MEDIENSPIEGEL
17.1.11
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Norient, Tojo, DS, GH)
- RaBe-Info 14-17.1.11
- Knast: Kritik an Hindelbank-Kritik
- Prozesse: Brigadist verzichtet; Farbe Winterthurer; Farbe ZH
- Obdachlos: Jugendnotschlafstelle BS; Hundehilfe SG
- Alkohol: Ausnüchtern auf eigene Kosten
- Anti-SVP: Ganz Fest gegen die Albisgüetli-Tagung
- Freysinger: Bloc Identitaire + Marine Le Pen
- Sempach: Kein Umzug mehr, dafür Mittelalterfest
- Thor Steinar: "Power Zone" unter Druck
- Ruhe & Ordnung: Frauenfeld will gartenbeizbeleben
- Police CH: Bewaffnung Bahnpolizei umstritten
- Big Brother: US-Observation in Genf; Hotelgäste-Register; 2.
Fiche für Jean-Michel Dolivo; Volkszählung
- Big Brother Sport: Schuldzuweisungen
- Squat ZH: Besetzung Tessinerkeller
- Squat BS: Kurzbesetzung Baslerstrasse; Villa Rosenau
räumungsbedroht
- Randstand: Gassen-Medizin ZH
- Aufstand: Der kommende Aufstand
- Undercover: Spitzel Mark "Flash" Stone sagt "Sorry"
- Antifa: Antinationale Demo Wien gegen WKR-Ball - SVP mit dabei
- Härtefälle: zu restriktiv
- Sans-Papiers: Gegen Schul-Meldepflicht
- Nothilfe: Sosf-Nothilfekampagne 2011
- Asyl: Statistik 2010; ungenügende medizinische Versorgung
- Ausschaffungen: Rückführungsstopp für TunesierInnen;
Kinderwegzug zumutbar
- Migrationsgeschichte: TamilInnenen-Image im Wandel
- Sexwork: Nachtclub-Tänzerinnen FR/GL
- Migration Control: nigerianische MigrantInnen Italien; Grenzlage
Griechenland
- Bombenstimmung: Verhaftungs-Räubergeschichten GR; Brandanschlag
Bundesstrafgericht; Bombendrohungen CH; Prozess Athen
- Armee gegen Innen: Anarch@s + Umweltkatastrophen
- Anti-WEF: Geheimtreffen Vevey; Polizeikommandanten-Ängste; Demo
- Gaza: Gegen staatliche und bärtige Repression
- Mussolini: Umberto Eco entlarvt gefälsche Tagebücher
- Anti-Atom: Zwischenlager-Skandal BE; Mühleberg; Benken-Schulung;
Wirtschaft gespalten; Stilllegungskosten; BKW; Störfall-Training;
GAU Lucens 1969; Tourismus; Frick
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REITSCHULE
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Mo 17.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
Di 18.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
Mi 19.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
19.00 Uhr - SousLePont - Kantonesische
Spezialitäten
19.00 Uhr - Kino - Tour de Lorraine: Wem
gehört die
Erde? Gemeinschaften gegen Rohstoff-Konzerne. Infoabend mit Yvonne
Zimmermann (Solifonds) und Stephan Suhner (Arbeitsgruppe
Schweiz-Kolumbien). Organisiert von attac bern und MultiWatch.
20.30 Uhr - Holzwerkstatt - insubordinations
microfestival:
DuQtuç (Antoine Läng (Stimme), Vincent Membrez (Minimoog),
Lionel Friedli (Schlagzeug), Genf/Biel); Joke Lanz (turntables, Berlin,
D) Louis Schild (Bass, Lausanne); Raphaël Ortis (Bass, Genf)
Do 20.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
20.30 Uhr - Tojotheater - Therapie - Nur
Idioten
begrüssen den Tag mit einem Lächeln. Von Es Huere Cabaret.
21.00 Uhr - Rössli - The Big Bang
Boogie; One
Sentence. Supervisor
Fr 21.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
20.30 Uhr - Tojotheater - Therapie - Nur
Idioten
begrüssen den Tag mit einem Lächeln. Von Es Huere Cabaret.
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East:
RUDOVOUS (CZ) &
DUSA ORCHESTRA (CH), DJ Rane -- Eastern Chanson, Orient Ekspres
Sa 22.01.11
12.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 24.00 h)
17.00 Uhr - - Öffentliche
Führung
durch die Reitschule Treffpunkt grosses Tor
20.00 Uhr - Kino - Tour de Lorraine: Water
Makes Money -
wie private Konzerne aus Wasser Geld machen, D 2010
20.00 Uhr - Tojotheater - Tour de Lorraine:
Alles ist
Nichts ist Alles. Performance in vier Szenen. Konzept: Marina Bolzli,
Katja Boller
21.30 Uhr - Frauenraum - Tour de Lorraine:
Austra (Can);
Candelilla (D); Support DJ?s Not_betty & Fernweh
22.00 Uhr - Kino - Tour de Lorraine: Voices
of Transition,
D 2011
22.15 Uhr - SousLePont - Tour de Lorraine:
Clan Edison --
Folk Rock / Rock
23.00 Uhr - Tojotheater - Tour de Lorraine:
Disko & DJ
Battle - DJs Jane Vayne (Tanzmusik) vs. MC ANLIKER (Lovesongs)
23.30 Uhr - Kino - Tour de Lorraine: Pick
Wien an, Ö
2008 Kurzfilme
23.30 Uhr - SousLePont - Tour de Lorraine:
Herr Bitter --
Splatterpop / Discorock
24.00 Uhr - Kino - Tour de Lorraine: Street
Art Compilation
Kurzfilme
22.00 Uhr - Dachstock - Tour de Lorraine:
DIESLER (Tru
Thoughts/UK), DJ's Studer TM & Giggs (bonzzaj.ch)
So 23.01.11
04.30 Uhr - SousLePont - Tour de Lorraine:
Katerfrühstück
mit Surprise Guest
12.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 18.00 h)
Mo 24.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten:
Ausstellung der
Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
Infos:
http://www.reitschule.ch
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BZ 17.1.11
Erfolg für Filmfestival
Musikfilm. Zum 2. Mal veranstaltete der Verein Norient ein
Musikfilmfestival in verschiedenen Berner Kulturlokalen. Die
Dokumentarfilme aus Afrika, Asien und Osteuropa zogen rund 700 Besucher
an.
Die Organisatoren des 2. Norient-Musikfilm-Festivals zeigen sich
zufrieden. Vom 12. bis 15. Januar hatten sie im Kino in der Reitschule,
im Progr und im Club Bonsoir zu Filmmusikvorstellungen eingeladen. 700
Besucherinnen und Besucher kamen. Die Abende von Donnerstag und Freitag
waren ausverkauft. Das Berner Netzwerk hatte auch heuer wieder ein
Programm ausgewählter Dokumentarfilme zu alternativer,
experimenteller, populärer und neuer Musik in Afrika, Asien und
Osteuropa zusammengestellt.
Spezialgast in Bern war die bulgarische Filmemacherin Adela
Peeva. Ihr mehrfach preisgekrönter Dokumentarfilm "Whose Is This
Song?" gehört mit zum Besten, was das Genre zu bieten hat. Der
Film zeigt die Identitätsdiskussionen und Nationalismen rund um
ein von der Türkei bis nach Albanien bekanntes Schlagerlied auf -
mal humorvoll, mal schockierend. Beim 2. Norient-Musikfilm-Festival
ging es ganz besonders um die komplexen Ver(w)irrungen zwischen Musik,
Gesellschaft und Politik. Auch zu sehen waren drei Schweizer Premieren.
Internationales Netzwerk
Der international tätige Verein Norient arbeitet seit 2002
interdisziplinär an den Schnittstellen von Musik und Gesellschaft,
Journalismus, Wissenschaft und Blog-Kultur. Er ist eine umfassende
Vernetzungs- und Vermittlungsplattform: Kernstücke sind das
Onlinemagazin "norient.com" und die Norient-Produktionen. Letztere sind
aufgegliedert in Norient-Veranstaltungen, das
Norient-Künstler-Kollektiv und Norient-Publikationen. Die dritte
Ausgabe des Norient-Musikfilm-Festivals findet voraussichtlich vom 12.
bis 15. Januar 2012 statt.
ein
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BZ 15.1.11
Reitschule
Jazz-Theaterstück im Tojo
Autorin und Performerin Sandra Künzi hat ihr erstes
abendfüllendes Theaterstück geschrieben: "Jazzy" ist ein Werk
über alten Jazz, Überfremdungsangst und die Schweiz in den
1930er-Jahren. In Gestalt eines Flüchtlings bricht der Jazz in die
Schweiz ein, die von Arbeitslosigkeit und Angst geprägt ist, und
erhält in einem abgewrackten Spunten nahe der Grenze Asyl.pd
Vorstellungen: Sa, 20.30 Uhr + So, 19 Uhr, Tojo Theater
Reitschule.
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Bund 15.1.11
Kurzbesprechung "Jazzy - Swing im Stübli" im Tojo
Jazz und Jodel in der Gaststube
Die Krise der 1930er-Jahre setzt dem "Löwen" zu. Die
verstaubte Gaststube ist leer, die beiden Serviertöchter sitzen
gelangweilt herum, Wirtin Nelly zählt das Münz. Leben in die
Bude bringt das Zauberwort "Amerika" - weckt auch den immer durstigen
weiblichen Stammgast an der Bar aus seiner Lethargie. Von dort kommt
sie nämlich, die neue Musik, die auch der Schweiz guttut, die sich
wie "äs Iklämmts" im Sandwich zwischen den braunen Nationen
befindet.
Die Idee von Sandra Künzis erstem abendfüllendem
Bühnentext ist bestechend. Aus dem angrenzenden Ausland
nämlich findet der Jazz den Weg ins Sandwich. In Person eines
sympathisch-galanten Musikers (Herwig Ursin) stolpert er ins
"Löwen"-Stübli. Die Wirtin (Lilian Naef) freut's
zunächst wenig. Nicht der J im Pass des Gastes stört sie,
doch so ein weisser "Neger", wie sie ihn nennt, passt ihr ganz und gar
nicht. Er aber bleibt und macht Musik.
Rasch also stehen jazzige Klänge im Mittelpunkt von "Jazzy -
Swing im Stübli" (Regie: Dominique Müller). Man lässt
sich gerne zum Mitwippen verleiten, die Musik macht Spass. Ragtime und
Co. werden solide dargeboten, doch letztlich ist die Story zu wenig
dicht, um dem gut einstündigen Theaterabend einen tragfähigen
Bogen zu geben. Das Vergnügen verderben kann dieses Manko jedoch
nicht, weder den Zuschauenden noch den Akteuren. Denn gespielt wird mit
Herzblut. Hinreissend ist die wandelbare Mimik von Lilian Naef,
träf sind ihre knappen Sätze, herrlich singt sie die Ode an
den "Mann im Haus". Und immer wieder brilliert Sandra Künzi als
nicht ganz nüchterner Stammgast mit intelligent-zeitkritischen
Monologen, die grossen Fragen der Menschheit werden virtuos mit den
kleinen Problemen im "Löwen"-Stübli verquickt. Doch dann geht
der Wirtin ein Licht auf. "Sie sind ein Jud?! - Raus!" Schliesslich
wolle sie keinen Ärger mit dem Gesetz. Der Spass ist vorbei, aus
dem Blues droht eine Katastrophe zu werden. Doch so schnell gibt man
nicht auf - und der Abend kommt kurz vor dem Happy End so richtig in
Fahrt. Waffen, Bananenröckchen, schwarze Schafe und Absinth werden
bunt durcheinandergemischt, und Wirtin Nelly wird aus voller Kehle
gepriesen als "Mother of Jodel and Jazz".
Pia Strickler
Weitere Vorstellungen am 15. Januar (20.30 Uhr) und am 16. Januar
(19 Uhr, im Anschluss Jazzete zum Mitjammen) im Tojo-Theater der
Reitschule. Reservation: tojo@reitschule.ch
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kulturstattbern.derbund.ch 14.1.11
Vom vollen Boot und der leeren Beiz
Von Nicolette Kretz am Freitag, den 14. Januar 2011, um 16:03 Uhr
Die legendärsten und besten Premierenfeiern in Bern gibts im Tojo.
Das hat eine langjährige, intensive empirische Studie meinerseits
ergeben. Es ist möglicherweisePremierenfeier von Jazzy der einzige
Ort, wo Leute auch mal nur an die Premierenfeier kommen, unter
Umständen - wie gestern einige - auch erst um eins. Absinth und
sonstige Brände wurden ausgeschenkt und auf der Bühne griff
jeder, der dazu befähigt war, zu Bass, singender Säge,
Drumsticks, Mikro oder in die Tasten. Eine logische Konsequenz des
Stückes.
"Jazzy" von Sandra Künzi (Regie: Dominique Müller) ist im
Grunde eine theatrale Jamsession. Die Story von einem
österreichischen Fremdling (Herwig Ursin), der in den nicht gerade
vom wirtschaftlichen Erfolg gesegneten "Löie" schneit, dort erst
auf wenig Gastfreundlichkeit stösst, dann aber mit seinem frisch
importieren Jazz Wirtin Nelly (Lilian Naef), den dauerbesoffenen
Stammgast (Sandra Künzi), die Belegschaft (Margrit Rieben und
Regula Frei) und letztlich auch den Dorfpolizisten (Dominique
Müller) für sich gewinnt, bildet den Rahmen für viel
Spass, Musik und Politik.
Ziemlich wild zusammengewürfelt gehts da um die Rolle der Schweiz
im Nationalsozialismus, um heutige Überfremdungsängste, um
Feminismus, um Börsencrashs und um eine musiktheoretische
Aufrollung der Entstehungsgeschichte des Jazz. Das ist recht viel, hat
aber mühelos nebeneinander Platz, vor allem weil das ganze einfach
fantastisch gespielt ist - im schauspielerischen wie im musikalischen
Sinne - und zahlreiche grandiose Highlights enthält: Ursins
rasanter Ritt durch die Jazzgeschichte in Theorie und Praxis oder
Künzis Version von Josephine Baker. Zum Niederknien!
"Jazzy" läuft noch bis Sonntag im Tojo - am Samstag nochmals mit
anschliessender Jamsession.
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20 Minuten 14.1.11
Weltmusik 2.0 im Fokus
BERN. Tropentechno und südafrikanischer Punk: Das zweite
Norient-Festival nimmt den Weltmusik-2.0-Trend mit DJs und Filmen unter
die Lupe.
"Schlachthofbronx verspricht Schweiss an den Wänden und
Muskelkater am Morgen danach", so beschreibt der Musikblog 78s.ch die
Wirkung des Münchner Duos. Heute kommen die beiden Herren im
Rahmen des zweiten Norient-Musikfilm-Festivals ins Berner Bonsoir. Ihr
Ding: eine Mischung aus Folklore aus der dritten Welt, aufgepeitscht
mit einer gehörigen Portion Elektro-Beats.
"Im Spannungsfeld zwischen den Rändern dieser Welt sowie den
Clubs und Konzertlokalen Europas entstehen Trends", sagt
Norient-Organisator Thomas Burkhalter. Das fasziniere ihn.
Dass dabei viel mehr als nur fröhliche Beats kreiert werden,
zeigen vier Festivalfilme. "Fokofpolisiekar" etwa begleitet eine
südafrikanischen Punkband, die mit der Apartheid abrechnet. Die
Doku "Full Metal Village" zeigt, was im norddeutschen
1800-Seelen-Dörfchen Wacken geschieht, wenn 60 000 Fans an eines
der grössten Heavy-Metal-Festivals der Welt strömen. Zu sehen
heute und morgen im Kino der Reitschule.
Pedro Codes
Fr, 14.1., 23 Uhr, Norient-Clubnacht, Bonsoir.
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BZ 14.1.11
Tanzbarer Afrobeat
Konzert. Eine Berner Combo beweist, dass die Vermischung von
Afrobeat mit Funk und Jazz durchaus funktionieren kann. Heute feiern
The Faranas im Dachstock der Reitschule Plattentaufe.
Heute Abend wird das Tanzbein geschwungen im Dachstock der
Reitschule. Garantiert. Denn bei solchen Beats kann niemand still
stehen bleiben. The Faranas taufen ihr Album "Who Are You?", das zwar
erst im März erscheint, an dieser Stelle aber trotzdem schon
gelobt sein soll. Was die Berner Zehnercombo abliefert, ist treibend,
abwechslungsreich und nicht in eine Schublade einzuordnen.
Von Covers zu Eigenem
Es beginnt 2003. Der Jahrhundertsommer. Neun ganz
unterschiedliche Musiker schliessen sich für einen
Fela-Kuti-Tribute zusammen. Sie tun dies eigentlich für einen
Abend, ein Konzert. Doch der afrikanische Groove macht Spass - dem
Publikum und den Musikern. Als Coverband The Felas ziehen die Musiker
fortan durchs Land und spielen Stücke des 1997 verstorbenen
Nigerianers Fela Kuti.
Mit dem Senegalesen Mory Samb stösst 2009 einer zur Gruppe,
der die traditionellen Griot-Gesänge aus Senegal beherrscht - die
Combo beginnt eigene Songs zu schreiben. Das ist der Start der
Geschichte von The Faranas, geliehen vom Wort für Foreigner
(Fremder), wie es im Pidgin-Englisch Nigerias ausgesprochen wird. "Seit
wir unsere eigenen Stücke spielen, geht es nicht mehr um
Werktreue, sondern um eine Weiterentwicklung des Afrobeats", sagt der
Elektrojazzer Jan Galega Brönnimann.
Funk und Afrobeat
Die Band spielt mittlerweile keine Covers mehr, ist aufgetaut und
bedient sich ungeniert verschiedener Musikrichtungen. Neben klassischen
Afrobeat-Nummern sind The Faranas auch für einige
Überraschungen gut - es gibt elektrische und jazzige
Einflüsse und funkige Bläserarrangements, die an die besten
Zeiten des Schweizer Funks erinnern (mit Daniel "Bean" Bohnenblust am
Saxofon und Rich Fonje am Mikrofon sind auch zwei frühere
Grand-Mothers-Funck-Musiker mit dabei). Dank Foje und Samb schliesslich
verfügt die Band neu über zwei ganz unterschiedliche
Sänger - die noch aufgewertet werden durch ein eingängiges
Gastspiel der südafrikanischen Rapperin Burni Aman. "Wir
vermischen Griot-Gesang, elektronische Klänge, afrikanische
Rhythmen und Bläserhymnen, ohne uns an ein Vorbild zu klammern",
fasst Brönnimann zusammen. Er selbst habe noch nie in einer so
durchmischten Band gespielt.
Das geht in die Beine, macht Spass und - Lust auf mehr.
bol
Konzert: heute, 20.30 Uhr, Dachstock der Reitschule.
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Bund 13.1.11
Bühne "Jazzy"
Das Brodeln nach Noten
Eine wahnsinnige Musik aus einer wahnsinnigen Zeit: Sandra
Künzis Stück gibt dem alten Jazz eine Bühne.
Der Grund für Sandra Künzis erstes abendfüllendes
Theaterstück war eigentlich eine kleine künstlerische
Midlife-Krise. Die 41-Jährige, ein zwischen Musik, Theater,
Performance, Literatur und Moderation pendelnder Tausendsassa, fand es
mit vierzig nicht mehr altersgemäss, sich in der elektronischen
Musik als ewig Jugendliche zu gebärden, und stiess dann auf den
Jazz, "etwas Zeitloses, das auch viel mit Freiheit zu tun hat", wie es
Künzi umschreibt. Im Speziellen zog es sie zum alten Jazz und hin
zu jener Zeit, in der er noch brandneu war: ein faszinierendes
Gebräu aus afrikanischen und europäischen Musiktraditionen.
Diese Begeisterung für den alten Jazz in ein
Theaterstück zu giessen, lag für Künzi nahe: "In der
Zeit von etwa 1890 bis 1940, als der Jazz gross wurde, brodelte es:
Innert weniger Jahre gab es unheimliche technologische Innovationen -
die Elektrizität, das Auto, das Radio -, es gab das Ende der
Sklaverei und die Rassentrennung, die Goldenen Zwanziger und den
Börsencrash, zwei Weltkriege. Im Jazz ist der ganze Wahnsinn
dieser Zeit drin. Und das hat natürlich viel dramatisches
Potenzial", so Künzi.
Natürlich spielt Künzi mit ihrem Team, das massgeblich
an der Ausformung der Produktion beteiligt war, nicht Harlem oder New
Orleans nach. "Das wäre reine Ethno-Romantik." Sondern sie legt
die Handlung von "Jazzy" in eine Schweizer Wirtschaft irgendwo an der
Grenze, irgendwann in den 30er-Jahren - und nimmt so die damals
grassierende Angst vor der Überfremdung mit an Bord: Mit dem Jazz
und einem undefinierbaren Flüchtling (Herwig Ursin) prallt das
Fremde auf die bodenständige Schweizer Realität. "Jazzy"
erzählt eine einfache Geschichte, ist aber vor allem auch ein
Abend mit Musik - jener Musik, die einst die Menschen auf der Strasse
und im Volk elektrisierte.(reg)
Tojo-Theater ReitschuleDo, 13. Januar, bis Sa, 15. Januar, 20.30
Uhr. So, 16. Januar, 19 Uhr. Am 13. und 15. Januar mit "Jazzete" im
Anschluss, mitjammen erwünscht.
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kulturstattbern.derbund.ch 13.1.11
"Ich bin schon bei der Geburt gestorben"
Von Benedikt Sartorius am Donnerstag, den 13. Januar 2011, um 06:05 Uhr
Traurige Istanbuler Lied- und Tanzmenschen standen am gestrigen
Auftaktabend des 2. Norient Musikfilm Festivals in der Turnhalle im
Fokus. Via Leinwand gab die Fernsehproduktion "Arabesk - Gossensound
und Massenpop" eine Einführung in die Spielart der einst
verfemten, aus Anatolien in die Stadt zugezogenen Sänger, die
ihren Kummer und auch ihren Wunsch nach einer Veränderung der
Orhan GencebayGesellschaft in kathartisch wirkende Lieder
pressten. Der Zuschauer lernte Arabesk-Grossmeister wie Orhan Gencebay
oder Müslüm Gürses kennen, sah das Konzertpublikum bei
Selbstpeinigungen, erfuhr vom Ausverkauf des Arabesken, der in den
Achtzigerjahren mit dem Aufkommen einer Bollywood-ähnlichen
Filmindustrie einhergegangen ist, und brannte sich den elenden Kernsatz
"Ich bin schon bei der Geburt gestorben" ein.
Im Film war auch der Medienkünstler Serhat Köksal alias 2/5
BZ zu sehen, der den Abend mit der Agitprop-Performance "Arabesque vs
Schweizerbesque @ Palaverel Universe" weiterschnipselte.
"Arabesk"-Filmspuren tauchten auf, gegengeschnitten mit
Staatsbesuchsbildern des türkischen Präsidenten Abdullah
Gül letzthin bei Frau Bundespräsident Leuthard, listigen
Minarettcollagen und dem WEF-Herr Klaus Schwab, während die
Klangspur in den chaotischen Club weiter zog.
Weiter zieht ab heute Donnerstagabend auch das Norient
Musikfilmfestival, und zwar in das Kino in der Reitschule, wo bis am
Samstag sechs weitere Musikdokus auf dem Programm stehen - unter
anderem die Wacken-Hommage "Full Metal Village", die Suche nach dem
Super-Muezzin "Muezzin" oder die südafrikanischen Fokofpolisiekar.
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WoZ 13.1.11
Türkische Musik
Globalisierte Grooves, gesellschaftliche Gräben
Musik steht in Wechselwirkung mit gesellschaftlichen
Entwicklungen. In der Türkei, die sich seit hundert Jahren an
den Gegensätzen von Ost und West reibt, spiegelt sich der
Machtkampf zwischen der Machtelite und den säkularen
KemalistInnen auch in der Musikszene.
Von Susanne Schanda
"Woher kommst du?" Das fragen Einheimische gemeinhin
BesucherInnen aus der Fremde. In den Gecekondus, den illegal erstellten
Siedlungen an den Rändern von Istanbul, Ankara und Izmir, stellt
sich die Frage auch unter den türkischen BewohnerInnen selbst.
Kaum jemand in diesen Slums stammt aus der je weiligen Stadt selbst,
alle sind sie zugewandert - sei es aus Anatolien oder der
Schwarzmeer region, sei es auf der Flucht vor Armut und Krieg. Wer
nicht aus demselben Dorf kommt, wird hier als FremdeR wahr genommen.
Bei diesen Landflüchtlingen in den Slums an den Rändern
der türkischen Grossstädte ist seit den sechziger Jahren
Arabesk entstanden, eine Mischung aus arabischem Schlager und
türkischer Volksmusik, gesungen voller Herzschmerz und unterlegt
mit Streicherarrangements. "Die Texte handeln von
Schicksalsergebenheit, Einsamkeit, Schmerz und Verzweiflung, ohne aber
klare Aussagen zu haben. Daher konnte jeder seine persönlichen
Leiden hineinlesen", sagt Martin Greve, deutscher Musikethnologe und
Spezialist für Musik in der Türkei.
Unmoralische Minibusmusik
Arabesk war die Musik der einfachen Leute und der aufstrebenden
Mittelschicht der Migrant Innen. Sie wurde auf Kassetten verbreitet und
oft in den Minibussen gespielt, was ihr auch die Bezeichnung
"Minibusmusik" einbrachte. Die intellektuellen Eliten und die
KemalistInnen (die AnhängerInnen von Kemal Atatürk, dem
Gründer der modernen Türkei) lehnten Arabesk ab, und in den
staatlichen Medien war diese Musik jahrelang verboten, weil sie "die
Moral der Bevölkerung zersetzt".
Erst nach 1980 rehabilitierte der damalige Ministerpräsident
Turgut Özal Arabesk. Er nutzte die Musik für seine
politischen Kampagnen. Arabesk wurde zur eigentlichen Popmusik. "So
wurde diese Musik nicht nur kommerziell, sondern auch politisch
relevant", erläutert Greve. "Selbst politische Liedermacher
liessen sich davon beeinflussen."
Die Türkei versteht sich seit hundert Jahren als westliches
Land. Türkische Musikerinnen und Musiker tauschen sich mit
KollegInnen aus aller Welt aus, viele von ihnen studieren in Europa.
Seit Beginn des 20. Jahrhunderts wird an den Konservatorien nach
europäischen Methoden unterrichtet und musiziert.
Aus diesen Kreisen der Kunstmusik schlägt der Arabesk-Musik
nur Verachtung entgegen. Zumal dieser Musik - die unter der Welle der
westlichen Popmusik nicht etwa ertrank, sondern diese vielmehr
integrierte - heute auch das Image des Rührseligen, Kitschigen und
Rückständigen anhaftet. Erst vor wenigen Monaten hat Fazil
Say, international renommierter Komponist und Konzertpianist, mit einer
Polemik gegen die Arabesk-Musik eine Debatte losgetreten, die
gesellschaftliche und politische Gräben in der Türkei zutage
treten lässt. Auf seiner Facebook-Seite nannte Say Arabesk "eine
Last für Intellektualität, Modernität,
Führungskraft und Kunst" und schrieb: "Ich schäme,
schäme, schäme mich für das Arabesk-Proletentum beim
türkischen Volk." In einem Zeitungsinterview sagte er später,
Arabesk stehe für einen "Geist des Niedergangs".
Diese Provokation liessen die Arabesk-AnhängerInnen nicht
auf sich sitzen. Sie nannten den Musiker "krank" und einen
"Faschisten". Fazil Say ist ein überzeugter Anhänger von
Staatsgründer Kemal Atatürk und repräsentiert die
säkular-kemalistischen Eliten. Seit dem Wahlsieg der
religiös-konservativen Regierungspartei AKP von
Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2003 verlieren die
KemalistInnen immer mehr an Boden. Sie fürchten, dass die
anatolische, fromm-konservative Mittelschicht die türkische
Republik islamisieren will. Der Musikethnologe Martin Greve relativiert
die Bedeutung dieser Debatte. Fazil Say stehe zwar politisch eher links
und könne sich auch differenzierter ausdrücken, hier aber
komme ein elitäres Überlegenheits gefühl zum Ausdruck:
"Ein Konzertpianist wettert gegen eine einfache Unterhaltungsmusik."
Dass es auch anders geht, zeigt das Beispiel Orhan Pamuk. Dem
türkischen Literaturnobelpreisträger ist die Verschmelzung
von östlicher Tradition und westlicher Moderne auf faszinierende
Weise gelungen. Aufgewachsen in einer säkularen Familie der
Istanbuler Oberschicht, die die Türkei als einen Teil Euro pas
sah, war ihm die westliche Kultur von Kindheit an vertraut.
Fundamentalismus auf allen Seiten
"Religion schien mir lange eine Beschäftigung für arme
Leute", sagt Orhan Pamuk im Gespräch. Erst im Alter von 35 Jahren
begann er, die östliche und islamische Tradition und Kultur zu
erforschen. "Eine traditionelle und daneben auch eine neu erworbene
Kultur zu haben, ist notwendig für jede künstlerische
Entwicklung", sagt Pamuk. Doch Fundamen talistInnen, die nur eine
einzige und einheitliche Kultur gelten lassen wollten, gebe es
überall: "Es gibt auch säkulare Fundamentalisten, die nichts
ertragen können, was mit Religion, islamischem Mystizismus oder
Tradition zu tun hat."
Tatsächlich aber haben sich die Kulturen in der Türkei
längst vermischt. Zu hören ist das in allen Bereichen des
türkischen Musiklebens. "Es gibt keine Musik ohne solche
Mischungen. Was anscheinend ‹traditionell› ist, ist fast immer ebenso
westlich beeinflusst wie alles andere. Nur hört man es oft nicht
gleich auf Anhieb", meint Greve.
Ob man nun den türkischen Rock musiker Erkin Koray nimmt,
den jungen Rapper Ceza, die kurdische Sängerin Aynur oder Sezen
Aksu, die seit Jahrzehnten erfolgreich Pop mit klassischer
türkischer Musik verbindet: Ihre Klangwelten entwickeln sich nicht
im Glashaus, sondern im aktiven Austausch mit anderen Strömungen.
In der Türkei gibt es sogar Muezzine, die ihren Ruf zum Gebet als
Gesang verstehen. Für FundamentalistInnen ist das
Gotteslästerung. Aber Fundamentalist Innen gibt es überall.
--
Orientalische Musikfilme
Im Kino in der Reitschule in Bern sind im Rahmen des
Musikfilmfestivals Norient Dokumentarfilme über Musikszenen aus
dem orientalischen Raum zu sehen.
Donnerstag, 13. Januar, 20 Uhr: "Muezzin", Do kumen tarfilm von
Sebastian Brames huber (Tür kei/ Österreich 2009).
"Taqwacore: The Birth of Punk Islam", Dokumentarfilm von Omar
Majeed (USA/Pakistan 2009).
Freitag, 14. Januar, 20 Uhr: "Whose Is This Song?",
Dokumentarfilm von Adela Peeva (Bulgarien 2003). "Fokofpolisiekar
(Fuck-off-Police-Car)", Dokumentarfilm von Brian Little (Südafrika
2009).
Samstag, 15. Januar, 20 Uhr: "Full Metal Village", Dokumentarfilm
von Cho Sung-Hyung (Deutschland 2006). "We Dont't Care about Music
Anyway", Dokumentarfilm von Cédric Dupire und Gaspard Kuentz
(Frankreich/Japan 2009).
Reservationen: reservation@norient.com http://www.norient.com
---
Bund 13.1.11
Sounds The Faranas
Fast schon ein bisschen erotisch
Eine Zehnerschaft Berner Jazz- und Funk-Musiker huldigt dem
Afrobeat: The Faranas haben sich von der Fela-Kuti-Coverband zur
autarken Combo entwickelt. Ihre Debüt-CD ist ein groovendes Bijou.
Ane Hebeisen
Es war für die Musikgeschichte ein Schlüsselmoment, als
sich Fela Kuti 1966 mit seinen Freunden Hugh Masekela und Mulatu
Astatke in New York traf. Gemeinsam beschloss man, die afrikanische
Musik in die Welt tragen zu wollen. Drei Jahre später erfand Fela
den Afrobeat, indem er die Sexyness des Funks mit dem Furor
afrikanischer Widerstandsmusik paarte und mit einer unbändig rohen
Form des Jazz vermengte. Afrobeat war ein kämpferisches Statement
gegen die Seuche der Korruption, gegen Machtmissbrauch,
Unterdrückung und die Relikte des Kolonialismus. Und während
man in den Clubs von London ausgelassen dazu tanzte, arrivierte die
Musik auf dem afrikanischen Kontinent zum Soundtrack des Aufstandes.
Seit Anfang des Jahrtausends feiert der Afrobeat wieder
Hochkonjunktur. Zwischen Tokio und Los Angeles schiessen Bands aus dem
Boden, die sich diesem rollenden Groove annehmen. Mit den Faranas hat
nun auch die Stadt Bern eine eigene heimische Afrobeat-Kapelle. Eine
Band, die zwischen 2003 und 2010 unter dem Namen The Felas als
Coverband durch die Lande reiste, ohne jedoch den Songs des
Afrobeat-Übervaters besonders reizvolle neue Facetten abzutrotzen.
Doch nun meldet sich die Formation unter neuem Namen, mit eigenen
Stücken und dem mirakulösen Album "Who Are You" zurück.
Und auf einmal geht es hier um mehr als um die blosse Werktreue - es
geht um nichts weniger als um die Weiterentwicklung des Afrobeats. Der
Berner Vibrafonist Dominik Alig, der die Felas 2003 - vorerst nur
für ein Konzert - aus dem Boden stampfte, berichtet nicht ohne
Stolz von der beachtlichen Entwicklung, welche die 10-köpfige Band
hinter sich hat: "Seit dem Entschluss, eigene Songs zu schreiben, wurde
eine staunenswerte Eigendynamik in Gang gesetzt", erzählt er.
"Jeder bringt sich mit seinem musikalischen Hintergrund in die Band
ein, und es wurde bald klar, dass da am Ende kein Afrobeat entsteht,
wie man ihn schon öfters zuvor gehört hat."
Berner Musik-High-Society
Und gerade weil sich da so allerhand Berner Musikprominenz aus
verschiedensten Sparten auf einem Fleck versammelt, bleibt diese Musik
über die ganze Spieldauer des Silberlings vielgestaltig und
anreizend. Da finden sich die progressiven Klänge des
Elektro-Jazzers Jan Brönnimann neben der fast schon erotisch
anmutenden Rhythmusgitarre des Grand-Mother's-Funk-Mannes Bernhard
Häberlin, da trifft der unendlich groovende Bass von Berns
führendem Tieftöner Tonee Schiavano auf die Kalimba von
Adrien Oggier oder das - in Afrobeat-Besetzungen eher selten zum
Einsatz kommende - Vibrafon von Dominik Alig auf die raffinierte
Rhythmusarbeit des Senegal-Berners Mory Samb.
Immer wieder wird gebührend Platz ausgespart für
solistische Vorstösse, und auch am Frontmikrofon tut sich
allerhand: Das Hauptproblem der Felas war, dass der
Brothertunes-Sänger Rich Fonje - ein begnadeter Soul-Interpret -
als Fela-Imitator keine Idealbesetzung war. Im erweiterten Musik-Layout
der Faranas ist sein souliges Timbre besser aufgehoben, im
Paradestück "Farana" zeigt er auf, dass er durchaus auch aus
diesem Soul-Distrikt auszubrechen im Stande ist. Eine nette
Ergänzung ist der Einbezug von Mory Samb als Sänger, der Sohn
eines Griots setzt überraschende Kontraste, ebenso die
südafrikanische Gastsängerin Burni Aman mit ihrem
Afrikaans-Sprechgesang.
"Wir haben erkannt, dass wir als Schweizer Band nie die
politische Brisanz und Dringlichkeit der Originale in unserer Musik
auffangen können. Deshalb war es so befreiend, an einer ganz
eigenen Deutung dieses Sounds zu werkeln", sagt Dominik Alig. Und
dieses Unterfangen ist mehr als geglückt. Selten hat ein dermassen
aufreizend groovendes Tonwerk ein Berner Studio verlassen, und gerade
weil in ebendiesem Studio nicht auf die im Genre übliche
Vintage-Ästhetik gesetzt wurde, erstrahlt diese Musik in einem
ganz aparten Glanz. Das Werk ist transparent produziert, ohne in einem
kunstfeindlichen Chic unterzugehen. Eine durchwegs erfreuliche Sache!
Reitschule DachstockFr, 14. Jan., 20.30 Uhr.
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WoZ 13.1.11
Ausstellung
Reis aus Birmingham
Die Künstlergruppe Stan's Cafe aus Birmingham stellt
mithilfe von Reiskörnern Statistiken nach. Ein einzelnes Reiskorn
steht dabei jeweils für eine Person.
Bis Ende Januar sind ihre Arbeiten in der Grossen Halle der
Reitschule in Bern zu sehen. Mit der Exaktheit passionierter
Wissenschaftler Innen wiegen die Künstler den Reis, häufen
ihn auf und liefern so visuelle Antworten auf brennende Fragen und
erhellende Einsichten in soziale Ungleichheiten. Die unterschiedlichen
Grössen der Hügel verleihen der Ausstellung ihre
scharfsinnige Brisanz.
Die Ausstellung steht unter dem Patronat des
Cesci-Fördervereins. Sein Anliegen ist es, die indische
Sozialbewegung Ekta Parishad in der Schweiz bekannt zu machen. adr
"Ungleichheiten" in: Bern Grosse Halle in der Reitschule. Sa,
15., bis So, 30. Januar. www.reitschule.ch
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RABE-INFO
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Mo. 17. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_17._Januar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2017.%20Januar%202011
- Rive Reine Konferenz - ein Geheimtreffen der Wirtschafts- und
Politelite am Genfersee
- Kopf der Woche: die bulgarische Filmemacherin Adela Peeva
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Fr. 14. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_14._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_14._Januar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2014.%20Januar%202011
- Der viel gelobte Dokumentarfilm "Water Makes Money" im Visier der
Grosskonzerne: Der französische Wasserkonzern Veolia klagt wegen
Verleumdung
- Wer hat's erfunden? - Ein Lied bewegt die Gemüter auf der ganzen
Welt
- Frauenkooperative in Nicaragua: T-Shirts ums Überleben
kämpfen
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Do. 13. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_13._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_13._Januar_2011.mp3&song_title=###TITLE###
- Warum Transparency International das Urteil im Zürcher
Whistleblower-Prozess kritisiert
- Wie sich der Deutsche Journalistenverband für 2 Kollegen
einsetzt, die im Iran im Gefängnis sitzen
- Wie der Waffenstillstand der baskischen Terrororganisation ETA zu
einer politische Lösung im Baskenland beitragen kann
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KNAST
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BZ 14.1.11
Knastkritik nach Gefühl
Hindelbank. Die nationale Anti-Folter-Kommission stützt ihre
Kritik an der Strafanstalt Hindelbank vor allem auf das Gefühl der
eigenen Fachleute und auf die Aussagen der befragten Insassinnen. Dies
erklärt Elisabeth Baumgartner, Vizepräsidentin der
Kommission, im Interview mit dieser Zeitung. In ihrem am Dienstag
veröffentlichten Bericht kritisierte die Kommission die
Haftbedingungen im Hochsicherheitstrakt der Anstalt massiv. Der Grad
der Isolation komme einer unmenschlichen Behandlung nahe und stehe
einer positiven Entwicklung der Insassinnen absolut entgegen. Auch sei
das Personal der Anstalt zum Teil ungenügend ausgebildet. Gegen
die Vorwürfe wehrte sich die Anstaltsleitung und sagte, die
Kommission habe zu wenig genau hingeschaut.as
Seite 13
--
Kommission macht aus Gefühlen Fakten
Strafvollzug. Elisabeth Baumgartner hat als Vizepräsidentin
der nationalen Anti-Folter-Kommission die Haftbedingungen in Hindelbank
kritisiert. Wie Baumgartner erklärt, fusst diese Kritik weniger
auf objektiven Fakten als auf den Aussagen der Insassen sowie auf dem
Gefühl der Kommissionsmitglieder.
Sie kritisieren die Haftbedingungen in Hindelbank. Die
Anstaltsleitung sagt dagegen, Sie hätten nicht gut hingeschaut.
Elisabeth Baumgartner: Das sehe ich anders. Wir waren letzten
Juni zwei Tage in Hindelbank und haben mit Insassinnen sowie mit dem
Personal gesprochen und uns alles angeschaut.
Sie bemängeln, dass dem Personal zum Teil die richtige
Ausbildung fehle. Die Anstaltsleitung weist den Vorwurf zurück.
Wir haben dies dort festgestellt, wo Frauen mit psychischen
Problemen und zum Teil psychischer oder geistiger Behinderung
festgehalten werden. Für solche Personen ist eine Haftanstalt
nicht der richtige Ort. Zwar ist die Leitung dieser Abteilung gut
qualifiziert. Das Personal hingegen ist - anders als in der Psychiatrie
- nicht für die nötige Betreuung ausgebildet. Solche Personen
adäquat unterzubringen, ist nicht nur in Hindelbank ein Problem.
In der ganzen Schweiz fehlen solche Plätze.
Sie kritisieren die Isolation im Hochsicherheitstrakt. Die beiden
Frauen, die dort aus Sicherheitsgründen in Einzelhaft sind,
dürfen jedoch Katzen halten, und auch sonst gehe man auf ihre
Bedürfnisse ein, sagt die Anstaltsleitung.
Eine Katze zu halten, ist sicher gut, aber es ersetzt die
zwischenmenschlichen Kontakte nicht. Heute führt ein
übersteigertes Sicherheitsbedürfnis dazu, dass man solche
Leute einfach wegsperrt. Die Erhöhung des Sicherheitsstandards
führt aber zu mehr Isolation im Gefängnis, was sich
nachteilig auf die psychischen Störungen dieser Menschen auswirkt
und sie zu Zeitbomben macht. Denn die Möglichkeit besteht, dass
sie bei guten Prognosen eines Tages aus der Anstalt entlassen werden.
Bei den Frauen in Einzelhaft handelt es sich um die sogenannte
Parkhausmörderin und die Florapark-Mörderin. Sie sollen das
Personal immer wieder angreifen. Wie sollen solche Täterinnen
verwahrt werden?
Wir von der Kommission sind nicht die Anwälte dieser Frauen.
Aber dass die Therapeutinnen durch Gitterstäbe mit einer der
Insassinnen sprechen müssen, ist aus ärztlicher Sicht
schlecht. Unser Präsident (Jean-Pierre Restellini, Genfer Arzt und
Jurist sowie der Schweizer Vertreter im Anti-Folter-Ausschuss des
Europarates, Anm. d. Red.) hat problemlos ohne Gitter mit beiden Frauen
gesprochen. Allerdings musste er sie erst beruhigen, weil sie sich ein
Gespräch ohne Gitter nicht gewöhnt waren.
Nochmal: Wie soll man solche Täter verwahren?
Wir sind sicher, dass dieses Niveau an Isolation nicht nötig
ist. Man müsste versuchen, solche Personen in den Normalvollzug zu
integrieren, ihnen eine Chance geben.
Laut Anstaltsleitung sind Lockerungen im Vollzug dann
möglich, wenn die Insassinnen Fortschritte in der Therapie machen.
Die Parkhausmörderin gilt als nicht therapierbar.
Es ist sicher immer schwierig, die Gefährlichkeit
einzuschätzen und die Sicherheit abzuwägen. Eine
Möglichkeit wäre die schrittweise Lockerung des Vollzugs.
Gespräche ohne Gitterstäbe könnten den Therapieverlauf
allenfalls positiv beeinflussen.
Sie kritisieren weiter, dass die Betreuung stark auf den
konformen Ablauf des Anstaltslebens und auf das Einhalten von Regeln
ausgerichtet sei.
Wie soll eine Strafanstalt, in der hundert Kriminelle einsitzen,
sonst geführt werden?
Das ist schon klar. Wir hatten jedoch im Gespräch mit den
Insassinnen den Eindruck, dass dies in Hindelbank sehr rigoros
gehandhabt wird und dass den Frauen nicht immer rechtliches Gehör
gewährt wird.
Stützen Sie sich ausschliesslich auf die Aussagen der
Insassen?
Nein, wir sprechen auch mit der Anstaltsleitung und mit dem
Personal. Da steht dann halt manchmal Aussage gegen Aussage. Es ist
aber klar unsere Aufgabe, den Inhaftierten zuzuhören und ihre
Aussagen aufzunehmen. Denn diese Stimmen werden sonst nicht gehört.
Eine Ex-Insassin von Hindelbank hat sich bei uns gemeldet und die
Anstalt sehr gelobt.
Unser Bericht ist im Grossen und Ganzen ebenfalls positiv, vor
allem was den normalen Vollzug betrifft. In den Medien konzentrierte
man sich zu stark auf die wenigen Kritikpunkte, die wir betreffend des
Hochsicherheitstraktes anbrachten.
Nach welchen Kriterien beurteilt die Kommission die Anstalten?
Wir schauen beispielsweise, wie oft gewisse Aussagen gemacht
werden. Wenn viele Insassen dasselbe kritisieren, dann ist dies ein
Indiz dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Zudem sind wir
erfahrene Fachleute auf verschiedenen Gebieten.
Im Bericht zu Hindelbank kritisieren Sie, der Grad der Isolation
im Hochsicherheitstrakt sei aus menschlicher, medizinischer und
rechtlicher Sicht kaum zu rechtfertigen. Worauf stützen Sie diese
Aussage?
Auf das Gefühl und die Erfahrung unseres Präsidenten
Jean-Pierre Restellini, der die Frauen dort besucht hat.
Gibt es keine Kontrollkriterien und Massstäbe, welche die
Kommission anwendet?
Doch. Die Normen von UNO-Konventionen und jene der
Europäischen Menschenrechtskonvention sowie deren Auslegung durch
Gerichte. Für unsere Arbeit massgebend sind auch die
Europäischen Strafvollzugsgrundsätze vom Ministerkomitee des
Europarates und die Standards des europäischen Ausschusses zur
Verhütung von Folter.
Gegen welche Konventionen verstossen die Haftbedingungen in
Hindelbank?
Der Europäische Ausschuss geht davon aus, dass ein
bestimmter Grad von Isolation Artikel 3 der Europäischen
Menschenrechtskonvention verletzen kann. Der Ausschuss verlangt
mindestens eine Stunde menschlichen Kontakt pro Tag. Bei Kritikpunkten,
die die Bedingungen im Hochsicherheitstrakt betreffen, steht Aussage
gegen Aussage. Etwa dort, wo es um die Anzahl Stunden pro Woche geht,
in denen die Inhaftierten Kontakt zu anderen Leuten haben.
Dafür formulieren Sie Ihre Kritik aber ziemlich absolut.
Das Gefühl, das Jean-Pierre Restellini beim Gespräch
mit der einen Frau hatte, deckt sich mit deren Aussage, dass sie zu
wenig Kontakte habe. Ebenso der emotionale Zustand, in dem er sie
vorfand.
Wie viele und welche Institutionen muss die Kommission pro Jahr
kontrollieren?
In das Mandat der Kommission fallen alle Institutionen, in denen
auf behördliche Anordnung oder mit behördlicher Genehmigung
ein Freiheitsentzug stattfindet. Wir besuchen also Leute im
Fürsorgerischen Freiheitsentzug ebenso wie
Untersuchungshäftlinge, Strafgefangene oder Ausländer in
Ausschaffungshaft. Zahlenmässig haben wir keine Vorgaben, wir
versuchen aber mindestens 16 Institutionen pro Jahr zu kontrollieren.
Mehr ist schwierig, weil wir eine Milizkommission mit beschränkten
finanziellen Mitteln sind.
Wie hoch ist Ihr Budget, und wer finanziert Ihre Arbeit?
Uns stehen jährlich 360 000 Franken zur Verfügung.
Damit müssen wir die Kosten für das Sekretariat und die
mehrtägigen Besuche decken. Die Finanzierung übernehmen das
Bundesamt für Justiz und das Eidgenössisches Departement
für auswärtige Angelegenheiten.
Interview: Andrea Sommer
--
UNO-Anti-Folter-Konvention
Anti-Folter-Kommission Die Juristin Elisabeth Baumgartner (38)
ist bei der Friedensstiftung Swisspeace für den Bereich
Vergangenheitsarbeit zuständig. Sie ist Vizepräsidentin der
Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF). Die
zwölfköpfige unabhängige Kommission wurde vom Bundesrat
im Herbst 2009 für vier Jahre ernannt. Sie hat ihre Arbeit Anfang
2010 aufgenommen. Die Einsetzung der NKVF ist eine Folge des von der
Schweiz zuvor ratifizierten internationalen Fakultativprotokolls zur
Anti-Folter-Konvention der UNO, die derzeit 147 Staaten unterzeichnet
haben. Die NKVF hat diese Woche ihre ersten Berichte zu den im Mai und
Juni 2010 durchgeführten Besuchen in der Strafanstalt Hindelbank,
im Untersuchungsgefängnis Brig sowie im Ausschaffungszentrum
Granges vorgelegt. Die Kommission prüft die Einhaltung
sämtlicher Menschenrechtsnormen in Haftanstalten und an anderen
Orten des Freiheitsentzuges.asr
--
Das sagen Insassinnen
Brief einer Ehemaligen A. Z. * war während 15 Monaten bis
2009 in Hindelbank inhaftiert. In einem Brief an die Redaktion
reagierte sie auf die am Mittwoch publizierte Kritik der nationalen
Anti-Folter-Kommission an der Strafanstalt Hindelbank. Im Brief
bezeichnet Z. die Anstalt als "eine sehr grosszügige Anstalt", die
sich positiv auswirke. Die Parkhausmörderin soll im
Hochsicherheitstrakt ein grosses Zimmer bewohnen und eine Katze halten
dürfen. Andere Insassinnen des Hochsicherheitstraktes könnten
begleitet von der Anstaltsbibliothek Gebrauch machen und teilweise an
internen Kursen teilnehmen. Die Insassinnen im normalen Vollzug
arbeiten laut A. Z. in verschiedenen internen Bereichen wie Küche,
Töpferei, Stoffwerk, Packwerk, Wäscherei. Für die Arbeit
würden sie entlöhnt und könnten einmal pro Woche im
Anstaltskiosk einkaufen. Die Frauen dürften zu geregelten Zeiten
die Telefonzellen im Haus benutzen. Frei benutzt werden könnten
die Aufenthaltsräume, Bad und Dusche sowie Küche,
Waschmaschine und Tumbler. "Die Frauen erhalten täglich drei
gesunde, abwechslungsreiche Mahlzeiten", so Z. "Für jede Religion
wird separat auf Wunsch gekocht." Nach Abklärung dürften die
Insassinnen Besuche von Verwandten und Freunden empfangen. Es gäbe
noch viele positive Punkte aufzuzählen, so A. Z. "Dass man sich an
Regeln halten muss, ist wohl das Minimum, schliesslich verbüsst
man dort eine Strafe."
Eine Insassin der Anstalt meldete sich gestern und bat um
Rückruf, weil sie die Haftbedingungen kritisieren wollte. Die Frau
war zur vereinbarten Zeit jedoch nicht mehr erreichbar.as
* Name der Redaktion bekannt
---
BZ 13.1.11
Kritik an Kommission
Anstalt Hindelbank. "Die Kommission hat zu wenig genau
hingeschaut." So wehrt sich Marianne Heimoz, Direktorin des
Frauengefängnisses Hindelbank, im Interview gegen die massive
Kritik, die am Dienstag in einem Bericht der nationalen
Anti-Folter-Kommission geäussert wurde. Die Haftbedingungen im
Hochsicherheitstrakt seien schon beinahe unmenschlich, schreibt die
Kommission. Das hohe Mass an Isolation der inhaftierten Frauen sei
weder aus menschlicher noch aus rechtlicher oder medizinischer Sicht zu
rechtfertigen. In Hindelbank gebe es keine Isolationshaft, widerspricht
Heimoz. Auch könne das Personal relativ gut auf die
Bedürfnisse der Insassinnen eingehen. Die beiden Frauen in
Einzelhaft beispielsweise könnten je eine Katze halten.as
Seite 14
--
"Trotz Einzelhaft gehen wir auf individuelle Bedürfnisse ein"
HaftbedingungenMarianne Heimoz, Direktorin der Anstalt
Hindelbank, wehrt sich gegen die Kritik der nationalen Anti-
Folter-Kommission an den Haftbedingungen im Frauengefängnis. Die
Zellen in Hindelbank entsprächen der Europäischen
Menschenrechtskonvention, und selbst die Insassinnen im
Hochsicherheitstrakt hätten täglich verschiedene
zwischenmenschliche Kontakte.
Frau Heimoz, sind die Frauen in Ihrem Hochsicherheitstrakt
tatsächlich so gefährlich, oder sind Sie
überängstlich?
Marianne Heimoz: Bis jetzt hatte ich nicht das Gefühl,
überängstlich zu sein. Mit den Frauen ist es in
unterschiedlichem Masse schon zu gewalttätigen Zwischenfällen
gekommen. Das letzte Mal vor wenigen Tagen.
Was ist passiert?
Dazu darf ich mich aus Datenschutzgründen nicht äussern.
Aus Sicht der nationalen Anti-Folter-Kommission ist die Isolation
in Ihrem Hochsicherheitstrakt weder aus menschlicher noch aus
rechtlicher oder medizinischer Sicht gerechtfertigt.
Wir haben in Hindelbank keine Isolationshaft. Die Kommission hat
zu wenig genau hingeschaut, welche Arbeit das Personal im hoch
gesicherten Anstaltsbereich leistet. Der Bericht stützt sich vor
allem auf die Aussagen der Frauen.
Die Parkhausmörderin sagte letzten März vor dem
Züricher Obergericht, dass sie sich lebendig begraben fühle,
sich die Haut ritze und den Kopf an die Wand schlage, um Schmerzen zu
fühlen. Das klingt nach schlimmen Haftbedingungen.
Eine Qualitätsbeurteilung aufgrund einer einzelnen Aussage
ist gefährlich. Aus der Optik der Frauen im Hochsicherheitstrakt
kann ich diese Aussagen jedoch verstehen. Sie sind in Einzelhaft, und
wir können ihnen aus baulichen Gründen nicht mehr Raum zur
Verfügung stellen. Damit ist der Aktionsradius der Insassinnen
beschränkt. Im hoch gesicherten Bereich herrschen die
schwierigsten Vollzugsbedingungen.
Wer ordnet den Sicherheitsvollzug an, und wird er
regelmässig überprüft?
Die Einweisung erfolgt über die Einweisungsbehörde des
Kantons, in welchem das Delikt begangen wurde. Abklärungen
zusammen mit dem forensischen Dienst ergeben das Regime, unter welchem
die Frauen aufgenommen werden. Dieses überprüft die
Einweisungsbehörde jährlich. Sie entscheidet über
Vollzugslockerungen. Wir von der Anstalt haben ein Antragsrecht.
Wie viele Frauen leben im Hochsicherheitstrakt?
In der gesicherten Wohngruppe gibt es acht Plätze, die alle
besetzt sind. Sechs der Frauen haben mehr oder weniger häufig
gesicherten Gruppenkontakt. Wie oft, ist abhängig von
Therapiefortschritt und psychischer Befindlichkeit. Wir haben zwei
Frauen in Einzelhaft. Über beide gibt es etliche Gutachten. Die
Experten kommen zum Schluss, dass die eine Frau nicht therapierbar ist.
Die zweite hat nun eine stationäre Massnahme bekommen, weil ihr
das Gericht eine Chance geben will. Aber beide Frauen werden
psychiatrisch betreut.
Wie sind die räumlichen Verhältnisse?
Die Zellengrösse entspricht der Europäischen
Menschenrechtskonvention. Die eine der beiden Frauen in Einzelhaft hat
eine 13 Quadratmeter grosse Zelle, jene der anderen Frau ist gegen 20
Quadratmeter gross. Die Arbeitszelle, wo jede die Hälfte des Tages
arbeitet, ist etwa 16 Quadratmeter gross. Dazu kommen der Spazierhof
und der Besuchsraum. Aber es ist so, die Platzverhältnisse sind
sehr eng - auch für unser Personal. In absehbarer Zeit soll unser
Oberbau abgerissen und neu gebaut werden - wann es so weit ist, ist
noch unklar.
Wie viele menschliche Kontakte haben die Insassinnen im
Hochsicherheitstrakt täglich?
Sie sehen täglich mehrmals das Betreuungspersonal, die
Arbeitsagogin oder eine Lehrkraft - je nach dem, ob sie arbeiten oder
eine Schulung machen. Dann schaut unser Pflegepersonal ein- bis zweimal
täglich nach den Frauen. Auch die Psychologinnen und Psychiater
kommen regelmässig vorbei. Freien Zugang zum Trakt hat der
Pfarrer. Zudem haben wir ein Abendgespräch institutionalisiert.
Das heisst, vor dem Einschluss in die Zelle haben die Frauen die
Möglichkeit, sich eine Viertelstunde mit einer Betreuungsperson zu
unterhalten. Den Kontakt zur Aussenwelt haben die Insassinnen durch TV,
Radio und Zeitungen. Sie können sich informieren und übrigens
auch abstimmen und wählen. Weiter haben wir auch Besuchsabende
institutionalisiert, an denen einzelne Frauen teilnehmen und zum
Beispiel Gesellschaftsspiele spielen können. Oft lehnen die Frauen
dies allerdings ab. Und natürlich gibt es sporadisch auch Besuche
von Familienangehörigen. Die Einschränkung besteht vor allem
darin, dass die Frauen die Kontakte nicht frei wählen können.
Gibt es die Möglichkeit interner Lockerungen?
Ja. Das wichtigste Kriterium hierfür ist der
Therapiefortschritt. Wenn die Frauen vertragsfähig sind, also
realisieren und anmelden können, wenn die Situation schwierig wird
und sie sich in ihre Zelle zurückziehen möchten. Solange dies
nicht möglich ist und eine Gefahr für Mitinsassen und
Personal besteht, ist eine Lockerung jedoch nicht möglich.
Müssen im Hochsicherheitstrakt tatsächlich
Gespräche durch Gitterstäbe geführt werden?
Ja, das ist im Sicherheitsvollzug bei den Männern nicht
anders. Weil bei uns nur zwei Frauen in Einzelhaft sind, können
wir trotzdem relativ stark auf deren individuelle Bedürfnisse
eingehen. So ist es den Frauen erlaubt, eine eigene Katze zu halten.
Diese haben natürlich Auslauf.
Inwieweit sind Lockerungen überhaupt möglich für
hochgefährliche Täterinnen und Täter?
Die Gesellschaft verlangt nach Sicherheit und danach, keine
Risiken einzugehen. Das lässt wenig Raum für Lockerungen. Was
aber unabdingbar ist, ist ein anständiger, respektvoller Umgang
mit den Insassinnen. Für meine Mitarbeiter lege ich da die Hand
ins Feuer.
Ein weiterer Vorwurf der Kommission ist, dass Ihr Personal zum
Teil keine adäquate Ausbildung habe.
Die Wohngruppenleiterin des Hochsicherheitstrakts und ihre
Stellvertreterin sind Psychologinnen, einige der Betreuenden haben
Ausbildungen am Zentrum für Strafvollzugspersonal absolviert. Wir
stellen niemanden ohne Berufserfahrung ein. Wir haben im
Gesundheitsdienst zudem diplomierte Psychiatriepflegerinnen, diese sind
allerdings für die ganze Anstalt da und nicht nur für die
Frauen im Hochsicherheitstrakt. Diesen Sommer können wir eine neue
Therapiewohngruppe für den stationären Massnahmenvollzug
eröffnen, und da werden wir zusätzliches Psychiatriepersonal
einsetzen. Den Vorwurf, unsere Mitarbeiter seien nicht adäquat
ausgebildet, weise ich von mir.
Interview: Andrea Sommer
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PROZESSE
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Tagesanzeiger 17.1.11
Ex-Terrorist zieht Urteil nicht weiter
Hohler Stefan
Zürich/Lausanne - Ein ehemaliges Mitglied der italienischen
Roten Brigaden darf nicht nach Zürich zu seinen beiden Kindern
ziehen. Das Urteil des Bundesverwaltungsgerichts in Bern vom Juli ist
rechtskräftig, weil der 54-jährige Italiener den Fall nicht
ans Bundesgericht in Lausanne zieht. Dies sagt seine Zürcher
Verteidigerin auf Anfrage. Der Mann hatte eine Beschwerde gegen die vom
Bundesamt für Polizei verfügte Einreisesperre eingereicht.
Der Italiener soll in Zürich enge Beziehungen zur linksautonomen
Szene unterhalten und sich nie von den Roten Brigaden distanziert
haben, begründete das Bundesverwaltungsgericht seinen Entscheid.
Der Mann lebte zwischen 1996 und 2002 illegal bei seiner
Schweizer Freundin in Zürich. Das Paar hat eine Tochter und einen
Sohn. Die Frau starb 2002 an Krebs, die Kinder kamen zu einer
Pflegemutter. Der Vater erhielt jedoch die Erlaubnis, jährlich
drei- bis viermal für zehn Tage zu seinen Kindern zu reisen. Laut
seiner Verteidigerin wird der Mann die Kinder weiterhin besuchen.(hoh)
---
Blick am Abend 14.1.11
TATORT
Gelbe Acrylfarbe an seinen Händen
Der Richter fragt: "Könnten Sie Ihr Chäppli abziehen?
