinge und SympatisantInnen der ASZ schon vorher im Tram oder Bus raus zu nehmen.

Vermutlich brauchts heute Abend wieder eine Demo in der Innenstadt....     

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Indymedia 1.12.10

Wieder Provokation von Bullerei vor autonomer Schule Züri ::

AutorIn : ig         
Heute Mittwoch, den 1 Dezember, gab es zum dritten Mahl in Folge Stress vor der autonomen Schule. 3 Bullen wollten eine Person festhalten und kontrollieren, anwesende Personen konnten dies verhindern. Die Bullen setzten bei dem Einsatz einmal Gummischrott ein.     

Die Situation: Menschen stehen vor der autonomen Schule. Ein Polizeiauto fährt insgesamt 4 mal langsam und provokativ vorbei..... So lange, bis jemand Ihnen den Stinkefinger zeigt. Was die Bullen zum Anlass nahmen, sofort anzuhalten, mit Gummischrott und Pfefferspray bewaffnet auszusteigen und loszustürmen, um den Übeltäter festzunehmen.
Es entwickelt sich ein Gedränge, die Bullen drücken sich durch und versuchen, die Person weiter zu verfolgen.
Die anwesenden Personen können das verhindern, dabei setzt die Polizei aus naher Distanz einmal Gummischrott ein.

Dann merken die Bullen, das sie hier nichts mehr "bewirken" können, und ziehen sich langsam zurück.

Ein weiteres Mal - innert zwei Wochen der dritte Vorfall vor der autonomen Schule.
Jeder ist eîner zuviel
Jede Ausschaffung ist eine zuviel

Wehren wir uns!!!     

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tagesanzeiger.ch 30.11.10

"Wir fordern, dass diese Polizeischikanen aufhören"

Tina Fassbind

 In der Zürcher City wurde gestern erneut demonstriert. Dieses Mal richtete sich der Protest gegen Polizeikontrollen rund um die Schule für Sans-Papiers.

 Am Montagabend zogen rund 150 Personen durch den Zürcher Kreis 4. Die Demonstranten versammelten sich gegen 19.30 Uhr beim Zürcher Helvetiaplatz und zogen danach via Stauffacherstrasse zur Kaserne der Kantonspolizei und von dort über die Militär- und Langstrasse wieder zurück zum Helvetiaplatz. Nach einer Schlussrede löste sich die Kundgebung um 20.45 Uhr wieder auf, heisst es in einer Medienmitteilung der Stadtpolizei Zürich.

 Stadt- und Kantonspolizei Zürich waren mit einem grösseren Aufgebot vor Ort, um Sachbeschädigungen zu verhindern. Anders als am Sonntag kam es aber während der ganzen Demonstration zu keinen Zwischenfällen.

 Unbewilligte Kundgebung verlief friedlich

 Zur unbewilligten Kundgebung hat das Bleiberecht-Kollektivbereits bereits im Verlauf des Montagnachmittags via Internet aufgerufen. Das Kollektiv betreibt die "Autonome Schule Zürich", an der Sans-Papiers Deutschkurse besuchen können.

 Ein Sprecher der Schule gab gegenüber Tagesanzeiger.ch an, dass unverhältnismässige Polizeikontrollen der Sans-Papiers Anlass zur Kundgebung waren. Sowohl am vergangenen Mittwoch als auch am Montag habe die Polizei regelmässig vor und nach Schulbeginn auf die Sans-Papiers gewartet und sie gezielt überprüft, so der Sprecher. "Wir fordern, dass diese Polizeischikanen aufhören. Es dürfen keine Personenkontrollen zur Feststellung der Identität durchgeführt werden."

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20 Minuten 30.11.10

Noch eine Demonstration

 ZÜRICH. An einer weiteren unbewilligten Demonstration haben gestern Abend in Zürich rund 100 bis 150 Personen teilgenommen. Beim Marsch vom Helvetiaplatz durch den Kreis 4 kam es zu keinen Zwischenfällen. Um mögliche Sachbeschädigungen zu vermeiden, waren Stadt- und Kantonspolizei Zürich vor Ort und überwachten den Demonstrationszug.

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Indymedia 30.11.10

Protestdemo gegen Festnahmen und Kontrollen bei der ASZ ::

AutorIn : reader         

Heute kam es zu einer Protestdemo gegen die Festnahmen und Kontrollen bei der Autonomen Schule Zürich     

Fotos: http://ch.indymedia.org/de/2010/11/79021.shtml

Gefunden auf http://www.Karakok.org

Letzte Woche:

Letzten Mittwoch (24.11.10), Nachmittag hat die Stadtpolizei in ihrer Repression gegen illegalisierte MigrantInnen ein neues Mass an Unverschämtheit erreicht.
Erstmals in den fast zwei Jahren, seit es die Autonome Schule Zürich (ASZ) gibt, wurden direkt vor der Schule illegalisierte MigrantInnen kontrolliert und festgenommen.
Hilflos mussten Kursteilnehmende und Kursleitende zusehen, wie einer ihrer Kollegen unter herablassenden Sprüchen von einer Polizeistreife abgeführt wurde.
Der Polizeiwagen hatte das Kennzeichen ZH 728 002. Die ASZ ist ein selbstorganisiertes Bildungsprojekt von und für MigrantInnen.
Unter anderem finden kostenlose Deutschkurse statt. Über hundert Personen - vor allem Flüchtlinge, abgewiesene Asylsuchende und Sans-Papier - nehmen regelmässig an den Kursen teil.

Rund zwei Stunden nach diesen Vorfällen zogen 150 Teilnehmende der ASZ, BleiberechtlerInnen und weitere AktivistInnen mit lautstarkem Protest vor das Kasernengefängnis, in dem sich die beiden Verhafteten befinden.
siehe:  http://www.bleiberecht.ch/2010/11/protest-gegen-personenkontrollen-und-festnahmen-bei-der-asz/

Heute, Montag, 29. November kam die Polizei wieder vor Kursbeginn zur ASZ. Drei Personen wurden Verhaftet!
Nach den Kursen ca. um fünf Uhr, wollte die Polizei erneut Personenkontrollen durchführen, was aber durch die breite Solidarität von Unterstüzenden verhindert werden konnte.
Die Bullen wurde dazu aufgefordert, den Platz zu verlassen.
Als sie weggefahren sind, wurde den Bullen applaudiert. Um zu zeigen, dass sie wenigstens einmal im Leben etwas gutes getan haben und uns endlich in Ruhe gelassen haben ;)
Die Bullen hielten sich im Hintergrund. Man blieb noch lange vor der ASZ. Einige haben musiziert, andere haben Schilder mit der Aufschrift "HUPEN GEGEN SVP!” zur Strasse gehalten.
Durch das Hupen der AutofahrerInnen, VBZ-Tram und Busfahrerinnen und klingeln der Velofahrerinnen die vorbeifuhren, konnten wir hören, dass viele in der Bevölkerung unsere Anliegen unterstützen,.

Da wir uns das nicht mehr länger bieten wollen lassen, wurde beschlossen, etwas zu machen, was unserer Anliegen ausdruck verleiht. Desshalb gab es um 8Uhr eine lautstarke und kunterbunte Demo ab dem Helvetiaplatz zur Kaserne(Polizeigefängniss), wo die Verhafteten im Moment sind und wieder zurück.
An der spontanen Demo nahmen ca. 350 Personen Teil. Viele Flyer wurden verteilt. Selbst einige Autofahrerinnen hielten mitten auf der Strasse an, um einen Flyer zu ergattern.

Die Polizeipresänz war massiv und vollkommen unverhältnismässig.

Auch in Zukunft werden wir es uns NICHT gefallen lassen, dass autonome Räume von der Polizei, die die rechte Ideologie dieses Staates verteidigen wollen, angegriffen werden.

Ausschaffungen abschaffen!
Hoch die antinationale Solidarität!

-beyaz peynir, Karakök Autonome

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Telebärn 29.11.10

Demonstration nach Abstimmung
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/demonstrationen-nach-abstimmung/c=84713&s=1095979

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telem1.ch 29.11.10

Proteste nach Ja zu Ausschaffungsinitiative
http://telem1.ch/de/overlayplayer---0--0--0--T000313157.html

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AUSSCHAFFUNGS-DEMOS
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Indymedia 4.12.10

Strassenparty gegen die SVP und Rassismus am 4.12 in LSNE ::

AutorIn : Un crapaud champêtre  |  übersetzt von : der Wind         
Strassenparty gegen die staatliche Fremdenfeindlichkeit und die SVP am 4. Dezember, Place de l'Europe 18 Uhr.     
    
Auf dem Programm: Musik, Glühwein, Bier und festliche Atmosphäre.

Die SVP hatte vor sich diesen 4. Dezember in Lausanne zu versammeln, zuerst im Beaulieu, dann an der Uni, ohne Erfolg. Die Tatsache, dass sie sich ein Feld in wohl schlechten Wetterverhältnissen mit den Fröschen teilen müssen ist ein kleiner Sieg, der es verdient hat, gefeiert zu werden, v.a. einige Tage nach der Annahme der Initiativer zur Ausschaffung "krimineller Ausländer".

Kommt also diese klare Niederlage der rassistischen Partei im Waadtland feiern!
Die SVP im Schlammfeld, die Antirassisten auf der Strasse!

Verbreitet die Info!

Samstag 4. Dezember, 18 Uhr, Place de l'Europe, bring Deine FreundInnen, Deinen Hund, Deine Mutter etc. mit!

Einige bunte Schafe und Feldfrösche     

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St. Galler Tagblatt 3.12.10

Junge SVP wehrt sich gegen Gewalt von links

 Die Junge SVP Ausserrhoden befürchtet in einem Communiqué das Ende der freien Meinungsäusserung.

 AUSSERRHODEN. "<Für mehr Toleranz!>, <gegen Ausgrenzung!>, das sind die regelmässig zu hörenden Schlagworte aus linken Kreisen", heisst es in dem Schreiben der Jungen SVP.

 Dagegen sei prinzipiell nichts einzuwenden. Das einzige, was die politische Rechte von diesen Forderungen unterscheide, sei, dass sie diese anders interpretiere als die Linken. Mehr Toleranz ja, nicht aber Toleranz gegenüber Mördern, Vergewaltigern und sonstigen Schwerkriminellen. Gegen Ausgrenzung ja, sofern sich ein Mensch überhaupt in eine Gesellschaft integrieren lassen wolle. Wenn hingegen die Integration verweigert werde, könne man noch lange gegen Ausgrenzung sein. Die Ausgrenzung sei dann vom Ausgegrenzten selbst verursacht und gewollt, heisst es weiter.

 "So weit zu den Interpretationsverschiedenheiten der durchaus lobenswerten Forderungen. Dumm nur, wenn sich diese öffentlich skandierten Prinzipien in ihr Gegenteil verkehren - verursacht von jenen, die diese Prinzipien angeblich hochhalten. In den letzten Wochen verdichteten sich die Zeichen, dass es mit ebengenannter Toleranz gegenüber Andersdenkenden in der Schweiz bachab geht", so die JSVP weiter.

 "Dies kommt dann zum Ausdruck, wenn übereifrige Autonome die Parteizentrale der SVP VD stürmen und dort enorme Schäden anrichten, wenn der Eingang des Sekretariats der Zürcher SVP zugemauert wird und damit die politische Arbeit verunmöglicht wird, wenn Häuser von SVP-Politikern Ziele von Farbanschlägen werden (kürzlich wieder in Bern geschehen) oder wenn die SVP ihre Delegiertenversammlung unter freiem Himmel in der bittersten Kälte abhalten muss, nur weil linke Aktivisten gegen eine Parteiversammlung in Lausanne protestiert hatten und der Partei dann die Räumlichkeiten wieder entzogen wurden."

 Abstrus werde es aber, wenn Linke dazu aufrufen würden, Autos von SVP-Delegierten zu zerstören oder wenn nach der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative in diversen Schweizer Städten demonstriert und dabei offen und gewalttätig zur Missachtung des Volkswillens aufgerufen werde.

 "Solche kriminellen Attentäter auf die freie Meinungsäusserung und damit auch auf die Demokratie gehören bestraft. Die Junge SVP AR ruft die Behörden auf, hier endlich durchzugreifen." (pd)

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Tagesanzeiger 3.12.10

Mörgeli spricht von "Kuschelpolizei", Leupi von "bösartiger Verdrehung"

 Polizisten, die der SVP Interna verraten, fallen gemäss ihrem Chef dem ganzen Korps in den Rücken.

 Von Ruedi Baumann

 Zürich - Nach den Anschuldigungen von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli an den grünen Polizeivorsteher Daniel Leuppi (TA von gestern) stellen sich brisante Fragen: Stimmt Mörgelis Behauptung, oder polemisiert er bloss? Fallen die Polizisten, die Mörgeli munitioniert haben, dem grünen Velofahrer Leupi in den Rücken, weil sie eine härtere Polizei wollen? Und hat sich Leupi nicht etwas naiv verhalten, wenn er Polizisten an einer Demo seine Gemütslage beschreibt?Die Antwort auf diese Fragen ist ein "Ja, aber", wie ein Gespräch mit allen Beteiligten zeigt.

 Daniel Leupi beschreibt, wie er den Sonntagabend erlebt hat: Er habe im Amtshaus gearbeitet und sei von der Einsatzleitung über die Vorbereitungen und den Anfang der Demo informiert worden. "An der Befehlsausgabe war ich nicht dabei", betont er. Dann habe er sich mit dem Velo auf den Heimweg gemacht und an der Löwenstrasse Stadtpolizisten angetroffen. Er habe den Zug dort und mit Blick aufs Central beobachtet und dabei mit ein paar Polizisten gesprochen. Der Zug sei zu dieser Zeit absolut friedlich verlaufen. Er habe persönlich Verständnis gehabt für die Enttäuschung der Umzugsteilnehmer nach dem Ja zur Ausschaffungsinitiative. Um zu beschreiben, wie friedlich der Umzug war und dass ganz normale Bürger teilnahmen, habe er im Gespräch mit einzelnen Polizeibeamten gesagt: "Wenn ich nicht Stadtrat wäre, hätte ich mir vorstellen können, da auch dabei zu sein." Als sich abzuzeichnen schien, dass der Umzug weiterhin friedlich verlaufen würde, sei er nach Absprache mit dem verantwortlichen Offizier nach Hause gefahren und habe erst dort von den Ausschreitungen erfahren.

 Mörgeli hat vertrauliche Infos

 Christoph Mörgeli beruft sich auf "mehrere Polizisten", die ihm berichtet hätten: "Leupi sagte, dass er lieber auf der Seite der Demonstranten stehen würde." Mörgeli sagt: "Wenn sich ein Chef innerlich auf die Seite von Teilnehmern an einer unbewilligten Demo schlägt, hat die Polizei ein Problem." Er habe Hinweise, dass "die Polizisten von den politischen Entscheidungsträgern eingeschüchtert werden" und die Stimmung im Korps miserabel sei, weil es von der linken Führung zur "Kuschelpolizei" gemacht werde. Dazu passten seine Informationen, dass bloss acht Detektive und zwei Züge im Einsatz waren.

 Kommandant steht zu Leupi

 Daniel Leupi bezeichnet Mörgelis Aussage als "bösartige Verdrehung" und "Verleumdung". Kein Verständnis hat er auch für die Polizisten, die Mörgeli seine persönlichen Aussagen weitergeleitet und mit vertraulichen Informationen angereichert haben. "Diese Polizisten haben sich illoyal verhalten und schaden letztlich ihren Kollegen." Wer die SVP mit Interna versorge, "dient jener Partei, die mit Budgetkürzungen die dringend nötige Aufstockung des Korps hintertreibt".

 Der grüne Gemeinderat Balthasar Glättli sagt: "Leupi hat sich immer von Gewalt distanziert und würde eine solche Aussage nie im Zusammenhang mit Ausschreitungen machen." Bezeichnend sei auch, dass nicht SVP-Fraktionschef Mauro Tuena auf Leupi losgehe. "Tuena kennt und mag Leupi viel zu gut."

 Auch Polizeikommandant Philipp Hotzenköcherle steht voll hinter Leupi. In seiner 29-jährigen Tätigkeit habe er mehrheitlich politisch links stehende Vorgesetzte gehabt und mit diesen "ohne Probleme hervorragend zusammengearbeitet". Leupi sei nun ein halbes Jahr im Amt und habe bisher "weder auf die operative Ausrichtung noch aufs Korps unangemessenen Einfluss genommen".

 Die Stimmung im Korps sei tatsächlich etwas belastet, aber wegen des grossen Spannungsfeldes. Im Alltag seien die Polizisten in der Partystadt Zürich Tag und Nacht unterwegs. An besonderen Ereignissen, wie jetzt bei der WM-Vergabe der Fifa, seien sie zusätzlich stark gefordert. "Solche Leistungen sind nur mit Leuten möglich, die von ihrer Arbeit überzeugt sind." Auf der anderen Seite spüre er aber auch die Ungewissheit im Korps über die Zukunft. So sei wegen der drohenden Budgetrückweisung im Gemeinderat die Personalaufstockung um 15 Personen gefährdet. "Irgendwann mögen die Leute nicht mehr, vor allem wenn sie dann in den Medien und im Gemeinderat noch angegriffen werden."

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20 Minuten 3.12.10

"Polizeichef Leupi braucht noch Zeit"

 ZÜRICH. Es kommt beim Polizeibeamtenverband nicht gut an, dass Daniel Leupi Verständnis für dieDemonstranten geäussert hat. Doch noch müsse man dem neuen Polizeichef eine Schonfrist gewähren.

 Zürichs Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) hat nach eigenen Angaben gegenüber Polizisten Verständnis für jene Leute geäussert, die am Sonntag auf die Strasse gingen, um gegen das Ja zur Ausschaffungsinitiative zu protestieren. Laut SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli soll er sogar gesagt haben, er stünde lieber auf der Seite der Demonstranten (20 Minuten berichtete). Leupis Aussage habe sich im Korps gleich "in verschiedenen Versionen" herumgesprochen, bestätigt Gabriel Allemann, Vizepräsident des Polizeibeamtenverbands der Stadt Zürich. Allemann findet zwar, Leupi habe ein Recht auf freie Meinungsäusserung, "doch wenn er eine solche Bemerkung gegenüber Polizisten macht, die während dem Einsatz an einer Demo unter grossem Druck stehen, ist dies nicht optimal." So etwas werde schnell falsch aufgefasst. Für Allemann hat Leupi aber noch eine Schonfrist: "Wir müssen ihm Zeit geben, den Betrieb kennenzulernen. Es wäre falsch, ihn an einer einzigen Äusserung aufzuhängen."

 Heinz Buttauer, Präsident des Schweizer Polizeibeamtenverbands, findet, generell sei es problematisch, wenn ein Politiker Sympathie gegenüber den Teilnehmern einer Demo ausdrücke, die unbewilligt und gewalttätig sei und sich gegen einen demokratischen Entscheid richte. "Noch frustrierender ist für einen Polizisten aber, wenn Sachbeschädigungen verübt werden und er nicht eingreifen darf."

 Marco Lüssi

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Südostschweiz 3.12.10

Bardill: "Wir läuten die Alarmglocken"

 Von Stefanie Studer

 Chur. - "Wo Unrecht zu Recht wird, ist Widerstand Pflicht." Mit diesem Zitat des deutschen Schriftstellers Bertolt Brecht ruft die Juso Graubünden heute Nachmittag zur "Kundgebung gegen die Volksdiktatur der SVP und ihre Asyl- und Ausländerpolitik" auf. Denn die Abstimmungsresultate vom letzten Sonntag hätten gezeigt, dass die Politik in der Schweiz einen Punkt erreicht habe, wo das "urschweizerische" und damit das demokratische Erbe grundsätzlich in Frage gestellt werden, sagte Lukas Horrer, Vorsitzender der Juso Graubünden, gestern vor den Medien.

 Die Kundgebung startet um 17 Uhr beim Bahnhofplatz in Chur. Sie verläuft über die Bahnhofstrasse zur Poststrasse und endet beim Martinsplatz, wie Horrer sagte.

 Kulturschaffende machen mit

 Für die Demonstration schliessen sich die Jungsozialisten mit Liedermacher Linard Bardill, mit Regisseur Wolfram Frank und dessen Künstlergruppe In Situ sowie mit dem Ensemble Ö! und dem Verein Miteinander Valzeina zusammen. Deshalb wird die Demonstration einen stark kulturellen Aspekt haben. So treten neben Bardill auch David Sontòn als Leiter des Ensembles Ö! sowie drei Schauspieler von In Situ auf. "Wir Kulturschaffende müssen uns politisch engagieren", sagte Wolfram Frank. Ausserdem fühle er sich als Deutscher persönlich von der Annahme der Ausschaffungsinitiative angegriffen.

 Abstimmung war lediglich Auslöser

 "Dass wir jetzt Bewohner A und Bewohner B haben, kommt in der Tat Rassismus gleich", meinte Bardill. In erster Linie richte sich die Demo trotz ihres Namens aber nicht gegen die vergangene Abstimmung, sondern gegen die "Entwicklung der Demokratie zu einer Pöbelherrschaft". "Wir wollen nicht die schlechten Verlierer spielen, sondern die Alarmglocken läuten."

 Auch die Juso Graubünden wolle morgen zeigen, dass sie "diese" Politik nicht unterstütze, sagte Horrer. Denn die Abstimmungsergebnisse hätten wieder einmal gezeigt, dass die politische Rechte an der Bundesverfassung rüttle. Die Jungsozialisten seien der Überzeugung, dass das demokratische Erbe verteidigt und ausgebaut werden müsse und alle Menschen frei und gleich seien.

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tagesanzeiger.ch 2.12.10

Wie unzufrieden sind die Polizisten wirklich?

Christoph Landolt

 Laut SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli sind die Stadtpolizisten frustriert, weil auf unbewilligte Demos nicht entschlossen reagiert wird. Der Polizistenverband sieht das anders.

 Die Stimmung in der Stadtpolizei ist mies - das sagt nicht ein Stadtpolizist, sondern SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli. Gegenüber Tagesanzeiger.ch präzisierte Mörgeli seine Kritik, die er am Vorabend auf TeleZüri geäussert hatte: "Für die Polizisten ist es frustrierend, wenn sie einer unbewilligten Demonstration nur zwei Züge mit rund 50 Beamten plus acht Detektive entgegenstellen können." Dies wisse er direkt aus Polizeikreisen, erklärte Mörgeli.

 Dafür macht Mörgeli Polizeivorsteher Daniel Leupi verantwortlich. Dass dieser als Stadtrat keinen Einfluss auf die operative Arbeit der Polizei hat, lässt der SVP-Nationalrat nicht gelten. Die Kommandanten könnten nicht völlig anders handeln als es ihr politischer Vorgesetzter verlange, "sonst werden sie nicht befördert".

 "Wir nehmen die Vorwürfe von Herrn Mörgeli Ernst"

 Den Vorwurf Leupis, ihm bösartig Sympathien für die gewaltbereiten Chaoten unterstellt zu haben, weist Mörgeli zurück. Er habe Leupi nicht kritisiert, weil er seine Meinung zur Ausschaffungsinitiative geäussert habe, sagt Mörgeli. Es dürfe aber nicht sein, dass ein Polizeivorsteher auf der Seite einer unbewilligten Demo stehe. Den Polizisten fehle dafür jegliches Verständnis.

 Wie gross ist die Unzufriedenheit im Polizeikorps wirklich? Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei, will dazu nicht stellvertretend für über 2000 Polizeiangehörige eine Aussage wagen. "Wir nehmen die Vorwürfe von Herrn Mörgeli Ernst." Einsätze wie jener vom Sonntagabend würden im Korps selbstverständlich kontrovers diskutiert. Cortesi stellt in Aussicht, in einer Woche über die Stimmung im Korps zu informieren.

 Immer mehr Arbeit

 Laut Gabriel Allemann, Vizepräsident des Stadtzürcher Polizeibeamtenverbands, könnte die Stimmung im Korps tatsächlich besser sein. Daran sei aber nicht Polizeivorsteher Leupi schuld. "Die Polizei ist schlicht überlastet." Für die schlechte Stimmung seien auch die Sparanstrengungen der Bürgerlichen verantwortlich, spielt Allemann den Ball an die SVP zurück.

 Einerseits müssten die Stadtpolizisten wegen immer mehr Einsätzen am Wochenende und Grossveranstaltungen wie der WM-Vergabe sehr viele Überstunden leisten. "Wenn wir an der Front mehr Ressourcen hätten, dann könnten wir auch die Taktik bei Demonstrationen verbessern." Um aus einem friedlichen Demonstrationszug die gewaltbereiten Chaoten zu isolieren, brauche es "gewaltige Ressourcen", meint Allemann. Und diese stünden schlicht nicht zur Verfügung.

 Furcht vor Sparen

 Wenn die bürgerlichen Parteien das Budget 2011 zurückweisen, befürchtet Allemann jedoch nicht nur, dass die vorgesehenen 15 Polizistenstellen nicht geschaffen werden. Auch die Saläre könnten stagnieren. "Wenn die Löhne eingefroren werden, trifft das viele von uns hart." Die Kosten für das Wohnen und die Krankenkassenprämien stiegen laufend an, "das nagt natürlich an der Motivation."

 Mörgeli weist den Schwarzen Peter zurück." Wir haben sehr grosse Sympathie für die Anliegen der Polizisten." Die SVP habe sich nie dagegen gesperrt, Geld auszugeben, wo die Sicherheit verteidigt werden wolle. "Die Frage ist aber, wie man die Leute einsetze." Heute, kritisiert Mörgeli, betreibe die Stadtpolizei einen Riesenapparat, um Parkbussen in Millionenhöhe reinzuholen.

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Tagesanzeiger 2.12.10

Polizeivorsteher als Demonstrant?

 Um die Rolle des Zürcher Polizeivorstehers Daniel Leupi während der Demonstration vom Sonntagist eine Kontroverse im Gang.

 Von Benno Gasser

 Zürich - Die Gewalteskalation in der Innenstadt am vergangenen Abstimmungssonntag schlägt weiter Wellen. Gestern rückte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) mit seinen Aussagen in die Nähe der Demonstranten. Leupi soll während der unbewilligten Demonstration gesagt haben, dass er lieber auf der Seite der Demonstranten stehen würde. Dies soll Leupi während des Umzugs gegenüber Polizisten geäussert haben, sagte Mörgeli auf TeleZüri. Leupi hatte zuvor in einem TA-Interview keine Aussagen darüber gemacht, wo er sich während der Demonstration aufgehalten hatte.

 Auch am Rande der gestrigen Gemeinderatssitzung wollte Leupi dazu nicht Stellung nehmen. Er sagte nur, er habe Verständnis für Leute, die über das Ja zur SVP-Ausschaffungsinitiative enttäuscht gewesen seien, wie eine Mehrheit der Zürcher Bevölkerung. Er habe aber kein Verständnis für Leute, die Gewalt anwenden würden. Wenn Mörgeli ihm Sympathien für solche Gewalttäter unterstellen wolle, sei dies schlicht lächerlich. Der SVP-Nationalrat wolle ihn in die linksextreme Ecke stellen und eine Polemik entfachen, auf die er sich nicht einlasse.

 "Bis spätabends gearbeitet"

 Gemäss Aussage der beiden Gemeinderäte Niklaus Scherr (AL) und Balthasar Glättli (Grüne) hat Leupi am Sonntag bis spätabends in seinem Büro gearbeitet. Anschliessend sei er auf dem Nachhauseweg in der Löwenstrasse auf den Demonstrationsumzug getroffen. Leupi habe nicht an der Demo teilgenommen. Mitmarschiert am Umzug "gegen Rassismus und reaktionäre Hetze" ist Niklaus Scherr, wie er gestern im Gemeinderat in einer persönlichen Erklärung erzählte. Dabei ging er auch auf die Sachbeschädigungen ein. Diese seien von der "Hammerfraktion" im Umzug begangen und so blitzschnell ausgeführt worden, dass auch ein Grossaufgebot der Polizei chancenlos gewesen wäre.

 SVP reicht Interpellation ein

 Die SVP-Fraktion bezeichnete die Taktik der Polizei in einer Erklärung als verheerend und das Vorgehen als naiv und blauäugig. Eine illegale Ansammlung von Personen für eine nicht bewilligte Kundgebung sei von Anfang an und notfalls mit Gewalt aufzulösen. Die Polizei müsse auch das im Jahr 2004 erlassene Vermummungsverbot durchsetzen. Die SVP werde den Verdacht nicht los, dass in der Stadt Zürich für linke Chaoten ein rechtsfreier Raum geschaffen wurde. Die Partei hat deshalb gestern eine Interpellation mit zwölf Fragen eingereicht. Sie will vom Stadtrat unter anderem wissen, warum sich der unbewilligte Demonstrationszug in Bewegung setzen konnte und warum nur eine Person verhaftet wurde.

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20 Minuten 2.12.10

Leupi: "Sympathie" für Demonstrierende

 ZÜRICH. Zürichs Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) soll während der Kundgebung gegen das Ja zur Ausschaffungsinitiative vom Sonntag, bei der massive Schäden angerichtet wurden, zu Polizisten gesagt haben, er würde lieber auf der Seite der Demonstranten stehen. Dies sagte SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli zu Tele Züri. Das seien untragbare Aussagen für einen Polizeichef. Leupi bestätigte gestern, dass er Sympathie für die Menschen geäussert habe, die am Abstimmungsresultat keine Freude hätten. Von den Taten der Krawallmacher distanziere er sich jedoch - Mörgelis Vorwürfe seien "bösartig".

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Woz 2.12.10

Sanftmütige

 Am Sonntagabend verschaffte sich der empörte Mensch in verschiedenen Schweizer Städten Luft, auch vor der Heiliggeistkirche in Bern, wie die Berner Kantonspolizei berichtete, um "gegen die Annahme der SVP-Initiative zu demonstrieren. Beim anschliessenden Umzug durch die Altstadt kam es zu zahlreichen Kreideleien und vereinzelten weiteren Sachbeschädigungen." Da die "Kreideleien" von zahlreichen Medien ohne weitere Erklärung übernommen wurden, nehmen wir an, dass es sich um eine Tätigkeit handelt, die dem Berner und der Bernerin vertraut ist - möglicherweise eine künstlerische? Kreideln statt Sprayen? "Die Polizei begleitete den Umzug auf Distanz", hiess es weiter. Das gehört sich auch so, wenn friedliche junge Leute das Pflaster bemalen. KHO

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Weltwoche 2.12.10

Extremismus

 Sturmabteilung von links

 Von Andreas Kunz

 Nach dem Ja zur Ausschaffungsinitiative kam es in mehreren Städten zu massiven Ausschreitungen. Im Internet feiern sich die Demonstranten als "gewalttätige Revolutionäre".

 Bevor die Abstimmung vorüber war, überfielen die Linksextremen in Allschwil BL ein Stimmlokal und klauten eine Urne. In Schlieren ZH legten sie eine Brandbombe vor die Stadtverwaltung. Und in Winterthur verklebten sie zahlreiche Schlösser der Abstimmungslokale.

 Zu schweren Ausschreitungen kam es dann am Sonntagabend: In Bern griffen die Gewalttäter das Hotel "Bristol" an, in dem sich die SVP versammelt hatte. Sie zertrümmerten die Eingangstüre, zerstörten Scheiben und Rollläden und warfen Farbbeutel an die Wände. In Zürich demonstrierten rund 2000 Personen gegen das Abstimmungsresultat - und lieferten Rückendeckung für die Extremisten an der Spitze des Umzugs. Sie schlugen Scheiben ein, warfen Brandsätze, Farbbeutel und Einmachgläser mit Erbrochenem; die aufgebotenen Polizisten attackierten sie mit Petarden, Flaschen und Steinen. Der Gesamtschaden der Krawallnacht beläuft sich allein in Zürich auf über 200 000 Franken.

 Zeugen sprechen von "lebensbedrohlichen Zuständen", die in der Innenstadt geherrscht hätten. Wie durch ein Wunder gab es keine Verletzten. Ebenso überraschend war, dass die Zürcher Stadtpolizei nur einen einzigen Gewalttäter festnehmen konnte. Auf den TV-Bildern war zu sehen, wie sich die Polizisten in Kampfmontur Meter um Meter vom Mob zurückdrängen liessen und hoffnungslos überfordert waren. Sprecher Marco Cortesi nannte es trotzdem einen "Erfolg". Die Doktrin der Einsatzleitung sei es gewesen, den Zug laufen zu lassen, solange sich die Demonstranten friedlich verhielten.

 "Die Bullen zur Seite gedrängt"

 Es ist die gleiche "Deeskalationsstrategie", die seit Jahren auch bei den 1.-Mai-Ausschreitungen angewendet wird: Man hofft auf das Beste und ist zu spät dran, wenn es zum Schlechtesten kommt. Für ihre zurückhaltende Gegenwehr wird die Zürcher Stadtpolizei auf den Websites der Linksextremisten unverhohlen verhöhnt. In ihrem Bericht zur Demonstration unter dem Titel "Wählen wir mit Feuer und Steinen" zählen sie stolz die beschädigten Gebäude auf: mehrere Banken und Geschäfte, der NZZ-Verlag, das Zunfthaus zur Zimmerleuten und das Rathaus. Weiter schreiben sie: "Unterwegs zogen sich mehrmals Bullenreihen von 10 bis 20 Einheiten angesichts der Demonstration zurück. Bei der Rudolf-Brun-Brücke wurden sie unter Beschuss von Steinen und Flaschen zur Seite gedrängt, während beim Vorbeiziehen auch Bullenvans angegriffen wurden. Wir freuen uns, dass es laut Medien nur zu einer Verhaftung kam." In einem anderen Eintrag heisst es: "Wir haben das Lächeln auf den Gesichtern unserer FreundInnen gesehen, wenn dem Bullenschwein die Flasche am Kopf zerschellte."

 Die Zürcher Stadtpolizei ist zum Spielzeug von aufmerksamkeitsdefizitgestörten Anarchisten geworden. Vorsteher Daniel Leupi (Grüne) äusserte sich erst am Dienstagabend. Er schob die Verantwortung auf sein Korps: "Ich leite das Departement, nicht den Einsatz." Zudem sei es "neu" gewesen, dass "im Anschluss an eine Abstimmung ein so grosses Gewaltpotenzial vorhanden ist", sagte er auf Tagesanzeiger.ch/Newsnetz. "Nach der Minarett-Initiative wurde auch eine spontane Demonstration durchgeführt. Damals verlief alles friedlich", sagte Leupi. Zur Erinnerung: Nach der Minarett-Abstimmung griffen die Demonstranten das Zürcher SVP-Parteisekretariat an, zerstörten die Eingangstüre und verschmierten die Wände.

 Wer sind diese Leute, die auf ein demokratisch herbeigeführtes Abstimmungsresultat mit Gewalt reagieren? Der harte Kern ist in Vereinen wie dem Revolutionären Aufbau oder der Menschenrechtsorganisation Augenauf organisiert. Dazu kommen Hunderte Sympathisanten, zusammengesetzt aus Studenten, Weltverbesserern, Jungsozialisten und Häuserbesetzern. Unter den Pseudonymen ihrer marxistischen und leninistischen Helden publizieren sie im Internet seitenlange, teils reichlich konfuse Pamphlete über "Entwaffnung der Revolution - Gewaltlosigkeit und ihre Folgen" oder "1. Mai auch für die Tiere - Solidarität hört nicht bei Menschen auf". Der Tenor ist meist derselbe: Die "faschistische Gesellschaft" könne nur durch "gewaltsame, revolutionäre Mittel" in eine "bessere soziale Ordnung" umgewandelt werden.

 Es gibt Dutzende solcher Aufrufe, und sie sind alle öffentlich einsehbar. Umso erstaunlicher ist es, dass die meisten Medien die linksextreme Szene und ihre Übergriffe seit Jahren verharmlosen oder gänzlich verschweigen. Offenbar wird es nicht als allzu schlimm empfunden, wenn sich die Gewaltspirale im Namen einer angeblich "gerechteren Welt" dreht. Die Verharmlosungen führen aber auch dazu, dass es an den Ausschreitungen oft zu Ansammlungen gewaltsuchender Personen aller Art kommt. In Bern beispielsweise waren bei den Ausschreitungen am Sonntag mehrere YB-Fans zu erkennen, die auf dem Heimweg vom Fussballspiel dankbar ein bisschen Action vorfanden. Am 1. Mai reicht die Palette der Krawallanten jeweils von den Linksextremen über die Hooligans bis zu den Neonazis.

 Die Bundespolizei hat zwar schon mehrere Berichte über "Skinheads" oder "Rechts- extremismus" zusammengetragen. Zum Linksextremismus finden sich im aktuellen, 82-seitigen Jahresbericht aber gerade mal zwei Sätze.

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Blick am Abend 1.12.10

SVP will Antworten vom Stadtrat

 SONNTAGS-DEMO

 Nach der unbewilligten Demonstration mit grossem Sachschaden am Sonntagabend reicht es SVP-Gemeinderat Mauro Tuena. Mit einer Interpellation bittet er den Stadtrat folgende Fragen zu beantworten: Wie ist die enorme Zurückhaltung der Stadtpolizei zu beurteilen und wer wies die Stadtpolizei an, den Demonstrationsumzug ungehindert weiterziehen zu lassen? Gesamthaft will Tuena zwölf Fragen beantwortet haben. "Die Polizei griff am Sonntag viel zu spät ein", ist Tuena überzeugt. So etwas dürfe nie mehr geschehen. fr

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Tagesanzeiger 1.12.10

"Für die Gewalttaten von Kriminellen kann ich mich nicht entschuldigen"

 Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) verteidigt den Polizeieinsatz an der Demonstration vom Sonntag.

 Mit Daniel Leupi sprach  Stefan Häne

 Herr Leupi, Ihre Partei hat gegen die Ausschaffungsinitiative der SVP gestimmt. Haben Sie als Grüner Verständnis für den Frust der Demonstranten vom Sonntag?

 Ja. Wenn die Leute nach einer Abstimmung ihre Emotionen in der Öffentlichkeit zeigen wollen, fällt das unter die Meinungs- und Redefreiheit. Es ist eine selbstverständliche Erscheinung des politischen Lebens. Aber ich lehne dezidiert jede Form von Gewalt bei solchen Demonstrationen ab.

 Wo waren Sie am Sonntagabend, während der Mob gewütet hat?

 Dazu äussere ich mich nicht. Es ist nicht relevant, wo ich mich aufgehalten habe. Ich war nicht der Einsatzleiter.

 Wie beurteilen Sie den Einsatz?

 Die Stadtpolizei hat vor dem Sonntag eine seriöse Lagebeurteilung vorgenommen. Darin eingeflossen sind die Erfahrungen aus der Demonstration im Nachgang zur Minarett-Abstimmung vor einem Jahr, die weitestgehend friedlich verlief.

 Das hat offenbar nichts genützt.

 Das stimmt nicht. Doch der Stadtpolizei sind Grenzen gesetzt: Wenn eine Gruppe von Leuten Gewalt anwenden will, kann das die Polizei in einem freiheitlichen Staat nie vollständig verhindern. Zudem löst die Stadtpolizei eine unbewilligte, aber friedliche Demonstration nicht auf den blossen Verdacht möglicher Gewaltanwendungen hin auf. Täten wir dies, käme - nicht zuletzt von medialer Seite - sofort der Vorwurf, die Polizei handle unverhältnismässig.

 Warum hat die Polizei die Demonstranten bei der Gessnerbrücke nicht gestoppt und so den Einmarsch in die Innenstadt verhindert?

 Die operative Leitung des Einsatzes untersteht dem Kommando der Stadtpolizei, nicht mir.

 Die Demonstration war angekündigt. Haben Sie sich mit dem Kommando im Vorfeld zusammengesetzt und die Lage analysiert?

 Ich wurde vorinformiert.

 Haben Sie eine spezielle Order zur Taktik herausgegeben?

 Ich könnte mein Departement nicht führen, wenn ich bei jeder Lagebeurteilung anwesend wäre und mitbestimmen würde. Dies würde im Übrigen die Autorität des Kommandos untergraben.

 Zur Demo aufgerufen hatte der Schwarze Block. Die Ausschreitungen waren programmiert.

 Es obliegt der Einschätzung des Kommandos, die Lage vor Ort zu beurteilen. Generell gilt aber: Nur mit einem Polizeistaat liesse sich eine solche Ausschreitung verhindern. Doch das haben wir nicht. Und das ist gut so.

 Warum haben Sie nicht schon gestern Stellung genommen?

 Das wäre nicht seriös gewesen. Wir müssen den Einsatz zuerst genau analysieren. Diese Nachbearbeitung hat im Verlauf des gestrigen Tags stattgefunden. Sie braucht Zeit.

 Werden Sie sich bei den betroffenen Zünftern, dem Gewerbe und der NZZ entschuldigen?

 Natürlich verurteile ich diese Zerstörungen, aber ich kann mich nicht für Gewalttaten entschuldigen, die Kriminelle begangen haben. Ein "mea culpa" in diesem Sinne wird es nicht geben.

