MEDIENSPIEGEL 23.1.11
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, Rabe)
- Tour de Lorraine: Reiskörner-Party
- Anti-WEF: Aktionen SG + BS; Nostalgie; Paketbomben-Ängste; Armee-Einsatz; Farbige Grüsse; Theater BE; Nix Demo in BS;
- RaBe-Info 18.-21.1.11
- Ausschaffungen: Wieder Sonderflüge nach Nigeria
- Nothilfe: Nur im Zuweisungskanton
- Sans-Papiers: 4000 Illegalisierte in TG
- Drogen: Legalize Koka in Bolivien; Kiffer-Bussen; Heroin-Dealer Iran; Suchtkranke im Alter; Preis-Krieg Marihuana
- Alkohol: Anti-Alk SO
- Sexwork: Zonenbewilligungs-Streit ZH; Nach dem Ausstieg
- Obdachlos: Waldlager ZH
- Squat ZH: Neufrankengasse - Zu-Gloor-Reich im Interview
- Squat Berlin: Liebigstrasse 14 - Ultimatum 2. Februar
- Freysinger: FN-Chefin Marine le Pen
- Anti-SVP: Medientheater nach Albisgüetli-Prügel für SVP-Fehr
- Anti-Feminismus: Inti mit Leiterin Frauenhaus BE; rechtliche Schritte gegen IGAF-Anti-Frauenhaus-Pläne
- Rassismus: Anti-Antisemitismus Sigriswil; Lipkin verurteilt
- Alt-Nazi: François Genoud
- "Manipulation": Fichenaffäre-Film feat. Brandauer
- Big Brother: US-Spionage-Affäre BE/GE; AFIS New Generation; Widerstand gegen Indect; Gechipte biometrische Ausländerausweise
- Undercover: Euro-SpitzelInnen
- Ruhe & Ordnung: BahnhofpatInnen FR
- Police CH: Konkordat Zentralschweiz
- Söldnerfirmen: Aegis am geheimdien(st)en
- Tieraktiv: Verfahren Wien; Circus Royal
- Gefangene: Marco, Costa + Billy verlegt
- Bomben-Stimmung: Bomben-Anarch@-Angst in Armee-Davos; Offener Brief Fee Marie Meyer; Terror-Buchtipp; Anschlag Bundesstrafgericht; Feuerzellen-Prozess Athen;
- Widerstand: Stéphane Hessel; Laura D'Oriano
- Homophobie: Fall Gay Pride Moskau vor Gericht
- Nestlé: mörderische Gewerkschaftsbekämpfung in Kolumbien
- Migration Control: Rückführung Griechenland menschenrechtswidrig;
- Anti-Atom: Werbeverbot Greenpeace; Ausstieg Biel; Abstimmungs-Kampf BE; GAU-Pläne; Nagra-Pläne; Zwischenlager-Skandal BE; Wellenberg

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REITSCHULE
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Mo 24.01.11
16.00 Uhr  - Grosse Halle  - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)

Di 25.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
20.30 Uhr - Tojotheater - Lustiger Dienstag #51 - Mehr als Variété!
20.30 Uhr - Kino - Uncut-Warme Filme am Dienstag: ELENA UNDONE, USA 2010

Mi 26.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
19.00 Uhr - SousLePont - Käse Spezialitäten
22.00 Uhr - SousLePont - Offene Bühne

Do 27.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
19.00 Uhr - Vorplatz - Public Viewing: Eiskunstlauf EM (Paare Kür) mit Glühwein & Feuerstelle
21.00 Uhr - Rössli - 1000 Robota, IMAGINARY CITIES + Greg Macpherson

Fr 28.01.11
16.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 19.30 h)
19.00 Uhr - Vorplatz - Public Viewing: Eiskunstlauf EM (Eistanz Kür) mit Glühwein & Feuerstelle
20.30 Uhr - Tojotheater - 4. Secondo Theatertournée. Vier ausgezeichnete Kurzstücke zum Thema "Heimat"
21.00 Uhr - Frauenraum - Tanzbar mit DJ Zardas: Standard und lateinamerikanische Tänze und Disco für Frau und Frau, Mann und Mann und Friends.
23.00 Uhr - Dachstock - WAT (We Are Terrorists/FRA) live!, We Love Machines (be) live!, DJ Kidkuts (GER)

Sa 29.01.11
12.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe (bis 18.00 h) 20.30 h Tojotheater 4. Secondo Theatertournée. Vier ausgezeichnete Kurzstücke zum Thema "Heimat"
22.00 Uhr - Frauenraum - Normal Love (Berlin); Fred Hystère & Ginger Drops Downstairs (Züri)
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: TOTAL SCIENCE (C.I.A./UK), CYANTIFIC (Hospital/UK), Lockee (RaBass 95.6), TS Zodiac (Liquid Sessions), MC Fava (DeepSoulMusic), Badboy MC (FMI)

So 30.01.11
12.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten: Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe
19.00 Uhr - Grosse Halle - Ungleichheiten - Finissage Ausstellung der Künstlergruppe Stan's Cafe

Infos:
http://www.reitschule.ch

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BZ 20.1.11

Im Fluss der Depression

 Theater. Eine erhellende Begegnung mit drei dunklen Gestalten: Das Ensemble von "Es Huere Cabaret" kommt mit seinem ersten abendfüllenden Theater "Therapie - nur Idioten begrüssen den Tag mit einem Lächeln" nach Bern.

 Ein Hund liegt auf dem Rücken auf der Bühne im Tojo-Theater der Reitschule. Alle viere hat er von sich gestreckt, als wäre er tot. Es handelt sich aber nicht etwa um eine Requisite - das Tier ist quicklebendig und gehört der Schauspielerin Celia Hirt. Morbid geht es zu und her im Stück "Therapie - nur Idioten begrüssen den Tag mit einem Lächeln" rund um drei depressive Gestalten, die sich von einer Therapie in die nächste begeben.

 Trotz Depression haben diese Patienten Klasse: Die beiden Männer tragen Melone und Schirm, die Dame ein Abendkleid mit einem schicken Hütchen. Celia Hirt, Roman Badertscher und Michael Wyder, die Gründer von "Es Huere Cabaret", haben sich die drei Figuren ursprünglich ausgedacht, um durch den von ihnen ins Leben gerufenen Kleinkunstabend zu führen. Nun haben sie gemeinsam mit Pernilla Deppeler-Kühni (Regie) und Matthias Raue (Musik) ein abendfüllendes Theaterstück erarbeitet. Dazu hat sich die Truppe in ein Haus auf dem Land im Piemont zurückgezogen, geprobt und die Geschichte zu Papier gebracht. "Wir nehmen das Thema Depression ernst. Schwarzer Humor spielt zwar eine wichtige Rolle, aber es geht nie darum, sich über die Krankheit lustig zu machen", erklärt Regisseurin Pernilla Deppeler-Kühni. Die Behandlungsmethoden, die im Stück vorkommen - von der Licht- bis zur Dramatherapie - sind alle von der Realität inspiriert. Die Therapeutin selbst sieht man nie. Sie ist eine auf Tonband gebannte Stimme, die scheinbar aus dem Nichts erschallt.

 Vom Leben gebeutelt

 Auch andere Figuren oder Erinnerungen werden durch Tonbandaufnahmen mit Musik oder Stimmen hervorgerufen. Der um seinen Sohn trauernde Bibliothekar (Michael Wyder) vernimmt plötzlich die Stimme seines toten Kindes. Die in die Jahre gekommene Sängerin Lulu (Celia Hirt) hört ihren einzigen Hit, der ihr einst Ruhm und Ehre brachte. Die Lichttherapie erweist sich bei ihr als Desaster, denn mit Licht verbindet sie Rampenlicht, und wenn dieses ausgeht, bleibt ihr nur der Alkohol, mit dem sie ihr Elend zu ertränken versucht.

 Die 1983 in Bern geborene Celia Hirt, die Bewegungspädagogik studiert hat, lernte für ihre Rolle das Akkordeon spielen. "Das Instrument passt zu meiner Figur, und ich wollte es immer schon beherrschen", erklärt sie. Lulu hänge sich immer an die falschen Männer, und es habe ihr in ihrer Kindheit an einer Vaterfigur gefehlt. Das habe mit der Schauspielerin Hirt selbst nicht viel gemein. Mit Lulu könne sie sich aber insofern identifizieren, da auch sie eine "Rampensau" sei. Michael Wyder, dem 1977 in Biel geborenen Schauspieler, gefallen an seiner vom Leben gebeutelten Figur der Mut und die Stärke, trotz allem immer weiter zu machen. Es sei lustig, wie trotz aller Unterschiede jeder etwas von sich selbst in seinen Bühnencharakter reingepackt habe. Der 1983 in Aarberg geborene Roman Badertscher spielt die wohl zeitgenössischste Figur: einen gestressten Burnout-Business-Typ.

 Wer von den dreien am Ende geheilt wird und wer schliesslich an seinen Sorgen zu Grunde geht, sei hier nicht verraten. Dass für Drama und Drastik gesorgt sein wird, davon zeugt eine rabenschwarze Badewanne, die auf der Bühne steht. Oder ist es gar ein Sarg?

 Helen Lagger


 Vorstellungen: heute und morgen, 20.30h, Tojo-Theater, Reitschule Bern. www.tojo.ch.

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kulturagenda.be 20.1.11

Es huere Cabaret mit dem neuen Stück im Tojo

"Therapie - nur Idioten begrüssen den Tag mit einem Lächeln" heisst das erste abendfüllende Stück der Bieler Theatergruppe Es huere Cabaret. Das Leiden am Leben verbindet die drei schwarz gekleideten Protagonisten, und sie treffen sich in diversen Therapien wieder. Das poetische Theaterstück kombiniert Melancholie mit schwarzem Humor und Musik.
Tojo Theater in der Reitschule, Bern. Do., 20.1., und Fr., 21.1., 20.30 Uhr

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kultursstattbern.derbund.ch 18.1.11

RaBe-Fest-Line-Up

http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/blog/2011/01/18/rabe-fest-line-up/

Von Gisela Feuz am Dienstag, den 18. Januar 2011, um 06:03 Uhr

Am 25. und 26. Februar geht Radio RaBe in die 6. Festrunde und feiert in der ganzen Reitschule auch gleich den 15. Jahrestag. RaBe-Papi Tinu Schneider hat dazu ein Programm zusammengestiefelt, welches nicht nur Indierock- sondern auch Techno-Herzen höher schlagen lassen dürfte. Hier das komplette Line Up:

Am Freitag 25. Februar toben sich im Dackstock das Kollektiv Turmstrasse und Mark Henning aus, wobei auch die Partyraketen von Festmacher und Bird mit von der Partie sind. Im Frauenraum treten derweil die mir noch unbekannten Zuckerklub aus Berlin auf, welche von den wunderbaren Kassette aus Fribourg und der Lokalheldin Dr. Minx unterstützt werden. Im Sous Le Pont kann man sich mit Make it Pink, Must Have Been Tokyo und Navel vergnügen oder drüben im Rössli progressiv trancen mit Flow Box.

Am Samstag wird dann im Dachstock mit Blackmail, The Ghost of Tom Joad und den Treekillaz ordentlich gerockt und im Sous Le Pont malträtieren die Herren Uristier, Kronzeugen und Rectangle ihre Gitarren. Wers lieber minimal elektronisch mag, der kommt im Frauenraum bei Locker & Moe auf seine Kosten oder im Rössli beim lustigen Dub-Dance mit diversen RaBe-DJs.

Mit Frau Feuz' Lieblingen hats leider nicht geklappt, was schon ein bisschen schade ist, zumal ja der werte Herr Schneider im Vorfeld keine Gelegenheit ausliess, mir ordentlich den Speck durchs Maul zu ziehen. Nichtsdestotrotz wird sich aber auch besagte Frau Feuz bestimmt blendend amüsieren am diesjährigen RaBe-Fest, zumal ja im Tojo auch noch das Sonohr-Hörfestival stattfindet und man sich im Kino der Reitschule in beiden Nächten Musik-Video-Clips anschauen kann oder die Filme von Fräuleinwunder Steff la Chef oder der Blues Horror Brigade. Lustig wirds alleweil: Flieg RaBe, flieg!

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TOUR DE LORRAINE
http://tourdelorraine.ch
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kulturstattbern.derbund.ch 23.1.11

Tour der Lorraine vom Hörensagen

Von Gisela Feuz am Sonntag, den 23. Januar 2011, um 13:35 Uhr

Leider musste die Schreiberin gestern wegen der abendlichen DJ-Verpflichtung am Indiezone im ISC auf einen Besuch der Tour der Lorraine verzichten. Das war allerdings halb so schlimm, zumal offenbar in der Gay Agenda fälschlicherweise stand, dass im ISC die Tolerdance-Disco für Schwule und Lesben stattfinden würde. Dies tat der Stimmung nämlich überhaupt keinen Abbruch, ganz im Gegenteil, vergnügten sich doch bereits früh am Abend äusserst gutaussehende, adrette, wohl geformte und gut riechende Herren auf dem Rock'n'Roll-Dancefloor. I like! Schade bloss, wollten sich besagte Herren so gar nicht für die DJane interessieren. Wie auch immer.

Nach Aussage von Anwesenden hat die Blues Horror Brigade bei ihrer Plattentaufe im Progr dem einigermassen konsternierten Publikum eine ordentliche Astro-Space-Ladung vor den Latz geknallt und aus dem Keller vom Bierexpress schickte KSB-Aussenkorrespondent Sir Hamesly dieses Bild von einem exklusiven Konzert von Amarillo Brillo. Der Backstage-Bereich sei stilgerecht aus Bierharassen gebaut worden. Klingt doch gut. Weitere Lageberichte  zur Tour de Lorraine sind herzlich willkommen.
http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/files/2011/01/Amarillo.jpg

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WoZ 20.1.11

Hausmitteilungen

 Tour de Lorraine

 Dieser Ausgabe der WOZ liegt das Programmheft der Berner Veranstaltungsreihe "Tour de Lorraine" bei. Im Heft, das im Rahmen des publizistischen Projekts "antidot-inclu" erscheint, widmen sich die "Tour"-OrganisatorInnen dem Thema Gemeingüter. "Tour de Lorraine" versteht sich gedruckt und live als Gegenpol zum eine Woche später stattfindenden Weltwirtschaftsforum Wef.

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Antidot lesen!
(Alle Seiten, 5.7MB)
http://www.tourdelorraine.ch/fileadmin/dokumente/2011/antidot_tdl11_all.pdf

Antidot lesen!
(nur Thementeil, 3.7MB)
http://www.tourdelorraine.ch/fileadmin/dokumente/2011/antidot_tdl11_gemeingueter.pdf

Antidot lesen!
(nur Programm, 3.1MB)
http://www.tourdelorraine.ch/fileadmin/dokumente/2011/antidot_tdl11_programm.pdf

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Bund 20.1.11

Tour de Lorraine

 Die Welt ist ein Haufen Reiskörner

 "Gemeingüter befreien!" lautet das Motto der Tour de Lorraine; das wichtigste Gemeingut bei diesem kulturell-politischen Spaziergang ist wie immer die Musik.

 Öffentlicher Raum gehört dazu, Wasser oder Holz, auch Wissen und Kultur - das alles sind Gemeingüter, also Güter, die für alle frei zugänglich sind. Dass diese immer mehr privatisiert werden, darauf weist die diesjährige Tour de Lorraine unter dem Motto "Gemeingüter befreien!" hin. So hat die Autorin Marina Bolzli für die Performance "Alles ist Nichts ist Alles" Fragen in den Raum gestellt nach dem persönlichen Stellenwert von Besitztum und Gemeingut (Tojo-Theater, 20 Uhr). Das Kino in der Reitschule zeigt Filme, die sich um das Thema Privatisierung von Wasser drehen ("Water Makes Money", Reitschulkino 20 Uhr) oder um öffentliche Poesie: Der Wiener Autor Helmut Seethaler klebt seine Gedichte an Wände und Säulen - zum Mitnehmen ("Pick Wien an", Reitschulkino 23.30 Uhr).

 Die Verhältnisse dieser Welt führt die englische Künstlergruppe Stan's Café eindrücklich vor Augen: Sie verwandelt Statistik in unterschiedlich grosse Haufen von Reiskörnern - und zeigt so bildlich auf, wie viele Menschen beispielsweise letztes Jahr in der Schweiz und an einem Tag in Indien geboren wurden: gleich viele (Grosse Halle, bis 31. Januar).

 Brachial-Elektronik

 Das wichtigste Gemeingut an der Tour de Lorraine ist aber wie jedes Jahr die Musik, die das Programm dominiert. Über ein Dutzend Lokale beherbergen einen bunten Strauss an Klängen von der Do-it-yourself-Band bis zum internationalen Act. Bereits am letzten Buskers-Festival hat das Duo Guts Pie Earshot die Passanten mit hochenergetischem Drum 'n' Bass mit Cello und Schlagzeug erstaunt (Brasserie Lorraine), die Masked Marvels reisen mit Pauken und Trompeten und Zirkus-Punk an (Café Kairo), und die Brachialelektroniker Herpes ö Deluxe beschallen die Turnhalle im Progr.(reg)

 Diverse OrteSamstag, 22. Januar, ab 19 Uhr. Infos: http://www.tourdelorraine.ch

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WoZ 20.1.11

Kunst und soziales Engagement

 Eine Ausstellung, die sich laufend verändert

 Gesetzt, jeder Mensch sei ein Reiskorn und der Rest Statistik: Patroniert vom Indienforum stellt in Bern eine Ausstellung Fragen zu sozialen Ungleichheiten und spricht damit vor allem auch Jugendliche an.

 Von Fredi Lerch (Text) und Ursula Häne (Foto)

 Grosse Halle der Reitschule in Bern: Die Ausstellung heisst "Ungleichheiten". Auf dem weiten, schwarzen Teerboden bilden rechteckige Papiere weisse Flecken, unterschiedlich gross, in Gruppen geordnet. Auf jedem Blatt liegen Reiskörper, zu Häufchen, Haufen und ab zu kleinen Bergen zusammengeschoben. Jedes Reiskorn ist ein Mensch, ein Kilogramm Reis sind dann 60 000 Menschen, die aktuelle Weltbevölkerung entspräche ungefähr 115 Tonnen Reis.

 Der bisher grösste Reisberg in der Halle symbolisiert die Zahl der Flüchtlinge weltweit. Etwas weiter drüben eine Reihe von Blättern mit fast gleich lautenden Legenden: "Einwohner und Einwohnerinnen des Tschad, die gemeinsam gleich viel CO2-Emmissionen verursachen wie ein Mensch in Pakistan." - "… in der Schweiz."   - "…   in den USA."   - "… in Katar." Auf den Blättern die entsprechenden Reishaufen. Alles andere passiert im Kopf. Und wer beim Nachdenken leise Stimmen hört, hört nicht die in Körnern symbolisierten Menschen sprechen, sondern Stimmen aus aller Welt, die ein BBC- Journalist zu einer Collage zusammengeschnitten hat. Sie werden über Lautsprecher eingespielt.

 Ungleichheit am Beispiel Indiens

 "Of all the People in all the World" nennt die Theaterkompanie Stan's Café aus dem englischen Birmingham ihr Projekt. Seit 2003 hat sie es in mehreren Dutzend Städten Europas und darüber hinaus gezeigt. Jack Trow ist einer der Schauspieler der Truppe, der die Ausstellung als Performer betreut. Er sagt, man habe bewusst minimalste Mittel zur Darstellung gewählt, "damit die Visuali sierung der statistischen Grössenverhältnisse möglichst stark wirkt". Er spricht von "story telling power" - und tatsächlich ist die Fragen und Geschichten generierende Kraft erstaunlich, die diese Reis-Installa tionen entfalten.

 Die Ausstellung steht unter dem Patronat des Fördervereins Cesci, der in Madurai in Südindien das Centre for Experiencing Socio-Cultural Interaction betreibt. Hier wird der Austausch zwischen Süd und Nord gefördert und insbesondere die Ekta Parishad unterstützt, eine Bewegung von Landlosen und UreinwohnerInnen, die für ihre Rechte kämpfen. Gegründet worden ist das Zentrum von der früh verstorbenen Schweizerin Maja Koene, deren Vorbild das linke Ferien- und Bildungszentrum Salecina war. Dort hat sie gelernt, wie wichtig es für eine Bewegung ist, dass sich Ak ti vist Innen zurückziehen, erholen und weiterbilden können.

 Küde Meier ist Kulturökonom und Vizepräsident des Fördervereins Cesci. Er erzählt ein anderes Beispiel von Nord-Süd-Wissenstransfer: Vor einigen Jahren hat ein Vertreter der Reitschule im südindischen Cesci-Zentrum an einem Workshop teilgenommen. Dabei berichtete er, wie in Bern kultureller und politischer Arbeit Kontinuität gegeben wird, nämlich über die Quersubventionierung aus einem Einnahmenpool von Geld aus verschiedenen Arbeitsgruppen. "Das war für die Ekta-Parishad-Leute ein nützlicher Input. Heute betreibt die Bewegung dort selbst sechs Kulturhäuser, die ähnlich wie die Reitschule funktionieren."

 Umgekehrt hat auch Meier von P. V. Rajagopal, dem charismatischen Gründer und Leiter von Ekta Parishad, gelernt: "Er sagt, dass wir den Leuten in Indien am meisten helfen, wenn wir hier dafür sorgen, dass der Unterdrückungs-, der Ausbeutungstransfer nicht erst in Indien unterbrochen wird." Geht es in Südindien heute konkret um die Gemeingüter Land, Wasser und Wald, beginnt der Widerstand in der Schweiz bei den eigenen Kleidern: Es liegt an jeder und jedem Einzelnen, ob sie oder er sich für fair und biologisch produzierte, dafür teurere Kleider entscheidet - oder andernfalls in Kauf nimmt, dass im billigen T-Shirt Kinderarbeit und gentechnisch veränderte Baumwolle stecken.

 Die Künstlerkompanie Stan's Café war schon vor einem Jahr in der Reitschule. Damals zeigte sich, dass sich junge Menschen mit den teilweise frappierenden Visualisierungen der Zahlenverhältnisse für soziale Ungleichheit und politisches Unrecht interessieren lassen. Darum hat die Kompanie in diesem Jahr ihr Ausstellungskonzept um einen interaktiven Aspekt erweitert: Bisher siebzehn Schulklassen machen mit und haben ihrer Anmeldung gleich Fragen beigelegt, die sie in einem Reisbild dargestellt sehen möchten.

 Der Reis lockt Leute an

 Giorgio Andreoli vom Verein Grosse Halle sammelt diese Fragen. "Wie viele Ausländer leben in der Schweiz, und wie viele Schweizer leben im Ausland?" soll etwa umgesetzt werden. Oder: "Wie viele Menschen in den USA sterben an Übergewicht, wie viele in Indien an Hunger?" Beim Versuch, solche Fragen zu gestalten, wird sich die Ausstellung in den kommenden Tagen laufend verändern.

 Für Andreoli ist die Koproduktion von Stan's Café und Cesci ein Glücksfall: "In solchen Konstellationen können Gegenwartskunst und soziales Engagement in eine interessante Verbindung gebracht werden." Er sei überzeugt, wenn man heutzutage zu einem Vortrag über Ekta Parishad einladen würde, kämen nicht mehr als fünf speziell Interessierte. Aber vor einem Jahr, anlässlich der letztjährigen Tour de Lorraine, hätten an jenem einzigen Abend um 400 vor allem junge Leute die Reis-Ausstellung besucht, und es sei ein wirklich spannender Abend geworden.

 Apropos Tour de Lorraine: Die Berner Veranstaltungsreihe, die als Anti-Wef-Protest nach der Jahrtausendwende begonnen hat, findet auch heuer statt. Und zwar ab Mittwoch dieser Woche. Das Thema könnte von Ekta Parishad stammen: "Gemeingüter befreien". Die Ausstellung in der Grossen Halle der Reitschule wird bis um Mitternacht geöffnet sein.

http://www.stanscafe.co.uk, http://www.cesci.ch, http://www.tourdelorraine.ch

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 Jansatyagraha 2012

 Der Förderverein Cesci forciert in diesem Jahr die Aufklärungsarbeit für die indische Landlosenbewegung Ekta Parishad. Das hat einen Grund: Im Oktober 2007 sind 25 000 landlose Menschen in dreissig Tagen auf der Autobahn die 340 Kilometer von Gwalior nach Delhi gegangen, um ihrer Forderung nach Umsetzung der längst gesetzlich verankerten Landrechtsreform Nachdruck zu verleihen.

 Schon damals hat der Menschenrechtsaktivist P. V. Rajagopal als Leiter von Ekta Pa ri shad angekündigt, im Oktober 2012 werde er mit 100 000 Menschen zurückkommen. Dieser Marsch - der "Jansatyagraha 2012"   - soll zur grössten gewaltlosen Aktion aller Zeiten werden und das Gemeingut Land insbesondere für die Angehöri gen der kastenlosen Dalits und für die UreinwohnerInnen des Landes einfordern. In Indien leiden heute mehr als 200 Millio nen Menschen an Hunger und Unterernäh rung; in der Ausstellung entspräche das einem Berg von knapp 3,5 Tonnen Reis.

http://www.ektaparishad.com

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BZ 20.1.11

Festival

 Traditionelle Tour

 Es ist eine Tradition in Bern: die Tour de Lorraine. Auch dieses Jahr spielen lokale Bands im Nordquartier, unter anderem im Restaurant Du Nord, im Café Kairo, aber auch in der Reitschule und in der Turnhalle im Progr. Im Q-Laden gibt es Verpflegung, und im Kino Reitschule werden Filme gezeigt. Programm: www.tourdelorraine.ch.pd

 Tour de Lorraine: Sa, 22. 1., Berner Lorrainequartier.

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ANTI-WEF
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nzz.ch 23.1.11

Das WEF im Auge der Kritiker

 Globalisierungskritiker versammeln sich in St. Gallen und Basel

 Das WEF hat am Wochenende seine Schatten voraus geworfen - jedoch auf der Seite der Kritiker. In St. Gallen ist am Samstag demonstriert worden. In Basel versammelten sich die Globalisierungskritiker zu einer dreitägigen Debatte.

 Wenige Tage vor der WEF-Eröffnung in Davos haben die Gegner des Forums am Wochenende ihre Anhänger mobilisiert. In Basel trafen sich 450 Globalisierungskritiker zur dreitägigen Debatte "Das Andere Davos 2011"; in St. Gallen demonstrierten rund 200 Personen.

 Weitgehend friedliche Demonstration

 Der Marsch aus Protest gegen das World Economic Forum (WEF) durch die St. Galler Innenstadt war von der Stadtpolizei bewilligt worden. Die vom Anti-WEF-Bündnis St.Gallen organisierte Kundgebung verlief weitgehend friedlich.

 Dem Aufruf zum Protest gefolgt sind auch Gruppen aus anderen Landesteilen der Schweiz, wie ein Polizeisprecher auf Anfrage sagte. Im Internet hatte auch die Organisation "Revolutionärer Aufbau" zur Teilnahme aufgerufen.

 Passanten beobachten Szenerie

 Nach einer Ansprache zogen die rund 200 Globalisierungsgegner durch die St. Galler Innenstadt, eskortiert von wenigen Polizisten und beobachtet von staunenden und kopfschüttelnden Passanten, die ihre Wochenend-Einkäufe erledigten.

 Auf einem grossen roten Transparent am Anfang des Umzugs stand in grossen Buchstaben geschrieben: "Den Kapitalisten die Zukunft nehmen - WEF zerschlagen". Dahinter zogen die meist jugendlichen Demonstranten einen Leiterwagen mit Sujets gegen den Kapitalismus. Es wurde auf Pauken gehauen und es wurden Rauchpetarden gezündet.

 Scharmützel am Rande

 Wie die Stadtpolizei in einem Communiqué mitteilte, lösten sich rund zehn Teilnehmer aus dem Umzug und griffen zwei Passanten an. Journalisten vor Ort beobachteten, dass die Passanten die Demonstrationsteilnehmer provoziert hatten.

 Beamte seien mit Schneebällen beworfen worden, teilte die Polizei weiter mit. Zudem hätten die Demonstrierenden Schaufenster und Fassaden mit Sprayereien und Klebern verunziert. Ein Sprayer wurde angehalten.

 Diskussion im Vordergrund

 In Basel konzentrierten sich die Globalisierungskritiker aufs Debattieren: Rund 450 Personen nahmen am der 11. Ausgabe der WEF-Gegenveranstaltung "Das andere Davos 2011" teil. Sie setzten sich unter anderem mit dem internationalen Finanzsystem auseinander.

 Von Freitag bis Sonntag traten in Basel Redner aus Lateinamerika, Russland, Europa oder Ägypten auf. Die Vertreter verschiedener sozialer Bewegungen hätten festgestellt, dass die Politiker überall auf der Welt die sozialen Rechte der Menschen beschnitten, sagte Mitorganisator und Ökonom Charles-André Udry auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA.

 Die "generelle Globalisierungskritik" sei keine Lösung für die Probleme, sagte Udry. Vielmehr brauche es "konkrete Lösungen für konkrete Probleme".

 Darauf richtet sich der Appell des "Anderen Davos 2011" aus: Mit dem Aufruf fordern die Veranstaltungsteilnehmer unter anderem die sozialen Bewegungen zur Vernetzung auf, sie verlangen eine Erneuerung der Gewerkschaften und stellen den Privatbesitz der Produktionsmittel in Frage.

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Südostschweiz 23.1.11

Die Feinde von "Davos" sind inzwischen zahm geworden

 Noch vor einigen Jahren kam es während des World Economic Forum zu gewaltsamen Demonstrationen. Nun ist es ruhig geworden um die Anti-WEF-Bewegung. Haben die Kritiker resigniert?

 Von Jan Flückiger

 Davos. - "Davos wird brennen", kündigten die WEF-Gegner an; die Zeitungen schrieben von einem "Nervenkrieg" und von einem "Tal im Ausnahmezustand". Die Angst ging um. Es war im Vorfeld des WEF 2001, vor zehn Jahren. Am Schluss brannte es tatsächlich - allerdings in Zürich, nicht in Davos. Die Wut der Demonstranten entlud sich auf Zürichs Strassen, wo sie Autos anzündeten, nachdem sie auf dem Weg nach Davos in Landquart von der Polizei gebremst worden waren. Zwei Jahre später (2002 fand das WEF in New York statt) wiederholte sich die Szenerie - aber in viel grösserem Ausmass. Tausende von Demonstranten blieben an der Personenschleuse in Fideris stecken und zogen danach randalierend durch die Strassen von Bern.

 Zum Symbol des Bösen geworden

 Dass Davos während des Gipfeltreffens der Mächtigen hermetisch abgeriegelt wurde, war damals neu. Neu war auch die Wut der Demonstranten. Das Forum gab es schon seit 1971 - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Doch plötzlich wurde es zum Symbol des Bösen für die neu entstandene Bewegung der Globalisierungskritiker. Der Protest gegen das WEF und die Globalisierung vermischte sich damals mit der Kritik gegen die USA und den Irak-Krieg.

 Und heute? Das Polizei- und Armeeaufgebot ist immer noch riesig. Doch kaum noch jemand protestiert auf der Strasse gegen das WEF. "Es gelang den WEF-Kritikern nicht, ihre Mobilisierungskraft aufrechtzuerhalten", sagt Sebastian Dissler, aktives Luzerner Juso-Mitglied. Er hat den Aufstieg und Fall der Bewegung aktiv miterlebt. Am Anfang stand bei vielen der Ärger darüber, dass "immer mehr in Hinterzimmern der internationalen Organisationen entschieden wurde" - ohne demokratische Legitimation. "Die Medien berichteten aber hauptsächlich über die Gewalt und nicht über unsere inhaltliche Kritik", so Dissler. Mit der Zeit habe sich dann Frustration breitgemacht, dass sich nichts ändere. Und die Einsicht, dass Demonstrieren allein nichts bringe.

 "Wipe out WEF - oder doch nicht", das ist der Titel einer Dissertation von Franz Egle. Der Kommunikationsexperte berät Klaus Schwab und die WEF-Leitung seit dem Jahr 2000 und besuchte das Forum bereits zuvor als Informationschef des damaligen Bundesrats Flavio Cotti. In seiner Arbeit kommt Egle zum Schluss, dass es den Globalisierungskritikern nicht gelungen sei, ihre inhaltliche Kritik in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. "Es reicht nicht, einfach ein Symbol wie das WEF zu bekämpfen, um eine Bewegung längerfristig am Leben zu erhalten", sagt Egle.

 Das WEF öffnet sich

 Dem WEF seinerseits sei es gelungen, sich vom Image einer geschlossenen Gesellschaft zu lösen und sich als offene Plattform zu etablieren. Das neue Image sei aber auch Resultat einer modernen Öffentlichkeitsarbeit: "Zeitweise war dem WEF die Kontrolle über seine Wahrnehmung entglitten." Deshalb habe man begonnen, das Forum bewusst noch mehr zu öffnen, weitere Vertreter von Nichtregierungsorganisationen einzuladen - und mehr Journalisten.

 Für Politologin Michelle Beyeler von der Universität Bern, die über die Anti-WEF-Bewegung geforscht hat, ist klar: "Dass sich das WEF geöffnet hat, war auch ein Erfolg der Protestbewegung." 2003 sei diese zahlenmässig auf dem Höhepunkt gewesen. Protestbewegungen hätten es aber allgemein schwer, über mehrere Jahre am Leben zu bleiben. Den WEF-Kritikern sei es ausserdem nicht gelungen, eine wirklich grosse Demonstration durchzuführen. Die Organisatoren hätten sich mit der Polizei und den Behörden nie über die Modalitäten einigen können, so Beyeler. Immerhin gebe es mehrere Organisationen, wie zum Beispiel die Erklärung von Bern und das Weltsozialforum, welche die Kritik am World Economic Forum weiterführen würden.

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Friedlicher Protest gegen das WEF

 St. Gallen. - 200 Globalisierungsgegner haben gestern Nachmittag an einer von der Stadtpolizei bewilligten Anti-WEF-Demonstration in St. Gallen teilgenommen. Der Marsch aus Protest gegen das World Economic Forum (WEF), das nächste Woche in Davos stattfindet, verlief friedlich. Die Demonstration wurde organisiert vom Anti-WEF-Bündnis St. Gallen. Dem Aufruf zum friedlichen Protest gefolgt sind aber auch Gruppen aus anderen Landesteilen der Schweiz, wie ein Sprecher der Stadtpolizei erklärte. (sda)

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sf.tv 22.1.11

"WEF zerschlagen" - Friedlicher Protestmarsch durch St. Gallen

sda/widb

 200 Globalisierungsgegner haben am Samstagnachmittag an einer von der Stadtpolizei bewilligten Anti-WEF-Demonstration in St. Gallen teilgenommen. Der Marsch aus Protest gegen das World Economic Forum (WEF), das Ende Januar in Davos (GR) stattfindet, verlief friedlich.

 Die Demonstration wurde organisiert vom Anti-WEF-Bündnis St.Gallen. Dem Aufruf zum friedlichen Protest gefolgt sind aber auch Gruppen aus anderen Landesteilen der Schweiz, wie der Sprecher der Stadtpolizei sagte. Im Internet hatte auch die Organisation "Revolutionärer Aufbau" zur Teilnahme aufgerufen.

 Die Demonstranten besammelten sich um 14 Uhr beim Hauptbahnhof - bei eisiger Kälte. Nach einer Ansprache zogen die rund 200 Globalisierungsgegner durch die St. Galler Innenstadt, eskortiert von wenigen Polizisten und beobachtet von staunenden und kopfschüttelnden Passanten, die ihre Wochenend-Einkäufe erledigten.

 "Von unten links nach oben rechts"

 Auf einem grossen roten Transparent am Anfang des Umzugs stand in grossen Buchstaben geschrieben: "Den Kapitalisten die Zukunft nehmen - WEF zerschlagen". Dahinter zogen die meist jugendlichen Demonstranten einen Leiterwagen mit Sujets gegen den Kapitalismus. Es wurde auf Pauken gehauen und es wurden Rauchpetarden gezündet.

 Mit welcher Strategie die Gegner der Globalisierung das WEF zerschlagen wollen, stand auf einem anderen Transparent geschrieben: "Von unten links nach oben rechts".

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Basler Zeitung 22.1.11

Denken statt demonstrieren

 Die WEF-Gegner treffen sich in Basel zu "Das andere Davos"

 Daniel Schindler

 Linke Gruppierungen nutzen die Publizität des World Economic Forum, um ihre Ideen unter die Leute zu bringen. Zumindest in Basel bleibt es wohl beim Debattieren.

 Bevor sich kommende Woche in Davos am World Economic Forum (WEF) Staatsoberhäupter und Firmenchefs, Professoren und religiöse Führer, Vertreter von Nicht-Regierungsorganisationen und politischen Parteien ihr jährliches Stelldichein geben, machen traditionellerweise auch WEF-kritische Gruppierungen mit entsprechenden Veranstaltungen auf sich aufmerksam. Dazu gehört die Podiumsreihe "Das andere Davos". Seit gestern Abend startete in der Aula an der Universität Basel eine Reihe entsprechender Workshops.

 Die Teilnehmer kommen aus linken Kreisen, vielfach aus Gewerkschaften. Dabei geht es ihnen laut Mitorganisator Hanspeter Gysin nicht in erster Linie darum, Antworten bereitzuhalten, sondern darum, "die wichtigen Fragen zu stellen", wie er an der gestrigen Pressekonferenz in Basel mehrmals betonte. Wie das WEF in Davos dreht sich auch "Das andere Davos" um die aktuellsten sozialen und wirtschaftlichen Themen.

 International. An den Foren treffen sich bis und mit Sonntag Teilnehmer aus der ganzen Welt, unter anderem aus Frankreich, Russland, Ägypten, den USA, Deutschland und England. Dabei setzen sie unter anderem auf eine "Sozialisierung des Eigentums" und die "Überwindung des Kapitalismus". Mit der SP, die solches neuerdings ebenfalls in ihr Programm aufgenommen hat, möchte "Das andere Davos" indes nichts zu tun haben. Zu moderat scheint den Organisatoren die Sozialdemokratie. Sie habe sich "in den Dienst des Neoliberalismus gestellt". Gefordert sei aber eine "sozialistische Demokratie", so Charles-André Udry vom globalisierungskritischen Netzwerk Attac. Das habe nichts zu tun "mit dem real existierenden Sozialismus einer DDR". Denn: Der echte Sozialismus habe bisher "real gar nirgends existiert".

 Zwar erinnern die Ideen der Veranstalter stark an revolutionäre Bewegungen und Strömungen aus den Siebziger- und Achtzigerjahren. Eine eigentliche Anti-WEF-Demonstration planen sie in Basel aber nicht. "Wir sind nicht gegen Demonstrationen, aber ohne Nachdenken bringt das alles nichts", sagt Udry.

 Anders sieht das der "revolutionäre Aufbau". Er ruft im Internet für heute zu einer Demonstration in St. Gallen gegen das WEF auf.

 Ebenfalls aufs Internet setzen die Erklärung von Bern und Greenpeace. Gemeinsam werden sie am 28. Januar die Public-Eye-Awards verleihen. Mit dem Schmähpreis soll "das übelste Unternehmen des Jahres" ausgezeichnet werden. Im Internet-Voting, das noch während einer knappen Woche läuft, führen Nestlé Oil vor BP, Anglo Gold Ashanti, Philip Morris, Axpo und Foxconn. Über 30 000 Stimmen wurden bis gestern abgegeben.

 > http://www.publiceye.ch

 > http://www.otherdavos.net

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Newsnetz 21.1.11

"Paketbomben sind ein mögliches Szenario"

Marc Brupbacher

 Nächsten Mittwoch beginnt in Davos das Weltwirtschaftsforum (WEF). Der neue Bündner Polizeikommandant Beat Eberle sagt, wie er sich auf den Grossanlass vorbereitet und wo er Gefahren sieht.

 In einer Woche geht es in Davos los, sind Sie nervös?Nein, nervös bin ich nicht. Das WEF ist ein planbares Ereignis und wird von langer Hand vorbereitet. Aber ich gehe die Aufgabe dennoch mit grossem Respekt an.

 Das Aufgebot am WEF ist hochkarätiger als auch schon. 35 Regierungschefs und 80 Minister sind vor Ort. Wie garantieren Sie ihre Sicherheit?Das ist eine grosse Verantwortung. Die Kantonspolizei Graubünden und alle involvierten Partner sind dafür ausgebildet, die Sicherheit der Gäste zu gewährleisten. Einen besonderen Status haben dabei natürlich die von Ihnen erwähnten völkerrechtlich geschützten Personen. Wir sind sehr gut vorbereitet, nach den für internationale Kongresse geltenden Standards.

 Die Schweiz wurde jüngst Opfer von Paketbomben (Botschaft in Rom und Athen) und Brandanschlägen (Bundesstrafgericht in Bellinzona). Was bedeuten diese Ereignisse für das WEF und die Sicherheit?Wir analysieren die Lage natürlich laufend und stehen auch mit dem Nachrichtendienst des Bundes (NDB) in engem Kontakt. Die kürzlich erfolgten Angriffe auf Schweizer Institutionen sind dabei in die Analyse eingeflossen. Paketbomben stellen ein mögliches Szenario dar, auf das wir uns vorbereiten.

 In einem Interview äusserten Sie sich besorgt über die Gefahr von Paketbomben. Was können Sie gegen solche Paketbomben unternehmen? Wie gesagt, Paketbomben sind ein mögliches Szenario. Ein Sicherheitskonzept ist aber nur so lange gut, wie es nicht bekannt ist. Daher machen wir in diesem Zusammenhang keine näheren Angaben.

 Was für eine Bedrohung stellen die gegenwärtig in ganz Europa aktiven Anarchisten für das WEF dar?Wir gehen von derselben Lage aus wie in den Vorjahren. Es gibt keine Anzeichen, dass sich die Situation verändert oder gar verschärft hätte. Die Massnahmen, die wir in diesem Jahr ergreifen, entsprechen den Massnahmen der Vorjahre.

 Sie sagen, man hoffe das Beste, bereite sich aber auf das Schlimmste vor. Was ist das Schlimmste?Es gibt verschiedene mögliche Szenarien. Das fängt bei schlechtem Wetter und heftigem Schneefall an, geht über Verkehrsunfälle bei der Anreise bis hin zu den oben erwähnten Anschlagsmöglichkeiten. Wichtig ist, dass man alle Eventualitäten im Kopf durchspielt und plant.

 Sie sind erst seit gut drei Wochen als Kommandant tätig. Ist das nicht zu kurz, um sich auf solch einen Grossanlass vorbereiten zu können?Die letzten Wochen waren sehr intensiv, aber ich denke, es gibt heute keine Führungsposition mehr, wo man sich in aller Ruhe einarbeiten kann. Das ist auch in der Privatwirtschaft nicht anders.

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NLZ 21.1.11

Die WEF-Gegner sind zahm geworden

 Protest

Jan Flückiger

 Noch vor einigen Jahren kam es zu gewalt- samen Demonstrationen, nun ist es ruhig geworden um die Anti-WEF-Bewegung. Haben die Kritiker resigniert?

 Jan Flückiger

 jan.flueckiger@luzernerzeitung.ch

 "Davos wird brennen", kündigten die WEF-Gegner an, die Presse schrieb von einem "Nervenkrieg" und von einem "Tal im Ausnahme-Zustand". Die Angst ging um. Es war im Vorfeld des Weltwirtschaftsforums 2001, vor 10 Jahren. Am Schluss brannte es tatsächlich, allerdings in Zürich, nicht in Davos. Die Wut der Demonstranten entlud sich auf Zürichs Strassen, wo sie Autos anzündeten, nachdem sie auf dem Weg nach Davos in Landquart von der Polizei gebremst wurden. Zwei Jahre später (2002 fand das WEF in New York statt) wiederholte sich die Szenerie - allerdings in viel grösserem Ausmass. Tausende von Demonstranten blieben an der Personenschleuse ("Viehgatter" genannt) im bündnerischen Fideris stecken und zogen danach randalierend durch die Strassen von Bern.

 Dass Davos während des Gipfeltreffens der Mächtigen fast hermetisch abgeriegelt wurde, war damals neu. Ebenfalls neu war die Wut der Demonstranten auf das WEF. Das Forum gab es schon seit 1971 - weitgehend unbeachtet von der Öffentlichkeit. Doch plötzlich wurde es zum Symbol des Bösen für die neu entstandene Bewegung der Globalisierungskritiker. Erste gewaltsame Proteste gegen die Globalisierung gab es am Rande der WTO-Konferenz in Seattle, 1999. Ein Jahr später richtete sich der Widerstand erstmals gegen das WEF. "Wipe out WEF!" (Löscht das WEF aus!) wurde zum Kampfspruch der Kritiker. Der Protest gegen das WEF und die Globalisierung vermischte sich mit der Kritik gegen Amerika, gegen George W. Bush und gegen den Irak-Krieg.

 Nur über Gewalt berichtet

 Und heute? Das Polizei- und Armeeaufgebot ist immer noch riesig (siehe Text unten). Doch kaum jemand mehr protestiert noch auf der Strasse gegen das WEF. Zwar wird es auch dieses Jahr eine offizielle Demonstration geben, am 22. Januar in St. Gallen. In Davos selber planen die Jungen Grünen und die Jusos eine Kundgebung. Letztes Jahr in Basel fanden sich an der offiziellen Demo jedoch nur noch 300 Personen ein.

 "Es gelang den WEF-Kritikern nicht, ihre Mobilisierungskraft aufrechtzuerhalten", sagt Sebastian Dissler (24), aktives Luzerner Juso-Mitglied. Er hat den Aufstieg und Fall der Bewegung aktiv miterlebt, war bei diversen Protestaktionen dabei. Am Anfang stand bei vielen der Ärger darüber, dass "immer mehr in Hinterzimmern der internationalen Organisationen entschieden wurde" - ohne demokratische Legitimation.

