MEDIENSPIEGEL 10.12.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS, Tojo, Frauenraum, Infoladen
- Zaffaraya: Stadtrat gegen Hofer-Vorstoss
- Subventionsverträge: 112 Millionen für Kultur
- RaBe-Info 7-10.12.10
- Hot Squat: La-Biu-Kalender
- Squat FR: Kurzbesetzung bei Fribourg
- Squat VD: Diskussionen
- Squat GE: Besetzungsversuch
- Squat ZH: Businesswohnungen im Atlantis
- Autonome Schule ZH: Polizeischikanen
- 30 Jahre AJZ ZH: Benzin-Selbstmord
- Big Brother: Fiche Anni Lanz; Suppeznacht; VD
- Big Brother Sport: Hooligan-Konkordat; NE & BE
- Zensur: Mit dem Rammbock in den Infoladen
- Ausschaffungen: Sonderflugbegleitung; AHV/IV-Attacke
- Anti-SVP: Strassenparty Lausanne
- Anti-Demo: Demonstrationen demokratieüberflüssig
- Antifa GE: Rechtsextreme Demo verhindert
- Knast: Hungerstreik; Anarchistische Gefangene
- Police TG: Nulltoleranz bei Bahnhof Frauenfeld
- Sicherheitsfirmen: Regeln in BL
- Drogen: Anwerbungen; Botenstoffe; Snow Control; Portugal
- Autonomie und ihre Grenzen: Kopenhagen, Gängeviertel + Rote Flora
- Migration Control: Frontex versenken; Pornopenistests für Asylbewerber; EU-Südostgrenze
- Anti-Atom: Mühleberg; AKW-Ausschreibungen; Gutachten-Einsicht; Tiefenlager; Anti-Kampagne; Alpiq-Majak; Millardenrausch

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REITSCHULE
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Fr 10.12.10
17.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Art Exhibition
19.00 Uhr - Tojo - Bus-Abfahrt "Ikea-Ville - What happened before you came". Von Schauplatz International.
20.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Auction
20.30 Uhr - Tojo - "Samichlaus" - Das Musical. Von/mit Pascal Nater & Michael Glatthard.
20.30 Uhr - Kino - Zigeuner. Stanislaw Mucha, D 2007, DVD, 92 Min., Ov/d
23.00 Uhr - Dachstock - ARTSOUK 2010 - Concert Surprise, danach DJ Wicked Wiggler (LU)

Sa 11.12.10
14.00 Uhr - Frauenraum - 14-16 Frauentauschkleider Börse AMIE (women only)
19.30 Uhr - Infoladen - Veranstaltung "Streiks in China" - Zum Buch "Aufbruch der zweiten Generation - Wanderarbeit, Gender und Klassenzusammensetzung in China" (faubern.ch)
20.30 Uhr - Tojo - "Samichlaus" - Das Musical. Von/mit Pascal Nater & Michael Glatthard.
20.30 Uhr - Kino - Me, My Gypsi Family and Woody Allen (Io, La Mia Famiglia Rom e Woody Allen). Laura Halilovic, Italien 2009, DVD, 50 Min., OV/e
23.00 Uhr - Dachstock - Dachstock Darkside: ED RUSH & MC RYMETME (Virus/UK), AXIOM (Renegade Hardware /CH) - Residents & Support: Deejaymf (cryo.ch), VCA (biotic/CH), Markee (Konfront/CH) - Drumnbass

So 12.12.10
19.00 Uhr - Tojo - "Samichlaus" - Das Musical. Von/mit Pascal Nater & Michael Glatthard.

Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 10.12.10

Von Gisela Feuz am Freitag, den 10. Dezember 2010, um 06:07 Uhr

Artsouk zum Fünften

Gestern wurde nicht wild gerockt im Dachstock der Reitschule, sondern für einmal kamen die Kenner und Liebhaber der  alternativen bildenden Kunst in den altehrwürdigen Dachgebälken auf ihre Kosten. Im Rahmen der 5. Artsouk stellten dort nämlich diverse Künstler und Künstlerinnen ihre Werke aus, wobei es von Plakaten über überdimensionale Bilder, Kitsch-Schreine, Orangenpapier-Lampen und besiebdruckten Unterhosen alles zu kaufen gab, was das Herz begehrt.

Aus der ganzen Schweiz waren sie angereist, die Damen und Herren Künstler, aber auch die Berner Fraktion war gut vertreten unter den Artsouk-Ausstellern, so waren  z.B. die Herren Blackyard, der Unterhosenkönig Robert Butler, die eine Hell und Schnell-Hälfte Luciano Andreani oder die beiden unverwüstlichen Damen Jackie Brutsche und Pedä Siegrist vor Ort.

http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/files/2010/12/artsouk2.jpg

Die Auktion der eingereichten Kunstgegenstände hätte nach dem Geschmack der Schreiberin ein bisschen mehr an Tempo vertragen. Zum Glück war da aber die tollkühne Versteigerungs-Assistentin Sandy, welche die Gegenstände präsentierte und sich nicht scheute, sich dabei komplett zum Affen zu machen (was als Kompliment gemeint ist!). So war das Prozedere, unter den wachsamen Augen von Serge Nyffelers Astronautenkuh, dann doch einigermassen kurzweilig und unterhaltsam und zudem brach der Verkauf von Silke Thoss' "Forever Yours" mit sagenhaften 1′600.- alle bisherigen Artsouk-Rekorde.

Die Artsouk-Ausstellung und Auktion findet noch heute Abend im Dachstock der Reitschule statt, mit von der Partie sind insgesamt 38 Künstler und Künstlerinnen. Im Anschluss an den Bazar und die Auktion stehen Überraschungskonzert und Disko mit DJ Wicked Wiggler auf dem Programm.

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BZ 10.12.10

Grosse und kleine Kunst unter dem Hammer

 ReitschuleIm Dachstock findet der "Artsouk 5" - eine Ausstellung mit Auktion und Couscous - statt.

 Es war einmal eine wilde Zeit in den späten Achtziger- und frühen Neunzigerjahren, als freche Mädchen sich Sue, Babs oder Pat nannten. Kat Aellen gehört zu dieser Generation: Sie spielte lange in einer Band, organisierte etliche Konzerte, hat im Dachstock als Tontechnikerin gearbeitet und mitgeholfen, die Bar aufzubauen.

 Den sogenannten "Artsouk" in der Reitschule organisiert sie heuer zum fünften Mal.

 Ein Souk war ursprünglich ein kommerzielles Viertel in einer arabischen Stadt. Bevor der Souk zur meist etwas kitschigen Touristenattraktion verkam, trafen sich dort die Vertreter von Wirtschaft und Finanz. Klar, dass Kat Aellens Souk ein faires Verkaufsprinzip vertritt. Die Kunstschaffenden kassieren die vollen Beträge von ihren verkauften Werken. Sie schenken Aellen aber ein Werk, das an der abendlichen Auktion versteigert wird. Wenn ein Bild noch am ersten Auktionstag weggeht, bekommt die Organisatorin den Erlös, später die Kunstschaffenden.

 Auktionator ist der Schauspieler Michael Röhrenbach, Präsentatorin die Performerin Sandra Künzi. Diese stellt auch aus - sie hat auf Holz kleine alltägliche Gegenstände gemalt, zum Beispiel eine Reihe von mehr oder weniger bekannten Büchern. Neugierig liest man die Buchtitel, fast so, als wäre man bei ihr zu Hause und würde ihr Büchergestell betrachten, um sich ein Bild über die Person zu machen.

 Kurz vor der Vernissage gestern Abend waren noch längst nicht alle Werke gehängt. Nicole Wiederkehr montierte bunte Schreine, in denen sich Bambis beschnuppern, Jackie Brutsche hämmerte noch zwanzig "Big Moments" an die Wand. Sie hat Freaks in psychedelischen Farben gemalt, die gerade etwas Abgefahrenes erleben. Ein Fakir beginnt über sein Dasein zu sinnieren, oder Vincent van Gogh erlebt gerade den Moment, als sein Ohr zu bluten begann.

 Auch auf den kleinformatigen Gemälden des Indonesiers Eddie Hara geht es wild zu und her. Eine Figur, halb Tintenfisch, halb Mickymaus, räkelt sich da. Wie es auf einem Basar halt so ist: Nicht alles, was glänzt, ist grosse Kunst - dafür kann man hier Tischfussball spielen, Kinder und Hunde sind willkommen, und statt nach raffinierten Häppchen gegriffen, wird Couscous geschlemmt.

 Helen Lagger

 Ausstellung: heute Freitag, 17-23 Uhr, Auktion 20 Uhr, im Dachstock der Reitschule.

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Bund 9.12.10

Kunst Artsouk in der Reitschule

 Alles, nur nicht bünzlig

 Alles auf einen Haufen werfen - das ist die Idee hinter dem Artsouk, jenem niederschwelligen Kunstbasar in der Reitschule, der nun bereits zum 5. Mal stattfindet. Dabei ist der Artsouk in der Zwischenzeit nicht grösser geworden, wie das wiederkehrende Veranstaltungen so an sich haben, im Gegenteil: Er ist geschrumpft. "Beim ersten Mal hatten wir 76 Künstlerinnen und Künstler", sagt Kat Aellen, seit 15 Jahren Reitschülerin und Mutter des Artsouk. "Das war organisatorisch allerdings sehr happig. Und da wir von jedem Künstler an der Auktion zugunsten des Artsouk ein Werk versteigern, zog diese Menge das Prozedere extrem in die Länge."

 Heuer halten am Artsouk gut 40 Künstlerinnen und Künstler ihre Ware feil, in der Absicht, dass diese vielleicht unter einem Weihnachtsbaum landet - denn erschwinglich sollen die Stücke sein, egal, ob der Produzent mittlerweile zu den renommierten Künstlern gehört oder nicht. "Deshalb hassen uns die Galeristen", sagt Aellen, "da wir den üblichen Kunstbetrieb ein Stück weit unterwandern." Aber ums Übliche geht es beim Artsouk sowieso nicht. "Ich mag es, Unterschiedlichstes nebeneinander zu stellen. So sind immer wieder Musiker dabei, die auch Kunst machen, aber nicht als Künstler wahrgenommen werden."

 Ein Handwerkermärit soll das Ganze aber nicht sein, so Aellen, denn alles, was zu bünzlig ist, hat bei ihr keine Chance: "Da muss eine gewisse Würze in den Objekten sein." So sind es vor allem befreundete Künstlerinnen und Künstler, die am Artsouk teilnehmen. Das bedeutet nicht, dass es eine reine Berner Angelegenheit wäre: Am diesjährigen Artsouk gibt es Kunst aus Peru, Indonesien, Amerika oder Afrika.

 Abschluss jedes Artsouk-Abends ist jeweils die Auktion. Ein etwas heikler Moment, denn keiner der Künstler hat eine Garantie dafür, dass sein Werk verkauft wird. Und auch die Organisatoren hoffen, dass es beim Bieten nicht plötzlich unangenehm still wird. Kat Aellen hat sich kürzlich extra zwei verschiedene Auktionen angeschaut, um sich inspirieren zu lassen: eine Kuh-Versteigerung einerseits, eine in einem renommierten Auktionshaus andererseits. "Die Kuh-Gant hatte einen Rhythmus, da war Atmosphäre. Bei der anderen Auktion ging es sehr ruhig zu und her. Damit es am Artsouk anders ist, hoffen wir, dass genügend Leute kommen".(reg)

 Reitschule DachstockDonnerstag, 9. Dez., und Freitag, 10. Dez., ab 17 Uhr. Auktion jeweils ab 20 Uhr

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BZ 9.12.10

Mitbieten an der Artsouk

Dachstock der Reitschule. Ein genreübergreifender Kunstanlass mit enorm geringem White-Cube-Faktor, sehr hoher Niederschwelligkeit und grossem Künstler-Zum-Anfassen-Potential. Artsouk ist eine zweitägige Gruppenausstellung mit Auktion, Performance, Videoübertragung, Livepainting, kulinarischer Verpflegung, einem Konzert und DJ. Mit dabei sind über 40 Kunstschaffende aus Indonesien, Afrika, Italien, Frankreich, Deutschland, Amerika und natürlich der Schweiz.   pd

 Heute und morgen, ab 17 Uhr (Ausstellung), ab 20 Uhr (Auktion), Dachstock der Reitschule, Neubrückstrasse 8, Bern.

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kulturstattbern.derbund.ch 9.12.10

Kunst unterm Hammer

Artsouk geht in die fünfte Runde. Im Dachstock stellen 40 Künstler während zweier Tage ihre Werke aus. Und das Beste daran: Alle zu erschwinglichen Preisen.

Artsouk ist eine Ausstellung, bei der man nicht Gefahr läuft, durch zu lautes Flüstern aufzufallen. Wenn auch nicht gerade arabischer Markt (Souk), so ist die zweitägige Veranstaltung doch Kunstbasar und theatrale Auktion mit breitem Rahmenprogramm. "Ich will Kreativität herauskitzeln", sagt Kuratorin Kat Aellen zum Ziel des Anlasses, für den extra Werke geschaffen werden.
Aellen hat 40 Künstler im Dachstock zusammengebracht: renommierte und noch unbekannte. Alle stellen Objekte aus, die für 30 bis 300 Franken zu erwerben sind: von Gemälden über Lampen und bedruckte Bikinis bis zur umfunktionierten Tic-Tac-Schachtel.
An beiden Abenden findet eine Auktion statt, während der die Werke unter den Hammer von Michael Röhrenbach und Sandra Künzi kommen. Sie haben sich auf ihre Rolle als Auktionatoren vorbereitet. "Wir waren sogar an einer Viehauktion, um zu sehen, wie das abläuft ", erzählt Aellen. Also, Ikea-Poster getrost schon einmal abhängen, hingehen und mitsteigern!

Regine Gerber
\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
Dachstock in der Reitschule, Bern
Do., 9.12., und Fr., 10.12., ab 17 Uhr
http://www.dachstock.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 9.12.10

Der "Samichlaus" kommt ins Tojo Theater

Mit "Die Dällebach-Macher" bewiesen Pascal Nater, Michael Glatthard und Olivier Bachmann, dass sie es faustdick hinter den Ohren haben. Für das neue Musical machten sie sich auf die Spuren des "Samichlaus" und führten Interviews mit Experten. Auf der Bühne wird auch die musikalische Seite des Manns im roten Kostüm beleuchtet.
Tojo Theater, Bern. Mi., 8.12., bis Sa., 11.12., 20.30 Uhr, und So., 12.12., 19 Uhr

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kulturstattbern.derbund.ch 9.12.10

3 Kulturtipps von Aline Trede

Die junge Grüne Aline Trede singt in der Stadtratsband Fraktionszwang. Konzerte am Tram Bern Fest: So., 12.12., Sternen, Bümpliz, 13.30, und Westside, Brünnen, 17.15 Uhr.
ZVG
"Stol" vom Teatr Pokoleniy im Schlachthaus (Mi., 8.12., Fr., 10.12., Sa., 11.12.,20.30 Uhr)
Die schönen Bilder der russischen Theatergruppe versprechen einen exotischen Theaterabend.

Kerzenziehen im Monbijoupark (Do., 9.12., Fr., 10.12., Sa., 11.12., Di., 14.12., und Mi., 15.12. 13.30 bis 17 Uhr)
Als Präsidentin des Dachverbands für offene Arbeit mit Kindern in der Stadt Bern gehe ich gerne an Veranstaltungen der Mitgliedervereine. Die Mitarbeiterinnen leisten extrem gute Arbeit.

"Samichlaus" - das Musical im Tojo (Mi., 8.12 bis Sa., 11.12., 20.30 und So., 12.12., 19 Uhr)
Mir hat schon "Die Dällebach-Macher" gefallen. Deshalb bin ich gespannt auf die neue Produktion von Pascal Nater und Michael Glatthard.

Meinen Bruder, der nicht auf Musicals steht, würde ich überreden hinzugehen …
… mit dem Argument, dass dieses Musical sicher lustig wird.

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WoZ 9.12.10

"Ikeaville"

 Mustergültig am Fenster stehen

 Wohn ich noch oder leb ich schon?: Gedanken über das "bessere Leben" anlässlich einer Audioführung des Theaterkollektivs Schauplatz International durch die Ikea-Filiale in Lyssach.

 Von Adrian Riklin (Text) und Ursula Häne (Foto)

 Es ist Freitagabend in der Ikea-Filiale Lyssach, und ich sitze leicht benommen auf dem weissen Sofa in der Singlemusterwohnung.

 Der 84-jährige Ikea-Gründer Ingvar Kamprad, der reichste in der Schweiz wohnhafte Mensch, wäre wohl ziemlich schockiert, wenn er mich in meiner tatsächlichen Wohnung besuchen würde. Es ist nämlich so, dass ich immer noch in den siebziger Jahren wohne. Alle meine Möbel sind mindestens dreissig Jahre alt. Die Zeitsprünge, die ich vollbringe, wenn ich die Türschwelle meiner tatsächlichen Wohnung überschreite, sind enorm.

 Wenn nun also Ikea die Welt ist, bin ich einer dieser Zaungäste aus dem letzten Jahrhundert, die höchstens studienhalber darin Platz nehmen. Aber war nicht dieses Jahrzehnt, aus dem sich meine Möbel ins 21. Jahrhundert hinübergerettet haben, auch jenes Jahrzehnt, in dem Ikea ein neues Gebot ausrief, das die Welt verändern sollte? "Benutze es und wirf es weg!" Es war die ultimative Gebrauchs anleitung für einen zeitgemässeren Umgang mit dem täglichen Mobiliar. Schlachtruf für den mobilen Menschen, der auszieht, die Vergangenheit hinter sich zu lassen.

 Die Esoterik von Ikea

 Es riecht nach Duftkerzen. Und die Frage, sie lautet: "Wohnst du noch oder lebst du schon?" Besser leben: So also fühlt es sich an auf diesem Sofa. Der tiefere Sinn von Ikea, ja, er liegt ganz eindeutig in dieser zeit genössischen Geschichtspolitik. Im Zeitalter der Mobilität geht es darum, möglichst keine Spuren zu hinterlassen (und Staub schon gar nicht aufkommen zu lassen). Ein flexibler Mensch zeichnet sich dadurch aus, dass er Wohnort, Beruf und Weltanschauung jederzeit und ohne grösseres Aufheben wechseln kann. Dazu braucht es Wegwerfmöbel.

 Wirf weg - und du wirst neugeboren! Das ist die Esoterik von Ikea. Lass los - und alles wird gut. Und hell. Und leicht. Und ich ertappe mich beim Gedanken, es vielleicht doch noch einmal zu wagen, versuchsweise nur: ein zeitgenössischer Mensch zu werden, mit zeitgenössischen Möbeln und ebensolchen Beziehungen und Gedanken und Gefühlen. Aber für diese Art von Reibungslosigkeit ist es wohl zu spät. Zeitgenossenschaft, das ist in diesem Zeitalter ja nichts anderes als eine poetische Umschreibung für Kompatibilität.

 Ein Hauch von Demokratie

 Nun geht ein junges Paar an meiner provisorischen Singlewohnung vorüber, als träte es aus dem Schatten einer Gegenwart in den Lichtkegel einer Zukunft. Ein paar Zimmer weiter, in einem Musterbubenzimmer, hockt ein kleiner Junge vor einer Playstation. Die Art, wie er spielt und mit den Armen fuchtelt, ist vorbildlich. Als ob aus der Mustergültigkeit der Einrichtung ein ebenso mustergültiges Verhalten resultieren würde. Ob ich da nicht ein wenig übertreibe mit meinem Kulturpessimismus? Und doch: Es ist das Prototypische, das mich abstösst: das Prototypische einer räumlichen Inszenierung, in der zwangsläufig immer auch ein prototypisches Verhalten zutage tritt.

 So stehe ich mustergültig am Fenster und schaue komfortabel in die Welt, um dann vorbildlich die Vorhänge zu ziehen, mich wohlstandshalber auf das Mustersofa zu setzen und standesgemäss auf den Bildschirm zu schauen, wo mir eine Nachrichtensprecherin mit einem mustergültigen Lächeln auf den Lippen die neusten Schreckensnachrichten aus dieser grossen Welt mitteilt, vor der ich die Vorhänge gezogen habe.

 Aber wo liegt denn das Problem? Ist das alles nicht doch auch irgendwie demokratisch: Gleiche Möbel für alle? Gute, schöne, güns tige Möbel? Oder handelt es sich eben doch vielmehr um eine Form von kapitalistisch verwertetem Konsumsozialismus? Ikea ist ja auch das: ein multinationaler Einrichtungskonzern mit weltweit 130 000 Mitarbeiter Innen, der sich soziale Verantwortung und ökologisches Bewusstsein auf die Fahnen geschrieben hat. Ein Unternehmen mit einem geschätzten Wert von 36 Milliarden US-Dollar, dessen Eigentümerin eine als gemeinnützige Organisation registrierte Stiftung mit Sitz in den Niederlanden ist und deshalb kaum Steuern zahlt - mit einem steinreichen Patron in der Schweiz, der in den Genuss von Pauschalbesteuerung kommt.

 Leben als Orientierungslauf

 Im Mustereinzelzimmer für kleine Buben mit der obligaten Weltkarte an der Wand sitzt noch immer der Junge und spielt Playstation, als hätte er irgendeine Pflicht zu erfüllen. Hausaufgaben. Absolvieren, es ist dieses Wort, das mir in der Ikea-Filiale in Lyssach immer wieder durch den Kopf geht: das Leben als Orientierungslauf.

 Die Verhältnisse, sie haben sich längst schon gekehrt: Nicht mehr die Wohnungen sind es, die sich den menschlichen Bedürfnissen und Eigenarten anpassen, sondern vielmehr die Menschen, die sich an den räumlichen Voraussetzungen orientieren. Eigen-Art: Das hört sich inzwischen an, als handle es sich um eine Kunstrichtung.

 In einem weissen Musterzimmer entdecke ich wieder das junge Paar, ertappe die beiden, wie sie längst darin Platz genommen haben an diesem Freitagabend in der Ikea-Filiale Lyssach - in einer Zukunft, als wäre sie schon ein wenig Vergangenheit. Und alles kommt mir schleierhaft bekannt vor, als handle es sich um eine Szene, die ich schon mal in einer Illustrierten gesehen habe (als Homestory eignet sich ja immer nur das Privatleben der anderen). Vielleicht ist es am Ende das, was dieses Ikea-Gefühl ausmacht: jeder und jedem die Illusion, ein besseres Leben zu führen. Weicher liegen, klarer fernsehen, leichter sterben. Und wäre nicht auch das ein wenig demokratisch?

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 Schauplatz International

 "What happened before you came"

 In seiner aktuellen Produktion lotst Schauplatz International (Martin Bieri, Anna-Lisa Ellend, Albert Liebl, Lars Studer) die ZuschauerInnen in einer Audioguide-Tour durch die Ikea-Filiale Lyssach. Die Hörgeschichten gehen davon aus, dass "Ikeaville" nachts von Menschen bewohnt wird, die an einer "besseren Welt" arbeiten.

 Die Tour endet mit der Aufnahme eines Interviews mit Colin Crouch, Autor des Buchs "Postdemokratie". Den Hintergrund liefert die Tatsache, dass Ikea wegweisend darin ist, soziale Ideen kapitalistisch zu verwerten. Crouch: "Das grosse Unternehmen wird in der Gesellschaft, in der wir leben, nach und nach zur zentralen Institution. Immer mehr private Firmen erfüllen öffentliche Aufgaben, das Wissen privater Unternehmen wird als das wichtigste Wissen überhaupt verstanden."

 In Bezug auf den Bedeutungsverlust der handwerklich-industriellen ­Arbeiterklasse bedeutet das, dass Gruppen, die in den Sektoren der postindustriellen Wirtschaft arbeiten, kaum mehr eine politische Identität entwickeln können, weil die Kohäsionskräfte von Klasse und Religion so schwach geworden sind: "Die breite Masse, der Kern der Gesellschaft, wird zu einem passiven Beobachter politischer Prozesse, die einerseits von Unternehmen und Parteieliten, andererseits von den Vertretern gesellschaftlicher Extreme kontrolliert werden."

 "Ikeaville - What happened before you came" in: Lyssach Ikea-Filiale. Kollektive Anreise (Bus ab Bern, Tojo-Theater): Fr, 10. und 17. Dezember, 19 Uhr.

 Individuelle Anreise: Do, 9., So, 12., Di, 14., Do, 16., So, 19. Dezember, 11 bis 19 Uhr (So bis 17 Uhr). Zirka 75 Minuten. Preis: "Zahl, so viel du willst".

 Reservationen unter Angabe der gewünschten Zahl Audioguides: tickets@schauplatzinternational.net; Tel. 031 991 99 01. Mitbringen eigener Kopfhörer erwünscht. www.schauplatzinternational.net

 Colin Crouch: "Postdemokratie". Aus dem Englischen von Nikolaus Gramm. Edition Suhrkamp. Berlin 2009. 160 Seiten. Fr. 15.90.

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WoZ 9.12.10

Offene Bühne

 Play Yourself - von Frauen für Frauen

 Seit September findet im Frauenraum der Reitschule einmal pro Monat eine kleine, feine Veranstaltung unter dem Titel "Play Yourself" statt. Die offene Bühne im ersten Teil des Abends bietet Frauen Gelegenheit, ihre eigenen musikalischen Ideen zu testen. Im zweiten Teil dann werden die Instrumente von der Bühne ins Publikum gezügelt - ausprobieren, experimentieren, zusammen spielen … alles ist möglich. An den bisherigen drei Abenden soll sich Ausserordentliches ereignet haben: Eine Frau etwa - sie hat noch nie ein Instrument gespielt - hat sich ans Schlagzeug gesetzt, sich in simplen Rhythmen versucht und alsbald mit anderen zusammen gejammt.

 Die Veranstaltungen waren bislang gut besucht und zogen Mal für Mal neue Frauen an. Der Radius hat sich inzwischen nach Luzern und Zürich erweitert. Was als Experiment begann, wird im neuen Jahr eine Fortsetzung finden. Die letzte Gelegenheit im alten Jahr, in die Tasten zu greifen, ins Mikrofon zu säuseln oder sich eine Gitarre umzuhängen, bietet sich am nächs ten Donnerstag. Ein paar Instrumente stehen zur Verfügung. Der Anlass ist ausschliesslich für Frauen. Anmelden kann frau sich vor Ort oder im Voraus per Mail. mei

 "Play Yourself - offene Bühne & Improvisation von Frauen für Frauen" in: Bern, Frauenraum Reitschule, Do, 16. Dezember, ab 20 Uhr. Daten im nächsten Jahr: 17. März, 21. April, 19. Mai und 16. Juni.

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WoZ 9.12.10

China

 Mitte 2010 gab es eine Streikwelle in Chinas Fabriken. WanderarbeiterInnen erkämpften sich höhere Löhne und lösten eine weltweite Debatte über das Ende des chinesischen Niedriglohn modells aus. Bei Assoziation A ist das Buch "Aufbruch der zweiten Generation, Wander arbeit, Gender und Klassenzusammensetzung in China" erschienen. Pun Ngai und andere Autor Innen aus China analysieren das Schicksal und die Kämpfe verschiedener MigrantInnengruppen, darunter Bau-, Fabrik- und SexarbeiterInnen, und beleuchten die Hintergründe der aktuellen Streiks und Klassenbildungsprozesse in China. Der Über setzer wird das Buch präsentieren. Anschliessend wird über die Frage diskutiert, inwieweit sich heute in Zeiten der Krise und zunehmender sozialer Kämpfe in verschiedenen Teilen der Welt neue Formen der Bezugnahme, des Austauschs und der Unterstützung finden lassen.

 Zürich Infoladen Kasama, Militärstrasse 87a (im Innenhof), Fr, 10. Dezember, 19.30 Uhr Bern Infoladen Reitschule, Neubrückstrasse 8, Sa, 11. Dezember, 19.30 Uhr.

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 Der diesjährige Friedensnobelpreis wird dem Menschenrechtsaktivisten Liu Xiaobo verliehen. Am Freitag findet in Oslo die Preisübergabe statt, mit Sicherheit in Abwesenheit des inhaftierten Liu Xiaobo. Schon kurz nach der Verkündung des Preisträgers hat China alle Staaten aufgefordert, keine Vertreter an die Feierlichkeiten zu entsenden, und seitdem ist es merkwürdig still geworden um Liu Xiaobo. Der Sinologe Thomas Geiger lädt ein zu einer Soirée rund um Liu Xiaobo, die Geschichte der chinesischen Dissidenten, die Charta 08, die heftigen Reaktionen der chinesischen Autoritäten und die kulturellen Hintergründe.

 Zürich Paranoia City Buch & Wein, Ankerstrasse 12, Fr, 10. Dezember, 20.30 Uhr.

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kulturstattbern.derbund.ch 8.12.10

Von Nicolette Kretz am Mittwoch, den 8. Dezember 2010, um 06:00 Uhr

Postdemokratische Mächte

Schauplatz International ist bekannt für politisches und höchst kritisches Theater: sie haben sich in der Vergangenheit schon die Steueroase Zug vorgenommen oder zu einem weltweiten Aufstand der Maskottchen aufgerufen. Und nun - es bleibt einem auf den ersten Blick Sprache weg - arbeiten sie Hand in Hand mit dem schwedischen Möbelriesen! Im Ikea-Family-Katalog liest man "Liehe dir einen Audioguide, höre spannende Geschichten und entdecke das Ikea Einrichtungshaus auf besondere Art und Weise!"

Man kann wahlweise auf eigene Faust hinpilgern oder freitags den Bus ab Tojo direkt in den vorweihnachtlichen Abendverkauf nehmen. Dort schnappt man sich also so einen Audioguide und kann sich bei Ikeaville - What happened before you came unzählige Geschichten zu den ausgestellten Musterzimmer anhören. Schauplatz International hat nämlich herausgefunden, dass bei Ikea nachts eine Kolonie von Menschen lebt, die an der Verbesserung der Welt arbeiten - ganz nach Ikeas demokratischem Grundgedanken ("Gutes Design für alle"). Deneben hört man Interviews mit den Bewohnern von Lyssach, eine Küchneszene des Macher-Teams, in der die Arbeit thematisiert wird, und man kann natürlich auch gleich noch ein paar Einkäufe erledigen.

http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/files/2010/12/ikeaville.jpg

Zum Schluss, in der Lagerhalle, gibts quasi den Schlüssel zum Ganzen: ein Telefoninterview mit Colin Crouch, dem Autoren von "Postdemokratie". Er erklärt, dass grosse Unternehmen durch ihren politischen Einfluss und ihr grosses Wissen zunehmend eine öffentliche Rolle spielen - sie sind jedoch nicht wie die Regierungen der demokratischen Kontrolle unterworfen. "Sie werden zu einer neuen gesellschaftlichen Kraft, für die wir weder Regeln haben noch wissen, wo ihre Grenzen sind." Schauplatz International spielt dies hier am konkreten Beispiel durch, und setzt gedanklich die Keimzelle der Revolution in das blau-gelbe Köttbullar-Imperium.

Man merkt allmählich, dass das wohl doch nicht ganz in Zusammenarbeit mit Ikea entstanden ist, sondern Schauplatz International sich da viel eher geschickt eingeschleust hat. Und so fühlt man sich dann unter all den Shoppenden auch ein wenig konspirativ und kauft am Schluss im "Schwedenshop" die Graved-Lachs-Sosse für die anstehenden Feiertage selbstverständlich mit einem ganz anderen Grundgestus.

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ZAFFARAYA
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bernerzeitung.ch 10.12.10

Stadtrat erteilt Abfuhr für Zaffaraya-Legalisierung

sda / gbl

 Keine Chance für die Forderung nach einer Legalisierung von alternativen Wohnformen in der Stadt Bern: das Stadtparlament hat am Donnerstag einen Vorstoss von Jimy Hofer mit 46 zu 8 Stimmen abgelehnt.

 Hofer wollte den Gemeinderat verpflichten, innerhalb von zwei Jahren ein geeignetes Grundstück auszuweisen, auf dem alternatives Wohnen wie das Zaffaraya möglich sein soll und die entsprechende Planung an die Hand zu nehmen.

 "Wenn man es duldet, kann man es auch legalisieren", argumentierte Hofer. Der Gemeinderat solle das Projekt ernsthaft angehen. Er brauche auch für alles eine Bewilligung. Es müsse Schluss sein mit der doppelmoralischen Umschiffung und den Ausreden zu diesem Thema.

 "Kein Handlungsbedarf"

 Hofer stand indes ziemlich alleine da. Es sei zwar bemühend, dass der Gemeinderat keine einheitliche Handhabe zu alternativem Wohnen habe, sagte Lea Bill für die GB/JA-Fraktion. Es gebe jedoch im Moment keinen Handlungsbedarf, der Gemeinderat sei in Sachen Nutzungszonen an der Arbeit.

 Die Vertreter der Linken betonten grundsätzlich, alternatives Wohnen müsse in Bern Platz haben. Zu einer Stadt gehörten Gruppierungen wie Zaffaraya, Stadttauben oder Stadtnomaden.

 Dem Gemeinderat sei es bisher recht gut gelungen, mit diesen Gruppierungen umzugehen, erklärte Beat Zobrist (SP). "Wir können uns gut vorstellen, so weiter zu fahren."

 Schnell Grundlagen schaffen

 Regieren heisse, vorauszuschauen. Deshalb müsse man schnell die Grundlagen schaffen, damit eine saubere Lösung vorhanden sei, meinte Daniel Imthurn (GLP). Niemand wisse, wann und wie schnell die Eidgenossenschaft, auf deren Boden sich das Zaffaraya im Moment befindet, die Duldung widerrufe.

 Es sei doch nichts als recht, wenn man die Bevölkerung noch einmal frage, ob man solche Wohnformen auf Stadtboden noch wolle, sagte Jacqueline Gafner (FDP). Im Übrigen sei erstaunlich, wie fein der Gemeinderat die rechtliche Klinge führe, wenn es um die grosse Mehrheit der Menschen in der Stadt gehe, die sich an die Gesetze hielten. Ihre Schlussfolgerung: "Wer genügend penetrant ist, erhält offenbar, was er will."

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SUBVENTIONSVERTRÄGE
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Bund 10.12.10

Die Kultur in Zeiten des Sparens

 Die Stadt Bern will die Kulturveranstalter in den Jahren 2012 bis 2015 mit insgesamt 112 Millionen Franken unterstützen. Das Niveau wird damit gehalten. Politisch umstritten ist der Beitrag ans Konzert Theater Bern.

 Bernhard Ott

 Die finanziellen Aussichten für die Jahre 2012 und 2013 "sind alles andere als rosig", sagte gestern Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) bei der Präsentation der Kulturverträge 2012 bis 2015. Der Gemeinderat sei zurzeit an der Ausarbeitung eines Haushaltsverbesserungsprogramms. Gemäss Finanzplan werde die Stadt ab 2012 jährlich 30 Millionen Franken einsparen müssen. "Wir haben im Gemeinderat über eine mögliche Schliessung von einzelnen kulturellen Institutionen diskutiert", sagte Tschäppät. Schliesslich habe man aber bewusst darauf verzichtet. Ab 2014 werde es eine Verbesserung der Finanzlage geben. Die Strategie der Kulturverträge 2012 bis 2015 laute daher: "das Niveau halten".

 Transparenz bei Dampfzentrale

 Laut Tschäppät führt die Stadt die bisherigen Subventionen für die neue Organisation Konzert Theater Bern und die drei Museen Zentrum Paul Klee, Historisches Museum und Kunstmuseum fort - erhöht um 2,5 Prozent Teuerungsausgleich. Dafür setzt sie nächstes Jahr 22,2 Millionen Franken ein, was rund 66 Prozent der gesamten Kulturausgaben in der Höhe von 33,8 Millionen Franken entspricht. Der Löwenanteil in der Höhe von 14,5 Millionen Franken geht ans Konzert Theater Bern. Gemäss dem langjährigen Verteilschlüssel beträgt der städtische Anteil an den Subventionen für die grossen Institutionen 39 Prozent. Die Gemeinden der Regionalkonferenz Bern-Mittelland beteiligen sich mit 11 Prozent. 50 Prozent der Gesamtkosten werden vom Kanton übernommen.

 Neben den vier grossen Häusern unterstützt die Stadt auch 20 kleinere Veranstalter mit Verpflichtungskrediten in der Höhe von über 20 Millionen Franken. "Hier werden kleine Schwerpunkte gesetzt", sagte Tschäppät. Die grössten finanziellen Veränderungen ergeben sich aus dem Einbezug der Mieten bei Dampfzentrale und Schlachthaus in der Höhe von 900 000 Franken pro Jahr. Die Stadt zahlt diese Mieten zwar bereits heute - sie wurden bis anhin allerdings nicht als Subvention ausgewiesen. Die mietbedingte Zunahme der Subventionen für die Dampfzentrale (siehe Tabelle) bewirke, dass deren Subventionen erstmals den Stimmberechtigten vorgelegtwerden, sagte Tschäppät.

 Druck auf Kino im Kunstmuseum

 Effektiv mehr Geld erhalten unter anderem das Theater an der Effingerstrasse, das Theatertreffen Auawirleben, der Konzertveranstalter Be-Jazz und das Tojo-Theater in der Reitschule. Kürzungen sind nur bei der Tanzaktiven Plattform und beim Kino im Kunstmuseum vorgesehen. "Mit dem revidierten Kulturförderungsgesetz wird das Kunstmuseum ab 2016 ausschliesslich vom Kanton subventioniert werden", sagte Kultursekretärin Veronica Schaller. Im Vortrag an den Stadtrat weist der Gemeinderat auf das Missverhältnis von Besucherzahl und Höhe der Subvention hin. Zudem hält er fest, dass infolge der Umstrukturierungen im Kunstmuseum mit einer Ausquartierung des Kinos gerechnet werden müsse. "Das Kino wird genügend Zeit und Geld erhalten, um sich für die Zeit ab 2016 neu zu positionieren oder aber seinen Betrieb einzustellen", hält der Gemeinderat fest. Die beiden Kürzungen stehen allerdings in keinem Verhältnis zu den Erhöhungen. "Die Differenz werden wir bei den Kulturförderkrediten einsparen müssen", sagte Schaller.

 Angst vor "riesigen Kosten"

 Die Verträge mit den vier grossen Institutionen werden bereits im Januar im Stadtrat behandelt. Die Volksabstimmung ist für Mitte Mai vorgesehen. Gemäss einer Motion von Jimy Hofer (Fraktion SVP plus), die der Stadtrat jüngst mit grossem Mehr überwiesen hat, werden Parlament und Volk nicht mehr in globo, sondern über jeden Vertrag einzeln abstimmen können. "Mit der Sanierung des Stadttheater-Gebäudes kommen riesige Kosten auf uns zu", sagt Hofer auf Anfrage. Die Sanierungskosten wurden einst auf 53 Millionen Franken veranschlagt. "Wir wollen wissen, was das Volk vom Stadttheater hält." Falle die Zustimmung tief aus, "muss man den finanziellen Hebel ansetzen", sagt Hofer. Stadtpräsident Tschäppät warnte gestern aber vor einer Rückweisung des Vertrages mit dem Stadttheater beziehungsweise dem Konzert Theater Bern. Falls der Vertrag nicht in Kraft gesetzt werden könnte, "müssen wir wieder mit allen Regionsgemeinden reden und ihn neu aushandeln". Die dadurch notwendige Verlängerung der bestehenden Verträge brächte eine "klare finanzielle Verschlechterung der Situation" für die Betroffenen, da der in den neuen Verträgen vorgesehene Teuerungsausgleich wegfallen würde. Schliesslich würde sich sogar die Gründung von Konzert Theater Bern verzögern.

 Tschäppät zeigte sich zuversichtlich, dass sich für die Sanierung des Stadttheater-Gebäudes eine Lösung finden lässt. Die Gemeinden seien zurzeit zwar mehrheitlich nicht bereit, sich freiwillig an der Sanierung zu beteiligen. Ab Januar 2011 würden aber verlässliche Kostenangaben vorliegen. Dann werde man die Gespräche wieder aufnehmen müssen. "Wenn die Regionsgemeinden das Konzert Theater Bern mehrheitlich befürworten, müssen sie auch einen Beitrag an die Sanierung des Gebäudes zahlen", sagte Tschäppät.

 Zitterpartie für Konzert Theater

 Die rot-grüne Mehrheit im Stadtrat wird den Vertrag mit dem künftigen Konzert Theater Bern aber wohl gutheissen, wie SP, GFL/EVP und GB unisono erklären. "Wir wollen nicht, dass die Kulturinstitutionen entzweit werden", argumentiert Stéphanie Penher (GB). FDP-Fraktionschef Bernhard Eicher prophezeit allerdings trotzdem eine Zitterpartie fürs Konzert Theater Bern. "Die Subventionsverträge sind unser einziges Druckmittel, um die Regionsgemeinden zu einer Beteiligung an der Sanierung des Stadttheaters zu bewegen."

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Kommentar

 Klarheit für die Zukunft

Brigitta Niederhauser

 Sie sind klein, sie sind unspektakulär, aber sie sind wichtig, die Änderungen bei den neuen Leistungsverträgen der städtischen Kulturinstitutionen. Denn sie vertiefen den Kurs, der 2008 mit der neuen Kulturstrategie eingeschlagen worden ist, und sorgen für mehr Klarheit: Bei jeder Institution werden nun die effektiven Subventionen ausgewiesen. Für Unmut sorgte 2007 der Umstand, dass die Miete der Dampfzentrale vom Amt für Kulturelles separat beglichen und nicht als Subvention aufgeführt wurde. Mit einer Subvention von fast zwei Millionen Franken muss der Dampfzentrale-Leistungsvertrag vom Stimmvolk genehmigt werden. Diese Transparenz erspart der Stadt nicht nur Mauscheleivorwürfe. Sie sorgt auch für eine klare Ausgangslage bei den Verhandlungen mit dem Kanton, der sich im Rahmen seines neuen Kulturkonzepts ab 2016 an der Subventionierung von sechs mittelgrossen städtischen Kulturinstitutionen beteiligen will. Dazu gehören neben der Dampfzentrale die Kunsthalle, das Theater an der Effingerstrasse, Auawirleben, das Schlachthaus-Theater und die Camerata Bern.

 Wie wichtig Kostenwahrheit gegenüber anderen Subventionsgebern ist, zeigt die jüngste Kontroverse um die dringende Renovation des Stadttheaters, an der sich weniger als die Hälfte der Regionsgemeinden beteiligen will. Eine halbe Million Franken beträgt die Theatermiete, weniger als die der Dampfzentrale. Ein realistischer Mietzins hätte die Sanierungsdiskussion unter den Subventionspartnern früher und nicht so verheerend spät in Gang gebracht.