Hätten Sie ein Problem damit?" Der junge Mann hebt seine Kappe.
Hervor kommt eine Glatze und ein langer Irokesenzopf. Der Angeklagte
Tobias V. (24) ist gepierct an Nase und Unterlippe,vorbestraft wegen
Sachbeschädigung, wohnt in einer WG, zu zehnt. Er büezt
für 2100 Franken im Monat bei einem Getränkehändler,
stottert Schulden über 5000 Franken ab. Ist glücklich liiert.
Die Tat geschah im Dezember 2008: Da streifte eine Gruppe von zehn
Jugendlichen durch Winterthur. Sie trugen schwarze Kapuzen, und einer
von ihnen hatte einen Kübel Farbe dabei. In dieser Winternacht
wurden Autos zerkratzt. Und auf einen zerkratzten Mercedes wurde in
gelber Acrylfarbe "Container" geschrieben. Die Polizei rückte aus
und fand bald eine Gruppe von Linksautonomen; das sind die mit den
schwarzen Kapuzen. Es ging unfreundlich zu und her, und die Polizei
grift durch. Der Angeklagte landete in Haft. An seinen Händen fand
man dieselbe gelbe Acrylfarbe wie auf dem Mercedes, an seinem Handy
auch. Auf der Polizeiwache beschallte man ihn mit Marschmusik,
erzählt der Verteidiger. Und man verhörte Tobias V.. Er sagte
nicht ein Wort, das sei eine Art Ehrenkodex unter den Linksautonomen,
erfährt der Richter. Auch vor Gericht schweigt Tobias V., sagt
nur: "Ich bin unschuldig". Das sah das Bezirksgericht Winterthur
anders. Ein Schuldspruch erging im Juli 2010. Und jetzt, beim Rekurs
vor Obergericht, rig gericht, argumentiert der Verteidiger: "Die Farbe
könnte ja auch von einem Handschlag kommen." Es gilt: Im Zweifel
für den Angeklagten. Die Frage ist nicht: Könnte er es
gewesen sein? Die Frage lautet: Kann es sein, dass er es nicht war? Ja.
Das kann.
"Wir sind nicht naiv", sagt der Richter: "Ein Hand schlag mit
beiden Händen?" Er lächelt, schüttelt den Kopf und sagt:
"Wir sprechen Sie frei." rig
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Indymedia 13.1.11
Communique zur Mobilisierung an den Prozesstermin der Gefang ::
AutorIn : Revolutionärer Aufbau Schweiz: http://www.aufbau.org/index.php?option=com_content&task=view&id=947&Itemid=1
Die öffentliche Mobilisierung an den Prozesstermin der Gefangenen
vom 17. Januar 2009 fand heute Morgen statt. Dies, obwohl der Prozess
abgesagt wurde, da die Jugendstaatsanwältin Rosmarie Müller
sich einen formalen Fehler leistete: Ein Indiz für die
Verbissenheit der Staatsanwaltschaft, die durch den Prozess versucht
die direkt Beschuldigten und den politischen Widerstand
einzuschüchtern.
Ein Muster, welches sich auch heute Morgen weiterzog: Ein Aufgebot der
Kantons- und Stadtpolizei Zürich "sicherte" das
Bezirksgebäude und führte aus diesem Grund Personenkontrollen
und Beschlagnahmungen von politischem Material durch. Damit wurde ein
weiteres Mal der politische Charakter des Verfahrens unterstrichen.
An der Mobilisierung wurde eine Erklärung eines Beschuldigten
verlesen:
Am 17. Januar wurden wir in einer Nahbereichsfandung nach einem
Farbanschlag auf die UBS-Filiale am Paradeplatz festgenommen. Es lag
eine beträchtlich örtliche und zeitliche Distanz zwischen dem
Ort der Festnahme und dem Paradeplatz - trotzdem wurden wir sofort
festgenommen, da einer von uns bereits bei der Polizei als linker
Aktivist bekannt war.
Zuerst kamen wir in Polizeihaft in's Provisorische
Polizeigefängnis (Propog) in Zürich, welches übrigens
gerade vor kurzem für weitere 5 Jahre vom Kantonsrat bewilligt
wurde. Und jeder der schon mal im Propog sass weiss, dass die
Menschenrechtsorganisationen nicht übertreiben wenn sie von
menschensunwürdigen Verhältnissen innerhalb der
Gefängnismauern sprechen. Doch an dem wird sich so schnell nichts
ändern, da doch der Zweck des Propog gerade darin besteht, den
Menschen zu brechen, damit er belastende Aussagen macht.
Später wurde von der Staatsanwaltschaft 2-wöchige
Untersuchungshaft verordnet. Dass diese Untersuchungshaft den
alleinigen Zweck besass Aussagen aus uns heraus zu pressen, liegt auf
der Hand, da wir von Beginn an die Aussage verweigerten und nach dem
Ablauf der U-Haft auch keine neuen Beweise aufgetaucht waren!
Obwohl die dilettantische Anklage der Staatsanwaltschaft bereits vor
einem Jahr von der Gerichtspräsidentin abgelehnt wurde, da
höchstwahrscheinlich ein Freispruch zu erwarten gewesen wäre,
versuchte die Staatsanwältin Rosmarie Müller, trotzdem die
Anklage durchzuführen.
Dieses dilettantische Vorgehen seitens der Staatsanwaltschaft zeigt
deutlich den Versuch die Angeklagten und mit ihnen die gesamte
politische Widerstandsbewegung einzuschüchtern und das Kapital zu
schützen! So ist es wohl kein Zufall, dass der Prozess nun zwei
Jahre nach dem Vorfall genau eine Woche vor der anstehenden
WEF-Kampagne angesetzt wurde!
Doch wir lassen uns nicht einschüchtern und wehren uns gegen
sämtliche Angriffe der Klassenjustiz!
Wir akzeptieren nicht, dass sich die Handlanger der KapitalistInnen
einzelne Jugendliche aussuchen um einzuknasten, währenddessen den
Grossbanken Geld in den Arsch gestopft wird und versucht wird
kriminelle Grossbanken vor Anklagen aus dem Ausland zu schützen!
Als die erste Anklage scheiterte versuchte die Staatsanwältin
Rosmarie Müller mit einer 2. Anklage uns heute vor Gericht zu
stellen.
Diese Anklage wurde nun jedoch vor 3 Tagen erneut zurückgewiesen,
da die inkompetente Staatsanwältin zum wiederholten Male einen
Fehler gemacht hatte.
Die Staatsanwaltschaft scheint sich so stark darauf zu konzentrieren
uns zu verurteilen, dass sie nicht bemerkt haben, dass seit dem
1.Januar 2011 die neue Strafprozessordnung gilt. Deshalb ist diese
gerichtliche Instanz nun nicht mehr zuständig.
Anstelle des öffentlichen Prozesses wird die Staatsanwaltschaft
nun hinter verschlossenen Türen fernab von der Öffentlichkeit
einen Strafbefehl ausführen.
Daher ist es jetzt besonders wichtig, dass wir den öffentlichen
Druck erhöhen und die dilettantische Arbeitsweise und die
politischen Absichten der Staatsanwaltschaft enttarnen und Anklagen!
Was sich hier wie ein lächerlich einstudiertes Theater abgespielt
hat ist keineswegs das Produkt einer besonders bösartigen
Staatsanwältin oder eines besonders fiesen Polizisten! Nein - dies
hier ist das Ergebnis, der sich in der Krise verschärfenden
Klassenjustiz, welche jeglichen Widerstand versucht mit bitterster
Repression im Keim zu ersticken, um die KapitalistInnen zu
schützen wo es nur geht!
Doch dass so viele Menschen heute zu diesem Prozess gekommen sind,
trotz der eisigen Kälte und der frühen Morgenstunde, zeigt
dass die Solidarität unserer Klasse mit jedem Angriff der
herrschenden Klasse stärker wird und die Kraft erlangt in die
Offensive zu gehen!
Wenn die Repression versucht uns einzeln zu treffen, einzelne zu
isolieren und unter Druck zu setzten, dann ist es die Aufgabe der
internationalen Klassensolidarität gemeinsam und kraftvoll
zurück zuschlagen und den Kapitalisten und ihren Handlangern einen
Faustschlag ins Gesicht zu verpassen!
Eure Solidarität war es, welche uns Kraft gab durchzuhalten als
wir hinter den Gefängnismauern sassen und heute hier zu stehen um
diesen Prozess zu führen! Unsere Solidarität wird es sein
welche die Grundfesten dieses ausbeuterischen Systems erzittern und
schliesslich zu Fall bringen werden!
Vielen Dank allen die heute hier stehen oder uns im Vorfeld
unterstützt haben!
Die Solidaritätsbewegung, welche nach unserer Verhaftung losbrach
war stark und sehr breit. So kamen nicht nur Genossinnen und Genossen
seit dem ersten Tag unserer Verhaftung Abend für Abend vor den
Knast um uns mit Knallern, Parolen und Feuerwerk zu grüssen. Auch
von den Lehrern, den Mitschülern und Kollegen war die konkrete
Solidarität spürbar.
Das eindrücklichste Beispiel ist wohl der
Gefängniswärter im Bezirksgebäude, der sich mit uns
solidarisierte und meinte, dass wir eigentlich eine Medaille verdient
hätten, wenn wir das wirklich getan
hätten was uns vorgeworfen wird.
Nochmals herzlichen Dank euch allen: ohne euch alle wären wir
nicht so weit gekommen!
Die Solidarität ist eine Waffe - und sie ist unsere Waffe, darum:
nützen wir sie!
Kapitalismus zerschlagen - Solidarität aufbauen!
Hoch die internationale Solidarität!
Freiheit für alle politischen Gefangenen!
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OBDACHLOS
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Basler Zeitung 17.1.11
So haben die Jungen keine guten Vorbilder"
Junge Frauen fordern eine separate Notschlafstelle für junge
Obdachlose
Monika Zech
Zwei Hauswirtschaftslehrfrauen haben sich für eine
Abschlussarbeit mit dem Alltag der Obdachlosen befasst. Und sind zum
Schluss gekommen, dass die jungen unter ihnen eine eigene Notunterkunft
haben sollten.
Jasmin Salathe (20) und Aysere Demiri (21) mussten nicht lange
überlegen, als sie vergangenen November das Thema für eine
ihrer Abschlussarbeiten erfuhren. Es lautete: "Engagement". Sie beide
würden sich der Obdachlosen annehmen. Jasmin und Aysere, die sich
während ihrer Ausbildung zur "Fachfrau Hauswirtschaft"
kennengelernt hatten und seither Freundinnen sind, taten sich schon
seit Längerem schwer damit, "dass in einem der reichsten
Länder der Welt Menschen auf der Strasse leben", sagt Jasmin.
Ihr ist auch der Absturz einer ihrer Freundinnen in die Knochen
gefahren. "Sie konnte die Wohnung nicht mehr bezahlen, weil ihr Freund
ständig Geld von ihr brauchte, das er dann für Drogen ausgab;
und als sie auf der Strasse stand, rutschte sie selbst in die
Drogenszene ab." Selber schuld, sagen dazu viele, nicht aber die beiden
jungen Frauen: "Jeder kann einmal in eine missliche Lage geraten", sagt
Aysere, man wisse ja nie… "Jeder und jede, der am Bahnhof
rumhängt, schleppt eine traurige Geschichte mit sich rum." Deshalb
sollten diejenigen, denen es gut geht, den anderen helfen, sind Aysere
und Jasmin überzeugt. Das habe man ihnen im Elternhaus so
beigebracht. "Es ist doch auch selbstverständlich, dass wir alten
Menschen, die nicht mehr gut auf den Beinen sind, im Tram Platz machen."
So reagierten denn auch beide Familien positiv auf die Idee ihrer
Töchter, sich für Obdachlose zu engagieren. Jasmin und Aysere
stürzten sich gleich in die Arbeit, sie recherchierten im
Internet, lasen Zeitungsberichte, nahmen Kontakt auf mit dem Verein
Schwarzer Peter, der sich um Obdachlose kümmert, sprachen mit
Gassenarbeitern - und sie kamen schnell zur Ansicht, dass mehr getan
werden müsse für die, die auf der Schattenseite der
Gesellschaft leben.
Nicht abwertend
Logisch, dass die jungen Frauen vor allem das Schicksal gleichaltriger
Obdachloser berührt. "Sie haben mehr Chancen, sich wieder
aufzurappeln, ihre Situation zu ändern, als die, die schon seit
Jahren auf der Gasse leben", ist Aysere überzeugt. "Es ist nicht
abwertend gemeint", sagt Jasmin, "aber die Langzeitarbeitslosen sind
keine guten Vorbilder für die Jungen." Zudem würden manche
der Jungen lieber draussen schlafen als in der Notschlafstelle, wo
Ältere sie manchmal anpöbeln.
Mit einer Petition wollen nun Jasmin und Aysere erreichen, dass
die Stadt Basel eine separate Notunterkunft für junge Obdachlose
bereitstellt. Rund 150 Unterschriften haben sie inzwischen beisammen,
aber sie möchten mehr: "Wenn wir 5000 einreichen könnten",
sagt Jasmin, "das wäre super."
Kanton sagt Nein
Einfach wird das nicht. Zum einen haben die beiden Freundinnen keine
Website, wo Sympathisanten ihrer Idee unterschreiben oder selber
Unterschriftenbögen runterladen könnten - sie müssen
entweder Jasmin und Aysere in Aktion begegnen oder sich beim Verein
Schwarzer Peter melden - aber die grösste Schwierigkeit wird sein,
die Regierung von ihrem Anliegen zu überzeugen. "Die Idee,
für junge Erwachsene eine eigene Notschlafstelle einzurichten,
wird vonseiten des Kantons nicht unterstützt", lautete die Antwort
auf die Anfrage der BaZ beim Sozialdepartement. Für obdachlose
junge Erwachsene könne eine Notschlafstelle keine Lösung
sein. Für sie müsse vielmehr so schnell wie möglich nach
einer adäquaten Wohnsituation gesucht werden.
---
St. Galler Tagblatt 15.1.11
Nicht ohne meinen Hund
Die nicht bewilligte Verteilung von "Doggy-Bags" an Obdachlose
ist bei vielen auf Unverständnis gestossen. Nicht so in der
Gassenküche. Zwei Hundehalter erzählen, warum sie sich ohne
fremde Hilfe um ihre Vierbeiner kümmern möchten.
Janina Gehrig
Er sitzt alleine an einem Tisch in der Gassenküche, die
Ellbogen aufgestützt, nach vorne gebeugt. Es ist laut, am
Nebentisch fallen die Spielwürfel. Als er den Kopf hebt, blicken
müde Augen über den Brillenrand, ein Lächeln huscht
über sein Gesicht. "Bischi", so werde er genannt. Und alleine sei
er nicht. Er zeigt unter die Bank, wo seine zehnjährige
Hündin Chipsy liegt.
"Jeder hat eine Verantwortung"
Von den "Doggy-Bags", welche die Tierambulanz Thurgau an
obdachlose oder bedürftige Hundehalter verteilen wollte (Tagblatt
vom 14. Januar), hat Bischi nichts gehört. Dennoch hat er eine
klare Meinung dazu: "Ich bin dagegen, dass Hundefutter abgegeben wird.
Jeder hat eine gewisse Verantwortung. Mein Hund bekommt zu essen, noch
bevor ich für mich Stoff hole."
Sein Kollege mit dem Übernamen "Ami" setzt sich dazu. Eine
dunkelblaue Strickmütze verdeckt das grau melierte Haar, er
lächelt verschmitzt. Auch er hat Mühe mit der Geschenkidee,
von der er - selbst Hundehalter - hätte profitieren können:
"Wenn man Geld für Drogen hat, hat man auch Geld für den
Hund", sagt er. Er sei dafür, dass Leuten im Notfall ausgeholfen
werde, aber "wer es sich nicht leisten kann, soll sich keinen Hund
zutun". Wenn das Geld knapp werde, kaufe er Futter auf Vorrat. Bischi
doppelt nach, es sei eine Luxuseinstellung zu denken, wenn es nicht
mehr reiche, werde einem sowieso geholfen. Erst einmal hat Ami
finanzielle Unterstützung für seine zwölfjährige
Hündin Lucy in Anspruch genommen: "Der Tierschutz bezahlte einen
Beitrag an die Kastration, nachdem es dreimal Junge gab. Ich war
gottefroh darum."
Eine starke Unterstützung
Weder an Nahrung noch an tierärztlicher Versorgung mangelt
es den Hunden von Bischi und Ami. Und vor allem nicht an Zuneigung. Die
Vierbeiner scheinen an erster Stelle zu stehen. Bischi räumt ein:
"Ich bin täglich auf der Gasse unterwegs. Natürlich gibt es
auch solche, die ihre Hunde nicht gut behandeln." Er selbst müsse
sich jedoch von seiner Mutter immer wieder den Vorwurf gefallen lassen,
er sorge sich besser um den Hund als um sich selbst. Den Mischling aus
einem Husky und einem italienischen Hirtenhund hat der 36-Jährige
jemandem weggenommen, der ihn nicht gut behandelte. Seit zehn Jahren
begleitet ihn Chipsy "Tag und Nacht und würde keinen Millimeter
mehr von mir weichen", ist Bischi überzeugt. "Sie ist eine sehr
starke Unterstützung für mich. Gerade, wenn es mir moralisch
oder gesundheitlich nicht gut geht." Ami hat seine Hündin auf der
Gasse aufgelesen. Jemand hatte sie abgemagert stehen lassen. "Ich weiss
nicht, was aus mir geworden wäre ohne sie", meint der
50-Jährige. Das Tier habe ihn auf Trab gehalten. Und vielleicht
auch am Leben. Sicher ist, eines ohne Hund, das können sich beide
nicht mehr vorstellen. Soziale Beziehungen ersetzten die Tiere nicht
unbedingt. Aber "lieber einen Hund an der Seite als einen Kollegen, der
mich anlügt", sagt Bischi. Während er erzählt, legt ihm
Chipsy immer wieder die Pfote aufs Knie.
Tiere sind in guter Obhut
Die Tierhaltung werde für Leute am Rande der Gesellschaft
oft zu einer Lebensaufgabe, bestätigt Jürg Niggli, Leiter der
Stiftung Suchthilfe. "Generell sind die Tiere in sehr guter Obhut",
sagt er. Wenn sich zeige, dass jemand aufgrund seiner Abhängigkeit
mit der Tierhaltung überfordert sei, suche man das Gespräch.
Notfalls komme es zur Anzeige.
Das haben weder Bischi noch Ami zu befürchten. "Ich
gäbe sie nicht für eine Million her", sagt Ami. Er auch
nicht, meint Bischi, "für kein Geld der Welt".
--
Keine Beiträge vom Sozialamt
Entgegen eines hartnäckigen Gerüchts erhalten
Sozialhilfebezüger für ihre Haustiere keine Beiträge vom
Sozialamt. "Die Leute kommen selber für die Tiere auf", sagt
Patrik Müller, Leiter des städtischen Sozialamtes. Hingegen
bezahlt der St. Galler Tierschutzverein aus einem Fond auf Gesuche hin
Beiträge an Kastrationen und lebensnotwendige Behandlungen. "In
Ausnahmefällen geben wir Futter in Form von Naturalien ab", sagt
Erika Bolt von der Meldestelle. (jag)
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Blick am Abend 14.1.11
ST. GALLEN
"Guerilla-Marketing auf unsere Kosten"
EMPÖRT
Die Stapo nervt sich am dreisten Vorgehen der Thurgauer
"Doggy-Bag"-Tierschützer.
thomas .roethlisberger@ringier.ch
Vor einer guten Woche flatterte der Blick am Abend-Redaktion in
St. Gallen ein Mail ins Postfach: Eine Tierschützer-Organisation
aus dem Thurgau wolle am St.Galler Bahnhof "Doggy-Bags" mit Futter
für Hunde von Obdachlosen verteilen. Wie nett, dachten wir und
sprachen mit den Thurgauern.
"Leider können wir die Aktion nicht durchführen",
erfuhren wir am Telefon, "die Polizei will uns keine Bewilligung
dafür erteilen."
Wie gemein, dachten wir und meldeten uns bei der Stadtpolizei.
"Wir können keine Bewilligung für eine Aktion auf privatem
Grund erteilen", hiess es da, "die hätte bei den SBB eingeholt
werden müssen." Zudem: In St.Gallen besteht gar kein
Bedürfnis für Gratis-Hundefutter. Wer sich die Versorgung
seines Vierbeiners nicht leisten kann, kann sich Futter beim St.Galler
Tierschutz holen - gratis. Bei "Doggy-Bags" heisst es jedoch, ihre
Aktion sei einmalig in der Schweiz.
Inzwischen berichteten "Radio Aktuell", das "Tagblatt" und "20
Minuten" von den verhinderten Hunde-Freunden. "Schade, dass man eine
Bewilligung braucht, um zu helfen", sagt einer der Tierschützer im
heutigen "Tagblatt".
Bei der Stapo ist man mittlerweile ziemlich genervt. "Wir wollten
ihnen sogar helfen," sagt Mediensprecher Benjamin Lütolf heute zu
Blick am Abend, "jetzt fallen sie uns medial in den Rücken. Das
ist eine Frechheit!"
Schon bei der ersten Anfrage erklärte die Stapo den
"Doggy-Bag"-Leuten, dass nicht sie, sondern die SBB für die
Bewilligung zuständig seien. Und sie gab ihnen den Rat, auch
andere Institutionen wie die Gassenküche in die Aktion
miteinzubeziehen. "Wir haben ihnen sogar einen Parkplatz beim Bahnhof
angeboten", berichtet Lütolf.
Doch stattdessen klagen die Tierfreunde jetzt in den Medien
über die Polizei, die kein Herz für Hunde besitze.
Lütolf vermutet, dass es den Tierschützern letztlich nicht um
die Hunde, sondern um Publicity in eigener Sache ging. "Das ist reines
Guerilla-Marketing, ausgetragen auf dem Buckel der Stadtpolizei."
Die Tierschützer wollen ihre Aktion jetzt in Zürich
durchziehen. Für Blick am Abend waren sie heute leider nicht
erreichbar.
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St. Galler Tagblatt 14.1.11
Kein Hundeschmaus am Bahnhof
Gestern wollte die Tierambulanz Thurgau Hilfspakete für
Obdachlosen-Hunde verteilen. Die Aktion wurde jedoch nicht bewilligt.
Die Pakete kommen jetzt vielleicht Zürcher Hunden zugute.
Janina Gehrig
Ein Hundeschmaus hätte es werden sollen. Die "Doggy-Bags"
mit eineinhalb Kilogramm Hundefutter, Nassfutter und Hundeguezli waren
bereits vorbereitet. Die Tierambulanz Thurgau wollte sie gestern am
Hauptbahnhof St. Gallen an obdachlose Hundehalter abgeben (Tagblatt vom
11. Januar). Doch die geplante Verteilaktion fand nicht statt.
Keine Bewilligung für Aktion
"Leider wurde unser Projekt durch die Behörden beendet",
sagt Andreas Gähler, Leiter der Tierambulanz Thurgau. Von der
Stadtpolizei habe man die Antwort bekommen, das Sozialprojekt "weise
kein Bedürfnis auf", da sich auf dem Gemeindegebiet der Stadt kaum
obdachlose Personen aufhalten würden. "Diese Begründung ist
für uns fragwürdig", sagt Sybille Bruggmann von der
Tierambulanz. "Für uns sieht es so aus, als wolle man
Randständige vom öffentlichen Raum fernhalten." Dass dort
Verteilaktionen nicht bewilligt würden, sei hingegen die Regel,
nicht die Ausnahme, sagt Stadtpolizeisprecher Benjamin Lütolf. Im
Grunde sei niemand auf die "Doggy-Bags" angewiesen. Denn mittellose
Personen wüssten, wohin sie sich bei Problemen wenden
könnten: Der Tierschutzverein stelle Naturalien wie Hundefutter
zur Verfügung. Im Normalfall sei das aber nicht nötig. "Die
Hunde werden meist gut gehalten", so Lütolf. Ausserdem müsse
bei solchen Verteilaktionen auch ein kommerzieller Hintergrund in
Betracht gezogen werden.
Guter Zweck oder Werbung?
Das verneinen die Veranstalter der Aktion vehement: "Die Aktion
sollte einem guten Zweck dienen. Werbung zu machen, stand für uns
nie im Vordergrund", sagt Gähler. Auch von den SBB erhielt die
Tierambulanz eine Absage. Die Begründung: Das Verteilte sei nicht
für die Passagiere gedacht. Diese könnten sich von den Hunden
bedroht fühlen. Auch in der Gassenküche habe man die
"Doggy-Bags" nicht verteilen können. "Unser Ziel ist, die
Selbständigkeit der Leute zu fördern", sagt Thomas Spahr von
der Gassenküche. Leute, die sich einen Hund halten, würden
dazu angehalten, auch für ihn zu sorgen. "Es ist schade, dass man
eine Bewilligung braucht, um zu helfen", sagt Gähler. Man
kläre jetzt ab, ob die Aktion in Zürich stattfinden
könne.
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20 Minuten 14.1.11
Keine Hilfspakete für die Hunde von Randständigen
ST. GALLEN. Am Bahnhof St. Gallen hätten gestern morgen
"Doggybags" an randständige Hundehalter verteilt werden sollen.
Die Aktion fand aber nicht statt - die Bewilligung war nicht erteilt
worden.
Gestern Morgen warteten mehrere Passanten auf die "Doggybags" der
Tierambulanz Thurgau. Doch sie harrten vergebens, die Aktion wurde im
letzten Moment abgeblasen. "Ich bin enttäuscht. Das wäre eine
super Sache gewesen", sagt eine Frau, die einen Sack abholen wollte.
Die Tierambulanz musste die Aktion abblasen, weil ihr die Polizei die
Benützung des öffentlichen Raums verwehrte. "Wir können
nicht jedem Geschäft eine Bewilligung erteilen", sagt
Stapo-Sprecher Benjamin Lütolf. Zudem halten sich laut Polizei
kaum obdachlose Personen in St. Gallen auf - daher weise die Stadt kein
Bedürfnis für das Sozialprojekt auf.
Das versteht man bei der Tierambulanz Thurgau nicht: "Wir
hätten ja schnell gesehen, wenn kein Bedürfnis da gewesen
wäre", sagt Leiter Andreas Gähler. Bis im Frühling hatte
die Tierambulanz jeden Donnerstag Säcke mit Hundefutter und Decken
verteilen wollen. Das Futter stammt ausschliesslich von Spendern. St.
Gallen wäre laut Gähler die erste Schweizer Stadt mit einem
solchen Projekt gewesen. Für ihn war die investierte Arbeit nicht
umsonst: "St. Gallen ist für uns zwar gestorben, doch die
Sozialwerke von Pfarrer Sieber in Zürich haben ihr Interesse
angekündigt."
Simon Städeli
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ALKOHOL
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NLZ 15.1.11
Ausnüchtern auf eigene Kosten
Kanton
Bert Schnüriger
Wer im Vollrausch von der Polizei aufgegriffen wird, kann auf
Kantonskosten ausnüchtern. Wie lange noch?
Bert Schnüriger
bert.schnueriger@schwyzerzeitung.ch
Die CVP-Fraktion im Schwyzer Kantonsrat fordert eine
Praxisänderung der Schwyzer Polizei: Sie soll jenen Personen
jeweils eine Rechnung stellen, die in einer Zelle des
Sicherheitsstützpunkts in Biberbrugg ausgenüchtert werden
mussten. Die Kantonsräte Marianne Betschart aus Ibach und Adrian
Dummermuth aus Goldau fordern dies in einem Postulat, das soeben bei
der Staatskanzlei eingereicht wurde. Sie bitten den Regierungsrat, "die
nötigen Massnahmen in die Wege zu leiten, damit in Zukunft eine
Ausnüchterung in Biberbrugg auf Kosten des Verursachers geht".
Übernachtung in Biberbrugg
Heute sammelt die Polizei regelmässig Personen ein, die im
Vollrausch pöbeln, randalieren oder stockbetrunken am Boden
liegen. Diese Leute werden jeweils in den Sicherheitsstützpunkt
Biberbrugg und dort in eine videoüberwachte und vandalensichere
Ausnüchterungszelle gebracht. Im Jahr 2008 übernachteten 28
Personen in Polizeigewahrsam, 2009 waren es 21 Personen, die meisten
zur Ausnüchterung", steht im Postulat.
950 Franken pro Nacht
So läuft dies auch im Nachbarkanton Zürich. Dort
allerdings werden die Kosten für die Ausnüchterung
vollständig auf die Benutzer abgewälzt (siehe Box). "Wer nach
dem nächtlichen Aufenthalt wieder auf den eigenen Beinen stehen
kann und entlassen wird, zahlt für das Ausnüchterungslogis
950 Franken in bar oder mit der Kreditkarte", schreiben die beiden
CVP-Kantonsräte. Laut der Stadtpolizei Zürich habe die
Ausnüchterung auf eigene Kosten auch eine präventive und
abschreckende Wirkung: "Die Gäste kommen selten ein zweites oder
drittes Mal."
Noch teurer wird die Sache, wenn ein Betrunkener die medizinische
Notversorgung in einem Spital beanspruchen muss. In jenem Fall
allerdings zahlt die Krankenkasse. "Im Jahr 2009 wurden
diesbezüglich im Spital Schwyz 35 Personen stationär
behandelt", steht im parlamentarischen Vorstoss. "Ein Fall kostete
durchschnittlich 4300 Franken." In diesen Fällen müsste
allerdings das Krankenversicherungsgesetz des Bundes geändert
werden, damit diese Kosten den Verursachern weiterverrechnet werden
könnten. Laut Betschart und Dummermuth allerdings ist dazu bereits
ein Vorstoss im Nationalrat hängig.
--
In Zürich läuft ein Pilotversuch
Ausnüchterung
kwi/red. Seit 2010 ist in Zürich die Zentrale
Ausnüchterungsstelle (ZAS) im Zellentrakt der Regionalwache City
offen. Dort werden Leute mit einem Rausch (Alkohol oder andere Drogen),
die von der Polizei in Gewahrsam genommen worden sind, unter
medizinischer Betreuung ausgenüchtert. Ziel ist es, die
Spitäler und die Regionalwachen der Polizei zu entlasten. Das
bisherige Konzept habe sich im Betrieb "sehr gut bewährt". Die
Kosten für das noch bis März laufende nationale Pilotprojekt
betragen 950 000 Franken. Eine Einweisung kostet rund 1600 Franken.
Davon werden den Klienten je nach Aufenthaltsdauer bis zu 950 Franken
in Rechnung gestellt. Randalieren sie oder verschmutzen sie eine Zelle,
kommen Reparatur- und Reinigungskosten dazu.
Ein Problem ist die schlechte Zahlungsmoral: Nach sechs Monaten
Betrieb waren erst 90 000 von 250 000 Franken, die in Rechnung gestellt
worden waren, bezahlt.
Im Kanton Luzern hat sich die Regierung zu einem ähnlichen
Vorstoss positiv geäussert.
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ANTI-SVP
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Indymedia 13.1.11
Ganz Fest gegen die Albisgüetlitagung
AutorIn : Süneliuntergang
Auf vielseitigen Wunsch hier noch Plakat und Flyer von der Aktion gegen
die Albisgüetlitagung zum Selberausdrucken.
http://ch.indymedia.org/media/2011/01//79603.pdf
Am 21. Januar wird die SVP im Zürcher Albisgüetli ihre
alljährliche Parteitagung durchführen. Die
Albisgüetli-Tagung ist die wichtigste Zeremonie der
rechtspopulistischen Partei, da werden Märsche gespielt und
politische Selbstbeweihräucherung abgehalten. Fredi Heer wird da
sein und selbstverständlich SVP-Obermufti Christoph Blocher, und
auch Micheline Calmy-Rey ist sich nicht zu schade. Wir haben nicht vor,
einfach zuzuschauen, wie die rechte Propaganda immer mehr an Boden
gewinnt! Wir werden da hochgehn und etwas Lärm veranstalten gegen
die unerträgliche rechte Hetze. Mit Konzert, Reden und evt. Disco.
Mit der Ausschaffungsinitiative ist es der SVP gelungen, das politische
Klima ein weiteres Stück nach Rechts zu rücken. Die riesigen
Geldmengen, welche diese stinkreiche Partei immer wieder in solche
Hetzkampagnen hineinbuttert, lassen keinen Zweifel zu: Hier sind
mächtige Interessen im Spiel. Die SVP betreibt eine aggressive
Klassenpolitik von oben: Sie peitscht massive Sparprogramme durch,
macht die Steuerpolitik der Reichen und und bekämpft mit ihren
rassistischen Kampagnen die letzten Reste gesellschaftlicher
Solidarität.
Es reicht aber nicht, das Übel einfach bei der SVP zu suchen. Sie
ist nur eine unter vielen Kräften im derzeitigen Rechtsruck, und
dieser wiederum geschieht auf dem Boden der aktuellen
Ausbeutungsverhältnisse. In ihrer Krise dringt die kapitalistische
Verwertung immer gewaltsamer in alle Lebensbereiche vor und holt das
Letzte aus den natürlichen und menschlichen Ressourcen heraus. Das
bedeutet einen umfassenden Angriff auf die Lebensverhältnisse
proletarischer Menschen: Immer mieser werden die Jobs, immer brutaler
die Arbeitsmarktkonkurrenz, immer prekärer die sozialen
Absicherungen. Mit solchen Angriffen verbinden sich aber auch
Ideologische Offensiven: Ein abstruser konservativer Wertekanon, die
Anrufung von Leistungsmoral und nationaler Zugehörigkeit, die
Feindseligkeit gegen MigrantInnen, Arbeitslose und
IV-BezügerInnen; das ist das ideale Klima für die Demontage
sozialer Errungenschaften.
Gegen all dies wehren wir uns. Runter mit den Schweizerfahnen, sie
verstellen nur den Blick auf die sozialen Verhältnisse.
Kämpfen wir gemeinsam gegen die kapitalistischen Zumutungen und
die rassistische Politik der SVP.
Auf zum Albisgüetli, die rechten Stimmungsmacher sollen sich nicht
ungestört abfeiern!
Besammlung: Freitag, 21. Januar 2011, 18.00 Uhr, Strassenverkehrsamt
Zürich
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FREYSINGER
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WoZ 13.1.11
Und Ausserdem
Freysinger und die Wurst
Von Helen Brügger
Oskar Freysinger ist ein Held. Einer, der dem Tod unerschrocken
ins Auge schaut, wenn er ihm begegnet. So etwa beim Pariser Treffen der
rechtsextremen "Identitaires", an deren Seite der SVP-Nationalrat im
Dezember zum Kampf gegen die "Islamisierung Europas" aufrief. Am
Eingang zum Versammlungssaal konfiszierten die Veranstalter ein "langes
spitzes Messer, typisch zum Töten", wie Freysinger auf YouTube
kommentiert. Eine grausliche Klingenwaffe, die ohne jeden Zweifel
für seinen Bauch bestimmt war. Trotzdem liess sich der furchtlose
Nationalrat als Antiminarettheld feiern. Und fuhr in sein trautes
Wallis zurück, wo er Radio Rhône über den Beinahemord
informierte.
Die Zeitung "Le Temps" wollte mehr wissen und kontaktierte den
Präsidenten des Bloc identitaire, Fabrice Robert. Der erzählt
eine andere Geschichte: Ein den Organisatoren bekannter älterer
Mann sei mit einem kleinen Küchenmesser in der Hosentasche
erschienen, mit dem er seine Pausenwurst schneiden wollte. Das Messer
sei gerade in dem Moment eingezogen worden, als Freysinger, begleitet
von sechs Bodyguards der Veranstalter, auftauchte. Mit Roberts Aussage
konfrontiert, hält Freysinger an der Version eines "Messers von
zehn Zentimetern Länge" fest und gibt der Zeitung die Natelnummer
eines Leibwächters weiter. In dessen Version ist das Messer noch
länger, die Klinge habe "zehn bis zwölf Zentimeter" gemessen.
Ein "älteres Individuum" habe es fallen lassen, als es sich dem
Saal näherte, wo Freysinger Bücher signierte. Ist das
suspekte "Individuum" der Polizei angezeigt oder zumindest befragt
worden? Der Bodyguard weiss es, immer gemäss "Le Temps", nicht
mehr.
Doch unterdessen muss es zwischen Freysinger und Robert um die
Wurst gegangen sein. Mit der Leibwächterversion konfrontiert,
bezeichnet Robert seine eigene als "vielleicht ein wenig voreilig". Und
weil es keine definitive, übereinstimmende Version gibt, werden
wir nie wissen, in welcher Todesgefahr unser braver Oskar Freysinger,
die Wahllokomotive der Westschweizer SVP für den kommenden Herbst,
schwebte. Denn jedes Heldenepos hat ein Ende. Nur die Wurst hat zwei.
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Le Temps 13.1.11
L'UDC à la pointe des "blocs identitaires"?
François Cherix
L'époque où Christoph Blocher et les siens
évitaient de s'afficher avec les avec les extrêmes droites
européennes est révolue. L'UDC a rejoint un nouvel
agglomérat de forces populistes. Une réalité
inquiétante, et lourde de conséquences pour la Suisse,
affirme le politologue François Cherix
Surprise, au lendemain de la votation instaurant l'expulsion
automatique des criminels étrangers, les compliments admiratifs
et répétés de Marine Le Pen n'ont nullement
dérangé l'UDC. Au contraire, badinant à la Radio
suisse romande avec la représentante du Front national, Oskar
Freysinger a souligné les liens fraternels unissant "les partis
identitaires" européens. Mieux, n'hésitant pas à
prêcher hors de son fief, le conseiller national s'est fait
ovationner à Paris, en fustigeant "la religion du
multiculturalisme" lors d'un meeting anti-islam. Manifestant un
prosélytisme similaire et pour le moins désinhibé,
une motion signée par 28 membres de l'UDC, dont le
président du parti, veut permettre aux régions
limitrophes d'entrer dans la Confédération. Dans un
même élan, les nationalistes suisses s'expriment hors de
leur patrie, qu'ils rêvent au passage d'agrandir, et revendiquent
désormais leur parenté avec les "blocs identitaires"
étrangers. Changement de paradigme, ce dépassement du
cadre helvétique mérite d'être interrogé.
Jusqu'alors, Christoph Blocher et les siens s'étaient
toujours gardé d'afficher leurs liens avec les extrêmes
droites européennes. Certes, l'examen des programmes montrait
combien les thèses de l'UDC, du FN français, ou encore du
FPÖ autrichien, se ressemblent; en outre, certains élus ne
se privaient pas d'arpenter discrètement les congrès
xénophobes du continent. Mais ces cousinages restaient
invisibles et, à l'inverse, les contacts officiels avec des
leaders sulfureux étaient soigneusement évités.
D'une part, il s'agissait de ne pas brusquer trop ouvertement les
restes du vieux parti agrarien, dont Christoph Blocher avait
effectué la captation. D'autre part, la nature même de
l'idéologie nationaliste imposait de construire un mouvement
totalement suisse, protégé d'influences
étrangères susceptibles d'altérer sa
pureté. Enfin et surtout, le maintien de cloisons
étanches avec les extrêmes droites voisines permettait de
développer des propositions stigmatisantes, tout en se
présentant comme un parti propre, refusant les dérives
racistes. Ainsi, des milliers de citoyens ont suivi l'UDC,
persuadés que la démarche de Christoph Blocher, citoyen
respectable, n'avait rien de comparable avec celle d'un Jean-Marie Le
Pen, tribun méprisable.
Cette séquence paraît s'achever. Pour l'UDC, il
n'est plus nécessaire de feindre. A l'intérieur, la mue
est terminée; le vieux parti agrarien a disparu au profit d'un
mouvement conduit par un chef et focalisé sur les thèmes
que l'on sait. A l'extérieur, mithridatisée, l'opinion ne
s'émeut plus de ses affiches, ni de ses provocations;
simultanément, le style plus moderne et plus policé de
Marine Le Pen contribue à la rendre fréquentable. En
fait, un renversement des légitimations du nationalisme suisse
semble se dessiner: celle générée par son
isolement perd de son utilité, alors que celle tirée
d'une banalisation par l'étranger devient féconde.
Autrement dit, à ceux qui ont osé voter UDC parce qu'elle
se distinguait des extrêmes droites européennes pourraient
succéder ceux qui la rejoignent puisque tant d'autres ailleurs
saluent son action.
Confortant cette hypothèse, l'attitude du Front national
organise un jeu semblable sur la scène française. En
portant régulièrement aux nues le principe de
l'initiative populaire, comme le montre Le Temps du 7 janvier, Marine
Le Pen tente de donner la caution du peuple suisse à ses
idées. Premiers fruits de cette stratégie, nombre de
commentaires sur les sites des médias hexagonaux notent qu'elle
ne saurait être dangereuse, puisqu'elle se borne à
préconiser ce que la Suisse, modèle de pondération
démocratique, a déjà décidé. Nous
sommes donc peut-être en train d'assister à un nouvel
agglomérat de forces identitaires qui se copient et
s'épaulent, espérant tirer leur respectabilité de
leurs ressemblances. Certes, une ligue supranationale de nationalistes
s'apparente à la création de "douaniers sans
frontières"; mais son non-sens ne la rend pas moins redoutable;
au contraire, les mouvements en question ont toujours progressé
à l'abri de leurs contradictions. Ainsi, prétextant
sauvegarder les valeurs européennes ou la dignité des
peuples, ils travaillent chaque jour à briser les cultures, les
lois et l'Union qui les incarnent. De même, pervertissant la
notion d'identité, ils remplacent le "connais-toi
toi-même" socratique, prémisse à l'acceptation
d'autrui, par un "mentons-nous les uns aux autres", arsenal de
stéréotypes réducteurs visant le rejet de la
différence.
Pour les partis classiques et les gouvernements, ces alliances
souples et décomplexées entre des droites dures
relookées, mais toujours aussi xénophobes, posent des
défis considérables. D'abord, ils doivent trouver des
réponses efficaces à l'intérieur d'Etats dont les
marges de manœuvre se sont rétrécies. De surcroît,
ils sont tenus de dépasser les contextes locaux pour
élaborer un discours et des projets communs à
l'échelle du continent. Comme l'indique le philosophe
Jürgen Habemas dans Le Monde du 3 janvier, "ce dont nous avons
besoin en Europe, c'est d'une classe politique revitalisée, qui
surmonte son propre défaitisme avec un peu plus de perspectives,
de résolution et d'esprit de coopération".
Pour la Suisse, l'activisme hors frontières de l'UDC et
les louanges des populistes étrangers pose un problème
spécifique. Depuis toujours, le succès de la
Confédération doit beaucoup à sa
discrétion, celle de ses banquiers, de sa diplomatie
précautionneuse et d'une gouvernance à bas bruit. Pour
qui souhaite bénéficier du grand marché
européen sans prendre sa carte de membre, tout en
préservant des particularismes lucratifs, mieux vaut se faufiler
entre les règles sans trop se faire remarquer.
Or, en promenant à Paris une torche enflammée sur
des nappes de misères, de frustrations ou de racismes
larvés, un Oskar Freysinger complique ouvertement les
équations déjà difficiles des démocraties
voisines. Si cet esprit missionnaire se développe, la Suisse
risque d'ajouter à son image d'égoïste silencieuse
celle d'activiste nuisible. Pire, si les droits populaires deviennent
la bannière de Marine Le Pen, ils perdront leurs vertus aux yeux
du monde; et, circonstance aggravante, le peuple entier sera
touché par ce désamour, puisque c'est lui qui prend des
décisions qui, faute de règles adéquates, peuvent
blesser les droits fondamentaux. Pour la Suisse, il est donc temps de
se demander à la pointe de quel combat elle entend se profiler.
Celui des blocs identitaires? Ou celui des Etats responsables? Dans ce
contexte, les piques récurrentes de Doris Leuthard contre l'UE,
analysées dans Le Temps du 8 janvier, sont
révélatrices du climat fédéral. Au lieu
d'une réflexion sur les nationalismes qui cisaillent l'Europe,
un opportunisme électoral se déploie, sourire aux
lèvres, laissant la définition du rôle de la Suisse
aux bons soins des circonstances.
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SEMPACH
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Wilisauer Bote 14.1.11
Kein Umzug mehr zum Schlachtgelände
Gedenkfeier Sempach | Neues Programm soll breite Bevölkerung
ansprechen
Zum 625. Mal jährt sich die Schlacht bei Sempach. Zum
Jubiläum soll das Angebot der Gedenkfeier ausgebaut werden. Das
neue Konzept will mehr Besucher anziehen. Und es soll extremistische
Gruppen fernhalten.
von David Koller
"Die Schlachtfeier war kein öffentlicher Gedenkanlass mehr",
sagte Regierungspräsident Marcel Schwerzmann am Mittwoch an einer
Medienorientierung. "Einige Dutzend geladene Gäste und ein paar
Hundert Besucher" seien kein würdiger Anlass für einen Kanton
mit fast 400 000 Einwohnern. Nicht explizit ging er in seinem
Eintrittsreferat auf die rechtsextremen Kreise ein. Diese nutzten in
den vergangenen Jahren die Schlachtfeier für einen Aufmarsch und
verliehen ihr damit eine überaus zwiespältige Note.
Mit dem soll jetzt Schluss sein. Ein überarbeitetes Konzept
richtet sich an eine breite Bevölkerungsschicht, das
Rahmenprogramm verteilt sich neu auf mehrere Tage (siehe Kasten).
Verstärkter Fokus auf neue Geschichtsforschung
Die Schlacht bei Sempach fand am 9. Juli 1386 statt. Sie
jährt sich heuer zum 625. Mal. Auch das war mit ein Grund, der
Feier ein überarbeitetes Gewand zu geben. An seiner ersten Sitzung
im neuen Jahr hat der Regierungsrat dieses genehmigt. Es besteht aus
drei zentralen Elementen. Einerseits aus dem Forum Geschichte. "Dieses
bringt einer breiten Bevölkerung neuere wissenschaftliche
Erkenntnisse näher", sagte Staatsschreiber Markus Hodel. Er -
selber Historiker - war als Projektverantwortlicher für das neue
Konzept zuständig.
Zweites Element ist die Jugenddebatte vom 2. Juli. Sie soll die
politische Partizipation fördern und richtet sich
ausdrücklich an verschiedene Gruppierungen: "Unabhängig von
Bildungsstand und Nationalität", so Hodel. Dritter Bestandteil ist
der eigentliche Gedenktag. Er findet dieses Jahr am Sonntag, 3. Juli,
statt. Die Feier enthält unter anderem einen ökumenischen
Gottesdienst. Ferner offerieren die Stadt Sempach und der Kanton Luzern
das Morgenbrot: So wie seinerzeit die Soldaten vor ihrem Gang zur
Schlacht können sich die Besucherinnen und Besucher mit einem
Happen stärken.
"Weniger attraktiv für Rechtsextreme"
Und was geschieht mit den Rechtsextremen? Lässt sich nur mit
einem geänderten Programm der Aufmarsch von Neonazis verhindern?
"Eine Analyse der Kantonspolizei ist zum Schluss gekommen, dass die
Feier für sie weniger attraktiv sein wird", sagte Markus Hodel.
Vor allem aber werde auf den bisherigen Umzug hinauf aufs
Schlachtgelände verzichtet. Gerade dieser bot besagten Kreisen
eine Plattform, sich zu präsentieren. "Der Verzicht ist politisch
umstritten", so Hodel. "Aber die Regierung steht dahinter."
Insbesondere rechte Kreise wollen am Marsch festhalten. In einer
Medienmitteilung kritisierte die Junge SVP das Konzept denn auch
postwendend. Es kreiere einen "farblosen Multi-Kulti-Anlass", einen
Kniefall vor "Linksextremen, welche die friedliche Feier durch ihr
antidemokratisches Auftreten zerstören wollen".
Fakt ist, dass bislang der Präsenz der Rechtsextremen viel
Aufmerksamkeit zufiel. Dies führte schliesslich zu
Gegendemonstrationen von linken Gruppierungen. "Auch mit dem neuen
Konzept kann der Aufmarsch von Rechtsextremen nicht ausgeschlossen
werden", sagte Marcel Schwerzmann. Allerdings wird mit der
angestrebten, deutlich grösseren Besucherzahl deren
allfällige Anwesenheit wohl eher zur Randerscheinung werden.
Mittelalterfest und viel Musik
Das Konzept entstand in enger Zusammenarbeit zwischen der Stadt
Sempach und dem Kanton. Weil die Anlässe neu an verschiedenen
Tagen stattfinden, können Terminkollisionen umgangen werden. Auf
den Samstag, 25. Juni, organisiert die Stadt Sempach den traditionellen
Hellebardenlauf, das Sempacherschiessen und das Städtlifest. Zur
selben Zeit geht im Kantonshauptort das "Luzerner Fest" über die
Bühne. Es würde wohl viele Gäste strittig machen.
Viele Besucher indes dürfte das Mittelalterfest am
Gedenksonntag anziehen. "Es soll die Epoche nicht glorifizieren", so
Sempachs Stadtpräsident Franz Schwegler, "sondern nur
dokumentieren, wie man damals lebte."
Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist die Musik. So spielen
einerseits am Wochenende der Jugenddebatte an einem Open Air unterhalb
der Schlachtkapelle Bands aus dem Kanton Luzern. Andererseits finden
vom Mittwoch, 22., bis Samstag, 25. Juni, auf einer Seebühne bei
der Festhalle Konzerte statt. Quasi als Bonus seien dabei im
Hintergrund "die schönsten Sonnenuntergänge des Kantons zu
sehen", so Markus Hodel.
Das neue Programm bietet somit einiges, was fortan anstelle von
fahnenschwingenden Extremisten in Erinnerung bleiben könnte.
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Programm der 625-Jahr-Feier
Aus Anlass des 625. Jahrestags soll die Region Sempach für
geschichtlich interessierte Besucher attraktiver werden. So ist
vorgesehen, wichtige historische Gebäude zu beschriften. Auf dem
Schlachtgelände werden ferner zukünftig Tafeln über das
Geschehen informieren. Zudem entstehen an der Strasse Stelen, die auf
die geschichtsträchtige Stätte aufmerksam machen. Auch auf
der Autobahn soll ein Hinweisschild angebracht werden.
Programm im Überblick: 7. Juni: Forum Geschichte; 14. Juni:
Forum Geschichte; 22. bis 25. Juni: Musik auf der Seebühne; 25.
Juni: Hellebardenlauf, Sempacherschiessen, Städtlifest; 28. Juni:
Forum Geschichte; 1. und 2. Juli: Open Air bei Schlachtkapelle; 2.
Juli: Jugenddebatte; 3. Juli: Gedenktag, Morgenbrot, Gottesdienst,
Festakt, Mittelalterfest. dk
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NLZ 13.1.11
Der Umzug ist definitiv Geschichte
Schlachtjahrzeit
Regula Bättig
Vor 625 Jahren fand die Schlacht bei Sempach statt. Das wird
gross gefeiert - doch marschiert wird nicht mehr.
"Wir wissen, dass der Verzicht auf den Umzug politisch umstritten
ist", sagt Staatsschreiber Markus Hodel. Dennoch hat der Kanton Luzern
entschieden, den Marsch vom Städtli Sempach zum Schlachtfeld nicht
mehr durchzuführen. Man wolle rechtsnationalen Kreisen diese
Plattform nicht mehr bieten, so Hodel anlässlich der gestrigen
Medieninformation. Dass sich die Szenen vergangener Jahre, die national
für Aufsehen sorgten, nicht wiederholen, könne man aber nicht
absolut ausschliessen. Die Polizei sei aber bei der Konzeption des
Anlasses involviert gewesen. "Und sie wird die Situation im Vorfeld im
Auge behalten und allenfalls nötige Massnahmen ergreifen."
Programm für breite Kreise
Das von der Regierung verabschiedete Konzept für die
Feierlichkeiten zum Gedenken an die Schlacht bei Sempach von 1386
unterscheidet sich auch sonst nicht von der im November
präsentierten Grobskizze. Zentral bleiben:
Das Forum Geschichte: Neuere Erkenntnisse der
Geschichtswissenschaft über das Ereignis werden vermittelt.
Die Jugenddebatte: Jugendliche diskutieren über für sie
wichtige Themen.
Die Musikplattform: Junge Bands präsentieren sich auf der
Bühne am See, Open Air auf dem Schlachtfeld am Vorabend der
Jugenddebatte.
Der Gedenktag: Gottesdienst, Morgebrot und Mittelalterfest am 3.
Juli.
Traditionelle Anlässe:Hellebardenlauf, Sempacherschiessen
und Städtlifest am 25. Juni.
"Wir sind überzeugt, dass wir mit diesem Programm breite
Kreise der Bevölkerung ansprechen", sagt Hodel.
Doch nicht nur die möglichst breite Akzeptanz ist dem Kanton
und der Stadt Sempach wichtig: Die Feier soll auch eine Ausstrahlung
auf die ganze Schweiz haben. "Der Anlass soll jedoch nicht zum
Sechseläuten des Kantons Luzern werden", betont
Regierungspräsident Marcel Schwerzmann. Sicher seien Gäste
aus anderen Kantonen wie bis anhin eingeladen. "Aber es ist nicht unser
Ziel, möglichst viele Bundesräte und Regierungsvertreter hier
zu versammeln."
Hinweistafeln und Wegweiser
Die Feierlichkeiten werden rund 330 000 Franken kosten. Hinzu
kommen als einmalige Investition 56 000 Franken für die Renovation
des Morgenstöcklis und die Beschriftung der Schlacht. "Bisher gab
es im Umfeld des Schlachtfelds kaum Informationen", erklärt Hodel.
Auch ist die historische Stätte kaum durch Wegweiser erschlossen
worden.
Die Erfahrungen dieses Jahres sollen ausgewertet werden.
"Anschliessend wird entschieden, welche Elemente für künftige
Gedenkfeiern übernommen werden", sagt Schwerzmann. Klar ist: So
aufwendig wie das 625-Jahr-Jubiläum werden die nächsten
Feiern nicht mehr.
Regula Bättig
regula.baettig@luzernerzeitung.ch
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NZZ 13.1.11
Luzern schafft traditionelle Schlachtfeier ab
Verzicht auf Umzug soll in Sempach die Extremisten abhalten
Die Luzerner Regierung macht Ernst mit einer verkleinerten
Schlachtfeier in Sempach. Sie findet auch nicht mehr auf dem ehemaligen
Schlachtfeld statt. Damit soll der medienwirksame Auftritt von
Rechtsextremen vermieden werden.
Martin Merki, Luzern
Die traditionelle Schlachtjahrzeit von Sempach, bei der Ende Juni
oder Anfang Juli jeweils des Treffens zwischen eidgenössischen
Truppen und einem habsburgischen Reiterheer von 1386 gedacht wird,
gehört wohl endgültig der Vergangenheit an: Die Luzerner
Regierung verzichtet bei der Jubiläums-Gedenkfeier 2011 - der 625.
Schlachtjahrzeit - auf einen Marsch der mehreren hundert Teilnehmer in
historischen Kostümen auf das ehemalige Schlachtfeld ob Sempach,
sie will nichts mehr wissen von Reden beim Winkelriedstein, und sie
streicht weitere Punkte am historischen Ort, so die Musikeinlagen, das
Verlesen des Sempacherbriefes und den Volksapéro als gut
genutztes Begegnungsangebot.
Amputierte Feier
Stattdessen soll die eigentliche Gedenkfeier nur noch stark
verkleinert oder amputiert abgehalten werden. Sie soll aus einem
Gottesdienst in der Sempacher Stadtkirche und einem gemeinsamen, von
Sempach und dem Kanton offerierten Morgenessen, dem sogenannten
Morgenbrot, bestehen. Im Festakt in der Kirche hält gemäss
Konzept "eine bedeutende Persönlichkeit eine Rede mit historischem
Bezug". Die neuen Ideen haben am Mittwochmorgen
Regierungspräsident Marcel Schwerzmann und Staatsschreiber Markus
Hodel vorgestellt. Die Luzerner Regierung hofft, dass die Feier mit dem
Verzicht auf den Umzug zum Schlachtgelände für den Aufmarsch
von Rechtsextremen unattraktiv wird. Deren Präsenz hat in den
letzten Jahren zugenommen. Vor zwei Jahren kam es am Rand der Feier zu
bedrohlichen Szenen, als mehr als 200 Rechtsextreme aufmarschierten und
die Polizei eine Pistole, zwei als Hosengurt getarnte Töffketten
und einen Schlagstock fand. Die Luzerner Jungsozialisten führten
eine bewilligte Gegendemonstration durch, in der auch Vermummte waren.
Konfrontationen konnten durch ein starkes Polizeiaufgebot vermieden
werden. Der Einsatz für die Sicherheit kostete vor zwei Jahren 300
000 Franken, fast so viel wie für die neue Jubiläumsfeier
budgetiert sind, 330 000 Franken.
Kritische Stimmen
Die neue Feier erntete bereits im letzten Sommer bei
bürgerlichen Politikern Kritik, als die Eckpunkte bekannt waren.
Die SVP sprach von einer Multikulti-Veranstaltung und einem Kniefall
vor vermummten Demonstranten. Richtig anfreunden damit konnten sich
auch CVP und FDP nicht. Es sei "klar, dass einige Änderungen der
Veranstaltungen nötig sind, um Extremisten von links bis rechts
vom Anlass fernzuhalten", schrieb die CVP. Die SP begrüsste das
neue Konzept, weil damit der Entwicklung hin zu einer rechtsradikalen
Ersatzveranstaltung für das Rütli der Riegel geschoben werde.
Um die verkleinerte Gedenkfeier, die am Sonntag, 3. Juli,
vorgesehen ist - und die damit nicht mehr mit dem Altstadtfest in
Luzern zusammenfällt -, sollen verschiedene Anlässe gruppiert
werden. Als Ersatz für den Umzug soll ein Mittelalterfest
stattfinden. Am Vortag ist eine Jugenddebatte geplant. Traditionelle
Anlässe wie der Hellebardenlauf und das Sempacherschiessen finden
eine Woche früher statt.
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Zofinger Tagblatt 13.1.11
Kein Fussmarsch mehr aufs Schlachtfeld
kurt blum
Luzern/Sempach/Zofingen Am 9. Juli jährt sich zum 625. Mal
die Schlacht bei Sempach. Diesem Ereignis soll gedacht werden - doch
nicht mehr nach dem bisherigen Muster der Schlachtjahrzeiten, wie die
Luzerner Regierung gestern informierte. So wird auf den Umzug vom
Städtchen auf das Schlachtfeld verzichtet.
Die Luzerner Kantonsregierung hat gestern das Detailkonzept
für die Sempacher Jubiläums-Gedenkfeier 2011 vorgestellt. Sie
will die bestehenden und bewährten lokalen Anlässe mit neuen,
publikumsgerechten Veranstaltungsformen zu einer Feier für die
gesamte Luzerner Bevölkerung verbinden. Als kantonale
Hauptelemente vorgesehen sind ein Forum Geschichte, eine
Jugend-Debatte, der eigentliche Gedenktag am Sonntag, 3. Juli, sowie
eine Luzerner Musikplattform. Auf den Umzug vom Städtchen zum
Schlachtgelände wird aus Sicherheitsgründen verzichtet. Die
bisherigen, traditionsreichen Anlässe Hellebardenlauf,
Sempacherschiessen und Städtlifest finden eine Woche vorher statt.
Sie gehören gemäss Regierungsrat nicht zu den vom Kanton
organisierten Veranstaltungen, werden aber mit diesen koordiniert.
Aus Anlass des 625-Jahr-Jubiläums der Schlachtjahrzeit wird
ausserdem das Schlachtgelände informativ beschriftet und das
Morgenbrotstöckli renoviert. Nach Abschluss der diversen
Anlässe erfolgt der Entscheid, welche Elemente für die Feiern
der Folgejahre übernommen werden, betonte die kantonale Exekutive.
Auch Niklaus Thut fiel
Am 9. Juli 1386 kam es bei Sempach zur bedeutungsvollen Schlacht
in der jungen Eidgenossenschaft, bei welcher die Schweizer das
österreichische Heer von Herzog Leopold III. besiegten. Dieser
starb auf der Walstatt wie auch der auf der "Feindseite" kämpfende
Zofinger Schultheiss Niklaus Thut. Seither erinnert man sich Jahr
für Jahr um den 9. Juli herum an das geschichtsträchtige
Ereignis. In den letzten Jahrzehnten lief dieses Gedenken - auch
Schlachtjahrzeit genannt - in etwa nach dem gleichen Schema ab.
Jahrzeitgottesdienst in der Pfarrkirche Sempach, Festzug durch das
Städtchen hinauf auf das Schlachtfeld, wo die eigentliche
Gedenkfeier abgehalten wurde. Im Mittelpunkt standen dabei das Verlesen
des Sempacher Schlachtbriefs sowie die Festansprache, in der Regel
gehalten von einer national bekannten Persönlichkeit. Nach einem
Umtrunk zog man zurück ins Städtchen zum freundschaftlichen
Beisammensein zwischen "Sieger und Besiegten". Weil befürchtet
wurde, die Sempacher Schlachtfeier werde mehr und mehr zu einem
Tummelfeld von Links- und Rechtsradikalen, wurde im letzten Jahr
erstmals auf einen üblichen Gedenkanlass verzichtet und lediglich
eine "Schlachtfeier light" abgehalten - mit dem Versprechen der
Regierung, im Jahr 2011 wieder mit einer "richtigen" Feier aufzuwarten.