 "Die Medien berichteten aber hauptsächlich über die Gewalt und nicht über unsere inhaltliche Kritik", so Dissler. Mit der Zeit habe sich Frustration breitgemacht, dass sich nichts ändere. Und die Einsicht, dass Demonstrieren allein nichts bringe. Deshalb hätten sich viele, gerade junge Leute wieder der traditionellen Politik zugewandt. "Viele, die durch die Proteste politisiert wurden, sind heute bei der Juso", glaubt Dissler. Die Entwicklung der Mitgliederzahlen der Juso Schweiz scheint ihm Recht zu geben: In den letzten Jahren stieg sie auf über 3000.

 Das WEF öffnete sich

 "Wipe out WEF - oder doch nicht", das ist der Titel einer Dissertation von Franz Egle. Der Luzerner Kommunikationsberater, bekannt durch sein Mandat für den Ägypter Samih Sawiris, berät Klaus Schwab und die WEF-Leitung seit dem Jahr 2000 und besuchte das Forum bereits zuvor als Informationschef des damaligen Bundesrats Flavio Cotti. In seiner Arbeit kommt Egle zum Schluss, dass es den Globalisierungskritikern nicht gelungen sei, ihre inhaltliche Kritik in den Fokus der Aufmerksamkeit zu rücken. "Es reicht nicht, einfach ein Symbol wie das WEF zu bekämpfen, um eine Bewegung längerfristig am Leben zu erhalten", sagt Egle.

 Dem WEF seinerseits sei es gelungen, sich von dem Image einer geschlossenen Gesellschaft zu lösen und sich als offene Plattform zu etablieren, sagt Egle. Das neue Image sei aber auch Resultat einer modernen Öffentlichkeitsarbeit: "Zeitweise war dem WEF die Kontrolle über seine Wahrnehmung entglitten." Deshalb habe man begonnen, das Forum bewusst noch mehr zu öffnen, weitere Vertreter von Nichtregierungsorganisationen einzuladen - und mehr Journalisten. "Das WEF konnte zeigen, dass an den Verschwörungsszenarien der Gegner nichts dran ist."

 "Teil von etwas Grossem sein"

 Für Politologin Michelle Beyeler von der Universität Bern, die über die Anti-WEF-Bewegung geforscht hat, ist klar: "Dass sich das WEF geöffnet hat, war auch ein Erfolg der Protestbewegung." 2003 sei diese zahlenmässig auf einem Höhepunkt gewesen. Protestbewegungen hätten es aber allgemein schwer, über mehrere Jahre am Leben zu bleiben. Den WEF-Kritikern sei es nicht gelungen, eine wirklich grosse Demonstration durchzuführen. Die Organisatoren hätten sich mit der Polizei und den Behörden nie über die Modalitäten einigen können. "Eine solche Bewegung lebt davon, dass viele Leute teilnehmen. Sie haben dann das Gefühl, Teil von etwas Grossem zu sein", sagt Beyeler. Immerhin gebe es mehrere Organisationen, wie zum Beispiel die Erklärung von Bern oder das World Social Forum, welche die WEF-Kritik weiterführen würden.

 Politisch wird weiter gekämpft

 Die zunehmende - auch thematische - Offenheit des WEF mit den öffentlich zugänglichen Vorträgen des Open Forum, ist sicher mit ein Grund, warum die Kritik am Forum weitgehend verhallt ist. Daneben sieht WEF-Berater Egle auch noch einen anderen Faktor: "Den Globalisierungskritikern fehlte es an guten Argumenten. Die Globalisierung bringt den meisten Menschen unter dem Strich mehr Vorteile als Nachteile."

 Sebastian Dissler von den Juso sieht das natürlich anders: "Wir bekämpfen die neoliberale Weltordnung nach wie vor." Aber die Gegenprojekte würden jetzt eben in den politischen Parteien entwickelt. So waren die Juso-Aktivisten mitentscheidend, dass die SP die Überwindung des Kapitalismus weiterhin in ihrem Parteiprogramm verankert hat.

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 Konzerne stehen am Pranger

 public eye flu./sda. Sechs Konzerne müssen damit rechnen, in Davos für die schlimmste unternehmerische Missachtung von Umwelt und Menschenrechten gebrandmarkt zu werden. Sie sind in der Endrunde für den Publikumspreis des "Public Eye Award", der am 28. Januar von der Erklärung von Bern und Greenpeace verliehen wird. Bis zum 27. Januar läuft die Internet-Abstimmung.

 Im Moment führt die finnische Ölfirma Neste Oil die Rangliste an. Laut der Public-Eye-Organisatoren verkauft das Unternehmen unter dem irreführenden Namen "Green Diesel" im grossen Stil Biosprit aus Regenwaldabholzung. Zudem stehen zur Wahl: Die Elektronik-Firma Foxconn, der Stromversorger Axpo, der Bergbaukonzern AngloGold, der Zigarettenproduzent Philip Morris und der Energiemulti BP.

http://www.publiceye.ch

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 8 Millionen bezahlt die öffentliche Hand

 Jan Flückiger und Flurina Valsecchi

 Sicherheit Es sind nicht mehr Krawalle der WEF-Demonstranten, die ein Grossaufgebot der Polizei nötig machen. Die Angst der Sicherheitskräfte konzentriert sich während dem diesjährigen WEF wohl eher auf mögliche Terroranschläge und Attentate auf die Mächtigen.

 Rund 100 völkerrechtlich geschützte Personen werden in den nächsten Tagen in Davos erwartet. "Sie sind in ihren Heimatländern wahrscheinlich fast nicht angreifbar", sagt der Bündner Polizeikommandant Beat Eberle. Und erklärt in einem Interview mit der Zeitung "Südostschweiz" weiter: "Aber es könnte natürlich jemand auf die Idee kommen, dass ein solcher Staatschef in der Schweiz leichter angreifbar sei als in seinem Heimatland. Wir hoffen einfach das Beste und bereiten uns auf das Schlimmste vor."

 So ist es auch möglich, dass nicht nur in Davos, sondern auch auf dem Weg ans WEF, also zwischen dem Flughafen Zürich und Davos, Gefahr drohen könnte. Als neueres Phänomen werden auch Paketbomben ein Thema in den Sicherheitskonzepten sein. Eberle: "Auffallend ist, dass erstmals seit langer Zeit zwei Schweizer Botschaften in Athen und Rom mit Paketbomben angegriffen wurden. Es gibt also Gruppen, welche die Schweiz als Zielscheibe verwenden."

 Polizisten aus der ganzen Schweiz

 Offiziell aber wird die Bedrohungslage von den Sicherheitsverantwortlichen etwa gleich wie in den Vorjahren eingeschätzt. Wiederum wird die Bündner Kantonspolizei von Kollegen aus allen schweizerischen Polizeikorps unterstützt. Zusätzlich sind Polizisten aus dem Fürstentum Liechtenstein und aus Deutschland im Einsatz, ebenso Angehörige der Armee und des Grenzwachtkorps. Wie viele Polizisten tatsächlich mithelfen, das halten die Bündner geheim. Oder wie es Polizeikommandant Eberle formuliert: "Das ist eine Information, mit der man nicht hausieren geht." Von Armeeseite her werden maximal 5000 Personen fürs WEF arbeiten. Insider gehen aber davon aus, dass dieses Kontingent nicht voll ausgeschöpft wird.

 Verteilschlüssel für die Kosten

 Doch wer muss diesen ganzen Sicherheitsaufwand eigentlich berappen? Der Einsatz kostet die öffentliche Hand insgesamt rund 8 Millionen Franken. Aufgeteilt werden Sicherheitskosten nach einem festgelegten Verteiler: 1⁄8 Gemeinde Davos, 2⁄8 Stiftung WEF, 2⁄8 Kanton Graubünden, 3⁄8 Bund. Dies gilt auch bei allfälligen Kostenüberschreitungen.

 Der Einsatz der Armee beläuft sich auf 19,5 Millionen Franken, das ergaben Erhebungen anlässlich des WEF im 2005. Die effektiven Mehrausgaben - das heisst die Mehrausgaben im Vergleich zu einem "normalen" Ausbildungswiederholungskurs - belaufen sich aber "nur" auf 1,5 Millionen Franken. Der Kanton Graubünden seinerseits wird für das Weltwirtschaftsforum 2011 rund zwei Millionen Franken ausgeben.

 Maurer entscheidet im Ernstfall

 Aber nicht nur am Boden ist die Armee im Einsatz, auch der Luftraum über Davos wird überwacht und ist während des WEF eingeschränkt. Im Ernstfall wird scharf geschossen: Den Befehl dazu müsste Bundesrat und Verteidigungsminister Ueli Maurer geben.

 Jan Flückiger und Flurina Valsecchi

 dossier@luzernerzeitung.ch

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Tagesanzeiger 21.1.11

Farbanschlag

 WEF-Gegner verschmierten "Weltwoche"-Gebäude

 Zürich - Unbekannte haben in der Nacht auf Donnerstag an das Gebäude des Axel-Springer-Verlages an der Förrlibuckstrasse in Zürich-West Anti-WEF-Parolen gesprayt und den Eingang mit roter Farbe verschmiert. Im Haus befindet sich unter anderem die Redaktion der "Weltwoche".(hoh)

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Indymedia 20.1.11

Aktion gegen WEF in Basel, Bern, Zürich

    AutorIn : Aktion gegen WEF         
    Plakat downloaden, drucken, kleben verteilen!!!

WEF IST ÜBERALL UND ANGREIFBAR!

In der Nacht vom 19.1. auf den 20.1. führten wir eine koordinierte Serie von Anschlägen in Basel, Bern, Cham und Zürich durch.

Folgende Ziele wurden angegriffen:
- Club zum Rennweg, Fortunagasse, Bonzenviertel Kreis 1, Zürich, mit Farbe angegriffen
- MCS-Law, Martin Wagner, Gerbergasse 48, Basel, mit Spraydose verschönert
- Credit Suisse, zwei Filialen in Bern und Worb, mit Spraydose verschönert
- Nestlé, Cham, mit Farbe angegriffen
- Weltwoche, Förrlibuckstrasse 70, Zürich, mit Farbe angegriffen
- Swiss Life, Räffelstrasse 12, Zürich, mit Farbe angegriffen und Scheiben eingeschlagen

http://ch.indymedia.org/images/2011/01/79739.jpg

WEF IST ÜBERALL UND ANGREIFBAR!

In der Nacht vom 19.1. auf den 20.1. führten wir eine koordinierte Serie von Anschlägen in Basel, Bern, Cham und Zürich durch.

Folgende Ziele wurden angegriffen:
- Club zum Rennweg, Fortunagasse, Bonzenviertel Kreis 1, Zürich, mit Farbe angegriffen
- MCS-Law, Martin Wagner, Gerbergasse 48, Basel, mit Spraydose verschönert
- Credit Suisse, zwei Filialen in Bern und Worb, mit Spraydose verschönert
- Nestlé, Cham, mit Farbe angegriffen
- Weltwoche, Förrlibuckstrasse 70, Zürich, mit Farbe angegriffen
- Swiss Life, Räffelstrasse 12, Zürich, mit Farbe angegriffen und Scheiben eingeschlagen

Der Club zum Rennweg (Zürich) ist ein informeller Treff von Wirtschaftsbossen. 40 CEOs von Aktiengesellschaften gehören dazu, 15 von Banken. Der Mitgliederbeitrag beträgt 12'000 Franken. Präsident ist Rechtsanwalt Thomas Ladner, Begründer eines rein männlichen "Entrepreneurs Roundtable" mit 80 Mitgliedern, die CEOs oder Privatunternehmer mit 100 Millionen bis 1 Milliarde Kapital sind.

Neben diesen Bossen gehören ein paar Sportler (Hitzfeld, Becker, Beckenbauer) dazu, und von den Medien vor allem Roger Köppel, der reaktionäre Vordenker der Weltwoche. Auf medialer Ebene treibt er die Entwicklung der herrschenden Klasse nach rechts an.

Ein gern gesehener Gast im Club zum Rennweg ist auch Martin Wagner, der Basler Wirtschaftsanwalt mit millionenschweren Beteiligungen in verschiedenen Mediengruppen.

Wie bei dem nationalen Geheimtreffen, das jedes Jahr im Hotel Rive Reine zwischen Montreux und Vevey stattfindet, besteht die mächtigste Gruppe aus dem Bündnis Nestlé - CS - Swiss Life (ehemals Rentenanstalt).

Am Rennweg ist Nestlé durch seine milliardenschwere Verwaltungsrätin Carolina Müller-Möhl vertreten. Sie ist auch bei NZZ engagiert. Nestlé stellt am WEF mit seinem CEO John Bulcke einen Co-Chair und profiliert sich als Promotor der Privatisierung des weltweiten Wassermangels.

Credit Suisse ist mit VR-Präsident Urs Rohner dabei. Vor seinem Eintritt bei der CS war er Boss des deutschen Medienunternehmens Pro Sieben, die er mit Sat 1 und Kabel 1 fusionierte. Er ist also auch ein Mann mit Erfahrung in Sachen Meinungsmanipulation. Er ist Nachfolger von Walter B. Kielholz, der sich am WEF als Experte für Finanzmarktstabilität profiliert hat. CS ist strategischer Partner des WEF.

Rolf Dörig, CEO von Swiss Life, tut sich als Sanierer dieser ehemalig genossenschaftlich organisierten Versicherungsgesellschaft hervor, die sich früher mit dem Pensionskassenobligatorium eine goldene Nase verdiente und infolge der Finanzkrise ins Schlingern geriet - die wichtigste Rentenklauanstalt der Schweiz.

Das WEF ist überall

Am Bonzentreff in Davos sind die KapitalistInnen durch ein Bullen- und Militäraufgebot relativ gut gesichert. Aber sie leben unter uns und treffen sich das ganze Jahr in Zirkeln wie dem Club zum Rennweg. Einmal mehr ziehen wir diesen besonders reaktionären Teil der herrschenden Klasse aus der Anonymität heraus und zeigen auf, dass sie sich vom Zorn der immer schärfer Ausgebeuteten und Ausgegrenzten nirgends wirklich sicher fühlen können.

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tagesanzeiger.ch 20.1.11

WEF-Gegner verschmieren Weltwoche-Sitz

ep

 Unbekannte haben das Gebäude des Axel Springer-Verlages mit Anti-WEF-Parolen verunstaltet.

 In der Nacht auf heute haben unbekannte Täter "W.E.F. angreifen" auf eine Scheibe des Verlagshauses von Axel Springer an der Förrlibuckstrasse gesprayt. Zudem verschmierten sie den Eingang mit roter Farbe. Im Gebäude befinden sich unter anderem die Redaktionen der Weltwoche und des Beobachters.

 Hinweise auf die Vandalen gibt es laut René Ruf von der Stadtpolizei derzeit keine. Auch der Umfang des Schadens ist nicht bekannt. Wie ein Sprecher von Axel Springer gegenüber Tagesanzeiger.ch sagt, sei der Schaden nicht erheblich und zum grössten Teil bereits wieder behoben. Hinweise auf andere Vandalenakte liegen der Polizei keine vor. Das WEF in Davos beginnt am kommenden Mittwoch.

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jungealternative.ch 20.1.11

Medieneinladung zur JA!-Aktion: Wir machen Theater gegen das WEF

Wir teilen eure Normen nicht - Theater gegen das WEF

Trotz Grossdemonstrationen und heftiger Kritk, die es alle Jahre wieder gegen das World Economic Forum (WEF) gibt, findet das Forum auch dieses Jahr wieder statt. Das Motto dieses Jahr lautet "Shared Norms for the New Reality". Die Junge Alternative JA! kritisiert die Institution WEF scharf. Es ist für uns unersichtlich, warum eine so kleine Gruppe mit so wenig Durchmischung - nur 5% der Teilnehmer_innen sind Frauen, Schwarze oder NGOs - über Normen entscheiden darf, die uns alle angehen. Schliesslich sollten alle Menschen ein Recht haben, mitzubestimmen, nach welchen Normen wir leben wollen. Denn die Welt geht uns alle etwas an.
Deshalb hat Die Junge Alternative JA! mit Schauspielerinnen der Theatergruppe Gymnasium Neufeld ein ca. 5-minütiges Theaterstück eingeübt. In diesem wird auf satirische Weise darauf aufmerksam gemacht, dass die Leute am WEF nicht ganz so viele Probleme lösen, wie sie behaupten. Dargestellt wird darum eine Sitzung von WEF-Teilnehmern, die darüber diskutieren, welche Probleme (Aids, Korruption etc.) sie im letzten Jahr angegangen sind und "gelöst" haben.

Wir laden Sie herzlich ein, an dieser Aktion teilzunehmen.
Sie findet am Samstag, 22. Januar 2011 statt. Das Theaterstück wird an diesem Nachmittag vier mal aufgeführt. Die Zeiten:
14.00: Zwischen Baldachin und Heiliggeistkirche
14.30: Bärenplatz
15.00: Waisenhausplatz
15.30: Kornhausplatz

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NLZ 20.1.11

Die Armee ist für das WEF im Grosseinsatz

 Sicherheit sda. Die Schweizer Armee ist auch dieses Jahr für Sicherheitsaufgaben am Davoser World Economic Forum (WEF) zuständig. 220 Armeeangehörige nahmen am Freitag ihren Dienst in Davos auf. Die Zusatzkosten für die Armee betragen rund 1,5 Millionen Franken.

 Die Soldaten bereiten seit Freitag die Aufbauarbeiten für die Sicherheitsmassnahmen, die Logistik und die Führungsunterstützung vor, wie das Eidgenössische Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) mitteilte. Maximal können bis 31. Januar nicht weniger als 5000 Armeeangehörige für den Einsatz im Assistenzdienst aufgeboten werden.

 Kommando liegt bei der Polizei

 Der Armee-Einsatz erfolgt nach dem Subsidaritätsprinzip, das heisst, dass die Einsatzverantwortung bei den zivilen Behörden liegt. Oberster Sicherheitsschef am WEF ist der neue Bündner Polizeikommandant Beat Eberle.

 Die Sicherheitsmassnahmen umfassen auch den Flugverkehr über Davos. Die freie Benützung des Luftraums und der Flugplätze der Region Davos wird eingeschränkt. Im Ernstfall wird scharf geschossen: Die Anordnung eines allfälligen Waffeneinsatzes zur Durchsetzung luftpolizeilicher Massnahmen obliegt Bundesrat Ueli Maurer.

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Aargauer Zeitung 19.1.11

Linke beerdigt die Anti-WEF-Demo

 Basel Demonstration kommt nicht zustande

Andreas Maurer

 Basel ist keine Anti-WEF-Hochburg mehr. Früher machte die Stadt Schlagzeilen, weil sie als einzige der Schweiz eine Anti-WEF-Demo bewilligt hat. Seit den Ausschreitungen der letzten Jahre wurde der Ruf nach einem Kurswechsel laut. Die Forderung scheint sich nun zu erübrigen: Nach vielen Jahren in Folge findet diesen Samstag erstmals keine Anti-WEF-Demo statt. Davon sind die Basler Jungsozialisten überzeugt. Auch die Polizei hat keine Hinweise für eine Demo. Juso-Chefin Sarah Wyss rechnet nicht damit, dass Demonstranten den Samstagsverkauf trotz fehlendem Demo-Aufruf stören werden: "Wer demonstrieren will, geht in eine andere Stadt."

 Konkurrenzanlass ist attraktiver

 Für viele Basler Linke hat sich die Anti-WEF-Demo wegen der Sachbeschädigungen totgelaufen. Mehrere linke Organisationen haben sich von der Demo distanziert. Denn seit einem Jahr besteht für Protestler in Basel ein attraktiverer Konkurrenzanlass: die Diskussionsveranstaltung "Das andere Davos".Seite 27

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Basellandschaftliche Zeitung 19.1.11

 Basler Anti-WEF-Demo macht Pause

Szene zersplittert Dank einer Diskussionsveranstaltung wird Anti-WEF-Demo für Linke überflüssig

Andreas Maurer

 Heute in einer Woche beginnt in Davos das Weltwirtschaftsforum (WEF). Seit Jahren wird in Basel für den Samstag davor zu einer Demonstration aufgerufen. Und seit Jahren sorgt die Demo danach mit Zwischenfällen für negative Schlagzeilen. Letztes Jahr schlugen Chaoten die Scheiben von fünf Autos und einer Bank ein.

 Bis jetzt hat die Basler Polizei kein Demo-Gesuch erhalten. Theoretisch kann eine Demonstration in letzter Minute bewilligt werden. Polizeisprecher Klaus Mannhart rechnet nicht damit: "Wir haben keine Hinweise für eine Demo am Samstag." Die Polizei hat die einschlägigen Internetforen durchforscht und in der Stadt nach Plakaten und Sprayereien Ausschau gehalten. Normalerweise wisse die Polizei so auch über unbewilligte Demos im Voraus Bescheid. Doch auch dazu gebe es diesmal keine Hinweise. Über das Polizeiaufgebot sagt Mannhart: "Wir werden in der Stadt präsent sein wie gewohnt."

 Juso-Präsidentin Sarah Wyss steht mit den Organisatoren der letzten Anti-WEF-Demos in Kontakt: "Sie haben uns gesagt, dass sie dieses Jahr nichts organisieren." Dass Anti-WEF-Demonstranten am Samstag die Stadt unsicher machen könnten, obwohl kein Aufruf zu einer Demo besteht, glaubt sie nicht: "Wer am Samstag demonstrieren will, reist in eine andere Stadt." Angekündet ist eine Demonstration in St. Gallen.

 WEF-Skeptiker treffen sich in Uni

 In den letzten Jahren haben die Jungsozialisten an der Basler Anti-WEF-Demo teilgenommen. Die Gründe für den Verzicht auf eine Basler Demo kennt Juso-Chefin Wyss nicht. Sie bedauert die Pause aber nicht: "Wir konzentrieren uns dieses Jahr auf ‹Das andere Davos›."

 Diese Diskussionsveranstaltung findet nach vielen Jahren in Zürich zum zweiten Mal in Basel statt. Dahinter stehen globalisierungskritische Organisationen wie Attac und Alliance Sud.

 Von Anti-WEF-Demo abgekoppelt

 Früher war "Das andere Davos" mit der Anti-WEF-Demo verknüpft. "Nach den starken Auseinandersetzungen mit der Polizei hat sich die Veranstaltung von der Demo abgekoppelt", berichtet Ueli Mäder, Soziologieprofessor an der Universität Basel. Er eröffnet den dreitägigen Anlass mit einem Referat. Der erste Tag findet in der Aula der Uni statt. Diese ist an der Organisation aber nicht beteiligt. Aus Sicht der Polizei ist der Anlass unproblematisch. Sämtliche 600 Teilnehmer des letzten Jahres waren ausgesprochen friedlich.

 Für einige Basler Linke wird die Anti-WEF-Demo damit überflüssig. "Wenn sie ein alljährlich wiederkehrendes Ritual ist, läuft sie sich tot", sagt Martin Flückiger, Sekretär der Linkspartei Basta. Statt der Inhalte würden an der Demo die Sachbeschädigungen dominieren. Deshalb engagiert sich seine Partei am "Anderen Davos": "Hier haben wir unsere Form des Protests gefunden."

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Mäder: "Anti-WEF-Demo kriminalisiert"

 Viele Ladenbesitzer freuen sich über den Verzicht auf eine Basler Anti-WEF-Demo. Seit den Ausschreitungen wurde die Forderung nach einem Verbot laut. Soziologe Ueli Mäder sieht das anders: "Ich freue mich immer, wenn im öffentlichen Raum nicht nur Konsumveranstaltungen stattfinden, sondern die Politik auch auf die Strasse getragen wird." Die letzte Anti-WEF-Demo werde in ein falsches Licht gerückt: "Von der Polizei wurde sie teilweise kriminalisiert und die Medien haben sich vorwiegend auf den einen Zwischenfall fokussiert." Die meisten Demonstranten seien friedlich gesinnt. Mäder nimmt aber auch die Organisatoren in die Verantwortung: "Die Kontrolle ist ihnen leider entglitten." (öpf)

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Indymedia 18.1.11

Anti Wef Demo in St.Gallen wurde Bewilligt. ::

AutorIn : Anti Wef Bündnis St.Gallen         

Wir haben heute die Mitteilung erhalten, dass die Anti Wef Demo in St.Gallen Bewilligt wurde.     
    
Demonstration gegen das WEF am 22. Januar 2011, 14.00 Uhr, St. Gallen Bahnhofplatz

World Economic Forum (WEF) : Wenn sich Ausbeuter treffen

Auch dieses Jahr treffen sich vom 26.01.2011 bis am 30.01.2011 die selbsternannten Global-Leaders in Davos. Das Weltwirtschaftsforum besteht aus den 1000 einflussreichsten Unternehmen, RegierungsvertreterInnen aus 40 Ländern sowie einigen hundert JournalistInnen.

Ziel des Weltwirtschaftsforums:

Ziel ist es, globale (politische sowie wirtschaftliche) Themen zu behandeln und mögliche "Lösungsvorschläge" hervorzubringen. Kapitalismus in der Krise, Hunger und Aids in Afrika sind nur wenige Beispiele der verschiedenen Themen welche die Herrschenden in der letzten Januarwoche behandeln. Betrachtet man das WEF jedoch etwas genauer, wird einem schnell klar um was es den Herren und Damen in ihren Anzügen wirklich geht, nämlich um die Erhaltung und Entwicklung ihrer kapitalistischen Herrschaft. Jedes Jahr trifft sich die globale Elite um die Ausbeutung von Mensch und Natur möglichst profitabel zu organisieren und sie mit einem "sozialen" Deckmantel zu umgeben.
Natürlich entsteht die kapitalistische Herrschaft und Ausbeutung nicht am WEF. Wir begreifen das WEF auch nicht als Ursache der wirtschaftlichen Probleme, sondern als Symbol für die kapitalistische Wirtschaftsordnung. Und mit diesem Wirtschaftssystem kann es nicht weitergehen.

Unser Ziel: Überwindung des Kapitalismus

Sogar wieder in das Parteiprogramm der SP aufgenommen, sorgt dieser Slogan, für rote Köpfe. Was heisst das denn? Ist der Kapitalismus etwa doch nicht das Ende der Geschichte?
Der Kapitalismus hat eine Masse von Besitzlosen geschaffen, die den Reichtum der Welt produziert - und zwar für die KapitalbesitzerInnen. Den Besitzlosen / den ArbeiterInnen wird dafür einen Lohn gezahlt, der zum (Über)leben reicht. Das Kapital bekommt den grossen Rest. Überdies wird nur das produziert, was auch profitabel verkauft werden kann. Es wird also gerade nicht nach den menschlichen Bedürfnissen produziert, sondern nach dem Portmonee der KäuferInnen. So überrascht es nicht, dass Millionen von Menschen noch immer an Hunger leiden und ohne jede wirtschaftliche Entwicklung sind, währenddessen in anderen Teilen masslose Verschwendung an den Tag gelegt wird. Die ungleiche Verteilung des Reichtums ist also im System selbst angelegt und kann nur durch die Überwindung desselben aufgehoben werden.

Auswirkungen und Ausweg aus der Krise

Nicht nur in Zeiten der wirtschaftlichen Krise wird von der Krise des Systems abgelenkt und andere Sündenböcke gesucht. Feindbilder werden geschaffen: Etwa die gierigen ManagerInnen oder die kriminellen AusländerInnen. Diese Sündenböcke sind weder verantwortlich für die Misere, noch kann ihr verschwinden die sozialen Ungleichheiten aufheben. Als ArbeiterInnen und Ausgebeutete können wir nur gewinnen, wenn wir uns nicht gegeneinander ausspielen lassen, wenn wir vereinigt und organisiert kämpfen und zwar bis zur globalen Ebene. Nur dann ist eine Welt möglich, die sozial und solidarisch für die Bedürfnisse aller eintritt.

Dafür stehen wir zusammen ein, nicht nur auf der Strasse, sondern auch am Arbeitsplatz, in sozialen Bewegungen, in der Öffentlichkeit, an der Universität oder in den Schulen.

Anti-Wef Bündnis St.Gallen

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Indymedia 17.1.11
http://ch.indymedia.org/de/2011/01/79677.shtml

Mobilisierung WEF Widerstand 2011 ::

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Alle Jahre wieder findet im Landwassertal, genauer gesagt in Davos, das World Economic Forum (WEF) statt. Auch in diesem Jahr lädt der Ziehvater des WEF, Klaus Schwab, die selbsternannten Wirtschaftskapitäne, Ministerpräsidenten und Young Global Leaders nach Davos ein. Das 41. Annual Meeting des World Economic Forums (WEF) findet vom 26. bis 30. Januar unter dem Motto "Shared Norms for the New Reality" statt.

Der Widerstand gegen das WEF äussert sich auch in diesem Jahr in verschiedenen Formen. Mit dem Ziel "Lassen wir uns nicht spalten" gehen wir dieses Jahr auf die Strasse.

Für Interessierte gibt es neben den Demonstrationen am 22.01.2011 in St. Gallen (14 Uhr Bahnhofplatz) und am 29.01.2011 in Davos auch viele verschiedene Veranstaltungen in der ganzen Schweiz.

*** Gemeinsam auf die Strasse - gegen das WEF ***

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Veranstaltungen

* 03.01. -30.01.2011 Filme gegens WEF - Infoladen Rabia, Winterthur
* 08.02.2011 AntiWEF-Soli - Rümpeltum, St. Gallen
* 14.02.2011 WEF-Streikkino - Zürich
* 21.01. - 23.01.2011 Das andere Davos Basel (otherdavos.net)

Demonstrationen / Aktionswochen

* 22.01.2011 Demo gegen das WEF - St. Gallen Bahnhofplatz 14 Uhr (2)
* 15.01. - 29.01.2011 Informations- und Aktionswochen Davos

Filme

* Mo 24.01.2011 Film "the yes men" (Dan Ollmann & Sarah Price, USA'03, 80 Min.) / Vokü 20.00 Uhr, Film ab 21.00 Uhr (Infoladen Rabia)
* Mo 31.01.2011 Film "Plogoff - des pierres contre des fusiles" (Felix Le Garrec, F'80/07, 90. Min.) Vokü 20.00 Uhr, Film ab 21.00 Uhr

Konzerte

* Sa. 08.01.2011 AntiWef-Soli, 16.00 Uhr Film: Für eine andere Welt - danach Diskussion. 19.00 Vokü, 21.00 Konzi: Rabiatisten (Rümpeltum St.Gallen)
* Sa. 22.01.2011 Tour de Lorraine Bern - "Gemeingüter befreien" Konzerte in diversen Kulturlokalen von Reitschule bis Graffiti.
* Fr. 28.01.2011 WEF-Party ab 19.00 Uhr mit Liveact (Wallhalla, Davos Dorf).
* Sa. 29.01.2011 Lower Hell (Metal-Core, De), Set The Destroyer (Metal Core, GR), ab 19.00 Uhr (Box Davos).

Sonstiges

* Sa. 15.01.11 ABFLUG (Theater) Das Stück welches die humanitäre Tragik einer Zwangsausschaffung aufzeigt /

Mehr:
http://ch.indymedia.org/de/2011/01/79677.shtml

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RABE-INFO
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Fr. 21. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_21._Januar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2021.%20Januar%202011
- Simonetta Sommaruga weckt Hoffnungen für Flüchtlinge: Die neue Justizministerin will Rückbesinnung auf die humanitäre Tradition
- Fördern oder Fordern. Oder beides? Was die Stadt Bern in den nächsten zwei Jahren im Bereich Intergration tun will
- Den öffentlichen Raum zurückerobern: Die diesjährige Tour de Lorraine will Gemeingüter befreien

Links:
http://www.tourdelorraine.ch

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Do. 20. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_20._Januar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2020.%20Januar%202011
- Nach dem TramBernWest das TramRegionBern - Wie Köniz und Ostermundigen um die Zustimmung der Bevölkerung buhlen
- Europas Ost-Grenze - Flüchtlinge werden in der Ukraine meschenrechtswidrig behandelt
- Ein Volksfest mit nachhaltigen Ansprüchen - eine Vorschau auf die 11. Tour de Lorraine

Links:
http://www.tramregionbern.ch/startseite
http://bordermonitoring-ukraine.eu
http://www.tourdelorraine.ch

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Mi. 19. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_19._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_19._Januar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2019.%20Januar%202011
- Alles ist nichts ist alles - Das Kunstprojekt der Tour de Lorraine
- Auch unfreiwilliger Waffenbesitz ist strafbar - mit oder ohne Annahme der Waffenschutzinitiative
- Frustrierte Palästinensische Jugend - ein Manifest und was daraus wurde

Links:
http://www.tourdelorraine.ch
http://www.police.be.ch/police/de/index/sicherheit/sicherheit/waffen.html
http://linksunten.indymedia.org/de/node/31393
http://gazaybo.wordpress.com

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Di. 18. Januar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_18._Januar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_18._Januar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%2018.%20Januar%202011
- Schweigen über geplantes Tiefenlager in Mühleberg: AKW-Gegner prüfen eine Beschwerde
- Debatten über eine andere Welt, ein anderes Gesellschaftssystem: Das Forum " Das andere Davos" in Basel
- Volksaufstand in Tunesien: Einzelfall und Modellfall für andere, arabische Länder?

Links:
http://www.otherdavos.net

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AUSSCHAFFUNGEN
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NZZ 22.1.11

Mehr Druck auf Nigerianer

 Ausschaffungsflug als Anfang

 Erstmals seit letztem März sind abgewiesene Asylsuchende wieder mit einem Sonderflug nach Nigeria zurückgebracht worden. Rückführungen sollen dadurch generell erleichtert werden.

 C. W. · Im Rahmen eines von Österreich organisierten Sonderflugs der Frontex, der Agentur für Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der EU, sind, wie bereits kurz gemeldet, drei Nigerianer aus der Schweiz zwangsweise in ihr Land zurückgebracht worden. Die polizeilichen Ausschaffungen waren im letzten März nach einem Todesfall unterbrochen worden. Nigeria stimmte der Wiederaufnahme erst nach Verhandlungen über die Modalitäten zu. Vorbereitet wird auch eine "Migrationspartnerschaft", die unter anderem Ausbildungsprogramme umfasst.

 Zwang als Ausnahme

 Die erste Zwangsrückführung abgewiesener nigerianischer Asylsuchender seit zehn Monaten soll der Beginn eines systematischeren Vorgehens sein, wie Eveline Gugger Bruckdorfer, Vizedirektorin im Bundesamt für Migration (BfM), erläutert. Nachdem im Dezember eine nigerianische Delegation 126 von 135 ihr präsentierten Personen als Staatsangehörige identifiziert und anerkannt hatte, sollen regelmässig solche Missionen stattfinden. Der Zeitpunkt der nächsten steht allerdings noch nicht fest.

 Wer die Schweiz verlassen muss, erhält, wie vereinbart wurde, stets nochmals die Möglichkeit, selbständig auszureisen. Die Behörden sind daran interessiert, möglichst wenig Zwang anzuwenden, doch erhöht eine Art Drohung erfahrungsgemäss die Bereitschaft zur "freiwilligen" Rückkehr. Zudem war in der Zeit, in der keine Ausschaffungen möglich schienen, in vielen Fällen die Ausschaffungshaft aufgehoben und dadurch Druck von den Betroffenen weggenommen worden. Das BfM erinnert im Übrigen daran, dass Personen, die nicht straffällig geworden sind und sich nicht in Ausschaffungshaft befinden, Rückkehrhilfe beantragen können. Für Projekte zum wirtschaftlichen Neuanfang in Nigeria können Beiträge bis 6000 Franken zugesprochen werden.

 Wer nicht selbständig ausreist, kann von der Polizei zu einem Linienflugzeug gebracht werden. Erst nach hartnäckiger Weigerung, die Reise anzutreten, kommt ein Sonderflug in Frage. Das Schengen-Recht schreibt dafür seit Anfang Jahr die Begleitung durch unabhängige Beobachter vor. Weil das BfM dafür noch keine Lösung gefunden hat, ist die Nutzung von Plätzen in Frontex-Aktionen besonders willkommen. Dabei ist man aber von den jeweils noch verfügbaren Kapazitäten abhängig.

 Oft andere Staaten zuständig

 Nigerianer sind seit einiger Zeit die grösste nationale Gruppe der Asylsuchenden - 2009 waren es 1969 Personen, im Vorjahr 1786. Sie entsprechen nur selten dem Flüchtlingsbegriff. 732 Nigerianer, die letztes Jahr um Asyl ersucht hatten, konnten gemäss dem Dublin-Abkommen in einen anderen europäischen Staat zurückgeschickt werden. Direkt in ihren Heimatstaat kehrten 286 Nigerianer zurück, 165 "freiwillig" und 121 unfreiwillig. Zahlreiche weitere abgewiesene Asylbewerber zogen wohl unbemerkt in ein anderes Land weiter.

 Eine Rückführung kommt gegenwärtig für 200 bis 300 Personen in Frage, wie die BfM-Vertreterin schätzt. Die Kantone drängen vor allem wegen bestimmter Fälle, meist Delinquenten. Von den erwähnten 126 Personen sind bisher erst 11 ausgereist.

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NLZ 22.1.11

Drei Nigerianer müssen gehen

 Bundesgericht

 s. Das Bundesgericht ist auf die Beschwerde von drei nigerianischen Asylbewerbern gegen den Kanton Schwyz nicht eingetreten. Alle drei sitzen derzeit in Ausschaffungshaft und erhoben Anfang dieses Monats dagegen Beschwerden beim Bundesgericht. Nach dessen Nichteintreten auf alle drei Fälle können die drei Männer jetzt vom Migrationsamt des Kantons Schwyz ausgeschafft werden.

 Über Italien eingereist

 Zwei der Nigerianer hatten 2008 in Italien erfolglos ein Asylgesuch gestellt und waren danach letztes Jahr in die Schweiz eingereist. Hier trat das Bundesamt für Migration auf ihre hier gestellten weiteren Asylgesuche nicht ein und wies sie in Anwendung des Dublin-Abkommens nach Italien weg. Das Bundesgericht sieht in der Ausschaffungshaft keine Rechtsverletzung. Für einen der Männer ist der Rückflug nach Italien am 8. Februar gebucht.

 Der dritte Nigerianer ist seit 2009 in der Schweiz, sein Asylgesuch ist abgewiesen. Er sei daraufhin "nicht ausgereist, hat sich wiederholt nicht an dem ihm zugewiesenen Ort aufgehalten und ist hier straffällig geworden", hält das Bundesgericht fest. Er soll bei Gelegenheit nach Nigeria ausgeschafft werden.

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Tribune de Genève 22.1.11

Les rapatriements forcés ont repris vers le Nigeria

 La reprise des renvois des premiers requérants d'asile nigérians depuis le décès de l'un d'eux il y a dix mois s'est déroulée sans incident

 Les vols forcés ont repris dans la nuit de mercredi à jeudi. Trois requérants d'asile nigérians sont montés à bord à Zurich. Ce sont les premières expulsions depuis le décès d'un requérant nigérian il y a dix mois à l'aéroport de Zurich. Le rapatriement s'est déroulé sans incident et au moins quatre autres ressortissants nigérians devraient suivre dans le prochain vol, d'ici à trois semaines environ.

 La date dépend des autres pays européens membres de Frontex, l'agence européenne chargée notamment des expulsions sous la contrainte dans le cadre du Traité de Dublin. Il suffit à la Suisse de réserver des places. Pour Berne, les avantages sont nombreux, relève la sous-directrice de l'Office fédéral des migrations (ODM), Eveline Gugger Bruckdorfer.

 D'abord, le vol ne coûte rien à la Suisse, si ce n'est sa cotisation à Frontex. Celle-ci oscille entre 2,3 et 2,7   millions de francs par an, sachant que les tâches de l'agence européenne pour la gestion de la coopération opérationnelle aux frontières extérieures de l'UE sont bien plus vastes.

 Si Berne organisait elle-même un tel vol, cela reviendrait à plus de 13 000 francs par requérant. Cette semaine, la Confédération n'a dû payer que les billets des requérants et des policiers entre Kloten et Vienne, d'où décollait l'avion Frontex pour Lagos, indique l'ODM.

 Autre avantage des vols groupés de Frontex, la présence à bord d'un observateur indépendant, que la Suisse ne peut pas encore garantir. Le vol entre Vienne et Lagos était ainsi accompagné par un observateur d'une ONG autrichienne, précise Eveline Gugger Bruckdorfer. Pendant ce temps, l'ODM recherche en effet toujours des experts indépendants pour assurer cette mission d'observation. "Mais nous ne serons pas prêts avant le milieu de cette année", rappelle sa sous-directrice. Un délai que critiquent plusieurs ONG, dont Amnesty International Suisse.

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admin.ch 21.1.11

Zwangsrückführungen nach Nigeria wieder aufgenommen

Bern-Wabern, 21.01.2011 - Erstmals seit dem Stopp der Zwangsrückführungen nach Nigeria im März 2010 fand vorgestern ein Frontex-Flug nach Nigeria mit Schweizer Beteiligung statt. Der Flug verlief ohne Zwischenfälle.

Am 5. November 2010 haben die nigerianischen und schweizerischen Behörden die Wiederaufnahme zwangsweiser Rückführungen nach Nigeria ab Januar 2011 vereinbart. Eine Delegation zur Identifikation mutmasslicher Staatsangehöriger war Anfangs Dezember 2010 in der Schweiz und hat von 135 befragten Personen 126 anerkannt.

Zusammen mit den nigerianischen Behörden wurde vereinbart, dass alle ausreisepflichtigen Personen aus Nigeria nochmals die Möglichkeit erhalten, selbstständig auszureisen. Personen, die nicht straffällig geworden sind oder sich nicht in Ausschaffungshaft befinden, können zudem Rückkehrhilfe beantragen.

Seit dem 1. Januar 2011 wurden für 76 ausreisepflichtige Personen aus Nigeria Plätze auf Linienflügen gebucht (21 freiwillig mit Rückkehrhilfe und 55 unfreiwillig mit Zuführung zum Flugzeug durch die Polizei). Bis jetzt sind 11 Personen ausgereist. 58 Flugbuchungen sind noch offen. Bei Personen, die die Ausreise verweigern, wird eine Zwangsrückführung organisiert.

Mit dem Frontex-Flug vom 19. Januar 2011 wurden erstmals seit dem Stopp der Zwangsrückführungen nach Nigeria 3 Personen, die sich der Ausreise mittels Linienflug widersetzt hatten, erfolgreich zurückgeführt. Der Flug wurde unter österreichischer Federführung durchgeführt und verlief ohne Zwischenfälle.

Von Anfang Januar bis Ende Dezember 2010 haben 1'969 nigerianische Staatsangehörige in der Schweiz ein Asylgesuch gestellt. Im gleichen Zeitraum wurden gestützt auf das Dublin-Abkommen 1'670 Nichteintretensentscheide gefällt. Für diese Personen ist ein anderer Dublin-Staat für die Durchführung des Asyl- und Wegweisungsverfahrens zuständig. 2010 wurden 732 nigerianische Staatsangehörige in den zuständigen Dublin-Staat überstellt. Zudem sind im gleichen Jahr 286 Personen von der Schweiz nach Nigeria zurückgekehrt (165 freiwillige Ausreisen, 121 unfreiwillige Ausreisen).

Zwangsweise Rückführungen in andere Staaten werden bereits seit Juni 2010 wieder durchgeführt. Seit dem Stopp der Sonderflüge im März 2010 haben bis Ende Jahr 22 Sonderflüge mit 109 Personen stattgefunden.

Adresse für Rückfragen:
Eveline Gugger Bruckdorfer, Vizedirektorin, Tel. +41 (0)31 323 43 53
Herausgeber:

Bundesamt für Migration
Internet: http://www.bfm.admin.ch/bfm/de/home.html

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Bund 21.1.11

Rückschaffungen

 Flüge nach Nigeria wieder aufgenommen

 Erstmals seit zehn Monaten hat die Schweiz wieder Nigerianer in deren Heimat ausgeschafft. In der Nacht auf Donnerstag wurden drei Männer nach Lagos ausgeschafft, sagte eine Sprecherin des Bundesamts für Migration (BFM) am Donnerstagabend in einem Beitrag der Sendung "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens. Im März 2010 war ein Nigerianer vor einem Ausschaffungsflug am Flughafen Zürich-Kloten gestorben. Daraufhin hatte das BFM einen vorläufigen Stopp der Flüge angeordnet. Nachdem ein rechtsmedizinisches Gutachten darlegte, dass der 29-jährige Mann an einer schweren, praktisch nicht diagnostizierbaren Herzkrankheit gelitten hatte, wurden die Flüge im Juni 2010 wieder aufgenommen - ausser jene nach Nigeria.(sda)

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NLZ 21.1.11

Schweiz schafft wieder aus

 Nigeria

sda.

 sda. Erstmals seit zehn Monaten hat die Schweiz wieder Nigerianer in deren Heimat ausgeschafft. In der Nacht auf gestern wurden drei Männer via Wien nach Lagos ausgeschafft. "Wir haben drei nigerianische Staatsangehörige zwangsweise mit einem Sonderflug nach Nigeria zurückgeflogen", sagte Eveline Gugger Bruckdorfer, Vizedirektorin des Bundesamts für Migration (BFM). In Wien mussten die drei Männer auf einen sogenannten Frontex-Flug der EU umsteigen. Die Frontex, die europäische Agentur zur Sicherung der Aussengrenzen der EU, führt regelmässig Ausschaffungsflüge durch.

 Ungeklärter Tod war Auslöser

 Die Schweiz führt nach Angaben des BFM jährlich rund 50 Ausschaffungsflüge durch. Die Ausschaffungen nach Nigeria waren in den letzten Monaten sistiert, weil Nigeria darauf bestand, nur noch freiwillig rückkehrende Asylbewerber aufzunehmen. Dies, nachdem im vergangenen März ein Nigerianer bei den Vorbereitungen zum Ausschaffungsflug auf dem Flughafen Zürich gestorben war. Die Untersuchungen haben allerdings gezeigt, dass der Mann an einem gesundheitlichen Problem gelitten hatte.