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BZ 10.12.10

Gleich viel Geld für die Berner Kultur

 Kulturverträge. Die Kulturinstitutionen erhalten 2012 bis 2015 gleich viel Geld wie bis anhin, sofern das Parlament und die Stimmbevölkerung Ja sagen. Weil bis 2014 magere Jahre anstehen, drohen aber kurzfristige Kürzungen.

 2008 stockte die Stadt ihre jährlichen Kulturausgaben um über 4 Millionen Franken pro Jahr auf. Dieses Mal wertet es Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) bereits als Erfolg, wenn für die nächste Vierjahresperiode das Niveau gehalten werden kann. Deshalb war er gestern erleichtert: "Der Gemeinderat hat sich am Mittwoch voll und ganz hinter die Berner Kultur gestellt." Trotz düsteren finanziellen Aussichten soll die Stadt 24 Kulturinstitutionen jährlich mit 28,22 Millionen Franken unterstützen. Das bedeutet, die heutige Beitragshöhe wird für die Periode 2012 bis 2015 teuerungsbedingt um 2,5 Prozent angehoben.

 Die happigen grossen vier

 Zwei Drittel davon erhalten die vier Grossen: das neue Konzert Theater Bern (Stadttheater und Berner Symphonieorchester), das Kunstmuseum, das Zentrum Paul Klee und das Historische Museum. An diese Institutionen zahlen auch der Kanton und 81 Gemeinden aus der Region. Der Rest geht an 21 mittlere und kleinere Organisationen. Die grösste darunter ist die Dampfzentrale. Sie erhält 1,91 Millionen Franken pro Jahr. Aus Transparenzgründen ist erstmals die Miete einbezogen, welche die Stadt übernimmt. Die Stimmbevölkerung wird aufgrund der Beitragshöhe im Frühjahr über diese fünf Leistungsverträge abstimmen können. Die anderen liegen in der Zuständigkeit des Stadt- oder Gemeinderats.

 Zwei zahlen die Zeche

 Zwei Organisationen erhalten künftig weniger Geld: "Die tanzaktive Plattform tap wird nur noch projektweise unterstützt", erläuterte Kultursekretärin Veronika Schaller. Zudem kürze die Stadt die Beiträge ans Kino Kunstmuseum. Ab 2016 werde das Kunstmuseum ganz vom Kanton getragen. Weil das Museum nach Räumen für die Gegenwartskunst suche, werde das Kino wohl sowieso kaum mehr Platz haben, begründete sie den Entscheid. Zusammen mit dem Teuerungsausgleich konnten also 210 000 Franken pro Jahr zusätzlich an die verbleibenden Organisationen verteilt werden. Dazu zwackte man, wie Schaller einräumte, 50 000 Franken von den Projektkrediten ab:   "Hoffentlich müssen wir dort nicht ständig kürzen", meinte sie lediglich.

 Abstriche drohen trotzdem

 Doch genau dies ist denkbar. Denn momentan arbeitet die Regierung ein Sparpaket aus. Tschäppät schloss gestern nicht aus, dass dies auch die Kultur treffen wird. Ob und wie, werde Anfang 2011 bekannt. Die Durststrecke bis 2014 möchte er "ohne Kahlschlag" durchstehen. Ab dann sehe es finanziell wieder besser aus. Tschäppät will sich für die Kultur einsetzen:   "Meine Devise heisst kämpfen." Er gab seiner Hoffnung Ausdruck, dass auch das Parlament die Verträge gutheisst. Andernfalls müssten die bestehenden ohne Teuerungsausgleich verlängert werden. Tschäppät betonte: "Die Leidtragenden wären die Kunstschaffenden."
 Christoph Aebischer

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 Sanierung des Stadttheaters

 Unklare Finanzierung "Eins ist klar: Die Stadt wird nicht in der Lage sein, die 2013 geplante Sanierung des Stadttheaters selber zu tragen", sagte gestern Stadtpräsident Alexander Tschäppät. Der Appell ist unüberhörbar: Kanton und Regionsgemeinden müssen mithelfen, die Kosten zu tragen, am liebsten im Subventionsschlüssel 50 Prozent Kanton, 39 Prozent Stadt und 11 Prozent Agglomeration. Stadtbauten Bern als Hauseigentümerin sind gegenwärtig daran, zwei Sanierungsvarianten für 35 beziehungsweise 45 Millionen Franken auszuarbeiten. Wer wie viel zahlt, ist Verhandlungssache.

 Das Problem ist hausgemacht: Weil die Miete nicht für Rückstellungen reicht, hat sich ein hoher Sanierungsbedarf angehäuft. Tschäppät würde die "politische Miete" sofort gegen eine kostendeckende Miete tauschen, wie er betont. Doch da müssten alle Beteiligten mitziehen. Der Kanton habe sich bisher dagegen gesperrt. Dessen Kulturminister, der grüne Regierungsrat Bernhard Pulver, wandte auf Nachfrage ein: "Bei Verhandlungen wollen die einen dies, die anderen das. Ich finde solche Vorwürfe nach erzielter Einigung unpassend." Er wies darauf hin, dass für eine kostendeckende Miete die Subvention um mehr als eine Million Franken pro Jahr angehoben werden müsste.

 Die Grünliberalen wollen die Kulturverträge zurückweisen. Sie fordern verbindliche Zusagen zur Sanierung, bevor die Stadt die Verträge genehmigt.cab

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Telebärn 9.12.10

112 Millionen für die Kultur
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/112-millionen-fur-die-kultur/c=84713&s=1105330

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bern.ch 9.12.10

Gemeinderat verabschiedet Verträge mit Kulturinstitutionen

Ab 2012 sollen die Berner Kulturinstitutionen von der Stadt Bern im gleichem Rahmen subventioniert werden wie bis anhin. Der Gemeinderat hat die Subventionsverträge verabschiedet, die den Kulturveranstaltern über die nächsten vier Jahre rund 112 Millionen Franken in Aussicht stellen. Über die Kredite für die Subventionsverträge mit Historischem Museum, Kunstmuseum, Zentrum Paul Klee, der neuen Institution Konzert Theater Bern sowie der Dampfzentrale können die Stimmberechtigten voraussichtlich im Mai 2011 befin-den.

Die Stadt Bern subventioniert seit 1997 die fünf grössten Kulturinstitutionen - das Historische Museum, das Kunstmuseum, das Zentrum Paul Klee, das Stadttheater sowie das Symphonieorchester - gemeinsam mit Kanton und Regionsgemeinden, jeweils mit Vierjahresverträgen. Rund 22 der insgesamt 33,8 Millionen Franken Kulturausgaben gehen so jährlich an die grossen Kulturhäuser. Daneben unterstützt die Stadt Bern 25 weitere Institutionen mit Vierjahresverträgen, kleinere Kulturangebote mit Jahresverträgen, fördert einzelne Kulturschaffende und freie Gruppen mit Beiträgen an ihre Produktionen.

Beibehaltung der Subventionshöhe

Die aktuellen Vierjahresverträge laufen per Ende 2011 aus Seit Ende 2009 ist die Präsidialdirektion, teils gemeinsam mit den Verantwortlichen von Kanton, Regionalkonferenz und Burgergemeinde daran, sie für die Periode 2012 bis 2016 neu zu verhandeln. Angesichts der knappen Mittel der Stadt Bern konnte dabei auf die Forderungen nach Subventionserhöhung nicht eingegangen werden. Die zur Verfügung stehenden Mittel der Periode 2008 - 2011 sollen weiter geschrieben werden, allerdings mit 2,5 Prozent Anpassung an die Teuerung . Bei den gemeinsam mit Kanton und Regionalkonferenz - sowie Burgergemeinde im Fall des Historischen Museums - subventionierten Institutionen wird diese Teuerungsanpassung gleichmässig an die Institutionen weitergegeben. Bei den ausschliesslich von der Stadt subventionierten Institutionen wird der Betrag genutzt für gezielte Erhöhungen bei einzelnen Institutionen.

Konkret erhalten die grossen Kulturinstitutionen von der Stadt Bern für die nächsten vier Jahre neu folgende Beiträge:

* Konzert Theater Bern: 58,1 Millionen Franken (14,54 Millionen Franken pro Jahr, was 39 Prozent der Gesamtkosten ausmacht) - bereits ab 1. Juli 2011;
* Historisches Museum Bern: 5,96 Millionen Franken (1,49 Millionen Franken pro Jahr, was 22,3 Prozent der Gesamtkosten ausmacht);
* Kunstmuseum Bern: 9,56 Millionen Franken (2,39 Millionen Franken pro Jahr, was 39 Prozent der Gesamtkosten ausmacht);
* Zentrum Paul Klee: 8,80 Millionen Franken (2,20 Millionen Franken pro Jahr, was 39 Prozent der Gesamtkosten entspricht).

Aufgrund der Höhe der Subventionen liegt das letzte Wort beim Stadtberner Stimmvolk. Es kann voraussichtlich im Mai 2011 darüber abstimmen.

Erstmals wird den Stimmberechtigten auch der Kredit für den Leistungsvertrag mit der Dampfzentrale vorgelegt. Ab dem Jahr 2012 sind darin neu die Miete an Stadtbauten sowie die Nebenkosten enthalten. Allein aus diesem Grund steigt der Subventionsbetrag um mehr als 50 Prozent an und unterliegt mit 1,91 Millionen Franken pro Jahr ebenfalls der Volksabstimmung.

20 Verträge mit kleineren Veranstaltern

Der Gemeinderat hat weitere 15 Verträge mit Partnern aus dem Kulturbereich zuhanden des Stadtrats verabschiedet. Er beantragt über die nächsten vier Jahre Verpflichtungskredite von insgesamt 20,83 Millionen Franken. Detailliert aufgeschlüsselt bedeutet dies:

* Kornhausforum: 2,64 Millionen Franken (666'000 Franken pro Jahr)
* Kunsthalle Bern: 4,37 Millionen Franken (1,2 Millionen Franken 2012 und 2013 sowie 989'000 Franken 2014 und 2015).
* Schlachthaus Theater: 4,76 Millionen Franken (1,19 Millionen Franken pro Jahr - ebenfalls neu inkl. Miete und Nebenkosten an Stadtbauten)
* BeeFlat: 400'000 Franken (100'000 Franken pro Jahr)
* BeJazz: 420'000 Franken (105'000 Franken pro Jahr)
* Berner Kammerorchester: 400'000 Franken (100'000 pro Jahr)
* Buskers Festival: 400'000 (100'000 Franken pro Jahr)
* Camerata Bern: 1,4 Millionen Franken (350'000 Franken pro Jahr)
* Grosse Halle: 960'000 Franken (240'000 Franken pro Jahr)
* Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR: 1,52 Millionen Franken (380'000 Franken pro Jahr)
* Kino Kunstmuseum: 480'000 Franken (120'000 Franken pro Jahr)
* La Cappella: 600'000 Franken (150'000 Franken pro Jahr)
* Berner Puppenbühne: 400'000 Franken (100'000 Franken pro Jahr)
* Das Theater an der Effingerstrasse: 1 Million Franken (250'000 Franken pro Jahr)
* Theatertreffen auawirleben: 1,08 Millionen Franken (270'000 Franken pro Jahr)

Schliesslich hat der Gemeinderat auch fünf Verträge in eigener Zuständigkeit verabschiedet:

* BewegGrund: 120'000 Franken (30'000 Franken pro Jahr)
* Einstein-Haus: 240'000 Franken (60'000 Franken pro Jahr)
* Internationale Gesellschaft für Neue Musik: 140'000 Franken (30'000 Franken pro Jahr)
* Kino Lichtspiel: 220'000 Franken (55'000 Franken pro Jahr)
* Tojo Theater: 240'000 Franken (60'000 Franken pro Jahr)

 
Informationsdienst der Stadt Bern

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RABE-INFO
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Fr. 10. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_10._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_10._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2010.%20Dezember%202010
- Neue Arbeitsbedingungen für Pfarrer- Kanton Bern will Landeskirchengesetz revidieren
- Wo die Welt Berndeutsch lernt- multikulturelles Bümpliz in der Kita
- Bildungsmotor fördert Chancengleicheit- Ausserschulische Betreuung für Kinder und Eltern

Links:
http://www.bildungsmotor.ch

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Do. 9. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_9._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_9._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%209.%20Dezember%202010
- Ein Amt ist genug: Keine Doppelmandate für Berner Gemeinderäte, fordert Stadtrat Luzius Theiler
- Blutdiamanten aus Simbabwe: Was bringen internationale Zertifikate?
- Die Bauerndörfer der Stadt: Mit dem Tram direkt ins Grüne

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Mi. 8. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_8._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_8._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%208.%20Dezember%202010
- Klimawandel als Glaubensfrage? - Die Nationalratsdebatte über die "Offroader-Initiative" wurde zur Grundsatzdebatte
- Essen kaufen und den Hunger bekämpfen - Die Share-Food-Initiative machts möglich
- Besuch im Ortsarchiv von Bümpliz - Geschichten über einen eigenwilligen Stadtteil

Links:
http://www.shareforfood.ch/ziel.html
http://www.ortsarchiv-buempliz.ch

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Di. 7. Dezember 2010
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._Dezember_2010.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._Dezember_2010.mp3&song_title=RaBe-%20Info%207.%20Dezember%202010
- Mehr Bus für Bern: Matte, Marzili und Sandrain wollen eine eigene Linie
- Street Art, Cabane 5 und HKB: In Bümliz und Bethlehem entsteht die Kunst von morgen
- Es ist nicht alles Gold, was glänzt: Reportage über Kinderarbeit aus Burkina Faso

Links:
http://www.trambernwest.ch
http://www.kunstachse.ch
http://ououagadougouou.blogspot.com

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HOT SQUAT
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Indymedia 8.12.10

Der neue HotSquat Kalendar ist da ::

AutorIn : LaBiu Squat: http://www.labiu.ch

Bildausschnitte DER NEUE HOTSQUAT KALENDAR 2011 IST DA!!     
    
Bildausschnitte
http://ch.indymedia.org/images/2010/12/79199.jpg

LaBiu präsentiert die nun dritte Ausgabe ihres SoliKalnders
Mit neuen träschig skurrilen Inszenierungen der Bieler HausbesetzerInnen. Dieses Jahr werden Märchen und Sagen neuinterpretiert. Dabei geht so manches HappyEnd bachab.

Am besten selber anschauen auf http://www.labiu.ch

5.- pro verkauften Kalender gehen wieder an AntiRep Biel, der Rest des Erlöses dient der Deckung der Betriebskosten von LaBiu Squat. Kosten tut er 35.-.

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SQUAT FR
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Freiburger Nachrichten 10.12.10

Raie Manta mit rekordkurzer Besetzung

 Am Mittwochabend hat das Kollektiv Raie Manta die Chassotte in Givisiez besetzt. Die Polizei hat das Gebäude zwei Stunden später wieder geräumt.

 Pascal Jäggi

 Givisiez Früher oder später musste das Besetzerkollektiv Raie Manta auf das Chassotte-Gebäude am Eingang von Givisiez stossen. Das frühere Internat steht seit längerem leer. Die Gemeinde liess vor einigen Jahren einen Teil des Gebäudes abreissen, mit der Begründung, einer Hausbesetzung zuvorzukommen. Am Mittwoch haben die jungen Aktivisten gegen 19.30 Uhr versucht, sich im verbleibenden Haus einzunisten, die Antwort folgte aber prompt. Gegen 21.30 Uhr stürmte die Kantonspolizei das Gebäude und nahm 11 Personen auf den Posten mit. Diese waren am selben Abend wieder auf freiem Fuss.

 Auf der Website Indymedia veröffentlichte Raie Manta einen Text, in dem der Wunsch geäusssert wurde, mit Oberamtmann Carl-Alex Ridoré ein Gespräch über ein konkretes Projekt in der Chassotte zu führen. Ein Aktivist bestätigte gegenüber den FN, dass das Treffen heute stattfinden soll.

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20 Minutes 10.12.10

Evacuation de squat musclée

 Givisiez (FR). Des squatters du collectif Raie Manta ont tenté mercredi soir une occupation de bâtiment. La police cantonale a bouclé le secteur et évacué les lieux, non sans mal. Onze personnes ont été interpellées. Les activistes sont entrés par effraction dans le bâtiment, condamné pour raisons sécuritaires. Les gendarmes ont usé de la force.

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La Liberté 10.12.10

Squatteurs

 Givisiez déposera une plainte

 Le collectif de squatteurs Raie Manta a tenté mercredi soir d'investir le bâtiment qu'occupait autrefois l'école internationale de la Chassotte, à Givisiez (voir "La Liberté" d'hier). La commune de Givisiez, propriétaire des lieux, va déposer une plainte pour violation de domicile et dommages à la propriété. Dans un communiqué diffusé hier, la police cantonale précise que les onze squatteurs interpellés - neuf hommes et deux femmes - sont âgés de 23 à 35 ans et sont pour la plupart connus des services de police pour des faits similaires. Ces personnes ont été libérées avant une heure du matin. OW

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La Liberté 9.12.10

Givisiez

 Le collectif Raie Manta investit la Chassotte et se fait déloger illico

 Samuel Jordan, Serge Gumy

 Décidément, le collectif fribourgeois Raie Manta est infatigable. Hier, sous le coup de 18 heures, il a profité de la quiétude de l'Immaculée Conception pour investir un nouveau lieu. L'aventure aura cependant été de courte durée. Quelques heures plus tard, les squatters ont en effet été délogés illico presto et manu militari par les forces de l'ordre fribourgeoises.

 Cette fois-ci, le collectif Raie Manta a trouvé refuge dans l'imposant bâtiment qu'occupait autrefois l'école international de la Chassotte. Un édifice situé sur le territoire de Givisiez qui appartient à parts égales aux communes de Givisiez et de Granges-Paccot.

 "Nous sommes une bonne trentaine de personnes à avoir investi les lieux", expliquait hier soir l'une des squatters au téléphone à 20 h. "Parmi nous, des anciens, mais aussi beaucoup de nouveaux membres du collectif", poursuivait-elle. A entendre cette dernière, il a fallu très peu de temps au collectif pour prendre possession de l'endroit. "Nous nous étions minutieusement préparés. Après une heure, nous étions déjà installés et barricadés."

 Un peu plus d'une heure, c'est le temps qu'il a fallu à la police fribourgeoise pour réagir et se rendre sur les lieux. Après un round d'observation, les agents de l'ordre ont forcé le passage et investi le bâtiment de la Chassotte, bien résolus d'en déloger les occupants temporaires. Une tâche qui n'a pas été aisée, car une partie des squatters se sont réfugiés sur les toits.

 Un certain nombre de squatters ont été évacués par les agents de l'ordre en paniers à salade vers le poste de police. Non sans mal, car des sympathisants bloquaient le trafic des véhicules de police. Selon un témoin de la scène, la police a utilisé des gaz lacrymogènes pour neutraliser les récalcitrants. "L'intervention a été passablement violente", expliquait-il au téléphone.

 Peu avant 23 h, le calme régnait à la Chassotte. Des agents de sécurité privée prenaient le relais des forces de l'ordre pour garder l'endroit. Seul vestige de l'occupation express, une banderole sur laquelle on pouvait lire: "Yes we can!"

 La Chassotte est le quatrième édifice a être occupé par le collectif Raie Manta en huit semaines, après ceux de la rue de l'Industrie, de la Route-Neuve et de l'Espace Boxal. Selon nos informations, des membres de Raie Manta ont rendez-vous ce vendredi avec le préfet de la Sarine Carl-Alex Ridoré. Dans le but de discuter du projet culturel du collectif concernant le bâtiment de la Chassotte. I

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Indymedia 9.12.10

"squat der letzten tage" besetzt und geräumt ::

AutorIn : mantaaaa         

heute nacht wurde die chassotte(riesiges internat) in fribourg besetzt.     
die bullen waren zugleich zur stelle und haben mit der räumung drei stunden nach der besetzung begonnen.
die besetzer haben sich in mehreren ringen verbarrikadiert. die hauseigene kirche bot den letzten unterschlupf. als auch diese gestürmt wurde, flohen die besetzer auf das vordach. sie wurden brutalst mit massivem pfefferspray einsatz getrennt und weggetragen.

gegen die sympatisanten, die vor dem haus den verkehr blockierten wurde auch mit pfefferpray aus nächster nähe vorgegangen

alle verhafteten befinden sich jetzt (2.49) auf freiem fuss.

es folgt das ursprüngliche communique:

" Squat der letzten Tage "
Wir haben in der Nacht auf den 9.Dezember die Chassotte (Rte de la Chassotte 1) besetzt. Nach den vorhergehenden Besetzungen der Route neuve 1, der Rue de l'industrie 24/26 und dem Espace Boxal am Passage de Cardinal 2 ist dies unsere vierte Besetzung innerhalb zweier Monate.
Wir wollen im riesigen, leer stehenden Gebäudekomplex, einen Raum für Diskussionen, Filme, Kunst, Konzerte und Vorführungen einrichten, eine Bibliothek mit einem Info- und Gratisladen, eine Volksküche, einen Gemeinschaftsgarten und viele weitere Projekte ins Rollen bringen. Des Weiteren wollen wir alternativen Wohnraum schaffen. Acht Personen aus unserem Kollektiv haben derzeit keine Wohnung.
Wir bleiben in der Chassotte bis mit einem konkreten Projekt begonnen wird. Vor drei Jahren hat der Verein "maison des artistes" eine Anfrage gemacht um das Haus für Kulturprojekte zu brauchen. Die Antwort war ein klares NEIN. Drei Jahre später steht die Chassotte immer noch leer.

Feiern wir zum vierten Mal ein Einweihungswochenende, diesmal im "Squat der letzten Tage".

Wir hängen keine Weihnachtsdekoration auf!

Kollektiv Raie Manta

 raiemanta@riseup.net

http://manta.ch.gg

ACAB

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SQUAT VD
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24 Heures 10.12.10

Lausanne

On parle prison et Chine dans les lieux alternatifs

Antonoff

 A Lausanne, l'Espace autogéré prépare un week-end "anticarcéral", tandis qu'au squat de la Hache on parlera lutte des classes en Chine, dimanche

 Ça va phosphorer fort dans les deux lieux alternatifs de la capitale vaudoise ce week-end. Alors que l'Espace autogéré de la rue César-Roux annonce trois jours de débats sur le milieu carcéral, on débattra de la lutte des classes en Chine au squat de la Hache. Le squat de la Hache? C'est la maison occupée par le collectif Tesla depuis septembre dernier à la rue Saint-Martin 25. On se souvient qu'un simple contrôle d'identité y avait tourné à la bataille rangée entre squatters et policiers, ces derniers ayant été accueillis à coups de boules de pétanque et ayant dû maîtriser un individu qui portait une hachette à la ceinture. D'où le nom du squat.

 "Nous ne sommes pas intéressés à imaginer une prison vivable. Cependant la critique ne nous suffit de loin pas, nous sommes pour la destruction de toute prison. " Le ton du week-end est donné à l'Espace autogéré de César-Roux. Vendredi, samedi et dimanche, entre projection de films, ateliers de lettres aux prisonniers, informations sur les procédures pénales et témoignages, les débats s'annoncent nourris. L'ouverture des festivités est fixée aujourd'hui à 20 h 30. Quant au squat de la Hache, c'est dimanche qu'il invite le public à se réunir pour parler de luttes des classes et de migration en Chine. Au programme dès 18 h: projection, débats et repas. L. A.

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SQUAT GE
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Indymedia 9.12.10

Besetzungsversuch einer ehemaligen Bank in Genf ::

AutorIn : der Wind         

Übersetzung eines Artikels von boule de neige vom Westschweizer Infoportal  https://www.lereveil.ch

Calvingrad heisse Stadt (sogar unter dem Schnee!) (Le réveil)     

Der öffentlich angekündigte (symbolische?) Besetzungsversuch des Gebäudes an der rue Jacques Dalcroze 5 gab Anlass zu einigen Scharmützeln. Jenes Gebäude ist eine gigantische Bank, die im August 2007 schon für 48 Stunden besetzt wurde, kurz nach den Räumungen des Rhinos und der Tour. Die Bullen räumten alle Leute und nahmen etwa 20 fest.
Am Samstagabend versuchten etwa 80 Leute (nach der Tribune de Genève), das Gebäude wieder zu besetzten, ohne Erfolg: die Bullen waren schon drin.

Einige Personen legten daraufhin Feuer in den Abfallkübeln vor dem Eingang. Leider intervenierte die Feuerwehr bevor es zu beträchtlichen Sachschäden kam.

Die Bullen bekam auch Schneebälle und Eiswürfel ab. Mit viel Verstärkung, Kastenwagen und sogar einem Wasserwerfer, schafften sie es schliesslich, die hypothetischen Besetzer zu zerstreuen, ohne jemanden festzunehmen.

Artikel aus der Tribune de Genève: "" Treffpunkt Samstag 4. Dezember um 21 Uhr am Kreisel Rive. Bringt Eure Möbel mit ", präzisierte das in den Strassen Genfs aufgehängte Plakat.
Gemäss einem Zeugen folgten ungefähr 80 Leute dem anonymen Aufruf. Die Gruppe versuchte danach, sich mit Gewalt Zugang zum Gebäude an der rue Jaques-Dalcroze 5, ein leerstehender ehemaliger Banksitz, zu verschaffen.
Die über die Demonstration informierte Polizei versuchte, sie daran zu hindern. Als Vergeltungsmassnahme zündeten etwa 15 Squatter Objekte und Abfallkübel vor dem Eingang des Gebäudes an. Die Feuerwehr musste intervenieren.
Die Ordnungskräfte waren auch Ziel von Schneebällen und Eiswürfeln, die von der Promenade de l'Observatoire geworfen wurden.

Das Eingreifen des Aufstandsbekämpfungsfahrzeuges und Beamten zur Aufrechterhaltung der Ordnung konnte die Demonstranten zerstreuen. Das Ziel sei erreicht, " die Polizei nahm keine Festnahmen vor ", präzisiert Jean-Philippe Brandt, ihr Pressesprecher. Eine Untersuchung wird eingeleitet."     

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SQUAT ZH
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Tagesanzeiger 9.12.10

Studentenwohnungen im Atlantis noch nicht bewilligt

 Der Bezirksrat Zürich verlangt von der Besitzerin des ehemaligen Luxushotels und ihrem Mieter Werner Hofmann ein Gesuch für die Zwischennutzung.

 Von Stefan Häne und Samira Zingaro

 Zürich - Am nächsten Mittwoch lädt Werner Hofmann im ehemaligen Atlantis-Hotel zu einem Umtrunk ein. Bis dahin würden alle Studentenwohnungen übergeben, sagt Ivana Egloff. Sie betreut das Projekt im Auftrag von Hofmann, der das Haus als Zwischenmieter nutzt und weitervermietet. Sogenannte Businessappartments im 5. Stock sollen die Studentenlogen quersubventionieren. In der obersten Etage des Gebäudes stehen 25 Einheiten frei, die Luxussuiten des ehemaligen Hotels. Über die Höhe der Miete oder die geplanten Investitionen schweigt Egloff. Unklar bleibt, wie hoch die gesamten Mietkosten sind. In den Medien sprach Hofmann einmal von 50 000, ein andermal von 80 000 Franken monatlich, inklusive Heiz- und Nebenkosten. Die Appartements sollen ab Mitte Januar vermietet werden - auch wochenweise. Ein Konzept will Hofmann vor Weihnachten vorlegen.

 Die Champagnerlaune könnte am nächsten Mittwoch getrübt sein. Der Bezirksrat Zürich hat die Neue Hotel Atlantis AG und ihren Mieter Hofmann aufgefordert, ein Gesuch für die Zwischennutzung - die nun eingerichteten Studentenwohnungen - einzureichen. Die Eingabe ist noch nicht erfolgt. Ob die Bewilligung durch den Bezirksrat reine Formsache ist, lässt sich nicht sagen: "Die Lex Koller regelt diesen speziell gelagerten Fall nicht explizit", sagt Daniel Kauf, stellvertretender Ratsschreiber. Weiter dazu äussern will sich der Bezirksrat mit Verweis auf das laufende Verfahren nicht. Der Entscheid wird gemäss Kauf erst im neuen Jahr fallen.

 Eindeutig wäre der Sachverhalt, wenn die Neue Hotel Atlantis AG neue Eigentumswohnungen erstellen würde. Da sie im Besitz der luxemburgerischen Rosebud Holding und daher ausländisch beherrscht ist, fällt sie unter die Lex Koller, die den Erwerb von Schweizer Liegenschaften durch Ausländer beschränkt. Für den Bau von neuen Wohnungen bräuchte die Neue Hotel Atlantis AG deshalb eine Ausnahmebewilligung. Der Kanton könnte diese allerdings nur dann erteilen, wenn einer der gesetzlich vorgesehenen Gründe gegeben ist. Doch einen solchen gibt es im vorliegenden Fall nicht, wie das Bundesamt für Justiz bereits klargestellt hat. Weder handle es sich beim Projekt um "sozialen Wohnungsbau" noch um "Ferienwohnungen". Der Kanton Zürich habe darum gar keine Handhabe, den Umbau in Eigentumswohnungen zu bewilligen. Ein solcher Bau wäre nur möglich, wenn die Atlantis-Besitzer in der Schweiz eine neue AG gründen würden und so die Lex Koller umgingen; dies wäre jedoch mit steuerlichen Nachteilen verbunden (TA vom 15. November).

 Hotel wäre für Odermatt Option

 Hochbauvorsteher André Odermatt (SP) ist "froh, dass das Hotel Atlantis nicht mehr leer steht". Die Lage am Fuss des Uetlibergs sei dafür zu schön. Für die Umnutzung zu Studentenwohnungen hat Hofmann keine Baubewilligung gebraucht, wie Urs Spinner, Sprecher des Hochbaudepartements, sagt. Ob dies auch bei Businessappartements der Fall wäre, ist offen. Odermatt wünscht sich für die Entwicklung im Atlantis "kreative Ideen vom Grundeigentümer". Ein neues Hotel wäre für ihn "nicht fehl am Platz". Ein Kauf des Hotels Atlantis durch die Stadt ist für Odermatt kein Thema.

 Auch der Kanton hat ein Wort mitzureden. Das Grundstück Atlantis liegt in einer Wohnzone. Diese ist von einem Freihaltegebiet umgeben, das langfristig nicht überbaut werden darf. René Loner von der Baudirektion sagt, der Kanton schalte sich zum Beispiel dann ein, wenn eineneue Zufahrt durch das Freihaltegebiet zum Atlantis geplant würde.

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tagesanzeiger.ch 7.12.10

Wie Werner Hoffmann mit dem Atlantis Geld verdienen will

Christoph Landolt, Felix Schindler

 Die Studentenzimmer sind alle vermietet, doch das Atlantis scheint sich nicht zu rechnen. Nun sollen die ehemaligen Luxussuiten an Leute vermietet werden, die "mehr bezahlen können".

 150 Studenten sollen im ehemaligen Hotel Atlantis eine temporäre Heimat finden, so das Vorhaben des Hausherren Werner Hofmann. Alle Zimmer sind bereits vermietet, die ersten Studenten haben ihre Räume in einem Flügel des ehemaligen Fünfsterne-Hotels bezogen. In anderen Teilen des Hauses wird derzeit noch rege gebaut - etwa in der fünften Etage, in den ehemaligen Luxussuiten. Die Räume sind mit rund 40 Quadratmetern grosszügig und teilen sich eine 80 Quadratmeter grosse Dachterrasse. Im Atlantis hört man sagen: "Diese Zimmer richten sich bestimmt nicht an Studenten."

 "Das Atlantis muss auch vom Finanziellen her aufgehen"

 Was passiert in den fünften Etage des Atlantis? "Es ist das Ziel, bis Mitte Januar Zimmer an Personen vermieten zu können, die etwas mehr bezahlen können. Zum Beispiel Professoren oder Geschäftsleute", sagt Werner Hofmann gegenüber Tagesanzeiger.ch. Er spricht von Businessappartements, die monatsweise vermietet werden können. "Das Atlantis muss auch vom Finanziellen her aufgehen."

 "Unser Ziel ist es, im Atlantis günstigen Wohnraum anbieten zu können. Da wir keine Subventionen erhalten, müssen wir das Projekt so quersubventionieren", sagt auch Ivana Egloff, die im Auftrag Hofmanns das Projekt leitet. "Entschieden ist aber noch nichts. Wir klären derzeit ab, was möglich ist und stehen mit dem Bauamt in engem Kontakt. Ein Gesuch haben wir noch nicht eingereicht." Wie viele Zimmer als Businessappartements genutzt werden könnten und wie viel diese kosten sollen, sei noch nicht bekannt. Egloff rechnet damit, bis Weihnachten ein konkretes Konzept präsentieren zu können. Bis eine Bewilligung vorliegt, dürfte es noch etwas länger dauern.

 Haben die Besetzer recht behalten?

 Als Hoffmann das Atlantis übernahm und bekannt gab, dass er die Zimmer an Studenten vermieten wolle, sagte er: "Ich rechne mit einer schwarzen Null." Dass er für einen Raum nur 400 Franken pro Monat verlangte, sorgte damals auch bei den Besetzern für Argwohn. Sie streuten eigene Berechnungen unter die Medien, mit denen sie beweisen wollten, dass die Einnahmen die Kosten nicht aufwiegen würden. Hofmann, so die Botschaft, hat nicht sauber kalkuliert und eigentlich anderes im Sinn.

 Laut Hofmann stehen die Businessappartements nicht im Widerspruch zu den Studentenzimmern: "Wir haben immer nur von der zweiten, dritten und vierten Etage gesprochen. Was wir mit der fünften Etage machen, liessen wir bisher offen."

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AUTONOME SCHULE ZH
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WoZ 9.12.10

Polizei gegen Schule

 Rauspicken, wen sie wollen

 Rund um die Autonome Schule in Zürich ist die Polizei wiederholt gegen MigrantInnen vorgegangen, die dort Deutschkurse besuchen. Schikane oder Zufall?

 Von Carlos Hanimann

 S. ist auf dem Weg zum Deutschkurs, als er drei PolizistInnen sieht, die vor der Schule einen Eritreer kontrollieren und dessen Papiere verlangen. Für den Kenianer S. eine heikle Situation: Als abgewiesener Asylbewerber besitzt er keine gültige Aufenthaltsbewilligung. Er lebt seit 2006 in der Schweiz - als "Illegaler". Um nicht aufzufallen, geht S. geradewegs auf den Eingang der Schule zu, obwohl er verhaftet werden könnte. Die Polizei versperrt ihm den Weg, S. wird abgeführt und auf die Urania-Hauptwache in Zürich gebracht.

 Die Verhaftung ereignete sich am Mittwoch, 24. November, um 14.20 Uhr vor dem Eingang der Autonomen Schule Zürich (ASZ, vgl. "Bildung für alle") beim Güterbahnhof. Sie war der Auftakt zu einer Reihe von Personenkontrollen, die die Zürcher Stadtpolizei in den vergangenen zwei Wochen direkt vor oder in unmittelbarer Nähe der ASZ durchführte. AktivistInnen der ASZ sprechen von "Schikane", von einer "Machtdemonstration der Polizei", von "gezielten Angriffen" gegen die Schule und vor allem gegen die MigrantInnen, die dort regelmässig verkehren. Bis vor kurzem konnten MigrantInnen mehr oder weniger ungestört Kurse in der Autonomen Schule besuchen. In den letzten neun Monaten, seit sich die Autonome Schule in einer Baracke am Güterbahnhof befindet, hat die Polizei dort noch nie Personenkontrollen durchgeführt. Was also hat es mit der starken Polizeipräsenz auf sich? Warum die Kontrollen? Sind sie gezielt gegen Papierlose gerichtet? Gibt es eine "grundsätzliche fremdenfeindliche Tendenz" im Polizeikorps, wie AktivistInnen der ASZ sagen? Oder ist alles nur Zufall, wie die Stadtpolizei behauptet?

 "Hier lohnt es sich, zu kontrollieren"

 Klar ist: Nur wenige Stunden nachdem sie S. verhaftet haben, parkieren dieselben drei PolizistInnen wieder auf dem SBB-Gelände vor der ASZ. Der Deutschkurs, der montags, mittwochs und freitags jeweils von rund hundert Migrant Innen besucht wird, geht gerade zu Ende. Ein Aktivist der Autonomen Schule fragt die PolizistInnen, was sie vorhätten: "Sie sagten, dass sie sich auf einem öffentlichen Platz befänden und Migranten kontrollieren wollten. Sie sagten wörtlich: ‹Und wir picken raus, wen wir wollen.›"

 Daraufhin solidarisieren sich rund dreissig Personen aus der Autonomen Schule mit dem Nigerianer (mit gültiger Aufenthaltsbewilligung), der gerade von der Polizei kontrolliert wird. "Die Polizei wurde massiv angepöbelt, weshalb weitere Patrouillen angefordert wurden, um die Situation beruhigen zu können", sagt Marco Cortesi, Sprecher der Stadtpolizei. Sechs bis sieben Kastenwagen fahren vor, für die AktivistInnen der ASZ eine Provokation. Die Situation droht zu eskalieren. Dann ziehen sich Migrantinnen und Aktivisten in die Schule zurück, bis die Polizei verschwindet. Am Abend findet eine Demonstration von knapp 150 Personen gegen die polizeilichen Kontrollen statt.

 Am folgenden Montag, dem Tag nach der Annahme der SVP-Ausschaffungsinitiative,   warten dieselben PolizistInnen wieder vor der Baracke beim Güterbahnhof. Wieder kontrollieren sie vor und nach dem Deutschkurs MigrantInnen. Laut einem Aktivisten sollen die PolizistInnen gesagt haben: "Hier lohnt es sich, Personen zu kontrollieren, weil wir wissen, dass hier viele Papierlose verkehren." Erneut gibt es am Abend eine kleine Kundgebung gegen die Polizei. Die rund fünfzig Demon­strantInnen ziehen, begleitet von Wasserwerfern und einem Grossaufgebot von Polizisten, vom Helvetiaplatz zur Kaserne.

 Am Freitag, vier Tage später, steht ein halbes Dutzend Polizisten bei der Tramhaltestelle Bäckeranlage in unmittelbarer Nähe, wo sie laut Augenzeugen nach Ende des Deutschkurses in der ASZ gezielt dunkelhäutige Personen kontrollieren.

 Integrationspolitische Aufgabe

 Seit S. verhaftet wurde, hat er die Deutschkurse in der ASZ nicht mehr besucht. Zu gross ist das Risiko, erneut von der Polizei festgehalten zu werden. Auch viele andere bleiben weg. Besuchten vorher rund hundert Personen die Deutschkurse, war es vergangene Woche höchs tens noch ein Viertel davon.

 In der ASZ ist der Ärger über die Polizei deshalb gross. Man ist sich sicher, dass die Aktionen gezielt erfolgten. Die Polizei widerspricht: "Von gezielten Aktionen gegen die ASZ kann keine Rede sein." Sie rechtfertigt die Kontrollen mit dem gesetzlichen Grundauftrag, für Sicherheit und Ordnung zu sorgen. "Es ist keine Schwergewichtsaufgabe der Polizei, illegal anwesende Ausländer zu suchen und zu verzeigen. Aber selbstverständlich sind auch Verstösse gegen das Ausländergesetz zu ahnden." Auch das Polizeidepartement, dem seit einem halben Jahr der grüne Stadtrat Daniel Leupi vorsteht, lässt verlauten, es gebe keine Weisung, gezielt gegen die ASZ oder deren BesucherInnen vorzugehen.

 Leupi wurde dieser Tage von SVP-Nationalrat Christoph Mörgeli öffentlich angegriffen, weil er am Rand der Proteste gegen die Ausschaffungsinitiative gegenüber einzelnen Beamten sein Verständnis für die Demonstrant Innen geäussert haben soll. Eigentlich eine aufgeblasene Nichtigkeit, aber dass die eigenen Polizisten ihren Polizeivorsteher anschwärzen, zeigt, wie instabil Leupis Macht und wie beschränkt sein Einfluss auf das Polizeikorps ist: Zu lange hatte sich seine Vorgängerin Esther Maurer aus operativen Angelegenheiten rausgehalten, zu autonom von der Politik handelt wohl auch deshalb das Korps.

 Um weitere Zwischenfälle zu verhindern, sollen die Wogen geglättet werden. Der Zürcher Gemeinderat und Ko-Präsident der Grünen Matthias Probst will zwischen den Parteien vermitteln. Ziel sei es, VertreterInnen der ASZ, den Departementsvorsteher Daniel Leupi und die Polizei an einen Tisch zu bringen, um eine Lösung zu finden: "Keine Seite kann ein Inter esse an einer Eskalation haben. Die ASZ erfüllt eine sehr wichtige integrationspolitische Aufgabe. Und da braucht es Vernunft, Toleranz und Fingerspitzengefühl bei der Polizei, damit die Schule ihre Kurse gewährleisten kann."

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 Bildung für alle

 Im April 2009 besetzte eine Gruppe von AktivistInnen unter dem Namen Familie Moos den Schulpavillon Allenmoos II in Oerlikon und richtete dort die Autonome Schule Zürich (ASZ) ein. Nach dem Motto "Mini Schuel, dini Schuel" sollte Wissen gratis und ohne Zulassungsbeschränkungen weitergegeben werden, ohne Leistungsdruck, im gegenseitigen Austausch und selbstverwaltet. Die ASZ stellte ihre Räume auch dem Verein Bildung für alle zur Verfügung, der seit der Besetzung der Predigerkirche im Dezember 2008 an ständig wechselnden Orten Deutschkurse für und mit Papierlosen organisierte.

 Nachdem die Polizei den Schulpavillon wegen einer angezapften Stromleitung im Januar 2010 räumte, fand der Deutsch unterricht an verschiedenen Orten statt, bis die ASZ im April 2010 die Baracke beim Güterbahnhof Zürich besetzte. Neben dem Deutschunterricht, der regelmässig von gut hundert illegalisierten Flüchtlingen und MigrantInnen besucht wird, wird auch Englisch und Arabisch unterrichtet, es gibt Kurse zur Programmiersprache Java sowie Seminare zu John Cage und Alain Badiou. Noëmi Landolt

http://alles-fuer-alle.jimdo.com

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30 JAHRE AJZ ZH
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Tagblatt der Stadt Zürich 8.12.10

Gut zu wissen

 SILVIA ZIMMERMANN Ihr Selbstmord warf vor 30 Jahren einen Schatten auf die Jugendunruhen.

 "Ich zünd mich an, mit Benzin - auf dem Bellevue, damit alle sehen, wie beschissen es einem Menschen in dieser Gesellschaft gehen kann", schrieb die junge Frau in ihre privaten Aufzeichnungen. Am 12. Dezember 1980 schritt Silvia Zimmermann zur Tat. Wenige Tage später starb sie an den Folgen der Verbrennungen im Spital.