Nun liegt das Programm vor - das zweifellos noch für einigen
Gesprächsstoff sorgen wird, so vor allem die Tatsache, dass nichts
mehr auf dem Schlachtfeld - dem eigentlichen bisherigen Mittelpunkt -
durchgeführt wird, dafür erhalten ein "Forum Geschichte" und
eine "Jugend-Debatte" Platz.
Die Regierung hatte die Neukonzeption der Gedenkfeier im
Frühjahr 2010 in Auftrag gegeben. Als Projektziele gab sie vor:
Präsentation des Kantons als traditionsreiches, lebendiges und
zukunftsorientiertes Staatswesen; hohe Akzeptanz des Anlasses;
Ausstrahlung auf die ganze Schweiz; Minimierung der Sicherheitsrisiken;
durchgängige Organisation sowie Nutzung der Gedenkfeier für
die Kommunikation langfristig angelegter Strategien des Kantons.
--
Niklaus Thut: Zofingen weiter dabei?
1986 war nicht nur das Jahr der 600. Wiederkehr der Schlacht bei
Sempach, sondern auch die 600. Wiederkehr der ehrenvollen Rettung des
Zofinger Fähnleins durch Schultheiss Niklaus Thut. Grund genug, um
vor 25 Jahren ein Altstadtfest steigen zu lassen, in dessen Vordergrund
ein Festspiel stand. Gleichzeitig wurde die Stadtkompanie Schultheiss
Niklaus Thut ins Leben gerufen, die am 5. Juli 1986 in Sempach den
einstigen Feind repräsentierte - und unter anderem von
Bundespräsident Alphons Egli höchstpersönlich
begrüsst wurde. Mit dem Gedenkjahr 1986 ging die Stadtkompanie
nicht unter, sondern organisierte sich als Traditionsgruppe, die
seither Jahr für Jahr als Gast an der Sempacher Schlachtjahrzeit
teilnahm und auch Repräsentationsaufgaben erfüllte, neben
einem internen frohen Kompanieleben. Nun stellt sich die Frage: Geht
man dieses Jahr nach Sempach oder nicht? Mit dem Verzicht auf den Umzug
und auf die Feier auf dem Schlachtfeld fallen wesentliche
"Stadtkompanie-Elemente" dahin. Die Frage ist offen - die Beantwortung
dürfte aber auch Konsequenzen für die Zukunft der
Stadtkompanie haben. (KBZ)
--
Kommentar
Unbegreiflicher Kniefall
Kurt Blum
Faktum ist, dass es am 9. Juli 1386 die Schlacht bei Sempach
gegeben hat, und Faktum ist ebenfalls, dass das Resultat von
grundlegender Bedeutung für die Zukunft der damals noch jungen
Eidgenossenschaft war. Ob Arnold von Winkelried den Seinen
tatsächlich eine Gasse gebahnt und ob Schultheiss Niklaus Thut das
Zofinger Fähnlein wirklich in heroischer Form gerettet hat oder
nicht (jedenfalls kam es zusammen mit seinem Leichnam nach Hause
zurück), ist dabei nicht von grundlegender Bedeutung. Aber
immerhin sind es "schöne Geschichten". Es gibt jedoch auch im Jahr
2011 keinen einzigen treffenden Grund, wieso man sich nicht an das
erinnern soll, was in der Folge die weitere Entwicklung der Schweiz
nachhaltig prägte.
Die Sempacher Schlachtjahrzeit war Jahr für Jahr eine
gesunde Mischung zwischen sachlicher Darstellung der Geschichte und dem
gefühlsmässigen Erleben von "Sempacher Bildern" à la
Winkelried und Thut. Sofern man weder die sachliche
Geschichtsschreibung noch die gefühlsmässigen "Sempacher
Bilder" bis zum Exzess treibt, kann dagegen nichts Ernsthaftes
eingeworfen werden. In Sempach wurde das gesunde Augenmass noch nie
verloren. Dass Links-Radikale und Rechts-Radikale in den letzten Jahren
meinten, das Jahr 1386 für sich vereinnahmen zu können, war
wohl eine unschöne Erscheinung (sofern sie überhaupt von
jemandem - ausser von den Medien - bemerkt wurde), aber bestimmt kein
Grund, um vor diesen Kreisen zu kapitulieren. Genau dies aber hat nun
die Luzerner Regierung leider getan! So wird auf die beiden wichtigsten
Elemente verzichtet: auf den Umzug und auf die Feier auf dem
Schlachtfeld.
Nichts gegen neue Aktivitäten - aber solche Events
können auch ohne Schlacht bei Sempach jahraus und jahrein
durchgeführt werden. Das Jahr 1386 verdient aber auch 625 Jahre
später mehr als bloss einige "Dutzend-Events".
---
20 Minuten 13.1.11
Rechtsextreme an Feier unerwünscht
SEMPACH. Dank einem neuen Konzept soll die Sempacher
Schlachtfeier für Rechtsextreme unattraktiv werden. Ob diese dem
Anlass fernbleiben, ist jedoch völlig offen.
Am 3. Juli jährt sich die Schlacht von Sempach zum 625. Mal.
Die Jubiläumsgedenkfeier wird dieses Jahr komplett neu daherkommen
und soll ein Fest für das ganze Volk werden. Grund: In den letzten
Jahren sorgten Aufmärsche von Rechtsextremen für Schlagzeilen
- letztes Jahr waren auch linke Parteien und Vermummte an einer
Gegendemo vor Ort. Davon hat der Kanton genug und deshalb den bei
Rechtsextremen beliebten Gedenkmarsch aus dem Programm gestrichen.
Trotzdem: "Ob die Rechtsextremen der Gedenkfeier fernbleiben
werden, kann nicht mit Sicherheit gesagt werden", so der
Projektverantwortliche Markus Hodel. Doch das neue Programm sei so
ausgearbeitet, dass es für diese Kreise nicht mehr attraktiv sei.
Neu wird es dieses Jahr Konzerte direkt am Sempachersee sowie eine
Jugend-Debatte und ein Forum für Geschichte geben.
Die neue Form der Gedenkfeier kommt bei den Parteien
unterschiedlich an. "Dieser geplante Multikulti-Anlass ist ein weiterer
Meilenstein im systematischen Ausverkauf der Heimat", wettert
JSVP-Parteipräsident Anian Liebrand. Der Luzerner
Juso-Grossstadtrat David Roth begrüsst dagegen den Wegfall des
umstrittenen Gedenkmarsches: "Das ist zwar ein verspätetes, aber
deutliches Zeichen gegen Rechtsextremismus."
Martin Erdmann
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THOR STEINAR
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Basler Zeitung 14.1.11
Machtkampf um Klamotten
Im Konflikt um die Kleidermarke Thor Steinar sind die Fronten
verhärtet
David Weber
Die Anschläge von Linksextremen auf den Laden Power Zone
halten an. Die Betreiber denken nicht daran, die umstrittene
Kleidermarke Thor Steinar aus dem Sortiment zu nehmen. Die Folge ist
ein Machtkampf mit grossem Gewaltpotenzial.
Die Basler Staatsanwaltschaft ist ratlos. Sie kann die Urheber
der Anschläge auf den Laden Power Zone Basel an der
Feldbergstrasse gleich bei der Johanniterbrücke nicht fassen.
Sicher scheint nur, dass die Täter aus dem linksextremen,
antifaschistischen Milieu stammen. Diese hatten es seit der
Eröffnung im September auf das Geschäft abgesehen. Zuerst
warnten Flugblätter vor "Nazis in der Nachbarschaft", dann wurden
die Schaufenster verschmiert. Ende Oktober deponierten Unbekannte einen
Brandsatz vor dem Geschäft. Ende Dezember wurde zweimal das
Schaufenster eingeschlagen, einmal mit einer Schleuder.
Der Konflikt entzündet sich an einer Kleidermarke, welche
die Ladenbesitzer im Sortiment haben: Thor Steinar. Diese ist bei
Rechtsextremen beliebt und gilt laut Verfassungsschutz des deutschen
Bundeslands Brandenburg als Erkennungsmerkmal der Neonazi-Szene. Der
Verkauf der Kleider ist nicht verboten, weder in Deutschland noch in
der Schweiz. Darauf berufen sich die Power-Zone-Besitzer. "Ob
Rechtsradikale diese Kleider tragen, interessiert uns nicht", sagt
Lorenzo Zanolari. "Wir verkaufen, was gut läuft." Sie würden
nichts Illegales tun.
Thor Steinar ist nur eine von vielen Kleidermarken von Power
Zone, und nicht die meistverkaufte. Trotzdem kommt es für Zanolari
nicht infrage, diese Marke aus dem Sortiment zu nehmen. Es geht ums
Prinzip. "Von diesen Kriminellen lasse ich mich sicher nicht
unterkriegen", sagt Zanolari. Er habe in seinem ganzen Leben noch nie
vor jemandem gekuscht, sagt der 50-Jährige, der seit 30 Jahren
Kampfsport betreibt. Auf die Einschüchterungsversuche reagiert
Zanolari mit Härte und Trotz. Je grösser der Widerstand,
desto grösser seine Lust, das Thor-Steinar-Angebot auszubauen.
Trotz dieser Provokation sagt er: "Ich möchte nicht Öl ins
Feuer giessen." Er fordert, dass die Polizei den Tätern endlich
das Handwerk legt.
Nicht der erste Konflikt
Eine heisse Spur hat die Staatsanwaltschaft aber nicht, wie Sprecher
Markus Melzl sagt. Natürlich dürften die Täter aus dem
linken Spektrum kommen. Für eine strafrechtliche Verfolgung
bräuchten sie aber konkrete Indizien gegen bestimmte Personen. Die
Gegenseite zeigt sich ebenso unnachgiebig. "Stoppt Thor Steinar",
heisst es auf schwarz-weissen Plakaten, die an manchen Orten im
Kleinbasel hängen. Und: "Wer Naziprodukte verkauft, verbreitet
nationalsozialistische Propaganda." Aussagen, die Zanolari als
"Rufschädigung" bezeichnet. Auch wird die Entfernung einer
weiteren Marke, Pro Violence, gefordert. Die Stossrichtung ist klar:
Der Laden muss weg.
Einer, der mit den Ladenbesitzern sowie mit der mutmasslichen
Täterschaft Kontakt hat, ist Samuel Althof von der Fachstelle
Extremismus- und Gewaltprävention. Die Täterschaft ortet er
bei den autonomen Antifa-Gruppen aus Basel, dem Elsass und
Südbaden, welche vernetzt seien.
"Die Linksextremen werden ihre Positionen nicht aufgeben", sagt
er und verweist auf ähnliche Fälle in Deutschland und auch in
Basel, zum Beispiel vor fünf Jahren: Damals hatte Mikail Gör
in seinem MIG-Shop auf der Lyss ebenfalls Thor-Steinar-Kleider
verkauft. Nach Gewaltaufrufen der Antifaschistischen Aktion Basel auf
Flugblättern und im Internet hat Gör seinen Laden aus Angst
vor Anschlägen wieder geschlossen.
Ungewiss
Nun wiederholt sich die Geschichte. Nur zeigen sich die Besitzer des
Power-Zone-Ladens so unnachgiebig wie die Linksextremen. In dieser
Situation der verhärteten Fronten sieht Althof nur einen Ausweg -
auch wenn er betont, dass die Ladenbetreiber nichts Illegales
täten: Power Zone müsse die Thor-Steinar-Produkte aus dem
Sortiment nehmen. Ob dies zu einer Beruhigung reichen würde, ist
ungewiss. Es besteht aber laut Althof die Möglichkeit, dass der
Rückhalt für gewaltsame Aktionen im linksextremen Lager
kleiner würde.
Nach einer Einigung sieht es allerdings nicht aus. "Beide Gruppen
haben sich auf einen Machtkampf eingelassen", beschreibt Althof die
Situation. Nachgeben will keiner. "Machen wir uns keine Illusionen, das
Gewaltpotenzial ist sehr hoch", sagt Althof und verweist auf
mögliche Folgen für die Umgebung des Ladens. So befinden sich
in den Stockwerken über dem Geschäft Wohnungen.
"Risiko einer Eskalation"
Die Eigentümer des Hauses stärken Power Zone den Rücken.
Cyril Welti von der Stamm & Co. Immobilien AG: "Solange keine
illegalen Aktivitäten im Mietobjekt passieren, gibt es keinen
Grund, das Mietverhältnis mit den Ladenbesitzern aufzulösen."
Welti spricht von "angenehmen Mietern", Beschwerden von anderen
Hausbewohnern habe es keine gegeben. Kontaktiert wurde Welti allerdings
von den Ladengegnern, von einer Telefonkabine aus, und als "Nazi"
beschimpft. Aber sie würden sich nicht dem Druck von Extremisten
beugen.
"Der Konflikt birgt das Risiko einer Eskalation", wenn die
Angreifer zu stärkeren Mittel greifen, sagt Melzl. Deshalb
müssten die Täter gefasst werden, bevor sie Leben
gefährden würden, fordert Zanolari. Aber auch er trägt
nichts zur Deeskalation bei.
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Thor-Steinar-Logos
Nordische Mythologie. 2004 kam in Deutschland die
Bekleidungsmarke Thor Steinar juristisch unter Druck. Der Grund war die
Ähnlichkeit ihres Logos mit Symbolen verbotener Organisationen des
Nationalsozialismus. Das Logo vereinigt die Tiwaz- und die Siegrune.
Runen sind alte germanische Schriftzeichen. Die Tiwaz-Rune steht in der
nordischen Mythologie für Kampf und Aktion. Aufgrund des
Rechtsstreits wurde 2005 ein neues Logo geschaffen. Auch dieses Logo
beruht auf einer Rune, die aber im Nationalsozialismus keine Verwendung
fand. 2009 wurde die Marke von einem arabischen Investor gekauft.
daw
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RUHE & ORDNUNG
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St. Galler Tagblatt 13.1.11
Mit Gartenbeiz gegen Randständige
Politiker monierten, der Bahnhof Frauenfeld lade nicht zum
Verweilen ein. Das sei mit ein Grund für die Gewaltprobleme. Dass
Belebung auch Sicherheit bedeutet, zeigt ein Beispiel aus Zürich.
Thomas Ammann
Frauenfeld. Sybille Kaufmann sagte es in unserer Zeitung
deutlich: "Der Bahnhof Frauenfeld zieht vor allem Hänger an."
Für die SP-Kantonsrätin ist der "Betonklotz" Bahnhof kein
Ort, der zum Verweilen einlädt. "Es fehlen Sitzgelegenheiten, es
hat kaum Grünanlagen oder eine Gartenbeiz, wo etwas getrunken
werden kann.
Mitverantwortlich für die Gestaltung des öffentlichen
Raums in Frauenfeld ist die Raumplanung des Amts für Hochbau.
Deren Leiter heisst Heinz Egli. "Der Bahnhof ist einer der
schönsten Orte in Frauenfeld. Er zeugt von städtebaulicher
Qualität", sagt Egli. Er kann der Kritik der Sozialdemokratin
Kaufmann wenig abgewinnen. "Wieso Grünflächen? Der
Bahnhofplatz ist eine Drehscheibe für den öffentlichen
Verkehr. So entschied das Volk damals." Praktisch jeder Quadratmeter
des Platzes werde durch die Frauenfeld-Wil-Bahn, die Stadtbusse und
Postautos sowie den Taxibetrieb genutzt. "Auf die wenigen freien
Stellen setzen wir in der wärmeren Zeit jeweils Topfpflanzen."
Gute Beleuchtung zieht Leute an
Für die Forderung nach einer Gartenbeiz hat der Raumplaner
zwar Verständnis, sagt aber klar: "Die Initiative liegt hier bei
den Privaten. Wir haben mit dem Blumenstein und dem Bahnhofbuffet zwei
Restaurants am Bahnhof. Wir unterstützen gerne weitere
Restaurants, falls diese eine Gartenwirtschaft eröffnen wollen."
Noch dieses Jahr wird sich die Raumplanung im Zusammenhang mit
der Neugestaltung der Rheinstrasse auch Überlegungen zu
Optimierungen auf dem Bahnhofplatz machen. Ideen zur Optimierung
hätte Matthias Gredig, Abteilungsleiter Ortsplanung beim Kanton
Thurgau. "Um die Eintönigkeit aufzubrechen, könnte man an
gewissen Orten Pflastersteine verlegen oder kleine Inseln erstellen",
sagt Gredig. Ein weiteres Gestaltungselement sei das Licht. "Es gibt
kühleres oder wärmeres Licht. Eine gute Beleuchtung zieht die
Leute an, trägt zur Belebung bei."
Polizeiwache beim Treffpunkt
Dass eine Belebung des Bahnhofs auch zu mehr Sicherheit
beiträgt, zeigen andere Städte. Der Bahnhof Stadelhofen in
Zürich war ein bekannter Treffpunkt für Randständige. Im
Frühjahr 2005 eröffnete die Stadt dort eine Gartenbeiz - "um
mehr normales Leben auf den Platz zu bringen", wie sie damals mitteilte.
Am Bonner Hauptbahnhof errichtete die Polizei eine Anlaufstelle
für Randständige - direkt neben deren Treffpunkt. Beide
"Belebungs"-Massnahmen sorgten für wesentlich mehr Sicherheit und
Sauberkeit. Auch für Frauenfeld ein gangbarer Weg?
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POLICE CH
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Basler Zeitung 15.1.11
Gesetz über bewaffnete Bahnpolizei lässt auf sich warten
Kontroverse dauert an - Polizeikommandanten und die
Eisenbahngewerkschaft sind strikte dafür, SBB und BLS dagegen
Der Entscheid, ob die Bahnpolizei nebst Pfefferspray und
Schlagstock auch eine Waffe tragen darf, wird frühestens im Herbst
fallen. Wegen fehlender Auswertungen.
Weil die Bewaffnung von Bahnpolizisten und der Zugriff auf das
Fahndungssystem Ripol in der Vernehmlassung umstritten waren,
verzögern sich Gesetz und Verordnung über die Bahnpolizei.
Sie können offenbar nicht wie vorgesehen im Frühjahr, sondern
erst in der zweiten Jahreshälfte in Kraft treten.
Die Sprecherin des Bundesamts für Verkehr (BAV), Florence
Pictet, bestätigte einen entsprechenden Bericht der "Neuen
Zürcher Zeitung" vom Freitag. Es handle sich um ein "heikles
Thema", zu dem nun eine "realistische und tragbare Lösung"
gefunden werden müsse. Das BAV wertet derzeit die Resultate der
Vernehmlassung aus.
Wann das Gesetz und die Verordnung über die
Sicherheitsorgane in Transportunternehmen im öffentlichen Verkehr
in Kraft treten, entscheidet der Bundesrat. Das Parlament hatte ihm die
Aufgabe übertragen, die umstrittene Frage der Bewaffnung auf
Verordnungsstufe zu regeln. Die Vernehmlassung lief Ende November 2010
ab.
Die Meinungen von Transportunternehmen und Polizei gingen dabei
meilenweit auseinander. Während beispielsweise SBB und BLS den
Vorschlag begrüssten, die Transportpolizei nicht mit Waffen
auszurüsten, forderten die kantonalen Polizeidirektoren, die
Polizeikommandanten, die Polizeibeamten und die Eisenbahngewerkschaft
Feuerwaffen für Bahnpolizisten. Auch die Gewerkschaft des
Verkehrspersonals SEV unterstützt die Bewaffnung der
Transportpolizei. Ebenfalls kontrovers beurteilt wurde der Zugriff der
Transportpolizei auf das Fahndungssystem Ripol.
Diese Frage muss laut BAV-Sprecherin Pictet "vertieft
überprüft" werden. SDA
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Newsnetz 14.1.11
Schusswaffen für die Bahnpolizisten?
blu
Die SBB haben ein neues Sicherheitssystem. Ob die
Transportpolizisten Waffen tragen sollen, ist aber noch umstritten.
Denn die Gefährdung Unbeteiligter in engen Zügen ist hoch.
Zwar haben die SBB seit Anfang Jahr ein neues Sicherheitssystem.
Doch das Gesetz dazu tritt frühestens Mitte Jahr in Kraft, wie die
"NZZ" berichtet. Noch seien nicht alle Punkte geklärt. Umstritten
ist die Frage der Bewaffnung der Transportpolizei sowie deren Zugriff
auf Fahndungssysteme der staatlichen Polizei. Dies förderte die
Vernehmlassung zutage.
Während die kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren der
Meinung sind, das Kommando der Transportpolizei solle selber über
eine Ausrüstung mit Schusswaffen entscheiden, geben sich die SBB
und der Branchenverband öffentlicher Verkehr zurückhaltend.
Sie wollen auf Schusswaffen verzichten, möchten es aber dem
Bundesrat überlassen, bei erhöhter Bedrohung Waffen punktuell
einzusetzen.
Schusswaffen in Deutschland
Umstritten ist laut dem "NZZ"-Beitrag die Bewaffnung der
Bahnpolizisten im Hinblick auf einen möglichen Einsatz in
Zügen, wo der Raum eng und das Risiko einer Gefährdung von
Unbeteiligten hoch ist. So kennt zum Beispiel Deutschland eine
Bestimmung über den Einsatz von Schusswaffen durch Bahnpolizisten,
wonach deren Einsatz verboten ist, wenn dadurch "erkennbar Unbeteiligte
mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden". In Deutschland
sind die Bundespolizisten, die in Zügen für Recht und Ordnung
sorgen, mit Schusswaffen ausgerüstet.
Umstritten beim neuen Schweizer Bahnpolizeigesetz sei auch, ob
die Transportpolizei Zugriff auf das Fahndungssystem der Polizeikorps
erhalten sollen. Die SBB haben als Träger der Transportpolizei
Zugriff auf das zentrale System Ripol beantragt, die Justiz- und
Polizeidirektoren lehnen dies ab.
Gesetz nach langem Ringen verabschiedet
Das neue Gesetz über den Sicherheitsdienst der
Transportunternehmen wurde 2010 nach langjährigem Ringen vom
Parlament beschlossen. Das System basiert auf drei Pfeilern: dem Korps
der Transportpolizisten, dem Sicherheitspersonal von Securitrans, das
der Transportpolizei unterstellt ist, und auf dem Objektschutz, welcher
der Securitrans übertragen ist.
Weil das neue Gesetz noch nicht per Anfang 2011 in Kraft getreten
ist, bildet das Bahnpolizeigesetz von 1878 weiterhin Grundlage der
Tätigkeit von Polizei und Sicherheitsdiensten im öffentlichen
Verkehr. Dieses hält fest, jede Bahngesellschaft habe zu
bestimmen, welche ihrer Angestellten zur Ausübung der
bahnpolizeilichen Tätigkeiten berechtigt seien.
---
NZZ 14.1.11
An Fahndungssystem und Waffe scheiden sich die Geister
Nach langer Genese verzögert sich auch die Inkraftsetzung
des Bahnpolizeigesetzes
Die SBB als Trägerschaft der neuen Transportpolizei
möchten Zugriff auf das Fahndungssystem der Polizeikorps, die
kantonalen Polizeidirektoren sind dagegen. Kontrovers bleibt auch die
Frage, ob Transportpolizisten Schusswaffen tragen sollen.
Paul Schneeberger
Auf Anfang 2011 haben die SBB ihre Sicherheitsorgane gemäss
den Grundsätzen des 2010 nach langjährigem Ringen vom
Parlament beschlossenen Gesetzes über den Sicherheitsdienst der
Transportunternehmen neu aufgestellt. Abgesehen von den in der
Prävention tätigen Bediensteten basiert dieser auf drei
Pfeilern: Erstens auf einem in die SBB integrierten Korps von staatlich
vereidigten Transportpolizisten. Zweitens auf Sicherheitspersonal der
Securitas, das der Transportpolizei unterstellt ist, selber aber
über keine hoheitlichen Kompetenzen verfügt. Und drittens auf
einem Objektschutz. Dieser ist der Securitrans übertragen worden,
jener Tochtergesellschaft von SBB und Securitas, die bis anhin das
Personal für den Sicherheitsdienst in den Zügen stellte.
Unterschiedliche Lösungen
Eigentlich hätte das neue Gesetz ebenfalls Anfang 2011 in
Kraft treten sollen. Dem war aber nicht so, und so bildet weiterhin das
Bahnpolizeigesetz von 1878 die Basis der Tätigkeit von Polizei und
Sicherheitsdiensten im öffentlichen Verkehr. Dieses hält
lapidar fest, jede Bahngesellschaft habe festzulegen, welche ihrer
Angestellten zur Ausübung der bahnpolizeilichen Tätigkeiten
berechtigt seien. Gemäss dem Bundesamt für Verkehr
verzögert sich die Inkraftsetzung des neuen Gesetzes um mindestens
ein halbes Jahr, weil die konkretisierende Verordnung noch nicht fertig
formuliert ist.
In der Vernehmlassung zu diesem nachgeordneten Erlass zeigte
sich, dass die Art der Bewaffnung der Transportpolizei umstritten ist.
Kontrovers ist auch ihr Zugriff auf das zentrale Fahndungssystem der
Polizeikorps (Ripol). Während die SBB als Trägerschaft der
Transportpolizei den Antrag gestellt haben, Zugang dazu zu erhalten,
lehnt die Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren das ab.
Bei der Bewaffnung wird das im Verordnungsentwurf nicht
vorgesehene Tragen von Schusswaffen unterschiedlich beurteilt. Dies
insbesondere, was ihren möglichen Einsatz in Zügen angeht, wo
der Raum eng ist und das Risiko einer Gefährdung Unbeteiligter
hoch. Während die Justiz- und Polizeidirektoren der Meinung sind,
der Entscheid über die Ausrüstung mit Schusswaffen sei dem
Kommando der Transportpolizei zu überlassen, geben sich die SBB
und der Branchenverband öffentlicher Verkehr zurückhaltend.
Sie favorisieren einen Verzicht auf das Mitführen von
Schusswaffen, möchten es aber dem Bundesrat überlassen, bei
erhöhter Bedrohung darauf zurückzukommen.
Beide Konflikte resultieren grundsätzlich daraus, dass die
Transportpolizei ungeachtet der Vereidigung ihrer Angehörigen
durch den Staat nicht unmittelbares staatliches Organ, sondern
Bestandteil eines Transportunternehmens ist. Gemäss dem Willen des
Gesetzgebers könnten neben den SBB auch andere Betriebe des
öffentlichen Verkehrs solche Truppen aufbauen. Dieser Grundsatz,
der auf der politischen Absicht basiert, mit einer Transportpolizei
durch die Hintertür weder eine eidgenössische noch eine
private Polizei zu schaffen, ist nur so lange unproblematisch, als
Transportunternehmen mehrheitlich in schweizerischem staatlichem Besitz
sind.
Bis anhin wurde neben der Transportpolizei der SBB, deren Dienste
gegen Entschädigung auch von anderen Unternehmen in Anspruch
genommen werden können, keine zweite solche Polizeiorganisation
aufgestellt. Für das Gebiet des Zürcher Verkehrsverbundes
(ZVV) haben die SBB mit den übrigen konzessionierten Unternehmen
einen entsprechenden Vertrag abgeschlossen. Der ZVV als Besteller und
Financier des öffentlichen Verkehrs im Kanton Zürich wiederum
hat mit den SBB Leistungsumfang und Finanzierung der
Sicherheitsorganisation vereinbart. Die zweitgrösste Bahn, BLS,
beschränkt sich auf einen eigenen Sicherheitsdienst; bei Bedarf
fordert dieser Unterstützung durch die Kantonspolizeikorps an.
Schusswaffen in Deutschland
Klarer als hierzulande sind die Verhältnisse in Deutschland.
Dort wurde die heutige Trennung zwischen Polizei- und
Sicherheitsaufgaben im öffentlichen Verkehr 1992 etabliert.
Seither obliegt der Polizeidienst dem aus dem Bundesgrenzschutz
hervorgegangenen unmittelbaren staatlichen Organ der Bundespolizei, die
nachgelagerten Sicherheitsaufgaben sind Sache von Sicherheitsdiensten
der Transportunternehmen. Bundespolizisten, die in deutschen Zügen
für Recht und Ordnung sorgen, sind auch mit Schusswaffen
ausgerüstet.
Beschränkt wird deren Einsatz durch die gesetzliche
Bestimmung in Deutschland, wonach der Einsatz von Schusswaffen für
Polizisten verboten ist, wenn dadurch "erkennbar Unbeteiligte mit hoher
Wahrscheinlichkeit gefährdet werden". Dem
Bundespolizei-Präsidium in Potsdam ist bis anhin kein Einsatz
polizeilicher Schusswaffen in deutschen Zügen bekannt. Klar
geregelt ist in Deutschland auch die Finanzierung. Für die
hoheitliche Tätigkeit der Bundespolizei in öffentlichen
Verkehrsmitteln kommen die Steuerzahler auf, für die
nachgeordneten Sicherheitsdienste die Transportunternehmen.
In der Schweiz ist dies komplexer. Die Aufwendungen für die
SBB-Transportpolizei schlagen mit rund 30 Millionen Franken pro Jahr zu
Buche. 40 Prozent davon trägt der Bund über Abgeltungen
für die Infrastruktur, 40 Prozent übernehmen die Kantone
durch Abgeltungen für den Regionalverkehr, und 20 Prozent tragen
die SBB. Diese Aufwendungen haben sich in den letzten zehn Jahren
verdoppelt. Insgesamt geben die Bundesbahnen jährlich 60 Millionen
für die Personensicherheit aus.
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BIG BROTHER
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Tagesanzeiger 17.1.11
USA sollen ein Konzept für legale Überwachung vorlegen
Erweist sich der Spionageverdacht als begründet, sollen sich
die USA zum Schweizer Recht bekennen.Polizisten müssten
überprüfen, ob sich die Amerikaner daran hielten, fordert
Christoph Mörgeli.
Von David Schaffner, Bern
Anschläge auf Botschaften der USA haben immer wieder die
Welt erschüttert: Im August 1998 starben bei zwei fast
zeitgleichen Attentaten in Tansania und Kenia 224 Menschen. Im Herbst
2008 kam es im Jemen und in der Türkei zu Angriffen auf
US-Einrichtungen mit mehreren Toten. In Wien gelang es der
österreichischen Polizei in letzter Minute, am 2. Oktober 2007 die
Explosion einer Rucksackbombe zu verhindern.
Die Schweizer Aussenpolitiker zeigen Verständnis für
das Sicherheitsbedürfnis der Amerikaner und reagieren dennoch
empört auf die Meldung, dass die Schweizer Behörden wegen
Verdachts auf illegale Überwachungstätigkeiten der Amerikaner
in der Schweiz eine Untersuchung eröffnet haben. "Jedes Land
bemüht sich auf dem Territorium seiner Botschaften um
möglichst grosse Sicherheit", erklärt SVP-Nationalrat Ulrich
Schlüer. "Überwachungstätigkeiten ausserhalb des
Botschaftsgeländes hingegen gelten als unerlaubter
Nachrichtendienst und verstossen gegen das Völkerrecht."
Genügt der Botschaftsschutz?
Schlüer und der grüne Nationalrat Josef Lang haben
bereits früher beobachtet, "dass die USA offenkundig Mühe
damit haben, die rechtsstaatlichen Regeln anderer Länder zu
akzeptieren", wie Schlüer sagt. Lang erinnert an die Affären
um die CIA-Überflüge und die angeblichen Atomschmuggler
Tinner (siehe Box): "In beiden Fällen haben die USA keinen Respekt
vor unserer Souveränität gezeigt." Lang ist über den
Verdacht auf unerlaubten Nachrichtendienst nicht verwundert: "Wir
bezahlen den Preis dafür, dass wir uns gegenüber den USA
bisher unterwürfig verhalten haben." Die nun eingeleitete
Untersuchung wertet Lang indes als Chance: "Es ist bereits ein
Fortschritt, dass die Schweiz verdächtigen Hinweisen nachgeht und
die Sache nicht einfach versanden lässt."
CVP-Nationalrätin Kathy Riklin spricht ebenfalls davon, dass
"die Schweiz auf Druck immer wieder die Forderungen der USA geschluckt"
habe. Sie räumt aber ein, dass in der Bewachung ausländischer
Botschaften durch Schweizer Behörden nicht immer alles zum Besten
gestanden habe: "Die Untersuchung muss der Frage nachgehen, ob die
Schweiz im Botschaftsschutz genügend Qualität angeboten hat.
In der Vergangenheit haben wir in diesem Bereich viel Geld gespart."
Schlüer betont, "dass die Schweiz völkerrechtlich dazu
verpflichtet ist, den ausländischen Botschaften ausreichenden
Schutz zu gewährleisten". Er ist überzeugt, dass die Armee,
die sich heute Aufgaben im Botschaftsschutz mit den Kantonen teile,
diesen Schutz nicht gewähren könne: "Botschaftsschutz ist
klassische Polizeiaufgabe", so Schlüer.
Sein Parteikollege Christoph Mörgeli sieht ebenfalls
Handlungsbedarf bei der Bewachung durch die Schweizer Behörden.
Zudem verlangt er eine Erklärung der USA: "Erhärtet sich der
Verdacht, muss der US-Botschafter darlegen, wie er die Botschaft
künftig bewachen lässt, ohne schweizerisches Recht zu
verletzen." Polizisten sollen danach mit regelmässigen
Kontrollgängen überwachen, ob sich die USA daran halten.
Bundesrat sagte bereits Nein
Welches Ausmass die allfälligen amerikanischen
Tätigkeiten in der Schweiz annahmen und ob sie noch andauern, ist
unklar. Ein Sprecher des Justizdepartements (EJPD) sagte lediglich: "Im
vergangenen Herbst gab es im Nachgang zu Berichten aus Norwegen und
Schweden Hinweise darauf, dass die US-Mission in Genf ein
Observationserkennungsprogramm unterhält. Die Schweiz hat
daraufhin sofort bei den entsprechenden US-Aussenstellen interveniert."
In Oslo hat die US-Botschaft laut Medienberichten 15 bis 20
Überwachungsspezialisten eingesetzt, ohne die norwegische
Regierung darüber zu informieren.
In der Schweiz ersuchten die US-Botschaft in Bern und die
US-Mission in Genf in den Jahren 2006 und 2007 um eine Bewilligung
für ein Überwachungsprogramm. "Ende August 2007 lehnte der
Bundesrat die beiden US-Gesuche ab, mangels gesetzlicher oder
staatsvertraglicher Grundlage", so der EJPD-Sprecher. Die Schweiz habe
nun die Einstellung allfälliger Aktivitäten gefordert.
Laut der "SonntagsZeitung" sollen die Amerikaner die Umgebung der
Botschaft in Bern ebenfalls überwacht haben. Meldungen über
verdächtige Personen hätten sie in der Datenbank Security
Incident Management Analysis System eingetragen. Laut einer
Wikileaks-Depesche wurde der Ex-Pressesprecher der Genfer Moschee 2005
observiert und steht seither in der Datenbank.
--
Konflikte mit den USA
Rechtsstaat strapaziert
Der Umgang der amerikanischen Behörden mit der Schweiz hat
immer wieder zu rechtsstaatlichen Konflikten geführt. So liess der
Bundesrat Akten über den Fall der mutmasslichen
Atomschmuggler-Familie Tinner vernichten - wohl auf Druck der USA. Die
Akten fehlen nun für die juristische Aufarbeitung. Vor der
Aktenvernichtung hatte der amerikanische Geheimdienst CIA illegal das
Haus der Tinners in der Schweiz durchsucht.
In einem anderen Fall sammelten die USA bei Schweizer Baufirmen,
die vor dem Golfkrieg im Irak tätig gewesen waren,
Bunkerpläne ein. Viel zu reden gaben die CIA-Überflüge
über das Territorium der Schweiz und andere europäische
Länder. Das Europaparlament verurteilte die Verschleppung
mutmasslicher Terroristen später "als illegales und systematisches
Instrument" der USA im Kampf gegen den Terrorismus.
Im Jahr 2006 berichtete der "Blick" über illegale
Tätigkeiten eines mutmasslichen CIA-Agenten in Bern. Der Bundesrat
lehnte später jedoch eine Strafverfolgung ab.(dav)
--
Kommentar USA-Korrespondent Martin Kilian über vermutete
Geheimaktionen der Amerikaner in der Schweiz.
Überrascht das noch jemanden?
Martin Kilian
Die Aufregung ist gross: Die Schweizer Behörden vermuten,
dass sich die Vereinigten Staaten in Genf illegal, weil gegen den
Willen der Schweiz, gegen Terroranschläge geschützt
hätten. Die Amerikaner, so heisst es, hätten in Genf wie
schon zuvor in Schweden und Norwegen ein
Observations-Erkennungs-Programm betrieben, welches das Umfeld der
US-Mission in Genf beobachten sollte.
Na und? Wer bitte will davon überrascht sein? Dass das
Sicherheitsbedürfnis der Weltmacht seit 9/11 ins Unermessliche
gestiegen ist, legt nicht nur der mittlerweile grotesk aufgeblähte
Apparat von Nachrichtendiensten und Mitarbeitern des Washingtoner
Heimatschutzministeriums nahe. Auch die zusehends rigoroseren
Kontrollen für Reisende in die USA belegen das amerikanische
Bemühen, ein möglichst engmaschiges Netz zur
Terrorismusabwehr zu knüpfen und dabei im Zweifelsfall
internationale Vereinbarungen wie auch verfassungsmässig
verbriefte Rechte amerikanischer Staatsbürger zu missachten.
Die Rechte eines Gastlandes, in diesem Fall der Schweiz, werden
offensichtlich ebenfalls missachtet, wenn dies dem Schutz
amerikanischer Interessen und Diplomaten dient. Berner Dienststellen
mögen sich darüber aufregen, dass in Genf observiert wurde,
obwohl die Schweiz 2007 ein explizites Verbot derartiger
Ausspähungsmethoden aussprach - überraschen aber sollte das
amerikanische Vorgehen niemanden. Immerhin ist im Zuge der
Wikileaks-Enthüllungen publik geworden, dass US-Diplomaten im
Auftrag amerikanischer Dienste sogar das New Yorker UNO-Personal
ausspionieren sollten.
Und wer hätte schon vergessen, wie umfassend die
elektronische US-Aufklärung im Vorfeld des Irak-Krieges 2003 die
UNO-Missionen anderer Nationen in New York observierte und
ausspähte? Falls die Weltmacht in Genf illegal Aufklärung
betrieb, reihte sich diese Brüskierung der Schweiz in eine lange
Kette von Vorfällen ein, bei denen sich Washington über
internationale Auflagen und Verpflichtungen hinwegsetzte.
Einzig überraschend an diesem Vorgang ist, dass Schweizer
Beamte und Politiker überrascht reagieren. Guten Morgen auch!
---
Sonntag 16.1.11
Schweizer Nachrichtendienst ermittelt gegen US-Botschaft
Die Behörden haben Hinweise, dass amerikanische
Sicherheitsagenten in der Schweiz illegal Passanten beschattet und
Daten beschafft haben
Bern Die Schweizer Behörden ermitteln gegen Verantwortliche
der US-Botschaft wegen eines illegalen Überwachungsprogramms.
Passanten sollen illegal observiert und fichiert worden sein.
Guido Balmer, Sprecher von Justizministerin Simonetta Sommaruga,
bestätigt die Untersuchung: Im Justiz-, Aussen- und
Verteidigungsdepartement werde eingehend geprüft, "ob die Grenzen
des Gesetzes überschritten wurden". Mit der Untersuchung
beauftragt ist laut Informationen, die der SonntagsZeitung vorliegen,
die Spionageabwehr des Nachrichtendienstes des Bundes (NDB).
Ermittelt wird im Zusammenhang mit einem Programm, das die
US-Regierung seit dem Jahr 2000 weltweit in zahlreichen US-Vertretungen
etabliert hat. Laut einem US-Parlamentsdokument liegt der Schwerpunkt
des "Surveillance Detection Program" (Observationserkennungsprogramm)
auf verdeckten Massnahmen, mit denen rund um US-Einrichtungen nach
möglichen Angreifern gefahndet wird. Berichte über
Verdächtige und Vorfälle werden in einer Datenbank des
US-Aussenministeriums gespeichert. Dort werden sie mit dem Ziel
ausgewertet, Vorgehen und Netzwerke von möglichen Angreifern zu
eruieren.
Laut einer Beschreibung dieses "Security Incident Management
Analysis System" (Simas) vom Januar 2010 sind im System auch Daten von
lokalen Polizeikorps enthalten. Die Daten, heisst es im Papier,
würden mit dem amerikanischen Geheimdienst CIA, der
Polizeibehörde FBI und dem US-Staatsschutz ausgetauscht.
"Im vergangenen Herbst gab es Hinweise darauf, dass die
US-Mission in Genf ein Observationserkennungsprogramm unterhält",
sagt Justizsprecher Balmer. Die Schweiz habe danach bei den
US-Behörden interveniert. Ende 2010 liess sich der
Geheimdienstausschuss des Parlaments über die Aktivitäten der
Amerikaner informieren, wie deren Präsident Claude Janiak
bestätigt.
Laut Zeuge gab es illegale Observationen auch in Bern
Brisant ist, dass der Bundesrat im August 2007 einen Antrag der
US-Behörden abgelehnt hat, ein solches Programm einzuführen.
Bestätigen sich die Hinweise der Behörden, setzten die USA
ihr Vorhaben trotz deutlichem Nein fort. Hinweise darauf, dass das
Programm in der Schweiz schon vor der Anfrage 2007 etabliert war, gibt
eine Wikileaks-Depesche, die vergangene Woche von der norwegische
Zeitung "Aftenposten" publizierte wurde. Laut dieser wurde der
ehemalige Pressesprecher der Genfer Moschee 2005 observiert und steht
seither als Eintrag Nummer 78017 in der Simas-Datenbank.
Ein Botschaftsschützer behauptet zudem gegenüber der
SonntagsZeitung, dass ein solches Programm mindestens bis vor einigen
Jahren auch in Bern betrieben wurde. US-Sicherheitsleute seien illegal
im Botschaftsquartier patrouilliert, und Stadtpolizisten, Militärs
und die Angestellten eines privaten Sicherheitsdienstleisters
hätten die Personendaten von kontrollierten Passanten teils direkt
dem Botschaftspersonal übergeben. Die involvierten Stellen bei
Bund und Kanton bestätigen diese Darstellung nicht. Erhärtet
sich der Sachverhalt, machen sich die Betroffenen schuldig, unerlaubte
Handlungen für einen fremden Staat begangen zu haben.
Martin Stoll
---
NZZ am Sonntag 16.1.11
Bundesrat protestiert bei den USA wegen Schnüffeleien
Bund hat Hinweise auf illegales Überwachungssystem in der
Schweiz
Die US-Mission in Genf soll sich mit illegalen Methoden
geschützt haben - obwohl der Bundesrat dies verboten hat.
Heidi Gmür, Lukas Häuptli
Im Jahr 2007 hat der Bundesrat ein Gesuch der USA abgelehnt, ihre
Botschaften in Bern und Genf mit einem sogenannten
Observations-Erkennungs-Programm gegen Terroranschläge zu
schützen. Nun gehen die Bundesbehörden davon aus, dass die
USA das System trotzdem eingesetzt haben. Im letzten Herbst "gab es
Hinweise darauf, dass die US-Mission in Genf ein
Observations-Erkennungs-Programm unterhält", bestätigt ein
Sprecher des Justiz- und Polizeidepartements.
Die Schweiz habe daraufhin "sofort bei den entsprechenden
US-Aussenstellen interveniert" und "die Einstellung allfälliger
Aktivitäten gefordert", sagt der Sprecher weiter. Derzeit seien
das Justiz-, das Verteidigungs- und das Aussendepartement dabei, die
Situation in Genf "eingehend zu prüfen". Die US-Botschaft in Bern
betont derweil, dass die USA die Schweizer Gesetze "vollumfänglich
respektieren".
Worum es sich beim Surveillance Detection Program konkret
handelt, ist unklar. Im November 2010 wurde aber bekannt, dass die USA
in Oslo seit zehn Jahren 15 bis 20 Überwachungs-Spezialisten als
Surveillance Detection Unit eingesetzt haben. Die norwegische Regierung
wusste davon nichts.
Geheimdienstaktivitäten der USA in der Schweiz haben schon
früher für Schlagzeilen gesorgt. 2006 berichtete der "Blick"
etwa über illegale Tätigkeiten eines mutmasslichen Agenten
des Geheimdienstes CIA in Bern. Der Bundesrat lehnte eine
Ermächtigung zur Strafverfolgung später jedoch ab.
Just im Jahr 2006 hatten die USA die Schweiz kritisiert, sie
kooperiere bei der Terrorbekämpfung zu wenig. Das geht aus einer
Depesche der US-Botschaft in Bern hervor, die Wikileaks am Dienstag
veröffentlicht hat.
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USA unter Spionageverdacht
Die Schweiz hat Hinweise auf ein illegales
Überwachungssystem der USA in Genf
Die Schweizer Behörden prüfen, ob die USA in Genf ein
illegales Programm zur Erkennung von Observationen betreiben. Der
Bundesrat hatte dies den Amerikanern explizit untersagt.
Heidi Gmür
Schützt sich die US-Mission in Genf mit illegalen Methoden
vor Terroranschlägen? Das vermuten zumindest die
Bundesbehörden. Konkret: "Im Nachgang zu Berichten aus Norwegen
und Schweden gab es im letzten Herbst Hinweise darauf, dass die Genfer
US-Mission ein Observations-Erkennungs-Programm (Surveillance Detection
Program) unterhält", schreibt Guido Balmer, Sprecher des Justiz-
und Polizeidepartements (EJPD), auf Anfrage. Ein System also, das dazu
dient, eine Observation und damit eine mögliche Bedrohung der
Botschaft zu erkennen. Ob es sich dabei primär um ein technisches
System oder um eine eigentliche Einsatzeinheit handelt, ist unklar.
Laut Balmer hat die Schweiz "sofort bei den entsprechenden
US-Aussenstellen interveniert und die Einstellung allfälliger
Aktivitäten gefordert".
Bundesrat lehnte US-Gesuch ab
Die Intervention sei "rabiat" ausgefallen, sagt eine Quelle in
einem anderen Departement. Wohl deshalb, weil die Schweiz den
Amerikanern den Einsatz solcher Programme 2007 explizit untersagt
hatte. Wie erst jetzt publik wird, hatten die US-Botschaft in Bern und
die US-Mission in Genf in den Jahren 2006 und 2007 die Schweiz
nämlich offiziell um eine Bewilligung für
Observations-Erkennungs-Programme ersucht. Eine Bewilligung ist
nötig, weil solche Programme laut Balmer unter "Handlungen
für einen fremden Staat" gemäss Strafgesetzbuch fallen,
"sofern sie über die unmittelbare Umgebung einer Botschaft
hinausgehen".
Ende August 2007 lehnte der Bundesrat die beiden US-Gesuche aber
ab - "mangels gesetzlicher und staatsvertraglicher Grundlage". Dieser
Entscheid, so Balmer, sei der US-Botschaft damals auch mitgeteilt
worden. Derzeit "wird die Situation in Genf eingehend geprüft".
Die US-Botschaft in Bern will "keine Details von
Sicherheitsarrangements kommentieren". Botschaftssprecher Alex Daniels
betont aber, dass "die USA die Schweizer Gesetze vollumfänglich
respektieren und dass es die Politik der USA ist, in
Übereinstimmung mit dem anwendbaren lokalen Recht zu sein".
Spezifische Details der Sicherheit würden auf Regierungsebene
diskutiert.
Mutmasslich illegale Spionageaktivitäten der USA haben in
Skandinavien bereits im November für Schlagzeilen gesorgt. Ein
norwegischer Fernsehsender hatte unter anderem berichtet, dass die USA
seit zehn Jahren in Oslo eine Observations- und Erkennungs-Einheit
(Surveillance Detection Unit) betrieben. 15 bis 20 Spezialisten
würden in dieser Einheit arbeiten. Der Justizminister leitete eine
Untersuchung ein.
Hinweis in Wikileaks-Dokument
Ein Hinweis, dass die USA auch in der Schweiz ähnliche und
allenfalls illegale Aktivitäten entfaltet haben, findet sich auch
in einer von Wikileaks publizierten Depesche der US-Mission in Genf.
Die norwegische Zeitung "Aftenposten" hat letzte Woche über die
Depesche berichtet, die "Tribune de Genève" griff die Meldung
anschliessend auf. Demnach hat ein Surveillance-Detection-Techniker der
US-Mission in Genf bereits im Oktober 2005 ein Paar beobachtet, das
sich in Sichtnähe der Mission aufgehalten hatte. Das Paar geriet
vorübergehend quasi unter Terrorverdacht. Beim Mann handelt es
sich um den in Genf bekannten muslimischen Intellektuellen Hafid
Ouardiri. Die US-Mission hat den "Zwischenfall" laut der Depesche in
einer Datenbank abgespeichert.
--
Terror-Gefahr: Kritik der USA an der Schweiz
Die USA haben 2006 bemängelt, die Schweiz kooperiere bei der
Terrorbekämpfung zu wenig. Das zeigt eine von Wikileaks
veröffentlichte Depesche.
Lukas Häuptli
Die Kritik der USA an der Schweiz geht aus einer Depesche hervor,
die Pamela Willeford, die ehemalige US-Botschafterin in Bern, 2006
verfasst hatte und die das Internetportal Wikileaks am letzten Dienstag
veröffentlichte.
Bei der Terrorbekämpfung seien die Schweizer
Strafverfolgungsbehörden noch immer nicht willens, sich
gegenüber den USA zu öffnen, hielt Willeford in der Depesche
fest, die sie an Robert Mueller, den Direktor der US-Bundespolizei FBI,
schickte und die als vertraulich klassifiziert war. Und: "Die Stimmung
zeigt sich am besten an einer Aussage von Justizminister Christoph
Blocher gegenüber der Botschafterin. Blocher sagte: Die Schweiz
wird sich um die Schweiz kümmern, und die USA können sich um
den Rest der Welt kümmern." Der Schweizer Inlandgeheimdienst sei
am wenigsten kooperativ, schrieb Willeford in der Depesche.
Kooperativer sei der Auslandnachrichtendienst.
Daneben kritisierte Willeford, dass Schweizer Parlamentarier und
Medien ihr Augenmerk viel eher auf angebliche Fehler der US-Regierung
bei der Terrorbekämpfung richteten als auf die Terrorgefahr selbst.
Allerdings wies die US-Botschafterin auch darauf hin, dass die
Schweiz mit den USA ein Anti-Terror-Abkommen geschlossen und alle
Uno-Konventionen zur Terrorbekämpfung unterzeichnet habe. Zudem
hätten die Schweizer Behörden eine eigene Liste mit 44
Personen oder Firmen erstellt, "die mit internationalem Terrorismus
(al-Kaida)" verbunden seien. Aufgrund der Uno-Konventionen und der
eigenen Liste hatte die Schweiz bis Anfang 2006 total 82 Bankkonten mit
34 Millionen Franken blockiert, wie es in der Depesche heisst.
Schliesslich habe der Bundesanwalt weitere 41 Konten mit 34 Millionen
Franken wegen Terror-Verdachts eingefroren.
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Zentralschweiz am Sonntag 16.1.11
Sollen Hotelgäste überprüft werden?
Die Luzerner Polizei überprüft regelmässig Daten
von Hotelgästen, um Kriminelle zu finden. Der kantonale
Datenbeauftragte hat davon nichts gewusst.
Beat Hensler,
Kommandant
Luzerner Polizei
Pro
Seit mindestens 1910 müssen die Luzerner Hoteliers eine
Gästekontrolle führen und diese der Polizei zur
Verfügung stellen. So regelt es auch das heutige
Gastgewerbegesetz, weshalb jeder Hotelgast einen Meldeschein
ausfüllen muss. Bis in die Achtzigerjahre gingen die Beamten mit
den Fahndungsbüchern von Hotel zu Hotel. Seither hat die Polizei
auf die elektronische Überprüfung umgestellt. Statt
Fahndungsbücher gibt es die automatisierte Fahndungsdatenbank, die
Meldescheine werden elektronisch eingelesen, und die Polizisten
können sich den Gang von Hotel zu Hotel sparen.
An diesem Vorgehen hat sich bis vor wenigen Tagen niemand
gestört. Es handelt sich um ein erfolgreiches und effizientes
Fahndungsmittel, das nicht erst seit dem Beitritt zu Schengen immer
wieder zur Festnahme von Verbrechern führt und in allen Kantonen
mit wenigen Unterschieden angewandt wird. So stammt zum Beispiel ein
entscheidender Hinweis zur Aufklärung des brutalen
Banküberfalls auf die Raiffeisenbank in Luzern vom Juni 2010 aus
diesem Verfahren. Jährlich rund 300 Treffer ergeben die 300 000
Überprüfungen. Ähnliche Methoden kennt auch das Ausland,
sodass es dank der Meldepflicht und der Aufbewahrung der elektronischen
Meldescheine immer wieder gelingt, den Weg von gesuchten
Schwerverbrechern, zum Beispiel von Terroristen, zu verfolgen.
Weil die Ermittlungen oft mehrere Jahre dauern, müssen die
Meldescheine längere Zeit aufbewahrt werden. Die Luzerner Polizei
hat die Aufbewahrungsfrist auf 5 Jahre festgelegt. Die gleiche
Aufbewahrungsdauer gilt in Absprache mit dem Datenschutzbeauftragten
für andere, vergleichbare Daten. Offenbar stören sich nun
viele daran, dass die Meldescheine mit dem automatisierten
Fahndungsregister abgeglichen werden. Ohne Grund landet aber niemand im
Fahndungsregister.
Im Interesse der Sicherheit unseres Landes ist es von grossem
Interesse, polizeilich gesuchte Personen rasch zu finden. Rund 100 zur
Verhaftung ausgeschriebene Personen können so jährlich
aufgespürt werden. Allzu restriktive Beschränkungen der
Polizeiarbeit könnten dazu führen, dass der Datenschutz zum
Täterschutz wird, und das ist sicher nicht im Interesse der
unbescholtenen Bürgerinnen und Bürger.
Silvana Beeler Gehrer, Kantonsrätin, SP-Fraktionschefin
Contra
Die Luzerner Polizei überprüfe Daten von Schweizer
Hotelgästen systematisch und ohne genügend präzise
gesetzliche Grundlage. Das sagt der Datenschützer
Amédéo Wermelinger. Diese Aussage schreckt mich auf, weil
es den Prinzipien unseres Rechtsstaates zuwider- läuft. Ich
möchte nicht, dass die Polizei ohne klare Rechtsgrundlage
persönliche Daten beschafft, verarbeitet und aufbewahrt. Ich
wusste, dass sich die Polizei die Daten der Hotelgäste beschafft,
bin aber davon ausgegangen, dass die Daten nach der
Überprüfung vernichtet werden. Nicht im Traum wäre mir
eingefallen, dass solch persönliche Daten fünf Jahre
aufbewahrt werden.
Eigentlich muss man sich fragen, weshalb sich der
Datenschützer nicht schon früher mit dem Thema befasst hat.
Spätestens mit Annahme des Schengen-Dublin-Abkommens durch das
Schweizer Volk im Jahr 2005 hätte sich eine Überprüfung
der Praxis bei der Luzerner Polizei aufgedrängt. Im gesetzlichen
Auftrag des Datenschützers steht nämlich, dass er im Voraus
Bearbeitungsmethoden kontrolliert, welche die Persönlichkeit einer
grösseren Anzahl von Personen verletzen könnten. In diesem
Sinne ist es eigentlich egal, ob die Polizei eine Praxisänderung
plant oder nicht und ob sie dazu den Datenschützer um Mithilfe
bittet oder nicht: Er hat die Kompetenz und den Auftrag, Abläufe
jederzeit zu prüfen.
Nun lautet aber die Frage nicht, ob der Datenschützer seine
Aufgaben pflichtgemäss erfüllt hat, sondern ob die Polizei
weiterhin Daten von Hotelgästen prüfen soll. Mittlerweile
wurde die Zahl von 882 445 überprüften Personen und einem
Dutzend Festnahmen auf 300 000 überprüfte Schweizer bei 300
Fahndungstreffern im Jahr 2009 präzisiert. Man kann geteilter
Meinung darüber sein, ob eine Trefferquote von 0,1 Prozent die
ungenügende gesetzliche Grundlage rechtfertigt. Ich meine nein;
sie rechtfertigt die Überprüfung nicht. Das stürzt mich
in ein Dilemma, denn ich will, dass die Polizei ihre Aufgaben
pflichtgemäss erfüllt. Das bedeutet, dass schleunigst die
gesetzlichen Grundlagen geprüft werden müssen. Die kantonalen
Datenschützer müssen gemeinsam Position beziehen und
Vorschläge machen für eine bundesweite Lösung. Und bitte
ohne Kantönligeist, denn der stiftet nur Verwirrung und kostet.
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NLZ 14.1.11
Schärli: "Ich war nicht informiert"
Datenschutz
Interview Barbara Inglin
Im Kanton Luzern werden Hotelgäste systematisch
kontrolliert. Die Justizdirektorin wusste von nichts - und fordert
jetzt eine nationale Lösung.
Interview Barbara Inglin
barbara.inglin@luzernerzeitung.ch
Das Vorgehen der Luzerner Polizei ist fragwürdig: Sie
sammelt die Daten sämtlicher Hotelgäste im Kanton ein und
gibt sie in ein nationales Fahndungssystem ein - notabene ohne dass ein
Verdacht gegen die kontrollierten Personen vorliegt (Ausgaben vom 11.
und 12. Januar). Die Daten bleiben danach für fünf Jahre im
System der Luzerner Polizei gespeichert. Laut dem kantonalen
Datenschützer Amédéo Wermelinger gibt es "keine
genügend präzise gesetzliche Grundlage" für dieses
Vorgehen.
Yvonne Schärli, wussten Sie als Vorsteherin des Justiz- und
Sicherheitsdepartements von diesem Vorgehen?
Yvonne Schärli: Als Hotelgast habe ich schon zahlreiche
Meldezettel ausgefüllt und somit Kenntnis davon, dass es ein
System der Hotelkontrolle in der Schweiz und auch in andern
Ländern gibt. Über die genaue Praxis der polizeilichen
Hotelkontrolle in Luzern wurde ich bis dato nicht informiert.
Wie kommt es, dass Sie als Justizdirektorin nichts davon wussten?
Schärli: Die Überprüfung der Meldescheine der
Hotelgäste gehört im Kanton Luzern sicher seit
spätestens 1958 zu den Aufgaben der Polizei. Die Thematik wurde
bei der letzten Revision des Ablaufs im Jahre 2000 von der Polizei mit
dem damaligen Datenschutzbeauftragten abgesprochen. Ich gehe davon aus,
dass das Vorgehen damals für in Ordnung befunden wurde. Da es seit
meinem Amtsantritt im Jahr 2003 weder von Gästen noch von
Hoteliers, noch von der Politik je zu Beschwerden gekommen ist, gab es
für die Polizei offensichtlich keine Veranlassung, mich explizit
zu informieren.
Der jetzige kantonale Datenschützer kritisiert, dass mit
diesem Vorgehen Hotelgäste unter Generalverdacht gestellt werden.
Teilen Sie diese Meinung?
Schärli: Ich kann diese Frage erst dann seriös
beantworten, wenn die Überprüfung abgeschlossen ist und die
Ergebnisse vorliegen.
Zurzeit wird die Datenerfassung und -überprüfung von
Hotelgästen überarbeitet. Ist dabei auch der systematische
Abgleich mit dem Fahndungssystem, ohne Verdachtsmoment, ein Thema?
Schärli: Die Polizei ist aus Kreisen der Hoteliers gebeten
worden, den administrativen Ablauf zu vereinfachen und ein neues
EDV-Programm einzusetzen. Dabei geht es aber nur um die Weitergabe der
Meldescheine und nicht um den Grundsatz des Abgleichs ohne
Verdachtsmoment. Wenn sich herausstellen würde, dass der Abgleich
ohne Verdachtsmoment nun nicht mehr statthaft wäre, würde
dieser Punkt auch unter Einbezug des Datenschutzbeauftragten neu
beurteilt und angepasst.
Werden Sie dies nun prüfen?
Schärli: Ja, wir werden die Praxis in Zusammenarbeit mit dem
Datenschutzbeauftragten überprüfen.
Wie soll die Polizei künftig mit den Daten von
Hotelgästen umgehen? Der Zürcher Datenschützer etwa
schlägt vor, dass nur noch aufgrund bestimmter Kriterien, wie
bestimmte Personengruppen oder Orte, geprüft werden sollen.
Schärli: Ich bin der Auffassung, dass sich die kantonalen
Datenschutzbeauftragten einig werden sollten, wie die Thematik vom
rechtlichen Gesichtspunkt her gelöst werden kann. Ich erachte es
nicht als zielgerichtet, wenn nun jeder Kanton das System von Grund auf
überprüft und allenfalls Anpassungen vornimmt. Es sollte doch
möglich sein, dass wir eine einheitliche Praxis festlegen
können.
Werden Sie sich für eine nationale Lösung einsetzen?
Schärli: Ich meine, hier sind zuerst einmal die
Datenschützer gefordert.
Bis eine Gesetzesänderung beschlossen ist, dauert es in der
Regel mehrere Jahre. Wie wird der Kanton Luzern in der Zwischenzeit mit
den Daten von Hotelgästen umgehen?
Schärli: Die Praxis kann jederzeit angepasst werden.