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20 Minuten 21.1.11

Ausschaffung nach Nigeria

 BERN. Erstmals seit zehn Monaten hat die Schweiz wieder Nigerianer in deren Heimat ausgeschafft. In der Nacht auf gestern wurden drei Männer via Wien nach Lagos ausgeschafft. "Wir haben ges- tern Abend drei nigerianische Staatsangehörige zwangsweise mit einem Sonderflug nach Nigeria zurückgeflogen", sagte Eveline Gugger Bruckdorfer, Vizedirektorin des Bundesamts für Migration, zu "10 vor 10".

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Newsnetz 21.1.11

Erste Ausschaffung nach Nigeria seit 10 Monaten

sda / mrs

 Nach einem tödlichen Unglück wurden Ausschaffungsflüge nach Nigeria vorübergehend gestoppt. In der Nacht auf Donnerstag wurden erstmals wieder drei Nigerianer in ihr Heimatland zurückversetzt.

 Erstmals seit zehn Monaten hat die Schweiz wieder Nigerianer in deren Heimat ausgeschafft. In der Nacht auf Donnerstag wurden drei Männer via Wien nach Lagos ausgeschafft.

 "Wir haben gestern Abend drei nigerianische Staatsangehörige zwangsweise mit einem Sonderflug nach Nigeria zurückgeflogen", sagte Eveline Gugger Bruckdorfer, Vizedirektorin des Bundesamts für Migration (BFM), in einem Beitrag der Sendung "10 vor 10" des Schweizer Fernsehens vom Donnerstagabend.

 Umsteigen in Wien

 In Wien mussten die drei Männer auf einen sogenannten Frontex- Flug der EU umsteigen. Die Frontex, die europäische Agentur zur Sicherung der Aussengrenzen der EU, führt regelmässig Ausschaffungsflüge durch.

 Die Schweiz führt nach Angaben des BFM jährlich rund 50 Ausschaffungsflüge durch. Im März 2010 war ein Nigerianer bei den Vorbereitungen zu einem Ausschaffungsflug auf dem Flughafen Zürich- Kloten gestorben. Daraufhin hatte das BFM einen vorläufigen Stopp der Sonderflüge angeordnet.

 Nachdem ein rechtsmedizinisches Gutachten darlegte, dass der 29- jährige Mann an einer schweren und praktisch nicht diagnostizierbaren Herzkrankheit gelitten hatte, wurden die Flüge im Juni 2010 wieder aufgenommen - mit Ausnahme jener nach Nigeria.

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10vor10 sf.tv 20.1.11

Nigerianische Asylbewerber ausgeschafft

Seit letzter Nacht werden wieder Zwangsausschaffungen nach Nigeria durchgeführt, mit EU-Hilfe. Die EU-Ausschaffungsflüge finden jedoch nur sporadisch statt. Deshalb fordern die Kantone vom Bund, er solle mit mehr Druck und Härte mit Nigeria verhandeln.
http://videoportal.sf.tv/video?id=78a2d1ed-e7d8-40b2-9536-62cd9a7ad7b3

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sf.tv 20.1.11

Wieder Ausschaffungen nach Nigeria

sf/meru

 Die Schweiz hat in der Nacht auf heute Donnerstag drei Nigerianer nach Lagos ausgeschafft. Das ist die erste Ausschaffung von Nigerianern seit zehn Monaten. Die Ausschaffung erfolgte über Wien, wo die drei Männer auf einen sogenannten Frontex-Flug der EU umsteigen mussten.

 Dies bestätigt Esther Gugger Bruckdorfer , Vizedirektorin des Bundesamt für Migration BfM gegenüber "10vor10". Die Frontex, die europäische Agentur zur Sicherung der Aussengrenzen der EU , führt regelmässig Ausschaffungsflüge durch.

 Direkte Schweizer Ausschaffungsflüge nach Lagos sind allerdings bis heute nicht möglich. Am 17. März 2010 kam ein 29-jähriger Ausschaffungshäftling aus Nigeria ums Leben, worauf das Bundesamt für Migration BfM sämtliche Ausschaffungsflüge stoppte. Im Laufe des Sommers 2010 nahm das BfM die Ausschaffungsflüge wieder auf, allerdings nicht nach Nigeria.

 Bei den kantonalen Ämtern für Ausländerfragen wächst der Unmut über den Vollzugsnotstand.

 Mehr dazu heute Abend in "10v10", um 21:50 auf SF 1

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NOTHILFE
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NZZ 19.1.11

Bundesgericht

Nothilfe nur im Zuweisungskanton

 Abgewiesene Asylbewerber

 fel. Luzern · Der Kanton Waadt muss einer abgewiesenen Asylbewerberin, die dem Kanton Bern zugeteilt worden war, definitiv keine Nothilfe gewähren. Das Bundesgericht hat eine Beschwerde der Frau abgewiesen, die lieber beim Vater ihrer Kinder in der Waadt leben möchte. Da ihr Aufenthalt in diesem Kanton illegal ist, muss sie sich für die Nothilfe an den Kanton Bern halten.

 Das Asylgesuch der Frau war abgewiesen worden, und sie müsste seit September 2005 die Schweiz verlassen. Im einstimmig gefällten Urteil der I. Sozialrechtlichen Abteilung des höchsten Gerichts wird in Erinnerung gerufen, dass das Asylgesetz einen Kantonswechsel nicht mehr zulässt, nachdem das Asylverfahren einmal abgeschlossen worden ist (Urteil 2A.361/2004). In diesem Verfahrensstadium kommen nur noch Massnahmen im Zusammenhang mit der Ausreise aus der Schweiz in Betracht. Im Übrigen geht es laut dem Urteil aus Luzern nicht an, die Kantonszuweisung über die Frage der Nothilfe zu unterlaufen. Die Frau müsste sich an das Bundesamt für Migration wenden, falls sie eine Verletzung des Rechts auf Familienleben geltend machen möchte.

 Urteil 8C_268/2010 vom 6. 1. 11 - BGE-Publikation.

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SANS-PAPIERS
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St. Galler Tagblatt 22.1.11

Auf der Suche nach den Sans-Papiers
 
Ausländer, die sich illegal im Thurgau aufhalten, belasten den Sozialstaat kaum, glaubt der Regierungsrat. Ob und wie sehr Sans-Papiers weitere staatliche Leistungen beanspruchen, bleibt mangels statistischer Daten offen.

 CHRISTOF WIDMER

 Frauenfeld. Mit 4000 Ausländern, die sich illegal im Thurgau aufhalten, rechnete 2005 eine Studie des Forschungsinstituts GfS. Seither dürfte die Zahl wegen Verschärfungen im Asyl- und Ausländerrecht gestiegen sein. Dass diese Bevölkerungsgruppe den Steuerzahlern auf der Tasche liegt, wie die SVP-Kantonsräte Hermann Lei (Frauenfeld) und David Zimmermann (Braunau) meinen, konnte die kantonale Verwaltung nicht erhärten. Die beiden Kantonsräte wollten in einer Einfachen Anfrage vom Regierungsrat wissen, welche Mittel der Kanton für Personen ausgibt, "die nicht hier leben dürfen."

 Keine Leistung ohne Anmeldung

 Die gestern veröffentlichte Antwort blieb mangels statistischer Grundlagen im Ungefähren. Dass Sans-Papiers von den Sozialwerken profitieren, hält der Regierungsrat aber für kaum möglich: Für Arbeitslosenversicherung, IV oder Ergänzungsleistungen sei eine Wohnsitzbestätigung nötig. Ausgeschlossen sei die Ausrichtung von Prämienverbilligungen an Sans-Papiers, da sie nach dem Eintrag im Steuerregister ausbezahlt werden - den Illegale nicht haben.

 Bei AHV und Familienzulagen sei es wiederum fraglich, ob Arbeitgeber von Illegalen das Risiko eingehen, sie als Lohnbezüger anzumelden, schreibt die Regierung.

 Illegale Ausländer können laut Regierungsrat nicht in den Genuss von staatlich unterstützten Sprachkursen kommen, da die Teilnehmer überprüft werden.

 Kinder dürfen zur Schule

 Anders verhält es sich bei Kindern von illegalen Aufenthaltern. Der Grundschulunterricht stehe allen Kindern offen, schreibt die Regierung. Da die Schulgemeinden den Status der Schüler nicht erfassen müssen, sei nicht bekannt, wie viele solcher Kinder die Volksschule besuchen. Auch Spitäler führen keine solche Statistik. Die Behandlung von Notfällen sei so oder so Pflicht, schreibt die Regierung. Für weiterführende Behandlungen sei ausschlaggebend, ob Versicherung oder Patienten die Kosten übernehmen.

 Nicht bekannt ist interessanterweise auch, ob Sans-Papiers noch in andere Gerichtsverfahren ausser in ausländerrechtliche Fälle involviert sind.

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DROGEN
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20min.ch 22.1.11

Heilige Pflanze: Koka-Kauen? Bolivien sagt: "Legalize it!"

 Aus Kokablättern wird Kokain gewonnen, in den Anden gelten sie aber auch als Medizin. Nun entscheidet die UNO, ob der traditionelle Gebrauch international erlaubt wird.

Camilla Landbø

 Wer in La Paz ankommt, kämpft in der Regel mit der dünnen Luft. Die bolivianische Stadt liegt auf 3600 Metern Höhe in den Anden. Das Auf und Ab in den Gassen bringt Atemnot, schwere Beine und nicht selten Schwindelgefühl. Gegen die Höhenkrankheit gibt es jedoch Abhilfe: das Kokablatt. Seit eh und je kauen die Menschen in den Anden das "heilige Blatt", wie sie es nennen, das nicht nur gegen Sauerstoffmangel, sondern auch gegen Übelkeit und Müdigkeit hilft.

 Allerdings stehen sowohl das Kauen als auch das Kokablatt selbst auf der Verbotsliste der UNO-Konvention gegen Drogen von 1961. Evo Morales will dies ändern. "Wir wollen, dass das Kokablattkauen anerkannt und entkriminalisiert wird", verkündete der bolivianische Präsident vergangene Woche bei einer Pressekonferenz in La Paz. Derzeit ist sein Aussenminister David Choquehuanca in Europa unterwegs, um für eine Legalisierung zu werben. Morales stellte klar: "Wir verlangen nicht, dass das Kokablatt legal wird, sondern dass das Kauen und der traditionelle Gebrauch des Blattes international erlaubt ist."

 "Nationales Kulturgut"

 Seit mindestens 5000 Jahren ist die Kokapflanze in den Anden Teil des Alltags. Die Hochlandbewohner verwendeten sie in ihren Anfängen vor allem als Medizin und im religiösen Kult. Erst später, als die spanischen Eroberer die Minen ausbeuteten, wurden die Kokablätter massenhaft gekaut. Die versklavten Indios spürten auf diese Weise weder Hunger noch Müdigkeit und konnten in den Bergwerken stundenlang Silber schleppen.

 Auch heute noch dient das Blatt dem eifrigen Studenten, dem Langstreckenbusfahrer und der arbeitsamen Marktfrau als Wachhalter und ist Bestandteil jeder indigenen Zeremonie. Vom Yatiri, dem Schamanen, kann man sich auf den Plätzen von La Paz aus den Kokablättern die Zukunft lesen lassen. Von der Kirche im 16. Jahrhundert als "teuflisch und Hindernis für das Christentum" bezeichnet, gilt die Kokapflanze in der 2009 verabschiedeten bolivianischen Verfassung neu als "nationales Kulturgut".

 Ausnahmen von Peru und Bolivien

 Im selben Jahr bat Morales während einer Konferenz in Wien die Vereinten Nationen, die Drogenkonvention zu modifizieren. "Es ist bewiesen, dass das Kokablatt nicht schädlich, sondern gesund ist, es hilft unter anderem gegen Diabetes", argumentierte der bolivianische Staatschef. Das Blatt weise einen hohen Gehalt an Kalzium, Eiweiss, Eisen, Phosphor und Vitaminen auf. Seit dem letzten Jahrhundert ist das Kokablatt jedoch in Verruf geraten: Aus der Pflanze kann das Rauschmittel Kokain hergestellt werden. Auch viele der geernteten Kokablätter in Bolivien landen in Kokainküchen.

 Die UNO-Konvention gegen Drogen, die 1964 in Kraft trat, hatte unter anderem als Ziel, die Kokainproduktion einzudämmen. Allerdings berücksichtigte sie die Sitten und Riten der indigenen Völker nicht und forderte, dass auch das Kokablattkauen innerhalb von 25 Jahren abgeschafft würde. Erst 1988 gewährten die Vereinten Nationen den Koka-Ländern Peru und Bolivien den traditionellen Gebrauch des Blattes und einen kontrollierten Koka-Anbau. Das Kauen aber wurde als strafbare Handlung nie von der Konvention gestrichen.

 Entscheid am 31. Januar

 Die UNO-Mitgliederstaaten hatten nun 18 Monate Zeit, um über eine Änderung des Abkommens nachzudenken. Viele Länder, etwa Kolumbien, Somalia und Ägypten, haben sich bereits dafür ausgesprochen, die USA sind nach wie vor dagegen, wie sie am Mittwoch bekräftigten. Die europäischen Länder haben sich offiziell noch keine Meinung gebildet, eine gemeinsame Erklärung der EU wird laut Nachrichtenagentur AP am 25. Januar erfolgen.

 Am 31. Januar entscheidet sich, ob das Kokablattkauen legalisiert wird. Bonbons, Kekse, Kuchen, Wein, Likör, Shampoo oder Zahnpasta aus Kokablättern, all dies wird auf den bolivianischen Märkten angepriesen. Dem Andenstaat schwebt vor, diese Produkte zu industrialisieren, zu vermarkten und in Zukunft sogar zu exportieren. Mit der Legalisierung des traditionellen Gebrauchs wäre zumindest der Weg dafür geebnet.

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BZ 22.1.11

Kiffer sollen mit 100 Franken bestraft werden

 Cannabis-konsumDie Gesundheitskommission des Nationalrates will, dass Kiffer nicht mehr zwingend angezeigt werden müssen, sondern mit einer Ordnungsbusse bestraft werden können.

 Die heutigen Regeln zum Cannabiskonsum seien unklar, hatte die CVP kritisiert und deshalb im eidgenössischen Parlament klare Vorschriften gefordert. Gestern ist die Gesundheitskommission des Nationalrates dieser Forderung nachgekommen und hat folgenden Vorschlag auf den Tisch gelegt: Beobachtet ein Polizist kiffende Erwachsene oder kiffende Jugendliche ab 16 Jahren, kann er von diesen vor Ort eine Ordnungsbusse von 100 Franken verlangen. Der Kiffer oder die Kifferin hat das Recht, die Busse abzulehnen. In diesem Fall wird ein ordentliches Verfahren eingeleitet. Bei Jugendlichen unter 16 Jahren wird ein ordentliches Verfahren eröffnet, ebenso, wenn beim Kiffer zusätzlich Cannabis von mehr als 10 Gramm gefunden wird.

 Ermessensspielraum?

 Für Diskussionen sorgen dürfte die Frage, ob die Polizei einen Ermessensspielraum erhalten soll. Die Kommission hat sich dagegen ausgesprochen. Sie beschloss mit 10 zu 9 Stimmen bei 2 Enthaltungen, dass Polizisten nicht auf eine Busse verzichten dürfen, wenn sie den Konsum beobachten. Ein Sachrichter hat schon heute die Möglichkeit, in leichten Fällen von Betäubungsmittelkonsum von einer Strafe abzusehen. Eine Kommissionsminderheit möchte auch der Polizei im Fall von Cannabis diese Kompetenz einräumen und damit verhindern, dass ein leichter Fall von Cannabiskonsum allenfalls härter bestraft wird als andere leichte Fälle von Betäubungsmittelkonsum.

 Ohne Gerichtsmaschinerie

 Die Gesundheitskommission hat das Gesamtpaket zum neuen Ordnungsbussensystem mit 15 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen gutgeheissen. Eine Minderheit lehnt die Vorschläge grundsätzlich ab und beantragt Nichteintreten. Der Entwurf gehe in Kürze in die Vernehmlassung, teilte die Gesundheitskommission gestern den Medien mit. Später wird er im Parlament beraten.

 Die CVP hatte das Ordnungsbussensystem gefordert, weil es nicht angebracht sei, bei Cannabiskonsumenten die Gerichtsmaschinerie anzuwerfen. Ordnungsbussen für Cannabiskonsumenten gibt es heute schon in den Kantonen St. Gallen und Neuenburg. Kiffer können dort aber nach wie vor auch angezeigt werden. Landesweit werden jährlich Tausende wegen Konsum von Cannabisprodukten angezeigt.

 Die nationalrätliche Gesundheitskommission hat in den letzten Tagen ausserdem über eine parlamentarische Initiative diskutiert, welche eine Entkriminalisierung des Cannabiskonsums verlangt. Sie sprach sich nur sehr knapp dagegen aus: mit 12 zu 11 Stimmen bei 1 Enthaltung.
 sda/bw

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Blick am Abend 21.1.11

Iran ist grösster Drogendealer

 WIKILEAKS

 Iran kauft Opium in Afghanistan, macht es zu Heroin und vertreibt es in die Welt.

 natascha.eichholz@ringier.ch

 Iran macht wieder mal negativ von sich reden. Neben der Atom-Problematik droht eine weitere Erkenntnis den Iran international noch weiter ins Abseits zu drängen. Wikileaks enttarnte jetzt, dass das Land unter der Führung von Präsident Mahmud Ahmadinedschad offenbar der grösste Drogenhändler der Welt ist. Über Aserbaidschan schmuggelt der Iran Massen an Heroin nach Europa.

 Gemäss der Zeitung "Welt", der die als "geheim" klassifizierten Depeschen vorliegen, stieg der Drogenhandel von 2006 bis 2009 rasant an. 2006 wurden in Aserbaidschan noch 20 Kilo Heroin iranischen Ursprungs entdeckt, im ersten Quartal 2008 waren es bereits 15 000 Kilo und im ersten Quartal 2009 "annähernd 59 000 Kilo". Der Stoff sei "voll laboraufbereitet und marktfertig", melden UN-Ermittler vor Ort. Letztere seien nur darum in Aserbaidschan, weil Präsident Ilhan Aliyev darum gebeten hätte. Ihn beunruhige die Entwicklung im Drogen-Business.

 Die jetzt von der Enthüllungs-Plattform veröffentlichten Depeschen stammen von der amerikanischen Botschaft in Aserbaidschan.

 Eine der Aufgaben der Botschaft ist laut "Welt", den Iran zu beobachten. Die Akten aus Aserbaidschan suggerieren zudem, dass der Iran derzeit den Grossteil der afghanischen Rohopium-Produktion aufkauft und damit das meiste Heroin im Iran produziert wird. Dies vor allem in der nordwestiranischen Stadt Täbriz. Afghanistan ist der grösste Opium-Produzent der Welt.

 Eine Depesche beschuldigt den Iran besonders schwer: In der Botschaft vom 15. Oktober 2009 wird der stellvertretende aserische Aussenminister Khalaf Khalafov zitiert, der sagt, iranische Sicherheitskräfte kontrollierten das Geschäft mit dem weissen Gift.

 Wenn Aserbaidschan iranische Drogenhändler schnappe und ausliefere, würden sie oft vom Iran direkt freigelassen. "Manchmal nehmen wir dieselben Leute etwas später wieder fest, die wir eben erst ausgeliefert hatten."

 Verhöre von aufgeflogenen Dealern hielten auch fest, dass die Sicherheitskräfte nicht nur aktiv am Heroinhandel beteiligt seien, sondern auch Labore betrieben, in denen das Heroin gewonnen wird. Dadurch sicherte man sich neue Einkommensquellen.

 Falls der iranische Staat tatsächlich den Heroinschmuggel nach Europa organisiert, hiesse das in der Folge, europäische Drogen-Konsumenten würden das iranische Regime mit Milliarden unterstützen.

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Basellandschaftliche Zeitung 19.1.11

Kiffer entzweien die beiden Basel

 Legalisierung Sabine Pegoraro ist gegen kontrollierte Cannabis-Abgabe, die in Basel getestet wird

Jürg Gohl

 Beim Cannabis steigen die Preise und die Kriminalität auf dem verbotenen Markt, während die Qualität der Droge sinkt (bz gestern, Seite 5). Zwei Jahre nach dem Veto des Schweizer Stimmvolks zur Legalisierung von Hanf muss sich die Politik mit den Folgen des Entscheids befassen, denn noch immer kiffen in der Schweiz rund eine halbe Million Menschen.

 Baselland und Basel-Stadt reagieren auf unterschiedliche Weisen auf die Entwicklung im illegalen Hanfmarkt. Während Regierungsrätin Sabine Pegoraro, die Baselbieter Sicherheitsdirektorin, keine Veranlassung sieht, von ihrer repressiven Drogenpolitik abzurücken, ist Basel daran, in einem Pilotversuch den kontrollierten Verkauf von Cannabis an Personen über 18 Jahre zu legalisieren.

 Pegoraro lehnt jede Abgabe ab

 "Meine persönliche Haltung ist bekannt: Ich habe mich immer gegen eine kontrollierte Abgabe von Drogen ausgesprochen und ich werde das auch weiterhin tun", stellt Sabine Pegoraro klar. Zum Basler Vorstoss möchte sie sich nicht äussern. Vom bisherigen Umgang mit Kiffern will sie auch nicht abrücken: "Wenn bei uns jemand zum ersten Mal erwischt wird - ob Jugendlicher oder Erwachsener -, eröffnen wir kein Verfahren. Wir bieten die Person zu einem Gespräch auf", erklärt sie, "erst beim zweiten Mal folgt eine Verzeigung."

 Pegoraro betont, dass die gesamtschweizerische Beobachtung in mehrfacher Hinsicht für Baselland nicht zutreffe. Erstens hat die Menge des sichergestellten Cannabis nicht abgenommen, auch wenn die Zahlen für 2010 noch nicht vorliegen. Immerhin verzeichnete Baselland im Dezember in Reinach einen Rekordfang. Zweitens habe auch die Kriminalität in diesem Zusammenhang nicht zugenommen. Drittens sei das beschlagnahmte Marihuana "von guter bis sehr guter Qualität". Gemäss Polizei und Sicherheitsdirektion lasse sich einzig die Tendenz zu grösseren Plantagen im Baselbiet "nicht von der Hand weisen".

 Basel will Hanf zum Test zulassen

 Die Entwicklungen auf dem verbotenen Cannabis-Markt bilden ein starkes Argument für Tanja Soland, die SP-Fraktionspräsidentin im Grossen Rat. Sie hat erst im November gefordert, dass sich Basel an einem Pilotversuch beteiligt: Der Cannabis-Konsum soll in der Stadt für alle über 18 Jahre legalisiert, der Verkauf staatlich kontrolliert und der ganze Versuch wissenschaftlich begleitet werden. Zudem sollen Jugendliche über die Droge aufgeklärt und beraten werden. "Cannabis darf weder verteufelt noch verharmlost werden", sagt Soland, "aber die ganze Diskussion muss nun versachlicht werden."

 Ihr Anzug wurde damals nicht nur von den Linken , sondern unter anderen von den Freisinnigen Baschi Dürr und Daniel Stolz, CVP-Fraktionschef und Arzt André Weissen und dem Grünliberalen Dieter Wertemann mitgetragen, und so wurde die Regierung klar beauftragt, den Cannabis-Pilotversuch umzusetzen. Tanja Soland könnte sich durchaus auch vorstellen, dass das St.Galler Modell - Kiffer werden nur noch mit einer Ordnungsbusse von 50 Franken bestraft, aber nicht mehr verzeigt - als Übergangslösung taugen würde. "Aber Ziel wäre es schon, den Cannabis-Konsum zu legalisieren", sagt sie und vergleicht die aktuelle Situation mit der Prohibition, dem einstigen Alkoholverbot in ganz Nordamerika, das zu Kriminalität und Wucher führte, ohne die Sucht einzudämmen. "Mit dem Pilotversuch könnte Basel endlich wieder einmal zeigen, dass die Stadt in Sachen Drogenpolitik fortschrittlich geblieben ist."

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Freiburger Nachrichten 19.1.11

Ein Haus für ältere Suchtabhängige?

 Ein Drittel der Suchtkranken bleibt bis zum Lebensebene abhängig. Dank der Medizin werden auch sie heute älter. Das Hilfsangebot für diese Menschen ist aber nach Ansicht von zwei Deutschfreiburger Grossräten ungenügend.

 Arthur Zurkinden

 Den Grossräten Christine Bulliard (CVP, Überstorf) und Daniel de Roche (EVP, Guschelmuth) ist es ein Anliegen, dass den älter werdenden Suchtkranken besser geholfen wird. Sie denken dabei an ein Heim für solche Menschen, die dort auch gut betreut werden. Sie wissen auch, dass die Stiftung "Abri" ein solches Projekt in der Schublade hat. Dort ruht es auch, weil der Staatsrat noch kein grünes Licht für die Realisierung gegeben hat. "Der Staatsrat verweist seit vier Jahren auf eine Studie, geschehen ist aber noch nichts", hält Christine Bulliard gegenüber den FN fest.

 Eine Gesetzesänderung mit Signalwirkung

 Die beiden Grossräte sind überzeugt, dass ein solches Haus einem grossen Bedürfnis entspricht. Sie sprechen dabei von einem innovativen Sozialprojekt, das palliative Pflege vorsieht. Sie haben deshalb eine Motion eingereicht, mit welcher sie eine Revision des Gesundheitsgesetzes verlangen. Ebenso möchten sie, dass der Staatsrat insbesondere auch Projekte für die Betreuung abhängiger Personen unterstützt, wenn sich ihr Zustand zu einer chronischen Abhängigkeit entwickelt, dies in medizinischer als auch in sozialer Hinsicht. "Ja, eine solche Ergänzung des Gesetzes hätte eine Signalwirkung", sagt Bulliard.

 Staatsrat teilt Meinung

 In seiner Antwort bestätigt der Staatsrat, dass es Suchtabhängige gibt, bei denen die Therapieziele nicht erreicht werden können. Seiner Ansicht nach betrifft es vor allem Personen, die mit dem HI- und dem Hepatitis-Virus infiziert sind. "Solche Personen bedürfen einer langfristigen Substitution und Behandlung, in bestimmten Fällen bis zu ihrem Lebensende", hält der Staatsrat fest und teilt die Meinung, wonach deren Betreuung verbessert werden müsse.

 Ein kantonales Dispositiv

 Der Staatsrat erinnert aber daran, dass er im Jahre 2008 das Projekt "Koordination der Betreuung drogen- und alkoholabhängiger Personen" ins Leben gerufen hat. Ziel sei es, ein kantonales Dispositiv für die Betreuung abhängiger Personen einzusetzen. Im Vordergrund steht dabei ein Qualitätsangebot, das den aktuellen Bedürfnissen gerecht wird, das eine interdisziplinäre Zusammenarbeit beinhaltet und das eine auf die abhängige Peson zentrierte Behandlungskette anbietet. Eine Projektgruppe sei daran, Massnahmen zu erarbeiten. Das Projekt soll Ende 2011 fertig sein.

 Nach Ansicht des Staatsrates besteht aber keine Gesetzeslücke. "In diesem Bereich muss die Verbesserung der Betreuung über konkrete Projekte laufen", betont er und empfiehlt deshalb dem Grossen Rat, die Motion abzulehnen. Die Ergänzung des Gesundheitsgesetzes im Sinne der beiden Grossräte würde gemäss Staatsrat der chronischen Suchtmittelabhängigkeit ein zu grosses Gewicht geben.

 Kein Rückzieher

 "Nein, wir ziehen unsere Motion nicht zurück", sagt Bulliard in Absprache mit Daniel de Roche. Sie werden aber das Gespräch mit dem Staatsrat suchen. Die Motion wird in einer der nächsten Sessionen im Grossen Rat behandelt.

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 Suchtkranke: "Oft ist auch die betroffene Familie überfordert."

 Nach Ansicht der beiden Grossräte Christine Bulliard und Daniel de Roche setzen sich Suchtkranke schwerwiegenden sozialen Risiken aus. Sie denken dabei an instabile Wohnsituationen, Obdachlosigkeit, Verwahrlosung, Suizidgefährdung und so weiter. "Betroffene und Angehörige sind mit den gesundheitlichen und sozialen Auswirkungen der chronischen Suchterkrankung überfordert und allein gelassen", halten sie in der Begründung ihrer Motion fest und geben zu bedenken, dass die Pflege und Betreuung von solchen Personen in den meisten Fällen den Familienangehörigen oder befreundeten Personen überlassen bleiben. Dies führe in den betroffenen Familien zu physischen, psychischen und finanziellen Überforderungssituationen.

 Da das bestehende Hilfsangebot (Platzierung in Therapiestätten, Spitex) nicht die gewünschte Lösung bringt, ersuchen sie den Staatsrat, "diesen Menschen und ihren Angehörigen in ihrem zunehmend im privaten Sozialraum versteckten Leiden die notwendigen Hilfen auf gesetzlicher Ebene zu garantieren und geeignete Strukturen und Projekte zu unterstützen". az

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20 Minuten 19.1.11

Marihuana dreimal so teuer

 BERN. Der Preis für Marihuana hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdreifacht. Grund: 2004 schmetterte das Parlament die Cannabis-Legalisierung ab, die Hanfshops verschwanden. Dies hat nun ausländische Banden angelockt. "Besonders aktiv sind Türken und Albaner und andere Personen aus den Balkanstaaten", so Roger Flury, Analytiker bei der Bundeskriminalpolizei, zur "Aargauer Zeitung". Der Anbau sei in den Untergrund verschwunden und zu einer eigentlichen Industrie geworden. Flury: "Für grosse Hightech-Anlagen braucht es hohe Investitionen, die nur von gut organisierten Banden getätigt werden können."

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Aargauer Zeitung 18.1.11

Bandenalarm im Cannabis-Handel

 Drogen Ausländer drängen in den Markt

Benno Tuchschmid

 Kriminelle Banden drängen in den Schweizer Cannabis-Handel. Gemäss Bundeskriminalpolizei sind besonders Türken und Personen aus den Balkanstaaten aktiv. Diese Entwicklung ist neu: Bis vor wenigen Jahren war der Handel mit Cannabis praktisch ausschliesslich in Schweizer Hand. Doch zwischen 2004 und 2006 ging die Polizei hart gegen Hanf-Shops und Gras-Produzenten vor. Das Produktionsvolumen sank, der Preis stieg. Der Handel mit Cannabis ist "äusserst lukrativ", bestätigt die Bundeskriminalpolizei. Die kriminellen Banden haben die Cannabis-Produktion industrialisiert: Sie züchten Pflanzen in High-Tech-Anlagen - die für die Polizei schwer zu entdecken sind. Damit nähert sich die Cannabis-Produktion der Herstellung von harten Drogen an. Und das hat Konsequenzen: "Die Gewaltbereitschaft hat in den letzten Jahren enorm zugenommen", sagt Michael Mosimann, Vorstandsmitglied der Schweizer Hanfkoordination.

 Seite 5, Kommentar rechts

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Kriminelle Gruppen mischen Cannabis-Markt auf

 Drogen Der Marihuana-Preis hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdreifacht - das lockt ausländische Banden an

Benno Tuchschmid

 Bewaffnetes Wachpersonal in Cannabis-Zucht-Anlagen; Banden, die Industrie-Hanffelder stürmen; Drohungen, Körperverletzungen, Entführungen: Die gemütlichen Zeiten im Schweizer Cannabis-Handel sind vorbei. "Die Situation ist beängstigend. Die Gewaltbereitschaft hat in den letzten Jahren enorm zugenommen. Wir haben es mit Mafia-ähnlichen Banden zu tun", sagt Michael Mosimann von der Schweiz Hanf Koordination, dem Branchenverband der Schweizer Hanffirmen. Dazu passt auch der Fall eines Berner Hanfbauers, der im letzten Dezember auf seinem Industriehanffeld von einer ausländischen Bande beraubt wurde und einen Dieb erschoss. Auch die Bundeskriminalpolizei registriert Gewaltdelikte und die Zunahme von ausländischen Banden im Umfeld der Cannabis-Produktion. "Besonders aktiv sind Türken und Albaner und andere Personen aus den Balkanstaaten", sagt Roger Flury, Analytiker bei der Bundeskriminalpolizei.

 Einst das Land des blühenden Hanfs

 Lange Zeit war Cannabis im Schweizer Drogenhandel ein Spezialfall: Mehr oder weniger toleriert von der Polizei, wuchsen bis vor zehn Jahren auf Feldern und in Indoor-Plantagen riesige Mengen Cannabis - so viel, dass der Ernte-Überschuss zum Teil ins Ausland exportiert wurde. In Schweizer Städten florierte der Handel in den Hanfshops. Und: Der Cannabis-Handel war praktisch ausschliesslich in Schweizer Hand. Rechtlich befand sich das Geschäft mit der Droge im Schwebezustand: Viele rechneten mit einer baldigen Legalisierung. Doch 2004 schmetterte das Parlament diese endgültig ab, und die Polizei griff durch: Bereits Ende 2006 gab es in der ganzen Schweiz keine offenen Verkaufsstellen mehr und die grossen Hanfplantagen und Zuchtanlagen waren ausgehoben.

 Nur: Die Schweizer blieben trotzdem ein Volk von Kiffern. 11,5 Prozent der Schweizer Männer rauchen regelmässig Cannabis, bei den Frauen sind es 5,1 Prozent. Und die bekommen ihr Gras immer noch, allerdings aus einer anderen Quelle: "Der Anbau ist in den Untergrund verschwunden und zu einer eigentlichen Industrie geworden", sagt Roger Flury. Die Konsequenz: "Für grosse High-Tech-Anlagen braucht es hohe Investitionen, die nur von gut organisierten Banden getätigt werden können", so Flury weiter. Die kriminellen Banden lockt auch der Preis: Dieser hat sich in den letzten fünf Jahren mehr als verdreifacht. Konsumenten bezahlen heute zwischen 20 und 25 Franken pro Gramm. "Durch den stark gestiegenen Preis ist die Cannabis-Produktion äusserst lukrativ. Und: Im Vergleich zu harten Drogen fällt die Bestrafung relativ gering aus", bestätigt Roger Flury.

 Marihuana aus Albanien

 Weil die Cannabis-Produzenten in den Untergrund auswichen, werden sie auch weniger erwischt. Die Zahl der Beschlagnahmungen von Cannabis ist zusammengebrochen. Dazu kommt, dass auch das Produktionsvolumen abnahm. "Früher musste die Polizei oft mit Lastwagen vorfahren, um die konfiszierte Ware abtransportieren zu können", sagt Roger Flury. 15 bis 20 Tonnen pro Jahr waren keine Seltenheit. Heute reicht zur Konfiszierung ein kleiner Lieferwagen (siehe Grafik).

 Die stark gestiegenen Preise führen zu einem weiteren Phänomen: "Noch vor wenigen Jahren war gestrecktes Gras unvorstellbar. Heute finden sie Kraut mit Spuren von Bleisulfat oder Vogelsand", sagt Michael Mosimann. Weil das Cannabis-Produktionsvolumen in der Schweiz zurückging, reicht die Menge für den Markt nicht mehr aus. Die Bundeskriminalpolizei stellt fest, dass der Import von Cannabis-Produkten in die Schweiz zunimmt: insbesondere Haschisch aus Marokko und Marihuana aus Albanien.

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 Politik: Kommission für Ordnungsbusse

 Am Donnerstag prüft die ständerätliche Kommission für soziale Sicherheit und Gesundheit die parlamentarische Initiative für die "Entkriminalisierung von Cannabis". Die von der CVP-Nationalrätin Katharina Prelicz-Huber (ZH) eingereichte Initiative fordert, dass Konsum und Anbau für den Eigenbedarf straffrei bleiben sollen. Die Initiative wurde von der nationalrätlichen Schwesterkommission bereits bearbeitet. Diese plädierte dafür, das Cannabis-Konsumenten künftig bloss noch eine Ordnungsbusse von 50 Franken erhalten sollen. Das Ordnungsbussenmodell wird im Kanton St.Gallen bereits praktiziert. In den üblichen Kantonen werden Cannabis-Konsumenten verzeigt. In den Städten Zürich, Basel und Bern sollen zudem bald Pilotprojekte zum staatlichen Verkauf von Cannabis gestartet werden. Die Idee wurde im Zürcher Stadtparlament lanciert. Der Versuch soll wissenschaftlich begleitet werden. Noch ist unklar, ob das Pilotprojekt mit dem nationalen Betäubungsmittelgesetz in Einklang gebracht werden kann. (btu)

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Kommentar

 Politik bewirkte das Gegenteil

Benno Tuchschmid

 Nein, so war das nicht gedacht. Am 30. November 2008 sagte das Schweizervolk Nein zur Legalisierung von Hanf. Parlament und Bundesrat hatten für die Ablehnung plädiert. Die Politik wollte die Jugend schützen. Und hat ungewollt die Kriminalität gefördert. Denn: Seit die Polizei konsequent und hart gegen Cannabis-Produzenten vorgeht, hat sich die Produktion in den Untergrund verschoben - in die Hände von kriminellen Banden.

 Wie schädlich Kiffen ist, dar-über streiten sich die Experten. Ganz sicher ist es nicht gesund, speziell nicht für Jugendliche. Nur: Ist deshalb ein radikales Verbot der richtige Weg? Die Entwicklung im Cannabis-Markt zeigt: Es ist nicht der richtige Weg. Denn erstens wird in der Schweiz nach wie vor viel gekifft - rund eine halbe Million Schweizer sollen regelmässig Cannabis rauchen - und zweitens ist die Qualität der Droge schlechter geworden. Kriminelle strecken das Gras mit Bleisulfat oder Vogelsand.

 Dazu kommt: Kriminelle Banden haben alles andere im Sinn als Jugendschutz. Mit einer staatlichen Regulierung und einer Entkriminalisierung des Konsums, wie es als Test in Zürich, Basel und Bern geplant ist, kann die Jugend besser geschützt werden - und gleichzeitig wird den Kriminellen der Boden für ihr Handeln entzogen.

 Die Schweiz war einmal weltbekannt für eine fortschrittliche Drogenpolitik. Die Einführung der staatlichen Heroinabgabe brauchte damals viel Mut - und wurde zum Erfolg. Es wird Zeit, dass die Schweiz auch bei der Cannabis-Politik Mut zeigt, statt weitere Jahre an Ort und Stelle zu treten.

 benno.tuchschmid@azmedien.ch

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ALKOHOL
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Solothurner Zeitung 18.1.11

Kanton will junge Kehlen trockenlegen

 Alkohol Konsum der Jugendlichen soll mit einem rigiden Massnahmenpaket eingedämmt werden

Stefan Frech

 Eine Gruppe von Mädchen, die sich ohne Hemmungen in aller Öffentlichkeit betrinkt und die leeren Flaschen liegen lässt. 13- bis 15-Jährige, die Hochprozentigen reinschütten, bis "der Hammer" kommt. Betrunkene Jugendliche, die Autos demolieren oder andere verprügeln. Situationen, die Marcel Dubach zur Genüge kennt. "Man muss zwingend etwas machen", sagt der Chef der kantonalen Jugendpolizei.

 Noch ist das Paket nicht geschnürt

 Das sagten sich auch die Politiker: Bereits 2008 hat der Kantonsrat einen Vorstoss der CVP/EVP-Fraktion zur Eindämmung des übermässigen Alkoholkonsums durch Jugendliche verabschiedet - nicht zuletzt, um die Jugendgewalt in den Griff zu bekommen. Seither wird in der Verwaltung an einem Massnahmenpaket gearbeitet. Dieses ist sehr umfangreich und wird für Diskussionsstoff sorgen. Geplant ist unter anderem ein Weitergabeverbot von alkoholischen Getränken an Jugendliche, eine Einschränkung der Verkaufszeiten und Verkaufsorte, eine Erhöhung der Altersgrenze zum Alkohol- und Tabakkauf, ein Werbeverbot auf öffentlichem Grund, Alkoholtests ausserhalb des Strassenverkehrs und eine Rückführung von betrunkenen Jugendlichen in die Familien oder in eine Institution (siehe Artikel "Auch neben der Strasse?" unten links).

 "Noch ist nicht entschieden, welche Gesetzesänderungen wir dann auch tatsächlich in rund einem Jahr dem Regierungsrat zuhanden des Kantonsrats vorlegen werden", sagt Markus Schär, Leiter der Fachstelle Sucht im Amt für soziale Sicherheit. Die Vorstellungen der verschiedenen Ämter und Dienststellen sind einzubeziehen. Auch ist man sich bewusst, dass nicht alle Massnahmen gleich gut umsetz- und politisch durchsetzbar sind.

 Auch der Bund soll aktiv werden

 Dass der Kanton seine Gesetzgebung verschärfen will, ist das eine. Andere Massnahmen zur Eindämmung des Alkoholkonsums von Jugendlichen kann nur der Bund ergreifen - oder es macht mehr Sinn, eine gesamtschweizerische Lösung zu finden.

 Die Gelegenheit wäre vorhanden: Derzeit ist auf Bundesebene eine Totalrevision des Alkoholgesetzes im Gang. In seiner Vernehmlassungsantwort hat der Solothurner Regierungsrat bemerkenswerte Forderungen gestellt: die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für Alkohol-Testkäufe, eine Verteuerung der billigen und schädlichen Alkoholika im Sinne einer Lenkungsabgabe und ein generelles Konsumverbot von alkoholischen Getränken für Jugendliche unter 16Jahren (siehe Artikel "Nationale Lösung" unten rechts). "Wir warten jetzt ab, welche dieser Forderungen der Bundesrat übernimmt", erklärt Schär.

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 Alk-Tests: auch neben der Strasse?

 Auf Kantonsebene sind sechs Gesetzesanpassungen geplant: Mit einem Weitergabeverbot von alkoholischen Getränken möchte man dem Problem Herr werden, dass häufig über 18-Jährige harten Alkohol kaufen und dann an Minderjährige weitergeben. Im Kanton Bern, wo das Verbot bereits existiert, gab es bis jetzt aber nur wenige Anzeigen, "weil die Beweisführung schwierig ist", erklärt Markus Schär vom Solothurner Amt für soziale Sicherheit (ASO). Mit einer Einschränkung der Verkaufszeiten und Verkaufsorte möchte der Kanton öffentliche "Massenbesäufnisse" wie Botellones oder den Alkoholausschank an Sportanlässen (bei Risikospielen) verhindern können. Eine Erhöhung der Altersgrenze zum Alkoholkauf auf einheitlich 18 Jahre, wie sie das Tessin kennt, wäre laut Schär "begrüssenswert, aber schwierig durchzusetzen". Ebenfalls wenig Chancen im politischen Prozess hätte wohl ein Werbeverbot auf öffentlichem Grund, wie das bereits für Tabak besteht. Für die Polizei, die betrunkene Jugendliche auf der Strasse antrifft, soll die rechtliche Grundlage für Alkoholtests ausserhalb des Strassenverkehrs und für eine Rückführung in die Familien oder eine Institution geprüft werden. Mit Atemlufttests kann laut Marcel Dubach, Leiter der Jugendpolizei, aufgegriffenen Jugendlichen gezeigt werden, wie betrunken sie bereits sind. Haben die Minderjährigen zu viel intus oder sind sie früh morgens unterwegs, werden bereits heute die Eltern informiert und zum Abholen aufgefordert. "Für diejenigen, die nicht untergebracht werden können, denken wir an eine Art Rückführungszentrum, wo die Jugendlichen medizinisch betreut werden", sagt Schär. (sff)

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 Konsumverbot: nationale Lösung nötig

 Der Kanton Solothurn erwartet, dass auch der Bund gesetzlich schärfer gegen den Alkoholmissbrauch von Minderjährigen vorgeht: Verschiedene kantonale Gerichte (unter anderem das Solothurner Obergericht) haben in den letzten Monaten festgestellt, dass für die von der Polizei oder anderen staatlichen Stellen veranlassten Alkohol-Testkäufe durch Jugendliche keine ausreichende gesetzliche Grundlage besteht. "Der Bund soll deshalb die Voraussetzungen dazu schaffen", fordert Markus Schär vom Amt für soziale Sicherheit. "Testkäufe sind nämlich sehr effizient." Dank ihnen hätten in den letzten Jahren immer weniger Geschäfte Bier an unter 16-Jährige und Schnaps an unter 18-Jährige verkauft.

 Ein generelles Konsumverbot von alkoholischen Getränken für Jugendliche unter 16 Jahren würde der Jugendanwaltschaft die Handhabe bieten, immer wieder betrunken aufgegriffene Jugendliche in einen Suchtpräventionskurs zu schicken - analog den Cannabis-Konsumenten. "Ein Konsumverbot macht aber nur Sinn, wenn es gesamtschweizerisch umgesetzt wird", sagt Schär. Er ist aber wenig zuversichtlich, dass dies geschehen wird. Die Solothurner Jugendpolizei wiederum unterstützt ein Konsumverbot auf öffentlichen Plätzen und zu bestimmten Zeiten. "Es geht nicht darum, die Jugendlichen zu kriminalisieren", betont Marcel Dubach, Chef der Jugendpolizei. Aber man hätte eine Grundlage, in schwerwiegenden Fällen rechtliche Sanktionen zu treffen. Laut Dubach hätte das Verbot vor allem eine präventive Wirkung: "Wenn ein Polizist den Jugendlichen das Gesetz mit den Folgen erläutert, dann hat das eine stärkere Wirkung, als wenn die Eltern den Alkoholkonsum verbieten." (sff)

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SEXWORK
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Sonntag 23.1.11

Prostitution: Kritik an Zonengebühr

 "Zweiklassengesellschaft" als Risiko der Zonenbewilligung

 Die Stadt Zürich will für Prostituierte kostenpflichtige Bewilligungen für Strassenstrichzonen. Eine entsprechende Verordnung ist in der Vernehmlassung. "Die Massmassnahme bringt nicht viel, ausser wenn die Gebührengelder in den Standplatz investiert werden, beispielsweise in WCs", sagt Soziologe François Höpflinger. Seiner Meinung nach müsste der Staat für das Geld auch etwas bieten. Es sei ein Versuch, das Rotlichtmilieu in geordnete Banne zu lenken, da sie aus dem öffentlichen Raum nicht wegzubringen sei. "Es besteht allerdings die Gefahr, dass unter den Prostituierten eine Zweiklassengesellschaft entsteht, wenn Frauen illegal in einer Zone arbeiten. Das Problem könnte sich auch nur in andere Kantone verlagern." Die deutsche Soziologin Emilija Mitrovic glaubt nicht, dass die "Standgebühr" in Deutschland Schule machen wird.