 Sie haben die Wut der SVP und FDP auf sich gezogen. Befürchten Sie, Ihren Anfangsbonus bei den Bürgerlichen verspielt zu haben?

 Wenn diese Parteien ihre Meinung über mich ändern, muss ich damit leben.

 SVP-Fraktionschef Mauro Tuena hat gesagt, er sehe schwarz für den 1. Mai. Welche Lehren ziehen Sie aus der Demo vom Sonntag?

 Es ist sicherlich unerfreulich, wenn gewisse Leute an einem Sonntagabend in der Zürcher Innenstadt Gewalt anwenden können. Die Stadtpolizei hat im Rahmen ihrer Möglichkeiten aber alles getan. Sie ist verhältnismässig vorgegangen und hat eingegriffen, nachdem es zu den ersten Sachbeschädigungen gekommen war.

 Was unternehmen Sie, damit wir am 1. Mai nicht wieder solche Bilder in der Altstadt ansehen müssen?

 Die Stadtpolizei wird den Auftrag des Stadtrats umsetzen. Das heisst: Sie versucht, Gewalt zu vermeiden und toleriert die Nachdemo nicht.

 Wird die Innenstadt abgesperrt?

 Das lässt sich noch nicht sagen. Es wird davon abhängen, wie sich am 1. Mai die Lage vor Ort präsentiert.

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20 Minuten 1.12.10

"Die Polizei kann nicht alles verhindern"

 ZÜRICH. Der Polizeieinsatz bei der unbewilligten Abstimmungs-Demo vom Sonntag sorgt für rote Köpfe. Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) verteidigt die Strategie.

 Daniel Leupi, Sie waren am Polizeieinsatz vom Sonntag zwar nicht operativ beteiligt, tragen aber die politische Verantwortung. Warum haben Sie bis jetzt geschwiegen?

 Daniel Leupi: Weil ich mir zuerst ein genaues Bild davon machen musste, was am Sonntag gelaufen ist. Ich bin kein Freund von Schnellschüssen.

 Der Einsatz wird von Bürgerlichen als zu lasch kritisiert, von den Linken als richtig und vom Polizeisprecher gar als vorbildlich beurteilt. Ihr Urteil?

 Grundsätzlich hat die Polizei richtig und verhältnismässig reagiert. Wären wir härter vorgegangen, hätte es geheissen, die Polizei sei brutal.

 Warum wurde die Demo nicht früher gestoppt?

 Die Demo verlief lange ruhig und die Gesundheit der grösstenteils friedlichen Teilnehmer ist höher zu gewichten als allfällige Sachschäden.

 Das ist ein schwacher Trost für jene, die zerschlagene Fenster zu beklagen haben.

 Das kann ich gut nachvollziehen, aber ein gewisses Risiko gehört zu einer freien Gesellschaft. Leider gibt es Leute, die jede Gelegenheit für Randale nutzen. Die Polizei kann diese Gruppen zwar lenken, aber nicht alles verhindern.

 Welche Lehren zieht die Polizei aus dieser Demo?

 Jeder Einsatz - so auch dieser - wird analysiert. Das gehört zum Tagesgeschäft. Gewonnene Erkenntnisse werden in künftige Lagebeurteilungen mit einfliessen.  

Roman Hodel

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Freiburger Nachrichten 1.12.10

Friedliche Demo auf Python-Platz

 Gut 100 Personen haben in Freiburg gegen das Resultat der Ausschaffungsinitiative demonstriert.

 Freiburg Der klirrenden Kälte trotzend gaben gestern, laut Polizei, gegen 100 mehrheitlich junge Demonstranten ihren Unmut über die Annahme der Ausschaffungsinitiative kund. Auf dem Python-Platz zündeten sie gegen 18 Uhr Kerzen an. Organisator Christophe Gremaud sagte in einer kurze Rede, dass die Ausländer nicht zu Sündenböcken gemacht werden dürften. Nach der Platzdemo zog rund die Hälfte der Teilnehmer Parolen skandierend zum Bahnhof, angeführt von Mitgliedern des Kollektiv Raie Manta. Auch der Umzug blieb ohne Folgen. pj

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Bund 1.12.10

Dütschlers Deutungen

 Wollt ihr den totalen Saalschutz?

Markus Dütschler

 Keine Bange, ich verliere kein Wort über die Abstimmung vom Sonntag. Es ist entschieden, ob man das Resultat mag oder nicht. Die Welt ist nicht untergegangen - aber das kommt vielleicht noch. Einige fanden, Volkes Verdikt sei schlimm, gefährlich, falsch und unverständlich. Man kann das so sehen. Man darf sich darüber aufregen, sich auf die Strasse stellen und bezeugen, dass man den Abstimmungsausgang tief bedauert und keinesfalls zu "denen" gehören will. Unter den "Guten", die sich so von der Vox Populi distanzierten, waren einige Schlechte (ohne An- und Abführungszeichen), die notorischen schwarzen Schafe. Diese Minderheit von gewaltbereiten Chaoten zertrümmerte in der Berner Innenstadt die Tür eines Hotels, in dem Exponenten der SVP einen Bankettraum gemietet hatten, um die hereintröpfelnden Resultate zu sichten und danach den Sieg zu feiern. Die Feuerwehr hat den Eingang notdürftig verrammelt. Wirtsleute, Liegenschaftseigentümer und Versicherung überlegen sich nun, wie sie den Schaden aufteilen, denn solche Türen gibt es nicht im Baumarkt ab Stange. Muss man das auf die Spesenrechnung der Demokratie setzen? Nein! Was passiert ist, war kein Anschlag auf eine Türe, sondern auf die Versammlungsfreiheit. Welcher Wirt traut sich künftig noch, Räumlichkeiten einer Partei oder einer Organisation zu vermieten, die in der Öffentlichkeit kontrovers beurteilt wird? Wollen wir, dass ein Wirt abwägen muss, ob sich die Saalmiete rechnet, wenn es danach zu Sachbeschädigungen oder Boykottaufrufen kommt?

 Wenn eine "Antifa" oder eine andere Gruppierung aus diesem Dunstkreis meint, solche "Proteste" anbringen zu müssen, schadet sie nicht der SVP, sondern der Demokratie. Bern hat am 6. Oktober 2007 erlebt, was passiert, wenn selbst ernannte Weltretter eine bewilligte Demonstration (der SVP) mit Gewalt sprengen und selber die halbe Stadt zertrümmern. Einer ihrer Exponenten beziehungsweise sein Anwalt erklärte später vor Gericht allen Ernstes, die Aktion gegen ein Überborden des Faschismus sei Notwehr gewesen und eine Bürgerpflicht. Das war Blödsinn, wie auch das Gericht befand.

 In einer Demokratie passieren Dinge, hinter denen nicht alle stehen können. Wenn Verlierer anfangen, ihre Gegner durch Boykotte oder Anschläge einzuschüchtern, zerstören sie den Freiraum, in dem Demokratie gedeiht. Wer in einer gefestigten Demokratie illegal handelt, um Schlimmeres zu verhüten, ist die Seuche, für deren Heilmittel er sich hält. Die Versammlungsfreiheit gilt für alle: "Fas", "Antifas", Linke, Mittlere und Rechte. Sie sollen sich frei versammeln dürfen - ganz ohne Saalschutz. Wie man seit der Weimarer Republik weiss, schützen "Saalschützer" keine Säle, sondern können eine Demokratie ruinieren.

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Bund 30.11.10

Sekretariat der SVP in Bern angegriffen

 Unbekannte haben in der Nacht auf gestern am Sekretariat der SVP Schweiz Scheiben eingeschlagen, Storen beschädigt und Mauern verschmiert. Die Kantonspolizei spricht von "erheblichem Sachschaden", die Täter flüchteten unerkannt. Ebenfalls beschädigt wurden drei parkierte Autos vor dem Gebäude im Länggassquartier, wie das Untersuchungsrichteramt Bern-Mittelland und die Polizei mitteilten. Nur wenige Stunden zuvor waren gemäss Polizeiangaben 500 Personen durch die Berner Innenstadt gezogen, um gegen das Resultat der SVP-Ausschaffungsinitiative zu protestieren. Schon dort war es zu Sachbeschädigungen gekommen, vor allem an der Türe des Hotels, wo die SVP-Spitze die Abstimmung verfolgte.(pd)

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BZ 30.11.10

Chaoten greifen SVP-Büro in Bern an

 Vandalenakte. Im Nachgang zur Demo gegen die Ausschaffungsinitiative verwüsteten Chaoten das SVP-Generalsekretariat in Bern.

 Kurz vor ein Uhr in der Nacht auf Montag schlugen Unbekannte beim SVP-Generalsekretariat in der Berner Länggasse Scheiben ein und rissen Rollläden herunter, wie die Polizei vermeldete. Sie verschmierten den Geschäftssitz und beschädigten drei Autos. Die Polizei stellte Tatwerkzeug sicher. Über die Höhe der Sachschäden konnte Sprecher Franz Märki nur vage Angaben machen:   "Wenige Zehntausend Franken in der Länggasse und mehrere Zehntausend Franken nach der Demo in der Stadt." Gemäss SVP-Generalsekretär Martin Baltisser wird in der Länggasse Anzeige erstattet.

 Auf einer einschlägigen Webseite wurde schon in der Nacht ein Bekennerschreiben des "Kommandos nie wieder SVP" aufgeschaltet: "Wäre das Büro nicht im Parterre eines mehrstöckigen Wohnhauses untergebracht, hätten wir es runtergebrannt", schrieben die Hitzköpfe dort.

 Peter Bernasconi, Präsident der SVP Stadt Bern und der SVP Bern-Mittelland, verlangt nun Videoüberwachung für die drei SVP-Sekretariate in der Stadt Bern. Sein Haus war vergangene Woche ebenfalls Ziel von Vandalen. Sie warfen Farbbeutel an dessen Fassade. Er geht aber davon aus, dass der Auslöser dieser Attacke ein lokales Ereignis ist. Das "irrationale Vorgehen einer kleinen Gruppe von Militanten" müsse aber unterbunden werden: "Wenn das Schule macht, sind jene gefordert, die in der Stadt für Sicherheit zu sorgen haben", sagt er.

 Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) verurteilt die Zerstörungswut einiger Chaoten am Sonntagabend. Die Polizei sei zwar vorbereitet, auch auf allfällige Anschläge auf das SVP-Sekretariat. "Aber lückenlose Präsenz ist schwierig", gibt er zu bedenken. Den Vorschlag zur Videoüberwachung will Nause prüfen. "Ich nehme jedoch an, die Täter waren vermummt. Dann wären Kamerabilder von begrenztem Nutzen", sagt er. Nause appelliert an die friedlichen Teilnehmer der spontanen Kundgebung vom Sonntagabend: "Ich hoffe, dass Hinweise eingehen, damit die Täter überführt werden können."
 cab

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20 Minuten 30.11.10

Anschlag auf SVP-Sekretariat

 BERN. Enttäuscht vom Abstimmungsergebnis zur Ausschaffungsinitiative haben in der Nacht auf gestern Chaoten das SVP-Sekretariat in Bern verwüstet. Sie schlugen Scheiben ein, beschädigten Storen und verschmierten das Gebäude an der Brückfeldstrasse 18. Drei vor dem Haus parkierte Autos wurden ebenfalls in Mitleidenschaft gezogen. Die Täter konnten unerkannt flüchten. Bereits am frühen Abend waren gegen 500 Demonstranten durch die Innenstadt gezogen. Dabei kam es ebenfalls zu Sachbeschädigungen. Zudem wurden Polizisten mit Flaschen und Schneebällen beworfen.

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Tagesanzeiger 30.11.10

200 000 Franken Schaden nach Demo

 Bei der unbewilligten Demonstration nach der Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative in Zürich gab es hohen Sachschaden. Gemäss einer Umfrage des TA bei betroffenen Liegenschaften beläuft sich der Schaden (vor allem Glasbruch und Farbbeutel) auf rund 200 000 Franken. Die Stadtpolizei spricht dagegen von mehreren Zehntausend Franken. SVP und FDP kritisieren die Polizei, dass sie die Demonstranten vom Kreis 4 in die Innenstadt gelassen hat. Die Stadtpolizei verteidigt sich: Es habe zunächst keinen Grund gegeben, den anfänglich friedlichen Umzug zu stoppen. Ein Tränengaseinsatz wäre unverhältnismässig gewesen.(hoh)

 KommentarundBerichtSeite 15

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Demo verursachte hohen Schaden

 Rund 200 000 Franken kosten die Reparaturen nach dem unbewilligten Umzug am Sonntag in Zürich. SVP und FDP kritisieren den Polizeieinsatz: Die Randalierer hätten nicht in die Altstadt ziehen dürfen.

 Von Stefan Hohler und Tina Fassbind

 Zürich - Die Demonstranten haben am Sonntagabend anlässlich des unbewilligte Umzuges nach der Abstimmungsniederlage einen viel höheren Schaden verursacht als zunächst gemeldet. Laut Stadtpolizei betrug er mehrere Zehntausend Franken. Eine Umfrage bei den betroffenen Geschäften zeigt ein anderes Bild: Auf rund 200 000 Franken kommt der gesamte Schaden zu stehen.

 Am stärksten betroffen war das Zunfthaus zur Zimmerleuten. Dort haben die Chaoten Steine und Flaschen ins Restaurant geworfen und das Parkett beschädigt. Zudem verunstalteten sie die frisch renovierte Fassade mit Farbbeuteln massiv. René Dalla Corte, der den Wiederaufbau geleitet hatte, spricht von 50 000 bis 80 000 Franken Schaden. Bei der NZZ schlugen die Vandalen mit Hämmern auf zwölf grosse Scheiben im Eingangsbereich ein. Laut einem Zeitungssprecher beträgt der Schaden rund 60 000 Franken.

 Auf 50 000 Franken beziffert eine Raiffeisenbank-Sprecherin die kaputten Scheiben an der Filiale am Limmatquai   68. Eine ZKB-Sprecherin nennt den Schaden an der Automatenbank am Limmatquai 112 "erheblich": Der äussere Bancomat wurde beschädigt und Glas eingeschlagen. Daneben gingen Scheiben von anderen Läden in Brüche. Auch das Rathaus wurde mit Farbbeuteln beworfen. Zudem versprayten Aktivisten viele Häuser im Kreis 4 und am Limmatquai mit Anti-SVP-Parolen.

 Inzwischen wird der Einsatz der Stadtpolizei kritisiert. Auf Unverständnis stösst die Tatsache, dass die Polizei die Demonstranten "ungehindert" vom Kreis 4 in die Innenstadt ziehen liess. Mauro Tuena, Fraktionschef der SVP im Gemeinderat, ist der Meinung, dass die Polizei die Kundgebung von Anfang an hätte stoppen sollen. "Spätestens nach der ersten Sachbeschädigung hätte die Polizei eingreifen müssen."

 Stadtpolizei-Medienchef Marco Cortesi dagegen verteidigt den Einsatz. Es habe zunächst keinen Grund gegeben, den Tross zu stoppen - selbst dann nicht, als dieser sich in Richtung Altstadt bewegte. "99 Prozent der Demonstranten waren friedlich unterwegs. Unter ihnen gab es lediglich zwei Dutzend vermummte Randalierer. Wenn wir gegen sie mit Tränengas vorgegangen wären, hätten wir Personenschaden in Kauf nehmen müssen. Dann hätten wir das nötige Augenmass verloren." Die Doktrin der Einsatzleitung sei es gewesen, den Zug laufen zu lassen, solange die Demonstranten sich friedlich verhielten.

 Warum die Stadtpolizei die Gessnerbrücke nicht sperrte und so den Demonstranten den Zugang in die Innenstadt verwehrte, begründet Cortesi wie folgt: Die Demonstranten seien bereits dreiviertel Stunden unterwegs gewesen, ohne Schaden anzurichten. Dass bei dem Einsatz nur eine Person verhaftet wurde, liegt für Cortesi am Mangel an Beweisen: "Es ist für uns schwer zu belegen, wer aus einem grossen Umzug heraus eine Scheibe eingeschlagen hat. Verhaftungen können wir so kaum vornehmen."

 Den Vorwurf, die Stadtpolizei sei am Sonntag nicht mit genügend Beamten im Einsatz gestanden, weist Cortesi ebenfalls zurück. Man habe schon früh von der Kundgebung gewusst und sei gut vorbereitet gewesen. Obwohl es zu Sachbeschädigungen kam, seien keine Personen verletzt worden.

 Ist Polizeichef Leupi zu lasch?

 Polizeivorsteher Daniel Leupi wollte sich gestern zum Einsatz noch nicht äussern. Er müsse sich zuerst ein Bild machen, liess er ausrichten. Mauro Tuena sieht schwarz für den kommenden 1. Mai, "wenn der grüne Polizeivorsteher solche Demos auf diese Weise handhabt". Die FDP ist gespannt auf die Erklärung von Leupi, weshalb es nur bei einer Deeskalation blieb und die Demonstrierenden in die Altstadt ziehen konnten.

 Schützenhilfe bekommt Leupi von seiner Partei. "Ich bin ein Anhänger der Taktik, erst abzuwarten und nicht gleich mit Tränengas vorzugehen", verteidigt der grüne Gemeinderat Balthasar Glättli die Strategie. "Macht sie das nicht, kommt sofort der Vorwurf auf, die Polizei habe provoziert und dadurch für eine Eskalation der Situation gesorgt.

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Kommentar

Polizei versagt, ihr Chef schweigt

Von Stefan Häne

 Die Stadtpolizei hat aus der Geschichte nichts gelernt. Bereits vor einem Jahr kam es im Nachgang zur Minarett- Abstimmung zu einer unbewilligten Demonstration, die in Zerstörungswut gegen das Sekretariat der Zürcher SVP mündete. Am Sonntagabend hat der linke Mob erneut getobt. Anders als vor einem Jahr geschah dies mit Ankündigung. Umso schlimmer wiegt deshalb, dass die Stadtpolizei die Demonstranten durch die Altstadt bis zum Stadelhoferplatz ziehen liess; das hat es seit Jahren nicht mehr gegeben. Dabei hätte sie die offensichtlich Gewaltbereiten frühzeitig stoppen können: bei der Gessnerbrücke, einem Einfallstor in die Innenstadt. Dass die Stadtpolizei weder genügend Personal aufgeboten noch durchgegriffen hat, ist inakzeptabel. Inwieweit Polizeivorsteher Daniel Leupi für diese Strategie verantwortlich ist, lässt sich nicht sagen: Der Grüne schweigt - obschon er bei Amtsantritt angekündigt hat, offensiver und schneller als seine Vorgängerin Esther Maurer (SP) zu kommunizieren.

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NZZ 30.11.10

Gewalt im Schutz der Masse

 Kritik an der Polizei nach Krawall

 fsi. · Bei der Demonstration von Gegnern der Ausschaffungsinitiative vom Sonntagabend (NZZ 29. 11. 10) ist in der Zürcher Innenstadt Sachschaden in der Höhe von mehreren zehntausend Franken entstanden. Ein Krawallmacher wurde verhaftet, über Verletzte liegen keine Meldungen vor. Dass die Stadtpolizei nicht von Beginn an gegen die unbewilligte Demonstration eingeschritten war, hat ihr am Montag einige Kritik nicht nur vonseiten der Abstimmungssieger von der SVP eingetragen. So schrieben zum Beispiel die FDP der Stadt und des Kantons Zürich in einem gemeinsamen Communiqué, dass man gespannt auf die Erklärung des grünen Polizeivorstehers warte, weshalb die Polizei die Demonstrierenden in die Altstadt habe ziehen lassen.

 Deeskalierendes Vorgehen

 Tatsächlich war die Polizei nicht eingeschritten, als mehrere hundert Demonstranten gegen 20 Uhr 30 vom Helvetiaplatz aus losmarschierten. Die Route führte über die Langstrasse zum Löwenplatz und weiter Richtung Hauptbahnhof, Central und Limmatquai, und die Zahl der Demonstranten nahm laufend zu. Dass sich die Polizei lange im Hintergrund hielt, bezeichnete Marco Cortesi, Medienchef der Stadtpolizei Zürich, am Montag auf Anfrage als deeskalierendes Vorgehen. Nachdem linksautonome Kreise schon Tage zuvor für den Fall der Annahme der Initiative zur Kundgebung aufgerufen hätten, habe man sich gut vorbereiten und eine entsprechend grosse Mannschaft aufbieten können. Dabei sei die Stadtpolizei auch von Kantonspolizisten unterstützt worden. "Unsere Leute waren überall."

 Es sei um eine Kundgebung nach einer Abstimmung gegangen, und 99 Prozent der Leute hätten in friedlicher Absicht teilgenommen, sagte Cortesi. "Es wäre unverhältnismässig gewesen, wenn die Polizei bereits eingegriffen hätte, nachdem am Bahnhofplatz die Scheiben eines Geschäfts eingeworfen worden waren." Denn die rund 50 Gewaltbereiten und noch einmal so viele Mitläufer hatten sich im Demonstrationszug versteckt und aus der Menge heraus mit Steinen und Flaschen geworfen. Wäre die Polizei zu früh eingeschritten, hätte es zu einer Solidarisierung mit den Chaoten mit unvorhersehbaren Folgen kommen können.

 Auf dem Limmatquai wuchs der Zug auf bis zu 2000 Teilnehmer an, und es kam zu weiteren Sachbeschädigungen. Die friedlichen Demonstranten versuchten erfolglos, die zum Teil maskierten Krawallmacher mit "Aufhören, aufhören!"-Rufen zur Besinnung zu bringen. Abfalleimer wurden in Brand gesteckt, Wände versprayt und Scheiben eingeworfen, unter anderem auch im Erdgeschoss des Hauptgebäudes der NZZ an der Falkenstrasse.

 Reizgas und Gummischrot

 Kurz vor 22 Uhr eskalierte die Gewalt beim Zunfthaus zur Zimmerleuten am Limmatquai. Nachdem sich die nicht gewalttätigen Demonstranten zu dieser Zeit bereits von den Chaoten zurückgezogen hatten, schritt die Polizei nun mit Reizgas, Gummischrot und Wasserwerfern ein. Rund 200 Personen flohen ins Niederdorf und formierten sich bald darauf auf der Grossmünsterterrasse neu. Die Polizei konnte sie daran hindern, via Münsterbrücke zum Paradeplatz zu gelangen. Gegen 23 Uhr löste sich die Kundgebung endgültig auf.

 In einem am Montagnachmittag an mehrere Redaktionen versandten Communiqué bezeichneten die anonym auftretenden Organisatoren die Demonstration als "starkes Zeichen gegen Rassismus, Ausgrenzung und Kapitalismus". Und sie drohen: "Der Kampf geht weiter, und wir kommen wieder."

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20 Minuten 30.11.10

Abstimmungsdemo: SVP und FDP kritisieren Polizei

 ZÜRICH. Die Polizei habe bei der unbewilligten Demo vom Sonntag viel zu lange zugeschaut, ärgern sich SVP und FDP. Die SP sieht dies anders.

 Eine Spur der Verwüstung hat die unbewilligte Demo nach der Abstimmung vom Sonntag in der Zürcher City hinterlassen: Bei mehreren Zunfthäusern sowie weiteren Gebäuden waren Fenster eingeschlagen und Fassaden verschmiert. Allein bei der NZZ beträgt der Sachschaden laut Sprecherin Bettina Schibli bis zu 100 000 Franken. "Die Polizei hat viel zu spät eingegriffen", kritisiert SVP-Fraktionschef Mauro Tuena. Er frage sich, wie man mit dieser Deeskalations-Strategie den nächsten 1. Mai meistern wolle. Die FDP wartet "gespannt auf die Erklärung des grünen Polizeivorstehers Daniel Leupi, weshalb es nur bei einer Deeskalation blieb". Richtig reagiert hat die Polizei hingegen für SP-Co-Präsidentin Beatrice Reimann: "Die meisten demonstrierten ja friedlich." Es sei aber himmeltraurig, dass ein paar wenige die gute Idee der Kundgebung zunichte machten. Reimann: "Die Juso versuchte sogar, Sachschäden zu verhindern."

 Stapo-Medienchef Marco Cortesi hält den Einsatz derweil für angemessen: "Unter den 2000 Demonstranten waren höchstens 100 Chaoten - ein früheres Eingreifen hätte viele Unbeteiligte getroffen." Dennoch seien die Sachschäden bedauerlich. Cortesi: "Man kann sicher darüber diskutieren, ob man die Demo vor der City hätte stoppen sollen - doch dann hätten sich die Friedlichen mit den Chaoten solidarisiert und es wäre im Kreis 4 zu schweren Ausschreitungen gekommen." Polizeivorsteher Daniel Leupi wollte sich gestern nicht äussern.  

Roman Hodel

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Basler Zeitung 30.11.10

Demo gegen Initiative

 Basel. Rund 4500 Menschen haben gestern Abend in der Basler Innenstadt gegen das Ja zur Ausschaffungsinitiative demonstriert. Laut Telebasel erklärte die Basler Polizei, die Demo sei friedlich verlaufen. Begonnen habe die Protestaktion mit einer kleinen Gruppe von Unia-Gewerkschaftern. Auf dem Weg durch das Kleinbasel und das St. Johann sei der Zug stetig angewachsen. Die Demonstranten hätten Parolen skandiert und bengalische Fackeln abgebrannt.

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AUSSCHAFFUNGEN
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WoZ 2.12.10

Ausschaffungsinitiative

 "Banden bilden gegen die reaktionäre Revolution"

 Die Grünen haben als einzige grössere Partei geschlossen gegen Initiative und Gegenvorschlag gekämpft. Präsident Ueli Leuenberger spricht über das Scheitern der Anpassungspolitik und den Widerstand von morgen.

 Von Dinu Gautier (Interview)

 WOZ: Ueli Leuenberger, die SVP hat zum zweiten Mal eine ausländerpolitische Initiative durchgebracht. Ist dies ein Wendepunkt für die Schweiz?

 Ueli Leuenberger: Die SVP ist überzeugt, dass sie so noch lange Wähler gewinnen wird. Sie wird weitermachen, solange sie keinen richtigen Widerstand erfährt. Dieser Widerstand muss von all jenen kommen, die die reaktionäre Revolution in der Schweiz aufhalten wollen. Es ist klar, dass er aus der Bevölkerung kommen muss.

 Wie kann denn die Bevölkerung diesen Widerstand leisten?

 Gerade jene, die zwar die Verleumdungskampagnen ablehnen, aber bisher geschwiegen haben, müssten jetzt klar Position beziehen und aktiv für Solidarität und Grundrechte einstehen. Das beginnt in der Diskussion mit Arbeitskollegen, im Familienkreis usw. Und sie können sich organisieren, vernetzen, Banden bilden gegen die reaktionäre Revolution. Es braucht dringend ein konsequenteres Engagement der ganzen pluralistischen Linken und Druck auf die bürgerlichen Parteien, damit sie aufhören, die Werte, die sie eigentlich vertreten, mit Füssen zu treten. Es steht unheimlich viel Arbeit an.

 Und wenn der Widerstand ausbleibt?

 Auf die Wahlen 2011 hin wird die SVP mit Sicherheit wieder eine fremdenfeindliche Initiative lancieren. Etwa die Idee mit der Einbürgerung auf Bewährung. Kommt dann wieder ein Gegenvorschlag? Statt fünf Jahre Bewährung vier Jahre Bewährung? Wenn man der SVP einen Finger gibt, nimmt sie die ganze Hand. Sie will die Macht in diesem Land um jeden Preis. Und die Machterringung führt für sie über die Ausländerfrage. Nur betreibt das Parlament seit Jahren eine Anpassungspolitik: Es lässt sich auf SVP-Forderungen ein, verpackt sie anders oder schwächt sie ein bisschen ab, im Glauben, damit der SVP das Wasser abgraben zu können. Das Gegenteil ist der Fall.

 Sozialdemokraten, die für den Gegenvorschlag waren, sehen das anders und sagen, mit Ihrem doppelten Nein hätten Sie der Initiative zum Durchbruch verholfen.

 SP-Nationalrat Andy Tschümperlin hat gesagt: "Ich kann doch im Kanton Schwyz nicht gegen die Initiative antreten ohne einen Gegenvorschlag." Heute kann man das Resultat sehen: Schwyz hat die Ausschaffungsinitiative hoch angenommen und den Gegenvorschlag abgelehnt. Wenn Teile der SP und sogar die Flüchtlingshilfe für den Gegenvorschlag antreten, dann ist das ein grober Fehler. Die Leute denken: "Hey, wenn sogar die einen direkten Zusammenhang zwischen Ausländern und Kriminalität machen, dann muss es ja wirklich schlimm sein." Das setzt sich in den Köpfen fest.

 Sie sprechen die Flüchtlingshilfe an. Wie gross war deren Einfluss?

 Flüchtlingshilfe-Chef Beat Meiner hat im Hintergrund schon lange für den Gegenvorschlag lobbyiert. Die Flüchtlingshilfe hat ein gewisses Prestige in linken Kreisen. Leute, die die Asyl- und Ausländerpolitik nicht sehr nahe verfolgen, vertrauen ihr. Erinnern wir uns: Wenn elf Sozialdemokraten im Nationalrat sich nicht enthalten oder nicht zugestimmt hätten, wäre der Gegenvorschlag nicht zustande gekommen.

 Heute stelle ich fest, dass die Mehrheit der Hilfswerke mit uns zusammen gekämpft hat und dass auch ein grosser Teil der Flüchtlingshilfe-Mitarbeiter mit uns einig war. Eine überwältigende Mehrheit derjenigen, die sich seit Jahren und Jahrzehnten in der Schweiz für Flüchtlinge einsetzen, konnte Beat Meiners Position nicht nachvollziehen.

 Ist Meiner als Flüchtlingshilfe-Chef noch tragbar?

 Das müssen die Hilfswerke entscheiden, die die Flüchtlingshilfe tragen. Eine viel wichtigere Rolle als Beat Meiner hat aber FDP-Nationalrat Philipp Müller gespielt: Als ich 2002 in den Nationalrat kam, war der damalige Nationalrat Yves Christen verantwortlich für die FDP-Migrationspolitik - ein anständiger Liberaler im besten Sinne des Wortes. 2003 kam dann einerseits Christoph Blocher in den Bundesrat, andererseits übernahm Müller die Führung bei der FDP, die seither in diesen Fragen extrem nach rechts gerutscht ist. Philipp Müller ist ein erfolgreicher Scharfmacher. Umso befremdlicher, dass Meiner die Allianz mit ihm gesucht hat.

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 kleiner Staatskundeunterricht

 Falsch gerechnet

 Alt SP-Nationalrat Rudolf Strahm sagte dem "Tages-Anzeiger", das Nein des SP-Parteitags zum Gegenvorschlag habe der Ausschaffungsinitiative mit zum Erfolg verholfen. In der "Finanz und Wirtschaft" heisst es: "In der Stichfrage war der Gegenvorschlag keineswegs chancenlos - im Gegenteil, er hat in Tat und Wahrheit gar knapp mehr Stimmen erhalten als die Initiative!" Dass sich auch in der Stichfrage mit fünfzehn Ständen ein deutliches Mehr der Kantone für die Initiative aussprach, wird unterschlagen.

 Wenn in der Stichfrage die eine Vorlage mehr Volks- und die andere mehr Standesstimmen hat, tritt die Vorlage in Kraft, "bei welcher der prozentuale Anteil der Volksstimmen und der prozentuale Anteil der Standesstimmen in der Stichfrage die grössere Summe ergeben" - so steht es in der Verfassung.

 Rechnen wir:

 Für die Initiative: Volk 49,64 % plus Stände 65,22 % ergibt 114,86 %

 Für den Gegenvorschlag: Volk 50,36 % plus Stände 34,78 % ergibt 85,14 %

 Die Initiative wäre somit auch im Stichentscheid durchgekommen.

 Wenn wir nun sehr grosszügig jene 151 000 Personen, die bei der Stichfrage leer eingelegt haben, dem Lager des Gegenvorschlages zuschlagen, dann hätte es noch immer nicht gereicht. Es hätten auch mindestens drei ganze Stände kippen müssen. dig

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WoZ 2.12.10

Durch den Monat mit Guy Krneta (Teil 1)

 Schaffen wir uns als mündige BürgerInnen ab?

 Der in Basel lebende Schriftsteller und Theaterautor Guy Krneta will nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative den Kampf um die Menschenrechte noch intensiver führen und gleichzeitig nicht ruhen, ehe Markus Somm als Chefredaktor der "Basler Zeitung" zurücktritt.

 Von Jan Jirát (Interview) und Ursula Häne (Foto)

 WOZ: Guy Krneta, Sie haben sich als Künstler über die Plattform Kunst+Politik stark engagiert im Abstimmungskampf gegen die SVP-Ausschaffungsinitiative und den Gegenvorschlag. Am vergangenen Sonntag ist die Initiative vom Volk angenommen worden. Sind Sie eher traurig oder wütend?

 Guy Krneta: Beides. Dass die SVP vierzig Jahre nach der Schwarzenbach-Initiative immer noch mit dem Wort "Ausländer" Stimmung machen kann, das ist grauenhaft. Das Wort "Ausländer" ist ja noch viel ungenauer als das Wort "Schweizer".

 Wenn man sich die Voten zur Schwarzenbach-Initiative heute anhört, hat man den Eindruck, dass da in der Zwischenzeit wirklich überhaupt nichts passiert ist. Nur dass die Schwarzenbach-Initiative abgelehnt wurde und die Ausschaffungsinitiative heute angenommen wird.

 Und woran liegt das?

 Sicher daran, dass die SVP heute eine viel potentere Partei ist, als es die Nationale Aktion damals war. Dass es dieser Partei gelungen ist, den ganzen rechten Rand aufzusaugen und trotzdem weiterhin als bürgerliche Partei zu gelten. Und dass sie offenbar über unbegrenzte finanzielle Ressourcen verfügt, die sie in flächendeckendes Marketing stecken kann. Wenn man sich vorstellt, was nur schon diese angebliche Befragung im August gekostet hat, die an alle Haushalte ging. Damit hätten wir drei oder vier abendfüllende Spielfilme drehen können.

 Kann man die beiden Initiativen wirklich vergleichen?

 Im Gegensatz zur Schwarzenbach-Initiative sind die unmittelbaren Folgen vielleicht weniger spürbar. Damals hätten 300 000 Leute das Land verlassen müssen. Heute sind es ein paar Hundert zusätzliche Ausschaffungen von Leuten, die keinen Namen haben, keine Stimme und keine Verankerung in der lokalen Bevölkerung. Die Stimmungsmache richtet sich aber wie damals gegen alle, die keinen Schweizer Pass haben.

 Einmal mehr rüttelt die SVP mithilfe eines von ihr besetzten Begriffs, des "Volkswillens", an Grund- und Menschenrechten. Wie lange geht das noch gut?

 Ohne unantastbare Grundwerte gibt es keine Demokratie. Menschenrechte sind die Grundlage der Demokratie. Wenn wir die Menschenrechte infrage stellen, schaffen wir uns selber ab als mündige, demokratiefähige und vor der Willkür der Mehrheit geschützte Bürgerinnen und Bürger. Wir haben das Recht, einer Minderheit anzugehören. Wenn wir dieses Recht aufgeben, geben wir die Demokratie auf. Dann können wir gleich russisches Roulette spielen.

 Die Diskussion um Grundwerte und Menschenrechte hat bisher aber nicht stattgefunden. Wie wollen Sie das ändern?

 Es muss eine starke Bürgerbewegung entstehen, die sich für die Menschenrechte in der Schweiz starkmacht. Dazu gibt es Ansätze, beispielsweise rund um die Solothurner Landhausversammlungen. Etwas vom Wichtigsten, was wir aus dem Wochenende mitnehmen können, ist die Energie, das Empören nicht in selbstzerstörerische Aktionen umzusetzen, sondern kluge Formen zu finden, um einerseits im Konkreten, an einzelnen Orten und in einzelnen Nischen weiterhin aktiv zu sein, uns aber auch als nationale Kraft zu formulieren. Nicht im Sinne einer Partei, sondern als ein starkes Netz von Organisationen und Initiativen, die gemeinsam viele Leute zu mobilisieren vermögen.

 Parallel zu Ihrem Engagement im Abstimmungskampf haben Sie Mitte November den Aufruf "Rettet Basel!" mitinitiiert. Sie forderten darin eine SVP-unabhängige Tageszeitung und den Rücktritt von "Basler Zeitung"-Besitzer Tito Tettamanti, Chefredaktor Markus Somm und Berater Christoph Blocher. 18 600 Menschen haben diesen Aufruf bisher unterschrieben, Tettamanti und Blocher sind weg. Mit dem Basler Unternehmer Moritz Suter ist ein neuer Besitzer da. Ziel erreicht?

 Nein. Wenn der neue Besitzer Vertrauen will, muss er transparent machen, woher er das Geld für den Kauf der "Basler Zeitung" hat, wer hinter ihm steht und welche Strategie er mit der Zeitung verfolgt. Schliesslich braucht es eine glaubwürdige Chefredaktion, keinen ideo lo gischen Lohnschreiber wie Markus Somm. Somm kann übers Wetter schreiben und landet am Schluss bei der Forderung, dass wir mehr dreispurige Autobahnen brauchen.

 Gibt es Alternativen oder Modelle für den Fall, dass die Situation bei der "Basler Zeitung" so bleibt wie jetzt?

 Mehrere Privatpersonen aus Basel und Umgebung haben einen Projektkredit gesprochen und die Bachmann Medien AG, die von Ivo Bachmann, einem ehemaligen Chefredaktor der "Basler Zeitung", geführt wird, beauftragt, die Realisierung einer neuen Zeitung für Basel zu prüfen. Diese soll Eigentum ihrer Abonnenten sein und täglich online sowie wöchentlich in gedruckter Form erscheinen.

 Bei der Sie mitschreiben?

 Ich bin kein Journalist, sondern Theater autor. Ich möchte lieber früher als später aus der Geschichte herauskommen. Im Moment geht das aber nicht, ich trage ja die Verantwortung für eine Aktion, die ich mitgestartet habe.

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Kulturplatz sf.tv 1.12.10

Beissende Ironie: Wie Satiriker auf populistische Kampagnen reagieren
http://videoportal.sf.tv/video?id=2af61856-f504-4691-b77d-9e8bc3bf9430

Der Kampagnenstil der SVP-Ausschaffungsinitiative stachelt Satiriker zu drastischen Kunstgriffen an: Neuerdings geistert OLAF, die "Organisation zur Lösung der Ausländerfrage" durch die Medienlandschaft . Mit Schnauz und akkurat gezogenem Seitenscheitel machen Geschäftsführer Alois B. Stocher und sein Mitarbeiter George Klein in Internetfilmen und lautstarken Aktionen auf sich aufmerksam. OLAF will die Ausländerfrage ein für allemal lösen - mit drastischen Mitteln und erschreckenden Slogans. Diese sind so überzeichnet wie absurd. "Kulturplatz" hat gefragt, was hinter der Satire-Aktion steckt.
Beitrag: Sarah Herwig

* http://www.olaf-schweiz.ch

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Rundschau sf.tv 1.12.10

Automatische Ausschaffung
http://videoportal.sf.tv/video?id=38e14148-cf82-4c3d-aca3-ab5fe2307ea3

Die Annahme der Ausschaffungsinitiative gibt bei deren Zielgruppe zu reden. Für die einen niedergelassenen Ausländer ist die automatische Ausschaffung diskriminierend und eine Form von Zweiklassenjustiz, für andere ein richtiges Warnsignal zuhanden ihrer kriminellen Landsleute. Ausländer unter Generalverdacht? Ein Stimmungsbericht.

* Dossier Einwanderung und Integration
http://www.sf.tv/sfwissen/dossier.php?docid=17303&navpath=pol/inl

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BZ 1.12.10

Einreiseverbot gilt auch für den Schengen-Raum

 Ausschaffung. Für Türken und alle anderen Nicht-EU-Bürger hat die Annahme der Ausschaffungsinitiative ungeahnte Folgen: Sie müssen laut Bundesamt für Migration bei einer Ausschaffung nicht nur die Schweiz verlassen. Sie bekommen in der Regel in ganz Europa Einreiseverbot.

 Wird ein türkischer Staatsangehöriger in der Schweiz wegen Sozialhilfemissbrauch verurteilt, dann kann das für ihn künftig viel härtere Konsequenzen haben, als es die Ausschaffungsinitiative eigentlich vorsieht.

 Dem delinquenten Türken wird standardmässig auch für jedes andere Land im Schengen-Raum eine Einreisesperre auferlegt. Das heisst, dass er wegen des Delikts nicht nur aus der Schweiz, sondern aus der EU verbannt wird.

 So kann er etwa auch nicht mehr in seinem Nachbarland Griechenland Ferien machen. Dass dem auch bei Wegweisungen nach Kriterien der Ausschaffungsinitiative so ist, ergaben Abklärungen des Bundesamtes für Migration (BFM) auf Anfrage dieser Zeitung.