 Der öffentliche Selbstmord mitten in der City warf einen tragischen Schatten auf die Jugendunruhen, die zu diesem Zeitpunkt auszuarten drohten. Im September 1980 beschloss der Stadtrat, das Autonome Jugendzentrum AJZ zu schliessen, nachdem es bei einer Razzia zu heftigen Ausschreitungen gekommen war. Für Silvia Zimmermann bedeutete die Schliessung den Zusammenbruch einer Heimat. Die Drogensüchtige hatte nach einer Odyssee durch Erziehungsheime bei den Bewegten Geborgenheit gefunden, bei einer Gruppe, die ihren Frust am Leben auffing. Ihren Tod wollte sie vor allem politisch verstanden wissen - als Protestaktion gegen die "brutale Unterdrückung der Jugendbewegung". Die Stilisierung zur Märtyrerin im Kampf "gegen den Schmierterror" lag da natürlich auf der Hand. Ihre Genossen verglichen die Aktion gar mit Vorgängen während des Vietnamkriegs oder des Prager Frühlings. Die psychische Dimension des tragischen Endes von Silvia Zimmermann klammerten sie grösstenteils aus. Ihre Notizen zeichnen das Bild einer Verzweifelten, die vor borderlinehafter Selbstzerstörung nicht zurückschreckte: "Ich brenne mir manchmal mit der Zigi Löcher in die Arme, noch während eines Gesprächs. Es tut gar nicht weh - ich kann dazu sogar lächeln."  

JAN STROBEL

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BIG BROTHER
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Bund 10.12.10

Warum der Bund die Fiche von Flüchtlingshelferin Anni Lanz versteckt

 Der Staatsschutz schnüffelte im Eheleben der 65-jährigen Anni Lanz herum. Die Einsicht in ihre Fiche verweigert er ihr aber.

 Zweite Fichenaffäre

 200 000 Personen registriert

 Daniel Foppa

 A. L. führe mit ihrem Gatten eine äusserst lockere Ehe. Die beiden lebten oft über längere Zeit räumlich getrennt und gingen ihren Beschäftigungen nach, hielt der Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in der Fiche über die Basler Menschenrechtsaktivistin Anni Lanz fest. Aufgedeckt hat die Schnüffelei die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des Parlaments im Juni. Seither kämpft die Ehrendoktorin der Uni Basel um Einsicht in das Dokument. "Ich will wissen, wie weit die gegangen sind und was sie alles ausspioniert haben", sagt Lanz. Besonders beunruhigend sei, dass sie nicht wisse, wie der Nachrichtendienst an die Informationen kam: "Haben sie Bekannte oder Nachbarn ausgefragt, sind sie mir nachgeschlichen?"

 Einsicht verweigert

 Fichiert wurde die 65-Jährige wegen ihrer Tätigkeit für Flüchtlinge. Aufgrund der Anfrage eines ausländischen Partnerdienstes mutmasste der NDB, Lanz pflege Kontakte zu "extremistisch-islamistischen Gruppierungen". Zudem bestehe der Verdacht, dass die Rentnerin dem gewalttätigen "Schwarzen Block" angehöre. Irgendwie kamen die Staatsschützer dann doch zum Schluss, Lanz sei eine "sehr gutmütige, grosszügige Person ohne jegliche kriminelle Neigungen". Dennoch blieben ihre Daten registriert, weil der NDB die Fichen nicht periodisch überprüft hat, wie es das Gesetz eigentlich vorschreibt.

 Als in Basel die Fichierung von sechs Grossräten aufflog, stellte Lanz ein Begehren auf Einsicht in ihre Fiche. Der NDB antwortete ihr am 5. Juni 2009, er habe wegen Dahinfallens des Geheimhaltungsinteresses die Einträge aus der Fichen-Datenbank Isis gelöscht. Zu Gesicht bekam Lanz bloss eine knappe Zusammenfassung der Einträge. Die GPDel hält dazu fest: "Der DAP gab den Inhalt der Isis-Daten von A. L. nur in geraffter Form wieder, anstatt A. L. vollständig Auskunft zu erteilen, wie es das Datenschutzgesetz vorschreibt." Lanz insistierte und forderte eine anfechtbare Verfügung. Erst auf mehrfache Intervention hin erhielt sie am 21. Oktober 2010 eine von NDB-Direktor Markus Seiler unterzeichnete Verfügung. Ihr Begehren wurde abgelehnt. Begründung: Man könne keine Auskunft erteilen, da die Daten gelöscht seien.

 Odyssee einer Fiche

 "Da stimmt etwas nicht", sagt Lanz' Anwalt Guido Ehrler. So zitiere der im Juni 2010 erschienene GPDel-Bericht detailliert aus der Fiche, die angeblich ein Jahr zuvor gelöscht worden sei. Ausserdem bestehe der gesetzliche Auftrag, gelöschte Fichen zur Aufbewahrung dem Bundesarchiv zu übergeben. "Es müssen also noch Daten zu Frau Lanz vorhanden sein", sagt Ehrler. Er hat deshalb beim Bundesverwaltungsgericht eine Beschwerde gegen die Verfügung des NDB eingereicht.

 Laut dem Nachrichtendienst konnten die Geschäftsprüfer aus der Fiche zitieren, weil sie eine Kopie der zu löschenden Daten erhalten haben. Nach der Löschung aus dem Isis-System wurden die Daten nicht direkt dem Bundesarchiv übergeben, sondern in einem Archivierungsmodul zwischengelagert. Wenn sich dort genügend Daten angehäuft haben, werden sie gebündelt dem Bundesarchiv übergeben. Das wird laut NDB-Sprecher Felix Endrich frühestens Ende 2011 der Fall sein. So lange hat der NDB keinen Zugriff mehr auf die Daten.

 Und was geschieht, wenn Anni Lanz' Fiche endlich im Bundesarchiv angekommen ist? "Dann muss Frau Lanz beim Bundesarchiv ein Gesuch um Einsichtnahme stellen", sagt Endrich. Das Bundesarchiv wird das Gesuch dann zur Beurteilung weiterleiten - an den Nachrichtendienst.

 Das Vertrauen verloren

 Der Bundesrat hat sich inzwischen dafür ausgesprochen, dass fichierten Personen nur noch in Ausnahmefällen die Einsicht verweigert werden darf. Ob das Parlament dem Ansinnen folgt, ist ungewiss. Erst im Februar hat der Nationalrat eine Motion von Susanne Leutenegger Oberholzer (SP, BL) klar abgelehnt, die ein solches Einsichtsrecht forderte.

 Anni Lanz hat derweil das Vertrauen verloren, dass sich beim Staatsschutz etwas zum Besseren wenden wird. "Nach jeder Fichenaffäre heisst es, man mache jetzt alles besser. Und dennoch verweigert man mir die Einsicht in meine eigene Fiche, obwohl kein Geheimhaltungsinteresse mehr besteht", sagt sie. Ihre Fiche, in die Geheimdienstleute, Geschäftsprüfer und Datenschützer Einsicht nehmen konnten, lagert derweil irgendwo in den Räumen der Bundesverwaltung. Zugriffsicher, wie der Nachrichtendienst betont.

 Im Sommer wurde bekannt, dass der Inlandgeheimdienst Daten von Zehntausenden Personen auf Vorrat gesammelt hat, obwohl das illegal ist. Dies förderte ein Bericht der Geschäftsprüfungsdelegation des Parlaments zutage. Demnach hat sich der Dienst vor allem dem Sammeln der Daten gewidmet, anstatt zu prüfen, ob sie staatsschutzrelevant sind. So wurden gut 200 000, zumeist ausländische Personen registriert. Der Bundesrat reagierte im Oktober auf die neue Fichenaffäre. Er verordnete eine strengere Kontrolle bei der Datenerfassung, verfügte die Überprüfung bereits gesammelter Daten und stoppte die automatische Erfassung von Personendaten an der Grenze.(daf)

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WoZ 9.12.10

Politour

 Bespitzelungen

 Bereits zum dritten Mal führt attac Bern eine Suppenznacht-Reihe durch. Der Titel der diesjährigen Veranstaltungen lautet: "Macht Alter nativen!" Mit warmer Suppe im Bauch wird nach einer kurzen Einführung zu verschiedenen Themen diskutiert. Das nächste Thema: "Fichenaffäre und Nestlégate".

 Bern aki, Alpeneggstrasse 5, Mi, 15. Dezember, 19 Uhr.

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La Liberté 9.12.10

La gauche vaudoise veut en savoir plus sur le "fichier clandestin" de la police

 Protection des données ● Dans une motion commune, les députés socialistes, Verts et A Gauche toute! réclament l'interdiction du fichage à caractère politique.

 Michaël Rodriguez

 Les groupes socialiste, Vert et A Gauche toute! ont déposé avant-hier une motion pour interdire la récolte d'informations sur "l'engagement politique ou l'exercice des droits découlant de la liberté d'opinion, d'association et de réunion".

 La gauche veut aussi que le Conseil d'Etat explique dans un rapport quel type d'informations figurent dans ce fichier, quelle est sa base légale, si les personnes concernées ont le droit d'y accéder, de rectifier des informations erronées. "Toutes ces questions posent de graves problèmes en matière de protection de la personnalité et de respect des libertés fondamentales du citoyen", écrivent les élus de gauche.

 Le Château admettait jeudi dernier l'existence d'une base de données informatique recensant des personnes jugées dangereuses pour la sécurité de l'Etat de Vaud. En font partie, notamment, certains "quérulents". La Police cantonale refuse de préciser le contenu de ces fiches, qui ne reposent sur aucune base légale spécifique (notre édition de mardi). Un "fichier clandestin", pour Jean-Michel Dolivo (agt).

 Certains renseignements sont transmis aux polices municipales, a dit le Conseil d'Etat. Béatrice Métraux (Verts) s'interroge: "Les polices municipales, hormis celle de Lausanne, n'ont aucune compétence judiciaire." Se souvenant des débats sur le Nestlégate et la vidéosurveillance, Cesla Amarelle (ps) s'étonne: "Le Conseil d'Etat nous a à chaque fois assuré que tout était en ordre!"

 Selon la loi vaudoise sur la protection des données entrée en vigueur en 2008, le fichier dénoncé par la gauche aurait dû figurer au registre des fichiers... qui n'existe pas. La faute à un problème de "développement informatique", dit Christian Raetz, préposé à la protection des données. Ce registre devrait voir le jour d'ici à cet été.

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La Liberté 7.12.10

L'affaire des fiches fait des petits

Surveillance ● Vingt ans après le scandale des fiches, l'histoire se répète-t-elle à l'échelle vaudoise? La police cantonale exploite une base de données dans un flou quasi total. Le Château l'admet discrètement.

Michaël Rodriguez

C'est un aveu discret qui risque de faire du bruit. En réponse à une intervention parlementaire, le Conseil d'Etat vaudois admet que la police cantonale tient des fiches. Une activité exercée dans un flou quasi total: aucune base légale ne fixe le type d'informations recueillies, le cercle de leurs destinataires et les modalités de contrôle.

Fiches cantonales

Ces révélations sont un effet indirect de la découverte, en juin dernier, de nouvelles fiches fédérales. Suite à cet épisode, le député Jean-Michel Dolivo (A Gauche toute!) a déposé en août une interpellation au Grand Conseil vaudois au nom de l'ensemble de la gauche. Dans la réponse du Conseil d'Etat, on apprend que la police cantonale ne s'est pas limitée à recueillir des informations sur mandat des Renseignements fédéraux. Elle a aussi constitué ses propres fiches. "Par souci de transparence, le Conseil d'Etat précise que la police cantonale dispose d'une base de données informatique en lien avec la protection de l'Etat cantonal", écrit le Château.

Ce fichier est exploité par la division des Renseignements généraux de la police de sûreté. "Les données saisies sont détruites au bout de cinq ans, par analogie à celles liées à la protection de l'Etat fédéral", précise le Conseil d'Etat. Les données ne sortent pas des Renseignements généraux. Sauf exceptions: "Il arrive que la police cantonale fasse parvenir certains renseignements aux polices municipales", indique le gouvernement.

Le contrôle de l'exploitation des fichiers est effectué par la hiérarchie de la police cantonale. Le préposé cantonal à la protection des données, Christian Raetz, n'a été mis au parfum que récemment: cet été selon l'intéressé, en octobre seulement selon la police cantonale. La commission de gestion du Grand Conseil n'était pas informée.

Les fiches, 20 ans après

Vingt ans après le scandale des fiches, l'histoire se répète-t-elle à l'échelle vaudoise? "La situation au cours de ces 20 dernières années a considérablement changé", répond le Département de la sécurité et de l'environnement (DSE) dans un courriel. "La surveillance de ce type de fichiers s'est sensiblement renforcée. L'administration s'est dotée de procédures plus rigoureuses pour les gérer afin de respecter les nouvelles exigences légales."

C'est vrai en théorie. Le problème, c'est que l'exploitation du fichier cantonal ne repose justement sur aucune base légale spécifique. La question préoccupe le préposé cantonal à la protection des données, qui prépare une prise de position à ce sujet. "Dans ce genre de cas, on a affaire à des données sensibles, où le risque de dérapage est loin d'être nul, estime-t-il. C'est un type d'activités qui mériterait d'être cadré par une base légale claire, comme ça l'est au niveau fédéral."

"Non-droit"

Pour Bertil Cottier, professeur de droit de la communication à l'Université de la Suisse italienne et à l'Université de Lausanne, il s'agit même d'une exigence. "Ce fichier est un électron libre qui vit dans une existence de non-droit", lance-t-il après avoir pris connaissance du texte du Conseil d'Etat. "Il n'est fondé sur aucun acte du parlement, ni même du gouvernement. C'est lacunaire."

Selon Bertil Cottier, il faudrait définir dans une base légale le type d'informations collectées, les modalités d'accès des personnes concernées, le cercle des destinataires ainsi que les modalités de contrôle. Les cantons ont en outre l'obligation de soumettre le règlement d'exploitation de leur base de données à la Confédération. Une mesure prévue par la Loi fédérale instituant des mesures visant au maintien de sur la sécurité intérieure (LMSI), adoptée en 1997.

"La police cantonale est d'avis que plusieurs bases légales justifient en l'état l'existence d'une base de données cantonale", répond son porte-parole, Jean-Christophe Sauterel, qui mentionne la Constitution vaudoise, la loi sur la police cantonale et le Code de procédure pénale.

Quérulents fichés

Depuis quand ce fichier existe-t-il? "Je ne sais pas, répond Jean-Christophe Sauterel. C'est quelque chose de relativement ancien, et qui a évolué avec le temps." Le porte-parole n'est pas plus disert sur le type d'informations recueillies. "Le seul exemple que je puisse donner, c'est que ce fichier contient notamment des informations liées aux quérulents, qui peuvent avoir des comportements violents." Le porte-parole de la police mentionne la tuerie perpétrée au Parlement zougois en 2001.

"La base de données cantonale ne sert pas à une surveillance politique, assure Jean-Christophe Sauterel. Le citoyen qui exerce ses droits politiques et démocratiques conformément à la loi n'a pas de risque de se retrouver dans cette base de données."

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BIG BROTHER SPORT
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NZZ 9.12.10

Grünes Licht für weitere Kantone

Hooligan-Konkordat

 fel. Lausanne · Das Bundesgericht hat auch für den Beitritt der Kantone Basel-Stadt, Basel-Landschaft, Luzern und Tessin zum Konkordat über Massnahmen gegen Gewalt anlässlich von Sportveranstaltungen grünes Licht gegeben und die dagegen gerichteten Beschwerden einstimmig abgewiesen. In den vier Urteilen der I. Öffentlichrechtlichen Abteilung wird auf einen früheren Entscheid verwiesen, der den Kanton Zürich betraf. Darin war bereits festgestellt worden, dass die im Konkordat vorgesehenen Massnahmen mit der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar sind (NZZ 14. 10. 10). Ausschlaggebend ist, dass Rayonverbote, Meldeauflagen und Polizeigewahrsam keinen strafrechtlichen Charakter haben und daher weder gegen den in der Bundesverfassung verankerten Vorrang des Bundesrechts (Art. 49) noch gegen die Unschuldsvermutung verstossen.

 Urteile 1C_50/2010, 1C_16/2010, 1C_278/2009 und 1C_94/2009 vom 16. 11. 10

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Le Matin 9.12.10

LES EXEMPLES BERNOIS ET BÂLOIS

 FOOTBALL Le commandant de la police neuchâteloise, André Duvillard, estime que chacun doit y mettre du sien pour juguler le hooliganisme.

Renaud Tschoumy

 VIOLENCESNEUCHÂTEL-SION

 Depuis le début de notre enquête dans les milieux des ultras et des hooligans, tant les responsables de la sécurité de la Swiss Football League que ceux des clubs répètent la même chose: ils ne peuvent pas se substituer à la police. Mais que fait-elle, cette police? Est-elle si inefficace que cela? Commandant de la police neuchâteloise, André Duvillard, qui est allé en France pour réaliser une étude sur la violence dans les milieux sportifs, est bien placé pour en parler.

 "J'ai suivi l'enquête du "Matin" sur les interdits de stade, lance-t-il en préambule. Je constate que tout le monde est d'accord sur un point: identifier les fauteurs de troubles et les interdire de stade n'est pas difficile. C'est lorsqu'il s'agit de faire respecter la mesure qu'il doit y avoir une collaboration complète et parfaite entre les clubs, les groupes de supporters et la police. "

 LES LIMITES DES STADIERS

 André Duvillard sait que pas mal de choses restent à faire dans ce domaine. "Certains clubs travaillent très bien. Les exemples de Young Boys et de Bâle sont ceux que l'on doit suivre. Ces clubs ont leurs propres services de sécurité, qui se déplacent avec les supporters et les spotters(ndlr: les policiers affectés à la surveillance des ultras et aux relations avec ceux-ci). Ils connaissent les fans, ils savent qui a le droit d'entrer ou non au stade, il existe un dialogue. " Le commandant de la police neuchâteloise reconnaît aussi que "si un interdit de stade achète un billet dans une zone neutre, comme la zone familles, il ne sera pas repéré à l'entrée. On ne peut pas demander au stadier saint-gallois ou bernois de connaître tous les interdits du pays. Et ce n'est pas précisément aux caisses familles que les spotters exercent leur surveillance. D'un côté, j'aurais presque envie de dire que si ce mouton noir assiste tranquillement à son match, il ne dérange personne. Après, s'il rejoint son groupe pour castagner, ça devient autre chose. "

 LE PROBLÈME S'EST DÉPLACÉ

 Pour beaucoup, la seule solution consiste à obliger les interdits de stade à se présenter à un poste de police au moment du match. "C'est une solution, et on a tendance à dire qu'elle fonctionne bien en Angleterre, admet André Duvillard. Mais en fait, elle a déplacé le problème, puisque les hooligans ont investi les stades de séries inférieures à un moment où leur club de Premier League n'est pas engagé. "

 Le patron des policiers neuchâtelois reconnaît aussi que "tout le monde doit y mettre du sien". Il ajoute: "On doit être plus présents lors des déplacements, repérer les meneurs, que nous connaissons, à leur départ, et empêcher ces agitateurs d'exercer leur influence sur les moutons qui les suivent. "

 Il constate, comme tout le monde, que… tout le monde justement se renvoie la balle. "On sent un peu un manque de confiance général. C'est aux clubs qu'incombe la responsabilité première des interdits, la police n'intervenant qu'à titre subsidiaire. Mais après, ces clubs se plaignent que la sécurité coûte cher. Et on a beau fouiller, on voit le nombre de fumigènes que les supporters arrivent à entrer dans les stades. Le problème n'est pas encore résolu sur le fond, même s'il ne concerne que quelques centaines de personnes en Suisse, mais je veux croire qu'on progresse. Et puis, après la flambée d'il y a cinq ou six ans, la violence me semble en stagnation depuis deux saisons. J'y crois, j'espère. Mais il faut se montrer ferme de tous les côtés. "

 DOMENICANGELO MASSIMO (FC SION) "moins on voit les policiers, MOINS IL Y AURA DE PROBLÈMES"

 Domenicangelo Massimo est catégorique: "Moins on voit les forces de l'ordre, moins il y aura de problèmes et mieux ça fonctionne. Je suis convaincu qu'il vaut mieux quelques policiers pour aiguiller les supporters adverses à la gare de Sion plutôt qu'une trentaine en tenue de combat. Ceux-là sont présents aussi, mais cachés, prêts à intervenir au cas où. Mais ils n'ont pas à le faire à Sion, puisque les fans adverses sont escortés de leur train jusqu'à leur tribune, sans la moindre chance de croiser les ultras valaisans. "

 LES DELTA CACHÉS

 Le directeur général sédunois a un souvenir précis en tête: "Au printemps dernier, on a reçu Bâle une semaine après les castagnes entre supporters bâlois et zurichois. Sur Internet, le bruit a vite couru que des membres de Delta(ndlr: une compagnie de sécurité privée)voulaient venger l'un des leurs et venir à Sion casser du Bâlois(sic). On en a discuté avec le vice-président bâlois Bernhard Heusler avant leur arrivée. Il m'a dit: "Je viens avec toi, on va parler aux supporters bâlois, mais par pitié, dis aux Delta de se cacher. " Les 21 Delta ne se sont donc pas montrés, nous sommes allés au-devant des fans bâlois, et tout s'est bien passé. Ce jour-là, je suis convaincu que cela aurait pu dégénérer si les forces de l'ordre ou de sécurité avaient été plus visibles. "éR. Ty

 CHRISTIAN SCHÖTTLI (sfl)"on a besoin de l'aide de tout le monde, donc de la police"

 Délégué de la commission de sécurité de la Swiss Football League (SFL),Christian Schöttli (photo)ne cesse de marteler qu'"on a besoin de l'appui de tout le monde, donc de la police aussi". Il précise sa pensée: "On sait que les fumigènes représentent un des gros points noirs en matière de sécurité, j'estime que la police doit être plus active qu'elle ne l'est actuellement. Ce n'est pas aux préposés de la sécurité dans les stades d'agir ou de réagir. La police doit être présente, prendre des noms, des dépositions et des photos. Il n'y a que de cette manière que le dossier de la sécurité pourra avancer. " Et, quant aux relations avec les interdits de stades: "Les dirigeants de clubs connaissent leurs interdits. Mais il faut que cette connaissance soit élargie à tous les niveaux. Si l'on veut qu'au bout de la chaîne, le préposé à la sécurité puisse reconnaître les interdits lorsqu'ils se présentent à l'entrée d'un stade, la police et les spotters(ndlr: policiers affectés à la surveillance des ultras)doivent tous travailler avec les clubs. "

 La reconnaissance des interdits de stade et, donc, la sécurité dans les stades, est à ce prix. éR. Ty

 RAPPEL DES FAITS

 Ils peuvent être interdits de stade ou de patinoire pour violences ou allumage de fumigènes, ils n'en réussissent pas moins à aller au match pour braver les interdits. Suite de l'enquête du "Matin" dans les milieux des ultras et des hooligans.

 DERBY NE XAMAX - SION: UN DÉFI À RÉUSSIR

 Les supporters sédunois, qui viennent traditionnellement en car à Neuchâtel, ont mis sur pied un train spécial pour le derby Xamax - Sion de dimanche (16 h) à la Maladière. "C'est une première, mais nous sommes prêts, assure André Duvillard. L'avantage d'un train, par rapport à l'autocar, c'est qu'on sait où et quand il arrive. Après, il suffit d'aiguiller les supporters. "

 Pourtant, le 23 octobre dernier, les ultras lucernois avaient réussi à échapper à la vigilance des policiers à la gare de Neuchâtel, et ils étaient "tombés" sur le restaurant où les fans neuchâtelois ont leurs habitudes, à proximité immédiate du stade. Le baston avait été inévitable, et les membres des fan-clubs neuchâtelois s'étaient ouvertement plaints de la désinvolture de la police ce jour-là.

 Travail en amont

 "Des mesures ont été prises depuis, assure le commandant neuchâtelois. Notre premier défi, dimanche, sera de bien entourer et diriger les supporters valaisans, comme nous l'avons fait depuis avec ceux de Young Boys et de Bâle. Nous arrêtons même la circulation pour permettre le passage du groupe de supporters. "

 Tout devrait donc bien se dérouler dimanche, "puisque nous travaillons bien en amont avec les deux clubs". éR. Ty

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Le Matin 8.12.10

"NOTRE PROBLÈME, Ce sont LES FUMIGÈNES"

 FOOTBALLLes responsables des deux clubs romands, Philippe Salvi (NE Xamax) et Domenicangelo Massimo (Sion), dressent le même constat. Et ils disent ne pas pouvoir se substituer à la police.

Renaud Tschoumy

 SUPER LEAGUENEUCHÂTEL-SION

 Interdits de stade ou de patinoire? Mon œil. Tous peuvent continuer d'aller au match sans problème. Ils allument des torches ou se lancent dans la bagarre au risque de voir leur peine aggravée. Les clubs? Ils font ce qu'ils peuvent. Mais ils sont surtout là pour payer les amendes relatives aux infractions constatées week-end après week-end.

 20 À XAMAX, 51 À SION

 "On ne peut pas se substituer à la police, se lamente Philippe Salvi, directeur général de NE Xamax. Nous ne sommes pas les services secrets. Notre mission, outre mettre sur pied une équipe pro qui puisse constituer un phare pour la région, consiste à éduquer nos juniors, pas des salopards(sic!)qui flanquent notre travail en l'air. "

 Son alter ego du FC Sion, Domenicangelo Massimo, le rejoint: "On fait le maximum, en collaboration avec la police, pour que tout se passe bien. Mais comment assurer que rien n'est entré dans le stade quand il n'existe aucune base légale nous permettant de procéder à des fouilles approfondies? Seule la police est autorisée à le faire, mais ce n'est pas elle qui fonctionne aux entrées: c'est un peu le serpent qui se mord la queue. "

 Du coup, les supporters dissimulent souvent leurs fumigènes dans leurs sous-vêtements, voire plus profondément encore. Oui. Conséquence: les clubs passent à la caisse. Et c'est ensuite que les interdictions de stade pleuvent, si tant est que les responsables puissent être débusqués. Xamax compte en ce moment environ 20 ultras actuellement suspendus, Sion très exactement 51.

 Salvi et Massimo se rejoignent sur un point central: les fumigènes. Tous deux disent que c'est leur plus grand problème. "On a peu de bagarres autour de Tourbillon, parce que les supporters adverses sont encadrés dès leur arrivée en gare et escortés jusqu'au stade, précise le dirigeant valaisan. Mais après, comment voulez-vous être efficace lors d'une fouille sommaire quand 300   personnes se présentent en même temps à l'entrée à une demi-heure du coup d'envoi? Impossible. "

 UNE CHARTE, MAIS POURQUOI?

 C'est du pareil au même à Neuchâtel. "Et un fumigène est une véritable arme qui peut être fatale, ajoute Salvi. C'est normal qu'on interdise ces engins pyrotechniques, et c'est normal qu'on interdise de stade ceux qui en utilisent. C'est vraiment bête, d'autant qu'à mes yeux ces fumigènes sont dépassés. Il n'y a qu'à regarder les grands matches: il y a une ambiance incroyable sans tous ces artifices. "

 Les dirigeants prônent le dialogue. "On a des contacts avec nos deux fan-clubs, confirme Salvi. Et on connaît tous les interdits de stade de notre club. Mais, encore une fois, on ne peut pas tout faire. Un club peut aider, appuyer une action, mais il ne peut pas tout résoudre. Et puis, même si nos fan-clubs ont signé une charte, on ne pourra jamais empêcher certains agitateurs d'intégrer leur groupe et de profiter de la masse pour se livrer à des actes répréhensibles. "

 La meilleure solution? Philippe Salvi et Domenicangelo Massimo sont d'accord: obliger les interdits de stade à aller pointer à un poste de police à l'heure du match. Et le dirigeant neuchâtelois souhaite que le montant des amendes et les suspensions fassent réfléchir les plus récalcitrants: "Un récidiviste neuchâtelois qui a été attrapé a passé une journée au poste et a manqué une journée de travail, j'espère que cela le fera réfléchir. Et récemment, un interdit de stade lucernois a été pincé à la Maladière. Son interdiction a été prolongée à deux ans, et il a été condamné à 60   jours-amendes à 80   francs(soit 4800   francs)sans sursis. "

 N'y a-t-il donc que la répression, toujours plus sévère, pour empêcher les interdits de braver l'interdit? Visiblement oui.

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 Rappel des faits

 Ils peuvent être interdits de stade ou de patinoire pour violences ou allumage de fumigènes, ils n'en réussissent pas moins à aller au match pour braver les interdits. Suite de l'enquête du "Matin" dans les milieux des ultras et des hooligans.

 L'ARGENT, SOURCE DE TOUS LES MAUX

 A Neuchâtel, le président Bernasconi se bat contre les autorités locales et cantonales pour que les coûts des interventions policières en dehors du stade ne soient pas facturés à son club. A Sion, ce n'est pas le cas, mais le club ne peut pas non plus grever son budget en frais de sécurité. Quoi qu'il en soit, les deux clubs investissent des centaines de milliers de francs par saison pour couvrir les frais de sécurité. Tout ça pour… pas grand-chose, dans le fond. "Prenez le cas de Saint-Gall, lance Domenicangelo Massimo. Le club injecte entre 60 000   et 90 000 francs par match pour assurer la sécurité dans et aux abords de l'AFG Arena. Résultat? La Société du Stade et le club ont frôlé la faillite il y a quelques semaines. Au bout d'un moment, on ne peut pas tout régenter, ni tout assumer. " Et c'est bien là le nœud du problème. Un nœud pour l'instant inextricable. éR. Ty

 LA BIOMÉTRIE? IMPOSSIBLE, APPAREMMENT

 Hier, dans nos colonnes, le chef du Bureau du hooliganisme en Suisse, Christoph Vögeli, parlait d'introduire la biométrie - donc la reconnaissance du visage, via des cartes de supporters officielles sur lesquelles figurent les photos des possesseurs des cartes en question - pour reconnaître les gens à l'entrée des stades. Seul problème: le coût d'installation d'un tel système. "Cette décision ne nous incombe pas, dans la mesure où nous sommes locataires du stade", argue Philippe Salvi, qui renvoie la balle à la ville de Neuchâtel, propriétaire de la Maladière.

 "Il faut se rendre compte des infrastructures que cela représente, lance pour sa part Domenicangelo Massimo. Je n'ai aucune idée du chiffre que cela peut représenter, mais à Sion, on n'a pas l'argent pour se lancer dans une telle entreprise. Et cela veut aussi dire que chaque supporter devra accepter d'être fiché. " Et il n'y a rien de tel pour faire déserter les stades.

 Le directeur général sédunois cite un exemple: "En début de saison 2006-2007, un essai avait été effectué. Chaque supporter en déplacement devait décliner son nom et présenter sa carte d'identité pour pouvoir acheter un billet. Résultat? A Grasshopper, une cinquantaine de fans de Sion avaient joué le jeu, mais ils étaient 300 dehors à ne pas l'avoir fait et à menacer de tout casser pour entrer dans le vieux Hardturm. Ils ont fini par pouvoir assister au match, aucun incident ne s'est produit… mais avant Noël, on avait interrompu l'expérience. " Preuve que la formule magique n'existe pas. éR. Ty

 LA SÉCURITÉ COMPTERA POUR AVOIR SA LICENCE

 Jusqu'à présent, pour obtenir sa licence de Super League, il fallait que le club soit net selon quatre critères: d'abord, au niveau financier; ensuite, au niveau administratif; puis au niveau de ses infrastructures; enfin, au niveau sportif. Mais un cinquième point a été ajouté par la Swiss Football League pour la licence 2011-2012: il concerne, on vous le donne en mille, la sécurité. "C'est tout ce que ces gens(ndlr: comprenez, les fauteurs de troubles)auront gagné, peste le directeur xamaxien Philippe Salvi. Désormais, on devra plancher sur un concept de sécurité en plus de tout le reste pour avoir le droit de jouer en Super League. "

 Cela coûte, bien évidemment. Et lorsqu'on sait que cela n'empêchera pas certains interdits de pouvoir entrer dans une enceinte, on peut se demander à quoi cela sert. éR. Ty

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ZENSUR
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WoZ 9.12.10

Zensurversuche

 Die Polizei klingelt nicht

 Im November wurde die Türe des Münchner "Kafe Marat" von der Polizei mit einem Rammbock aufgebrochen und anschliessend die Tür zum Infoladen mit einem handlichen Brecheisen geöffnet. Die dort anwesenden Leute waren ziemlich erschrocken und fragten sich, wieso die Polizei nicht geklingelt hat. Die Frage war zu kompliziert und konnte bis heute von der Polizei nicht beantwortet werden.

 Sie suchten nach der Ausgabe Nr. 718 der Zeitschrift "Interim" aus dem Umfeld der Berliner autonomen Szene. In der besagten Nummer wurde über einen "spurenarmen Molli" berichtet und in polizeilicher Leseart "öffentlich zu Straftaten aufgefordert". Woher die Polizei dies weiss, ist bis heute auch nicht beantwortet. Im "Kafe Marat" sind die Polizisten nicht fündig geworden. Damit sie nicht mit leeren Händen abziehen mussten, haben sie Rammbock und Brecheisen wieder mitgenommen.

 Auch in Berlin werden seit 2009 in schöner Regelmässigkeit Buchhandlungen polizeilich durchsucht. Allerdings wird dort vorher geklingelt. Es betrifft vor allem den Infoladen "M99 - Gemischtwarenladen für Revolutionsbedarf", die Buchhandlung "oh*21" und den Buchladen und Verlag "Schwarze Risse", bei dem bereits neun Mal Flugblätter und Zeitschriften beschlagnahmt wurden. Von Seiten der Staatsanwaltschaft wird gegen alle drei Buchhandlungen ermittelt.

 BuchhändlerInnen sollen also für den Inhalt der Schriften, die sie vertreiben, verantwortlich gemacht werden. Macht sich also jemand strafbar, der dazu aufruft, einen Nazi-Aufmarsch zu blockieren oder gegen einen Castor-Transport zu demonstrieren? Verstösst ein Essay von Walter Benjamin gegen das Werbeverbot für Betäubungsmittel? Auch linke Internetprovider hatten wegen gehosteten Internetseiten wiederholt Besuch vom Staatsschutz erhalten.

 Die Geschichte kommt einem nicht unbekannt vor. Vor Jahren wurde auch die linke Buchhandlung Pinkus in Zürich Ziel solcher Razzien. Gegen die damalige Verantwortliche wurde gar ein Verfahren wegen des Verkaufs von linken Zeitschriften eingeleitet. Das Verfahren wurde später mangels Beweisen eingestellt.

 Leuten, die sich gegen die staatlichen Zensurversuche in Deutschland wehren wollen, sei www.unzensiert-lesen.de empfohlen. ibo

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AUSSCHAFFUNGEN
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20 Minuten 10.12.10

Andrang auf Ausschaffungsjob

 BERN. Zahlreiche Bewerber wollen im Dienste des Bundesamts für Migration Ausschaffungsflüge begleiten. Nach diversen Absagen von Organisationen wie etwa dem Roten Kreuz freut man sich in Bern über das grosse Interesse bei Privaten. "Auf das Stelleninserat haben wir viele Rückmeldungen erhalten", sagt Sprecher Rolf Götschmann. Gesucht werden dreisprachige Personen, die 25 Flüge pro Jahr begleiten. Angaben zur Ausbildung oder dem Alter fehlen im Stelleninserat. "Wir haben die Ausschreibung bewusst offen gestaltet", sagt Rolf Götschmann. Ob jemand geeignet sei, entscheide man beim Bewerbungsgespräch. Amnesty International ist mit der mangelnden Eingrenzung im Inserat nicht glücklich: "Es kann nicht sein, dass am Ende Studenten und Senioren ohne geeignete Ausbildung Ausschaffungen begleiten", so Pressesprecher Daniel Graf.

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Blick am Abend 9.12.10

Keine AHV für Ausgeschaffte?

 DRAKONISCH

 SVP-Hardliner Wobmann will kriminelle Ausländer noch härter rannehmen.

 Kriminelle Ausländer nur auszuschaffen, reicht SVP-Nationalrat Walter Wobmann nicht: Er will ihnen auch IV- oder AHV-Renten streichen. Die Schweiz überweist solche Leistungen an frühere Gastarbeiter aus den EU-Staaten und 13 Ländern, mit denen sie entsprechende Abkommen hat. Der Anspruch darauf erlischt bei einer Straftat nicht - genauso wie die AHV eines Schweizer Verbrechers nicht angetastet wird. Das soll auch so bleiben, finden Wobmanns Gegnerinnen, die National rätinnen Silvia Schenker (SP) und Ruth Humbel (CVP). "Es geht nicht an, einen Kriminellen dreimal zu bestrafen, nur weil er Ausländer ist", sagt Schenker. Humbel warnt, dass die bilateralen Verträge es verbieten, einem Italiener oder Portugiesen die Rente zu verweigern. hhs

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Basler Zeitung 7.12.10

Flüchtlingshilfe will Ausschaffungen begleiten

 Der Bund sucht per Stelleninserat Organisation, die Zwangsrückführungen von Ausländern überwacht

 Stefan Boss

 Die Schweizerische Flüchtlingshilfe bewirbt sich beim Bund darum, die Ausschaffung von Ausländern begleiten zu dürfen. "Ein heikles Mandat", wie ihr Generalsekretär selbst einräumt.

 Das Bundesamt für Migration, das zum Justiz- und Polizeidepartement von Simonetta Sommaruga gehört, geht ungewohnte Wege: Weil sich bisher keine Organisation finden liess, die Zwangsausschaffungen von Ausländern in Sonderflugzeugen begleiten will, hat es am Wochenende im Stellenanzeiger "Alpha" ein fast halbseitiges Inserat geschaltet: Das Amt suche "für die Einrichtung eines wirksamen Systems zur Überwachung des Vollzugs der Wegweisungen von Drittstaatsangehörigen einen Leistungserbringer", heisst es dort in schönstem Juristendeutsch. Wer interessiert ist - ob Einzelperson oder Organisation -, kann sich bis 17. Dezember bewerben.

 Die Zeit drängt. Ab 1. Januar tritt in den Schengen-Vertragsstaaten eine Rückführungsrichtlinie in Kraft. Die Schweiz ist beim Schengen-Vertrag mit von der Partie. Die neue Richtlinie sieht eine unabhängige Überwachung der Ausschaffungen vor. Neben der Begleitung von Wegweisungen auf der höchsten Sicherheitsstufe Level vier, die alle in Sonderflügen erfolgen, muss der Mandatsträger laut dem Stelleninserat auch einen jährlichen Monitoringbericht erstellen.

 ROTES KREUZ SAGTE AB

Eigentlich wollte der Bund das Schweizerische Rote Kreuz mit der Aufgabe betrauen. Weil der Organisation das Mandat zu heikel war, hat sie vor zwei Monaten abgesagt. In die Bresche springen möchte nun etwas überraschend die Schweizerische Flüchtlingshilfe. "Die Flüchtlingshilfe hat seit Jahren ein Monitoring der Ausschaffungen gefordert", sagt ihr Generalsekretär Beat Meiner. Deshalb wolle sie sich zur Verfügung stellen. Meiner räumt ein, dass es sich um ein "heikles Mandat" handle. "Wenn etwas schiefläuft, hängt man zwangsläufig auch mit drin."

 Macht sich die Non-Profit-Organisation, die laut Eigenwerbung "Flüchtlinge schützen" und "Menschenwürde wahren" möchte, damit nicht zum Gehilfen einer restriktiven Ausländer- und Asylpolitik? "Zum Asylgesetz gehört auch, dass ein Teil der Leute wieder gehen muss", sagt Meiner, der bei der Ausschaffungsinitiative ebenfalls für eine pragmatische Position votiert hatte: In der Abstimmungsarena plädierte er für ein Ja zum Gegenvorschlag und ein Nein zur Initiative - und stand damit in einem Gegensatz zur linken Position des doppelten Nein.

 MARTIALISCHE POLIZEI

Er möchte mit der Bewerbung darauf hinwirken, dass bei der Ausschaffung von Ausländern die Menschenwürde gewahrt wird: "Im Kanton Zürich und in der Ostschweiz wird zum Teil zu viel Gewalt angewendet", kritisiert Meiner. Die auszuschaffenden Personen würden wie Pakete verschnürt und an Rollstühle gebunden. In der Romandie hingegen würden die Behörden auch bei Ausschaffungen auf Level vier behutsamer vorgehen. Zudem müssten ja nicht gleich 15 Polizisten in eine Zelle stürmen, wenn eine Person ausgeschafft würde. "Für eine Alibiübung geben wir uns aber nicht hin", betont Meiner. Wenn die Behörden nicht bereit seien, ihr Verhalten zu überdenken, werde man den Auftrag nicht annehmen.

 Die Flüchtlingshilfe ist nicht die einzige Organisation, die sich für die Durchführung des Monitorings von Ausschaffungen interessiert. Es seien bereits zahlreiche Bewerbungen eingegangen, sagt Marie Avet, Mediensprecherin beim Bundesamt für Migration. Namen will sie keine nennen. Die Bewerber müssten unabhängig sein und keine weiteren Mandate für die Migrationsbehörden innehaben. Dies könnte für die Flüchtlingshilfe allerdings zum Stolperstein werden. Sie ist auch zuständig für die Vertretung der Hilfswerke, die bei den Interviews von Asylbewerbern durch das Bundesamt für Migration jeweils dabei sind.

 Für andere Organisationen könnte diese Bestimmung ebenfalls zum Problem werden - so hat zum Beispiel auch die Securitas ein Mandat des Bundesamts für Migration. "Deshalb haben wir die Ausschreibung bewusst offen formuliert", sagt Avet.

 Handzahme SVP

Die SVP, die mit ihrer Ausschaffungsinitiative eben einen Sieg eingefahren hat, gibt sich beim Thema Überwachung der Ausschaffungsflüge erstaunlich handzahm. Generalsekretär Martin Baltisser erbittet sich zunächst etwas Bedenkzeit für eine Antwort. "Wenn ein Monitoringprozess die Akzeptanz von Ausschaffungen in den Partnerländern erhöht, ist dies - trotz übertriebener Bürokratie - hinzunehmen", sagt er zwei Stunden später. Seine Partei sei offen für "pragmatische Lösungen", hält er fest.

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ANTI-SVP
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Indymedia 7.12.10

Communiqué zur Strassenparty in Lausanne

 AutorIn : animal des rues   |   übersetzt von : der Wind

(Präzisierungen folgen, hier schon mal das Communiqué:)

Diesen 4. Dezember 2010 feiern wir auf der Strasse und mit Musik die Verbannung der SVP aus der Stadt Lausanne.