 Auch Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ) kritisiert die Verordnung: "Problematisch ist, dass die gebührenpflichtige Bewilligung als Massnahme gegen Menschenhandel verkauft wird, was sie klar nicht ist." (ANB)

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Tagesanzeiger 22.1.11

Das Leben danach

 Was macht eine Prostituierte, die den Job wechseln will? Sie spielt Lotto. Denn Umsteigen ist schwierig, wie das Beispiel einer Betroffenen zeigt.

 Von Beat Metzler

 Der Lohn soll steigen, je länger man einen Beruf ausübt. So lautet eine ökonomische Faustregel. In Bordellen und am Strassenstrich verhält es sich gerade umgekehrt. Mit jedem vergangenen Monat verliert der Körper einer Prostituierten an Wert. Die höchsten Preise kann sie in jungen Jahren verlangen, spätestens ab 30 geht es bergab. "Erfahrung" oder "Sachkompetenz" zählen im horizontalen Gewerbe wenig.

 Sonja Lentz* ist um die 45 Jahre alt und seit 30 Jahren im Geschäft. "Als ich jung war, machte ich in meinen besten Monaten bis zu 20 000 Franken." Heute freut sich Lentz, wenn an einem Tag 100 rausschauen. "Und das kommt selten vor, das sag ich Ihnen."

 Dieses ökonomische Paradox, das auch Spitzensportler kennen, stellt Lentz vor ein fast unlösbares Problem. Gerne würde sie ihren Beruf aufgeben und sich selbstständig machen. Dazu bräuchte sie Geld. Geld, das sie nicht mehr verdient. Zwar reichen die Einnahmen noch, um sich und den beiden Kindern ein anständiges Leben zu finanzieren. Zu mehr aber nicht. "Etwas aufs Konto zu legen, liegt nicht drin." Also steht Lentz weiterhin Nacht für Nacht auf den Trottoirs stark befahrener Strassen, was ihr Körper nicht mehr so leicht wegstecke wie früher.

 Das Sihlquai als Lohnkiller

 Eine Pensionskasse hat Lentz keine, wie die meisten Prostituierten. Und das Sparen aus eigenem Antrieb hat nie geklappt. "Ich hatte das Geld, aber ich konnte nicht damit umgehen. Das habe ich nie gelernt. Alles ging weg. Für Reisen. Für Kleider. Und natürlich für meine Kinder. Ältere Kolleginnen haben mir gesagt, ich solle etwas auf die Seite legen. Aber ich . . ." Lentz senkt den Arm und macht ein Geräusch. Pffffff.

 Dafür, dass Lentz seit 30 Jahren eine aufzehrende Arbeit verrichtet, sieht sie erstaunlich jung aus. Die Haare trägt sie blondiert, die Nägel verlängert. Ihre Blicke krallen sich ins Gegenüber, sie hat die Haltung von jemandem, der auf der Lauer liegt, wachsam und angriffsbereit. Während des Erzählens macht sie weite Sprünge und landet stets beim gleichen Thema: dem Sihlquai.

 Die Zustände auf dem Strassenstrich dienen ihr als Erklärung für die finanzielle Misere. Wenn Lentz vom Sihlquai spricht, steht sie auf, fuchtelt mit den Armen. Es seien die Ungarinnen, die den Markt ruinierten, zu tiefe Preise verlangten und Sex ohne Kondom anböten. "Blasen ohne Gummi für 40 Franken, das mach ich nicht, sorry!" Die Dumpingpreise hätten die Einnahmen von ihr und anderen älteren, eingesessenen Prostituierten einbrechen lassen. Das führe regelmässig zu Streitereien. Und verunmögliche, dass sie etwas Geld retten könne.

 Als 15-Jährige angefangen

 Sonja Lentz hat eine Prostituierten-Laufbahn durchlaufen, die man als typisch bezeichnen könnte. Als Kind vom Vater missbraucht, "obwohl mir niemand glaubte", von zu Hause abgehauen, in einem Heim gestrandet. Mit 15 verkaufte sie zum ersten Mal ihren Körper. Noch heute schwärmt sie von ihrem damaligen Zuhälter und Freund. "Leider ist er gestorben. Wie ein Vater hat er sich um mich gesorgt. Solche Männer gibt es heute keine mehr." Auf einem Computer gibt sie seinen Namen ein, ein Schwarzweissfoto erscheint. Lentz wirft dem ehemals stadtbekannten Playboy einen wehmütigen Blick zu.

 Lentz ist beim Beruf geblieben, den sie als Teenager ergriffen hat. Eine Lehre begann sie nie. "Warum auch? Ich war frei. Ich hatte Geld. Ich war glücklich." Mit 28 gebar sie ihr erstes Kind, das sie "im Gegensatz zu vielen anderen Prostituierten" behalten hat. Bald kam noch ein zweites hinzu. "Ich will den beiden ein Leben bieten, das ich selber nie hatte."

 Auch wegen ihrer Kinder möchte Lentz den Beruf wechseln. "Sie haben keine Ahnung, womit ihre Mutter in Wirklichkeit das Geld verdient." Um den Nachwuchs vor der Wahrheit zu schützen, hat Lentz ein fragiles Lügengebäude konstruiert. Je älter die Kinder werden, je mehr Fragen sie stellen, desto stärker wackelt es.

 "Das Lügen macht mich fertig"

 "Wenn sie von meinem Beruf erfahren, wäre das eine Katastrophe. Doch das ständige Lügen macht mich fertig." Die Kinder sind es gleichzeitig, die Lentz das Aufhören erschweren. "Ich brauche 5000 Franken pro Monat. Sonst geht das nicht. Mit der Schule, den Sportferien, den Kleidern. Einen gewissen Standard muss ich garantieren."

 Lentz steht vor einer Sisyphusaufgabe: Sozialhilfe will sie keine. Ohne Lehrabschluss eine Anstellung mit 5000 Franken Lohn zu finden, ist fast aussichtslos. Und wenn sie die Frage nach ihrem Werdegang beantwortet, knallen die letzten Türen zu. "Sie können sich die Reaktionen vorstellen, wenn ich von meinem Leben erzähle." Auch aus diesem Grund will sich Lentz selbstständig machen. "Ich denke an einen Gastrobetrieb oder etwas, das mit Kindern und Tieren zu tun hat." 70 000 Franken brauche sie dafür, das habe sie ausgerechnet. Mehr nicht. "Nur 70 000."

 Es gäbe durchaus Möglichkeiten, dieses Geld zu verdienen. Sie könnte etwa, sagt Lentz, nicht nur ihren Körper, sondern auch Drogen anbieten. Manche Prostituierte ergänzten ihre Dienstleistungen mit einem Crack-"Pfeiflein". Ein solches steigere die Einnahmen beträchtlich. Ebenfalls gewinnsteigernd wirkte, wenn Lentz ihren Grundsatz "nur mit Kondom" lockern würde. "Aber ich will mich weder strafbar machen noch anstecken lassen." Also warte sie weiter auf Freier, besuche Stammkunden und halte sich mit Koffeintabletten wach. Wie lange sie noch durchhalte, wisse sie nicht.

 "Mir bleibt nur das Lottospielen."

 * Name geändert

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 Die Hindernisse beim Aufhören

 Es fehlen geeignete Jobs

 Nur wenige Prostituierte bezeichnen ihren Job als Traumberuf, sagt Ursula Kocher, Leiterin der Beratungsstelle Flora Dora. Deshalb bilde das Aufhören in den Gesprächen ein ständiges Themas. Die Probleme gleichen denen, die Sonja Lentz beschreibt. Oft haben die Frauen keine Ausbildung, oft gelingt es ihnen nicht, zu sparen. Viele haben sich an Nachtarbeit und ein relativ komfortables Leben gewöhnt. "Die Begeisterung über eine Stelle als Putzfrau hält sich meist in Grenzen", sagt Kocher.

 Für viele Frauen bedeute die Prostitution eine Übergangsphase, der Beruf belaste sie körperlich und psychisch, deshalb hörten sie relativ jung auf, sagt Kocher. Prostituierte über 40 seien in Zürich selten. Die älteren Frauen litten unter dem härter gewordenen Konkurrenzkampf, da die Ungarinnen den Altersdurchschnitt auf dem Strich gesenkt haben, sagt Ursula Kocher. Ein Vorteil der Älteren sei, dass sie oft langjährige Stammkunden pflegten.

 Generell gilt die Regel: Je jünger und gesünder eine Frau, desto besser klappt das Umsteigen. "Wenn die Arbeitsbedingungen für Sexworkerinnen sicherer und menschenwürdiger wären, würden die Frauen weniger ausbrennen. Was den Berufswechsel erleichterte", sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ).

 Aufhörwillige Prostituierte werden von Flora-Dora-Mitarbeiterinnen an verschiedene Stellen weitervermittelt: Brückenangebote, Praktika, Lehrstellen. Eine Erfolgsstatistik gibt es keine. "Aber wir hören immer wieder schöne Meldungen", sagt Ursula Kocher. "Kürzlich schwärmte eine Frau von ihrer neuen Stelle als Floristin." Bei ausgestellten Berufen schwinge aber häufig die Angst mit, von ehemaligen Freiern wiedererkannt zu werden.

 Innerhalb der Stadtverwaltung wurde in den letzten Jahren diskutiert, wie man Prostituierte beim Aussteigen besser unterstützen könne. Laut Kocher gibt es mittlerweile genug Beratungsangebote, aber zu wenig offene Jobs, die für die Frauen in Frage kämen. Auch das Gastgewerbe, in das früher viele Prostituierte gewechselt hätten, könne heute weniger Frauen aufnehmen. Ein strukturelles Problem sei die Berufsbezeichnung "Masseuse", die bei bei Migrantinnen im Ausländerausweis steht, sagt Doro Winkler. "Dieses Bezeichnung schreckt die meisten Arbeitgeber ab. Der Kanton sollte eine neutralere Formulierung finden."

 Wenn der Wechsel in einen bürgerlichen Beruf nicht gelingt, bleibt für Prostituierte nur der Gang zur Sozialhilfe. Wie viele Frauen dies jährlich betrifft, wird nicht ermittelt.(bat)

 Nur wenige Prostituierte bezeichnen ihren Job als Traumberuf, sagt Ursula Kocher, Leiterin der Beratungsstelle Flora Dora. Deshalb bilde das Aufhören ein ständiges Thema. Die Probleme gleichen denen, die Sonja Lentz* beschreibt. Oft haben die Frauen keine Ausbildung, oft haben sie nichts gespart. Viele sind sich an Nachtarbeit und ein komfortables Leben gewohnt. "Die Begeisterung über eine Stelle als Putzfrau hält sich meist in Grenzen", sagt Kocher.

 Für viele Frauen bedeute die Prostitution eine Übergangsphase, der Beruf wirke belastend, deshalb hörten sie relativ jung auf, sagt Kocher. Prostituierte über 40 seien in Zürich selten. Die älteren Frauen litten unter dem härter gewordenen Konkurrenzkampf, da die Ungarinnen den Altersdurchschnitt auf dem Strich gesenkt haben. Ein Vorteil der Älteren sei, dass sie oft langjährige Stammkunden hätten.

 Generell gilt die Regel: Je jünger und gesünder eine Frau, desto besser klappt das Umsteigen. "Wenn die Arbeitsbedingungen sicherer und humaner wären, würden die Frauen weniger ausbrennen. Was den Berufswechsel erleichterte", sagt Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und -migration (FIZ).

 Aufhörwillige Prostituierte werden von Flora-Dora-Mitarbeiterinnen an verschiedene Stellen weitervermittelt: Brückenangebote, Praktika, Lehrstellen. Eine Erfolgsstatistik gibt es keine. "Aber wir hören immer wieder schöne Meldungen", sagt Ursula Kocher. "Kürzlich schwärmte eine Frau von ihrer neuen Stelle als Floristin." Bei exponierten Berufen schwinge aber häufig die Angst mit, von ehemaligen Freiern wiedererkannt zu werden.

 Niemand will eine "Masseuse"

 Innerhalb der Zürcher Verwaltung wurde in letzter Zeit diskutiert, wie man Prostituierte beim Aussteigen besser unterstützen könne. Laut Kocher gibt es zwar genug Beratungsangebote, aber zu wenig offene Jobs, die für die Frauen infrage kämen. Auch das Gastgewerbe, in das früher viele Prostituierte gewechselt hätten, könne heute weniger Frauen aufnehmen. Ein "strukturelles Problem" sei die Berufsbezeichnung "Masseuse", die bei Migrantinnen im Ausländerausweis steht, sagt Doro Winkler. "Dieser Titel schreckt die meisten Arbeitgeber ab. Der Kanton sollte eine neutralere Formulierung finden."

 Wenn der Wechsel in einen bürgerlichen Beruf nicht gelingt, bleibt für Prostituierte nur der Gang zur Sozialhilfe. Wie viele Frauen dies jährlich betrifft, wird nicht ermittelt. (bat)

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20 Minuten 21.1.11

Verordnung für Dirnen wird begrüsst

 ZÜRICH. Die neue Prostitutionsverordnung, die gestern in die Vernehmlassung ging (20 Minuten berichtete), findet Zustimmung: "Wenn Prostituierte nach Zürich gekommen sind, haben sie bisher eine Hochglanzbroschüre erhalten, die suggerierte, dass man hier problemlos anschaffen könne", sagt CVP-Kantonsrätin Silvia Steiner, die schon mehrere Vorstösse zur Strassenprostitution eingereicht hat. Dabei würden die Dirnen hier auf Ausbeutung, harten Konkurrenzkampf und abartige Sexwünsche von Freier stossen. "Mit der neuen Verordnung entsteht eine Hürde - Prostituierte müssen sich genau überlegen, ob sie nach Zürich kommen wollen", so Steiner. Auch Zuhälter dürften sich an die Auflagen der Stadt halten: "Weil sie in die Frauen investiert haben."

 Doro Winkler von der Frauenberatungsstelle FIZ warnt aber: "Wenn Frauen aus Osteuropa in die Schweiz kommen, um hier anzuschaffen, haben sie meist kein Geld mehr." Also könnten sie nicht einfach zurück. "Wenn sie keine Bewilligung erhalten, schaffen sie wohl illegal an."  tor

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Tagesanzeiger 20.1.11

Prostituierte müssen der Stadt neu eine "Standgebühr" zahlen

 Mit einer neuen Verordnung wollen die Behörden den Schutz der Bevölkerung verbessern - und die Arbeitsbedingungen der Prostituierten.

 Von Benno Gasser

 Zürich - Der Strassenstrich beim Sihlquai mit Dutzenden von Prostituierten belastet das umliegende Quartier. Mit einer neuen Prostitutionsgewerbeverordnung will der Stadtrat deshalb die Bevölkerung besser schützen und den Prostituierten sicherere und bessere Arbeitsbedingungen bieten. Die Verordnung ist ein Entwurf, der in der Vernehmlassung ist und im Frühjahr im Gemeinderat behandelt wird. Die wichtigsten Punkte:

 Bewilligung: Wer sich auf der Strasse prostituiert, braucht dafür eine kostenpflichtige Bewilligung. Die Stadt begründet dies mit dem "gesteigerten Gemeindegebrauch des öffentlichen Grunds", vergleichbar mit Taxi-Standplätzen. Die Gebühr beträgt laut Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) 50 bis 60 Franken pro Monat. Auch Sexsalons müssen neu eine jährliche Gebühr zwischen 500 und 1500 Franken bezahlen. Die Behörden möchten die Salonprostitution ähnlich wie Gastgewerbebetriebe behandeln. Durch diese Massnahmen erhofft sich die Stadt beim Strassenstrich mehr Transparenz. Sie rechnet pro Jahr mit rund 400 Strassen- und 250 Salonbewilligungen.

 Kontrolle: Die Polizei darf unangemeldet Sexsalons kontrollieren, was bisher nicht möglich war.

 Krankenversicherung: Prostituierte müssen neu krankenversichert sein. Die Stadt rechnet damit, dass die meisten bereits über eine Versicherung verfügen und deshalb die europäische Krankenversicherungskarte vorlegen können. Wer keine Versicherung hat, kann eine solche direkt bei der Bewilligungsstelle abschliessen.

 Minderjährige: 16- bis 18-jährigen Frauen ist es künftig verboten, sich auf der Strasse zu prostituieren. Grund: Weil minderjährige Personen wegen ihres Alters nicht handlungsfähig sind, erhalten sie von den Behörden auch keine Bewilligung.

 Bussen: Wer sich nicht an die Prostitutionsgewerbeverordnung hält, kann gebüsst werden. Davon sind nicht nur Prostituierte, sondern neu auch Freier betroffen.

 Kontingent: Die Stadt behält sich vor, die Zahl der Bewilligungen zu beschränken.

 Personal: Laut den Behörden genügen die bisherigen Ressourcen, um den Mehraufwand der Verordnung aufzufangen. Bei der Stadtpolizei soll aber eine Stelle für die Bewilligungen geschaffen werden.

 Entwurf sei "Mogelpackung"

 Susanne Seytter von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration bezeichnet die Verordnung als "Mogelpackung". Die Arbeitsbedingungen im Sexgewerbe würden damit "keinen Deut" verbessert. Man hätte Mindeststandards festlegen müssen.

 Polizeivorsteher Daniel Leupi weist die Kritik zurück. Nicht die Stadt, sondern der Kanton Zürich und der Bund seien für das Arbeitsgesetz zuständig. "Die neue Verordnung bedeutet eine spürbare Erleichterung für die Bevölkerung im Raum Sihlquai." Auch die Prostituierten würden künftig besser geschützt. Ursprünglich wollte die Stadt mit dem Kanton gemeinsam ein Gesetz ausarbeiten. Die Verhandlungen waren aber erfolglos. Zürich habe darum nicht länger warten können, sagt Leupi.

 Den Strichplan stellt die Stadt bis zum Frühjahr in Aussicht. Eigentlich hätte er bereits im vergangenen Jahr präsentiert werden sollen. Daniel Leupi wollte sich nicht zu den Gründen äussern, warum der Strichplan bisher noch nicht ausgearbeitet ist.

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NZZ 20.1.11

Amtlich bewilligte Strassenprostituierte

 Der Zürcher Stadtrat schickt seine Prostitutionsgewerbeverordnung in die Vernehmlassung

 Wer in der Stadt Zürich auf dem Strassenstrich arbeiten will, muss künftig eine Bewilligung beantragen. Das Gleiche soll neu auch für die Bordellbetreiber gelten: So ist es im Entwurf für eine Verordnung vorgesehen, der seit Mittwoch vorliegt.

 Brigitte Hürlimann

 Kaum ein Thema erregt die Gemüter der Stadtzürcherinnen und -zürcher mehr als der Umgang mit der Prostitution - allem voran die Zustände am bekannt-berüchtigten Strassenstrich am Sihlquai. Nun legt der Stadtrat erstmals einen Erlass vor, der die Prostitution recht ausführlich regelt. Die Verordnung ist unter der Federführung des Polizeidepartements ausgearbeitet worden; mitgewirkt haben zudem das Gesundheits- und das Sozialdepartement. Bloss an einzelnen Sitzungen durften auch Fachstellen von ausserhalb der Verwaltung mitwirken. Die aus 21 Artikeln bestehende Gewerbeverordnung geht jetzt in die Vernehmlassung, die bis Ende März dauert - der neue Strassenstrichplan liegt allerdings noch nicht vor. Er soll, gemäss Polizeivorstand Daniel Leupi, noch im Frühjahr präsentiert werden, und er birgt wohl noch mehr Zündstoff als die gestern publizierte Gewerbeverordnung.

 Bewilligungspflichten

 Es sind vor allem zwei Punkte, die der Stadtrat neu einführen möchte: Wer als Prostituierte auf dem Strassenstrich arbeiten will, braucht künftig eine Bewilligung, die von der Stadtpolizei ausgestellt werden soll. Bewilligungspflichtig werden neu auch bordellartige Betriebe, und dazu zählt der Stadtrat beispielsweise auch Wohnwagen. Von der Bewilligungspflicht befreit werden hingegen Escort-Dienste oder "autonome Gelegenheitsprostituierte, welche gelegentlich bei sich zu Hause, im Hotel oder direkt bei der Kundschaft der Prostitutionstätigkeit nachgehen", wie es in den Erläuterungen heisst.

 Die neue Bewilligungspflicht für den Strassenstrich basiert auf der Idee, dass es sich bei dieser Gewerbstätigkeit um einen gesteigerten Gemeingebrauch des öffentlichen Grunds handelt. Die Exekutive nennt als vergleichbare Beispiele das Taxigewerbe oder Marktstände, die ebenfalls bewilligungspflichtig sind. Nach den Vorstellungen des Stadtrats soll also künftig jede Prostituierte, Schweizerin oder Ausländerin, Niedergelassene oder Durchreisende, persönlich bei der Polizei vorbeigehen und um eine Bewilligung für den Strassenstrich ersuchen. Dem Gesuch wird stattgegeben, wenn die Frau mündig und urteilsfähig ist, über ein Aufenthaltsrecht verfügt sowie eine Zulassung zur Erwerbstätigkeit und eine Krankenversicherung vorlegen kann. Die Bewilligung kann befristet ausgesprochen werden, ist an die Person gebunden und nur für eine exakt definierte Zone gültig.

 Listigerweise behält sich der Stadtrat dabei zweierlei vor: Er will die Anzahl der Bewilligungen für den Strassenstrich notfalls kontingentieren dürfen - oder dann nur eine bestimmte Anzahl von Prostituierten an einem bestimmten Ort zulassen. Wenn also nach Auffassung der Behörde für ein Gebiet bereits genügend Bewilligungen ausgestellt wurden, werden zusätzlich anfragende Prostituierte nur an einem anderen Ort toleriert. Zum Thema Verrichtungsboxen oder Milieu-Viertel à la St. Pauli findet man weder im Verordnungsentwurf noch in den stadträtlichen Erläuterungen einen Hinweis; das gehöre zur neuen Strassenstrich-Planung und werde allenfalls in dieser Regelung angesprochen, so Polizeivorstand Leupi.

 Kein Prostituierten-Register

 Entgegen früheren Forderungen, vor allem vonseiten der Polizei, verzichtet der Stadtrat auf eine generelle Registrierung sämtlicher Prostituierter. Er vertritt die Meinung, eine solche Registrierungspflicht sei "weder zielführend noch verhältnismässig". Allerdings werden die Frauen und Männer, die sich in einem bordellartigen Betrieb prostituieren, sehr wohl registriert, und mit der Bewilligungspflicht für Strassenprostituierte entstehen neue Datenbanken bei der Polizei. Immerhin betont der Stadtrat, dass es sich bei der Prostitution um ein legales Gewerbe handelt, wagt es gleichzeitig aber nicht, die Abmachungen zwischen der Prostituierten und einem Freier oder Arbeitgeber als gültige Verträge anzuerkennen.

 Drei Zürcher Organisationen, die nicht der Verwaltung angehören, äussern sich in einer ersten Reaktion enttäuscht über den Entwurf. Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), die Stadtmission und die Aids-Hilfe sprechen von einer "Mogelpackung". In der Verordnung gehe es vor allem um Repression, und es werde zu wenig geregelt, was den Prostituierten bessere Arbeitsbedingungen und mehr Rechte brächte.

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Viele Pflichten, wenige Rechte

 Griffiges Mittel gegen Missstände?

 brh. · Er wolle eine liberale Regelung, sagte am Mittwoch Polizeivorstand Daniel Leupi, überrumpelt vom schweizweiten Medieninteresse an der ersten Stadtzürcher Prostitutionsgewerbeverordnung: ein schrecklich umständlicher Name für diesen neuen Erlass, der nun als Entwurf vorliegt. Leupi selbst hatte durchgesetzt, dass bereits im Namen deutlich gemacht wird, dass es sich bei der Prostitution um ein Gewerbe und um etwas grundsätzlich Legales handelt. Doch den hehren Absichten zum Trotz bedeutet der Erlass für das vielgeschmähte Gewerbe halt in erster Linie neue Auflagen und Restriktionen.

 Motivation und Anlass für die gesetzgeberische Arbeit waren die unhaltbaren Zustände am Zürcher Strassenstrich. Diese sollen beseitigt und künftig verhindert werden, weshalb eine Bewilligungspflicht für den Strassenstrich kreiert wurde - ein Novum. Die neue Bewilligungspflicht wird mit dem gesteigerten Gemeingebrauch des öffentlichen Grunds begründet, und es ist absehbar, dass darüber auch noch das Bundesgericht befinden wird. Nicht minder interessant wird es sein, zu beobachten, wie künftig die Stadtpolizei entscheiden muss, welche Prostituierte an welcher Strassenecke stehen darf. Kann sich eine Frau dagegen wehren, an einen unattraktiven Standplatz geschickt zu werden? Hält eine solche Regelung vor der Wirtschaftsfreiheit stand, auf die sich auch Prostituierte berufen dürfen? Überhaupt wird der neue Erlass nur so gut sein, wie er auch konsequent durchgesetzt wird.

 Der betroffenen Quartierbevölkerung und den Frauen, die zum Teil unter schlimmen Voraussetzungen am Strassenstrich arbeiten, ist zu wünschen, dass die neue Verordnung zu einer markanten Verbesserung führt. Dabei ist jedoch nicht zu vergessen, dass es im Prostitutionsgewerbe nicht nur Opfer, Ausbeuter und Immissionen gibt. Der Erlass muss auch jenen Akteurinnen und Akteuren gerecht werden, die sich an die Regeln halten und das Gewerbe selbstbestimmt und diskret ausüben. Gerade ihnen dürfte man ruhig auch mehr Rechte zugestehen - und nicht nur zusätzliche Pflichten definieren.

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Landbote 20.1.11

Prostituierte müssen zahlen

 Elisabetta Antonelli

Zürich. Der Zürcher Stadtrat will, dass Prostituierte eine Gebühr bezahlen. Laut der neuen "Prostitutionsgewerbeverordnung" müssen sie eine Bewilligung einholen - wie Taxifahrer oder Marktstandbetreiber. Fachleute kritisieren das Papier.

 Prostitution ist ein Gewerbe. So sieht es der Zürcher Stadtrat. In einer neuen Verordnung verlangt er von Prostituierten und Salonbetreibern, dass sie eine Bewilligung für ihre Arbeit einholen und Gebühren bezahlen. Wer sich auf der Strasse prostituieren will, muss gewisse Voraussetzungen erfüllen: Mündigkeit, Urteilsfähigkeit, Aufenthaltserlaubnis, Zulassung zur Erwerbstätigkeit und der Nachweis oder Abschluss einer Krankenversicherung. Nur so gibt es eine Bewilligung. Die "Prostitutionsverordnung" wurde gestern in die Vernehmlassung geschickt.

 Im Entwurf werden Massnahmen präsentiert, die neben den repressiven Massnahmen die Zürcher Bevölkerung vor den negativen Auswirkungen des Prostitutionsgewerbes besser schützen sollen. Denn diese sind laut Polizeivorstand Daniel Leupi (Grüne) schwerwiegend: "Lärm, Abfall und ‹Service im öffentlichen Raum› sind hauptsächlich für die Anwohner in den Kreisen 4 und 5, vor allem beim Strassenstrich am Sihlquai, enorm belastend." Durch die neue Verordnung soll die Polizei einen besseren Einblick ins Gewerbe erhalten. "Das sollte abschreckend wirken."

 Schutz für Prostituierte

 Ziel der Massnahmen soll allerdings auch sein, die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit der Prostituierten zu verbessern. Sie sollen besser vor Ausbeutung und Gewalt geschützt werden. "Die Zahl der Prostituierten hat in den letzten Jahren ebenso deutlich zugenommen wie die Deliktsfälle im Bereich der Förderung der Prostitution und des Menschenhandels", schreibt die Stadt in einem Communiqué. Der Kampf um Freier habe zudem zu einem Preiszerfall und zu teilweise menschenunwürdigen Erwerbsbedingungen geführt. Es komme vermehrt zu ungeschütztem Sexualverkehr, der öffentliche Gesundheitsschutz sei nicht mehr im erforderlichen Mass gewährleistet. Laut Leupi soll die Verordnung einen Beitrag dazu leisten, diese Probleme in den Griff zu bekommen.

 Für die Strassenprostitution will der Stadtrat Strichzonen bestimmen, für die zeitlich befristete Bewilligungen beantragt werden können. Der Strichplan soll erst im Frühjahr vorliegen. Wo und wie gross die Zonen sein werden, lässt der Polizeivorstand noch offen. "Heute gibt es rund 11 Kilometer Strichzone. Tendenziell wird sie eher kleiner", so Leupi. Im Frühjahr will der Stadtrat auch verkünden, wie er zu den sogenannten "Sexboxen" steht.

 Auch für die Salonprostitution sieht die Verordnung eine Bewilligungspflicht vor. "Sie müssen eine Gewähr für einwandfreie Betriebsführung leisten - ähnlich wie Gastrobetriebe", sagt Leupi. Die Betreiber sind laut den neuen Richtlinien für die Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung im Betrieb verantwortlich und haben den Kontrollorganen Zutritt zu den Räumen zu gewähren.

 Kritik: Zu viel Repression

 Drei Zürcher Fachstellen kritisieren die Prostitutionsverordnung. Sie setze zu stark auf Repression und Kontrolle, sagt etwa die Fachstelle für Frauenhandel und Migration (FIZ) (siehe Nachgefragt). Die FIZ, die Zürcher Stadtmission und die Zürcher Aids-Hilfe sind der Meinung, dass Arbeitsstandards definiert werden müssten, um die Situation der Frauen und Männer im Sexgewerbe zu verbessern. Die Verordnung biete zudem "keinen Schutz vor Zuhältergewalt und Menschenhandel".

 Leupi weist die Kritik von sich. "Diese Vorwürfe zielen ins Leere und sind bemühend." Die Organisationen würden Forderungen im Arbeitsrecht stellen. Dieses liege nicht in der städtischen Kompetenz. Er würde es begrüssen, wenn der Kanton ein Prostitutionsgesetz verabschieden würde. "Prostitution gibt es auch in der Agglomeration oder ausserhalb Zürichs." Doch die Stadt habe handeln wollen. Sie setze dabei nicht nur auf Repression und Bürokratie. "Wir tun auch etwas für die Prävention: Diese drei Organisationen erhalten beispielsweise Geld von der Stadt."

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 Jährlich gut 800 Neueinsteigerinnen
 
Thomas Schraner

 Die Zahl der Prostituierten in Zürich kennt die Stadtpolizei nicht, wie Sprecher Marco Bisa auf Anfrage sagt. Bekannt ist aber die Zahl der Neueinsteigerinnen, die in den letzten Jahren wegen der Personenfreizügigkeit ständig gestiegen ist. Gut 800 waren es 2009, ein Jahr zuvor gut 600. Aktuellere Zahlen liegen laut Bisa noch nicht vor. Von den 800 Neuen stammen 300 aus Ungarn und je 60 aus Bulgarien, Rumänien und Deutschland. Etwa die Hälfte der Neueinsteigerinnen sind Roma-Frauen. (tsc)

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 Sorgen wegen Bürokratie

 Die Stadtparteien äussern sich vorsichtig zur Prostitutionsverordnung. Für Michael Baumer, Fraktionschef der FDP im Gemeinderat, könnten die Bewilligungen eine Möglichkeit sein, "gewisse illegale Zustände in legale zu überführen". Er denkt vor allem an die Strassenprostitution. Die Ideen müssten aber im Detail geprüft werden. Baumer: "Was wir nicht wollen, ist eine grosse Bürokratie." Bezüglich den Salons habe er darum Vorbehalte. Der Punkt stösst auch SVP-Politiker Mauro Tuena sauer auf. "Bisher hat niemand gesagt, wir hätten bei den Bordellen ein grösseres Problem." Die Verordnung gehe in der aktuellen Form wohl zu weit. Die Grünen hoffen, "dass alle Kräfte die Möglichkeit zu einer sachlichen Auseinandersetzung nutzen." Die aktuelle Situation müsse möglichst rasch verbessert werden, schreibt die Partei in einem Communiqué. Für die Stadtzürcher SP steht der Schutz der Frauen und die Verantwortung der Freier im Zentrum. (flu)

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 Nachgefragt

 Susanne Seytter - Fachstelle Frauenhandel und Migration, Zürich

 "Ein paar verteilte Kondome reichen da nicht"

 Elisabetta Antonelli

 Sie kritisieren die neue Prostitutionsverordnung der Stadt Zürich. Warum?

 Sie ist eine Mogelpackung. Es heisst, sie verbessere die Arbeitsbedingungen und die Sicherheit der Frauen und Männer im Sexgewerbe. Das kann sie aber nicht.

 Was hätte denn die Stadt anders machen können?

 Die Stadt hat es verpasst, Arbeitsstandards zu definieren. Davon ist in der Verordnung nirgends die Rede. Warum wurde etwa nicht überlegt, was es in Salons braucht? Ein paar aufgelegte Kondome reichen da nicht. Es geht etwa um Lohn, Sozialversicherungen, Arbeitszeiten, menschenwürdige Ausstattung der Zimmer oder Selbstbestimmung von Sexualpraktiken.

 Wie ist es möglich, solche Arbeitsstandards zu kontrollieren?

 Ich denke, das müsste über das kantonale Amt für Arbeit und Wirtschaft laufen. Arbeitsinspektoren gibt es in anderen Bereichen. Es sollte auch in der Sexarbeit möglich sein, Arbeitsinspektoren einzusetzen. Stadt und Kanton hätten gemeinsam eine Verordnung entwickeln müssen. Eine ungarische Sexarbeiterin muss heute erst zum Kanton, um eine Aufenthaltsbewilligung zu bekommen. Neu wird sie sich noch bei der Stadtpolizei melden müssen für eine Arbeitsbewilligung auf dem Strich.

 Damit kann die Stadt das Prostitutionsgewerbe besser kontrollieren?

 Mit Bewilligungen allein ist es nicht getan. In der Verordnung werden die Polizeirechte gestärkt - ein Schwerpunkt sind die Repressionen gegen die Sexarbeiterinnen. Andererseits wird der Verwaltungsaufwand vergrössert. Viel mehr Energie hätte man für nachhaltige Lösungen aufwenden können. So wird es nicht weniger ausgebeutete Menschen in dem Gewerbe geben.

 Wie hat sich Ihre Fachstelle im Vorfeld eingebracht?

 Wir waren an zwei Sitzungen dabei, an denen es um die Erarbeitung der Massnahmen ging. Danach wurden wir nicht mehr eingeladen. Wir vermuten, dass unsere Ideen zu den Arbeitsbedingungen nicht genehm waren. Wir sind aber weiterhin bereit, konstruktiv an einer Lösung für die Situation am Zürcher Strassenstrich mitzuarbeiten.

 Wie viele Personen beraten Sie?

 Jährlich beraten wir 200 bis 300 Sexarbeiterinnen und Cabarettänzerinnen, die von Gewalt und Ausbeutung betroffen sind. Dazu kommen 160 bis 180 Opfer von Menschenhandel. Ich denke nicht, dass sich diese Zahlen mit der neuen Verordnung verändern werden. Und dass die illegale Prostitution damit zu bekämpfen ist, bezweifle ich auch.Interview: Elisabetta Antonelli

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Bund 20.1.11

In Zürich wird die Strassenprostitution bewilligungspflichtig

 Mit einer Bewilligungspflicht für die Strassenprostitution und Auflagen für Salonbetreibende will die Stadt Zürich den Wildwuchs in der Branche in den Griff kriegen. Eine Verordnung, welche die Regeln festsetzt, ging gestern in die Vernehmlassung.

 Wie andere Gewerbe soll die Strassenprostitution künftig einer Bewilligungspflicht unterliegen. Voraussetzungen sind Mündigkeit, Urteilsfähigkeit, eine kantonale Aufenthalts- und Arbeitserlaubnis sowie eine Krankenversicherung. Mit der Bewilligungspflicht wird die Strassenprostitution auch gebührenpflichtig. Prostitution sei ein Gewerbe und solle als solches behandelt werden, sagte der Zürcher Polizeivorstand Daniel Leupi (Grüne) auf Anfrage der Nachrichtenagentur SDA. Es sei nicht einzusehen, weshalb ein Gewerbe mit relativ viel Umsatz den Grund gratis solle nutzen dürfen, während etwa jeder Standbetreiber für ein paar Stunden eine Gebühr zahlen müsse.

 Gemäss Verordnung können für bestimmte Strichzonen zeitlich befristete Bewilligungen erteilt werden. Wer ausserhalb der Zone anschafft oder als Freier erwischt wird, riskiert eine Busse. Auch die Salonprostitution soll besser geregelt werden. Dies analog zu Gastgewerbebetrieben, für deren Betrieb die Inhaber ein Patent benötigen. Dieses ist ebenfalls an bestimmte Auflagen gebunden.

 Hintergrund der neuen Zürcher Prostitutionsgewerbeverordnung sind die Auswüchse des Strassenstrichs. Mit der Regelung sollen die Anwohnerinnen und Anwohner besser vor den Nebenerscheinungen der Prostitution geschützt werden. Aber auch die Prostituierten selbst sollen nicht mehr schutzlos der Willkür von Zuhältern und Menschenhändlern ausgeliefert sein.(sda)

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20 Minuten 20.1.11

Will die Prostituierte auf den Strich, muss sie zahlen

 ZÜRICH. Das Sexgewerbe in Zürich gerät unter Druck: Salons brauchen künftig ein Patent, Strassenprostituierte eine Bewilligung, die rund 60 Franken kosten soll.

 Der Zürcher Strassenstrich am Sihlquai sorgte im Sommer landesweit für Aufsehen - bis zu 100 Frauen boten abends ihre Sexdienste an. Über 2600 Prostituierte bieten in Zürich ihre Körper an. Nun geht die Stadt dem Sexgewerbe an den Kragen: Strassenprostitution ist künftig bewilligungspflichtig - ähnlich wie das Taxigewerbe. Der Preis für die Zulassung: 60 Franken. Prostituierte müssen für den Erhalt 18 Jahre alt und urteilsfähig sein, eine Aufenthaltserlaubnis sowie eine Zulassung für Erwerbstätigkeit mitbringen. Auch eine Krankenversicherung ist Pflicht.

 Mit der neuen Prostituiertenverordnung, die nun in die Vernehmlassung geht, kann der Stadtrat auch die Zahl der Frauen kontingentieren. "Der Stadtrat nimmt die Rolle eines Zuhälters ein, wenn er bestimmen kann, wer wo steht", kritisiert Milieuanwalt Valentin Landmann. Polizeivorsteher Daniel Leupi entgegnet: "Die Regulierung ist eine Option, die wir uns offenhalten, wenn die Strassenprostitution Auswüchse annimmt." Bei einem Markt könne die Stadt auch bestimmen, wie viele Stände aufgestellt werden dürfen. Welches ist das Hauptziel dieser Massnahmen? Leupi: "Wir möchten verhindern, dass Zuhälter aus halb Europa Prostituierte nach Zürich schicken."

 Landmann befürchtet, dass durch die neue Praxis ein Teil der Frauen in die Illegalität abrutscht. Auch Sexsalons brauchen in der neuen Verordnung - ähnlich wie Beizen - ein Patent. Landmann: "So eine Massnahme dient vielleicht der Polizei für ihre Überwachungsarbeit, aber sicher nicht dem Schutz der Frauen."  

David Torcasso

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 Kritik von den Fachstellen

 ZÜRICH. Die Fachstelle für Frauenhandel und Frauenmigration FIZ, die Zürcher Stadtmission und die Aids-Hilfe Zürich kritisieren die neue Prostituiertenverordnung: "Die Stadt übt mit diesen Massnahmen Repression aus und verbessert nicht die Arbeitsbedingungen von Prostituierten", so Susanne Seytter vom FIZ. Mit der neuen Verordnung schaffe die Stadt nur Grundlagen, die Frauen zu kontrollieren - "unter welchen Bedingungen sie arbeiten, wird nicht geprüft". Polizeivorsteher Daniel Leupi: "Der Kanton und der Bund sind in erster Linie für Arbeitsbedingungen zuständig, nicht die Stadt."

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St. Galler  Tagblatt 20.1.11

Zürich regelt die Prostitution

 Der Zürcher Stadtrat reagiert auf die Kritik aus der Bevölkerung. Strassenprostitution soll in Zürich künftig bewilligungspflichtig werden.

 Caspar Hesse

 Zürich. Der Zürcher Stadtrat will die geltenden Vorschriften über die Strassenprostitution aus dem Jahr 1991 ersetzen. Die Vorschriften regeln nur den Strassenstrich und bestimmen lediglich, an welchen Örtlichkeiten die Strassenprostitution verboten oder ausnahmsweise erlaubt ist.

 Keine allgemeine Meldepflicht

 Neu soll der Strassenstrich bewilligungspflichtig werden, die Betriebe der Salonprostitution aber ähnlich wie die Gastgewerbebetriebe geregelt werden. Der Inhaber benötigt ein Patent und ist für die Ordnung verantwortlich. Die Polizei sprach sich zwar für eine Bewilligungspflicht für alle Prostituierten aus, doch die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ), die Zürcher Aids-Hilfe und die Zürcher Stadtmission waren dagegen. Es gäbe bereits ausländerrechtliche Vorschriften, nach denen sich Ausländer melden müssten. Zudem ist umstritten, ob die allgemeine Meldepflicht überhaupt einen Schutz gegen Ausbeutung und Gewalt bietet.

 Es ist noch kein Entscheid gefallen, wo eine Strichzone entstehen wird. Laut Auskunft des zuständigen Stadtrats Daniel Leupi (Grüne) ist das Gegenstand von Verhandlungen. Für eine Strichzone werden nur zeitlich befristete Bewilligungen erteilt.

 Auch Freier werden gebüsst

 Die Prostitution untersteht laut Bundesrecht der Wirtschaftsfreiheit und der persönlichen Freiheit. Ein Verbot ist also nicht möglich. Rechtlich gilt die Strassenprostitution aber als gesteigerter Gemeingebrauch des öffentlichen Grunds zu wirtschaftlichen Zwecken, weshalb eine Bewilligungspflicht möglich ist.

 Wer gegen die Prostitutionsgewerbeverordnung verstösst, wird gebüsst. Darin eingeschlossen sind nicht nur die Prostituierten, sondern auch die Freier und die Inhaber von Salonbetrieben.

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Schweiz Aktuell sf.tv 19.1.111

Bewilligungspflicht bei Strassenprostitution

Der Zürcher Stadtrat hat heute eine Prostitutionsgewerbeverordnung in die Vernehmlassung geschickt. Ziel: Die Auswüchse der Prostitution in den Griff bekommen. Frauenorganisationen glauben nicht, dass die Vorschläge taugen.

http://videoportal.sf.tv/video?id=edd73a8f-f16e-4734-bd50-8bbfc40e3bfa

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OBDACHLOS
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tagesanzeiger.ch 21.1.11

Wilde Waldlager am Uetliberg

Tina Fassbind

 Trotz Eiseskälte haben sich Unbekannte im Unterholz vom Uetliberg häuslich eingerichtet. Die illegalen Bauten sind den Behörden ein Dorn im Auge.

 Am Fusse des Uetlibergs, etwas abseits vom Medikerweg zwischen Geäst und Steinen, liegt die selbstgezimmerte Unterkunft eines unbekannten Waldbewohners. Unter Blachen und Plastikplanen hat er sich ein kleines Zuhause eingerichtet - mit Matratze, Laterne, Radio und viel Alkohol.

 Wer in diesem notdürftig errichteten Zelt wohnt und der beissenden Kälte trotzt, ist nicht bekannt. Allerdings ist der Ort unter Obdachlosen offenbar beliebt. "Auf diesem Areal gab es schon vor rund drei Jahren einen Lagerplatz. Damals haben sich Punks dort eingerichtet", sagt Christian Fischer, Betriebsleiter Sicherheit Intervention Prävention (SIP), die regelmässig Obdachlose im Raum Zürich aufsucht und zum Rechten schaut.

 Unterkünfte bleiben meist unentdeckt

 Es komme immer wieder vor, dass sich Leute im Wald einrichten. "Wir gehen zwar nicht systematisch den Wald abklappern, solche Fälle sind jedoch selten", so Fischer. Hinter solchen Wald-Aussteigern würden sich gemäss Fischer meist tragische Einzelschicksale verbergen. "In der Regel sind Obdachlose eher in Siedlungsräumen anzutreffen."

 Meist bleiben die Unterkünfte im Unterholz unentdeckt und sie werden auch nur vorübergehend genutzt. "Die Forstmitarbeiter finden allenfalls noch Überreste eines verlassenen Camps vor", sagt Lukas Handschin, Mediensprecher von Grün Stadt Zürich. Wildes Campieren auf öffentlichem Grund ist allerdings gemäss allgemeiner Polizeiverordnung verboten. "In der Regel ziehen die Personen weiter, wenn man sie darauf aufmerksam macht, dass das Campieren nicht toleriert wird", so Handschin. "Wenn das nicht der Fall ist, meldet Grün Stadt Zürich den Vorfall der Stadtpolizei, die die Personen wegweist."

 "Wir nehmen den Waldbewohner gerne bei uns auf"

 Die Stadtpolizei war auch in diesem Fall heute Freitagmorgen bereits vor Ort. "Wir klären derzeit ab, ob tatsächlich noch jemand an dieser Stelle lebt oder ob der Platz bereits verlassen wurde", sagt Pressesprecher René Ruf auf Anfrage. "Wenn wir jemanden antreffen, werden wir das Gespräch suchen und der betroffenen Person eine geeignete Frist geben, um den Ort zu verlassen."