 Schengen-Mechanismus

 Was für den Türken gilt, gilt auch für alle andere Personen mit Heimat ausserhalb des europäischen Schengen-Raums - also auch für Serben, Kroaten, Asiaten, Südamerikaner, US-Bürger, Kanadier. Aus der EU verbannt werden sie nicht nur bei einem hierzulande begangenen Sozialhilfemissbrauch, sondern auch bei jedem anderen in der Initiative aufgeführten Delikt - wobei die genauen Kriterien für Ausschaffungen noch in einem Gesetz bestimmt werden müssen. Im Abstimmungskampf wurde diese mögliche Konsequenz der Ausschaffungsinitiative nicht thematisiert.

 Ursache dieses Effekts ist nicht etwa eine bestimmte Klausel in der Initiative. Der Grund für diese übertragene Schengen-Einreisesperre liegt im Mechanismus des Schengen-Abkommens. BFM-Sprecherin Marie Avet erklärt es so: "Erlässt die Schweiz gegen eine Person aus einem Nicht-Schengen-Land, zum Beispiel aus der Türkei, ein Einreiseverbot, dann gilt dieses Verbot auch für jedes andere Land im Schengen-Raum, sofern die Schweiz das Einreiseverbot im Schengen-Informationssystem ausschreibt." Nur in Ausnahmefällen ist ein Verzicht auf Ausschreibung im Schengen-Informationssystem vorgesehen: zum Beispiel dann, wenn die ausgewiesene Person enge Verwandte in einem Schengen-Land hat. Denkbar sei auch, dass "aufgrund besonderer Umstände im Einzelfall aus humanitären Gründen" auf eine Ausschreibung verzichtet werde, so Avet.

 Der Unterschied zur EU

 Auch in den anderen EU-Ländern zieht die Ausweisung eines Nichteuropäers grundsätzlich ein Einreiseverbot für alle Schengen-Länder nach sich. Der Unterschied: Die Schweiz hat nun mit der Initiative die Messlatte für Ausweisungen tiefer angesetzt als andere Schengen-Länder. Ob das aus Sicht der EU das Schengen-Abkommen verletzt, war gestern nicht zu erfahren. Der Schweizer EU-Botschafter wollte sich dazu nicht äussern.

 Bundesrätin Simonetta Sommaruga wird indessen wohl morgen mit Fragen ihrer EU-Kollegen konfrontiert werden. Sie reist zu einem seit längerer Zeit geplanten Treffen des Schengen-Ausschusses nach Brüssel.

 Mischa Aebi

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20 Minuten 1.12.10

Aufruf: Secondos sollen sich nun einbürgern lassen

 BERN. Um der drohenden Ausschaffung zu entgehen, sollen sich Ausländer einfach einbürgern lassen: Dies fordern grüne Politiker.

 "Geht euch einbürgern - unbedingt", ruft die grüne Stadträtin Cristina Anliker-Mansour die Ausländer nach der Annahme der Ausschaffungsinitiative durch das Volk auf. Denn: "Wer sich die Staatsbürgerschaft nicht holt, läuft Gefahr, schon bei kleinen Delikten ausgewiesen zu werden." Noch krasser drückt es Parteikollege Hasim Sancar aus: "Die Schweiz hat am Sonntag eine Sonderjustiz für Ausländer eingeführt."

 In einem parlamentarischen Vorstoss verlangten die beiden schon im März dieses Jahres von der Stadt, sie solle aktiv Einbürgerungen fördern. In seiner Antwort darauf zeigte sich der Gemeinderat zwar wohlwollend - nach Ansicht von Anliker-Mansour genügt diese Forderung aber nicht mehr. "Wir müssen sicherstellen, dass Ausländer, die in der Schweiz zum Wohlstand beitragen, auch hier bleiben können", sagt sie.

 Ein Schritt in die richtige Richtung sei die parlamentarische Initiative "Die Schweiz muss ihre Kinder anerkennen". SP-Nationalrätin Ada Marra will damit eine erleichterte Einbürgerung der dritten Generation in der Bundesverfassung festhalten. "Diese gehören nämlich zur Schweiz", begründet Anliker-Mansour.  

Pedro Codes

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Südostschweiz 1.12.10

Kulturschaffende rufen zur Demo auf

 Im Nachgang zur eidgenössischen Abstimmung über die Ausschaffungsinitiative vom Sonntag wollen Bündner Kulturschaffende in Chur Flagge zeigen.

 Chur. - Das Ja zur Ausschaffungsinitiative treibt deren Gegner nachträglich auf die Strasse - allen voran Bündner Kulturschaffende. An der "Kundgebung gegen die Volksdiktatur der SVP und ihre Asyl- und Ausländerpolitik" nehmen von Seiten der Kulturszene Mitglieder der Churer Künstlergruppe In Situ und des Ensembles Ö! sowie Liedermacher Linard Bardill teil. Wie In Situ mitteilt, haben die Juso Graubünden und der Verein "Miteinander Valzeina" ebenfalls ihre Teilnahme zugesagt. Starten soll die Demonstration am Freitag, 3. Dezember, um 17 Uhr auf dem Churer Bahnhofsvorplatz.

 Die Initianten des Protestzuges wollen ein Zeichen setzen gegen die Annahme der Volksinitiative "für die Ausschaffung krimineller Ausländer". An der Schlusskundgebung wird neben Bardill und Regisseur Wolfram Frank auch der Juso-Vorsitzende Lukas Horrer sprechen, wie In Situ weiter mitteilt. (cmi)

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Ja zu Ausschaffungsinitiative: Droht nun Einbürgerungswelle?

 BERN. Laut dem Migrantenverein Secondos Plus bewegt das Ja zur Ausschaffungsinitiative viele Ausländer zur Einbürgerung. Droht jetzt eine Einbürgerungswelle?

 "Ich habe die Einbürgerung immer vor mir hergeschoben. Nach dem Ja zur Ausschaffungsinitiative werde ich mich aber darum bemühen", sagt der hier geborene Italiener Roberto Pavone. Grund: Er sei verunsichert und wolle einfach auf der sicheren Seite sein, sollte einmal etwas Unvorhersehbares passieren.

 Gemäss der Migrantenorganisation Secondos Plus ist er nur einer von vielen. "Bei vielen Ausländern, die in der zweiten oder dritten Generation hier leben, hat es nach der Initiative klick gemacht. Sie wollen sich nun einbürgern lassen - aus Angst, wegen eines Bagatelldelikts ausgeschafft zu werden", sagt Vizepräsident Ivica Petrusic. Seine Organisation ruft zur Einbürgerung auf und hofft auf eine Einbürgerungswelle: "Rund 750 000 Ausländer erfüllen die formalen Kriterien und könnten sich auch politisch engagieren."

 Die SVP verurteilt den Appell scharf: "Das ist Angstmacherei. Die Initiative ist glasklar. Wer nicht kriminell wird, wird auch nicht ausgeschafft", sagt Nationalrat Hans Fehr. Der Aufruf sei jenseits von gut und böse. "Masseneinbürgerungen sind unter allen Umständen zu vermeiden." Sonst werde die SVP die Einbürgerung auf Probe lancieren.

 Ob die Zahl der Einbürgerungsgesuche tatsächlich steigen wird, lässt sich laut Otto Hänseler vom Zürcher Gemeindeamt noch nicht sagen: "Die Zahlen liegen frühestens in einem Vierteljahr vor."

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Vorarlberg: Angst vor Folgen der Ausschaffungsinitiative

 BREGENZ. Nach dem Ja zur Ausschaffungsinitiative befürchtet die Vorarlberger Regierung, dass kriminelle Ausländer aus der Schweiz nach Österreich übersiedeln. Sie will deshalb ihre Gesetze überprüfen.

 "Straftäter aus der Schweiz dürfen bei uns keine Heimat bekommen", sagt der Vorarlberger Landesrat Erich Schwärzler (ÖVP). Ennet der Grenze hat das Abstimmungsergebnis zur Ausschaffungsinitiative bei den Politikern grosse Befürchtungen geweckt. Mit dem Ja hat die Schweiz nämlich die europaweit strengste Regelung zur Abschiebung krimineller Ausländer beschlossen. "Und wenn wir das mildere Rechtssystem haben, ist es möglich, dass die ausländischen Straftäter bald aus der Schweiz zu uns kommen", sagt Schwärzler. Er will deshalb abwarten, bis das Gesetz in der Schweiz vorliege, und dann prüfen, ob es auch in Österreich umgesetzt werden könnte.

 Der Vorarlberger Chef der Grünen, Johannes Rauch, versteht die Angst vor einem Ansturm von Kriminellen überhaupt nicht: "Österreich hat bereits eines der schärfsten Ausländergesetze", so Rauch zu der Onlineplattform Vol.at. Allein im letzten Jahr seien über 3000 Personen in ihre Heimatländer abgeschoben worden.  

Tobias Bolzern

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Blick 30.11.10

Kann die Suter-Airline bald mehr ausschaffen?

 Für Fluggesellschaften sind Ausschaffungen ein Geschäft. Denn ein Teil der kriminellen Ausländer wird per Charter-Maschine aus der Schweiz verfrachtet. Wenn bei der Ausschaffung Widerstand droht, wählen die Behörden diesen Weg. Und das ist um ein Vielfaches teurer als ein gewöhnlicher Linienflug. Pro Passagier kalkuliert das Bundesamt für Migration mit Kosten zwischen 7000 und 10 000 Franken.

 Auch die Fluggesellschaft Hello von Moritz Suter, dem neuen Verleger der "Basler Zeitung", gehört zu den Anbietern. In diesem Jahr habe man zwei Flüge durchgeführt, heisst es auf Anfrage.

 Wegen der Ausschaffungs-Initiative werden es bald mehr. Denn man rechnet damit, dass dadurch die Zahl der Ausschaffungen von heute 400 auf 1500 pro Jahr steigt. Statt 40 Sonderflügen pro Jahr wie jetzt könnten die Airlines 150 ausführen.

 Matthias Pfander

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20 Minuten 30.11.10

Beschwerde gegen Ausschaffungs-Artikel

 BERN. Der Appenzeller Anwalt Tim Walker hat beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg eine Beschwerde gegen das Ja zur Ausschaffungsinitiative deponiert. Sein Ziel: den Volksentscheid umzustossen. "Ich bin überzeugt, dass die Initiative völkerrechtswidrig ist. Seit Sonntag ist der Artikel in der Verfassung verankert und kollidiert mit der Europäischen Menschenrechtskonvention." Ein Gang nach Strassburg sei die beste Lösung, wenn das Volk grundlegende Prinzipien des Rechtsstaats missachte, so das SP-Mitglied.

 Die Beschwerde werde praktisch kaum Konsequenzen haben, sagt dagegen Strafrechtsprofessor Stefan Trechsel, früherer Präsident der Europäischen Kommission für Menschenrechte. "Zu 99 Prozent wird sie für unzulässig erklärt. Erst wenn jemand konkret von einem Ausschaffungsbefehl betroffen ist, kann Beschwerde geführt werden." Zudem müsse man dem Parlament die Chance geben, ein Ausführungsgesetz zu erlassen, das mit den internationalen Verträgen kompatibel ist.  daw

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ASYL
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St. Galler Tagblatt 3.12.10

Endstation Container

 Abgewiesenen Asylbewerbern wird der Aufenthalt in der Schweiz schwergemacht. Manche hausen im Container, andere werden tagsüber ausgesperrt. Ein Verstoss gegen die Menschenwürde, meint Kantonsrätin Bernadette Bachmann (SP).

Markus Wehrli

 St. Gallen. Geschenkt wird abgewiesenen Asylbewerbern nichts. Dafür verantwortlich ist das per 1. Januar 2008 in Kraft getretene revidierte Asylgesetz. Personen mit negativem Asylentscheid erhalten - wie jene mit einem Nichteintretensentscheid - nur noch Nothilfe. Damit wird der Aufenthalt in der Schweiz unattraktiv gemacht: Die Abgewiesenen sollen das Land verlassen. "Aber es gibt Grenzen", sagt die St. Galler Kantonsrätin Bernadette Bachmann (SP). "Die Unterbringung der Betroffenen muss mit Menschenwürde vereinbar sein."

 In Notlage, aber mit Würde

 Anstoss nimmt Bachmann etwa an der Unterkunft in Mels, wo die Ausreisepflichtigen in einem Container leben. 20 Quadratmeter für acht Personen: Das sei weniger, als den Insassen der st. gallischen Gefängnisse zugestanden werde, schreibt Bernadette Bachmann in einer Einfachen Anfrage an die Regierung. In dieser will sie wissen, wie die Regierung auf diese "menschenunwürdigen" Umstände zu reagieren gedenkt.

 Bachmann weist darauf hin, dass Artikel 12 der Bundesverfassung vorschreibe, Menschen in Notlagen ein Leben in Würde zu garantieren. Sie fragt deshalb, wie die Regierung die Ansprüche bezüglich Raumgrösse und -gestaltung sowie des Benutzungsrechts umsetzen will, die sich aufgrund des Bundesverfassungsartikels ergäben.

 "Nicht schlechter als anderswo"

 Die Kantonsrätin hat in Mels einen Augenschein genommen. "Im Container ist es unglaublich eng", sagt Bernadette Bachmann. Auf den 20 Quadratmetern fänden sich je zwei Kajütenbetten zu vier Schlafplätzen, fünf Stühle und ein Kästchen. Eine Kochgelegenheit fehle. In einem kleineren Container seien Toilette und Dusche untergebracht. "Wie soll das funktionieren, wenn einer dieser Menschen einmal krank wird?", fragt Bachmann.

 Das sei ein durchschnittlicher Container, wie er auch für die Unterbringung von Arbeitern auf Grossbaustellen diene, erklärt der zuständige Melser Gemeinderat Martin Broder. Und mehr als drei Personen zusammen seien bislang nie im Container untergebracht worden.

 Die Gemeinde halte sich an die Vorgaben, und die abgewiesenen Asylbewerber seien in Mels nicht schlechter untergebracht als anderswo, sagt Broder. Im Gegenteil: "Wir in Mels schliessen die Menschen tagsüber nicht aus. Zudem haben wir jetzt einen Wasserkocher gekauft."

 Tagsüber auf der Strasse

 Mit einer kargen Einrichtung zur Ausreise bewegen: Die SP-Kantonsrätin bezweifelt, dass der Mechanismus funktioniert. Vielmehr setzten sich diese Menschen ab und tauchten unter. "Oder hängen irgendwo herum, weil sie während des Tages ausgesperrt werden." Diese Praxis, wie sie zum Beispiel in Steinach betrieben werde, bewirke in kleinen Gemeinden oft Missstimmung und Feindseligkeit, sagt Bernadette Bachmann. Damit fördere die gängige Praxis sozial unerwünschtes Verhalten.

 Tatsächlich würden abgewiesene Asylbewerber in der Zivilschutzunterkunft untergebracht, sagt Steinachs Gemeindepräsident Roman Brändli. "Es sind aber nur wenige Leute, die uns zugewiesen werden." Dass die Unterkunft tagsüber geschlossen werde, treffe nicht generell zu. Ein Betreuer entscheide je nach Witterungsbedingungen, sagt Brändli. "Wir lassen den gesunden Menschenverstand walten."

 Verbindliche Regelung schaffen

 Die Unterbringung der Ausreisepflichtigen ist Sache der Gemeinden. Bei der Vereinigung der St. Galler Gemeindepräsidenten verweist man auf die Empfehlungen der schweizerischen Sozialdirektorenkonferenz: Diese würden in allen Gemeinden eingehalten, sagt Präsident Beat Tinner.

 Bei diesen Empfehlungen handle es sich um keine verbindlichen Richtlinien, hält Bachmann entgegen. "Deshalb kann jede Gemeinde den Artikel 12 der Bundesverfassung nach eigenem Gutdünken auslegen." Sie fordert vom Kanton, dass verbindliche Grundlagen geschaffen werden.

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 Nothilfe heisst acht Franken pro Tag

 188 Personen, darunter 17 Familien, haben 2009 im Kanton St. Gallen Nothilfe bezogen. Der Gesetzesartikel für die Nothilfe ist zusammen mit dem revidierten Asylgesetz 2008 in Kraft getreten. Abgewiesene Asylbewerber erhalten seither keine Sozialhilfe mehr, stattdessen nur noch Nothilfe.

 Nothilfe besteht aus acht Franken im Tag, einer einfachen Übernachtungsmöglichkeit und medizinischer Notversorgung. "Die Menschen können davon nicht leben. Sie sind auf Hilfe angewiesen und geraten in eine Bettelexistenz. Das verletzt die Menschenwürde", sagt Marina Widmer von der Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht. Die Stelle untersucht die Situation für Asylsuchende, wie sie sich nach der Verschärfung des Asylgesetzes entwickelt.

 Darauf ausgerichtet, dass abgewiesene Asylbewerber die Schweiz rascher verlassen, habe sich das Nothilfegesetz als problematisch erwiesen. "Die Zahl der Langzeit-Nothilfeempfänger steigt", sagt Widmer. Unter anderem deshalb, weil sie aus unterschiedlichen Gründen nicht in ihr Herkunftsland zurück könnten: Weil sie keine Papiere hätten, sich in der Heimat bedroht fühlten oder schon lange in der Schweiz lebten.

 Die Folge sei, dass diese Menschen über Jahre unter den Bedingungen der Nothilfe lebten und in eine ausweglose Situation gerieten. "Menschen, die von Nothilfe leben, sollten stattdessen eine Arbeits- und Aufenthaltsbewilligung erhalten." (mwe)

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MIGRATION CONTROL
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NZZ 1.12.10

Weniger Migranten in Griechenland

 (sda) · Die Zahl der illegal nach Griechenland einreisenden Migranten ist seit dem Einsatz europäischer Spezialbeamter an der Landgrenze zur Türkei deutlich zurückgegangen. Nach Angaben der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex ging die Zahl um 44 Prozent auf rund 140 Personen am Tag zurück. Das sagte der stellvertretende Frontex-Direktor Gil Arias Fernandez am Dienstag. Noch vor einigen Monaten waren im Bereich der Stadt Orestiada teilweise zwischen 250 und 300 Personen am Tag unerlaubt über die Grenze gekommen. Griechenland ist für viele Migranten das wichtigste Tor nach Europa. Von Januar bis Ende Oktober habe das Land 75 200 illegale Grenzübertritte registriert, sagte Fernandez.

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nzz.ch 30.11.10

Der Einsatz der Frontex zeigt Wirkung

 Die Zahl der Flüchtlinge in Griechenland ist rückläufig

 In Griechenland ist die Zahl illegaler Einwanderer über die Grenze zur Türkei rückläufig. Die Behörden schreiben die Abnahme dem Einsatz der europäischen Grenzschutzagentur Frontex zu.

 Die Zahl der Flüchtlinge ist seit dem Einsatz europäischer Spezialbeamter an der griechisch-türkischen Grenze im Nordosten deutlich zurückgegangen. Nach Angaben der Europäischen Grenzschutzagentur Frontex ging der Zustrom von Einwanderern um 44 Prozent auf rund 140 Personen pro Tag zurück.

 Das sagte der stellvertretende Frontex-Direktor Gil Arias Fernandez am Dienstag. Noch vor einigen Monaten waren im Bereich der Stadt Orestiada teilweise zwischen 250 und 300 Personen am Tag unerlaubt über die Grenze gekommen.

 Griechenland ist für viele Flüchtlinge das zentrale Tor nach Europa. 90 Prozent aller illegalen Grenzübertritte in der EU passieren derzeit in Griechenland. Von Januar bis Ende Oktober habe das Land 75'200 illegaler Grenzübertritte registriert, sagte Fernandez. 30'700 davon hätten entlang der Landesgrenze zur Türkei stattgefunden.

 Griechische Behörden hatten die EU wegen der Flüchtlingskrise entlang seiner nordöstlichen Grenze mit der Türkei um Hilfe gebeten. Die EU hatte daraufhin 205 Grenzschutzpolizisten entsandt, die seit Anfang November vor Ort sind. Es ist der erste Einsatz des Soforteinsatzteams für Grenzsicherungszwecke (Rabit).

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SIP ZH
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Tagesanzeiger 3.12.10

Wädenswil verbessert die Sicherheit rund um den Bahnhof

 Das Gebiet um den Bahnhof ist an Wochenenden ein Brennpunkt für Konflikte. Anwohner stört der Lärm, Passanten fühlen sich unsicher. Jetzt engagiert die Stadt Interventionspatroullien aus Zürich.

 Von Daniela Haag

 Wädenswil - Sogenannte SIP-Patrouillen suchen in Zürich seit zehn Jahren die Plätze und Anlagen auf, an denen Konflikte eskalieren können. Sie greifen ein, wenn Personen gestört oder belästigt werden. SIP steht für "Sicherheit, Intervention und Prävention". Die Equipen sind dem Sozialdepartment der Stadt Zürich angegliedert.

 Das SIP-Team sucht das Gespräch, versucht zu schlichten und die Situation zu beruhigen.Die Stadt Wädenswil will nächstes Jahr ebenfalls ein Team der SIP Züri patrouillieren lassen, wie Recherchen des "Tages-Anzeigers" ergaben. Stadtrat Thomas Largiadèr (SP) sagt, es handle sich um einen Pilotversuch, der voraussichtlich im Frühjahr startet und bis Herbst dauert. Das SIP-Team ist wahrscheinlich nachts an den Wochenenden unterwegs. Die genauen Bedingungen würden noch verhandelt, sagt Largiadèr. Die Stadt kauft die Dienstleistung bei der SIP Züri ein; für die Pilotphase sind 85 000 Franken budgetiert.

 Nur in Wädenswil

 Die SIP Züri wird ausserhalb der Stadtgrenzen nur in Wädenswil patrouillieren. Wie beim Sozialdepartement zu erfahren war, sieht die SIP Züri auch keine Zusammenarbeit mit weiteren Gemeinden vor. Die Patrouillen in Wädenswil werden Tenus mit der Aufschrift SIP Wädi tragen.

 Das Personal der SIP Züri ist erfahren und ausgebildet, wie Largiadèr festhält. Bisher arbeite Wädenswil mit privaten Sicherheitsdiensten zusammen. Diese seien aber nicht wie die SIP-Teams darauf spezialisiert, für Sicherheit im öffentlichen Raum zu sorgen.

 Die Probleme in Wädenswil sind zwar nicht vergleichbar mit jenen der Stadt Zürich, wo der Strassenstrich und der Drogenhandel die Sicherheitsleute beschäftigen. Aber auch in Wädenswil kommt es vor allem in warmen Nächten am Wochenende auf Strassen und Plätzen zu Auseinandersetzungen. Es sind meist alkoholisierte Jugendliche, die pöbeln und Lärm verursachen. Anwohner finden keine Nachtruhe, und die Passanten fühlen sich unsicher, wenn sie mit dem Zug ankommen. Herumliegende Abfälle verstärken das Unsicherheitsgefühl zusätzlich.

 Das Problem ist in Wädenswil erkannt. Im Gemeinderat sind in letzter Zeit mehrere Vorstösse eingegangen mit dem Ziel, das Sicherheitsgefühl am Bahnhof zu erhöhen. Die Stadt lancierte das Projekt Platzda, um Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum anzugehen (siehe Kasten).

 Sicherheitslücke schliessen

 In diesem Projekt ist das Gebiet um den Bahnhof ein Schwerpunkt. Die SIP sei eine innovative Idee, um auf Jugendliche zuzugehen, sagt Largiadèr. Die SIP werde eine Lücke im Sicherheitskonzept schliessen. Weiterhin im Einsatz seien die städtische Jugendarbeit sowie die Polizei. Die SIP selber hat aber keine polizeilichen Kompetenzen. Die Teams tragen keine Waffen und können keine Personen verhaften. Sie setzen die Ordnung durch, indem sie das Gespräch suchen, Vertrauen schaffen und vermitteln. In kritischen Situationen zieht die SIP die Polizei bei.

 Die SIP-Teams können bei medizinischen Notfällen Erste Hilfe leisten. Und sie können bei sozialen Problemen beraten und Angebote vermitteln.

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 "Platzda"Auszeichnung

 Das Projekt "Platzda" der Stadt Wädenswil ist an der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK) mit dem zweiten Platz prämiert worden. Für den IBK-Preis für Gesundheitsförderung und Prävention sind 160 Projekte eingereicht worden, 25 wurden ausgezeichnet und davon drei prämiert, wie die Stadt mitteilte.

 Laut Jury beschreitet "Platzda" zukunftsweisendes Präventionsneuland. Es setze den Beteiligungs- und Mitwirkungsgedanken vorbildlich um. Weiter wurde "Platzda" im Kanton Zürich in den Integrationskatalog aufgenommen.

 Das Projekt "Platzda" griff 2009 Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum auf. In Zusammenarbeit mit den Betroffenen trug die Stadt Ideen und Wünsche zusammen, diese zu lösen. Sie beschliesst nun Projekte und will diese nächstes Jahr umsetzen. (dh)

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Zürichsee-Zeitung 3.12.10

Wädenswil Neues Projekt, um die Sicherheit um den Bahnhof zu verbessern

 SIP-Patrouille im Zentrum

 Das Gebiet um den Bahnhof ist an Wochenenden ein Brennpunkt: Anwohner stört der Lärm, und Passanten fühlen sich unsicher. Jetzt engagiert die Stadt SIP- Patrouillen aus Zürich.

 Daniela Haag

 SIP-Patrouillen suchen in Zürich seit zehn Jahren die Plätze und Anlagen auf, an denen Konflikte eskalieren können. Sie greifen ein, wenn Personen gestört oder belästigt werden. Das SIP-Team sucht das Gespräch, versucht zu schlichten und die Situation zu beruhigen. SIP steht für "Sicherheit, Intervention und Prävention" und ist dem Sozialdepartement der Stadt Zürich angegliedert.

 Die Stadt Wädenswil will nächstes Jahr ebenfalls ein Team der SIP Züri patrouillieren lassen, wie Recherchen der "Zürichsee-Zeitung" ergaben. Stadtrat Thomas Largiadèr (SP) sagt, es handle sich um einen Pilotversuch, der voraussichtlich im Frühjahr startet und bis Herbst dauert. Das SIP-Team ist wahrscheinlich nachts an den Wochenenden unterwegs. Die genauen Bedingungen würden noch verhandelt, sagt Largiadèr. Die Stadt kauft die Dienstleistung bei der SIP Züri ein; für die Pilotphase sind 85 000 Franken budgetiert.

 Nur in Wädenswil

 Die SIP Züri wird ausserhalb der Stadtgrenzen nur in Wädenswil patrouillieren. Wie beim Sozialdepartement zu erfahren war, sieht die SIP Züri auch keine Zusammenarbeit mit weiteren Gemeinden vor. Die Patrouillen in Wädenswil werden Tenüs mit der Aufschrift SIP Wädi tragen.

 Das Personal der SIP Züri ist erfahren und ausgebildet, wie Largiadèr festhält. Bisher arbeite Wädenswil mit privaten Sicherheitsdiensten zusammen. Diese seien aber nicht wie die SIP-Teams darauf spezialisiert, für Sicherheit im öffentlichen Raum zu sorgen.

 Die Probleme in Wädenswil sind zwar nicht vergleichbar mit jenen der Stadt Zürich, wo der Strassenstrich und der Drogenhandel die Sicherheitsleute beschäftigen. Aber auch in Wädenswil kommt es vor allem in warmen Nächten am Wochenende auf Strassen und Plätzen zu Auseinandersetzungen. Es sind meist alkoholisierte Jugendliche, die pöbeln und Lärm verursachen. Anwohner finden keine Nachtruhe, und die Passanten fühlen sich unsicher, wenn sie mit dem Zug ankommen. Herumliegende Abfälle verstärken das Unsicherheitsgefühl zusätzlich.

 Sicherheitslücke schliessen

 Das Problem ist in Wädenswil erkannt. Im Gemeinderat sind in letzter Zeit mehrere Vorstösse eingegangen mit dem Ziel, das Sicherheitsgefühl am Bahnhof zu erhöhen. Die Stadt lancierte das Projekt "Platzda", um Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum anzugehen (siehe Kasten). Im Rahmen dieses Projektes ist das Gebiet um den Bahnhof ein Schwerpunkt. Die SIP sei eine innovative Idee, um auf Jugendliche zuzugehen, sagt Largiadèr. Die SIP werde eine Lücke im Sicherheitskonzept schliessen. Weiterhin im Einsatz seien die städtische Jugendarbeit sowie die Polizei.

 SIP ist keine Polizei

 Die SIP hat keine polizeilichen Kompetenzen. Die Teams tragen keine Waffen und können keine Personen verhaften. Sie setzt die Ordnung durch, indem sie das Gespräch sucht, Vertrauen schafft und vermittelt. In kritischen Situationen zieht sie die Polizei bei.

 Die SIP-Teams können bei medizinischen Notfällen erste Hilfe leisten. Und sie können bei sozialen Problemen beraten und Angebote vermitteln.

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 Internationale Auszeichnung

 Das Projekt "Platzda" der Stadt Wädenswil ist an der Internationalen Bodensee-Konferenz (IBK) Mitte November mit dem zweiten Platz prämiert worden. Für den IBK-Preis für Gesundheitsförderung und Prävention sind 160 Projekte eingereicht worden, 25 wurden ausgezeichnet und davon drei prämiert, wie die Stadt mitteilte. Laut Jury beschreitet "Platzda" zukunftsweisendes Präventionsneuland. Es setze den Beteiligungs- und Mitwirkungsgedanken vorbildlich um. Weiter wurde "Platzda" im Kanton Zürich in den Integrationskatalog aufgenommen.

 Das Projekt "Platzda" griff 2009 Nutzungskonflikte im öffentlichen Raum auf. In Zusammenarbeit mit den Betroffenen trug die Stadt Ideen und Wünsche zusammen, diese zu lösen. Sie beschliesst nun Projekte und will diese nächstes Jahr umsetzen. (dh)

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Zürichsee-Zeitung 1.12.10

SIP Zürich

 Ruhe auf Zürichs Strassen bringen

 Die SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) der Stadt Zürich ist seit nunmehr zehn Jahren im Einsatz - ohne Waffen, nur mit Worten. Die Einsatzgruppe ist denn auch nicht dem Polizei-, sondern dem Sozialdepartement unterstellt.

 Ihre primäre Aufgabe besteht darin, Personen davon abzuhalten, andere zu stören oder sich und andere zu gefährden. Sie versucht nicht nur, betrunkene Jugendliche zur Räson zu bringen, sondern ebenso, Obdachlose davon zu überzeugen, in Winternächten eine Notunterkunft aufzusuchen. (zl) Seite 7

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SIP Zürich Erfolgreiche Strassenarbeit der Eingreiftruppe des Sozialdepartements

 Ihre "Waffe" ist das Gespräch

 Seit zehn Jahren sind die Leute der Stadtzürcher SIP an konfliktträchtigen Brennpunkten unterwegs und versuchen zu schlichten und zu beruhigen. Meistens gelingt dies ohne Hilfe der Polizei.

 Alfred Borter

 Man hat sich in Zürich an die Leute von SIP (Sicherheit, Intervention, Prävention) gewöhnt. Sie tauchen an den konfliktträchtigen Brennpunkten auf, in der ganzen Stadt, und versuchen mögliche Anlässe für einen Zwist aus der Welt zu schaffen. Etwa wenn Jugendliche beim Feiern auf öffentlichem Grund über die Stränge hauen, wenn Alkoholiker oder Drogenabhängige an Tramhaltestellen den Passanten in die Quere kommen oder wenn Bettler sich auf Plätzen und Strassen breitmachen.

 Man hat sich nicht nur an die SIP-Teams gewöhnt, sondern ist ihnen auch dankbar. Das erfahren die rund 50 Frauen und Männer der SIP, welche sich etwa 40 Stellen teilen, immer wieder. Auf einem Rundgang mit den beiden SIP-Mitarbeitern René Huber und Maurizio Ponzo erkennt man gleich, wie sie arbeiten. Sie gehen auf ein Grüppchen Leute zu, die in der Bäckeranlage, trotz beissend kaltem Wetter, beisammensitzen und Bier trinken. Man kennt sich, spricht ein paar Worte miteinander, erfährt von einem der Männer, dass es ihm nicht gerade gut geht, er habe gesundheitliche Probleme. Aber er erklärt, er sei in ärztlicher Behandlung, es erübrigt sich, dass die SIP-Leute tätig werden. Nötigenfalls hätten sie dem Mann empfehlen können, sich zu einem Arzt oder auch ins Krankenzimmer für Obdachlose zu begeben. Für Ordnung sorgen muss man an diesem Nachmittag nicht.

 Nötigenfalls Beizug der Polizei

 Jetzt, wo es so kalt ist, kommt es auch immer wieder vor, dass sie Leute, die am liebsten unter freiem Himmel schlafen, zu überzeugen versuchen, sich trotzdem einmal in eine Notschlafstelle zu begeben. "Kürzlich ist uns das bei einem Mann gelungen, der sich zwei Jahre lang unseren Bemühungen widersetzt hat", erwähnt Ponzo. Und jetzt, wo er wieder ein Dach über dem Kopf hat, hat sich seine ganze Lebenssituation verbessert, hin und wieder findet er sogar eine bezahlte Arbeit.

 "Unsere Interventionsmöglichkeiten sind beschränkt", erwähnen die beiden. "Unsere Waffe ist das Gespräch." Wenn Leute andere in unzumutbarer Art und Weise stören oder auch sich selber gefährden und ein Gespräch nichts bringt, dann zieht die SIP die Polizei bei. Sie aber ist nicht Teil der Polizei, sondern sie gehört zum Sozialdepartement. Es kommt aber auch vor, dass die Polizei die SIP beizieht, wenn sie zum Beispiel Jugendliche in die Zentrale Ausnüchterungsstelle bringt. Dann stellt die SIP den Kontakt zu den Eltern her und macht diesen klar, dass sie eine Fürsorgepflicht haben.

 Geschaffen wurde die SIP vor zehn Jahren, als man bei der Stadt einsah, dass sich die Lage an der Bäckeranlage mit der Drogen- und Alkoholikerszene und am Stadelhoferplatz mit den vielen Punks und ihren Hunden mit polizeilichen Mitteln nicht beruhigen liess. Dauernd gab es Streit mit den Anwohnern oder mit Gewerbetreibenden und Passanten. Jetzt kann Christian Fischer, Leiter der SIP, sagen, dass sich die Lage an beiden Brennpunkten wesentlich beruhigt hat. Dafür ist es andernorts manchmal kritisch, etwa entlang der Ausgehmeile in Zürich West, in Zürich Nord, beim Hauptbahnhof.

 Heikel ist die Lage auch am Sihlquai, wo sich das Sexgewerbe breitmacht und die SIP-Leute darauf achten, dass sich nicht junge Burschen ein Vergnügen daraus machen, die Prostituierten blöd anzumachen. Den Burschen wird eindringlich klargemacht, dass ihr Tun verwerflich und gefährlich ist, wenn etwa die nicht zimperlichen Zuhälter eingreifen sollten.

 Nicht alles verbieten

 "Es geht uns nicht darum, alles zu verbieten, was Spass machen könnte", betont Fischer. "Aber es ist schon so, dass wir auch eine Spassbremse sind, wenn der Stress zu gross wird." Der Spass hört dort auf, wo andere Menschen in ihrem Wohlbefinden beeinträchtigt werden oder eine Selbstgefährdung festzustellen ist. Friedliche Koexis- tenz der verschiedenen Gruppen, das ist das Ziel der SIP. Und so weisen sie diejenigen zurecht, welche herumkrakeelen, ob sie nun aus Zürich selber kommen oder aus der Agglomeration, die ihren Abfall wild herumliegen lassen, in die Büsche urinieren und was man sonst so unternimmt, wenn die Hemmschwelle fällt - sei es, weil man schon recht viel Alkohol intus hat oder in einer Gruppe unterwegs ist, in der man ohnehin nicht mehr gewillt ist, auf andere Rücksicht zu nehmen.

 Lohnt sich die Arbeit? Fischer ist davon überzeugt. Er spricht zwar selber von einer Art Sisyphusarbeit, aber nicht in dem Sinn, dass sie sinnlos, sondern dass sie nie vollendet ist.

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SEXWORK
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Schweiz Aktuell sf.tv 3.12.10

Umstrittenes Sexgewerbe-Gesetz

Der Kanton Bern greift im Sexgewerbe seit letztem Herbst strenger durch. Wegen der starken Einwanderung aus Osteuropa komme es zu einem Überangebot und mehr Missbrauch. Neben mehr Kontrollen soll das erste Deutschschweizer Prostitutionsgesetz mehr Sicherheit für Prostituierte bringen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=3825c0f6-8891-4d80-abe4-3503e3217c92

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Tagesanzeiger 2.12.10

Die Freier sollen kontrollieren, ob Prostituierte legal arbeiten

 Wer eine Prostituierte ohne gültige Papiere freit, soll gebüsst werden: Diese Idee aus dem Tessin findet beider CVP und der SP Anklang.

 Von Stefan Häne

 Zürich - Die Tessiner Behörden planen eine Premiere in der Schweiz: Sie haben jüngst ein Gesetz in die Vernehmlassung geschickt, das Freier verpflichtet, die Legalität von Prostituierten zu überprüfen. Wer Sex mit einer Frau ohne gültige Papiere hat, soll mindestens 200 Franken Busse zahlen (TA vom 25. November). Diese Neuerung erhält im Zürcher Kantonsrat Zuspruch. Die CVP bezeichnet sie im Bereich der Strassenprostitution als "gangbaren Weg, wenn auch schwierig zu kontrollieren". Weniger geeignet sei die Bussenregel für Sexklubs, sagt Fraktionschef Philipp Kutter. "Dort müssten die Betreiber vermehrt in die Pflicht genommen werden."

 Sympathien geniesst die Freierbusse auch bei der SP, weil sie gemäss Fraktionschef Raphael Golta dort ansetzt, wo die Partei Verbesserungen fordert: beim Schutz der Prostituierten vor Menschenhandel und Ausbeutung.

 Gegen eine Freierbusse ist die SVP. "Das ist eine unnötige bürokratische Massnahme", sagt Kantonsrat Claudio Schmid. Milieuanwalt Valentin Landmann spricht von einer Groteske: Bei einem italienischen Coiffeur müsse der Kunde auch nicht nach einer Arbeitsbewilligung fragen.

 Weniger Illegale in Zürich?

 Im Kanton Zürich schaffen mehrere Tausend Frauen an; genaue Zahlen gibt es nicht. 2009 haben sich 1725 neu als Prostituierte gemeldet. Heuer sind es bereits über 2400. Das Amt für Wirtschaft und Arbeit (AWA) begründet diese Zunahme mit der Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf Bulgarien und Rumänien.

 Nicht bekannt ist die Zahl der illegalen Prostituierten. Stadt- und Kantonspolizei schätzen sie als gering ein. Im Tessin sind gut 800 Frauen aus dem horizontalen Gewerbe registriert. Fast ebenso hoch geschätzt wird die Zahl der Illegalen. Die Diskrepanz hängt damit zusammen, dass in Zürich der Weg ins Sexgewerbe einfach ist. Hier können sich die Frauen als "selbstständige Dienstleistungs-Erbringerinnen" anmelden. Sie müssen einen gültigen Ausweis vorlegen und 25 Franken bezahlen - und schon dürfen sie drei Monate pro Jahr anschaffen. Dieses Verfahren verstösst jedoch gegen die Vorgaben des Bundes. Denn rechtlich gesehen, brauchen die Frauen für ihren Erwerb eine Arbeitsbewilligung. Dies hätte gemäss AWA-Chef Bruno Sauter aber zur Folge, dass diverse Gesuche abgelehnt werden müssten, da ansonsten die Kontingente für Facharbeiter aus den neuen EU-Staaten belastet würden. Die betroffenen Frauen, befürchtet Sauter, könnten so in die Illegalität abgedrängt werden.

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ALKOHOL
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Blick am Abend 30.11.10

Ausgenüchterte zahlen schlecht

 GELD

 Von 250000 Franken wurde erst ein Drittel eingezahlt.

 Die seit Mitte März offene Zentrale Ausnüchterungszelle (ZAS) hat sich gemäss der Polizei "sehr gut bewährt". Die Zahlungsmoral der Ausgenüchterten ist aber schlecht: Von 250 000 Franken, die in Rechnung gestellt worden waren, sind erst 90 000 Franken bezahlt.

 950 Franken kostet ein Aufenthalt. 316 Männer und 50 Frauen haben in sechs Monaten in der ZAS übernachtet. Der Jüngste war 15, der Älteste 69. Die Person mit dem höchsten Blutalkoholgehalt kam auf 4,19 Promille. SP-Politiker im Kanton Luzern fordern nun ebenfalls eine ZAS. fr

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20 Minuten 30.11.10

Schläger sollen Folgekosten tragen

 BERN. Immer öfter landen Jugendliche wegen Schlägereien oder Alkohol-Exzessen im Spital. Politiker wollen jetzt die Übeltäter zur Kasse bitten.