Noch mehr als die "fremdenfeindliche" Partei, von welcher alle sprechen und als welche sie sich auch darstellt, und zu aller erst ist sie eine Partei des Grossbürgertums, die der Sache der Bosse und der Financiers ergeben ist. Die Tatsache, dass sie sich in die Kleinkriminalität verbissen haben, dient nur dazu, ihre finanziellen Mauscheleien zu verstecken. Täuschen wir uns nicht, es geht hier nicht um die Stimme. Die beiden letzten Initiativen der SVP haben nur einen symbolischen Gehalt. Minarette oder keine zu haben wird für die meisten von uns nichts ändern. Das Gesetz zur Ausschaffung "krimineller Ausländer" ist inoffiziell schon lange in Kraft. Die SVP versucht nur, die Debatte zu monopolisieren, selber die gesellschaftspolitischen Fragen zu stellen, Agitation zu betreiben, damit man sich auf die sogenannten Immigrationsprobleme konzentriert, damit man sich nicht gegen das Schweizer Grossbürgertum, sein System und seine Mauscheleien, die die wahren Verantwortlichen der Probleme sind, wendet. Man teilt uns in falschen Konflikten, um besser über unsere Leben zu gebieten. Die Schlafmützenlinke, die als erstes in die Falle tappt, stimmt ihre Parolen gegen den Rassismus an, ohne zu versuchen, den Inhalt der Debatte zu ändern.
Gleichzeitig versucht die Partei der Bourgeoisie weiter, die Ängste der Blutsverwandten aus der tiefen Schweiz, die in ihrem Leben nie einen Schwarzen gesehen haben und ob der Vorstellung zittern, das prinzipielle Problem des 21. Jahrhunderts sei es, ihr Chalet gegen den Terrorismus eines "erobernden Islams" zu verteidigen, zu schüren. Hören wir auf, für Idioten gehalten zu werden!

Die letzten Jahre hat Lausanne als die Stadt auf sich aufmerksam gemacht, wo die Präsenz bourgeoiser Landeier und Rassisten der SVP nie toleriert wird. Im September 2007 gab die Präsenz der Partei im Beaulieu Anlass zu einer wunderbaren Strassenparty im Stile einer grossen Nacht. 2008 protestierten ungefähr gleich viele Demonstranten wie Bullen Spalier standen in einer gespannten Atmosphäre gegen ihr Treffen in einem Lokal nahe des Bahnhofs. Heute, 2010, haben die - beunruhigten - Verantwortlichen der Stadt Lausanne die SVP auf ein Feld in der Nähe von Rolle, in irgendeinem Dorf (wo sie auch nicht erwünscht waren), verbannt. Während wir uns die Strasse für eine Party nehmen, teilt sich die SVP ein Schlammfeld mit den Fröschen bei Minustemperaturen...Dieser Match Lausanne vs. SVP endet mit einem schönen 2-1-Sieg für uns! Fortsetzung folgt...

Gegenüber dem Staat und der kapitalistischen Ordnung, den Gesetzen, die uns unterdrücken, dem Markt, der uns ausbeutet und den Traumbrechern links wie rechts werden wir immer Kriminelle sein!

Gegenüber den Patrioten, den guten blutsverwandten Schweizern, den Nationalisten, die ob allem entsetzt sind, was ihnen nicht ähnelt, diesem bourgeoisen Land, das nicht unseres ist, werden wir immer Ausländer sein!

Autonome und andere Strassentiere

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Präzisierungen nach der Strassenparty ::

 AutorIn : Des autonomes et autres animaux des rues   |  übersetzt von : der Wind

Quelle: http://www.lereveil.ch

Trotz der Kälte spazierten ungefähr 200 Leute während einer Stunde durch die Strassen Lausannes zur Musik der DJs an diesem Abend des 4. Dezembers 2010. Nicht einmal die wiederholten Provokationen der Ordnungskräfte, die sich zu langweilen schienen, konnten die Fete trüben: trotz der über zwei Stunden andauernden Belagerung, die das schlecht gelaunte Bullenpack uns erdulden liess, werden die Musik und der Glühwein bis zum Schluss eine festliche Atmosphäre verbreitet und uns bis zum Schluss vor der Nase der Wachhunde des Staates, die, ihrerseits, sich zu langweilen schienen, zum Tanzen gebracht haben. Die Party wird bis zuletzt gedauert haben!

Es ist zu erraten, wie die Strategie der Lausanner Polizei aussieht: allem die Strasse zu verbieten, was den Rahmen der Politikerpolitik sprengt, allem, was "wild" scheint"; sogar wenn es nur um eine mobile Party geht, die kein anderes Unrecht begeht, als Musik zu spielen und eine klare "antirassistische" Botschaft zu verbreiten. Was war ihr Ziel? Eine Demonstration der Stärke? Haben sie soviel Angst vor uns und unserem subversiven Potenzial?

Wie auch immer, die Botschaft bleibt die gleiche, und bezüglich unserer Motivationen zu dieser festlichen Demonstration verweisen wir Euch auf unser Communiqué.

Langes Leben für alle Strassennachtschwärmer und Bullenschläger!

All cops are bastards !

Autonome und andere Strassentiere

Anm.: Es kam zu 115 Festnahmen und scheinbar filmten die Bullen die ein- und ausgehenden Leute vor einem besetzten Haus (La Hache, http://www.lahache.ch) den ganzen Tag oder gar länger.

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Pressefotos der Strassenparty
http://ch.indymedia.org/de/2010/12/79191.shtml

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Unser Transparent in Coinsins ::

AutorIn : Des autonomes et autres animaux des rues   |   übersetzt von : der Wind

Das Transparent, das wir am 3. Dezember an der Place de l'Europe in Lausanne aufhiengen, um die Strassenparty am 4. Dezember anzukündigen, erschien in Coinsins am Kongress der SVP...
http://ch.indymedia.org/images/2010/12/79121.jpg

Man solle mir nicht erzählen, das Lausanner Bullenpack spiele in dieser Geschichte keine Komplizenrolle...

Führen wir den Kampf gegen die Partei der ultraliberalen Rassisten, die dreckigen Schweine in Uniform und die staatliche Fremdenfeindlichkeit weiter!

Lausanner Autonome

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ANTI-DEMO
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Weltwoche 9.12.10

Begleitmusik des Krawalls

 Die gewalttätigen Demonstrationen der rotgrünen Linken nach missliebigen Abstimmungen werfen eine grundlegende Frage auf: Braucht es in einer direkten Demokratie überhaupt das Recht auf Demonstrationen? Nein. Und schon gar nicht nach Urnengängen.

 Von Andreas Honegger

 Der politische Chef der Polizei der grössten Stadt der Schweiz, der grüne Stadtrat Daniel Leupi, soll sich anlässlich der Ausschreitungen im Nachgang zum letzten Abstimmungswochenende mit den Demonstrierenden solidarisiert haben. Wir gehen davon aus, dass er nicht die Chaoten gemeint hat, die einen gewaltigen Sachschaden in Zürichs Innenstadt hinterliessen, als sie ihrem Frust um eine verlorene Abstimmung freien Lauf liessen, sondern dass er sich mit dem Anliegen der "friedlich" Demonstrierenden identifizieren wollte.

 Ob diese Solidarisierung - angesichts der widerlichen Arbeit, die an solchen Sonntagen auf das Polizeikorps zukommt - sinnvoll war, möge dahingestellt bleiben. Uns interessiert vielmehr die Frage, ob es denn in unserer direkten Demokratie überhaupt angeht, nach verlorenen Abstimmungen zu demonstrieren oder gar zu randalieren.

 Die Demonstrationsfreiheit gilt als ein Grundrecht des Volkes. Und tatsächlich ist es ein wichtiges Instrument im Befreiungskampf unterdrückter Völker. Wir alle ziehen den Hut vor Leuten, die in Burma, in China, im Iran auf die Strasse gehen, um gegen das Unrechtsregime in ihren Ländern aufzubegehren und um Meinungsfreiheit und demokratische Rechte einzufordern: Ihr Mut ist gross; grösser noch ihr Drang nach Freiheit.

 Antidemokraten auf die Barrikaden

 In Regimen, wie etwa in den sozialistischen Staaten, die noch vor kaum einer Generation halb Europa zu einer Zone der Unfreiheit machten, oder in den überhandnehmenden Gottesstaaten, in denen staatlicher Terror die Lehre irgendeines Propheten zum Gesetz erklärt, ist die Demonstration für bürgerliche Freiheiten nicht nur angesagt, sondern die eigentliche Pflicht eines jeden, der sein Leben und das seiner Mitbürgerinnen und Mitbürger nicht in Sklaverei enden sehen will.

 Ganz anders sieht es aber aus in einem Land, in dem die demokratischen Freiheitsrechte umgesetzt sind, insbesondere in der direkten Demokratie, wie die Schweiz sie heute kennt. Hier kann man sich mit einer breiten Palette demokratischer Mittel und zudem mit den differenziert ausgebauten Instrumenten des Rechtsstaats gegen Zustände zur Wehr setzen, die man ändern möchte. Dass man im Vorfeld von Abstimmungen alle demokratischen Mittel einsetzt, um für seine Sache zu werben und für seine Anliegen Stimmung zu machen, ist legitim. Nach dem Auszählen der Stimmen jedoch gibt es für Demokraten am Resultat nichts mehr zu rütteln. Natürlich passt einem die Mehrheitsmeinung nicht immer, und sie ist auch nicht "richtig" oder "falsch". Denn das demokratische Verfahren bestimmt nicht, was "richtig" oder "falsch" ist, sondern was mehrheitsfähig ist im Staat. Die Vorstellung, dass ein Volksentscheid "richtig" sein muss nach dem Prinzip "vox populi vox Dei", ist ebenso verfehlt wie die Annahme, das Wort irgendeines Propheten von irgendeinem Gott könne den politischen Streit unter mündigen Menschen ersetzen. Die Demokratie ermittelt die Mehrheitsmeinung, und gegen die auf die Barrikaden zu gehen, zeugt nicht von demokratischer Gesinnung, sondern von der Unfähigkeit, fair zu verlieren. Und für derartig schlechte Verlierer sollte ein Exekutivpolitiker, dem die Verantwortung für die Polizei, für das Machtmonopol des Rechtsstaates, anvertraut ist, keine Sympathien äussern.

 Hier zeigt sich auch ein grundlegender Dissens zwischen der politischen Grundauffassung des links-grünen Lagers und der des bürgerlich-liberalen Lagers. Hat man je erlebt, dass sich nach einem Wahl- oder Abstimmungssieg der Linken in der Stadt Zürich ein wilder Protest erhoben hat? Dass Gewerbetreibende mit ihren Lieferwagen und ihren Hacken und Schaufeln vors Stadthaus gezogen sind, um gegen das Abstimmungsresultat zu protestieren? Die etwas kleinere Hälfte der Stadtzürcher verzichtet auf derartige Massnahmen - und das nicht nur, weil sie weiss, dass die Stadtbehörden einen solchen Aufmarsch ohne Zögern dazu nutzen würden, den Bussenetat um eine erkleckliche Summe zu erhöhen. Nein, die bürgerlich-liberale Seite ist der Auffassung, die direkte Demokratie sei erkämpft worden, um Differenzen in geordneten Bahnen und friedlich beizulegen.

 Meinungsfreiheit und Demokratie reichen aus, um die anstehenden Probleme zu lösen. Bürgerliche Menschen gehen bei uns traditionell kaum auf die Strasse, um für ihre Sache die Trommel zu rühren. Sie würden wohl mit der Waffe in der Hand vors Haus treten, wenn die demokratischen Freiheitsrechte in Gefahr wären - selbst die ihrer politischen Gegner -, nie aber nur, um ihre politische Meinung hinauszuschreien. Man hat für eine demokratisch-rechtsstaatliche Kultur gekämpft und sie erreicht. Nun will man nicht mehr in die pubertären Rituale der geschrienen Slogans und der Transparente mit ihren verfälschenden Verkürzungen zurückkehren. Die direkte Demokratie im Rechtsstaat bedarf der Demonstrationsfreiheit nicht mehr, sie sollte eigentlich Demonstrations-frei funktionieren - und dies ganz sicher nach den Urnengängen!

 Rotgrün will den "Druck der Strasse"

 Die rot-grüne Seite hingegen verklärt den "Druck der Strasse", ja sie kultiviert ihn. Zum einen ist es die Nostalgie des "Klassenkampfs", die hier gepflegt wird, zum andern aber ist es ein zusätzliches Machtmittel. Man hat wohl seine Mandate in den Parlamenten und in den Regierungen, dazu aber mobilisiert man die Strasse, wann immer man es für nötig erachtet. Daraus resultiert ein völlig unfaires Ungleichgewicht der Kräfte. Im Prinzip könnte sich die Linke ja schon über die Tatsache freuen, dass sie die Sympathie fast aller Medien im Lande geniesst - ein Vorteil, der mit Geld für Inserate nie aufzuwiegen ist.

 Die politische "Unzufriedenheit" können die Medien aber nur dann aufzeigen, wenn sie Kamerateams zu jedem versprengten Grüppchen Demonstranten senden, das irgendwo im Land nach einem Multiplikator giert. Und letztlich nehmen die Chaoten in diesem Spiel ja auch die ihnen zugedachte Rolle wahr: Ohne die laute und kostspielige Begleitmusik des Krawalls würde sich keine müde Seele mehr für diese Züglein der organisierten Unzufriedenen und fahnentragenden Frustrierten interessieren. Darum fällt es der Linken so schwer, sich von den Gewalttätern zu distanzieren, und daher setzen die links-grünen Stadtregierungen ihre Machtmittel nie konsequent genug ein, um Rechtsverletzungen zu verhindern oder zu ahnden.

 Ein Blick über die Grenzen zeigt, dass die umliegenden Demokratien mit genau den gleichen Problemen kämpfen. Wo es der Linken in den Parlamenten an Stimmen fehlt, will man mit Hilfe der "Strasse" dennoch zum Ziel gelangen. Zusammen mit den Gewerkschaften versucht man, das Land stillzulegen: Kein Tram, kein Zug, kein Flugzeug soll sich mehr bewegen, bis die gewählte Regierung kapituliert. Das Staatsverständnis der Linken liest sich so: Die Bürgerlichen haben ein Stimm- und Wahlrecht und damit hat sich's. Die Linke hat ebenfalls ein Stimm- und Wahlrecht, dazu aber kann sie noch praktisch ungestraft die Strasse mobilisieren und politischen Druck ausüben durch Lähmung der Infrastruktur und durch die Verursachung immenser wirtschaftlicher Verluste - die natürlich nicht primär bei der eigenen Klientel anfallen. Bei ungeliebten Bauvorhaben werden die politischen und rechtlichen Instanzenzüge ausgeschöpft, und dann versucht man, durch Blockaden und Besetzungen die Fakten doch noch im eigenen Sinn zu bestimmen.

 Die Bürgerlichen in den europäischen Demokratien müssten sich überlegen, wie sie die Spiesse wieder gleich lang machen können. In der direkten Demokratie nach Schweizer Muster hat das Recht auf Demonstration längst ausgedient. Es ist zu einem zusätzlichen Machtmittel der Linken verkommen, weil die rechtsstaatliche Demokratie an sich dazu geschaffen wurde, den Kampf der Strasse durch faire Verfahren der Mehrheitsfindung zu ersetzen. Wer wählt und stimmt und dann noch seinem Unmut auf der Strasse Luft macht, verhält sich nach dem arroganten Muster, dass er neben em Föifer und em Weggli auch noch die Bäckerstochter will.

 Andreas Honegger ist Publizist, ehemaliger NZZ-Redaktor und FDP-Kantonsrat.

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ANTIFA GE
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Indymedia 7.12.10

Rechtsextreme Kundgebungen in Genf verhindert

 AutorIn : Le Réveil   |   übersetzt von : der Wind

Quelle: https://www.lereveil.ch/rassemblements-d-extreme-droite

Zwei Kundgebungen der Rechtsextremen sollten in Genf stattfinden; daraus wurde nichts.

Eine Kundgebung gegen das etwas eigenartige Konzept des "Rassismus von Links", erfunden vom komischen Alain Soral und hier wieder gegeben von einer "national-revolutionären" Gruppe (Genève non conforme), in der Tendenz national-bolschewistisch, konspirationistisch und antisemitisch, sollte diesen Samstag 4. Dezember um 16 Uhr auf der Place neuve stattfinden. Etwa 30 Leute erwarteten sie. Etwa zehn Nationalisten zeigten ihre Nasenspitze, sahen jedoch davon ab, ihr Material auszupacken und sich zu versammeln, als sie feststellten, das ihnen ein derartiges Empfangskomitee reserviert war.

Um 17.30 Uhr war am gleichen Ort eine Kundgebung zur Feier der Initiative zur Ausschaffung "krimineller Ausländer" angekündigt. Gemäss unseren Informationen wurden die Rassisten, die deswegen aufkreuzten, physisch und verbal von einer Handvoll Leute angegriffen. Sie konnten vor dem Eintreffen der Ordnungskräfte flüchten.

In Genf schaffen wir nicht die Ausländer, sondern die Faschisten aus!

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KNAST
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WoZ 9.12.10

Zwangsernährung

 Würgen, Erbrechen, Zittern und das Gefühl, zu ersticken

 Wenn politische Gefangene in den Hungerstreik treten, greifen die Obrigkeiten zur Zwangsernährung. Dabei führt sie oft zum Tod. Genfer Ärzte zeigen in einem Artikel auf, was aus der Vergangenheit gelernt werden könnte.

 Von Helen Brügger

 Die aktuelle Debatte um Zwangsernährung, ausgelöst durch den Hungerstreik des Walliser Hanfbauern Bernard Rappaz, ist nicht neu. In vielen Ländern haben zahlreiche Gefangene in der Vergangenheit zum Mittel des Hungerstreiks gegriffen. Viele von ihnen sind zwangsernährt worden, mit oder gegen den Willen der Ärzte. Eine Gruppe von sieben Genfer Ärzt Innen, darunter Hans Wolff, der behandelnde Arzt von Rappaz (siehe Interview), erinnern in der neusten Ausgabe der "Revue médicale Suisse" daran, dass Zwangsernährung nicht nur ein politisches, ethisches und medizinisches Problem ist, sondern eine Tortur, die mit dem Tod enden kann.

 Der Hungerstreik als letztes Mittel von Machtlosen, schreiben die ÄrztInnen, wurde erstmals von englischen Frauenrechtlerinnen eingesetzt. Die Suffragetten, die wegen ihres Kampfs für das Frauenstimmrecht ins Gefängnis geworfen wurden, galten bis zum Ersten Weltkrieg für gewisse Ärzte als "abnormal aufgeregte Individuen", die es gegen ihren Willen zu "behandeln" galt, wenn sie in den Hungerstreik traten.

 Der "Fixierstuhl" von Guantánamo

 Was eine Zwangsernährung bedeutet, macht die von der "Revue médicale" zitierte Aussage einer Suffragette deutlich: "Das Einführen der Sonde durch die Nase war nur unangenehm. Doch als sie weiter hinabgestossen wurde, löste sie Würgen, Erbrechen, Zittern und das Gefühl von Ersticken aus. Im Kampf um Luft richtete ich mich auf, bis ich aufrecht stand, obwohl ich von vier Wärterinnen auf den Stuhl niedergedrückt wurde, danach sank ich erschöpft zurück. Nachdem die Sonde wieder herausgezogen worden war, hatte ich den Eindruck, asthmatisch zu sein, und konnte nur ganz oberflächlich atmen. Tief einatmen tat entsetzlich weh. Zwei Wärterinnen führten mich in die Zelle zurück, dort lag ich mit qualvollen Schmerzen, die immer stärker wurden."

 Die Suffragetten gab es nach dem Ersten Weltkrieg nicht mehr, die Zwangsernährung wurde weiter angewendet. Etwa gegen hungerstreikende Mitglieder der Roten Armee Fraktion RAF in der Bundesrepublik Deutschland, gegen Mitglieder der spanischen Grapo, gegen IRA-Mitglied Bobby Sands, gegen die demokratische Bewegung in der Türkei, zuletzt gegen die Gefangenen von Guantánamo, wo die amerikanische Armee gar den "Fixierstuhl" erfand: einen Stuhl, an den die Hungerstreikenden gefesselt wurden, um ihnen anschliessend gewaltsam eine Sonde einzuführen. Dabei ging es weniger um ihre Rettung als darum, den Protest zu brechen. Die Verantwortung für die Massnahme lag beim Militärkommandanten, die Militärärzte entschieden über die Art und Weise der Zwangsernährung.

 In allen Ländern, in denen sie angewandt wurde, löste die Zwangsernährung ethische, medizinische, juristische und politische Debatten aus. Im Vorkriegsengland debattierten Ärzte verschiedene Lehrmeinungen, in Deutschland führte sie zu einer politischen Polarisierung, in Spanien nötigte ein Entscheid des Verfassungsgerichts die Ärzte, Zwangsernährungen vorzunehmen. Besonders intensiv war die Auseinandersetzung zwischen Staatsräson und medizinischer Ethik in der Türkei.

 "Grauenhafter Leidensweg"

 Dort organisierte die demokratische Bewegung in den Jahren 1996 und 2000 zwei grosse kollektive Hungerstreiks in den Gefängnissen und unter den Angehörigen der Gefangenen. Regierung und Justiz übten massiven Druck auf den türkischen Ärzteverband aus, der sich gegen die Zwangsernährung ausgesprochen hatte und seinen Mitgliedern verbot, Hungerstreikende ohne deren Einwilligung künstlich zu ernähren. Die Regierung drohte den Ärzten Strafverfolgung an und klagte gegen den Verband.

 Als sich die Streiks ausweiteten, machte sich die Regierung daran, das Strafgesetz zu verschärfen - nur schon der Aufruf zu einem Hungerstreik sollte mit Gefängnis bis zu zwanzig Jahren bestraft werden. Insgesamt etwahundert Menschen starben in der Türkei an den Folgen der kollektiven Hungerstreiks. Der Konflikt ging bis vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte, der den Ärzten recht gab. 2003 ratifizierte das türkische Parlament eine Konvention, die Betroffenen erlaubt, eine medizinische Behandlung zu verweigern.

 "Man kennt heute das Schicksal von Hungerstreikenden, die einer Zwangsernährung unterworfen worden sind", fasst die "Revue médicale" zusammen: "Das Los dieser Menschen, meistens politische Gefangene, wird als grauenhafter, erniedrigender Leidensweg beschrieben." Zwangsernährte starben "entweder als direkte Folge einer falschen Wiederernährung oder als indirekte Folge der Komplikationen, die die Behandlung auslöste".

 Zwangsernährung ist Folter

 In der "Erklärung von Malta" hielt der Weltärztebund WMA schon 1991 fest: "Die Zwangsernährung trotz freiwilliger und erklärter Verweigerung ist nicht vertretbar." Und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bestätigte in zwei Urteilen von 2005 und 2007, dass die Zwangsernährung als Folter betrachtet werden könne, wenn dem Inhaftierten Fesseln angelegt oder wenn ihm zwangsmässig eine Ernährungssonde eingelegt werde.

 In einem anderen Urteil entschied das Gericht, dass das Sterbenlassen eines Gefangenen nach einem Hungerstreik "nicht gegen die Menschenrechte verstösst, weil er während seiner Gefangenschaft Zugang zur gleichen Behandlung wie in der Freiheit hatte". Dies schrieb die deutschsprachige Ausgabe der "Schweizerischen Ärztezeitung" vom 29. September, die sich ebenfalls der Problematik des Hungerstreiks widmet.

 Für die Genfer Ärzte ist klar: Ein Hungerstreik gehört zum Recht auf Selbstbestimmung, zu den Grundrechten des Menschen. Und nur "die Unparteilichkeit des Medizinalpersonals und ihre grundlegende Unabhängigkeit von den Gefängnis-, Justiz- und Polizeibehörden" könne garantieren, dass den PatientInnen im Gefängnis die gleiche Qualität der medizinischen Pflege zuteil werde und sie die gleichen Rechte genössen wie PatientInnen in Freiheit.

 "Jeûne de protestation et alimentation forcée: relevé de pratiques historiques" in "Revue médicale Suisse", 1. Dezember 2010: http://revue.medhyg.ch

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 Was Bernard Rappaz' Arzt sagt

 "Unabhängig bleiben gegenüber der Justiz"

 WOZ: Die Walliser Justiz will Sie zwingen, den Hanfbauern Bernard Rappaz zwangsweise zu ernähren. Sie haben gegen diesen Befehl vor Bundesgericht rekurriert. Weshalb?

 Hans Wolff: Er ist medizinisch nicht ausführbar. Für jeden Patienten gilt: Ist er entscheidungsfähig, muss der Arzt seinen Willen respektieren. Wir dürfen Gefangene nicht anders behandeln als Personen in Freiheit. Die Antwort des Bundesgerichts auf meinen Rekurs steht noch aus.

 Im August hat das Bundesgericht entschieden, dass die Strafvollzugsbehörde eine Zwangsernährung anordnen muss, wenn das der einzige Weg ist, irreversible Schäden oder den Tod des Gefangenen zu vermeiden…

 In dem Entscheid steht auch, dass das unter Respektierung der medizinischen Standesregeln und der Würde des Betroffenen geschehen muss. Im vorliegenden Fall ist weder das eine noch das andere möglich. Wir befinden uns deshalb nicht im Widerspruch zum Bundesgericht, wenn wir eine Zwangsernährung verweigern. Nur im Widerspruch zur Interpretation der Walliser Justiz.

 Was hat Sie und Ihre KollegInnen dazu veranlasst, sich mit einem Artikel über historische Fälle von Zwangsernährung an die Öffentlichkeit zu wenden?

 Wir hatten den Eindruck, dass zu wenig bekannt ist, was eine Zwangsernährung bedeutet. Viele denken, das sei harmlos wie eine Blutentnahme. Das stimmt nicht. Es ist eine mit grosser Gewaltanwendung verbundene Handlung. Und sie ist gefährlich. Das Risiko zu sterben, kann bis zu sechzig Prozent betragen. Unsere Absicht war nicht, Bernard Rappaz mit den geschilderten Fällen zu vergleichen. Wir nehmen nicht Stellung zum Kampf von Rappaz.

 Wie erleben Sie die Situation persönlich?

 Es ist sehr schwierig. Es wäre schwierig genug, wenn ich mich nicht auch noch gegen die Justiz verteidigen müsste. Als Arzt will ich dem Patienten helfen, sein Leiden zu lindern. Wenn ein Patient das verweigert, stellt das die Grundfeste unseres Berufs in Frage. Wir haben immer und immer wieder, auch von Personen ausserhalb der Gefängnisabteilung, abklären lassen, ob Rappaz wirklich so weit gehen will.

 Wer kann Rappaz noch retten?

 Verschiedene Akteure könnten es, auch er selber. Ich will dazu jedoch nicht Stellung nehmen. Ich als Arzt kann ihn nicht gegen seinen Willen retten. Als Gefangener ist mein Patient abhängiger, verwundbarer als andere. Wenn ich ihn gegen seinen Willen künstlich ernähren würde, könnte das sein Vertrauen zu mir zerstören. Schlimmer: Alle Gefängnisinsassen müssten fürchten, dass Doktor Wolff sie eventuell gegen ihren Willen behandelt. Deshalb ist es so wichtig, dass die Gefängnismedizin vollständig unabhängig gegenüber den Justiz-, Gefängnis- und Polizeibehörden handeln kann. In der Schweiz ist das erst in drei Kantonen garantiert: Genf, Waadt und Wallis.

 Geht es im Konflikt um einen Kampf zwischen den Prinzipien der Justiz und den Prinzipien der Medizin, bei dem das Individuum auf der Strecke bleiben könnte?

 Das ist ganz und gar nicht so. Meine erste Sorge gilt meinem Patienten, nicht irgendwelchen Prinzipien. Darüber hinaus geht es um eine grundlegende Frage. Wenn mir heute die Justiz vorschreibt, wie ich einen Gefangenen behandeln muss, kann sie oder irgendeine andere Instanz mir morgen vorschreiben, wie ich einen übergewichtigen Patienten gegen seinen Willen behandeln muss. Das ist gegen die Grundrechte der Patienten und darf von einem Arzt niemals akzeptiert werden.

 Interview: Helen Brügger

 Hans Wolff ist der behandelnde Arzt von Bernard Rappaz in der Gefängnisabteilung des Genfer Kantonsspitals.

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Indymedia 7.12.10

AutorIn : knast-soli

Befristeter Hungerstreik der Gefangenen gegen Zensur und Isolation
http://ch.indymedia.org/media/2010/12//79183.pdf

Solidaritaet mit den kaempfenden Gefangenen -Gegen Isolation und Zensur!

Seit April sitzen die italienischen Anarchist/innen Billy Bernasconi, Costatino Ragusa und Silvia Guerini in verschiedenen Knaesten der Schweiz in U-Haft. Ihnen wird vorgeworfen, einen Anschlag auf die Baustelle eines Forschungsgebaeudes der IBM geplant zu haben.

Zusammen mit Billy und Silvia befindet sich der anarchistische Gefangene Marco Camenisch, der bereits seit 20 Jah ren hinter Gittern sitzt,  vom 6.-8. Dezember in einem be fris tet en Hungerstreik gegen die Isolation und politische Zensur, der sie im Knast aus gesetzt sind.

Billy, Costa und Silvia sitzen in Knaesten von Biel, Thun und Bern. Marco wurde Anfang Oktober nach Bochuz/Orbe im Waadt land verlegt. Die Verlegung ist als Strafe fuer seine ungebrochene politische Haltung und fuer die zahlreichen Solidaritaets be kun dung en von draussen zu verstehen.

Politische Zensur bedeutet in diesem Fall, dass Billy, Costa und Silvia keine politischen In formationen er halt en. Weder Buecher noch Zeitschriften oder Flugblaetter linker Bewe gung en werden den Gefangenen aus gehaendigt. Zudem wird jegliche Kor re spon denz mit Freund/innen und Genoss/innen draussen durch re striktive und langwierige Zensur mass nah men erschwert, wenn nicht gar verunmoeglicht.

Der Hungerstreik ist ein Akt der Solidaritaet - mit allen anderen kaem pfen den Gefangenen weltweit und als Beitrag zum alljaehr lich en Kongress gegen Isolation, der vom 4.-5. De zember in Wien stattfindet.

Durchbrechen wir die Isolation - Power durch die Mauer bis sie bricht! Solidaritaet ist unsere Waffe!

Freund/innen und Unterstuetzer/innen von Marco Camenisch
Dezember 2010

Weitere Informationen: http://www.ipai-isolation.info - http://www.rhi-sri.org - http://www.freiheitx3.ch.vu

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Indymedia 7.12.10

Hungerstreikerklärung von Marco Camenisch ::

AutorIn : knast-soli

Erklärung von Marco Camenisch zum Hungerstreik von Billy, Marco und Silvia vom 6.-8. Dezember 2010

Von Herzen und in Gedanken mit der Initiative 6.-12- Dezember 2010 in Solidarität mit Costa, Billy und Silvia und gegen Isolation mache ich einen kurzen symbolischen Hungerstreik von 3 Tagen, vom 6.-8. Dezember 2010. Als kleines Moment eines kollektiven Kampfes gegen die dreiste und extreme Entziehung und Behinderung der politischen Kommunikation/Information, welcher die schweizerische Bundesanwaltschaft und repressive HandlangerInnen in den Gefängnissen unsere Genossin und Genossen unterzieht. Ein Kampf, der entschlossener und wirksamer werden muss bis zum Ende dieser einzig politischen Repression!

Es ist auch ein solidarischer Gruss an das nun schon traditionelle Symposium gegen Isolation (Rassimus, Unterdrückung, Ausbeutung), organisiert von GenossInnen aus der Türkei, dieses Jahr in Wien vom 4.-5. Dezember, wo auch der vielen im langen Kampf gegen die F-Typ-Isolation Gefallenen gedacht wird.

Es ist ein brüderlicher und revolutionärer Gruss den GenossInnen und politischen Gefangenen der GRAPO, PC(r) und IHR, die in Spanien am 1. Dezember den x-ten und langen Kampf beginnen, gegen eine der brutalsten faschistischen/staatlichen Vernichtungspolitiken gegen uns politischen Gefangene, bzw Kriegsgefangenen des sozialen Krieges.

Von Herzen und in Gedanken an jedes Leben im Käfig, isoliert, gefoltert, ausgebeutet, vernichtet; aber vor allem an die KriegerInnen des sozialen Krieges, die in Käfigen und draussen kämpfen, um diesem System, Staat und Kapital, jeder Herrschaft, jeglichem Rassismus, jeglicher Unterdrückung und Ausbeutung ein für alle Male ein Ende zu bereiten.

marco camenisch, Orbe, Dez. 2010

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Indymedia 8.12.10

Sabotagen in Rom in Solidarität mit Silvia, Billy und Costa ::

 AutorIn : Le Réveil   |   übersetzt von : der Wind

Übersetzung und Quelle:  http://www.lereveil.ch/sabotages-a-rome-en-solidarite

Communiqué zu den Aktionen diese Nacht in Rom:

"In der Via Malatesta, im Gebiet Pigneto, wurden die Bankomaten und Postomaten mit Klebstoff und Farbe sabotiert. Die Kameras des Nomentanobahnhofs wurden verdunkelt.

Die Gesellschaft, in welcher wir leben, möchte uns zu einem Leben der Sklaverei durch das Geld und die alltägliche Kontrolle zwingen. Wir entschieden uns, einige Ausbeutungs- und Kontrollinstrumente des Staates ins Visier zu nehmen.

Für einmal, keinen Rückzug. Für einmal, kein mechanischer Spion, um unsere Bewegungen und unser Leben zu beobachten.

Die Nächte dieses Winters sind immer noch lange und kalt...das Feuer wird sie wärmen!

Solidarisch mit allen Gefangenen in den Gefängnissen der Macht. Wir kämpfen weiter!
Solidarisch mit Silvia, Billy und Costa! Solidarisch mit den jungen Griechen! Solidarisch mit allen, die sich jeden Tag gegen das Existierende auflehnen, und dabei jeden Tag ihre Freiheit riskieren!

WEITERE NÄCHTE ERWARTEN UNS!"

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POLICE TG
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Thurgauer Zeitung 8.12.10

Nulltoleranz auf dem Bahnhofplatz

 Thomas Wunderlin

 Der Bahnhof Frauenfeld hat sich zum Treffpunkt von Hängern und Kleindealern entwickelt. Nun werden die Kontrollen verstärkt.

 Frauenfeld - Seit Anfang Dezember wird auf dem Bahnhof Frauenfeld stärker kontrolliert. Wie Stadtrat Werner Dickenmann gestern an einer Medienkonferenz mitteilte, gilt jetzt "Nulltoleranz auch gegenüber den Schwächeren in der Gesellschaft". Nach seinen Angaben halten sich in letzter Zeit "auffallend viele Randständige, Hängergruppen und Kleindealer" am Bahnhof auf. Dadurch sei ein Abfallproblem entstanden, und das Sicherheitsgefühl der Bahnhofbenützer werde gestört. "Wir erhalten viele Reklamationen." Diese stammten auch von Geschäftsinhabern und Buschauffeuren. Gewaltbereitschaft und Übergriffe hätten messbar zugenommen. Im September und Oktober sind laut Dickenmann 5 Anzeigen wegen Gefährdung von Leib und Leben und 21 Anzeigen wegen Vermögensdelikten erstattet worden. Er verwies auch auf den kürzlichen Überfall auf eine junge Frau (TZ vom 1. Dezember).

 Die Kontrollen sind laut Dickenmann ein weiterer Schritt zu den früher eingeführten Massnahmen. Dazu zählte er die Reinigung auch am Wochenende, die Videoüberwachung und die Kontrollen der Kantonspolizei.

Polizei und Securitrans

 Die Kantonspolizei wird in den nächsten zwei Monaten auch auf dem SBB-Areal kontrollieren, wofür sie bisher nicht zuständig war. Im Einsatz ist dort neu auch die Securitans, eine Tochter der SBB und der Securitas. Ihre Wachleute patrouillieren mehrmals pro Woche während einiger Stunden. Dies werde vor allem am Donnerstag, Freitag und Samstag sein, sagte Securitrans-Vertreter Lars Huber. Die Securitrans ist befugt, auch auf dem Bahnhofplatz und im Einkaufszentrum Passage Wegweisungen auszusprechen und notfalls ein Haus- oder Rayonverbot auszusprechen. Im Februar soll Bilanz gezogen und über weitere Massnahmen entschieden werden. Die SBB lassen sich die Kontrollen 18 000 Franken kosten, sagte ein SBB-Vertreter. Die SBB hätten 2010 Schäden an WC und Gebäuden in etwa dieser Höhe gehabt. Der Passage-Geschäftsführer Heinz Vögeli dankte dem Stadtrat für seinen Einsatz. Die Passage habe seit einem Jahr mehr Aufwand mit gewissen Besuchergruppen. Das Einkaufszentrum beschäftigt selber einen Sicherheitsdienst und wendet laut Vögeli jährlich einen sechsstelligen Betrag für Sicherheit auf. Als Massnahme für schwierige Fälle empfahl er ein Hausverbot: "Das wirkt wie verrückt." Für einen Betroffenen sei es unangenehm, wenn er als einziger in einer Gruppe draussen bleiben müsse.

 Der herumliegende Abfall habe 2010 mit verschiedenen Aktionen um 80 Prozent verringert werden können, sagte Werkhof-Chef Markus Graf. Potenzielle Verursacher würden am besten direkt angesprochen. Wenn sich mehrere Personen mit Ess- und Trinkwaren auf einer Bank niederlassen, werden sie unter Umständen von Werkhof-Mitarbeitern präventiv dazu aufgefordert, die Überreste in den Abfallkübel zu werfen. lTHOMAS WUNDERLIN

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St. Galler Tagblatt 8.12.10

Polizei greift am Bahnhof Frauenfeld härter durch

 Die Stadt und die SBB haben genug. Nach vermehrten Übergriffen im Bahnhofsgelände werden die Kontrollen durch die Polizei verschärft.

 Frauenfeld. Randständige, Kleindealer und "Hängergruppen" haben den Frauenfelder Bahnhof zu ihrem Aufenthaltsort auserkoren. Das passt den SBB und der Stadt Frauenfeld nicht. Dadurch sei ein Litteringproblem entstanden, heisst es in einer Medienmitteilung der Stadt. Zudem werde das Sicherheitsgefühl von Kunden der umliegenden Geschäfte sowie der Passagiere von Bahn, Bus und Postauto "erheblich gestört". Regelmässig gehen Beschwerden bei der Stadt und bei der Kantonspolizei ein. Hinzu komme, dass auch die Gewaltbereitschaft und Übergriffe auf Personen zugenommen hätten.

 Um die Situation rund um den Bahnhof Frauenfeld zu verbessern, werden seit dem 1. Dezember vermehrt Kontrollen durch die Bahnpolizei Securitrans sowie durch die Kantonspolizei Thurgau durchgeführt. Die verschärften Sicherheitsmassnahmen sind auf zwei Monate befristet, wie der Frauenfelder Vizeammann Werner Dickenmann gestern verkündete. "Wir haben genug und werden alles daransetzen, dass sich alle Menschen hier am Bahnhof sicher fühlen können." Ab sofort gelte deshalb "Nulltoleranz", auch gegenüber den "Schwächeren der Gesellschaft". "Bahnpolizei und Kantonspolizei werden durchgreifen."

 Der Bahnhof Frauenfeld wird pro Tag von rund 10 000 Personen als Ein-, Aus- oder Umsteigeort genutzt. Gleichzeitig ist er stark frequentiert von Kundschaft der angrenzenden Geschäfte sowie ein beliebter Treffpunkt. (red./sg)

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SICHERHEITSFIRMEN
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Basler Zeitung 10.12.10

Security "pflegt" öffentlichen Raum

 Baselland strebt strengere Regeln für private Sicherheitsunternehmen an

 Stefan Gyr

 Die Sicherheitsdirektion und die Kantonspolizei sehen keine Verdrängung der Gemeindepolizeien durch private Sicherheitsdienste, sondern betrachten diese als sinnvolle Ergänzung. Im Baselbiet soll aber auch für die einzelnen Angestellten der Firmen eine Bewilligungspflicht eingeführt werden.

 Die Baselbieter Gemeinden setzen zunehmend private Sicherheitsfirmen ein. Soeben hat etwa der Gemeinderat von Zunzgen beschlossen, die Bewa Sicherheitsdienst GmbH in Bättwil mit der Kontrolle der Nachtparkierer zu beauftragen und die Gemeindepolizeistelle vorläufig nicht wiederzubesetzen (BaZ vom Mittwoch). Auch Gemeinden wie Allschwil, Birsfelden und Gelterkinden ziehen für Patrouillengänge, Nachtparkkontrollen oder die Bewachung von Einrichtungen private Unternehmen bei.

 Dass einige Gemeinden auf Sicherheitsdienste setzen, ist auch der kantonalen Sicherheitsdirektion und der Polizei Baselland nicht entgangen. Über Zahlen zu dieser Entwicklung verfügen die kantonalen Stellen aber nicht. Es liege in der Kompetenz der Gemeinden, Sicherheitsfirmen beizuziehen, halten die Sicherheitsdirektion und die Polizei in einer schriftlichen Stellungnahme gegenüber der BaZ fest. Sie sehen keine Verdrängung der Gemeindepolizeien, sondern betrachten den Einsatz von privaten Organisationen als eine "sinnvolle Ergänzung".

 Boombranche

Sinnvoll sei das Engagement dieser Unternehmen zur "Pflege des öffentlichen Raums", erklären die Sicherheitsdirektion und die Polizei. Dabei gehe es noch nicht um strafbare Handlungen, Strafverfolgung oder staatlichen Zwang, sondern darum, die heute viel intensivere Nutzung des öffentlichen Raums zu regeln. Dabei werde kontrolliert, geschlichtet, geordnet, ermahnt und allenfalls verzeigt. Wichtig sei auch die Prävention durch die sichtbare Präsenz von Kontrollorganen. Sobald es um Zwangsmassnahmen wie Anhaltungen, Personenkontrollen und Durchsuchungen gehe, liege die Zuständigkeit bei der Polizei mit ihrem staatlichen Gewaltmonopol, das nicht auf private Firmen übertragen werden darf.

 Sicherheits- und Wachdienste erleben landesweit einen Boom. In der Schweiz gibt es 500 private Sicherheitsunternehmen, die rund 14 000 Mitarbeiter beschäftigen. Die Branche wächst jährlich um vier bis fünf Prozent. Im Baselbiet schreibt das Polizeigesetz eine Bewilligungspflicht für diese Firmen vor. Einige Deutschschweizer Kantone kennen hingegen bisher gar keine Regelungen - deshalb können sich Unternehmen in einem Kanton niederlassen und so die in einem anderen Kanton geltenden strengeren Regeln unterlaufen.

 Mehr Qualität.