Allerdings schreibt das Schengener Durchführungsübereinkommen
sinngemäss vor, dass für Zwecke der Gefahrenabwehr, der
Strafverfolgung oder der Aufklärung des Schicksals von Vermissten
oder Unfallopfern in Beherbergungsbetrieben Meldezettel ausgefüllt
werden müssen. Sobald die Ergebnisse der Überprüfung
vorliegen, nehmen wir - so weit erforderlich - Anpassungen der Praxis
vor.
Laut Bundesamt für Statistik logieren jährlich rund 800
000 Gäste im Kanton Luzern. Dem gegenüber stehen laut Angaben
der Polizei ein Dutzend Festnahmen. Sind diese Zahlen
verhältnismässig?
Schärli: Laut Angaben der Luzerner Polizei werden
jährlich rund 300 000 Reisende erfasst und nicht 800 000. Im Jahr
2009 resultierten gestützt auf diese Überprüfung rund
300 Fahndungstreffer.
Wie kommt es zu dieser Differenz?
Schärli: Sie ergibt sich daraus, dass nur Einzelreisende
erfasst werden. Bei den Gruppenreisenden geht die Polizei davon aus,
dass diese bereits in anderen Kantonen oder zum Schengenraum
zählenden Ländern überprüft worden sind. Die von
der Medienstelle erwähnten Treffer sind konkrete Festnahmen, die
im Kanton Luzern vorgenommen wurden. Darüber hinaus gibt es bei
den von mir erwähnten 300 Fahndungstreffern eine ganze Reihe von
weniger gravierenden Delikten. So konnten etwa Personen, die mit einer
Einreisesperre belegt sind, aufgegriffen werden.
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La Liberté 14.1.11
Pour Jean-Michel Dolivo, une fiche peut en cacher une autre
Big Brother - Le Vaudois a découvert l'existence d'un 2e
rapport sur son engagement politique. Confédération et
canton se renvoient la balle.
Michaël Rodriguez
C'est une fiche dont ni la Confédération, ni le
canton de Vaud ne veut assumer la responsabilité. Le militant
vaudois Jean-Michel Dolivo a appris l'existence d'un deuxième
rapport établi par la police cantonale sur son engagement
politique. En décembre dernier, le Service de renseignement de
la Confédération (SRC) disait n'en détenir qu'un
seul (notre édition du 22 décembre). Face à
l'apparition d'un nouveau document, la Confédération et
le canton se renvoient la balle. Jean-Michel Dolivo avait
été fiché pour avoir organisé une
manifestation contre la venue de Christoph Blocher en septembre 2007 au
Comptoir suisse, à Lausanne. Il apparaissait dans la base de
données fédérale ISIS comme organisateur d'une
manifestation violente, alors même qu'il avait lancé un
appel au calme pour tenter de stopper les débordements survenus
à l'issue du défilé. Cette fiche, qui se basait
sur un rapport de la Police cantonale vaudoise, a été
effacée depuis lors.
Rebondissement
A la fin du mois de décembre, pourtant, l'affaire
rebondit. Jean-Michel Dolivo entreprend une démarche
auprès de la police cantonale pour savoir si elle a gardé
une trace des informations transmises au SRC. Réponse du
commandant, Jacques Antenen: "Je vous informe que la police cantonale
détient deux copies de rapports vous concernant." Mais le chef
de la police vaudoise refuse de lui donner accès à ces
documents, au motif qu'ils étaient destinés à la
Confédération et que c'est à elle de
répondre à sa demande.
Pour Jean-Michel Dolivo, la conclusion s'impose: il a
été fiché deux fois dans ISIS et non pas une. Mais
le SRC dément. Il a bel et bien reçu un second rapport de
la police cantonale, mais ne l'a enregistré "dans aucune banque
de données", écrit-il il y a quelques jours au militant
de SolidaritéS. Il n'en aurait pas conservé de copie. La
balle est donc à nouveau dans le camp vaudois.
Cantons en eaux troubles
Aucune autorité ne semble pour l'instant disposée
à assumer la responsabilité du second rapport. Cela en
dit long sur les défaillances du contrôle des fiches. Cela
montre aussi l'urgence de faire de l'ordre dans les activités de
renseignement des polices cantonales, qui n'ont jamais
été sous le feu des projecteurs.
Outre le système fédéral ISIS, auquel elles
ont accès, certaines polices de sûreté cantonales
ont leur propre base de données pour surveiller les personnes
jugées menaçantes pour la sécurité de
l'Etat. C'est le cas notamment dans les cantons de Genève et
Vaud. La Police cantonale fribourgeoise affirme quant à elle ne
pas exploiter de tel fichier.
La banque de données vaudoise ne repose sur aucune base
légale spécifique, et son existence n'était pas
connue du parlement. Genève n'a pas non plus de loi cantonale
à cet effet, et juge que la loi fédérale sur le
maintien de la sûreté intérieure (LMSI) suffit.
"Une loi cantonale n'est pas nécessaire", affirme Hana Sultan
Warnier, secrétaire générale adjointe du
Département genevois de la sécurité, de la police
et de l'environnement.
Tel n'est pas l'avis de Jean-Philippe Walter,
préposé fédéral suppléant à
la protection des données. Pour lui, il faut bel et bien une loi
cantonale pour légitimer et créer un système
d'information cantonal. "Le traitement de données personnelles
doit toujours reposer sur une base légale. C'est ce que dit
aussi la jurisprudence du Tribunal fédéral." Un sim- ple
règlement ne suffit pas. "Il faut une loi votée par le
parlement et soumise au référendum", estime Jean-Philippe
Walter.
L'œil de Berne
Les cantons qui ont leur propre banque de données
informatique ont en outre l'obligation légale de soumettre un
règlement d'exploitation à la
Confédération. "La grande majorité des cantons ont
soit confirmé qu'ils n'avaient pas de banque de données
propre, soit déposé une demande d'autorisation", indique
un porte-parole du SRC en réponse à nos questions. La
Confédération attend encore des réponses de
quelques cantons. "Les éventuels retardataires seront
rappelés à l'ordre." le courrier
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grundrechte.ch 11.1.11
Volkszählung 2010
11. Januar 2011
Registererhebung und ergänzende Stichprobenumfrage
Das Sekretariat von grundrechte.ch wird momentan mit Anfragen zur
aktuellen Volkszählung überhäuft. Wir stellen deshalb
Informationen und unsere Sicht zur Verfügung:
Die erste eidgenössische Volkszählung erfolgte im März
1850 unter der Leitung von Bundesrat Stefano Franscini. Neben der
Erhebung der Bevölkerungszahl wurde nach Geschlecht, Alter,
Zivilstand, Beruf, Gewerbe und Konfession der Einwohner gefragt.
Zwischen 1860 und 2000 fand alle zehn Jahre jeweils im Dezember eine
Volkszählung statt.
1970 und 1980 wurde die Volkszählung, damals noch jeweils eine
Vollerhebung, von diversen Personen und Personengruppen boykottiert.
Nach einer öffentlichen Androhung von Bussen und der Ansetzung
einer Nachfrist gab es dann für Verweigerer eine Busse. Der
Umstand, dass das Strafwesen an die Kantone delegiert wurde,
führte dazu, dass in einzelnen Kantonen keine Sanktionen
ausgesprochen wurden. Die Fichenaffäre 1990 hat gezeigt, dass ein
gesundes Misstrauen gegenüber dem Staat durchaus angebracht und
auch erwünscht ist.
Die aktuelle Zählung entspringt einer Verordnung der EU. Nachem
ein erster Entwurf wegen zu detaillierten Fragen, u. a. zu
Behinderungen und Religion, vom EU-Parlament 2007 zurückgewiesen
wurde, kam die Verordnung 2008 mit einem abgespeckten Fragekatalog, u.
a. keine Fragen zur Religion mehr, durch. In dieser Verordnung werden
auch die Registererhebung und ergänzende Stichprobenumfragen
postuliert.
In Deutschland gab es zur Volkszählung 2011 massive Proteste und
eine Sammelklage beim Verfassungsgerichtshof, welche aber abgewiesen
wurde. Kritisiert wurden vor allem die umfassende Erhebung aus allen
verfügbaren Registen, z. B. auch von Arbeitsämtern, die
fehlende resp. ungenügende Anonymisierung (Datensätze
können noch für 4 Jahre einer bestimmten Person zugeordnet
werden) und die Frage nach der Religion. Die letzte Frage wurde
allerdings aufgrund der Kritik im Zensus 2011 als freiwillig deklariert.
Im Vergleich zu Deutschland werden in der Schweiz nur Daten aus
Sammlungen, welche in Art. 2 des Registerharmonisierungsgesetzes
aufgeführt sind, sowie dem eidgenössischen Wohnungs- und
Gebäuderegister erhoben. Daten der Arbeitslosenkassen und
Sozialämter fliessen nicht in die Registererhebung ein.
Nach der Erfassung werden alle Fragebogen vernichtet und die Daten so
anonymisiert, dass ab sofort kein Rückschluss von einem Datensatz
auf die entsprechende Person mehr möglich ist.
Die Frage nach der Religion stützt sich auf Art. 1 Abs. 2 lit. g
des Bundesgesetzes über die eidgenössische Volkszählung.
Trotz der gesetzlichen Grundlage setzt grundrechte.ch hier ein
Fragezeichen. Aktuell gibt es weltweit schwelende und akute
Religionskonflikte, welche auch zu Flüchtlingsströmen
führen. Die Unlust, die Religion bekannt zu geben, ist
nachvollziehbar. Auf der anderen Seite entsteht aus der Kenntnis der
Religion kein zwingender Nutzen, weil der Staat nicht für die
Bereitstellung der notwendigen Infrastruktur verantwortlich ist, im
Gegensatz etwa zu Verkehrswegen.
Die Frage nach der Religion kann nach Ansicht von grundrechte.ch aus
obigen Gründen offen gelassen werden. Mitglieder von Landeskirchen
dürften aber bereits in den Einwohnerregistern vermerkt sein und
ohnehin durch die Registererhebung erfasst werden. Gemäss Art. 15
der Verordnung über die eidgenössische Volkszählung kann
gemahnt und mit einer Gebühr belegt werden, wer die
Auskunftspflicht verletzt.
* Verordnung des Europäischen Parlaments und des Rates vom 9. Juli
2008 über Volks- und Wohnungszählungen
http://grundrechte.ch/2011/Verordnung_EU_2008.pdf
* Bürgerrechtler klagen gegen Volkszählung
http://grundrechte.ch/2011/Gegen_Zensus.pdf
* Registerharmonisierungsgesetz
http://grundrechte.ch/2011/Registerharmonisierungsgesetz.pdf
* Bundesgesetz über die eidgenössische Volkszählung
http://grundrechte.ch/2011/Volkszaehlungsgesetz.pdf
* Verordnung über die eidgenössische Volkszählung
http://grundrechte.ch/2011/Volkszaehlungsverordnung.pdf
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grundrechte.ch 8.1.11
Polizei schnüffelt in Hotels
8. Januar 2011
Im Kanton Zürich werden Hotelgäste systematisch mit Ripol und
SIS überprüft
Im Kanton Zürich sammelt die Polizei in allen Hotels täglich
die Daten der Gäste ein und überprüft sie mit den
Fahndungssystemen Ripol und SIS. Anschliessend werden die
Gästedaten aufbewahrt und stehen den Ermittlern während zehn
Jahren für Recherchen zur Aufklärung von Delikten oder
für die Eruierung von vermissten Personen zur Verfügung.
Laut Bruno Baeriswyl, dem kantonalen Datenschutzbeauftragten, werfen
diese polizeilichen Überprüfungen rechtliche Probleme auf.
Denn: Etwa 50 Prozent der Gästedaten werden heute nach Angaben der
Kantonspolizei nicht mehr in Papierform erfasst, sondern auf
elektronischem Weg übermittelt. Bei der Polizei werden die Daten
sodann automatisch mit den Fahndungssystemen abgeglichen, was einer
systematischen Überprüfung gleichkommt.
Anders in Basel: Seit dem 1. Januar 2011 müssen die Hoteliers
nicht mehr automatisch die Identität ihrer Hotelgäste an die
Polizei weiterleiten. Mit der provisorischen Aufhebung dieser Praxis
reagiert die Basler Kantonspolizei auf eine Beanstandung des kantonalen
Datenschutzbeauftragten. "Wir haben festgestellt, dass eine
automatisierte Kontrolle im Schengener Durchführungsabkommen nicht
vorgesehen ist".
In vielen Kantonen, so in Bern, Solothurn und Aargau, werden Daten von
Hotelgästen schon länger nicht mehr systematisch gespeichert.
* Wie die Polizei in Hotels auf Verbrecherjagd geht
http://grundrechte.ch/2011/Tagi_07012011.pdf
* Polizei hat in Hotels ausgeschnüffelt
http://grundrechte.ch/2011/BZ_08012011.pdf
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BIG BROTHER SPORT
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NLZ 13.1.11
"Echte Fans randalieren nicht"
Sachseln
Primus Camenzind
Gewalt an Fussballspielen ist Realität. Der Sachsler FCL-Fan
Peter Spichtig kennt die Schuldigen.
Primus Camenzind
primus.camenzind@obwaldnerzeitung.ch
Sein Fussballerherz schlug schon immer blau-weiss. Lange noch
bevor Peter Spichtig vor neun Jahren Präsident des FCL-Fanclubs
Pilatusblick wurde, pilgerte er auf die Allmend an die Heimspiele des
FC Luzern. "Heute habe ich im Umfeld des FCL und seiner nahezu zehn
Fanclubs viele Kontakte. Ich spüre durch mein Engagement in diesen
Kreisen Anerkennung", sagt der 44-jährige SP-Kantonsrat aus
Sachseln, "und das kann meiner Fanarbeit nicht schaden", meint er.
Bereits Fortschritte erzielt
"Ein leidiges Thema", erklärt Peter Spichtig, wenn er an die
steigenden Kosten für die Sicherheit an publikumsträchtigen
Fussballspielen denkt (siehe Kasten). Er gehört seit bald drei
Jahren dem Vorstand der Fanarbeit Luzern an und ist damit zusammen mit
Vertretern der Stadt, des Kantons, der Polizei und des FC Luzern
für die strategische Führung der Fanarbeit verantwortlich.
"Ich bin allerdings überzeugt, dass wir in den letzten beiden
Jahren zusammen mit zwei professionellen Fanarbeitern in
präventiver Hinsicht bereits erfreuliche Fortschritte erzielt
haben und auch weiterhin erzielen werden." Spichtig, hauptberuflich
Gewerkschaftssekretär, setzt nicht ausschliesslich auf
Prävention. "Sie kann Repression nicht vollständig ersetzen,
und da sie zugleich einen Sensibilisierungsprozess beinhaltet, zeigt
sie ihre Wirkung nicht von heute auf morgen", räumt er ein.
Wenn die Öffentlichkeit - "und damit meine ich auch die
Presse" - immer wieder von "randalierenden Fans" spreche, sei das ein
Widerspruch in sich. "Echte Fans - und das ist die
überwältigende Mehrheit der Menschen in den Stadien -
randalieren nicht", bekräftigt Peter Spichtig.
Mangelnde Werte
Der Vater zweier ebenfalls fussballspielenden Buben wehrt sich
ausserdem dagegen, dass für grundlegende gesellschaftliche
Probleme und deren Auswirkungen der Fussball allein verantwortlich sein
soll. "Schauen Sie doch, wohin sich zum Teil Anstand, Respekt und
menschlicher Umgang in Politik, Wirtschaft und der Medienwelt
entwickelt haben. Man darf sich deshalb nicht wundern, dass junge
Menschen mangels Vorbilder und echter Werte den Fussball als Ventil
brauchen und da Energie ablassen."
Fanarbeit hat sich etabliert
Verstärkte Polizeiaufgebote und durchdachte
Sicherheitskonzepte seien nur ein Teil der Sicherheit an
Fussballspielen. "Fanarbeit erfordert Zivilcourage und eine konsequente
persönliche Grundhaltung", betont Spichtig. Besonders bei Spielen
mit erhöhtem Sicherheitsrisiko sei der frühzeitige Dialog
zwischen der Polizei und den professionellen Fanarbeitern notwendig.
"So kann viel Gewaltpotenzial im Ansatz erkannt und ohne
übermässige Polizeieinsätze in Grenzen gehalten werden."
Fanarbeit sei in Luzern und anderswo noch vor wenigen Jahren
belächelt worden, erzählt Peter Spichtig. "Inzwischen sind
Vorurteile gegenüber dem, was wir tun, weitgehend verschwunden."
Spichtig hält fest, dass in der Schweiz professionelle Fanarbeit
nur in den Fussballclubs von Basel, Bern, Luzern und St. Gallen
geleistet werde. Für Spichtig ist zudem wesentlich, wie es um die
gegenseitige Wertschätzung zwischen Fans und Club steht. Der echte
Fan halte schliesslich zu seinem Club, er unterstütze diesen
unabhängig von Tabellensituation und Wetterbedingungen am
Spieltag. Die Tatsache, dass Fans im Stadion leidenschaftlich und
deshalb hin und wieder wenig objektiv sind, was den Spielverlauf
betrifft, findet Peter Spichtig - solange sie sich friedlich verhalten
- nicht störend. "Das gehört zum Fussball."
Chaoten hätten im Fanclub Pilatusblick und in den anderen
Luzerner Fanclubs nichts zu suchen, bekräftigt er. "Ich
persönlich toleriere keine primitiven Fluchtiraden oder
Schmährufe. Da kann ich im Fansektor links und rechts von mir
schon mal klar und bestimmt werden."
Erinnerung an den Petardenwurf
Immer wieder macht Peter Spichtig im Gespräch mit
FCL-Anhängern deutlich, dass der Einsatz von Feuerwerk,
Wurfgeschossen, Knallkörper nicht zu einem Fussballspiel
gehört. Er ist sich allerdings bewusst, dass solche Aktionen trotz
Polizeieinsatz und Fanarbeit auch in Zukunft nicht völlig zu
unterbinden sein werden.
"Als eindrückliches Beispiel dient mir der Petardenwurf im
Barrage-Spiel Luzern - Lugano vom 13. Juni 2009." Ein "hirnamputierter"
Chaot, so Spichtig, habe damals fast erreicht, dass der Schiedsrichter
das Spiel abgebrochen, damit Luzern in die Challenge League verbannt
und 13 000 Fans ins Elend gestürzt habe. Peter Spichtig: "Der
getroffene Linienrichter leidet übrigens noch heute und
wahrscheinlich sein Leben lang an Tinnitus (Störung der
Nervenzellen des Gehörs)."
--
Polizeieinsätze verteuern sich
Fussball cam. "Ausserhalb des Fussballstadions hat die Polizei
das Gewaltmonopol", stellt Peter Spichtig fest. Trotzdem setzt er sich
für Polizeiaufgebote ein, die "der Situation angepasst" sind. Die
Polizei soll keinesfalls Gewalt provozieren, unterstreicht der
Sachsler. Wie auch immer, der entsprechende Aufwand für die
Zukunft ist inzwischen definiert. Der FC Luzern wird sich stärker
an den Kosten der Polizeieinsätze für seine Heimspiele
beteiligen müssen. Darauf haben sich der Club, die Polizei und die
Stadt Luzern geeinigt.
FCL zahlt mehr
Die neue Vereinbarung sieht vor, dass für ein Spiel maximal
24 Polizisten als Service public unentgeltlich zur Verfügung
gestellt werden. Für zusätzliches Personal hat der FC Luzern
ab 2011 für 18 Meisterschafts-Heimspiele pauschal 570 000 Franken
zu bezahlen. Die bisherige Beteiligung an den Polizeikosten lag bei 240
000 Franken.
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SQUAT ZH
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20 Minuten 17.1.11
Hausbesetzung dauert weiter an
ZÜRICH. Die Gebäude an der Neufrankengasse 16 waren
auch gestern noch besetzt. Die Architektin Vera Gloor sagt auf Anfrage,
der Wirt des einstigen Tessinerkellers habe noch bis spätestens
Ende Januar Zeit, seine Lokalitäten zu räumen. "Sobald er
damit fertig ist, wird abgerissen", so Gloor. "Wenn die Besetzer dann
noch dort sind, muss ich die polizeiliche Räumung veranlassen."
Noch diesen Frühling will Gloor die Bewilligung für einen
Neubau mit "bezahlbarem Wohnraum" beantragen. Entstehen sollen 22
Wohnungen, deren Mietzins laut Gloor zwischen 1000 und 1200 Franken
betragen wird.
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Tagesanzeiger 15.1.11
Ein Bett am Gleisfeld - Aktivisten besetzen den Tessinerkeller
Die Architektin will das Gebäude rasch abbrechen: Der Platz
wird gebraucht.
Von Mario Stäuble
Zürich - Vera Gloor ist erstaunt: Die Architektin kommt
gerade von einer Besprechung mit den Hausbesetzern zurück, die
sich in der Liegenschaft Neufrankengasse 16 im Kreis 4 einquartiert
haben. Gloor plant dort - am Standort des ehemaligen Restaurants
Tessinerkeller - einen Neubau. "Die Besetzer haben das Gebäude
gewissermassen auf Vorrat in Beschlag genommen", sagt sie. Sie seien
einfach eingezogen, ohne sich vorher darüber zu informieren, was
an der Neufrankengasse gebaut werden solle. Sie hätten sich von
falschen Tatsachen leiten lassen.
Die Besetzer protestieren gemäss einem am Donnerstag
veröffentlichten Communiqué gegen "Abriss auf Vorrat,
Abriss für Parkplätze, Abriss für teuren Wohnraum." Laut
Gloor gehe es beim geplanten Gebäude jedoch nicht darum, Wohnraum
"für die Reichen" zu schaffen. Vielmehr seien pro Etage fünf
Kleinwohnungen mit je einer Gemeinschaftsküche vorgesehen -
sogenannte Clusterwohnungen. Die Mietzinse würden "moderat"
ausfallen.
Ungünstiger Zeitpunkt
Am Donnerstagabend sei sie noch am Ort gewesen, um die weitere
Planung zu besprechen, sagt Gloor weiter. Nur eine Stunde nachdem sie
das Areal verlassen habe, sei die Nachricht gekommen, dass die
Liegenschaft besetzt sei. "In Zürich muss man bei einem leer
stehenden Haus immer damit rechnen, dass es besetzt wird, aber der
Zeitpunkt ist jetzt wirklich sehr ungünstig." Gloor hat die
Abbruchbewilligung bereits in der Tasche. Zwar soll nicht sofort mit
dem Neubau begonnen werden, aber die SBB benötigen die Parzelle
als Bauplatz für ihr eigenes Projekt an der Neufrankengasse.
Direkt an den Gleisen wollen sie bis 2012 ein Gebäude mit 28
Wohnungen errichten lassen.
Möglicherweise ist die Besetzung nur von kurzer Dauer: Einer
der Hausbesetzer wollte gestern gegenüber dem TA zum Treffen mit
Gloor zwar keine Stellung nehmen, sagte aber: "Wir werden die Sache
heute Abend besprechen, wenn alle wieder beisammen sind. Im Moment ist
vieles unklar. Vielleicht sind wir schon bald wieder weg."
Die Hausbesetzer greifen Gloor zudem auf persönlicher Ebene
an. Von den Bahngleisen her gut sichtbar hängt ein Banner mit dem
Schriftzug "Zugloorreich" am Schutzzaun. Einerseits eine Spitze gegen
die Architektin, andererseits auch eine Hommage an den legendären
"Zureich"-Schriftzug, der einst auf der anderen Seite des Gleisfelds
prangte (siehe Box). Gloor nimmt die Stichelei gelassen: "Ja, ich habe
am Zaun etwas gesehen. Das werden wir wohl abhängen müssen."
Die SBB stört das Plakat nicht weiter: "Offenbar sind die SBB eine
starke Marke", stellt Mediensprecher Daniele Pallecchi fest. Vorerst
werde man nichts unternehmen.
--
Wohlgroth-Besetzung
Wortspiele haben Tradition
Das Spiel mit der verfälschten Bahnhoftafel ist nicht neu:
Schon in den frühen Neunzigerjahren malten die damaligen Besetzer
des Wohlgroth-Areals den Schriftzug "Zureich" prominent an eine
Fabrikwand - komplett mit SBB-Logo, gut sichtbar vom Gleisfeld aus.
Eigentlich hatte die Oerlikon-Bührle Immobilien AG auf dem
Gelände der Wohlgroth AG eine grosse Überbauung mit
Büros und Wohnungen geplant. Weil der Neubau politisch umstritten
war, liess die Abbruchbewilligung jedoch auf sich warten. Eine Gruppe
von Aktivisten sah ihre Chance und besetzte die Liegenschaft im Mai
1991. Zeitweise wohnten über 100 Personen in der Fabrik und den
nebenstehenden Häusern. Auch ein Kino, ein Konzertlokal, eine Bar
und einen Bewegungsraum gab es. Im November 1993 fand die Besetzung ein
abruptes Ende: Die Polizei räumte das Gelände in einem
Grosseinsatz -unterstützt von Anti-Terror-Einheiten und einem
Hubschrauber.(ms)
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tagesanzeiger.ch 13.1.11
Ehemalige Bombay-Bar im Kreis 4 besetzt
jak
Besetzer belagern die ehemalige Bombay-Bar an der Neufrankengasse. Sie
wehren sich gegen den Abriss des Gebäudes.
Die Stadtpolizei Zürich hat gegenüber "Radio 24" die
Besetzung der ehemaligen Bombay-Bar bestätigt. Ob der
Liegenschaftsbesitzer das Gebäude räumen lasse, sei noch
unklar. Wie die Besetzer in einer Mitteilung schreiben, wehren sie sich
gegen den Abriss des Gebäudes an der Neufrankengasse.
Die ehemalige Bombay-Bar soll noch im Januar zusammen mit dem
Tessinerkeller abgerissen werden. Für die nächsten zwei Jahre
soll der freiwerdende Platz der SBB als Baustellenzubringer dienen.
Danach soll ein Mehrfamilienhaus entstehen.
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SQUAT BS
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Basler Zeitung 17.1.11
Besetztes Haus freiwillig geräumt
Allschwil. Am Freitagabend um 22.30 Uhr hat eine Gruppe
Jugendlicher eine Liegenschaft an der Baslerstrasse 159 besetzt. Die
Besetzer konnten am Samstagmorgen aber durch die Polizei dazu bewegt
werden, das Haus freiwillig wieder zu verlassen, wie die Baselbieter
Polizei mitteilt. Die Hausbesitzerin verzichtet auf die Stellung eines
Strafantrags. Das Gebäude sei besetzt worden, weil es seit Jahren
leer stehe, teilten die Besetzer nach der erfolglosen Aktion mit.
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20 Minuten 17.1.11
Haus in Allschwil kurzzeitig besetzt
ALLSCHWIL. Eine Gruppe von Hausbesetzern wollte am Freitagabend
ein leer stehendes Haus an der Baslerstrasse 159 besetzen. Auf
Veranlassung des Besitzers wurde die Polizei aufgeboten, die die
Besetzer aufforderte, das Haus zu verlassen. Die Gruppe aus der
linksautonomen Szene leistete der Aufforderung sogleich Folge. "Sonst
hätten wir das Haus geräumt", sagt Polizeisprecher Rolf Wirz.
Im Dezember letzten Jahres hatte die gleiche Gruppe die Villa Wettstein
in Basel besetzt, bis die Polizei aufgeboten wurde. In einem
Communiqué verurteilen sie die Praxis der Behörden, "die
Nutzung von leer stehenden Räumlichkeiten um jeden Preis zu
verhindern". lha
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Sonntag 16.1.11
Hausbesetzung dauerte nur kurz an
Nur für kurze Zeit ist am Freitagabend ein Haus an der
Baslerstrasse in Allschwil besetzt worden. Die Polizei habe die
jugendlichen Besetzer am Samstagmorgen dazu bewegen können, die
Liegenschaft freiwillig wieder zu verlassen. Die Hausbesitzerin
verzichte daher auf eine Strafanzeige. Das Haus sei besetzt worden,
weil es bereits seit langem leer stehe, teilten die Besetzer gestern
mit. Seit Jahren würden Freiräume verschwinden und
stattdessen Büroflächen und Luxuswohnungen entstehen. Es
fehle in der Region an bezahlbarem Wohn- und Freiraum. (bz)
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Indymedia 15.1.11
Baslerstrasse 159 in Allschwil erfolglos besetzt ::
AutorIn : BesetzerInnen: http://www.baslerstrasse.ch.vu
Bitte entschuldigt, dass es so lange gedauert hat. Wir konnten uns nach
der Wettsteinvilla einfach nicht auf das nächste Haus einigen, es
gibt zuviele ungenutzte Räumlichkeiten. Doch wir hatten uns
entschieden:
Wir besetzten die Baslerstrasse 159 in Allschwil.
Das Gebäude steht bereits seit langem leer. Im Jahr 2007 gab es
den letzten Besetzungsversuch. Seither hat sich mit dem Haus nichts
getan - wunderbarer Wohnraum steht jahrelang ungenutzt da, wer ihn
nutzen will, wird mit Polizeigewalt verjagt.
Wir wiederholen uns:
Seit Jahren verschwinden Freiräume und stattdessen schiessen
Büroflächen und luxuriöse und individualisierte
Wohnüberbauungen für die erwünschten "neuen
Steuerzahler" und zugunsten der "sozialen Stadtaufwertung" aus dem
Boden. Während 80 000 m2 Büroflächen leerstehen, fehlt
es in der Region an bezahlbarem Wohnraum und selbstbestimmtem Freiraum
für Jung und Alt.
Aus diesen Gründen nahmen wir uns das Haus an der Baslerstrasse
159. Wir wollten die Räume mit unseren Ideen füllen, einen
Raum für die Entstehung einer autonomen Schule, einen Ort für
Diskussionen, Film, Konzerte, selbstbestimmten Wohnraum und Platz
für "Niedrigkultur".
Wir verurteilen die Praxis der Behörden, die Nutzung von
leerstehenden Räumlichkeiten um jeden Preis zu verhindern.
Die (ehemaligen) BewohnerInnen der Baslerstrasse 159
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Basellandschaftliche Zeitung 14.1.11
Der Villa Rosenau droht die Räumung
Hausbesetzung Der Stadtkanton will die Parzelle der Villa Rosenau
vom Bund zurückkaufen
Yen Duong
Die Tage der seit rund sieben Jahren besetzten Villa Rosenau sind
wohl gezählt. Das Basler Bau- und Verkehrsdepartement (BVD) will
die insgesamt 4300 Quadratmeter grosse Parzelle an der Neudorfstrasse
im St. Johann definitiv vom Bund zurückkaufen. "Wir möchten
Grund und Boden im Laufe dieses Jahres übernehmen. Es handelt sich
immerhin um eine wertvolle Parzelle, die bestens erschlossen ist und
sich in der Nähe des Flughafens befindet", bestätigt Roger
Reinauer, Leiter des Tiefbauamts.
Grund für die beabsichtigte Einkaufstour ist eine
Aufforderung des Bundesamts für Strassen (Astra) vom letzten
Herbst: Der Kanton wird gebeten, die Anteile des Bundes an der Parzelle
zurückzuerwerben. Die ehemalige Bauleitungsbaracke und heutige
Villa Rosenau sowie das Land in der Industrie- und Gewerbezone
gehören zu 65 Prozent dem Astra (die bz berichtete). Die Parzelle
wurde anno 1993 im Zuge des Baus der Nordtangente von der
Einwohnergemeinde abgekauft. Da die Nordtangente inzwischen fertig
gebaut ist, kann das Astra mit dem Boden nichts mehr anfangen - der
Kanton indes schon.
Nicht sofort raus
"Falls der Regierungsrat sich dazu entschliesst, den Bund
abzufinden, könnte der Boden von der Verwaltung oder vom Gewerbe
genutzt werden", meint Reinauer. Es ist laut dem Kantonsingenieur
unwahrscheinlich, dass die Parzelle bei einem Rückkauf
längerfristig den Besetzern überlassen wird - am Schluss muss
allerdings die Politik entscheiden. Die Höhe des Kaufpreises
möchte Reinauer nicht genau nennen - er beläuft sich aber
voraussichtlich auf eine "einstellige Millionenhöhe". Ziel sei es,
der Regierung im Frühjahr einen Bericht für den Rückkauf
vorzulegen. "Dar- aus ergibt sich aber nicht, dass die Besetzer dann
sofort raus müssen. Bis ein Projekt für die Parzelle
entwickelt werden kann, dauert es mindestens zwei Jahre - vorab
geschieht also gar nichts", sagt Reinauer weiter.
In den letzten Jahren versuchte das BVD mehrmals, die Villa
Rosenau zu räumen. Da der Boden grösstenteils dem Bund
gehörte und sich keine Neunutzung abzeichnete, kam es allerdings
nie so weit. Dies sehr zum Ärger der SVP - die Linken hingegen
möchten die Villa Rosenau stehen lassen.
Besetzung geniesst Sympathien
Die Hausbesetzer leben seit September 2004 gratis im
Gebäude. Sie zahlen lediglich für das Wasser, Strom und die
Nutzung des Grundstückes. Wie viel, ist unklar. Zuletzt sorgte das
einstige Sozialwohnungsgebäude für Schlagzeilen, als
Linksautonome an einem Konzert den Basler Stadtentwickler Thomas
Kessler angriffen.
Die Hausbesetzer werden zudem verdächtigt, für die
beiden Saubannerzüge vom letzten Mai in der Innenstadt
verantwortlich zu sein. Trotzdem: Bei vielen Baslern geniesst die Villa
Rosenau Sympathien. Bei einer Räumung der Villa ist der Aufschrei
programmiert.
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RANDSTAND
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Landbote 17.1.11
Zwischen Medizin und Sozialhilfe
Claudia Mäder
Zürich. Das Ambulatorium Kanonengasse im Zürcher Kreis
4 bietet randständigen Personen medizinische Versorgung - aber
nicht nur: Auch sozialarbeiterische Mittel gehören zur
gesamtheitlichen Behandlungsmethode dieser städtischen Einrichtung.
Mitten in der Stadt kümmert sich eine Stelle um die
Gesundheit jener Leute, die an den Rändern der Gesellschaft leben:
Auf zwei Stöcken ist im Zeughaus ein Ambulatorium eingerichtet,
das als Walk-in-Praxis für Menschen konzipiert ist, denen der Weg
zum "normalen" Arzt durch verschiedenste Hindernisse verstellt ist.
Hervorgegangen aus dem "Krankenzimmer für Obdachlose", das
1986 zur medizinischen Versorgung von Drogenabhängigen
eröffnet worden war, wird das Ambulatorium zwar noch immer stark
von Süchtigen frequentiert. Grundsätzlich, sagt Bruno Flura
von den medizinisch-sozialen Diensten, seien heute aber weniger die
Drogen als die Tendenz zu sozialer Verelendung und Vereinsamung der
gemeinsame Nenner der Patienten: "Es sind die ‹klassischen
Gassenleute›, die durchs Hörensagen oder vermittelt über
Sozialstellen hierherfinden, wo jeder Anrecht auf ein Arztgespräch
hat."
Behandelt werden von den Ärzten an der Kanonengasse folglich
nicht nur Leiden, die sich aus Suchterkrankungen ergeben, sondern auch
allerlei normale Hausarztfälle. "Wir leisten die Grundversorgung
und nehmen kleinere chirurgische Eingriffe vor", sagt Ulrich Erlinger,
Vizedirektor des Stadtärztlichen Diensts, der die Ärzte des
Ambulatoriums stellt.
Auch psychische Probleme
Die Praxis im Zeughaus konkurrenziere aber nicht mit den
Hausärzten, erklärt Flura. Vielmehr versorge es Menschen,
deren Behandlung anderswo als unrentabel gelte, oder denen eine
Unfähigkeit zur Kooperation normale Arztbesuche
verunmögliche. Viele der Randständigen seien nicht in der
Lage, vereinbarte Arzttermine einzuhalten; und manche scheitern bereits
am Betreten eines Behandlungsraums: Er sei schon mit Lampe und
Abstrichmaterial in den Innenhof gegangen, um in den Hals eines
Patienten zu blicken, der ausserstande war, ins Haus reinzukommen,
berichtet Erlinger und fügt an: "Die meisten, die das Ambulatorium
fürs Körperliche aufsuchen, haben auch ein gröberes
psychisches Problem."
Weil sich die Fälle hier häufig als vielschichtige
Problemkomplexe entpuppen, ist die Verabreichung von Medizin im
Ambulatorium nur ein Teil einer umfassenderen Behandlung: "Wir haben
einen sozial-medizinischen Auftrag und versuchen deshalb, Gesamtpakete
zu schnüren", sagt Flura, der sich im Betrieb um das Case
Management kümmert. Für Leute, die ihre verworrenen
finanziellen, sozialen und gesundheitlichen Probleme nicht mehr
entflechten können, wird hier nach Lösungen gesucht, wobei
der Fokus auf Fragen des Krankenversicherungsschutzes liegt.
Rund die Hälfte aller Erstpatienten haben laut Flura
Probleme mit der Krankenkasse. Für diese gleist er in
Zusammenarbeit mit den Sozialämtern alles Nötige auf, um den
Versicherungsschutz wiederherzustellen und die Patienten sozial
möglichst so weit zu integrieren, dass sie letztlich fit fürs
normale Gesundheitssystem werden: "Unser Ziel wäre es, die Leute
irgendwann in die medizinische Regelversorgung entlassen zu
können."
Gynäkologie und mehr
Medizinfälle zur sozialhelferischen Weiterbearbeitung
erhält Flura auch aus dem zweiten Stock des Ambulatoriums, wo eine
gynäkologische Sprechstunde eingerichtet ist, die nebst
frauenärztlichen Diensten von Juckreizbehandlungen bis zu
Schwangerschaftsabbrüchen auch Aufklärungs- und
Beratungsgespräche anbietet. Prostituierte und Sexworkerinnen
machen hier das Gros der Patientinnen aus - und weil die
gynäkologischen Behandlungen wenn gewünscht anonym bezogen
und bar bezahlt werden können, ist die Schwelle zur Ärztin
hier auch für illegale und papierlose Frauen niedriger als
anderswo.
Aus rund 60 Ländern stammen die Patientinnen. Doch
sprachliche Schwierigkeiten hinderten sie nicht daran, sexuelle Themen
und Risiken klar und deutlich anzusprechen, sagt Grazia Aurora, die als
Pflegefachfrau bei Gesprächen zwischen Patientin und Ärztin
als Dolmetscherin fungiert. "Mit den gängigen Sprachen kommen wir
sehr weit, und für Exotischeres, etwa Ungarisch oder Thai,
können wir Übersetzerinnen von anderen Frauenstellen
beiziehen."
Ohnehin ist die Zusammenarbeit mit anderen Organisationen
wichtiger Bestandteil von Auroras Arbeit. Die Vernetzung mit einer
Einrichtung am Sihlquai nutzt sie beispielsweise, um die Prostituierten
vor Ort aufzuklären und auf das Angebot im Zeughaus hinzuweisen.
Und trifft sie dort auf Frauen, die sich vor dem Gang zur Ärztin
fürchten, begleitet sie diese persönlich zur Praxis oder wenn
nötig bis ins Spital. - Auch im Frauentrakt des Ambulatoriums geht
die Behandlung weit über die medizinische Therapie hinaus.
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9114 BEHANDLUNGEN AN 365 TAGEN
Das Ambulatorium Kanonengasse gehört als medizinisch-soziale
Einrichtung den städtischen Gesundheitsdiensten an und operiert
mit einem jährlichen Budget von rund 3,5 Millionen. Die Praxis
kann ohne Voranmeldung an 365 Tagen aufgesucht werden. Auf diese Weise
sind 2009 1190 Patienten mit insgesamt 9114 Be handlungen versorgt
worden. Steigend ist die Nachfrage speziell beim gynäkologischen
Dienst, der 1560 Behandlungen verzeichnete. (cm)
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AUFSTAND
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Radio Corax (Halle) 15.1.11
"Der kommende Aufstand” - Gespräch mit Daniel Kulla
Vor über drei Jahren erschien in Frankreich ein knapp 100 Seiten
langer Text: "Der kommende Aufstand". Als Autorengruppe tritt dabei ein
Kollektiv auf, das zusammen mit dem Text recht bald Gegenstand medialen
Interesses und staatlichen Zugriffs wurde: Die mutmaßlichen
Autoren wurden in Anwendung von Anti-Terror-Gesetzgebung von
Spezialeinheiten verhaftet und sahen sich Drohungen von mehr als zehn
Jahren Haft gegenüber. Bald griff auch der US-amerikanische
Fernsehagitator Glenn Beck das Büchlein auf und präsentierte
es seinem Publikum als avantgardistisches Beispiel einer
aufständischen Gewaltwelle, die sich international seit einiger
Zeit sammeln würde.
Mittlerweile ist der Text auch hierzulande zugänglich und wird
diskutiert. Radio Corax sprach mit Daniel Kulla über Inhalt und
Rezeption des Manifests.
http://www.freie-radios.net/mp3/20110115-derkommend-38463.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=38463
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WoZ 13.1.11
"Der kommende Aufstand"
Revolte ist noch kein Programm
Zehn Jahre nach den Protesten in Davos und Genua wird ein
anonymes französisches Buch heiss diskutiert. Könnte es als
Anleitung für eine neue Bewegung dienen?
Von Bettina Dyttrich
Vor zehn Jahren war das Wort "Wutbürger" noch nicht
erfunden. Aber Wut war genug da in jenem Januar, als die Polizei vor
dem World Economic Forum (Wef) Davos abriegelte. Einheimische mussten
stundenlang warten, NGO-VertreterInnen wurden durchsucht, sogar einige
Wef-TeilnehmerInnen blieben stecken. Die DemonstrantInnen, die aus dem
Burgund und der Toskana, aus Hamburg und Wien angereist waren, kamen
sowieso nicht durch. Zur Demo in Davos schafften es nur einige gut
verkleidete SkifahrerInnen. Der Rest blockierte in Landquart die
Autobahn, anschliessend gab es Krawalle in Zürich. Dafür
hatte sogar die Boulevardpresse ein gewisses Verständnis: Der
"Blick" schrieb von "Polizeiputsch".
Nach den konsumfixierten neunziger Jahren schien es um die
Jahrtausendwende plötzlich wieder möglich, über Politik
zu sprechen. Über globale Gerechtigkeit zum Beispiel. Vielleicht,
so die Hoffnung, liesse sich die Globalisierung der Wirtschaft mit
einer Globalisierung des Widerstands bekämpfen.
Karawanen quer durch Europa
Und heute? In Italien demonstrieren sie gegen Silvio Berlusconi,
in Britannien gegen Bildungsabbau, in Deutschland gegen ein
überdimensioniertes Bahnhofsprojekt, in Griechenland gegen alles.
Nur in der Schweiz ist es ruhig, aber sie ist schliesslich auch, wie
der Philosophieprofessor Oliver Marchart kürzlich zu
"Tages-Anzeiger/Newsnetz" sagte, "mit den neoliberalen
Veränderungen lange Jahre sehr gut gefahren". Es ist eine Ironie
der Geschichte: Heute ist zwar alles noch ein bisschen globalisierter
als vor zehn Jahren, die griechischen Renten hängen von
Deutschland und die deutsche Konjunktur von China ab - aber die
Proteste sind wieder national geworden. Was wohl einfach daran liegt,
dass es überall so viel gibt, wogegen man sich wehren muss.
Was zurzeit von Protest zu Protest reist, sind nicht Menschen,
sondern ein Buch: "L'insurrection qui vient", 2007 anonym in Frankreich
veröffentlicht, via Internet international verbreitet. Geschrieben
wurde es also noch vor der Finanzkrise. Berühmt ist das Buch
geworden, weil die französische Regierung es mit Sabotageakten an
TGV-Linien in Verbindung brachte und darum vor zwei Jahren neun
Personen verhaften liess. Der als Autor verdächtigte Julien Coupat
blieb mehr als ein halbes Jahr in Haft (siehe "40 Exemplare Aufstand",
WOZ Nr. 8/09). Vergangenen Herbst erschien "Der kommende Aufstand" in
der Hamburger Edition Nautilus auf Deutsch und löste heftige
Diskussionen in deutschen Feuilletons aus.
Ein halbes Jahr nach dem "Polizeiputsch" von Davos durchquerten
unzählige Velo-, Bus- und Eisenbahnkarawanen Europa, um in Genua
gegen den G8-Gipfel zu protestieren. Es waren lange Abenteuerreisen, in
deren Verlauf sogar Häuser als Zwischenstützpunkte besetzt
wurden. 300 000 Menschen kamen nach Genua. Die Demonstrationen und
Blockadeversuche dauerten drei Tage. Polizisten verletzten viele
DemonstrantInnen schwer und quälten Verhaftete im Gefängnis
Bolzaneto. Während einer Strassenschlacht erschoss ein Carabiniere
den jungen Aktivisten Carlo Giuliani.
"Die Gegenwart ist ausweglos"
Das "unsichtbare Komitee" wird auch dabei gewesen sein. Die
anonymen Autoren beziehen sich zwar stärker auf die Unruhen in den
französischen Banlieues von 2005. Es ist aber unwahrscheinlich,
dass sie selber daran beteiligt waren. Das Buch ist ebenso sehr ein
Echo auf die Antiglobalisierungsbewegung.
"Unter welchem Blickwinkel man sie auch betrachtet, die Gegenwart
ist ausweglos." "Der kommende Aufstand" beginnt mit einer düsteren
Beschreibung des heutigen Alltags in Frankreich. "Bis dahin hab ichs im
Griff. Die Selbstsuche, meinen Blog, meine Wohnung, den neusten
Schwachsinn, der gerade Mode ist, die Paar-, die
Sexgeschichten … was man an Prothesen braucht, um ein Ich
aufrechtzuerhalten!" - "Die Arbeit hat restlos über alle anderen
Arten zu existieren triumphiert, genau in der Zeit, als die Arbeiter
überflüssig geworden sind." Der Staat ist vor allem
präsent in Klatschgeschichten über seine "Eliten". Und in der
Polizei. Der Raum ist zu einer riesigen Agglomeration geworden, aber
"gerade weil ihr Verschwinden sich vollendet, wird die Stadt jetzt als
Geschichte fetischisiert."
Es ist ein radikal subjektiver Text, und manchmal trifft diese
Subjektivität den Punkt: "Man hat unsere Väter angestellt, um
diese Welt zu zerstören, jetzt will man uns an ihrem Wiederaufbau
arbeiten lassen, und dass dieser dazu noch rentabel sei." - "Um die
Uniformität der Umgebung zu überleben, ist die einzige
Option, sich unaufhörlich seine innere Welt zu rekonstruieren wie
ein Kind, das überall die gleiche Hütte wieder aufbauen
würde." Empfindsam und verloren wirken sie, wie manche
FlugblattautorInnen der Achtzigerbewegung in Zürich: "Das soziale
Verhalten besteht jetzt aus tausend kleinen Nischen", wo man "damit
beschäftigt ist, zusammen zu zittern".
Aber Subjektivität wird auch schnell entlarvend. Zum
Beispiel dort, wo die Autoren eine halbe Seite lang aufzählen, wer
"den Westen" repräsentiere: vom GI im Irak über den verirrten
Touristen in der Mongolei bis zum "Spanier, dem die politische Freiheit
scheissegal ist, seitdem man ihm die sexuelle Freiheit versprochen
hat". Alle Erwähnten sind männlich, haben entweder einen
Beruf oder eine Nationalität - bis auf "die junge Frau, die ihr
Glück in Klamotten, Typen und Feuchtigkeitscremes sucht". Nur ein
Detail?
Richtig problematisch wird es dort, wo es um den Aufstand geht.
Die poetische Sprache ist sehr hilfreich, um Widersprüche zu
verstecken: Sie lehnen alle Organisationen ab - "Das Versprechen, das
in der Begegnung enthalten ist, wird sich nur ausserhalb der
Organisation und notwendigerweise gegen sie verwirklichen können"
-, aber schwärmen davon, wie gut organisiert die Selbsthilfe in
New Orleans nach dem Hurrikan Katrina gewesen sei. Sie schnöden
über die "Milieus" "mit ihren flexiblen Strukturen, ihrem Tratsch
und ihren informellen Hierarchien", aber verklären zugleich "die
Kommune", die diese Probleme scheinbar nicht hat. Sie schreiben: "Die
Macht konzentriert sich nicht mehr an einem Punkt der Welt, sie ist
diese Welt selbst." Obwohl drei Seiten weiter vorne steht: "Wenn die
Macht im Rinnstein liegt, genügt es, sie niederzu treten."
Ja, gegen Ende des Buches wird die Sprache richtig hässlich.
"Verführerisch schön" ("Süddeutsche Zeitung") ist da gar
nichts mehr - ausser für Kriegsgurgeln. Das Buch
erwähnt dauernd revolutionäre Situationen, am liebsten die
Pariser Kommune von 1871, fragt aber nie danach, warum sie scheiterten.
"Für einen Aufstand ist die Frage, wie er sich unumkehrbar machen
kann", heisst es zwar. Das sei erreicht, "wenn man gleichzeitig die
Autoritäten und das Bedürfnis nach Autorität,
gleichzeitig den Besitz und den Geschmack am Besitztum, gleichzeitig
jede Hegemonie und den Wunsch nach Hegemonie besiegt hat". Wie das
gehen soll und ob es überhaupt möglich ist, daran wird kein
Gedanke verschwendet.
Schön ist der Bürgerkrieg
Auf der letzten Seite skizzieren die Autoren dann ihren Traum vom
Aufstand. Da erschiesst ein Manager seine Kollegen, eine Kaserne wird
niedergebrannt, und "Listen, die die persönlichen Adressen aller
Polizisten und Gendarmen sowie der Angestellten der
Gefängnisverwaltung enthalten, sind gerade durchgesickert" - eine
Aufforderung zur Selbstjustiz. Gleichzeitig herrscht friedliches
Treiben: "Grössere Menschenaufläufe auf den Boulevards
diskutieren ernsthaft", und "in die alte Bar-mit-Kramladen bringt man
den Überschuss, den man produziert, und besorgt sich, was man
braucht". So stellt sich der westeuropäische Revoluzzer also den
Ausnahmezustand vor: Die Guten sind immer noch nett zueinander, wenn
die Gewalt beginnt, und alle wissen ganz genau, wer die Bösen sind.
Die Rezensenten der deutschen linken Zeitungen prangerten vor
allem die Demokratiefeindlichkeit des Buches an. Da heisst es:
"Entscheiden ist nur in Notsituationen lebensnotwendig, in denen die
Ausübung der Demokratie sowieso gefährdet ist. Für den
Rest der Zeit ist der ‹demokratische Charakter des
Beschlussfassungsprozesses› nur für Fanatiker der Prozedur ein
Problem."
Das sind tatsächlich grausliche Sätze. Aber den
direkten Bezug zu Martin Heidegger und zum Nazi-Juristen Carl Schmitt,
den "taz"- und "Jungle World"-Autor Johannes Thumfart hier sieht, gibt
es nicht. Überhaupt ist der Text nicht an Deutschland orientiert.
Der französischsprachige Raum hat seine eigene Tradition von
romantischen Revolutionären: vom Dichter Lautréamont bis zu
den Surrealisten und Situationisten (beides fast reine
Männerklubs). Die situationistische Sehnsucht nach der Revolte
prägte den Pariser Mai 68 mit. In seinem "Handbuch der Lebenskunst
für die junge Generation" (1967) schrieb der belgische
Situationist Raoul Vaneigem Sätze, die aus "Der kommende Aufstand"
stammen könnten: "Keine vergeblichen Streitereien, keine
müssigen Diskussionen, kein Kolloquium, kein Forum, keine Woche
für marxistisches Denken! Wenn du zuschlagen musst, um dich
wirklich zu befreien, schlage zu, um zu töten!"
Action, los jetzt!
Auch wenn es die Verfasser wohl nicht beabsichtigten: Wie
Vaneigem, Jean Genet oder André Breton lässt sich "Der
kommende Aufstand" als Literatur lesen. Viele tun das auch. Ein
begeisterter deutscher Blogger schreibt: "Kein Film kann so schnell
sein wie der innere Monolog, der dir aus diesem Text entgegenspringt.
Er rückt der Welt auf den Leib wie ein Irrer, der den
ärztlichen Befund seiner Verrücktheit als Lizenz
begrüsst."
"Der kommende Aufstand" hat versucht, aus der romantischen
Revolte ein politisches Programm zu machen - und damit gezeigt, wie
wenig sie als solches taugt.
Beim Schreiben über Demokratie dachte das "unsichtbare
Komitee" wohl weniger an Staaten und Parlamente als an
Vollversammlungen. Etwa an die langen Diskussionen rund um die
Gipfelproteste, die Versuche, möglichst alle einzubinden. Das
"unsichtbare Komitee" vertritt die Arroganz jener, die diese Versuche
verachteten: Hört auf zu schwafeln, Action, los jetzt!
In einem neueren Communiqué heisst es: "Die Bullen, die
Gewerkschaften und andere informelle Bürokratien brauchten nicht
mehr als drei Jahre, um die kurzlebige ‹Antiglobalisierungsbewegung› zu
entschärfen. Sie zu kontrollieren. Sie in verschiedene
‹Kampfgebiete› zu trennen, jedes so profitabel wie steril." Wie das zu
verhindern gewesen wäre, schreiben sie nicht. Dass es die Bewegung
heute nicht mehr gibt, hat viele Gründe (siehe "Die grosse,
nützliche Illusion", WOZ Nr. 29/08). Mehr Militanz hätte
jedenfalls nichts verbessert: Direkte Konfrontationen gewinnt immer die
Polizei.
Eine andere Welt bleibt nötig. Aber dieses Buch hilft da
nicht weiter.
---
Antifa-Medienzentrum Dortmund 12.1.11
Der kommende Aufstand
In den letzten Jahren ist in Frankreich eine Reihe von Texten
entstanden, die das Genre des politischen Manifests neu beleben. Ohne
Copyright und ohne namentliche Nennung einer Autorin sind dort Texte
entstanden, die auf Interesse stoßen, die über das sprechen,
was uns auf den Nägeln brennt.
Nachdem wir im September den Text "Aufruf" http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=36667
für das Radio eingesprochen haben, folgt nun der Text "Der
kommende Aufstand".
http://de.indymedia.org/2010/07/286487.shtml
Wir sind nicht die Übersetzerinnen und auch nicht die
Verfasserinnen. Wir sind die Sprecherinnen und haben eine deutsche
Übersetzung gewählt, die frei im Internet zugänglich
ist. Den "Kommenden Aufstand" und weitere Texte findet ihr im Internet
unter http://www.bloom0101.org
Reflektionen zum "Kommenden Aufstand" gibt es vom Freien Sender
Kombinat in Hamburg.
http://www.freie-radios.net/portal/content.php?id=38217
Was wir aber noch sagen wollen und sagen müssen ist, dass es
wichtig ist, von Anfang bis zum Ende zuzuhören. Erst so wird
verständlich, worum es in diesem Text geht. Der Text ruft zu einer
umfassenden Kommunisierung und einer Selbstorganisierung des Lebens
auf. Im letzten Kapitel heißt es sinngemäß: Unsere
Stärke die Wirtschaft zu blockieren muss sich an unserem Niveau
der Selbstorganisierung messen lassen.
1. Teil: Vorwort, Aus welcher Sicht, 1. bis 3. Kreis (Hauptteil)
http://www.freie-radios.net/mp3/20110112-derkommende-38403.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=38403
Länge 53:39 Minuten
2. Teil: 4. bis 7. Kreis
http://www.freie-radios.net/mp3/20110112-derkommende-38404.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=38404
Länge 60:32 Minuten
3. Teil: Auf gehts, Sich finden, Sich organisieren, Aufstand
http://www.freie-radios.net/mp3/20110112-derkommende-38405.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=38405
Länge 56:37 Minuten
Skript Teil 1
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01:22 - Vorwort der Übersetzerinnen
08:36 - Aus welcher Sicht
15:36 - 1. Kreis
25:32 - 2. Kreis
37:33 - 3. Kreis
Teil 2
------
00:00 - 4. Kreis
15:24 - 5. Kreis
28:55 - 6. Kreis
45:33 - 7. Kreis
Teil 3
------
00:00 - Auf gehts
02:30 - Sich finden
11:05 - Sich organisieren
31:45 - Aufstand
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UNDERCOVER
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Spiegel 17.1.11
POLIZEI
Ein Cop außer Kontrolle
Polizei: Wie ein verdeckter Ermittler von Scotland Yard linke Gruppen
in Deutschland unterwanderte
Medick, Veit Rosenbach, Marcel
Ein verdeckter Ermittler aus England unterwanderte auch deutsche
linke Gruppen - angeblich als Agent provocateur.
Seinen Freunden erzählte Mark Stone, er sei "freiberuflicher
Kletterer", und sie glaubten die Legende nur zu gern. Mit seinen langen
Haaren sah der 41-Jährige den "Huber-Brüdern" aus Bayern
tatsächlich ähnlich, den Stars der Kletterszene. Und Freunde
hatte der sportliche Brite mit den großflächigen Tattoos
viele: Europaweit hatte er ein Netzwerk an Vertrauten aufgebaut.
Der vermeintliche Kletterer Stone heißt allerdings Mark
Kennedy und war Polizist. Er arbeitete seit 1994 für Scotland Yard.
Im Auftrag einer Spezialeinheit infiltrierte er jahrelang linke
und linksradikale Gruppen, mit falschem Ausweis und Führerschein
bereiste er dafür mehr als 20 Länder. Der Undercover-Mann war
ein Aktivposten der militanten Protestbewegung Europas: Er blockierte
Züge, hängte in waghalsigen Kletteraktionen Banner an
Kräne und Kraftwerke - und stiftete Gesinnungsgenossen
möglicherweise sogar zu militanten Aktionen an. Besonders gern war
er in Deutschland, wie mehrere Aktivisten berichten, im Vorfeld und
während des G-8-Gipfels in Heiligendamm.
Nun herrscht Aufruhr in der linken Szene, der Fall hat die
politische Ebene erreicht. "Das ist eindeutig ein Fall für das
Parlamentarische Kontrollgremium und den Innenausschuss", sagt der
Grünen-Abgeordnete Hans-Christian Ströbele. "Die
Bundesregierung muss offenlegen, ob Kennedy möglicherweise als
Agent provocateur in Deutschland Straftaten begangen oder initiiert
hat." Wenn das stimme, müsse er vor Gericht gestellt werden: "Das
deutsche Recht gilt auch für britische Agenten." Andrej Hunko,
Abgeordneter der Linkspartei, spricht von einer "ausufernden Praxis
grenzüberschreitender polizeilicher Spitzeleinsätze" und will
eine neue Anfrage an die Bundesregierung stellen. Auf eine erste hatte
er nur ausweichende Antworten bekommen.
Bekannt wurde die Spitzelgeschichte, als die Staatsanwaltschaft
im britischen Nottingham vorige Woche die Anklage gegen sechs
Aktivisten fallenließ - um die Tarnung von Kennedy nicht
preiszugeben. Doch der "Guardian" enthüllte den Zusammenhang:
Kennedy alias Stone hatte die Protestaktion in Ratcliffe, die den sechs
Angeklagten zur Last gelegt wurde, maßgeblich organisiert. In der
Szene war das Doppelleben des Maulwurfs schon seit Oktober 2010 ein
Thema, als Aktivisten Kennedys echten Ausweis in die Hände
bekamen. Der Mann ist mittlerweile untergetaucht.
Der Fall wirft ein Schlaglicht auf eine europaweite Entwicklung,
zu der die Bundesregierung beigetragen hat. 2007, während der
EU-Ratspräsidentschaft, forcierten die Deutschen die klandestinen
Kooperationen. Begründung: Die Legenden ausländischer
Undercover-Ermittler seien glaubwürdiger und schwieriger zu
überprüfen als die einheimischer Kollegen.
Kennedys Umtriebe sind besonders heikel, denn er beschränkte
sich offenkundig nicht aufs Schnüffeln: Er mobilisierte Aktivisten
für militante Einsätze. Zudem agierte er offenbar als "Romeo"
und unterhielt sexuelle Kontakte zu mehreren Frauen aus der Szene,
darunter in Berlin.
Für den ebenfalls in der Hauptstadt lebendenden
US-Amerikaner Jason Kirkpatrick war die Enttarnung des Mannes "ein
Schock". Der ehemalige grüne Vizebürgermeister der
kalifornischen Kleinstadt Arcata kennt Kennedy seit 2004, als sie vor
dem G-8-Gipfel im schottischen Gleneagles eine "Infotour" durch Irland
machten. "Mark hat die Fährtickets bezahlt, uns in seinem Auto
chauffiert und besaß damals schon ein Notebook mit einem
Internet-Stick", berichtet Kirkpatrick. Wann immer Kennedy nach Berlin
kam, habe er ihn gesehen. Und das war häufig der Fall, besonders
im Vorfeld des G-8-Gipfels von Heiligendamm 2007.
Mindestens zweimal, so Kirkpatrick, habe Kennedy in Deutschland
an Vorbereitungstreffen des "Dissent"-Netzwerks teilgenommen, eines
Zusammenschlusses autonomer Gruppen. Auch während des Gipfels an
der Ostseeküste sei der britische Spitzel vor Ort gewesen.