 Die Anzahl Jugendlicher, die im Spital behandelt werden, nimmt rasant zu: Die Anzahl der Behandlungsfälle sind seit 2002 (42 100) um fast 22% angestiegen, so eine Studie des Bundesamtes für Statistik. Der grösste Zuwachs der Behandlungsfälle bei den 15- bis 19-Jährigen ist bei Verletzungen sowie Alkohol- und Drogenvergiftungen zu verzeichnen (+42,9%). Was dabei ins Auge fällt: Verletzungen durch Tätlichkeiten haben sich zwischen 2002 und 2008 um 233% von 200 auf 666 Fälle erhöht. Die Zahl der nach einem Unfall hospitalisierten Velo- und Töfffahrer nahm um fast 140% zu, die Zahl der Stürze um 150%.

 "Jugendliche werden immer risikofreudiger, sei es im Sport oder eben auch im Ausgang", erklärt Erika Ziltener, Präsidentin der Schweizerischen Patientenstellen. "Das belastet unser ganzes Gesundheitssystem", sagt Margrit Kessler, Präsidentin der Schweizerischen Stifung SPO Patientenschutz. Sie fordert, dass in Zukunft nicht mehr die Krankenkasse, sondern die Schläger selbst die Folgekosten tragen sollen. Und auch Gesundheitspolitikerin Ruth Humbel (CVP) fordert in einer Motion, dass Jugendliche für die Folgekosten ihrer Saufgelage selber aufkommen. Humbel: "Härtere Strafen haben eine präventive Wirkung."  

Désirée Pomper

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 Rauschtrinker immer jünger

 BERN. Wegen psychischen und Verhaltensstörungen durch Alkohol erfolgten laut der neusten BFS-Studie 916 stationäre Aufnahmen. Davon waren 41,4 Prozent Frauen. Während 2002 die meisten Fälle bei 18- bis 19-Jährigen registriert wurden, entfiel 2009 mehr als die Hälfte auf unter 15-Jährige (380 von 650 Fällen).

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Ausnüchterungszellen: SP macht noch mehr Dampf

 LUZERN. Randalierende Säufer sollen ihren Rausch künftig bei der Luzerner Polizei ausschlafen. Der Kanton prüft jetzt spezielle Ausnüchterungszellen - das reicht der SP jedoch nicht.

 "Für das Luzerner Kantonsspital wären Ausnüchterungszellen wie in Zürich eine grosse Erleichterung", schreibt der Luzerner Regierungsrat in seiner Antwort auf eine SP-Anfrage. Letztes Jahr seien vom Rettungsdienst rund 400 Personen wegen Alkoholvergiftungen betreut worden - 70 Prozent davon im Spital. Dabei brächten die Betrunkenen grosse Unruhe in die Notfallaufnahme. "Sie sind häufig aggressiv und belästigen andere Patienten. Aber auch das Personal wird immer wieder belästigt und bedroht", so die Regierung weiter. Es komme auch vor, dass Betrunkene gefesselt werden müssten.

 Der Regierungsrat will darum Ausnüchterungszellen gemäss dem Zürcher Vorbild prüfen. Dort werden Betrunkene, die keine Spitalpflege brauchen, auf die Hauptwache gebracht - und müssen ihren Aufenthalt bezahlen. Allerdings will Luzern erst den Schlussbericht des Pilotprojekts abwarten.

 SP-Kantonsrat Lathan Suntharalingam, der die Anfrage einreichte, ist enttäuscht. Für ihn sind die Antworten der Regierung zu wenig verbindlich. Er will die Exekutive mit einem weiteren Vorstoss zum Handeln verpflichten. "Ich will, dass der Kanton auf jeden Fall solche Zellen einrichtet, und reiche deshalb nächste Woche eine Motion ein."  

Markus Fehlmann

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NLZ 30.11.10

Neue Ausnüchterungszelle für Betrunkene geplant

 Luzern

Karin Winistörfer

 Gewalttätige Betrunkene blockieren die Notfallstationen. Sie sollen den Rausch neu an einem gesonderten Ort ausschlafen - und dafür zahlen.

 Auf der Notfallstation des Luzerner Kantonsspitals spielen sich wüste Szenen ab. Vor allem am Wochenende, wenn die Polizei manchmal zehn oder noch mehr Betrunkene einliefert. Manche johlen, schreien, erbrechen, wollen aus dem Bett steigen, fallen zu Boden, rappeln sich wieder auf. Andere sind aggressiv und gewalttätig, reissen Telefonkabel heraus, gehen auf die Pfleger los. Es kommt sogar vor, dass die Polizisten solche Personen fesseln müssen, bis wieder Ruhe einkehrt.

 Allein im Jahr 2009 sind 280 Personen mit einer Alkoholvergiftung ins Kantonsspital eingeliefert worden. Insgesamt hat der Rettungsdienst 144 sogar 400 Personen mit einer Alkoholvergiftung betreut, davon acht Jugendliche.

 Für die anderen Notfallpatientinnen und -patienten ist das äusserst unangenehm: Sie sind gesundheitlich angeschlagen oder schweben in Lebensgefahr. Im offenen Saal bekommen sie alles mit, da die Betten nur durch Vorhänge abgetrennt sind. Die Betrunkenen sind für die übrigen Patienten eine Belastung, verlängern die Wartezeiten und beanspruchen die Pfleger stark.

 "Oft unberechenbar"

 "So geht es nicht weiter", sagt SP-Kantonsrat Lathan Suntharalingam aus Luzern. Der Intensivkrankenpfleger am Kantonsspital bekommt die Folgen von übermässigem Alkohol- und Drogenkonsum hautnah mit. "Leute im Rausch sind oft unberechenbar. Sie haben ihren Zustand selber verursacht - im Gegensatz zu den anderen Notfallpatienten. Sie sollten getrennt behandelt werden, sonst ist die Notfallstation völlig überlastet."

 Deshalb verlangt Suntharalingam, dass eine Ausnüchterungsstelle mit medizinischer Betreuung geschaffen wird. Die Kosten für den Aufenthalt sollen die Verursacher tragen. "Es kann nicht sein, dass die gesamte Gesellschaft bezahlen muss, wenn Einzelne vorsätzlich so viel Alkohol trinken, dass sie ins Spital müssen", enerviert sich der Parlamentarier. Als Vorbild nennt er das Pilotprojekt in Zürich (siehe Kasten).

 Regierung ist offen

 Wer zu viel trinkt und medizinische Betreuung benötigt, wird heute im Spital ausgenüchtert. Ansonsten kommt er in eine Zelle der Polizei. Die Kosten dafür können bei den Verursachern mangels gesetzlicher Grundlage nicht eingefordert werden. Alexander Lieb, Stellvertretender Sekretär im Justiz- und Sicherheitsdepartement, hält dies für unbefriedigend: "Entweder ist die Sicherheit gewährleistet, aber die medizinische Betreuung nicht, oder umgekehrt."

 In ihrer gestern publizierten Antwort zeigt sich die Regierung offen gegenüber einer Ausnüchterungsstelle, will aber erst den Schlussbericht zum Pilotprojekt in Zürich abwarten. Alexander Lieb spricht zudem von einem auf Luzern angepassten, günstigeren Modell.

 Spital hofft auf Entlastung

 Beim Kantonsspital hofft man auf eine baldige Lösung, sagt Robert Bisig, Leiter Stab Direktion: "Eine solche Stelle wäre eine grosse Entlastung. Unsere Mitarbeiter müssen sich von Betrunkenen viel gefallen lassen. Oft ist es an der Grenze des Erträglichen. Sie sind nicht ausgebildet für den Umgang mit Renitenten." Am Kantonsspital habe es aber zu wenig Platz. Auch sei die Polizei nicht vor Ort.

 Froh um eine solche Stelle wäre auch Daniel Matter, Gründer des Permanence Medical Center im Bahnhof - auch wenn nur wenige Betrunkene den Weg in seine Praxis finden. "Wir würden öfter Patienten ans Spital überweisen. Heute sind wird eher zurückhaltend."

 Lathan Suntharalingam will, dass nun rasch eine Ausnüchterungsstelle eingerichtet wird - wo, müssten Polizei und Kantonsspital besprechen. Bezahlen sollten neben den Betrunkenen auch die Veranstalter von Anlässen wie dem Altstadtfest. "Diese verdienen am Alkoholverkauf mit", so der SP-Kantonsrat. Das Kantonsspital dürfe nicht zur Kasse gebeten werden, umso mehr, als es unter grossem Spardruck stehe.

 Karin Winistörfer

 karin.winistoerfer@neue-lz.ch

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 Zürich macht gute Erfahrungen

 Pilotversuch

 kwi. Seit Mitte März ist in Zürich die Zentrale Ausnüchterungsstelle (ZAS) im Zellentrakt der Regionalwache City offen. Dort wer

 kwi. Seit Mitte März ist in Zürich die Zentrale Ausnüchterungsstelle (ZAS) im Zellentrakt der Regionalwache City offen. Dort werden Leute mit Rausch (Alkohol oder andere Drogen), die von der Polizei in Gewahrsam genommen worden sind, unter medizinischer Betreuung ausgenüchtert. Ziel ist es gemäss dem Stadtzürcher Polizeidepartement, die Spitäler und die Regionalwachen der Polizei zu entlasten. Das bisherige Konzept habe sich im Betrieb "sehr gut bewährt". Bis 950 Franken pro AufenthaltDie Kosten für das ein Jahr laufende nationale Pilotprojekt betragen 950 000 Franken. Eine Einweisung kostet rund 1600 Franken. Davon werden den Klienten je nach Aufenthaltsdauer bis zu 950 Franken in Rechnung gestellt. Randalieren oder verschmutzen sie eine Zelle, kommen Reparatur- und Reinigungskosten dazu. Ein Problem ist die schlechte Zahlungsmoral: Nach sechs Monaten Betrieb waren erst 90 000 von 250 000 Franken, die in Rechnung gestellt worden waren, bezahlt. Bis zu 4,19 Promille im BlutIm ersten halben Jahr sind 316 Männer und 50 Frauen in die Ausnüchterungsstelle Zürich eingeliefert worden. Ein Drittel von ihnen war zwischen 18 und 24 Jahre alt, der Jüngste 15, der Älteste 69. Die Person mit dem höchsten Blutalkoholgehalt kam auf 4,19 Promille.

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DROGEN
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Rolling Stone 1.12.10

DROGEN UND MUSIK IN DEUTSCHLAND

Der grosse Rausch

Kaum ein Club ohne Koks, kein Festival ohne Joints - und gesoffen wird bei Metal-Konzerten und Volkslieder-Shows: Wo in Deutschland die Musik spielt, sind meistens Drogen dabei. Auch offiziell illegale Substanzen gehören immer mehr zum Alltag. Was sagt das über unsere Gesellschaft? Der große ROLLING-STONE-Report 2010.
http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/Medienspiegel/10-12-01-RollingStoneDrogen.pdf

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Davon online zugänglich:

Der RS-Report: Drogen und Musik in Deutschland. Ein Interview mit Harris
Drogen sind in der Musik allgegenwärtig: Sei es auf Seiten der Künstler oder auf Seiten der Fans. Wir sprachen mit dem Berliner Rapper Harris über seine Einstellung zu verbotenen Substanzen - und seinen Lieblings-Drogensong.
http://www.rollingstone.de/news/article.php?article_file=1290681235.txt&showtopic=The%20Pop%20Life

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Der RS-Report: Drogen und Musik in Deutschland. Interview: "Wer hat was, wo kriegen wir was her?"
Drogen sind in der Musik allgegenwärtig. Unser Autor Jochen Förster sprach mit Lena aus Berlin - Konsumentin und Kennerin. Ihr Fazit: Es ist fast zu leicht, an Drogen zu kommen
http://www.rollingstone.de/news/article.php?article_file=1290772459.txt&showtopic=The%20Pop%20Life

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Der RS-Report: Drogen und Musik in Deutschland. Interview: "Die Alkoholpreise sind skandalös!"

Saufen ist nicht nur Volkssport sondern für viele auch Teil eines Festivals oder einer Clubnacht. Jochen Förster sprach mit Suchthilfe-Experte Raphael Gaßmann über die Modedroge der Gegenwart.
Suchthilfe-Experte Raphael Gaßmann über die Modedroge der Gegenwart, Cannabis aus dem Automaten und die Wirkung der Prohibition
http://www.rollingstone.de/news/article.php?article_file=1291029830.txt&showtopic=The%20Pop%20Life

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Der RS-Report: Drogen und Musik in Deutschland. Interview: "Die Metalszene hat Ecstasy nicht berührt"
Drogen sind in der Musik allgegenwärtig. Joachim Hentschel sprach mit Heavy-Metal-Star Schmier von Destruction über Drogengenuss in der deutschen Musikszen
http://www.rollingstone.de/news/article.php?article_file=1290773411.txt&showtopic=The%20Pop%20Life
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BZ 30.11.10

Mit 17 spritzte sie Heroin, nun hat sie darüber geschrieben

 Autobiografie. Jahrelang war das Heroin der treuste Begleiter von Michelle Nahlik. Mit 17 Jahren trieb sich die Thunerin auf Berns Gassen herum, auf der Suche nach dem nächsten Kick. Heute ist sie seit 13 Jahren clean. Ihre Geschichte hat sie in ihrer soeben erschienenen Autobiografie "Das Maktub von Luana" niedergeschrieben.

 "Während andere Mädchen in meinem Alter erste Verabredungen mit Jungs planten, war ich auf der Suche nach Geld für den nächsten Schuss", beginnt Michelle Nahlik (38). Mit 17 Jahren spritzte sich die damalige Gymnasiastin zum ersten Mal Heroin. Es sollte nicht beim einen Mal bleiben; 8 Jahre bewegte sich die junge Frau in der Berner, der Thuner und der Zürcher Drogenszene und lebte teilweise auf der Strasse.

 Nahlik geht geübt um mit ihrer Sprache, im Buch wie auch im Gespräch. Sie verwendet treffende Metaphern für ihre damalige Situation, notiert auch in den schlimmsten Momenten ihre Gedanken in glasklaren Worten auf irgendeinen Zettel, der sich gerade in ihrer Nähe befindet. "Manchmal schrieb ich meine Gedanken und Gefühle in einer heruntergekommenen Toilette auf WC-Papier." Basierend auf diesen schriftlichen Zeugnissen - die zwanzig Tagebücher enthalten neben Texten auch Zeichnungen -, hat Nahlik ihre Autobiografie geschrieben. Ihre Drogengeschichte endete im Guten. "Doch mein Fall entspricht nicht der Mehrheit", sagt die Autorin. "Mein Buch soll andere davor bewahren, denselben Weg einzuschlagen wie ich vor 20 Jahren."

 Unklassische Junkiebiografie

 Michelle Nahlik hat Teile des Buches in der dritten Person geschrieben. Sie gab sich den Übernamen Luana. "Das ermöglichte mir, etwas Distanz zu schaffen. Anders hätte ich es nicht fertiggebracht, die schlimmsten Momente so zu beschreiben, wie ich sie wirklich erlebt hatte", sagt Nahlik.

 "Ich habe keine klassische Junkiebiografie", erzählt die Thunerin, die heute im Kanton Freiburg wohnt und als biomedizinische Analytikerin im Spital arbeitet. Sie stamme weder aus zerrütteten Familienverhältnissen, noch habe sie Gewalt oder Missbrauch erlebt. "Im Gegenteil. Ich hatte lange Zeit immer die Favoritenrollen. In allem war ich die Beste." Das junge Mädchen konnte dem Druck nicht standhalten. Nahlik sagt, sie habe immer schon zu Extremen geneigt. So wurde innert kürzester Zeit aus der extrem guten Schülerin eine extrem abhängige junge Frau. Zu einem Zeitpunkt, an dem sie nur noch "aus meiner Haut wollte", lernte sie Viktor kennen, einen charmanten jungen Mann. Er setzte Nahlik den ersten Schuss. Kurze Zeit danach flog sie vom Gymnasium. Der gut aussehende Viktor entpuppte sich bald als gewalttätiger Dealer.

 Nahliks Eltern bekamen lange nichts mit von der Sucht und den lautlosen Hilfeschreien ihrer jüngsten Tochter. Sie waren zu sehr mit Nahliks Schwester beschäftigt, die damals schwer magersüchtig war. "Ich gebe niemandem die Schuld, ausser mir selbst", sagt Nahlik rückblickend.

 Die beste Freundin stirbt

 "Der Wendepunkt in meiner Drogenkarriere war der Tod meiner besten Freundin", fährt Nahlik fort. Die langjährige Freundin starb an einer Überdosis während einer Therapie. "Ich wusste, wenn ich nicht auch mit Junken aufhöre, würde ich die nächste sein." Etwa zum gleichen Zeitpunkt begegnete sie ihrer ehemaligen Jugendliebe. Die Gefühle flammten erneut auf, und der junge Mann setzte alles daran, die 22-Jährige von der Strasse zu holen. Mit der Hilfe ihres Freundes und auch dank einem Ausbildungsplatz führte Nahliks Weg langsam wieder nach oben. Doch er war gepflastert von Rückfällen, Wutausbrüchen und Zweifeln. Eine Therapie machte Nahlik nie: "Ich wollte es alleine schaffen."

 Keine Angst vor Rückfall

 Und das tat sie. Michelle Nahlik führt seit 13 Jahren ein geregeltes Leben und ist clean. Sie hat keine Angst mehr vor einem Rückfall. "Ich bin stark geworden. Ich weiss, dass ich keine Sekunde meines Lebens mehr an diesen Scheiss verschwenden will." Sie liebt ihre Arbeit im Spital, unternimmt gerne Reisen und schreibt Poesie. Mit dem Mann von damals ist sie zwar nicht mehr liiert, doch er ist zu ihrem besten Freund geworden. Kontakt mit Menschen aus der Szene hat sie seit ihrem Ausstieg keinen mehr.

 Auf einer Reise in die ägyptische Wüste lernte Nahlik einen Mann kennen, der ihr erklärt habe, dass "Maktub" Schicksal bedeute. Wörtlich heisse es: "Alles, was geschehen wird, steht längst in einem dicken Buch." So sieht Nahlik heute ihre Geschichte - wie etwas, das vom Schicksal so vorgesehen war.
 
Annina Hasler

 "Das Maktub von Luana" von Michelle Nahlik. Erschienen im Elfundzehn-Verlag. 268 Seiten. 36 Franken..

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St. Galler Tagblatt 30.11.10

Von Kairo nach Kapstadt

 Edna Adans unermüdlicher Kampf gegen die Droge Khat

 Edna Adan ist eine Kämpfernatur. In ihrer Heimat scheut die ehemalige Frau des ersten Präsidenten der Republik Somaliland kein politisches Streitgespräch. Auf dem internationalen Parkett wirbt die einstige Aussenministerin leidenschaftlich um die Anerkennung ihres Landes, das sich nach dem Ende des somalischen Bürgerkriegs vor zwanzig Jahren einseitig für unabhängig erklärt hat. Und in dem von ihr gegründeten Spital in der Hauptstadt Hargeisa ringt sie als Chefärztin um das Leben ihrer Patienten.

 Das ganze Land ist high

 Der grösste Kampf der ehemaligen First Lady aber gilt einer Pflanze. Einer, die in Somaliland zwar nicht gedeiht, die aber an jeder Strassenecke in Hargeisa verkauft wird. Khat, Chat, Mera - viele Namen für ein und denselben Strauch, der in der gesamten Region vom Horn von Afrika dem Kaffee als natürlichem Aufputschmittel den Rang abläuft. Doch Khat ist nicht Kaffee, und der Konsum der bitter schmeckenden, amphetaminreichen Blätter kein harmloser Zeitvertreib. "Khat", sagt Edna Adan, "ist der grösste Feind dieses Landes. Dieses Land ist von morgens bis abends high und die Auswirkungen auf Gesundheit, Politik und die soziale Struktur sind fatal."

 80 Prozent der Männer

 Es ist noch keine zwei Jahrzehnte her, da war Khat in Somaliland lediglich eine Randerscheinung. Nur einige Nomaden machten von der aufputschenden und hungerstillenden Wirkung der Kaudroge auf ihren langen Märschen durch die Wüste Gebrauch. Heute jedoch ist Khat die Volksdroge Nummer eins. Etwa achtzig Prozent der Männer und fünf Prozent der Frauen stopfen sich mindestens einmal täglich die Backen mit den Blättern voll, Tendenz steigend.

 Eher geringe Wirkung

 Laden nachmittags die Lastwagen die frischen Blätter auf den Märkten ab, kommt die Arbeit im Land für Stunden zum völligen Erliegen, dem Marktschreien der Khathändler leisten mehr Somaliländer Folge als dem Gebetsruf der Muezzins.

 Die Mehrheit der Abnehmer sieht sich dennoch keineswegs als Drogenkonsumenten, da die berauschende Wirkung der Pflanze eher gering ist und zudem erst nach stundenlangem Kauen einsetzt. Die Langzeitfolgen können es gemäss Edna Adan jedoch mit jeder anderen Droge aufnehmen: "Khat ist eine Pflanze, die nicht für den Menschen gemacht wurde. Sie zerfrisst stattdessen Zähne und Magen, greift Leber und Nieren an, trocknet den Darm aus und verbreitet Tuberkulose."

 "Khat tötet Kinder"

 Doch der Schaden für die Gesundheit sei noch das kleinste Übel, sagt die Ärztin, die ihren Angestellten sowohl während der Arbeitszeit als auch privat jeden Konsum der grünen Blätter unter Androhung sofortiger Entlassung untersagt hat. Der Khatkonsum schade der Volkswirtschaft massiv: Anstatt Nahrungsmittel für die Familie einzukaufen und die Kinder in die Schule zu schicken, verbrauchten die Männer alles Geld für diese Droge. "Khat tötet Kinder, das ist die grausame Wahrheit."

 Zwischen ein und drei Dollar investiert der durchschnittliche Somaliländer täglich in den Konsum der Blätter, 400 000 Dollar lässt sich die Bevölkerung des bettelarmen Landes täglich zwischen Backe und Zunge zergehen. "So viel, wie ich für den Bau des Spitals investiert habe - in zehn Jahren."

 Angst vor den Drogenkartellen

 Den Kampf gegen Khat führt die 63-Jährige weitgehend alleine. Zwar stimmen viele Politiker und religiöse Führer mit ihren Ansichten überein. "Aber die haben alle Angst vor den mächtigen Drogenkartellen", sagt Adan. "Ausserdem kaut auch der ein oder andere Imam hin und wieder ganz gerne. Alkohol ist uns Moslems zwar untersagt, aber über Khat hat der Prophet nichts gesagt." Aus Sicht der Regierung bietet der Khathandel zudem eine der wenigen Möglichkeiten, Geld einzutreiben: Das grüne Gold wird teuer besteuert.

 Ausgerechnet Frauen

 In der Gesellschaft Somalilands hat das Wort einer Frau wenig Gewicht. Was nicht ohne Ironie ist, denn Edna Adans grösste Gegenspielerinnen sind ausgerechnet Frauen: Der Khathandel wird von Händlerinnen kontrolliert. Steckt sie also in einem Teufelskreis, aus dem es kein Entkommen gibt? "Nein", sagt sie. "Unser Land ist mit feindlichen Soldaten, Panzern und Kampfflugzeugen fertig geworden. Es wäre grotesk, wenn wir es nicht mit einer Pflanze aufnehmen könnten."

 Markus Symank

 Unser Autor reist quer durch Afrika und berichtet über die Menschen, die er dabei kennenlernt.

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BIG BROTHER
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Bund 2.12.10

So einfach kann man SMS mitlesen

 Mit einer relativ günstigen Ausrüstung können heute die Signale von Mobilfunkantennen abgefangen und SMS entschlüsselt werden, warnt ein Experte. Den Mobilfunkunternehmen ist dies kaum bewusst.

 Adrian Sulc

 Nicht nur Liebesgrüsse und Einkaufslisten gehen täglich zu Tausenden als SMS durch den Mobilfunk-Äther. Auch Passwörter und geschäftliche Nachrichten werden als Kurzmitteilungen versandt. Im Gegensatz zum Internet denkt man beim Handy aber nicht an Hacker und Viren - vielleicht zu Unrecht.

 Denn es ist durchaus möglich, ein SMS abzufangen, welches eine Mobilfunkantenne an das Empfängerhandy sendet. Antenne und Empfänger merken davon nichts - denn die Funksignale strömen schliesslich frei umher. Natürlich sind die Signale des GSM-Mobilfunkstandards digital verschlüsselt. Doch sind sie dies heute nach einer Methode, welche 1987 entwickelt wurde. Also zu einer Zeit, als Grossrechner weniger leistungsfähig waren als heute jeder Discounter-Laptop.

 Gratisprogramme vom Internet

 Was es für das Mitlesen braucht, demonstrierte Ulrich Fiedler gestern an einem Anlass der Information Security Society Switzerland in Bern. Fiedler ist Dozent an der Berner Fachhochschule in Biel und betreibt das Beratungs- und Forschungsunternehmen NCS-Lab im Bereich Mobilfunk. Weniger als 2400 Franken hat er für die Ausrüstung zur Entschlüsselung von SMS ausgegeben. Sie besteht aus:

 einem Software-Radio, welches die GSM-Signale einfangen kann,

 einem herkömmlichen Laptop, welcher die vom Radio eingefangenen Signale decodiert, also verwendbar macht,

 und einem leistungsfähigen Computer, welcher die Signale entschlüsselt und damit den Text des SMS wiederherstellt.

 Dazu benutzt Fiedler drei Computerprogramme, die allesamt kostenlos und legal auf dem Internet erhältlich sind, sowie einige Zeilen selbst geschriebenen Programmiercodes. Mittels dieses Versuchsaufbaus zeigt Fiedler, wie eine von Handy A auf Handy B verschickte Kurzmitteilung erfasst, decodiert und entschlüsselt wird.

 Auf dem Bildschirm erscheinen lange Codes, bestehend aus Einsen und Nullen. Rund fünf Minuten benötigt der PC, um das abgefangene Test-SMS lesbar zu machen. Laut Fiedler kann die Zeit mit leistungsfähigerer Hardware auf unter eine Minute gedrückt werden.

 Um die Verschlüsselung zu knacken, greift Fiedler auf sogenannte Rainbow-Tables zu - eine fast zwei Terabyte grosse Datenbank von Codefragmenten. Diese haben zwei Informatiker vergangenen Juli ins Internet gestellt - womit der derzeitige Verschlüsselungsstandard A5/1 definitiv als geknackt gilt.

 Was das gezielte Bespitzeln einer Person erschwert, ist, dass man sich zeitgleich mit der Person in der Nähe der gleichen Antenne befinden muss. Zudem ist die Telefonnummer des Senders erst nach der Entschlüsselung des SMS sichtbar, die Telefonnummer des Empfängers nie. Das heisst, man müsste theoretisch alle von der Antenne versandten SMS entschlüsseln, um diejenigen zu finden, welche man sucht.

 Geheimdienste tun es laufend

 Kennt man jedoch die temporäre Erkennungsnummer TMSI der im Handy eingelegten SIM-Karte im Mobilfunknetz, können bereits vor der Entschlüsselung die betreffenden Nachrichten herausgefiltert werden. Um an diese Nummer zu kommen, müsse man nicht unbedingt an das Telefon des Abhöropfers kommen, sondern diesem nur "hinterherlaufen" und ihm einige SMS zusenden. "So wie das die entsprechenden Dienste tun", fügte Fiedler an - und machte keinen Hehl daraus, dass er damit Polizei und Nachrichtendienste meint.

 Da das Abhören von SMS zwischen GSM-Antenne und Handy nicht verhindert werden kann, schlägt Fiedler vor, den Verschlüsselungsstandard des GSM-Netzes vom derzeitigen A5/1 auf den sichereren A5/3 anzuheben. Derzeit sei SMS "kein sicherer Kanal, der sich für das Übertragen vertraulicher Informationen eignet", sagt Fiedler. Er mache dies öffentlich, um dazu beizutragen, dass Schwachstellen in den Netzen der drei hiesigen Mobilfunkanbieter behoben werden. Da bis zu einer Anhebung des Verschlüsselungsstandards noch Jahre vergehen können, sind laut Fiedler Massnahmen sinnvoll, die das Abhören wenigstens erschweren. Bezüglich solcher Massnahmen seien leider nicht alle drei Schweizer Anbieter auf dem gleichen Stand.

 Anbieter beschwichtigen

 Swisscom-Sprecher Christian Neuhaus schreibt dem "Bund" auf Anfrage, "der GSM-Standard A5/1 konnte bislang unter reellen Bedingungen nicht entschlüsselt werden und gilt deshalb immer noch als sehr sicher. Denn um diesen zu entschlüsseln, wären gigantische Rechenleistungen notwendig." Die Swisscom habe den neuen Standard A5/3 getestet und sei zum Schluss gekommen, dass A5/1 für ihre Kunden sicherer sei, da A5/3 von über der Hälfte der neuen Handys nicht unterstützt werde oder deaktiviert sei.

 Orange-Sprecherin Marie-Claude Debons teilt mit, dass es betreffend des GSM-Standards bei Orange bisher keinen Fall gegeben habe, "in dem für die Kommunikation der Kunden ein Sicherheitsrisiko bestand". Doch der neue A5/3-Standard werde mit dem fortlaufenden Netzausbau in das Mobilfunknetz von Orange implementiert.

 Sunrise-Sprecher Roger Schaller räumt hingegen ein, dass der alte Standard A5/1 "möglicherweise gewisse Schwächen" habe. "Sunrise sind aber keine Probleme oder Beschwerden hinsichtlich der Sicherheit bekannt." Das Unternehmen werde Anfang 2011 eine neue Software einsetzen, die den neuen A5/3-Standard unterstütze.

 Amtlich bewilligter Abhörsender

 Um zu zeigen, dass das Abhören von SMS und sogar Gesprächen auch im Falle der Einführung eines strengeren Verschlüsslungsstandards möglich ist, ist Fiedler daran, in Biel eine selbst gebaute kleine Mobilfunkantenne aufzustellen. Dafür hat er vom Bundesamt für Kommunikation (Bakom) eigens eine Funklizenz erhalten.

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BIG BROTHER SPORT
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Newsnetz 3.12.10

Bundesgericht weist Beschwerden zum Hooligan-Konkordat ab

sda / pbe

 Die Beschwerden gegen den Beitritt der Kantone Luzern, Tessin, Basel-Land und Basel-Stadt zum Hooligan-Konkordat sind vor Bundesgericht erfolglos geblieben.

 In dem auf 2010 in Kraft getretenen Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt bei Sportveranstaltungen sind als Mittel im Kampf gegen Hooligans Rayonverbote, Meldepflichten und Polizeigewahrsam vorgesehen. Zusätzlich wird der Polizei erlaubt, die Namen von Gewalttätern an Klubs und Stadionbetreiber weiterzuleiten.

 Im vergangenen Oktober hatte das Bundesgericht die Beschwerde gegen den Konkordats-Beitritt des Kantons Zürichs abgewiesen und die geplanten Massnahmen abgesegnet. Nun sind in Lausanne auch vergleichbare Beschwerden gegen den Beitritt der Kantone Luzern, Tessin, Basel-Stadt und Basel-Landschaft erfolglos geblieben.

 Vorsorglicher Polizeigewahrsam als "ultima ratio"

 In seinem Leitentscheid vom Herbst war das Gericht zum Schluss gekommen, dass der vorsorgliche Polizeigewahrsam als "ultima ratio" mit der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) zu vereinbaren sei. Die Massnahmen würden insgesamt die Unschuldsvermutung und die Versammlungsfreiheit betroffener Personen nicht verletzen.

 Das Eidgenössische Parlament hatte 2007 unter anderem mit Blick auf die Fussball-EM 2008 Massnahmen gegen Hooligans beschlossen, die wegen Zweifeln an der Zuständigkeit des Bundes aber bis Ende 2009 befristet wurden. Die Kantone schlossen deshalb das Konkordat, dem mittlerweile alle Kantone beigetreten sind.

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Tachles 3.12.10

RASSISMUS IM STADION

 Mehr Integrationsarbeit nötig

 Rassismus und Rechtsextremismus sind in europäischen Fussballstadien weit verbreitet. Ein Blick auf die Situation in der Schweiz.

VON DANIEL ZUBER

 Fussball ist eine der beliebtesten und verbreitetsten Sportarten der Welt. Es wird nicht nur auf der ganzen Welt Fussball gespielt, Millionen von Menschen besuchen auch regelmässig die Stadien ihrer bevorzugten Mannschaft und verfolgen die Spiele am TV. Das Spiel hat ein gewaltiges integratives Potenzial, wie immer wieder betont wird, es baut jedoch auch auf Rivalität, Abgrenzung und lokaler Identität auf, weshalb Fussball stets auch von Herabwürdigungen, Konflikten und Gewalttätigkeiten begleitet wird.

 Rechtsextremismus im europäischen Fussball

In den vergangenen Jahren machten gewalttätige Fussballfans, die oft der rechtsextremen Szene zuzuordnen sind, immer wieder Schlagzeilen. 2005 wurde etwa der ehemalige Kapitän des italienischen Vereins Lazio Rom, Paolo Di Canio, von der Disziplinarkommission des italienischen Fussballverbands FIGC zur Zahlung einer Geldstrafe von 10000 Euro verurteilt, weil er beim Stadt-Derby gegen die AS Roma seine Anhänger mit dem faschistischen römischen Gruss, welcher damals Benito Mussolini galt, salutiert hatte. Anfang Februar 2007 kam auf Sizilien ein 38-jähriger Polizist bei heftigen Fussballkrawallen ums Leben und mehr als 70 Menschen wurden verletzt. Der getötete Polizist hatte zuvor in einem Prozess gegen rechtsradikale Fans ausgesagt. Auch beim kürzlich ausgetragenen EM-Qualifikationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua kam es zu wüsten Ausschreitungen, die den vorzeitigen Abbruch des Spiels herbeiführten. Bilder von serbischen Hooligans mit ausgestrecktem rechtem Armen gingen durch die Medien und es wird darüber spekuliert, ob besagte Hooligans Handlanger rechter Kräfte in Belgrad seien. In Frankreich machten Ende November 2006 nach einem Spiel zwischen Paris St-Germain (PSG) und Hapoel Tel Aviv etwa 150 PSG-Fans Jagd auf Anhänger des israelischen Vereins. Nachdem ein dunkelhäutiger Zivilpolizist einen jüdischen Fan beschützen wollte, wurde auch dieser attackiert. worauf er sich mit zwei Schüssen gewehrt hat, welche einen jugendlichen PSG-Fan töteten und einen anderen schwer verletzten. Diese Aufzählung könnte lange weitergeführt werden.

 Rassismus im Schweizer Fussball

Auch in der Schweiz machten Rassismus und rechte Gewalt auf und neben dem Fussballfeld bereits Schlagzeilen. So musste etwa ein vermeintlich jüdischer Fussballtrainer im November 2008 nach einer Schlägerei ins Spital eingeliefert werden (vgl. tachles 45/08) und es kam in einem Extrazug des FC Basel (FCB) Ende August 2007 zu rassistischen Ausschreitungen, woraufhin der Fussballverein eine Fachgruppe gegen Antisemitismus und Rassismus gründete (vgl. tachles 38/07 und 39/07), welche laut dem Mediensprecher des FCB, Josef Zindel, die Ergebnisse ihrer Arbeit voraussichtlich nächsten Frühling öffentlich kommunizieren wird.

 Nicht selten treten latent in der Bevölkerung vorhandene Vorurteile und Einstellungen gerade bei emotional geladenen Fussballspielen zum Vorschein. Rassismus und Fremdenfeindlichkeiten beginnen dabei schon etwa bei herablassenden Kommentaren über die deutsche Nationalelf, welche dann mit einer generellen Voreingenommenheit gegen die Deutschen per se begründet werden. Michael Chiller-Glaus, Leiter der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA), bezeichnet den Fussball im Gespräch mit radio tacliles als "das fast grösste Ausdrucksfeld des Rassismus in der Schweiz". Rassismus, Antisemitismus und Homophobie seien in Schweizer Stadien verbreitet, wenn auch nicht virulent. Das Problem wurde auch in der Schweiz schon länger erkannt und verschiedene Organisationen und Projekte versuchen dem Rassismus in Schweizer Stadien entgegenzutreten.

 Im Kampf gegen den Rassismus

Die GRA sei in Zusammenarbeit mit anderen NGOs an verschiedenen Projekten gegen Rassismus im Fussball beteiligt, so Chiller-Glaus weiter. Zum Rückrundenstart will etwa die Schweizer Sektion des Netzwerks Football Against Racism in Europe (FARE) eine Meldestelle für rassistische Vorfälle im Fussballstadion lancieren.
 Die Ligue internationale contre le racisme et l‘antisémitisme ist dabei als Partner des FARE-Netzwerks Schweiz für die Romandie zuständig, während für die Deutschschweiz das Projekt gggfon die Meldestelle betreut. Diese "Rassismus-Hotline" dient auch der statistischen Erfassung rassistischer Zwischenfälle beim Fussball, zumal heute dazu noch keine verlässlichen Daten existieren. Kürzlich sind zudem die FARE-Aktionswochen zu Ende gegangen. Europaweit wurden mehr als 2000 Aktionen gegen Rassismus im Fussball durchgeführt.
Lukas Meier, Geschäftsführer der Schweizer Sekktion des FARE-Netzwerks und Fanarbeiter bei den Berner Young Boys, unterstreicht die Wirksamkeit  und die Wichtigkeit solcher Aktionen. So machten in den neunziger Jahren vermehrt rassistische und neonazistische Hooligans das Berner Wankdorfstadion unsicher. Dunkelhäutige Spieler wurden systematisch beleidigt und Fans trugen teilweise gar Hakenkreuzsymbole zur Schau. Im März 1996 trat daraufhin der Verein Gemeinsam gegen Rassismus erstmals an die Öffentlichkeit und stieg als Trikotsponsor bei den BSC Young Boys ein. Durch Aktionen wie Podiumsgespräche, Publikationen in der Stadionzeitung, Medienauftritte und Lautsprecherdurchsagen gelang es den Initianten von Gemeinsam gegen Rassismus, die verschiedenen Formen von Fremdenfeindlichkeit intensiv zu thematisieren. Die Situation habe sich daraufhin in Bern stark verändert, wie Meier betont. Rassistische Äusserungen würden heute in den Fankurven nicht mehr geduldet. Dabei sei die Situation in den neunziger Jahren tatsächlich auf der Kippe gewesen, man habe aber noch rechtzeitig Gegensteuer gegeben.

Hin zur Ultrà-Bewegung

Heute orientierten sich die radikalen Fans in der Schweiz eher an der Ultrà-Bewegung, welche ihre Wurzeln in Italien habe, so Meier weiter. Bei den Ulträs handelt es sich um fanatische Anhänger, deren Ziel es ist, ihren Verein bestmöglich zu unterstützen. Neben akustischen Einlagen geschieht dies auch durch optische Hilfsmittel wie Konfettiregen, bengalisches Feuer, Fahnenmeere und aufwändige Choreografien.

 Fankultur und Identität stehen im Mittelpunkt, Protest gegen die Kommerzialisierung des Sports und gegen das Vorgehen von Polizei und Ordnungskräften wird oft laut. Ultràs sind oft apolitisch, es existieren jedoch betont linksextreme Ultrà-Gruppen, wie etwa die mittlerweile aufgelösten Brigate Autonome Livornesi des AS Livorno Calcio, das antifaschistisch eigestellte Commando Ultrà 84 und die South Winners 87 aus Marseilles aber auch betont rechtsextreme Fangruppen wie die Irriducibili Lazio des ehemaligen Lieblingsvereins von Benito Mussolini.

 Thomas Gander, Geschäftsführer von Fanarbeit Schweiz, dem Dachverband für sozioprofessionelle Fanarbeit in der Schweiz, unterstreicht ebenfalls das Erstarken der Ultrà-Bewegung in den letzten Jahren. Wertvorstellungen und Begrifflichkeiten in den Schweizer Fankurven widerspiegelten dabei jedoch vermehrt linkes Gedankengut. Dies zeige sich etwa an der antiautoritären Einstellung und dem Konfrontationskurs mit der Polizei. Josef Zindel stellt weiter Folgendes fest: "Im St. Jakob -Park, im Fansektor des FCB (Muttenzerkurve) hat der Rassismus in den letzten Jahren sehr deutlich abgenommen, er ist für uns nicht mehr sichtbar - gemäss unseren Beobachtungen die Folge intensiver Fanarbeit und einer fortgeschrittenen Selbstregulierung innerhalb einer Fankurve, die sich selbst vom Rassimus distanziert."

Wichtige Integrationsarbeit

Rassismus und Rechtsextremismus beim Fussball bleiben trotz allem ein aktuelles Thema, welches sich nicht ignorieren lässt.
Die Ereignisse am EM-Qualiflkationsspiel zwischen Italien und Serbien in Genua vom 12. Oktober haben dies eindringlich verdeutlicht. Dabei scheint sich der Rechtsextremismus in verschiedenen Ländern Europas als festes Element in der Fankultur verankert zu haben. Was Fanarbeiter Thomas Gander jedoch mit Sicherheit verneinen kann, ist, dass es in Schweizer Stadien ideologischen Rechtsextremismus gibt, welchen politische Parteien zu instrumentalisieren versuchten. Auch im Rahmen des Nationalen Forschungsprojekts NFP4O+ "Das Fussballstadion als Treffpunkt und als Ort der Rekrutierung und der Geselligkeit der extremen Rechten?", wurde unter der Leitung des Sozialwissenschaftlers Thomas Busset die vermehrte Identifikation mit der Ultrà-Bewegung der radikalen Fans in der Schweiz festgestellt.