Die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren hat vor einem Monat ein neues Konkordat beschlossen, mit dem die Zulassung von privaten Sicherheitsfirmen stärker geregelt werden soll. Dabei wird auch eine Bewilligungspflicht für die einzelnen Angestellten angestrebt. Es soll festgelegt werden, welche Leute diese Arbeit ausüben dürfen und welche Ausbildung sie dazu benötigen. Die Schweizer Justiz- und Polizeidirektoren wollen damit für mehr Qualität in der Branche sorgen. Der Kanton Baselland werde diesem Konkordat beitreten, sofern der Landrat seine Zustimmung gebe, erklärt die Sicherheitsdirektion.

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DROGEN
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St. Galler Tagblatt 10.12.10

Für Drogenhandel angeworben

 Zurzeit stehen vor Kreisgericht St. Gallen immer wieder Drogenhändler, die alle in einem Ort in Serbien für das illegale Geschäft angeworben werden. Sie sind meist arbeitslos oder drogensüchtig.

 Claudia Schmid

 Die Kantonspolizei St. Gallen ermittelt seit längerer Zeit gegen eine Gruppierung von vorwiegend serbischen Staatsangehörigen, die in der Region St. Gallen grössere Mengen an Betäubungsmitteln absetzt. Nach bisherigen Erkenntnissen werden im Ort Nis jüngere Männer als sogenannte Läufer "geködert". Sie reisen in die Schweiz, wo sie in Hotelzimmern oder Kleinwohnungen untergebracht und mit Heroin beliefert werden. Die Läufer erhalten dann den Auftrag, Kugeln zu fünf Gramm an die Gassendealer auszutragen. Das kassierte Geld wird an die Hintermänner abgeliefert.

 Mehrfach verurteilt

 In den vergangenen Wochen wurden mehrere solcher Läufer zur Anklage gebracht und vom Kreisgericht St. Gallen verurteilt. Gestern stand erneut ein 28jähriger Serbe vor den Schranken. Die Staatsanwaltschaft wirft ihm vor, als "Zellenchef" tätig gewesen zu sein. Diese betreuen jeweils zwei Läufer und übergeben das Geld an die Hintermänner.

 Der Angeklagte sei bereits 2006 ein erstes und 2007 ein zweites Mal wegen Drogenhandels verurteilt worden, erklärte gestern der Untersuchungsrichter vor Gericht. Nachdem er sich eine Zeit lang in Österreich aufgehalten habe, sei er nach Serbien zurückgekehrt, um erneut in die Schweiz zu kommen und mit grösseren Mengen Drogen zu handeln.

 Vier Jahre beantragt

 Er beantragte für den Mann wegen Verbrechens gegen das Betäubungsmittelgesetz, illegalen Aufenthalts und illegaler Einreise eine Freiheitsstrafe von vier Jahren. Dies im Zusatz zu einer im Februar dieses Jahres vom Bezirksgericht Winterthur ausgesprochenen Strafe von zwölf Monaten. Straferhöhend müsse sich die wiederholte Delinquenz auswirken. Strafmildernd könne man das Geständnis und die Drogensucht des Angeklagten berücksichtigen.

 Wettschulden gemacht

 Ihr Mandant sei nicht aus freien Stücken in die Schweiz eingereist, um mit Drogen zu handeln, erklärte die Verteidigerin. Durch Wettschulden von 10 000 Euro sei er in die Fänge einer Bande geraten. Diese habe ihn zusammenschlagen lassen und dann gezwungen, für Drogengeschäfte in die Schweiz zu reisen.

 Die von der Anklage vorgeworfenen Straftaten seien im Sachverhalt nicht bestritten, betonte die Rechtsanwältin im Plädoyer. Differenzen gebe es aber über die Dauer des Drogenhandels und die gehandelte Menge. Ihr Mandant sei zudem nicht in höherer Stellung im illegalen Geschäft tätig gewesen, sondern als einfacher Verkäufer. Er selber sei heute drogenfrei. Sie beantragte eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren.

 Mit Bande verhandeln

 Er wisse, dass er für seine Verbrechen eine Gefängnisstrafe absitzen müsse, erklärte der Mann vor Gericht. Als "Zellenchef" habe er aber nicht gewirkt. Er wolle nicht für etwas verurteilt werden, was er nicht getan habe. Nachdem er 2008 nach Serbien zurückgekehrt sei, habe er erneut Drogen genommen und sei wieder in die Fänge der Bande geraten. Werde er nach der verbüssten Haft in seine Heimat ausgeschafft, wolle er versuchen, mit den Leuten zu reden, damit sie ihn fortan in Ruhe liessen. Das Schlimmste an der Haft sei zurzeit, dass er seine schwerkranken Eltern für lange Zeit nicht besuchen könne.

 Das Urteil des Kreisgerichtes St. Gallen steht noch aus.

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NZZ 8.12.10

Das weite Land

 Wie Gene und chemische Botenstoffe unser Verhalten mitbestimmen. Von Gottfried Schatz

Prof. Dr. Gottfried Schatz

 Unser Charakter wird entscheidend durch die chemische Zwiesprache zwischen den Nervenzellen unseres Gehirns geprägt. Dieses Gesprächsnetz ist so komplex, dass es jedem Menschen seine eigene Persönlichkeit schenkt.

 "Die Seele ist ein weites Land", befand der Schriftsteller und Arzt Arthur Schnitzler, der in seinen Novellen und Dramen Sigmund Freuds Ideen mit aus der Taufe hob. Dieses weite Land der Seele ist jedoch schwer zu fassen, denn Religion, Dichtung, Psychologie und Medizin ordnen ihm jeweils andere Breitengrade zu. Ist es verwegen, dieses Land auch mit dem Kompass der modernen Naturwissenschaft zu erkunden? Darf ein Molekularbiologe auf Seelensuche gehen? - Dieses Wagnis kann nur gelingen, wenn wir "Seele" enger als "Verhaltensmuster" oder "Charaktereigenschaft" definieren. Erst diese Beschränkung erlaubt die präzisen und überprüfbaren Fragen, an denen Naturwissenschaft ihre Kraft entwickelt. Und in der Tat - diese Kraft gewährt uns bereits atemberaubende Einblicke in die chemischen Vorgänge, die unsere Persönlichkeit prägen.

 Eindrückliches Beispiel dafür waren gesunde Versuchspersonen, die nach Einnahme des Parkinson-Medikaments Dopa (ein Kürzel für Dihydroxyphenylalanin) bei Glücksspielen risikofreudiger wurden. Dies betraf jedoch nur diejenigen von ihnen, die eine seltene Variante eines bestimmten Gens ererbt hatten, das die Übertragung von Signalen zwischen Nervenzellen steuert. Dieses Gen tritt in verschiedenen Formen auf, die leicht unterschiedlich wirken und so das Verhalten eines Menschen gezielt beeinflussen können.

 Ein vielgestaltiges Netzwerk

 Nervenzellen verständigen sich untereinander vorwiegend mit Hilfe chemischer Botenstoffe. Meist sind dies einfache kleine Moleküle, wie das mit Dopa eng verwandte Dopamin, die Aminosäuren Glyzin und Glutamat oder die Aminosäure-Abkömmlinge γ-Aminobuttersäure und Serotonin. Sie werden von einer elektrisch angeregten Senderzelle ausgestossen, wandern zu einer Empfängerzelle, binden sich an spezifische Rezeptoren an deren Oberfläche und lösen so in der Empfängerzelle ein elektrisches Signal aus. All dies spielt sich in nur einem bis zwei Tausendstel einer Sekunde in einem hauchdünnen Spalt zwischen den birnenförmig aufgeblähten Enden der beiden Nervenzellen ab.

 Die beiden Nervenenden und der sie trennende Spalt bilden zusammen eine Synapse, die nach Übertragung des Signals wieder schleunigst vom Botenstoff gereinigt werden muss, um einen gefährlichen Dauerreiz der Empfängerzelle zu vermeiden. Wie diese Reinigung erfolgt, hängt vom Botenstoff und von den beteiligten Nervenzellen ab. Manche Nervenzellen warten einfach darauf, dass der Botenstoff durch Diffusion von selbst verschwindet. Für die meisten Zellen ist dieser Vorgang jedoch zu langsam, so dass sie ihn aktiv beschleunigen: Manche Senderzellen saugen den von ihnen ausgesandten Botenstoff wieder auf, während Empfängerzellen ihre Rezeptoren für ihn gleichsam maskieren können. Rezeptoren und Aufsaugmaschinen sind Proteine; ihr Bauplan ist in den entsprechenden Genen niedergelegt.

 Die Entschlüsselung der chemischen Struktur unseres gesamten Erbmaterials offenbarte die erstaunliche Vielfalt solcher Gene und damit auch von Synapsen, mit deren Hilfe unser Gehirn seine noch weitgehend rätselhafte Arbeit bewältigt. Wir kennen mehrere Dutzend Botenstoffe, und für fast jeden gibt es eine Vielzahl verschiedener Rezeptor- und Aufsaugproteine, die auf den Botenstoff unterschiedlich ansprechen und eine Synapse unverwechselbar charakterisieren.

 Vieles spricht dafür, dass dieses chemische Netzwerk unseren Charakter mitbestimmt. Der Botenstoff Dopamin lindert nicht nur die Leiden von Parkinsonkranken, sondern kann bei ihnen auch intensive Glücksgefühle, Aggression oder zwanghafte Spielsucht auslösen. Und die Genvariante, die mit Dopa behandelten Versuchspersonen erhöhten Wagemut verleiht, enthält den Bauplan für ein spezifisches Rezeptorprotein, über das Dopamin an einen Empfängernerv andockt. Diese Genvariante findet sich auch häufig in impulsiven, rastlosen oder aggressiven Menschen, die Mühe haben, sich über längere Zeit auf ein Thema zu konzentrieren oder sich in eine Gemeinschaft einzufügen. In unserer hoch organisierten Welt ist diese Genvariante meist von Nachteil, doch Nomaden scheint sie Vorteile zu verschaffen; vielleicht schenkt sie ihnen Wagemut und hilft ihnen so, neue Weide- und Jagdgründe zu erobern sowie Angreifer schneller und mutiger abzuwehren.

 Dafür spricht, dass diese Genvariante erst vor etwa zwanzigtausend bis vierzigtausend Jahren entstand - also ungefähr zu der Zeit, als "moderne" Menschen Afrika verliessen und nach Nordeuropa vordrangen - und dass sie sich seither in unserer Population behauptet hat. Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass ihre Träger ungewöhnlich bereitwillig sind, asoziale oder finanziell riskante Entscheidungen zu treffen. Könnte es sein, dass diese Genvariante die periodischen Finanzkrisen unserer kapitalistischen Gesellschaft mitverschuldet?

 Bewusstseinsveränderung

 Der Botenstoff Serotonin löst nicht nur, wie das Dopamin, Glücksgefühle aus, sondern beeinflusst auch das Sexualverhalten von Fliegen und Ratten: Verändert man in diesen den Serotonin-Stoffwechsel durch genetische Eingriffe oder Medikamente, so werden die Tiere homo- oder bisexuell. Und eine einzige Mutation in einem Rezeptorprotein für den Botenstoff Vasopressin kann ein monogames Wühlmausmännchen in einen passionierten Don Juan verwandeln.

 Synapsen spielen fast überall dort eine Rolle, wo wir mit chemischen Mitteln psychische Krankheiten lindern oder unser Bewusstsein verändern wollen. Antipsychotische Medikamente dämpfen die Signalübertragung durch Dopamin, Serotonin und andere Botenstoffe; LSD löst Halluzinationen aus, weil es sich wie ein "Superserotonin" hartnäckig an einen Serotoninrezeptor klammert und so die entsprechenden Empfängerzellen übermässig stark und lange anregt. Und die Rauschdroge Kokain verhindert, dass Senderzellen das von ihnen ausgeschüttete Dopamin wieder aufsaugen. Als Folge davon häuft sich dieser glücksspendende Botenstoff in der Synapse an, so dass Kokainkonsumenten die euphorische Wirkung der Droge bald nicht mehr missen wollen. Um sich gegen diese Dopamin-Überreizung zu wehren, verringern Empfängernerven die Zahl ihrer Dopaminrezeptoren. Sinkt dann bei Kokainentzug der Dopaminspiegel in der Synapse plötzlich ab, so kann diese nicht mehr normal arbeiten und verursacht die gefürchteten Entzugserscheinungen.

 Unreduzierbare Komplexität

 Mut, Glücksgefühl, sexuelle Vorliebe und Sozialverhalten sind zwar wichtige Teile dessen, was wir gemeinhin "Charakter" nennen, reichen aber bei weitem nicht aus, um diesen erschöpfend zu beschreiben. Und ihre genetische Prägung ist bei uns Menschen viel subtiler und komplexer als bei einfachen Tieren. Sie unterliegt einem Netzwerk vieler Gene, in dem jedes Gen nur eine bescheidene Rolle spielt. Wir Menschen haben weder ein "Mut-Gen" noch ein "Monogamie-Gen", sondern viele Gene, die diese Verhaltensmuster geringfügig, aber statistisch signifikant beeinflussen. Und selbst diese Behauptung steht auf wackligen Beinen, da sie sich in den meisten Fällen nicht auf eindeutige genetische Beweise, sondern nur auf Korrelationen stützt. Dennoch besteht kein Zweifel daran, dass Synapsen die Fäden sind, aus denen die Natur den wundersamen Gobelin unseres Charakters wirkt. Dieser Gobelin verdankt seinen Farbenreichtum der Wechselwirkung der verschiedenen Rezeptor- und Ansaugproteine in unseren Synapsen, über die ein und derselbe Botenstoff eine breite Palette verschiedener Reaktionen und Empfindungen auslösen kann.

 Da unser Gehirn etwa zehntausend Milliarden Nervenzellen besitzt und jede von ihnen durch tausend bis zehntausend Synapsen mit anderen Nervenzellen vernetzt ist, steigt die Zahl der möglichen Wechselwirkungen ins Unendliche. Die Balance zwischen den verschiedenen Fäden dieses unvorstellbar komplexen Netzwerks ist zum Teil erblich, kann aber auch durch Umwelteinflüsse verändert werden; sie ist deshalb für jeden Menschen auf dieser Erde - selbst für einen eineiigen Zwilling - einmalig. Sollte es uns je gelingen, alle Fäden dieses Netzwerks zu entwirren und ihre Verflechtung mit Computern darzustellen, so wird die Komplexität dieses Musters alle unsere Vorstellungskraft übersteigen. Das Land, von dem Schnitzler sprach, wird wohl auch für Biologen seine geheimnisvollen Weiten wahren.

 Der Biochemiker Gottfried Schatz ist emeritierter Professor der Universität Basel. Die erste Staffel seiner in loser Folge erscheinenden Essays zu Lebensfragen, die die Wissenschaftsdisziplinen überschreiten, ist als Buch erhältlich: "Jenseits der Gene", NZZ-Libro, 2008.

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Zürichsee-Zeitung 7.12.10

"Snow Control" Online-Therapie bei problematischem Kokainkonsum

 Erst Kontrolle, dann Abstinenz

 Mit Snowcontrol.ch wird die weltweit erste Selbsthilfeplattform für Kokainkonsumenten getestet. In wöchentlichen Lektionen wird der verantwortungsvolle Umgang mit der Droge vermittelt.

 Gabriele Spiller

 Die Praxis von Gain (Gesundheitsangebot und Information) liegt unauffällig zentral. Vom unterirdischen Ausgang des Hauptbahnhofs kann man die in einem Wohnhaus liegenden Räume quasi ungesehen betreten. Kokainkonsumenten wollen in der Regel auch nicht bemerkt werden. Sie leben unter uns, 95% von ihnen sind sozial integriert, gehen einer geregelten Arbeit nach oder haben eine Familie. Dennoch finden rund 200 Menschen pro Jahr den Weg zu den Fachleuten im Gain. Sie wollen einen kontrollierten und risikoarmen Umgang mit ihrer Droge erlernen. Die wenigsten können sich ein Leben ohne Kokain vorstellen.

 Die Beratung und Behandlung bei Problemen mit Substanzkonsum ist eine Leistung der Grundversicherung. Wie bei einem Arztbesuch kann man einen Termin mit den Experten von Gain vereinbaren und wird in den ruhigen, gepflegten Praxisräumen empfangen. "Der Kokainkonsum ist häufig eine Begleiterscheinung einer psychischen Erkrankung", erklärt Lars Stark, Psychotherapeut und ärztlicher Leiter von Gain. Depressionen, Angstgefühle, eine narzisstische Persönlichkeitsstörung und ADHS können die Affinität zu dieser Droge und anderen Stimulanzien fördern. Ist der Druck hoch, greifen die Konsumenten zum Kokain, das durch die kurzfristige Erhöhung des Dopaminspiegels für euphorische Gefühle, Antriebssteigerung, Kontaktfreudigkeit, aber auch Allmachtsphantasien sorgt. Drei Viertel von Starks Klienten sind Männer.

 Drei Minuten dauert es ungefähr, bis die Wirkung nach dem Schnupfen auftritt. Beim selteneren Rauchen und Spritzen tritt der Kick bereits nach wenigen Sekunden ein. Was als Partydroge und Freizeitkonsum beginnt, kann sich schnell zu einer psychischen und körperlichen Abhängigkeit entwickeln. Den Ausstieg suchen die Betroffenen meist, wenn das Leben ihnen mehr Verantwortung abverlangt: beim Wechsel vom Angestellten zur Selbständigkeit, nach dem zweiten Kind, erzählt Stark. Irgendwann merkt man, dass man sein Leben nicht mehr im Griff hat, und möchte dem Drang entkommen.

 Was man bei Problemen tun kann

 Es sind ganz subtile Auslöser, die dafür sorgen, dass man auf einmal wieder ein Säckchen Kokain in der Hand hat. Vielleicht ist man gerade mit dem Tram am Limmatplatz vorbeigefahren und wie automatisch ausgestiegen, um am Bancomaten Geld zu ziehen. Von den 100 Franken ist man wieder für eine Weile versorgt, zwanzig Portionen liegen locker drin. "Kokain ist keine Luxusdroge mehr", beschreibt Stark die Problematik, entsprechend kommen seine Klienten aus allen sozialen Schichten. Von Studenten über Handwerker bis zu Managern aller Kaderstufen berät er die Personen, "die Verbreitung in Zürich ist gegeben".

 Die Scham ist gross und wird von den Therapeuten im Gain mit viel Respekt und Verständnis gegenüber den Betroffenen entgegengenommen. Angehörige stellen manchmal den Erstkontakt her, um sich selbst zu informieren und den Betroffenen gegebenenfalls zu einer Konsultation zu bewegen. Druck führe aber häufig zu einer Gegenreaktion, besser sei, sich darauf zu stützen, was man beobachtet habe und was einem Sorgen bereite. "Mir fällt auf, dass du dich in der letzten Zeit verändert hast." Oder: "Ich mache mir Sorgen, weil ich weiss, dass Kokain eine Droge ist, die schnell und stark abhängig macht", empfiehlt die Sucht-Info Schweiz als angemessene Formulierungen in ihrem Infoflyer im Internet.

 Als weiteren Zugang mit niedriger Hemmschwelle bietet Gain ein internetbasiertes Programm an, das anonym, ortsunabhängig und zeitlich flexibel dabei helfen kann, problematischen Konsum in den Griff zu bekommen. Der Benutzer richtet sich ein passwortge- schütztes Konto ein und kann, ohne persönliche Angaben hinterlegen zu müssen, an einem achtwöchigen Therapieprogramm teilnehmen. Ihm werden jede Woche neue Module zugespielt, mit denen er nicht nur Wissen über die Substanz und ihre Wirkung erwirbt, er kann auch ein Konsumtagebuch führen und bekommt wichtige Verhaltenstipps.

 Ein Ausstieg ist möglich

 "Welches sind die Orte, die Situationen, die Personen, die mich zum Kokainkonsum animieren? Wie kann ich mich dem entziehen?", sind einige der Fragen, mit denen der Teilnehmer sensibilisiert werden soll. Es ist ein längerer Prozess, der nicht gleichmässig verläuft, sondern meist mehrere Anläufe braucht, weiss Stark aus der Praxis. Habe man diesen Prozess aber einmal begonnen, so gebe es schon nach sehr kurzer Zeit deutlich weniger Konsum, und der komplette Verzicht könne nach einigen Monaten in greifbare Nähe rücken.

 Gain, medizinische Unterstützung bei Problemen in Zusammenhang mit Substanzkonsum, Tel. 044 444 14 20. Mo-Fr 9.00-17.30 Uhr.

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 Gain/Arud Zürich

 Gain ist ein medizinisches Zentrum der Arud Zürich (Arbeitsgemeinschaft für risikoarmen Umgang mit Drogen). Seit fast 20 Jahren berät und behandelt die Arud in ihren Suchthilfestellen und drei Polikliniken Menschen mit problematischem Drogenkonsum und ihre Angehörigen. Ausserdem unterhält sie ein Gesundheitsangebot für Männer, die Sex mit Männern haben.

 Gain setzt auf ein umfassendes Angebot aus einer Hand: Information, psychotherapeutische und medikamentöse Behandlung sowie sozialarbeiterische Unterstützung werden bei Bedarf miteinander verknüpft. Auch bei Fragen zu Partydrogen, Cannabis, Tabak-, Alkohol- oder Medikamentenmissbrauch stehen die Fachleute zur Verfügung.

http://www.gain-zh.ch, http://www.snowcontrol.ch

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La Liberté 7.12.10

Expérience au Portugal

 La drogue est une affaire de santé

 Le pays affiche aujourd'hui l'une des plus faibles consommations de drogues de l'Union européenne après le vote, il y a dix ans, d'une loi décriminalisant l'usage de stupéfiants. Ici, les toxicomanes sont des patients...

François Musseau reportage à Lisbonne

 Il est entré avec la mine déconfite et le regard fuyant de celui qui a été pris en faute. Joao est jardinier municipal. La veille, des policiers l'ont surpris dans les toilettes du square qu'il bichonne, en flagrant délit de chinesa - l'équivalent portugais de la "chasse au dragon" qui consiste à inhaler des vapeurs d'héroïne. Comme dans n'importe quel pays, Joao a dû passer au commissariat pour y faire une déposition. Mais ensuite, au lieu d'avoir affaire au Ministère de la justice, on lui a donné "rendez-vous" avec le Ministère de la santé: les flics l'ont dirigé vers une commission dite "de dissuasion" où l'accueilleront une équipe de psychologues, un juriste, un sociologue et des assistants sociaux. Joao disposait de soixante-douze heures pour s'y rendre. Il n'a laissé passer qu'une journée. Ce matin, le voici donc qui déboule, de lui-même, dans les locaux de la commission, au centre de Lisbonne. Il passe trois entretiens successifs. On conclut bientôt qu'il est toxicomane.

 "Dans un autre pays, on le considérerait comme un délinquant, passible d'une peine de prison. Au Portugal, c'est un patient. Les policiers et les juges n'ont pas leur mot à dire. C'est nous qui sommes en charge de son cas. Nous, les professionnels de la santé." Vasco Gomes, psychologue, la trentaine avenante, n'est pas peu fier de diriger la commission de dissuasion de la rue José-Estevao, à Lisbonne. C'est la plus importante des 20 commissions que compte le Portugal (il y en une par province): elle traite 2 000 dossiers par an. Dont 70% de consommateurs de haschisch, 10% de cocaïnomanes, 8% d'héroïnomanes, les autres prenant de l'ecstasy et autres drogues synthétiques.

 Trafiquant, le criminel

 Le cas de Joao n'est pas des plus faciles. Père de famille, jardinier, il avoue se shooter à l'héroïne dans des toilettes publiques depuis environ huit ans, deux à trois fois par jour, en cachette bien sûr. "Avant de l'envoyer dans un de nos centres de désintoxication, on va l'intégrer dans un groupe de motivation: tant qu'il n'aura pas la volonté d'arrêter, cela ne sert à rien de le traiter", dit Vasco Gomes.

 Au chapitre de la lutte contre la toxicomanie, le Portugal est un cas unique en Europe. Depuis la loi votée il y a dix ans, en novembre 2000, et entrée en vigueur un an plus tard, l'achat, la possession et l'usage de stupéfiants pour une consommation individuelle ont été décriminalisés. Toutes les drogues sont concernées: du haschisch à la coke en passant par l'héroïne. Cette législation ne doit rien à l'exemple néerlandais, pourtant célèbre.

 Là-bas, point de décriminalisation de l'usage des drogues, seulement une tolérance, qui ne concerne d'ailleurs que la marijuana: on peut en consommer, certes, mais seulement dans les coffee-shops titulaires d'une licence. "Notre révolution au Portugal a consisté à changer le regard porté sur le drogué: il n'est plus un salaud qu'il faut envoyer au tribunal puis en prison", dit le psychiatre Nuno Miguel, un des instigateurs de la loi, "mais un malade. Et en supprimant la différence entre consommation de drogues douces et dures, nous disons que le problème n'est pas la substance en elle-même, mais la relation à la substance." En clair, le toxicomane est un patient qui doit être soigné. Le trafiquant est un criminel passible de sanctions pénales qui restent inchangées.

 Importante distinction

 Encore faut-il distinguer le trafiquant de l'usager lors d'une arrestation... Celui qui est pris en possession de plus de dix jours de consommation (1 gramme d'héroïne, 2 grammes de cocaïne, 5 grammes de haschisch ou 2 grammes de morphine) est considéré a priori comme un trafiquant. Et, en dessous, comme un usager qui sera dirigé vers une commission de dissuasion.

 Commission bien nommée, puisque l'essentiel de sa mission est de dissuader les consommateurs occasionnels, les plus nombreux, de récidiver. Par un entretien, ou alors, s'il y a récidive, en sanctionnant l'infraction par une amende, voire un travail d'intérêt collectif. Quant au toxicomane, qui n'a plus aucun moyen d'entendre raison et de contrôler sa consommation, il sera dirigé vers un des 63 centres de désintoxication mis en place au Portugal au fil des vingt dernières années. Là, il sera pris en charge par des psychologues et des médecins. Gratuitement.

 © Libération

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 "Tout n'est pas parfait, loin de là"

 Le Portugal n'est pas pour autant un éden ignorant l'enfer de la drogue. Dans de nombreux quartiers de Lisbonne, à Quinta do Mocho, Chelas ou Cova da Moura, les trafiquants besognent activement. C'est même le cas à Casal Ventosa, l'ancien "supermarché de la drogue" rasé par les autorités. Ce dimanche, des dizaines d'acheteurs y défilent en voiture, les dealers vendent sans se cacher, et pas l'ombre d'un flic ou d'une unité de soins mobile à l'horizon; en contrebas, dans une décharge jonchée de seringues usagées, on se pique à l'héroïne... Luis Patricio fulmine: "Malgré tout le mal qu'on s'est donné, voilà que Casal Ventoso reprend du service!" Luis Patricio est psychiatre, un autre "père" de la loi, venu à Casal Ventoso faire du "terrain". "La vérité, c'est qu'on a relâché l'effort. Aujourd'hui, dans les centres, des médecins distribuent de la méthadone à l'aveuglette en se fichant pas mal du suivi psychologique des patients. Ça me rend fou de rage!" Les policiers, eux, se moquent de la décriminalisation de la consommation. Ils ne voient que son impact sur le trafic, nul. Beaucoup de petits dealers jouent avec la loi, se promenant avec la quantité maximale pour éviter le tribunal, et se réapprovisionnent plusieurs fois par jour. "En réalité, on ne donne pas souvent suite aux petites affaires de drogue, dit un commissaire de police. C'est de la paperasse pour rien, et on voit repasser souvent les mêmes dealers. Et puis, on a des problèmes autrement importants, les vols à la tire et les cambriolages." Vasco Gomes, le psychologue qui dirige la commission de dissuasion de Lisbonne, n'est pas dupe: "Je sais bien que des dealers passent par chez nous, et aussi des usagers occasionnels qui se moquent de nos conseils. Mais croyez-moi, on parvient à en dissuader plus d'un, en discutant, en imposant des petits travaux communautaires." "Tout n'est pas parfait, loin de là, convient le psychiatre Nuno Miguel. C'est vrai que les trafiquants rusent avec le système. Mais, les toxicomanes sont mieux pris en charge. Ce n'est pas seulement grâce à la loi, mais à ce formidable arsenal sanitaire qu'on a mis en place depuis vingt ans et sur lequel la loi a pu s'appuyer. Il est là, le succès portugais." FM

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 Un pays devenu un laboratoire européen

 En avril 2009, huit ans après l'implémentation de la loi, un rapport du Cato Institute, l'un des plus influents "think tanks" américains, décrit la réalité portugaise comme "un succès retentissant". Analysant les données européennes et portugaises, il fait apparaître que le pourcentage d'adultes prenant des drogues au Portugal est devenu l'un des plus faibles de l'Union européenne: 11,7% consommateurs de cannabis contre 30% au Royaume-Uni, 1,9% prennent de la coke contre 8,3% chez le voisin espagnol. Les 100 000 héroïnomanes d'avant la loi ne sont plus que 40 000. Et la proportion des 15-19 ans qui se droguent est passée de 10,8% à 8,6%. A la fin des années 90, la drogue était la première préoccupation des Portugais, elle se situe désormais à la 13e place...

 Le Portugal est devenu le laboratoire de la lutte contre la toxicomanie en ce début du XXIe siècle où des sommités (dont l'Espagnol Felipe Gonzalez) proposent de décriminaliser le commerce des drogues afin d'affaiblir les mafias qui vivent - et tuent - pour en maîtriser le trafic.

 "Et alors, ça marche vraiment votre système?" Cette question, Joao Goulao, directeur de l'Institut des drogues et de la toxicomanie (IDT), chargé de la mise en œuvre de la réforme, ne cesse de l'entendre ces temps-ci. Elle lui est posée par des parlementaires, des experts, des médecins de toute l'Europe. La décriminalisation "à la portugaise" est abordée au Parlement britannique, les Norvégiens parlent de voter une loi similaire...

 Héraut de la réforme, Joao Goulao modère les enthousiasmes: "La consommation de hasch reste importante, la coke suit le boom en Europe, les morts par overdose sont toujours nombreuses. Et, surtout, notre système n'est pas exportable car il est le fruit d'un long processus. Mais notre réussite, c'est d'avoir changé l'image de la toxicomanie: c'était une fatalité, banalisée au point de faire partie du paysage portugais. Elle est devenue une pathologie."

 L'autre réussite, c'est l'absence de remise en cause de la loi depuis son vote. Même la droite dure de Paulo Portas qui prophétisait, en 2001, "des biberons remplis d'héroïne" et "des hordes de jeunes drogués européens venant se piquer au Portugal" se tait aujourd'hui. La catastrophe annoncée n'a pas eu lieu, le narcotourisme n'a pas déferlé. Et puis, la loi a permis de faire des économies. FM

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AUTONOMIE
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Freies Sender Kobinat (Hamburg) 10.12.10

Die Autonomie und ihre Grenzen - Soziale Zentren in Kopenhagen und Hamburg

Podcastversion der Veranstaltungsaufzeichnung aus dem Hamburger Gängeviertel und erster Teil der Reihe "Wir gestalten die Stadt, in der wir leben wollen - aber wie?" in zwei MP3-Dateien

Am 25. November 2010 diskutierten Esk Katzeff von der Forschungsgruppe openhagen aus Kopenhagen, Hannah Kowalski vom Gängeviertel und ein Vertreter der Roten Flora, moderiert von Peter Birke, über das Thema "Die Autonomie und ihre Grenzen - Soziale Zentren in Kopenhagen und Hamburg".

Teil 1 (Hauptteil)
http://www.freie-radios.net/mp3/20101210-dieautonomi-37866.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=37866

Teil 2
http://www.freie-radios.net/mp3/20101210-dieautonomi-37867.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=37867

Aus der Ankündigung:

"Nicht weit entfernt vom Gängeviertel ist das wohl älteste soziale Zentrum Hamburgs, die Rote Flora, noch immer besetzt und noch immer bedroht. Vor dem Hintergrund der beiden Projekte wird darüber diskutiert, was "Autonomie" in der wachsenden Stadt bedeutet? Wie kann sie verteidigt werden und auf welchen Wegen kann sie verloren gehen? Und welche Erfahrungen gibt es mit diesen Fragen in Kopenhagen, wo die Ungdomshus-Bewegung 2006/2007 die Stadtpolitik ebenso herausgefordert hat wie aktuell die Konflikte um ein "Recht auf Stadt" in Hamburg."

Und allgemein zur Veranstaltungsreihe heisst es weiter:

"Mit der Besetzung des Gängeviertels ist ein unverhoffter Möglichkeitsraum mitten in Hamburg entstanden. Die Initiative "Komm in die Gänge" und tausende HamburgerInnen haben die Stadt zum Rückkauf des historischen Viertels bewogen. Die zwölf Häuser sind ein Versuch, selbstorganisierte künstlerische Praxis mit der Kritik an sozialer Ungleichheit in der Stadt zu verknüpfen. Die derzeitige Stadtregierung hat diesen Versuch zunächst akzeptiert. Seit Monaten verhandelt diese nun mit der Initiative über die zukünftige Entwicklung. Die Initiative möchte das Gängeviertel als kulturellen und politischen Ort erhalten. Das Gängeviertel muss ein öffentlicher Ort werden, an dem soziale und stadtgesellschaftliche Aufgaben verhandelt und angegangen werden.

Es ist geplant, dass große Teile des Viertels als soziokulturelle Flächen von vielen HamburgerInnen genutzt werden und sozialverträglicher Wohn- und Arbeitsraum entsteht. Doch diese Zukunft des Gängeviertels ist noch lange nicht gesichert. Das Recht auf Stadt muss hier, wie an vielen anderen Orten, von handlungswilligen Menschen Tag für Tag aktiv gestaltet und gegen viele Interessen durchgesetzt werden, die einer gerechteren urbanen Zukunft entgegenstehen.

Die Weiterführung der Diskussionsreihe im Gängeviertel fragt nach Handlungsoptionen, Beweggründen und Zielsetzungen dieser Menschen. Wie können Freiräume erhalten und der profitmaximierten Verwertung durch den Immobilienmarkt entzogen werden? Sind die zumeist prekären Arbeitsverhältnisse so genannter "Kreativer" eine Chance für den gesellschaftlichen Wandel oder Zwang zur Selbstausbeutung im Sinne neoliberaler Wirtschaftspolitik? Welche Möglichkeiten gibt es, erfolgreichen Widerstand zu praktizieren ohne letztendlich vom "Unternehmen Stadt" instrumentalisiert zu werden? Menschen aus Hamburg und weiteren europäischen Großstädten berichten von Ihren Erfahrungen und Beobachtungen. Und alle sind herzlich eingeladen mit zu diskutieren."

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MIGRATION CONTROL
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linksunten.indymedia.org 10.12.10

Frontex Versenken!

Verfasst von: Antirassist_in. Verfasst am: 10.12.2010 - 10:37.

Vor 20 Jahren fiel die Berliner Mauer, doch damit sind die Grenzen und die Morde an diesen nicht weniger geworden, vielmehr haben sie sich nur verschoben. Nun werden Menschenrechte nicht mehr an den Grenzen in der Mitte Europas, sondern an den Aussengrenzen gebrochen und somit in der Öffentlichkeit weit weniger wahrgenommen. Mit den neue Frontlinien wurden neue Bollwerke gegen die "Invasion" der Notleidenden nötig, um den materiellen Wohlstand der westlichen kapitalistischen Nationalstaaten zu wahren. Frankreich und Deutschland sind federführend für die Organisation des Schutzes ihrer Systeme und Interessen. Für diesen Zweck wurde FRONTEX gegründet.

Frontex ist die Europäische Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Außengrenzen mit deren Hilfe der Fortbestand des Kapitalismus mit seiner Ungerechtigkeit und all dem Leid weiter global forciert wird.

Grundlage ihrer Arbeit ist die Verordnung (EG) 2007/2004 des Rates der Europäischen Union. Am 26. Oktober 2004 verabschiedet der Rat der Europäischen Union besagte Verordnung zur Schaffung der Agentur Frontex. Ihre Hauptaufgabe, so sieht es die Verordnung vor, sollte in der Verbesserung der Koordinierung der operativen Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedstaaten im Bereich des Schutzes der Außengrenze der Mitgliedstaaten liegen. Gleichzeitig wird aber auch die Unterstützung der Mitgliedsstaaten in ihrer hoheitlichen Aufgabe der Grenzsicherung, sowie der Abschiebung von nicht aufenthaltsberechtigten Ausländern, hervorgehoben.

Im Mai 2005 nahm Frontex seine teilweise sicherheitspolitisch als notwendig erklärte oder aber teilweise ganz verschwiegene Arbeit auf. Im September 2007 wurde das Hauptquartier in Warschau, Polen bezogen. Seitdem ist Frontex schnell gewachsen. Von 2008 (42 Millionen Euro) auf 2010 wird das Budget auf 87 Mio Euro mehr als verdoppelt. Auf das Budget beschränkt sich schon die parlamentarische Kontrolle der Agentur. Oberstes Gremium von Frontex ist der Verwaltungsrat. Bei den Vertretern der Mitgliedstaaten handelt es sich meist um die höchsten Beamten der nationalen Grenzpolizeien.

Da sich Frontex als Agentur an der Schnittstelle von Grenzpolizei und Geheimdiensten sieht, werden diese Informationen nicht veröffentlicht, sondern nur an die Grenzbehörden der Mitgliedsstaaten und Institutionen, wie etwa Europol, übermittelt. Daher ist eine Überprüfung durch die Öffentlichkeit nicht gewährleistet. Seit den 90er-Jahren entsendet die Europäische Union technische Berater, vor allem in Länder, die als Beitrittskandidaten die Eindämmung der Zuwanderung organisieren sollen. Und 2004 wurde die "feste Ansiedlung von Verbindungsnetzen für Einwanderungsangelegenheiten in den relevanten Drittländern" beschlossen, mit dem Ziel, "die Regulierung von Wanderungsbewegungen […] zu verbessern, illegale Zuwanderung zu verhindern und zu bekämpfen […] sowie die Rückkehrproblematik anzugehen".

Hier erscheint die Zuwanderung schon als "illegal", bevor sie überhaupt stattfindet. Und die wichtigste Aufgabe der Mitarbeiter jener Verbindungsnetze sollte darin bestehen, den lokalen Behörden auf den Flughäfen bei der Überprüfung der Reisedokumente zur Hand zu gehen - eine Praxis, die nicht zuletzt auch eine Missachtung der Souveränität des Abfluglandes bedeutet.

Diese Quasiprivatisierung der Kontrollen reduziert automatisch den Überprüfungsaufwand am Zielort der Reise. Aber die Folgen dieser Praxis sind weitreichender: In Fällen, bei denen der Grund der Ausreise darin besteht, in einem anderen Land Schutz zu finden und Asyl zu beantragen, kann man den betreffenden Personen nicht ihre "Illegalität" oder ein fehlendes Visum vorwerfen. In jedem Fall müssten sie zunächst einmal im Zielland ankommen, bevor sie abgewiesen werden können. Im August 2007 verurteilte ein italienisches Gericht sieben tunesische Fischer wegen "Beihilfe zur illegalen Einwanderung" zu Gefängnisstrafen und konfiszierte ihre Boote. Ihr Vergehen bestand darin, die Passagiere eines sinkenden Flüchtlingsboots gerettet und gemäß den Bestimmungen des internationalen Seerechts in den nächstgelegenen Hafen Lampedusa gebracht zu haben. So wird die Hilfe für Menschen in Todesnot illegalisiert, nur weil sie nicht dem rassistischen Weltbild des verwertbaren Humankapitals entsprechen.

Seit 2005 koordiniert Frontex die Abfangaktionen auf See. Ihr Einsatzgebiet erstreckt sich von der afrikanischen Küste über die Kanarischen Inseln bis in die Straße von Sizilien. Auch hier lässt sich vermuten, dass Menschen gezielt und direkt ermordet werden. So gibt es verschiedene Zeugenaussagen, die nahelegen, dass auch europäische Küstenwachen gezielt Flüchtlingsboote versenken. Der spanische Ministerpräsident Zapatero konnte Ende 2009 erfreut bekannt geben, dass sich die Zahl der auf dem Seeweg ins Land gelangten Illegalen halbiert habe. Allerdings scheint die Zahl derer, die auf den Migrationsrouten durch die Wüste und über das Meer ihr Leben lassen, nicht gesunken zu sein. Durch die neu errichteten Hindernisse lassen sich die zur Auswanderung Entschlossenen nicht abschrecken. Sie sind nun aber gezwungen, längere und gefährlichere Routen zu wählen. Das Interesse der EU-Staaten ist also klar die Verringerung der Einwanderung auf Kosten von Menschenleben. Die Vorschriften für die Zuwanderung in EU-Staaten sehen vor, Migranten darauf zu überprüfen, ob sie als Asylbewerber in Frage kommen. Unter welchen Umständen (und ob überhaupt) dies bei den Frontex-Einsätzen in irgendeiner Weise geschieht, ist unklar, da das Programm keinerlei demokratischer Kontrolle untersteht. Aber vermutlich wird dieses Menschenrecht stark vernachlässigt oder gar ganz igrnoriert.

Die Externalisierung der Grenzüberwachung bildet ebenso den Hintergrund für die "globale Partnerschaft mit den Herkunfts- und Transitländern", die von den 27 EU-Staaten 2008 im "Europäischen Pakt zu Einwanderung und Asyl" beschlossen wurde. Die treibende Kraft hinter dieser Entschließung war Frankreich, das die Bekämpfung der "geduldeten Zuwanderung" (immigration subie) zum politischen Thema seiner damaligen Ratspräsidentschaft gemacht hatte. Unter Berufung auf die "Förderung von Synergien zwischen Migration und Entwicklung" drängt der Pakt jene Länder weiter in die Rolle von Grenzwächtern der EU, aus denen die Migranten kommen oder durch die sie ihren Weg nach Europa finden. Als Gegenleistung für den Schutz Europas von Außen, winken ihnen politische oder finanzielle Vergünstigungen.

So erhielt Marokko 2008 mit der Gewährung des "fortgeschrittenen Status" (statut avancé) im Verhältnis zur EU den Lohn für seine anhaltenden Bemühungen, den europäischen Erwartungen in der Migrationspolitik zu entsprechen. Im Oktober 2005 waren bei dem Versuch, die Drahtzäune der spanischen Enklaven Ceuta und Melilla zu überwinden, etwa zwanzig Menschen aus den Subsahara-Ländern ums Leben gekommen, weil sie stürzten, erstickten oder weil die marokkanische Armee sie unter Beschuss nahm. Die marokkanische Führung versuchte nicht, dieses Massaker zu verheimlichen - und auch nicht, dass anschließend Migranten in ein Wüstengebiet an der abgeriegelten Grenze zu Algerien gebracht wurden, was weitere Todesopfer forderte.