 Dabei wird den Betroffenen auch bekannt gegeben, wo sie Unterschlupf finden können. Eine Möglichkeit bietet Pfarrer Sieber mit seinem Pfuusbus. Seit November 2002 steht der 17 m lange Sattelschlepper im Albisgüetli alljährlich von Mitte November bis Mitte April für Obdachlose offen. "Wir nehmen den Waldbewohner gerne bei uns auf", sagt Sieber gegenüber Tagesanzeiger.ch. "Wir bitten die Leute auch darum, Obdachlose auf unser Angebot aufmerksam zu machen. Sie finden bei uns eine warme und geschützte Unterkunft."

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SQUAT ZH
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tagesanzeiger.ch 18.1.11

"Man muss nicht alles stehen lassen, nur weil es alt ist"

Christoph Landolt

 Die Architektin Vera Gloor wird kritisiert, die Gentrifizierung des Langstrassen-Quartiers voranzutreiben. Jetzt hat sie auch noch Besetzer im Haus. Im Interview sagt sie, welches ihre Ziele sind.

 Frau Gloor, die Besetzer, die sich an der Neufrankengasse 16 eingenistet haben, werfen Ihnen vor, das Haus "auf Vorrat" abzureissen. Das Volk hat den Abriss des Tessinerkellers beschlossen, nicht ich. Weil an der Neufrankengasse Platz für Tramgleise entstehen soll, ist die Baulinie an der Neufrankengasse per Volksentscheid verschoben worden. Wir hatten uns überlegt, das Tessinerkeller-Haus zu erhalten, aber so ist das nicht mehr möglich.

 Ihr Architekturbüro hat in den Kreisen 4 und 5 viele Projekte verwirklicht, Ihnen haftet der Ruf an, Luxuswohnungen zu bauen. Fühlen Sie sich missverstanden? Komplett, ja. Man wirft uns einfach in den Spekulantentopf - völlig absurd. Wenn ich an das Engagement denke, mit dem nicht nur meine Leute dabei sind, sondern auch die privaten Investoren, die ihr Geld für minimale Renditen zur Verfügung stellen, dann finde ich es schon schade, dass dieser Vorwurf immer wieder kommt. Von der Europaallee her kommt eine Welle, dagegen kann man sich nicht stemmen. Aber man kann verhindern, dass man von ihr überrollt wird. Wir müssen uns damit befassen, was wir jetzt, hier, in diesem Kreis machen. Wir machen uns wirklich viele Gedanken darüber, wie man Wohnraum schaffen kann für Leute, die nicht so viel verdienen.

 Was ist Ihre Antwort? Wir können nicht zaubern, ein Neubau plus die Grundstückspreise rechnet sich immer auf die Miete runter - da ist ein dürftig sanierter Altbau billiger. Die wirkliche Frage ist doch: Wie findet man wandelbare Strukturen für verschiedene Wohnkonzepte? Wie kann man an zentraler Lage Raum schaffen für Leute, die 3000 Franken verdienen? Der Quadratmeterbedarf pro Person steigt und steigt, dabei können sich das viele nicht mehr leisten. Einen möglichen Ansatz könnten Sie bald über der St. Pauli-Bar an der Langstrasse besichtigen. Oben drin bauen wir dort Clusterwohnungen: Ein zweigeschossiger Gemeinschaftsraum mit Küche, Essbereich und Lounge. Vier 40-Quadratmeter-Kleinwohnungen gehen von diesem Raum weg, sie sind mit einer Nasszelle ausgestattet. Das Gleiche planen wir auch im Neubau an der Neufrankengasse.

 Eine Art moderne WG. Genau. Aber eine, in der vier Erwachsene morgens um 7 Uhr miteinander funktionieren. Natürlich bringt die Clusterwohnung einen Zwang zur Gemeinschaft, aber das tut auch gut. Mein 16-jähriger Sohn findet es genial. Die Grossmutter findet es auch genial. Sie sind nicht allein. Das spricht Leute in jedem Alter an. Ohne meine vier Kinder würde ich auch so wohnen. Ich brauche nicht viel Platz, aber ich will im Stadtzentrum leben, will die Nähe zu den Leuten, alltägliche Begegnungen, nicht jedes Mal kompliziert abmachen.

 In diesen Wohnungen werden die Prostituierten vom Kreis 4 aber kaum eine Bleibe finden. Was bewirken Sie mit Ihren Bauten in diesem Quartier?

 (überlegt) Es ist eine Illusion, wenn man meint, man könne den Frauen auf der Gasse helfen, indem man die alten Häuser erhält, in denen sie übrigens zu extrem hohen Mietzinsen hausen. Man hilft damit höchstens den Hintermännern. Ich habe wirklich kein Problem mit Prostitution an sich, aber ich habe ein Problem mit der Ausnutzung von Menschen. Viele glauben, dass das Prostitutionsproblem fast gelöst ist, weil der Kreis 4 ein Trendquartier wird. Aber es ist ja nicht so, dass die Langstrasse von einem Tag auf den anderen ein anständiges Quartier ist.

 Wäre das denn schlimm? Das Quartier hat seine Geschichte. Die Zentrumslage mit den verschiedenen Kulturen, die dort Platz finden, steht in Verbindung mit nicht allzu hohen Mieten. Die Vielfalt dieses Kreises ist extrem wertvoll, man muss sie irgendwie beibehalten. Aber es darf sich verändern, wir wollen ja keinen Ballenberg an der Langstrasse. Man muss nicht alles stehen lassen, nur weil es alt ist. Man muss es neu interpretieren. So ist eine Entwicklung im Kreis 4 möglich, ohne dass alles wegrasiert wird. Ich bin froh, wenn sich dieses Quartier nicht total wandelt, und ich glaube auch nicht, dass das passiert. Mal ehrlich, Sonntag bis Mittwoch ist es an der Langstrasse nicht wirklich lässig, dann hat es sehr viele eigenartige Leute, die herumschleichen. Vielleicht ist das auch grad gut.

 Die Hausbesetzer können da kaum etwas dagegen haben. Haben Sie Verständnis für ihre Motive? Die heutigen Besetzer sind natürlich viel jünger als ich, aber vor zwanzig Jahren hatte ich viele Kontakte zur Besetzerszene. Was ich etwas schwierig finde, ist das, dass man einfach mal irgendwo reinsitzt und den Eigentümern sagt, was sie zu tun haben. Diese Haltung entspricht mir nicht.

 Das ist die Besetzerhaltung. (lacht) Ich habe letzten Freitag mit einigen Besetzern gesprochen und zugehört, was sie wirklich wollen. Dabei ist zu Ausdruck gekommen, dass sie es unnötig finden, dass in der heutigen Wohnungsnot Grundstücke brach liegen, Wohnungen leer stehen, dass auch günstiger Wohnraum für jene erhalten bleiben soll, die kein Geld haben. Ich hab ihnen dann erzählt, warum dieses Haus abgerissen werden muss. Und es gibt ja sehr wohl ein Projekt, und dass das wichtig ist für den Kreis 4. Die Besetzer waren wohl ein bisschen erstaunt. Sie haben einfach mal auf Vorrat besetzt, ohne dass sie die Hintergründe kannten.

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SQUAT BERLIN
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indymedia.ch 22.1.11

Berlin-Update Liebig14 Räumung ::

AutorIn : ...         

Am 2. Februar um 8 Uhr soll die Liebigstr. 14 geräumt werden. Nicht mit uns. Ob Großdemo oder Kleingruppenaktion, dieser Räumungsversuch wird nicht unbeantwortet bleiben. Für das Wochenende vor dem 2. Februar und die Tage darum wird es eine Infrastruktur geben, die hier kurz erklärt werden soll.     
    
    
Mobi Video  http://www.youtube.com/watch?v=wpWHtn2NzZ0

Der Infopunkt - Scharni38, Scharnweberstr. 38

Anlaufstelle für Infos, Material, Hilfe, Angereiste, usw. wird einInfopunkt sein. Der Infopunkt ist während der Demo (29.01.) und abDienstag (01.02.) 16 Uhr bis Donnerstag (03.02.) 16 Uhr ständig besetzt.Er wird euch Rund um die Uhr mit jeglichen Informationen versorgen (überTicker, Telefon und vor Ort) Ein Infopunkt kann nur funktionieren, wenn erauch Infos bekommt. Also schreibt und sagt uns, was in der Stadt passiert,damit wir es verbreiten können.

Ansonsten gibt es Infotische während der Veranstaltungen des Liebig 14 Antiräumungsfestivals.


Das Infotelefon - 0157 / 872 107 77 und 0176 / 383 413 42

Zeitgleich mit dem Infopunkt ist ein Infotelefon geschaltet. Hier könntihr anrufen und Neuigkeiten melden oder Dinge nachfragen. Auch hier gilt:Das Infotelfon funktioniert nur so gut, wie ihr es nutzt. Vor allem in derNacht und am Morgen zum 02.02. kann es wichtig sein zu wissen, was in undum Friedrichshain und den größeren Zufahrtsstraßen passiert.


Infomail - wba-actionweeks [ät] riseup.net

Der Infopunkt ist auch per Mail zu erreichen.


Der Infoticker - Tickeradresse wird noch veröffentlicht

Alle News werden auch über einen Ticker im Internet veröffentlicht. DenTicker füttert wiederum ihr, und zwar über den Infopunkt, das Infotelefonund die Infomail sowie durch eure Aktionen.


Der Ermittlungsausschuss (EA) - 030 / 69 22222

Der EA kümmert sich bei Festnahmen um die Vermittlung vonRechtsanwält_innen und guckt, ob die Leute auch alle wieder raus kommen.Wenn ihr Festnahmen beobachtet und evtl. die Namen der Festgenommen wisst,ruft bitte beim EA an. Die EA Nummer wird direkt geschaltet sein oder miteinem Anrufbeantworter.


Die Pennplatzbörse - schlafplatzberlin [ät] riseup.net

Für Anreisende ohne Pennplatz wird es eine Pennplatzbörse geben, die perMail zu erreichen ist. Wenn ihr Pennplätze anbieten wollt, schreibt bitteauch an diese Adresse. Bitte gebt an, wie viele Plätze ihr anbietet, wodiese sind, ob ihr evtl. bestimmte Vorlieben habt und wie man euchtelefonisch auf jeden Fall erreichen kann (wichtig!). Es werden nochPennplätze benötigt.


Wichtige Webseiten - http://liebig14.blogsport.de / http://wba.blogsport.de / http://l14soli.blogsport.de / http://stressfaktor.squat.net

Auf den Webseiten gibt es alle wichtigen Neuigkeiten, Termine, Aufrufeoder Material. Bitte genießt Artikel auf indymedia mit Vorsicht undcheckt, ob ihr die Sachen auch auf den anderen Seiten findet. Input könntihr auch direkt an liebig14 [ät] riseup.net oder wba-internet [ät]riseup.net schicken.


Bisher bekannte Termine

17.-30.01. Liebig 14 Antiräumungsfestival

22.01. Liebig 14 Streetparade, 17h, Bersarinplatz

27.01. Vollversammlung, 19h im Subversiv, Brunnenstr. 7

29.01. Demonstration: "Hausprojekt statt Luxuslofts - Liebig 14verteidigen - Wir bleiben Alle!", 15h, Kottbusser Tor

02.02. angekündigter Räumungstermin, 8h, dezentrale Aktionen in der ganzenStadt

02.02. Im Falle einer Räumung, 19h, Boxhagener Platz

Liebig 14 forever.

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linksunten.indymedia.org 22.1.11

LIEBIG 14 - Der Countdown läuft...
Verfasst von: Wir bleiben alle.

Wir bleiben Alle

Lasst es krachen, lasst es knallen...
Das Hausprojekt Liebig 14 in Berlin/Friedrichshain steht kurz vor der Räumung. Nach den Gerichtsverhandlungen im November 2009 ist auf juristischer Ebene nichts mehr zu holen. Runde Tische und Verhandlungen mit Politiker_innen haben sich erwartungsgemäß als nutzlos erwiesen. Schließlich wurden Anfang Januar 2011 Räumungsbescheide für den 2. Februar 2011 zugestellt. D.h. an diesem Tag werden die Bullen versuchen, die Bewohner_innen des Hauses zusammen mit der Wohnungseinrichtung, auf die Straße zu werfen. Was jetzt zählt sind Solidarität und entschlossener Aktionismus. Dies ist ein Aufruf, der sich an radikale Bezugsgruppen und Zusammenhänge sowie an Einzelpersonen richtet. Dabei geht es uns nicht nur um das Haus Liebig 14, sondern vor allem um die Ideen, die hinter diesem Projekt stehen. Wir stellen euch ein mögliches Aktionskonzept vor und liefern auch inhaltliches dazu.


Dezentral und unkontrollierbar

Wir werden uns nicht auf angemeldete Aktionen verlassen, sondern spontan, teuer und unkontrollierbar sein. Unser Antiräumungskonzept heißt: Dezentrale Aktionen.
Angemeldete Demos, werden durch Bullen, Vorkontrollen und Kameras isoliert, überwacht und stehen einer Räumung nicht direkt im Wege. Wir machen unsere Aktionen wann, wo und wie wir es wollen, bei Nacht und Nebel oder spontan auf der Straße. Was nicht angemeldet wird, sondern ständig in der ganzen Stadt passieren könnte, entzieht sich der Kontrolle durch Bullen und bietet somit weniger Angriffsfläche für Repression. Aktionismus ist für uns ein Weg, die Anfang Februar zu erwartenden Ereignisse nicht unkommentiert stehen zu lassen und zu zeigen, dass das Projekt Liebig 14 mehr ist als die Menschen, die drin Wohnen.
Es wurde versucht über Dialoge, Verhandlungen und mit Kompromissbereitschaft den Erhalt des Projekts Liebig 14 zu erwirken, was gescheitert ist. Was uns noch bleibt, ist unsere Solidarität und die aktionistische Ebene. Die Initiatoren für die Scheiße sind: die Hauseigentümer Edwin Thöne und Suitbert Beulker sowie die Justizbehörden, der Senat und die Bullen. Die drohende Räumung sehen wir aber vor allem als Folge des profitorientierten Aufwertungswahns in den Städten und damit als Folge kapitalistischer Verwertungslogik. Wir meinen, dass es Sinn macht, diesem kapitalistischen Normalbetrieb wo und wie es nur geht Steine in den Weg zu legen. Nicht, weil wir Anfang Februar die Revolution vom Zaun brechen wollen, sondern um die Diskrepanz aufzuzeigen zwischen dem "sozialen Anspruch", welcher uns immer wieder von vielen Seiten (z.b. vom rot-roten Berliner Senat) vorgebetet wird und der Realität. Oder die Diskrepanz zwischen einem "Recht auf Wohnraum" und dem Preis, der dafür bezahlt werden soll. Diese Widersprüche wollen wir ansprechen, sichtbar machen und überwinden.
Wir wünschen uns Aktionen, die sich auf die drohende Räumung beziehen, und die den emanzipatorischen Anspruch der Menschen, die das Hausprojekt Liebig 14 beleben, unterstreichen. Nicht weil wir die besseren Menschen sind, sondern damit unsere Intentionen nicht durch die Reduzierung auf Gewalt diskreditiert werden. Da militante Aktionen selten selbsterklärend sind, oder zumindest in der Öffentlichkeit nicht als das Wahrgenommen werden wofür sie eigentlich stehen, halten wir es für unumgänglich, das sie erläutert werden. So ist es möglich, das aus vielen kleinen Funken ein Flächenbrand entsteht, der auch in der Gesellschaft als das aufgegriffen werden kann was er ist: Solidarität mit dem akut von Räumung bedrohten Hausprojekt Liebig 14 und keine, wie so oft betitelte "sinnlose Randale". Es sollte daran gearbeitet werden, dass unsere Politik mehr zum gesellschaftlichen Diskurs wird. Wir denken auch, dass dadurch dem Versuch der Kriminalisierung und Isolation emanzipatorischer Politik entgegen zu wirken ist. Um unsere Vorstellung einer anderen Gesellschaft in eine öffentliche Diskussion zu bringen sollten alle Wege der Kommunikation genutzt werden - Indymedia und die Interim einerseits, auflagenstarke Zeitungen und Massenmedien andererseits.
Solidaritätsbekundungen aus allen möglichen anderen Orten, in welcher Form auch immer, stellen eine Räumung in einen größeren Kontext und schaffen eine größere Öffentlichkeit.

Gentrifizierung und Kritik an der Kritik

Die drohende Räumung der Liebig 14 ist von Politik und Staat gewollt, aber auch Teil des Prozesses der "Gentrifizierung" und damit folge kapitalisitscher Verwertungslogik. Was in der Stadt einen Großteil der dort lebenden Menschen betrifft, ist im Prinzip dasselbe, was die Bewohner_innen der Liebigstr. 14 betrifft. Aufwertung durch Sanierung und Modernisierung ist der erste logische Schritt, wenn es darum geht aus Wohnraum einen möglichst hohen Profit zu schlagen. Steigende Mieten und dadurch die Verdrängung der Menschen, die sich diese nicht mehr leisten können oder wollen sind die Folge. Doch es regt sich bereits Widerstand gegen Aufwertung, Mietsteigerungen, Verdrängung und Bebauung, der in den unterschiedlichsten Formen sichtbar wird. Das finden wir auch Grundsätztlich gut, jedoch kritisieren wir, dass sich die Kritik an der Umstrukturierung häufig auf den eigenen Kiez, sowie die direkten Auswirkungen dieser diffusen Logik beschränkt. Dabei werden dann oft "Yuppies", oder zumindest die Politik, Investor_innen und Hauseigentümer_innen als Verantwortliche deklariert. Dies greift zu kurz, denn es verkennt die Totalität kapitalistischer Verwertungslogik. Zudem lenken Personifizierungen von den Grundproblemen ab. Da der Prozess der "Gentrifizierung" nur in Gesellschaften möglich ist, in denen die Bedürfnisbefriedigung über Markt- und Konkurrenzmechanismen organisiert werden, darf eine umfassende Kritik nicht erst bei der Verdrängung von Menschen durch Mietsteigerungen anfangen, sondern muss die kapitalistische Gesellschaftsordnung an sich angreifen. Der Begriff "Gentrifizierung" eignet sich aber, um die Grundzüge dieser kapitalistischen Gesellschaft Anhand eines konkreten Problems zu kritisieren, das alle betrifft - nämlich das bezahlen von Miete.
"Gated Communitys" und "Safety Living" werden als Antwort auf zukünftig zu erwartende Soziale Spannungen präsentiert. Doch dass sich dadurch Probleme weder verschieben, noch lösen lassen, sondern diese noch verschärfen, dürfte klar sein.

Für eine Gesellschaft ohne Ausgrenzung und Zwänge

Wir wissen nicht, wann und wie die Abschaffung von Nationalstaatlichkeit, die Kollektivierung von Produktionsmitteln und die Emanzipation aller Individuen stattfindet. Aber wir haben eine Vorstellung davon, wie eine andere Gesellschaft aussehen könnte und außer Zweifel steht für uns, dass dazu die gegenwärtigen Herrschaftsverhältnisse überwunden werden müssen!
Als Möglichkeit für eine linksradikale Kritik an den momentan herrschenden Verhältnissen zählt für uns ein "Freiraum", in dem Menschen versuchen können, die Idee einer hierarchiefreien Gesellschaft ohne Unterdrückungsmechanismen umzusetzen. Hierbei ist auch ein Begegnungsraum nötig, der es ermöglicht sich zu treffen, gemeinsam zu organisieren und zu vernetzen.
Unter einem "Freiraum" verstehen wir Orte, an denen sich jeder Mensch frei von Diskriminierung aufgrund von Geschlecht, Hautfarbe, sexueller Identität, etc. bewegen kann. Da diese Formen der Unterdrückung in unserer Gesellschaft alltäglich reproduziert werden, ist es wichtig, Räume zu schaffen und zu erhalten, in denen diese in frage gestellt, diskutiert und reflektiert werden, sowie eine Loslösung davon praktiziert werden kann. Unserer Meinung nach, ist es aber vor allem wichtig nicht nur all diese tollen Ansprüche zu haben und zu versuchen, sie umzusetzen, sondern der Anspruch sollte es auch sein, einen "Output" zu haben. D.h., sich nicht die eigene schöne Welt aufzubauen, schließlich gibt es kein richtiges Leben im falschen, sondern zu versuchen mit den Ideen die hinter den Projekten stehen in die Gesellschaft zu intervenieren. Wir sind uns sehr wohl bewusst darüber, dass die Projekte, die sich selbst das Label "Freiraum" geben, häufig den Ansprüchen, die wir theoretisch unter diesem Begriff einordnen hinterherhinken, darum wollen wir kurz unsere Sicht der Dinge erläutern: Wir wollen den Begriff verwenden, um der Utopie eines Raumes ohne Unterdrückung einen Namen zu geben. D.h. wir sehen hinter dem Begriff "Freiraum" einen Optimalzustand, den es anzustreben gilt, der jedoch nicht erreicht werden kann, da wir alle in einer kapitalistischen Gesellschaft mit all ihren Unterdrückungsformen sozialisiert sind. Darum verwenden wir den Begriff auch, um einen Raum zu beschreiben, in dem Menschen den Anspruch haben einen "Freiraum" zu schaffen. "Den Anspruch haben" heißt für uns dann aber auch, sich aktiv mit Herrschaftsverhältnissen auseinander zu setzen und auch die eigene Rolle darin selbstkritisch ständig zu reflektieren. Ein Raum wie die Liebig 14 bietet auch die Möglichkeit, das Prinzip der Selbstverwaltung praktisch umzusetzen und im kleinen Maßstab lebbar zu machen. Zur individuellen Vereinzelung im Kapitalismus stellt die kollektive Wohnform zudem einen Gegenpol dar, die auch Illegalisierten einen Schutzraum bieten kann.

Repression - business as usual?

Den Verlust eines solchen Freiraumes werden wir nicht hinnehmen! Ein Angriff auf Hausprojekte bedeutet für uns nicht nur einen Angriff auf autonome Strukturen in Berlin, sondern auch ein Angriff auf alle Menschen, die hinter den Ideen einer ganz anderen, emanzipatorischen Gesellschaft stehen.
Des weiteren sehen wir in der Bedrohung der Liebig 14 die Fortführung staatlicher Repression gegen autonome Strukturen und auch gegen Einzelpersonen. Aber auch anderswo wird geräumt, gerazzt und verhaftet. Besetzte Häuser in Erfurt, Hamburg, Wien, Wilhelmshaven, Dresden, Münster, Oldenburg, Wien, Magdeburg und Wittenberg wurden geräumt. Die Bullendichte im Kiez um die Liebig 14 ist so hoch, dass sich die Anwohner_innen an den Kopf fassen. Bei solch einer Überpräsenz ist es zwangsläufig, dass auch mal Bullen durchdrehen und wild um sich schießen, wie in Berlin und anderswo in letzter zeit mehrmals geschehen.
Der bürgerliche Staat und die Ökonomie stehen in einer wechselseitigen Beziehung zueinander - kein Kapitalismus funktioniert ohne eingriffe des Staates. Andererseits ist auch der Staat selbst ein Akteur im Kapitalismus. Eine emanzipatorische Gesellschaft, erreichen wir nur durch die Abschaffung des bürgerlichen Staates und der kapitalistischen Verhältnisse. Repression begreifen wir auch als eine Art Selbsterhaltungsstreben des bestehenden. Darin, und in der Ablehnung hierarchischer Strukturen allgemein, gründet unsere Verweigerung gegenüber dem bürgerlichen Staat und auch gegenüber seinen Repräsentant_innen. Das geht, von der Ablehnung von Forderungen an Politiker_innen, bis zur Freude über Angriffe auf Bullenwachen. Wir erkennen weder diesen Staat als Entscheidungsträger an, noch seine Politiker_innen die sich als unsere Stellvertreter_innen ausgeben. Wir akzeptieren nicht, dass andere Menschen entscheiden wie und wo wir zu leben haben. Es liegt uns fern, mit dem Staat in einen Dialog zu treten oder Forderungen zu stellen. Wir müssen unsere Anliegen in einem Prozess der Selbstorganisation und im Konsens aller betroffenen Menschen umsetzen.
Sollte die Liebig 14 geräumt werden haben die "Verantwortlichen" aus Justiz, Polizei und Politik das Problem, denn die werden sich in der Öffentlichkeit für die hohen Kosten einer Räumung und ihre Folgen rechtfertigen müssten. Soziale Probleme, die diese Gesellschaftsordnung hervorruft, lassen sich nicht durch Räumungen aus der Welt schaffen - genauso wenig wie unsere Vorstellungen einer anderen Gesellschaft.

Wir haben schon längst keinen Bock mehr auf diesen Staat und seine Repression, wir haben keinen Bock auf Unterdrückung und Konkurrenz und wir haben keinen Bock auf Kapitalismus und seine neoliberalen Versprechen. Eine Räumung der Liebig 14 kommt für uns überhaupt nicht in Frage. Deshalb ist es wichtig, das Thema in die Öffentlichkeit zu bringen und klar zu machen, dass "die Häuser" mehr sind als ihre Bewohner_innen und dass eine Räumung eine verdammt teure Sache werden kann.

Der Countdown läuft...

Autonome Gruppen sagen: [Wir bleiben Alle]

Infotelefon: 0157 87210777 sowie 0176 38341342
Infotelefon und Infopoint sind während der Demo am 29.01 um 15:00 am Kottbusser Tor sowie von Dienstag 01.02. um 16:00 bis Donnerstag 03.02 16:00 ständig besetzt.

email Infopunkt: wba-actionweeks@riseup.net

Schlafplatzbörse: schlafplatzberlin@riseup.net

nützliche Internetseiten: http://liebig14.blogsport.de, http://wba.blogsport.de, http://l14soli.blogsport.de

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FREYSINGER
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WoZ 20.1.11

Kommentar von Bernhard Schmid

 Der Front National auf den Spuren der SVP

 Wie der Vater, so die Tochter? Marine Le Pen, die neue Vorsitzende des Front National, gibt sich sanfter und beruft sich dabei auch auf bisher verpönte Begriffe.

Bernhard Schmid

 In die politische Landschaft Frankreichs ist etwas Bewegung gekommen. In Tours wurde am Wochenende Marine Le Pen zur neuen Parteivorsitzenden des 1973 gegründeten rechtsextremen Front National (FN) gekürt. Neueste Umfragen sagen ihr fünfzehn Monate vor der Präsidentschaftswahl 18 Prozent der Stimmen voraus. Zudem erklärten kürzlich 35 Prozent der AnhängerInnen der Regierungspartei UMP in einer Umfrage ihr Einverständnis mit einem möglichen Bündnis mit dem FN. Die Berührungsängste der Konservativen gegenüber den Rechtsextremen scheinen allmählich zu schwinden.

 Der Führungswechsel an der Spitze des FN hat diesen Prozess zusätzlich beflügelt. Anknüpfungen an den Faschismus, offenen Antisemitismus oder geschmacklose Sprüche wie jene ihres Vaters und Vorgängers Jean-Marie Le Pen (den einstigen jüdischen Minister Michel Durafour nannte er einmal "Durafour-crématoire"   - in Anspielung an Verbrennungsöfen, die four crématoires) möchte die neue Parteivorsitzende künftig vermeiden. Als Vorbild dient der neuen Parteichefin die Schweizerische Volkspartei (SVP). So sehen es auch viele ihrer AnhängerInnen. Darauf angesprochen, für welche Zeitung ich arbeite, meinten am Wochenende in Tours jüngere Delegierte: "Ah, eine Schweizer Zeitung? Vive Oskar Freysinger!"

 Die 42-jährige Exanwältin Marine Le Pen hat sich in einer Abstimmung der FN-Mitglieder gegen ihren Kontrahenten, den früheren Juraprofessor Bruno Gollnisch, durchsetzen können. Marine Le Pen erhielt gut 67 Prozent der insgesamt 17 000 abgegebenen Stimmen.

 Die Reden, die die beiden AnwärterInnen auf die Parteispitze am Wochenende hielten, verdeutlichten nochmals die strategischen Unterschiede zwischen den beiden: Gollnisch, der 2004 wegen Sprüchen, die hart an eine Holocaust-Leugnung grenzten, aus der Universität von Lyon entfernt worden war, gedachte in seiner Rede "unserer Toten: der Toten vom Februar 1934, des Indochina- und des Algerienkriegs". Eine klare Anknüpfung an die Geschichte der profaschistischen Rechten: Am 6. Februar 1934 hatten rechtsextreme Kampfverbände vor dem Parlament in Paris zu putschen versucht.

 Davon hält Marine Le Pen nicht viel. Die neue Chefin sprach ihrerseits oft von der Republik - ein Wort, das bis im Herbst 2006, als es unter ihrem Einfluss in das Vokabular des FN aufgenommen wurde, bei der extremen Rechten tabu war. In Frankreich erinnert das Wort an eine historische Tradition, die mit der Französischen Revolution 1789 begründet wurde und gegen die sowohl der monarchistische als auch der katholisch-fundamentalistische Flügel des FN stets opponierten.

 Marine Le Pen zitierte sogar die Allgemeine Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte von 1789 - was bis dahin in weiten Teilen der extremen Rechten ein Sakrileg darstellte -, um an das in Artikel 2 enthaltene "Recht auf Widerstand gegen politische Unterdrückung" anzuknüpfen. Der FN fordert eine Republik mit stark plebiszitären Elementen: Die Rechtsextreme beruft sich gegen die "Herrschaft der Altparteien" auf die "Bevölkerung", die sich in Volksabstimmungen äussern können müsse - am liebsten über Fragen wie Todesstrafe oder Einwanderung. Als besonders vorbildhaft gilt dabei dem FN seit einiger Zeit die Schweizer Eidgenossenschaft - aufgrund der Abstimmungen über das Minarettverbot sowie über die Ausschaffungsinitiative.

 Weiter sprach Marine Le Pen vor allem über wirtschaftliche und soziale Fragen. Sie redete einem ökonomischen Protektionismus das Wort, schilderte ausführlich die negativen Auswirkungen des Euro auf Frankreich und stellte die derzeitige internationale Arbeitsteilung in Frage: Es müsse eine "Rücknahme" der (etwa nach Asien ausgelagerten) Produktion geben - was auch die ökologische Schädlichkeit der zunehmenden Transporte mindern würde. Eine Idee, die keineswegs nur von der extremen Rechten geäussert, von ihr jedoch in einen besonderen Zusammenhang gestellt wird: Dem FN geht es um eine industrielle Wiederaufrüstung Europas auf Kosten des Rests der Welt. Und um die Wiedererlangung von Frankreichs Weltmachtrang.

 Die strategischen Unterschiede zwischen den beiden KandidatInnen für den Parteivorsitz sind also beträchtlich. Dennoch betonte Marine Le Pen, ab jetzt gebe es "keine Marinisten oder Gollnischianer mehr, sondern nur noch Aktivisten des FN". Sie bot ihrem unterlegenen Kandidaten sogar die "erste Vizepräsidentschaft" der Partei an, was dieser aber ausgeschlagen hat. Gollnisch bleibt jedoch Mitglied des "Politischen Büros".

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ANTI-SVP
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telem1.ch 23.1.11
Härteres Durchgreifen gegen Vermummte gefordert
http://telem1.ch/de/overlayplayer---0--0--0--T000316105.html

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20min.ch 23.1.11

Streit nach Attacke: Fehr wehrt sich gegen Kritik der Stapo

 Nachdem SVP-Nationalrat Hans Fehr vor der Albisgüetli-Tagung verprügelt wurde, schlagen die Wellen hoch. Die Polizei übt Kritik an Fehr. Dieser wirft den Vorwurf als "lachhaft" zurück.

Roman Hodel

 "Es war sehr mutig von Herrn Fehr, so nahe an den Demon­stranten vorbeizulaufen - wir können nicht auch noch allfällige VIPs erkennen und Schutz bieten", kritisierte Stapo-Kommandant Philipp Hotzenköcherle in Medienberichten SVP-Nationalrat Hans Fehr (64). Dieser war am Freitag vor der Albisgüetli-Tagung von Linksautonomen spitalreif geprügelt worden. Hotzenköcherle sagte weiter: "Er hätte besser die 117 angerufen und sich ­abholen lassen."

 Fehr findet dies "lachhaft" und sagt zu 20 Minuten: "Das wäre überhaupt nicht situationsgerecht gewesen - im weiteren Umkreis standen viele Polizisten und die Lage schien mir un­problematisch." Daher habe er wegen der Demo die letzten 300 Meter bis zum Schützenhaus wie andere auch zu Fuss absolviert. "Herr Hotzenköcherle muss sich ja rechtfertigen", sagt Fehr und fordert, dass man den Einsatz überprüft. "Die Polizisten vor Ort haben gute Arbeit geleistet, aber bei der Taktik seitens Polizeiführung gibt es Verbesserungspotenzial."

 Das sieht der Stadtzürcher SVP-Fraktionschef Mauro Tuena gleich: "Die Führung, namentlich der grüne Polizeivorsteher Daniel Leupi, muss über die Bücher gehen." Abgesehen davon sei der Vorschlag von Hotzenköcherle, die 117 zu wählen, absurd: "Nähme mich wunder, wie das herausgekommen wäre, wenn alle VIPs die Polizei als Chauffeur benötigt hätten."

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sf.tv 23.1.11

Polizei kritisiert SVP-Nationalrat Hans Fehr

sf/fref

 Die Züricher Stadtpolizei hat Vorwürfe von Teilnehmern der Albisgüetli-Tagung zurückgewiesen. Diese hatten Unverständnis geäussert, warum die Polizei SVP-Nationalrat Hans Fehr nicht vor Übergriffen von Linksautonomen schützen konnte. Nun kontern die Sicherheitskräfte: Fehr hätte sich abholen lassen sollen.

 Die Polizei wehrt sich in der Sonntagspresse gegen den Vorwurf, den unter anderen SVP-Bundesrat Ueli Maurer äusserte: Er meinte, die Beamten hätten die Situation unterschätzt.

 Polizei-Kommandant Philipp Hotzenköcherle stellte gegenüber "Sonntag" klar: "Der Auftrag lautete, dafür zu sorgen, dass die Tagung ungestört stattfinden kann." Diesen Auftrag hätte die Polizei erfüllt, so der Kommandant. Die SVP habe keine Anfrage für Personenschutz gestellt. Ausserdem war den Sicherheitskräften nicht bekannt, dass ein SVP-Nationalrat alleine an den Linksautonomen vorbeimarschiere.

 Hotzenköcherle riet Fehr, es wäre besser gewesen, er hätte sich von der Polizei abholen lassen. "Es war sehr mutig von Herrn Fehr, so nahe an den Demonstranten vorbeizulaufen", kritisierte er in der "Sonntagszeitung".

Fehr rechtfertigte sich, er habe die Situation nicht als gefährlich eingestuft, da auch andere Passanten diesen Weg genommen hätten. Der SVP-Nationalrat will Anfang Woche Anzeige gegen die Prügler erstatten.

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Fehr-Angriff: User von Gewaltanwendung erschüttert

sf

 Der tätliche Angriff auf SVP-Nationalrat Hans Fehr vom Freitag stösst bei den "tagesschau.sf.tv"-Usern grösstenteils auf pures Unverständnis. Es könne und dürfe nicht sein, dass ein Politiker wegen seiner Meinung Ziel von Übergriffen werde, lautet der Tenor. Einen Grund für die Grenzüberschreitung orten die User im aufgeheizten politischen Klima.

 In einer nicht repräsentativen Umfrage auf "tagesschau.sf.tv" sind über 80 Prozent der Teilnehmer der Meinung, dass sich die politischen Sitten seit einigen Jahren verroht haben. Insgesamt nahmen über 1500 User an der Umfrage teil.

 Das Umfrageresultat erstaunt nicht, wenn man die unzähligen Kommentare auf "tagesschau.sf.tv" betrachtet. Für J. Bachmann aus Zürich etwa ist klar: "Es braucht wieder lösungsorientierte Politik mit einer offenen Kommunikation. Keine Barrikaden von rechts aussen und links aussen!"

 SVP versus Linksextreme

 Die "tagesschau.sf.tv"-Leser versuchen sich in verschiedenen Erklärungen für die Tat. Obwohl der Angriff auf Fehr durch nichts zu rechtfertigen sei, dürfe man sich als SVP nicht wundern, wenn man irgendwann einmal die Rechnung für die Stimmungsmache gegen Behinderte, Ausländer, Minderheiten und "Halb"-Bundesräte bekomme, schreibt etwa Roland Ruckstuhl aus Zürich.

 Mehrfach wird von den Usern auch der Kalenderspruch "So wie man in den Wald ruft, kommt es auch zurück!" bemüht. Doch nicht nur die SVP gerät in die Schusslinie der Kommentierenden.

 "Leider denken noch zu viele Leute, 'linke' Gewalt sei 'gute' Gewalt", schreibt etwa S. Gallo aus Beinwil am See. E. Hasler aus Zürich ist überzeugt, dass der Staat entschiedener gegen solche Auswüchse vorgehen sollte. "Die Strasse diesen Querschlägern zu überlassen, würde heissen, vor deren Gewaltbereitschaft einzuknicken."

 Meinungsfreiheit muss erhalten bleiben

 Andere orten ein gesellschaftliches Problem. "Diese jungen Mitmenschen sehen keine andere Möglichkeit ihren Träumen und Bedürfnissen Ausdruck zu verleihen", äussert sich H. Müller aus Luzern. Sie als Chaoten abzustempeln sei viel zu einfach.

 Insgesamt zeigen sich die User erschüttert darüber, dass Gewalt angewendet wurde. Die Meinungsfreiheit dürfe nicht angetastet werden. Mehrfach wird der Vordenker der Aufklärung, Voltaire, zitiert: "Ich werde Ihre Meinung bis an mein Lebensende bekämpfen, aber ich werde mich mit allen Kräften dafür einsetzen, dass Sie sie haben und aussprechen dürfen."

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Sonntagszeitung 23.1.11

SVP wollte keinen Schutz

 Albisgüetli-Attacke: Polizei kritisiert Prügelopfer Fehr - seine Partei rüstet auf

 Von Joël Widmer und Seraina Kobler

 Zürich/Bern Der Kommandant der Zürcher Stadtpolizei, Philipp Hotzenköcherle, kritisiert nach der Prügel-Attacke auf SVP-Nationalrat Hans Fehr diesen selbst: "Es war sehr mutig von Herrn Fehr, so nahe an den Demonstranten vorbeizulaufen." Es wäre laut Hotzenköcherle besser gewesen, er hätte die 117 angerufen und sich abholen lassen.

 Die SVP habe keine Anfrage für Personenschutz gestellt, und die Polizei habe keine Kenntnisse davon gehabt, dass ein SVP-Nationalrat alleine an den Linksautonomen vorbeimarschiere. "Wir können nicht auch noch allfällige VIPs erkennen und Schutz bieten", sagt der Polizeikommandant. Fehr war auf dem Weg zur Albisgüetli-Tagung von Demonstranten zu Boden geworfen und verprügelt worden. Er erlitt eine Rippenprellung.

Fehr entgegnet, er habe die Situation nicht als gefährlich eingestuft, weil auch andere Passanten diesen Weg genommen hätten. "Und ich meine, es sollte in der Schweiz weiterhin möglich sein, dass sich Politiker ohne Personenschutz frei bewegen können", so Fehr. Man müsse darum frühzeitig und mit aller Härte gegen diese Krawallanten vorgehen. Fehr wird Anfang Woche gegen die Prügler Anzeige erstatten.

 Die Attacke auf den SVP-Nationalrat ist nur der Höhepunkt in einer Serie von Angriffen, die im Abstimmungskampf um die Ausschaffungsinitiative begann. "Übergriffe auf Personen und Einrichtungen der SVP haben zugenommen", sagt Parteipräsident Toni Brunner. Die Volkspartei muss deshalb die Massnahmen für den Schutz von Veranstaltungen und Sekretariaten verbessern. "Wir müssen immer mehr Geld für die Sicherheit ausgeben", sagt Brunner. Bisher waren es mehrere Zehntausend Franken im Jahr. "Im Budget 2011 müssen wir nun 20 000 bis 30 000 Franken mehr vorsehen."

 Insbesondere das Generalsekretariat in Bern wurde mehrmals attackiert. Zweimal haben Randalierer dabei Storen demoliert und Fenster eingeschlagen. "Nun überwacht ein privater Sicherheitsdienst zu bestimmten Zeiten das Generalsekretariat", sagt Brunner. Die Partei werde den Schutz des Sekretariates weiter verstärken. "Denn Generalsekretär Martin Baltisser arbeitet seit über einem Monat in einem Büro ohne Tageslicht, weil die Fenster noch immer mit Brettern verbarrikadiert sind."

 Die Angriffe auf die Rede- und Versammlungsfreiheit der SVP hätten eine neue Dimension erreicht, sagt Parteipräsident Brunner. "Wenn nicht Hans Fehr von Linksextremen, sondern zum Beispiel SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr von Rechtsextremen verprügelt worden wäre, stünden wir am Rande einer Staatskrise, und in den Medien wäre es das Thema Nummer eins."

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Sonntagsblick 23.1.11

EDITORIAL

 Ohne Worte

 Philippe Pfister  Stv. Chefredaktor

 "WIR SIND HIER, um mit Worten, nicht mit Fäusten zu kämpfen." Es war eine beherzte Rede, die Micheline Calmy-Rey im Saal des Albisgüetli hielt - kurz nach einem niederträchtigen Angriff von Gewalttätern auf SVP-Nationalrat Hans Fehr.

 GUT GEMEINTE WORTE waren das, ohne Zweifel. Doch im Grunde unpassend. Sagen die Worte der Bundespräsidentin doch: Mit diesen Chaoten kann man reden. Man sollte sich ihre Argumente vielleicht anhören. Und vielleicht sind auch sie für Argumente zugänglich.

 GENAU DAS sind sie nicht. Der harte Kern der Zürcher Autonomen hat den Boden der Demokratie längst verlassen. Sie prügeln und schlagen im Namen eines linksreaktionären Fundamentalismus, der nur eine Meinung anerkennt: die eigene.

 WORTE ZU WECHSELN mit diesen Gewalttätern ist überflüssig. Diese Menschen verstehen nur eine Sprache: die der Staatsgewalt. Vielleicht, irgendwann, kehren sie dann wieder auf den Boden der Demokratie zurück. Erst dann, Frau Calmy-Rey, können wir wieder mit ihnen reden.

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http://www.blick.ch/news/politik/vermummte-frauen-retteten-ihn-165154

Ursula Fehr über den Angriff der Chaoten auf ihren Mann

 Vermummte Frauen retteten ihn!

 VON  REZA RAFI  UND  BEAT KRAUSHAAR

 Der SVP-Hardliner hat Strafanzeige eingereicht - und kämpft für ein nationales Vermummungsverbot.

 Hans Fehr ist den harten politischen Nahkampf gewohnt. Doch was er am Freitagabend erlebte, war auch dem SVP-Haudegen zu viel. Der Nationalrat sitzt in der Stube in Eglisau ZH und sagt nachdenklich: "Ich hatte Todesangst. Wirkliche Todesangst." Seine Frau Ursula schaut ihn besorgt an. "Gut, dass du wieder heil da bist, Hans."

 Es geschah ausgerechnet auf dem Weg dorthin, wo er sich am wohlsten fühlt: zur jährlichen Tagung seiner Partei im Albisgüetli.

 Gegen halb sieben parkt Fehr sein Auto auf Höhe des Strassenverkehrsamts. Schnurstracks marschiert er die Üetlibergstrasse empor. Er ist spät dran. Blocher, Brunner, alle sind schon da. "Plötzlich sehe ich eine Wand schwarz gekleideter Figuren vor mir."

 Fehr fühlt sich dennoch sicher. "Ich habe gedacht, die machen mir doch nichts. Hinten stand ja die Polizei." Als einer der Linksautonomen den SVP-Hardliner erkennt ("Hey, da, de Fehr!"), geht es ganz schnell. Es ist 18.40 Uhr.

 "Eine Gruppe Vermummter stürzte auf mich zu", erzählt Hans Fehr. Erst setzt es Faustschläge. Als er zu Boden geht, treten sie ihn mit Springerstiefeln. Auch gegen den Kopf. "Ich dachte nur noch, hoffentlich überlebst du das, hoffentlich bleibst du nicht behindert." Fehr liegt am Boden, hält die Arme vors Gesicht.

 Dann kriegt er mit, dass drei oder vier Demonstrantinnen auf die Schläger zukommen. "Hört auf, fertig!", schreien sie. Sofort lässt die Chaotenhorde, wie auf Befehl, von Fehr ab. Sind sie die Anführerinnen der Schläger? Fehr eilt ins sichere Schützenhaus, später wird er im Triemli-Spital verarztet. Er hat Prellungen am Kopf, gequetschte Rippen, Schmerzen am rechten Unterschenkel. Gestern verdunkelten noch schwarze Punkte sein Sichtfeld.

 "Wenn diese Frauen den Angriff nicht gestoppt hätten, hätten die weitergemacht. Sie waren wie in Trance." Ursula Fehr sagt: "Die hätten dich umgebracht."

 Ihr Mann ist mitgenommen, stürzt sich aber bereits wieder in Arbeit. Gestern besuchte er eine Veranstaltung gegen das geplante Asyl-Durchgangsheim in Eglisau, wo Ursula Gemeindepräsidentin ist. Morgen wird er Strafanzeige gegen unbekannt einreichen.

 Fehr bereut auch nicht - den Ausspruch, er hätte abgedrückt, hätte er eine Waffe dabei gehabt. "In so einer Situation ist man nicht kontrollierbar. Aber ich würde zuerst in die Luft schiessen."

 Geschockt haben ihn die verdeckten Gesichter. "Das Bild, wie anonyme Figuren auf mich eindreschen, werde ich nie vergessen." In der Frühlingssession will er einen Vorstoss für ein nationales Vermummungsverbot einreichen.

 Fehr war nicht der Einzige, der von den Chaoten attackiert wurde. Bruno Heinzelmann, Ex-SVP-Stadtpräsident von Kloten, hatte bange Minuten zu überstehen. "Ich musste mit meinem Range Rover vor einem Rotlicht halten. Da wurden wir von Chaoten umzingelt, die mit Füssen und Fäusten das Auto traktierten", sagt Heinzelmann. Der SVP-Politiker hatte Glück. Die Polizei schritt ein. "Ich weiss nicht, was sonst passiert wäre."