 Dabei ist den Beobachtungen des Forschungsteams zufolge das rechtsextreme Element seit Beginn des neuen Jahrtausends rückläufig. Der Sport sei jedoch dennoch anfällig für extremistische Aktivitäten und gerade präventive Massnahmen würden in der Schweiz viel zu wenig durchgeführt. Fanarbeiter Lukas Meier sieht dabei vor allem in den unteren Ligen die wirklichen Brennpunkte. Hier komme es immer wieder zu rassistisch motivierten Konflikten (vgl. tachles 45/08) und es müsste mehr Integrationsarbeit geleistet werden. 0

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IN KÜRZE

MEHR ALS 100 EINTRÄGE

> Das von der Gesellschaft gegen Rassismus und Antisemitismus (GRA) auf ihrer Website veröffentlichte Nachschlagewerk zu historisch belasteten und vermeintlich belasteten Begriffen wächst weiter. Das positive Echo aus den Medien (vgl. auch tachles 8/10) stellt einen weiteren Anreiz für die GRA dar, die hohe Qualität der Einträge im GRA-Glossar aufrecht zu erhalten. Diese sind kurz und bündig gehalten, gut zu lesen und ermöglichen eine schnelle und fundierte Vertiefung zu zahlreichen Begriffen. Das Glossar richtet sich an Journalisten, Lehrkräfte, Schüler, Studierende, Politiker und historisch Interessierte, die auf diese Weise die aktuelle Bedeutung und Konnotationen ausgewählter Wörter schnell und einfach abfragen können. [TA]

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RECHTSEXTREMISMUS
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Indymedia 4.12.10
http://ch.indymedia.org/de/2010/12/79091.shtml (mit Foto)

Übergriff vom 4.12.2010 von Nazis in Bern

AutorIn : schaut nicht weg

    
Eine Gruppe von drei Neo-Nazis hat versucht am Hauptbahnhof Bern drei Antifaschistinnen an zu greifen ca um 3.ooUhr. Dies misslang aber komplett da eine von ihnen gas ab bekam einzig identifizierbare Person war:
Tobias Siegenthaler
Hohgantweg 7
3506 Grosshöchstetten
Elektriker, Etavis Beutler
Laut eigenen Angaben Mitglied der Hj Emmental

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Basler Zeitung 3.12.10

Neuer Anschlag auf "Power Zone"-Laden

 Sachbeschädigung. Der Konflikt rund um den Kleinbasler Laden "Power Zone" bei der Johanniterbrücke spitzt sich weiter zu. Gestern schlugen Unbekannte das Schaufenster des Geschäfts an der Feldbergstrasse ein. Seit der Eröffnung des Ladens im September gibt es Widerstand aus linksextremen Kreisen. Zuerst wurde auf Flugblättern kritisiert, dass "Power Zone" auch die bei rechtsextremen beliebten Kleidermarken "Thor Steinar" oder "Pit Bull" verkauft. Ende Oktober musste dann die Feuerwehr wegen eines vor dem Laden deponierten und angezündeten Molotow-Cocktails ausrücken (die BaZ berichtete). Und erst am vergangenen Wochenende sprayten Personen, die gegen die Annahme der Ausschaffungsinitiative protestierten, "Stop Nazis" auf die Scheibe. Das Foto ist auf der Homepage des "Revolutionären Aufbaus" zu sehen.  daw

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Liechtensteiner Vaterland 1.12.10

Der rechten Szene entgegenwirken

 Wenn sich Jugendliche Gruppierungen anschliessen, sind Eltern meist besorgt. Oft wissen sie gar nicht recht, was mit dem Kind passiert ist. Um dieser Ungewissheit vorzubeugen, fand am Donnerstag eine Informationsveranstaltung zum Thema Rechtsextremismus statt.

 Von Ramona Banzer

 Eschen. - Manchmal ist es schwer, sein eigenes Kind einzuschätzen. Diese Schwierigkeit erreicht meist ihren Höhepunkt mit der Pubertät. Bereits Jahre bevor es zum Jugendlichen wird, machen sich Eltern Gedanken, wie man sein Kind von schlechten Einflüssen, schlimmen Erfahrungen und einem falschen Freundeskreis abhalten kann. Doch trotz aller Bemühungen kommt für viele die Zeit, in der sie folgende Beobachtungen machen: Das Kind fängt an, andere Kleidung zu tragen, sie bewusster zu tragen, interessiert sich sehr für Musik und hat Freunde und Bekannte, die es öfters treffen möchte und die wahrscheinlich ähnlich gekleidet sind und ähnliche Musik hören.

 Obwohl sich diese Beschreibung wie ein Krimi liest, heisst das noch nicht, dass man sich wegen jeder Veränderung Sorgen machen muss. Doch stellt sich die Frage, wann es gefährlich wird. Das heisst, wann könnte sich der Jugendliche auf der falschen Spur befinden? Heute gibt es unzählige Gruppierungen, von Hiphoppern über Skater bis hin zu Gothics und Skinheads. Diese Vielfalt macht die Unterscheidung schwer, was davon unbedenklich ist und was nicht. Am Donnerstag wurde die im Allgemeinen als gefährlich angesehene rechte Szene im Rahmen der Informationsveranstaltung "Das Versteckspiel" behandelt.

 Keine blossen Schmuckstücke

 Als Erwachsener hat man zumeist nicht mehr viel zu tun mit Jugendströmungen. Deshalb erkennen manche Eltern Symbole oder Dresscodes nicht, die auf eine solche Strömung hinweisen. Konsequenz daraus ist beispielsweise die Fehleinschätzung, dass gewisse Anhänger blosse Schmuckstücke seien, obwohl in Wirklichkeit eine Aussage dahintersteckt. Schulsozialarbeiter Harald Kreuzer stellte zunächst einige Kleidermarken und Symbole vor, die oftmals von Angehörigen von rechtsextremen Gruppen verwendet werden. "Hakenkreuze, der Reichsadler oder das White- Power-Symbol sind den meisten Menschen geläufig. Allerdings sind auch Zahlencodes, die für Buchstaben stehen, sehr beliebt", weist er auf diese "szeneninternen" Zeichen hin, die auf den ersten Blick für Aussenstehende nicht erkennbar sind. Als bevorzugte Kleidermarken wurden u.a. "Lonsdale", "Pit Bull", "Fred Perry" oder "Consdaple" aufgezählt, zudem seien Stahlkappenschuhe und Bomberjacken beliebt.

 Bevorzugte Musik

 Da Musik bei Jugendgruppierungen ebenfalls eine grosse Rolle spielt, stellte Marcel Lampert, Mitarbeiter der offenen Kinder- und Jugendarbeit, beliebte Rechtsrock-Interpreten vor. Hierbei verwies er unter anderem auf Landser, Skrewdriver und Frank Rennicke. Die bekannte Band Böhse Onkelz behandelte er besonders ausführlich: "Anfang der 80er-Jahre galten die Böhsen Onkelz als Pioniere des Rechtsrocks. 1988 haben sie sich aber vom Neonazismus abgewendet. Deshalb sollte man sich als Elternteil nicht sofort sorgen, wenn der Junior einen Pullover der Band anzieht. Doch konnten sie sich von ihrem rechtsextremen Ruf nie ganz befreiten. Wachsamkeit wäre also optimal."

 Ideologie oder Zufluchtsmöglichkeit?

 Der Jugendarbeiter und Vorsitzende der Fachgruppe Rechtsextremismus, Ludwid Frommelt, erklärte, was der Rechtsextremismus beinhaltet und wie er sich in Liechtenstein äussert: "Seit 1991 wurden immer mehr rechtsextreme Personen beobachtet und registriert. Gewaltanwendungen, Auftreten an öffentlichen Veranstaltungen, Flugblätter und Kleber gibt es bis heute immer wieder", hielt er fest.

 Laut seiner Erfahrung handelt es sich bei Rechtsextremen grösstenteils um männliche Personen. "Vielfach werden Jüngere von den älteren Jugendlichen in die Szene gelockt, z. B. mit Geschenken wie CDs oder indem sie für die Jüngeren Alkohol einkaufen. Oftmals geht es bei den Jugendlichen gar nicht so sehr um die Ideologie, sondern eher um Anerkennung." Gerade Jugendliche, welche sich unscheinbar, unwichtig oder alleine fühlen, meinten, innerhalb solcher Gruppen Freunde und Zugehörigkeit zu finden. "Wenn man auf einen Jahrmarkt in einer grossen Gruppe auftritt, wirkt das imposant auf andere", hält er beispielhaft eine Situation aus der Perspektive eines Jugendlichen fest.

 Auf die Frage, wie sich Jugendliche verhalten bzw. sich wehren können, wenn sie angepöbelt werden, rät er: "Sie sollten sich Hilfe von Erwachsenen suchen. Dies können die Eltern, Lehrer, Veranstalter oder auch die Polizei sein."

 "Es braucht immer zwei"

 Im Publikum wurde der Fall geschildert, dass Kinder und Jugendliche Angst hätten, sich an der Schaaner Post oder beim Bahnhof in Buchs aufzuhalten, weil dort viele Gruppierungen von Ausländern vertreten seien. Ludwig Frommelt zeigte in seiner Antwort einen Lösungsansatz auf: "Konfrontationen und Probleme werden beobachtet, das ist unbestreitbar. Es braucht immer zwei. Hierbei ist es wichtig, sich nicht davor zu verschliessen, denn eine Ignoranz vor der realen Situation bringt nur neue Probleme mit sich."

 Gesetzeslage in Liechtenstein

 Auf Anfrage des "Liechtensteiner Vaterlands" erklärt Polizist Peter Elkuch die Gesetzeslage in Liechtenstein: "Der Polizei sind in vielerlei Hinsicht die Hände gebunden. Allerding schöpfen wir das Potenzial, das wir haben, voll aus. So machen wir Gebrauch von der Möglichkeit, Propagandamaterial sicherzustellen, einzuziehen und zu beschlagnahmen. Darüber hinaus registrieren wir rechtsradikale Personen."

 Er rät Eltern, strenger zu sein und nicht über das Fehlverhalten von Sohn oder Tochter hinwegzusehen: "Wir beobachten oft, dass Eltern sich die Situation nicht eingestehen, Jugendliche sogar in Schutz nehmen oder ihnen ein Alibi geben."

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TASER
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Zürichsee-Zeitung 1.12.10

Paris

 Tödlicher "Taser"-Einsatz

 Ein illegaler Einwanderer aus Mali ist gestern durch einen Polizei-"Schuss" aus einem Elektroschocker, einem sogenannten "Taser", in Paris gestorben. Der 38-Jährige versuchte, sich einer Festnahme zu widersetzen. Die Polizisten hätten zuvor Reizgas gegen den kräftig gebauten Mann eingesetzt, der mit einem Hammer um sich schlug. (dpa)

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Le Matin 1.12.10

Mort après deux décharges de Taser

 France. Un sans-papiers malien a perdu la vie après avoir été touché par deux tirs de pistolet électrique lors d'une intervention policière.

 Un Malien de 38 ans en situation irrégulière est décédé hier près de Paris après avoir reçu deux décharges de pistolet électrique Taser tirées par des policiers, une mort qui relance le débat de l'usage de cette arme par les forces de l'ordre en France. Contrairement aux Etats-Unis et au Canada, c'est la première fois en France qu'une utilisation du Taser coïncide avec la mort d'un homme. Mais des associations avaient déjà dénoncé la dangerosité de ce pistolet qui tétanise la personne visée par une décharge électrique de 50 000 volts.

 Le sans-papiers malien pourrait donc être la première victime du Taser en France, même si son fabricant assure qu'elle n'a jamais tué. "Face à l'agressivité et à la violence de cette personne (…), les policiers ont été contraints d'utiliser le pistolet à impulsion électrique", a estimé le ministre français de l'Intérieur, Brice Hortefeux.

 L'homme, armé d'un marteau, a "pété les plombs" au moment où des policiers voulaient contrôler son identité après avoir été appelés vers minuit pour une dispute à Colombes (près de Paris). Il a tenté de frapper les fonctionnaires et a d'ailleurs légèrement blessé quatre policiers, a précisé Brice Hortefeux.

 Les policiers ont fait usage du Taser après avoir utilisé en vain du gaz lacrymogène et un bâton de défense sur cet homme ayant une forte corpulence. Les deux décharges - il y en aurait même eu trois selon un témoin - n'ont pas semblé d'abord avoir eu d'effet sur lui car il était même parvenu à retirer les fils électriques projetés par le Taser après la première décharge. Mais le trentenaire a fait un malaise plus tard dans l'ascenseur au moment où il était emmené au commissariat. Les pompiers et les services médicaux d'urgence ont tenté en vain de le réanimer.

 Dispute avec le logeur

 Installé en France depuis 2003, ce Malien ne disposait plus de titre de séjour valable et était sous le coup d'un arrêté de reconduite à la frontière. Les policiers sont intervenus alors qu'il se disputait avec la personne qui le logeait et voulait récupérer son appartement. "Seule l'autopsie de cet homme permettra de dire si notre pistolet est responsable du décès", a estimé Antoine di Zazzo, le directeur de Taser France, la société qui commercialise ce pistolet. "A ce jour, dans le monde, le Taser n'a jamais tué quelqu'un", a-t-il assuré.

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MUSSOLINI
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WoZ 2.12.10

"Viva Mussolini!"

 Wie Mussolini zum "guten Onkel" wurde

 Verstehen Sie eigentlich noch, was in Italien politisch abläuft? Wer da grad an welcher Schraube dreht und weshalb die Rechte trotz ihrer Skandale populär ist? Wenn nicht, dann lesen Sie zwei Bücher.

 Von Pit Wuhrer

 In der norditalienischen Stadt Reggio Emilia steht am Rande der grossen Piazza della Vittoria ein kleines Denkmal. "Im Volkskampf gegen die autoritäre Restauration sind am 7. Juli 1960 auf diesem Platz fünf Antifaschisten gefallen", heisst es auf der in den Betonsockel eingelassenen Kupfertafel. Es folgen die Namen, darunter die von zwei ehemaligen Partisanen. Die fünf Männer waren von der Polizei erschossen worden, als sie - wie damals im Sommer 1960 Hunderttausende - gegen die Regierung des rechten christdemokratischen Ministerpräsidenten Fernando Tambroni protestierten. Diese hatte dem neofaschistischen Movimento Sociale Italiano (MSI) gestattet, einen Parteitag in Genua abzuhalten, damals eine an ti fa schis ti­sche Hochburg. In Nord- und Mittelita lien - teilweise sogar im konservativen Süden - kam es zu Demonstrationen, Kundgebungen und Streiks; der Parteitag wurde abgesagt.

 Heute darf herumgepöbelt werden

 Und heute? Heute können Abgeordnete von MSI-Nachfolgeorganisationen im Parlament herumpöbeln. Heute darf ein Kabinettsmitglied wie die Tourismusministerin Michela Vittoria Brambilla an einer Carabinieriveranstaltung den rechten Arm zum faschistischen "römischen Gruss" recken - und kaum jemand fordert ihren Rücktritt. Heute haben zahlreiche Gemeinden Strassen, Plätze und Parks nach dem MSI-Gründer Giorgio Almirante benannt. Und Gianfranco Fini, Almirantes politischer Ziehsohn, der den faschistischen Diktator Benito Mussolini einmal den "grössten Staatsmann des 20. Jahrhunderts" genannt hatte, gilt als demokratischer Hoffnungsträger, weil er sich von Silvio Berlusconi getrennt hat.

 Was ist da falsch gelaufen? Warum hat sich in Italien im Unterschied zu anderen europäischen Staaten, die nach dem Ende des Kalten Kriegs ihre Geschichte aufzuarbeiten begannen, ein Geschichtsrevisionismus entfalten können, der es auch bürgerlichen Politikerinnen und Honoratioren erlaubt, die "guten Seiten" des italienischen Faschismus hervorzuheben, der eine Million Menschen das Leben gekostet hat? Wieso darf Italiens Ministerpräsident Berlusconi behaupten, das "gutartige" Regime des "Duce" habe niemanden ermordet, sondern bloss ein paar Antifaschisten "in Urlaub" geschickt? Diese Fragen beantwortet der Luzerner Historiker und Faschismusforscher Aram Mattioli in seinem neuen, überaus informativen, mit vielen Quellen belegten Buch "Viva Mussolini!".

 Mattioli schildert detailliert die "Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis" (so der Untertitel). Er beschreibt, wie sich unmittelbar nach dem Niedergang der Ersten Republik 1994 - die Skandale von Tangentopoli hatten das alte Parteiensystem und insbesondere die staatstragende Democrazia Cristiana zu Fall gebracht - das Rechtsbündnis von Forza Italia, Lega Nord und der MSI-Nachfolgepartei Alleanza Nazionale daran machte, den italienischen Faschismus zu verharmlosen. Nüchtern und kenntnisreich zeigt er auf, dass schon in den achtziger Jahren die SozialistInnen um Bettino Craxi den damals noch vorhandenen antifaschistischen Grundkonsens aufbrachen. Und dass auch die KommunistInnen Mitschuld daran hatten, dass es in Italien nie zu einer Aufarbeitung der faschistischen Geschichte kam.

 Generalamnestie durch Togliatti

 Denn es war der kommunistische Parteichef Palmiro Togliatti gewesen, der schon 1946 als damaliger Justizminister eine Generalamnestie erliess. Togliatti habe schon in seinem Moskauer Exil die Ansicht vertreten, so Mattioli, "dass es der Faschismus nicht vermocht habe, in die Seelen der Italiener einzudringen und diese zu korrumpieren, weil diese Diktatur im Widerspruch zu den tief verwurzelten Traditionen der italienischen Zivilisation stehe".

 Der Faschismus als Betriebsunfall? Es waren natürlich nicht nur Naivität, Anpassung und Einfallslosigkeit, die die Politik der Kommunistischen Partei PCI nach dem Kriegsende prägten (sehr schön beschrieben von der ehemaligen Partisanin und linken Kommunistin Rossana Rossanda in ihrem Erinnerungsband "Die Tochter des 20. Jahrhunderts", Suhrkamp-Verlag, 2007). Auch taktische Erwägungen spielten bei Togliattis Amnestie eine Rolle: Die nach dem Krieg zutiefst gespaltene Bevölkerung sollte geeint werden.

 Demontierte Mythen

 Die Folgen waren verheerend. Denn plötzlich waren alle ItalienerInnen in der Resistenza gewesen, der Antifaschismus verkam zur Monstranz, der PartisanInnenkampf - bei dem Zehntausende ihr Leben verloren - wurde mythisch überhöht. Und konnte wie alle Mythen demontiert werden. Rechte Publizist Innen fan den her aus, was seriöse Historiker längst geschrieben hatten, die Linke aber nie wahrhaben wollte: Auch die Resistenza hatte Kriegsverbrechen begangen. Es waren zwar nur wenige Fälle im Vergleich zu Mussolinis Massakern in Libyen, in Äthiopien, auf dem Balkan und im Spanischen Bürgerkrieg. Aber Berlusconis Medienmaschinerie griff jede Kritik an der Resistenza begierig auf, zermalmte die Erinnerung an den wahren Charakter des Faschismus ("der gute Onkel Mussolini") und beförderte mit der Gleichsetzung von Faschismus und Antifaschismus die von der italienischen Bourgeoisie seit langem vertretene Ansicht, dass Mussolinis Diktatur nur ein historisch notwendiges Modernisierungsregime gewesen sei.

 Dass sie das nie war, dass die "Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert" vor allem als eine Geschichte von Klassenkämpfen und politischen Auseinandersetzungen gelesen werden muss, zeigt das neue Buch des enorm faktenkundigen Historikers Hans Woller, dessen Recherchen auch Mattioli zitiert. In der wohl besten deutschsprachigen Zusammenfassung der italienischen Geschehnisse während der letzten hundert Jahre beschreibt Woller die Ursachen für die vielfältige Zerrissenheit des Landes. Seit der Staatsgründung 1861 ist Italien geteilt - in Nord und Süd, in Arm und Reich, in links und rechts. Woller (fürwahr kein Linker) erläutert, wieso es zur bemerkenswerten Distanz zwischen Bevölkerung und Staat kam (die Haltung des Vatikans spielte eine erhebliche Rolle), weshalb die Industrialisierung in Italien so spät erfolgte, was deren Scheitern mit Berlusconis Aufstieg zu tun hatte - und dass die Politik der PCI nicht etwa von Moskau, sondern in Washington bestimmt wurde: Während der Blockkonfrontation des Kalten Kriegs drohten die USA wiederholt mit einer militärischen Intervention, sollten die BürgerInnen des Frontstaats Italien eine linke Regierung wählen.

 Wer Zeit hat, sollte beide Bücher lesen. Und hat nach der Lektüre viel begriffen.

 Aram Mattioli: "Viva Mussolini! Die Aufwertung des Faschismus im Italien Berlusconis". NZZ Libro. Zürich 2010. 202 Seiten. 38 Franken.

 Hans Woller: "Geschichte Italiens im 20. Jahrhundert". C. H. Beck. München 2010. 480 Seiten. Fr. 56.90.

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ANTI-ATOM
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Bund 3.12.10

Der Ständerat setzt auf Atomkraft

 Der Ständerat hat in der Debatte über neue AKW ein erstes Zeichen gesetzt: Er hat eine Basler Standesinitiative abgelehnt, die den Verzicht auf neue AKW fordert.

 Die Initiative des Kantons Basel-Stadt erlitt in der kleinen Kammer mit 24 zu 11 Stimmen deutlich Schiffbruch. Kritik an dem Basler Anliegen kam vor allem aus den Reihen von FDP, CVP und SVP: Die Basler wollten mitten im Spiel die Regeln ändern, lautete der bürgerliche Tenor. Die Verfassung schreibe eine ausreichende und breit gefächerte Energieversorgung vor. Keine Energiequelle werde ausgeschlossen. Der Bundesrat habe die Umsetzung der Verfassungsbestimmung in seiner 4-Säulen-Strategie festgelegt: Neben einer Verbesserung der Energieeffizienz und eines Ausbaus der erneuerbaren Energien setzt der Bundesrat auch auf Grosskraftwerke sowie Stromimport.

 Das Entscheidverfahren für den Bau neuer Atomkraftwerke sei im Kernenergiegesetz geregelt, sagte Rolf Büttiker (FDP), der den AKW-Standortkanton Solothurn im Ständerat vertritt. Der Entscheid werde dabei dem Souverän überlassen. Entscheiden könne das Stimmvolk voraussichtlich 2013. Die Standesinitiative wolle diesen Entscheid vorwegnehmen, kritisierte Büttiker.

 Zu teure erneuerbare Energien

 Der Weg, den Basel vorschlägt, um den Wegfall der Atomenergie zu kompensieren, erachtet Rolf Schweiger (FDP, ZG) als zu teuer. Eine reiche Region wie Basel könne es sich leisten, voll auf erneuerbare Energien zu setzen, sagte er. Für die Restschweiz sei dies zu teuer.

 In der Standesinitiative fordert das Parlament des Kantons Basel-Stadt Massnahmen zugunsten der erneuerbaren Energien sowie zur Steigerung der Energieeffizienz. Die Einspeisevergütung sowie die Bestimmungen zur Energieeffizienz sollen auf ihre Wirkung geprüft werden. Auf Basis dieser Erkenntnisse sollen die entsprechenden Gesetze angepasst und zusätzliche marktwirtschaftliche Instrumente für mehr Energieeffizienz eingeführt werden.

 Falls es dennoch zu einer Stromlücke kommen sollte, müsse die Schweiz sauberen Strom auf dem europäischen Markt einkaufen, fordert Basel-Stadt.

 Linke kritisiert fehlenden Willen

 Ständerätinnen und Ständeräte der SP, der Grünen und der Grünliberalen forderten den Rat vergeblich dazu auf, der Standesinitiative Folge zu geben.

 Es sei eine Frage des politischen Willens, den Verzicht auf neue AKW zu ermöglichen. Basel-Stadt zeige, dass eine neue Energiepolitik nicht nur möglich und wirksam, sondern auch wirtschaftlich sei. Nicht wegen des hohen Pro-Kopf-Einkommens sei Basel bei den erneuerbaren Energien Vorreiter, sondern wegen des klaren Bekenntnisses gegen die Atomkraft, sagte die Vertreterin des Kantons Basel-Stadt, Anita Fetz (SP). Der Genfer Ständerat Robert Cramer (Grüne) wies vergeblich auf die Gefahren der Nukleartechnologie und das ungelöste Atommüllproblem hin. Die bürgerlichen Ständeräte hielten diesen Argumenten entgegen, dass bisherige Unfälle auf Nichteinhaltung der Sicherheitsvorschriften zurückzuführen seien.

 Nach dem Ständerat muss sich nun der Nationalrat zur Basler Standesinitiative äussern.

 Zurzeit sind in der Schweiz Rahmenbewilligungsgesuche für drei neue Atomkraftwerke hängig. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) erachtet die vorgeschlagenen Standorte in Beznau AG, Gösgen SO und Mühleberg BE als geeignet.

 Der Bundesrat wird voraussichtlich Mitte 2012 über die drei Gesuche entscheiden. Danach ist die Reihe am Parlament und später am Souverän.(sda)

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 Zürcher Regierung zur Atomfrage

 Für AKW, gegen Endlager

 Die Zürcher Kantonsregierung wagt den atompolitischen Spagat: In ihrem neuesten Energieplanungsbericht hält sie an ihrem Bekenntnis zur Kernkraft fest. Gleichzeitig lehnt sie ein Endlager auf Kantonsgebiet aber weiterhin ab.

 Der Regierungsrat unterstützt in seinem gestern präsentierten Bericht die Pläne der Axpo für den Bau eines neuen AKW als Ersatz für Beznau I und II. An der Axpo ist der Kanton zusammen mit den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich mit rund 37 Prozent beteiligt.

 Auch was die Suche nach einem Endlager von hoch radioaktiven Abfällen anbetrifft, hat sich der Regierungsrat gestern geäussert - zwei von drei möglichen Standorten liegen im Kanton Zürich. Die Suche nach einem Endlagerstandort werde vom Kanton Zürich "kritisch begleitet", sagte der federführende Baudirektor Markus Kägi (SVP). Auf Nachfrage präzisierte er, die Grundhaltung der Kantonsregierung habe sich nicht geändert: "Wir sind gegen einen Tiefenlagerstandort auf Kantonsgebiet."

 Für den Bericht erntete die Kantonsregierung Kritik von links bis rechts: Bürgerliche kritisierten die Haltung der Exekutive in der Endlagerfrage: "Wer auf Atomstrom setzt, muss auch mit einem Tiefenlager im Kanton leben können", sagte etwa Thomas Vogel, der FDP-Fraktionschef im Zürcher Kantonsrat.

 Aufgeschreckt hat die Regierung mit ihrer AKW-freundlichen Haltung aber vor allem die links-grünen Atomgegner: Aus ihren Kreisen erklingt nun der Ruf nach einer Volksabstimmung. Das Ziel: Ausstieg des Kantons Zürich aus der Atomenergie. Die kantonale SP erwägt die Lancierung einer entsprechenden Initiative, an der auch die Grünen Interesse signalisieren. Vorerst wollen die Atomgegner im bürgerlichen Kanton Zürich aber einen wichtigen Stimmungstest abwarten, nämlich die Mühleberg-Abstimmung vom Februar im Kanton Bern.(sth/rd/sda)

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BZ 3.12.10

Ständerat setzt ein Zeichen für AKW

 EnergiepolitikDer Ständerat hat gestern nach eingehender Debatte eine Standesinitiative abgelehnt, die einen AKW-Verzicht forderte.

 Der Ständerat hat in der Debatte über neue Atomkraftwerke ein erstes Zeichen gesetzt. Er hat am Donnerstag mit 24 zu 11 Stimmen eine Standesinitiative des Kantons Basel-Stadt abgelehnt, die den Verzicht auf neue AKW fordert. Die Vertreter aus den Reihen der FDP, der SVP und der CVP kritisierten, dass die Basler mitten im Spiel die Regeln ändern wollten. Die Verfassung schreibe eine ausreichende und breit gefächerte Energieversorgung vor. Keine Energiequelle werde ausgeschlossen.

 Der Bundesrat habe die Umsetzung der Verfassungsbestimmung in seiner Viersäulenstrategie festgelegt: Neben einer Verbesserung der Energieeffizienz und eines Ausbaus der erneuerbaren Energien setzt der Bundesrat auch auf Grosskraftwerke sowie Stromimport.

 Das Entscheidverfahren für den Bau neuer Atomkraftwerke sei im Kernenergiegesetz geregelt, sagte Rolf Büttiker (FDP), der den AKW-Standortkanton Solothurn im Ständerat vertritt. Der Entscheid werde dabei dem Souverän überlassen. Entscheiden könne das Stimmvolk voraussichtlich 2013. Die Standesinitiative wolle diesen Entscheid vorwegnehmen, kritisierte Büttiker.

 Der Weg, den Basel vorschlägt, um den Wegfall der Atomenergie zu kompensieren, erachtet Rolf Schweiger (FDP, ZG) als zu teuer. Eine reiche Region wie Basel könne es sich leisten, voll auf erneuerbare Energien zu setzen, sagte er. Für die Restschweiz sei dies zu teuer.

 In der Standesinitiative fordert das Parlament des Kantons Basel-Stadt Massnahmen zugunsten der erneuerbaren Energien sowie zur Steigerung der Energieeffizienz. Falls es dennoch zu einer Stromlücke kommen sollte, müsse die Schweiz sauberen Strom auf dem europäischen Markt einkaufen, fordert Basel-Stadt.

 Ständerätinnen und Ständeräte der SP, der Grünen und der Grünliberalen forderten den Rat vergeblich dazu auf, der Standesinitiative Folge zu geben. Es sei eine Frage des politischen Willens, den Verzicht auf neue AKW zu ermöglichen.
 sda

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20 Minuten 3.12.10

Ständerat hält an AKWs fest

 BERN. Die Ständeräte verzichten nicht auf eine mögliche Energiequelle. Mit klarem Mehr haben sie eine Basler Initiative verworfen, die neue AKW verbieten wollte. Die Vertreter aus den Reihen der FDP, der SVP und der CVP kritisierten, dass die Basler mitten im Spiel die Regeln ändern wollten. Die Verfassung schreibe eine ausreichende und breit gefächerte Energieversorgung vor. Keine Energiequelle werde ausgeschlossen.

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Tagesanzeiger 3.12.10

Zürcher Regierung unterstützt den Bau von zwei neuen AKW

 Der Zürcher Regierungsrat unterstützt die Pläne des Stromkonzerns Axpo, in der Schweiz zwei neue Atomkraftwerke zu bauen. Die Regierung spricht im gestern vorgestellten "Energieplanungsbericht 2010" von einer "klimafreundlichen Technologie". Der federführende Baudirektor Markus Kägi warnte vor Engpässen in der Stromversorgung ohne neue AKW. Der SVP-Regierungsrat, der zusammen mit seinem Rats- und Parteikollegen im Axpo-Verwaltungsrat die Interessen des Kantons wahrnimmt, schliesst auch Blackouts nicht aus.

 Atomgegner kritisierten den Entscheid des Regierungsrats. Dieser betreibe eine "rückwärtsgewandte Politik", man müsse vielmehr in erneuerbare Energien investieren. Die SP überlegt sich laut Kantonsrätin Sabine Ziegler, den Atomausstieg des Kantons mit einer Initiative zu fordern.(TA) - Seite 15

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Die Regierung warnt vor einem Strom-Blackout

 Der Regierungsrat unterstützt den Bau von zwei neuen Atomkraftwerken. Nun erwägen Grüne und SP, eine Volksinitiative zu lancieren. Ziel: der Ausstieg des Kantons Zürich aus der Atomenergie.

 Von Stefan Häne

 Zürich - Die Stadt Zürich hat den Ausstieg aus der Atomenergie vor zwei Jahren per 2044 beschlossen - 76 Prozent der Stimmberechtigten sagten Ja dazu. Am letzten Wochenende sind weitere Städte dazugestossen: St. Gallen (bis 2050) und Bern (bis 2039). Basel hat den Ausstieg bereits umgesetzt.

 Diesen Weg soll der Kanton Zürich nicht beschreiten. So will es zumindest die Zürcher Regierung. Sie unterstützt die Absicht des Stromkonzerns Axpo, die Atomkraftwerke Beznau I und II durch einen neuen Meiler zu ersetzen. An der Axpo ist der Kanton zusammen mit den Elektrizitätswerken des Kantons Zürich mit rund 37 Prozent beteiligt.

 Auch den Bau eines zweiten neuen AKW in der Schweiz befürwortet die Regierung. Sie spricht von einer "klimafreundlichen Technologie", mit der sich die "absehbare Selbstversorgungslücke" beim Strom überbrücken lasse. Dieses Bekenntnis zur "Kernenergie" hat die Regierung nun ausdrücklich mit einem neuen Beschluss bekräftigt. Das geschieht vor dem Hintergrund, dass der Kanton Zürich Anfang 2011 Stellung nimmt zum Rahmenbewilligungsgesuch der Axpo für ein neues AKW.

 "Axpo-geimpfte Regierung"

 Der federführende Baudirektor Markus Kägi (SVP) lobte gestern bei der Präsentation des "Energieplanungsberichts 2010", der Kanton habe die Energieeffizienz weiter gesteigert und die erneuerbaren Energien gefördert. 1990 lag der C02-Ausstoss der Zürcher Bevölkerung bei rund 6 Tonnen pro Kopf, aktuell sind es 5,5 Tonnen. Kägi zeigte sich zuversichtlich, das anvisierte Ziel von 2,2 Tonnen bis 2050 zu erreichen.

 Diese Fortschritte reichen laut Kägi aber nicht aus: "Wir haben keine Hoffnung, dass wir vom Ausland kostengünstig und zuverlässig Strom beziehen können." Eindringlich warnte Kägi: Der Axpo stehe, speziell im Winterhalbjahr, zu wenig Energie zur Verfügung, sobald die langfristigen Lieferverträge mit Frankreich ab 2016 auszulaufen begännen und ab 2020 Kernkraftwerke in der Schweiz altershalber abgeschaltet werden müssten. Auf Nachfrage des TA präzisierte Kägi, es werde zu Engpässen bei der Stromversorgung kommen, Blackouts seien nicht mehr auszuschliessen.

 Während Politiker aus SVP und FDP gestern applaudierten, reagierten rot-grüne Kreise scharf auf die Strategie der Regierung. Ihrer Ansicht nach sind Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien nachhaltiger als der Bau neuer Atomkraftwerke. Bernhard Piller von der Schweizerischen Energie-Stiftung sprach denn auch von einer "rückwärtsgewandten Politik". Kantonsrat Robert Brunner (Grüne, Steinmaur) forderte gar eine "neue Regierung". Deren Vertreter im Axpo-Verwaltungsrat, Kägi und Volkswirtschaftsdirektor Ernst Stocker (SVP), seien "Axpo-geimpft". Die SP ortete einen Etikettenschwindel: Ein neues AKW sei kein Ersatzbau, wie von der Regierung behauptet, sondern ein Neubau, dessen Amortisation 50 bis 70 Jahre dauere und wirtschaftlich "alles andere als sinnvoll" sei. Auch sei die Frage der Endlagerung nicht ansatzweise gelöst.

 Die GLP bemängelte, kein Kernkraftwerk in der Schweiz verfüge über eine ausreichende Haftpflichtversicherung zur Deckung der Betriebsrisiken. Damit werde das Risiko an den Staat delegiert, die Kosten würden von der Allgemeinheit getragen - und nicht von den Konsumenten. "Dies führt zu einer Verzerrung des Wettbewerbs und verunmöglicht eine sachliche Diskussion", sagte Fraktionschef Thomas Maier.

 Die CVP sieht in der Atomenergie bloss eine Notlösung. Dass die Regierung gleich zwei AKW bestelle, sei verfrüht, sagt Fraktionschef Philipp Kutter. Erstaunt zeigt sich die CVP, dass die Regierung Atomenergie als klimafreundlich bezeichnet: "Sicher, sie ist CO2-neutral, dafür aber radioaktiv." Diesen Sicherheitsbedenken will die Regierung Rechnung tragen. Sie beauftragt Kägi und Stocker, sich im Axpo-Verwaltungsrat für "modernste Kernenergietechnik mit Sicherheit als höchster Priorität" einzusetzen. Kägi kündigte an, er werde ins russische Majak reisen. Umweltschutzkreise hatten kritisiert, die Axpo verwende von dort Brennelemente mit teilweise schmutzigem Uran. Der Regierungsrat, so Kägi, verlange von der Axpo in dieser Frage Klarheit.

 Testlauf in Bern abwarten

 Die Regierung hat mit ihrem Kurs die Atomgegner aufgeschreckt. Aus ihren Kreisen erklingt nun der Ruf nach einer Volksabstimmung. Das Ziel: Ausstieg des Kantons Zürich aus der Atomenergie. SP-Kantonsrätin Sabine Ziegler (Zürich) bestätigt, dass ihre Partei diese Option erwägt. Interesse signalisieren auch die Grünen. Ziegler verschweigt das "Absturzrisiko" einer solchen Initiative im bürgerlichen Kanton Zürich nicht. Die Atomgegner warten deshalb einen wichtigen Stimmungstest ab: Im Februar äussert sich der Souverän im Kanton Bern in einer konsultativen Abstimmung zum Bau eines neuen AKW in Mühleberg.

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Entsorgung

 Der Regierungsrat ist für AKW, aber gegen ein Atomendlager

 Markus Kägi erntet Kritik von links und rechts für seinen "Spagat" in atompolitischen Fragen.

 Von René Donzé

 Zürich - Zwei von drei möglichen Standorten für ein Endlager für hochradioaktive Abfälle liegen im Kanton Zürich: "Nördlich Lägern" im Unterland und "Zürich Nordost" im Weinland. Vor zwei Jahren, als die Nagra diese beiden Regionen festlegte, reagierte der Regierungsrat mit einer deutlichen Stellungnahme gegen ein Endlager im Kanton Zürich. "Aufgrund der heute bekannten Fakten ist der Regierungsrat dagegen, weil der Kanton Zürich bereits heute zahlreiche Sonder- und Zentrumslasten zu tragen hat", sagte Markus Kägi in einem TA-Interview. Er werde "das Möglichste unternehmen", um ein solches Lager zu verhindern. Sollte sich der Bundesrat für Zürich entscheiden, "müssten wir wieder eine Lagebeurteilung machen. Zum heutigen Zeitpunkt, mit den heutigen Kenntnissen lehnt das der Regierungsrat ab", so Kägi.

 Gestern, bei der Präsentation des Energieplanungsberichts, war Kägi zuerst etwas weniger deutlich und meinte vage, die Zürcher Regierung sei bezüglich der Endlagerfrage "ergebnisoffen" und erwarte die gleiche Haltung auch von den weiteren potenziellen Standortkantonen. Erst auf Nachfrage präzisierte er, ergebnisoffen sei er bloss gegenüber dem Auswahlverfahren: "Der Regierungsrat akzeptiert das Sachplanverfahren, in das er sich weiterhin aktiv und kritisch einbringen wird." Die Grundhaltung sei indes dieselbe geblieben: "Wir sind gegen einen Tiefenlager-Standort auf Kantonsgebiet."

 Für Kägi ist es kein Interessenkonflikt, wenn sich die Regierung gegen ein Endlager ausspricht und gleichzeitig den Bau neuer AKW befürwortet. Anders sieht das Käthi Furrer, Co-Präsidentin von KlarSchweiz: "Markus Kägi macht sich mit diesem Spagat unglaubwürdig." Die Regierung müsse sich vom Atomstrom abwenden und auf erneuerbare Energien setzen.

 Auch FDP-Fraktionschef Thomas Vogel ortet in Kägis Haltung einen Widerspruch. Aus seiner Sicht allerdings sollte die Regierung die Opposition gegen das Endlager aufgeben: "Wer auf Atomstrom setzt, muss auch mit einem Tiefenlager im Kanton leben können." SVP-Kantonsrat Claudio Zanetti hätte jedenfalls keine Mühe, wenn radioaktiver Müll künftig im Zürcher Boden lagern würde. "Ich würde das Lager sogar in meinem Garten akzeptieren."

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NZZ 3.12.10

Zürcher Regierung für neues Kernkraftwerk

 Ersatz der KKW Beznau möglich

 rsr. · Der Zürcher Baudirektor Markus Kägi hat am Donnerstag den Energieplanungsbericht 2010 vorgestellt. Darin wird gezeigt, wie der CO 2 -Ausstoss seit 1990 zurückgegangen ist. Zudem wird das Ziel einer Reduktion auf 2,2 Tonnen CO 2 pro Kopf und Jahr bis 2050 bekräftigt. Die Regierung glaubt dagegen kaum an einen Rückgang des Stromverbrauchs. Als Massnahme gegen die befürchtete Versorgungslücke ab 2020 unterstützt sie den Bau eines neuen Kernkraftwerks. Dieses soll die heutigen KKW Beznau I und II ersetzen.