Mit dieser Vorverlagerung von Abwehrmaßnahmen, für die das Frontex-Programm das Paradebeispiel ist, können sich die europäischen Staaten überdies der Verpflichtung zur Achtung von Grundrechten entziehen, die sie für ihr eigenes Territorium durch die Ratifizierung internationaler Konventionen eingegangen sind.

So sind Deutschland und Frankreich als Achsenmächte in Europa die Urheber von Schießbefehlen an den EU-Außengrenzen und es ist nicht zu erwarten, dass diese jemals juristisch aufgearbeitet werden, wie es vermeintlich in Deutschland nach der Wiedervereinigung der Fall ist. Daher ist klar zu erkennen, dass hier mit minderwertigem Leben "gerechnet" und rassistischer Mord mit Unterstützung zumindest gebilligt wird.

So wird wiedereinmal gezeigt, wie sich Deutschland (und natürlich auch Frankreich) als Schreibtischtäter oder seltener direkt an grenzenlosen Verbrechen schuldig macht und damit rechnet, nie dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden.

Für einen D-Day der unterdrückten Massen!

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20 Minuten 10.12.10

Erektionstest für Gay-Asylbewerber

 PRAG. In Tschechien mussten schwule Asylbewerber Hetero-Pornos schauen. Damit wollten die Beamten deren Homosexualität überprüfen.

 Die EU hat nun Tschechiens Behörden für diese Erektionstests bei homosexuellen Asylbewerbern kritisiert. Bei den Tests wurden Asylbewerbern heterosexuelle Pornofilme gezeigt und ihnen dabei der Blutfluss zum Penis gemessen. Damit sollte nach Prager Angaben überprüft werden, ob die Asylbewerber, die eine Verfolgung wegen Homosexualität in ihrem Heimatland geltend machen, in Wahrheit heterosexuell sind. Ein Sprecher des Prager Innenministeriums sagte gestern auf DPA-Anfrage, die "phallometrischen Tests" würden seit Beginn 2010 nicht mehr ausgeführt.

 Die EU-Grundrechteagentur hatte das tschechische Vorgehen in einem Bericht kritisiert. Es sei für die Asylbewerber entwürdigend und verstosse mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die EU-Grundrechtecharta. Tschechiens Innenminister Radek John hatte dagegen die Tests verteidigt. "Die Asylbewerber müssen den tschechischen Behörden überzeugend beweisen können, dass sie Homosexuelle sind", sagte der Minister am Mittwoch im tschechischen Radio. Andernfalls habe der Betroffene keinen Anspruch auf Asyl. "Dann soll er doch in ein Land gehen, wo diese Tests nicht durchgeführt werden, und dort Asyl beantragen." Die betroffenen Asylbewerber hätten nach Angaben des Ministeriums selbst um diese Tests gebeten oder ihnen zumindest zugestimmt.

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20min.ch 9.12.10

Asylverfahren: EU rügt Penistests für Schwule

 Kein Witz: Bis vor kurzem mussten sich schwule Asylbewerber in Tschechien Hetero-Pornos anschauen - und so ihre sexuelle Orientierung "beweisen".

Antonio Fumagalli

 Es hört sich wie eine geschmacklose Szene in einem schlechten Film an: Männer, die in der Tschechischen Republik Asyl beantragten und dabei angaben, in ihrem Heimatland aufgrund von ihrer Homosexualität verfolgt zu werden, mussten einen sogenannten "phallometrischen Test" über sich ergehen lassen. Dabei führte man dem Probanden heterosexuelle Pornofilme vor, gleichzeitig wurde ihm der Blutfluss zum Penis gemessen.

 Regte sich zwischen den Beinen des Asylbewerbers zu viel, war dies nach der Logik der tschechischen Behörden ein Indiz dafür, dass er in Tat und Wahrheit ein verkappter Hetero ist. "Eine absurde Methode", sagt Sexualberater Bruno Wermuth, "beim Betrachten eines Hetero-Pornos eine Erektion zu haben, ist kein Beweis dafür, dass man heterosexuell orientiert ist."

 "Schlimmer Fall von Diskriminierung"

 Auch die Schwulenorganisation Pink Cross ist empört über die tschechische Praxis: "So was Geschmackloses habe ich noch nie gehört. Ein schlimmer Fall von Diskriminierung, der aufs Schärfste verurteilt gehört", sagt Geschäftsführer Uwe Splittdorf.

 Publik wurde der Fall, weil das Verwaltungsgericht des deutschen Bundeslandes Schleswig-Holstein die Wegweisung eines iranischen Asylbewerbers nach Tschechien verweigert hatte - dies, weil der Iraner dort den "phallometrischen Tests" ausgesetzt gewesen wäre.

 Kritik von der EU

 Die EU hat umgehend reagiert: Die Peniskontrollen seien für die Asylbewerber entwürdigend und verstiessen mit hoher Wahrscheinlichkeit gegen die Grundrechtcharta der EU. Denn: Weigerte sich ein Mann, den Test zu absolvieren, konnte dies die Beendigung des Asylverfahrens nach sich ziehen.

 Laut "Spiegel Online" führt die Tschechische Republik die umstrittenen Tests seit Anfang dieses Jahres nicht mehr durch. Die Tragweite der Diskriminierung scheint aber noch nicht bis auf alle Regierungsstufen durchgedrungen zu sein. Tschechiens Innenminister Radek John sagte noch gestern Mittwoch: "Wer sich beklagt, soll doch in ein Land gehen, wo diese Tests nicht durchgeführt werden und dort Asyl beantragen."

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La Liberté 9.12.10

Entre Grèce et Turquie.

 La dernière porte de l'Europe

 Une douzaine de kilomètres de frontière est devenue la principale porte d'entrée de l'immigration illégale dans l'UE. Une force européenne tente de verrouiller ce passage emprunté, en 2010, par 34 000 clandestins.

 PHILIPPE CERGEL Orestiada (Thrace, Grèce)

 En ce dimanche de novembre, jour de fête des forces armées grecques, alors que la musique militaire retentit devant le monument aux morts d'Orestiada, la principale ville de garnison de la Thrace, avec ses magasins d'armes et d'uniformes, ses bars à soldats et ses lupanars, un groupe d'une vingtaine d'hommes attend patiemment sous le préau du commissariat, à quelques dizaines de mètres de là.

 Certains fument, d'autres ont un portable collé à l'oreille et tous discutent dans une ambiance bon enfant sous l'œil indifférent de deux policiers. Ils ont des barbes de plusieurs jours, les visages creusés par le manque de sommeil. Tous ont le bas de leur pantalon mouillé et les chaussures gorgées d'eau: ils viennent de franchir l'Evros, la rivière toute proche.

 Passage clandestin

 "Nous étions tous rassemblés dans une maison à Istanbul et nous avons payé 2000 dollars (1500 euros) chacun pour le passage", explique un des hommes en anglais. "On nous a transportés en car jusqu'à une ville près de la frontière et après, c'est une voiture particulière, qui a fait trois ou quatre voyages et nous a tous amenés au bord de l'eau. Là, quelqu'un nous a fait traverser le fleuve en bateau et nous a laissés sur l'autre rive en nous disant que c'était la Grèce, avant de repartir. Nous avons ensuite marché pendant dix heures pour venir ici."

 Ils sont venus de leur propre gré dans ce poste de police. C'est une étape obligatoire avant la poursuite d'un voyage dont les destinations finales sont bien plus à l'ouest et au nord: Italie, Allemagne, France, Belgique, Finlande... Leurs identités n'ont pas d'importance, leurs origines non plus, d'ailleurs ils n'ont pas de papiers et les noms qu'ils donnent sont faux. L'essentiel pour eux, c'est de faire en sorte qu'on ne puisse pas les expulser.

 Camp de rétention

 Sortis du brouillard épais qui tombe avant la nuit et se lève presque à midi sur cette plaine du fleuve frontalier, ils restent un bref moment sous la lumière des interrogatoires et dans les dortoirs du camp de rétention de Filakio, à une vingtaine de kilomètres plus au nord, le temps d'obtenir un document les enjoignant de quitter le pays dans les trente jours. Un laissez-passer, en quelque sorte, qui les plongera dans une nouvelle clandestinité.

 Franchir un pont...

 "Les Blancs disent qu'ils sont palestiniens et les gens de couleur somaliens pour devenir inexpulsables et libérables de suite", explique Georges Salamagas, le chef de la police d'Orestiada. Malgré l'interpellation d'une quarantaine de passeurs turcs sur le fleuve, quelque 34 000 immigrés, selon lui, ont franchi la frontière gréco-turque dans sa région depuis le début de l'année. Une augmentation vertigineuse par rapport aux années précédentes, due à la fermeture progressive des autres circuits de l'immigration illégale.

 Pour verrouiller ce point de passage, Frontex (Agence européenne pour la gestion de la coopération opérationnelle aux frontières extérieures) a étendu depuis le 2 novembre son programme "Poséidon" de surveillance des frontières maritimes lancée en 2006 à une opération d'aide au contrôle des frontières terrestres entre la Grèce et la Turquie. A la demande d'Athènes, 175 gardes-frontière de 26 nationalités, basés à Orestiada, patrouillent avec les policiers grecs le long des 12,5 km où l'Evros, barrière naturelle entre la Grèce et la Turquie, fait un coude en territoire turc, près de la ville d'Edirne, facilitant le passage.

 Là, il suffit en effet de franchir un pont et la Grèce n'est qu'à dix minutes de marche. "Certains jours, nous interpellons plus de 300 clandestins, dit un policier, certains errent sur les routes, d'autres attendent sagement à la gare de Nea Vyssa, le village le plus proche de la frontière, qu'on aille les chercher ou alors ils viennent directement au commissariat."

 Pas de chasse à l'homme ni de course-poursuite spectaculaire avec projecteurs, chiens hurlants et hélicoptères tournoyant dans la nuit. Les "Equipes d'intervention rapide aux frontières" de Frontex ("Rabit" selon l'acronyme anglais) disposent certes d'un hélicoptère fourni par la Roumanie mais ses apparitions sont assez espacées et en général, il vole à une hauteur de plus de 3000 mètres.

 Quant à l'utilisation des armes de service dont les policiers de Frontex sont dotés par leur pays d'origine, "elle est strictement réservée aux cas de légitime défense et nous n'avons à faire qu'à des gens qui tentent de franchir la frontière. Pas à des passeurs", souligne un brigadier-chef de la Police de l'air et des frontières (PAF).

 Français sur le front

 Ce Breton trentenaire habitué de la coopération européenne pour les contrôles sur les trains Eurostar et Thalys est l'un des neuf Français qui participent à l'opération Frontex. Sa mission est d'effectuer des patrouilles motorisées le long de la frontière dans une zone militaire interdite aux journalistes. Des vacations de huit heures qui réunissent, vingt-quatre heures sur vingt-quatre, des officiers de diverses nationalités sous un commandement grec.

 Caméra peu efficace

 "En nous voyant, nombreux sont ceux qui rebroussent chemin pour tenter de passer un peu plus loin", commente le brigadier-chef. Les Bulgares Georgi et Vladislav ont un autre travail: postés dès la tombée de la nuit sur une colline dans leur van équipé d'un dispositif de détection thermique ("le meilleur de la place", disent avec envie leurs collègues grecs), ils scrutent l'écran sur lequel apparaît un massif d'arbres en négatif dans la plaine en contrebas. En cas de mouvement suspect, ils doivent avertir une patrouille qui ira vérifier sur place. Malgré sa sophistication, la caméra perd beaucoup de son efficacité par temps de brouillard et ses utilisateurs admettent que, depuis leur arrivée, ils n'ont encore rien détecté. © Libération

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 plutôt terre que mer...

 Selon les statistiques de Frontex, l'Agence européenne pour la gestion de la coopération opérationnelle aux frontières extérieures, entre 2009 et 2010, les arrivées aux Canaries ont baissé de 99%, à Malte de 98%, en Italie de 65%, en Espagne et dans les pays d'Europe de l'Est de plus de 20%.

 Depuis le début 2010, en Grèce, les passages des frontières maritimes ont baissé de 76% mais ceux des frontières terrestres ont augmenté de 415%! Les trois quarts de ces entrées illégales se sont effectuées dans la région d'Orestiada: ce bout de frontière terrestre entre la Grèce et la Turquie est aujourd'hui la principale porte d'entrée de l'immigration clandestine en Europe. PC

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 Rendre la frontière étanche reste impossible

 Malgré le caractère peu efficace de la surveillance de la frontière terrestre entre Grèce et Turquie, côté grec, on se félicite déjà. "Pendant les deux semaines qui ont précédé l'arrivée des "Rabit" (voir ci-dessus), nous avions en moyenne une arrivée de 130 clandestins par jour. Quinze jours après, nous étions tombés à 80, soit une baisse de 40%", se réjouit le commandant Salamagas qui apprécie les renforts en patrouilles mais aussi en logistique, avec l'arrivée d'interprètes ou de "screeners", ces spécialistes de la détermination du pays d'origine de l'immigré pour permettre son éventuelle expulsion et dont la Grèce ne disposait pas jusqu'à présent.

 Sous contrôle "Aujourd'hui, nous parvenons à récupérer 100% des immigrants qui pénètrent dans le secteur, à les enregistrer et à les traiter dans le respect des droits de l'homme. Toute la chaîne, de la frontière jusqu'au centre de rétention, est sous contrôle", assure le Norvégien Tor Johansen, coordinateur de Frontex avec les autorités helléniques. Il sait pourtant, tout comme l'inspecteur Georges Petropoulos, porte-parole de la police d'Orestiada, qu'il est impossible de parvenir à une étanchéité totale de la frontière à moins d'ériger une barrière comme autour des enclaves espagnoles du Maroc ou entre les Etats-Unis et le Mexique. Mais il s'agit là d'une décision bien au-delà de leurs compétences, de même que les pressions politiques susceptibles d'amener la Turquie à appliquer l'accord lui imposant de réadmettre les clandestins venus de son territoire.

 Réforme En attendant, le ministre grec de la Protection du citoyen, Christos Papoutsis, vient d'annoncer une réforme des procédures du droit d'asile, promettant d'examiner les demandes dans un délai maximum de trois mois, ainsi que l'ouverture de centres de rétention supplémentaires et mieux équipés qui éviteront à la Grèce de nouvelles condamnations pour manquement au respect des droits de l'homme.

 D'ici là, tous les matins, à l'arrêt des cars interurbains devant le centre de Filakio se pressent des dizaines de candidats à une vie meilleure. Munis du papier qui leur permet de rester dans le pays pendant un mois sans être inquiétés, ils prendront un billet pour un autre voyage d'un millier de kilomètres jusqu'à Athènes. Ils rejoindront les dizaines de milliers de migrants qui errent là, à la recherche d'un nouveau moyen de fuir la misère... PC

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ANTI-ATOM
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Bund 10.12.10

Stadt soll AKW-"Schrottreaktor" Mühleberg klar bekämpfen

 Eine links-grüne Mehrheit im Stadtrat will, dass Bern den Schutz der Bevölkerung vor dem alten, "gefährlichen" AKW Mühleberg verstärkt.

 Markus Dütschler

 Wenn AKW drauf steht, ist Konflikt drin. So war es auch gestern im Berner Stadtrat. Zwar oblag dem Parlament keineswegs der Entscheid für oder gegen einen Neubau des Kernkraftwerks Mühleberg. Ausserdem hat das Stadtberner Stimmvolk kürzlich an der Urne einen Pflock in der Energiepolitik eingeschlagen, indem es sich für einen Ausstieg der Stadt Bern aus der Atomenergie bis ins Jahr 2039 entschieden hat.

 Abgestimmt wurde im Stadtrat lediglich über ein Postulat, das den Gemeinderat bittet, einem Solidaritätskomitee beizutreten. Dieses AKW-kritische Bündnis, dem auch die Stadt Genf beigetreten ist, akzeptiert den Entscheid des eidgenössischen Energiedepartements Uvek nicht, das dem AKW Mühleberg vor fast genau einem Jahr eine unbefristete Betriebsbewilligung erteilt hatte. Das Bündnis zieht den Entscheid ans Bundesverwaltungsgericht weiter. Laut der Fraktion Grünes Bündnis/Junge Alternative soll hier die Stadt Farbe bekennen.

 "Was tut die Stadt Bern, um die Bevölkerung vor dem altersschwachen Schrottreaktor Mühleberg zu schützen?", so lautet der Titel des GB/JA-Postulats. In der Diskussion erinnerte Lea Bill (JA) an die Katastrophe von Tschernobyl 1986. Mühleberg sei schlechter als mancher Reaktor in Russland und der Ukraine, die Haftungssummen seien lächerlich tief. Die Freisinnigen lehnten den Vorstoss ab, sagte Bernhard Eicher (JF), der absichtlich abseits des Mikrofons sprach, um die Folgen einer Stromlücke zu demonstrieren. Der nun parteilose, aber immer noch kampflustige Peter Wasserfallen empörte sich über den "tendenziösen Titel" des Postulats.

 Mit einer 2:1-Mehrheit bittet der Rat die Stadtregierung, dem Solidaritätskomitee beizutreten und ihre Haltung zur Betriebsverlängerung und zum Neubau in Mühleberg zu klären. Zudem soll der Gemeinderat zeigen, wie es um den Schutz der Bevölkerung vor dem "altersschwachen Schrottreaktor" stehe. Der Gemeinderat war zum Teil gegen das Postulat, weil Sicherheitsfragen von Kernkraftwerken Bundessache seien.

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BZ 10.12.10

BKW schreibt Auftrag für neues AKW aus

 AtomenergieSeit dieser Woche läuft die Ausschreibung für den Ersatz der AKW in Mühleberg und Beznau.

 Die Planungsfirma Resun AG mit Sitz in Aarau hat diese Woche die Aufträge für die neuen Atomkraftwerke an den Standorten Beznau AG und Mühleberg BE öffentlich ausgeschrieben. Obwohl der Kanton Bern erst im kommenden Februar über die Vernehmlassung zum Bau eines neuen AKW abstimmt, laufen die Planungen des bernischen Stromversorgers BKW bereits auf Hochtouren. An der Resun AG ist neben der Axpo AG (57,75 Prozent) und der Axpo-Konzerngesellschaft Centralschweizerische Kraftwerke AG (11 Prozent) auch die BKW mit 31,25 Prozent beteiligt. Die Planungsgesellschaft ist für die Gesuchsunterlagen und die Erlangung der Bewilligungen zuständig. Um überhaupt ein Baubewilligungsgesuch beim Bund einreichen zu können, brauche man einen Anlagebauer, erklärte Cindy Mäder, Kommunikationsleiterin der Resun AG, gegenüber der Nachrichtenagentur SDA. Deshalb sei die Ausschreibung, welche der "Bund" publik machte, zu einem solch frühen Zeitpunkt erfolgt.

 Beim Bund sind derzeit drei Rahmenbewilligungsgesuche für neue Atomkraftwerke hängig. Der Bundesrat wird voraussichtlich Mitte 2012 entscheiden, danach kommen das Parlament und das Volk zum Zug.
 sda

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Bund 10.12.10

AKW-Gegner dürfen Riss-Gutachten sehen

 Die BKW muss Einblick in das Gutachten zu den Rissen im Kernmantel des AKW Mühleberg gewähren. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht im Verfahren zur unbefristeten Betriebsbewilligung für den alten Reaktor entschieden.

 Simon Thönen

 Im Kanton Bern läuft gegenwärtig der Abstimmungskampf über ein neues Atomkraftwerk in Mühleberg an. Doch umstritten ist auch, wie sicher das bestehende AKW Mühleberg noch ist. 108 Anwohner haben im Februar die unbefristete Betriebsbewilligung angefochten, die das Eidgenössische Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) dem schon fast vierzigjährigen AKW erteilt hatte.

 Um zu belegen, dass der Reaktor nicht mehr genügend sicher sei, verlangten die Beschwerdeführer Einblick in die Sicherheitsunterlagen. Gestern publizierte das Bundesverwaltungsgericht nun dazu einen Zwischenentscheid: Die Beschwerdeführer erhalten Einblick in einen Teil der verlangten Akten. So in ein externes Gutachten von 2006 zu den altersbedingten Rissen im Kernmantel von Mühleberg - einem Problem, das AKW-Gegner seit langem als Sicherheitsrisiko bezeichnen. Die Betreiberin BKW Energie AG muss zudem Einsicht in drei weitere Sicherheitsdokumente geben, die sie als "intern" abgestempelt hatte. Dazu erhalten die Beschwerdeführer Einsicht in jene Dokumente, bei denen die BKW und das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) keine Einwände erhoben hatten. Eine ganze Serie von Akten, die das Ensi als "vertraulich" klassiert hatte, dürfen sie gemäss Bundesverwaltungsgericht jedoch nicht einsehen.

 Mühleberg-Gegner: "Teilerfolg"

 Als "Teilerfolg" bezeichnete der Anwalt des Komitees Mühleberg-Ver-fahren, Rainer Weibel, den Gerichtsentscheid. "Wir erhalten Einsicht in gewisse Unterlagen, die man uns nicht zeigen wollte. Wir hoffen, dass wir damit unsere Kritik an Sicherheitsmängeln in Mühleberg präzisieren können."

 Allerdings würden den Beschwerdeführern, so Weibel, "auch weiterhin ganz wesentliche Akten vorenthalten". So etwa der periodische Sicherheitsbericht. Er könne noch nicht sagen, ob er seinen Klienten empfehlen werde, den Entscheid anzufechten. "Wir werden nun prüfen, ob die gewährte Einsicht einstweilen ausreicht. Wir können den Akteneinsichtsentscheid auch noch mit einer allfälligen Beschwerde gegen den Endentscheid des Bundesverwaltungsgerichts anfechten."

 Den Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts können alle Prozessparteien innert dreissig Tagen beim Bundesgericht anfechten. Ob sie dies tun werden, wollten gestern auch die BKW und das Bundesamt für Energie (BFE) nicht sagen. "Wir haben den Entscheid eben erst erhalten und analysieren ihn nun", sagte BFE-Sprecher Matthieu Buchs. Die BKW prüfe den Entscheid intensiv und werde rasch entscheiden, sagte Sprecher Antonio Sommavilla. "Im Kernkraftwerk Mühleberg haben wir keine Sicherheitsdefizite, und wir haben auch nichts zu verbergen", betonte er. Dass die BKW dennoch ganze Aktenkategorien als "intern" gestempelt hatte, begründete er mit "den Geheimhaltungsinteressen von Drittfirmen".

 Mühleberg 2012 abschalten?

 Falls niemand den Entscheid zur Akteneinsicht anfechten sollte, werden die Beschwerdeführer Einsicht nehmen und ihre Kritik an den Sicherheitsmängeln des Atomkraftwerks präzisieren. Noch 2011 dürfte das Bundesverwaltungsgericht dann den Entscheid in der Hauptfrage fällen: ob Mühleberg eine unbefristete Betriebsbewilligung behält. Auch dieser Entscheid kann ans Bundesgericht weitergezogen werden.

 Falls die Beschwerdeführer gewinnen, bleibt die Betriebsbewilligung befristet bis 31. Dezember 2012. Das AKW müsste also auf diesen Zeitpunkt hin abgeschaltet werden. Die Betriebsdauer von vierzig Jahren entspräche, nebenbei bemerkt, jener, die die deutsche Regierung unter Angela Merkel für ebenso alte deutsche AKW festgelegt hat. Möglich wäre allerdings auch, dass die schweizerischen Bundesbehörden die Bewilligung für Mühleberg um einige Jahre verlängern könnten.

 Auswirkungen auf neue AKW

 Das Verfahren um die unbefristete Betriebsbewilligung für Mühleberg ist jedoch über dieses einzelne Kernkraftwerk hinaus von Bedeutung. Denn es handelt sich um das erste Verfahren nach dem neuen Kernenergiegesetz. Dieses ist auch für die Bewilligung von neuen AKW massgebend.

 Die kantonale Volksabstimmung vom 13. Februar über ein neues AKW in Mühleberg ist zwar politisch wichtig. Einen verbindlichen Entscheid über die Rahmenbewilligung für neue AKW wird voraussichtlich aber erst das Schweizervolk 2013 oder 2014 in einer Referendumsabstimmung fällen. Dies wäre jedoch erst der Grundsatzentscheid.

 Danach würden, sofern das Volk Ja sagen sollte, erst die Bau- und die Betriebsbewilligungsverfahren folgen. Denn zum Zeitpunkt der schweizerischen Volksabstimmung werden die konkreten Details der AKW-Projekte noch nicht feststehen, wahrscheinlich werden sich die Betreiber nicht einmal definitiv auf den Reaktortyp festlegen. Strittige Fragen um die Sicherheit der neuen AKW würden deshalb erst nach der Volksabstimmung im Bau- und Betriebsbewilligungsverfahren geklärt - inklusive der Möglichkeit, Entscheide der Behörden vor Gericht anzufechten.

 Dabei wird erneut die Frage zentral sein, welche Sicherheitsakten Beschwerdeführer einsehen dürfen. Beim aktuellen Entscheid fällt auf, dass das Bundesverwaltungsgericht ganze Aktenkategorien aus Sicherheitsgründen unter Verschluss halten will. Bei Terroranschlägen bestehe die "Gefahr einer grossräumigen radioaktiven Verstrahlung", argumentierte das Gericht. Das Dilemma besteht darin, dass Sicherheitsakten, die Terroristen interessieren könnten, oft auch Aufschluss darüber geben, wie sicher ein AKW ist - was ja in atomrechtlichen Verfahren die Hauptfrage ist.

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BZ 10.12.10

AKW-Gegner erhalten Akten-Einsicht

 MühlebergDas Bundesverwaltungsgericht gewährt beschränkte Einsicht in Akten des AKW Mühleberg. Vertrauliche Dokumente werden davon ausgeschlossen.

 Die Gegner des AKW Mühleberg erhalten laut einem Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts beschränkte Einsicht in interne Akten des Atomkraftwerks. Unter Verschluss bleiben laut Gericht aus Sicherheitsgründen alle als vertraulich eingestuften Dokumente.

 Betriebsrisiken offenlegen

 Das hängige Hauptverfahren dreht sich um die unbefristete Betriebsbewilligung, die das AKW Mühleberg am 17. Dezember 2009 vom Bund erhalten hatte. Gegen diesen Entscheid des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) hatten die Mühleberg-Gegner Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erhoben. In diesem Rahmen forderten die Gegner Einsicht in Unterlagen zur Sicherheit des Atomkraftwerks. Wie die Beschwerdeführer im Vorfeld des Gerichtsentscheids erklärten, erhofften sie sich, durch die Einsicht ihre seit Jahren erhobenen Sicherheitseinwendungen endlich beweisen zu können. Der Rapport müsse für die Öffentlichkeit verfasst sein, damit diese sich ein Bild über Betriebsrisiken und Schutzmassnahmen eines AKW machen könnten.

 Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Zwischenverfügung nun entschieden, dass die Gegner beschränkte Einsicht in interne Akten erhalten sollen. Zugänglich gemacht werden müssen ein Gutachten zu Kernmantelrissen beim Reaktor des AKW Mühleberg aus dem Jahr 2006 und drei weitere Unterlagen. Gemäss Urteil überwiege das Recht auf Einsicht gegenüber dem Interesse an der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen des bernischen Stromkonzerns BKW sowie Dritter.

 Innere Sicherheit wahren

 Wegen überwiegender öffentlicher Geheimhaltungsinteressen werden Akten, die vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) als vertraulich klassifiziert worden sind, von diesem Entscheid ausgenommen. Durch diesen Entscheid soll eine allfällige Gefährdung der inneren Sicherheit verhindert werden. Zur inneren Sicherheit gehört laut Bundesverwaltungsgericht unter anderem der Schutz wichtiger Infrastrukturanlagen vor Sabotageakten oder Terroranschlägen. Bei Kernkraftwerken falle dabei auch die "durch kriminelle Einwirkungen drohende Gefahr einer grossräumigen radioaktiven Verstrahlung ins Gewicht".

 Das Gericht hatte die fraglichen Akten vom Nuklearsicherheitsinspektorat erhalten. Es handelt sich um 86 Bundesordner. Die aktuelle Zwischenverfügung kann nur unter einschränkenden Voraussetzungen ans Bundesgericht weitergezogen werden.
 sda/cze

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NZZ 10.12.10

Frühe AKW-Ausschreibung

 Resun und Alpiq mit unterschiedlichen Zeitplänen

 (sda) /dsc. · Die Planungsfirma Resun hat diese Woche Aufträge für neue AKW an den Standorten Beznau und Mühleberg öffentlich ausgeschrieben. Die Ausschreibung wurde im Aargauer Amtsblatt veröffentlicht. Resun ist eine Tochtergesellschaft der Stromfirmen Axpo, BKW und CKW, die grösstenteils in öffentlicher Hand sind - daher das Ausschreibungsverfahren.

 Um beim Bund später ein Baubewilligungsgesuch einreichen zu können, muss der genaue Reaktortyp feststehen. Mit der jetzigen Ausschreibung soll die Zeit zwischen der Rahmenbewilligung, über die wohl das Volk entscheiden wird, und der Baubewilligung verkürzt werden. Die Ausschreibung umfasst auch die Erstladung für den Reaktorkern sowie weitere Ladungen. Für den Auftrag im Umfang von 14 bis 18 Milliarden Franken kann sich ein Generalunternehmer oder ein Konsortium qualifizieren.

 Der Stromkonzern Alpiq, der ein neues Werk in Gösgen plant, will sein Projekt etwa Ende des kommenden Jahres ausschreiben. Ob man sich dann bereits vor der 2013 oder 2014 zu erwartenden Volksabstimmung für einen Reaktortyp entscheiden werde, lässt Martin Bahnmüller von Alpiq noch offen. AKW-Gegner hatten kürzlich kritisiert, dass das Reaktorsystem noch nicht feststehe - das Verfahren des Bundes verlange in der jetzigen Phase erst grundlegende Angaben zur Anlage.

 Die Anbieter von Kernkraftwerken sind alle ausländischer Provenienz, Schweizer Firmen werden bei der Bauausführung und als Zulieferer eine Rolle spielen. Zur Auswahl stehen Systemanbieter wie Areva, Toshiba-Westinghouse oder General Electric Hitachi. Die Stromkonzerne wollen sich schliesslich auf den Bau von zwei Partnerwerken verständigen. Dabei soll zweimal derselbe Typ realisiert werden.

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NZZ 10.12.10

Erstes Kräftemessen um Tiefenlager-Kosten

 Die neuen Prognosen der Nagra bleiben trotz finanziellen Begehren aus den Kantonen und offenen technischen Fragen stabil

 Die Kantone beanspruchen mehr Geld für die Verfahren zum Tiefenlager. Die Nagra revidiert derweil die Kostenprognosen für das Projekt. Trotz offenen technischen Fragen und teuren Prozeduren werden aber keine Änderungen erwartet.

 Davide Scruzzi

 Am Donnerstag trafen sich die Regierungsräte der möglichen Tiefenlager-Standortkantone, um über die Kosten zu diskutieren, die ihnen aus dem Auswahlverfahren erwachsen. Dies erfolgte mit Blick auf eine Studie über nötige Kompensationszahlungen für die Standortregion. Bezahlen soll die meisten Rechnungen am Schluss die Nagra, die für die Entsorgung zuständige Genossenschaft von AKW-Betreibern und Bund. Das Kostendach für die kantonalen Aufwendungen ist aber derzeit auf 1,2 Millionen Franken im Jahr begrenzt. Das sei zu wenig, wenn man bedenke, dass die Fachleute der Kantone konzeptionelle Arbeiten durchführten und die extern vergebenen Aufträge begleiten müssten, sagt René Loner von der Zürcher Baudirektion, welche die Federführung im Ausschuss der Kantone zum Tiefenlager hat. - Neben technisch-wissenschaftlichen Fragen gewinnen also auch die verschiedenen finanziellen Aspekte des Projekts an Bedeutung. Die Nagra beginnt nun gemäss dem vorgeschriebenen Fünfjahresrhythmus mit der Überprüfung der Gesamtkosten. Nagra-CEO Thomas Ernst erwartet aber trotz allem keine grossen Veränderungen bei der Endsumme.

 Relativierung der Mehrkosten

 Die bisherige, vom Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat genehmigte Rechnung aus dem Jahr 2006 bezifferte die Kosten für ein Tiefenlager für hochaktive Abfälle auf 5,22 Milliarden Franken, dasjenige für schwach- und mittelaktive Abfälle wurde auf 2,34 Milliarden veranschlagt. Die Umweltorganisation Schweizerische Energiestiftung (SES) glaubt nicht, dass diese Beträge ausreichen. Es gebe kaum Erfahrungswerte und trotz der technisch-wissenschaftlichen Komplexität werde "Unvorhergesehenes" nicht einkalkuliert, sagt Sabine von Stockar von der SES und nennt als Beispiel die Kostenüberschreitungen beim Neat-Projekt.

 "Die finanzielle Tragweite offener Fragen der technischen Umsetzung ist gemessen an den Gesamtkosten gering und in alternativen Kostenszenarien zum Teil schon berücksichtigt", sagt hingegen Thomas Ernst von der Nagra. Er relativiert potenzielle Kostentreiber, die aus derzeit von den Gegnern akzentuierten Unsicherheiten resultieren könnten. Müsste die Ummantelung der Behälter etwa mit Kupfer statt mit Stahl erfolgen, um die Gasbildung aus Korrosionsprozessen zu reduzieren, ergäbe dies beim Hochaktiv-Lager Mehrkosten von etwa 2 Prozent, sagt Ernst. Eine weitere offene Frage ist das Ausmass nötiger Abstützungen der Lagerstollen und die dafür nötigen Materialien, damit es nicht zu unerwünschten chemischen Reaktionen mit dem Füllmaterial Bentonit und dem Wirtgestein, dem Opalinuston, kommt. Doch aus solchen technischen Massnahmen, die teilweise noch in der Entwicklungsphase sind, dürften laut Thomas Ernst ebenfalls keine grossen Veränderungen des Gesamtkosten-Rahmens resultieren. Unerwartete Hindernisse beim Bau des Stollensystems seien im Weiteren weniger problematisch als etwa bei Bahntunnel-Projekten. Die Tunnels zu den Lagerstollen müssten nämlich nicht einer strikten Linienführung folgen, sondern könnten angepasst werden.

 Gegenüber 2001 stiegen die Tiefenlager-Kosten bei der Studie von 2006 um 865 Millionen Franken, unter anderem wegen höherer Rohstoffkosten und der Ablehnung des Projekts Wellenberg für die Lagerung schwach- und mittelaktiver Abfälle - daraus ergab sich der Bedarf geologischer Abklärungen in anderen Regionen. In den nächsten beiden Jahrzehnten werden die Kostenprognosen laufend den absehbaren konkreten Bedürfnissen angepasst, vieles werde erst im Rahmen der Phase der Baubewilligungen geklärt, heisst es bei der Nagra. Hauptziel der Voraussagen ist die richtige Bemessung der finanziellen Mittel, welche die Kernkraftwerksbetreiber in den Entsorgungsfonds einzahlen müssen, die der Bund beaufsichtigt (siehe Zusatztext).

 Die laufenden Kosten der Nagra von jährlich rund 40 Millionen Franken werden zu 97 Prozent von den AKW-Betreibern finanziert. Etwa 3 Prozent finanziert der Bund, ähnlich ist es bei den späteren Realisierungskosten. Der Bund sichert sich so die Einlagerung von Abfällen aus Medizin, Industrie und Forschung.

 Die AKW-Betreiber sind als Hauptzahler auch nach der Ausserbetriebsetzung ihrer Anlagen bei Kostenüberschreitungen des Projekts nachschusspflichtig, im Weiteren gibt es eine Solidarhaftung aller AKW-Betreiber. Nachzahlungen des Bundes gelten als äusserstes Mittel, wenn Mehrkosten den Firmen dereinst finanziell nicht zuzumuten wären.

 In der Mitte des Jahrzehnts wird der Bund mit den in Frage kommenden Regionen die Kompensationssummen definieren, für die dann ebenfalls die Nagra aufkommen wird. Basis dafür sind noch anstehende sozioökonomische Analysen des Bundes - im Gegensatz zum gescheiterten Vorhaben am Wellenberg soll also über die Abgeltungen Transparenz herrschen. Als Ausgleichsmassnahmen wären Aufwertungen der betroffenen Regionen mit dem Bau neuer Verkehrsanschlüsse oder wirtschaftlicher Förderplattformen denkbar. Daneben kann die Nagra weitere finanzielle Abgeltungen aushandeln. Die Genossenschaft rechnet mit Kosten von mehreren hundert Millionen Franken für Abgeltungen und Kompensationen.

 Umstrittene Studien

 Dieser Budgetposten ist allerdings bereits auch Gegenstand kantonaler und kommunaler Studien. Der Kanton Schaffhausen preschte als Erster vor und publizierte eine auf Umfragen basierende Analyse, die auch Steuerausfälle berücksichtigt. Insbesondere die von der Nagra auf 300 Millionen Franken geschätzten Kompensationen für das Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle seien zu tief, so die Studie. Diese Analyse, die ohne Rücksicht auf die bevorstehenden vergleichenden Studien des Bundes erstellt wurde, löste sowohl bei den anderen Kantonen wie auch beim Bund Kritik aus. Weitere solche Analysen sind aber bereits angekündigt. In den nächsten Monaten soll eine ökonomische Studie der Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt die Auswirkungen eines Tiefenlagerstandorts Jurasüdfuss und des geplanten neuen AKW Gösgen beleuchten. Die Kantone Zürich und Aargau planen ebenfalls Analysen der regionalen wirtschaftlichen Zusammenhänge, wollen Studien des Bundes aber nicht zuvorkommen. Diese kantonalen "Image"-Studien übersteigen klar den Kostenrahmen des Bundes für die Kantone.

 Die Nagra muss freilich auch die vom Bund organisierten Verfahren zur Mitwirkung der Bevölkerung bei der Standortsuche weitgehend selbst finanzieren - geplant ist ein ausgeklügeltes System von Partizipationsgremien. Beim Bund erarbeitet man derzeit die Budgets für die Mitwirkungs-Gremien in den Standortregionen (Sitzungsentschädigungen, Informationsmaterial, Expertisen). Michael Aebersold vom Bundesamt für Energie rechnet mit Kosten von jährlich mehreren hunderttausend Franken pro Standortregion.

 Allein bis zum Ende der nächsten Etappe (bis 2013) ist ein Kostendach für das Auswahlverfahren, einschliesslich der kantonalen Aufwendungen, von 28 Millionen Franken festgehalten worden - eingerechnet sind auch 5 Millionen Franken an Personalkosten des Bundes. Dieser könnte das Budget erweitern, nach Verhandlungen mit der Nagra.

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 Leichte Unterdeckung

 dsc. · Der Entsorgungsfonds soll den Aufwand für die Betriebsabfälle und die abgebrannten Brennelemente nach der Ausserbetriebnahme der AKW decken. Die Gesamtkosten dafür betragen 6,3 Milliarden Franken. Das Fondsvermögen beläuft sich nun auf etwa 2,8 Milliarden. Nach dem schlechten Börsenjahr 2008 mit einem Verlust von 21,8 Prozent ergab sich 2009 eine Rendite von 15,3 Prozent. Für 2010 dürfte diese knapp 3 Prozent betragen. Der seit 2002 in dieser Form konstituierte Fonds hat mit einer Realverzinsung von jährlich 0,55 Prozent das Ziel von 2 Prozent bisher nicht erreicht. Für Fondsgeschäftsführer Max Zulliger ist aber klar, dass diese mit dem Börsenverlauf erklärbare Unterdeckung mittelfristig aufgeholt werden kann - oder kompensiert wird.

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sf.tv 9.12.10

Atomkraftwerk-Gegner dürfen Mühleberg-Akten einsehen

sda/gern

 Die Gegner des AKW Mühleberg erhalten laut einem Zwischenentscheid des Bundesverwaltungsgerichts beschränkte Einsicht in interne Akten des Atomkraftwerks. Unter Verschluss bleiben laut Gericht aus Sicherheitsgründen alle als "vertraulich" eingestuften Dokumente.

 Das hängige Hauptverfahren dreht sich um die unbefristete Betriebsbewilligung, die das AKW Mühleberg am 17. Dezember 2009 vom Bund erhalten hatte. Gegen diesen Entscheid des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) hatten die Mühleberg-Gegner Beschwerde ans Bundesverwaltungsgericht erhoben.

 In diesem Rahmen forderten die Gegner zudem Einsicht in Unterlagen zur Sicherheit des Atomkraftwerks. Das Bundesverwaltungsgericht hat in einer Zwischenverfügung nun entschieden, dass die Gegner beschränkte Einsicht in interne Akten erhalten sollen.

 "Vertrauliche" Akten bleiben geheim

 Zugänglich gemacht werden müssen ein Gutachten zu Kernmantelrissen beim Reaktor des AKW Mühleberg aus dem Jahre 2006 und drei weitere Unterlagen. Gemäss Urteil überwiegt hier das Recht auf Einsicht das Interesse an der Geheimhaltung von Geschäftsgeheimnissen des bernischen Stromkonzern BKW sowie Dritter.

 Keine Einsicht erhalten die Mühleberg-Gegner dagegen in Akten, die vom Eidg. Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) als "vertraulich" klassifiziert worden sind. Diese Dokumente können gemäss Urteil aus überwiegenden öffentlichen Geheimhaltungsinteressen, die die innere Sicherheit betreffen, nicht offen gelegt werden.

 Akten bereits ausgehändigt

 Zur inneren Sicherheit gehört laut Gericht unter anderem der Schutz wichtiger Infrastrukturanlagen vor Sabotageakten oder Terroranschlägen. Bei Kernkraftwerken falle dabei auch die "durch kriminelle Einwirkungen drohende Gefahr einer grossräumigen radioaktiven Verstrahlung ins Gewicht".

 Das Bundesverwaltungsgericht hatte die fraglichen Akten vom Ensi erhalten. Es geht um 86 Bundesordner. Die aktuelle Zwischenverfügung kann nur unter einschränkenden Voraussetzungen ans Bundesgericht weitergezogen werden.

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Aargauer Zeitung 9.12.10

Auftrag für zwei schlüsselfertige AKW

 Atomkraftwerke Bauherren schreiben Neubauten in Beznau und Mühleberg öffentlich aus

Hans Lüthi

 "Das Projekt umfasst die Beschaffung von zwei vollständigen, schlüsselfertigen und betriebsbereiten Ersatzkernkraftwerken für die Standorte Beznau und Mühleberg." So steht es wörtlich in der überraschenden Ausschreibung der Firma Resun AG im jüngsten Aargauer Amtsblatt. Die Resun in Aarau ist von den heutigen Betreibern Axpo AG und CKW sowie von der BKW damit beauftragt, die neuen Atomkraftwerke an den alten Standorten zu planen. Vorgesehen sind Leichtwasserreaktoren mit einer Nettoleistung (Stromabgabe ins Netz) von circa 1450 Megawatt, plus/minus 20 Prozent. Damit reicht die Spannweite von knapp 1200 bis zu 1600 Megawatt für jedes neue AKW.