Kennedys Einsatz rund um Heiligendamm wirft Fragen auf: War er
Teil einer deutsch-britischen Polizeikooperation? Oder handelten die
Briten hierzulande auf eigene Faust? Die deutschen
Sicherheitsbehörden hatten sich im Vorfeld des Gipfels aus Angst
vor militanten Aktionen eng mit europäischen Partnerbehörden
abgestimmt. Das Bundeskriminalamt (BKA) durchsuchte seinerzeit 40
Objekte in Deutschland. Der Bundesgerichtshof erklärte das
Vorgehen später für rechtswidrig. Flossen auch Erkenntnisse
des britischen Szene-Spitzels in das Ermittlungsverfahren ein?
"Mark war eindeutig ein Agent provocateur", behauptet Jason
Kirkpatrick. "Ich bin sicher, er hat die Vorbereitungstreffen für
Heiligendamm mitgeschnitten." Kirkpatrick sagt, seine eigenen Aussagen
auf den Dissent-Treffen hätten sich später in deutschen
Polizeiunterlagen wiedergefunden. In einem Fall habe Kennedy ihm
angeboten, er könne britische Freunde herbeiholen, die die
antifaschistischen Gruppen in ihrem Kampf gegen deutsche
Rechtsextremisten unterstützen würden. Der irische Aktivist
Mark Malone erinnert sich, dass Kennedy auch bei der
MayDay-Demonstration in Dublin 2004 zu den Aufwieglern gezählt
habe. Er sei einer derjenigen gewesen, die dazu aufgerufen hätten,
Polizeisperren zu durchbrechen.
Das BKA möchte den Vorgang nicht kommentieren, beim
Innenministerium von Mecklenburg-Vorpommern hieß es, zu
verdeckten polizeilichen Maßnahmen würden "aus
einsatztaktischen Erwägungen" grundsätzlich keine Angaben
gemacht. Ein hoher Sicherheitsbeamter erklärt, es sei kaum
möglich, Informationen ausländischer Behörden auf
einzelne Quellen und deren Arbeit zurückzuführen: "Wenn
Erkenntnisse zu uns gelangen, dann nur in allgemeiner Form."
Kirkpatrick will auch von einigen Gelegenheiten wissen, bei denen
der Scotland-Yard-Mann Staatsgeld für die linksradikale Sache
einsetzte: So habe es geheime Treffen in Kennedys Wohnung im britischen
Nottingham gegeben, um Blockaden abzusprechen und zu organisieren.
Kennedy habe die Aktivisten nicht nur mit seinem eigenen Kleinlaster
transportiert, sondern zusätzliche Fahrzeuge angemietet. Zudem
habe der Polizist Trainingscamps geleitet, etwa in Island. "Er hat
ihnen unter anderem beigebracht, sich so an Fahrzeuge und Gebäude
zu ketten, dass die Polizei sie nicht entfernen konnte", behauptet
Kirkpatrick.
Aus heutiger Sicht gebe es einiges, was misstrauisch hätte
machen können: Da sei die Bandbreite von Kennedys Interessen
gewesen, die von der Klimabewegung über die Antifa-Arbeit bis zum
Tierschutz reichten. Auch seine schier unerschöpflichen
finanziellen Mittel hätten ihn zu einem gefragten Mann gemacht.
Zudem sei Mark einfach ein netter Typ gewesen, mit einer
ausgeprägten Leidenschaft für Drum'n'Bass-Musik. "Er ist ein
exzellenter DJ und hat uns gebeten, für ihn in Berlin einen Gig zu
organisieren", so Kirkpatrick. Kennedys doppeldeutiger
Künstlername: DJ Escape.
Doch irgendwann halfen die Ausflüchte nicht mehr. Im April
2009 organisierte Kennedy die Besetzung eines E.on-Kohlekraftwerks in
Ratcliffe-on-Soar. Kurz vor der Aktion schlugen seine Polizeikollegen
zu und nahmen 114 Aktivisten fest. Alle engagierten denselben Anwalt,
nur Kennedy nicht. Das fanden die Kombattanten verdächtig,
"Kommissar Stone" nannten ihn erste Zweifler. Im Frühjahr 2010
quittierte Kennedy angeblich den Polizeidienst, er blieb aber in der
Szene aktiv. Er gründete zwei Firmen, wohl um seine Expertise zu
nutzen und sich Unternehmen als Sicherheitsberater anzudienen. Als
Mitstreiter einige Monate später per Zufall seinen echten Pass
fanden, war es mit seiner Tarnung vorbei. Sechs enge Freunde stellten
ihn am 21. Oktober in seiner Wohnung zur Rede. Er gestand, brach in
Tränen aus - und verschwand ins Ausland.
Einstigen Weggefährten gegenüber hat er inzwischen
beteuert, er hasse sich dafür, so viele Menschen betrogen zu
haben. Zudem ließ er eine Undercover-Kollegin auffliegen und bot
dem Verteidiger der Ratcliffe-Aktivisten an, in deren Sinne auszusagen.
Scotland Yard schickte vorige Woche Beamte los, um den "wild
gewordenen" Ex-Ermittler, dessen Einsatz die britischen Steuerzahler
bis zu zwei Millionen britische Pfund gekostet haben soll, zur
Räson zu bringen.
---
WoZ 13.1.11
Britannien
Ein Spitzel sagt "Sorry"
"Ich hasse mich selber, ich habe so viele Leute betrogen. Es tut
mir leid." Das sagte Mark Kennedy, ein ehemaliger Polizeispitzel, am
Telefon zu einem Journalisten des britischen Fernsehsenders BBC.
Kennedy hatte während sieben Jahren für die Metropolitan
Police britische UmweltaktivistInnen ausspioniert. Inzwischen hat
Kennedy, der heute nicht mehr für die Polizei arbeitet, für
seine Reue den Tatbeweis erbracht. Ein Prozess gegen sechs
Umweltaktivisten ist am Montag gescheitert, weil er ankündigte,
die Aktivisten durch seine Aussage zu entlasten. Den sechs war
vorgeworfen worden, im April 2009 die Besetzung des Kohlekraftwerks
Ratcliffe-on-Soar in der Nähe von Nottinghamshire geplant zu haben
mit der Absicht, es für mehrere Tage stillzulegen.
Als Mark "Flash" Stone nahm Kennedy an Dutzenden von
Demonstrationen teil, reis te zu AktivistInnentreffen in 22
Länder, organisierte Besetzungsaktionen, Blockaden und kletterte
etwa auf den Turm des Öl- und Kohlekraftwerks Didcot, um dort ein
Banner mit der Aufschrift "Climate Crime" zu entrollen. "Flash" gelang
es, in den inneren Kreis der sogenannten Climate-Camp-AktivistInnen
vorzudringen, die mit direkten Aktionen seit mehreren Jahren gegen die
klimaschädigende Wirkung der Kohlekraftwerke kämpfen.
"Flash" war auch eine zentrale Figur bei der Vorbereitung der
Besetzung des Kohlekraftwerks Ratcliffe-on-Soar. In der Nacht vor der
geplanten Besetzung verhaftete die Polizei jedoch die 114 potenziellen
BesetzerInnen, die sich in einer nahen Schule versammelt hatten,
darunter auch Kennedy. Im Oktober 2010 flog er schliesslich auf, als
AktivistInnen zufällig seine echten Ausweispapiere in die
Hände fielen. Er verschwand von der Bildfläche, blieb aber
offensichtlich von den Zielen der UmweltaktivistInnen beeindruckt. In
Britannien wird derweil über den teuren Einsatz von
Polizeispitzeln diskutiert, die nicht nur Informationen sammeln,
sondern auch selber aktiv werden. ds
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ANTIFA
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Indymedia 13.1.11
Antinationale Demo zum WKR-Ball 2011 ::
AutorIn : antifa reisen
Am 28.01.11 ist es wieder soweit: Das vierte Jahr Proteste gegen den
Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) steht bevor! Durch die
antifaschistischen Proteste der letzten Jahre wurde der WKR-Ball aus
der medialen Grabesruhe gehievt. Auch dieses Jahr werden die rund
zwanzig lokalen Burschenschaften des WKR ihr Tanzbein für die von
allen Seiten "bedrohte deutsche Kultur" schwingen. Es trifft sich die
Creme de la Creme der österreichischen wie auch europäischen
Rechten, in einem der repräsentativsten Gebäude der
Alpenrepublik - der Wiener Hofburg.
Die Burschenschaften des WKR haben sich in der Vergangenheit stets
darum bemüht eine Scharnierfunktion zwischen FPÖ und offenen
Neonazismus einzunehmen. Äußerungen und Einladungen, so an
die Öffentlichkeit gedrungen, basierten immer auf antisemitischen,
rassistischen und NS-verharmlosenden Ideologiefragmenten. Nicht weniger
ekelhaft ist ihre Männerbündelei und ihr sexistisches
Gesellschaftsbild. Frauen ist grundsätzlich der Beitritt zu den
Verbindungen verboten, als Begleitung wird ihnen ein sexistisches
Rollenbild zugeschrieben.
Dieses Jahr wollen wir die Genoss_innen in Österreich aber nicht
alleine gegen das rechte Burschenevent demonstrieren lassen und rufen
dazu auf gemeinsam am 28.01 nach Wien zu fahren.
Hoch die antinationale Solidarität! Auf nach Wien!
Alle wichtigen Infos sowie Aufrufe und Material findet ihr unter:
http://nowkr.at
bzw.
http://anbw.blogsport.eu
Der Aufruf des antinationalen Bündnis Wien:
Am 28.01.11 ist es wieder soweit: Das vierte Jahr Proteste gegen den
Ball des Wiener Korporationsrings (WKR) steht bevor! Durch die
antifaschistischen Proteste der letzten Jahre wurde der WKR-Ball aus
der medialen Grabesruhe gehievt. Auch dieses Jahr werden die rund
zwanzig lokalen Burschenschaften des WKR ihr Tanzbein für die von
allen Seiten "bedrohte deutsche Kultur" schwingen. Es trifft sich die
Creme de la Creme der österreichischen wie auch europäischen
Rechten, in einem der repräsentativsten Gebäude der
Alpenrepublik - der Wiener Hofburg.
Die Burschenschaften des WKR haben sich in der Vergangenheit stets
darum bemüht eine Scharnierfunktion zwischen FPÖ und offenen
Neonazismus einzunehmen. Äußerungen und Einladungen, so an
die Öffentlichkeit gedrungen, basierten immer auf antisemitischen,
rassistischen und NS-verharmlosenden Ideologiefragmenten. Nicht weniger
ekelhaft ist ihre Männerbündelei und ihr sexistisches
Gesellschaftsbild. Frauen ist grundsätzlich der Beitritt zu den
Verbindungen verboten, als Begleitung wird ihnen ein sexistisches
Rollenbild zugeschrieben.
Die Nation als Garant für das Hervorbringen von Scheiße!
Fühlen sich die bürgerlichen Parteien zwar darum bemüht
sich vom Treiben der Deutschnationalen zu distanzieren, war es doch der
antifaschistische Protest im letzten Jahr der in einer polizeilichen
Prügelorgie endete. Dass die politische Intention dieser Aktion
jedoch von den Großparteien ausging, ist ein offenes Geheimnis.
Weitere staatliche Repressionen gegen linke Strukturen oder die
staatliche Abschiebungsmaschinerie finden zwar bei den völkischen
Freaks oder der FPÖ begeisterten Beifall, gehen aber zumeist von
Strukturen aus, die von SPÖ und ÖVP bestimmt sind.
Auch in anderen gesellschaftlichen Konfliktlagen zeigt sich das
deutschnationale Gesellschaftsbild nicht als hegemoniales für die
österreichischen Staatsbürger*innen. Die Herzen der meisten
Österreicher*innen entzünden sich weniger an Schwarz-Rot-Gold
als an Rot-Weiß-Rot. Im Gegensatz zu den Burschis: In ihrem Fall
ist das vorgestellte Kollektiv deutschnational. Das bedeutet ihre
Identifikation gilt dem gesamten "deutschen Sprach- und Kulturraum".
Ihr Nationalismus ist also der Form nach ein anderer als der der
Rot-Weiß-Rot-Fans. Beiden Nationalismen gemeinsam ist aber, dass
sie identitätsstiftend sind, also eine Idee von Heimat und
Zugehörigkeit vermitteln und somit alle, die nicht zur
vorgestellten Nation gehören, prinzipiell ausgeschlossen werden.
Und dieser Ausschluss führt zu Abschiebungen von Menschen, denen
auch im neuen Jahr nicht zum Feiern zu Mute sein wird. Zahlreiche
antirassistische Interventionen, wie die im Fall des Ousmane Camara,
zeigen auf was in Österreich System hat: Menschen werden
eingesperrt, ihrer Freiheit beraubt und jegliche Auskunft wird ihnen
verweigert. Ihr "Verbrechen" ist die Tatsache, dass sie keine
Verwertbarkeit für die Nation darstellen. Aber auch linke
Aktivist*innen passen nicht so recht in die harmonische Alpenidylle,
wie der §278a Prozess oder die staatliche Repression gegen
Personen, die angeblich eine Mülltonne in Brand gesetzt haben
sollen, zeigt. Dem lächerlichen Feuerlein, für das Personen
Monate lang eingesperrt wurden, lag im Übrigen das Anliegen zu
Grunde, ein Zeichen gegen den AMS-Terror gegenüber Arbeitslosen zu
setzen. Auch das "multikulturelle" Wien ist darum bemüht die
Möglichkeit von Wagenplätzen mit allen zur Verfügung
stehenden Mitteln zu verhindern.
Wir sind nicht in der Stimmung zum Feiern! Die Scheiße geht in
diesem Jahr ungehindert weiter. Burschenschafter sind schon ekelhaft
genug. Sie sind als Steigerung und Zuspitzung bürgerlicher
Wertvorstellungen zu verstehen - also der "guten" Mitte. Und diese
"Mitte" garantiert auch in diesem Jahr staatliche Abschiebungen,
Repression, Sparpakete und kapitalistischen Leistungs- und
Konkurrenzwahn.
Gegen all das wollen wir dieses Jahr auf die Straße gehen! Wir
lassen uns unser Recht auf Demonstrationen nicht nehmen! Mit dem
Einsatz für eine befreite Gesellschaft möchten wir den Kampf
gegen Burschenschafter unnötig machen. Für ein Leben jenseits
von Staat, Nation und Kapital!
Nie wieder Heimat, Volk und Vaterland!
Gegen Abschiebungen, Repression und Leistungsterror!
Gegen jeden (Deutsch-)Nationalismus, gegen Österreich und seine
Fans!
--
:: 2 Inhaltliche Ergänzungen : >
Ergänze diesen Artikel (.onion )
Ein Video der NoWKR Proteste 2010
13.01.2011 07:07
http://www.youtube.com/watch?v=XPIAtsSQXSo
AutorIn: antifa reisen
--
Auch die SVP
13.01.2011 10:25
2009 war neben deutschen, russischen, schwedischen und spanischen
Rechtsextremisten mit Walter Wobmann auch ein Repräsentant der SVP
Burschenschafts-Ball vertreten. [1] Wobmann, einer der Mitinitianten
der Anti-Minarett-Initiative, ist einer der dezidiertesten
Rechtsausleger in der Partei. Besipielhaft seine Äusserungen im
"Club" des Schweizer Fernsehens nach der gewonnen Abstimmung über
die besagte Initiative, als liberale und linke Kreise ihre
Verfassungsmässigkeit in Frage stellten:
"1534000 Personen in diesem Land haben Ja gesagt. Und wie Sie sich nun
äussern, Herr Kreis, das ist eine Ohrfeige für diese
Personen. Und das kann wohl nicht sein, und da muss ich sagen, wenn Sie
auf dieser Schiene weiterfahren, dann gute Nacht, aber dann gewinnen
WIR eine zweite Abstimmung noch viel deutlicher, und dann kommt ganz
eine andere Bewegung (...), eine ganz andere Volksbewegung. Ich habe
gar keine Angst [vor ihr], das muss ich ganz klar sagen. (...) Jetzt
ist eine Bewegung im Gange gewesen, gerade von jungen Personen. Man
wollte das nicht wahrhaben, man hat es in den Medien verschwiegen - das
ist aber egal - es ist wichtig, das es passiert ist. Viele Leute, vor
allem junge, haben gesagt, diese Entwicklung, diese schleichende
Islamisierung, (...) nicht die Religion, aber die politische Komponente
davon, wollen wir in diesem Land nicht." [2]
Dabei kann Wobmann auf einige Unterstützung in der SVP
zählen. Neben dem ehemaligen Neonazi Dominique Baettig, der auch
heute noch über gute Kontakte ins rechtsextreme Lager verfügt
[3], und dem Rimuss-Besitzer Emil Rahm, Antisemit und
Verschwörungstheoretiker [4], sind es v.a. Ulrich Schlüer und
Oskar Freysinger, die mit ausländischen Rechtsextremisten gut
vernetzt sind. Schlüer, ein Urgestein des Nationalkonservativismus
in der Schweiz, war schon bei der ns-affinen Münchner
Burschenschaft zu Besuch, wo er im Rahmen der sog. "Bogenhausener
Gespräche" über Demokratie und Unabhängigkeit der
Schweiz referieren durfte. [5] Der charismatische Freysinger trat vor
einem Monat bei einer Anti-Islam-Konferenz in Paris auf - als
eigentlicher Star des Anlasses. [6] Daneben ist er zusammen mit dem
holländischen Rechtspopulisten Geert Wilders und weiteren Personen
mit dem Aufbau einer Art Internationalen der Islamgegner in Europa
beschäftigt. [7] Und auch wenn er abstreitet, über Kontakte
zu Pro-NRW zu verfügen, in deren Reihen sich zahlreiche ehemalige
NPD- und DVU-Funktionäre tummeln [7], zeugt das höchstens von
einem extrem schlechten Gedächtnis: Noch im März 2010
richtete der Walliser SVP-Politiker höchstpersönlich eine
Grussbotschaft ("liebe abendländische Freunde") an einen
Anti-Minarett-Kongress der neu gegründeten Partei. [8]
[1] s.
http://www.gruene.at/uploads/media/FPOE_und_Eurorechte_und_WKR_Ball_2009-1.pdf
[2] http://www.youtube.com/watch?v=co2nyEqYAbY
[7:58 - 8:56]
[3] s. http://www.woz.ch/artikel/rss/18705.html
[4] s. Frischknecht, Jürg et. al., Die unheimlichen Patrioten:
Politische Reaktion in der Schweiz: Ein aktuelles Handbuch, Zürich
1987, S. 414-418.
[5] s.
http://www.brandserver.de/danubia/Upload/up/Referentenliste.pdf
[6] s. http://www.youtube.com/watch?v=jp6RgkNpNbk
[7] s. http://www.youtube.com/watch?v=_BrsSHjK5Bc
[8] s. http://www.youtube.com/watch?v=COiF5oYWCok.
Zu beachten
das Logo des Kongresses.
AutorIn: !
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HÄRTEFÄLLE
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NZZ 15.1.11
Härtefallgesuche "restriktiv" beurteilt
Organisationen enttäuscht
vö. · Die Sans-Papiers-Anlaufstelle, die
Freiplatzaktion und das Solidaritätsnetz Zürich sind
enttäuscht über die Zahlen, welche die kantonale
Härtefallkommission diese Woche publiziert hat (12. 1. 11). Die
Kommission und Regierungsrat Hollenstein hätten die
Härtefallgesuche sehr restriktiv beurteilt, schreiben die
Organisationen in einer Medienmitteilung. Bei 16 der insgesamt 70
negativen Beurteilungen des Migrationsamts gab die Kommission eine
positive Empfehlung ab. Der Sicherheitsdirektor folgte ihr in 8
Fällen.
Laut den Organisationen, die über die Hälfte der von
der Kommission behandelten Dossiers kennen, hat es die
Härtefallkommission verpasst, sich für das Schicksal von sehr
gut integrierten, abgewiesenen Asylsuchenden einzusetzen, die zudem die
Kriterien des Bundes für Härtefälle erfüllten.
Damit entstehe der Verdacht, dass es sich bei der
Härtefallkommission bloss um ein politisches Feigenblatt handle.
Die Organisationen halten ausserdem die Argumentation in den jeweiligen
Empfehlungen für durchwegs intransparent.
---
Tagesanzeiger 14.1.11
Nachrichten Härtefallkommission
Anlaufstelle für Sans-Papiers übt scharfe Kritik
Zürich - Die Härtefallkommission (HFK) und
Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein (CVP) beurteilen die
Härtefallgesuche "sehr restriktiv": Dieses Fazit ziehen
Linkskreise um die Sans-Papiers-Anlaufstelle Zürich. Am Dienstag
wurde bekannt, dass die HFK seit ihrem Start im November 2009 total 81
Fälle beurteilt hat; als Härtefall wurde jeder fünfte
Fall anerkannt. Die Anlaufstelle nennt die HFK in einer Mitteilung ein
"politisches Feigenblatt". Der Kanton Zürich weigere sich nach wie
vor, "gut integrierte abgewiesene Asylsuchende zu regularisieren". In
der Kritik steht auch Hollenstein, weil er nur die Hälfte der von
der Kommission empfohlenen Gesuche gutgeheissen habe.(sth)
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SANS-PAPIERS
--------------------------
NLZ 14.1.11
Lehrer lehnen Meldepflicht ab
Sans-Papiers
Lehrer sollen Kinder von Sans-Papiers verpfeifen: Das lässt
der Bundesrat prüfen. DEmpörung unter Politikern und Lehrern
ist gross.
Kari Kälin
kari.kaelin@luzernerzeitung.ch
Bis Ende Jahr muss das Eidgenössische Justiz- und
Polizeidepartement (EJDP) abklären, ob Schulen verpflichtet werden
sollen, Kinder von Sans-Papiers den kantonalen
Ausländerbehörden zu melden. Gemäss "Le Matin Dimanche"
fasste Justizministerin Simonetta Sommaruga diesen Auftrag, nachdem ein
anderes Mitglied der Landesregierung in der Sitzung vom 22. Dezember
2010 einen entsprechenden Antrag gestellt hatte.
Unterrichten statt verpfeifen
Dominique Föllmi, ehemals Genfer Regierungsrat (CVP), ist
ein Kämpfer der ersten Stunde für die Rechte von Kindern von
Sans-Papiers. Umso mehr ist er jetzt empört über das Vorhaben
des Bundesrates: "Ich verstehe, dass Lösungen für das Problem
der Sans-Papiers gesucht werden müssen. Aber die Kinder
dürfen nicht als Geisel genommen werden. Das ist unmenschlich und
inakzeptabel", sagt Föllmi. Lehrer müssten die Kinder
unterrichten und sie nicht verpfeifen. Föllmi hat deshalb den
Genfer CVP-Nationalrat Luc Barthassat eingespannt, "um für das in
der Verfassung und der UNO-Kinderrechtskonvention garantierte Recht der
Kinder auf Bildung zu kämpfen". Barthassat setzte sich erfolgreich
dafür ein, dass jugendliche Sans-Papiers in der Schweiz eine
Berufslehre absolvieren dürfen. Demnächst wird er
CVP-Präsident Christophe Darbellay kontaktieren. "Ich bin
überzeugt, dass die CVP sich gegen diese unmenschliche Idee zur
Wehr setzt", sagt der ehemalige Regierungsrat Föllmi.
Lustenberger für Meldepflicht
Ganz anders sieht dies der Luzerner CVP-Nationalrat Ruedi
Lustenberger: "Wenn die Schulen Kinder von Sans-Papiers nicht den
Ausländerbehörden melden, besteht Handlungsbedarf, damit
diese Meldung auch tatsächlich erfolgt." Föllmi hingegen kann
diese Position seines Parteikollegen nicht verstehen: "Das wird noch zu
reden geben." In der Tat sind parteiinterne Diskussionen programmiert.
CVP-Generalsekretär Tim Frey hat zwar nichts dagegen, wenn der
Bundesrat diese Frage prüft. Aber eine offizielle Position dazu
haben die Christdemokraten noch nicht formuliert. Frey findet, dass
Lehrer primär unterrichten und nicht Polizisten spielen sollten.
Und: "Im Vordergrund steht das Wohl des Kindes." Gemäss
Parteiprogramm spricht die CVP den Sans-Papiers das Recht auf
Aufenthalt zwar ab, aber "Härtefälle sollen von Bund und
Kanton im Einzelfall geprüft werden". Für Föllmi ist
klar, welche Schlüsse die CVP aus ihren eigenen Leitlinien zu
ziehen hat: "Dem Denunziantentum an Schulen muss meine Partei eine
klare Absage erteilen."
Lehrer sind skeptisch
Wenig Lust, Kindern von Sans-Papiers aufzuspüren, scheinen
die Lehrer in der Schweiz zu haben. "Sie können ihren Bildungs-
und Erziehungsauftrag nur dann wahrnehmen, wenn ein gegenseitiges
Vertrauensverhältnis zwischen Lernenden und Lehrenden vorhanden
ist", sagt Beat W. Zemp, Präsident des Schweizer Lehrerverbandes.
Er befürchtet, dass eine Meldepflicht die Eltern von Sans-Papiers
dazu verleiten könnte, ihre Kinder nicht mehr zur Schule zu
schicken, sondern sie zu verstecken.
Skeptisch wegen Datenschutz
Zudem wüssten Lehrer meistens gar nicht, ob Kinder von
Sans-Papiers in ihren Klassen sitzen. "Sie müssten also von allen
Kindern zuerst verlangen, dass sie ihren Personalausweis oder ein
Familienbüchlein usw. in die Schule mitbringen, um zu
überprüfen, wer keine Papiere hat. Ob das überhaupt aus
datenschutzrechtlicher Sicht zulässig wäre, müsste
überprüft werden", sagt Zemp.
--
3000 Kindern geholfen
Dominique Föllmi kä. Der ehemalige Genfer Regierungsrat
Dominique Föllmi (CVP, 72) hat sich bereits 1986 für Kinder
von Sans-Papiers eingesetzt. Ein 11-jähriges Mädchen, dessen
Eltern in die Türkei ausgeschafft worden waren, wurde damals von
Freunden der Familie in der Schweiz versteckt. Dominique Föllmi
erfuhr vom Schicksal des Mädchens und begleitete es nach den
Ferien höchstpersönlich zum Schulhaus. Es konnte das
Schuljahr abschliessen. Bundesrat Arnold Koller rüffelte ihn.
Dennoch sorgte Föllmi dafür, dass zwischen 1986 bis 1989 3000
illegal anwesende Kinder von Saisoniers die Schule besuchen konnten.
Schliesslich empfahl die Konferenz der kantonalen Erziehungsdirektoren
im Jahr 1991, alle in der Schweiz lebenden fremdsprachigen Kinder
unabhängig vom Aufenthaltsstatus in die Schule zu integrieren.
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NOTHILFE
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sosf.ch 17.1.11
Veranstaltungsangebot: Nothilfekampagne 2011 / Sosf vor Ort
Sosf vor Ort | Nothilfekampagne 2011
Liebe SympathisantInnen von Solidarité sans frontières,
Anfang Februar startet die gemeinsame Kampagne von Amnesty
International, Solidarité sans frontières, der
Schweizerischen Flüchtlingshilfe und der Schweizerischen
Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht zum Thema
Nothilfe.
Die Nothilfe ist eigentlich ein Grundrecht. Seit der Verschärfung
des Asylgesetzes und der Ausweitung des Sozialhilfestopps von 2008 wird
sie aber primär als Mittel zur Zermürbung missbraucht.
Innerhalb des Nothilfe-Regimes zu überleben bedeutet für die
Betroffenen vor allem Folgendes: extreme soziale Isolation, Aussetzung
gegenüber gezielter Schikane, eine menschenunwürdige
Behandlung sowie ein Dahinvegetieren in künstlich geschaffenem
Elend. Die aktuelle Kampagne fordert nun eine radikale Abkehr vom
gescheiterten Nothilfe-Regime und möchte die breite
Bevölkerung vordergründig vor allem über Realitäten
aufklären.
Alle Infos unter http://www.nothilfe-kampagne.ch
ab Februar abrufbar
Im Rahmen dieser Sensibilisierungskampagne bietet Solidarité
sans frontières thematische Infoveranstaltungen an, welche
über die unhaltbaren Zustände für Betroffene im
Nothilfe-System informieren. Die Infoveranstaltungen beinhalten
Folgendes:
Gesamtdauer der Veranstaltung: ca. zwei Stunden
- Einführung | Thematischer Kurzeinstieg ins Thema (5-10 min)
- Filmvorführung "Dokumentation Nothilfe" von a-films (25min)
- Referat zum Thema "Leben im Nothilfe-Regime" (ca. 30-40 min)
- Diskussion | Erfahrungsbericht
- Die Erfahrungsberichte sind auf Deutsch, Französisch oder
Englisch.
- Film: variierende Originalsprache mit D/E/F Untertiteln
- Der Referatsteil ist bisher leider nur auf Deutsch verfügbar.
Die Veranstaltung wird von einer oder zwei Personen abgehalten. Je nach
explizitem Wunsch und aufgrund der personellen Verfügbarkeit wird
jeweils eine vom Nothilfe-Regime direkt betroffene Person anwesend sein.
Die Veranstaltungen werden von Anfang Februar bis Ende Juni von
Solidarité sans frontières angeboten und sind für
den Veranstalter kostenlos. Grundsätzlich sind bei Terminanfragen
keine Einschränkungen gegeben. Bei Interesse bitte melden unter:
Solidarité sans frontières
Tel. : 0313110770
sekretariat@sosf.ch
Die Nothilfe-Veranstaltungen gliedern sich in das Konzept "Sosf vor
Ort!" ein, unter welchem wir auch andere thematische Felder behandeln.
Mehr zu diesem Angebot hier.
Wir freuen uns über jede Möglichkeit vorbeizukommen!
Herzlichen Dank
Moreno Casasola
Generalsekretär Solidarité sans frontières
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ASYL
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20min.ch 17.1.11
Asylstatistik: Nigerianer stellen die meisten Gesuche
In der Schweiz haben 2010 etwas weniger Menschen ein Asylgesuch
gestellt als ein Jahr zuvor. Gegen Jahresende haben die Anträge
aber deutlich zugenommen.
Balz Bruppacher
15 567 Personen haben im letzten Jahr in der Schweiz um Asyl
ersucht, wie den im Internet veröffentlichten Zahlen des
Bundesamts für Migration (BFM) zu entnehmen ist. Das sind 438 oder
2,7 Prozent weniger als 2009. Im letzten Quartal 2010 ist die Zahl der
Asylgesuche gegenüber dem Vorquartal hingegen um 12 Prozent
gestiegen. Der längerfristige Vergleich zeigt, dass sich die Zahl
der Asylgesuche in den Jahren 2005 bis 2007 auf einem tiefen Niveau von
rund 11 000 Anträgen pro Jahr bewegt hatte. 2008 erfolgte ein
sprunghafter Anstieg auf 16 608 Gesuche. Seither kam es zu einem
leichten Rückgang.
Wie schon im Vorjahr stammten die meisten Asylgesuche aus
Nigeria, und zwar 1969 oder zehn Prozent mehr als 2009. An zweiter
Stelle liegen die Gesuche aus Eritrea mit 1799. Um mehr als die
Hälfte (58 Prozent) auf 910 zugenommen haben die Anträge von
serbischen Asylbewerbern. Sie liegen damit an vierter Stelle nur knapp
hinter den Gesuchen aus Sri Lanka. Das Ende des Bürgerkriegs
führte zu einem Rückgang der Anträge um einen Drittel
auf noch 939 Gesuche. Um mehr als zehn Prozent rückläufig war
auch die Zahl der Asylbewerber aus dem Kosovo und aus Afghanistan.
3449 Menschen sind 2010 von der Schweiz als Flüchtlinge
anerkannt worden. Die Zahl der Asylgewährungen hat damit im
Vorjahresvergleich um fast einen Drittel (31,5 Prozent) zugenommen. Die
Anerkennungsquote stieg von 16,3 auf 17,7 Prozent. Unter Anwendung der
Härtefallregelung wurden 2942 Gesuche gutgeheissen - fünf
Prozent weniger als 2009. Insgesamt leben 25 285 anerkannte
Flüchtlinge in der Schweiz; das sind sieben Prozent mehr als 2009.
Ende 2010 waren noch 36 788 Personen im Asylprozess. Das
entspricht einem Rückgang von neun Prozent im Vergleich zum
Vorjahr. Davon waren 23 471 vorläufig Aufgenommene. Bei 12 915
Asylbewerbern waren die Verfahren Ende Jahr noch hängig; das sind
ein Viertel weniger als Ende 2009.
---
Landbote 17.1.11
Asylsuchende nicht genügend behandelt
Seraina Kobler
Zürich. Asylsuchende in der Schweiz gehen doppelt so viel
zum Arzt wie die restliche Bevölkerung, dennoch werden psychische
Probleme oft nicht erkannt. Dies sagt eine aktuelle Studie der
Universität Zürich.
Flüchtlinge und Asylsuchende leiden oft unter gesundheitlichen
Problemen und psychischen Schwierigkeiten. Das ist schon aus
früheren Untersuchungen bekannt. Die Gründe für die
Störungen seien vielfältig, heisst es in einer aktuellen
Studie der Universität Zürich: Traumatisierung durch Krieg
und Vertreibung, Armut oder fehlende Zukunftsperspektiven. Dennoch gibt
es nur wenige Studien, die den Gesundheitszustand von Asylsuchenden
tatsächlich untersuchen. Aus diesem Grund hat das Kantonsspital
Zürich zusammen mit dem Bundesamt für Migration eine
Untersuchung an erwachsenen Asylsuchenden vorgenommen.
Problem: Sprachbarriere
Es wurden 78 Personen zufällig ausgesucht. Darunter befanden
sich 21 Frauen. Von dieser Gruppe litten 41 Prozent an einer
psychischen Störung. Oft wurden sogar verschiedene Erkrankungen
gleichzeitig diagnostiziert. Die durchschnittlich beanspruchte
Krankenkassenleistung lag 1,8 Mal höher als bei vergleichbarer
Schweizer Wohnbevölkerung.
Obwohl die Studie bei 41 Prozent der Untersuchten eine psychische
Störung diagnostizierte, erhielten nur wenige in diesem Zeitraum
auch eine entsprechende Behandlung. "Offenbar werden die Asylsuchenden
nur selten wegen spezifisch psychischer Störungen behandelt",
interpretiert Thomas Meier vom Universitätsspital Zürich die
Ergebnisse. Er hat die Studie mit durchgeführt. Die psychischen
Störungen würden entweder nicht erkannt oder sie könnten
nicht adäquat behandelt werden. "Für beides sind mit grosser
Wahrscheinlichkeit Sprachbarrieren die entscheidende Ursache",
erklärt Meier. Könnten doch die Hausärzte selten mit
qualifizierten Dolmetschern zusammenarbeiten. Dies scheitere oft an den
Kosten, welche von den Krankenkassen nicht übernommen würden.
Vorsorge wäre nötig
Bei Asylsuchenden fehle es oft an anderen Kostenträgern und
die spezifische Therapie scheitere an den Verständigungsproblemen,
heisst es in der Studie. Dabei wäre gerade hier eine
frühzeitige Vorsorgeuntersuchung sinnvoll. Meier: "Damit
könnten die betroffenen Personen rasch behandelt und Kosten
infolge Fehlversorgung vermieden werden."
Das Bundesamt für Gesundheit hat nun auf die Studie reagiert
und bietet neu einen Telefonübersetzungsdienst für
Asylsuchende an. Damit soll das interkulturelle Übersetzen im
Gesundheitsbereich gefördert werden. Wenn eine kommunikative
Notsituation entstehe, könne über das Telefon Hilfe
angefordert werden. Der Telefonhilfedienst soll voraussichtlich ab
April 2011 in Betrieb genommen werden. Er nimmt an allen Wochentagen
rund um die Uhr Anrufe aus der ganzen Schweiz entgegen und vermittelt
geeignete Übersetzer/innen für eine telefonische
Übersetzung. Der Telefondolmetscherdienst wird in den Amtssprachen
(Deutsch, Französisch und Italienisch) angeboten, ebenso wie in
zahlreichen weiteren Sprachen.
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AUSSCHAFFUNGEN
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20min.ch 17.1.11
Rückführungsstopp: Tunesier werden nicht ausgeschafft
Das Bundesamt für Migration reagiert auf die angespannte
Lage in Tunesien. Vorläufig werden keine abgewiesenen tunesischen
Asylbewerber mehr zurückgeführt.
Balz Bruppacher
Rückführungsstopp für abgewiesene tunesische
Asylbewerber: "Angesichts der aktuellen Situation werden bis auf
weiteres keine Entscheide mit Wegweisung nach Tunesien gefällt",
erklärte der Sprecher des Bundesamts für Migration (BFM),
Michael Glauser, auf Anfrage von 20 Minuten Online.
Zwangsrückführungen würden momentan ebenfalls nicht
durchgeführt.
Zurzeit haben gemäss Glauser 120 Menschen aus Tunesien keine
Aufenthaltsberechtigung in der Schweiz. Davon hätten 52 Personen
erfolglos ein Asylverfahren durchlaufen.
358 Menschen aus Tunesien haben letztes Jahr in der Schweiz ein
Asylgesuch eingereicht. Das sind 75 Prozent mehr als 2009. Der Blick
auf die monatlichen Zahlen zeigt, dass im Oktober und November am
meisten Asylanträge aus Tunesien gestellt wurden, nämlich je
gut 50.
Die Schweiz führte letztes Jahr 19 zwangsweise
Rückschaffungen nach Tunesien durch, wie der BFM-Sprecher weiter
erklärte. 13 Personen reisten freiwillig nach Tunesien aus.
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NLZ 13.1.11
Wegzug ins Ausland für Kinder zumutbar
Bundesgericht
Urs-Peter Inderbitzin
Ein Bosnier wurde aus der Schweiz ausgewiesen. Auch für die
Kinder ist ein Wegzug zumutbar.
Kindern von Ausländern ist es zuzumuten, in ihr Heimatland
zurückzukehren, wenn ihr Vater die Aufenthaltsbewilligung
verliert. Das Bundesgericht vertritt in einem neuen Urteil eine
härtere Gangart gegen kriminelle Ausländer.
Im konkreten Fall hatte das Bundesgericht den Fall einer
fünfköpfigen Familie aus Bosnien-Herzegowina zu beurteilen,
die seit rund 18 Jahren in der Agglomeration Luzern lebt. Die beiden
jüngeren der drei Kinder im Alter von 19, 16 und 11 Jahren sind in
der Schweiz geboren. Vor drei Jahren lehnte es das Amt für
Migration des Kantons Luzern ab, der Familie die
Niederlassungsbewilligung zu erteilen. Mehr noch: Weil der Vater
mehrmals verurteilt worden war, unter anderem wegen
Körperverletzung, wies das Amt den Vater aus der Schweiz aus. Die
Mutter und die drei Kinder jedoch behielten ihre Aufenthaltsbewilligung.
Familie auseinandergerissen?
Nach dem Luzerner Verwaltungsgericht hat nun auch das
Bundesgericht das rigorose Vorgehen des Migrationsamtes geschützt.
Die Familie hatte in Lausanne insbesondere geltend gemacht, durch die
Wegweisung des Vaters werde die Familie auseinandergerissen, was gegen
den in der Europäischen Menschenrechtskonvention garantierten
Anspruch auf Achtung des Privat- und Familienlebens verstosse. Den drei
Kindern sei es nicht zuzumuten, in ihr eigentliches Heimatland
zurückzukehren, wo sie aber nicht aufgewachsen sind.
Dieses Argument überzeugte das Bundesgericht aber nicht.
Denn im Allgemeinen würden Ausländer einen Wechsel von
Kindern im gleichen Alter von einem Land in das andere
"regelmässig als möglich und zumutbar erachten, wenn es sich
um die Übersiedlung aus dem Heimatland in die Schweiz handelt".
Und dies selbst dann, wenn sich die Kinder nicht in einer hiesigen
Landessprache verständigen könnten. Daher erscheint dem
Bundesgericht auch eine umgekehrte Umsiedlung als zumutbar, wenn nicht
erschwerende Umstände bestehen. Solche erkannte das Bundesgericht
in diesem Fall aber nicht; sie wurden von der Familie auch nicht
geltend gemacht. Das Bundesgericht hält es für zumutbar, dass
die Kinder das Familienleben in ihrer Heimat führen, falls sie mit
ihrem Vater zusammenwohnen wollen.
Urs-Peter Inderbitzin
kanton@luzernerzeitung.ch
Urteil: Das Bundesgerichtsurteil finden Sie unter
http://jumpcgi.bger.ch/cgi-bin/JumpCGI?id=16.12.2010_2C_426/2010
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MIGRATIONSGESCHICHTE
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Basler Zeitung 14.1.11
Gehasst, geliebt, geduldet
Tamilen galten einst als Gefahr, dann wurden sie idealisiert -
jetzt sieht man sie nüchterner
Martin Furrer
Der Schlag der Bundeskriminalpolizei gegen Exponenten der
tamilischen Befreiungstiger rückt eine einst prominente
Ausländergruppe erneut ins Rampenlicht: die Tamilen. Sie haben
Schweizer Asylgeschichte geschrieben.
Die Tamilen sind wieder da, zurück in den Schlagzeilen - als
Bedrohung für die innere Sicherheit des Landes, als Gefahr
für sri-lankische Bürger in der Schweiz. Kürzlich wurden
in zehn Kantonen Mitglieder aus dem Umfeld der Guerillaorganisation
Liberation Tigers of Tamil Eelam (LTTE) festgenommen. Die
Bundesanwaltschaft wirft ihnen Zugehörigkeit zu einer kriminellen
Organisation und Erpressung von Landsleuten vor (BaZ von gestern).
Täter
Angehörige einer Ausländergruppe rücken damit erneut ins
Blickfeld der Eidgenossenschaft, die sich in den Achtzigerjahren mit
den Immigranten aus dem Inselstaat im Indischen Ozean schwergetan hat.
"Das Tamilen-Problem wächst den Behörden über den Kopf",
erklärte der "Blick" 1984. In den Flüchtlingen sah man vor
allem Messerhelden, Frauenschänder, Dealer - Täter. Das
Boulevardblatt produzierte Titel wie: "Tamilen demolierten
Flüchtlingsheim", "Heroin im Asylantenheim" oder "Polizei holte
Tamilen mit 50 gefälschten Pässen aus dem Zug". Es klagte:
"Arme Schweizer müssen raus - Tamilen brauchen ihre Wohnung." Und
kam zum Schluss: "Die Schweiz will die Tamilen nicht."
Die dunkelhäutigen Menschen waren ungebetene Gäste, die
den Frieden störten in der Schweiz. Um des Problems Herr zu
werden, setzte der Bundesrat im März 1986 mit Peter Arbenz den
ersten Delegierten für das Flüchtlingswesen ein. Der
bemühte sich, die Asylbewerber so schnell wie möglich wieder
loszuwerden - gegen den 1987 einsetzenden Protest der Landeskirchen,
von CVP und Evangelischer Volkspartei und einiger Medien.
"Jetzt", kommentierte beispielsweise die Basler Zeitung damals,
"wird Widerstand zur Pflicht." Tatsächlich wuchs dieser Widerstand
gegen die Bemühungen der Bundesbehörden, die Tamilen
loszuwerden, zunehmend. Nachdem der Bundesrat 1994 einen
Rückkehrvertrag mit der Regierung in Colombo ausgearbeitet und
beschlossen hatte, 12 500 tamilische Asylbewerber ausser Landes zu
schaffen, begehrte das Volk auf.
Der Abt des Klosters Mariastein erklärte, es sei "ein
grosses Unglück, fast schon eine Katastrophe", wenn der tamilische
Küchengehilfe des Klosters ausreisen müsse. Im Baselbieter
Dorf Zeglingen sammelte die Bevölkerung zum Schutz des in der
Dorfbeiz beschäftigten Tamilen Unterschriften. Der Schweizerische
Wirteverband gab zu bedenken: "Wir brauchen diese freundlichen Leute!"
Die Tamilen seien "wegen ihrer Wesensart beliebt".
Opfer
Der "Blick" sah in ihnen jetzt nicht mehr Täter, sondern Opfer.
"Skins prügelten Tamilen halb tot", klagte das Blatt im Februar
1994. Als der Bundesrat erneut Ausschaffungen plante, lobte es: "Die
angsteinflössenden Menschen von gestern haben sich beim
Kennenlernen über die Jahre hinweg als sanft, arbeitsam und
integrationswillig entpuppt." Im März 2000 war das Klima in der
Bevölkerung sogar so gut, dass der Bundesrat in einer
humanitären Aktion einigen Tausend Tamilen, deren Asylgesuch seit
Jahren hängig gewesen war, ein dauerndes Bleiberecht gewähren
konnte.
Probleme
Doch ein paar Jahre später zeigten sich erste Risse im Bild der
Ausländer, die helvetische Tugenden wie Fleiss, Pünktlichkeit
und Disziplin verinnerlicht zu haben schienen. Eine Studie des
Bundesamtes für Migration kam 2007 zum Schluss, dass die Tamilen
gesellschaftlich und kulturell nicht so gut integriert seien wie
vermutet. Es zeigte sich, dass Tamilen ähnliche Verhaltensweisen
haben wie viele Schweizer auch: "Frustrationen (...) führen
bisweilen zu Alkoholismus, Gewalt in der Ehe, Verschuldung und
Verständigungsproblemen innerhalb der Familie."
Die Tamilen, einst wurden sie gehasst, dann geliebt, heute sind
sie gut geduldet - und sehen sich sogar literarisch geadelt. Die
Hauptfigur im vorletzten Roman des Bestsellerautors Martin Suter ist
ein Koch. Sie heisst Maravan - ein Asylbewerber aus Sri Lanka.
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SEXWORK
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sf.tv 13.1.11
Freiburg und Glarus verweigern Nachtclub-Tänzerinnen Bewilligungen
sf/fasc
Seit Anfang Jahr erteilen die Kantone Freiburg und Glarus keine
Arbeitsbewilligungen mehr für Tänzerinnen aus
Nicht-EU-Staaten. Die Frauen würden in die Prostitution
gedrängt und ausgebeutet. Gegen das reglementarische Flickwerk
regt sich nun Widerstand.
Es sind vor allem Frauen aus der Ukraine und der Dominikanischen
Republik, die in den Cabarets tanzen. Für maximal acht Monate am
Stück dürfen die Tänzerinnen aus so genannten
Drittstaaten in der Schweiz legal arbeiten. Prostitution und Animation
zum Alkohol-Konsum sind ausdrücklich nicht erlaubt.
Polizei kann nicht verdeckt ermitteln
Doch die Realität sei eine ganz andere, sagt der Freiburger
Justizdirektor Erwin Jutzet (SP) gegenüber "10vor10": "Das ist ein
heuchlerischer Status. Da wird gesagt, das seien Artistinnen,
Tänzerinnen. In Tat und Wahrheit ist das eine Ausbeutung. Sie
werden ganz klar für Prostitution missbraucht. Sie müssen zu
möglichst viel Alkohol-Konsum animieren und selber trinken. Der
Status gibt ihnen vordergründing das Recht, dass sie legal hier
sind und sich wehren können. Aber das ist ein Schein".
Freiburg gibt Tänzerinnen aus Nicht-EU-Staaten daher keine
Arbeitsbewilligung mehr. Das bedeutet faktisch das Aus für die
Nachtclubs. Denn Frauen aus dem EU-Raum arbeiten kaum in diesen
Etablissements.
Die Polizei überprüft regelmässig die
Arbeitsbedingungen in den Cabarets. Die Nachtclub-Betreiber müssen
den Tänzerinnen einen Mindestlohn von 2300 Franken zahlen. Doch
die Fahnder vermuten, dass vielen Frauen weniger bezahlt wird, um sie
so in die Prostitution zu drängen. Die Polizei sehe allerdings
kaum hinter die Kulissen, sagt Marco Cortesi von der Stadtpolizei
Zürich: "Grundsätzlich sind unsere Detektive darauf
angewiesen, dass das, was die Frauen ihnen erzählen, auch stimmt.
Da haben wir manchmal ein Fragezeichen. Um richtig zu ermitteln,
müsste ein Polizist verdeckt arbeiten können. Das ist nicht
möglich."
Bund muss handeln
Mit Freiburg und Glarus sind es nun schon zwölf Kantone, die
keine Cabaret-Tänzerinnen mehr aus so genannten Drittstaaten
zulassen. Jetzt müsse der Bund handeln, sagt der Freiburger
Justizdirektor Erwin Jutzet im "10vor10"-Interview: "Wir fordern
konkret eine saubere Lösung auf Bundesebene. Dieses Flickwerk, das
wir in 26 Kantonen haben, kann es ja nicht sein. Dass es in einem
Kanton erlaubt ist und im anderen nicht."
Der Bund will die Bewilligungspraxis nun überprüfen.
Gegenüber "10vor10" bestätigte das Bundesamt für
Migration, in den nächsten Monaten zu entscheiden, ob
Cabaret-Tänzerinnen schweizweit nicht mehr erlaubt werden sollen.
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MIGRATION CONTROL
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NZZ 14.1.11
Reise in die Hölle und zurück
Trauriges Schicksal nigerianischer Migrantinnen in Italien
Viele junge Nigerianerinnen verlassen ihr Land mit der Hoffnung
auf ein besseres Leben in Italien. Stattdessen sind sie bereits bei
Reisebeginn in den Fängen der Frauenhändler. Nach ihrer
Ankunft werden die Frauen zur Prostitution gezwungen.
Romina Spina, Rom
Auf einer Nebenstrasse zum Meer bei Ostia, unweit von Rom, wartet
Pamela am frühen Nachmittag auf den nächsten Kunden. In einem
hübschen Kleid steht sie am Strassenrand und bewegt ihren Kopf
bald nach links, bald nach rechts, als wäre sie kurz davor, auf
die andere Strassenseite zu wechseln. Die zierliche Nigerianerin hat
roten Lippenstift aufgetragen, auch ihre Augen sind stark geschminkt.
Ein Auto der gemeinnützigen Organisation Magliana 80 hält an,
Pamela erkennt die drei Insassinnen und lächelt sie freundlich an.
Sie beginnen, miteinander zu plaudern. Die Mitarbeiterinnen geben
Pamela eine Handvoll Kondome, fragen auch nach, ob sie neulich für
einen Kontrollbesuch im Spital gewesen sei. Dann drücken sie ihr
Kärtchen und Prospekte in verschiedenen Sprachen in die Hand. Auf
diese Weise versuchen die Helferinnen Migrantinnen, die als
Prostituierte arbeiten, über ihre Rechte in Italien
aufzuklären. Denn sie wissen genau, dass im Umfeld der
Mädchen solche Informationen nicht erhältlich sind.
Warten auf die Abschiebung
Sie sei heute als Einzige hier, erzählt Pamela den Frauen
von Magliana 80 nach einer Weile. Am vergangenen Wochenende habe es
eine grossangelegte Razzia gegeben. Danach sei es oft so, dass die
jungen Frauen, die meistens aus Afrika, aber teilweise auch aus
Osteuropa und Südamerika kommen, ihrem üblichen Arbeitsplatz
fernblieben - aus Angst, die Polizei könnte wiederkommen und sie
ins Ausschaffungszentrum von Ponte Galeria bei Rom schleppen. Dort
warten jene Migrantinnen und Migranten, die den Behörden keinen
Ausweis oder keine gültige Aufenthaltsbewilligung vorweisen
konnten, auf ihr Schicksal. Sie bleiben in Ponte Galeria, bis sie
identifiziert und allenfalls ausgewiesen werden können. In Italien
gibt es 13 solche Ausschaffungszentren, Ponte Galeria ist mit einer
Kapazität von rund 360 Plätzen das grösste. Die
Aufenthaltsdauer hängt davon ab, wie rasch jemand identifiziert
werden kann. Ausländerinnen und Ausländer können aber
bis zu sechs Monate in einem solchen Zentrum verbringen.
Für viele nigerianische Migrantinnen wird Ponte Galeria zur
Endstation einer langen Reise. Die Geschichten der jungen Frauen, die
hier ängstlich auf die Zukunft warten, sind bedrückend. Um
sich erzählen zu lassen, wie sie nach Italien gekommen sind, muss
das Vertrauen der Mädchen gewonnen werden. Die Mitarbeiterinnen
von Be Free, einer gemeinnützigen Frauenorganisation, die
innerhalb des Ausschaffungszentrums Unterstützungsarbeit leistet,
haben mit den Migrantinnen über Monate Gespräche
geführt. Das Bild, welches aus den vielen Erzählungen
entstanden ist, bestätigt die schlimmsten Befürchtungen. Die
meisten Migrantinnen aus Afrika, die in Ponte Galeria landen, sind in
ihrer Heimat einem Menschenhändlerring zum Opfer gefallen.
Kriminelle Gruppen rekrutieren einheimische Mädchen nach genauen
Kriterien und locken sie nach Italien, wo sie später als
Zwangsprostituierte ausgebeutet werden. Von ihrem Schicksal wissen die
jungen Frauen vor Reiseantritt nichts.
Auch Isoke konnte nicht erahnen, dass sie eines Tages am
Strassenrand auf den nächsten Kunden warten würde, als man
ihr vor zehn Jahren anbot, in Europa als Verkäuferin zu arbeiten.
Die damals 21-jährige Nigerianerin wollte ihr Glück
versuchen, auch um ihre Mutter und ihre sieben Geschwis ter finanziell
unterstützen zu können, nachdem ihr Vater die Familie
verlassen hatte. Heute lebt sie mit einem italienischen Mann zusammen
und setzt sich für jene Migrantinnen ein, die einen Weg aus der
Prostitution suchen. Denn niemand sei an deren Geschichten
interessiert, beklagt sie. Man wolle nicht wahrnehmen, dass sie in
Italien als Sklavinnen leben müssten.
In der Region um Isokes Heimatort Benin City, südlich der
Hafenstadt Lagos, florieren die Geschäfte jener Agenturen, die
Reisen für junge Frauen nach Europa anbieten. Laut Statistiken der
Uno ist Menschenhandel zum Zweck der sexuellen Ausbeutung oder
Zwangsarbeit zusammen mit Waffenhandel eine der wichtigsten
Einnahmequellen der kriminellen Organisationen weltweit; nur
Drogenhandel ist lukrativer.
In Afrika sind die Opfer meistens jene Mädchen, die aus
einem benachteiligten Milieu stammen. Manchmal handelt es sich um
Waisenkinder, in den letzten Jahren sind es vermehrt Analphabetinnen,
die mit dem Versprechen einer Arbeitsstelle nach Europa gelockt werden.
Die Familien der Mädchen sind mit der Reise einverstanden, denn
sie sehen, wie andere Familien in der Nachbarschaft Geld von ihren
Töchtern aus Europa erhalten. Nicht selten sind
Menschenhändler Familienmitglieder oder Vertrauenspersonen.
Hohe Schulden
Laut den Erzählungen in Ponte Galeria bringen die
nigerianischen Mädchen in vielen Fällen eine grauenhafte
Fahrt durch die Wüste hinter sich. Ständig sind sie der
Gewalt und dem sexuellen Missbrauch durch ihre Begleiter ausgesetzt.
Die Reise nach Nordafrika - teilweise auch zu Fuss - kann Wochen
dauern. Bevor es von Libyen oder Marokko Richtung Europa weitergeht,
merken die Frauen, dass ihnen die Kosten für die Fahrt nicht
umsonst von ihren Begleitern abgenommen wurden. Bereits in
nordafrikanischen Bordellen werden sie zur Prostitution gezwungen, um
einen Bruchteil des hohen Schuldenbetrages zurückzuzahlen.
Manchmal auch über Wochen, Monate oder Jahre.
Andere, wie Isoke, verschulden sich stattdessen zu Hause in der
Gewissheit, das Geld bald zurückgeben zu können, und steigen
in ein Flugzeug nach Paris oder London. Von dort aus reisen sie nach
Italien weiter. Die nigerianische Mafia organisiert gefälschte
Ausweispapiere und sorgt dafür, dass die Frauen in Afrika sowie in
Europa bei Grenz- oder Passkontrollen von korrupten Beamten
durchgelassen werden. "Es ist eine Reise, die unser Leben für
immer verändert und uns keine Möglichkeit gibt
zurückzukehren", erzählt Isoke. Die meisten Mädchen in
Nigeria schwören vor der Abfahrt bei einem Voodoo-Ritual, ihre
Schulden für die Reise bis auf den letzten Cent
zurückzuzahlen.
Nach ihrer Ankunft in Italien werden die Migrantinnen oftmals bei
einer sogenannten Maman untergebracht. Ursprünglich kam auch diese
Frau als junges Opfer der Menschenhändler nach Europa, auch sie
musste sich prostituieren. Nach einem jahrelangen Überlebenskampf
auf der Strasse wird aus dem Opfer eine Ausbeuterin. Die Maman bringt
aus ihrer Heimat eine Anzahl Mädchen nach Europa, die als
Prostituierte für sie arbeiten. Sie nimmt Kontakt zu den
Händlern auf, sucht sich die Mädchen aus, bezahlt die
Kriminellen für die Reise und klärt die Frauen nach ihrer
Ankunft über die Arbeit auf der Strasse auf. Wie Isoke
erzählt, ist das für viele Mädchen die erste Erfahrung
mit Gewalt, weil man eine solche Gnadenlosigkeit von einer anderen Frau
nicht erwarte. Oft ist die Maman auch eine Freundin der eigenen Familie.
Die Mädchen werden in der Regel schon wenige Tage nach ihrer
Ankunft auf die Strasse gezwungen, damit sie beginnen können, ihre
Schulden zurückzuzahlen. Diese Summen gehen meist von 30 000 bis
60 000 Euro. Nebst den Verdiensten der Mädchen verlangt die Maman
auch Geld für die Miete, die Nebenkosten, den Unterhalt und die
Kleider. Selbst ihren "Joint", den Strassenabschnitt, wo die
Mädchen auf die Kunden warten, müssen sie bezahlen. Im Monat
kann dieser je nach Standort bis zu 300 Euro kosten. So kann es sein,
dass die bereits hohen Schulden weiter nach oben klettern.
Die Maman entscheidet
In Italien entscheidet die Maman über jeden Aspekt des
Lebens der jungen Frauen. Sie warnt beispielsweise davor, Einkäufe
in italienischen Geschäften zu tätigen. Die Mädchen
kaufen dann in kleinen Läden fast ausschliesslich Produkte aus
Afrika ein, die von Chinesen importiert werden und teuer sind. "Sie
leben in Europa, aber es ist so, als wären sie immer noch in
Afrika", sagt Isoke. Diese kulturelle Segregation soll verhindern, dass
sich die Migrantinnen über ihre Lage und über eine
mögliche Flucht Gedanken machen können. Auch darf es nicht zu
Solidarität zwischen den Mädchen kommen, weil sie sich dann
gegen die Maman zusammenschliessen könnten. In der Regel ist die
Angst zu gross und das Vertrauen zu den Mitmenschen zu gering, um
Freundschaften zu schliessen. Den Mädchen wird eingeredet, dass
ihre einzige Sorge die Arbeit sein müsse.
Verdienen sie einmal weniger als erwartet, werden sie von der
Maman oder einem Zuhälter geschlagen. Selbst wenn sie verletzt
werden, wollen sie sich danach nicht von einem Arzt untersuchen lassen,
weil sie fürchten, dass die Polizei benachrichtigt werden
könnte. Gehorchen die jungen Frauen der Maman nicht, wird ihnen
mit Gewalt gegen die Familie in Afrika gedroht. So werden die
Migrantinnen - unter ihnen auch viele Minderjährige - unter
Kontrolle gehal ten. Weil die Mädchen sehr gläubig sind, wird
ein Afrikaner engagiert, der sich als Priester ausgibt. Die Anweisungen
dieses Mannes sind mit den Ausbeutern abgesprochen. So trauen sich nur
wenige Mädchen, einen Ausweg zu suchen.
Wer dennoch rebelliert, wird gefoltert oder umgebracht. Laut
einer jüngst veröffentlichten Studie sollen in den letzten
zehn Jahren rund 500 nigerianische Prostituierte getötet worden
sein. Die jungen Frauen müssen ständig um ihr Leben
fürchten. Auch, weil sie das schwächste Glied der
Gesellschaft sind. "Wir sind Frauen, wir sind Schwarze, wir haben keine
Aufenthaltsbewilligung, wir haben keine Rechte", fasst Isoke zusammen.
Sie seien also das perfekte Ventil für jeden Gewaltausbruch. Sei
es die Maman, seien es die Freunde der Maman oder die Freier. Nicht
einmal die afrikanischen Arbeiter, die auf süditalienischen
Feldern für wenige Euro ausgebeutet werden, hätten Mitleid
mit ihnen. Wie Isoke erzählt, kommt es oft dazu, dass sie aus
lauter Wut und Frust über die eigene Situation die Migrantinnen
vergewaltigten.
Angst vor Vergeltung
Einen Ausweg zu finden, ist für viele Frauen schwierig,
gerade dann, wenn sie nicht wie in Isokes Fall einen italienischen Mann
an ihrer Seite haben. In Italien sieht das Gesetz zwar vor, dass Opfer
von Menschenhändlern eine Aufenthaltsbewilligung beantragen
können. Dafür müssen die Frauen jedoch ihre Ausbeuter
anzeigen. Danach werden sie in eine geschützte Unterkunft gebracht
und bis zum Prozess von Anwälten, Psychologen und Sozialarbeitern
unterstützt. Nur wenige nigerianische Migrantinnen trauen sich
jedoch, Anzeige zu erstatten, weil die Angst vor Vergeltungsmassnahmen
gross ist. Isoke wurde beinahe zu Tode geprügelt, als ihre Maman
erfuhr, dass sie Beratungsstellen um Hilfe gebeten hatte. Nachdem sie
aus dem Koma erwacht war, wurde sie nicht von gemeinnützigen
Organisationen, sondern von ihrem Lebenspartner so lange
unterstützt, bis sie eine Arbeitsbewilligung erhielt.