 Die Beamten verhafteten sieben Chaoten. Sie kamen am Freitag frei. Stadtpolizeikommandant Philippe Hotzenköcherle: "Wir haben keine konkreten Hinweise auf die Täterschaft." Man habe den Angriff auf Fehr nicht mitbekommen. "Sonst wären wir sofort eingeschritten. Aber der Vorfall passierte relativ weit weg vom Albisgüetli", so der Kommandant. Die Polizei hatte den Auftrag, die Veranstaltung im Albisgüetli zu sichern. "Das haben wir erfolgreich gemacht", sagt er. Alfred Heer, Nationalrat und SVP-Präsident von Zürich, bescheinigt der Polizei, ihren Auftrag korrekt ausgeführt zu haben.

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 Frage der Woche

 Dürfen Politiker nur noch mit Polizeischutz aus dem Haus?

 Bitte schreiben Sie an: Redaktion Sonntags-Blick, Dufourstrasse 23, 8008 Zürich Per E-Mail an: leserbriefe@sonntagsblick.ch

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 Stimmen zum Fall

 "Diese Gewalt ist unentschuldbar und eine Gefahr für die Demokratie" Fulvio Pelli (59), FDP-Präsident

 "Ein inakzeptabler Vorgang. Die SVP soll man mit Argumenten schlagen"
 Christian Levrat (40), SP-Präsident

 "Ich verurteile den Vorfall in aller Schärfe. Das ist unschweizerisch"
 Christophe Darbellay (39), CVP-Präsident

 "Absolut schockierend. Ich wünsche Herrn Fehr gute Besserung"
 Ueli Leuenberger (58), Präsident Grüne

 "Ich missbillige das, auch wenn die SVP oft unter der Gürtellinie provoziert"
 Hans Grunder (54), BDP-Präsident

 "Ich missbillige das, auch wenn die SVP oft unter der Gürtellinie provoziert"
 Hans Grunder (54), BDP-Präsident

 "So geht es nicht. Wir sind hier, um mit Worten, nicht mit Fäusten zu kämpfen"
 Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey (SP)

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 "Alles Abschaum" So ticken die Prügler vom schwarzen Block

 Die Kapuze tief ins Gesicht gezogen, betritt er das Lokal im Zürcher Kreis 4: "Meinen Namen will ich nicht in der Zeitung lesen", macht der 30-Jährige gleich zu Beginn des Gesprächs klar - und bestellt einen Tequila. Martin R. (Name geändert) bewegt sich politisch am äussersten linken Rand. Die SVP? "Alles Abschaum", sagt er. Seine Freizeit verbringt er mit Leuten, die für ihre politischen Ideen vermummt durch die Strassen ziehen, Hausfassaden verschmieren und immer häufiger zuschlagen. "Fehr ist selber schuld - er muss ja nicht durch die Masse laufen", sagt der Zürcher mit Nachdruck. Wer versteckt sich hinter all den schwarzen Masken, Herr R.? "Die Aktivisten kommen aus reichen Elternhäusern, nicht selten sitzt der Vater in der SVP", erklärt er. "Sie plädieren für mehr Toleranz und sind gegen Rassismus." Im schwarzen Block marschierten daher neben zahlreichen Frauen auch viele Secondos mit. "Der Aufruf erfolgt aber immer von Schweizern." Die "linke Bewegung", wie er sie nennt, kenne auch Mitläufer - Leute, die Spass am Krawall haben. Wer genau zur Gruppe gehört, weiss nicht einmal die Polizei - die Linksautonomen verwischen ihre Spuren gut.

 ROMINA LENZLINGER

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http://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/wir-hofften-dass-er-dies-nicht-ueberlebt-165160 (17.35 Uhr)

SVP-Fehr verprügelt - anonyme Extremisten melden sich

"Wir hofften, dass er dies nicht überlebt"

ZÜRICH - Anonyme Extremisten prahlen im Internet, sie hätten dem verprügelten SVP-Nationalrat Hans Fehr den Tod gewünscht. In der linksautonomen Szene wird jetzt heftig darüber gestritten.

Linksautonome traktierten am Freitag Hans Fehr mit Schlägen und Tritten. Der SVP-Mann erlitt Prellungen und Quetschungen und musste im Spital verarztet werden.

Auf dem einschlägigen Internet-Forum "indymedia.org" frohlocken jetzt die Linksextremisten. "Dem Fehr haben wir das Fürchten gelernt", schreibt eine anonyme "AutorIn" im Namen von "Revolutionärer Aufbau Schweiz".

Und dann der schockierende Satz: "Mit der Wut von Tausenden ausgeschafften AusländerInnen und inhaftierten GesinnungsgenossInnen haben wir zugeschlagen und eigentlilch gehofft, dass er dies nicht überlebt."

"Pistole auf seinen Kopf gerichtet"

Es kommt noch dicker: "Eine mutige Genossin hatte noch ihre Pistole auf seinen Kopf gerichtet, drückte dann aber vor lauter Aufregung leider im falschen Moment ab."

War tatsächlich sogar eine Pistole im Spiel? Oder ist das eine zusätzliche billige Provokation? Von einer Pistole hat jedenfalls weder Opfer Fehr etwas gesagt noch die Polizei.

So oder so: Fehr fürchtete um sein Leben. Im SonntagsBlick sagte er: "Ich dachte nur noch, hoffentlich überlebst du das."

Fehr reicht Strafanzeige ein. Die Polizei hat nach eigenen Angaben bisher "keine konkreten Hinweise auf die Täterschaft."

Fehr-Attacke spaltet die Linksautonomen

Die Attacke auf Fehr und die Kommentare dazu werden auf dem Forum "indymedia" zum Teil auch aus den eigenen Reihen scharf kritisiert. Einer schreibt: "Danke vielmals Chaoten, dass ihr uns Linken wieder ins schlechte Licht rückt. Das ist die allerbeste Propaganda für die SVP!" Andere fordern die Foren-Moderation dazu auf, die Kommentare mit der Gewaltverherrlichung zu löschen.

Offensichtlich war es den Betreibern der Seite auch nicht mehr geheuer: Am späten Sonntagnachmittag wurden zahlreiche Einträge gelöscht, unter anderem auch der Text mit dem Titel "Dem fehr haben wir das fürchten gelernt".

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http://www.blick.ch/news/schweiz/zuerich/wir-hofften-dass-er-dies-nicht-ueberlebt-165160

SVP-Fehr verprügelt - anonyme Extremisten melden sich

"Wir hofften, dass er dies nicht überlebt"

ZÜRICH - SVP-Nationalrat Hans Fehr wurde am Rand der Albisgüetli-Tagung von Linksautonomen zusammengeschlagen. Jetzt prahlen anonyme Extremisten im Internet mit der Tat.

Linksautonome traktierten am Freitag Hans Fehr mit Schlägen und Tritten. Der SVP-Mann erlitt Prellungen und Quetschungen und musste im Spital verarztet werden.

Auf dem einschlägigen Internet-Forum "indymedia.org" frohlocken jetzt die Linksextremisten. "Dem Fehr haben wir das Fürchten gelernt", schreibt eine anonyme "AutorIn" im Namen von "Revolutionärer Aufbau Schweiz".

Und dann der schockierende Satz: "Mit der Wut von Tausenden ausgeschafften AusländerInnen und inhaftierten GesinnungsgenossInnen haben wir zugeschlagen und eigentlilch gehofft, dass er dies nicht überlebt."

"Pistole auf seinen Kopf gerichtet"

Es kommt noch dicker: "Eine mutige Genossin hatte noch ihre Pistole auf seinen Kopf gerichtet, drückte dann aber vor lauter Aufregung leider im falschen Moment ab."

War tatsächlich sogar eine Pistole im Spiel? Oder ist das eine zusätzliche billige Provokation? Von einer Pistole hat jedenfalls weder Opfer Fehr etwas gesagt noch die Polizei.

So oder so: Fehr fürchtete um sein Leben. Im SonntagsBlick sagte er: "Ich dachte nur noch, hoffentlich überlebst du das."

Fehr reicht Strafanzeige ein. Die Polizei hat nach eigenen Angaben bisher "keine konkreten Hinweise auf die Täterschaft."

Fehr-Attacke spaltet die Linksautonomen

Offenbar ist es einem Teil der Linksautonomen nicht mehr ganz geheuer. Die Attacke auf Fehr wird auf Foren zum Teil als als feige und destruktiv kritisiert. Andere fordern die Foren-Moderation dazu auf, die Kommentare mit der Gewaltverherrlichung zu löschen. Weil das der Sache schade.

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Zentralschweiz am Sonntag 23.1.11

Hans Fehr: "Ich reiche Strafanzeige ein"

Thomas Heer und Jürg Auf der Maur

 Nationalrat Hans Fehr will wegen der blutigen Attacke auf ihn Strafanzeige erstatten. Bundesrätin Doris Leuthard fordert die Parteien auf, ihre Leute im Griff zu halten.

 Thomas Heer und Jürg Auf der Maur

 nachrichten@luzernerzeitung.ch

 "Ich bin hart im Nehmen", sagt Hans Fehr. Eines stand für den Zürcher SVP-Politiker gestern dennoch fest: "Ich reiche Strafanzeige gegen unbekannt ein." Fehr wurde am Freitagabend kurz vor seinem Eintreffen an der Albisgüetli-Tagung von Linksautonomen brutal zusammengeschlagen.

 Beispiellos für die Schweiz

 Durch die Fusstritte auf den Brustkasten erlitt Fehr Rippenquetschungen. Dieser brutale Überfall auf Hans Fehr ist im Umfeld der jüngeren Schweizer Polit-Geschichte beispiellos. Der Lausanner Politologe Georg Lutz sagt: "Das ist ein gravierender Vorfall und in aller Form zu verurteilen." Lutz kann sich an kein derartiges Ereignis in der Schweiz erinnern. Schliesslich kommen selbst Bundesrätinnen und Bundesräte die allermeiste Zeit ohne Bodyguards aus. Nicht erstaunlich, dass Hans Fehr nach dem Ereignis bereits über die politischen Konsequenzen nachdenkt. Er spricht von einem totalen Vermummungsverbot und der konsequenten und raschen Auflösung von unbewilligten Demonstrationen durch die Polizei.

 "Parteien haben Verantwortung"

 Bundesrätin Doris Leuthard hat sich gestern gegenüber der "Zentralschweiz am Sonntag" zum Vorfall geäussert. Leuthard appelliert an die Parteien: "Diese haben die Verantwortung für ihre Klientel und müssen für Mässigung sorgen." Denn wenn sich Politiker nicht mässigten, könne die Stimmung in der Bevölkerung rasch umschlagen - mit unkontrollierbaren Folgen.

 Dass Politiker mitunter einiges einstecken müssen, zeigen die Beispiele von Natalie Rickli und Jürg Stahl. Auf die Häuser der Zürcher SVP-Nationalräte wurden kürzlich Farbanschläge verübt. Sogar Bundesräte sind zuweilen Opfer von Attacken. Moritz Leuenberger wurde am 1. Mai 2006 mit Eiern beworfen, Doris Leuthard wurde 2009 von Westschweizer Landwirten mit Stiefeln beworfen.

 Frauen verhinderten Schlimmeres

 Für Hans Fehr hat der Angriff keine bleibenden Folgen. Doch er räumt ein, auch etwas Glück im Unglück gehabt zu haben, da sich sofort einige junge Frauen zwischen die Schläger und den Politiker gestellt hatten. "Ich weiss nicht, was passiert wäre, hätten die Frauen nicht eingegriffen", sagt Fehr.

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Sonntag 23.1.11

Fehr erstattet Strafanzeige

 SVP-Nationalrat wehrt sich, Polizei weist Vorwürfe zurück

 Hans Fehr ergreift juristische Schritte: "Ich werde Anfang Woche Strafanzeige einreichen", sagt der SVP-Nationalrat dem "Sonntag". Eine Strafanzeige gegen mehrere Personen aus dem Kreis der Linksautonomen, die ihn am Freitagabend in Zürich vor der Albisgütli-Tagung verprügelt haben. Körperlich gehe es ihm mit Ausnahme der gequetschten Rippen auf der linken Seite wieder gut. Gestern Samstag jedenfalls nahm er schon wieder an einer Sitzung teil.

 Teilnehmer der Albisgütli-Tagung äusserten Unverständnis, wieso die Polizei die Sicherheit nicht garantieren konnte. Unter den Kritikern war auch SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Die Zürcher Stadtpolizei weist jedoch die Kritik zurück. "Wir haben die Situation nicht unterschätzt: Der Auftrag lautete, dafür zu sorgen, dass die Tagung ungestört stattfinden kann", sagt Kommandant Philipp Hotzenköcherle. "Diesen Auftrag haben wir erfüllt." Anträge für Personenschutz habe die SVP keine gestellt. Für die Bundesräte Micheline Calmy-Rey und Maurer sorgte der Bundessicherheitsdienst. Laut Hotzenköcherle wurden am Freitag sieben Autonome vorübergehend festgenommen. Diese seien wieder auf freiem Fuss und würden vielleicht angeklagt. (fv)

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Telebärn 22.1.11

Berner Politiker zum "Albisgüetli"-Angriff

Der SVP-Politiker Hans Fehr wurde vor der Albisgüetli-Versammlung von Unbekannten angegriffen. Die Berner Politiker André Daguet (SP) und Erich Hess (SVP) erzählen von ihren eigenen Erfahrungen.
http://www.bernerzeitung.ch/region/kanton-bern/Berner-Politiker-zum-AlbisgueetliAngriff/story/20583278

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telem1.ch 22.1.11

Attacke auf SVP-Nationalrat: Reaktionen
http://telem1.ch/de/overlayplayer---0--0--0--T000316085.html

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tagesanzeiger.c 22.1.11
http://www.tagesanzeiger.ch/zuerich/region/Wir-hatten-von-der-SVP-keine-Anfrage-fuer-Personenschutz/story/24695694

"Wir hatten von der SVP keine Anfrage für Personenschutz"

Von Felix Schindler.

Hat die Polizei versagt, als SVP-Nationalrat Hans Fehr gestern von Chaoten verprügelt wurde? Laut der Stadtpolizei Zürich hätte die SVP den Angriff mit einem einzigen Anruf verhindern können.

Nach der Attacke von Chaoten auf Nationalrat Hans Fehr wurde Kritik am Einsatz der Stadtpolizei Zürich laut. "Es ist unverständlich, dass die Polizei die Sicherheit nicht garantieren konnte", sagte etwa SVP-Bundesrat Ueli Maurer gestern Freitagabend. Die Stadtpolizei Zürich lässt diese Kritik nicht gelten. "Wir hatten den Auftrag, die Demonstranten nicht in Richtung Albisgüetli laufen zu lassen. Wir haben die Demonstration sofort aufgelöst und konnten so gewährleisten, dass die Veranstaltung nicht gestört wurde", sagt Polizeisprecher René Ruf.

Dass der Angriff auf den SVP-Nationalrat nicht verhindert werden konnte, hat laut Ruf einen anderen Grund. "Wir hatten von Seiten der SVP keine Anfrage für Personenschutz. Wir haben nicht gewusst, dass sich Herr Fehr einen Weg durch die Chaoten bahnt. Wenn man uns informiert hätte, dann hätten wir ihn begleitet."

Fehr habe zur Stunde noch keine Anzeige eingereicht, weshalb die polizeilichen Abklärungen zur Zeit noch im Hintergrund liefen. "Wir brauchen Herr Fehrs Angaben, bevor wir die Ermittlungen aufnehmen können", sagt Ruf. Ob die Polizei bereits über erste Hinweise verfügt - die Demonstration wurden von zahlreichen Kameras festgehalten - daüber will sich die Polizeisprecher nicht äussern.

(Tagesanzeiger.ch/Newsnetz)

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Attacke spaltet die linksautonome Szene

Auf der linksautonomen Internetplattform Indymedia.org ist gestern kurz vor Mitternacht ein Bekennerschreiben vom "Revolutionären Bündnis Zürich" Störaktion publiziert worden. Der anonyme Autor rechtfertigt die Attacke auf den SVP-Mann.

Der Angriff führt unter den Kommentarschreibern der einschlägigen Internetseite zu einer heftigen Auseinandersetzung. Eine Mehrheit der Personen, von denen die meisten dem linksautonomen Umfeld zuzurechnen sind, kritisiert die Attacke als feige und destruktiv.

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blick.ch 22.1.11

Verprügelter SVP-Fehr: "Eine nackte, dumpfe Gewalt"

ZÜRICH - SVP-Nationalrat Hans Fehr wird bei der Albisgüetlitagung von Vermummten zu Boden geschlagen. Mit Blick.ch spricht er am Morgen danach über den Vorfall.

 Von Roman Neumann

An der gestrigen Albisgüetli-Tagung kommts zu den erwarteten Scharmützeln mit Linksautonomen. Sie versuchen, die SVP-Tagung zu stören, werden aber von der Polizei aufgehalten.

Dann passiert es: SVP-Nationalrat Hans Fehr will zum Schützenhaus, läuft mit anderen am Trottoir an den Vermummten vorbei - als sich plötzlich mehrere auf ihn stürzen und auf ihn einschlagen.

"Man fühlt sich in so einem Moment einfach völlig hilflos", sagt Hans Fehr heute Morgen zu Blick.ch. "Diese nackte, dumpfe Gewalt, die da aus dem Dunkeln auf einen einstürzt - ich hatte Todesangst." Er habe bloss versucht, die Schläge einigermassen abzuwehren.

Weitere Attacke danach

Nachdem sich drei Frauen - aus den linksautonomen Kreisen - schützend vor ihn stellten, liessen die Schläger von ihm ab. "Ein Mann zog mich von den Leuten weg, sagte, ‹Chömed Sie, chömed Sie›, ich dachte, er wollte mir helfen - da habe ich plötzlich noch eine verpasst gekriegt", so Fehr. Ob von ihm, oder von einem anderen, wisse er nicht.

"Zum Glück hatte ich einen dicken Mantel an, aber im Spital nach dem Röntgen haben sie eine Rippenquetschung festgestellt." Er habe derzeit Mühe mit Atmen, so Fehr. Er werde in den nächsten Tagen Strafanzeige gegen die Schläger einreichen. Das habe ihm die Polizei auch geraten, so Fehr. René Ruf von der Stadtpolizei Zürich zu Blick.ch: "Wir haben sieben Personen im Nachgang festgenommen, ihre Personalien aufgenommen und weggewiesen." Ob sie jedoch an der Schlägerei beteiligt waren, sei unklar.

Hans Fehr schockt vor allem, dass sich die Gewalt plötzlich gegen Personen richtet. "Wenn die Container anzünden, ist das zwar auch nicht tolerierbar, aber niemand wird verletzt - aber dass sich die Gewalt gegen Menschen richtet?" Dies müsse der Staat mit aller Kraft unterbinden, so Fehr. Es zeige auch, dass ein absolutes Vermummungsverbot nötig sei. Seine gestrige Aussage, dass er abgedrückt hätte, wenn er eine Waffe dabei gehabt hätte, sei durch Schock entstanden. Er habe sich im ersten Moment völlig hilflos gefühlt.

Spott und Kritik

Auf der Internetseite "indymedia.org" brüstet sich das "Revolutionäre Bündnis Zürich" mit der Attacke gegen Fehr: "Zwischendurch verirrte sich der SVP-Politiker Hans Fehr auf die falsche Seite der Barrikaden und erhielt eine Abreibung."

Die Begründung für die "Abreibung": "Auf seiner Seite der Barrikaden steht der rechte Hardliner Fehr an vorderster Front bei der Durchsetzung von immenser Gewalt von oben gegen unten."

Nur: Nicht alle innerhalb der linksautonomen Kreise tolerieren die Aktion. Einer schreibt: "Wenn es das höchste der Gefühle ist, zu fünft einen 60-jährigen Mann zu verprügeln, dann weiss ich auch nicht." Und ein anderer meint: "Die SVP und Hans Fehr bedanken sich vielmal für die Gratispropaganda die ihr ihnen geliefert habt."

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Fäkalien und Sprengsätze: Die schlimmsten Angriffe auf Schweizer Politiker

ZÜRICH - Der tätliche Angriff gegen Nationalrat Hans Fehr (SVP) ist nicht die einzige Attacke gegen Politiker. In den letzten Jahren wurde immer wieder zugeschlagen - doch bis gestern floss nie Blut.

 Von Roman Neumann

SVP-Nationalrat Hans Fehr trägt eine Rippen-Prellung und eine Rissquetschwunde auf der Stirn vom gestrigen Angriff davon. Obwohl die Täter noch auf den am Boden liegenden Mann einschlugen, ging der Angriff relativ glimpflich aus. Hans Fehr ist jedoch nicht der erste Politiker, der nicht nur mit Worten angegriffen wurde.

So traf es Bundesrat Ueli Maurer im Jahr 1999 gleich mehrmals, damals noch in seiner Funktion als SVP-Präsident. Vandalen verschmierten sein Haus in Wernetshausen ZH, verwüsteten seinen Garten und füllten seinen Briefkasten mit menschlichen Fäkalien.

Kurz zuvor schlitzten unbekannte Täter auch die Reifen seines Autos auf. Körperlich am Härstesten traf es Maurer an einer Wahlkampfveranstaltung im September 1999. Ein junger Mann warf ihm eine mit Sand gefüllte Torte ins Gesicht - Maurer musste später erbrechen, litt sichtlich unter der Attacke.

Sprengstoff im Haus...

Es trifft jedoch nicht nur SVP-Politiker. Schlimmer waren die Anschläge von 1984: Die Täter legten der damaligen Regierungsrätin Hedi Lang (SP) durch ein offenes Parterrefenster Sprengstoff ins Haus. Und im selben Jahre explodierte vor dem Haus des damaligen Justizministers Rudolf Friedrich (FDP) ein Sprengsatz.

Zunder barg auch das Jahr 2007. Die Wohnung der SP-Nationalrätin Chantal Galladé wurde mit Farbe verschmiert. SVP-Politiker brauchten ebenfalls eine dicke Haut: Vier bis fünf Vermummte griffen einen Stand an, an dem Ulrich Schlüer und Natalie Rickli standen. Die Politiker wurden mit Eiern und Hundefutter beworfen.

...versprayte Häuser

Sprayereien gegen Politiker-Häuser gibt es immer wieder. So besprayten Unbekannte Ende Februar 2008 das Haus der damaligen Zürcher Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP). Im darauffolgenden Juli kam das Haus des damaligen Zürcher Stadtpräsidenten Elmar Ledergerber (SP) dran.

SVP-Frau Natalie Rickli traf es ein weiteres Mal Ende Dezember 2010. Ihr Haus wurde mit kübelweise Farbe verschmiert.

Alle diese Politiker kamen unverletzt davon. Hans Fehr zeigt sich gegenüber Blick.ch entsetzt: "Das ist eine neue Ebene der Gewalt." Dass die Scheu vor tätlichen Angriffen gegen Politiker gewichen sei, müsse man "im Keim ersticken."

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tagesazeiger.ch 22.1.11

"Ich fühlte mich völlig hilflos"

Felix Schindler

 In der Nacht auf heute wurde SVP-Nationalrat Hans Fehr von Chaoten attackiert. Im Interview sagt er, wie es ihm heute geht - und wie er die Situation erlebt hat.

 Sie wurden gestern von Chaoten niedergeschlagen. Wie geht es Ihnen heute? Ich bin zuhause, es geht mir den Umständen entsprechend gut. Ich habe Atembeschwerden, weil ein paar Rippen geprellt sind. Das wird ein paar Wochen dauern. Ausserdem habe ich ein paar Blutergüsse und eine kleine Platzwunde auf der Nasenwurzel.

 Das ist die medizinische Seite. Was geht in Ihrem Inneren vor? Ich habe eine dicke Haut. Ich leide nicht unter dem, was passiert ist. Aber ich stelle fest, dass das eine neue Stufe der Gewalt aus diesen Kreisen ist. Früher sind die Chaoten mit dumpfer Gewalt gegen Sachen vorgegangen. Dass man heute auch Personen angreift, das ist eine neue Dimension. Das ist nicht tolerierbar, der Staat muss das sofort unterbinden.

 Sie gelten als Provokateur in der Politik. Glauben Sie, dass sich die Attacke gezielt gegen Sie gerichtet hat? Ich glaube nicht. Ich nehme an, das richtete sich gegen Exponenten der SVP.

 Was haben Sie eigentlich bei den Chaoten gewollt? Es war ja bekannt, dass es vor dem Albisgüetli zu Störaktionen kommen wird. Ich habe mein Auto in der Nähe des Strassenverkehrsamts geparkt und wollte zu Fuss bis zum Albisgüetli. Ich habe nicht erwartet, dass das zum Problem werden könnte. Die Polizei war nicht weit, andere Leute gingen auch dort entlang. Ich war schon fast an den Autonomen vorbei, als ich jemanden rufen hörte: "Da kommt der Fehr."

 Wie hat die Auseinandersetzung angefangen? Es gingen drei oder vier Leute völlig unvermittelt auf mich los. Sie haben einfach auf mich eingeschlagen, mit Fäusten und Füssen. Dass ich mich befreien konnte, habe ich nicht zuletzt einigen jungen Frauen zu verdanken, die interveniert haben. Sie gehörten auch zu den Leuten, haben die Schläger aber angeschrien und gesagt, sie sollten aufhören.

 Sie werden in den Medien mit der Aussage zitiert, Sie hätten geschossen, wenn Sie eine Waffe gehabt hätten. Damit begeben Sie sich auf dünnes Eis. Ich bin nicht sicher, ob ich das gestern so gesagt habe. Ich war in Todesangst und fühlte mich völlig hilflos. Ich hätte gewünscht, ich hätte mich irgendwie verteidigen können.

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sf.tv 22.1.11

Bedrohte Politiker: Hasstiraden, Sprengsätze, Attacken

sf/fref

 SVP-Nationalrat Hans Fehr (ZH) ist vor der Albisgüetli-Tagung von Demonstranten angegriffen worden. Solch erhebliche Attacken sind selten. Die Zahl von Drohungen gegen Beamte hingegen nimmt zu, wie ein Blick in die Kriminalstatistik zeigt. Neue Medien wie Email oder Facebook begünstigen diese Entwicklung.

 Die Attacke auf Fehr in Zürich ist trauriger Höhepunkt von sich häufenden Angriffen auf Schweizer Politiker. Andere Fälle verliefen entweder glimpflich, oder es handelte sich um verbale Attacken oder Angriffe auf Eigentum von Politikern.

 Karin Keller-Sutter bestätigt diesen Trend: Exekutivpolitiker, die Entscheide fällen müssen, seien stärker betroffen. Die Vizepräsidentin der Justiz- und Polizeidirektorenkonferenz meint gegenüber "tagesschau.sf.tv", dass die neuen Medien wie Blogs, soziale Netzwerke (z.B. Facebook) oder Email Hassattacken begünstigen würden.

 Emotionale Themen führen zu heftigen Reaktionen

 Besondere Häufungen gibt es anscheinend im Rahmen von kontrovers diskutierten Themen wie den letzten Initiativen um Ausländer, Minarette - oder demnächst: Waffenbesitz. CVP-Nationalrätin Barbara Schmid-Federer begründete dies jüngst im "Aargauer Tagblatt" mit dem Emotionsgehalt dieser Vorlagen.

 Es sei logisch, dass solche Initiativen die "Emotionen zusätzlich schüren" und darum die Reaktionen heftiger Ausfallen würden. Zudem würden die neuen Medien die Hemmschwelle herunter setzen, glaubt auch Schmid-Federer: "Wenn man hinter dem Computer sitzt, ist man anonymer und getraut sich mehr."

 Chronologie von Attacken auf Schweizer Politiker

 21. Januar 2011: Linksautonome Protestanten greifen SVP-Nationalrat Hans Fehr (ZH) an. Fehr stürzt und verletzt sich am Kopf.

 23. Oktober 2010: Bauern bewerfen Bundesrätin Doris Leuthard an einer Veranstaltung im Jura mit Stiefeln. Sie bleibt unverletzt, muss aber ihre Rede abbrechen.

 25. März 2010: CVP-Nationalrat Jakob Büchler (SG), SVP-Ständerat Hannes Germann (SH) und FDP-Nationalrat Christian Lüscher (GE) werden per Email nach Ablehnung der Tierschutzanwalt-Initiative aufs Übelste beschimpft.

 April 2008: Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf (BDP) sagt ihre Teilnahme am Zürcher Sechseläuten ab, weil sie ernsthafte Todesdrohungen erhalten hatte.

 6. Oktober 2007: Mehrere hundert Chaoten stören eine SVP-Wahlkundgebung in Bern massiv; der Umzug muss Umwege nehmen; Alt Bundesrat Blocher und seine Frau müssen während längerer Zeit von Bodyguards abgeschirmt abwarten.

 1. August 2007: Unmittelbar nach der Rütli-Feier mit Bundesrätin Micheline Calmy-Rey detoniert ein Sprengsatz. Es handelt sich um einen Feuerwerkskörper, der in 20 Zentimeter Tiefe vergraben war und mit einem Zeitzünder ausgelöst wurde.

 1. Mai 2006: Bundesrat Moritz Leuenberger muss von Bodyguards vom Redner-Pult an einer Zürcher Kundgebung zum Tag der Arbeit weggebracht werden. 200 vermummte Linksautonome stören den Anlass mit Lärm und Feuerwerk.

 1. August 2005: Ca. 700 Rechtsextreme schreien Bundespräsidenten Samuel Schmid (damals SVP) auf dem Rütli zum Teil mit persönlichen Beleidigungen nieder.

 April 2004: Bundesrat Pascal Couchepin wird vor einem Treffen mit der Tessiner Handelskammer von 200 erbosten Malern und Gipsern abgefangen, beschimpft und mit Bier übergossen.

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sf.tv 22.1.11

"Wir sind hier, um mit Worten zu kämpfen, nicht mit Fäusten"

 Wüste Attacke auf SVP-Nationalrat Hans Fehr, Tränengas und sieben Festnahmen - Die gestrige Albisgüetli-Tagung stand unter keinem guten Stern. Bundesrätin und Gastrednerin Micheline Calmy-Rey kritisierte die Attacke auf Hans Fehr scharf.

agenturen/widb

 "So geht es nicht!", empörte sich Micheline Calmy-Rey in ihrer Rede. Die Bundespräsidentin hatte soeben erfahren, dass Nationalrat Hans Fehr auf der Strasse zusammengeschlagen worden ist. "Wir sind hier, um mit Worten zu kämpfen, nicht mit den Fäusten", so Calmy-Rey. Die Bemerkung wurde vom SVP-Publikum mit grossem Applaus bedacht.

 Rissquetschwunde am Kopf

 Gemäss Polizeiangaben war Fehr zu Fuss in Richtung Albisgüetli unterwegs, als ihn mehrere Personen erkannten, angriffen und mit Faustschlägen sowie Fusstritten traktierten. Fehr zog sich eine Rissquetschwunde am Kopf und Prellungen zu. Er liess sich nach dem Zwischenfall im Spital Triemli untersuchen.

 Er habe Schmerzen in der Brust und könne nur schlecht atmen, klagte der SVP-Nationalrat. Zudem dröhne ihm der Schädel. "Aber ich lasse mich nicht unterkriegen", sagte Fehr und forderte ein energisches Durchgreifen gegen die Gewalt. Die Gewalttäter müssten zur Rechenschaft gezogen werden.

 Die Linksautonomen hatten im Vorfeld der Albisgüetlitagung im Internet zu einer Gegendemonstration aufgerufen. Rund 100 Demonstranten folgten dem Aufruf und versammelten sich gegen 18.40 Uhr der Nähe des Albisgüetlis und blockierten den Tram- und Busbetrieb.

 Wie die Polizei mitteilte, habe sie die Chaoten mehrmals aufgefordert, die unbewilligte Kundgebung aufzulösen und die Örtlichkeiten für den privaten sowie den öffentlichen Verkehr freizugeben. Nachdem eine Frist abgelaufen war, löste die Polizei die Versammlung mit Tränengas auf.

 Sieben Personen festgenommen

 Die Polizisten wurden daraufhin massiv mit Steinen, Flaschen und anderen Gegenständen beworfen. Ihr gelang es, die Linksautonomen mittels Gummischrot von der Albisgüetli-Tagung fern zu halten. Die Demonstrationsteilnehmer zogen sich zurück, errichteten aber auf der Uetlibergstrasse Barrikaden und steckten Container in Brand.

 Die Situation beruhigte sich gegen 21 Uhr. Der Sachschaden ist laut Polizei noch nicht bezifferbar. Die Stadtpolizei Zürich nahm sieben Personen vorläufig fest.

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Tagesanzeiger 22.1.11

Calmy-Rey verurteilt Prügelattacke auf SVP-Mann Hans Fehr

 Linke Chaoten schlugen den SVP-Nationalrat derart zusammen, dass er ins Spital musste.

 Von Iwan Städler und Mario Stäuble

 Vor der gestrigen Albisgüetli-Tagung ist es zu einem Zwischenfall gekommen. Linksautonome haben SVP-Nationalrat Hans Fehr auf dem Weg ins Schützenhaus zusammengeschlagen. Die Chaoten waren eigentlich bereits auf dem Rückzug, nachdem die Polizei mit Tränengas gegen sie vorgegangen war. Dann aber erkannten sie Hans Fehr, der die letzte Strecke bis zum Schützenhaus zu Fuss gehen wollte.

 "Sie schlugen mich nieder und traktierten mich mit Fusstritten", sagte Fehr nur wenige Augenblicke nach dem Angriff. Der SVP-Mann war sichtlich schockiert: "Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, hätte ich geschossen." Hans Fehr wurde nach der Attacke zur Versorgung einer Platzwunde an der Stirn ins Spital gebracht.

 Im Schützenhaus Albisgüetli äusserten die anwesenden SVP-Politiker ihren Unmut: "Es ist unverständlich, dass die Polizei die Sicherheit nicht garantieren konnte", sagte etwa SVP-Bundesrat Ueli Maurer. Auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey kritisierte die Attacke zu Beginn ihrer Ansprache vor den SVP-Anhängern harsch: "Wir sind hier, um mit Worten zu kämpfen, nicht mit Fäusten." Die Bemerkung wurde mit grossem Applaus quittiert.

 Vor Calmy-Rey hatte Christoph Blocher rund eine Stunde lang zu seinen Anhängern gesprochen und die Albisgüetli-Tagung als grösste Schweizer Veranstaltung bezeichnet, bei der die Kunst der Rede und Gegenrede hochgehalten werde. Das habe bald Seltenheitswert. Jetzt wolle nämlich auch das Schweizer Fernsehen unter "Euro-Turbo, Demokratiefeind und SVP-Hasser" Roger de Weck keine konfrontativen Diskussionen mehr.

 Nebst der SRG nahm Blocher auch die Nationalbank ins Visier und verglich deren Verlust mit den einstigen Verlusten der UBS. Bei Letzterer habe man durchgegriffen und Marcel Ospel sowie Peter Kurer abgesetzt. Bei der Nationalbank stünden die personellen Konsequenzen aber noch aus. Diese wolle die SVP nun einfordern. Blocher wirft den Schweizer Nationalbankern "Grössenwahn" vor. Nachdem sie die Bankenkrise gut gemeistert hätten, sei es ihnen in den Kopf gestiegen. Der SVP-Chefstratege will sie nun disziplinieren und ihre Entscheidungsfreiheit einschränken. -Seite 21

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Ausschreitungen

 Sieben Autonome verhaftet

 Von Mario Stäuble

 Zürich - Linksautonome Gruppen hatten angekündigt, die Albisgüetli-Tagung zu stören. Gegen 18.30 Uhr kam es zur Konfrontation zwischen Linksradikalen und einem Grossaufgebot der Stadtpolizei. Die Demonstranten besammelten sich bei der Tramhaltestelle Strassenverkehrsamt. Sie reagierten mit Schimpftiraden auf die Aufforderung, das Gebiet zu verlassen und bewarfen die Polizei mit Steinen und Flaschen. Diese rückte unter Einsatz von Tränengas und Gummischrot vor. Die knapp 100 Autonomen wichen zurück und errichteten Barrikaden aus angezündeten Containern.

 Auf dem Rückzug traf eine Gruppe Autonomer auf Nationalrat Hans Fehr, der zu Fuss auf dem Weg an die Tagung war. Der SVP-Mann wurde sogleich angegriffen: "Sie schlugen mich nieder und traktierten mich mit Fusstritten", sagte Fehr nach dem Angriff sichtlich geschockt. "Ich weiss nicht, ob sie Gegenstände benutzten. Ein paar junge Frauen von ihnen haben schliesslich Aufhören! geschrien." Immer noch um Fassung ringend ergänzte er: "Wenn ich eine Waffe gehabt hätte, hätte ich geschossen." An der Stirn erlitt Fehr eine Platzwunde. Das Angebot der Polizei, die Sanität aufzubieten, lehnte er ab; er wolle hoch ins Schützenhaus. Später brachte man ihn dennoch ins Spital.

 Die Autonomen wurden unterdessen von der Polizei zurückgedrängt. Sie errichteten Strassensperren. Bei der Tramhaltestelle Uetlihof schlugen sie Scheiben ein und beschädigten sie ein ziviles Polizei-Auto. Um 21 Uhr beruhigte sich die Lage. Die Höhe des Sachschadens war gestern Nacht noch unbekannt, die Polizei verhaftete sieben Personen.

 Nachdem Micheline Calmy-Rey den Angriff auf Hans Fehr kommuniziert hatte, war die Attacke im Saal Tischgespräch. "Das sind für mich keine Autonomen, sondern Kriminelle", sagte Bundesrat Ueli Maurer. "Es ist unverständlich, dass die Polizei keine Sicherheit garantieren konnte." Der Angegriffene selbst liess über OK-Präsidentin Barbara Steinemann ausrichten, es gehe ihm den Umständen entsprechend gut. Er werde aber nicht ans Fest zurückkehren.

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NZZ 22.1.11

Nationalrat Hans Fehr tätlich angegriffen

 -yr. · Auf dem Weg ins Schützenhaus Albisgütli ist SVP-Nationalrat Hans Fehr am Freitagabend von mehreren Demonstranten niedergerissen und geschlagen worden. Fehr erlitt eine blutende Schramme an der Stirn und Schürfwunden an den Händen. Unmittelbar nach dem Angriff schilderte der sichtlich erschütterte Fehr gegenüber der NZZ den Vorfall. Er sei verspätet gewesen und mit seinem Fahrzeug auf der Üetlibergstrasse in eine mit Bauabschrankungen und brennenden Containern errichtete Strassenblockade geraten. Deshalb habe er das Auto in einer Seitenstrasse parkiert und habe zu Fuss ins Albisgütli gehen wollen. Als er, wie andere Passanten auch, auf dem Trottoir an den Demonstranten habe vorbeigehen wollen, sei er offenbar erkannt und von mehreren Personen niedergerissen worden. Am Boden liegend, sei er mit Fäusten, Stiefeln und einem unbekannten Gegenstand geschlagen worden. Erst als einige Frauen riefen, man solle aufhören, habe er flüchten können. Noch ausser Atem sagte Fehr in der ersten Aufregung, er hätte geschossen, wenn er eine Waffe bei sich gehabt hätte. Die Gewalttäter gehörten zu einer Gruppe von etwa hundert Demonstranten, die einem Aufruf von autonomen Kreisen gefolgt waren. "Ganz fest gegen die rassistische Hetze" hiess es auf einem Flyer. Gegen 18 Uhr 30 blockierten die Demonstranten mit einem gemieteten Transportauto die Tramhaltestelle Strassenverkehrsamt. In der Folge drängte die Polizei die Demonstranten mit dem Einsatz von Reizgas und Gummischrot in Richtung Brunaupark zurück. Unterwegs kam es zu verschiedenen Sachbeschädigungen. Gegen 19 Uhr 15 löste sich die Demonstration auf.

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Indymedia 21.1.11

Pressecommuniquée zur Störaktion gegen die Albisgüetlitagung ::

AutorIn : Süneliuntergang         

Etwa 150 Leute haben heute vor dem Albisgüetli, während die Rechtspopulisten sich drinnen ausgiebig beweihräuchert haben, einigen Trubel veranstaltet.     

Während heute Abend die Rechtspopulisten von der SVP im Albisgüetli ihre Selbstbestätigungsrituale durchführten, besammelten sich beim Strassenverkehrsamt ca. 150 Menschen, um gegen die unerträgliche rechte Hetze dieser Partei zu demonstrieren. Geplant waren Konzerte und Reden. Kaum wurde jedoch Musik eingespielt, griff die Polizei die Demonstration mit Tränengas und Gummischrot an. Die DemonstrantInnen setzten sich gegen den Angriff mit Barrikaden zur Wehr. Zwischendurch verirrte sich der SVP-Politiker Hans Fehr auf die falsche Seite der Barrikaden und erhielt eine Abreibung. Dazu gibt es nur eines zu sagen: Auf seiner Seite der Barrikaden steht der rechte Hardliner Fehr an vorderster Front bei der Durchsetzung von immenser Gewalt von oben gegen unten.

Die SVP betreibt Klassenpolitik von oben. Soviel die SVP auch schwafeln mag von "direkter Demokratie" oder dem "Schweizer Volk", sie betreibt offensichtlich vor allem eines: die Politik der Mächtigen. Die meisten ihrer Funktionäre sind stinkreich, sie macht Steuerpolitik für Reiche, und sie peitscht rigorose Sparprogramme durch auf Kosten der Unterklassen. Auch ihre ideologischen Vorstösse, beispielsweise die aufwendigen rassistischen Hetzkampagnen, sind Klassenpolitik von oben: Abstruse konservative "Werte", Leistungsmoral, nationale Identität und vor allem die Feindseligkeit gegen MigrantInnen, SozialhilfeempfängerInnen und MuslimInnen; all dies bildet den idealen Soundtrack zu den aktuellen ökonomischen Verschärfungen. Wenn die Jobs immer prekärer werden und der Stress auf dem Arbeitsmarkt immer unerträglicher, wenn die sozialen Sicherheitssysteme zur minimalen Armutsverwaltung zusammengestaucht werden, dann kommt die Auffassung, die "Ausländer" und "Sozialschmarotzer" seinen das Problem, den herrschenden Klassen ganz wunderbar gelegen.

Unsere Aktion konnte den Politgottesdienst der Rechtspopulisten empfindlich stören. Runter mit den Schweizerfahnen, sie verstellen nur den Blick auf die sozialen Verhältnisse. Die Störaktion heute war ein entschlossenes Zeichen gegen die unsägliche Hetze der SVP. Die Funktionseliten und Propagandisten des Kapitals haben mit unserem Widerstand zu rechnen, beim Albisgüetli, am WEF und überall.

Zürich, 21. Januar 2011,
Revolutionäres Bündnis Zürich.

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10vor10 21.1.11

Calmy-Rey an Albisgüetli-Tagung

An der Albisgüetli-Tagung in Zürich kam es heute Abend zu einem demokratischen Schlagabtausch zwischen SVP-Vordenker Christoph Bocher und der von der SVP vielgescholtenen Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey.
http://videoportal.sf.tv/video?id=f7eb8cc0-5dc1-4a84-930e-fcb3ebb95f8d

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Tagesschau 21.1.11

Calmy-Rey an Albisgüetli-Tagung

SP-Bundespräsidentin Michéline Calmy-Rey hat die Einladung für die sogenannte Albisgüetli-Tagung angenommen. Der Anlass wird von Christoph Blocher und der SVP organisiert. Einschätzungen von SF-Korrespondent Jonas Projer in Zürich.
http://videoportal.sf.tv/video?id=7135d435-c99e-4d3c-beb4-20ff418b4a0e

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Schweiz Aktuell 21.1.11

Unruhen am Albisgüetli

In Zürich findet heute die jährliche Albisgüetli-Tagung der kantonalen SVP statt. Eingeladen ist auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey. Im Vorfeld der Veranstaltung kam es zu gewalttätigen Auseinandersetzungen mit der Polizei.
http://videoportal.sf.tv/video?id=00469829-f2f5-43dc-ab12-75a23ff3f955

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sf.tv 21.1.11

Hans Fehr von Anti-SVP-Demonstranten verprügelt

tscj

 Vor der traditionellen Albisgüetli-Tagung der SVP in Zürich ist es zu einem Angriff auf SVP-Nationalrat Hans Fehr gekommen. Dabei haben vermummte Demonstranten auf Fehr eingeschlagen - und zwar solange, bis sich einige junge Frauen schützend vor den 64-Jährigen stellten. Fehr trug mindestens eine sichtbare Wunde an der Stirn davon.

 "Ich habe so etwas noch nie erlebt", sagte ein sichtlich aufgewühlter Hans Fehr nach dem Angriff gegenüber der "Tagesschau". Er sei auf dem Trottoir Richtung Albisgüetli gegangen, als er von einer Gruppe Demonstranten erkannt wurde. Die "lockere, schwarze Horde", so Fehr, habe sich darauf auf ihn gestürzt und ihn in den Kopf und den Nacken geschlagen. Und als er am Boden lag, hätten sie ihn "mit Schuhen traktiert".

Fehr kamen nach eigenen Angaben schliesslich drei junge Frauen zu Hilfe - "wahrscheinlich aus diesem Clan" - die "eine Art Cordon" um ihn bildeten. Fehr konnte darauf wegrennen, wobei ihm die unbekannten Schläger nachrannten und weiter auf ihn einschlugen.

 Welche Verletzungen Fehr dabei erlitt, ist noch unklar. Äusserlich war auf seiner Stirn ein Blutfleck zu sehen. Fehr klagte zudem über Atemprobleme und Schmerzen in der Rippengegend. Er liess sich nach dem Zwischenfall im Spital Triemli untersuchen, wie Yves Gadient, Sekretär der SVP Kanton Zürich, sagte.

 Die Tat ereignete sich unterhalb des Albisgüetli, wo eine ganze Reihe Polizisten zugegen waren.