 Ersatz mit dreifachem Strom

 Zu ersetzen sind die drei ältesten Schweizer Atomkraftwerke, Beznau1 und Beznau2 sowie Mühleberg. Die Aargauer Kraftwerke in der Gemeinde Döttingen haben zusammen eine Nettoleistung von 730 Megawatt, das Berner Kraftwerk mit nur einem Reaktor kommt auf 373 Megawatt. Zu ersetzen gibt es in der Schweiz damit 1100 Megawatt elektrische Leistung. Heinz Karrer weist als CEO der Axpo Holding immer wieder darauf hin, dass mit den auslaufenden Frankreich-Verträgen 2000 Megawatt aus dem Import wegfallen. Der mittelfristig fehlende Strom aus den 3000 Megawatt Leistung kann also durch zwei moderne AKW abgedeckt werden. Zusammen mit Gösgen von der Alpiq laufen aber derzeit drei Gesuche. Seit der Einreichung vor zwei Jahren ist sich auch die Branche einig, dass zwei AKW genügen. "Die Verhandlungen zwischen den Projektanten laufen", schreibt die Axpo noch immer dazu.

 Fünf Jahre Vorbereitungszeit

 Viele fragen sich natürlich, warum die Resun die neuen AKW schon jetzt ausschreibt - vor dem Entscheid von Bundesrat und Volk. "Der Bau eines Kernkraftwerkes ist sehr zeitintensiv", schreibt Axpo-Mediensprecher Beat Römer dazu. Von der Eingabe des Gesuches um Rahmenbewilligung bis zur Bewilligung nach einer Volksabstimmung "vergehen voraussichtlich fünf Jahre". Diese Zeit wolle man nutzen, um bei einem Ja des Volkes "rasch den nächsten Schritt im Bewilligungsprozess einzuleiten". Im Gesuch um die Baubewilligung müsse der Reaktortyp festgelegt werden, der Bauvertrag für die Anlagen werde aber erst nach Erhalt der Rahmenbewilligung unterschrieben.

 Bauten kosten 14 bis 18 Milliarden

 Firmen, die sich für den seltenen Grossauftrag bewerben wollen, müssen sich bis 5. Januar anmelden und 100000 Franken bezahlen. Letzter Termin für die Einreichung der Offerten ist der 15. April 2011, gemäss Amtsblatt um punkt 13.00 Uhr. Die hohen Kosten begründet Römer mit der Sicherheit für die Resun, dass ihr geistiges Eigentum nur an ernsthaft interessierte Anbieter gehe. Das Geld werde auf einem Treuhandkonto hinterlegt und später zinslos zurückerstattet. Die zwei Anbieter mit der höchsten Bewertung werden aufgefordert, Angebote für den Bau einzureichen. "Wettbewerb ist ein zentrales Element einer öffentlichen Beschaffung", schreibt die Axpo dazu und beziffert die Baukosten auf "eine Grössenordnung von 14 bis 18 Milliarden Franken". Die Projekte Beznau und Mühleberg werden nicht nur gemeinsam ausgeschrieben, sie werden auch "an denselben Generalunternehmer vergeben".

 Volksabstimmung Ende 2013

 Gegenüber dem ursprünglichen Zeitplan hat sich bereits eine deutliche Verzögerung ergeben. Neu geht die Axpo davon aus, der Bundesrat werde Mitte 2012 über die Rahmenbewilligung entscheiden. Danach folgen Nationalrat und Ständerat, mit der Volksabstimmung wird Ende 2013 gerechnet. Das Verfahren zur Baubewilligung könnte bis 2017 dauern, die Bauphase danach bis circa im Jahr 2023. Gemäss dem Aargauischen Submissionsdekret kann auch gegen die Ausschreibung Beschwerde beim Verwaltungsgericht des Kantons Aargau geführt werden.

 Ein erstes Zeichen vom Stimmvolk kommt schon im Februar auf den Tisch, wenn der Kanton Bern über die Vernehmlassung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg abstimmen wird. Dazu schreibt der Bund: "Das Resultat ist unverbindlich, aber es gilt landesweit als Stimmungsbarometer."

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 Standorte Ja der Sicherheitsbehörde Ensi liegt schon vor

 Das Verfahren für ein neues AKW richtet sich nach dem Kernenergiegesetz des Bundes. Vor dem Bau sind drei Stufen nötig: Rahmenbewilligung, Baubewilligung, Betriebsbewilligung, was 10 Jahre in Anspruch nimmt. Die Gesuche um Rahmenbewilligung in Beznau, Mühleberg und Gösgen hat das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) gemeinsam beurteilt. Es kam zum Schluss, die Angaben seien technisch fundiert, die gesetzlichen Anforderungen würden erfüllt. Von der "nuklearen Sicherheit her könnte an allen drei Standorten ein neues Kernkraftwerk gebaut werden". Die Axpo will nur Hersteller mit einer weltweit anerkannten Technologie berücksichtigen, die schon angewandt wird oder zertifiziert ist. Obwohl der Bau eines neuen AKW alleinige Sache des Bundes ist, hat der Aargau ein Richtplanverfahren durchgeführt. Die Regierung begründet das damit, es sei von Vorteil, wenn der Bundesrat die Aargauer Bedingungen bei seinem Entscheid zum Standort Beznau kenne. Die Parteien SVP, FDP, CVP und BDP sprachen sich für ein Ersatz-AKW aus, SP, Grüne und EVP dagegen. Entscheiden wird das Schweizervolk, ob neue Atomkraftwerke gebaut werden sollen oder nicht. (Lü.)

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Bund 8.12.10

AKW-Risiken im Zentrum der Kampagne gegen Mühleberg II

 Das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" will ungelöste Probleme der AKW-Technologie zum Hauptthema des Abstimmungskampfs machen.

 Simon Thönen

 Das Abstimmungsplakat wird ein Baby zeigen, das neun Jahre nach der AKW-Katastrophe von Tschernobyl schwer behindert zur Welt kam - und später starb. "Wir haben bewusst ein schockierendes Bild gewählt", sagte an der gestrigen Medienkonferenz Jörg Rüetschi, Geschäftsführer des WWF Bern. Das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" wird die Gefahren von Atomkraftwerken ins Zentrum seiner Abstimmungskampagne stellen.

 Für ein Nein zu einem AKW Mühleberg II in der kantonalen Volksabstimmung vom 13. Februar setzt sich ein Bündnis ein, das neun Umweltorganisationen sowie die Gewerkschaft Unia und den Hausverein umfasst. Als politische Parteien sind die Grünen, die SP und die Grünliberalen mit von der Partie.

 "Schweizer AKW-Betreiber sprechen in der Öffentlichkeit gerne von sauberem Strom", sagte Florian Kasser von Greenpeace, "doch schaut man sich die Hinterhöfe der Atomproduktion genauer an, wird klar: Strom aus Kernkraft kann nicht sauber sein." Kasser bezog sich auf die russische Atomanlage Majak, in der Brennstoff für Schweizer AKW bearbeitet wurde. Bei einer Pressereise im November habe Greenpeace in der Umgebung des Komplexes Majak "Strahlungswerte so hoch wie in Tschernobyl gemessen".

 Für die grüne Nationalrätin Franziska Teuscher ist "die Entsorgungsfrage die Lebenslüge der Atomindustrie". Nach vierzig Jahren nuklearer Stromproduktion in der Schweiz "wissen wir immer noch nicht, wo wir mit dem hochgiftigen Abfall hin sollen".

 "Machen AKW krank?" fragte die Ärztin und SP-Grossrätin Danielle Lemann. "Die Forschung hat bis heute keine eindeutigen Antworten." Sie verwies auf eine deutsche Studie, die für Kinder in der direkten Umgebung von AKW ein doppelt so hohes Risiko konstatiert hatte, an Leukämie zu erkranken.

 "Gewinn dank AKW-Verzicht"

 Neue AKW seien auf Jahrzehnte hinaus nicht rentabel und auf "staatliche Hilfe sowie Quersubventionierung durch die Wasserkraft angewiesen", kritisierte SP-Nationalrätin Ursula Wyss. "Die Städte laufen der Atomenergie davon", sagte der Berner Stadtrat Martin Trachsel (EVP), dies habe das Ja der Stadtberner und St. Galler zum Atomausstieg am 28. November erneut gezeigt.

 Der CEO des WWF Schweiz, Hans-Peter Fricker, verwies auf die vom WWF und den Grossstädten finanzierte Infras-Studie, die aufzeige, "wie die Schweiz gewinnbringend auf neue AKW verzichten kann": Volkswirtschaftlich zahle es sich aus, wenn man auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien statt auf Grosskraftwerke setze.

 Pikanterweise hatten sich in der Stadt Bern die Gegner des Atomausstiegs auch auf diese Studie berufen: Ein Ausstieg führe zu einer Verdoppelung des Strompreises, warnten sie. "Der Strompreis ist gegenwärtig zu tief", sagte dazu Fricker. Die in der Studie erwähnte Lenkungsabgabe sei jedoch keine Steuer, meinte Fricker, der übrigens Mitglied der FDP ist. Die Lenkungsabgabe würde der Bevölkerung ja zurückerstattet. "Bestraft würden nur jene, die überdurchschnittlich viel Strom verbrauchen und nichts daran ändern wollen."

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BZ 8.12.10

AKW-Gegner setzen auf Schockbilder

 AtomenergieDie Gegner eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg haben den Abstimmungskampf eröffnet. Sie versuchen, die Bevölkerung mit schockierenden Bildern vom Atomunfall in Tschernobyl zu beeinflussen.

 Das Kind liegt auf einem Spitalbett, Schläuche führen in die Nase. Die Augen sind geschlossen, eingewickelt ist es behelfsmässig in ein dünnes Tuch. Es handelt sich um ein Kind, das 1986 beim Atomunfall in der ukrainischen Stadt Tschernobyl radioaktiv verseucht wurde und später starb. Unter dem Bild prangt der Text "Radioaktive Strahlung zerstört Zukunft".

 Mit diesem Motiv wirbt das Komitee der AKW-Gegner im Kanton Bern für ein Nein am 13. Februar zu einem neuen Atomkraftwerk in Mühleberg. "Wir setzen bewusst auf Schockbilder", sagte Kampagnenleiter Jörg Rüetschi vom WWF Bern gestern vor den Medien. Das Komitee, dem sich neben dem WWF und den politischen Parteien SP, Juso, Grünliberale und Grüne zehn weitere Organisationen angeschlossen haben, verfolgt mit der Kampagne ein bestimmtes Ziel: Die AKW-Gegner wollen aufzeigen, was Atomkraftwerke anrichten können, und wollen so im Abstimmungskampf die Emotionen schüren.

 "Atomstrom ist nicht sauber"

 Eine weitere Botschaft des Gegnerkomitees: Atomstrom sei nicht so sauber, wie es die Atomlobby gerne darstelle. Florian Kasser von Greenpeace verwies auf die "schmutzigen Hinterhöfe der Schweizer Atomkraftwerke" und meinte damit etwa die kerntechnische Anlage im russischen Majak. Majak geniesst aufgrund diverser Unfälle, bei denen grosse Mengen an radioaktiven Substanzen an die Umwelt abgegeben wurden, einen zweifelhaften Ruf. Auch in Schweizer AKW sind Brennstäbe im Einsatz, die mit Uran aus Majak gefüllt sind. Der Berner Energiekonzern BKW, der das AKW Mühleberg betreibt, hat nach eigenen Angaben vor neun Jahren eine Uranlieferung bezogen, deren Spuren teilweise nach Majak führten.

 Die weiteren Argumente der AKW-Gegner sind nicht neu. So sagte etwa Nationalrätin Franziska Teuscher (Grüne): "Den strahlenden Abfall werden wir nicht mehr los." Die zentrale Frage sei, wo man die radioaktiven Abfälle endlagern könne. Den AKW-Betreibern und dem Bund sei es in den letzten 40 Jahren nicht gelungen, eine sichere Lagerstätte zu finden. "Gegen ein Tiefenlager regt sich in allen Regionen Widerstand aus der Bevölkerung." Teuschers Schlussfolgerung: "Atomenergie ist keine Lösung, sondern ein Schrecken ohne Ende."
 phm

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Langenthaler Tagblatt 8.12.10

Cleantech und mehr Effizienz statt neue Atomkraftwerke

Bruno Utz

 Abstimmung Ein neues AKW Mühleberg sei unverantwortlich, sagt das Nein-Komitee.

 Am 13. Februar fällen die Bernerinnen und Berner an der Urne einen Vorentscheid zum Bau eines neuen Atomkraftwerks (AKW) in Mühleberg. Gestern startete das aus links-grünen Parteien, Gewerkschaften sowie Umwelt- und Ärzteorganisationen bestehende Nein-Komitee den Abstimmungskampf. SP-Nationalrätin und Ständeratskandidatin Ursula Wyss mahnte, ein neues AKW sei schon rein wirtschaftlich nicht zu verantworten: "Es geht um einen zweistelligen Milliardenbetrag, für den die Steuerzahlenden faktisch eine Staatsgarantie leisten würden." Die Finanzierung müsste die Energiewirtschaft mit Erträgen aus der Wasserkraft quersubventionieren. Sinnvoller sei, die erneuerbaren Energien und die Effizienzsteigerung zu fördern.

 "Die Entsorgung ist eine Lebenslüge der Atomindustrie", sagte Nationalrätin Franziska Teuscher (Grüne). Die Stromgesellschaften unterliessen es zu sagen: "Wir werden den strahlenden und hochgiftigen Abfall nicht mehr los." In der Schweiz bestehe die grosse Gefahr, dass von für eine Tiefenlagerung von Uranabfällen bisher von der Nagra ausgeschiedenen fünf Standorten derjenige ausgewählt werde, wo die Opposition am geringsten sei. Die russische Wiederaufbereitungsanlage Majak bezeichnete Florian Kasser von Greenpeace Schweiz als "den schmutzigsten Hinterhof der Schweizer Atomstromproduktion". Bei einem Besuch im vergangenen November habe eine Greenpeace-Delegation Messungen durchgeführt (az Langenthaler Tagblatt berichtete). "An verschiedenen Standorten waren die Strahlungswerte so hoch wie in Tschernobyl."

 Schon vor 30 Jahren hätten junge Ärzte gefragt, "machen AKW krank?". SP-Grossrätin Danielle Lemann (Langnau), ÄrztInnen für Umweltschutz, sagte, die Forschung habe bis heute keine eindeutigen Antworten. Eine langjährige deutsche Studie habe jedoch ergeben, dass Kinder, die im Umkreis von fünf Kilometern um ein Atomkraftwerk wohnten, doppelt so häufig an Leukämie erkrankten.

 Der Berner Stadtrat Martin Trachsel (EVP) verwies auf den vom Stimmvolk abgesegneten Atomausstieg von Bern, Zürich, Basel, Genf und St. Gallen: "Die Städte laufen der Atomenergie davon." Die Schweiz könne "gewinnbringend" auf neue AKW verzichten", sagte auch Hans-Peter Fricker, CEO WWF Schweiz. Investitionen in die Atomindustrie brächten der Volkswirtschaft milliardenteure Verluste. Solche in Stromeffizienz und erneuerbare Energien zahlten sich hingen aus. Das Nein-Komitee plant Strassenaktionen, Plakate, Flyer sowie Podien und Inserate. Internet: http://www.stop-neues-akw.ch

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Basellandschaftliche Zeitung 8.12.10

Atommüll NWA fordert zuerst Atomkraft-Ausstieg

 Der Verein NWA (Nie wieder Atomkraftwerke) will einem "Endlager auf Vorrat für Atommüll" von noch nicht gebauten AKWs nicht zustimmen. Die Endlagerung in Opalinuston sei umstritten. "Die Nutzung der Atomkraft versorgt uns wenige Jahrzehnte mit Strom, die Abfallproblematik beschert uns Probleme für mindestens eine Million Jahre." Es liege ausserhalb des technischen Vermögens unserer Gesellschaft, diese Risiken zu kontrollieren. Deshalb setze sich NWA dafür ein, dass die Produktion von zusätzlichem Atommüll vermieden und der Atomausstieg konsequent vorangetrieben werde, teilte der Verein in seiner Vernehmlassungsantwort dem Bundesamt für Energie mit. Der bereits geschaffene Abfall müsse zwar einer Lösung zugeführt werden. Doch bietet NWA erst Hand zu einer Lösungsfindung, wenn mit dem Atomausstieg sichergestellt sei, dass in der Schweiz kein weiterer Atommüll geschaffen werde. (bz)

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Basler Zeitung 8.12.10

"Energiefirmen tragen eine Verantwortung"

 EBL-Chef Urs Steiner will im Verwaltungsrat des Energiekonzerns Alpiq die Verseuchung in Majak thematisieren

 Susanna Petrin

 Die Baselbieter Stromkonzerne EBM und EBL sind indirekte Teilhaber am AKW Gösgen. Dieses bezieht Uran aus dem russischen Majak, das wegen seiner verseuchten Umgebung derzeit Schlagzeilen macht. Die EBL sieht sich in der Pflicht, die EBM nicht.

 Als "von Gott verlassene Strahlenhölle" bezeichnet die "Stuttgarter Zeitung" die Gegend rund um die russische Atomanlage Majak. Wissenschaftler sprechen vom "verseuchtesten Ort der Welt". Ein Atomunfall, vergleichbar mit Tschernobyl, ein mit radioaktiven Abfällen verseuchter Fluss und zweifelhafte, nicht kontrollierbare Umweltstandards - alles kommt hier zusammen (die BaZ berichtete).

 Seit diesen Herbst bekannt geworden ist, dass die AKW-Anlagen Beznau I und II sowie Gösgen einen Teil des Urans für ihre Brennstäbe aus Majak beziehen, ist Feuer im Dach. Die Beznau-Betreiberin Axpo und die Gösgen-Mitinhaberin Alpiq geraten zunehmend unter öffentlichen Druck - und wollen nun handeln.

 Offener Brief an Aktionäre

Die Umweltorganisation Greenpeace fordert in einem offenen Brief nicht nur die AKW-Betreiberin Axpo, sondern auch deren Aktionäre dazu auf, sich für "Transparenz und Verantwortung" einzusetzen. Die Alpiq und ihre Aktionäre will Greenpeace demnächst ebenfalls kontaktieren. Zu diesen Teilhabern gehören die beiden Baselbieter Stromkonzerne Elektra Baselland (EBL, 7,12 Prozent Aktienanteile) sowie Elektra Birseck Münchenstein (EBM, 13,63 Prozent Anteile).

 Wie stehen die beiden Aktionäre zum Umweltskandal? Fühlen sie sich mitverantwortlich, wollen sie sich in irgendeiner Form einbringen? Die Reaktion der beiden Firmenchefs könnte unterschiedlicher nicht sein.

 Sehr bedauernd klingt EBL-Chef und Alpiq-Verwaltungsrat Urs Steiner: "Ich finde es tragisch, was der Umwelt dort angetan wird. Es ist bedenklich, was da abgeht." Es liege in der Verantwortung von Energieunternehmen, Transparenz zu schaffen und dafür zu sorgen, dass internationale Standards eingehalten würden.

 "Offenbar sind die Hausaufgaben nicht mit der notwendigen Sorgfalt gemacht worden, die betroffenen Energiekonzerne können das nicht so stehen lassen", sagt Steiner. Er wolle das Thema Majak bei nächster Gelegenheit im Alpiq-Verwaltungsrat thematisieren und Fragen nach den Lieferverträgen sowie dem weiteren Vorgehen stellen.

 Nicht selber in der Verantwortung sieht sich dagegen EBM-Chef Hans Büttiker, der ebenfalls im Verwaltungsrat der Alpiq Einsitz hat. "Majak liegt in einer militärischen Zone; das ist primär eine Sache von Russland, dort können wir nicht nachschauen gehen", sagt Büttiker. Und wenn überhaupt, so habe das AKW Gösgen seinen eigenen Verwaltungsrat - dieser sei eher zuständig als die EBM.

 Mittlerweile haben sich aber die Alpiq und das Atomkraftwerk Gösgen ohnehin dazu bereit erklärt, die Sache in die Hand zu nehmen. Derweil die Axpo versprochen hat, die Anlagen in Majak selber zu besuchen, wollen Gösgen-Verantwortliche ihre Uranlieferantin Areva stärker in die Pflicht nehmen. Denn diese beziehe das Uran via Unterlieferanten aus Majak.

 Bessere kontrolle. "Die Areva hat als Global Player mehr Möglichkeiten, Transparenz und internationale Umweltstandards einzufordern, als ein kleiner Endkunde wie wir", sagt Konstantin Bachmann, Mediensprecher des AKW Gösgen. Die Ziele seien internationale Umweltstandards und eine verbesserte Kontrolle. Wenn Majak auch in Zukunft mit ganz Europa im Geschäft bleiben wolle, sei dies sicher auch im Interesse der russischen Besitzerfirma Rosatom.

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Recycling ist problematisch

Radioaktivität breitet sich aus

Susanna Petrin

 Nicht nur in Russland, auch in Westeuropa wird radioaktiver Brennstoff wiederaufbereitet. Umweltschützer kritisieren, dass die Luft und das Meer dadurch massiv verschmutzt werden. Die Betreiber verweisen auf die eingehaltenen Grenzwerte.

 Im russischen Majak wird abgebrannter Atombrennstoff wiederaufbereitet, ebenso im französischen La Hague und im englischen Sellafield. Indem rezykliertes Uran verwendet werde, spare das Atomkraftwerk Gösgen jährlich 180 Tonnen Natururan, sagt Mediensprecher Konstantin Bachmann. Das tönt gut, denn die Gewinnung von Natururan schädigt die Umwelt. Die Wiederaufbereitungsanlagen sind aber auch atomare Dreckschleudern.

 Mycle Schneider, Atomexperte und Träger des alternativen Nobelpreises, warnt eindringlich vor den damit verbundenen Gefahren: "Die Wiederaufarbeitung ist mit Abstand die radiologisch problematischste Station der Brennstoffkette. La Hague allein verursacht etwa die Hälfte oder mehr der Kollektivdosis der zivilen Atomenergienutzung in Europa. Die radioaktiven Emissionen betragen das Vieltausendfache eines AKW."

 In der Schweiz messbar

Auch die Wissenschaftssendung Einstein auf SF 1 zeigte auf, dass die Wiederaufbereitungsanlage in La Hague innert eines Jahres mehr radioaktives Krypton freigesetzt hat, als alle Atombombenexplosionen, die der Mensch bisher durchgeführt habe. Die von dort stammenden radioaktiven Emissionen sind je nach Wetter auch in der Schweiz messbar. Hinzukommt, dass radioaktive Abfälle ins Meer geleitet werden, wie etwa der auf YouTube einsehbare Arte-Film "Albtraum Atommüll" dokumentiert. Doch die jeweiligen Gesetze erlauben dies.

 Um die Standards der Anlage in Majak wollen sich die Energiekonzerne Axpo und Alpiq nun kümmern. Doch was ist mit den anderen Anlagen? "Betrieb und Umweltabgaben der Wiederaufarbeitungsanlagen in Sellafield und La Hague entsprechen strengen nationalen und internationalen Strahlenschutznormen", sagt Bachmann. "Die Emissionen liegen unter den von den Behörden festgelegten Grenzwerten und stellen somit keine unzulässige Belastung von Mensch und Umwelt dar."

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Handelszeitung 8.12.10

Atomindustrie im Milliardenrausch

Energie. Internationale Nuklearkonzerne schachern bereits um den Jahrhundertauftrag für zwei neue AKW. Nur wer möglichst viele Schweizer Firmen ins Boot holt, erhält den Zuschlag.

Jürg Meier

 Das Tal der Tränen hat die internationale Atomindustrie längst hinter sich gelassen. Rund um den Globus erlebt die höchst umstrittene Kerntechnologie eine beeindruckende Renaissance. Alleine in Europa wollen Grosskonzerne wie Westinghouse, General Electric/Hitachi oder Areva knapp 20 neue Meiler verkaufen - zwei davon in der Schweiz.

 Das Jahrhundertprojekt sprengt beinahe alle Dimensionen: 14 bis 18 Milliarden Franken werden die beiden Atomkraftwerke kosten, welche die Stromversorger Axpo und BKW gemeinsam bauen wollen. Nur das Neat-Eisenbahnprojekt kann hier noch mithalten.

 Ohne Schweizer geht nichts

 Die zuständige Planungsgesellschaft Resun startete vor wenigen Tagen die Ausschreibung. Doch der Verteilkampf um die Milliarden tobt bereits seit Monaten. GE/ Hitachi und Westinghouse stehen seit Längerem in Kontakt mit Resun, bestätigen Firmensprecher gegenüber der "Handelszeitung". Eines ihrer Ziele ist es, möglichst früh Schweizer Firmen an Bord zu holen: "Jeder Anbieter weiss: Ohne lokalen Anteil kann er ein Projekt wie den Neubau eines Kernkraftwerks gar nicht durchführen", sagt Manfred Thumann, Verwaltungsratspräsident der Resun. Er schätzt, dass die Hälfte der Aufträge bei Schweizer Firmen landen könnte - das wären bis zu 9 Milliarden Franken.

 Besonders offensiv agiert General Electric/Hitachi. Das Unternehmen baute bereits die Reaktoren in Mühleberg und Leibstadt. Es kooperiert zudem mit dem Schweizer Paul-Scherrer-Institut (PSI). "Wir arbeiten daran, mit gewissen Schweizer Firmen für den Neubau ins Geschäft zu kommen", bestätigt Daniel Roderick, Top-Manager bei GE/Hitachi. Bereits heute hat sein Konzern laut Roderick gute Beziehungen zu Schweizer oder in der Schweiz produzierenden Firmen, wie etwa ABB und Alstom.

 ABB und Alstom sind interessiert

 "Die geplanten Kernkraftwerke sind bei uns ein Thema", bestätigt ein Sprecher von ABB Schweiz. Mit dem nuklearen Teil der Anlage wird ABB nichts zu schaffen haben. Doch verfügt sie über Technologien, um etwa den produzierten Strom ins Netz einzuspeisen.

 Interessiert zeigt sich auch Alstom: Die französische Firma übernahm im Jahr 2000 das Kraftwerksgeschäft von ABB, der Hauptsitz ihrer globalen Kraftwerkssparte liegt in Baden. Der Konzern machte in den letzten Monaten vor allem durch Stellenabbau Schlagzeilen. Sollte aber der französische Partner Areva den Zuschlag für den Bau der Reaktoren erhalten, wäre Alstom mit an Bord, erklärt Daniel Schmid, Mediensprecher von Alstom Schweiz. Und selbst wenn der Auftrag an die Konkurrenz ginge, wäre nicht alles verloren. Alstom bietet etwa eine Kombination aus Turbine und Generator an, die weltweit in jedem dritten neuen Kernkraftwerk steckt. Laut Schmid kann diese Anlage in Kernkraftwerke der meisten anderen Produzenten eingebaut werden.

 MEHR ZUM THEMA

 • Gastkommentar Martin Bäumle Seite 7

 • Die nukleare Renaissance Seite 9

 • Axpo-Chef Heinz Karrer im Interview Seite 16

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Meinung

 2000-Watt-Gesellschaft

 Neue Energie- statt Mehrwertsteuer

 Ein Klimawandel bringt negative Folgen und massive Kosten für unsere Gesellschaft. Doch die Klimakonferenz von Cancún zeigt wieder: Trotz der Erkenntnis, dass die CO2-Emissionen der heutigen Gesellschaft die Hauptursache für diese klimatischen Veränderungen sind, tut sich die Politik unheimlich schwer, konkrete Gegenmassnahmen zu beschliessen. Aber auch abgesehen vom Klimawandel ist eine Ausrichtung auf eine nachhaltige Energiepolitik mit Energieeffizienz und erneuerbaren Energien in Richtung 2000-Watt-Gesellschaft ökonomisch sinnvoll. Dies stärkt Forschung und Innovation und bietet der Schweiz damit Chancen für nachhaltiges Wachstum und neue, innovative Arbeitsplätze.

 Dazu braucht es klare Zielsetzungen und möglichst marktwirtschaftliche Instrumente wie monetäre und steuerliche Anreize zum Beispiel für Gebäudesanierungen und Ausnutzungsboni für mehr Energieeffizienz bei Fahrzeugen und Gebäuden. Aber auch beim Strom soll die Energieeffizienz gefördert werden und monetäre Instrumente erneuerbaren Strom marktfähig machen.

 Die Umstellung von Gas und Öl auf Erneuerbare sowie eine Verbesserung der Energieeffizienz hält schrittweise auch die 10 bis 15 Milliarden Franken im Inland, welche heute für die Bezahlung fossiler Energien ins Ausland fliessen. Investitionen in erneuerbare Energien bringen damit zu grossen Teilen direkte Wertschöpfung in der Schweiz. Auch beim Strom soll schrittweise das Potenzial an Effizienzmassnahmen ausgeschöpft werden und der Stromverbrauch trotz neuer Anwendungen in den nächsten Jahrzehnten stabilisiert werden. Parallel wird der Ausbau erneuerbarer Energien massiv gesteigert. Dies erlaubt in der Jahresbilanz eine fast lückenlose Inlandsversorgung. Es braucht aber Anpassungen bei den Stromnetzen, und die Schweizer Stauseen sind gezielt als Batterien Europas weiter zu entwickeln. Damit kann die Schweiz Tag/Nacht- und Winter/Sommer-Differenzen ausgleichen - und dabei erst noch ein lukratives Geschäftsfeld weiterentwickeln.

 Warum der Bau neuer AKW nicht nachhaltig ist

 Dieser nachhaltige Energiepfad ist nicht teurer als der Bau neuer Kernkraftwerke, aber der Nutzen und die Wertschöpfung bleiben zu einem grossen Teil im Inland, was somit ökonomisch nachhaltiger ist. Bezüglich des Klimaschutzes ist der Weg in Richtung 2000-Watt-Ziel aber rund drei- bis viermal effizienter als der Bau neuer Kernkraftwerke. Wer also heute noch den Bau neuer Kernkraftwerke propagiert, agiert weder ökonomisch noch ökologisch nachhaltig. Der nachhaltige Weg ist zudem technisch problemlos möglich und bei politischem Willen umsetzbar.

 Die Grünliberalen haben für die effiziente Umsetzung dieses Weges einen marktwirtschaftlichen Ansatz in Vorbereitung - das Konzept Energie- statt Mehrwertsteuer. Dabei wird durch eine staatsquotenneutrale Veränderung des indirekten Steuersystems eine neue und hocheffiziente Umsetzung in Richtung Energieeffizienz und Erneuerbare angestossen, welche Wirtschaft und Konsumenten insgesamt nicht mehr belastet als heute, aber energieeffizientes Verhalten und Investieren in neue Technologien monetär interessant macht. Damit wird Cleantech zum Markenzeichen und Standortvorteil der Schweiz und bildet ein wichtiges Standbein einer nachhaltigen Wirtschaft neben dem Finanzplatz. Zudem bleiben die Milliardenbeträge, die heute für Öl, Gas und Uran ins Ausland abfliessen, zunehmend im Inland.

 Die administrativen Aufwendungen gegenüber der heutigen Mehrwertsteuer werden reduziert und viele Subventionstöpfe und Vorschriften im Energiesektor können abgebaut und aufgehoben werden. Es werden nicht mehr wie heute die Innovation und die Wertschöpfung belastet, sondern der nichterneuerbare Ressourceneinsatz, der damit im Markt einen realen Preis erhält. Modellannahmen zeigen, dass die Preisentwicklung für Öl, Gas und Strom aus nichterneuerbaren Quellen Investitionen in Energieeffizienz und erneuerbare Energien ökonomisch interessant macht. Die Grünliberalen schlagen damit eine klassische Win-win-win-Chance für Gesellschaft, Wirtschaft und Umwelt vor, welche es nun zu packen gilt.

 Martin Bäumle, Nationalrat Grünliberale

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Langsames Hochfahren

Atomkraft. Ohne Schweizer Firmen läuft nichts beim Bau der zwei neuen Kernkraftwerke. Die Aussichten für ABB oder Alstom sind rosig.
 
Jürg Meier

 Kongresse der Nuklearindustrie waren jahrelang Orte der Melancholie: Ergrauende Herren diskutierten darüber, wie ihre Technologie am umweltschonendsten entsorgt werden könne, Jahr für Jahr kamen weniger Teilnehmer, das Fachwissen drohte verloren zu gehen - für immer.

 Die Branche ist wiederauferstanden. Heute springen am Kongress der Schweizer Nuklearbranche auch einmal adrette junge Frauen und Männer auf die Bühne. Die jungen Studenten des neu geschaffenen Master-Lehrgangs für Nuclear Engineering geben Interviews und werden von den Atomspezialisten begeistert beklatscht. So feiert man die Retter einer aussterbenden Gattung.

 Laut der internationalen Nuklearenergie-Agentur (IAEA) stehen derzeit 65 neue Nuklearanlagen in Bau, 26 davon allein in China, Dutzende weitere Anlagen sind geplant. Das Wort von der "Renaissance der Nuklearindustrie" macht die Runde.

 Das neu erwachte Interesse führt aber zu Problemen. Personal mit Fachwissen wird knapp. Weil zwischen 1980 und 2000 das Interesse an der Nuklearenergie verebbte, schlief die Ausbildung in vielen Ländern ein. Junge Talente wandten sich anderen Branchen zu - etwa der stetig wachsenden Finanzindustrie, wie Yanko Yanev von der internationalen Atomenergie-Agentur erklärt. Inzwischen habe sich die Situation verbessert: "Die französische Atomindustrie stellt heute mehr Leute an als jemals zuvor", sagt Yanev. Dennoch warnt er die Branche: "Es wäre ein grober Fehler, dieses Problem zu unterschätzen."

 Nur drei Schweizer

 Der neue Master-Studiengang in der Schweiz wird von ETH-Professor Horst-Michael Prasser geleitet. Hat die Schweiz genügend Expertinnen und Experten, um die geplanten neuen Atomkraftwerke zu bauen? "Das kann ich nicht einschätzen. Aber ich tue etwas dafür, dass genügend Leute da sein werden", antwortet Prasser. Gut 25 Leute könnten am Lehrgang teilnehmen. Doch für den ersten Jahrgang schreiben sich 2008 nur drei Schweizer ein - die atomkritische Schweizerische Energiestiftung jubelte. Tatsächlich sind die Teilnehmerzahlen tief. Bei der ersten Durchführung machten neben den drei Schweizern noch acht Studenten aus dem Ausland mit, den jetzigen Kurs absolvieren 15 Leute. Von den Absolventen des ersten Lehrgangs hat kaum jemand eine Anstellung in der Atomindustrie gefunden; die Hälfte von ihnen hat die Schweiz wieder in Richtung ihrer Heimatländer verlassen. Doch Prasser ist sich sicher: Wenn sich endgültig abzeichne, dass in der Schweiz neue Kernkraftwerke gebaut werden, werde die Studentenzahl deutlich ansteigen.

 Die internationalen Firmen, welche die zwei in der Schweiz geplanten Atomkraftwerke bauen wollen, zeigen sich ebenfalls zuversichtlich. AKW-Produzent Westinghouse: "Wir geben keine Offerte ab, wenn wir uns nicht sicher sind, dass wir genügend qualifizierte Mitarbeiter haben", sagt Mediensprecher Adrian Bull. Gleich klingt es beim Konkurrenten General Electric/ Hitachi: "Wir haben genügend Personal, um in der Schweiz zwei Anlagen bauen zu können", betont Daniel Roderick, Top-Manager des Konzerns.

 Milliarden für die Wirtschaft

 Dennoch: Im Alleingang können selbst internationale Atomkonzerne solche Projekte nicht stemmen. Darum versuchen die Firmen schon heute, Schweizer Unternehmen in ihre Projekte einzubinden. Das ist nicht nur unternehmerisch klug, sondern auch politisch ratsam: Je höher die Beteiligung der Schweizer Wirtschaft an einem Projekt ist, desto besser kommt es in Politik und Bevölkerung an.

 "Wir bei Westinghouse kaufen dort ein, wo wir bauen", sagt Mediensprecher Adrian Bull zur Strategie seines Konzerns. Jeder Westinghouse-Reaktor werde der Schweizer Wirtschaft "Milliarden Euro" bringen, so Bull. Laut Roderick von Generel Electric/ Hitachi würden die Reaktoren seiner Firma zu 50 bis 75 Prozent in Europa hergestellt. Für die Schweizer Wirtschaft bleibe beim Bau im Minimum ein Anteil von 30 bis 50 Prozent - ein Anteil, den GE aber noch erhöhen wolle, so Roderick.

 Die Resun, Planungsgesellschaft der beiden Stromkonzerne Axpo und BKW, nennt ähnliche Zahlen. Die Firma hat die zwei Kernkraftwerke Anfang Dezember öffentlich ausgeschrieben. Rund die Hälfte des Investitionsvolumens von 14 bis 18 Milliarden Franken werden in der Schweiz anfallen, ist Verwaltungsratspräsident Manfred Thumann überzeugt.

 IAEA-Experte Yanev hält diese Zahlen für realistisch, es liege aber sogar noch mehr drin: In Yanevs Heimatland Bulgarien betrug der Anteil der inländischen Industrie am AKW-Bau rund ein Drittel. Die Schweiz hingegen habe eine so hoch entwickelte Wirtschaft, dass für unser Land "deutlich über 50 Prozent an einheimischer Produktion" drinliegen müsste, so Yanev.

 Welche Umsätze für Industriekonzerne in der Schweiz möglich sind, lässt sich laut Thumann noch nicht beziffern. "Alstom etwa würde profitieren, wenn sie den konventionellen Kraftwerksteil liefern könnte", erklärt Thumann. Für ABB sieht er Möglichkeiten in der Leit-Technik für Kernkraftwerke, einem Geschäftsfeld, in das der Konzern wieder eingestiegen sei. Zudem könnten Transformatoren und die gesamte elektrische Ausrüstung der Anlage von ABB stammen.

 Potenzial sieht Thumann vor allem längerfristig: "Aufträge in der Schweiz wären für ABB und Alstom gute Visitenkarten für weitere Projekte", sagt er. Firmen, die in der Schweiz an Anlagen mitbauen, würden auch international sehr gute Chancen haben. Denn der globale Qualitätsstandard in der Kernenergie wird wesentlich von der Schweiz mitgeprägt. Die Aufsichtsbehörde, das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat, habe weltweit ein sehr hohes Ansehen. Aufträge für neue AKW könnten daher den Schweizer Firmen eine strahlende Zukunft eröffnen.

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 Neue AKWs

 Ein Rennen mit drei Favoriten

 Ausschreibung gestartet Alle rund zehn weltweit existierenden Anbieter dürfen sich für den Bau der zwei neuen Schweizer Atomkraftwerke bewerben. Hinter vorgehaltener Hand werden aber drei klare Favoriten genannt.

 Areva Als heisser Kandidat gilt der EPR des französischen Konzerns Areva. ETH-Professor Horst-Michael Prasser bezeichnet diesen als den "Mercedes" unter den heutigen Kernkraftwerktypen, insbesondere wegen der aufwendigen Sicherheitssysteme. Derzeit stehen vier EPR im Bau. Die Anlage im finnischen Olkiluoto gilt Atomkraftgegnern wegen massiver Überschreitung des Budgets und Zeitverzögerungen als Waterloo der wiedererwachten Nuklearindustrie. Von 3000 Mängeln ist die Rede. Befürworter glauben, dass man diese bei neuen Projekten vermeiden könne. Der EPR von Areva hat eine Leistung von 1600 Megawatt.

 General Electric/Hitachi Das amerikanisch-japanische Duo würde für die Schweiz die Typen ABWR oder ESBWR ins Rennen schicken. Der ABWR hat eine Leistung von 1350 bis 1600 Megawatt. Der ESBWR wird von GE derzeit noch entwickelt, was ihn weniger geeignet macht.

 Westinghouse Der in den USA beheimatete Konzern gehört heute zur Mehrheit Toshiba. Westinghouse baut derzeit in China vier Anlagen des Typs AP 1000, dem auch in der Schweiz Chancen eingeräumt werden. Er besteht aus kleineren Komponenten als die Anlagen der Konkurrenz, was den Anschaffungspreis tiefer macht. Ein Nachteil hingegen ist die Leistungsklasse: Ein AP 1000 liefert bis zu 1100 Megawatt Strom, deutlich weniger als etwa die Konkurrenzprodukte von General Electric und Areva.

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Gespraech

 "Wir waren nicht immer konsequent genug"

 Heinz Karrer - Der Konzernchef der Axpo über die Fehler bei der Beschaffung von Kernbrennstoff, die Probleme beim Ausbau von Alternativenergien, den Iran - und über das neue Verwaltungsratsmandat des ehemaligen Energieministers Moritz Leuenberger.

 Interview: Jürg Meier und Beat Balzli

 Sind Sie neidisch auf Implenia?

 Heinz Karrer: Auf diese Idee bin ich noch nie gekommen.

 Aber Axpo hätte sicherlich auch gerne Moritz Leuenberger im Verwaltungsrat, den ehemaligen Energieminister.

 Karrer: Es war auch für mich eine Überraschung, dass Herr Leuenberger diesen Schritt machte, und das zu diesem Zeitpunkt. Für uns steht das nicht zur Diskussion. Wir haben bereits Politikerinnen und Politiker im Verwaltungsrat, welche die Interessen unserer Aktionäre vertreten.

 Der Fall der russischen Atomanlage Mayak beweist aber doch, dass Sie heute ganz besonders auf Lobbyisten angewiesen sind. Die Axpo bezieht für Beznau Uran aus dem umstrittenen russischen Werk.

 Karrer: Jegliche Art von Infrastruktur führt zu einer Betroffenheit in der Öffentlichkeit, der Politik und den Medien. Am Beispiel Mayak sehen wir, wie wichtig es ist, unsere Tätigkeit transparent zu machen. Wenn wir einen Vertrag mit einem Lieferanten eingehen, wollen wir, dass der Lieferant sicherstellt, dass Umweltstandards eingehalten werden. Am Beispiel Mayak mussten wir erkennen: Das ist nicht immer ganz einfach.

 Das kann man doch nicht auf einen Vertrag abschieben. Hätten Sie sich nicht vorher darum kümmern müssen, woher genau das Material kommt?

 Karrer: Das lässt sich im Nachhinein einfach sagen. Ein Beispiel: In unseren Handys stecken mit grosser Wahrscheinlichkeit Materialien, deren Abbau in China zu Umweltschäden führt. Interessiert es uns? Wollen wir es wissen? Die Frage ist: Bemühen sich Firmen, Transparenz zu schaffen und sich permanent zu verbessern?