Trotz ihrer aussichtslosen Lage suchen viele Mädchen die
italienischen Beratungsstellen kein einziges Mal auf. Nebst dem hohen
Risiko, von ihren Ausbeutern erwischt zu werden, wollen die Frauen um
jeden Preis verhindern, dass sie zur Identifikation und Ausweisung in
ein Ausschaffungszentrum kommen. In Ponte Galeria erzählt eine
junge Nigerianerin, wie sie dort hingeführt wurde. Es sei nicht
wie in den meisten anderen Fällen nach einer Strassenrazzia
gewesen, sondern nachdem sie die Polizeikräfte um Hilfe bei einem
Angriff gebeten hatte. Anstatt das Mädchen in Schutz zu nehmen,
haben sie die Polizisten von Neapel nach Ponte Galeria gebracht.
Das Leben im Ausschaffungszentrum ist hart. Nicht nur, weil man
in der Ungewissheit lebt, was morgen sein wird. Im vergangenen Jahr kam
es vor allem in Ponte Galeria häufig zu Gewaltausbrüchen.
Monatelang herrschte Ausnahmezustand, immer wieder traten Migrantinnen
und Migranten in den Hungerstreik. Es gab zahlreiche
Selbstmordversuche, im Frühjahr wurde bei einer Brandstiftung ein
Teil der Anlage zerstört. In den Zimmern dürfen keine
scharfen Gegenstände gehalten werden - nicht einmal eine
Nagelschere. Viele leiden unter Depressionen und versuchen, sich
Verletzungen zuzufügen.
Für die Frauen ist dieses Klima kaum auszuhalten. Sie
erzählen, wie sie sich jeden Tag etwas anderes ausdenken
müssten, um nicht durchzudrehen. Für die meisten Mädchen
sei es wie das Ende eines grossen Traumes, erzählen zwei
Psychologinnen, die im Zentrum arbeiten - des Traumes, der Misere im
eigenen Land zu entgehen und in Europa ein besseres Leben zu
führen. Für diesen Traum hätten sie Schulden gemacht,
Schläge kassiert, Folterungen geduldet, ihren Körper auf der
Strasse verkauft. Dies alles vergebens gemacht zu haben, sei schwer zu
akzeptieren.
--
Immer mehr minderjährige Opfer
Romina Spina (rsp)
rsp. Rom · Die Zahl der Migrantinnen, die in ihrem
Heimatland einem Menschenhändlerring zum Opfer fallen und in
Italien zur Prostitution gezwungen werden, ist in den letzten Jahren
gestiegen. Offizielle Statistiken gibt es nicht, da die jungen Frauen
entweder auf illegale Weise ins Land einreisen oder nach ihrer Ankunft
ihr Touristenvisum ablaufen lassen. Verschiedene Hilfswerke
schätzen jedoch, dass in Italien gegenwärtig zwischen 19 000
und 26 000 Migrantinnen sexuell ausgebeutet werden. Unter ihnen sind
die Nigerianerinnen am stärksten vertreten. Laut Daten aus dem
Jahr 2008 stammen zwischen 7800 und 10 000 sexuell ausgebeutete Frauen
aus diesem afrikanischen Land. Jüngst hat die nigerianische
Botschaft in Rom bestätigt, dass im Laufe von zehn Jahren rund 20
000 Nigerianerinnen in Italien von Menschenhändlern sexuell
ausgebeutet worden seien.
In diesem Zusammenhang konnte in den letzten Jahren ein markanter
Anstieg minderjähriger Opfer beobachtet werden. Die Mädchen
sind im Schnitt zwischen 15 und 18 Jahre alt. Laut verschie denen
Studien ist das Durchschnittsalter in letzter Zeit gesunken. Die
Mädchen stammen ausschliesslich aus ärmeren familiären
Verhältnissen. In den meisten Fällen ist es die Maman, die
sich ausdrücklich Minderjährige wünscht, da sie
unerfahrener und verletzlicher sind.
Laut der Internationalen Organisation für Migration sind
seit 2008 vermehrt potenzielle Opfer der Menschenhändler aus
Afrika in Italien eingereist. Die Frauen stammen ausser aus Nigeria oft
auch aus Ghana und den Ländern des Maghreb.
---
WoZ 13.1.11
Griechenland
Grenzzaun und schwimmende Auffanglager
Vergangenes Jahr registrierte Griechenland 128 000 illegal
eingereiste Flüchtlinge - die höchste Zahl in der EU. Weil
die Auffanglager hoffnungslos überfüllt sind, will die
Regierung nun prüfen, ob sie zwei Schiffe mieten soll, auf denen
je tausend Flüchtlinge untergebracht werden können. Laut
griechischen Medien wollen RegierungsvertreterInnen in den nächs
ten Tagen in die Niederlande reisen - die Niederlande benutzen
gemäss der Menschenrechtsorganisation Amnesty International (AI)
bereits seit 2007 Schiffe als Gefängnisse.
Zusätzlich sollen papierlose Migrant In nen auch in alten
Armeequartieren untergebracht werden, gab Christos Papoutsis, Minis ter
für öffentliche Sicherheit, bekannt. "Täglich kommen
zwischen 200 und 300 MigrantInnen in Griechenland an", sagte Papoutsis
kürzlich.
Ein Grossteil der Papierlosen gelangt über die
türkische Grenze ins Land. Die Regierung plant deshalb den Bau
eines 12,5 Kilometer langen Zauns im Nordosten des Landes.
Menschenrechtsorganisationen und Gewerkschaften haben für den 15.
Januar zu einer Demonstration gegen den vorgesehenen Grenzzaun
aufgerufen. "Dadurch wird auch jenen Flüchtlingen der Zugang
verwehrt, die wirklich internationalen Schutz brauchen", sagt Petros
Constantinou von der Sozialistischen Arbeiterpartei.
Bereits Mitte Dezember hatte AI einen Gesetzesentwurf kritisiert,
der es der griechischen Regierung erleichtert, Papierlose in
Auffanglagern festzuhalten und schneller auszuschaffen. sw
http://www.borderline-europe.de
---
NZZ 13.1.11
Umstrittene Pläne zum Bau eines Grenzzauns
Athen will den Strom von Migranten an der Landgrenze zur
Türkei eindämmen
Griechenlands Probleme mit den illegal eingereisten Migranten
werden immer grösser. An einem Krisengipfel wurden Massnahmen
beschlossen. Geplant ist auch ein Grenzzaun.
Elisa Hübel, Athen
Im vergangenen Jahr sind etwa 128 000 Migranten illegal nach
Griechenland gekommen. Bis 2009 waren die meisten von ihnen über
griechische Inseln in der Ägäis ins Land gelangt. Nachdem
dort Experten der EU-Grenzschutzagentur Frontex zum Einsatz gekommen
waren, verlagerte sich der Schwerpunkt an die türkisch-griechische
Landgrenze, wo täglich bis zu 400 Migranten nach Griechenland
kamen. Im November wurden hier 175 Frontex-Grenzschützer
stationiert. Seither konnte der Zustrom um 42,6 Prozent reduziert
werden. Doch das Mandat der Helfer aus dem Ausland läuft am 3.
März aus.
Gegner und Befürworter
Griechenland will aus diesem Grund an einem besonders schwierig
zu bewachenden Abschnitt, wo der Fluss Evros nicht die Grenze bildet,
sondern direkt durch türkisches Territorium fliesst, einen 12,6
Kilometer langen Grenzzaun errichten. Diese bis zu zehn Meter hohe
Konstruktion soll die Immigranten nach Wunsch seiner Planer
künftig davon abhalten, über die Landgrenze nach Griechenland
zu kommen. Alle 500 Meter sollen Wärmebildkameras installiert
werden, die verdächtige Bewegungen melden. Das Projekt, das bis
jetzt nur auf dem Papier steht, hat nicht nur im Ausland viele Gegner,
sondern auch in Griechenland. Am Samstag findet in der Hauptstadt Athen
ein Protestmarsch gegen den vier Millionen Euro teuren Hightech-Zaun
statt.
Einer, der sich hingegen klar für den Grenzzaun ausspricht,
ist der griechisch-orthodoxe Metropolit der Hafenstadt Thessaloniki,
Anthimos. Ginge es nach ihm, müssten weitere solche Hindernisse
entlang der griechisch-türkischen Grenze errichtet werden,
nämlich "überall da, wo Immigranten aus aller Welt zu uns
kommen".
Dabei fürchtet der Gottesmann vor allem die daraus
resultierende wachsende Zahl muslimischer Bürger. Laut dem
Geistlichen sollen in Athen 700 000 Muslime ansässig sein. Dass
diese - obschon von staatlicher Seite immer wieder versprochen - noch
immer keine eigene Moschee haben und ihre Gottesdienste in
behelfsmässigen Räumen abhalten müssen, ist eine weitere
Facette der Einwanderungsproblematik in Griechenland. Offiziell
bekennen sich 98 Prozent der Bevölkerung zum griechisch-orthodoxen
Glauben; die griechisch-orthodoxe Kirche ist faktisch Staatskirche. Die
illegal eingewanderten Migranten, die es in die griechischen
Städte schaffen, fristen ihr Dasein im besten Fall mit
Gelegenheitsjobs. Viele rutschen auch in die Klein- oder
Drogenkriminalität oder in die Prostitution ab.
In der Hauptstadt sind die Probleme inzwischen so gross geworden,
dass die Politiker zum Handeln gezwungen sind. An einem Krisengipfel
einigten sich in der vergangenen Woche Minister und Kommunalpolitiker
darauf, künftig konsequent gegen die Ghettoisierung ganzer
Stadtteile und gegen die daraus resultierenden Probleme vorzugehen.
Beschlossen wurde auch die Verbesserung der Verpflegung der
Bedürftigen.
Neue Auffanglager
Um die Fragen der Unterbringung der Immigranten zu lösen,
sollen ehemalige Kasernen umfunktioniert werden. In den letzten Tagen
wurde sogar der Plan bekannt, dass eventuell für die
Sicherheitsverwahrung Spezialschiffe aus den Niederlanden gemietet
werden könn ten. Insgesamt sollen bis zu 15 neue Auffanglager
entstehen. Die Ausgaben zur Realisierung dieser Pläne bis zum
Jahre 2013 werden vorerst auf 250 Millionen Euro veranschlagt.
Entsprechende Gesetzentwürfe will die Regierung Papandreou bis zum
März vorlegen. Bereits vor einigen Tagen war eine Gesetzesnovelle
zur Gründung einer neuen Asylbehörde im Parlament eingebracht
worden.
Der für den Schutz der Bürger zuständige Minister
Christos Papoutsis setzte sich in jüngster Zeit immer wieder
für eine konsequente Ausschaffungspolitik ein. Die Asylpolitik ist
ein grosses Problem, Griechenland ist überfordert: Etwa 50 000
Asylanträge sind nicht bearbeitet; in der Praxis wird nicht einmal
ein Prozent der eingereichten Anträge genehmigt.
---
La Liberté 13.1.11
Contre l'immigration vers l'europe.
Des barrières qui ne règlent rien
De Grèce en Israël, des barrières vont
s'ériger cette année pour stopper l'immigration
clandestine. Une conséquence des politiques européenne,
en la matière, qui montrent ainsi leurs limites à court
terme.
Eric L'Helgoualc'h
Le 31 décembre dernier, le gouvernement grec faisait part
de son intention de construire, à la frontière terrestre
avec la Turquie, un mur de barbelés destiné à
empêcher les incursions de migrants. Quelques semaines plus
tôt, Israël inaugurait dans le Sinaï
l'édification d'une barrière censée mettre un
terme à une immigration africaine en plein essor.
Ces deux événements s'inscrivent dans une tendance,
née dans le sillage du 11 septembre, qui voit les pays les plus
prospères se barricader contre les arrivées
d'étrangers. Qu'il s'agisse de réfugiés ou de
migrants "économiques", venus chercher la richesse là
où elle se trouve. Le symbole le plus spectaculaire de ce grand
mouvement protectionniste reste le mur bardé de hautes
technologies érigé par les Etats-Unis à leur
frontière avec le Mexique, sous l'ère Bush.
Référence américaine
En annonçant le lancement de son grand chantier, Christos
Papoutsis, ministre grec de la Protection du citoyen, s'est d'ailleurs
explicitement référé à la barrière
américaine. En 2010, plus de 30 000 immigrés
irréguliers ont été interceptés sur les
rives de l'Evros, en Thrace. La Grèce estime que 128 000
personnes aurait pénétré en Europe par son
territoire en 2010.
Elles sont venues s'ajouter aux quelque 300 000 sans-papiers
déjà présents dans le pays, selon l'estimation
minimale (certains parlent de 2 millions). Dans certains quartiers
d'Athènes, des comités de quartier appuyés par des
groupuscules ultranationalistes s'affrontent
régulièrement à des groupes de migrants soutenus
par des militants d'extrême gauche. Pour Christos Papoutsis, la
situation est devenue critique. Au point qu'il a fallu se
résoudre à envisager la construction d'une
barrière à la frontière d'un pays candidat
à l'Union européenne.
Le problème israélien
En Israël, ce sont 35 000 migrants africains qui ont franchi
la frontière avec l'Egypte au cours des quatre dernières
années. D'après les associations de défense des
droits de l'homme, la plupart sont des réfugiés fuyant la
guerre civile au Soudan et le régime dictatorial
d'Erythrée. Pour des raisons historiques évidentes, les
Israéliens sont partagés entre la compassion envers ces
victimes de persécutions et la peur d'une invasion. Benyamin
Netanyahou a choisi, non sans arrière-pensées
électorales, de présenter l'affaire sous l'angle de la
menace: "Cette vague grossit et menace l'emploi des Israéliens.
Elle change le visage de l'Etat d'Israël et nous devons
l'arrêter."
En plus de la barrière, le premier ministre a
annoncé l'installation dans la Néguev d'un camp de
réfugiés pouvant accueillir 10 000 personnes. Anticipant
sans doute les parallèles douteux que ne manquera pas d'inspirer
cette décision, le gouvernement israélien a pris soin de
préciser que dans ce camp, les migrants seraient nourris,
logés, en échange de quoi ils auraient interdiction de
travailler.
Des politiques parallèles
L'autre point commun entre ces deux événements,
c'est qu'on peut y voir une conséquence des politiques
menées depuis dix ans par certains pays membres de l'Union
européenne pour juguler les flux migratoires. Confrontées
aux débarquements réguliers de migrants, l'Espagne et
l'Italie ont renforcé la surveillance de leur littoral, en
recourant pour cela à des moyens quasi militaires et en nouant
des accords de coopération avec les pays de départ, sans
être regardants sur leur respect des droits de l'homme.
Les côtes andalouses, les Canaries et Lampedusa ont ainsi
été rendues à la délectation des touristes.
Mais en obstruant progressivement les portes d'entrée vers
l'Europe, les gouvernements concernés n'ont pas mis fin à
l'immigration: ils n'ont fait qu'en déplacer les routes. Avec
pour conséquence de prolonger l'errance de plusieurs milliers de
migrants qui parcourent l'Afrique en quête d'une rampe de
lancement vers l'Europe.
Immense "jeu de taquin"
La lutte contre l'immigration irrégulière a fini
par ressembler à un gigantesque jeu de taquin à
l'échelle du bassin méditerranéen.
Désormais, c'est en Israël et en Grèce que la partie
se joue. En novembre dernier, 80 Erythréens furent pris en otage
par des trafiquants à la frontière
israélo-égyptienne. Ils étaient partis de Tripoli
pour rallier l'Etat hébreu. Pour les spécialistes des
mouvements migratoires, cette information prouve une chose: que
l'obstruction de la voie de passage entre la Libye et l'Italie à
partir de mai 2009, résultat de l'accord controversé
entre Rome et le régime de Kadhafi a poussé un certain
nombre de réfugiés à se rabattre vers Israël.
En Grèce, la plupart des migrants viennent du Pakistan,
d'Afghanistan, d'Irak ou d'Iran. Pour ces filières, le report
s'est fait à l'échelle locale, entre les îles de la
mer Egée et la frontière terrestre avec la Turquie,
où le trafic a explosé en 2010. A tel point que Frontex,
l'agence européenne de surveillance des frontières, y a
dépêché récemment un contingent de 175
hommes pour épauler la police grecque.
Passer par la Bulgarie?
Sur place, les experts européens ont mesuré une
forte proportion de Maghrébins parmi les migrants
interceptés. Ils l'expliquent par l'ouverture de vols low cost
entre leur pays et la Turquie. Les "harragas" ne peuvent plus traverser
la Méditerranée en bateau, ils prennent donc des chemins
de traverse.
Rien ne porte à croire que le nombre de migrants diminuera
à l'avenir. La partie de taquin devrait donc se poursuivre. On
parle déjà d'un détournement des flux vers la
Bulgarie, en attendant la Roumanie. Un facteur qui explique
peut-être, à la marge, la décision récente
de retarder l'accession de ces deux pays à l'espace Schengen.
En théorie, ce jeu ne prendra fin que lorsque l'ensemble
du pourtour européen aura été bouclé. Mais
combien de milliards d'euros faudra-t-il à la très
lucrative industrie de la sécurité pour se donner
l'illusion d'y parvenir? Et enfin, que vont devenir les
réfugiés? Autant de questions qui, en toute logique,
devraient faire l'objet d'un débat européen en 2011. Rue89
--
Rien ne porte à croire que le nombre de migrants diminuera
à l'avenir...
La Turquie en ligne de mire
La volonté de la Turquie de prendre part
sérieusement au contrôle des frontières a toujours
été sujette à caution. Le pays y est pourtant tenu
par ses engagements européens. Mais certains l'accusent à
demi-mots de laisser filer ces milliers d'étrangers qui,
après tout, ne font que traverser son territoire. Lors d'une
visite en Grèce l'été dernier, Jacques Barrot,
alors en charge du portefeuille des Affaires intérieures
à la Commission, est allé jusqu'à évoquer
des "complicités" entre passeurs et autorités locales.
Ekrem Gülen, responsable de la police d'Edirne, refuse ces
procès d'intention. Et l'officier turc de présenter un
graphique: en 2007, plus de 18 000 personnes ont été
interceptées avant d'avoir atteint la Grèce. Mais pour
les huit premiers mois de 2010, la courbe atteint péniblement
les 5600 unités... EL
--
La Grèce rejette les reproches de l'UE
Face aux critiques, le ministre grec en charge de l'Immigration
s'en est pris récemment à "l'hypocrisie" de certains
Etats européens hostiles à son projet d'ériger une
clôture à sa frontière turque pour empêcher
l'immigration clandestine. "Dénoncer la Grèce pour
défaut de sécurisation de sa frontière selon les
règles Schengen, et en même temps nous critiquer parce
qu'on tente de renforcer la surveillance à nos
frontières, c'est de l'hypocrisie", a déclaré
Christos Papoutsis. Il a rappelé que la Grèce
réclamait la révision des règles
européennes concernant les migrations, baptisées Dublin
II, qui limitent les procédures d'asile au pays d'entrée.
Athènes veut ériger une clôture sur un
tronçon de sa frontière avec la Turquie long de 12,5 km.
Le projet qui suscite des critiques en Grèce et des
réserves en Europe, prévoit également des
caméras thermiques et des patrouilles renforcées. Le
gouvernement envisage de restaurer d'anciennes bases militaires pour
créer des centres de rétention temporaires pour migrants.
Athènes souhaite que l'Europe partage une part du fardeau: "Nous
sommes le seul point d'entrée", a indiqué la
vice-ministre du Travail Anna Dalara. "Ces malheureux doivent
être répartis." La réglementation européenne
en matière d'immigration, connue sous le nom de Dublin II,
restreint les possibilités de demande d'asile dans le seul
premier pays d'arrivée.
Depuis des années, les organisations de droits de l'homme
critiquent le traitement inapproprié réservé aux
populations fuyant des conflits en Afrique, au Proche-Orient et dans le
sous-continent indien. Les candidats à l'immigration et
demandeurs d'asile s'entassent dans des centres de détention ou
des cellules de police surpeuplés et en mauvais état. La
plupart sont libérés avec un ordre de quitter le
territoire. Certains tentent alors de passer illégalement dans
d'autres pays mais une majorité finit à la rue, sans
ressource et proie facile pour les groupes criminels. AFP
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BOMBEN-STIMMUNG
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Indymedia 17.1.11
Im Bezug auf eine Verhaftung in Griechenland ::
AutorIn : AutorIn
Offener Brief von Philip und Pepe Mayer über die
Speichelleckereien und Veröffentlichungen einiger Papageien des
Staates über unsere Schwester.
Es wird ein grosses Spiel auf dem Rücken unserer Schwester und
unserer Familie gespielt. Mit der Verhandlung der Angeklagten wegen
Beteiligung an der Organisation "Verschwörung der Feuerzellen",
die bald stattfindet, und der Explosion am
Verwaltungsgerichtsgebäude, die im Bezug auf Verhaftungen
unbeantwortet bleibt, wurde vom Staat der Versuch erwartet einen
"grossen Fisch" zu fangen. Und wenn er das nicht schafft, bastelt er
sich eben einen, damit er verlorenes Prestige wiedererlangt und seine
Stärke unter Beweis stellen kann.
Daher sahen bestimmte Journalisten, Agenten der Autorität, die
Möglichkeit basierend auf der zufälligen Übereinstimmung
der Namen unserer Mutter und eines mutmasslichen Mitglieds der RAF,
Barbara Meyer, eine filmreife Geschichte mit mutmasslichen Verbindungen
von internationalen und inländischen Gruppen zu erfinden. Sie
erreichten einen derartigen Punkt der Lächerlichkeit, dass sie
Namen von gesuchten Mitgliedern der RAF der 80er
wiederveröffentlichten und andere pikante Geschichten servierten,
um die terrorisierte Öffentlichkeit zufriedenzustellen. Dazu wurde
unsere Mutter als gesuchte und verschwundene Terroristin dargestellt,
während sie im Moment in Wirklichkeit zusammen mit uns, ihrer
Familie, in Griechenland lebt. Unserem Vater Wolfgang wurde durch ihre
Hände ein schlimmeres Schicksal zuteil: Sie änderten nicht
nur seinen Namen, nein, sie erklärten auch, dass er vor Jahren bei
einer Schiesserei mit Bullen in Österreich getötet worden
sei! Sehr schockierend für einen Musiktherapeuten, der gesund und
munter in Deutschland lebt und arbeitet…
Weil sie anscheinend ein Glas mit jemandem der 4 kürzlich wegen
angeblicher Brandanschläge in Thessaloniki Festgenommenen
getrunken hatte, wurde unsere Schwester durch diese Mythen und aufgrund
ihres ‘terroristischen' Stammbaums zum Mitglied einer kriminellen
Organisation geweiht und dazu aufgefordert zu bezeugen.
Unsere Schwester ist wie wir keine Terroristin, sondern eine
Anarchistin - eine sehr schwerwiegende Entscheidung in einer Welt von
Herrschenden. Wir fordern, dass dieses schäbige Spiel, das auf dem
Rücken unserer Schwester und unserer Familie gespielt wird, sofort
beendet wird und wir warnen all jene, die daran Teil haben, dass wir
ihnen dereinst gegenüberstehen werden. Und lasst uns eines nicht
vergessen:
Die Staaten sind die einzigen Terroristen.
---
sf.tv 17.1.11
Brandanschlag gegen Bundesstrafgericht Bellinzona
Am Eingang des Bundesstrafgerichts in Bellinzona (TI) ist in der
Nacht ein Brand gelegt worden. Auf eine Wand wurde in Italienisch der
Slogan "Brennt die Gerichte nieder - Nieder mit dem Staat" gesprayt.
sda/fasc
Tatverdächtige wurden bisher nicht gefunden. Verletzt wurde
niemand. Der Brand war gegen 2 Uhr ausgebrochen, wie die Polizei
mitteilte. Betroffen war ein Gebäude, in dem sich Büros des
Bundesstrafgerichts und der Swisscom befinden. Zwei Frauen, die dort
arbeiteten, konnten das Gebäude unverletzt verlassen.
Erinnerungen an Camenisch
Die Feuerwehr löschte den Brand rasch. In Mitleidenschaft
gezogen wurden der Haupteingang des Gebäudes und dessen Umgebung.
Am Brandort wurden nach Angaben der Polizei Spraydosen gefunden. Auf
eine Wand war in Italienisch der Slogan "Brennt die Gerichte nieder -
Nieder mit dem Staat" gesprayt worden. "Unterzeichnet" war die
Botschaft mit dem von Anarchisten verwendeten eingekreisten "A", wie
die Polizei mitteilte.
Die polizeilichen Ermittlungen konzentrieren sich denn auch auf
diese Kreise. Das so genannte Anarchisten-A wurde im Tessin in der
Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit Parolen zugunsten des
Bündners Marco Camenisch verwendet.
Verdächtiger Koffer in Lugano gesprengt
Der so genannte "Öko-Terrorist" hatte vor allem in den
80er-Jahren von sich reden gemacht. In Italien war er wegen
Sprengstoffanschlägen gegen Strommasten zu 12 Jahren Zuchthaus
verurteilt worden. Nach seiner Auslieferung an die Schweiz wurde ihm
2007 in Zürich der Prozess gemacht, weil er im Dezember 1989 einen
Grenzwächter erschossen haben soll. Er wurde zu acht Jahren
Gefängnis verurteilt. Der heute 58-Jährige verbüsst die
Strafe im Kanton Zürich.
Im Zentrum Luganos sorgte am Vormittag beim italienischen
Konsulat ausserdem ein herrenloser Koffer für Aufregung. Die
Umgebung wurde abgesperrt und der Koffer gesprengt. Er war leer.
---
Newsnetz 17.1.11
Brandanschlag auf Bundesstrafgericht
sda / miw
Unbekannte haben in der Nacht auf heute vor dem
Bundesstrafgericht in Bellinzona ein Feuer gelegt. Hinter der Tat
stecken vermutlich Anarchisten.
Am Eingang eines Gebäudes des Bundesstrafgerichts in
Bellinzona ist in der Nacht ein Brand gelegt worden. Laut der Tessiner
Kantonspolizei war das Feuer rasch unter Kontrolle. Tatverdächtige
wurden bisher nicht gefunden. Verletzt wurde niemand.
Am Brandort wurden nach Angaben der Polizei Spraydosen gefunden.
Auf die Wand war auf Italienisch die Nachricht "Feuer den Gerichten -
Schlagen wir den Staat nieder" gesprayt. Unterzeichnet war sie mit dem
eingekreisten "A" der Anarchisten, wie die Polizei auf Anfrage der
Nachrichtenagentur SDA mitteilte.
Zwei Frauen evakuiert
Der Brand war in der Nacht gegen 2 Uhr ausgebrochen, wie die
Polizei mitteilte. Betroffen war ein Gebäude, in dem sich
Büros des Bundesstrafgerichts befinden. Zwei Frauen, die in dem
Gebäude arbeiteten, konnten dieses unverletzt verlassen.
Die Feuerwehr löschte den Brand rasch. In Mitleidenschaft
gezogen wurden der Haupteingang des Gebäudes und dessen Umgebung.
In dem Haus befinden sich die Regionaldirektion der Swisscom und
Büros des Bundesstrafgerichts.
---
Zentralschweiz am Sonntag 16.1.11
Nachrichtendienst schaltet sich ein
Jürg Auf der Maur
In den vergangenen Tagen gab es in der Schweiz gleich mehrere
Bombendrohungen. Nun hat sich auch der Bund in die Ermittlungen
eingeschaltet.
Jürg Auf der Maur
juerg.aufdermaur@zentralschweizamsonntag.ch
"Wir nehmen die Bombenalarme sehr ernst, denn die Gefährdung
könnte gewaltig sein." Das sagt Verteidigungsminister Ueli Maurer
am Rand der SVP-Versammlung gestern in Emmen gegenüber der
"Zentralschweiz am Sonntag". Grundsätzlich sind für die
Aufklärung der Fehlalarme der vergangenen Tage in Genf, Solothurn,
Wallis und Zürich die jeweiligen Kantonspolizeikorps
zuständig - allenfalls verstärkt durch die Bundespolizei.
Verteidigungsminister Ueli Maurer macht aber klar, dass nicht nur
diese Organisationen derzeit an der Arbeit sind, um Licht ins Dunkel zu
bringen. Auch der ihm unterstellte Nachrichtendienst sei eingeschaltet
worden. In welche Richtungen die Abklärungen laufen, wollte und
konnte Maurer gestern allerdings nicht weiter kommentieren. Maurer
sagte nur so viel: "Es geht darum, abzuklären, was die Motive
hinter den Fehlalarmen waren und wo allenfalls weitere Alarme
ausgelöst werden könnten." Im Moment sei die ganze
Angelegenheit aber höchst vertraulich.
Polizei tappt im Dunkeln
Offenbar gestalten sich die Abklärungen weit komplizierter
als erhofft. So einfach wie beim Anschlag auf die Schweizer Botschaft
in Rom kurz vor Weihnachten, als sich unmittelbar nach der Explosion
einer Paketbombe eine Anarchistengruppe verantwortlich bekannte, ist es
bei den Fehlalarmen dieser Woche nicht. Im Moment könne nichts zur
Täterschaft gesagt werden, auch nicht, ob Verbindungen zum
Attentat in Rom bestehen. "Wenn wir das könnten, wären wir
mit unseren Abklärungen schon viel weiter", betont Ueli Maurer.
Hintergrund von Maurers Sorgen sind zahlreiche Bombendrohungen, die
diese Woche in der Schweiz eingegangen sind. Bei allen stellte sich
heraus, dass es Fehlalarme waren. Die letzten beiden Bombendrohungen
gingen am Freitag in Zürich ein. Am Hauptbahnhof musste ein
Zwischengeschoss abgeriegelt werden. Der Bahnverkehr wurde jedoch nicht
behindert. Auch im Ringier-Verlagshaus im Zürcher Seefeld war eine
Bombendrohung eingegangen. Das Gebäude wurde vorübergehend
evakuiert.
Betroffen war auch die Fluggesellschaft Swiss. Am 6. Januar
konnte wegen einer anonymen Drohung ein Airbus A321 der Swiss in
Istanbul nicht planmässig starten. Türkische Bombenexperten
fanden in der Maschine jedoch nichts. Zum Zeitpunkt des Bombenalarms
befanden sich keine Passagiere an Bord der Maschine.
Angst wegen WEF
Die Nervosität bei den Verantwortlichen vom Bund ist nicht
zuletzt deshalb so gross, weil in Davos Ende Januar das
Weltwirtschaftsforum (WEF) mit zahlreichen Spitzenkräften aus
Politik, Wirtschaft und Armee beginnt. Die Bündner Kantonspolizei
sieht Paketbomben als eine mögliche Gefahr für das WEF, wie
der Bündner Kommandant Beat Eberle gestern in einem Interview mit
der "Südostschweiz" ausführte.
Es sei auffallend, so Beat Eberle, dass erstmals seit langer Zeit
zwei Schweizer Botschaften in Athen und Rom mit Paketbomben angegriffen
worden seien. Es gebe also Gruppen, welche die Schweiz als Zielscheibe
verwenden. Es gelte zu verhindern, dass jemand auf die Idee komme, in
Davos zu attackieren. "Wir hoffen das Beste, bereiten uns aber auf das
Schlimmste vor", erklärte Eberle. "Völkerrechtlich
höchst brisante Personen werden in Graubünden sein, es darf
auf gar keinen Fall etwas schiefgehen."
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sf.tv 16.1.11
Polizei in Athen vereitelt Terroranschläge
dpa/weis
Die griechische Polizei hat nach eigenen Angaben eine Reihe
vermutlich unmittelbar bevorstehender Terroranschläge vereitelt.
Ermittler entdeckten bei vier bereits am Donnerstag festgenommenen
mutmasslichen Terroristen nun Waffen. Sie fanden zudem einen Laptop,
auf dem sich ein vorab formuliertes Bekennerschreiber befand.
Ausserdem seien Listen sichergestellt worden, die Namen von
Richtern, Skizzen verschiedener Athener Stadtteile und Orte mit
Polizeistationen enthielten, teilte die Polizei in Athen mit.
Prozess in Hochsicherheitsgefängnis
Die Polizei geht davon aus, dass die Tatverdächtigen noch
vor dem Prozess gegen Angehörige der "Verschwörung der
Feuerzellen" einen oder mehrere spektakuläre Anschläge
verüben wollten. 13 mutmassliche Mitglieder der
Untergrundorganisation müssen sich von Montag an in einem
Hochsicherheitsgefängnis in der Nähe von Athen vor Gericht
verantworten.
Die Gruppe hatte in den vergangenen zwei Jahren mehrere
Bombenanschläge verübt. Mitglieder stehen auch in dem
Verdacht, eine Reihe von Briefbomben an europäische Politiker
geschickt zu haben. Eine dieser Bomben landete auch im Kanzleramt.
Weitere Prozesse gegen andere Mitglieder der Organisation sollen in den
kommenden Monaten beginnen.
Radikale linksgerichtete oder anarchistische Gruppen
Nach der Verhaftung der vier Tatverdächtigen am Donnerstag
hatten Beamte der griechischen Antiterroreinheit am Freitag auch eine
27-jährige Deutsche im Athener Stadtteil Perissos festgenommen.
Sie soll Verbindungen den vier mutmasslichen Terroristen gehabt haben.
Der Rechtsanwalt der Deutschen sagte dem griechischen
Nachrichtenportal "in.gr", seine Mandantin gehöre zwar der
anarchistischen Szene an, sie habe aber nichts mit Terrorismus zu tun.
Radikale linksgerichtete oder anarchistische Gruppen verüben
des Öfteren Anschläge in Athen und anderen griechischen
Städten.
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ARMEE GEGEN INNEN
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NLZ 15.1.11
Gefahren und Hoffnungsschimmer
Zug
Martin Mühlebach
Ist die Sicherheit unseres Landes gewährleistet?
Korpskommandant André Blattmann, Chef der Armee, spricht
Klartext.
Rund 200 Offiziere und eine stattliche Anzahl politischer
Würdenträger nahmen am Donnerstagabend im Casino Zug an der
GV der Offiziersgesellschaft des Kantons Zug (OGZ) teil. Ihr
Präsident, Major Daniel Gruber, wickelte die Traktanden - die alle
einstimmig angenommen wurden - speditiv ab. Die Jahresrechnung 2010
weist einen Gewinn von 322 Franken auf; für 2011 wird ein Verlust
von 1800 Franken budgetiert. Hauptmann Philippe Egli tritt aus dem
Vorstand der OGZ aus, der ansonsten in unveränderter Besetzung mit
grossem Applaus für eine weitere Amtsperiode bestätigt wurde.
Der Zuger Landammann, Regierungsrat Matthias Michel, nahm zum
Armeebericht 2010 Stellung und betonte: "Die Kantone sind der Meinung,
dass wir eine Armee brauchen, die ihre Aufträge im Sinne der
Bevölkerung erfüllt." Sicherheit könne aber nicht
einfach über Finanzen und Armeebestände definiert werden. Es
gelte, eine ausgewogene Bedrohungsanalyse zu erstellen.
Nationale Versicherungsprämie
Korpskommandant André Blattmann, Chef der Armee, nahm dazu
Stellung unter dem Titel "Armee auf dem Weg der Ehrlichkeit". Der Wert
der Sicherheit werde heute leider kaum mehr thematisiert, obwohl er
eine ungestörte Entwicklung von Gesellschaft, Staat und Wirtschaft
ermögliche. Die Sicherheit in unserem Land sei eine der Grundlagen
der Erfolgsstory Schweiz; die Armee sei gewissermassen deren
Versicherung, und die Ausgaben der Armee seien sozusagen die nationale
Versicherungsprämie.
Als aktuelle Bedrohungen und Gefahren für unser Land
bezeichnete Blattmann "negative wirtschaftliche Entwicklungen, neu
gebildete anarchistische Gruppierungen, die Perspektivlosigkeit der
Jugend, die Auswanderung gut ausgebildeter Arbeitskräfte und die
langfristigen Auswirkungen der Finanzkrise." Weitere Gefahrenherde
seien der weltweite Terrorismus, die möglichen
Flüchtlingsströme, der Kampf um Ressourcen, die zunehmenden
Umweltkatastrophen, die Überbevölkerung der Erde und die
Cyber Warfare, deren Gefahren uns erst langsam bewusst würden.
Schützen, helfen, kämpfen sei von der Armee zu
gewährleisten.
Silberstreifen am Horizont
Der Armeebericht 2010 gebe präzis und quantitativ
darüber Aufschluss, was die Armee mit welchen Mitteln und in
welcher Zeit zu leisten im Stande sein müsse. "Aber", so
Blattmann, "mit einem Ausgabenplafond von 4,4 Milliarden Franken und 80
000 AdA Sollbestand ist dieses Leistungsprofil nicht zu haben. ‹S
Weggli und s Foifi› gibt es auch bei der Armee nicht." Es nütze
nichts, über zu wenig Geld zu jammern, aber die Tatsachen
dürften nicht ignoriert werden. "Weitere Einsparungen werden
einschneidende Wirkungen auf das Leistungsprofil der Armee haben und
nicht ohne bedeutende wirtschaftliche Konsequenzen bleiben", warnt
André Blattmann. Der Auftrag des Bundesrates bleibe bestehen,
derweil der Tatbeweis für unsere Sicherheit seitens des Parlaments
noch ausstehe. Aber es würden sich Silberstreifen am Horizont
abzeichnen, und dafür sei er dankbar. Das Milizprinzip und die
Wehrpflicht stünden jedenfalls nicht zur Debatte.
Blattmann dankte der OGZ für ihre Unterstützung und ihr
Engagement zugunsten der Armee und sagte: "Wer sich für unsere
Armee einsetzt, setzt sich für unser Land ein." Die
irreführende Waffeninitiative sei abzulehnen. Der lang anhaltende
Applaus bestätigte, dass Blattmanns Ausführungen bei der
Versammlung auf uneingeschränkte Zustimmung stiessen.
Martin Mühlebach
redaktion@zugerzeitung.ch
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ANTI-WEF
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Blick am Abend 17.1.11
Geheimtreffen in Vevey
ELITE
Heute treffen sich die Mächtigsten des Landes. Aber niemand
weiss, was sie besprechen.
Geheimes Gemauschel der Mächtigen unter Ausschluss der
Öffentlichkeit. Oder: Lockerer Austausch der
Entscheidungsträger über die Zukunft der Schweiz - so oder so
kann man das Treffen sehen, dass heute Abend unter dem Namen Rive-Reine
zum wiederholten Mal stattfindet. Teilnehmen sollen Leader der
Schweizer Top-Unternehmen (Banken, Versicherungen, Industrie),
Vertreter der Verbände, die wichtigsten Politiker sowie
Bundesräte.
Wer aber heute ab 16 Uhr in Vevey, dem Hauptsitz von
Nestlé, tatsächlich eintrifft, ist Geheimsache. Keine
Auskunft über den Terminkalender der Bundesräte, ist zum
Beispiel die Antwort aus Bern. "Es ist ein sehr wichtiges Treffen. Ein
Teilnehmer erklärte mir, es sei wie ein Wef nur für die
Schweiz", sagt Viktor Parma, Autor des Buches "Machtgier", in dem er
sich mit Rive-Reine auseinandersetzt. Parma stört, dass das
Treffen intransparent ist und nicht einmal kommuniziert wird, wer
teilnehme. "Nestlé als Gastgeber sagt: Gegen aus sen sagen wir
nichts."
Aber hat das Rive-Reine Einfluss auf die Schweizer Politik? 2003,
so weiss Parma, sind am Rive-Reine Weichen gestellt worden für die
Schweizer Politik gegenüber der EU (Bilaterale). "Das passiert
nicht über formelle Entscheide, sondern man hört
Vorträge und trifft sich zum Nachtessen", sagt Parma. "Da sitzen
dann heute vielleicht Eveline Widmer-Schlumpf und Oswald Grübel
zusammen und sprechen über den starken Franken."
Man kann das Meinungsaustausch oder Gemauschel nennen. mip
---
Tagesanzeiger 17.1.11
Das geheime Klassentreffen
An der Rive-Reine-Konferenz treffen sich heute die Topmanager mit
den Spitzen der Politik.
Von Constantin Seibt
Heute Montag, gegen 14 Uhr, verlassen die drei Dutzend
wichtigsten Schweizer Topmanager ihre Konzernzentralen. Sie steigen in
eine Limousine oder einen Helikopter und begeben sich auf eine Reise,
die so regelmässig stattfindet wie die Wanderung der Lachse.
Ihr gemeinsames Ziel ist der Genfersee. Dort beginnt, Punkt 16.30
Uhr, im sechsten Stock der Nestlé-Zentrale in Vevey das
exklusivste Treffen der Schweiz: die Rive-Reine-Konferenz. Neben den
handverlesenen Konzernchefs kommen zwei Bundesräte, zwei Priester
(als Stammgast Abt Martin Werlen) und die Spitzen der
Bundesratsparteien. Viel mehr weiss man nicht: Teilnehmerliste und
Traktanden gelten als geheim.
Spass muss nicht sein
Die Einladung gilt selbst für gestandene Industrielle als
Ehre. "Es ist der Beweis, dass man dazugehört. Und dass man bei
den Grossbanken in Gnade steht", sagt ein Topberater, der drei
Konzernchefs bei der Vorbereitung beriet. "Leute wie der verstorbene
Hayek wurden nie eingeladen - er galt als zu rebellisch." So sei auch
nicht der Gastgeber, Nestlé-Chef Peter Brabeck, für die
Teilnehmerliste zuständig, sondern der Ex-Bundesrat,
Ex-Nestlé-Verwaltungsrat und jetzige UBS-Präsident Kaspar
Villiger.
Dabei sei die Einladung keine nur erfreuliche Sache: "Es ist ein
Klassentreffen, sicher. Aber bei meinen Klienten habe ich nicht den
geringsten Spassfaktor festgestellt. Es dominiert der Stress, einen
guten Eindruck zu hinterlassen." Das Problem sei, sich nicht zu
blamieren. Man müsse zum Tagungsthema "mindestens eine kluge
Bemerkung" machen und dann abends an der Bar bei den "lockeren
Gesprächen" punkten.
Und so studieren die Konzernchefs auf dem Rücksitz von
Limousine oder Helikopter sorgfältig erarbeitete Dossiers. Darin
stehen die klugen Bemerkungen zum offiziellen Thema. Und eine Liste der
Dinge, die man in der Bar von den anderen Topshots geschäftlich
erreichen will. Im letzten Jahr interessierte vor allem die Abwehr von
Abzockerinitiative und Boni-Steuern. Ein Jahr zuvor, mitten in der
Finanzkrise, hiess das offizielle Thema harmlos "Identität der
Schweiz". Doch die Sensation des Nachmittags war ein Angriff von
Nationalbankpräsident Philipp Hildebrand auf UBS-Chef Marcel
Ospel. Hildebrand nannte erstmals eine tödliche Zahl: dass die UBS
mit nur 1,5 Prozent Eigenkapital spekuliert hatte. Ospel wehrte sich
bleich, müde, aufgedunsen und erschien nicht mehr zum Abendessen.
Kurz darauf trat er zurück.
"Stalinistische Geheimhaltung"
Dieses Jahr studieren die anreisenden Chefs Dossiers zum Thema
"Demografie": Statistiken zu Migration und Alterung. Als Experte ist
der Hamburger Professor Rainer Münz eingeladen. Moderator ist wie
immer Gerhard Schwarz, früher Wirtschaftschef der NZZ, heute Chef
von Avenir Suisse. Das Thema ist politisch brisant. Da die
Grosskonzerne an tiefen Steuern und günstigen Arbeitskräften
interessiert sind, sind ihre Ziele klar: Minimierung der Sozialwerke
und Maximierung der Einwanderung. Das sorgt links wie rechts für
Ärger.
Wie viel Macht hat die Rive-Reine-Konferenz in Sachen Politik?
Beteiligte sprechen von "lockerem Gedankenaustausch ohne direkte
Folgen". Überprüfbar ist das nicht. Denn es gibt kein
Protokoll, keine Presse, dafür "eine fast stalinistische
Geheimhaltung" (so der Berater). Die Rive-Reine-Konferenz gibt es seit
1975. Bis 2007 erschien in der Presse nicht eine Zeile darüber.
Erst im letzten Jahr protestierte das Anti-WEF-Forum Public Eye gegen
den "intransparenten Filz". Ihr Sprecher Oliver Classen sagt heute:
"Rive-Reine ist das nationale WEF: ein Zeichen der Dominanz der
Wirtschaft über die Politik. Auf Geheiss von Nestlé kommen
selbst Bundesräte. Und legen weder Volk, Parlament noch Medien
Rechenschaft ab."
Die wenigen eingeladenen Politiker sehen das anders.
CVP-Präsident Christophe Darbellay etwa sagt: "Die Chefs von
Konzernen und Parteien an einem Tisch: Das ist sehr schweizerisch! Kein
Land hat so direkte Beziehungen zwischen Politik und Wirtschaft." Die
Geheimhaltung sei dabei kein Problem, sagt SVP-Fraktionschef Caspar
Baader: "Man muss nicht alles breitschlagen. Mit der Frau diskutiert
man auch nicht in der Öffentlichkeit."
Zögernde Kritik äusserte nur die Fraktionschefin der
SP, Ursula Wyss: Die Geheimhaltung halte sie für etwas
"Undemokratisches und Anrüchiges". Ob jemand von der SP an der
Konferenz erscheine, sei noch unklar.
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Südostschweiz 15.1.11
"Bereiten uns auf das Schlimmste vor"
Die Bündner Kantonspolizei befürchtet Angriffe mit
Paketbomben aufs WEF. Das sagt der neue Polizeikommandant Beat Eberle.
Chur. - Die Sicherheitsverantwortlichen des Davoser WEF rechnen
damit, dass in Davos Paketbomben eingesetzt werden könnten. Wie
der neue Bündner Polizeikommandant Beat Eberle im Interview mit
der "Südostschweiz" sagt, ist es auffallend, dass erstmals seit
langer Zeit zwei Schweizer Botschaften in Athen und Rom angegriffen
wurden.
Befürchtet wird offenbar auch ein möglicher Angriff auf
ausländische Staatschefs. In deren Heimatländern seien solche
Angriffe wegen der dortigen rigiden Sicherheitsvorkehrungen kaum
möglich, so Eberle. Es gelte darum zu verhindern, dass jemand auf
die Idee komme, stattdessen in Davos anzugreifen. "Wir hoffen zwar das
Beste, bereiten uns aber auf das Schlimmste vor." Seite 5
--
"Das WEF macht mich nicht nervös"
Beat Eberle, der neue Bündner Polizeikommandant, sieht
Paketbomben als eine mögliche Gefahr für das WEF in Davos,
das in zehn Tagen beginnt. Man hoffe zwar auf das Beste, bereite sich
aber auf den schlimmsten Fall vor.
Mit Beat Eberle sprach Reto Furter
Herr Eberle, Sie sind seit gut zwei Wochen Bündner
Polizeikommandant. Wie geht es Ihnen?
Beat Eberle: Mir geht es immer noch gut, danke. Ich habe ja auch
keinen Scherbenhaufen übernommen, sondern eine sehr gut
organisierte Polizei, die mit beiden Beinen in der Erledigung und
Umsetzung der vielen Aufträge steht. Dazu gehört
natürlich der grosse Sicherheitsauftrag beim WEF.
Kaum im Amt, steht bei Ihnen schon das WEF vor der Tür. Eine
ruhige Einarbeitungszeit haben Sie jedenfalls nicht in Graubünden.
Es gibt heute vermutlich keine Führungspositionen mehr, wo
man sich in aller Ruhe einarbeiten kann. In der Privatwirtschaft ist
das auch nicht anders.
Sind Sie nervös wegen des Grossmanövers in Davos?
Nein. Überhaupt nicht.
So etwas haben Sie vermutlich noch nie geleitet, wie die meisten
Polizeikommandanten in der Schweiz.
Sie haben recht: Einen solchen Polizeieinsatz mit vielen Leuten,
einem komplexen Dispositiv und einem anspruchsvollen Setting habe ich
noch nie geleitet. Völkerrechtlich betrachtet höchst brisante
Personen werden in Graubünden sein, es darf auf gar keinen Fall
etwas schief gehen.
Herr Gadaffi soll kommen.
Vielleicht. Ich habe auch schon anderes gehört, aber man
weiss es nicht. Was den Polizeieinsatz betrifft, wäre sein Besuch
sicherlich anspruchsvoll. Ich war aber Kommandant der
friedensfördernden Auslandeinsätze der Armee mit der
Gesamtverantwortung für bis zu 700 Leute in 17 Ländern, in
Krisengebieten, verteilt über 15 Zeitzonen, im Einsatz, in der
Ausbildung und im Aufbau. Das war auch nicht ohne, das war auch
komplex. Das WEF macht mich deshalb nicht nervös. Mein Stabschef
Marcel Suter ist zudem zum neunten Mal am WEF dabei, er hat alles im
Griff und ist sehr souverän.
Und wenn doch etwas schief geht?
Dann bin ich als Kommandant gefordert. Bei einem Ereignis, das
wir nicht planen können, bei Demonstrationen oder bei einem
Anschlag nimmt natürlich der Druck auf uns stark zu. Ich will
jetzt aber nicht den Teufel an die Wand malen.
Das wäre ein schlechtes Omen für Ihren Amtsbeginn.
Das wäre kein Omen, sondern eine Herausforderung. Es
wäre Pech, wenn ich zu Beginn einen solchen Challenge
bewältigen müsste - aber ich könnte ihn vielleicht ja
auch gut bewältigen. Dafür bin ich als Polizeikommandant
schliesslich bezahlt.
Wie viele Polizisten rund um das WEF im Einsatz stehen, werden
Sie vermutlich nicht verraten.
Das ist eine jener Informationen, mit denen man nicht hausieren
geht. Die Gegenseite ist aufmerksam und interessiert an allen
möglichen Informationen, um unsere Sicherheitsbemühungen
umgehen zu können. Diesen Gefallen wollen wir der Gegenseite
lieber nicht machen.
Diese Gegenseite scheint ziemlich fassbar zu sein, wenn Sie so
darüber reden.
Das interpretieren Sie so. Ich kann Ihnen sagen, wen wir zur
Gegenseite zählen. Aber wie die Gegenseite auftreten wird, wie
sehr sie sich mobilisiert, ob sie harmlos sein wird oder eben nicht,
das wissen wir nicht. Das können Leute sein, welche gegen die
Globalisierung antreten.
"Wir bereiten uns auf das Schlimmste vor"
Oder gegen die Polizei selbst.
Ja, ja, natürlich. Damit können wir umgehen, das
erwarten wir auch. Aber es kommen wohl etwa 100 völkerrechtlich
geschützte Personen nach Davos, die in ihren Heimatländern
wahrscheinlich fast nicht angreifbar sind. Oder versuchen Sie mal in
Russland einen Staatschef anzugreifen - das ist nicht so einfach, wenn
Sie die Sicherheitsvorkehrungen in Moskau berücksichtigen. Aber es
könnte natürlich jemand auf die Idee kommen, dass ein solcher
Staatschef in der Schweiz leichter angreifbar sei als in seinem
Heimatland. Solche Angriffe gilt es auch zu verhindern. Es gibt viele
mögliche Szenarien. Die Gegenseite ist keine homogene Gruppe. Wir
hoffen einfach das Beste und bereiten uns auf das Schlimmste vor.
Ihre Polizisten sind also einsatzbereit? Fit? Trainiert?
Ja. Trainiert und fit sind sie sowieso, jetzt müssen sie
sich einfach im Dispositiv noch zurechtfinden.
Nur auf den alljährlichen Röteli beim WEF werden die
Polizisten wohl erstmals verzichten müssen?
Eigentlich ist es eine Unverschämtheit, dass man einem
erwachsenen Mann nicht zugesteht, irgendwann im Lauf eines Tages einen
Röteli trinken zu dürfen. Eigentlich ist das für alle
lächerlich. Aber wenn die Medien derart Freude daran finden, alles
zu skandalisieren, nehmen sie halt auch Einfluss auf das Verhalten von
Erwachsenen. Wir wollen den Medien kein solches billiges Pulver
liefern, wir verzichten deshalb auf den Röteli.
Was, wenn in Davos doch jemand aufs neue Jahr anstösst und
sich einen Schluck genehmigt?
Dann werde ich mich als disziplinarischer Vorgesetzter mit diesem
Fall befassen.
Sie erwähnen das Gefahrenpotenzial für den russischen
Präsidenten, und dennoch: Ist der grosse Aufwand, den man zur
Absicherung des WEF in Davos betreibt, auch gerechtfertigt?
Ja. Man kann ja nicht unterscheiden, wen man schützen will
und wen nicht. Man kann nur den Anlass als Ganzes schützen.
Insofern ist es natürlich gerechtfertigt. Die Gegenseite sucht vor
allem die Medienpräsenz, jeder Erfolg gerät in die
Weltmedien. Das kann schnell geschehen, denn die Weltmedien berichten
darüber, wenn in Davos völkerrechtlich geschützte
Personen angegriffen würden. Möglicherweise passiert nichts,
aber man darf das nicht auf die leichte Schulter nehmen. Es wäre
grobfahrlässig zu meinen, Angriffe gebe es nur im Ausland.
Wie schätzen Sie denn die aktuelle Bedrohungslage in Davos
ein?
Etwa gleich wie in den Vorjahren. Ein Einzeltäter kann
dennoch immer eingreifen, das kann man nicht voraussehen. Also muss man
darauf vorbereitet sein.
Haben Sie konkrete Hinweise, dass etwas passieren könnte?
Auffallend ist, dass erstmals seit langer Zeit zwei Schweizer
Botschaften in Athen und Rom mit Paketbomben angegriffen wurden. Es
gibt also Gruppen, welche die Schweiz als Zielscheibe verwenden. So
etwas könnte in unserer Analyse also weiter vorne stehen als auch
schon. Dann beobachten wir natürlich eine grosse Zahl von
Internetseiten, um zu sehen, wer ein Interesse daran haben könnte,
das WEF auf welche Art zu stören. Wir haben schon eine Vorstellung
davon, worauf wir uns in diesem Jahr speziell vorbereiten müssen.
Nämlich?
Das will ich nicht preisgeben. Wenn die Gegenseite weiss, was wir
über sie wissen, hilft ihnen das. Das wollen wir nicht, also
lassen wir sie im Dunkeln.
Die Gefährdung ist vermutlich nicht im abgeriegelten Davos
am höchsten, sondern auf dem Weg dorthin, also zwischen dem
Flughafen Zürich und Davos.
Das ist möglich, ja. In Davos ist es unangenehm, einen
Angriff zu starten. Demonstranten in Davos haben schlechte Karten: Wenn
sie mit Wasserwerfern konfrontiert werden, haben sie keine
Möglichkeit, sich zu retablieren. Es ist im Januar zu kalt in
Davos. Demonstrationen finden deshalb oftmals an anderen Orten statt.
Gefährlich sind die Autobahnen.
Nicht nur. Der ganze Verschiebungsweg ist gefährlich, ob zu
Lande oder zu Luft. Wenn ein Einzeltäter angreifen will, kann man
das zwischen Zürich und Davos nie ganz verhindern, das ist
unmöglich. Einzelne können irgendeine Wirkung entfalten, das
ist so, und sei es nur, weil die Medien auf die Täter aufmerksam
werden.
Einzeltäter scheinen Ihnen mehr Probleme zu bereiten als
Gruppen.
Vielleicht, ja. Einzeltäter sind zwar nicht kontrollierbar,
aber Einzeltäter schaffen es auch nicht, uns grosse Probleme zu
bereiten, wirklich grosse. Dieses Risiko können wir tragen. Grosse
Probleme hingegen könnten uns Organisationen bereiten, aber mit
unserer Vorbereitung kann nicht viel passieren. Wir sind ziemlich
wasserdicht, behaupte ich. Mit dem Restrisiko müssen wir umgehen,
wie übrigens die Gäste am WEF auch.
In diesem Jahr sollen ja, wie man lesen konnte, auch jene
Limousinen mit einer Busse belegt werden, die mit laufendem Motor auf
den Davoser Trottoirs parken.
Das mag sein, ja. Das ist nicht mein Kerngebiet.
Man könnte diese Wagen auch abschleppen. Wenn ich dort
parke, würde mir das als einfachem Einwohner ja
möglicherweise passieren.
Wenn Sie dort illegal parken würden, kann ich mir das gut
vorstellen. Aber der Limousinenservice hat einen anderen Zweck.
Gelegentlich wird gesagt, die Polizei messe in solchen
Situationen mit verschiedenen Ellen. Die Mächtigen könnten
sowieso machen, was ihnen passt, heisst es dann.
Das ist halt typisch schweizerisch. Das WEF hat ja schliesslich
auch noch einen Zweck. Wenn man die WEF-Teilnehmer, die einen Zweck zu
erfüllen versuchen, nachhaltig verärgern will, kann man die
Limousinen abschleppen. Wir haben aber das Ziel und die Aufgabe, die
Sicherheit dieses Anlasses zu garantieren und wollen dies für alle
Seiten massvoll tun.
"Wir sind ziemlich wasserdicht"
Die Polizei geniesst nicht mehr jenen Respekt, den die
Bevölkerung einst hatte. Man kritisiert jeden ihrer Einsätze.
Wenn die Polizei eingreifen muss, gibt es in der Regel zwei
Seiten: ein Opfer und einen Täter. Das Opfer freut sich, dass es
uns gibt, der Täter natürlich nicht. Man kann eine gewisse
Emanzipation der Gesellschaft feststellen. Lehrer haben an Respekt
verloren, Geistliche, Behördenmitglieder, Militäroffiziere.
Die Gesellschaft ist selbstsicherer geworden, man traut sich mehr zu,
ist vielleicht auch besser gebildet.
Das erschwert Ihre Arbeit.
Nicht nur, nein. Unser Umgang mit der Bevölkerung ist viel
natürlicher geworden, wir sind heute näher bei der
Bevölkerung - und das ist natürlich nicht unerwünscht.
Ich will mich über den gesellschaftlichen Wandel nicht beklagen.
An Ihrem Amt, Herr Eberle, müssen Sie eigentlich zerbrechen.
Sie werden dauernd alles falsch machen.
Das ist so, das ist auch gar nicht aussergewöhnlich. Als
Polizeikommandant muss man so etwas bis zu einem gewissen Grad
abprallen lassen. Mir bereitet das keine schaflosen Nächte. Die
Schweizer Polizei handelt massvoll, wenn ich das international
vergleiche. Um die Polizei muss man sich hier keine grossen Sorgen
machen.
Beat Eberle ist am Sonntag von 10 bis 11 Uhr zu Gast in der
Gesprächssendung "Grischa Lüüt" bei Radio Grischa.
--
Beat Eberle ...
... ist seit zwei Wochen Kommandant der Bündner
Kantonspolizei. Er hat die Nachfolge von Markus Reinhardt
übernommen, der sich vor einem Jahr das Leben genommen hat. Der
50-jährige Eberle ist in Buchs (St. Gallen) aufgewachsen und hat
in Bern und St. Gallen Rechtswissenschaften studiert. Er war
Untersuchungsrichter des Kantons St. Gallen, später Chef der
Kriminalpolizei und interimistisch Kommandant der Kantonspolizei
Schwyz. Bis zu seiner Wahl als Bündner Polizeikommandant arbeitete
Eberle bei der Schweizer Armee, unter anderem als
Militärattaché in Schweden. Eberle wohnt "noch", wie er
sagt, in den Flumserbergen (St. Gallen). (rf)
--
Gegen WEF wird keine Gross-Demo erwartet
Das Gesuch für einen Protest gegen das World Economic Forum
(WEF) ist eingereicht. Der WEF-Ausschuss der Bündner Regierung
rechnet mit keiner grossen Demonstration.
Von Béla Zier
Davos. - Die Davoser Grüne Partei und die Bündner Juso
wollen am 29. Januar gegen das Jahrestreffen des World Economic Forums
protestieren. Wie die Davoser Gemeindebehörde bestätigte, ist
gestern ein entsprechendes Gesuch eingegangen. Die Demo soll von Davos
Platz über die Promenade - und damit vorbei am Kongresszentrum -
zum Bahnhof nach Davos Dorf führen.
Der Vorbeizug am Kongresszentrum wird aller Wahrscheinlicht nach
auch dieses Jahr nicht bewilligt werden. Ob die Route analog der
Vor-jahre erneut über die Talstrasse führen wird, steht noch
nicht fest (Ausgabe vom 7. Januar). Durch den Ausbau des
Kongresszentrums befindet sich dessen Haupteingang nämlich neu an
der Talstrasse. Den Entscheid über den diesjährigen Verlauf
der Demons- trationsstrecke wird die Kantonspolizei Graubünden
demnächst zusammen mit dem Davoser Kleinen Landrat fällen.