 Angekündigte Demonstrationen

 Im Vorfeld der diesjährigen Albisgüetli-Tagung der SVP hatten Linksautonome angekündigt, das Treffen zu stören. Ein Flyer, der auch im Internet kursierte, zeigte eine Gruppe schwarzer Schafe, die mit hämischen Grinsen das SVP-Maskottchen Zottel über dem Feuer rösten.

 Wegen einer unbewilligten Demonstration, die gegen 18 Uhr vor dem Zürcher Strassenverkehrsamt begann, war die Polizei in diesem Jahr mit einem grösseren Aufgebot vor Ort. Sie setzte Tränengas ein, um die Demonstranten vom Albisgüetli fernzuhalten. Die Demonstranten warfen mit Steinen und setzten Container in Brand.

 Im Schützenhaus Albisgüetli - einem Lokal am Stadtrand Zürichs - treffen sich seit 1989 jeden Januar Mitglieder und Sympathisanten der Zürcher SVP samt Parteigrössen aus der ganzen Schweiz zur Albisgüetli-Tagung. Diese hat längst Traditionscharakter. In diesem Jahr werden bis zu 1500 Teilnehmer erwartet.

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tagesanzeiger.ch 21.1.11

Linksautonome nehmen Tramhaltestelle in Beschlag

mrs

 Linksautonome haben angekündigt, die Albisgüetli-Tagung der SVP zu stören. Die Polizei ist mit einem grösseren Aufgebot vor Ort.

 Zurzeit stehen rund 50 Demonstranten bei der Tramhaltestelle unterhalb des Tagungszentrums. Bis zum Treffen der SVP kommen sie aber zurzeit nicht. Zwischen den Linksaktivisten und dem Albisgüetli postieren sich Polizisten mit Schlagstöcken und Schutzschildern.

 Im Internet riefen Linksautonome zu einer Gegendemo zur Albisgüetli-Tagung auf. Ein Flyer der Initianten zeigt eine blutige Attacke von schwarzen Schafen, die das SVP-Maskottchen Zottel vorknüpfen.

 "Fest gegen rassistische Hetze"

 Ein "Fest gegen die rassistische Hetze" mit dem "etwas Lärm" veranstaltet werden soll, haben die Aktivisten angekündigt. Um 18 Uhr Abends trafen die ersten Demonstranten ein. Die Polizei ist mit einem Grossaufgebot vor Ort und fängt die Aktivisten ab, sobald sie aus dem Tram steigen.

 Nach einer kurzen Durchsuchung verteilen sich die Demonstranten in alle Himmelsrichtungen. Was sie genau planen, kann zurzeit noch nicht gesagt werden. Die Stimmung ist angespannt aber friedlich.

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Blick am Abend 21.1.11

Linke "Schäfchen" wollen heute Zottel grillieren

 DEMO-PARTY

 Im Albisgüetli herrscht heute Abend Trubel - die Stadtpolizei ist alarmiert.

 andrea.schmits@ringier.ch

 Unter dem Motto "Ganz Fest gegen die Albisgüetli-Tagung" findet heute Abend eine Gegenveranstaltung zum jährlichen SVP-Parteitag auf dem Albisgüetli statt. "Wir werden da hinaufgehen und etwas Lärm veranstalten", schreiben die Veranstalter vom linken "Aufbau". Die Gefolgsleute des "Aufbaus" treten jeweils auch am 1. Mai auf, sind fast immer vermummt und nicht wenige von ihnen sind hemmungslos gewaltbereit. "Die Albisgüetli-Tagung ist die wichtigste Zeremonie der rechtspopulistischen Partei. Auch SVP-Obermufti Christoph Blocher wird da sein", schreiben die Links-Extremisten.

 Das Flugblatt zur Veranstaltung bedient sich an den Kampagnen-Motiven der SVP. Es zeigt eine Herde schwarzer Schafe, die mit blutunterlaufenen, bösen Augen - über dem Feuer eine Kuh grillieren. Dahinter liegt die SVP-Sonne im Sterben.

 SVP-Parteisekretär Yves Gadient möchte zu dem Flugblatt und den politischen Anschuldigungen keine Stellung nehmen. Für die Sicherheit der Gäste am SVP-Parteitag auf dem Albisgüetli sei aber gesorgt. "Innen ist eine private Sicherheitsfirma im Einsatz. Diese kontrolliert nach dem Rauchanschlag vor zwei Jahren zum Beispiel auch den Lüftungsschacht", so Gadient. "Ausserdem schaut die Polizei, dass niemand, der nicht eingeladen ist, den privaten Grund um das Schützenhaus betritt."

 Auf dem öffentlichen Grund beim Strassenverkehrsamt, wo die Gegenveranstaltung der Linken stattfinden soll, ist ebenfalls die Polizei im Einsatz. "Wir werden vor Ort sein und wenn nötig Massnahmen treffen", sagt Stapo-Sprecherin Judith Hödl. "Wichtig ist, dass der Parteitag der SVP störungsfrei über die Bühne gehen kann. Der Schutz der über 1000 Besucher der Veranstaltung steht an erster Stelle."

 Und wohl auch der der Gäste: Neben der Prominenz der Volkspartei nimmt auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey an der Albisgüetli-Tagung teil. Die Genferin wird von der Polizei speziell bewacht.

 Die Besorgnis rund um die geplante Aktion der Links-Extremen ist begründet: Der "Aufbau" rief auf seiner Seite zum Angriff aufs WEF auf und in der Nacht auf gestern gab es mehrere Farbanschläge, unter anderem auf die "Weltwoche" und den "Club zum Rennweg".

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tagesanzeiger.ch 21.1.11

Polizei rüstet sich für Albisgüetli-Gegendemo

cal/alb

 Linksautonome haben angekündigt, die Albisgüetli-Tagung der SVP zu stören. Die Polizei ist mit einem grösseren Aufgebot als üblich vor Ort.

 Der Flyer zeigt eine Herde angriffslustiger schwarzer Schafe, die einen weissen Artgenossen über dem Feuer rösten. Ein "Fest gegen die rassistische Hetze" haben Linksautonome angekündigt, mit dem "etwas Lärm" veranstaltet werden soll.

 Wie üblich haben die Veranstalter keine Bewilligung für die Demonstration eingeholt. Die Störaktion, die um 18 Uhr vor dem Strassenverkehrsamt beginnen soll, steht unter Beobachtung der Polizei. "Ziel ist es, dass die Albisgüetli-Tagung störungsfrei über die Bühne gehen kann", sagt Stapo-Sprecherin Judith Hödl. Zum Aufgebot kann die Polizei keine genauen Auskünfte geben. Laut Yves Gadient, Parteisekretär der Zürcher SVP, wird die Polizei aber stärker als in den Vorjahren präsent sein.

 Lüftung ist gesichert

 Damit die 1500 Teilnehmer ungestört bleiben, hat die SVP wie schon in den Vorjahren einen privaten Sicherheitsdienst angeheuert. "Weil das Albisgüetli auf privatem Grund mit Umschwung steht, können wir die Sicherheit für unsere Gäste garantieren", sagt Gadient. Demonstrierende, die sich auf den privaten Grund des Albisgüetli bewegen, werden von der Polizei weggewiesen.

 Die besondere Aufmerksamkeit der Ordnungshüter gilt der Belüftungsanlage im Schützenhaus Albisgüetli. Vor drei Jahren hatten Chaoten eine Rauchpetarde in einen Lüftungsschacht geworfen. Während der Rede von Christoph Blocher breitete sich auf der Bühne beissender Rauch aus, im Saal gingen die Lichter aus. Nun ist die Lüftung gesichert, erklärt Gadient. Ansonsten gibt es keine Anpassungen beim internen Sicherheitskonzept.

 Die Albisgüetli-Tagung, laut den Veranstaltern der grösste politische Anlass der Schweiz, beginnt um 19 Uhr. Nach Christoph Blocher wird Bundespräsidentin Calmy-Rey das Wort ergreifen. Tagesanzeiger.ch/Newsnetz berichtet heute Abend ab 18 Uhr live aus dem Schützenhaus Albisgüetli. Das Reporter-Team liefert zudem laufend Stimmen, Bilder und führt Video-Interviews mit prominenten Gästen. Gegen 21 Uhr folgt eine Zusammenfassung.

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20 Minuten 21.1.11

Calmy-Rey: Besuch bei der Zürcher SVP

 ZÜRICH. Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey (SP) wagt sich heute in die Höhle des Löwen: Sie spricht an der traditionellen Albisgüetli-Tagung der Zürcher SVP. Möglicherweise wird ihre Ansprache von linker Seite gestört: Autonome haben im Internet dazu aufgerufen, die Tagung von aussen mit Konzerten, Reden und einer Disco zu stören. Der Anlass wird von der Polizei und einer privaten Firma bewacht.

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Indmyedia 20.1.11

Nicht vergessen: SVP bekämpfen ::

AutorIn : Süneliuntergang         

Hier noch eine Handvoll letzte Infos für die morgige Aktion gegen die Albisgüetlitagung.     
    
Besammlung ist wie gehabt 18.00 Uhr beim Strassenverkehrsamt Zürich.

Ein Antirep-Telefon ist am Start, die Nummer geht 079 626 84 21.

Seid kreativ bei der Anreise, viele Wege führen ins Albisgüetli.

Und vergesst bei allem Trubel nicht die Demo tags darauf in St.Gallen (14.00 Uhr, Bahnhofplatz).

Gegen die rassistische Politik der SVP.
Gegen die rechte Hetze im Dienst des Kapitals.
Und wieder einmal: Smash Wef.

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Limmattaler Tagblatt 18.1.11

"Auf die Demonstranten könnten wir gut verzichten"

Matthias Scharrer

 Albisgüetli-Tagung Der SVP-Anlass polarisiert wieder: Es kommt zum Rededuell Micheline Calmy-Rey gegen Christoph Blocher. Und Autonome wollen "etwas Lärm" machen.

 Zehn Jahre nach Moritz Leuenberger tritt am kommenden Freitag erstmals wieder ein SP-Bundesratsmitglied an der Albisgüetli-Tagung auf: Micheline Calmy-Rey. Die Bundespräsidentin nimmt das Rededuell mit SVP-Vizepräsident Christoph Blocher auf. Nach den turbulenten Jahren rund um Blochers Amtszeit als Bundesrat kehrt damit wieder so etwas wie Normalität ein am Traditionsanlass der Kantonalzürcher SVP.

 Nun also doch Calmy-Rey

 Zwar erklärt Yves Gadient, Parteisekretär der Zürcher SVP: "Wir laden die Bundespräsidenten grundsätzlich immer ein. Das ist das Albisgüetli-Konzept." Dies stimmt allerdings nicht ganz: 2007, als Calmy-Rey zuletzt Bundespräsidentin war, verzichtete die Zürcher SVP darauf, sie einzuladen. Der Grund: Im Vorjahr hatte Calmy-Reys Parteigenosse Moritz Leuenberger die Einladung ins Schützenhaus Albisgüetli ausgeschlagen.

 Von 2004 bis 2009 traten dort ausschliesslich SVP-Magistraten als Redner auf: Samuel Schmid, Ueli Maurer und - immer wieder - Christoph Blocher. Auch die von der Blocher-Partei als "Weichsinnige" verspotteten Freisinnigen hatten Mühe mit dem Anlass: 2003 war nach der Absage von Pascal Couchepin (FDP) der emeritierte Wirtschaftsprofessor Walter Wittmann als Gastredner eingesprungen. Nach Kaspar Villiger (2002) trat letztes Jahr mit Didier Burkhalter erstmals wieder ein FDP-Bundesrat im Albisgüetli auf. Die damalige Bundespräsidentin Doris Leuthard (CVP) hatte abgesagt.

 Nun also doch Calmy-Rey. Ob es schwierig war, die sozialdemokratische Bundespräsidentin einzuladen? "Nein", antwortet Gadient. Die Zusage der SP-Bundesrätin aus Genf erklärten böse Zungen damit, dass sich Calmy-Rey für ihre Wahl zur Bundespräsidentin Stimmen der SVP sichern wollte. Was nur bedingt gelang, obwohl ihr SVP-Präsident Toni Brunner "grundsätzlich" Unterstützung zugesagt hatte: Calmy-Rey erzielte in der Bundesversammlung das schlechteste Wahlresultat aller bisherigen Bundespräsidenten.

 Bewachter Lüftungsschacht

 Nun reist sie also zur 23.Albis- güetli-Tagung. Auch ungeladene Gäste haben sich angekündigt: Linksautonome mobilisieren im Internet zu einer Gegenkundgebung. "Wir werden da hochgehen und etwas Lärm veranstalten gegen die rechte Hetze. Mit Konzert, Reden und eventuell Disco", heisst es im Online-Aufruf.

 Gadient gibt sich gelassen: "Wir sind darüber informiert und in Kontakt mit der Polizei." Diese werde dafür sorgen, dass sich keine ungeladenen Gäste auf den Privatgrund des Albisgüetlis begeben und auch auf dem öffentlichen Grund rundherum für Ordnung sorgen. Im Saal kümmere sich ein privater Sicherheitsdienst um die Sicherheit. Auch der Lüftungsschacht, durch den Blocher-Gegner vor drei Jahren eine Rauchpetarde warfen, werde bewacht.

 Gefragt, ob sich die SVP nicht insgeheim freue über die Demonstranten, die es ihr ermöglichten, sich als Verteidiger der Redefreiheit zu geben, meint Gadient: "Auf die Demonstranten könnten wir gut verzichten. Die Albisgüetli-Tagung lebt von politischen Inhalten." Die politische Brisanz der Tagung sei gegeben durch die Redner, deren Positionen weitestgehend auseinander lägen. Der Anlass ist ausverkauft.

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ANTI-FEMINISMUS
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Sonntag 23.1.11

"Wir müssen jede zweite Frau abweisen"

 Zu Besuch im Berner Frauenhaus: Leiterin Christine Meier wehrt sich gegen den Männerhass-Vorwurf der Antifeministen

Von Angela Brunner

 Die Frauenhäuser in der Schweiz können weniger Opfer häuslicher Gewalt aufnehmen, da die Bewohnerinnen nur schwer eine Lösung für danach finden.

 Eine Kamera überwacht die Eingangstür des Berner Frauenhauses, dessen Adresse ein wohlgehütetes Geheimnis ist. Kürzlich drohte René Kuhn von der IG Antifeminismus die Standorte der Frauenhäuser in der Schweiz zu publizieren. Die Leiterin des Berner Frauenhauses, Christine Meier, hat dafür kein Verständnis. "Wir dachten bereits darüber nach, Sicherheitspersonal vor dem Haus patrouillieren zu lassen. Das hätte nur Kosten verursacht", sagt sie.

 Am Freitag krebste Kuhn zurück. "Es könnte Durchgeknallte geben, die sich an der Frau rächen wollen", sagt er. Mit der Provokation habe er nur für Diskussionen über geschlechtsneutrale Familienhäuser sorgen wollen. Diese sollen laut Kuhn die bisherigen Frauen- und Männerhäuser ersetzen. Der Ex-SVPler kritisiert die Frauenhäuser stark: Sie würden Missbräuche fördern, um ausgelastet zu sein und Frauen schützen, die sich das Sorgerecht der Kinder mit falschen Vorwürfen sichern würden.

 Für die Betreiberinnen von Frauenhäusern und Gleichstellungsbeauftragte scheinen die Argumente absurd. "Eine Frau will sicher nicht ohne Not in ein Frauenhaus", sagt Kathrin Arioli, Leiterin der Fachstelle für Gleichstellung von Mann und Frau des Kantons Zürich. Zudem würden die Institutionen staatlich überprüft, da sie mehrheitlich durch öffentliche Gelder finanziert würden. Geschlechtsneutrale Familienhäuser kommen für sie nicht infrage. "Bei häuslicher Gewalt spielt auch das Geschlecht eine wichtige Rolle. Ich kann mir auch nicht vorstellen, dass Männer in Not mit Frauen zusammenwohnen wollen."

 17 Frauenhäuser in der Schweiz bieten Platz für rund 260 Frauen. 2009 haben über tausend Frauen und fast ebenso viele Kinder das Angebot genutzt. Doch die Kapazitätsgrenzen sind längst erreicht. "Wir müssen jede zweite Frau abweisen", sagt Gabriela Chu von der Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz. Aufgrund des neuen Opferhilfegesetzes könnten nur noch hoch gefährdete Frauen und Kinder aufgenommen werden.

 Beim Vorgespräch muss eine Frau glaubhaft darstellen können, dass sie von psychischer, körperlicher oder sexueller Gewalt bedroht ist. "Oft beweist auch ein Gutachten von einem Arzt oder Therapeuten, ob der strafrechtliche Tatbestand erfüllt ist. Aber allzu streng können wir nicht urteilen, da wir ansonsten das Leben einer Frau gefährden würden", sagt Meier, die seit Mai 2010 das Berner Frauenhaus leitet. Trotz ihrer grauen Haare wirkt sie jung und engagiert. Gegenwärtig wohnen sieben Frauen und sechs Kinder im Haus. Doch an dem Nachmittag ist alles ruhig. Die betroffenen Frauen würden den Kontakt zu den Medien scheuen, erklärt Meier.

 Eine Bewohnerin mit einem Baby auf dem Arm lässt sich dennoch kurz blicken, um sich in der Küche ein Glas Orangensaft zu holen. "Ich habe Probleme mit meinem Mann", erklärt sie in gebrochenem Deutsch, bevor sie entschwindet. Sie wohnt vorübergehend in einem der sieben spartanisch eingerichteten Schlafzimmer. Das Haus verfügt zudem über ein Notzimmer, einen Gemeinschaftsraum und ein Spielzimmer.

 Gemäss ersten provisorischen Zahlen haben 2010 rund 70 Frauen mit ihren Kindern im Berner Frauenhaus übernachtet. Im vergangenen Jahr waren es 86 Frauen. "Wir konnten weniger Frauen aufnehmen, da einige Bewohnerinnen aus Sicherheitsgründen länger bleiben müssen, weil eine Lösung für danach fehlt", sagt Meier. Problematisch sei auch, dass günstige Wohnungen zunehmend rar und die finanziellen Mittel der Frauen beschränkt seien. Auch das Berner Frauenhaus sucht gegenwärtig nach einer neuen Bleibe, da die Sanierung der Heizung nach ökologischen Vorgaben des Kantons zu teuer wäre.

 Das Berner Frauenhaus plant künftig, das Animationsangebot für Kinder auszubauen. Laut Meier sind viele Kinder verängstigt und von Schuldgefühlen geplagt, da die Situation zu Hause eskaliert ist. Die Ablenkung im Alltag soll ihnen helfen, besser mit der Situation fertig zu werden. Drei Kinderexpertinnen im Haus setzen sich für die Interessen der Kleinsten ein, die sich nicht immer mit denen der Mutter decken würden, insbesondere wenn die Kinder ein gutes Verhältnis zum Vater hätten. "Anders als Kuhn behaupte, schüren wir keinen Männerhass", sagt Meier.

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Zentralschweiz am Sonntag 23.1.11

Antifeministen kämpfen weiter

 sda. Der Streit um die Bekanntmachung von Frauenhäusern geht in die nächste Runde: Der Verein Antifeminismus legt gegen eine superprovisorische Verfügung gegen den Webseiten-Eintrag der IG Antifeminismus (Igaf) Beschwerde ein. "Wir werden nächste Woche eine Eingabe machen", sagte Urs Bleiker, Präsident des Vereins, gestern. Es sei allerdings nicht das Ziel, erneut dazu aufzurufen, die Standorte der Frauenhäuser bekannt zu machen. Vielmehr gehe es ihm um das Verbot zum Datensammeln, das mit der superprovisorischen Verfügung erwirkt worden sei, erklärte er. Die Igaf hatte in der vergangenen Woche auf ihrer Webseite einen Aufruf lanciert, Adressen von Frauenhäusern publik zu machen. Darauf rief die Dachorganisation der Frauenhäuser der Schweiz und Liechtensteins die Justiz an und erwirkte eine superprovisorische Massnahme.

 Zuvor hatte bereits das Frauenhaus Luzern eine superprovisorische Massnahme mit gleicher Richtung erreicht. Die Dachorganisation der Frauenhäuser wollte den Aufruf zur Veröffentlichung der Frauenhaus-Adressen wie auch die Bekanntgabe der Standorte verbieten lassen. Den umstrittenen Aufruf, Adressen von Frauenhäusern zu melden, nahm die Igaf in der Folge vom Netz.

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Sonntagsblick 23.1.11

Antifeministen

 Beschwerde gegen Verbot

 Der Streit um die Bekanntmachung von Frauenhäusern geht in die nächste Runde. Der Verein Antifeminismus legt gegen die superprovisorischen Verfügungen gegen den Webseiten-Eintrag der IG-Antifeminismus (IGAF) Beschwerde ein. Es sei allerdings nicht das Ziel, erneut dazu aufzurufen, die Standorte der Frauenhäuser bekannt zu machen. Vielmehr gehe es ihm um das Verbot zum Datensammeln, das mit der superprovisorischen Verfügung erwirkt worden sei, erklärte er. "Es kann doch nicht verboten sein, Leute dazu aufzurufen, Adressen zu sammeln", sagte Vereinspräsident Urs Bleiker.

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St. Galler Tagblatt 22.1.11

Männer gefährden Thurgauerinnen

Antifeministen wollen die Adressen der Frauenhäuser publik machen. Der Thurgauer Michael Handel findet, dass Frauenhäuser einen Kampf gegen Männer führen und unterstützt die Idee. Zahlreiche Frauen würden aber bei Veröffentlichung der Adressen einer akuten Gefahr ausgesetzt.

 Elisabeth Reisp

 Am Telefon werden keine Namen genannt. Die Frauen melden sich schlicht mit "Frauenhaus Schaffhausen". Sie notieren den Wunsch, ein Interview mit der Leitung zu führen. "Wir melden uns bei Ihnen", heisst es. Immer noch keine Namen. Im Thurgau gibt es kein Frauenhaus. Die Kantone haben aber ein Übereinkommen. Schutzsuchende Thurgauerinnen wenden sich an das Frauenhaus Schaffhausen.

 Mit einer Frauenhausbewohnerin aus dem Thurgau zu reden? Unmöglich. Das Frauenhaus schützt die Frauen wie Kronzeugen. Auch das Haus ist nicht auffindbar. Irgendwo steht es, aber wo, dass wissen nur involvierte Personen. Alle paar Jahre zieht das Frauenhaus in ein anderes Gebäude. "Aus Sicherheitsgründen", heisst es.

 Diesen Schutz wollen die Antifeministen rund um den Luzerner Ex-SVPler René Kuhn niederreissen. Die IG Antifeministen (Igaf) droht damit, die streng geheimen Adressen der Frauenhäuser zu veröffentlichen. Die Drohung löste schweizweit einen Sturm der Entrüstung aus.

 Männer ohne Rechte

 Ein Thurgauer unterstützt das Vorhaben der Igaf. Michael Handel hat einen 13jährigen Sohn und eine 10jährige Tochter. Der Sohn lebt bei ihm, die Tochter bei der Mutter. Er betreut sie an 90 Tagen im Jahr. Wie es dazu gekommen ist, möchte Handel nicht erzählen. Er hat die Organisation Kinder ohne Rechte gegründet. Ein Besuch der Webseite lässt die Vermutung aufkommen, dass es dabei vielmehr um Männer ohne Rechte geht.

 Seine Motivation ist das Kindswohl, wie er sagt. Frauen vor häuslicher Gewalt zu schützen, sei wichtig. "Leider führen Frauenhäuser nebenbei aber einen ideologischen Kampf gegen Männer und stellen ihre Institution gewalttätigen Frauen zur Verfügung." Das sei Gewalt gegen den Mann und das gemeinsame Kind. Handel führt weiter aus: "Vom Frauenhaus geht Gewalt aus". Viele Frauen würden das Frauenhaus nur aufsuchen, um arglistig den Mann zu beschuldigen. Die Männer und Kinder litten darunter ein Leben lang.

 "Das Fass ist voll, weitere Opfer sind nicht tragbar", sagt Handel. Zusammen mit der Igaf fordert Handel nun, die Frauenhäuser abzuschaffen. Stattdessen sollen die Kantone geschlechtsneutrale Familienhäuser errichten.

 "Absurde Idee"

 "Die Idee, Frauenhausadressen offenzulegen, ist absolut absurd und sehr gefährlich", sagt die Leiterin des Schaffhauser Frauenhauses. Sie möchte anonym bleiben. Aus Sicherheitsgründen, wie es wieder heisst. Denn auch die Mitarbeiterinnen eines Frauenhauses müssen geschützt werden. "Wir werden bereits am Telefon beschimpft und bedroht. "

 Würden die Adressen veröffentlicht, stünden sofort die Männer vor der Tür, sagt die Leiterin. Für die Frauen nicht nur eine enorme psychische Belastung, sondern auch eine akute Bedrohung. "Diese Männer sind sehr oft gewaltbereit." Sie habe schon erlebt, wie ein verlassener Ehemann ein Frauenhaus gefunden und die Fenster eingeschlagen habe. In so einem Fall kann nur noch die Polizei helfen. "Und die rückt auch sofort aus, wenn wir anrufen. Die Polizei weiss, wenn das Frauenhaus ruft, dann gilt es ernst."

 Pro Jahr suchen etwa acht Frauen und fünf Kinder aus dem Thurgau den Schutz des Schaffhauser Frauenhauses. Sie bleiben durchschnittlich einen Monat. Der Kanton Thurgau ist grosszügig und finanziert einen zweimonatigen Aufenthalt, wenn die Notlage der Frau anerkannt wird. "In der Regel bleiben die Frauen aber nur drei bis vier Wochen", sagt die Leiterin. Die Frauen sollen im Haus nicht zu sehr heimisch werden. Es diene ausschliesslich der Soforthilfe bei einer akuten Bedrohung.

 Geschlagen wird mit allem

 Die Gewalt, welche die Frauen erleben, reicht von Schlägen und Fusstritten bis zur Nötigung. Geschlagen wird mit allem, was in die Hand fällt. Sogar Zigaretten auf der Haut ausdrücken und die Frau zu Sex nötigen gehören zum Repertoire. Aber auch die psychische Gewalt könne zermürben, sagt die Leiterin. Sie erlebe Frauen, die durch ihre Männer total isoliert werden. Keine Freunde, keine Familie, kein Telefon.

 Die Vorwürfe der Igaf, Frauen missbrauchen das Frauenhaus lediglich, um einen Vorteil bei der Scheidung zu erwirken, kann die Leiterin nicht ernst nehmen. "Wir hatten nur einmal eine Frau, bei der wir das Gefühl hatten, sie übertreibe. Tatsächlich stellte sich heraus, dass sie nicht nur vom Mann geschlagen wurde, sondern dass sie diesen ebenfalls schlug", sagt die Leiterin. Das sei aber der einzige Fall gewesen in den sieben Jahren, die sie bereits mit Frauen arbeitet, welche von Gewalt betroffenen sind.

 In der Schweiz töteten bereits zwei Männer ihre ins Frauenhaus geflüchteten Frauen, nachdem sie deren Standort herausgefunden hatten (s. Box). "Nicht auszudenken, was passieren würde, wenn die Adressen der Frauenhäuser publik würden", sagt die Leiterin.

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 Gewalt führt bis zum Tod

 Frauen, welche ins Frauenhaus flüchten, werden von ihrem Partner stark bedroht. Manchmal führt die Gewalt bis zum Tod. Letzten Dezember tötete ein Zürcher seine 52jährige Ex-Frau, die ins Frauenhaus floh, auf offener Strasse. Er streckte sie mit einer Axt nieder. Vor fünf Jahren tötete in St. Gallen ein Mann seine Frau und deren Kinder, nachdem sie zweimal in ein Frauenhaus floh. Er attackierte die Frau mit einer Axt, übergoss sie mit Benzin und verbrannte sie. (rsp)

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BZ 22.1.11

Frauenhäuser wehren sich gegen Antifeministen

 Justiz angerufenNachdem die IG Antifeminismus im Internet einen Aufruf lanciert hat, Adressen von Frauenhäusern publik zu machen, ruft die Dachorganisation der Frauenhäuser die Justiz an. Zur Sicherheit der Frauen, die wegen Gewalt in einem Frauenhaus Schutz suchen, werden die Standorte der Häuser nicht öffentlich bekannt gemacht. Damit dies so bleibt, beantragt die Dachorganisation der Frauenhäuser der Schweiz und Liechtenstein (DAO) eine superprovisorische Massnahme.

 Eingereicht werde der Antrag beim Bezirksgericht Höfe im Kanton Schwyz, bestätigte Gabriela Chu, Vorstandsmitglied der DAO, einen Bericht der "Neuen Zürcher Zeitung". Ziel sei, den Aufruf zur Veröffentlichung der Frauenhausadressen und auch die Bekanntgabe der Standorte zu verbieten.
 sda

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NZZ 21.1.11

Antifeministen machen Ernst

Die Ankündigung, die geheimen Adressen der Frauenhäuser bekanntzugeben, sorgt für Aufruhr

 nj. · Bisher wurde sie meist nicht recht ernst genommen: die Interessengemeinschaft Antifeminismus. Eine Mitteilung auf der Website vom 18. Januar, die geheimen Adressen der Frauenhäuser der Schweiz veröffentlichen zu wollen, liess keinen Zweifel darüber offen, dass es ihr bitterernst ist.

 Das Frauenhaus Luzern hat gegen die Veröffentlichung seiner Adresse sowie gegen die Ankündigung im Internet das Gesuch um eine superprovisorische Massnahme eingereicht, wie Andrea Wechlin, Co-Geschäftsleiterin des Frauenhauses Luzern, auf Anfrage bestätigt. Das Bezirksgericht Luzern habe dem Frauenhaus am Donnerstag vorerst recht gegeben und der Gegenpartei eine Frist zur Stellungnahme bis Ende Monat eingeräumt. Die Antifeministen sind deshalb gemäss richterlicher Verfügung und unter Androhung einer Busse dazu verpflichtet, die Ankündigung und den Aufruf zur Veröffentlichung von der Website zu entfernen. Der Verfügung wurde am Donnerstagabend Folge geleistet.

 Für die Frauenhäuser hört der Spass mit dieser Aktion auf: "Wenn die Adressen unserer Frauenhäuser bekanntwerden, dann wird damit ihre Funktion aufgehoben", sagt Andrea Wechlin. Einen konkreten Notfallplan gebe es nicht, denn man habe bisher Frauen, deren Aufenthalt in einem der Frauenhäuser bekanntwurde, in anderen Häusern untergebracht. Diese Möglichkeit würde vernichtet, wenn alle Adressen bekanntgegeben würden, sagt Wechlin. Als Ultima Ratio sei dann für gefährdete Frauen Polizeischutz nötig. - Der Präsident der Interessengemeinschaft, Urs Bleiker, will mit dem Aufruf vor allem eines erreichen: Aufmerksamkeit, wie er sagt. Die Frauenhäuser würden dazu missbraucht, in scheidungsrechtlichen Auseinandersetzungen für die Frauen eine komfortable Ausgangslage zu erreichen. Diese müssten keine Beweise erbringen, dass ihnen tatsächlich Gewalt angetan wurde. Man sei nun daran, die Adressen zu sammeln, und behalte sich vor, zu einem späteren Zeitpunkt darüber zu entscheiden, ob diese veröffentlicht würden.

 Die Dachorganisation der Frauenhäuser Schweiz wird am Freitag voraussichtlich ebenso eine superprovisorische Massnahme beantragen. Man will erreichen, die Adressen aller Frauenhäuser der Schweiz vor der Veröffentlichung zu schützen, wie Gabriela Chu, Mitglied des Vorstands der Dachorganisation, auf Anfrage bekanntgab.

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NLZ 21.1.11

Gericht bremst Antifeministen

 Luzern

hb.

 hb. Die IG Antifeminismus (IGAF) darf die Adressen von Frauenhäusern nicht im Internet veröffentlichen. Das hat das Bezirksgericht Luzern entschieden. Es hiess den Antrag des Frauenhauses Luzern auf eine superprovisorische Massnahme gut. Eine Co-Leiterin des Frauenhauses bestätigte einen entsprechenden Bericht von NZZ-Online. Die IG Antifeminismus rief die Bevölkerung dazu auf, ihr die Adressen von Frauenhäusern zu melden, da dort "Männerhass geschürt" werde (gestrige Ausgabe).

 Die IGAF muss gemäss dem Entscheid des Bezirkgerichts auch den entsprechenden Aufruf auf ihrer Website entfernen. "Das werden wir tun, sobald uns der Entscheid des Bezirksgerichts vorliegt", sagte IGAF-Vorstandsmitglied René Kuhn gestern auf Anfrage. Bis Ende Monat hat die IGAF zudem Zeit, zuhanden des Gerichts eine Stellungnahme abzugeben.

 "Nur eine Provokation"

 Die IGAF habe gar nicht vorgehabt, "die Frauenhaus-Adressen tatsächlich zu veröffentlichen", betonte Kuhn gestern. "Wir sind ja schliesslich nicht blöd und wollen niemanden in Gefahr bringen." Weshalb dann der Aufruf? "Wir wollten bewusst provozieren, um eine Diskussion in Gang zu bringen", erklärte Kuhn. "Das ist uns geglückt."

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antifeminismus.ch 21.1.11

Provokation der IGAF
Bei fast allen Männerorganisationen ist seit Jahren im Programm und den Zielen festgehalten, dass Frauenhäuser geschlossen werden sollen oder keine finanzielle Unterstützung mehr erhalten sollen. Zahlreiche politische Vorstösse zur Schliessung oder Streichung öffentlicher Gelder verhallten und blieben ohne irgendwelche Massnahmen. Die Frauenhäuser werden als "heilige Kühe" in der Schweiz behandelt, obwohl sehr vielen Personen bewusst ist, dass in dieser Hinsicht einiges falsch läuft und Frauenhäuser von rachesüchtigen Frauen missbraucht werden um vor Gericht in Sorge,- Unterhalts- und Besuchsrechten mehr Vorteile zu erhalten. Die IGAF hat bereits vor Wochen einen Beitrag dazu veröffentlicht und gefordert, dass Opferhäuser oder Familienhäuser geschaffen werden müssen, da 50% der häuslichen Gewalt von Frauen ausgeht und nicht nur Frauen und Kinder Schütz vor einem gewalttägigen Partner beanspruchen, sondern auch Männer. Dieser Aufruf wurde von niemandem zur Kenntnis genommen, ebenso die zahlreichen Forderungen in Bezug auf Frauenhäuser von diversen Männerorganisationen. Ohne die Provokation der IGAF mit der Veröffentlichgung der Adressen der Frauenhäuser interessieren sich die Medien nicht für dieses Thema, denn es liefert keine Schlagzeile.

Auch der IGAF ist es bewusst, dass es zahlreiche Frauen und Männer gibt, welche an einem sicheren Ort Unterschlupf vor dem gewalttätigen Partner (Männer und Frauen) erhalten müssen . Die IGAF ist die letzte Organisation, welche zu Gewalt aufruft oder tatsächlich hilfesuchenden und bedrohten Personen den benötigten Schutz verweigert.

Es brauchte deshalb eine provokative Aktion der IGAF, damit das Thema "Frauenhaus" endlich diskutiert wird um Änderungen herbeiführen zu können. Es braucht nicht einseitig ausgelegte Frauenhäuser, sondern geschlechtsneutrale "Familienhäusser", welche Frauen, Männer und Kinder Schutz bieten und dies frei von irgendwelchen Ideologien.

Die IGAF ist zum Dialog bereit und wird ein Konzept für Opferhäuser ausarbeiten, damit schützbedürftigten Menschen geholfen ist und der Missbrauch von Frauenhäusern durch rachesüchtige Frauen unterbunden werden kann.

Hier geht es zur aktuellen Medieninformation [444 KB]  der IGAF und "Kinder ohne Rechte" sowie Interview im Tages-Anzeiger

Siehe dazu auch die Beiträge über Frauenhäuser

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Newsnetz 20.1.11

"Wir sind nicht so krank"

Marc Brupbacher

 René Kuhn und seine Antifeministen haben vor ein paar Tagen angekündigt, die geheimen Adressen von Frauenhäusern zu veröffentlichen. Im Interview krebst der Ex-SVP-Politiker nun zurück.

 Herr Kuhn, Ihr Aufruf zur Enttarnung von 18 Frauenhäusern in der Schweiz hat in den Medien für Aufregung gesorgt. Wurden Sie von den Reaktionen überrascht?Sehr überrascht. Und mich ärgert die einseitige Berichterstattung. Die Medien setzen die IGAF (Interessengemeinschaft Antifeminismus, Anm.d.R.) mit meiner Person gleich. Dabei wurde der Entscheid zum Aufruf zur Enttarnung der Frauenhäuser einstimmig vom achtköpfigen Vorstand gefällt, welcher einem Wunsch der Mitglieder nachgekommen ist. Niemand will wahrhaben, um was es wirklich geht.

 Um was geht es?Die Frauenhäuser werden als heilige Kühe behandelt, obwohl vielen bewusst ist, dass dort einiges falsch läuft. Es darf nicht sein, dass ein Aufenthalt in einem Frauenhaus einen Vorteil in der scheidungsrechtlichen Auseinandersetzung bringt. Wir fordern daher geschlechtsneutrale Familienhäuser, welche Frauen, Männern und Kindern Schutz bieten. Ohne die Provokation der IGAF interessieren sich aber die Medien nicht für dieses Thema.

 Ist also alles nur Provokation? Sie wollen die Frauenhäuser gar nicht enttarnen?Wir enttarnen die Frauenhäuser nicht! Wir sind nicht so krank und gefährden Menschenleben. Die IGAF ist die letzte Organisation, welche zu Gewalt aufruft oder bedrohten Personen den Schutz verweigert.

 Sie wollen sich doch jetzt mit dieser Begründung einfach billig aus der Affäre ziehen, weil Ihnen der Medienrummel zu gross wurde.Ganz und gar nicht. Es geht leider nur so. Vor einigen Monaten haben wir auf unserer Website schon einmal geschlechtsneutrale Familienhäuser gefordert - ohne Aufruf zur Enttarnung. Niemand hat davon Notiz genommen. Erst jetzt wurden Frauenhäuser zum Thema.

 Sie bestreiten also nicht mehr, dass bei einer allfälligen Veröffentlichung der Adressen Frauen in Gefahr gewesen wären?Ich bestreite es nicht. Es sind aber nicht nur Frauen von häuslicher Gewalt betroffen. Gut 50 Prozent der Opfer sind Männer.

 Das Frauenhaus Luzern hat gegen die Veröffentlichung ihrer Adresse eine superprovisorische Massnahme eingereicht. Das Bezirksgericht Luzern hat dem stattgegeben. Sie sind deshalb unter Androhung einer Busse dazu verpflichtet, den Aufruf von ihrer Website zu entfernen. Kommen Sie dieser nun nach?Obwohl wir bis jetzt von einer Verfügung nichts wissen, ist der Beitrag von unserer Website gelöscht. An jener Stelle begründen wir nun unser Vorgehen.

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NLZ 20.1.11

"Frauenhäuser müssen weg"

 Antifeministen

Roger Rüegger

 René Kuhn und die IG Antifeminismus wollen alle Adressen der Frauenhäuser in der Schweiz veröffentlichen. Dies ist aber erst der Anfang.

 Roger Rüegger

 roger.rueegger@luzernerzeitung.ch

 Auf ihrer Website platzierte die IGAF - mit dem ehemaligen Luzerner SVP-Politiker René Kuhn als Vizepräsident - den Aufruf, die geheimen Adressen zu melden. Diese sollen veröffentlicht werden.

 Leben würden gefährdet

 Damit würden die Leben zahlreicher Frauen und Kinder, die in den insgesamt 18 Frauenhäusern Zuflucht vor gewalttätigen Ehemännern suchen, gefährdet. Kuhn und IGAF-Präsident Urs Bleiker sehen dies jedoch nicht so. "Vielleicht könnte es unschuldige Frauen geben, die darunter etwas leiden würden", wird Kuhn in der gestrigen Ausgabe der Pendlerzeitung "20 Minuten" zitiert. Die Bevölkerung müsse wissen, wo Männerhass geschürt werde und wo sich Trainingslager zur Ruinierung der Männer befänden.

 Kuhn war gestern den ganzen Tag nicht zu erreichen. Urs Bleiker dagegen gab recht motiviert Auskunft - und führte aus: "Unser Ziel ist die Abschaffung der Frauenhäuser. Die müssen weg. Das Geld der öffentlichen Hand darf nicht in Institutionen fliessen, die von Feministinnen geführt werden."

 Bleiker ist sich bewusst, dass er und seine Gesinnungsgenossen mit dem Vorschlaghammer aufmarschieren. "Wir wollen uns Gehör verschaffen und werden den Druck kontinuierlich erhöhen. Es kann nicht sein, dass in diesen Frauenhäusern der Mann als das konstant Böse und die Frau immer nur als die Gute gehandelt werden." Am häufigsten bedroht von häuslicher Gewalt seien Kinder - und die Täter Frauen.

 Solche Aussagen und die Forderung der Antifeministen stossen im Frauenhaus Luzern auf Empörung. "Der Alltag zeigt ein anderes Bild. Das Leben von ohnehin schon bedrohten Frauen würde ohne Geheimhaltung unserer Häuser massiv gefährdet", sagt Andrea Wechlin, Ko-Geschäftsleiterin. Wenn die Adresse des Frauenhauses auf einer Website im Internet publiziert werde, müsse das gesamte Sicherheitskonzept neu überarbeitet werden. Die Polizei müsste ziemlich sicher bald ausrücken, ist sie überzeugt. "Wir haben einige Frauen, die bereits Morddrohungen erhalten haben von ihren Ehemännern, und auch telefonisch kommt es oft zu verbaler Gewalt."

 Ehefrau im Frauenhaus erschossen

 Es hätten schon viele Männer versucht, die Adresse herauszufinden. 1994 hat dies ein Mann geschafft. Er ist ins Frauenhaus Luzern eingedrungen und hat seine Frau erschossen. Im selben Jahr ist eine Klientin des Frauenhauses Luzern in Basel von ihrem Gatten getötet worden. 2004 hat ein Mann seine Frau in der Bahnhofunterführung in Sempach mit 13 Messerstichen getötet. Die Frau ist mehrmals vor ihm ins Frauenhaus geflüchtet.

 Das Frauenhaus Luzern wird alles rechtlich Machbare unternehmen, dass es zu keinen Veröffentlichungen der Frauenhaus-Adressen auf der Website der IGAF kommt. Eine Möglichkeit wäre ein Superprovisorische Verfügung.

 "Enttarnung wäre eine Einladung"

 Wie sehr es die Institution Frauenhäuser braucht, weiss Ruedi Meier, Sozialdirektor der Stadt Luzern. "Bedrohte Leute müssen einen Zufluchtsort haben. Häusliche Gewalt an Frauen und Kindern ist eine gesellschaftliche Tatsache." Die Forderung von René Kuhn und der Antifeministen sei extrem fahrlässig. "Die Enttarnung der Frauenhäuser wäre wie eine Einladung für jene Männer, vor denen Frauen flüchten", sagt Meier.

 Die Luzerner Polizei hat von der Aufforderung der IGAF Kenntnis. "Wir behalten die Situation im Auge", sagt Mediensprecher Urs Wigger dazu nur.

 Die Organisation verantwortungsvoll erziehender Väter und Mütter VeV betreiben das bislang einzige Väterhaus der Schweiz. Der VeV distanziert sich von der Idee der Antifeministen. "Es ist nicht in unserem Sinne, wenn die Gräben zwischen Frauen und Männern vertieft werden. Wir sind ausserdem in einer ähnlichen Lage wie die Frauenhäuser. Auch unsere Bewohner sind auf diese Diskretion angewiesen", heisst es in einer Mitteilung. Die Forderung, die Adressen von Schutzhäusern zu veröffentlichen, ziele in die falsche Richtung.

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Kommentar

 Geschmacklos

 Christian Bertschi über Antifeministen

 Vor 40 Jahren erlangten die Frauen in der Schweiz auf Bundesebene das Stimm- und Wahlrecht. Ein Meilenstein in der Geschichte der Frauenbewegung. Gelebte Gleichberechtigung hat aber auch heute noch in vielen gesellschaftlichen Bereichen einen schweren Stand.

 Die Interessengemeinschaft Antifeminismus ist anderer Meinung. Frauen würden mittlerweile sogar vielerorts bevorteilt, sagen sie. Das darf sie durchaus. Die Meinungsäusserungsfreiheit ist ein wichtiges Gut in unserem Land. Es ist auch legitim, provokativ aufzutreten, um seine Gruppierung ins Rampenlicht zu rücken.

 Was der Luzerner René Kuhn und seine Antifeministen-Freunde nun aber von sich geben, überschreitet das erträgliche Mass an Geschmacklosigkeit. Die Adressen von Frauenhäusern sollen veröffentlicht werden, weil dort Männerhass geschürt werde und sich dort "Trainingslager zur Ruinierung der Männer" befänden. Mit solchen Aussagen machen die Antifeministen pauschal aus Opfern Täterinnen. Frauenhäuser sind ein Zufluchtsort für Frauen und ihre Kinder, die im Familienleben von Gewalt betroffen sind. Freiwillig sucht wohl kaum eine Frau einen solchen Ort auf. Oft ist das Frauenhaus der letzte Ausweg und der einzige sichere Hort - gerade dank der Anonymität.

 christian.bertschi@luzernerzeitung.ch

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Aargauer Zeitung 20.1.11

Kommentar

 Lächerlich, aber gefährlich

Sarah Weber

 Die Antifeministen um den Ex-SVP-Politiker René Kuhn provozieren weiter. Sie rufen auf ihrer Website dazu auf, Adressen und Fotos von Frauenhäusern zur Veröffentlichung zu melden. Die Begründung: "Frauenhäuser sind Orte des politisch motivierten institutionalisierten Männerhasses, wo viele Lügnerinnen mit offenen Armen empfangen werden" und somit "Trainingslager zur Ruinierung der Männer".

 Die Adressen der Frauenhäuser sind, wie auch die der Männerhäuser, aus Sicherheitsgründen geheim. Die Wahrung der Anonymität ist häufig überhaupt der Grund für die Betroffenen, diese Orte aufzusuchen. Ist der Zufluchtsort bekannt, verliert er seine Schutzfunktion.