 Zürich und Region, Seite 17

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"Verzicht ist nicht nötig"

 Markus Kägi erklärt, wie sich der Kanton die energiepolitische Zukunft vorstellt

Adrian Krebs (ark)

 Die Zürcher Regierung will die CO 2 -Belastung senken und fossile Brennstoffe durch Kernkraft aus einem neuen Werk ersetzen. Baudirektor Markus Kägi erläutert den Energieplanungsbericht.

 Herr Kägi, die kantonale Energiepolitik ist ein Nullsummenspiel. Die Einsparungen werden durch Bevölkerungswachstum und gesteigerte Mobilität wieder zunichtegemacht. Sind Sie ernüchtert?

 Davon kann keine Rede sein. Wir haben einen Rückgang beim CO 2 -Ausstoss, beim Energieverbrauch pro Kopf und eine Stabilisierung beim Treibstoffverbrauch. Ausserdem ist der Wärmebedarf pro Kopf deutlich gesunken, obwohl die Wohnfläche pro Kopf und Jahr einen halben Quadratmeter zunimmt. Das ist ein Erfolg, denn genau in diesen Bereichen setzen wir an.

 Der Regierungsrat fokussiert einseitig auf CO 2 -Reduktion und Substitution, dadurch steigt der Stromverbrauch. Ist das nicht inkonsequent?

 Nein, das ist genau unsere Stossrichtung. Nicht die Energieleistung, sondern die Umweltbelastung durch die Energienutzung muss minimiert werden, sprich der CO 2 -Ausstoss. Das erreichen wir mit der Verlagerung weg von fossilen Brennstoffen hin zu erneuerbaren Energien und Kernkraft. Verzicht ist dazu nicht nötig und wäre nur mit massiven staatlichen Interventionen möglich, mit schwerwiegenden Folgen für die Wirtschaft.

 Die Stadt Zürich ist konsequenter. Bis 2050 will die Mehrheit des Souveräns die 2000-Watt-Gesellschaft. Warum kann der Kanton nichts solches bieten?

 Ich bin überzeugt, dass die Bevölkerung das nicht mehr möchte, wenn sie wüsste, wie viel Verzicht die 2000-Watt-Gesellschaft verlangt. Staatlich verordneter Verzicht ist politisch nicht umsetzbar.

 Sie ersetzen stattdessen einen umweltbelastenden Energieträger mit einem stark risikobehafteten. Ist das sinnvoll?

 Hinsichtlich Kernenergie gelten hierzulande höchste Sicherheitsstandards. Und die neuen KKW werden noch sicherer als die bestehenden. Tatsächlich risikobehaftet sind fossile Brennstoffe; politisch wie auch ökologisch.

 Vor drei Jahren haben Sie in einem Interview gesagt, der Kanton Zürich eigne sich nicht als KKW-Standort. Ist das nun auch die Meinung der Regierung?

 Im Moment steht ein Kernkraftwerk im Kanton Zürich gar nicht zur Debatte. Es spricht alles dafür, die Ersatz-Kraftwerke an den bestehenden Standorten zu bauen.

 Und der Kanton Zürich übernimmt im Gegenzug den Standort für ein Atomabfall-Endlager?

 Nein, das sehen wir überhaupt nicht so. Die Regierung sagt Nein zum Tiefenlager, der Kanton Zürich trägt schon heute sehr viele Zentrumslasten, man denke nur an den Flughafen und seine Emissionen. Aber sollte sich ein Zürcher Standort als der sicherste erweisen, dann werden wir uns dem Entscheidungsprozess stellen. Letztlich wird das eidgenössische Stimmvolk entscheiden.

 Im Kapitel erneuerbare Energien kapituliert der Regierungsrat auf Vorrat, es fehlten die Ressourcen dazu, heisst es im Bericht. Ist das nicht ein bisschen mager?

 Wir glauben durchaus an das riesige Potenzial erneuerbarer Energien. Doch wir sind realistisch: Es dauert noch mindestens 50 Jahre, bis wir unseren Bedarf ganz mit heimischen, erneuerbaren Energien decken können. Neue Stromquellen brauchen wir aber schon in 10 Jahren, wenn die Kernkraftwerke der ersten Generation am Ende der Laufzeit angelangt sind.

 Bei der Mobilität wollen Sie niemandem weh tun. Die Strassenverkehrsabgaben sind seit langem unverändert, und das Road-Pricing bleibt tabu. Wie wollen Sie die Leute zum Umsteigen bewegen?

 Wir glauben an die Innovationskraft der Industrie. Personenwagen mit neuen, umweltfreundlichen Antriebstechnologien sind nur eine Frage der Zeit. Road-Pricing ist eine neue Steuer und erinnert an die Brückenzölle. Wer gut verdient, kann es sich erlauben, in die Stadt zu fahren, und Mutter Meier mit ihren drei Kindern muss in der überfüllten S-Bahn stehen. Die Zukunft liegt in einem flächendeckenden Mobility-Pricing, einer Kilometer-abhängigen Verkehrsabgabe, die helfen soll, die Finanzierung der Strasseninfrastruktur zu sichern.

 Der Bericht zeigt, dass Leute, die auf dem Land leben, wesentlich mehr Energie brauchen als Städter. Bietet das Anlass zu raumplanerischen Überlegungen?

 Wir sehen uns in unserem Credo bestätigt: Siedlungsentwicklung primär durch innere Verdichtung und entlang der öffentlichen Verkehrswege.

 Interview: ark./rsr.

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 Auf dem Weg in das Jahr 2050

 rsr. · Der Energieplanungsbericht 2010 des Kantons Zürich zeigt, wie sich der Energieverbrauch über die Jahre entwickelt hat, und wirft einen Blick weit in die Zukunft. So hat Baudirektor Markus Kägi am Donnerstag bekräftigt, bis im Jahr 2050 den CO 2 -Ausstoss von heute über 5 Tonnen pro Kopf und Jahr auf 2,2 Tonnen senken zu wollen. Die Umsetzung der dazu notwendigen Massnahmen sei "auf Kurs", habe doch der CO 2 -Ausstoss seit 1990 wie gesetzlich verlangt gesenkt werden können; damals betrug er jährlich knapp 6 Tonnen pro Person.

 Der Bericht stellt weitere Tendenzen dar, wie etwa den wegen ihres Pendlerdaseins klar höheren Energieverbrauch von Personen vom Land. Zu beunruhigen vermag vor allem der Ausblick auf die künftige Stromversorgung. Hier wird ab 2020 mit der Abschaltung alter Kernkraftwerke und dem Auslaufen von Lieferverträgen ein gravierender Versorgungsengpass vorausgesagt. Als eine der möglichen Gegenmassnahmen unterstützt die Regierung den Bau des Ersatzkernkraftwerks für Beznau I und II.

 Diese Absicht stösst bei SP und Grünen auf Widerstand, für die CVP handelt es sich um "eine Notlösung". Ein wichtiger Punkt ist dabei die Frage nach dem Standort eines künftigen Endlagers für radioaktive Abfälle. Die Regierung ist laut Kägi zwar gegen ein Tiefenlager im Kanton, zeige sich aber gegenüber den Evaluationsresultaten "ergebnisoffen".

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Analysen zu AKW-Strahlenrisiken

 dsc. · Der Schweizer Ableger der AKW-kritischen Organisation Ärztinnen und Ärzte für soziale Verantwortung und zur Verhütung eines Atomkrieges fordert vom Bund eine Stellungnahme sowie Untersuchungen zu den Auswirkungen des Betriebs von Kernkraftwerken auf ungeborene Kinder. Kürzlich hat eine Studie aus Deutschland für Schlagzeilen gesorgt, wonach im Umkreis von AKW das Verhältnis von Knaben- zu Mädchengeburten ungewöhnlich sei. Jene Analyse argumentiert dabei mit Schäden aus der Wirkung radioaktiver Strahlung. Bereits haben sich andere Wissenschafter kritisch zu den Thesen geäussert. Aus ähnlichen Debatten lässt sich jedenfalls schliessen, dass weitere umfangreiche Studien nötig wären, um eine solche klare Kausalverknüpfung zu belegen.

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Limmattaler Tagblatt 3.12.10

Kantonsregierung setzt auf Kernenergie

 Energieplanungsbericht Die Zürcher Regierung ist für einen Ersatz der Kernkraftwerke Beznau

Thomas Schraner

 Wenn ab 2020 Kernkraftwerke altershalber vom Netz gehen, entsteht eine Stromlücke. Diese Ansicht vertritt auch die Zürcher Regierung. Sie unterstützt den Stromkonzern Axpo im Bestreben, die Kernkraftwerke BeznauI und II zu ersetzen.

 Baudirektor Markus Kägi hat gestern den Energieplanungsbericht zum Anlass genommen, die Haltung der Zürcher Regierung zur Kernkraftfrage zu erklären. Der Bericht erscheint alle vier Jahre. Und schon im Zusammenhang mit der letzten Publikation war die Haltung der Regierung publik geworden. So blieb der grosse Überraschungseffekt gestern aus. Trotzdem: Kägi leitete die Argumentation der Regierung - formuliert in einem Regierungsbeschluss - erstmals ausführlich her.

 Lavieren beim Endlager

 Wenn die langfristigen Strom-Lieferverträge mit Frankreich ab 2016 auslaufen und ab 2020 Kernkraftwerke in der Schweiz altershalber vom Netz gehen, drohe eine Stromlücke, sagte Kägi. Vor allem im Winterhalbjahr stehe dem Stromkonzern Axpo zu wenig Energie zur Verfügung. "Die Bemühungen bezüglich Energieeffizienz und erneuerbarer Energie reichen innert nützlicher Frist nicht aus, um diese Unterdeckung abzuwenden", sagte er weiter und hielt fest, dass er keine Hoffnung habe, vom Ausland kostengünstig und zuverlässig Strom beziehen zu können. Die Regierung unterstütze deshalb die Absicht der Axpo, Ersatz für die Kernkraftwerke BeznauI und II zu schaffen. Der Kanton Zürich ist mit 36,7Prozent an der Axpo beteiligt (inklusive Anteil der Elektrizitätswerke des Kantons) und ordnet zwei Regierungsmitglieder in den Verwaltungsrat ab: Markus Kägi und Ernst Stocker (beide SVP). Die Regierung habe ihre beiden Vertreter beauftragt, sich im Verwaltungsrat dafür einzusetzen, dass vor allem bei der Sicherheit nur modernste Technik zum Zuge komme, sagte Kägi. Das gelte auch für die Brennelemente. "Es muss ausgeschlossen werden, dass wir unseren Bedarf aus umweltschädigenden Quellen decken." (Siehe Kasten unten.) Wie verträgt sich die kernenergiefreundliche Haltung der Regierung mit ihrem 2008 ausgesprochenen Nein zu einem Atomendlager auf dem Territorium des Kantons Zürich (Benken und nördliche Lägern)? "Wir brauchen ein Tiefenlager in der Schweiz", hielt Kägi fest und begründete nochmals das Nein der Regierung zum Endlager: Der Kanton trage schon genug andere Lasten. Aber, so hielt er fest, Zürich beteilige sich am Auswahlverfahren und sei "ergebnisoffen". Ist die Regierung also mit einem Endlager einverstanden, sollte sich herausstellen, dass sich "sein" Gebiet doch am besten eignet? Konkret wollte Kägi nicht werden und wiederholte nur, die Regierung sei "ergebnisoffen".

 Zu den zentralen Festlegungen des Energieberichts gehört neben dem Bekenntnis zur Kernenergie auch eine Zielgrösse für den CO-Ausstoss: Bis 2050 soll dieser von heute 5,5 auf 2,5Tonnen pro Jahr und Person sinken. Hansruedi Kunz, Leiter der Abteilung Energie bei der Baudirektion, bezeichnete dieses Ziel gestern am Rande der Medienorientierung als "äussert ambitioniert", aber bei guten Bedingungen erreichbar. Illusionär ist aber seiner Meinung nach die Senkung auf eine Tonne bis 2050, wie es die Stadt Zürich mit ihrem Bekenntnis zur 2000-Watt-Gesellschaft beschlossen hat. National und international stünden für dieses Ziel die Jahre 2100 bis 2150 zur Debatte. Anders als vor vier Jahren hat der Kanton im neuen Energieplanungsbericht die Richtgrösse eine Tonne gar nicht mehr erwähnt. Warum? "Wir hatten keine Hintergedanken", sagt Kunz. Die Vorgabe liege einfach ausserhalb des Planungshorizontes.

 Die Zielgrösse von 2,2Tonnen, die auch im kantonalen Energiegesetz steht, hält die Regierung für erreichbar - mit einem Mix aus freiwilligen und gesetzlichen Vorgaben. Zu letzteren gehört die Vorschrift, dass bei Neubauten höchstens 80Prozent des Wärmebedarfs mit nicht erneuerbaren Energien gedeckt werden dürfen. Neue Bauten würden heute mit Wärmepumpen oder mit Gasheizungen ausgerüstet, führte Kunz aus. Seinen Angaben zufolge liegt im bestehenden Gebäudepark der Anteil der Bauten mit Ölheizung bei 50Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 73Prozent, vor 20 sogar 88Prozent.

 Hausaufgabe für Autofahrer

 Um das 2,2-Tonnen-Ziel zu erreichen, muss laut Kunz der CO-Ausstoss der neuen Autos von heute 170Gramm pro Kilometer bis 2040 auf 60Gramm sinken. Nötig seien effizientere Fahrzeuge, aber auch alternative Treibstoffe und Antriebssysteme. "Die Zürcher Autofahrer haben noch eine Hausaufgabe zu erledigen", sagte Kunz. Denn der CO-Ausstoss pro Auto liegt drei Prozent über dem Schweizer Durchschnitt. Neue Anreize zum umweltverträglichen Autofahren setzt die Motorfahrzeugsteuer, die der Kantonsrat in der Pipeline hat.

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Landbote 3.12.10

Regierung bestellt Atomkraftwerke

 Zürich - Die Zürcher Regierung unterstützt die Pläne des Stromkonzerns Axpo, ihre beiden Atomkraftwerke Beznau I und II zu ersetzen. Gestern erläuterte Baudirektor Markus Kägi (SVP) bei der Präsentation des neuen Energieberichtes den entsprechenden Regierungsbeschluss vom April. Wie die Axpo, an der der Kanton mit 36,6 Prozent beteiligt ist, diagnostiziert die Regierung ab 2020 eine Stromlücke, wenn bestehende Schweizer Kernkraftwerke altershalber abgestellt werden müssen und wenn die Lieferverträge mit Frankreich auslaufen. Deshalb brauche es zwei Ersatzwerke. Allerdings sollen die Vertreter der Regierung im Axpo-Verwaltungsrat dafür sorgen, dass nur die neueste Sicherheitstechnik verwendet wird.

 SP, Grüne, GLP und auch die CVP kritisieren die Regierung. Atomenergie sei eine veraltete und gefährliche Technologie. Selbst die CVP teilt den Pessimismus der Regierung nicht, wonach ohne Ersatzkernkraftwerke eine Stromlücke entsteht. Die kritisierenden Parteien sind der Ansicht, die Regierung müsste in erneuerbare Energien investieren. (tsc) lSeite 21

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Regierung will Ersatz für zwei Kernkraftwerke

 Thomas Schraner

 Wenn ab 2020 Atomkraftwerke altershalber vom Netz gehen, entsteht eine Stromlücke. Diese Ansicht vertritt auch die Zürcher Regierung. Sie unterstützt den Stromkonzern Axpo im Bestreben, die Kernkraftwerke Beznau I und II zu ersetzen.

 Zürich - Baudirektor Markus Kägi hat gestern den Energieplanungsbericht zum Anlass genommen, die Haltung der Zürcher Regierung zur Atomenergie zu erklären. Der Bericht erscheint alle vier Jahre. Und schon im Zusammenhang mit der letzten Publikation war die Haltung der bürgerlich dominierten Regierung publik geworden. So blieb der Knalleffekt gestern aus, als Kägi den Beschluss erläuterte, den die Regierung formell am 10. April gefasst hatte.

 Wenn die langfristigen Stromlieferverträge mit Frankreich ab 2016 auslaufen und ab 2020 Kernkraftwerke in der Schweiz altershalber vom Netz gehen, drohe eine Stromlücke, sagte Kägi. Vor allem im Winterhalbjahr stehe dem Stromkonzern Axpo zu wenig Energie zur Verfügung. "Die Bemühungen bezüglich Energieeffizienz und erneuerbarer Energie reichen innert nützlicher Frist nicht aus, um diese Unterdeckung abzuwenden", sagte er weiter und hielt fest, dass er keine Hoffnung habe, vom Ausland kostengünstig und zuverlässig Strom beziehen zu können. Die Regierung unterstütze deshalb die Absicht der Axpo, Ersatz für die Atomkraftwerke Beznau I und II zu schaffen.

 Der Kanton Zürich ist mit 36,7 Prozent an der Axpo beteiligt (inklusive Anteil der Elektrizitätswerke des Kantons) und ordnet zwei Regierungsmitglieder in den Verwaltungsrat ab: Markus Kägi und Ernst Stocker (beide SVP). Die Regierung habe ihre beiden Vertreter beauftragt, sich im Verwaltungsrat dafür einzusetzen, dass punkto Sicherheit nur modernste Technik bei Atomkraftwerken zum Zuge komme, sagte Kägi. Das gelte auch für die Brennelemente. "Es muss ausgeschlossen werden, dass wir unseren Bedarf aus umweltschädigenden Quellen decken." (Siehe Kasten unten.)

 Lavieren beim Endlager

 Wie verträgt sich die kernenergie-freundliche Haltung der Regierung mit ihrem 2008 ausgesprochenen Nein zu einem Atomendlager auf dem Territorium des Kantons Zürich (Benken und nördliche Lägern)? "Wir brauchen ein Tiefenlager in der Schweiz", hielt Kägi fest und begründete nochmals das Nein der Regierung zum Endlager: Der Kanton trage schon genug andere Lasten. Aber, so hielt er fest, Zürich beteilige sich am Auswahlverfahren und sei "ergebnisoffen". Ist die Regierung also mit einem Endlager einverstanden, sollte sich herausstellen, dass sich "sein" Gebiet doch am besten eignet? Konkret wollte Kägi nicht werden und wiederholte nur, die Regierung sei "ergebnisoffen".

 Zu den zentralen Festlegungen des Energieberichts gehört neben dem Bekenntnis zur Atomenergie auch eine Zielgrösse für den CO2-Ausstoss: Bis 2050 soll dieser von heute 5,5 auf 2,2 Tonnen pro Jahr und Person sinken. Hansruedi Kunz, Leiter der Abteilung Energie bei der Baudirektion, bezeichnete dieses Ziel gestern am Rande der Medienorientierung als "äussert ambitioniert", aber bei guten Bedingungen erreichbar. Illusionär ist aber seiner Meinung nach die Senkung auf eine Tonne bis 2050, wie es die Stadt Zürich mit ihrem Bekenntnis zur 2000-Watt-Gesellschaft beschlossen hat. National und international stünden für dieses Ziel die Jahre 2100 bis 2150 zur Debatte. Anders als vor vier Jahren hat der Kanton im neuen Energieplanungsbericht die Richtgrösse eine Tonne gar nicht mehr erwähnt. Warum? "Wir hatten keine Hintergedanken", sagt Kunz. Die Vorgabe liege einfach ausserhalb des Planungshorizontes.

 Die Zielgrösse von 2,2 Tonnen, die auch im kantonalen Energiegesetz steht, hält die Regierung erreichbar - mit einem Mix aus freiwilligen und gesetzlichen Vorgaben. Zu letzteren gehört die Vorschrift, dass bei Neubauten höchstens 80 Prozent des Wärmebedarfs mit nicht erneuerbaren Energien gedeckt werden darf. Neue Bauten würden heute mit Wärmepumpen oder mit Gasheizungen ausgerüstet, führte Kunz aus. Seinen Angaben zufolge liegt im bestehenden Gebäudepark der Anteil der Bauten mit Ölheizung bei 50 Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 73 Prozent, vor 20 sogar 88 Prozent.

 Hausaufgabe für Autofahrer

 Um das 2,2-Tonnen-Ziel zu erreichen, muss laut Kunz der CO2-Ausstoss der neuen Autos von heute 170 Gramm pro Kilometer bis 2040 auf 60 Gramm sinken. Nötig seien effizientere Fahrzeuge, aber auch alternative Treibstoffe und Antriebssysteme. "Die Zürcher Autofahrer haben noch eine Hausaufgabe zu erledigen", sagte Kunz. Denn der CO2-Ausstoss pro Auto liegt drei Prozent über dem Schweizer Durchschnitt. Anreize zum umweltverträglichen Autofahren setzen die neuen Motorfahrzeugsteuern, die der Kantonsrat in der Pipeline hat.

 THOMAS SCHRANER

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 Russische Reise

 Thomas Schraner

 Wird im russischen Majak, wo die Axpo Brennstäbe für ihre Atomkraftwerke bezieht, fahrlässig mit radioaktivem Material umgegangen? Der Axpo-Verwaltungsrat will diesem von Greenpeace erhobenen Vorwurf auf den Grund gehen und hat für nächsten Sommer eine mehrtägige Inspektionsreise mit Fachleuten geplant. Mit von der Partie sind aus dem Kanton Zürich auch Regierungsrat Markus Kägi (SVP) und Kantonsrat Peter Reinhard (EVP). "Ich will mir selber ein Bild vor Ort machen", sagte Kägi gestern. (tsc)

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 Atombeschluss unter Beschuss

 Thomas Schraner

 SP, Grüne, GLP und CVP kritisieren die Regierung dafür, dass sie bei der Axpo zwei neue Kernkraftwerke bestellt hat. Neue Atomkraftwerke seien keine zukunftsgerichtete Option, schreibt die SP. Die Versorgung des Kantons ohne Atomstrom und nur mit erneuerbaren Energien sei sehr wohl möglich, schreibt die Partei. Es fehle nur am politischen Willen.

 Die Grünen erinnern daran, dass Atomkraftwerke nicht CO2-neutral sind. Szenarien der Umweltverbände zeigten schon lange, dass Milliardeninvestitionen in erneuerbare Energien nachhaltiger seien. Die GLP lobt grosse Teile des Energieberichts, hat aber ebenfalls den Kernkraftwerkbeschluss im Visier. Es handle sich um eine veraltete und gefährliche Technologie.

 Atomenergie sei nur eine Notlösung, findet die CVP und moniert, dass die Regierung gleich zwei Ersatzwerke bestellt hat. Das Ziel müsse sein, ohne Kernkraft auszukommen. Die Partei zeigt sich optimistisch, dass dies geht. Die EVP lobt das Ziel der CO2-Reduktion bis 2050, äussert sich aber nicht zum Atomstrom. (tsc)

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 Der Energiebericht im Detail

 Mehr erneuerbare Energien

 Thomas Schraner

 Sie machen im Kanton derzeit fünf Prozent aus. Unter erneuerbare Energien subsumiert der Bericht auch die Abwärme von Kehrichtverbrennungsanlagen, die heute 80 Prozent ausmacht. Der Kanton fördert erneuerbare Energien mit einer Vielzahl von Projekten, zu denen Biogasanlagen, Sonnenkollektoren, Holzheizungen oder Erdsonden gehören. Bis 2050 soll der Anteil der erneuerbaren Energien im Kanton laut Hansruedi Kunz bei 30 Prozent liegen.

 Verbrauch sinkt pro Kopf

 Seit 1990 ist der Energieverbrauch im Kanton Zürich um 8 Prozent gestiegen. Weil aber die Bevölkerung noch stärker gewachsen ist, hat der jährliche Energieverbrauch pro Kopf um rund 4 Prozent abgenommen. 57 Prozent des kantonalen Energieverbrauchs wird durch Erdöl gedeckt. An zweier Stelle folgt der Strom mit 23 Prozent, gefolgt vom Erdgas (15 Prozent) und Abwärme (5). Der Verkehr erreicht am Gesamtenergieverbrauch 36 Prozent.

 Sorgenkind Altbauten

 Der Kanton hat einen Rahmenkredit (2009 bis 2013) von 32 Millionen für Wärmesanierungen von Gebäuden zur Verfügung gestellt. Das grösste Potenzial liege bei der Sanierung von Altbauten, stellte Baudirektor Kägi fest. Der Umsetzungsgrad liege noch tief. Handlungsbedarf bestehe bei der Ausbildung von Fachleuten. Amtschef Kunz sagte, die Sanierung von Altbauten erweise sich oft als komplex. Oft liessen sich die Investitionen nicht abschreiben. (tsc)

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Zürichsee-Zeitung 3.12.10

Energiepolitik CO2-Ausstoss im Kanton Zürich soll bis 2050 auf 2,2 Tonnen pro Kopf gesenkt werden

 Regierung will Ersatz für zwei AKW

 Wenn ab 2020 Kernkraftwerke altershalber vom Netz gehen, entsteht eine Stromlücke. Diese Ansicht vertritt auch die Zürcher Regierung. Sie unterstützt die Axpo im Bestreben, Beznau I und II zu ersetzen.

 Thomas Schraner

 Baudirektor Markus Kägi hat gestern den Energieplanungsbericht zum Anlass genommen, die Haltung der Zürcher Regierung zur Kernkraftfrage zu erklären. Der Bericht erscheint alle vier Jahre. Und schon im Zusammenhang mit der letzten Publikation war die Haltung der Regierung publik geworden. So blieb der grosse Überraschungseffekt gestern aus. Trotzdem: Kägi leitete die Argumentation der Regierung - formuliert in einem Regierungsbeschluss - erstmals ausführlich her.

 Wenn die langfristigen Strom-Lieferverträge mit Frankreich ab 2016 auslaufen und ab 2020 Kernkraftwerke in der Schweiz altershalber vom Netz gehen, drohe eine Stromlücke, sagte Kägi. Vor allem im Winterhalbjahr stehe dem Stromkonzern Axpo zu wenig Energie zur Verfügung. "Die Bemühungen bezüglich Energieeffizienz und erneuerbarer Energie reichen innert nützlicher Frist nicht aus, um diese Unterdeckung abzuwenden", sagte er weiter und hielt fest, dass er keine Hoffnung habe, vom Ausland kostengünstig und zuverlässig Strom beziehen zu können. Die Regierung unterstütze deshalb die Absicht der Axpo, Ersatz für die Kernkraftwerke Beznau I und II zu schaffen.

 Lavieren beim Endlager

 Der Kanton Zürich ist mit 36,7 Prozent an der Axpo beteiligt (inklusive Anteil der Elektrizitätswerke des Kantons) und ordnet zwei Regierungsmitglieder in den Verwaltungsrat ab: Markus Kägi und Ernst Stocker (beide SVP). Die Regierung habe ihre beiden Vertreter beauftragt, sich im Verwaltungsrat dafür einzusetzen, dass vor allem bei der Sicherheit nur modernste Technik zum Zuge komme, sagte Kägi. Das gelte auch für die Brennelemente. "Es muss ausgeschlossen werden, dass wir unseren Bedarf aus umweltschädigenden Quellen decken." Doch wie verträgt sich die Kernenergiefreundliche Haltung der Regierung mit ihrem 2008 ausgesprochenen Nein zu einem Atomendlager auf dem Territorium des Kantons Zürich (Benken und nördliche Lägern)? "Wir brauchen ein Tiefenlager in der Schweiz", hielt Kägi fest und begründete nochmals das Nein der Regierung zum Endlager: Der Kanton trage schon genug andere Lasten. Aber, so hielt er fest, Zürich beteilige sich am Auswahlverfahren und sei "ergebnisoffen". Ist die Regierung also mit einem Endlager einverstanden, sollte sich herausstellen, dass sich "sein" Gebiet doch am besten eignet? Konkret wollte Kägi nicht werden und wiederholte nur, die Regierung sei "ergebnisoffen".

 Zu den zentralen Festlegungen des Energieberichts gehört neben dem Bekenntnis zur Kernenergie auch eine Zielgrösse für den CO2-Ausstoss: Bis 2050 soll dieser von heute 5,5 auf 2,2 Tonnen pro Jahr und Person sinken. Hansruedi Kunz, Leiter der Abteilung Energie bei der Baudirektion, bezeichnete dieses Ziel gestern am Rande der Medienorientierung als "äussert ambitioniert", aber bei guten Bedingungen erreichbar. Illusionär ist aber seiner Meinung nach die Senkung auf 1 Tonne bis 2050, wie es die Stadt Zürich mit ihrem Bekenntnis zur 2000-Watt-Gesellschaft beschlossen hat. National und international stünden für dieses Ziel die Jahre 2100 bis 2150 zur Debatte.

 Anders als vor vier Jahren hat der Kanton im neuen Energieplanungsbericht die Richtgrösse 1 Tonne gar nicht mehr erwähnt. Warum? "Wir hatten keine Hintergedanken", sagt Kunz. Die Vorgabe liege einfach ausserhalb des Planungshorizontes.

 Hausaufgabe für Autofahrer

 Die Zielgrösse von 2,2 Tonnen, die auch im kantonalen Energiegesetz steht, hält die Regierung für erreichbar - mit einem Mix aus freiwilligen und gesetzlichen Vorgaben. Zu Letzteren gehört die Vorschrift, dass bei Neubauten höchstens 80 Prozent des Wärmebedarfs mit nicht erneuerbaren Energien gedeckt werden darf. Neue Bauten würden heute mit Wärmepumpen oder mit Gasheizungen ausgerüstet, führte Kunz aus. Seinen Angaben zufolge liegt im bestehenden Gebäudepark der Anteil der Bauten mit Ölheizung bei 50 Prozent. Vor zehn Jahren waren es noch 73 Prozent, vor 20 sogar 88 Prozent.

 Um das 2,2-Tonnen-Ziel zu erreichen, muss laut Kunz der CO2-Ausstoss der neuen Autos von heute 170 Gramm pro Kilometer bis 2040 auf 60 Gramm sinken. Nötig seien effizientere Fahrzeuge, aber auch alternative Treibstoffe und Antriebssysteme. "Die Zürcher Autofahrer haben noch eine Hausaufgabe zu erledigen", sagte Kunz. Denn der CO2-Ausstoss pro Auto liegt drei Prozent über dem Schweizer Durchschnitt. Neue Anreize zum umweltverträglichen Autofahren setzt die Motorfahrzeugsteuer, die der Kantonsrat in der Pipeline hat.

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 Regierungsrat Kägis russische Reise

 Wird im russischen Majak, wo die Axpo Brennstäbe für ihre Atomkraftwerke bezieht, fahrlässig mit radioaktivem Material umgegangen? Der Axpo-Verwaltungsrat will diesem von Greenpeace erhobenen Vorwurf auf den Grund gehen und hat für nächsten Sommer eine mehrtägige Inspektionsreise mit Fachleuten geplant. Mit von der Partie sind aus dem Kanton Zürich auch Regierungsrat Markus Kägi (SVP) und Kantonsrat Peter Reinhard (EVP). "Ich will mir selber ein Bild vor Ort machen", sagt Kägi gestern vor den Medien. (tsc)

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St. Galler Tagblatt 3.12.10

Vorarlberg wehrt sich gegen Atomendlager

 Vorarlberg wehrt sich gegen ein Atommüllendlager in der Schweiz. Das Land habe Bedenken wegen des Sicherheitskonzepts, schreibt die Landesregierung ans Bundesamt für Energie.

 BREGENZ. Vorarlberg sei grundsätzlich gegen den Bau und den Betrieb eines Endlagers in der Schweiz, schreibt Landesrat Erich Schwärzler. Die Methodik der Abfallzuteilung sei in den vorgelegten Berichten nicht nachvollziehbar dargestellt.

 Insbesondere die Langzeitstabilität der gelagerten Behälter sei ungenügend dokumentiert, schreibt das Land Vorarlberg. Die Schweiz will bis 2030 ein Endlager für schwach- und mittelradioaktiven Atommüll und bis 2040 eines für hochradioaktiven Müll errichten. Sechs mögliche Standorte werden zurzeit untersucht. Am nächsten bei Vorarlberg gelegen wäre Benken ZH, das rund 100 Kilometer von der österreichischen Grenze entfernt ist.

 Die Vorarlberger Landesregierung und der Landtag hatten sich bereits in der Vergangenheit gegen Schweizer Pläne zum Bau neuer AKW und Endlager ausgesprochen. "Vorarlberg hat eine überzeugte Antiatomhaltung", sagt Schwärzler. Diese Haltung werde von allen Parteien im Landtag mitgetragen. (sda)

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sf.tv 2.12.10

Weniger Mädchen-Geburten wegen AKW

sf/blur

 Im Umkreis von 35 Kilometern rund um ein AKW kommen immer weniger Mädchen zur Welt.Das ist das Ergbneis einer neuen Studie aus Deutschland. Die Schweizer Behörden bezweifeln die Resultate der Studie des renommierten Helmholtz-Zentrums für Gesundheit und Umwelt in München.

 Im Umkreis von 35 Kilometern um alle Schweizer Atomanlagen fehlen pro Jahr 40 Mädchen, die zur Welt hätten kommen sollen. Zu diesem Schluss kommt der Biostatistiker Hagen Scherb vom Münchner Helmholtz-Zentrum für Gesundheit und Umwelt. 20 Millionen Geburten aus 10‘000 Gemeinden wurden ausgewertet und mit dem landesweiten Durchschnitt in Deutschland und der Schweiz verglichen.

 Pro Jahr 40 Mädchen weniger

 "In unserer Gesamtstudie, die seit in Betriebnahme der einzelnen Atomanlagen läuft, sind es zum Zeitpunkt der Publikation 8400 fehlende Mädchen, auf die Schweiz heruntergerechnet mit vier AKW sind es 1300 Mädchen. Und wenn man das auf ein Jahr bezieht, in dem theoretisch alle vier Schweizer Reaktoren laufen, sind es 40 fehlende Mädchen pro Jahr."

 Wegen der dichten Besiedelung leben rund 40 Prozent der Frauen im riskanten Umkreis von Atomanlagen. Das normale Geburtenverhältnis Mädchen und Buben liegt bei 1 zu 1,05. Das heisst in der Regel kommen auf 105 Buben 100 Mädchen zur Welt. Die Studie besagt, dass nahe AKW von 1000 Mädchen 3,5 nicht geboren werden. Der Unterschied liegt zwar nur im Promillebereich, ist dennoch signifikant.

 Ärzte fordern weitere Abklärungen

 Für den Basler Onkologen und Atomkraftgegner Claudio Knüsli sind diese Resultate alarmierend. Der Präsident der Vereinigung Ärzte und Ärztinnen gegen Atomkrieg Schweiz (IPPNW) vermutet, dass radioaktive Emissionen die Spermien und den Fötus schädigen. Unterstützt wir diese Theorie vom Deutschen Kinderarzt und IPPNW-Strahlenexperten Winfried Eisenberg.

 Radioaktive Isotope wie Tritium, schwerer Wasserstoff oder Strontium 90 würden von der Placenta aufgenommen und so auf das ungeborene Kind übertragen. Der Strahlungsausstoss wird zwar von Kraftwerkbetreibern genau gemessen, trotzdem glaubt Atomkraftgegner Eisenberg, dass diese Emissionen für den "Mädchenrückgang" verantwortlich seien. Vor allem Wartungsarbeiten der Atomanlagen würden die Emissionswerte im näheren Umkreis der AKW ansteigen, behauptet Eisenberg.

 Auf Grund dieser Erkenntnisse fordert IPPNW Schweiz, der über 600 Ärztinnen und Ärzte angehören, eine rasche Prüfung der Studienunterlagen seitens der Behörden. Diese, wie etwa der Bundessamt für Gesundheit BAG, die Kernkraftwerkbetreiber oder die Nukleare Sicherheitsbehörde, sind eher zurückhaltend.

AKW-Risiko

 Die Schweizer Atomkraftwerkbetreiber bezweifeln die Studie. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat ENSI hat Kenntnis von der Münchner Untersuchung, wartet aber ab, bis diese Resultate in einer medizinischen Fachzeitschrift publiziert werden. Mediensprecher Anton Treier verweist auf ein flächendeckendes Mess-System, dass die Radioaktivität laufend überwacht. Erhöhte Strahlenmengen, die über dem Grenzwert liegen, seien nicht bekannt. Dass es bei Revisionsarbeiten oder dem Austausch von Brennstäben zu erhöhter Radioaktivität kommt, dementiert er.

 Dass AKW ein ernsthaftes Problem für Kinder darstellen, zeigt die "KiKK-Studie" (Epidemiologische Studie zu Kinderkrebs in der Umgebung von Kern-Kraftwerken) im Auftrag des Bundesamtes für Strahlenschutz in Deutschland. Das Risiko für 0-4jährige Kinder an Leukämie zu erkranken, nimmt demnach zu, je näher ihr Wohnort an einem Kernkraftwerkstandort liegt. Im 5-km-Umkreis um die Reaktoren wurde im Untersuchungszeitraum von 1980 bis 2003 festgestellt, dass 37 Kinder neu an Leukämie erkrankt sind. Im statistischen Durchschnitt wären 17 Fälle zu erwarten gewesen.

 Schweizer Resultate ab 2011

 In der Schweiz hat man darauf reagiert und hat ebenfalls eine Untersuchung in Auftrag gegeben. Die CANUPIS-Studie (Childhood Cancer and Nuclear Power Plant in Switzerland) soll das Krebsrisiko bei Kindern beleuchten. Untersucht werden Faktoren wie ionisierende Strahlung, elektromagnetische Felder oder industrielle Immissionen.

 Resultate werden für 2011 erwartet. Bis dahin tappt die Wissenschaft noch weiter im Dunkeln. Mehr dazu in der Sendung Einstein um 21.00 Uhr auf SF 1.

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Basler Zeitung 2.12.10

AKW könnten mehr Frühaborte auslösen

 Laut einer Studie werden nahe bei AKW zu wenig Mädchen geboren - Kritiker hegen Zweifel

 Susanna Petrin

 Forscher stellen in einer neuen Studie fest, dass im Umkreis von AKW weniger Kinder zur Welt kommen. Die Gründe dafür sind unbekannt. Offenbar seien weibliche Embryonen strahlenempfindlicher, vermutet der Basler Onkologe Claudio Knüsli. Er ist besorgt: In der Schweiz seien fast 40 Prozent der Frauen potenziell betroffen.

 "Fehlende Kinder" nennen drei Wissenschaftler des Helmholtz Zentrum München das Phänomen. Sie haben über 22 Millionen Geburtszahlen der letzten fast 40 Jahre auf Geschlecht und Geburtsort untersucht. Ihre Erkenntnis: Im Umkreis von 35 Kilometern von Atomanlagen werden statistisch betrachtet zu wenig Mädchen geboren. Der Unterschied zum Durchschnitt bewege sich zwar im Promillebereich, aber die Aussage sei aufgrund der enormen Datenmenge signifikant. Ausserdem sei davon auszugehen, dass in der Nähe von AKW auch weniger Knaben als üblich zur Welt kämen. Als möglichen Grund dafür wird vermutet, dass die radioaktiven Emissionen der AKW Spontanaborte auslösen können. Weibliche Embryonen reagierten offenbar empfindlicher auf ionisierende Strahlung als männliche.

 schweiz besonders betroffen. In der Regel kommen auf 105 Buben 100 Mädchen zur Welt; die Studie besage, dass "nahe AKW von 1000 Mädchen rund 3,5 nicht geboren werden", sagt Claudio Knüsli, Präsident der Ärzte und Ärztinnen gegen Atomkrieg Schweiz (IPPNW). "Innerhalb von 40 Jahren fehlen demnach in der Schweiz gesamthaft 3000 bis 4000 Kinder." Wegen der dichten Besiedlung "leben in der Schweiz fast 40 Prozent der Frauen im riskanten Umkreis von Atomanlagen", so Knüsli. Besonders besorgniserregend sei der Standort Beznau mit zwei AKW sowie dem nahen Zwischenlager in Würenlingen und dem Paul Scherrer Institut mit seiner Forschungsanlage. In diesem Umkreis hätten die Forscher eine besonders starke Abweichung vom üblichen Geschlechterverhältnis (sex odds) gefunden.

 Knüsli verlangt nun namens der IPPNW, der über 600 Ärzte angehören, eine rasche Überprüfung der Studie. Denn was genau hinter diesen Zahlen stecke, sei unklar. Im schlimmsten Fall könnte das Erbgut der Menschen, die nahe bei AKW leben, durch die Emissionen beschädigt werden, sagt Knüsli. "Solche Störungen äussern sich aber oft erst nach Jahrzehnten."

 Die neue Studie "Is the Human Sex Odds at Birth Distorted in the Vicinity of Nuclear Facilities?" ist kürzlich an einem Kongress in Bonn vorgestellt worden, Auszüge davon finden sich im Internet. Doch noch ist sie in keiner Fachzeitschrift erschienen. "Uns fehlen die Daten aus fünf Bundesländern", sagt einer der Autoren, Hagen Scherb. Aber die Hauptaussage werde sich nicht mehr ändern.