Im Internet wird mobilisiert
Im Internet wird aktuell nebst Davos auch zur Teilnahme an einer
WEF-Demo in St. Gallen aufgerufen. Diese wird vom Anti-WEF-Bündnis
St. Gallen organisiert und soll am 22. Januar stattfinden. In Davos
hatten 2010 rund 130 Personen ohne Zwischenfälle gegen das WEF
protestiert. Von einer ähnlich grossen Beteiligung wird auch
dieses Jahr ausgegangen. Das erklärte Walter Schlegel, Sprecher
des WEF-Ausschusses der Bündner Regierung, auf Anfrage. "Aufgrund
der Informationen des Bundes und der Spezialisten der Kantonspolizei
Graubünden erwarten wir die gleiche Situation wie in den
Vorjahren. Wir rechnen damit, dass der Protest wieder friedlich
über die Bühne gehen wird", führte Schlegel aus.
An den WEF-Protesten der letzten Jahre hatten in Davos jeweils
nie mehr als 200 Personen teilgenommen. Ist das jeweils riesige
Polizeiaufgebot am Demo-Tag weiterhin nötig? Schlegel: "Es ist
nicht so, dass wegen diesem Protest massiv mehr Sicherheitskräfte
anwesend sind. Man hat einfach bestimmte Vorsichtsmassnahmen zu
treffen, damit rechtzeitig eingegriffen werden könnte." Laut
Schlegel ist man so vorbereitet, dass das Sicherheitsdispositiv auch an
eine Kundgebung mit 500 bis 1000 Personen angepasst werden könnte.
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St. Galler Tagblatt 13.1.11
Anti-WEF-Demo auf Bahnhofplatz
Das Anti-WEF-Bündnis St. Gallen organisiert am Samstag, 22.
Januar, eine Kundgebung gegen das Weltwirtschaftsforum, das vom 26. bis
31. Januar in Davos ausgetragen wird. Man werde sich "lautstark auf die
Strasse begeben, um den Herrschenden dieser Welt zu zeigen, dass sie
weder hier noch sonstwo willkommen sind", heisst es in einer
Mitteilung. Man habe genug "von der Arroganz der kapitalistischen
Produktionsverhältnisse und der Entfremdung der Menschen sowie den
sich ständig wiederholenden Krisen des Kapitals." Die Demo beginnt
um 14 Uhr auf dem Bahnhofplatz. (pd)
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GAZA
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Basler Zeitung 15.1.11
"Wir sind der bärtigen Typen überdrüssig"
Junge Palästinenser klagen im Internet Israel, die Hamas und
die internationale Gemeinschaft an
Willi Herzig
Acht junge Menschen aus dem Gazastreifen fassten ihre tiefen
Frustrationen in einem Manifest zusammen. Dem ins Internet gestellten
Dokument haben in wenigen Wochen Tausende zugestimmt.
"Wir, die Jugend von Gaza, haben die Nase voll von Israel, der
Hamas, der Besetzung, den Menschenrechtsverletzungen und der
Gleichgültigkeit der internationalen Gemeinschaft!" Mit diesem
Aufschrei haben acht palästinensische Studenten aus Gaza ihrer Wut
Luft gemacht. Sie verfassten auf Englisch und Arabisch ein "Manifest
der Jugend von Gaza" und stellten es ins Internet. "Wir wollen laut
schreien und die Mauer des Schweigens, der Ungerechtigkeit und der
Indifferenz brechen", schrieben sie, sechs junge Männer und zwei
Frauen, die aus ihrem Herzen keine Mördergrube machen.
Auslöser für ihre verbale Attacke war Ende November das
Verbot der nicht staatlichen Organisation Sharek durch die im
Gazastreifen regierende Hamas. Den Islamisten und ihren
Sittenwächtern war Sharek (deutsch: Teilnehmen) ein Dorn im Auge.
Die nicht religiöse Organisation bot eine breite Palette von
Freizeitaktivitäten und Weiterbildungskursen an und war bei jungen
Palästinensern und Palästinenserinnen gleichermassen beliebt.
Die von der Schweiz finanziell unterstützte Sharek musste ihre
fünf Zentren im Gazastreifen schliessen. Schon zuvor hatten ihre
Verantwortlichen über Belästigungen durch Hamas-Polizisten
geklagt, die ihnen "unsittliches Benehmen" vorwarfen - gemeinsame
Aktivitäten von unverheirateten Frauen und Männern. Sharek
war eine der letzten "Inseln" in Gaza, wo solches noch möglich war.
Briefmarkengross
"Wir haben die dunklen Nächte satt, in denen Flugzeuge über
unseren Häusern kreisen", fährt das Manifest fort. "Wir haben
genug davon, dass unschuldige Bauern erschossen werden, bloss weil sie
ihr Land in der Pufferzone bestellen wollen. Wir sind der bärtigen
Typen überdrüssig, die mit ihren Waffen die Macht
missbrauchen, junge Leute für ihre Überzeugungen schlagen
oder einsperren." Weiter beklagen die Autoren die "Schandmauer, die uns
vom Rest unseres Landes trennt und uns in einem briefmarkengrossen
Stück Land einsperrt".
Offensichtlich haben die acht mutigen Schreiber vielen Menschen
aus dem Herzen gesprochen. Ihrer Facebook-Gruppe "Gaza Youth Breaks
Out" (Gazas Jugend bricht aus) haben in wenigen Wochen mehr als 16 000
ihre Sympathie bekundet. Eine derart breite Welle der Solidarisierung,
vor allem auch aus dem Gazastreifen, hätten sie nicht erwartet,
sagen die anonym bleibenden Autoren in einem Interview mit der
Korrespondentin der britischen Zeitung "Guardian".
Sie sind sich des Risikos bewusst, das sie eingegangen sind. Zwei
von ihnen sagen, sie seien von der Hamas-Polizei mehrmals festgenommen
worden, unter anderem wegen "unmoralischen Verhaltens". Einer der
Studenten sagt: "In Gaza fühlst du dich in der Schule
überwacht, auf der Strasse, überall."
Zerstörerisch
Das Manifest zeugt von der Verzweiflung junger Menschen in dem seit
2006 von Israel und Ägypten abgeriegelten, wirtschaftlich
ruinierten Gaza. "Eine Revolution wächst in uns, eine immense
Frustration. Sie wird uns zerstören, wenn wir die Energie nicht in
einer Richtung kanalisieren können, die den Status quo aufbricht
und uns Hoffnung gibt." Der Aufruf schliesst mit: "Wir wollen frei
sein. Wir wollen normal leben können. Wir wollen Frieden. Ist das
zu viel verlangt?"
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MUSSOLINI
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NZZ 17.1.11
Faszination der Fälschung
Umberto Eco contra Benito Mussolini
Franz Haas · Der Zufall mag zwar blind sein, aber er
verfügt über eine beträchtliche Selbstironie. Just zur
gleichen Zeit und im selben Verlag - Bompiani - sind kürzlich in
Italien zwei Bücher erschienen, die bei allem Gegensatz noch etwas
gemeinsam haben. Sie profitieren nämlich von der Faszination von
Fälschungen: Umberto Ecos neuer Roman "Il cimitero di Praga" und
die umstrittenen "mutmasslichen" Tagebücher von Benito Mussolini.
In Grenzen halten sich allerdings die Gemeinsamkeiten in den
Buchhandlungen, wo Ecos aufklärendes Buch über eine kolossale
kulturhistorische Falschmünzerei ein Bestseller ist, während
die obskure, vermutlich gefälschte 1000-Seiten-Schwarte von
Mussolini sich als Ladenhüter stapelt.
In Ecos "Il cimitero di Praga" (Der Friedhof von Prag) geht es um
die "Protokolle der Weisen von Zion", jene antisemitische Hetzschrift
von 1903, die bei Neonazis und radikalen Islamisten heute noch Anklang
findet, obwohl sie eine hanebüchene Fälschung ist. Daran
erinnert Umberto Eco, der in diesem neuen Roman wie üblich seine
Gelehrtheit kaum im Zaum hält, dafür aber stilistisch die
Zügel schleifen lässt. Mit Ausnahme der fiktiven Hauptfigur
(der italienische Fälscher Simone Simonini) sei alles authentisch
in seinem Buch, versichert Eco im Nachwort. Mit einer Fülle von
Fakten führt er die Mechanismen der Fälschung vor und
beweist, dass selbst so dreiste Behauptungen wie die in den
berüchtigten "Protokollen" Gehör finden, wenn sie nur
beharrlich genug verbreitet werden.
Beachtlich ist anderseits die Hartnäckigkeit, mit der die
Veröffentlichung der angeblichen Tagebücher von Mussolini
betrieben wurde. Marcello Dell'Utri, ein dubioser Berlusconi-Freund,
der wegen Mafia-Umtrieben mehrfach verurteilt wurde, ging mit diesen
fragwürdigen Schriften jahrelang vergeblich hausieren, weil so
ziemlich alle Experten sie für eine grobschlächtige
Fälschung hielten (NZZ 20. 2. 07). Warum der erste Teil von diesem
Diarium nun doch erschienen ist, bleibt ein Geheimnis des sonst
seriösen Bompiani-Verlags. "I diari di Mussolini (veri o
presunti). 1939", so der Titel dieses Meisterwerks der
Geschichtsvernebelung, wobei das kokette "echt oder mutmasslich" in
Klammern zugleich ratlos und schlitzohrig klingt.
Die Absicht dieser "Tagebücher", die insgesamt die Jahre
1935-1942 umfassen, ist eine schamlose Beschönigung der Taten des
Diktators, was ganz in den Trend des Geschichtsrevisionismus im Italien
von Berlusconi passt. Sie führen einen netten Mussolini vor, einen
umsichtigen Staatsmann und Pazifisten, der mit dem Schicksal hadert und
über seine Alliierten schimpft, auf "die Deutschen, diese Hunde,
die nichts als den Krieg wollen". Da zu diesem Zeitpunkt die von ihm
befohlenen Massaker in Libyen und Äthiopien noch ziemlich frisch
waren, wäre Mussolini zu solchen Tönen nur fähig
gewesen, wenn er sehr viel Kreide gefressen hätte.
Ob sich das Bild vom guten Onkel Mussolini, nach dem sich viele
Italiener sehnen, nachhaltig durchsetzen wird, ist abzuwarten. Dass
Beharrlichkeit und Wiederholung in der Geschichtsfälschung zum
Erfolg führen können, das haben die primitiven "Protokolle
der Weisen von Zion" gezeigt - und der raffinierte Umberto Eco hat das
Übel gekonnt denunziert. Ob dieser allerdings versucht hat, seinem
Verlag von dem editorischen Mussolini-Unfug abzuraten, ist nicht
bekannt.
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ANTI-ATOM
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20min.ch 17.1.11
Atommüll-Zwischenlager
Wer ist Schuld am Skandal?
von Nora Camenisch - Nächste Runde im Knatsch um die
AKW-Abstimmung: Im Debakel um das Zwischenlager schieben sich die
Parteien nun gegenseitig den schwarzen Peter zu.
Wer ist Schuld daran, dass die Abstimmungsunterlagen zum AKW
Mühleberg keine Informationen zum geplanten Zwischenlager für
radioaktiven Atommüll enthalten? Für Grossratspräsident
Gerhard Fischer (SVP) hat eine Fehleinschätzung des Regierungsrats
zum Debakel geführt. "Die BKW hat in ihren Unterlagen an die
Regierung offengelegt, dass es bei einem Ja ein Zwischenlager geben
wird. Ob absichtlich oder nicht, der Regierungsrat hat das Lager nicht
in die Abstimmungsunterlagen aufgenommen." Ins gleiche Horn bläst
die BKW: "Dem Kanton war die Lage bekannt", so BKW-Sprecher Antonio
Sommavilla.
Zwischenlager könnte 80 Jahre bleiben
Anderer Meinung ist Roland Näf, Präsident der kantonalen SP.
"Dass ein AKW ein Zwischenlager hat, ist normal. Die BKW hätte den
Regierungsrat aber darüber informieren müssen, dass dies bis
zu 80 Jahren bestehen könnte." Die für das AKW
zuständige Energiedirektorin Barbara Egger wollte gestern keine
Stellung nehmen.
Nachversand kommt nicht in Frage
Während die Schuldfrage ungeklärt bleibt, wird nach
Lösungen gesucht. Die GFL Zollikofen prüft eine
Stimmrechtsbeschwerde (20 Minuten von gestern). Näf indessen will
eine Infokampagne: "Die Stimmbürger müssen jetzt rasch
über das Zwischenlager informiert werden." Ein Nachversand zu den
Abstimmungsunterlagen schliessen sowohl er als auch Fischer aus.
Dafür sei es zu spät.
---
BZ 17.1.11
Mühleberg: Zwischenlager für Atomabfälle geplant
AKWDer Berner Stromkonzern BKW will neben dem AKW in
Mühleberg auch ein Zwischenlager für hoch radioaktive
Abfälle bauen. Im Abstimmungsbüchlein steht davon aber nichts.
Das Abstimmungsbüchlein über die kantonale Abstimmung
vom 13. Februar zum AKW-Neubau Mühleberg ist nicht
vollständig. In der Broschüre, die in den nächsten Tagen
an die Haushalte verschickt wird, steht nicht, dass der Stromkonzern
BKW in Mühleberg auch ein Zwischenlager für hoch radioaktive
Abfälle plant. Laut einem Bericht der "SonntagsZeitung" zeigt sich
die Bevölkerung rund um Mühleberg überrascht. Bei
Infoveranstaltungen sei ein Zwischenlager nie erwähnt worden.
Die BKW begründet das Zwischenlager unter anderem mit der
erhöhten Sicherheit. Dank einem Lager auf dem Gelände
könnten Transporte vermieden werden. Zudem entspreche eine
Zwischenlagerung vor Ort heute den internationalen Standards. Schon
heute gibt es in Mühleberg ein Zwischenlager, allerdings nicht
für hoch radioaktive Atomabfälle.
Beim Büro des Grossen Rates - es ist für den Inhalt des
Abstimmungsbüchleins inhaltlich zuständig - ist man
überrascht. "Bei uns war das nie ein Thema", sagte
Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) gestern auf Anfrage.nb
Seite 11
--
In Mühleberg ist neben dem AKW auch ein Zwischenlager geplant
AKWIn 27 Tagen stimmen die Bernerinnen und Berner über die
Zukunft des AKW-Standorts Mühleberg ab. Im
Abstimmungsbüchlein wird aber nicht erwähnt, dass in
Mühleberg auch ein Zwischenlager für hoch radioaktives
Material geplant ist.
Das Berner Stimmvolk muss am 13. Februar entscheiden, ob in
Mühleberg nach dem Jahr 2020 ein neues, grösseres
Atomkraftwerk grundsätzlich erwünscht ist oder nicht. Allen
Stimmbürgerinnen und Stimmbürgern wird in diesen Tagen das
Abstimmungsbüchlein zugeschickt, in dem beschrieben wird, um was
es bei der Vorlage geht.
Doch bereits jetzt stellt sich heraus, dass die Informationen im
Abstimmungsbüchlein nicht vollständig sind. Laut einem
Bericht der "SonntagsZeitung" wird in der Broschüre nicht
erwähnt, dass der Berner Stromkonzern BKW in Mühleberg neben
dem neuen AKW auch ein Zwischenlager für hoch
radioaktive Abfälle plant. Im vergangenen Dezember hatte bereits
die Zeitschrift "Beobachter" darauf hingewiesen, dass die drei
AKW-Neubauprojekte in Mühleberg, Beznau und Gösgen solche
Zwischenlager vorsehen.
Hoch radioaktive Abfälle
"Wir haben im Rahmenbewilligungsgesuch ein Zwischenlager
beantragt", bestätigt BKW-Sprecher Antonio Sommavilla. Eine
Zwischenlagerung vor Ort entspreche heute dem internationalen Standard,
sagt er. Dadurch würden unnötige Transporte vermieden und die
Sicherheit erhöht. Zudem könnte das alte Kernkraftwerk
rascher zurückgebaut werden, wenn sich direkt auf dem Gelände
ein ausreichend grosses Lager befände.
Schon das heutige AKW Mühleberg verfügt über ein
kleines Zwischenlager für schwaches und mittelaktives Material.
Hier wird der strahlende Abfall gelagert, bevor dieser ins grosse
Zwischenlager im aargauischen Würenlingen gebracht wird. Beim
neuen AKW in Mühleberg ist aber ein sogenanntes Nasslager geplant,
wo künftig sogar hoch radioaktive Abfälle über
längere Zeit gelagert werden könnten. Die Grösse des
Nasslagers würde es sogar erlauben, dass in Mühleberg auch
noch hoch radioaktiver Abfall aus andern Schweizer AKW gelagert werden
könnte.
Heute werden die Atomabfälle aller Schweizer Atomkraftwerke
im Zwischenlager Würenlingen aufbewahrt. Auf nationaler Ebene wird
seit Jahren nach einem Tiefenlager gesucht. Bis ein solches in Betrieb
gehen kann, dauert es aber noch Jahrzehnte.
Warum alle drei Schweizer AKW-Projekte eigene Zwischenlager
planen, ist umstritten. "Sämtliche abgebrannten Brennelemente,
aber auch verstrahlte Anlageteile, die dereinst beim Rückbau der
Anlagen anfallen werden, hätten in Würenlingen Platz", sagte
der Geschäftsführer des nationalen Zwischenlagers Walter Heep
gegenüber dem "Beobachter". Die BKW ihrerseits behauptet, dass in
Würenlingen der Abfall der neuen Atommeiler nicht mehr Platz
hätte.
"War kein Thema"
Grundsätzlich stellt sich aber die Frage, warum im
Abstimmungsbüchlein das Zwischenlager für hoch radioaktive
Abfälle nicht erwähnt wird. Für den definitiven Inhalt
der Abstimmungsbroschüre ist das Büro des Grossen Rates
zuständig. Das Büro besteht unter anderem aus den drei
Mitgliedern des Ratspräsidiums, den fünf Stimmenzählern
und der Präsidentin oder dem Präsidenten der Deputation.
Zudem wird das Büro von der zuständigen Verwaltungsstelle -
in diesem Falle der Energiedirektion- unterstützt.
Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) sagte gestern, dass von
einem Zwischenlager nie die Rede war. Er begründet dies unter
anderem damit, dass sich die Vorlage ja nicht mit dem konkreten Projekt
in Mühleberg befasse, sondern nur über die Stellungnahme, die
der Kanton Bern gegenüber dem Bund darüber abgeben wird.
SP: "Zusätzliches Risiko"
"Die Errichtung eines Zwischenlagers für hoch radioaktiven
Atomabfall in Mühleberg bedeutet ein zusätzliches grosses
Risiko für den ganzen Kanton, am stärksten für die
umliegenden Gemeinden", schreibt die kantonale SP in einer
Medienmitteilung. Die SP habe zwar Verständnis, dass es wegen des
breiten Widerstands gegen die Endlager eine Zwischenlagerung brauche.
"Die Berner Bevölkerung muss aber vor der Abstimmung umfassend
über ein geplantes Zwischenlager informiert werden", fordert der
Berner SP-Parteipräsident Roland Näf.
Lokalpolitiker prüfen derzeit sogar, ob aufgrund der
fehlenden Informationen im Abstimmungsbüchlein rechtliche Schritte
einzuleiten sind. "Derzeit wird die Einreichung einer
Stimmrechtsbeschwerde geprüft", sagt Bruno Vanoni, Präsident
der Grünen Freien Liste (GFL), Zollikofen.
Niklaus Bernhard
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AKW: ja oder nein?
Abstimmung Am 13. Februar stimmt das Bernervolk darüber ab,
ob es in Mühleberg nach dem Jahr 2020 ein neues Atomkraftwerk will
oder nicht. Wichtig zu wissen: Es handelt sich dabei um eine
konsultative Abstimmung. Das heisst: Das Resultat ist für den Bund
nicht bindend, dürfte aber eine grosse Signalwirkung haben.
Diese Zeitung beleuchtet vor der wegweisenden Abstimmung in einer
Serie das Thema von verschiedenen Seiten.
---
20 Minuten 17.1.11
AKW-Abstimmungstext: Ein Zwischenlager verschwiegen
BERN. Skandal um die Mühleberg-Abstimmung: In der Vorlage
wird nicht erwähnt, dass nebst dem neuen AKW auch ein
Atommülllager geplant ist. Gegner prüfen nun eine Beschwerde.
Am 13. Februar stimmen die Berner über ein neues AKW
Mühleberg ab. Eines fehlt aber in der Abstimmungsbotschaft: Nebst
dem Neubau ist in Mühleberg ein Zwischenlager für radioaktive
Abfälle geplant. Die Halle könnte so gross wie drei
Fussballfelder werden. Gelagert würde dort nicht nur schwach oder
mittelstark aktiver Abfall, sondern auch hoch radioaktiver Müll.
Umweltfachmann und EVP-Grossrat Josef Jenni zeigt sich in der
"SonntagsZeitung" besorgt: "Ein solches Lager muss in den
Abstimmungsunterlagen unbedingt erwähnt werden, denn es stellt ein
grösseres Sicherheitsrisiko dar als das AKW selber."
"Skandalös" findet das Vorgehen in der Abstimmungsbotschaft
Bruno Vanoni, Präsident der Grünen Freien Liste (GFL)
Zollikofen. "Aus dem Gesuch der an der Planung beteiligten Firmen geht
hervor, dass das Zwischenlager in 100 Jahren noch aktiv sein
könnte, wenn bis dahin kein Endlager gefunden würde." Die GFL
geht deshalb auf die Barrikaden: "Wir prüfen eine
Stimmrechtsbeschwerde", so Vanoni. Diese könnte bei Gutheissung
zur Aufhebung des Abstimmungsentscheids führen.
BKW-Sprecher Antonio Sommavilla relativiert die Gefahr:
"Zwischenlagerung vor Ort entspricht heute dem weltweiten Standard." So
würden unnötige Transporte vermieden und die Sicherheit
erhöht.
Nora Camenisch
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Bund 17.1.11
Meinungen
Replik Tribüne "Die Risiken von Mühleberg" von Theodor
Abelin im "Bund" vom 11. Januar 2011.
Mühleberg ist nicht Tschernobyl
Hans-Rudolf Lutz
Herr Prof. Abelin beschreibt ziemlich gut die Folgen der
Reaktorkatastrophe von Tschernobyl (1986). Seine Übertragung
dieser Katastrophe auf Mühleberg oder generell auf
Leichtwasserreaktoren ist aber gleichbedeutend mit der (vermutlich vom
KGB erfundenen) Lüge "Tschernobyl ist überall".
Nein, das ist es nicht! Beim grössten Unfall in einem
Leichtwasserreaktor in Three Mile Island (USA, 1979) wurden ca. 50
Curie an gasförmiger Radioaktivität kontrolliert an die
Umgebung abgegeben. In Tschernobyl waren es über 50 000 000 Curie.
Ein grosser Teil davon waren feste Substanzen wie Jod, Strontium und
Cäsium, die sich mit den Niederschlägen am Boden festsetzten
und unter anderem zur Verseuchung von Rentieren im hohen Norden und von
Pilzen im Tessin führten!
Wesentlich beim Vergleich von Mühleberg (westliche
Leichtwasser-Reaktor-Technik) und Tschernobyl (sowjetische
Militär-Reaktor-Technik) sind die Ursachen, die zur Katastrophe
von Tschernobyl führten, und jene, die zu einem Unfall in
Mühleberg führen könnten. Diese sind im Artikel Abelins
nicht erwähnt. Interessierte können bei Google unter dem
Stichwort "Katastrophe von Tschernobyl" ausführliche Darstellungen
dieses Vorfalls finden. Ich konzentriere mich auf das Wichtigste:
Erstens:Der wohl wesentlichste Unterschied zwischen den beiden
Reaktortypen liegt in der Konstruktion. Tschernobyl hatte die
verhängnisvolle Eigenschaft, dass bei einem schnellen Anstieg der
Leistung diese nicht - wie dies bei allen westlichen
Leichtwasserreaktoren der Fall ist - von der Konstruktion her
(inhärent) gebremst, sondern mit sogenannt positiver
Rückkopplung weiter beschleunigt wird.
Dieser "Durchbrennungsprozess" spielt sich in Bruchteilen von
Sekunden ab und führt zum Zerplatzen der Uranbrennstäbe in
Mikroteilchen bei Temperaturen von weit über 20 000 Grad. Dieses
Verhalten hat nichts mit dem (langsamen) Schmelzen der Brennelemente
beim GAU in einem Leichtwasserreaktor zu tun.
Zweitens: Die Brennelemente sind in einem Grafitklotz, dem
sogenannten Moderator, platziert. In Mühleberg übernimmt
gewöhnliches, unbrennbares Wasser dessen Rolle. Der explodierende
Brennstoff Tschernobyls konnte den Grafit sofort entzünden, und
damit wurden etwa 10% des gesamten Radioaktivitätsinventars
(gasförmig und fest) in hohe Atmosphärenschichten geblasen
und mit den Winden über weite Teile Europas verfrachtet. In
Mühleberg würde beim schlimmsten Unfall, bei Verlust des
Kühlwassers, der Brennstoff langsam zu schmelzen beginnen; 99,99%
oder mehr der Radioaktivität blieben an Ort und Stelle, wie dies
auch in Three Mile Island der Fall war.
Drittens: In der Sowjetunion gab es keine
Reaktor-Sicherheitskultur. Erfahrungen mit Störfällen in
Kernkraftwerken wurden nicht weitergegeben. Die Verantwortlichen hatten
Angst vor Repressalien. Der Direktor von Tschernobyl meldete noch 12
Stunden nach dem Durchbrennen der Reaktors und den durch Knallgas
erfolgten Explosionen und nachdem bereits einige Betriebsleute direkt
getötet worden waren nach Moskau, man habe den Unfall "unter
Kontrolle".
Die sowjetischen Behörden vertuschten das Desaster
während zweier Tage. Die Bevölkerung des nächstgelegenen
Ortes Pripjat wurde erst am Tage nach der Katastrophe evakuiert - viel
zu spät. In Three Mile Island war schon am Tag, als der
Reaktorkern teilweise schmolz, Präsident Jimmy Carter mit einem
Medientross am Ort. Menschen kamen bei diesem Unfall keine zu Schaden.
Was Abelin in seinem Artikel auch nicht erwähnt, ist, dass
man aus den beiden Vorfällen Lehren gezogen hat. In den 31 Jahren
seit Three Mile Island ist deshalb kein weiterer Unfall mit Freisetzung
von Radioaktivität bei bis jetzt über 10 000 akkumulierten
Betriebsjahren in Leichtwasserreaktoren vorgekommen. Auch bei den immer
noch in Betrieb stehenden wenigen Reaktoren vom Tschernobyl-Typ hat
sich kein grösserer Störfall mehr ereignet.
Diese Tatschen sind der Grund, dass im Moment weltweit 50 neue
Kernkraftwerke im Bau und weitere 150 in Planung sind. Tschernobyl
übt keinenEinfluss mehr auf die Entscheidungsträger aus. Die
Renaissance der Kernenergie hat begonnen!
Der Autor
Der promovierte Reaktorphysiker Dr. Hans-Rudolf Lutz war erster
Direktor des Kernkraftwerks Mühleberg. In den 1990er-Jahren war er
zuständig für den Bau des nationalen Zwischenlagers für
radioaktive Abfälle in Würenlingen.
---
Grenchner Tagblatt 17.1.11
Grenchner Tagblatt Seeland/Kanton Bern
Pro-und-Contra-Serie Teil I Braucht es im Kanton Bern mit
Mühleberg II ein neues AKW?
Urs Gasche*
PRO
"Ersatzkernkraftwerk: Gebot der Vernunft"
Urs Gasche*
Die BKW hat den Auftrag, die Stromversorgungssicherheit für
ihre rund eine Million Kundinnen und Kunden zu gewährleisten. Dazu
zählen vor allem die Haushalte und die Wirtschaft, primär in
den Kantonen Bern und Jura. Versorgungssicherheit heisst, zu jeder Zeit
unterbruchsfrei so viel Strom anzubieten, wie gebraucht wird. Dazu
braucht es Kraftwerke. Unser Land ist stolz, dass es Strom - dank dem
hohen Anteil an Wasser- (ca. 55%) und Kernkraft (ca. 40%) - sehr
klimafreundlich produziert. Im Bereich der neuen erneuerbaren Energien
(neE) wie Sonne, Wind oder Biomasse unternimmt gerade die BKW grosse
Anstrengungen. Auf dem Mont-Soleil hat sie 1991 das damals grösste
Sonnenkraftwerk Europas errichtet und leistet seit 1995 im
bedeutendsten privaten Fotovoltaik-Entwicklungszentrum der Schweiz
wertvolle Pionierarbeit. Auf dem Mont-Crosin betreibt die von der BKW
geführte JUVENT SA seit 1996 das grösste Windkraftwerk des
Landes. Sie hat dieses mit dem Ausbau 2010 in seiner Leistungskraft
vervierfacht. Und auf dem Stade de Suisse betreibt die BKW das
grösste stadionintegrierte Solarkraftwerk der Welt. Auch im
Ausland engagiert sich die BKW im Bereich der neE.
Unsere Gesellschaft verbraucht sehr viel Energie. Der
grösste Teil wird heute noch durch die Verbrennung fossiler
Brennstoffe (Erdöl, Kohle oder Erdgas) erzeugt. Dies bedroht unser
Klima, hauptsächlich durch das Treibhausgas CO2. Dem begegnen wir
mit höherer Energieeffizienz und dem Ersatz fossiler Brennstoffe
durch Strom. Um diesen ausreichend bereitstellen zu können, sind
nach wie vor Grosskraftwerke nötig; der Strom aus neE reicht
mengenmässig noch nicht aus. Und selbst wenn die Menge reichen
würde, wären die Produktionskosten so hoch, dass die
schweizerische Wirtschaft ihre Konkurrenzfähigkeit verlieren
würde.
Als Grosskraftwerke kommen bei uns nur Gas- und Kernkraftwerke
infrage. Dazu bestehen wenige Möglichkeiten, die
Wasserkraftnutzung auszubauen. Die Widerstände gegen solche
Projekte sind bekannt und zeigen die engen Grenzen des
Wasserkraftausbaus.
Für mich hat sich die heutige Stromversorgung aus Wasser-
und Kernkraft bewährt. Auch wenn Letztere über die ganze
Produktion nicht vollständig CO2-frei ist, ist sie verglichen mit
Gaskraftwerken doch CO2-arm. Zudem verursachen Kernkraftwerke nicht
annähernd so grosse Abhängigkeiten von einzelnen
Lieferländern wie etwa beim Gas.
Unsere Kernkraftwerke sind sicher, wir haben Überwachung und
Unterhalt selber in der Hand und nehmen die Verantwortung direkt wahr.
Dass Behörden und Stromunternehmen dazu in der Lage sind, haben
sie in langen Jahren bewiesen. Auch die Endlagerung der relativ
geringen Abfälle ist sicher und verantwortungsbewusst möglich
- die Nagra hat den Nachweis erbracht. Nötig sind noch die
politischen Entscheide.
Warum soll nun eines der beiden neuen Ersatzkernkraftwerke in
Mühleberg stehen? Für die Volkswirtschaft und für den
Wirtschaftsstandort Bern ist es von entscheidender Bedeutung, wo die
Investitionen getätigt, die Arbeitsplätze erhalten und
ausgebaut werden können, und ob die BKW als grosser Aktivposten im
Portefeuille des Kantons eines der drei bedeutenden
Elektrizitätsunternehmen bleibt.
Darum: Ein Ja zum Ersatzkraftwerk Mühleberg ist ein Ja der
Vernunft!
--
CONTRA
"Der Kanton Bern braucht kein Mühleberg II"
Barbara Egger*
Mit der Abstimmung vom 13. Februar werden die Bernerinnen und
Berner über eine energiepolitisch wichtige Frage entscheiden. Es
geht darum, ob unser Kanton für weitere 50 Jahre und länger
auf Atomstrom setzen will oder nicht. Für die Regierung des
Kantons Bern ist die Antwort klar: Wir brauchen kein neues
Atomkraftwerk in unserem Kanton und übrigens auch nicht anderswo
in der Schweiz. Warum? Atomstrom ist eine Technologie von gestern. Sie
ist gefährlich, überflüssig und teuer.
Dass Atomkraftwerke gefährlich sind, wissen wir seit
Tschernobyl und Harrisburg. Das Risiko ist zwar klein, aber es kann
niemand garantieren, dass das nicht auch bei uns passieren könnte.
Der Regierungsrat ist nicht bereit, die Stadt und Region Bern für
weitere 50 Jahre und länger unnötig diesem Risiko
auszusetzen. Gefährlich sind Atomkraftwerke vor allem auch wegen
deren radioaktiven Abfällen. Niemand in der Schweiz will diese
Abfälle bei sich lagern. Es ist unehrlich, neue Atomkraftwerke zu
planen, wenn keine Lösung für die heutigen Abfälle
besteht. Mit einem neuen Atomkraftwerk fallen wiederum Tonnen von
radioaktivem Abfall an und niemand weiss, wohin damit.
Atomkraftwerke sind überflüssig, weil die Zukunft den
erneuerbaren Energien wie Sonne, Wasser, Holz, Wind, Erdwärme, den
Strom sparenden Geräten und den sanierten Gebäuden
gehört. Diese Zukunft hat schon begonnen: Bereits heute werden
Häuser gebaut, die mehr Energie produzieren als sie
benötigen. Lampen und Elektro-Geräte funktionieren inzwischen
mit einem Bruchteil des Stroms. Wenn nur die Hälfte der Schweizer
Haushalte solch moderne Geräte einsetzen, können wir auf den
Ersatz von Mühleberg verzichten. Dabei dürfen wir nicht
vergessen, dass Mühleberg nicht morgen, sondern frühestens in
zwanzig Jahren vom Netz geht. Wer kann heute schon sagen, was dann sein
wird? Ein Blick in die Vergangenheit zeigt: Vor 20 Jahren gab es keine
Handys, kein Internet, kein E-Mail und keine Navigationsgeräte.
Fachleute sagen, dass wir heute bei den erneuerbaren Energien und der
Energieeffizienz vor einem ähnlichen Innovationsschub stehen.
Atomkraftwerke sind schliesslich teuer und risikoreich. Die
Kosten für den Bau von Mühleberg II werden heute von der BKW
auf 7 bis 9 Milliarden geschätzt. Hinzu kommen weitere Milliarden
für die Stilllegung und Entsorgung des alten Atomkraftwerkes. Kein
privater Versicherer ist bereit, die Risiken eines Atomunfalls zu
versichern. Das Hauptrisiko tragen damit die Steuerzahlerinnen und
Steuerzahler. "Too big to fail" ist also auch bei Atomkraftwerken nicht
von der Hand zu weisen. Denn wer heute auf Atomkraftwerke für in
zwanzig Jahren setzt, läuft Gefahr, dass er viele Milliarden in
Strom investiert, den in 20 oder 30 Jahren niemand mehr kaufen will.
Das deshalb, weil dann jeder seinen eigenen Strom auf seinem Dach
produzieren wird.
Der Regierungsrat zeigt mit seiner Energiestrategie den Weg auf,
wie der Kanton aus der Atomenergie aussteigen kann: Mit erneuerbaren
Energien und Energieeffizienz kann sowohl eine gesicherte als auch eine
sichere Energieversorgung gewährleistet werden. Das lohnt sich vor
allem auch für die Wirtschaft: Mit erneuerbaren Energien und
Energieeffizienz schaffen wir viele und dauerhafte Arbeitsplätze
im ganzen Kanton: Bei Planern, beim Bau, beim Gewerbe, bei KMUs, bei
innovativen Technologieunternehmen. Energie aus der Region heisst eben
auch: Energie für die Region.
*Barbara Egger (SP) ist Bau-, Verkehrs- und Energiedirektorin und
vertritt Bern im BKW-VR.
*Urs Gasche, VR-Präsident der BKW AG, ist alt Regierungsrat
und BDP-Präsident.
---
Landbote 17.1.11
Der die Weinländer den Protest lehrte
Florian Imbach
BENKEN. Ein altgedienter AKW-Gegner aus Norddeutschland
referierte gestern in Benken über den Protest gegen das geplante
Tiefenlager in Gorleben. Vom deutschen Protest könnte das Weinland
noch einiges lernen.
Gerhard Förster hat die Menge auf seiner Seite. Er sagt
Sätze wie: "Der erste Schritt muss sein, die AKW abzuschalten."
Oder: "Mit Atomkraft kommt es zu Krebs und Tod." Dem Publikum gefallen
die klaren, aber ruhig vorgetragenen Voten. Die 60 Männer und
Frauen im Publikum applaudieren. Immer wieder unterbrechen zustimmende
Rufe das Referat. "Bravo!" oder "Jawohl!" tönt es.
Bereits am Abend zuvor sprach Förster im süddeutschen
Engen vor vollen Rängen. Heute ist es die "Sonne" in Benken.
Wieder hat er volles Haus. Förster kommt von weit her. Er wohnt in
Lüchow, hoch im Norden Deutschlands.
Förster ist ein Atomgegner erster Stunde, ein
Widerstandsveteran. Seit 15 Jahren kämpft er in seiner Heimat
gegen Atommülldeponien, sass im Vorstand der Bürgerinitiative
Dannenberg-Lüchow, war zeitweise sogar deren Pressesprecher.
Förster kennt sein Geschäft. Er weiss, wie man sich wehrt
gegen Behörden und Atom-Lobbyisten.
Förster will Gleichgesinnten helfen. Er reist in die
Schweiz, ins Weinland, um den Schweizer Kollegen zu erklären, wie
ein erfolgreicher Widerstand organisiert wird. Und Förster hat
viel zu erzählen aus seiner Heimat.
Der Norddeutsche nimmt sich Zeit, begrüsst erst die
Vorstandsmitglieder der Weinländer Atomkraftgegner "Klar Schweiz".
Die Stimmung ist herzlich, fast schon familiär. Unterstützung
erhält Förster von politischen Gesinnungsgenossen aus
Deutschland. Rita Schwarzelühr, SPD-Bundestagsabgeordnete des
Landkreises Waldshut, ist eigens aus Jestetten angereist. Auch die
Vorsitzende der SPD Jestetten, Karin Rehbock-Zureich ist da. Man kennt
sich, tauscht Nettigkeiten aus.
"Wie es mit dem Endlager läuft"
"Ich bin Gerhard Förster", beginnt er seinen Vortrag. "Und
ich freue mich, hier zu sein." Er erzählt, "wie das mit dem
Endlager in Deutschland läuft". Dass Atomenergie gefährlich
sei, vom Abbau bis zum Abfall. In Gorleben plant die Bundesregierung
ein Endlager. Dagegen kämpft Förster mit der
Bürgerinitiative, nicht nur verbal. "Die Behörden haben
geglaubt, sie hätten leichtes Spiel." Er schildert, wie sie, die
unzufriedenen Einwohner, im Mai 2009 zu Tausenden die Baustelle
besetzten. "Da hat es uns gereicht." Und Förster appelliert an die
Weinländer: "So was müssen wir machen, um zu zeigen, dass wir
das nicht hinnehmen", sagt er. Und er warnt die Weinländer davor,
die Risiken zu unterschätzen: "Überall wo ein Endlager
hinkommt, werden Menschen sterben."
Förster schliesst seinen Vortrag, ruhig, zurückhaltend,
wie er begonnen hat. "Ich bin jetzt fertig." Der Applaus ist laut.
Förster packt seine Sachen zusammen. Am Abend wartet wieder ein
voller Saal im "Löwen" in Jestetten.
--
Nachgefragt
Käthi Furrer, Präsidentin Protestbewegung "Klar Schweiz"
"In der Schweiz sind wir zu gutgläubig, ja schon
blauäugig"
Florian Imbach
Frau Furrer, wie haben Sie als schweizerische Atomkraftgegnerin
das Referat ihres deutschen Kollegen aufgenommen?
Käthi Furrer: In Deutschland sind die Missstände
offensichtlicher als in der Schweiz. Dort sieht man die
Endlagerproblematik deutlicher. Was in Gorleben passiert, ist
unglaublich. Das sollte auch Einfluss auf die Diskussion in der Schweiz
haben. Die grossen Probleme kommen nicht in ferner Zukunft auf uns zu,
sondern bereits heute.
Wo sehen Sie Unterschiede zum schweizerischen Protest?
Bei uns sind die Gefahren noch zu wenig bekannt. Wir müssen
eine breitere Öffentlichkeit finden. "Flops" wie etwa in der
Deponie Asse oder bei der Planung des Endlagers Gorleben sind auch bei
uns möglich.
Proteste in der Schweiz, auch im Weinland, sind eher harmlos,
fast schon brav. Wieso ist das so?
In der Schweiz sind wir zu gutgläubig, ja schon
blauäugig. Man vertraut den Experten. Deutsche Atomkraftgegner
können besser protestieren als wir, sie sind lauter und auch
prägnanter.
Was bedeutet das für Ihren Protest gegen ein Endlager im
Weinland?
Es gibt sicher keinen Grund mehr zu Gelassenheit. Wir werden
unseren Widerstand mit allen Mitteln intensivieren. Wir fordern mehr
Zivilcourage, nicht nur von einer links-grünen Minderheit, sondern
über alle Parteigrenzen hinweg. Es ist an der Zeit, dass auch die
Behörden hier im Weinland endlich Farbe bekennen. Ihre deutschen
Kollegen sind mutig und wehren sich mit den lokalen Gruppen gegen das
Endlager. Wir wollen wissen, welche Gemeinderäte hier in der
Region uns unterstützen.
Wie soll es Ihrer Meinung nach weitergehen mit dem geplanten
Endlager im Weinland?
Wir wollen keine vorschnelle Lösung. Wenn dieses Loch eine
Million Jahre halten soll, dann muss es sicher nicht jetzt sofort
gebaut werden, sondern kann auch noch warten, bis wir mehr wissen. Wir
wissen heute ja nicht einmal, was in 100 Jahren ist. Zuerst fordern wir
den Ausstieg aus der Atomkraft und die Förderung erneuerbarer
Energien. Danach kann man in Ruhe über eine geeignete Lösung
für den Atommüll diskutieren.
INTERVIEW: FLORIAN IMBACH
---
Sonntagszeitung 16.1.11
Neues AKW Mühleberg: Zwischenlager inklusive
Die Stimmunterlagen schweigen über das Lager für
radioaktive Abfälle
von Seraina Kobler
Zürich Das Berner Stimmvolk befindet am 13. Februar
über ein neues Atomkraftwerk in Mühleberg, erfährt aber
im Abstimmungsbüchlein nur die halbe Wahrheit. Unterschlagen wird
dort, dass neben dem neuen AKW auch ein Zwischenlager geplant ist. Bis
zu drei Fussballfelder gross soll es werden und neben schwach- und
mittelaktiven Abfällen auch hochradioaktiven Müll lagern.
Laut den Plänen der AKW-Betreiberin BKW besteht gar die
Möglichkeit, dass dieses Lager auch radioaktives Material von
anderen AKW übernehmen wird.
Heute wird der Atommüll aller AKW in der Schweiz im
zentralen Zwischenlager in Würenlingen AG aufbewahrt. Die
Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver
Abfälle (Nagra) sucht seit Jahrzehnten nach einem Tiefenlager, um
den Abfall definitiv zu lagern. Doch bis dieses steht - und das wird
frühestens in sechzig bis achtzig Jahren der Fall sein -, braucht
es ein Zwischenlager.
Die Bevölkerung rund um Mühleberg ist überrascht.
"An der Informationsveranstaltung im Gemeindehaus im letzten Jahr war
von solchen Undingen kein Wort zu hören", sagt Reiner zur Linde
aus dem Nachbarort Detligen. Auch Landwirt Walter Ramseier, ein Nachbar
des AKW, ist beunruhigt: "Weil niemand ein Tiefenlager möchte,
werden nun Hallen gebaut, die ein jahrzehntelanges Provisorium sein
werden."
Kein Platz im heutigen Zwischenlager
Antonio Sommavilla, Pressesprecher der BKW, sieht keinen Grund
zur Besorgnis: "Zwischenlagerung vor Ort entspricht heute dem
weltweiten Standard." So würden unnötige Transporte vermieden
und die Sicherheit erhöht. Das Zwischenlager in Würenlingen
sei zudem nur für die Abfälle der heutigen Kernkraftwerke
bemessen und die BKW wolle sich nicht darauf verlassen, dass in 30 bis
40 Jahren ein Tiefenlager zur Verfügung stehe. Um ihrer
Verantwortung gerecht zu werden, habe sie deshalb auch die
Zwischenlagerung beantragt.
Die mangelhafte Information in den Abstimmungsunterlagen, die
jetzt verschickt werden, stösst auf Kritik. Blaise Kropf,
Präsident der Grünen Partei Bern: "Lager für radioaktive
Abfälle lassen sich nur gegen massiven Widerstand der
Bevölkerung errichten." Nun würden die AKW-Betreiber den
skandalösen Versuch unternehmen, ein solches durch die
Hintertür zu errichten.
Für Josef Jenni, Umweltfachmann und Berner EVP-Grossrat, ist
klar: "Ein solches Lager muss in den Abstimmungsunterlagen unbedingt
erwähnt sein, denn es stellt ein grösseres Sicherheitsrisiko
dar als das AKW selber."
--
Neue Atomkraftwerke: Wirtschaft tief gespalten
Swisscleantech und FDP-Politiker setzen auf erneuerbare Energie -
und attackieren Economiesuisse heftig
Zürich Während der Wirtschaftsdachverband
Economiesuisse für den Bau neuer Kernkraftwerke eintritt, stellt
sich ein Teil der Wirtschaft und des Freisinns dagegen - aus
wirtschaftlichen Überlegungen. "Ein Atomkraftwerk ist einfach kein
sinnvolles Investment", sagt Nick Beglinger, Präsident von
Swisscleantech.
Dem erst einjährigen Verband gehören bereits 165 Firmen
an, darunter ABB Sécheron SA, Cisco, der börsenkotierte
Genfer Prüfkonzern SGS oder Endress + Hauser. Im letzten halben
Jahr hat sich der Mitgliederbestand verdoppelt. "Auch für uns ist
die Versorgungssicherheit zentral", sagt Beglinger, "doch die
lässt sich mit erneuerbaren Energien - inländischen wie
ausländischen - erreichen."
Diese Haltung teilt der FDP-Nationalrat und Unternehmer Ruedi
Noser. Er sitzt im politischen Beirat von Swisscleantech, ebenso die
freisinnige Ständerätin Erika Forster sowie die Nationalrats-
und Parteikollegen Hugues Hiltpold und Laurent Favre. Gegenüber
der SonntagsZeitung präzisiert Noser seine Einstellung: "Politisch
muss alles unternommen werden, damit das riesige Potenzial der
erneuerbaren Energien ausgeschöpft wird. Erst wenn man realisiert,
dass sich vorübergehend ein Restbedarf ergibt, soll Kernenergie
zum Einsatz kommen, doch höchstens als Übergangslösung."
"In 60 Jahren hat es in Europa längst zu viel Energie"
Noser bezweifelt, dass sich neue Kernkraftwerke wirtschaftlich
rechnen. "Dazu müssten sie über die lange Dauer von 60 Jahren
abgeschrieben werden können, doch bis dann wird es in Europa
längst zu viel Energie geben." Anders als ein Gaskraftwerk
könne ein AKW nachts nicht abgeschaltet werden.
Von der offiziellen Economiesuisse- und FDP-Position setzt sich
auch der FDP-Nationalrat und Basler Gewerbedirektor Peter Malama ab. Er
ist Vorstandsmitglied von Swisscleantech: "Notfalls die
Betriebsbewilligung bestehender Atomkraftwerke zu verlängern,
kommt nur infrage, wenn die Risiken für die Bevölkerung
möglichst gut abgeklärt werden können." Im Zweifelsfall
sollten stattdessen Gaskraftwerke gebaut werden. Zweitens müsste
die Verlängerung der Laufzeit mit der Einführung einer Abgabe
gekoppelt werden, zum Beispiel zugunsten der erneuerbaren Energien.
Ganz anders tönte es vergangene Woche aus dem Munde des
Economiesuisse-Präsidenten und FDP-Nationalrats Gerold
Bührer: Die Sicherung des Ersatzes für Kernkraftwerke, deren
Laufzeit ablaufe, sei im Interesse der Versorgungssicherheit
unabdingbar.
Das versetzt den Swisscleantech-Präsidenten Beglinger in
Aufruhr: "Economiesuisse vertritt die Partikularinteressen der
Energiekonzerne und der Grossverbraucher. Swisscleantech ist
gegründet worden, weil Economiesuisse Nachhaltigkeit als Problem
statt als Chance einstuft."
Wenn die 20 Milliarden Franken, die zwei neue AKW mindestens
kosten würden, zur Förderung erneuerbarer Energien und der
Energieeffizienz-Technologie eingesetzt würden, könnten viel
mehr Firmen eine viel grössere Wertschöpfung erreichen.
Für die Exportindustrie tue sich die Chance auf, dass die Schweiz
nach der Schokolade und den Uhren auch mit Cleantech assoziiert werde.
Immerhin habe nun Economiesuisse eine entsprechende Studie in Auftrag
gegeben. V. Weber
---
Sonntag 16.1.11
Bund soll nicht für AKW-Betreiber zahlen müssen
Bald müssen Schweizer AKW stillgelegt werden. Reicht das
Geld der Betreiber dafür nicht, hat allenfalls auch der Staat zu
zahlen. Das will Anita Fetz auf jeden Fall verhindern
Sicher ist sicher. Und der Bund wollte bei der Entsorgung der
Atomkraftwerke im Lande auf Nummer sicher gehen. Denn schon bald muss
die Schweiz über den Bau neuer AKW entscheiden. Grund: Nach 2020
muss die erste der bestehenden Anlagen abgestellt werden. Die
AKW-Betreiber müssen deshalb das Geld für die aufwändige
Stilllegung sowie für die Entsorgung der Abfälle in zwei vom
Bund kontrollierte Fonds einzahlen. So soll verhindert werden, dass
sich die Gesellschaften nach Ende der Laufzeit ihrer AKW auflösen
und die Stilllegung der Anlagen plötzlich auf Kosten der
Allgemeinheit geht.
So weit, so gut. Doch: Im Kernenergiegesetz scheint eine
Lücke zur Nachschusspflicht des Staates zu bestehen. Das zumindest
befürchtet Anita Fetz. Per Motion fordert die Basler
SP-Ständerätin deshalb vom Bundesrat eine
Gesetzesänderung, damit die öffentliche Hand auch sicher kein
Nachschussrisiko treffen kann. Denn mit der heutigen Gesetzesregelung
bestehe für den Staat ein Finanzrisiko, "das ein erhebliches
Ausmass annehmen kann".
Die Gesamtkosten für die Stilllegung der Anlagen und die
Entsorgung der Abfälle aus dem Betrieb der fünf Schweizer AKW
wurden 2006 auf insgesamt 15,5 Milliarden Franken berechnet: 2,2
Milliarden für die Stilllegung und 13,3 Milliarden für die
Entsorgung. Gemäss dem Bundesamt für Energie (BFE) sind durch
die beiden Fonds insgesamt 8,5 Milliarden Franken sicherzustellen. Ende
2009 betrug das angesammelte Kapital rund 3,97 Milliarden. Somit waren
ab 2010 über weitere Beiträge der Betreiber und
Kapitalerträge noch 4,53 Milliarden Franken sicherzustellen.
Die AKW-Betreiber haben sich in der Vergangenheit stets
zuversichtlich gezeigt, dass sie die nötigen Gelder in der
erforderlichen Zeit zusammenhaben werden. Keine Überraschung.
Angesichts der geplanten neuen Atomkraftwerke wollen die Betreiber
schliesslich jede negative Presse vermeiden. Kürzlich wies die
"Handelszeitung" darauf hin: "Sollte in der Öffentlichkeit auch
nur der leiseste Verdacht entstehen, es könnte das Geld fehlen, um
abgeschaltete AKW zu demontieren und den Abfall ins Endlager zu
verfrachten, kämen die Betreiber von der Politik unter Druck, Geld
nachzuschiessen."
Doch auch wenn die Betroffenen bisher stets versichert haben,
dass die Fonds für die Stilllegung der AKW sowie die Entsorgung
radioaktiver Abfälle reichen werden, äussern sie sich gegen
den Vorstoss von Anita Fetz. Eine Änderung des Kernenergiegesetzes
drängt sich beispielsweise aus Sicht des Stromkonzerns Axpo nicht
auf. "Der beanstandete Absatz verpflichtet die öffentliche Hand in
keiner Weise", betont Mediensprecherin Anahid Rickmann. Vielmehr
könne die Bundesversammlung beschliessen, ob sich der Staat an
nicht gedeckten Kosten beteiligen soll.
Das beurteilt Anita Fetz etwas anders. Sie will nun verhindern,
dass zuletzt eben doch noch der Staat zur Kasse gebeten wird, sollte
der Fonds nicht ausreichen. Denn gemäss Kernenergiegesetz muss
heute der Bund nach Massgabe des Parlaments zahlen, falls die
Nachschusspflicht für die AKW-Betreiber wirtschaftlich nicht
tragbar wäre. Fetz: "Wie bei der Too-big-to-fail-Problematik hat
der Bundesrat eine Lösung vorzuschlagen, damit der Staat in keinem
Fall ein solches Risiko treffen kann." Denkbar seien etwa
Versicherungslösungen zulasten der Beitragspflichtigen. "Die
Steuerzahler sollen nicht als letzte In-stanz für dieses Risiko
einstehen müssen."Daniel Ballmer
--
Auch Rückholung darf den Staat nichts kosten
Der Bundesrat soll im Kernenergiegesetz die finanzielle Vorsorge
für den Fall einer allfälligen Rückholung radioaktiver
Abfälle gemäss dem Verursacherprinzip ergänzen. Das
fordert die Basler SP-Ständerätin Anita Fetz in einer zweiten
Motion. Dabei seien auch die Kosten zu berücksichtigen, die nach
der Rückholung aus Tiefenlagern entstehen. Den Bund dürfe
dabei auf gar keinen Fall ein Finanzrisiko treffen.
Schon mehrfach hat der Bundesrat erklärt, dass das Gesetz
die Rückholungskosten sowie die weitere Behandlung radioaktiver
Abfälle derzeit tatsächlich nicht regelt. Die entsprechenden
Kosten würden auf insgesamt 3,5 Milliarden Franken geschätzt,
betont Fetz. Da ein Tiefenlager nach Verschluss aber nicht mehr dem
Kernenergiegesetz untersteht, wären diese Kosten
vollumfänglich durch den Bund zu tragen - also durch den
Steuerzahler. Das Kernenergiegesetz müsse deshalb so angepasst
werden, dass die öffentliche Hand keinerlei Finanzrisiko trifft.
Der Bundesrat seinerseits hat sich bis heute stets gelassen
gezeigt: Die regelmässige Überprüfung der Stilllegungs-
und Entsorgungskosten, die Veröffentlichung der Jahresberichte,
Jahresabrechnungen und Kostenstudien sowie eine zielstrebige
Standortsuche und Realisierung von geologischen Tiefenlagern
würden "Gewähr bieten für einen verantwortungsvollen
Umgang mit der Entsorgung der radioaktiven Abfälle". (db)
---
NZZ am Sonntag 16.1.11
"Langfristig muss die Versorgung auf erneuerbaren Energien basieren"
Kurt Rohrbach, der Chef der Bernischen Kraftwerke BKW, steht im
Fokus der Schweizer Atom-Diskussion. Die Kritik an seiner Firma
hält er für unbegründet
Die Bernischen Kraftwerke würden gern mehr Strom aus
alternativen Quellen herstellen, sagt ihr Chef Kurt Rohrbach. Aber
seine Firma dürfe nicht.
NZZ am Sonntag: Die BKW machen Schlagzeilen: Sie wollen weniger
in erneuerbare Energien investieren als geplant. Damit stossen sie auf
Kritik.
Kurt Rohrbach: Wir wollen nicht weniger investieren, sondern wir
können nicht. Wir haben unser Ziel nach unten korrigieren
müssen. Wir sind in der Schweiz die grösste Produzentin von
neuen erneuerbaren Energien und haben gegen 100 weitere Projekte. Von
diesen werden sich weniger realisieren lassen als geplant, denn der
Widerstand dagegen ist massiv. Die Bewilligungsverfahren sind
schleppend und auf behördlicher Ebene wenig koordiniert.
Deutschland macht es Ihnen vor: Es nutzt Sonnenenergie viel
stärker.
An die Strommengen, die nötig wären, liefert die
Sonnenenergie höchstens einen Beitrag im Promillebereich. Mit
Kleinwasserkraft- und Windkraftwerken lassen sich immerhin einige
Prozente gewinnen.
Bern könnte ein Strom-Pionierkanton sein. Sie haben
Wasserkraft und Solar-Firmen mit Weltruf wie Meyer Burger.
Meyer Burger hat den Ruf zu Recht, weil sie den internationalen
Markt mit Maschinen für die Bearbeitung von Solarpanels beliefert.
Das löst jedoch nicht unser Problem, dass wir für kleine
Wind- und Wasserprojekte keine Bewilligung bekommen.
Sind grosse Energiekonzerne die Richtigen fürs Bauen kleiner
Anlagen?
Wir haben für diese Aktivitäten die Tochterfirma sol-E
Suisse gegründet. Bei Kleinanlagen braucht's tatsächlich
einen anderen Spirit. Aber auch sol-E Suisse stösst ständig
auf Widerstand.
Ihre Kritiker sagen, Sie planten Alternativenergie-Anlagen
gezielt dort, wo diese auf Widerstand stossen.
Diesen Vorwurf kann nur machen, wer noch nie an einem solchen
Projekt gearbeitet hat. Wir gehen die Projekte mit den grössten
Realisierungschancen und dem grössten Energiepotenzial an. Alles
andere wäre unprofessionell.
Sie reden das Potenzial erneuerbarer Energien klein. Lautet Ihre
versteckte Botschaft, ohne Atomkraft geht es nicht?
Mit einer Korrektur von zu hoch gesteckten Erwartungen liegt man
immer falsch. Vor einer Abstimmung wird uns vorgeworfen, es sei
Propaganda. Würden wir nichts sagen, dann würde man uns
vorwerfen, wir hätten es verschwiegen.
Sie werden für Ihren Rückzieher zurzeit in den Medien
stark kritisiert.
Das Potenzial der neuen erneuerbaren Energien wird vielerorts
überzeichnet. Da gibt es eben schon harsche Reaktionen, wenn die
Erwartungen an die Realität angepasst werden. Uns wird
unterstellt, wir kürzten Budgets. Das stimmt nicht, und von einem
Rückzieher kann gar keine Rede sein.
Der Kanton Bern und die BKW stehen im Fokus der Schweizer
Kernenergie-Diskussion. Wenn Sie die Abstimmung verlieren, ist das
für die ganze Atomwirtschaft schlecht. Sind Sie nervös?
Natürlich sind wir gespannt auf den Ausgang der Abstimmung.
Und unsere Partner Axpo und Alpiq erkundigen sich ab und zu nach der
Situation.
Die Stadt Bern hat sich eben gegen einen radikalen Ausstieg aus
der Atomenergie ausgesprochen. Stimmt Sie das zuversichtlich?
Wir haben zur Kenntnis genommen, dass die Stadt Bern vorsichtig
mit ihrer Stromzukunft umgehen und ihre Anteile aus Gösgen und
Fessenheim bis zum Schluss nutzen will.
Sie haben zusätzlich das Problem, dass die Berner Regierung,
Ihre Mehrheitsaktionärin, atomkritisch ist. "Die Kernenergie ist
für den Regierungsrat keine Option für eine
zukunftsfähige Energiepolitik", schreibt diese.
Ja, wir haben unterschiedliche Auffassungen. Dass sehr
langfristig die Versorgung weitestgehend auf erneuerbaren Energien
basieren muss, ist allen klar. Die Frage ist die nach dem Zeithorizont.
Heute realisierbar ist eine CO2-freie Stromproduktion mit Kernenergie.
Das Berner Kantonsparlament stellt sich klar positiv zum Ersatz von
Mühleberg.
Ist bei einem Nein in Bern das Projekt für ein neues KKW
Mühleberg erledigt?
Das müsste man differenziert anschauen. Sicher hätte
Mühleberg nach einer deutlich negativen Stellungnahme unter den
drei Standorten sehr schlechte Karten.
Es gibt drei Gesuche für neue KKW, gebaut werden
höchstens zwei. Vor kurzem einigten sich BKW, Alpiq und Axpo, wie
sie den Besitz an den zwei aufteilen würden. Zufällig kurz
vor der Abstimmung?
Sicher waren alle drei Partner daran interessiert, vorher zu
einem Einvernehmen zu kommen. Damit ist Klarheit geschaffen. Es kann
wie eine Art Versicherung für alle Partner angesehen werden.
Die Tendenz spricht gegen Kernenergie. Die Preise für
alternative Energie sinken, die für Atomkraft steigen. Die
Beschaffung von Uran wird schwieriger.
Das stimmt so nicht. Die Kosten für Uran fallen kaum ins
Gewicht. Wichtiger ist die Frage, wie sich die Investitionskosten
für Kernkraftwerke entwickeln. Bei Sonnen-, Wind- und
Wasserkraftwerken müssen auch die Speicherung und die zeitliche
Anpassung an den Bedarf eingerechnet werden. Das wird oft
unterschätzt.
Banken sind Kernenergieprojekten gegenüber kritischer
geworden.
Es gibt weltweit kaum Kernkraftprojekte, die an der Finanzierung
gescheitert wären.
Sie preisen den BKW-Strommix im Abstimmungskampf als
klimaneutral, verschweigen dabei aber Ihre fossilen Kraftwerke in
Italien und Deutschland.