 Haben Sie das Bestmögliche versucht?

 Karrer: Es war die Axpo selber, die für Transparenz sorgte. Wir gingen 2008 als eines von wenigen Energieunternehmen weltweit die Verpflichtung ein, die Prozesse in einer Umweltdeklaration für ein KKW transparent darzustellen - als erster Schweizer Kernkraftwerkbetreiber und als zweiter in Europa überhaupt. Aber: Wir waren nicht bei jedem Detail konsequent genug und haben uns zum Teil auf Lieferantenangaben verlassen.

 Aufgedeckt hat das aber Greenpeace.

 Karrer: Wir liessen unsere Lieferkette zertifizieren, und Greenpeace war dann der Meinung, dass etwas nicht stimmen kann. Also gingen wir der Lieferkette immer weiter zurück nach. Es zeigte sich, dass die Klärung dieser Lieferprozesse in politisch anspruchsvollen Ländern nicht einfach ist. Aber wir sind der Meinung, dass wir unter anderem mit der Verpflichtung zur Transparenz konsequent an diesem Thema arbeiten.

 Wäre es möglich für die Axpo, 2013 nichts mehr aus Mayak zu beziehen?

 Karrer: Wir haben Verträge, die bis 2020 laufen. Das weitere Vorgehen hängt von den Ergebnissen unserer Abklärungen ab.

 Wenn Sie 2013 aber mit der Hypothek Mayak in eine AKW-Abstimmung müssen: Können Sie da noch gewinnen?

 Karrer: Es wird nicht drei Jahre gehen, um die nötigen Abklärungen zu treffen. Wir werden nächstes Jahr mehr Klarheit haben, dann entscheiden wir, wie wir weiter vorgehen und dies auch kommunizieren. Wir sollten uns vor Dramatisierungen und Vereinfachungen hüten. Jetzt geht es darum, Transparenz zu schaffen. Man soll sich ein Bild machen und beurteilen können, welche Massnahmen getroffen worden sind und was alles geplant ist: Können Altlasten saniert werden? Wie sehen die heutigen Produktionsprozesse aus? Ist eine Produktion in Mayak vertretbar? Die Antwort auf diese Fragen ist nicht einfach schwarz-weiss.

 Mit Mayak ist das hässliche Gesicht der Nukleartechnologie zurückgekehrt. Der Vorfall wird wieder eine Diskussion über das Restrisiko der Kernenergie auslösen.

 Karrer: Wie kommen Sie darauf? Ein ganz wichtiges Thema spricht heute für die Kernenergie: Der tiefe CO₂-Wert. Es ist auch für viele Gegner der Kernenergie klar, dass diese für das Klima - gerade gegenüber Kohle und Öl - grosse Vorteile bietet. Deshalb werden andere Bilder gesucht, welche dieses schwierige Thema plakativ darstellen. Die Abfallproblematik gehört dazu, aber auch Tschernobyl. Da werden Ängste geschürt.

 Hatten Sie noch nie Angst davor, dass das Restrisiko eintritt?

 Karrer: Angst ist das falsche Wort. Aber dass ich mir intensive Gedanken darüber mache, das kann ich Ihnen versichern.

 In der Finanzkrise sahen wir aber, dass das Restrisiko eben auch eintreten kann. Eine Kernschmelze im Finanzmarkt hielt auch niemand für möglich.

 Karrer: Ja. Nur: Aufgrund der umfassenden und äusserst strengen Sicherheitsvorkehrungen mit der Kernenergie ist dies sehr, sehr unwahrscheinlich.

 Sie glauben also an die Risikomodelle der Kernenergie, so wie die Banker immer an ihre eigenen Risikomodelle glaubten?

 Karrer: Nein. Das Restrisiko in der Kernenergie ist so klein und so theoretisch, dass die Befürchtung sehr klein gehalten werden kann. Wir sprechen beispielsweise nicht über Erdbebenrisiken, die in der Schweiz viel höher sind. Doch die Risiken von Erdbeben und anderen Gefahren setzt man nie in Beziehung zum Restrisiko der Kernenergie, vielmehr stellt man diese immer als ein isoliertes Restrisiko dar. Das macht die Diskussion schwierig.

 Wie wollen Sie die Schweiz davon überzeugen, dass es neue Kernkraftwerke braucht?

 Karrer: Wenn man vorurteilslos alle Informationen und Argumente in Betracht zieht, dann spricht sehr viel für Kernenergie. Der Strombedarf wird in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zunehmen, davon gehen die meisten Experten aus. Und dass Kraftwerkskapazitäten wegfallen, das steht auch nicht zur Diskussion. Wir werden massiv mehr Produktion brauchen.

 Sie unterschätzen das Potenzial von neuen erneuerbaren Energiequellen wie Wind und Sonne.

 Karrer: Glauben Sie? In der Schweiz ist bei diesem Thema bereits eine gewisse Ernüchterung eingetreten. Die Verfahrensdauern etwa für umweltfreundliche Holzkraftwerke sind viel länger als gedacht. Der Widerstand bei der Realisierung von Kleinwasserkraftwerken ist grösser als angenommen.

 Wer also sagt, dass wir die von der Axpo prophezeite Stromlücke mit erneuerbaren Energien decken können, ist naiv?

 Karrer: Nein, der Wunsch ist sehr verständlich. Auch Axpo ist überzeugt, dass die Schweiz in Zukunft mit erneuerbaren Energien versorgt werden kann. Nur: Wie lang ist der Zeithorizont? Welche Technologien können wir anwenden? Was darf es kosten? Wenn man all diese Fragen berücksichtigt - und das haben wir getan -, dann sieht man, dass die Erneuerbaren noch Zeit brauchen. Ich bin überzeugt: Für die Entwicklung der erneuerbaren Energien ist es sogar besser, wenn wir die ersten KKW nach 2020 ersetzen.

 Die Strombranche prophezeite schon beim später gescheiterten AKW Kaiseraugst, dass in der Schweiz die Lichter ausgehen.

 Karrer: Warum passierte nichts? Weil damals "Kaiseraugst" in Frankreich gebaut wurde und die Schweizer Stromversorger sich Bezugsrechte im Umfang von drei KKW Kaiseraugst sicherten. Und weil Milliarden in Netze investiert wurden.

 Heute ist das nicht mehr möglich?

 Karrer: Nein. Die europäischen Gesetze erlauben das nicht, und es fehlen die Kapazitäten im Ausland. In Europa fehlt ja fast überall Strom, und die Leitungskapazitäten in die Schweiz reichen auch morgen und übermorgen bei weitem nicht.

 Die Schweiz ist auf sich allein gestellt?

 Karrer: Noch schlimmer: Die Schweizer Versorger haben den Auftrag, die Versorgungssicherheit zu gewährleisten. Der Mechanismus des europäischen Verbundnetzes ist darauf ausgerichtet, dass jedes Land primär für sich selber sorgt und Reservekapazitäten hat, um seinen Beitrag ans europäische Verbundnetz zu leisten. Die Schweiz kann sich weder heute noch morgen davon verabschieden. Das müsste im Einklang mit der EU geschehen.

 Auch wenn Ihre Argumente stimmen, haben Sie ein Problem: AKW lassen sich nicht finanzieren, sicherlich nicht zwei.

 Karrer: Darüber mache ich mir wenig Sorgen. Schon früher wurden solche Finanzierungen in einzelnen Tranchen abgewickelt. Wir müssten die Anleihen ja nicht innerhalb einer Woche aufnehmen, und einen Teil wird die Branche ohnehin selber finanzieren. Ich glaube aber auch, dass der Schweizer Finanzmarkt in fünf oder zehn Jahren für eine Finanzierung eher eng sein wird. Darum müssen wir auch den Euro-Raum in Betracht ziehen.

 Der Stromversorger Alpiq sagt aber, dass eine Finanzierung über den Euro-Raum zu teuer ist. Zudem hätten die Schweizer Stromfirmen kein Rating und seien im Euro-Raum zu wenig bekannt.

 Karrer: Ich bin auch der Meinung: Der Euro-Markt ist schwieriger als der Schweizer Markt, und ja, die Schweizer Stromversorger sind weder sehr bekannt noch haben sie ein Rating. Nur: Wo genau liegt das Problem, sich in zwei oder drei Jahren ein solches Rating zu beschaffen?

 Haben Sie schon mit Banken über die Kernkraftwerke gesprochen?

 Karrer: Es wurden bereits grosse internationale Banken und Finanzinstitute angefragt. Wir benötigen Institute, die bereits grosse Transaktionen im Infrastrukturbereich gemacht haben, auch wenn es sich nicht unbedingt um Kernkraftwerke handeln muss.

 Goldman Sachs, Morgan Stanley, J. P. Morgan?

 Karrer: Solche Unternehmen könnten es beispielsweise sein.

 Wie hoch ist das Investitionsvolumen?

 Karrer: 7 bis 9 Milliarden Franken pro Kernkraftwerk. Heute gibt es keinen Grund zu glauben, dass die Finanzierung nicht möglich ist.

 Ist es möglich, zwei Kernkraftwerke gemeinsam zu finanzieren und diese im Abstand von sagen wir einmal zwei Jahren zu bauen?

 Karrer: Es ist sicher nicht möglich, gleichzeitig mit dem Bau von zwei Kraftwerken zu beginnen. Nur schon aus Gründen der Logistik müssen zwischen dem Baubeginn des ersten und jenem des zweiten Werks zwei bis drei Jahre liegen. Wir gehen heute davon aus, dass wir zwei vergleichbare Anlagen bauen werden.

 Warum nehmen Sie das zweite Werk nicht erst nach der Fertigstellung des ersten in Angriff?

 Karrer: Erstens müssen wir aufgrund der Versorgungslage die Kraftwerke früher haben und zweitens würde es mehr kosten. Ein Vorteil könnte hingegen die Finanzierung sein, weil man zeitlich einen grösseren Spielraum hätte. Sicherlich ist es berechtigt, sich diese Fragen zu stellen. Man muss sich beide Optionen möglichst lange offenhalten.

 Wichtig bei der Frage Atomenergie ist auch, wie sich der Strompreis entwickelt.

 Karrer: Tendenziell rechne ich langfristig mit steigenden Preisen. Dies mit Blick auf den wachsenden Bedarf in Europa, was unter anderem zu stetig zunehmenden Investitionen und damit zu Kosten führt. Darüber hinaus dürfte der Anteil an Steuern und Abgaben in Zukunft auf bis zu 40 Prozent des Strompreises steigen. Heute liegt er bei rund 25 Prozent.

 Die Axpo hat ihr Geschäftsjahr Ende September abgeschlossen. Wie ist es gelaufen?

 Karrer: Die Aussagen, die wir beim Halbjahresabschluss machten, entsprechen noch immer etwa unseren Erwartungen. Im Vergleich mit dem Vorjahr wird das letzte Geschäftsjahr schlechter ausfallen.

 Warum?

 Karrer: Das Preisniveau im europäischen Grosshandel lag deutlich tiefer als im Vorjahr. Und die Axpo investiert sehr stark, was zu steigenden Projektkosten und entsprechenden Abschreibungen führt.

 Und Sie haben ein schwarzes Schaf namens EGL.

 Karrer: Wir sind sehr stolz auf die EGL. Sie hat in den letzten Jahren wesentlich zum Gewinn des Axpo-Konzerns beigetragen.

 Aber in diesem Jahr nicht.

 Karrer: Was den Bruttogewinn angeht, sind wir dort tatsächlich schlechter als letztes Jahr.

 Weil sich die EGL verspekulierte und dann gleich eine ganze Händlertruppe entliess.

 Karrer: Das ist nicht richtig. Im Handelsgeschäft gibt es naturgemäss Schwankungen bei den Erträgen. Eine Rolle spielten aber vor allem die Kosten des Ausstiegs aus einem italienischen Kraftwerkprojekt. Zudem hat die EGL unter dem Zerfall des Euro gelitten.

 Verspekulierten sich die Händler oder hielten sie Limiten nicht ein?

 Karrer: Alle Limiten wurden eingehalten.

 Wurden die Händler angetrieben, zu viele Risiken zu nehmen?

 Karrer: Nein.

 Zu viel Risiko scheinen Sie aber im Iran genommen zu haben. Wann waren Sie eigentlich das letzte Mal im Iran?

 Karrer: Im Spätfrühling 2009, im Zusammenhang mit der Unterschrift unter den Iran-Vertrag.

 Wann ist die nächste Reise geplant?

 Karrer: Es gibt keine Pläne. Wir haben einen Vertrag mit der Nigec im Iran, aber zurzeit ist es geopolitisch nicht opportun, diesen Vertrag zu erfüllen, zumal zwei Bedingungen gegeben sein müssen: Wir müssen uns preislich mit der Nigec einigen, und vorher muss das Transitabkommen mit der Türkei stehen. Und dies ist bis zum heutigen Zeitpunkt nicht der Fall.

 Warum steigen Sie nicht einfach komplett aus?

 Karrer: Weil wir uns die Option der Gaslieferung aus dem Iran ganz bewusst offenhalten wollen. Dies für den Fall, dass es zu einer politischen Annäherung kommen sollte.

 Wenn Sie an den Kapitalmarkt wollen, um ihr AKW zu finanzieren, wird das Thema Iran eine Hürde sein. Sie müssen dann definitiv aussteigen.

 Karrer: Ich glaube nicht, dass dieser Vertrag ein Risiko sein wird. Die EU versucht ja ebenfalls, sich Gasressourcen zu sichern. Auch darum hat der Vertrag einen bestimmten Wert. Dennoch schauen wir uns diese Frage sehr genau an.

 Nicht nur amerikanische Stimmen fordern, dass Sie den Vertrag definitiv kündigen.

 Karrer: Unsere Haltung ist klar: Der Vertrag ist sistiert, aber nicht gekündigt. Mich erstaunt, dass niemand über Öllieferungen aus dem Iran diskutiert, selbst Kreise nicht, die dem Iran sehr kritisch gegenüberstehen.

 Würden Sie den Vertrag wieder unterschreiben?

 Karrer: Nachdem sich die politische Situation zugespitzt hat, wäre das heute keine Option. Aber selbst aus heutiger Betrachtung war es richtig, den Vertrag damals zu unterschreiben. Dass Kritik kommt, war zu erwarten.

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 Zur Person

 Name: Heinz Karrer

 Funktion: Konzernchef Axpo-Gruppe

 Alter: 51

 Familie: Verheiratet, drei Kinder

 Ausbildung: Studium der Nationalökonomie an der HSG

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 Karriere

 1995-1997 Vorsitzender der Unternehmensleitung Ringier Schweiz

 1998-2002 Leiter Division Marketing & Sales sowie Mitglied der Konzernleitung der Swisscom

 Seit Oktober 2002 Konzernchef Axpo

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 Firma

 Staatsfirma Die Aktien der Axpo gehören zu 100 Prozent den Nordostschweizer Kantonen. Grösste Teilhaber sind der Aargau und Zürich. Zur Axpo Holding gehören auch die Stromhändlerin EGL und der Versorger CKW.

 Ergebnis 2008/2009 musste die Axpo wieder einen Gewinneinbruch hinnehmen. Der Reingewinn für das Ende September abgeschlossene Berichtsjahr lag bei 586 Millionen Franken. Das sind 43 Prozent weniger als im Vorjahr. Schon damals war der Gewinn um 30 Prozent eingebrochen.

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Oltner Tagblatt 9.12.10

Vorfall im KKG legt Nerven blank

 Sicherheitsvorfall Im Vorfeld der Entscheide über neue Kernkraftwerke in der Schweiz braucht es wenig, um die Emotionen zum Thema Atomkraft hochgehen zu lassen. Das zeigte die Debatte zur Interpellation Philipp Hadorn (SP, Gerlafingen) betreffend ein Vorkommnis im KKW Gösgen.

 Am 24. Juni 2008 waren beim Wiederanfahren nach der Jahresrevision vier sicherheitsrelevante Gleichrichter ausgefallen, da Sicherungen durchgebrannt waren. Die Störung wurde in weniger als zwei Stunden behoben. Das Eidgenössische Nuklarsicherheitsinspektorat (Ensi) kritisierte das KKG später aus zwei Gründen: Erstens, das KKG setzte das Anfahren nach Behebung der Störung fort, obwohl die Ursache des Ausfalls nicht bekannt war. Damit wurde laut Ensi ein zentraler Grundsatz der Sicherheitsvorsorge verletzt. Zweitens, das KKG meldete dieses Vorkommnis dem Ensi nicht fristgerecht, sondern erst 9 Monate später, im März 2009. Das Ensi rügte den "nicht sicherheitsgerichteten Umgang mit einem Mehrfachversagen durch denselben Fehlermechanismus" und stufte dies auf Stufe 1 der internationalen Ereignisskala ein.

 Am 21. April 2010 reichte das Ensi zusätzlich eine Strafanzeige gemäss Kernenergiegesetz beim Bundesamt für Energie ein, wie der Antwort des Regierungsrates auf die Interpellation zu entnehmen war. Dieses Strafverfahren ist offenbar noch hängig.

 "An den Haaren herbeigezogen"

 Die Interpellation Hadorn bezwecke einzig, die Bevölkerung zu verunsichern, meinte FDP-Sprecherin Irene Froelicher (Lommiswil). Der Vorstoss sei an den Haaren herbeigezogen, weil bei dem Vorfall nie eine Gefährdung bestanden habe. Der Regierungsrat habe gegenüber dem KKW Gösgen keine Aufsichtsfunktion.

 Auch der Sprecher der CVP/EVP/glp-Fraktion zeigte sich zufrieden mit der Antwort der Regierung. Ob eine strafbare Handlung begangen worden sei, sei offen, stellte Thomas A. Müller (CVP, Lostorf) fest. Abgesehen von der verspäteten Meldung hätten die Verantwortlichen korrekt gehandelt, die Kontrollen hätten funktioniert.

 "Ich habe seit 30 Jahren vollstes Vertrauen in die gut geschulten Mitarbeiter des KKG", erklärte Walter Gurtner (SVP, Däniken). Volles Vertrauen habe er auch in das Ensi als strenge Aufsichtsbehörde. Der Interpellant rede von einem "Störfall", obwohl es sich nur um ein "harmloses, nicht sicherheitsrelevantes Vorkommnis" gehandelt habe. Gurtner empfahl Hadorn einen Besuch im KKG.

 "Atomstrom ist unschweizerisch"

 Anders tönte es von der atomkritischen Seite. Persönlich habe er grosses Vertrauen in die Belegschaft des KKG, sagte Felix Lang (Grüne, Stüsslingen). Aber die perfekte Maschine gebe es nicht. Lang schwenkte dann über zur russischen Atomanlage Majak und warf der Atomlobby "offensichtliche Lügen und Verharmlosungen" vor. "Es gibt nichts Unschweizerischeres als Atomstrom", rief Lang aus, und: "Atomstrom ist tagtäglich tödlich."

 Markus Flury (glp, Hägendorf) hielt kurz und bündig fest: "Der Umgang (des KKG) mit der Meldepflicht war kontraproduktiv für das Vertrauen."

 Für Interpellant Philipp Hadorn lautete die Frage, wie sich der Regierungsrat verhalten habe. Dessen Antwort löse bei ihm "Unwohlsein in Kopf und Bauch" aus. Sein Vertrauen in die Unabhängigkeit des Regierungsrates gegenüber der Atomindustrie sei erschüttert, weil dieser keine eigenen Abklärungen zu diesem Ereignis veranlasst habe. Es könne dem Regierungsrat nicht gleichgültig sein, wenn er als verlängerter Arm der KKW-Betreiber wahrgenommen werde.

 Dieses Votum brachte Landammann Walter Straumann auf die Palme. Solche Töne seien an Publiumsveranstaltungen üblich. Hadorn nehme Rolle und Zuständigkeit des Regierungsrates nicht zur Kenntnis: "Wir sind hier nur Briefträger."

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20 Minuten 8.12.10

Kampf gegen Atomkraftwerke

 BERN. Abfälle von AKWs seien noch immer ein Problem. Zudem gebe es gesundheitliche Bedenken beim Betrieb eines Atomkraftwerks. Und schliesslich würden weniger Arbeitsplätze mit einem neuen AKW geschaffen, als wenn man auf erneuerbare Energien setze. Mit diesen drei Argumenten ziehen die Atomgegner in den Abstimmungskampf. Das Berner Stimmvolk kann zwar am 13. Februar nicht direkt über das neue AKW Mühleberg entscheiden, aber immerhin ein deutliches Signal geben. Mit ihrem Ja oder Nein sagen die Berner dem Bund, was sie von AKWs grundsätzlich halten.

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Telebärn 7.12.10

AKW-Gegner lancieren Kampagen
http://www.kyte.tv/ch/telebaern/akwgegner-lancieren-kampagne/c=84713&s=1103429

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Bund 7.12.10

Zwei Firmen werden um den AKW-Auftrag kämpfen

 Die Ausschreibung für den Ersatz in Beznau und Mühleberg läuft.

 Hans Galli

 Im kommenden Februar stimmt der Kanton Bern über die Vernehmlassung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg ab. Das Resultat ist unverbindlich, aber es gilt landesweit als Stimmungsbarometer. Die BKW Energie AG lässt sich jedoch durch die geplante Abstimmung nicht bremsen, denn die Ausschreibung für den Neubau in Mühleberg ist seit gestern im Internet auf der Seite für das öffentliche Beschaffungswesen (Simap) aufgeschaltet.

 Lanciert hat die Ausschreibung die Resun AG in Aarau, die gemeinsame Planungsgesellschaft der Stromkonzerne Axpo und BKW. "Das Projekt umfasst die Beschaffung von zwei vollständigen, schlüsselfertigen und betriebsbereiten Ersatzkernkraftwerken für die Standorte Beznau und Mühleberg", schreibt Resun in der Ausschreibung. Geplant ist in Beznau und in Mühleberg je ein AKW mit einem Leichtwasserreaktor und einer Nettoleistung von 1450 Megawatt. Der heutige Siedewasserreaktor in Mühleberg hat eine Nettoleistung von 373 Megawatt, die beiden Druckwasserreaktoren in Beznau weisen eine solche von zusammen 730 Megawatt auf. Axpo und BKW begründen den Bau von zwei AKW mit wesentlich grösserer Leistung damit, dass sie zusätzlich den Ausfall der Stromlieferungen aus Frankreich ersetzen müssen.

 Einreichfrist Mitte April

 Die Unterlagen müssen bis spätestens am 15. April 2011, exakt um 13 Uhr, eingereicht werden. Die Resun AG wird anschliessend aus den eingegangenen Bewerbungen zwei Bewerber auswählen und mit ihnen einen Vorvertrag abschliessen. Es kann sich um Generalunternehmer oder Konsortien handeln. Ab Herbst 2011 können sie mit den mehrjährigen Planungsarbeiten beginnen. Axpo und BKW gehen davon aus, dass das Schweizer Volk 2013 oder 2014 über die Rahmenbewilligung abstimmen wird. Bei einem Ja will die Resun AG rasch das Gesuch für die Baubewilligung einreichen. Dazu wird sie einen der Bewerber auswählen, während der andere ausscheiden wird. Der Sieger wird als Generalunternehmer für den Neubau sowohl in Beznau als auch in Mühleberg zuständig sein.

 Das Projekt kann allerdings nur realisiert werden, wenn es sämtliche politischen Hürden im Bundesrat, im nationalen Parlament und in der Volksabstimmung meistert. Eine Hürde hat sich die Strombranche selber aufgestellt: Nicht nur in Beznau und Mühleberg sind neue AKW geplant, vielmehr hat die Alpiq noch vor den andern ein Gesuch für den Neubau eines neuen AKW in Gösgen eingereicht. Drei Werke werden aber keinesfalls gebaut. Wer auf der Strecke bleibt, muss noch vor der nationalen Volksabstimmung entschieden sein.

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Tagesanzeiger 7.12.10

"Das Lager soll nicht einfach dort gebaut werden, wo sich niemand dagegen wehrte"

 Die Bürgerorganisation Loti ("Nördlich Lägern ohne Tiefenlager") fordert eine umfassende Untersuchung der Risiken eines Endlagers für Atommüll im Unterland.

 Mit Hans-Peter Hubmann und  Daniel Frei sprach Dominique Marty

 Der Verein Loti hat im Anhörungsverfahren für ein Atommüllendlager beim Bund eine Stellungnahme deponiert. Was sind Ihre Kernpunkte?

 Hans-Peter Hubmann: Wir haben in unserer Stellungnahme sowohl technische Fragen zur Sicherheit gestellt, die wir beantwortet haben wollen, als auch Bedenken zu den sozialen und ökonomischen Folgen für die Region geäussert. Aus unserer Sicht ist die Region "Nördlich Lägeren" nicht geeignet für ein Tiefenlager - und darum verlangen wir in unserer Stellungnahme, dass der Standort auch als "ungeeignet" eingestuft wird.

 Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle, hat aber festgestellt, dass die geologischen Bedingungen in der Opalinustonschicht der Region geeignet sind, um ein Atommülllager zu bauen. Worauf stützen Sie Ihr Urteil?

 Hubmann: Wir stützen uns auf unabhängige Experten ab, zum Beispiel von der Schweizerischen Energiestiftung. Wir haben Zweifel an der Eignung des Opalinuston als Lagerstätte, weil dieser salzhaltiges, agressives Meerwasser enthält. Hier könnten sich Gase bilden, die sich in der Wärme ausdehnen, Druck aufbauen und die Tonmineralien, in denen der Atommüll gelagert ist, aufsprengen. Auch die Tiefe, in der ein solches Lager entstehen soll, ist aus unserer Sicht ein Problem - wegen der Erdwärme, welche die bauliche Sicherheit beeinträchtigen könnte. Ausserdem muss geklärt werden, wie ein solches Lager gekennzeichnet wird. Denn kommende Generationen müssen verstehen können, dass im Boden etwas Gefährliches gelagert ist. Dieses besteht eine Million Jahre. In dieser Zeit könnte es zu einer Eiszeit kommen, welche die bestehende Kultur und auch unsere Sprache und Schrift vernichten könnte.

 Haben Sie auch soziale und ökonomische Fragen angesprochen?

 Daniel Frei: Hier sind viele Fragen offen, zum Beispiel zum Thema Logistik. Der Atommüll muss irgendwie zu diesem Lager gefahren werden. Das Unterland ist durch den Strassenverkehr bereits jetzt belastet. Zudem ist zu klären, ob ein solches Lager auf das Wachstum der Standortgemeinden einen Einfluss hat. Werden gewisse Gebiete mit einem Baustopp belegt, beeinträchtigt das sie Region. Wir tragen mit den Kiesabbaugebieten und dem Flughafen bereits sehr grosse Lasten. Uns noch ein Lager aufzuhalsen, ist schwer zu rechtfertigen. Dass man dies einfach mit Geld abgelten könnte, ist für uns eine Gefahr. Wir müssen bei einem solchen Entscheid an die längerfristige Entwicklung der Region und an unsere Nachkommen denken. Wir fordern daher eine regionsspezifische Vertiefungsstudie, die sich mit den Auswirkungen auf das Image und auf die gesellschaftlichen Zusammenhänge befasst.

 Welche Chancen rechnen Sie sich für Ihre Forderungen aus?

 Frei: Wir sind uns im Klaren darüber, dass es sich hier um ein Mitsprache- und nicht um ein Mitbestimmungsverfahren handelt. Dennoch darf das natürlich nicht zu einer Alibiübung verkommen, bei der schon im Vornherein feststeht, wo ein Endlager entstehen soll. Für uns ist wichtig, dass die Bevölkerung über das Thema informiert ist und dass sich möglichst viele engagieren. Wir glauben nicht, dass der Bund etwas gegen den Widerstand der Bevölkerung machen kann - das hat schon der Fall Wellenberg gezeigt. Zudem ist die kritische Auseinandersetzung auch darum wichtig, weil das Lager ja am Ende nicht einfach dort gebaut werden soll, wo sich niemand dagegen gewehrt hat.

 Wenn Sie ein Lager im Unterland kategorisch ablehnen, bürden Sie die Last doch einfach einer anderen Region auf.

 Frei: Die Schweiz hat ein Problem mit dem Atommüll und wir müssen dafür auch in der Schweiz eine Lösung finden. Ausserdem sind wir nicht kategorisch gegen ein Lager: Ein Endlager mit der Kapazität für den bestehenden Atommüll verknüpft mit dem Ausstieg aus der Atomenergie ist für uns durchaus eine Option. Die sicherheitsrelevanten Fragen zum Lager in technischer Hinsicht müssen aber auch in diesem Fall geklärt sein.

 Der Widerstand in der Bevölkerung ist in der Region noch nicht gross spürbar.

 Frei: Das stimmt, wir sind in der Region noch nicht sehr sensibilisiert auf das Thema Atommüll. Das Problem wird erst langsam wahrgenommen. In Deutschland ist das anders, wo die Castor-Transporte zu riesigen Protesten führen. Wir wollen mit Informationsveranstaltungen auf das Thema aufmerksam machen. Eine erste Veranstaltung planen wir Anfang 2011 in Niederweningen.

 Hans-Peter Hubmann

 wohnt in Niederweningen und ist Vorstandsmitglied im Verein Loti.

 Daniel Frei

 wohnt in Niederhasli und ist Vorstandsmitglied im Verein Loti.

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Frankfurter Allgemeine 7.12.10

Ein Lager im Sperrgebiet

Nicht viel ist zu erfahren über die Atomanlage Majak - selbst die Stadt, die sie umgibt, ist eingezäunt und schwer bewacht. Hierhin sollte der Atommüll aus dem DDR-Versuchsreaktor Rossendorf gebracht werden, doch Umweltminister Röttgen hatte Sicherheitsbedenken. Ein Besuch in einer Region, die gezeichnet ist von all dem Unheil, das radioaktive Strahlung bewirken kann.

Von Andrea Rehmsmeier

 TSCHELJABINSK, im Dezember

Die alte Frau schreit fast: "Verstehen Sie, was ich Ihnen sage? Schreiben Sie auch alles mit? Die Menschen in Europa sollen endlich wissen, wie es uns hier geht!" Ein eigentümliches Grüppchen hat sich vor dem Gebäude der Bezirksregierung in der Ural-Metropole Tscheljabinsk zusammengefunden. Vorübereilende Passanten werfen den aufgebrachten Dorfleuten mit ihren wettergegerbten Gesichtern und der abgewetzten Arbeitskleidung misstrauische Blicke zu. Männer in Zivil mit Videokameras filmen jedes Gesicht.

 Die Dorfleute aber, die von den Ufern des radioaktiv verstrahlten Flusses Tetscha zur Protestkundgebung in die Gebietshauptstadt gereist sind, wollen endlich gehört werden mit dem, was sie zu sagen haben: Sie berichten von den wuchernden Krebsgeschwüren, von Medikamenten, die sie nicht bezahlen können, und von Aktenordnern voller Anträge und Beschwerden, die sie schon geschrieben haben, um endlich offiziell als Strahlenopfer anerkannt zu werden. Dann nämlich hätten sie das Recht auf kostenlose medizinische Versorgung und eine finanzielle Entschädigung - lächerliche Geldbeträge für jahrzehntelanges Siechtum, totgeborene Kinder, amputierte Gliedma-ßen und Schmerzen, gegen die es nie Morphium, sondern immer nur Wodka gab. Doch wenigen ist das bislang gelungen, und auch das nur nach jahrelangen Gerichtsverfahren.

 Hierhin wollte die Bundesregierung den abgebrannten Kernbrennstoff aus dem DDR-Versuchsreaktor Rossendorf zur Wiederaufbereitung schicken - 951 Kernbrennstäbe aus hoch angereichertem Uran. Doch Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat den Transport kurzfristig abgesagt. Zu umstritten war die Rechtslage, auf das Rücknahmeabkommen für abgebrannten Versuchsreaktorbrennstoff aus sowjetischer Produktion fußte, zu katastrophal das Image des Zielortes: Die Kerntechnische Großaniage Majak, die weite Teile des Südural radioaktiv verseucht hat.

 Die Liste der Sünden, die in Majak begangen wurden, ist lang: Im Jahr 1957 war hier ein Tank mit fast 80 Tonnen Atommüll explodiert - die folgenschwerste Atomkatastrophe nach dem Unglück von Tschernobyl. In den fünfziger und sechziger Jahren hatte die Betriebsleitung flüssigen Atommüll ungefiltert in das Flüsschen Tetscha geleitet. Und im Jahr 2005 erhielt der damalige Generaldirektor der Anlage seine Entlassung: Ebenfalls wegen ünrechtmäßiger Atommüll-Verklappung in der Tetscha, bis heute ist der zulässige Grenzwert um das zwanzig bis fünfzigfache überschritten.

 Wie hätte die Bundesregierung die "schadlose Verwendung" des hochgefährlichen Nuklearmaterials nachweisen können - so, wie das Atomrecht es für Atomexporte fordert? Denn bis heute geht es in der Atornanlage Majak alles andere als transparent zu, bis heute unterliegen große Teile der atomaren Produktion dem Militärgeheimnis. Selbst die Internationale Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA) kann sich nur in Ausnahmefällen Zugang verschaffen. Und auch für die Gesellschaft für Reaktorsicherheit und Strahlenschutz (GRS) in Köln, die auf dem Betriebsgelände gerade für 23,3 Millionen Euro zum Schutz von waffenfähigem Spaltmaterial eine Hightech-Zaunanlage baut, und die jetzt für die Bundesregierung das sicherheitstechnische Gutachten geschrieben hat, sind Akteneinsicht und Zugangsberechtigung begrenzt.

 Wer mehr erfahren will darüber, wie es um die Atomsicherheit in Majak bestellt ist, der muss mit den Menschen sprechen, die in dieser Gegend wohnen. Denn die haben vieles zu erzählen.

 Das Ural-Städtchen Ozersk, wo die Atomanlage Majak ihren Sitz hat, liegt inmitten eines menschenleeren Idylls aus Birkenwäldern, Sümpfen und Seen. Nur vereinzelt stehen Schilder mit dem Radioaktivitätszeichen herum. In den Gräsern gibt es sogenannte Hot Spots, Stäubchen mit hoher Strahlung, die sich in den Körper einlagern und schwere Gesundheitsschäden verursachen können.

 Ozersk ist ein merkwürdiger Ort, die ganze Stadt mit ihren 90 000 Einwohnern ist ein Flochsicherheitstrakt: komplett umgeben von einer modernen Zaunanlage und bewacht von Uniformierten.
Zutritt haben nur registrierte Bewohner mit einem speziellen Lichtbildausweis, meist die Mitarbeiter der Atomanlage und ihre Familien. Ausländer dürfen sich der Außengrenze der Stadt nicht einmal nähern. Und der Geheimdienst, so wird man von Anwohnern gewarnt, "sitzt in den Büschen". So bleibt nur der Blick von einem nahegelegenen Hügel herab.

 Von hier aus erstreckt sich das weitläufige Betriebsgelände wie eine Spielzeuglandschaft: ein paar Gewerbehallen und Industrieschornsteine. Eine Wiederaufbereitungsanlage, zwei Reaktoren und diverse Atommateriallager, liegen teilweise unterirdisch. Doch mit weit über 10 000 Beschäftigten zählt Majak zu den größten atomaren Gewerbegebieten der Welt. Uran und Plutonium aus Auf- und Abrüstungsprogrammen, Atommüll aller Art und Brennstoff aller Produktionsstufen wird hier ständig in Eisenbahnwaggons an- und abtransportiert. Früher wurde hier das Plutonium für die sowjetischen Atombomben hergestellt, heute ist Majak ein weltweit führender Produzent von Radioisotopen für die industrielle und medizinische Nutzung.

 Ob dabei moderne Nuklearsicherheitsstandards immer und überall eingehalten werden? "Im Vergleich zu dem, was hier in den 90-er Jahren los war, ist es viel, viel besser geworden", sagt Genia, der seinen richtigen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte. Im Jahr 1992, als das Land nach dem Zusammenbruch des Sowjetreichs in einer schweren Wirtschaftskrise war, nahm er in Majak eine Stelle als leitender Ingenieur in einem der beiden Reaktoren an. Majak war damals der einzige Arbeitgeber der Region, der überhaupt Löhne auszahlte. "Wir verdienten umgerechnet zehn Dollar im Monat - zu wenig, um eine Familie zu ernähren", erinnert sich Genia. "Meine Kollegen haben als Taxifahrer oder Kleinhändler dazuverdient, und am Steuerpult des Reaktors sind sie vor Müdigkeit eingeschlafen. Andere haben die Rohre abmontiert und den Stahl verscherbelt oder in ihren Datschen verbaut."

Der Betriebsleitung fehlte damals die Kraft, die katastrophalen Zustände zu vertuschen. Die Wiederherstellung der Atomsicherheit in Majak wurde das stille Pilotprojekt des amerikanischen Abrüstungsprogramms "Kooperative Risikoreduzierung" (Cooperative Threat Reduction, CTR), dem Vorläufer von Präsident Obamas Nuklearsicherheitsinitiative. Neben anderen Programmen sollte ein modernes Langzeitzwischenlager (Fissile Material Storage Facility, FMSF) mit einer über sieben Meter dicken Wand das Uran und Plutonium aus abgerüsteten Atombomben vor Feuer, Erdbeben und Terroranschlägen sichern.

 Als Mitte der neunziger Jahre dann die Löhne erhöht wurden, kehrte schlagartig die Disziplin zurück. Moderne Sicherheitstechnik wurde installiert, internationale Strahlenschutzstandards wurden im Laufe der Jahre zur gelebten Betriebskultur, das kann Genia bestätigen. Dennoch gab es weiterhin Zwischenfälle, bei einem war er selbst dabei. Das war im Jahr 2000, bei Arbeiten dicht am Reaktor. "Plötzlich fällt die Elektrizität aus - spok! - und wir stehen da, unterirdisch, ohne Licht und ohne Strom. Computer und Beleuchtung schalten auf Notstrom, aber auch das Kühisystem des Reaktors ist ausgefallen.
 Das Ding heizt sich auf - und wir stehen da, können nichts tun." 42 Minuten dauerte der Stromausfall. Dann ging das Licht wieder an, und Genia und seine Kollegen konnten das Kühlsystem wieder herauffahren. Einer der Sicherheitsexperten im Betrieb hat später ausgerechnet, dass es bis zum GAU noch vier Minuten und 28 Sekunden gedauert hätte. Kurz darauf reichte Genia seine Kündigung ein. "Zum Teufel mit so einem Job!"

Auch das russisch-amerikanische Proekt eines Spaltmateriallagers verursachte Konflikte: Die Bauphase verlief im Dauerstreit über Transparenz und Verifikationsrechte. 2003 wurde das Lager endlich eingeweiht - doch der Erfolg bleibt bis heute zweifelhaft. Statt der vorgesehenen 500 Tonnen waffenfähiges Spaltmaterial, die hier hätten eingelagert werden sollten, brachte die Betriebsleitung von Majak nur 25 Tonnen Plutonium hier unter - das berichten übereinstimmend die Websites der internationalen Anti-Atomwaffen-Organisation Nuclear Threat Initiative (NTI) und der norwegischen Umweltstiftung Bellona. Wie das russische Atomministerium dem überraschten amerikanischen CTR-Komitee in einem Brief mitteilte, wollte Russland sein Spaitmaterial lieber in Kernbrennstoff verwandeln, anstatt es für die Langzeitzwischenlagerung vorzubereiten.

 An einem Bistro auf einem Fernfahrer-Parkplatz, gelegen an einer wenig befahrenen Landstraße, kann man sich mit dem Rentner German Lukaschin treffen. In seinen Berufsjahren war er als Strahlenschutzbeauftragter für fast alle russischen Atomanlagen zuständig. Als "Tschernobyl-Liquidator" errechnete er im Sommer nach dem GAU vor Ort die Strahlendosen der Bauarbeiter des Sarkophags. Später gehörte er einer Expertenkommission an, die den Bau des amerikanischen Spaltmateriallagers in der Kernanlage Majak begleitete. Doch schon nach wenigen Monaten wurde er entlassen: Zu grundsätzlich waren seine Bedenken. Heute plagen ihn Schlafstörungen.

 Auf der klebrigen Bistro-Tischplatte klappt Lukaschin sein Laptop auf. Die Apokalypse zeigt er als Powerpoint-Präsentation. Eine radioaktive Plutonium-Wolke erhebt sich als Punkt aus den Wäldern des Ural. In Form einer schnell wachsenden Träne kriecht sie über den eurasischen Kontinent. "Moskau, Warschau - schauen Sie, jetzt ist sie in Berlin!", sagt Lukaschin. Er unterstellt eine andere Windrichtung und dreht die Wolke mit dem Mauszeiger in Richtung Osten. Es verschwinden der Baikalsee, Pakistan, Indien, Japan. "Das Plutonium in der Atomtechnischen Anlage Majak ist nicht sicher gelagert", sagt der Rentner. ..Ich kenne doch die internen Dokumente!" sagt er, und: "Tschernobyl war ein Spaziergang gegen das, was uns aus Majak droht!"

Schlüge hier durch Pilotenfehler oder Terroranschlag ein Passagier-Boeing-Flugzeug hin, das haben seine eigenen Berechnungen ergeben, dann würde nicht einmal das Spaltmateriallager der Wucht des Aufpralls standhalten: Dieses sei für einen Absturz einer 20 Tonnen schweren Maschine projektiert, eine Passagier-Boeing aber Wiege das Zwanzigfache. "Und die fliegen doch alle paar Minuten hier vorbei, von den Flughäfen in Tscheljabinsk und Jekaterinburg!" Schlimmer noch: Auf dem Betriebsgelände lagerten weitere 38 Tonnen Plutonium aus der Wiederaufbereitung von kommerziellem Atommüll - in einem Reaktorgebäude, das aus der Nachkriegszeit stammt. "Da kann keine Rede sein von irgendeinem Schutz."

Der abgebrannte Kernbrennstoff aus dem Versuchsreaktor Rossendorf jedenfalls, wird nun vielleicht niemals auf dem Betriebsgelände von Majak eingelagert werden. Das Problem jedoch, dass in Majak gewaltige Mengen an hochgefährlichem Atommaterial ohne jede internationale Kontrolle umgeschlagen, verarbeitet und gelagert werden, bleibt bestehen.
Und andere Länder könnten wahr machen, was in Deutschland tabu scheint: Die "unbefristete Zwischenlagerung" von abgebranntem Kernbrennstoff in Russland - so wie es russische Gesetze erlauben, und wie es von der russischen Regierung gewünscht ist.

 Im nächsten Jahr soll im sibirischen Krasnoyarsk das erste russische Endlager in Betrieb gehen. Und das ist groß genug für den Atommüll aus vielen Ländern.