 "nicht gesichert". Wachsam bis kritisch gegenüber der Studie stehen einige andere Wissenschafter, die auf einem ähnlichen Gebiet tätig sind. Die wenigsten wollen sich aber vor deren Publikation in einer Fachzeitschrift dazu äussern, ebensowenig das Bundesamt für Gesundheit. Das Schweizer Forum Medizin und Energie (FME) bezweifelt in einem Factsheet gar, dass diese Arbeit überhaupt je "in einer ernst zu nehmenden wissenschaftlichen Zeitschrift" erscheint. Der Kongressbericht darüber sei "ein klassisches Beispiel von vermutlich böswilliger Datenmanipulation und des Missbrauchs von statistischen Testverfahren".

 Skeptisch zeigt sich auch Claudia Spix, stellvertretende Leiterin des deutschen Kinderkrebsregisters, die sich den Auszug der Studie angesehen hat: "Ein Nachweis, dass AKW eine Auswirkung auf das Geschlechterverhältnis haben, scheint mir bei dieser Studie noch nicht gesichert", sagt sie. Die sex odds würden sich bekanntlich über Zeit und Raum ohnehin ändern. Der aktuelle Stand der Forschung besage lediglich, dass im Fünfkilometerumkreis zu AKW eine kleine Zahl mehr Kinder an Krebs erkrankten. Doch auch hier sei der Zusammenhang zu den AKW nicht erwiesen.

 Co-Studienautor Scherb wehrt ab: Das FME sei atomfreundlich und nicht objektiv. Bereits veröffentlichte Studien besagen, dass Strahlung das Geschlechterverhältnis beeinflusst; seit Tschernobyl seien in Europa zu wenig Mädchen zur Welt gekommen. Eine Fachzeitschrift habe ihm die Publikation seiner Studie zugesichert.

 Die Wissenschaftssendung Einstein auf SF1 befasst sich heute mit der Studie (21 Uhr).

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Solothurner Zeitung 2.12.10

Abstimmung über AKWs als Ziel

 Junge Grüne Die Partei hat eine neue Präsidentin. Magdalena Röösli (Aedermannsdorf) folgt auf Christof Schauwecker (Solothurn), der weiterhin Vorstandsmitglied bleibt. Die 21-jährige Röösli ist zurzeit Praktikantin im sozialen Bereich. Sie wird die Jungpartei in die Nationalratswahlen vom Oktober 2011 führen, wo die Jungen Grünen wieder mit einer eigenen Liste antreten wollen. Ausserdem plant die Partei gemäss einer Medienmitteilung eine kantonale Volksinitiative gegen neue Atomkraftwerke auf Kantonsgebiet. "Der Start soll im Frühjahr 2011 erfolgen, momentan arbeiten wir an der Formulierung und suchen noch Unterstützung", erklärt der abtretende Präsident Schauwecker auf Anfrage. Voraussichtlich werde die Initiative eine Verpflichtung für die Behörden enthalten, sich gegen neue AKWs auf Kantonsgebiet zur Wehr zu setzen, ähnlich wie dies etwa in der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vorgeschrieben ist.

 "Das ist ein Projekt der Jungen", erklärt Iris Schelbert (Olten), Präsidentin der Grünen Kanton Solothurn, auf Anfrage. "Ich finde es ganz toll, dass sie diesen Elan haben." Die Jungen Grünen wollten die Initiative eigenständig durchziehen. "Wir helfen nur, wenn sie uns rufen." (cva)

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Oltner Tagblatt 2.12.10

Junge Grüne Kantonale Initiative gegen neue AKW

 Die Jungen Grünen Kanton Solothurn planen eine kantonale Volksinitiative gegen neue Atomkraftwerke auf Kantonsgebiet. Das geht aus einer Medienmitteilung hervor. "Der Start soll im Frühjahr 2011 erfolgen, momentan arbeiten wir an der Formulierung und suchen noch Unterstützung", erklärte der abtretende Präsident Christof Schauwecker auf Anfrage. Voraussichtlich werde die Initiative eine Verpflichtung für die Behörden enthalten, sich gegen neue AKW auf Kantonsgebiet zur Wehr zu setzen, ähnlich wie dies etwa in der Verfassung des Kantons Basel-Landschaft vorgeschrieben ist. "Das ist ein Projekt der Jungen", erklärte Iris Schelbert (Olten), Präsidentin der Grünen Kanton Solothurn, auf Anfrage. "Ich finde es ganz toll, dass sie diesen Elan haben." Die Jungen Grünen wollten die Initiative eigenständig durchziehen. "Wir helfen nur, wenn sie uns rufen." (cva)

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WoZ 2.12.10

Fumoir

 Alles so vernünftig

 Ruedi Widmer über die Architektur von Atomkraftwerken

 Die Abstimmungen zur Steuergerechtigkeits initiative und zur Ausschaffungsinitiative sind vorbei. Die kommenden Aufreger werden die neuen AKW-Projekte der Stromwirtschaft sein. Kühltürme statt Schafe, Stromlücke statt Ivan S.

 Mir ist eine Ausgabe der schwarz-weissen Architekturzeitschrift "Das Werk" aus dem Jahr 1976 in die Hände geraten, mit der Titelgeschichte "Die Architektur von Kernkraftwerken". Vor Kaiseraugst war der Optimismus im militärisch-industriellen FDP-Komplex noch gross, und statt über Abfall und das Ende des Urans machte man sich Gedanken, wie sich AKWs ins Landschaftsbild einfügen und ob sie mehr Colani-artig geformt sein könnten. Der dem Bericht vorgelagerte Inserateteil mit Anzeigen von Spannteppichfirmen und Derbi gum-Dichtungsbahnen mit einer ästhetisch scharfschattig fotografierten blutten Frau ist grösstenteils in der Schrift Gill Sans Ultra Bold gesetzt.

 Im Heft werden neben den bereits gebauten Werken Beznau 1 und 2 (AG) und Mühle berg (BE) die sich damals im Bau befindlichen Werke Gösgen (SO) und Leibstadt (AG) gezeigt. Zudem sind detaillierte Pläne, Beschreibungen und ästhetische, scharfschattige Fotografien von Modellen der Werke Kaiseraugst (AG), Graben (BE), Inwil (LU), Verbois (GE) und Rüthi im Rheintal (SG) zu sehen. Bekanntlich wurden diese nicht mehr realisiert, wenn das auch der heutigen Atomgegnerin vermutlich nahezu unbekannt ist.

 Man wird förmlich von der optimis tischen Klarheit und formalen Schönheit dieser Beschreibungen, Skizzen, Fotografien und Modelle eingelullt, und es wäre ja so toll, wenn es in Wirklichkeit so toll wäre. Es wirkt alles so freundeidgenössisch vernünftig, wie wenn Kurt Furgler mit seinem Müüli am Fernsehen sprach. Es erinnert mich an die ersten Begegnungen mit den Soldaten und den Pinzgauern in der Schulanlage, neben der ich aufgewachsen bin. Biskuits und Schoggi.

 Der Kindergartenfreund vom Spielplatz behauptete damals, die Schweiz habe sechs "Atoombombe", ich weiss es noch genau. Sechs. Unter unseren Wohnhochhäusern in Winter thur lag ein riesiges Militärspital. Wie die Atombomben war das Gerücht um ein unter irdisches Spital auch schon mir als Sechsjährigem geläufig, aber keiner der Spielkameraden hatte je den Eingang gefunden.

 Erst als ich in den neunziger Jahren eine kurze Zivilschutzlaufbahn durchschritt, sah ich die gigantische Anlage. Wer das nicht gesehen hat, wird nicht glauben, was in den Tiefen unseres Landes existiert.

Wenn ich die Stromindustrie wäre, würde ich die neuen Atomkraftwerke in Beznau, Mühleberg und Gösgen auch unterirdisch anlegen, und zwar so, wie es die Armee gemacht hat, nämlich ungefragt und geheim. Warum sind Militäranlagen geheim, aber Atomkraftwerke nicht? Die Axpo erzählt ja öffentlich ohnehin Unwahrheiten und beschönigt ihr Tun. Auf dieses Theater kann ich verzichten. Auch auf den ganzen kommenden Economiesuisse-AKW-Stromlücken-Tanz.

 Warum muss die Stromversorgung überhaupt sicher sein, wenn es unser Finanzsystem nicht ist? Warum setzen sich diejenigen Kreise, die kein sicheres Finanzsystem, kein sicheres Sozialsystem und keine sichere Entsorgung von Atomabfällen anstreben, derart für eine sichere Landesverteidigung und eine sichere Stromversorgung ein? Weil sie immer noch in der Zeit leben, in der das Heft "Das Werk" 4/76 erschienen ist und alles in der Schrift Gill Sans Ultra Bold gesetzt war.

 Ruedi Widmer  ist Cartoonist und lebt in Winterthur.

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Bund 1.12.10

Kanton Bern ist Testfeld für die AKW-Schlacht

 Am 13. Februar fällt das Bernervolk mit der Mühleberg-Abstimmung einen Vorentscheid über die Zukunft der Atomkraft in der Schweiz. Die Vorbereitungen für den Abstimmungskampf laufen auf beiden Seiten der Barrikaden auf Hochtouren.

 Simon Thönen

 Die erste Runde ging am Sonntag an das atomkritische Lager: Mit 61 Prozent Ja-Stimmen votierte die Stadt Bern für den Ausstieg aus dem Atomstrom. Bereits am 13. Februar stimmt jedoch das Volk im Kanton Bern ab. Darüber, ob neben dem existierenden AKW in Mühleberg ein rund viermal leistungsfähigeres Atomkraftwerk gebaut werden soll - nur ein Dutzend Kilometer von der ausstiegswilligen Bundesstadt entfernt.

 Formal geht es in der konsultativen kantonalen Volksabstimmung zwar um nicht viel. Die Stimmberechtigten entscheiden über die Antwort, die der Kanton auf die Vernehmlassung des Bundes zur Rahmenbewilligung für drei neue AKW gibt. Den verbindlichen Entscheid über neue AKW wird das Schweizervolk erst 2013 oder 2014 in einer nationalen Referendumsabstimmung fällen.

 Faktisch ist aber klar, dass Mühleberg bei einem Volks-Nein am 13. Februar als Standort für ein neues AKW ausscheiden würde. Gegenwärtig sind noch drei Projekte für neue AKW im Rennen - eines mehr, als die Elektrizitätswirtschaft als notwendig erachtet.

 Darüber hinaus dürfte das Resultat der Berner Abstimmung auf die spätere nationale Volksabstimmung ausstrahlen. Dies, weil Bern der einzige Standortkanton ist, in dem sich das Volk bereits jetzt zu neuen AKW äussern kann. Und auch wegen seiner Grösse: Weit über zehn Prozent der Schweizer Stimmberechtigten leben im Kanton Bern.

 Kostspielige Kampagnen

 Natürlich wird die Berner Abstimmung Teil der Vorkampagnen, die im Hinblick auf die nationale Abstimmung längst begonnen haben. "Die Schweiz erlebt zurzeit nicht nur den längsten, sondern wohl auch den teuersten Abstimmungskampf ihrer Geschichte", konstatierte kürzlich die "NZZ am Sonntag".

 Im Kanton Bern läuft der Abstimmungskampf zu Mühleberg II bereits. Im "Bund" und in der "Berner Zeitung" publiziert die Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves) seit Wochen Inserate: Berufsleute aller Art, ein Teil davon bürgerliche Lokalpolitiker, erklären darin, weshalb "wir auf Kernenergie noch nicht verzichten können".

 Er rechne gegenwärtig mit Kosten von 150 000 Franken, sagt FDP-Nationalrat Christian Wasserfallen, Präsident von Aves Bern. Das nötige Geld stamme von den Mitgliedern und einer Spendenaktion bei KMU. "Weil unsere Organisation schon lange existiert und jahrelang brachlag, verfügen wir über stattliche Reserven", fügt er an. Laut einer Auskunft des Regierungsrats war die BKW Energie AG 2007 Mitglied von Aves (siehe Text unten). "Zum gegenwärtigen Zeitpunkt ist die BKW nicht Mitglied, und wir erhalten von ihr auch kein Geld", sagt Wasserfallen dazu.

 AKW-Risiken versus . . .

 Ein Übungsfeld für die kantonale Abstimmung war die städtische Abstimmung über den Atomausstieg - allerdings paradoxerweise kaum für die obsiegenden AKW-Gegner. Sie begnügten sich mit einer bescheidenen Kampagne, die gemäss ihren Angaben knapp 30 000 Franken kostete. Offensichtlich vertraute man darauf, dass das Prestige der linken und der Mitte-Parteien und ihrer Politiker in der Stadt ausreicht. Im Kanton wird dies nicht klappen, hier liegt die Lufthoheit beim bürgerlichen Lager.

 Man hoffe, 200 000 Franken für die Kampagne gegen Mühleberg II zu beschaffen, sagt Jörg Rüetschi, Geschäftsleiter des WWF Bern. Das Komitee "Nein zum neuen AKW in Mühleberg" wird am 7. Dezember gegründet. Operativ umgesetzt werde die Kampagne von den Umweltorganisationen selber. Rüetschi: "Wir werden uns auf die ungelösten Probleme und Risiken der Atomenergie konzentrieren." Das Thema bewege momentan viele Leute, sagt Rüetschi. "Bei all jenen, die sich vor 30 Jahren gegen AKW engagierten, gehen die Emotionen hoch."

 . . . sichere Stromversorgung

 Für die Kampagne gegen den städtischen Atomausstieg investierten Wirtschaftsverbände knapp doppelt so viel wie die Ausstiegsbefürworter. Sie verloren die Abstimmung, doch ihre Kampagne zeigte die Handschrift der beauftragten Profis: Burson-Marsteller ist eine internationale PR-Firma, die sich um so schwierige Fälle wie die Chemiekatastrophe von Bophal kümmerte.

 Ihr Know-how werden die PR-Experten nun auch im Kanton beweisen: Burson-Marsteller wird die Kampagne für das Komitee "Ja zu Mühleberg" ausführen, wie Adrian Haas, Direktor des federführenden kantonalen Handels- und Industrievereins, bestätigt.

 In der Schweiz leitet Burson-Marsteller die Geschäftsstelle des Nuklearforums, der früheren Schweizerischen Vereinigung für Atomenergie. Laut dem "Beobachter" finanziert die Elektrizitätswirtschaft das Nuklearforum jährlich mit über 2 Millionen Franken. Mitglied des Nuklearforums ist auch die BKW (siehe Text links unten).

 Hat die Wahl von Burson-Marsteller den angenehmen Nebeneffekt, dass das Komitee "Ja zu Mühleberg" einen kräftigen Zustupf aus den Töpfen des Nuklearforums erwarten darf? Haas dementiert: "Unsere Mittel stammen von unseren Mitgliedsverbänden." Wie die Gegenseite strebt das Komitee laut Haas ein Budget von 200 000 Franken an.

 Thematisch wird sich die Abstimmungskampagne laut Haas auf ein Hauptthema konzentrieren: "Auf die Kernfrage, wie man weiterhin zu einigermassen günstigen Preisen die Stromversorgung sicherstellen kann. Das ist das Entscheidende."

 Unternehmer gegen AKW

 Wirtschaftsverbände gegen Umweltorganisationen - dieses bekannte Muster durchbricht die "Gruppe Neue Energie Bern". Die lose Gruppierung vereinigt Unternehmer der Branchen, die von einer Abkehr von der Atomenergie profitieren würden.

 "Im Gegensatz zur Atomenergie werden die erneuerbaren Energien immer billiger", schrieb die Gruppe letzte Woche in einer Mitteilung, "es sind Berner Unternehmungen, die sie produzieren und installieren." Die Kampagnenidee der Gruppe ist es, die Branche der erneuerbaren Energien via deren Unternehmer sicht- und fassbar zu machen.

 Laut Kampagnenleiter Stefan Batzli von der PR-Agentur CR Kommunikation machen bereits 35 Unternehmer mit. Die Anschubfinanzierung von knapp 50 000 Franken haben Umweltverbände geleistet. "Inzwischen finanziert sich die Gruppe einzig über Beiträge der Unternehmer", sagte Batzli, "die Gruppe erhält auch kein Geld von der öffentlichen Hand." Er hofft, dass für die Kampagne gegen das neue AKW 150 000 Franken zusammenkommen.

 Das Handicap der Gruppe dürfte sein, dass erneuerbare Energien gegenwärtig gefördert werden müssen. "Auch Atomstrom rechnet sich bei einer Vollkostenrechnung nur dank staatlicher Unterstützung", sagt Batzli. Ein neues AKW würde zudem erst 2025 oder 2030 in Betrieb gehen. Batzli: "In zwanzig Jahren werden die erneuerbaren Energien sehr viel günstiger sein als heute."

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Abstimmungskampf und Kantonsregierung

 Bürgerliche Kritik an Regierung

 Der mehrheitlich bürgerliche Grosse Rat will ein neues AKW in Mühleberg, die rot-grüne Regierung nicht. Ob sich die Regierung an den Grossratsbeschluss halte, will BDP-Grossrat Samuel Leuenberger in einer Interpellation wissen. Die Antwort der Regierung liegt noch nicht vor, doch Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) gab sie bereits unmittelbar nach der Grossratsdebatte: Sie werde bei ihren Auftritten die Haltung des Grossen Rats darlegen, "aber selbstverständlich werde ich auch die regierungsrätliche Haltung nicht zurückhalten", sagte Egger dem "Bund" bei dieser Gelegenheit. Die Energiedirektorin wird sich also durch das Parlament wohl kaum einen Maulkorb anlegen lassen.

 Weiter will Leuenberger wissen, ob der Kanton sich an den Kosten der Kampagne der "Gruppe neue Energie Bern" beteiligt (siehe Haupttext). Auf Anfrage beantwortet der Generalsekretär der Bau-, Verkehrs- und Energiedirektion, Christian Albrecht, dies mit einem knappen Nein.

 Politisierende Staatsangestellte

 Zudem kritisiert Leuenberger, "dass ein Kaderangestellter des Kantons Unternehmer für die Mitwirkung bei der‹Gruppe Neue Energie Bern› zu gewinnen versuchte". Beim besagten Kaderangestellten handle es sich um Ulrich Nyffenegger, Fachstellenleiter Energie in der BVE, sagt Leuenberger.

 Nyffenegger äussert sich auf Anfrage nicht direkt zum Sachverhalt, sagt aber: "Es sollte den Kanton nicht interessieren, welche Vereine ich meinen Bekannten als Privatperson empfehle." Auch als Kantonsangestellter dürfe er sich politisch betätigen. "Ich dürfte zum Beispiel ein Nationalratsmandat ausüben."(st)

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Elektrizitätswirtschaft und Abstimmungskampf

 Wie stark mischt sich BKW in den Abstimmungskampf ein?

 Die BKW verspricht Zurückhaltung, doch die SP bemängelt fehlende Transparenz.

 Die BKW Energie AG hatte in den letzten Jahrzehnten oft Kampagnen in eigener Sache geführt oder bezahlt. Noch 2009 gab sie 500 000 Franken für eine Kampagne zu einer kantonalen Abstimmung über Mühleberg in der Waadt aus.

 Es war deshalb ein wenig überraschend, dass die BKW bereits vor Monaten im Abstimmungskampf um ein neues AKW in Mühleberg Zurückhaltung versprach. "Wir planen keine politische Abstimmungsinformation und finanzieren auch keine Abstimmungskomitees", betont BKW-Sprecher Antonio Sommavilla nun erneut. Er fügt aber an: "Wir behalten uns vor, auf Falschinformationen der Mühleberg-Gegner zu reagieren." Eine Hintertüre bleibt dem Unternehmen also weiterhin offen.

 Die BKW wird ihren Standpunkt laut Sommavilla "via die existierenden Informationskanäle wie Kundeninformationen, die Firmen-Website und Medienmitteilungen einbringen". Mit dem Kundenmagazin "energy forum" etwa erreicht die BKW die Kantonsbevölkerung ausserhalb der grossen Städte. Auch das stadteigene Werk EWB hat übrigens in der Kundenzeitschrift für den Atomausstieg geworben - was für einmal die bürgerliche Seite verärgerte.

 Was zahlt BKW an Atomlobby?

 SP-Grossrat Andreas Hofmann hatte sich bereits 2007 erkundigt, welche pronuklearen Organisationen die BKW finanziert. Laut der Antwort des Regierungsrats waren dies das Nuklearforum, die Aktion für vernünftige Energiepolitik (Aves), das Energieforum Schweiz sowie drei internationale Organisationen. Die BKW "richtet pro Jahr rund 260 000 Franken an diese Organisationen aus".

 Aus der Aves sei die BKW bereits 2008 ausgetreten, sagt Sommavilla nun auf Anfrage, bei den übrigen Organisationen sei die BKW immer noch Mitglied. Die Mitgliederbeiträge kosteten unter 10 000 Franken. "Zusätzlich zahlen wir jährlich rund 300 000 Franken an das Nuklearforum", sagt Sommavilla. Damit kaufe man beim Nuklearforum jedoch "spezifische Dienstleistungen" ein. So etwa einen Monitor über weltweite Entwicklungen in der Nuklearbranche.

 Die Antwort überzeugt Hofmann nicht: "Ich kann mir nur schwer vorstellen, dass die ganze Summe für solche Aufgaben verwendet wird", sagt er, "der Verdacht bleibt, dass auch pronukleare Propaganda finanziert wird."(st)

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20 Minuten 1.12.10

Gegen Endlager

 BERN. Die erste Etappe bei der Suche nach einem Endlager für radioaktive Abfälle endet mit verhärteten Fronten: Tausende Bewohner betroffener Regionen wehren sich gegen das Atommüll-Konzept des Bundes. Dieser will im nächsten Jahr in der zweiten Etappe die Mitwirkungsmöglichkeiten ausweiten.

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Tagesanzeiger 1.12.10

Widerstand gegen Endlager

Zrinski Sandra

 Kein Tiefenlager für Atommüll nördlich der Lägern - das fordert der Verein Klar Züri Unterland.

 Unterland - Bis das künftige Lagervolumen an Atommüll feststeht, soll die Standortsuche für ein Endlager aufgehoben werden. Diese Forderung stellt der kürzlich gegründete Verein Klar Züri Unterland. Wie er in einem Communiqué mitteilt, brauche es aus diesem Grund einen Verzicht auf neue Atomkraftwerke und ein definiertes Szenario für den Ausstieg aus der Atomenergie. Das Lagerkonzept sei dahin gehend zu ändern, dass technische Unsicherheiten gelöst und gesellschaftspolitische Fragen in langen Zeiträumen ausreichend berücksichtigt würden. Der Verein kritisiert, dass die Rückstellungen für den Umgang mit Atommüll zu erhöhen seien. Nur so könne eine allfällige Rückholung und eine längere Überwachung des Abfalls gewährleistet werden.

 Ende Januar führt der Verein seine erste Mitgliederversammlung durch. Bis dann bilden folgende Personen den Vorstand: die ehemalige grüne Kantonsrätin Susanne Rihs-Lanz (Glattfelden), der Co-Präsident der Grünen im Bezirk Bülach Felix Böni (Bülach), Vorstandsmitglied der Grünen im Bezirk Dielsdorf Doris Haab (Niederweningen) und Vorstandsmitglied der Grünen des Kantons Aargau Lukas Spuhler (Wislikofen).

 Zweiter Verein wegen Streit

 Neben dem Verein Klar Züri Unterland engagiert sich LoTi (Nördlich Lägern ohne Tiefenlager) gegen ein Endlager im Unterland und in den angrenzenden Kantonen. Bei der Gründungsversammlung im September dieses Jahres kam es zu einem Zerwürfnis zwischen Vertretern der Grünen Partei und SP-Mitgliedern. Die Grünen zogen sich dabei zurück und verzichteten auf eine Vertretung im Vorstand. Unter ihnen war auch Susanne Rihs-Lanz.(szr)

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Aargauer Zeitung 1.12.10

"Die Sicherheit muss oberstes Gebot bleiben"

 CVP zum Tiefenlager Die CVP des Bezirks Zurzach hat sich mit einer Eingabe an der ersten Etappe des Sachplanverfahrens für ein Tiefenlager beteiligt. Darin hält sie fest, dass der Kanton Aargau als Standort der meisten Kernanlagen (Beznau, KKL) sowie von Zwilag und PSI nicht automatisch als Standort des Tiefenlagers zu favorisieren sei: "Die Sicherheit muss oberstes Gebot bleiben. Im Weiteren lehnen wir ab, dass die Region mit der grössten Opposition für ein Tiefenlager (derzeit Kanton Schaffhausen) ausser Betracht fällt", schreibt die CVP in ihrer Eingabe. Grundsätzlich unterstützt die CVP des Bezirks Zurzach den vom Bundesrat 2008 verabschiedeten Sachplan geologisches Tiefenlager. Das Verfahren sei transparent und demokratisch und die Bevölkerung der betroffenen Gebiete werde in den Prozess einbezogen, schreibt die Partei. Sie verlangt, dass das federführende Bundesamt für Energie mit Engagement seine Führungsverantwortung wahrnimmt und den Prozess mit allen Beteiligten verantwortungsvoll vorantreibt.

 Die CVP des Bezirks Zurzach beurteilt die Stellungnahmen der Fachleute als stichhaltig und nachvollziehbar. Alle Standortgebiete seien weiter zu bearbeiten und in den Sachplan aufzunehmen. Die CVP des Bezirks Zurzach distanziert sich jedoch von der unsolidarischen Haltung, aus regionalpolitischen Gründen auf bestimmte Standortgebiete zu verzichten: "Ein Schwarzpeterspiel zwischen den möglichen Standortgebieten bringt niemandem etwas. Im Weiteren darf die Grenznähe bei einem sicherheitsgerichteten Verfahren kein Ausschlussgrund sein. Das benachbarte Ausland ist in den Prozess einzubinden. Es gilt jedoch, die Souveränität unseres Staates zu beachten." Die CVP Bezirk Zurzach verlangt, dass das Verfahren transparent und nachvollziehbar bleibt. Grosser Wert sei auf eine offene und sachliche Information gegenüber allen Beteiligten, insbesondere der Bevölkerung, zu legen. (AZ)

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Oltner Tagblatt 1.12.10

SP: "Genug ist genug"

 Tiefenlager Die SP Kanton Solothurn will die Region Jurasüdfuss - und auch die anderen Regionen mit bestehenden Kernkraftwerken - von der Standortsuche für ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle ausschliessen. Zudem findet sie die Standortsuche grundsätzlich verfrüht, weil aus ihrer Sicht noch kein ausgereiftes, sicheres Lagerkonzept vorliegt. Dies schreibt sie in ihrer Anhörungsantwort an das Bundesamt für Energie zum Sachplan geologisches Tiefenlager, Etappe 1.

 "Bei KKW-Störfall nicht zugänglich"

 Spezifisch zum Standortgebiet Jurasüdfuss (Raum Olten-Aarau) findet die SP Kanton Solothurn: "Ein aktives Kernkraftwerk und ein gleichzeitiges Lager für radioaktive Abfälle schliessen sich aus Sicherheitsgründen aus." Denn der Zugangsbereich einer Lagerstätte müsse jederzeit erreichbar sein, ein Störfall in einem KKW könne diese Zugänglichkeit jedoch behindern oder verunmöglichen. Das betreffe insbesondere ein neues KKW Niederamt mit jahrzehntelanger Laufdauer.

 "Widersinnig und nicht akzeptierbar" sei ein Tiefenlager Jurasüdfuss auch deshalb, weil diese Region durch das vom Bund unterstützte Agglomerationsprojekt Aareland als Wohnregion und natürliche Aarelandschaft gefördert werde. Diese Region sei bereits genügend mit atomaren Anlagen und Gefahren belastet. Dazu komme das Projekt eines zweiten Kernkraftwerks. "Die Bevölkerung hat das Recht, nicht zum atomaren Abfallkübel der Schweiz verdammt zu werden", schreibt die SP und folgert: "Genug ist genug."

 Unabhängige Forschung ermöglichen

 Unabhängig vom konkreten Standort verlangt die SP, der vom Bundesrat akzeptierte Entsorgungsnachweis sei aufzuheben und das Lagerkonzept zu überarbeiten. Angesichts ungelöster technischer und gesellschaftlicher Probleme sei die Standortsuche heute verfrüht und deshalb aufzuschieben.

 Die Nagra muss nach Ansicht der SP aus ihrer Abhängigkeit von den AKW-Betreibern gelöst werden, zudem brauche es eine zweite, gleichwertige Institution, die losgelöst von der Nagra eigenständige Forschung tätigen könne. Anzustreben sei eine interdisziplinäre Lösung, die nicht nur die technisch-geologischen Aspekte berücksichtige. (mgt)

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Blick 1.12.10

Poker um Atommüll geht in nächste Runde

 Wo die Endlager für Atommüll stehen werden, ist noch ungewiss. Klar ist nur: Keiner will sie. Das zeigen Reaktionen aus den betroffenen Regionen.

 In sechs Schweizer Regionen wird gezittert. Denn sie gelten als mögliche Standorte für die Endlagerung von Atommüll (siehe Karte). Bis gestern hatten sie Zeit, sich zu diesen Plänen des Bundes zu äussern.

 "Es ist ja klar, dass niemand ein solches Lager bei sich will", sagt Hans Kopp, Gemeindepräsident von Wolfenschiessen NW. Sein Dorf gehört zusammen mit sieben weiteren Gemeinden aus den Kantonen Nid- und Obwalden zur "Standortregion Wellenberg".

 Kaum anders tönt es an den anderen Standorten: "Wir sind klar gegen ein Tiefenlager in unserer bevölkerungsreichen Region. Aber wir stellen uns der Ausmarchung", heisst es beim Forum "Lägern-Nord". In der Region "Bözberg" spielt man einen anderen Trumpf aus: Man habe mit Beznau I und II sowie Leibstadt drei Kernkraftwerke in der Region und in Würenlingen AG stehe bereits ein Zwischenlager für radioaktive Abfälle.

 Mit solchen Argumenten versuchen die betroffenen Regionen, sich für ein Endlager aus dem Rennen zu nehmen. Über 300 Wortmeldungen sind beim Bundesamt für Energie zu dieser brisanten Standortfrage eingegangen. Von einzelnen Personen, von Interessengruppen und Gemeinden - auch aus Deutschland. Denn drei der sechs Standortregionen grenzen an deutsches Territorium. All diese Äusserungen werden gesammelt, die weiteren Entscheidungen liegen aber beim Bundesrat. Er wird bis Mitte 2011 festlegen, ob vorerst mit allen sechs Standorten weitergeplant wird. Oder ob bereits die ersten aus dem Rennen fallen.

 Danach sollen weitere Untersuchungen zeigen, welche Standorte am besten für ein Endlager geeignet sind - von einer richtigen Rangliste ist die Rede. Spätestens dann wird es für die bestplatzierten Regionen ungemütlich.

 Das letzte Wort hat am Schluss das Volk. Frühestens 2018 wird über die Endlager-Frage abgestimmt. Das heisst: Jene Regionen, die von den sechs noch im Rennen sind, kämpfen dann an der Urne gegen den Rest der Schweiz.

 Matthias Pfander

 Die möglichen Standorte:

 1 Jura-Südfuss

 2 Bözberg

 3 Lägern-Nord

 4 Südranden

 5 Zürcher Weinland

 6 Wellenberg

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Basellandschaftliche Zeitung 1.12.10

Anti-AKW-Bewegung: Weder überaltert noch träge

 Widerstand Derzeit stehen die Argumente im Vordergrund. Grössere Aktionen folgen erst, wenn es akut wird

Daniel Haller

 Die Anti-AKW-Bewegung ist in der Nordwestschweiz ein Erfolgsmodell: In beiden Basel steht die Ablehnung der Atomkraftwerke (AKW) in der Verfassung, in dieser Woche kommt die Basler Standesinitiative "Erneuerbare Energien und Energieeffizienz statt neue Atomkraftwerke" in den Ständerat, und die Energieunternehmen in der Region investieren quer durch Europa in Wind- und Sonnenkraftwerke (siehe Seite 31).

 Doch macht Erfolg nicht träge? Ist die Bewegung in der Lage, sich angesichts der neuen AKW-Pläne der Stromkonzerne zu erneuern, oder besteht sie nur noch aus einigen Kaiseraugst-Veteranen, die sich unlängst im Verein "NWA-55plus" (Basellandschaftliche Zeitung vom 29. November) organisiert haben?

 NWA heisst "Nie wieder Atomkraftwerke". Doch bereits im Februar wird im Kanton Bern über den Ersatz für das AKW Mühleberg abgestimmt, und für 2013 rechnet man mit einer nationalen Abstimmung über einen AKW-Neubau. "Natürlich ist es im Vergleich zu einem Fussballmatch bescheiden, wenn an Pfingsten 5000 Personen am ‹Menschenstrom› zum AKW Gösgen teilgenommen haben", meint Roland Meyer (74), Präsident von NWA-55plus. Derzeit sei eher Argumentation als Aktion angesagt. "An dieser Demo haben Menschen aller Altersstufen teilgenommen. Die Bewegung kann sich im Schneeballsystem rasch vergrössern."

 Auch Heidi Portmann (70), Präsidentin der Gewaltfreien Aktion Kaiseraugst (GAK), ist zuversichtlich, erreicht sie doch mit der GAK-Zeitung "Energie Express" nach wie vor gegen 11000 Abonnenten. "Viele sind in Gemeinden engagiert und argumentieren für erneuerbare Energien. Oder sie sammeln Unterschriften für Initiativen und Referenden." Man müsse nun klarmachen, dass ein neues Atomkraftwerk unsinnig teuer und ein wirtschaftliches Klumpenrisiko sei und zudem die Entwicklung in Richtung Alternativenergie behindere.

 Auch Anti-AKW-Bewegung U30

 "NWA-55plus haben wir gegründet, damit ob der ganzen Power der nachrückenden Jungen die Erfahrung der Alten nicht verloren geht", erklärt Aernschd Born, Geschäftsführer NWA. "Es geht darum, eine gemeinsame, generationsverbindende Strategie zu entwickeln."

 Zu dieser jungen Generation zählt die Baslerin Michaela Lötscher (24), die unter anderem in Gorleben an den Castor-Blockaden teilgenommen hat. "In Basel selbst ist das Thema derzeit nicht sehr aktuell, aber die Gruppe, die den Menschenstrom organisiert hat, trifft sich regelmässig und plant weitere Aktionen." Als Mitglied der Greenpeace-Regionalgruppe Basel betont sie: "Bei der Abstimmung 2013 darf es keine Zustimmung zu dieser veralteten und gefährlichen Technologie mit ihren vielen ungelösten Problemen geben."

 Auch für die Basler Grossrätin Mirjam Ballmer (28) von den Jungen Grünen ist der Kampf gegen neue AKW "ein langfristiges Schwerpunktthema". Dass sich derzeit die Anti-AKW-Bewegung nicht fühlbarer äussert, beunruhigt sie nicht: "Widerstand braucht einen Anlass. Im Moment ist die Kraft der Strasse noch nicht nötig." Sie verweist darauf, dass die Facebook-Gruppe "Nein zu neuen AKW in der Schweiz" derzeit knapp 4000Mitglieder habe. "Wenn dann eine akute Situation entsteht, lassen sich die Jungen mobilisieren."

 Kein "Sowohl als auch"

 Auch Born beobachtet, dass derzeit viele Leute zufrieden sind, beispielsweise mit den Investitionen in erneuerbare Energie. "Die Stromunternehmen wollen uns weismachen, es brauche trotzdem auch ein AKW." Dies komme dem schweizerischen Sicherheitsdenken entgegen. "Doch das geht nicht: Ein AKW ist so teuer, dass für Alternativen nichts bleiben würde. Es gibt nur ein ‹Entweder oder›, kein ‹Sowohl als auch›."

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 Atommüll: Verhärtete Fronten zum Endlager-Konzept

 Am Ende der ersten Etappe zur Suche eines Endlagers für radioaktive Abfälle protestierten 4000 Bewohner betroffener Gebiete mit schriftlichen Einsprachen. Weiter gingen rund 200 Stellungnahmen von Parteien, Organisationen und Gemeinden beim Bundesamt für Energie (BFE) ein. Im Zentrum der zweiten Etappe stehe die Partizipation, sagte Michael Aebersold, zuständiger Projektleiter beim BFE. Dabei gehe es etwa darum, wo genau die Entsorgungsanlagen gebaut werden könnten. Der Direktor der Schweizerischen Energie-Stiftung, Jürg Buri, kritisiert das Partizipationsverfahren: "Dies ist eine scheindemokratische Alibiübung", sagte er gegenüber SDA. Die Bewohner der betroffenen Regionen dürften sich zwar äussern, doch habe ihre Kritik kein Gewicht. Es stehen sechs Möglichkeiten zur Diskussion: die Regionen Bözberg (AG), Jura-Südfuss (AG), Nördlich Lägern (AG und ZH), Südranden (SH), Wellenberg (NW und OW) und Zürcher Weinland (ZH und TG). (sda)

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Finanz und Wirtschaft 1.12.10

"Swissgrid könnte an der Börse kotiert werden"

 Hans Schweickardt Der VR-Präsident von Alpiq rechnet für die Netzgesellschaft mit hohem Kapitalbedarf und will die Standortfrage zum Bau neuer AKW offenhalten

Christoph Gisiger

 Die Debatte um neue Kernkraftwerke spitzt sich zu. Zur Diskussion steht auch der Alpiq-Standort im Solothurner Niederamt unweit der bestehenden Anlage in Gösgen. Verwaltungsratspräsident Hans Schweickardt verteidigt ihn gegen die vom Konsortium aus Axpo und BKW getragenen Projekte in Beznau sowie Mühleberg. Verglichen mit dem europäischen Ausland seien die Schweizer Stromtarife nach wie vor attraktiv, hält der Branchenveteran zudem fest. Auch plädiert er dafür, dass der Verwaltungsrat des Übertragungsnetzbetreibers Swissgrid weiterhin mit Vertretern aus dem Stromsektor bestückt wird.

 n Herr Schweickardt, Alpiq und andere Schweizer Stromvaloren haben 2010 enttäuscht. Wann geht es wieder aufwärts?

 Nicht nur Schweizer Stromaktien, auch Eon, RWE und der gesamte europäische Sektor stehen unter Druck. Energie ist und bleibt jedoch ein wichtiger Treibstoff für den Konjunkturmotor. Zudem entfällt auf den Stromsektor ein immer grösserer Anteil am gesamten Energieverbrauch. Das wird sich in der Bewertung von Elektrizitätsgesellschaften niederschlagen. Die mittel- bis langfristigen Perspektiven für Stromaktien sind daher intakt. Kurzfristig bremst aber die Ungewissheit, wie das politische Regelwerk im In- und Ausland ausgestaltet wird und wie sich die Gesamtwirtschaft weiterentwickelt.

 n Kotierte Stromkonzerne müssen zudem stets mit dem Widerspruch zwischen öffentlichem Versorgungsauftrag und unternehmerischem Wirtschaften leben. Das heisst, es werden auch Entscheide getroffen, die nicht immer im Interesse des Publikumsaktionärs sind. Ist eine Kotierung unter diesen Voraussetzungen überhaupt sinnvoll?

 Eine Kotierung hat immer auch mit Finanzierungsfragen zu tun. Sie eröffnet die Möglichkeit, Geld durch eine Kapitalerhöhung an der Börse aufzunehmen. Zudem wird die Transparenz erhöht, was für das Begeben von Anleihen hilfreich ist. Eine Kotierung schafft damit einen guten finanziellen Hintergrund für ein Unternehmen. Auch die Aktien von Swissgrid könnten deshalb durchaus an der Börse gehandelt werden.

 n Im europäischen Ausland werden die Aktien von Netzbetreibern wie National Grid oder Terna längst im Publikum gehandelt. Im Schweizer Stromversorgungsgesetz ist jedoch verankert, dass Anteile von Swissgrid nicht an einer Börse kotiert sein dürfen.

 Was die Politik letztlich entscheiden wird, ist ihr überlassen. Für Swissgrid aber ist wichtig, wie künftig die enormen Investitionen ins Übertragungsnetz finanziert werden. Dafür braucht das Unternehmen ausreichend Eigenkapital, das sich über ein breiteres Aktionariat einfacher beschaffen lässt - selbst wenn es sich nur um einen vergleichsweise kleinen Free Float handeln würde.

 n Gibt es für einen solchen Schritt denn schon feste Pläne?

 Im Rahmen der Revision des Stromversorgungsgesetzes wird diese Möglichkeit in verschiedensten Konstellationen diskutiert. Die Debatte ist politisch gesteuert, wobei zur Mechanik einer Kapitalbeschaffung und zur Bedeutung einer gewissen Minimalrendite Verständnis notwendig ist. Ohne ein breiter abgestütztes Aktionariat und die Möglichkeit zur Kapitalbeschaffung über die Börse wird es für Swissgrid jedoch sehr schwierig.

 n Ein heikler Punkt ist ebenfalls die Zusammensetzung des Verwaltungsrats von Swissgrid. Gemäss politischem Willen soll er möglichst unabhängig von der Strombranche sein.