Die Beteiligungen am Gaskombikraftwerk in Livorno Ferraris und am
Kohlekraftwerk in Wilhelmshaven sind Teil unseres diversifizierten
Kraftwerkparks. Wir werden im Bereich der fossilen Stromproduktion aber
nicht mehr dazukaufen. Wir haben an beiden Orten in die neueste
Technologie investiert. Dadurch werden die CO2-Emissionen stark
verringert, denn neue Anlagen drängen ältere aus dem Markt.
So leisten wir einen Beitrag zur CO2-Reduktion.
Interview: Benjamin Tommer
--
Kurt Rohrbach
Der 55-jährige Berner Kurt Rohrbach ist als Präsident
des Verbands der Schweizerischen Elektrizitätsunternehmen zurzeit
der "höchste Stromer" der Schweiz. Rohrbach ist ausgebildeter
Elektroingenieur ETH; seit seinem 25. Altersjahr ist er für die
Bernischen Kraftwerke (BKW) tätig, seit zehn Jahren als ihr
operativer Chef.
--
Kantonale Volksabstimmung
Berner stellen atompolitische Weiche
Im Kanton Bern tobt zurzeit ein Streit um die Zukunft der
Atomenergie. Anlass dazu bietet die Volksabstimmung vom 13. Februar, in
der die Bernerinnen und Berner entscheiden, ob in Mühleberg als
Ersatz für das 38-jährige Kernkraftwerk ein neues,
Mühleberg II, gebaut werden soll. Wirklich entscheiden können
die Berner nicht. Es handelt sich nur um eine Konsultativabstimmung
zuhanden des Bundes. Gleichwohl gilt der Urnengang als wichtiger
Stimmungstest mit Blick auf eine nationale Abstimmung über neue
Atomkraftwerke, die voraussichtlich 2013 stattfinden wird. Beobachter
rechnen mit einem knappen Entscheid, wobei frühere Abstimmungen
annehmen lassen, die Kernkraftbefürworter seien in der
Überzahl. Der Kanton hat 2003 die Volksinitiativen "Strom ohne
Atom" und "Moratorium" jeweils deutlich abgelehnt. Herausragende
Köpfe im Abstimmungskampf sind Kurt Rohrbach (siehe Interview) und
SP-Regierungsrätin Barbara Egger. Die Fronten sind undurchsichtig.
Egger ist einerseits erklärte Atomstrom-Gegnerin; als
Energiedirektorin und Vertreterin des Mehrheitsbesitzers Kanton Bern
sitzt sie aber im BKW-Verwaltungsrat. Das kantonale Parlament wiederum
ist mehrheitlich kernenergiefreundlich. Widersprüchlich sind die
Meinungen auch, was ein Nein der Berner zu Mühleberg II hiesse:
Während die BKW unter Umständen weiter planen wollen,
vertritt Egger die Haltung, ein Nein bedeute das Aus für ein neues
Berner Atomkraftwerk. (bto.)
---
Bund 15.1.11
Wie Spezialisten einen Störfall im AKW Mühleberg trainieren
Simon Thönen
Ein schwerer Unfall in einem Atomkraftwerk ist laut den
zuständigen Behörden zwar sehr unwahrscheinlich, dennoch wird
er regelmässig geprobt. In Mühleberg zuletzt 2009 mit der
Übung "Medea". Der stellvertretende Übungsleiter Martin
Haller beurteilte den Verlauf der Übung damals als "gut bis sehr
gut": Die zuständigen Notfallspezialisten seien mitten in der
Nacht rechtzeitig aufgeboten worden und die Führung habe ihre
Verantwortung wahrgenommen.
"Medea" zeigte aber auch Schwachstellen: So konnte die Nationale
Alarmzentrale ausgerechnet in der kritischen Phase des (fiktiven)
Störfalls die Werkleitung in Mühleberg nicht mehr erreichen.
Auch waren nicht alle Beteiligten über die
Schlüsselereignisse im Bild. Die medizinische Hotline Medgate
funktionierte in der Übung - doch ihr fehlten Informationen zum
Störfall. Vor allem zeigte "Medea", dass es sehr schwierig ist,
einen AKW-Unfall einigermassen realistisch zu üben. — Seite 25
--
So wird der AKW-Unfall geprobt
Was passiert, falls der wenig wahrscheinliche AKW-Unfall doch
eintritt? Dies üben alle zwei Jahre Dutzende von
Notfallspezialisten - jedoch stets ohne die Bevölkerung.
Simon Thönen
16. Oktober 2009, mitten in der Nacht - der fiktive Störfall
im Atomkraftwerk Mühleberg beginnt: Infolge einer Kette von Pannen
werden die Brennstäbe im Reaktor nicht mehr ausreichend
gekühlt. Um 03.15 Uhr alarmiert das Werk den Pikett im
Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) und in der
Nationalen Alarmzentrale (NAZ). Um 03.35 stuft der Diensthabende im
Ensi das Geschehen als gravierend ein. Um 03.45 Uhr wird die
Notfallorganisation des Ensi aufgeboten, 03.50 die NAZ.
So rollte die "Gesamtnotfallübung Medea" im AKW
Mühleberg an. Alle zwei Jahre proben Dutzende von Spezialisten, ob
sie sich richtig verhalten würden, falls doch passierte, was laut
Ensi und den AKW-Betreibern derart unwahrscheinlich ist, dass man es
nahezu ausschliessen kann: ein Unfall, der zu radioaktiver Verstrahlung
der Umgebung führt.
"Nach Checklisten bewältigen"
Traditionsgemäss erhalten diese Übungen Namen aus der
antiken Mythologie. Diese war nach Medea benannt: jener Frau, die aus
Rache an ihrem untreuen Ehemann ihre zwei Kinder ermordet. "Medea
beging eine Kurzschlusshandlung", sagt der stellvertretende
Übungsleiter Martin Haller: "Das Ziel der Übung war, genau
dies zu vermeiden. Auch ein sehr unwahrscheinlicher Störfall soll
sauber, geordnet und nach Checklisten bewältigt werden."
Haller ist stellvertretender Ausbildungschef im Bundesamt
für Bevölkerungsschutz, "Medea" war seine erste nukleare
Notfallübung. Haller baute zwei Elemente aus der Realität in
das fiktive Szenario ein: Erstmals wussten die rund achtzig Beteiligten
- wie bei einem Störfall - nicht, wann die Alarmübung
beginnt. Neu war auch, dass er "Medea" unter echten meteorologischen
Bedingungen durchspielen liess.
"Minimaler Austritt"
Dennoch, das nukleare Störfallszenario war bei weitem kein
Super-GAU: Eine Kernschmelze wie 1986 in Tschernobyl und teilweise 1979
im amerikanischen AKW Harrisburg hätte verhindert werden
können. Erst acht Stunden nach Beginn des Störfalls, zwischen
11 und 12 Uhr, hätten wegen Überdruck im Reaktor radioaktive
Gase in die Umwelt abgelassen werden müssen. "Der Austritt
wäre minimal gewesen", sagt Haller.
Aber: Das Drehbuch von Haller forderte die Übenden. Die
Feuerwehr fragte an, wie lange sie einen - ebenfalls fiktiven und vom
Störfall unabhängigen - Schulhausbrand in Golaten
löschen dürfe. Fiktive Journalisten standen bereits um 7 Uhr
in Mühleberg vor den Werktoren. Greenpeace demonstrierte auf dem
Bundesplatz. Vieles mussten die Notfallspezialisten gleichzeitig
entscheiden, etlichen Anordnungen gingen heftige Fachdiskussionen
voraus.
Wie stets bei solchen Übungen fehlte aber die grosse
Unbekannte und der Hauptfaktor in der Katastrophe: die
Bevölkerung. Denn "Medea" war eine sogenannte Stabsübung,
"beübt" wurden die Betriebsleitung im Kernkraftwerk Mühleberg
sowie die Verantwortlichen des Bundes und der Kantone Bern und
Freiburg. Sogar die Gemeindebehörden waren nur am Rand einbezogen.
Der Gemeindepräsident von Wohlen, Eduard Knecht, machte mit
- damals noch als Chef des Gemeindeführungsstabs. Auf
Gemeindeebene sei es "eine Checklisten-Übung" gewesen, sagt er.
Man habe festgestellt, dass die Alarmierung von kantonalem
Führungsstab zu Gemeinde, Zivilschutz und Feuerwehr funktionierte.
"Wir konnten zurückmelden, dass wir bereit sind - und damit war
die Sache für uns erledigt."
Bei Sirenengeheul: Radio hören
Knecht wird nachdenklich bei der Frage, was geschähe, wenn
der Unfall mit der radioaktiven Wolke sich in der Realität
ereignen würde. "Auf eine Kernmantel-Explosion in Mühleberg
wäre kaum jemand vorbereitet, schon gar nicht auf Gemeindeebene",
sagt er. Die Rolle der Gemeindebehörden sei bei einem Unfall in
einem Kernkraftwerk ohnehin beschränkt. "Die Führung im
Ernstfall läge auf nationaler Ebene, informiert würde die
Bevölkerung vor allem mittels Sirenen und Radio."
Bei "Medea" hätten die Sirenen ein erstes Mal um 8.45 Uhr
geheult. Der "Allgemeine Alarm" hätte bedeutet, dass ein
"Entweichen" von radioaktiven Stoffen "nicht mehr ausgeschlossen werden
kann". Wer in der Gefahrenzone 1 oder 2 wohnt und noch ein Telefonbuch
besitzt, hätte dort nachlesen können, was er tun muss: Radio
hören, Anweisungen befolgen, Nachbarn informieren, Ruhe bewahren.
Das Radio würden die meisten wohl von sich aus einschalten.
Berner und Freiburger "tauchen"
Dort, wo ein Durchzug der radioaktiven Wolke zu erwarten
wäre, hätte die Bevölkerung sich darauf vorbereiten
müssen, zu "tauchen", wie es im Fachjargon heisst. Konkret: den
nächstgelegenen Keller oder Schutzraum aufsuchen, Fenster und
Türen schliessen, Jodtabletten, Radio und Lebensmittel mitnehmen.
Bei "Medea" hätten die Sirenen um 10.50 Uhr einen weiteren
"Allgemeinen Alarm" ausgelöst: Zehn Minuten später wären
die radioaktiven Gase aus dem AKW Mühleberg entwichen. Bei "Medea"
musste zuerst die Bevölkerung der Stadt Freiburg "tauchen", doch
um 15 Uhr drehte der Wind Richtung Bern. "Über 550 000 Menschen -
unter anderem die Einwohner der Stadt Bern mitsamt dem Bundesrat -
hätten vorsorglich einen Keller oder Schutzraum aufsuchen
müssen", bilanziert die NAZ. Aufgrund der angenommenen schwachen
Strahlung bei "Medea" wäre dies nicht nötig gewesen, sagt
Haller. "Die Übungsteilnehmer haben im Zweifel zugunsten der
Vorsicht entschieden."
Keller oder doch Flucht?
In Kellern ist der Schutz vor Radioaktivität 30 bis 50 Mal
besser als im Freien, und das Schlucken der Jodtabletten kann
verhindern, dass sich radioaktives Jod in der Schilddrüse
anreichert. Aber hätten sich Berner, Freiburgerinnen und Wohlener
so verhalten? Knecht ist skeptisch. Er vermutet, viele würden wohl
versuchen, mit ihrer Familie im Auto zu fliehen. Die Reaktion der
einzelnen Menschen in einem Ausnahmezustand sei schwer vorherzusagen.
"Vielleicht überleben in Katastrophen ja auch gerade jene, die
selber denken und handeln."
Der Blick in den eigenen Keller gibt zu denken. Böte der
schlecht isolierte, zugige Keller wirklich mehr Schutz als die Wohnung
mit den modernen Fenstern? Und: Wäre es nicht doch besser, sofort
im Auto oder im Zug zu fliehen, wenn die Wolke erst Stunden später
käme? Oder stünde man dann schutzlos im Stau, wenn sie kommt?
Wie viel Zeit bliebe, um Angehörige zu suchen? Soll man doch
telefonieren, bevor das Netz zusammenbricht? Ohne die Bevölkerung
lässt sich ein Störfall kaum proben.
Übungen mit Einbezug der Bevölkerung seien dennoch
nicht sinnvoll, finden sowohl Haller wie Knecht. "Entweder würden
die Leute meinen, es sei ein Ernstfall, und dann gäbe es ein
Chaos", sagt Knecht. "Oder sie würden die Übung einfach nicht
ernst nehmen." Haller räumt jedoch ein, dass "Medea" "einmal mehr
gezeigt hat, wie schwierig es ist, die Echtsituation eines
KKW-Störfalls mit all seinen Konsequenzen darzustellen". Und wenn
es doch passieren würde - und vielleicht gravierender als Haller
es im "Medea"-Drehbuch angenommen hat? "Wir müssten so gut wie
möglich tun, was wir geübt haben", sagt Haller, "wir
hätten keine Wahl."
Neues AKW in Mühleberg? Am 13. Februar entscheidet das Volk
im Kanton Bern. muehleberg.derbund.ch
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BZ 15.1.11
AKW-Unfall: Die Wunde der Schweiz
AtomstromWie sicher sind Atomkraftwerke wirklich? Wie gross ist
das Restrisiko eines Unfalls? Eine klare Antwort gibt es nicht. Aber:
In der Schweiz hat sich 1969 einer der weltweit grössten
Atomunfälle ereignet.
Einig sind sich Atomkraftbefürworter und -gegner eigentlich
nur in einem Punkt: Das Betreiben eines AKW birgt ein Restrisiko. Dann
hört die Einigkeit aber auch schon auf. Die Atombranche
schätzt das "Restrisiko" eines grösseren Atomunfalls als
äusserst gering ein. Schliesslich sei es in 14 000
Erfahrungsjahren mit Atomkraftwerken "nur" zu zwei Unfällen mit
Zerstörung des Reaktorkerns gekommen.
AKW-Gegner dagegen berufen sich auf Murphys Gesetz, das besagt:
"Alles, was schiefgehen kann, wird auch schiefgehen." Aus ihrer Sicht
geben ihnen die Sicherheitsbeurteilungen 2009 der Schweizer
Atomkraftwerke recht: Noch nie schnitten Schweizer Kernanlagen
schlechter ab als vorletztes Jahr.
Ein Blick in die Vergangenheit der Schweiz zeigt, dass
hierzulande einer der weltweit schwersten Atomunfälle passiert
ist, und zwar 1969 in Lucens im Kanton Waadt. Im Versuchsreaktor kam es
zu einer partiellen Kernschmelze, Uran trat aus. Das Werk wurde
stillgelegt.
Derweil sprechen sich mehrere Tourismusorganisationen für
den Bau eines neuen AKW in Mühleberg aus.pasSeite 13 + 16
--
Atomkraftwerke ● Gefahr und Risiken
Wie gross ist das Restrisiko?
Das Unfallrisiko in AKW ist äusserst klein. Die
Wahrscheinlichkeit ist fast gleich null, rechnen Atombefürworter
vor. Die Gegner argumentieren mit Murphys Gesetz: "Alles, was
schiefgehen kann, wird auch schiefgehen."
Auf der Zunge leicht metallisch mit einem bitteren Nachgeschmack:
So schmeckt die cremefarbene Pille "Kaliumiodid 65 mg, Armeeapotheke",
die in jeder Hausapotheke liegen sollte. Die Tablette ist ein
Notfallmittel und soll im Fall eines AKW-Störfalls die
Bevölkerung vor Schilddrüsenkrebs schützen. Im Kanton
Bern wurden die abgelaufenen Packungen eben erst durch neue ersetzt.
"Die letzten Auslieferungen sind Anfang Dezember erfolgt", sagt Peter
May vom kantonalen Amt für Bevölkerungsschutz. Somit stehe
theoretisch jeder Bernerin und jedem Berner wieder eine Ration von 2x5
Tabletten zur Verfügung.
Der Staat muss auf den GAU, den grössten anzunehmenden
Unfall bei einem AKW, vorbereitet sein. Oder zumindest auf einen
mittelschweren. Die hiesigen Schutzverordnungen gehen nämlich
lediglich von einem mittelschweren Krisenszenario aus. Ein
möglicher Super-GAU, wie er in Tschernobyl passiert ist, wird
dabei nicht berücksichtigt; entsprechende Schutzmassnahmen sind
nicht vorgesehen.
Jeden Monat ein Zwischenfall
"Warum auch?", fragen die Befürworter der
Nukleartechnologie. Die Technik sei heutzutage so ausgereift, dass ein
grösserer Unfall höchst unwahrscheinlich sei. Weil es in 14
000 Erfahrungsjahren nur zu zwei Unfällen mit Zerstörung des
Reaktorkerns kam, spricht die Atombranche von einem "Restrisiko" - und
das ist positiv gemeint. Ihre Sicherheitsanalysen gehen davon aus, dass
bei modernen AKW eine Kernschmelze nur einmal in einer Million Jahren
wahrscheinlich ist. Das heisst, dass solche Reaktoren mit
99,99-prozentiger Sicherheit keinen Störfall haben sollten.
Fehlerlos aber sind die Anlagen nicht, wie ein Blick in die
Unterlagen des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats
(Ensi) zeigt: In den fünf Schweizer AKW ereigneten sich im
Zeitraum von 2000 bis 2009 insgesamt 130 meldepflichtige Vorfälle
- also ein Vorfall pro Monat.
Sicherheit ist "ausreichend"
Dabei schnitten die Atommeiler 2009 punkto Sicherheit so schlecht
ab wie nie zuvor. Von der Beurteilung "hoch" waren sämtliche
Schweizer Werke weit entfernt. Und für zwei davon war sogar das
Prädikat "gut" noch zu hoch: Beznau und Gösgen erreichten im
jüngsten Bericht nur gerade ein "ausreichend". Grund: In Beznau
wurden bei Reparaturarbeiten Mitarbeiter einer Strahlung ausgesetzt,
die den Grenzwert von 20 Millisievert überschritt. Das Ensi stufte
den "Zwischenfall" auf der siebenteiligen Ereignisskala auf Stufe 2 ein
- so hoch wie bisher noch kein Vorkommnis in einem kommerziellen
Schweizer AKW.
Ein Vorfall aus Gösgen wurde zur Beurteilung gar an die
Bundesanwaltschaft übergeben: Die Verantwortlichen des dortigen
AKW ignorierten nämlich schlicht die Warnlampen, als beim
Wiederanfahren des Reaktors vier Sicherungen durchbrannten. Statt der
Ursache auf den Grund zu gehen, setzten sie das Anfahren nach der
Reparatur unbeirrt fort. Solche Vorkommnisse sind nicht eben dazu
angetan, das Vertrauen in die AKW-Betreiber zu stärken. Doch die
beschwichtigen: Solche Episoden seien zwar bedauerlich, aber
sicherheitstechnisch "nicht relevant". Die heutigen Anlagen seien
sicher, und die neuen würden noch besser. Eine Aussage, die von
Greenpeace infrage gestellt wird. Auf dem Papier sähen die Anlagen
der neuen Generation tatsächlich besser aus. Ob sie aber hielten,
was sie versprächen, oder vielleicht doch noch an
Kinderkrankheiten litten, werde sich erst im Betrieb zeigen.
Antonio Sommavilla, Mediensprecher der BKW, verweist gerne auf
die Tatsache, "dass es in westlichen Kernkraftwerken bisher zu keinem
Unfall mit gravierenden radiologischen Auswirkungen auf die
Bevölkerung in der Umgebung gekommen ist". Der Grund liege darin,
dass die Werke über eine Vielzahl von Sicherheitsvorkehrungen
verfügten. Um für den Fall der Fälle die Umwelt zu
schützen, würden Atommeiler nach dem Matrioschka-Prinzip
gebaut: Wie bei den russischen Holzpuppen werden die Barrieren gegen
den Austritt von Radioaktivität ineinandergeschachtelt und
schliessen die Strahlung ein. Die Baukonstruktion sei ausserdem auf
alle denkbaren und undenkbaren Ereignisse ausgelegt. Sie muss Lawinen,
Sandstürmen, Hochwassern, Dammbrüchen, Blitzschlägen,
Erdrutschen und Tornados standhalten. Nur bei einem Absturz eines
grösseren Flugzeugs bietet die meterdicke Schutzhülle heute
keinen genügenden Schutz.
Neue Gefahren drohen
Eine weitere Frage im Zusammenhang mit terroristischen
Aktivitäten stellt sich spätestens seit dem vergangenen Jahr:
Damals brachte der Computervirus Stuxnet die iranische Atomanlage
Bushehr ins Stocken. Wie gut sind unsere Werke gegen solche
Cyberattacken geschützt? "Manipulationen sind denkbar", sagte
Pascal Lamia von der Melde- und Analysestelle Informationssicherung des
Bundes jüngst gegenüber dieser Zeitung. Auch in der Schweiz
könnte ein Virus ins elektronische System eines Atomkraftwerks
eindringen. Doch der Schaden würde sich nach heutigem
Kenntnisstand in Grenzen halten, da er nur die nicht nuklearen Systeme
der Anlagen betreffen würde. "Der nukleare Teil ist gut
geschützt", heisst es beim Ensi, dem Eidgenössischen
Nuklearsicherheitsinspektorat. Das Reaktorsystem sei nicht
softwaregestützt. Oder anders gesagt: Ein Virus kann den Reaktor
nicht angreifen.
Pascal Schwendener
--
AKW: ja oder nein?
Abstimmung Am 13. Februar stimmt das Bernervolk darüber ab,
ob es in Mühleberg nach dem Jahr 2020 ein neues Atomkraftwerk will
oder nicht. Wichtig zu wissen: Es handelt sich dabei um eine
konsultative Abstimmung. Das heisst: Das Resultat ist für den Bund
nicht bindend, dürfte aber eine grosse Signalwirkung haben.
Diese Zeitung beleuchtet vor der wegweisenden Abstimmung in einer
Serie das Thema von verschiedenen Seiten.
--
SO FUNKTIONIERT EIN ATOMKRAFTWERK
Ein AKW produziert Strom aus der Energie, die bei der Spaltung
von Atomkernen freigesetzt wird. Mit dieser Energie wird im Reaktor
Wasser erhitzt. Dabei entsteht heisser Wasserdampf, der unter Druck
steht. Der Dampf wird auf eine Turbine geleitet. Die Turbine wiederum
gibt ihre Kraft an einen Generator weiter, der daraus Strom produziert.
Der Strom wird schliesslich ins Netz gespeist.
Als Brennstoff brauchen AKW Uran. Es befindet sich in dünnen
Brennstäben. Wie alle Stoffe besteht Uran aus Atomen - einem
Atomkern und geladenen Teilchen. Mithilfe von "kleinen Geschossen", den
Neutronen, werden die Atomkerne gespalten. Hierbei entstehen
radioaktive Kernbruchstücke und weitere Neutronen. Diese
können wieder neue Spaltungen von Urankernen auslösen; es
kommt zur Kettenreaktion. Dazu müssen die Neutronen durch den
Moderator, das Wasser im Reaktor, abgebremst werden. Die Kontrolle der
Kettenreaktion erfolgt durch Steuerstäbe, welche die Kernspaltung
regulieren. Die "herumfliegenden" Kernbruchstücke werden durch
Atome abgebremst. Ihre Bewegungsenergie wird so in Wärme
umgewandelt. Die Wärme erhitzt das Wasser, das die Brennelemente
umspült - Dampf entsteht.pas
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Der vergessene Schweizer GAU
Vor 40 Jahren entging die Schweiz knapp einer Katastrophe. Im
Versuchsreaktor in Lucens kam es zu einem der weltweit
schwerwiegendsten Atomunfälle in der zivilen Nutzung
überhaupt.
Ein verwitterter Bär am Schloss Lucens erinnert an die Zeit
der bernischen Herrschaft über die Waadt. Weiter unten im
Städtchen, mit deutschem Namen Lobsingen, ein weiteres Mahnmahl:
die Kaverne des ersten und letzten Schweizer Versuchsreaktors. Man
spricht nicht gern über den Unglücksort. Denn hier wurde der
Traum vom Atomreaktor "Made in Switzerland" zum Albtraum.
1962 beginnt in Lucens der Bau des Druckrohr-Reaktors. Die erste
Kettenreaktion findet 1966 statt, und 1968 wird erstmals Strom ins Netz
abgegeben. Alles läuft planmässig. Doch ein Jahr später
ereignet sich beim Wiederhochfahren der Versuchsanlage urplötzlich
einer der schwerstwiegenden Störfälle in der zivilen
Nukleartechnologie weltweit: Am 21. Januar um 17.13 Uhr gehen im
Kontrollraum sämtliche Alarme gleichzeitig los. 38 Fehler-Signale
gehen ein. Ein Druckrohr birst wegen Überhitzung. Es kommt zur
partiellen Kernschmelze. Uran tritt aus. Und obwohl der Reaktor sofort
abgeschaltet wird, entwickeln sich radioaktive Gase, welche ins Freie
gelangen. Eine Stunde nach dem Alarm wird festgestellt, dass in den
umliegenden Gemeinden die Werte "weit über der maximal
zulässigen Konzentration für ein unbekanntes Isotopengemisch"
liegen. Eine Fastkatastrophe. Das Werk wird stillgelegt und
zubetoniert, und die Schweiz begräbt ihre Hoffnung auf einen
"atomaren Alleingang". Die Demontage der Anlage dauert bis 1972. Doch
erst 2003 werden die letzten radioaktiven Abfälle ins
Zwischenlager in Würenlingen gebracht. 2004 wird die Anlage aus
der atomrechtlichen Aufsicht entlassen.
Die grössten Unfälle weltweit
Der Unfall in Lucens blieb nicht der letzte derartige Vorfall.
Die unten stehende Liste dokumentiert die nachfolgenden Unfälle,
welche auf der internationalen Bewertungsskala für nukleare
Ereignisse INES von "Unfall/ ernster Unfall" bis "katastrophaler
Unfall" qualifiziert wurden (INES, Stufe 4-5 bis 7).
Lucens, Schweiz 1969: Partielle Kernschmelze und Freisetzung von
Radioaktivität. INES 4-5
Rocky Flats, USA 1969: Spontanentzündung von Plutonium in
einem Container und Freisetzung von Plutoniumoxid. INES 4-5
Petersburg, Sowjetunion 1974: Zwei Unfälle mit Freisetzung
von Radioaktivität und Tod von drei Arbeitern. INES 4-5
Belojarsk, Sowjetunion 1978: Grossbrand im Turbinenhaus. Personal
wird einer hohen Strahlenbelastung ausgesetzt. INES 5
Harrisburg, USA 1979: Partielle Kernschmelze nach Ausfall der
Reaktorkühlung und Freisetzung von radioaktiven Gasen. INES 5
Tschernobyl, Sowjetunion 1980: Durch Fehlmanipulation wird das
Personal stark verstrahlt und grosse Mengen radioaktiven Materials
über die Stadt Pripyat verteilt. INES 5
Wladiwostok, Sowjetunion 1985: Auf einem Atom-U-Boot kommt es zu
einer spontanen Kettenreaktion. Zehn Personen sterben an einer
tödlichen Neutronendosis. INES 5
Tschernobyl, Sowjetunion 1986: Super-GAU. Kernschmelze und
Explosion des Reaktors. Zahlreiche unmittelbare Strahlenopfer sowie
eine unbekannte Zahl von Folgeopfern. Je nach Schätzung lag die
Zahl der Todesopfer irgendwo zwischen 4000 und 93 000.
Grossräumige Evakuation (Sperrgebiet mit 30 km Radius). In der
Folge Verbot für diverse landwirtschaftliche Produkte in Europa.
INES 7
Tokai-Mura, Japan 1999: Kettenreaktion in Brennelemente-Fabrik.
Mehrere Arbeiter teils schwer kontaminiert. 300 000 Anwohner werden
aufgefordert, die Häuser nicht zu verlassen. INES 4-5
pas
--
Touristiker werben für ein Ja zu Mühleberg
Thun/OberlandProminente Berner Oberländer Touristiker machen
sich stark für ein Atomkraftwerk in Mühleberg. Ihr
Hauptargument: Wenn die Versorgung mit Strom nicht gesichert sei,
litten der Tourismus und die Wirtschaft massiv.
Der Auftritt war massiert: Im Thuner Hotel Freienhof sassen der
Schönrieder Hotelier und Ex-Skirennfahrer Bruno Kernen, Gstaads
Tourismusdirektor Roger Seifritz, sein Interlakner Kollege Stefan Otz
sowie Urs Kessler, CEO der Jungfraubahnen und damit der grössten
Oberländer Tourismusmaschine. Angekündigt, aber im letzten
Moment abgemeldet war zudem der Kandersteger Hotelier und
Präsident des Wirteverbandes Gastrobern Casimir Platzer. "Wir
sitzen nicht hier, weil wir Atomstrom sexy finden", sagte Urs Kessler,
"aber es gibt keine valable Alternative." Deshalb, so die Botschaft,
sei bei der kantonalen Abstimmung vom 13. Februar ein Grundsatz-Ja zum
Ausbau des Atomkraftwerks Mühleberg, "vonnöten". Zumal die
Abstimmung im Kanton Bern Signalwirkung für die ganze Schweiz
haben werde.
Um mögliche Folgen zu illustrieren, zeigten die Touristiker
drastische Bilder, auf denen in unberührte Landschaften
unzählige Windräder hineinmontiert wurden. "Um gleich viel
Strom zu erzeugen, wie das AKW Mühleberg heute liefert,
müssten im ganzen Kanton Bern 742 Windräder gebaut werden",
rechnete Roger Seifritz vor.
Wunsch nach Stabilität
Eine intakte Landschaft sei für den Tourismus im Oberland
zentral, argumentierte Bruno Kernen. "Wir können die Kulisse nicht
mit Windrädern verschandeln." Zudem blase der Wind in der Schweiz
zu wenig stark, um genügend Strom zu liefern. Urs Kessler
erklärte, das Solarkraftwerk der Jungfraubahnen auf dem
Jungfraujoch liefere 19 000 Kilowattstunden Strom im Jahr. "Wir
verbrauchen aber 22 Millionen Kilowattstunden, zwei Drittel davon im
Winter." Das Problem, sagte Kessler, sei nicht, dass mit alternativen
Energien zu wenig Strom produziert werden könne. 60 Prozent des
Schweizer Stroms würden aus Wasser produziert. "Das Problem ist
die Stabilität der Versorgung."
Sprich: Ein Atomkraftwerk kann rund um die Uhr gleich viel Strom
liefern. Wasser-, Sonnen- oder Windstrom sind stark abhängig von
Wetter und Jahreszeit. Für einen funktionierenden Tourismus sei
aber zentral, dass die Stromversorgung auch zu Spitzenzeiten
gewährleistet sei. Als Beispiele wurden Weltcuprennen, Kongresse
oder Konzertevents von Klassik bis Rock genannt.
Kritik an Atomgegnern
"Wir würden den Strom, den wir im Sommer produzieren, gerne
speichern. Aber dafür ist ein Ausbau der Grimselstaumauer
nötig", sagte Kessler. Überhaupt sparten die vier Referenten
nicht mit Kritik an der Anti-Atom-Lobby: "Dieselben Leute, die gegen
ein neues AKW in Mühleberg sind, sind gegen die Erhöhung der
Grimselstaumauer und blockieren Windkraftwerke im Jura", stellte Stefan
Otz fest. Roger Seifritz sprach von "schizophrenen Kunden", welche zwar
Umweltschutz und Ökologie wollen, "aber gleichzeitig auch einen
hohen Komfort etwa bei den Transportanlagen oder der
Hotelinfrastruktur". Schnelle und sichere Bahnen,
Kundeninformationssysteme oder Internetzugang für Hotelgäste
- das alles brauche aber Strom. "Die Bevölkerung der Gemeinde
Saanen ist zwischen 2001 und 2010 um 6,7 Prozent gewachsen. Der
Stromverbrauch um 28 Prozent", rechnete Seifritz vor. Und: Der
Stromverbrauch werde weiter zunehmen, etwa damit die Skipisten noch
stärker als heute künstlich beschneit werden können.
"Natürlich sind wir darum bemüht, Energie immer
effizienter nutzen zu können", beteuerte Urs Kessler. "Mit der
Energie, die wir auf drei Talfahrten nach Wengen zurückgewinnen,
können wir heute mit einem Zug hoch auf die Kleine Scheidegg
fahren." Doch all diese Massnahmen reichten nicht aus. Denn: "Wir sind
überzeugt, dass der Stromverbrauch trotz allen Bemühungen
steigen wird."
Gefragt, ob ein Nein zu Mühleberg ein Ende des Tourismus im
Berner Oberland bedeuten würde, sagte Roger Seifritz: "Nein. Aber
es würde einen weiteren Wettbewerbsnachteil bedeuten, weil wir
einerseits mit steigenden Stromkosten rechnen müssten und
andererseits wohl von Strom aus dem Ausland abhängig würden."
Die offensichtliche Einigkeit der Touristiker aus dem Osten und
Westen des Berner Oberlandes schien derweil einen kurzen Moment ins
Wanken zu geraten, als die Frage auftauchte, ob man auch so geschlossen
für ein Endlager für radioaktive Abfälle votieren
würde. "Zwei Drittel dieser Abfälle stammen aus der Medizin",
sagte Urs Kessler. "Und das Zwischenlager in Würenlingen
erfüllt derzeit seinen Zweck. Sollte ein Endlager im Berner
Oberland aber einmal aktuell werden, müsste man das sicherlich
genau prüfen."
Marco Zysset
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WoZ 13.1.11
Kommentar
Schlau gejammert, BKW!
Von Susan Boos
Für gewöhnlich reden PressesprecherInnen viel, ohne
etwas zu sagen. Vergangene Woche war es anders, da sagte Marianne
Zünd im Schweizer Fernsehen: "Es ist ein absoluter
ökologischer Unsinn!" Das war gut, das war klar.
Seit 2009 wird mittels Kostendeckender Einspeisevergütung
(KEV) Ökostrom gefördert. Das führte zu einer wahren
Jagd nach dem letzten unverbauten Bach. Die WOZ berichtete schon im
vergangenen Frühling über diesen ökologischen Irrsinn.
Das Bundesamt für Ener gie hielt sich damals vornehm bedeckt
(siehe WOZ Nr. 16/10). Jetzt endlich bekennt Pressesprecherin Marianne
Zünd: Zehn Prozent der eingereichten Wasserkraftprojekte seien
ökologisch bedenklich. Und sie sagt auch: "Aus Sicht der
Versorgungssicherheit müsste kein einziger Bach verbaut werden."
Der WWF hat das schon längst vorgerechnet: Die umstrittenen
kleinen Kraftwerke bringen nämlich kaum zusätzlichen Strom -
weil in der Schweiz 95 Prozent der nutzbaren Wasserkraft bereits
genutzt werden. Es geht also nicht um die Produktion von grünem
Strom, sondern um den Bau von Goldmaschinen. Rentabler lässt sich
Geld nämlich kaum anlegen: Der WWF hat errechnet, dass bei den
umstrittenen Anlagen mit einer Rendite von bis zu 13,5 Prozent zu
rechnen ist.
Das Geld käme von uns, da alle StromkonsumentInnen pro
bezogene Kilo wattstunde 0,45 Rappen zahlen, die dann in den KEV-Topf
fliessen. Grundsätzlich eine gute Sache, würde das Geld in
die richtigen Projekte fliessen. Tut es aber nur beschränkt.
Und die Energiekonzerne nutzten die Gunst des Durcheinanders, um
alle an den Pranger zu stellen, die für einige Kilowattstunden
nicht das ganze Land hergeben möchten. Die bernische BKW FMB
Energie lud Anfang Woche zur Medienkonferenz, um der ganzen Schweiz zu
klagen: Wegen des breiten Widerstands gegen ihre Ökostromprojekte
könne sie bis 2030 nur 600 statt 1000 Gigawattstunden grünen
Strom bereitstellen. Schlau, so vermittelt man einer unbedarften
Öffentlichkeit: Ökofundis sind gegen alles, selbst gegen
Wind- und Wasserstrom - nicht nur gegen
Atomstrom.
Und das ist das heisse Thema, stimmen doch die BernerInnen am 13.
Februar darüber ab, ob sie ein neues AKW Mühleberg wollen,
das die BKW plant und das notabene viermal grösser werden soll als
das alte.
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BZ 13.1.11
Bürgerliche setzen sich für AKW ein
AKW-DebatteGestern stellten die Mitglieder des Co-Präsidiums
des Komitees "Ja zu Mühleberg" ihre Argumente vor.
Gleich sechs bürgerliche Berner Nationalräte sprachen
sich gestern für einen Ersatz des Atomkraftwerks Mühleberg
aus. Christa Markwalder (FDP), Ursula Haller (BDP), Adrian Amstutz
(SVP), Andreas Brönnimann (EDU), Norbert Hochreutener (CVP) und
Jean-Pierre Graber (SVP) engagieren sich im Co-Präsidium des
Komitees "Ja zu Mühleberg". Dem Komitee gehören 140 Personen
aus Politik und Wirtschaft sowie die wichtigsten
Wirtschaftsverbände des Kantons Bern an.
Die Referentinnen und Referenten stellen sich nicht gegen die
neuen erneuerbaren Energien aus Wind und Sonne. Im Gegenteil. Diese
Energiequellen gelte es nach wie vor in einem vernünftigen Mass zu
fördern. Doch leider sei es aus heutiger Sicht nicht realistisch,
dass die neuen erneuerbaren Energien mittelfristig die Atomenergie
vollständig ersetzen könnten.
"Bern baut Gaskraftwerk"
Wer Nein sage zur Kernenergie, müsse in Kauf nehmen, dass
der Strom künftig aus klimaschädigenden Gaskraftwerken stamme
und dass der Strom durch zunehmende Importe teurer werde, betonte
Christa Markwalder. Ursula Haller sagte, dass die Promotoren des
Ausstiegs aus der Atomenergie im Stadtberner Abstimmungskampf vom 28.
November 2010 genau diese Fakten verschwiegen hätten. Das
Stadtberner Stimmvolk entschied sich, bis ins Jahr 2039 keinen
Atomstrom mehr zu beziehen. "Weil Wind und Sonne noch nicht ausreichend
Strom liefern können, braucht Bern andere Stromquellen wie das
Gaskraftwerk im Forsthaus mit einem Ausstoss von jährlich 100 000
Tonnen CO2", sagte die Nationalrätin und Thuner
Gemeinderätin. Die 360 Gigawattstunden Strom, die bei der neuen
Kehrichtverbrennungsanlage ab 2012 jährlich produziert werden,
würden zu 80 Prozent aus Gas hergestellt, ergänzte Adrian
Haas, Direktor vom Handels- und Industrieverein des Kantons Bern.
Der Belper Nationalrat Andreas Brönnimann thematisierte die
wirtschaftliche Bedeutungen eines neuen AKW für den Kanton Bern.
Laut einer Studie brächte ein neuer Atommeiler jährlich eine
halbe Milliarde Franken Wertschöpfung für den Kanton.
nb
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BKW
Briefe verschickt Die Unternehmensleitung der BKW versucht auf
verschiedenste Art und Weise, das Stimmvolk für ein neues AKW zu
gewinnen. In die Informationsoffensive ging die BKW bereits im Dezember.
Laut der Nachrichtenagentur SDA verschickte die BKW an rund 4000
aktuelle und ehemalige Mitarbeitende je einen Brief des
Direktionsvorsitzenden Kurt Rohrbach. Der SDA liege dieser Brief vor.
Darin fasst Rohrbach die Position der BKW-Unternehmensleitung zum
Projekt eines neuen AKW in Mühleberg zusammen und schreibt dem
Personal: "Die Unternehmensleitung dankt Ihnen dafür, dass Sie
sich bei Gelegenheit und Begegnungen auch ausserhalb der BKW zum Thema
äussern."nb
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Langenthaler Tagblatt 13.1.11
"Tun wir nichts, kommt Stromlücke"
Abstimmung vom 13. Februar Überparteiliches Komitee will
neues Atomkraftwerk Mühleberg
Bruno Utz
Heute in einem Monat entscheiden die Bernerinnen und Berner
über die Stellungnahme des Kantons Bern zum
Rahmenbewilligungsgesuch für den Ersatz des Atomkraftwerks
Mühleberg. Gestern warfen Mitglieder des Komitees "Ja zu
Mühleberg" den Gegnern Realitätsferne vor: "In den letzten
zehn Jahren ist der Stromverbrauch in der Schweiz in der
Grössenordnung von zwei Kernkraftwerken gestiegen. Bis 2050
rechnet das Bundesamt für Energie mit einem jährlichen
Anstieg von bis zu zwei Prozent", sagte Christa Markwalder. Trotz
Effizienzsteigerung steige der Stromverbrauch auch aus
Komfortgründen. "Rund ein Drittel der Haushalte verfüge
über zwei, immer mehr über drei TV-Geräte." Schon heute
sei die Schweiz im Winter auf teure Stromimporte angewiesen.
Markwalders Fazit: "Machen wir nichts, fehlt uns bis 2035 gut die
Hälfte des heutigen Stromverbrauchs. Das ist die Stromlücke."
Es sei schlicht unmöglich, mit den erneuerbaren Energien in
den nächsten Jahrzehnten die heute von den Atomkraftwerken
produzierten 40 Prozent Schweizer Strom zu ersetzen, sagte Jean-Pierre
Graber: "Trotz aller Förderung lieferten 2008 Sonnen- und
Windenergie bloss 0,1 Prozent der gesamten Stromproduktion." Strom aus
Wind und Sonne seien in der Schweiz natürliche Grenzen gesetzt,
sagte Graber und verwies auf die Geografie des Landes. Erneuerbare
Energien aus dem Ausland importieren sei problematisch. Einerseits
fehle es an den nötigen Hochspannungsleitungen, andererseits
befänden sich Projekte für die Sonnenenergieproduktion in
Nordafrika erst in der Anfangsphase.
Private bezahlen Zeche
Es sei an der Zeit, dass die Schweiz ihre Stromabhängigkeit
vom Ausland reduziere und nicht noch weiter ausbaue, sagte Adrian
Amstutz. Er verwies auf die auslaufenden Lieferverträge von
Atomstrom aus französischen Kraftwerken. "Verzichten wir
fahrlässig auf Kernenergie, muss die Stromlücke mit teuren
Importen gefüllt werden. Das macht uns erpressbar." Zudem werde
der Strom in den meisten europäischen Ländern bald knapp. Ob
diese Länder ihren Strom auch noch in die Schweiz liefern, sei
eine Illusion. "Und wenn sie es tun würden, dann zu horrenden
Preisen. Die Zeche müssten Gewerbe, Bauern und die privaten
Haushalte bezahlen." Tiefe Strompreise seien "so etwas wie der Motor
für eine Volkswirtschaft", so Norbert Hochreutener. Kernenergie
sei günstig, Windturbinen und Solaranlagen hingegen produzierten
zu teuer. "Und nicht immer und zu wenig."
Ein neues AKW Mühleberg sei finanziell auch für den
Kanton interessant, sagte Andreas Brönnimann. BAK Basel habe
berechnet, dass ein solches jährlich eine halbe Milliarde Franken
an Wertschöpfung bringe: "Und es sichert während Jahrzehnten
1300 teils hoch qualifizierte Arbeitsplätze." Der Kanton Bern
würde zudem von jährlich 70 Millionen Franken Steuer
profitieren.
Atomstrom ist klimafreundlich
Ursula Haller strich den auf Wasserkraft und Kernenergie
basierenden "klimafreundlichen Schweizer Strommix" heraus. "Die
Kernenergie ist neben der aus Wasser, Wind, Sonne und Biomasse
produzierten Energie ein wichtiger Pfeiler einer CO2-freien
Stromzukunft." Das Gaskraftwerk in der neuen Berner
Kehrichtverbrennungsanlage Forsthaus werde dagegen jährlich 100000
Tonnen CO2 produzieren. "Atomenergie durch fossile Energien zu
ersetzen, ist verantwortungslos", mahnte Haller.
Das Komitee "Ja zu Mühleberg" (vergleiche Artikel oben) wird
die Abstimmungskampagne mit Plakaten, Inseraten, Testimonials und
Flyern bestreiten.
www.muehleberg-ja.ch
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Haas: "Es wurde fleissig gespendet"
Gemäss Adrian Haas, Direktor HIV Kanton Bern und
Sekretär des überparteilichen Komitees "Ja zu
Mühleberg", steht für die Abstimmungskampagne ein Budget von
rund 250000 Franken zur Verfügung. Das Geld stamme von den im
Komitee mitmachenden Verbänden Berner KMU, Lobag, Kantonalverband
bernischer Arbeitgeberorganisationen, HEV Bern sowie Gastro Bern. "Nach
einem Aufruf unter unseren HIV-Mitgliedern wurde fleissig gespendet",
sagt Haas und ergänzt, dass kein Geld von der BKW Energie AG
stamme. Das Co-Präsidium bilden: Ständerat Werner
Luginbühl (BDP), die Nationalräte Andreas Aebi (SVP), Adrian
Amstutz (SVP), Andreas Brönnimann (EDU), Peter Flück (FDP),
Andrea Geissbühler (SVP), Jean-Pierre Graber (SVP), Hans Grunder
(BDP), Ursula Haller (BDP), Norbert Hochreutener (CVP), Rudolf Joder
(SVP), Christa Markwalder (FDP), Simon Schenk (SVP), Erich von
Siebenthal (SVP), Pierre Triponez (FDP), Hansruedi Wandfluh (SVP) und
Christian Wasserfallen (FDP). Zu den rund 150 Komiteemitgliedern
gehören unter anderen die Wirtschaftsvertreter Enrico Casanovas,
Ludwig Bernhard, Erich Trösch und Niklaus J. Lüthi sowie der
Satiriker Andreas Thiel. (uz)
Nein zu neuem AKW
Das aus links-grünen Politikerinnen und Politikern sowie
Vertretern von Umweltorganisationen bestehende Nein-Komitee hat seine
Argumente bereits in der Ausgabe vom 8. Dezember 2010 dargelegt. Die
Überlegungen eines zweiten, von Unternehmern und Gewerblern der
neuen Energien gebildeten Nein-Komitees, erschienen am 6. Januar 2011.
Die mehrheitlich rot-grüne Regierung wird nächste Woche
erklären, weshalb sie gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerkes in
Mühleberg ist. Der bürgerlich dominierte Grosse Rat empfiehlt
mit 91 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen ein Ja zur Konsultativbefragung
am 13. Februar. (uz)
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BZ 13.1.11
Greenpeace-Aktion gegen neues AKW Mühleberg
BahnhofplatzMit einer Aktion machte gestern Greenpeace auf die
Nachteile der Atomenergie aufmerksam.
Gestern Mittag heulte unter dem Baldachin auf dem Berner
Bahnhofplatz eine Sirene auf, und gleichzeitig fielen ein Dutzend
Menschen auf den Boden. Mit dieser Aktion machte Greenpeace Bern auf
einen der Nachteile der Atomenergie aufmerksam. Greenpeace empfiehlt,
für die Abstimmung über ein neues AKW in Mühleberg am
13. Februar ein klares Nein in die Urne zu legen. Nach Ansicht von
Greenpeace ist und bleibt die Atomenergie auch in Zukunft ein
unkalkulierbares Risiko, das wir heute nicht mehr tragen müssen.
Die Alternativen zum Atomstrom, erneuerbare Energien und
Energieeffizienz, seien vorhanden. Sie seien sicher für Mensch und
Umwelt sowie volkswirtschaftlich rentabel.
jsp
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20 Minuten 13.1.11
Protest gegen ein neues AKW in Mühleberg
BERN. Wie vom Blitz getroffen fielen gestern auf dem Bahnhofplatz
12 Personen um. Ans Aufstehen war für sie nicht mehr zu denken:
Mit dieser Aktion protestierte Greenpeace gegen ein neues AKW in
Mühleberg und wies darauf hin, dass die Berner Bevölkerung
bei einem schweren Unfall in Mühleberg ungenügend
geschützt sei. Dementsprechend stellte sich der Flashmob zehn
Minuten lang tot. "Im Falle eines GAUs sieht der Notfallplan nur
für einen Teil der Kantonberner konkrete Schutzmassnahmen vor", so
Thomas Mathis von Greenpeace. "Davon wären aber alle betroffen."
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Basler Zeitung 13.1.11
Zweifel an der Mitsprache beim Atommülllager
Frick. Bundesbehörden zeigen auf, wie die geplante
Regionalkonferenz funktionieren soll
Franziska Laur
Vertreter des Bundes und der Nagra informierten die Fricktaler
Gemeinderäte über den Stand der Suche nach dem
Atommülllager und über Möglichkeiten der Partizipation.
Es waren harte Fakten, die Vertreter des Bundes und der Nagra
gestern am Gemeindeseminar in Frick auf den Tisch legten: Der Bund
steckt bei der Suche nach einem Endlager für Atommüll mitten
im Sachplanverfahren. Gemäss Nagra eignet sich der Opalinuston
für die Versenkung der Abfälle - und dieser ist in
mächtigen Schichten entlang der Nordschweiz vorhanden. Vor einem
Jahr hat die Nagra sechs provisorische Standorte vorgeschlagen,
darunter den Bözberg. Im Herbst sollen sie auf drei eingegrenzt
werden.
Kritische Stimmen
Nun hat die Suche nach Mitgliedern für eine regionale
Mitwirkungsgruppe begonnen. Inger Schjold von der Firma Frischer Wind,
die im Auftrag des Bundesamts für Energie dieses
Partizipationsverfahren umsetzt, betonte, dass die Region breit
vertreten sein solle. Für den Standort Bözberg, neu Jura Ost
genannt, ist vorgesehen, dass 100 Leute in einer sogenannten
Regionalkonferenz Einsitz nehmen sollen. Zur Hälfte sollen es
Vertreter von Behörden sein, zu 40 Prozent Vertreter von
Interessengruppen - und die restlichen zehn Prozent werden in der
Bevölkerung gesucht. Dabei möchte man breite Schichten
erreichen, darunter auch Vertreter der Jugend. "Auch kritische Stimmen
sind gefragt. Es geht nicht darum, einen Konsens zu finden, sondern
sich eine Meinung zu bilden", sagte Schjold. Für die Mitarbeit in
der Regionalkonferenz erhalten die Teilnehmer eine Bezahlung.
In der Diskussion drang die Skepsis einiger Fricktaler
Gemeinderäte über den Nutzen dieser Regionalkonferenz durch.
So hiess es: "Wer soll das bezahlen?" Es koste doch enorme Summen, wenn
allein in einem Standortgebiet 100 Leute mitarbeiten. Der Bund fordere
dieses Geld gemäss Verursacherprinzip von den Stromproduzenten
zurück, hiess es zur Antwort.
Ob es nicht zu früh sei, schon jetzt über
Oberflächenanlagen zu diskutieren, wie sie an der Veranstaltung im
Bild präsentiert wurden, wollte ein Votant wissen. Damit
schüre man unnötig Emotionen, da der Standort nicht definitiv
sei. "Bei der nächsten Eingrenzung haben wir so eine gute Basis",
verteidigte Markus Fritschi dieses Vorgehen. Scharf attackiert wurde
das Geschäftsleitungsmitglied der Nagra, weil er argumentiert, die
Schweiz brauche dringend ein Endlager, da sie den Atommüll nicht
endlos im Zwischenlager in Würenlingen deponieren könne. Das
Zwischenlager brauche es trotzdem, konterte ein Votant. Schliesslich
müsse Atommüll 40 Jahre abkühlen, bevor er im Endlager
entsorgt wird; da laufend frischer Müll anfalle, werde das
Zwischenlager nie leer.
Bundesrat entscheidet
Kritisiert wurde auch, dass die regionale Partizipationsgruppe keine
Beschlüsse fassen kann, sondern letztlich der Bundesrat
entscheidet. "Das stimmt, aber man kann die gesetzlichen Grundlagen
nicht aushebeln", so Stefan Jordi, Fachspezialist Entsorgung beim
Bundesamt für Energie. Das Schweizer Stimmvolk kann schlussendlich
zwar das fakultative Referendum ergreifen, nicht jedoch die betroffene
Gemeinde oder der Kanton.
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Zwischen Bangen vor der Technik und Hoffen auf mehr
Arbeitsplätze
"Kann mit Lager leben"
Gerhard Beuggert. Vizeammann von Bözen und Mitglied der
Startgruppe. Fotos Franziska Laur
"Die Stimmung gegenüber einem solchen Endlager ist in
unserer Gemeinde recht positiv. Bei uns im oberen Fricktal gibt es
sowieso zu wenig Arbeitsplätze; viele Leute hoffen, dass ein
Endlager auch Arbeit bringt. Viele von uns arbeiten jetzt schon im
Zwischenlager in Würenlingen oder in einem AKW, und wir haben
dadurch einen anderen Bezug zu dieser Technologie als Leute, die keinen
Kontakt damit haben. Es ist allerdings wichtig, dass die Sicherheit
oberste Priorität hat. Ist sie garantiert, dann würde ich auf
jeden Fall mit dem Endlager leben können."
"Viele sind sensibilisiert"
Katrin Hasler. Gemeinderätin Gipf-Oberfrick.
"In unserer Gemeinde ist der Sitz des Vereins Kein Atommüll
im Bözberg (Kaib), dadurch sind viele Leute sensibilisiert auf das
Endlager. Doch für den grösseren Teil der Bevölkerung
ist es noch kein Thema - nicht zuletzt, weil es so komplex und schwer
zugänglich ist. Diesen Teil der Bevölkerung muss man
unbedingt erreichen. Ich persönlich bin skeptisch, ob die Technik
tatsächlich imstande ist, Atommüll über eine Million
Jahre hinweg sicher im Boden zu versorgen. Mich erschreckt auch, dass
der Bundesrat jetzt schon sagt, der Nachweis für eine sichere
Lagerung sei erbracht."
"Nur ein Debattierclub"
Peter Deubelbeiss. Gemeinderat Obermumpf.
"Mir scheint, die Gemeinden können in diesem
Mitwirkungsprozess nicht wirklich mitbestimmen. Diese hundert Leute in
dieser regionalen Partizipationsgruppe können den Gemeinden ja nur
rapportieren und keine verbindlichen Beschlüsse fassen. Da geht es
wohl mehr darum, den Leuten das gute Gefühl zu geben, dass sie
mitreden können. Da gibt der Bund viel Geld aus und am Schluss ist
das Ganze doch nur ein Debattierclub. Wir müssen schauen, dass die
Wege, die heute aufgezeigt wurden, nicht in der Sackgasse enden."
"Gibt Steuereinnahmen"
Roger Fricker. Gemeindeammann Oberhof.
"Ich finde, dass der sicherste Ort das Endlager beherbergen muss
- und wenn das der Bözberg ist, dann soll es so sein. Doch ich
würde jetzt zunächst mal den Namen dieser Standorte aus dem
Spiel lassen, damit diese nicht ständig durch den Dreck gezerrt
werden. Viel zu viele Leute denken schlecht über eine Gegend, die
Standort für das Endlager werden könnte. Ich persönlich
glaube überhaupt nicht an einen Standortnachteil - im Gegenteil,
ich glaube, dass es dann viel mehr Steuereinnahmen gäbe und sich
mehr Leute hier ansiedeln würden."
"Partizipation ist Farce"
Jos Bovens. Gemeinderat Gipf-Oberfrick.
"Das ist doch keine Entsorgung, der Atommüll ist noch da,
auch wenn er in der Tiefe versenkt ist. Es ist auch fragwürdig,
wenn ein solches Endlager nur 100 Jahre überwacht wird. Ich
könnte nicht mit gutem Gewissen Ja zu einem Endlager sagen, denn
für mich gibt es noch zu viele ungeklärte Fragen. Und dieser
Partizipationsprozess ist eine Farce, entscheiden tut ja der Bundesrat.
Da hat man das Gefühl, verschaukelt zu werden. Ich habe den
Eindruck, der Entscheid steht schon fest - und dass der Bözberg
ein Favorit ist, liegt ja auf der Hand."
UMFRAGE: FRANZISKA LAUR
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Aargauer Zeitung 13.1.11
"Frischer Wind" bei Planung des Endlagers für Atommüll
Frick. Aufbau der regionalen Partizipation in der Region Jura Ost
Walter Christen
Das Konzept für die regionale Partizipation im
Sachplanverfahren für ein allfälliges Endlager radioaktiver
Abfälle im Raum Bözberg und oberes Fricktal hat ein Gesicht:
Inger Kristine Schjold von "frischer wind", der AG für
Organisationsentwicklungen in Winterthur, legte gestern Mittwoch am
Gemeindeseminar "Aus der Praxis - für die Praxis" in Frick die
Fakten auf den Tisch: "Das Startteam mit rund zehn Personen steht fest,
die Geschäftsstelle befindet sich bei Gerry Thönen vom
Fricktal Regio Planungsverband in Laufenburg und jetzt wird die
Regionalkonferenz gebildet. Diese setzt sich zusammen aus etwa 100
Personen von Behörden (50 Prozent), aus Vertretern organisierter
Interessen wie Befürworter und Gegner von Kernenergie sowie
Parteien (40 Prozent) und aus einem Anteil von 10 Prozent aus der
Bevölkerung der Region. Die Konstituierung erfolgt an der
Grossgruppenkonferenz im Juni dieses Jahres. Bereits am 27. Januar wird
die Regionalkonferenz der Behörden gegründet."
Von Bözberg zu Jura Ost
Am ersten Tag des 17. Gemeindeseminars in Frick interessierte die
rund 70 Teilnehmerinnen und Teilnehmer unter anderem, weshalb das
Standortgebiet Bözberg für ein mögliches Tiefenlager zur
Entsorgung radioaktiven Mülls jetzt Jura Ost heisst. Inger
Kristine Schjold wies darauf hin, dass die beiden Gemeinden
Oberbözberg und Unterbözberg für eine neutrale
Standortbezeichnung im Zusammenhang mit der
Atommülllager-Diskussion plädiert hätten. Hansueli
Bühler aus Stein, Präsident des Fricktal Regio
Planungsverbands, betonte bei dieser Gelegenheit, es gehe bei der
Tagung generell um das Thema "Raumentwicklung aktuell" (vgl. auch
Bundauftaktseite) und nicht um den politischen Aspekt oder
Argumentationen für oder gegen ein Endlager.
Vom Bundesamt für Energie (BFE) erhielt "frischer wind" im
Herbst 2010 den Auftrag, ein Umsetzungskonzept für eine
Partizipation zu erarbeiten. Das BFE ist gegenwärtig noch damit
beschäftigt, die Rückmeldungen von Stellungnahmen beteiligter
Gremien auszuwerten. Denn bis Ende Jahr konnten sich Kantone und
Regionen zum Konzept vernehmen lassen.
"Die regionale Partizipation im Rahmen des Sachplans geologisches
Tiefenlager bezeichnet ein Instrument der Standortregionen zur
Mitwirkung im Sinne von Einbezug und Mitsprache mit dem Ziel der
Einflussnahme. Mit diesem Instrument entwickeln und formulieren
Bevölkerung, Institutionen und Interessengruppen in oder aus der
Standort- region ihre Forderungen, Anliegen, Fragen, Bedürfnisse
und Interessen der Gemeinden der Standortregionen", hielt Inger
Kristine Schjold weiter fest.
Standortregion mit 49 Gemeinden
Wer sich an der Partizipation in der Region Jura Ost engagiert,
erhält übrigens eine Entschädigung respektive
Sitzungsgelder vom BFE, dessen Sprecher Stefan Jordi gestern Mittwoch
am Fricktaler Gemeindeseminar festhielt: "Beim Bau eines geologischen
Tiefenlagers schreibt das Kernenergiegesetz vor, es müsse eine
Anlage sein mit Überwachung und erleichterter Rückholbarkeit
des Materials bis zum Verschluss. Die Standortregion Jura Ost umfasst
genau 49 Gemeinden, davon 4 auf deutschem Gebiet." Nach Jordis Angaben
ist im Konzeptteil der Sachplanung das Auswahlverfahren in 3 Etappen
ein Bestandteil, dann die Auswahlkriterien wie Sicherheit, Raumplanung,
Auswirkung auf Umwelt, Wirtschaft und Gesellschaft sowie eine breit
gefächerte Beteiligung.
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Tiefenlagerung: Abfall, der strahlt
"Über den Zeitraum von einem Jahrhundert kann man sich noch
vorstellen, was sich in den verschiedenen Erdschichten abspielt. Geht
es aber um die sichere Lagerung von hochaktiven Abfällen, muss man
von Tausenden von Jahren ausgehen", hielt gestern Mittwoch am
Gemeindeseminar in Frick Markus Fritschi fest. Er ist Mitglied der
Geschäftsleitung der Nagra (Nationale Genossenschaft für die
Lagerung radioaktiver Abfälle) und zeigte Wege auf vom Wo bis zum
Wie bei der Lagerung radioaktiver Abfälle in der Schweiz.
Ein zuverlässiger, sicherer Einschluss müsse erreicht
werden, damit der Entsorgungsnachweis für strahlendes Material
erbracht werden könne, meinte Nagra-Vertreter Fritschi. So sei die
Expertengruppe des Bundes schon vor Jahren zur Erkenntnis gelangt, dass
die geologische Tiefen-lagerung die einzige gangbare Lösung sei,
um radioaktive Abfälle genügend lange sicher einschliessen zu
können. Nach 30 Jahren Forschung und Entwicklung sei inzwischen
die technisch-wissenschaftliche Basis vorhanden für den weiteren
Weg in der Entsorgung.
Markus Fritschi stellte sich am Podium den kritischen Fragen der
Gemeindevertreter. (chr)