 Die Frage ist, wie fundiert die Branchenkenntnis im Verwaltungsrat sein soll. Je nachdem muss eine Mehrheit oder eine Minderheit der Mitglieder aus der Elektrizitätswirtschaft kommen. Fehlen Vertreter der Strombranche aber ganz, könnte es schwierig werden.

 n Warum?

 Das Übertragungsnetz ist hochkomplex. Wenn es an Fachwissen mangelt, könnte es zum Beispiel zu schwerwiegenden Fehlentscheiden kommen. Das kann eine Organhaftpflicht nach sich ziehen und einen Verwaltungsrat in finanzielle Schwierigkeiten bringen. Ähnliche Probleme gab es bei Swissair.

 n Dennoch traut die Öffentlichkeit der Strombranche nicht. Besonders die Industrie fürchtet sich vor weiteren Tariferhöhungen und klagt darüber, dass trotz der partiellen Marktöffnung nach wie vor die alten Gebietsmonopole bestehen. Wie hohe Strompreise kann die Wirtschaft verkraften?

 Entscheidend ist, dass die Schweizer Wirtschaft durch konkurrenzfähige Stromkosten bevorteilt bleibt. Verglichen mit dem europäischen Ausland sind unsere Tarife noch immer attraktiv, wenn auch oft das Gegenteil behauptet wird. Nicht nachvollziehbar ist die Forderung nach Strom zu Gestehungskosten. Die Strombranche kann ihren Versorgungsauftrag nur erfüllen, wenn sich Investitionen in den Netzausbau sowie in neue Kraftwerke und Unterstationen rentieren. Ohne diese Investitionen wird sich der Strompreis letztlich dem europäischen Niveau angleichen, wobei zusätzlich die Kosten zur Nutzung der Grenzleitungen hinzukommen. Das wäre für die Wirtschaft eine nachteilige Entwicklung, die sich aber erst auf mittlere bis lange Sicht bemerkbar machen wird.

 n Zu den geplanten Grossinvestitionen gehören die Projekte für neue Kernkraftwerke in Beznau, Mühleberg und im Solothurner Niederamt. Ist die Technologie für neue Reaktoren überhaupt ausgereift? Areva zum Beispiel bekundet mit dem Bau von Prototypen in Finnland und Frankreich schwere Probleme.

 Im Bewilligungsverfahren für ein neues Kernkraftwerk muss zunächst nur die Leistungsklasse, nicht aber ein bestimmter Reaktortyp angegeben werden. Das ist sinnvoll, denn der politische Prozess zieht sich lange hin, während sich die Technologie fortwährend verbessert. Ein Prototyp käme für uns ohnehin nicht in Frage. Bis wir dann in der Schweiz ein Baugesuch einreichen können, verschafft uns das genügend Zeit, das entsprechende Fachwissen aufzubauen und von den Erfahrungen der verschiedenen Hersteller im Reaktorbau zu profitieren.

 n Zeit lassen sich Alpiq, Axpo und BKW ebenfalls, was ein gemeinsames Vorgehen betrifft. Dass sich die Grossen der Strombranche einen Konkurrenzkampf um den Bau neuer Kernkraftwerke liefern, schadet doch der Sache.

 Von einem Konkurrenzkampf kann keine Rede sein. Jedes neue Kernkraftwerk in der Schweiz wird ein Partnerwerk sein, denn niemand - und das gilt auch für Axpo und die BKW - hat die Kernenergie für sich allein gepachtet. Wenn in der Schweiz ein Kernkraftwerk gebaut wird, dann nur, weil das Volk es so will. Es geht darum, das Land auch künftig sicher versorgen zu können, und nicht darum, ein gutes Geschäft zu machen. Wirtschaftlich haben es Kernkraftwerke in den ersten zehn Betriebsjahren naturgemäss ohnehin eher schwer.

 n Vergangenes Wochenende haben sich auch die Städte Bern und St. Gallen entschieden, aus der Kernenergie auszusteigen. Bereitet Ihnen das Sorgen?

 Weil es für ein neues Kernkraftwerk eine eidgenössische Abstimmung braucht, haben diese Abstimmungen konsultativen Charakter. Dennoch hinterlassen sie Spuren, denn im behördlichen Bewilligungsverfahren wird alles mitberücksichtigt. Im kommenden Jahr werden zudem die Kantone Bern und Waadt über die Kernenergie abstimmen. Es wäre deshalb töricht, sich jetzt schon auf zwei bestimmte Standorte festzulegen.

 n Viel Gewicht im Aktionariat von Alpiq haben Elektrizitätswerke aus der Region Basel und der Westschweiz. Dort ist man der Kernenergie seit jeher abgeneigt. Spricht das nicht gegen das Alpiq-Projekt im Solothurner Niederamt?

 Der Ausgang einer eidgenössischen Abstimmung ist offen. Das Wahlverhalten dieser Regionen wird das Resultat zweifellos beeinflussen. Es ist deshalb wichtig, dass wir als zuständiger Versorger an vorderster Front aktiv bleiben. Wenn wir unser Projekt aufgeben würden, wäre die Unterstützung in diesen Regionen ebenso wie unsere Glaubwürdigkeit unnötig geschmälert.

 n Anders als Axpo und die BKW hat Alpiq mit EDF einen mächtigen ausländischen Stromkonzern als Grossaktionär. Das macht es politisch kaum einfacher.

 Das sehe ich nicht so. EDF kennt die politische Tragweite genau und weiss, dass die Schweiz die Frage nach neuen Kernkraftwerken nur für sich selbst lösen kann. Auch ist EDF als strategischer Partner in der Kernkraft nicht zu vernachlässigen. Sie verfügt über ausgewiesenes Fachwissen in der Kernenergietechnik, was gerade in der Umsetzung sehr nützlich sein kann. Hinzu kommt, dass die Schweiz wichtige Strombezugsverträge mit Frankreich hat. Obschon noch nicht klar ist, wie der Stromfluss über die Grenze künftig geregelt wird, bringt ein starker Partner hier zweifellos Vorteile.

 n Wie die Stromimporte aus Frankreich künftig geregelt werden, soll ein Energieabkommen mit der EU festlegen. Warum gibt es in dieser wichtigen Frage noch immer keine Übereinkunft?

 Unbestritten ist, dass sich beide Parteien gegenseitig brauchen. Die EU ist auf die Schweiz angewiesen, weil wir uns im Zentrum Europas befinden. Hinzu kommt, dass wir mit Italien, Frankreich sowie Deutschland die grössten Stromverbraucher als Nachbarn haben. Als Alpenland verfügt die Schweiz zudem über viel Wasserkraft, die sich sehr flexibel einsetzen lässt. Das wird immer wichtiger, weil Europa stark auf neue erneuerbare Energien setzt und die Züge zum Beispiel nicht nur dann fahren sollen, wenn der Wind bläst oder die Sonne scheint. Diese Trümpfe dürfen wir nicht unter Wert einsetzen und müssen die Verhandlungen möglichst zielführend zum Abschluss bringen. Ob das aber möglich ist, bevor sich der Schweizer Markt auch für Kleinkunden öffnet, ist fraglich, zumal das eine klare Forderung der EU ist.

 n Wie wird sich der europäische Energiemarkt in den kommenden Jahren entwickeln? Und welche Rolle will Alpiq dabei spielen?

 Auf dem grossen Schachbrett wird sich noch einiges bewegen. Sobald die Konjunktur wieder richtig Tritt fasst und die politischen Spielregeln klar sind, könnte auch die Schweiz Ziel von ausländischen Konsolidierungsbestrebungen werden. Dem können wir nur entgegentreten, indem wir mit einer Stimme sprechen. Das ist jedoch nur möglich, wenn die Vernunft obsiegt und es zu einer weiteren Konzentration in der Schweiz selbst kommt. Alpiq hat mit dem Zusammenschluss von EOS und Atel einen guten Anfang gemacht und ist in Europa zu einem agilen Spieler avanciert.

 n Wie interessant wäre beispielsweise eine engere Partnerschaft mit den BKW, nachdem Eon die Beteiligung am Berner Versorger den BKW verkauft hat?

 Darauf eine Antwort zu geben, ist schwierig. Was mit den BKW-Aktien passiert, ist Sache der BKW und von Groupe E. Ich schliesse aber nichts aus und bin für alle Spielvarianten offen, jeweils mit der Politik im Hintergrund. Für eine enge Partnerschaft braucht es gegenseitiges Einverständnis, denn ein solcher Schritt erfordert viel Geduld und Einsicht. Schliesslich hat der Zusammenschluss von EOS und Atel ja auch vier Jahre gebraucht.
 Interview: Christoph Gisiger

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 Zur Person

 Hans Schweickardt kennt die Strombranche wie kaum ein anderer. Der Spiritus Rector der Fusion von EOS und Atel ist ETH-Elektroingenieur und startete seine Karriere 1970 bei ABB. Anfang der Neunzigerjahre zog es ihn in die Stromwirtschaft, wo er für Atel den Bereich Energiewirtschaft leitete und am Aufbau des Handels massgeblichen Anteil hatte. Als Vorstandsmitglied der Frankfurter Energiebörse weitete er zudem sein internationales Kontaktnetz aus. 2002 übernahm er als CEO von EOS eine neue Herausforderung und restrukturierte das Westschweizer Überlandwerk erfolgreich. Zudem steht er Swisselectric, der Dachorganisation der Überlandwerke, vor. Der Bürger der Zürcher Gemeinde Neerach mit Jahrgang 1945 ist zweifacher Familienvater, fundierter Weinkenner und passionierter Modelleisenbahnfan.CG

 Das Powerhouse der Alpen

 Alpiq hat keine einfache Startphase. Die gedämpfte Nachfrage aus der Wirtschaft sowie Überkapazitäten in der Produktion halten die europäischen Elektrizitätspreise unter Druck. Anfang 2009 aus dem Schulterschluss des Überlandwerks EOS und der Oltner Stromhändlerin Atel hervorgegangen, spürt das auch Alpiq. Der gemessen am Umsatz grösste Schweizer Stromkonzern ist vor allem im europäischen Handel und Vertrieb aktiv. Die Feinverteilung im Heimmarkt übernehmen regionale Verbundwerke, die insgesamt gut 60% am Unternehmen halten.

 Mit mächtigen Speicheranlagen im Wallis ist Alpiq auf die Elektrizitätsproduktion zur Abdeckung von Verbrauchsspitzen spezialisiert. Das Unternehmen betreibt zudem das Kernkraftwerk Gösgen und unterhält in Italien, Frankreich, Osteuropa sowie neu auch in Spanien fossilthermische Anlagen. 2009 hat Alpiq mehr als 19 Mrd. Kilowattstunden Strom produziert, was rund einem Drittel des schweizerischen Jahresverbrauchs entspricht.

 Obschon das Marktumfeld erheblich schwieriger ist als in den vergangenen Jahren und der Handel risikobehaftet ist, schlägt sich der Konzern im Branchenvergleich wacker. In den ersten neun Monaten hat sich der Umsatz verglichen zur Vorjahresperiode 2% auf 10,5 Mrd. Fr. ermässigt, das Betriebsergebnis (Ebit) 12% auf 690 Mio. Fr. Das Ziel, das Vorjahresresultat zu egalisieren, lässt sich kaum noch halten. Wir rechnen für 2010 mit rund 600 Mio. Fr. Gewinn oder 22 Fr. pro Aktie. Die Papiere zählen im europäischen Stromsektor zwar zu den Qualitätswerten, doch Engagements erfordern Geduld, denn bis sich die hartnäckige Baisse im Elektrizitätsmarkt verzogen hat, braucht es noch einige Zeit.CG

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Telebärn 30.11.10

Schwierige Suche nach Atomendlager
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/schwierige-suche-nach-atomendlager/c=84713&s=1096756

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st.tv 30.11.10

Proteste von Atommüll-Gegnern erwartet

sda/gern

 Am Ende der ersten Etappe zur Suche eines Endlagers für radioaktive Abfälle sind die Fronten verhärtet: Tausende Bewohner betroffener Regionen wehren sich gegen das Atommüll-Konzept des Bundes. Dieser will im nächsten Jahr die Mitwirkungs-Möglichkeiten ausweiten.

 Im Zentrum der zweiten Etappe stehe die Partizipation, sagte Michael Aebersold, zuständiger Projektleiter beim Bundesamt für Energie (BFE). Dabei gehe es etwa darum, wo genau die Entsorgungsanlagen gebaut werden könnten. Je nach Standort kämen dafür bis zu 47 Gemeinden in Frage.

 Weiter will das BFE eruieren, welche wirtschaftlichen, ökologischen und gesellschaftlichen Auswirkungen ein Atommüll-Lager auf die Standortregionen hätte. Auch zu dem Thema würden die Regionen befragt, erklärte Aebersold. Mitwirkung bedeute jedoch nicht automatisch Mitsprache, machte er klar. Die zweite Etappe dauert voraussichtlich bis 2015/16.

 Kritik am Verfahren des Bundes

 Bis dann soll die Auswahl der möglichen Standorte auf je mindestens zwei für die Lagerung von schwach- und mittelradioaktiven sowie für die Lagerung von hochradioaktiven Abfällen eingeengt werden. Heute stehen sechs Möglichkeiten zur Diskussion: die Regionen Bözberg (AG), Jura-Südfuss (AG), Nördlich Lägeren (AG und ZH), Südranden (SH), Wellenberg (NW und OW) und Zürcher Weinland (ZH und TG).

 Nichts übrig für das Partizipationsverfahren hat der Direktor der Schweizerischen Energie-Stiftung (SES), Jürg Buri: "Das Verfahren ist eine scheindemokratische Alibiübung", sagte er.

 Die Bewohner der betroffenen Regionen dürften sich zwar äussern, am Schluss habe ihre Kritik aber kein Gewicht. "25 Kantone können einem einzigen ein Endlager aufzwingen", hielt Buri fest.

 Optimale Lösung noch nicht gefunden

 Mit Unterstützung der SES protestierten im Rahmen der Vernehmlassung zur ersten Etappe 4000 Bewohner betroffener Gebiete mittels schriftlicher Einsprachen. Weiter gingen rund 200 Stellungnahmen von Parteien, Organisationen oder Gemeinden beim BFE ein, wie Aebersold sagte.

 Für den Fall, dass eine Region gegen ihren Willen zur Aufnahme der radioaktiven Abfälle gezwungen wird, sagt SES-Direktor Buri grosse Proteste voraus. "Wir werden Bilder sehen wie jüngst im deutschen Gorleben." Für ihn ist klar: Um eine Region davon zu überzeugen, dass sie radioaktive Abfälle bei sich aufnehme, brauche es nicht einfach "Bestechungsgelder", sondern ein gutes Konzept.

 Und ein solches Konzept fehle der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), die im Auftrag des Bundes nach Lösungen sucht, kritisiert Buri. Unterstützung erhält die SES von der SP und den Grünen. Es sei schlicht unvorstellbar, Atommüll für die nächste Million Jahre sicher zu entsorgen, schreiben etwa die Grünen im Vernehmlassungsverfahren zur ersten Etappe.

 Bessere Methoden in einigen Jahren

 Und die SP fordert, dass der Atommüll jederzeit wieder aus dem Boden geholt werden kann: "Künftige Generationen sollen auf allfällige Probleme und Entwicklungen reagieren und bessere Lösungen umsetzen können."

 Die CVP ermahnt den Bund zur Transparenz im Auswahlverfahren: Nur so werde die Bevölkerung ein Endlager auf ihrem Gebiet akzeptieren. FDP und SVP wollen derweil aufs Tempo drücken: Das Verfahren dürfe nicht durch politisch motivierte Forderungen nach zusätzlichen Abklärungen verzögert werden.

 Das Auswahlverfahren für einen Standort zur Lagerung des Atommülls hatte vor rund zwei Jahren begonnen. Es wird in drei Etappen durchgeführt und soll bis 2020 zu einem Ergebnis führen. Ziel ist ein Lager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle sowie eines für hochradioaktive Abfälle oder ein Kombilager. Der Entscheid für ein Lager kann mittels Referendum angefochten werden.

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BZ 30.11.10

Neue AKW im Visier

 Standortfrage. Die Schweizerische Energie-Stiftung fordert den Bundesrat auf, die Standortsuche für die Lagerung radioaktiver Abfälle zu stoppen und das Auswahlverfahren neu aufzugleisen.

 Die Schweizerische Energie-Stiftung (SES) wehrt sich gegen das "unsichere" Entsorgungskonzept und gegen das "scheindemokratische" Vorgehen des Bundesamts für Energie (BFE), wie die Stiftung gestern mitteilte. Heute läuft die Anhörungsfrist zur ersten Etappe im sogenannten Sachplanverfahren ab.

 Die Bundesbehörden hatten Ende August festgehalten, dass für die Lagerung radioaktiver Abfälle weiterhin alle sechs zur Diskussion stehenden Standorte in Frage kommen: die Regionen Bözberg AG, Jurasüdfuss AG, Nördlich Lägeren AG und ZH, Südranden SH, Wellenberg NW und OW und Zürcher Weinland ZH und TG.

 Laut SES haben sich 4000 Personen aus den betroffenen Regionen mit Einsprachen gegen ein "unsicheres Atommülllager" gewehrt. Diese Unterschriften wurden gestern dem Umweltdepartement Uvek überreicht. Aus Sicht der Energie-Stiftung bleiben für den Entsorgungsnachweis viele technische Fragen bis heute offen. Voraussichtlich Mitte 2011 wird der Bundesrat entscheiden, welche Standortgebiete im Auswahlverfahren verbleiben.
 sda

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Aargauer Zeitung 30.11.10

"Dieses Verfahren ist undemokratisch"

 Bözberg Harsche Kritik übt der Verein "KAIB - Kein Atommüll im Bözberg" am Vorgehen beim Sachplan Tiefenlager: "Dieses Mitwirkungsverfahren ist undemokratisch."

 "Der Verein ‹KAIB - Kein Atommüll im Bözberg› mit seinen mehr als 300 Mitgliedern begrüsst grundsätzlich den Willen der Nagra als Entsorgungspflichtige, das Problem der Endlagerung radioaktiver Abfälle lösen zu wollen", stellt der Vorstand von KAIB zwar fest. Dennoch weist er den Ergebnisbericht zum Sachplan Tiefenlager Etappe I klar zurück.

 "Partizipation ist hier eine Farce"

 "Diese Art ‹Sachplanprozess› als Partizipation der Bevölkerung zu bezeichnen, ist eine Farce", betont der Vorstand von KAIB. "Auf gesellschaftliche Probleme wird gar nicht eingegangen. Es reicht nicht, Ängste zu beschwichtigen und einseitig zu informieren. Der Zeitdruck erschwert die Anhörung. Sich in dieser kurzen Zeit in das komplexe Thema einzuarbeiten, ist selbst für Fachleute unmöglich. Die riesige Menge an technischen Informationen ist für Laien nicht verständlich. Es kommt der Eindruck auf, dass kritische Stimmen gar nicht in den Prozess eingebunden werden sollen. Eine konstruktive Auseinandersetzung über die Atommüll-Lagerung ist so nicht möglich."

 KAIB frage sich, ob wirklich ein ehrliches Interesse an der Mitwirkung der Bevölkerung bestehe oder ob vielmehr eine seriöse Prüfung durch Unabhängige und Betroffene bewusst unterbunden werden solle, stellt der Vorstand fest. Wie er betont, erwartet KAIB im laufenden Prozess eine "auf Transparenz und Ehrlichkeit beruhende Mitsprache".

 "Entscheid noch nicht möglich"

 Der KAIB-Vorstand nimmt auch Stellung zu der Konzentration von Standorten von Kernanlagen im Aargau. Er verweist dabei auf die drei Atomkraftwerke, das PSI und das Zwischenlager: "Trägt unser Kanton nicht schon genügend Lasten für die ganze Schweiz?", meint er. "Solange noch die geringsten Unwägbarkeiten in der technischen Ausführung des Tiefenlagerkonzeptes bestehen, soll und darf kein Standortentscheid gefällt werden. Erst wenn bei allen sechs potenziellen Standorten der geologische Kenntnisstand identisch ist, kann auf der Basis von Qualität weiter entschieden werden. Dies ist heute mitnichten der Fall. Diese Abklärungen werden noch mehrere Jahre in Anspruch nehmen."

 Ein wichtiges Thema, so KAIB, sei auch die Rückholbarkeit der radioaktiven Abfälle: "Das im Sachplan vorgelegte Konzept zeigt im Umgang mit langen Zeiträumen keine Lösungen auf. KAIB ist klar gegen eine technische Lösung, welche den Abfall für immer wegschliesst. Für künftige Generationen müssen die Kontrolle über den Atommüll und der Handlungsspielraum gewährleistet sein."

 Der Verein KAIB fordert, zusammen mit den Widerstandsgruppierungen gegen alle potenziellen Tiefenlager-Standorte, Rahmenbedingungen für eine neutrale Forschung; ein Konzept, das im Umgang mit langen Zeiträumen Lösungen aufzeigt; ein Lager, das kontrollierbar ist und bei dem der Müll jederzeit rückholbar ist und einen identischen Kenntnisstand aller sechs Standorte. KAIB akzeptiert zudem keine politischen und wirtschaftlichen Sachzwänge.

 Der Verein KAIB erwartet schliesslich, dass seine Kritik, seine Anregungen und seine Fragen ernst genommen und in den weiteren Prozess einbezogen werden. (lp)

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Basler Zeitung 30.11.10

Kritik an Lagerkonzept für Atommüll

 Experten werfen der Nagra unzureichende Prüfung der Standorte in der Region vor

Franziska Laur

 Die Schweizerische Energiestiftung (SES) wirft der Nagra vor, sie schlage Standorte für ein Atommülllager vor, ohne dass die sicherheitstechnischen Untersuchungen durchgeführt worden seien.

 Vor zwei Jahren präsentierte die Nagra sechs potenzielle Standorte für ein Atommülllager, drei davon ganz oder teilweise im Kanton Aargau. Mit dabei der Bözberg wie auch Nördlich Lägeren. Pikant: vor Jahren wurden diese beiden Standorte (ebenfalls von der Nagra) lediglich als Reserveoption bezeichnet. "Die Nagra beurteilte diese zwei Standorte als geologisch weniger geeignet und untersuchte sie daher nicht weiter", sagt Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energie-Stiftung. Doch mit dem Sachplanverfahren kamen diese Gebiete wieder als Standortoption auf - untersucht wurden sie trotz ursprünglicher Bedenken nicht weiter.

 Die SES hat gestern zum Ende der Anhörung des Sachplanverfahrens Etappe 1 dazu Stellung genommen: "Das Lagerkonzept ist noch nicht ausgereift", sagt Sabine von Stockar. Die Fachleute bei Bund und Nagra gingen von der Vorstellung aus, dass man ein Lager abschliessen und danach eine Million Jahre Ruhe haben könne. "Das ist eine Illusion. Ein solches Lager muss man ständig überwachen", sagt von Stockar.

 Weiter kritisiert sie zahlreiche technische Unklarheiten: "Man weiss beispielsweise noch nicht, in welche Behälter man den Atommüll geben soll." Die heute bekannten Ummantelungen hielten höchstens 1000 Jahre, Atommüll strahle aber bis zu einer Million Jahre lang. Entsprechend müssten sowohl die zweite Umhüllung aus Bentonitgestein wie der Opalinuston selbst die gefährlichen Stoffe zurückhalten. Doch wie der Opalinuston auf Wärme reagiert, sei zu wenig erforscht, so die Atommüllexpertin.

 Eine Farce

Doch vor allem bemängelt von Stockar, dass das ganze Sachplanverfahren eine Farce sei, bei der die Bevölkerung nicht mitbestimmen könne. Auch der aargauische Baudirektor Peter C. Beyeler sagte von Beginn des Sachplanverfahrens weg: "Der Entscheid, ob das Endlager auf Aargauer Boden liegt oder nicht, läuft ohne uns."

 Tatsächlich: Nachdem das Nidwaldner Stimmvolk im Jahr 2002 Nein zu einem Endlager im Wellenberg gesagt hatte, beschloss der Bundesrat, dass nicht mehr eine Region oder ein Kanton über einen Endlager-Standort abstimmen könne, sondern nur die ganze Schweiz. Damit steigt die Wahrscheinlichkeit erheblich, dass ein Projekt vom Stimmvolk angenommen wird.

 Versuchskaninchen

Entsprechend regt sich Kritik am Schweigen der Aargauer Regierung, zumal rund die Hälfte der Standortvorschläge auf Aargauer Boden liegt. "Wir wollen nicht die Atommüll-Versuchskaninchen von Europa sein", wehrt sich Elisabeth Burgener, SP-Grossrätin aus Gipf-Oberfrick, gegen ein Endlager im Bözberg. Und sie fragt sich, weshalb der Aargauer Regierungsrat als einziger in der Region Nordwestschweiz noch nicht Stellung zum Endlager genommen hat.

 Basel-Stadt und Baselland haben sich zum Sachplanverfahren geäussert: "Die radioaktiven Abfälle aus allfälligen künftigen AKW dürfen nicht berücksichtigt werden", sagt der Basler Regierungsrat dazu. Er verlangt ausserdem, dass die Nagra dem Bund unterstellt und von den Stromerzeugern unabhängig wird. Und die Baselbieter Regierung spricht sich mit Nachdruck gegen die Festlegung der potenziellen Standortgebiete Bözberg und Jurasüdfuss für die Lagerung radioaktiver Abfälle aus.

 Gemäss Jörg Hartmeier vom Aargauischen Baudepartement ist die Aargauer Regierung dabei, eine Stellungnahme zum Sachplanverfahren zu verfassen. "Die Hauptaussage ist, dass die Sicherheit an oberster Stelle steht", sagt er. Doch auch das Thema vertiefte Untersuchungen werde angeschnitten.

 Forderungen

Die SES fordert nun die Nagra auf, zuerst die nötigen Untersuchungen durchzuführen und erst dann die Standorte auszuwählen. Diese Untersuchungen mit 3-D-Seismik und spezifischen Bohrungen sind bislang lediglich im Zürcher Weinland gemacht worden. Doch die Nagra schlage unter dem Druck von Experten und Kantonen Regionen vor, die möglicherweise gar nicht für ein Atommülllager geeignet seien, so die SES. Das Sachplanverfahren sieht vor, dass schon Ende kommenden Jahres die Eingrenzung der Standortgebiete auf zwei konkrete Tiefenlagerprojekte pro Abfallkategorie erfolgt.

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NLZ 30.11.10

Die Grünen doppeln nach

 Wellenberg

 red. Wie kürzlich schon das Komitee für eine Mitsprache des Nidwaldner Volkes bei Atomanlagen (MNA) deponieren auch die Grünen Nidwalden beim Bund die Forderung, den Wellenberg aus dem weiteren Auswahlprozess für ein Endlager für atomare Abfälle zu streichen. Derzeit läuft die Vernehmlassung zum Sachplan Tiefenlager. Die Partei verlangt "die Respektierung des Volkswillens".

 Zweifel an Untersuchungen

 Die Grünen Nidwalden schreiben in ihrer Mitteilung, der Wellenberg als möglicher Standort für ein geologisches Tiefenlager für atomare Abfälle sei unter den vorgeschlagenen Standorten der am wenigsten geeignete. Die Partei zweifelt die bisherigen geologischen Untersuchungen im Gebiet an. Bis heute sei nicht gesichert, mit welchen Untersuchungsmethoden gesicherte Informationen über den Gesteinskörper gewonnen werden könnten. Und Wasser führende Schichten könnten zurzeit nicht ausgeschlossen werden, halten die Grünen Nidwalden weiter fest.

 Das Konzept eines unkontrollierbaren Endlagers sei nicht akzeptabel, schreiben die Grünen. Ein Störfall könnte über einen langen Zeitraum unbemerkt Schaden anrichten.

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St. Galler Tagblatt 30.11.10

"Fernschuss" schlägt ein

 Die städtischen Abstimmungsresultate waren gestern zahlreichen Zeitungen auch westlich der Sitter einige Zeilen wert. Im "Blick" allerdings machten Bern und Beni Würth das Rennen.

 Andreas Nagel

 Die St. Galler und Berner Atomausstiegs-Initiativen wurden im Vorfeld zum vorgestrigen Urnengang immer wieder als "AKW-Stimmungstests" hochstilisiert. Ob sie das nun waren, wird sich weisen. Auf nationaler Ebene jedenfalls hat gemäss "NZZ am Sonntag" (Ausgabe vom 21. November) die Kampagnenarbeit für den Bau neuer Atomkraftwerke bereits begonnen. Eine der "grossen Abstimmungsschlachten des Jahrzehnts" zeichne sich ab, heisst es. Das letzte Wort soll das Volk voraussichtlich 2013 haben.

 Widerhall im Blätterwald

 Vor diesem Hintergrund dürften die jüngsten Volksentscheide zum Atomausstieg bei den grossen Stromkonzernen zumindest mit gemischten Gefühlen aufgenommen worden sein. In den Schweizer Medien stiessen sie erwartungsgemäss auf grossen Widerhall. FDP-Ständerat Rolf Büttiker, Verwaltungsrat des AKW Leibstadt, relativiert im "Tages-Anzeiger" allerdings den Signalcharakter der beiden Plebiszite: Zwar habe die Atomwirtschaft einen "Dämpfer" erlitten. Wegen der langfristigen Ausstiegsszenarien (Bern: 2039; St. Gallen: 2050) handle es sich aber bloss um einen "Fernschuss".

 Akzent auf Geothermie gelegt

 Auch die "NZZ" griff gestern in einem grösseren Beitrag die "Energiewende" in den beiden Städten auf. Der Akzent lag dort jedoch mehr auf der Pionierrolle St. Gallens bei der Geothermie-Nutzung als auf der sogenannten "Ausstiegsvariante light" (NZZ). Dies eine Anspielung auf die Ausstiegsfrist, welche bei der SP-Initiative "Stadt ohne Atomstrom" bereits 2018 zu laufen begonnen hätte.

 Weiter berichteten "BAZ", "Aargauer Zeitung", "Südostschweiz", "Zürichsee-Zeitung", natürlich die Berner Blätter "Der Bund" und die "Berner Zeitung".

 Spannung in Luzern

 Grosse Aufmerksamkeit widerfuhr den hiesigen Abstimmungsergebnissen in der Innerschweiz. In Luzern wird dem Volk demnächst ebenfalls eine Atomausstiegs-Initiative unterbreitet.

 Schliesslich schrieb auch der "Blick" über den Atomverzicht. Zumindest über jenen in der Stadt Bern. In einer Randspalte Erwähnung fand dafür der neue St. Galler Regierungsrat Beni Würth.

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 Reaktionen und Abrechnungen

 Der sanfte Atomausstieg bis 2050 ist auch Thema zahlreicher Communiqués, die seit Sonntagnachmittag auf der Stadtredaktion eingetroffen sind. Besonders auf Trab muss die Medienstelle der Allianz "Nein zu neuen AKW" sein. Kurz nach Bekanntwerden der Stadtsanktgaller Ergebnisse traf ein euphorischer "Medienkommentar" ein: Bern und St. Gallen hätten die Zeichen der Zeit richtig erkannt.

 Rasch reagierten auch städtische Grüne und Junge Grüne und gratulierten dem Volk zu "wegweisenden Entscheiden für die Nutzung erneuerbarer Energien". Die Jungpartei setzte gleichzeitig ein paar Giftpfeile auf ihren Lieblingsfeind, die "AKW-Lobby", ab. Sachlicher dann die Grünliberalen, die den Gegenvorschlag von Stadtrat und Parlament favorisiert hatten: Das Nein zur "unrealistischen" SP-Atom-Initiative zeige, dass die Stimmbürger eine "langfristige Wende" in der Atompolitik wollten.

 Auch die SP hatte sich als Initiantin früh zu Wort gemeldet. Ihre Einschätzung: Mit Annahme des Gegenvorschlags habe sich die Stadt für einen "umsichtigen und gangbaren" Weg aus der Abhängigkeit von Atomenergie ausgesprochen. Gestützt wird diese Argumentation vom WWF. Das Ergebnis bringe zum Ausdruck, dass die Stadtbevölkerung eine mittel- und längerfristige Energiezukunft ohne Kohle- und Atomstrom wolle. Anders tönt es bei einer "mit Besorgnis erfüllten" FDP. Der Verzicht auf Atomstrom sei "mit Risiken behaftet". Mit dem Gegenvorschlag werde "eine Vision reglementiert, was höchst fragwürdig sei".

 Die schwersten Geschütze fährt schliesslich die CVP auf, die mit dem ganzen Parteienspektrum abrechnet. SP und Grüne hätten "Schiffbruch" erlitten, die FDP/SVP-Allianz einen "Scherbenhaufen" hinterlassen. Selber indes sei man "einmal mehr" der Mehrheit vorausgegangen. (an.)

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NZZ 30.11.10

Versicherungsschutz gegen einen Reaktorunfall

 Aufzeigen des Kosten-Nutzen-Profils von Atomstrom mit Katastrophen-Bonds

 Die Risiken eines Reaktorunfalls sind bei der wirtschaftlichen Betrachtung des Atomstroms kaum berücksichtigt. Erwägenswert ist, Katastrophen-Bonds zur Abdeckung von Risiken anzubieten .

 Lars Jaeger

 Seit Jahrzehnten ist die Auseinandersetzung um die Kernenergie fester Bestandteil der gesellschaftlichen Diskussion in den westlichen Demokratien. Die Befürworter argumentieren, Atomstrom sei vergleichsweise billig. Kritiker und Gegner weisen auf die Sicherheits- und Endlagerungsproblematik hin. Um das Für und das Wider gegeneinander abzuwägen, ziehen politische Entscheidungsträger auch eine ökonomische Kosten-Nutzen-Rechnung heran. Zum Nutzen herrscht weitgehend Konsens, doch die Kostenseite gestaltet sich wesentlich komplexer. Denn wegen des Unfallrisikos der Kernenergie fallen erhebliche implizite Kosten an.

 Gesetzliche Mindestlimite

 In Deutschland sind die Betreiber von Kernkraftwerken gesetzlich verpflichtet, Folgeschäden eines Atomunfalls (Atom-GAU) bis zu einem Betrag von 2,5 Mrd. € zu versichern. In der Schweiz beträgt die Mindestversicherungssumme laut Kernenergiehaftpflichtgesetz von 2008 1,8 Mrd. Fr. Die Vorstellung einer Katastrophe à la Tschernobyl im Rhein-Main-Gebiet um Frankfurt, etwa durch eine Kernschmelze im Atomkraftwerk Biblis, verdeutlicht, dass diese Beträge im Ernstfall nur einen Tropfen auf den heissen Stein bedeuteten.

 Der volkswirtschaftliche Schaden eines Atom-GAU könnte das Hundert- bis Tausendfache des gesetzlich vorgeschriebenen Deckungsbetrages betragen. Kein noch so finanzstarkes Unternehmen könnte für einen solchen Schaden aufkommen. Wer trägt also die Kosten einer solchen Katastrophe? In erster Linie natürlich die Direktbetroffenen. In Bezug auf die Kosten ist dies in letzter Instanz der Staat, das heisst die Gemeinschaft aller Steuerzahler. Bei der Sicherheit von Kernkraftwerken handelt es sich um eine klassische Externalisierung von Kosten, also das Abwälzen privater Kosten auf die Gemeinschaft - mit anderen Worten eine staatliche Subventionierung der Kernkraft.

 Die Betreiber von KKW sagen, Risiken dieser Grössenordnung liessen sich nicht versichern. Nur allzu gerne folgt der Gesetzgeber dieser Aussage ohne nähere Prüfung. Doch stimmt das wirklich? In den letzten zehn Jahren hat auf dem Versicherungsmarkt eine bemerkenswerte Entwicklung eingesetzt. Extremrisiken wie Erdbeben, Hurrikane und Pandemien werden mit Bonds an den Kapitalmarkt transferiert. Solche Ereignisse zeichnen sich aus durch hohe Schadenssummen bei kleiner Eintrittswahrscheinlichkeit. Werden attraktive Renditen angeboten, werden derartige in kapitalmarktfähige Finanzinstrumente gefasste Risiken durchaus gezeichnet. Bei Anlegern erfreuen sich Katastrophen-Bonds wachsender Nachfrage.

 Bündelung von Risiken

 Durch Risikostreuung über eine breite Anlegerschaft werden auf diese Weise auch grosse Schadenssummen versichert. Liessen sich so nicht auch die Spitzenrisiken von Kernkraftwerken decken? Die Versicherungsbranche beantwortet diese Frage mit einem "Ja". Sie wäre in der Lage, Deckungssummen gegen Kernkraftwerksunfälle bis zu 100 Mrd. € auf den Kapitalmärkten zu placieren. Was für Erdbeben, Stürme und Pandemien gilt, liesse sich aufs Risiko Kernschmelze übertragen. Da es sich versicherungstechnisch betrachtet um ähnliche Risiken handelt - extrem hoher Schaden; äusserst geringe Wahrscheinlichkeit -, sind die Charakteristika bestehender Versicherungslösungen auf KKW übertragbar. Rückversicherer haben dafür Risikomodelle.

 Wie bei Naturkatastrophen sind die Ereignisse definierbar, nicht zuletzt beruhend auf INES (Internationale Bewertungsskala für nukleare Ereignisse) auf parametrischer Basis, womit sich die Extremereignisse auch für kürzere Perioden mathematisch darstellen lassen. Entsprechende Kapitalmarktinstrumente auch für von Menschenhand verursachte Risiken wie Flugzeug- oder Satellitenabstürze, Unfälle auf Erdölplattformen existieren ebenfalls. Welche Eigenschaften müsste ein Finanzinstrument zur Deckung des Risikos Atom-GAU aufweisen? Aufgrund der extremen Seltenheit von grossen nuklearen Reaktorunfällen sind die Erwartungswerte von Verlusten minim. Sie würden unter der Marke 0,05% liegen. Daher würden die Prämieneinnahmen für Versicherungen relativ niedrig ausfallen, vielleicht zu niedrig für die Versicherung einzelner KKW. Eine Effizienzsteigerung liesse sich nun über das Bündeln von Risiken in - zum Teil bereits existierenden nationalen, eventuell internationalen - Pools erzielen.

 Bei der Bemessung der Haftpflichtsumme für Atomkraftwerke geht es daher nicht um die Grössenordnung des Restrisikos, das die Allgemeinheit bei einem Atom-GAU tragen muss, sondern um wirtschaftliche Abwägungen. Gemäss versicherungsmathematischen Modellen und etablierten Risikoparametern würde eine Haftpflichtsumme von 50 Mrd. € die Produktionskosten von Atomstrom - je nach Grösse des Kernkraftwerks - um einige Eurocent bzw. Rappen pro Kilowattstunde erhöhen. Gegenwärtig existiert ein grosser Widerstand der KKW-Betreiber gegen die Erhöhung der Haftpflichtlimiten. Der gegenwärtige Kapazitätsbedarf für solche Versicherungen könnte jedoch sehr gut über das existierende Versicherungsangebot abgedeckt werden.

 Nun liesse sich sagen, dass es keinen Unterschied macht, ob diese zusätzlichen Kosten von den Energieverbrauchern oder vom Steuerzahler (in Form nicht gedeckter Risiken) bezahlt werden, da diese Gruppen weitgehend identisch sind. Doch dieses Argument trifft den Kern der Sache nicht. Es geht primär um faires Bemessen der Kosten von Atomstrom. Hier herrscht zurzeit ein klares Defizit. Die wahren Kosten des Atomstroms dürfen nicht unterschlagen werden. Die ungerechtfertigte Subvention von Atomenergie im Vergleich mit anderen technologisch zur Verfügung stehenden Formen der Energieerzeugung sollte beendet werden.

 Effektive Kosten offenlegen

 Diese auch von Naturschutzorganisationen (etwa BUND), aber auch von Ärzteorganisationen oder der Neuen Richtervereinigung getragene Forderung (www.atomhaftpflicht.de) stellt keine politische Bewertung des Atomstroms dar, sondern ist ein naheliegender Appell für eine faire ökonomische Kosten-Nutzen-Darstellung der Atomkraft gerade mit Blick auf einen Vergleich mit alternativen Energieformen. Die finanztechnischen Voraussetzungen für eine kapitalmarktfähige Versicherung der gesamten Risiken der Kernenergie liegen seit einigen Jahren vor. Dass sie in der gesetzlichen Regelung für Kernenergie von den politischen Entscheidungsträgern bisher nicht berücksichtigt wurden, kann zweierlei Gründe haben: fehlender politischer Wille zum Beispiel aufgrund einer übermächtig erscheinenden Atomlobby oder schlicht Ignoranz. Letzterem kann Abhilfe geschaffen werden.

 Dr. Lars Jaeger ist Geschäftsführer eines auf alternative Anlagen ausgerichteten Unternehmens in Baar, das auch in Katastrophen-Anleihen investiert.