 Die bisherigen Forderungen der Antifeministen nach mehr Rechten für Männer und Väter waren noch ansatzweise nachvollziehbar. Sie haben einer berechtigten Diskussion über Gleichberechtigung - gerade in der Familienpolitik und Sorgerechtsdebatte - wieder Aufwind gegeben.

 Aber: Was die Antifeministen aktuell mit Kampf für Gleichberechtigung begründen, ist nur noch purer und primitiver Frauenhass. Dass sie mit ihren geschmacklosen Beiträgen Frauen und Kinder bedrohen, ist gefährlich und verstösst gegen das Datenschutzgesetz.

 Das einzig Gute: Mit solchen Forderungen haben sich die Antifeministen endlich und definitiv ins lächerliche Abseits katapultiert. Zu hoffen ist, dass der Aufruf - nebst der Empörung - ohne Echo bleibt.

 sarah.weber@azmedien.ch

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20 Minutenr 20.1.11

Antifeministen lösen Sturm der Entrüstung aus

 LUZERN. Dass die Antifeministen die geheimen Adressen der Frauenhäuser veröffentlichen wollen, sorgt schweizweit für Empörung. Das Frauenhaus Luzern will die Liste mittels einer superprovisorischen Verfügung gerichtlich verbieten lassen.

 Die Frauenhäuser der Schweiz sind in Aufruhr. Gestern liess die IG Antifeminismus verlauten, sie werde die anonymen Adressen der Frauenhäuser im Internet veröffentlichen. Die Bevölkerung solle wissen, wo sich die "Trainingslager zur Ruinierung der Männer befinden" (20 Minuten berichtete). Dagegen hat das Frauenhaus Luzern beim Bezirksgericht Luzern einen Antrag für eine superprovisorische Massnahme eingereicht. Diese soll erwirken, dass keinerlei geheime Adressen von Frauenhäusern veröffentlicht werden dürfen. "Frauen, die unsere Häuser aufsuchen, sind schutzbedürftige Personen", sagt eine Mitarbeiterin des Frauenhauses Luzern. Es sei einige Male vorgekommen, dass Männer ihre Frauen aufgesucht und vor den Augen der Kinder umgebracht hätten. Auch die Dachorganisation der Frauenhäuser der Schweiz DAO wird rechtlich gegen die Antifeministen vorgehen.

 Die Antifeministen und ihr Anführer, Ex-SVP-Politiker René Kuhn, gerieten gestern heftig ins Kreuzfeuer der Kritik. Leser, Politiker und Gewaltexperten verurteilten einhellig die lebensgefährliche Aktion: "Es war richtig, dass wir diesen Mann aus der Partei ausgeschlossen haben", sagt SVP-Nationalrätin Natalie Rickli. Julia Gerber-Rüegg, Präsidentin der SP-Frauen, vermutet derweil, dass sich Kuhn "auf Kosten der Frauen und Kinder" profilieren will. Auch die Stadtpolizei Zürich verurteilt eine mögliche Veröffentlichung der Adressen auf das Schärfste.

Désirée Pomper

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Newsnetz 19.1.11

Antifeministen wollen Frauenhäuser enttarnen

Olivia Kühni

 Weil dort angeblich Männerhass geschürt wird, will der Ex-SVP-Politiker René Kuhn die geheimen Adressen der Frauenhäuser veröffentlichen. Er muss mit einer Klage rechnen.

 Die Interessengemeinschaft Antifeminismus IGAF rund um Präsident Urs Bleiker und Ex-SVP-Politiker René Kuhn will die geheimen Adressen der 18 Frauenhäuser in der Schweiz publizieren. Das schreibt die Lobbygruppe auf ihrer Website. "20 Minuten" berichtet in der heutigen Ausgabe von den Plänen der Antifeministen.

 Viele Frauen würden ihren Ehepartner fälschlich der häuslichen Gewalt bezichtigen, um eine bessere Ausgangssituation in Sorgerechtsstreitigkeiten zu haben, begründet die Gruppe ihre Pläne. Sie ruft die Öffentlichkeit dazu auf, ihr Adressen von Frauenhäusern zu melden. "Die Bevölkerung soll wissen, wo Männerhass geschürt wird und wo sich die Trainingslager zur Ruinierung der Männer befinden."

 Unterstützt wird die Gruppe vom Aktivisten Michael Handel, der die Organisation Kinder ohne Rechte leitet. Er publizierte heute Morgen einen offenen Brief an die Dachorganisation der Frauenhäuser auf seiner Website: Aus Gesprächen mit Frauen, Männern und Kindern zum Thema Scheidung und häusliche Gewalt gehe hervor, "dass Ihre Institution nicht nur nützliche Dienste anbietet, sondern ebenso dazu verwendet wird, sich in scheidungsrechtlichen Angelegenheiten vorteilhaft zu positionieren". Von Gewalt nicht betroffene Frauen würden im Aufsuchen des Frauenhauses einen "relevanten Vorteil bezüglich der Zuteilung der elterlichen Sorge" sehen.

 Beschränktes Platzangebot

 Gabriela Chu von der Dachorganisation der Frauenhäuser bestreitet, dass nicht gefährdete Frauen in den Heimen wohnen. "Wir nehmen nur Frauen und Kinder auf, die wirklich hoch gefährdet sind." Etwas anderes lasse schon alleine das beschränkte Angebot von 250 Plätzen nicht zu. Wer Zuflucht finden will, müsse sich einem längeren persönlichen Gespräch stellen.

 Mit ihren Plänen setzten die Antifeministen "ganz klar Leben aufs Spiel". Für bedrohte Frauen gebe es keinen anderen Ort, an den sie flüchten könnten. Die Dachorganisation habe darum bereits Kontakt mit einem Anwalt aufgenommen, um rechtliche Schritte gegen die Aktivisten zu prüfen. Chu kritisiert, dass weder die Antifeministen noch Kinder ohne Rechte je mit der Dachorganisation das Gespräch gesucht hätten. "Es besteht kein Interesse für einen Dialog."

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20 Minuten 19.1.11

18 Frauenhäusern droht Enttarnung

 ZÜRICH. Der Verein der Antifeministen will die anonymen Adressen aller Frauenhäuser im Internet veröffentlichen - und setzt so das Leben von Frauen und Kindern aufs Spiel.

 Die Interessengemeinschaft Antifeminismus IGAF bläst zu einem neuen Angriff: Sie droht damit, die geheimen Adressen aller 18 Frauenhäuser der Schweiz zu veröffentlichen - Foto inklusive. "Die Bevölkerung soll wissen, wo Männerhass geschürt wird und wo sich die Trainingslager zur Ruinierung der Männer befinden", schreiben der IGAF-Präsident Urs Bleiker und der umstrittene Ex-SVP-Politiker René Kuhn. In den Frauenhäusern würden meist Lügnerinnen aufgenommen, die dem Mann "eine frei erfundene kriminelle Tat" vorwürfen. Eine Vertreterin der Dachorganisation der Frauenhäuser der Schweiz DAO ist entsetzt: "Die Aktion der Antifeministen bedeutet für die Kinder und Frauen nicht nur psychischen Horror. Sie gefährden damit auch deren Leben." Sollte eine solche Liste veröffentlicht werden, müsste das Sicherheitsdispositiv der Polizei sofort erhöht werden. Kuhn entgegnet: "Vielleicht könnte es unschuldige Frauen geben, die darunter etwas leiden würden." Er glaube aber nicht, dass "Männer so krank sind und gewaltsam in die Frauenhäuser einbrechen".

 Die Dachorganisation prüft jetzt rechtliche Schritte gegen die Antifeministen. Tatsächlich würden diese gegen das Datenschutzgesetz verstossen, sagt Eliane Schmid, Sprecherin des Eidgenössischen Datenschutz- und Öffentlichkeitsbeauftragten (EDÖB): "Für die Veröffentlichung der Frauenhausadressen gibt es keinen Rechtfertigungsgrund." Die betroffenen Frauenhäuser könnten zivilrechtlich dagegen vorgehen, indem sie Anzeige erstatteten. Kuhn gelassen: "Von Feministinnen lassen wir uns nicht einschüchtern."  

Désirée Pomper

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 Internetpranger der Antifeministen

 ZÜRICH. Der Verein der Antifeministen hat auch "Personen, welche männerfeindliche Urteile und Entscheide fällen" im Visier. Auf einer "schwarzen Liste" werden rund fünfzig Personen aus Behörden und Justiz mit Namen, Foto und Adresse an den Internetpranger gestellt. Ein Betroffener erzählt: "Dieser Eintrag stellt mich völlig zu Unrecht als männer- und kinderfeindlich dar." Gegen den rufschädigenden Eintrag hat er nun eine Persönlichkeitsklage eingereicht - bisher aber ohne Erfolg.

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antifeminismus.ch 18.1.11

Geheime Frauenhaus-Adressen veröffentlichen
AUFRUF: WIR BRAUCHEN IHRE HILFE!

Viele Frauen flüchten aus egoistischen Beweggründen ins Frauenhaus und bezichtigen ihren Ehepartner fälschlich der häuslichen Gewalt, um den Umgang des Vaters mit seinen Kindern boykottieren zu können und um somit eine bessere Ausgangssituation in Sorgerechts- und Unterhaltsstreitigkeiten zu haben. Oftmals stellt sich die Situation sogar so dar, dass sich die Frau - physisch oder psychisch - gewalttätig verhält und die Kinder, sowie oft auch den Ehe-/Partner bedroht, schlägt bzw. tyrannisiert. Besondere "Verdienste" erwerben sich dabei die Frauenhäuserverantwortlichen, die eine Täterschaft von Frauen von vornherein ausschliessen und die Frau in ihrer verschobenen Wahrnehmung bestätigen.

Frauenhäuser sind Orte des politisch motivierten institutionalisierten Männerhasses, an welchen viele Lügnerinnen mit offenen Armen empfangen und von den Sozialarbeiterinnen beraten werden, wie sie den Mann finanziell ruinieren können und wie sie sich verhalten sollen, damit sie das alleinige Sorgerecht für die Kinder erhalten.

Die Adressen der Frauennhäuser sind aus Sicherheitsgründen geheim. In der Schweiz sind die Frauenhäuser in der "Dachorganisation der Frauenhäuser der Schweiz und Liechtenstein" (DAO) zusammengeschlossen.

Auf ihren Internetauftritten werben die Frauenhäuser damit, dass sie "Frauen unterstützen, die für sie richtige Lösung zu finden". Die Sozialpädagoginnen geben den Frauen eine Beratung in Bezug auf Obhut, elterliche Sorge und Besuchsrecht.

Wie die Dachorganisation selber auf ihrer Website schreibt, arbeiten sie parteilich mit einer feministischen Grundhaltung. Das heisst, Männer sind immer die Täter und die Frauen die Opfer. Der Mann verkörpert das Böse.

Wir akzeptieren nicht mehr länger, dass hier geschützte und subventionierte Organisationen ihren Männerhass ausleben können und dies unter jeglicher Anonymität. Die IGAF plant zusammen mit "Kinder ohne Rechte" die geheimen Adressen der 18 Frauenhäuser der Schweiz zu veröffentlichen. Die Bevölkerung soll wissen, wo Männerhass geschürt wird und wo sich die "Trainingslager zur Ruinierung der Männer" befinden. Uns sind zurzeit einige Adresse bekannt, jedoch noch nicht vollständig von allen Frauenhäusern. Bitte melden Sie uns Ihre Beobachtungen und Adressen der Frauenhäuser in der Schweiz, wenn Ihnen diese bekannt sind.

Wir wollen transparente Opferhäuser für beide Geschlechter, frei von Ideologie und für alle Opfer von häuslicher Gewalt.

Siehe dazu auch die "Frauenhauslüge".
http://antifeminismus.ch/familie/frauenhausluege/index.php#0000009d6e13d6b03

Meldungen an info@antifeminismus.ch - Vielen Dank.

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RASSISMUS
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Bund 22.1.11

Im Sigriswiler Schneegestöber im Schnellzugstempo durch die jüdische Geschichte

 Der Einsender eines antijüdischen Texts im "Sigriswiler Anzeiger" hat sich - wie vor Gericht versprochen - einer Weiterbildung unterzogen.

 Markus Dütschler

 Es war kein Zufall, dass sich am Donnerstagabend zwei hochrangige Exponenten des Schweizerischen Israelitischen Gemeindebundes (SIG) für einen Vortrag ins verschneite Sigriswil hinaufbemühten: Vizepräsidentin Sabine Simkhovitch-Dreyfus aus Genf und Generalsekretär Jonathan Kreutner aus Zürich. "Wollen Sie mehr wissen über das Judentum und die Juden in der Schweiz?", so hiess das Thema. Der Abend bildete den Abschluss einer Affäre, die vor einem Jahr mit der Publikation einer antijüdischen Hetzschrift im "Sigriswiler Anzeiger" begonnen hatte.

 Ein Sigriswiler Bergbauer, nebenberuflich als Schwellenmeister für die Gemeinde tätig, liess im inoffiziellen Organ einen Text zur Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik abdrucken, dessen Inhalt im Satz gipfelte: "Das Welt-Judentum (Zionismus) hat die totale Ausraubung gewisser reicher Länder wie Deutschland, Schweiz, Österreich und anderer Staaten längst begonnen." Dem Dokument war sein Name beigefügt. Der Drucker in Gunten, der den Anzeiger herausgibt, gab später an, er habe den Text nicht ganz gelesen, sondern fast unbesehen ins Blatt gerückt wie Vereinsnachrichten, Gratulationen, Gemeindeinformationen oder eingesandte Verse.

 Textautor gab sich ahnungslos

 Die Publikation trug dem Bergbauern eine Strafanzeige wegen Verletzung der Antirassismusstrafnorm ein, für die er im Oktober in Thun vor Gericht stand. Er habe niemanden diskriminieren wollen, sagte der Mann vor Gericht, er habe nichts gegen Juden und wisse nicht einmal, was ein Zionist sei. Er sei ein einfaches "Bärgpuurli" mit zwei fleissigen Händen, politisch und gesellschaftlich nicht engagiert und historisch nicht gebildet. Den Text habe er beim Aufräumen seines Büros gefunden und nach einer Teillektüre gedacht, gewisse Aussagen darin erklärten zutreffend die heutige Situation - auch in Sigriswil.

 Vor Gericht verpflichtete er sich, sein Wissen über Judentum, Antisemitismus und Rassismus zu vermehren, indem er einen passenden Kurs besuche. Für dessen öffentliche Durchführung in Sigriswil steuerte er einen Unkostenbeitrag von 750 Franken bei.

 Die Einladung erschien zweimal im "Sigriswiler Anzeiger". Doch im Internet-Veranstaltungskalender der Gemeinde, in dem Anlässe wie Schneewandern oder Dorfrundgänge aufgelistet sind, fehlte jeglicher Hinweis. Gemeindepräsident Martin Sommer (Parteilose Bürger Sigriswil) liess auf Anfrage durch den Gemeindeschreiber ausrichten, der auf privater Basis stattfindende Anlass werde von der Gemeinde "weder organisatorisch noch finanziell unterstützt", man habe nur die Aula des Schulhauses Raft vermietet. Seitens der Gemeinde- und der Kirchenbehörden, die vor Jahresfrist die Besorgnis geäussert hatten, die Affäre bringe das Dorf zu Unrecht in Verruf, waren keine Vertreter vor Ort.

 Fluchtartiger Abgang am Schluss

 Gegen 40 Personen versammelten sich im Saal, um sich von den SIG-Exponenten 3000 Jahre jüdischer Geschichte im Schnellzugstempo erklären zu lassen, bis hin zur Katastrophe des Holocaust und der Gründung des Staates Israel 1948. Fast in letzter Minute gesellte sich auch der verurteilte Schwellenmeister zur Runde, nahm aber nicht auf den vorderen leeren Reihen Platz, sondern holte für sich und Familienangehörige eigens Stühle von einem Stapel und platzierte sie hinter der hintersten Reihe.

 Das restliche Publikum, zum Teil aus dem freikirchlichen Bereich, von denen offenbar viele noch nie mit Juden im Gespräch gewesen waren, benutzten die Gelegenheit, um sich über jene Religion zu informieren, aus der die eigene vor bald zwei Jahrtausenden hervorgegangen war. Was hat ein orthodoxer Jude davon, wenn er unzählige Gebote und Verbote einhält? Sind Muslime bezüglich Diskriminierung die Juden von heute? Verspüren Sie in sich kein Sehnen nach einem Leben in Israel, dem Land Ihrer Väter? Wieso bringen orthodoxe Grossfamilien eigene Kochtöpfe mit, wenn sie in Adelboden Ferien machen? Haben Sie als Jude einmal im Neuen Testament gelesen? Wieso erkennen Sie nicht, dass im Nahen Osten ein göttlicher Plan abläuft? Gibt es eine jüdische Autorität, die in religiösen Fragen abschliessend entscheidet? Woher stammt der Name Palästina? Die Referenten machten klar, dass nicht jeder Israeli Jude und nicht jeder Jude Israeli ist und dass es ganz verschiedene Arten gibt, das Judentum zu leben.

 Der Verurteilte blieb in der Fragerunde stumm, und kaum war die Veranstaltung zu Ende, verliess er die Aula fast fluchtartig, ohne einen Kommentar abzugeben.

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Bund 19.1.11

Israelischer Autor verurteilt wegen Diskriminierung

 Ein Vortrag in Wichtrach vor der Anti-Minarett-Abstimmung beschert Autor Avi Lipkin eine Geldstrafe.

 Der israelische Autor Avi Lipkin hat sich bei einem Referat in Wichtrach der Rassendiskriminierung und Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit schuldig gemacht. Lipkins Rede habe Äusserungen enthalten, die auf eine Verteufelung des Islams hinausliefen, sagt der frühere Untersuchungsrichter und heutige Staatsanwalt Thomas Perler. Er bestätigte damit Aussagen in der "NZZ am Sonntag". Der Israeli wurde per Strafmandat zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 50 Franken und einer Busse von 300 Franken verurteilt.

 Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil die Berner Justiz nicht weiss, ob Lipkin das Strafmandat tatsächlich erhalten hat. Perler liess Lipkin das Mandat via israelische Behörden zustellen.

 Lipkin hatte in Wichtrach und anderen Orten auf Einladung der Organisation Pro Israel Schweiz und des Schweizerischen Bunds aktiver Protestanten referiert. Der Israeli sprach zur angeblichen Bedrohung von Christen und Juden durch den Islam. Auch die EDU wies damals auf die Vorträge hin, die in die Zeit vor der Abstimmung über die Anti-Minarett-Initiative fielen. Aktiv wurde Richter Perler aufgrund mehrerer Anzeigen. Sie stammten unter anderem von der Berner Gemeinschaft der Muslime und von Mitgliedern des Islamischen Zentralrats.(sda)

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Thuner Tagblatt 18.1.11

Israelischer Autor verurteilt

 Wichtrach. Ein Berner Untersuchungsrichter hat den israelischen Autor Avi Lipkin wegen Rassendiskriminierung und Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit verurteilt.

 Der israelische Autor Avi Lipkin hat sich bei einem Referat in Wichtrach der Rassendiskriminierung und Störung der Glaubens- und Kultusfreiheit schuldig gemacht. Lipkins Rede habe Äusserungen enthalten, die auf eine Verteufelung des Islams hinausliefen, sagt der frühere Untersuchungsrichter und heutige Staatsanwalt Thomas Perler. Er bestätigte damit Aussagen in der "NZZ am Sonntag".

 Der Israeli wurde per Strafmandat zu einer bedingten Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu 50 Franken und einer Busse von 300 Franken verurteilt. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig, weil die Berner Justiz nicht weiss, ob Lipkin das Strafmandat tatsächlich erhalten hat. Perler liess Lipkin das Mandat via israelische Behörden zustellen.

 Lipkin hatte in Wichtrach und anderen Orten auf Einladung der Organisation Pro Israel Schweiz und des Schweizerischen Bunds aktiver Protestanten referiert. Der Israeli sprach zur angeblichen Bedrohung von Christen und Juden durch den Islam. Auch die EDU wies damals auf die Vorträge hin, die in die Zeit vor der Abstimmung über die Anti-Minarett-Initiative fielen. Aktiv wurde Richter Perler aufgrund mehrerer Anzeigen. Sie stammten unter anderem von der Berner Gemeinschaft der Muslime und von Mitgliedern des Islamischen Zentralrats der Schweiz.
 sda

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ALT-NAZI
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Bund 21.1.11

Die Naziphilie war nicht sein einziges "Hobby"

 Ein Schweizer Bankier, der für Hitler schwärmte, algerische Nationalisten und palästinensische Terroristen unterstützte: Willi Winkler beschreibt das mysteriöse Leben von François Genoud (1915-1996).

 Martin Ebel

 Joseph Goebbels war ein Menschheitsverbrecher und wäre, hätte er sich nicht mitsamt Frau und Kindern im Führerbunker umgebracht, sicher zum Tod verurteilt worden. Das Recht an seinen Schriften aber war sein gutes Recht - über den Tod hinaus. Bis 2015 muss jeder, der etwa aus Goebbels' "Tagebüchern" zitieren will, den Rechtsnachfolger um Erlaubnis bitten und Tantiemen zahlen. Diese Rechtsnachfolge hatte sich ein Schweizer Bürger gesichert, der zu den merkwürdigsten, ungreifbarsten und unappetitlichsten Gestalten der Nachkriegszeit gehört.

 François Genoud, 1915 in Lausanne geboren und 1996 in Pully gestorben (von eigener Hand, assistiert von der Organisation Exit), war ein "freischaffender Nazi", wie ihn der Journalist und Buchautor Willi Winkler nennt. Nachdem er als 17-Jähriger einmal Hitler vorgestellt worden war, hielt er ihm die Treue. Sein Hang zu NS-Hinterbliebenen und NS-Devotionalien verband sich mit einem ausgeprägten Geschäftssinn. Genoud besuchte Hitlers Schwester Paula (von der er vergeblich einen Generalvertrag erhoffte) oder die Witwe von Hitlers engstem Paladin, Martin Bormann. Hier gelang ihm sein erster Coup: Er erhielt und vermarktete erfolgreich die Ehebriefe der Bormanns sowie Mitschriften von Hitlers Tischreden. Das "Politische Testament" Hitlers übersetzte Genoud ins Französische und wieder zurück ins Deutsche, um, so Winkler, eine Art eigenes Urheberrecht zu schaffen.

 An Eichmann verdienen

 Den grössten kaufmännischen Erfolg erzielte er aber mit den Goebbels-Tagebüchern, die nach und nach aus verschiedenen Quellen auftauchten und Zeithistoriker wie Redaktionen hochgradig interessierten - wer drucken wollte, musste und muss zahlen, an Genoud als Inhaber des Nutzungsrechts (die Hälfte der Tantiemen geht an die Goebbels-Erben). Dass das Urheberrecht im Falle eines führenden Nazis überhaupt ausgeübt werden konnte - und nicht von der deutschen Bundesregierung als Kompensation für die Schäden, die er mitverursacht hatte, kassiert wurde: Darüber kann sich Willi Winkler nicht genug wundern.

 Auch an Adolf Eichmann wollte Genoud verdienen: Als der Organisator der "Endlösung" 1960 in Argentinien gekidnappt und in Israel vor Gericht gestellt wurde, besorgte Genoud die Verteidigung und bezahlte sie - mit den Einnahmen aus den Memoiren, die Eichmann in seiner Zelle schrieb. Wie ein Remake wirkt Genouds Engagement im letzten grossen Naziprozess: 1987 gegen den "Schlächter von Lyon", Klaus Barbie, der sich nach dem Krieg - mithilfe der Amerikaner und der katholischen Kirche - jahrzehntelang der Gerechtigkeit entzogen hatte. Genoud engagierte den Anwalt Jacques Vergès und besuchte den Kriegsverbrecher immer wieder im Gefängnis, auch nach dessen Verurteilung. Verdient hat er an Barbie allerdings nichts; dessen Ergüsse waren unbrauchbar für jede Verwertung.

 Spekulieren und Raunen

 Genoud hat seine Naziphilie einmal zynisch als "Hobby" bezeichnet. Es blieb nicht sein einziges. Er begriff sich als Antikolonialist und unterstützte deshalb die algerische Unabhängigkeitsbewegung FLN. Auch diese spezielle Zuneigung hatte seine Wurzeln in einem Jugenderlebnis: Mit einem Freund hatte er in den 1930er-Jahren den Orient bereist und den Mufti Hadj Amin al-Husseini kennen und schätzen gelernt, einen berüchtigten Antisemiten und Hitler-Bewunderer. Über Genouds Genfer Banque Commerciale Arabe liefen die Geld- und Waffengeschäfte der FLN, nach der Unabhängigkeit 1962 wurde der Schweizer eine Art Berater der Regierung.

 Von Freiheitskämpfern zu Terroristen war es kein grosser Schritt, wenn nur die "Weltanschauung" stimmte - immer gegen die "Zionisten". Und das war Wadi Haddad, einer der Führer der Volksfront für die Befreiung Palästinas (PFLP), der mit Bombenattentaten und Flugzeugentführungen die Welt in Angst und Schrecken versetzte. 1971 war Genoud in Beirut Gast auf einer makabren Siegesfeier von Haddad und Kumpanen, ein "Hospitant des Terrors", wie Winkler schreibt.

 Der Hospitant war erstaunlich aktiv, nützlich und ungreifbar. 1972 arrangierte er eine Lösegeldzahlung von fünf Millionen Dollar für eine entführte Lufthansa-Maschine - wobei das, folgt man Winklers Deutung, zugleich eine Schutzgeldzahlung der Airline an Haddad war, um nicht wieder behelligt zu werden. Dass er bei solchen Deals öfters die Hand im Spiel hatte, deutete Genoud etwas beleidigt gegenüber der deutschen Regierung an, als die eine Einreisesperre gegen ihn verhängte. Die Wahrheit wissen, wenn überhaupt, nur die Geheimdienste, ohne deren Duldung Genouds Wirken nicht vorstellbar ist.

 Die Aktion der Deutschen blieb die Ausnahme: Die Behörden, auch die der Schweiz, liessen Genoud in Ruhe. Er wurde überwacht (über kaum einen Schweizer dürfte es mehr Fichen geben), aber nie angeklagt. Einerseits, weil ihm keine "harten" Straftaten nachzuweisen waren, zum anderen, weil er nützlich war: als Mann mit Verbindungen in der chaotisch-gefährlichen Gemengelage zwischen "revolutionären" Regierungen und kriminellen Terroristen.

 Revolutionsromantik spielte wohl mit bei der Begeisterung des Schweizer Bankiers für den geltungssüchtigen Superterroristen Carlos, der 1975 unter anderem den Anschlag auf die Wiener Opec-Konferenz verübte. Hier zeigt Winklers Buch allerdings seine Schwäche am deutlichsten: Die gegenseitige Sympathie ist erwiesen; es gibt aber keine Beweise dafür, dass Genoud in irgendeinen von Carlos' Terrorakten involviert war. Also verlegt sich Winkler aufs Spekulieren und Raunen. Ob und wie Genoud dem flüchtigen Terroristen Aufnahmeländer vermittelt hat, bleibt im Dunkeln. Sicher ist erst wieder, dass Genoud Carlos, als dieser endlich in Paris im Gefängnis sass, seine Aufwartung machte. Beide träumten davon, sich später in einer Art Walhalla des antizionistischen Kampfes wiederzusehen.

 An Genoud haben sich schon zu dessen Lebzeiten zwei Biografen versucht, die sich auf lange Gespräche mit dem auskunftsfreudigen Hitler-Verehrer stützten. Winkler hat von diesen Quellen profitiert und sich durch viel Aktenmaterial gewühlt. Flott schreiben kann er auch. Das führt zu einer fesselnden Lektüre, bei der man einer dubiosen Figur, die ihre Finger in allen möglichen Schweinereien drin hatte, ohne sie sich wirklich schmutzig zu machen, durch eine verrückte Zeit folgt."Eine regelrechte Biografie ist nicht möglich", räumt Winkler ein. Allerdings hat er die Lücken oft mit zu viel spekulativem Schaum gefüllt. Die definitive Biografie des Schweizer Dunkelmanns wird wohl nie geschrieben werden.

 Willi Winkler: Der Schattenmann. Von Goebbels zu Carlos. Das mysteriöse Leben des François Genoud. Rowohlt, Berlin 2011. 350 S., ca. 38 Franken.

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"MANIPULATION"
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20min.ch 23.1.11

Fichen-Brandauer: Die "Dreckssäcke unter uns"

 Klaus Maria Brandauer brilliert in dem Fichen-Film "Manipulation" - und verrät uns seine Meinung über Lobbyismus und den Ruf nach der Schweizer Atombombe.

Philipp Dahm

 Ob er schon einmal von der Fichen-Affäre gehört habe, bevor er das Drehbuch zu "Manipulation" bekam, fragte 20 Minuten Online Sebastian Koch beim Genfer "IWC"-Anlass "A Night in Portofino". Der Darsteller, der perfekt den undurchsichtigen PR-Chargen Dr. Harry Wind im kommende Kino-Highlight "Manipulation" spielt, ist ehrlich: "Nö!" Ob sich der Deutsche hätte träumen lassen, dass die Schweiz einst zehn Prozent der eigenen Bevölkerung geheimdienstlich überwacht habe, fragen wir weiter. "Nö", sagt er lächelnd.

 Der Schauspieler aus "Das Leben der Anderen" sagt auf dem Roten Teppich, er liebe die Schweiz, habe oft hier Ferien gemacht und sei immer wieder gerne gekommen, aber der grösste Nachkriegsskandal der hiesigen Geschichte war ihm neu. Und dabei ist es alten Branchenhasen wie ihm und Klaus Maria Brandauer zu verdanken, dass ein Politthriller, der viel in muffigen Verhörräumen der 50er-Jahre spielt, trotz dieses vermeintlichen Mankos ein spannendes Stück Schweizer Geschichte wurde, das kurzweilig anzusehen ist (Mehr zum Film in obiger Bildstrecke).

 Welche Werte verteidige ich wie?

 Als wir den Klaus Maria Brandauer selbst in Solothurn treffen, wo der Streifen an den Filmfesttagen uraufgeführt wurde, ist der Altmeister aus Produktionen wie "James Bond: Never Say Never" und "Out of Africa" gesprächig und gelöst. Im Gegensatz zu seinem 18 Jahre jüngeren deutschen Kollegen Koch wusste der 66-jährige Österreicher auch von der Fichen-Affäre Bescheid - auch weil er seine Kindheit teilweise in der Nähe Basels verbracht hat.

 Einer der Grossväter Brandauers war Zollkommissar im Badischen Bahnhof in Basel - und nun spielt der Darsteller erstmalig selbst Maria Rappold einen Beamten. Im Interview redet Brandauer frei über Manipulation gestern und heute: Sie gehöre dazu, sagt er, auch wenn er das ablehne. Dass ein Land wie die Schweiz in einem waffenstarrenden Europa die Möglichkeit erwogen hat, Atombomben zu beschaffen, verstehe er sogar ein Stück weit: Ob es daran liegt, dass er als Österreicher ein offeneres Visier hat, als ein vom "NATO-Doppelbeschluss" geprägter Deutscher?

 Klaus Maria Brandauer über Manipulationen (Interview: Philipp Dahm, Kamera/Schnitt: Matthieu Gilliand).

 Nachdem Brandauer im Januar 2008 noch in der Schweiz gedreht hat, stand er im Mai desselben Jahres schon wieder in Argentinien vor der Kamera: Unter der Anleitung von Regisseur Francis Ford Coppola ("Apocalypse Now", "The Godfather: Part III") drehte er dort an der Seite von Vincent Gallo ("L.A. Without a Map") den Streifen "Tetro". Natürlich seien die Dreharbeiten unter der Führung der Hollywood-Legende andere gewesen als sie in der Schweiz, doch am Ende komme es auf eine gute Geschichte an, sagte uns Brandauer weiter.

 (Video: 20Minuten Online)

 Klaus Maria Brandauer zum Dreh mit Francis Ford Coppola (Interview: Philipp Dahm, Kamera/Schnitt: Matthieu Gilliand).

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Bund 22.1.11

"Die Rolle bin ich"

 In "Manipulation" spielt Klaus Maria Brandauer einen Schweizer Bundespolizisten im Kalten Krieg. An den Solothurner Filmtagen sprach der Österreicher über diesen Urs Rappold, der bedingungslos ans Systemglaubt..

 Interview: Christoph Schneider

 In "Manipulation" steckt ein Kern historischer Wahrheit: Die Schweiz wollte im Kalten Krieg eine eigene Atombombe. Hätten Sie dem Land so radikale Fantasien zugetraut?

 Es hat mich nicht sehr überrascht, weil ich während des Heranwachsens eine gewisse Zeit an der Schweizer Grenze verbracht habe, in Grenzach. Und nun erinnerte ich mich wieder, dass es damals schon hiess: Die Schweizer haben all ihre Berge ausgehöhlt und lagern Flugzeuge unterirdisch und sind überhaupt bis an die Zähne bewaffnet - und was glaubst denn du, warum die Deutschen seinerzeit nicht gekommen sind? Das beeindruckt Kinder, die sich als streitende Länder die Köpfe einschlagen. Heute denke ich über diese Bubenspiele: eigentlich schrecklich, dass niemand ein Wort dagegen gesagt hat. Da ist doch im Grunde genommen die Katastrophe des Weltkriegs einfach in die Fünfzigerjahre hinübergeschwappt wie zur Vorbereitung einer neuen Katastrophe.

 War diese Erinnerung jetzt eine künstlerische Motivation?

 Wohl schon. Dazu kam das Interesse an der Schweiz, von der ich eben auch schon als Bub gehört habe, dass sie eine der ältesten Demokratien der Welt sei. Das stimmt ja, und das imponiert mir heute noch, auch wenn ihr das Frauenwahlrecht so spät eingeführt habt.

 Es hat Jahre gedauert, bis der Film fertig war. Es wurde beträchtlich gestritten. Wie zufrieden sind Sie persönlich mit dem Ergebnis?

 Ich bin sehr froh, dass der Film endlich da ist. Ich freue mich über die Premiere in Solothurn und darüber, dass Menschen ihn jetzt sehen können. Ich habe mich zum Mitmachen entschlossen, weil ich das Thema wichtig finde und die Figur mich gereizt hat. Besonders fein wärs, wenn nicht nur ein Publikum in der Schweiz etwas mit dem Film anfangen könnte, sondern auch in Deutschland oder sogar in anderssprachigen Ländern.

 Reden wir etwas über diese Figur, den Bundespolizisten Urs Rappold. Erinnert man sich als Schauspieler nach so langer Zeit eigentlich noch ans eigene Arbeitskonzept und die Vorstellung von einer Rolle? Sie sind ja nicht gerade unterbeschäftigt.

 Weiss Gott. Aber wissen Sie, natürlich wird man oft gefragt, wie gehen Sie an diese oder jene Figur heran. Ich möchte zunächst ganz allgemein antworten: So individuell brauche ich mich gar nicht zu erinnern. Ich bin jetzt 67, ein Stückespieler im Theater, ein Figurenspieler im Film, und ich habe die Proben und Rollen von Jahrzehnten auf dem Buckel. Keine ist losgelöst von der anderen, glaube ich. Ich gehe ans Neue immer heran mit dem, was dieses Spielerleben mich gelehrt hat. Ich verbinde Themenkreise mit fiktiver Individualität, und wenn mich ein Sujet - sozusagen das Märchen - fasziniert, dann finde ich mich zurecht und meinen Platz unter den Mitspielern und Kombattanten, wenn die am gleichen Strang fürs Ganze ziehen.

 Könnten Sie das am Beispiel von Urs Rappold konkret erklären?

 Ich weiss schon noch, was mich an ihm interessiert hat: dieses reine Wesen eines Menschen, der an ein System glaubt und ein Leben lang überzeugt ist, dass es seinen Schutz verdient. Der Mann sitzt im Rollstuhl, weil ihn so ein verdächtiger "Systemzertrümmerer" niedergeschossen hat, und das persönliche Opfer hat seinen Glauben nur noch gefestigt. Dem müsse man sich mit Respekt nähern, fand ich. Aber es kamen die Widersprüche dazu. Wie lebt so einer im Dilemma zwischen dem guten Glauben und den eigenen, unfeinen Geheimdienstmitteln? Und dann stellt die Geschichte ja auch die hoch spannende Frage, wie es so ein Mensch aushält, wenn er dahinterkommt, dass seine Vorgesetzten ans System gar nicht so sehr glauben wie er.

 Hat der Roman von Walter Matthias Diggelmann Sie inspiriert? Dort wird Rappold vor allem durch den Filter eines Icherzählers betrachtet. Er sitzt da auch nicht im Rollstuhl.

 Das Inspirierende bei Diggelmann war nicht so sehr diese Figur, sondern, allgemeiner, der Ebenenwechsel zwischen dem Wahren und dem Unwahren - diese sehr moderne Erzählung über ein mediales Verwirrspiel.

 Ihr Rappold scheint diesem Glauben ans System auch ein wenig überdrüssig zu sein. Nach dem Selbstmord eines Verdächtigen schimmern bei ihm Zeichen von Zweifel durch. Wenn Rappold ermittelt, ist es auch eine Ermittlung gegen sich selbst: War es richtig, was ich, Urs Rappold, ein Leben lang getan habe? Deckt sich dieser Eindruck mit Ihrer Intention bei der Gestaltung der Rolle?

 Ganz klar. Es freut mich, dass Sie das so wahrgenommen haben. Eine Ermittlung des Herrn Rappold gegen sich selbst - das ist es, was zur Geschichte des Romans und auch des Films hinzukommt: Über diese Interpretation bin ich wirklich nicht unglücklich. Und die Ermittlung beginnt, so sehe ich es, schon als sie ihn holen fürs Verhör des Harry Wind, kurz vor der Pensionierung. Schon da fragt er sich: Warum ich, ich bin doch ein alter Sack? Du bist der Beste, sagen ihm alle, und er wird misstrauisch gegen diese übertriebene Art. Das wollte ich in die Rolle hineinlegen, aus dem Gedanken heraus: Wie macht jemand weiter, der einen Selbstmord quasi provoziert hat? Das stand so nicht im Buch, aber ich stelle mir als Schauspieler die Aufgabe, einen Text so zu beleben.

 Im Kino kann man schöne mimische Nuancen setzen. Wie unterscheiden sich die Spannungs- und Atembögen beim Film und beim Theater?

 Atembögen, das ist ein gutes Wort, weil es den körperlichen Unterschied bezeichnet. Der Atem ist eine ganz wesentliche Sache, wenn Sie hundert Meter Burgtheater vor sich haben. Da kommt das Spiel aus einer immensen Anstrengung, und dazu brauchen Sie Luft und ein Sein und ein Instrument. Deshalb muss man eigentlich anders ausbilden für Film und Theater. Der Film darf den ganz normalen, natürlichen Atem nutzen.

 Sie haben in Kinoproduktionen gespielt, die mit der grossen Kelle angerichtet waren. Wie zentral ist der Film für Sie in Ihrer Karriere?

 Sie meinen im Vergleich zum Theater: Ich halte diese Kunstformen für gar nicht so nah verwandt, dass man sie leicht vergleichen könnte. Theater ist ein ereignishafter Moment, ein Moment von Gemeinsamkeit und Einsamkeit mit mythisch-mystischem Boden. Bei der Filmerei sagt der Mensch, der man ist: Die Rolle bin ich. Aus. Theater ist viel mehr Projektion, in die man sich immer wieder hineindenkt. Natürlich bleibe ich ich, und natürlich ists nicht schlecht, an die eigene Projektion zu glauben. Aber trotz aller Verabredungen ist so ein Theaterabend von drei, vier Stunden für mich als Schauspieler eine Zeit des Alleinseins mit meinen veränderlichen Mitteln; so wie wenn jemand beim Kochen sagt, da nehme ich jetzt mal ein bisschen Safran und dann noch ganz wenig Salz, am allerbesten eins aus Bad Ischl.

 Das klingt fast nach einem heiligen alchimistischen Akt.

 Ich bin nicht dagegen, wenn Sie das sagen.

 Ihre grossen Projekte der letzten Jahre - "Wallenstein", "Der zerbrochene Krug", "Ödipus auf Kolonos", alle mit Regisseur Peter Stein - waren Theaterarbeiten. Fliesst, allen Filmen zum Trotz, da Ihr Herzblut?

 Es fliesst, ja, aber es fliesst auch im Film. Allerdings bin ich dem Film nie nachgelaufen. Im Gegenteil, es gab Jahre, da dachte ich, als Hamlet des Burgtheaters hätte ich das Filmen wirklich nicht nötig. Ich empfand das Theater als die grösste Entfaltungsmöglichkeit, die ich als Schauspieler kriegen konnte. Womöglich ist das immer noch so. Aber nichts gegen die mikrokosmischen Möglichkeiten eines Films.

 Aber Bruno Ganz, ein Grosser des Theaters und Träger des Iffland-Rings, sagt, das Theater sei ihm abhandengekommen. Alles schauspielerisch Spannende finde heute im Kino statt. Ist Ihnen dieser Gedanke fremd?

 Er ist mir nie gekommen. Wenn ich es mit einer Ehe vergleiche, dann bin ich zwar mit dem Theater verheiratet, aber nicht unglücklich, Möglichkeiten im Film zu finden. Ich habe sie stets mit grosser Lust und Laune wahrgenommen. Nur: Wenn Sie älter werden, sind die Filmrollen nicht häufig, an denen Sie sich kraftvoll die Zähne ausbeissen können. Sobald es eine für mich gibt, und wenn die Produktionsbedingungen stimmen: jederzeit.

 Kommen wir zum Schluss, weil gerade die Solothurner Filmtage sind, zurück zum Kino. Es fällt auf, dass Sie in Film und Fernsehen oft historische Figuren gespielt haben: Julius Cäsar, Danton, Kaiser Franz Josef. Sie tragen gut Kostüm. Leben Sie da eine Vorliebe aus?

 Keinesfalls. In "Vercingetorix" als Julius Cäsar und mit Brustpanzer und Helm in den wunderbaren bulgarischen Hügeln - ein Horror. Ich bin fast im Boden versunken, als ich mich später gesehen habe. Andererseits: Da watschelt plötzlich Max von Sydow auf dich zu, kostümiert als gallischer Oberdruide. Ich sage Ihnen: Skurrileres als bei Dreharbeiten habe ich nie erlebt.

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 Klaus Maria Brandauer

 Kantiger Auftritt in "Manipulation"

 Geboren 1943 in Altaussee in der Steiermark, gehört Brandauer zurElite der europäischen Schauspieler. Seine künstlerische Heimat war immer das Theater - insbesondere das Wiener Burgtheater, dessen Ehrenmitglied er ist. Aber wie kaum sonst ein deutschsprachiger Schauspieler hat er auch Erfolge im internationalen Kino gefeiert: in Istvan Szabos "Mephisto" (1981), als Gegenspieler von Sean Connery im Bond-Film "Never Say Never Again" (1983) oder als Baron Blixen in Sidney Pollacks "Out of Africa" (1985). In "Manipulation" - einer Verfilmung von Walter Matthias Diggelmanns Roman "Das Verhör des Harry Wind" - spielt Brandauer nun eindrücklich kantig einen Schweizer Bundespolizisten, der sich in der Zeit des Kalten Kriegs in einem Gewirr von gefälschten Wahrheiten fast verliert ("Bund" von gestern). Der Film kommt am 3. Februar in die Kinos. (csr)

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Newsnetz 19.1.11

Kino

 Als die Schweiz die Atombombe wollte

Philippe Zweifel

 Die Schweiz wollte im Kalten Krieg unbedingt eigene Atomwaffen. Der Film "Manipulation" blickt auf die Zeit von Paranoia, Geheimkommissionen und Fichen zurück.

 Der Eröffnungsfilm der Solothurner Filmtage, die morgen beginnen, hat es in sich. Nicht nur weil er mit den beiden Schauspielschwergewichten Klaus Maria Brandauer und Sebastian Koch hervorragend besetzt ist. "Manipulation" erzählt ein Stück Schweizer Geschichte, das zwar schon lange zurück liegt, aber nach wie vor fasziniert - nicht zuletzt, weil es immer noch aktuell ist: Die Manipulation der öffentlichen Meinung.

 Die Geschichte spielt 1956 während des Kalten Kriegs. Nachdem die amerikanischen Atombomben über Hiroshima und Nagasaki der Welt das Vernichtungspotential der Kernwaffen vor Augen geführt hatten, machen sich auch in der Schweiz Politiker und Militärs Gedanken über die Landesverteidigung im nuklearen Zeitalter. Die Schweizer Regierung will zum Schutz gegen die Bedrohung aus dem Osten eine eigene Atombombe und legt flankierend Fichen über vermeintliche Kommunisten an (10 Prozent der Bevölkerung). Diese Paranoia will natürlich auch bewirtschaftet sein. Zentrale Figur des Films ist denn auch Harry Wind, ein aalglatter PR-Berater, von dem man nicht weiss, ob er bei den Schweizern oder den Russen auf der Lohnliste steht.

 Politischer Stoff

 Der Film basiert auf dem Buch "Das Verhör des Harry Wind" des verstorbenen Schweizer Autors Walter Matthias Diggelmann, einer der engagiertesten Schweizer Autoren seiner Zeit. "Das Verhör des Harry Wind", erschienen 1962, war eine Provokation für ein Land, das sich gerne als älteste und beste Demokratie der Welt verstand. "Ich bin ein Drahtzieher", lässt Diggelmann Harry Wind etwa von sich selbst sagen, "ich herrsche. Ich herrsche überall, wo es zu herrschen gilt." Und: "Ich bringe Atombomben mit derselben Leichtigkeit in die Schweiz wie Bananen." Diggelmann konnte seine Bücher danach zeitweise nur noch im Ausland veröffentlichen.

 "Das Verhör des Harry Wind" war denn auch ein äusserst politisches Buch - und ist es noch heute. Der Stoff gibt Einblick in die Arbeit an der öffentlichen Meinung, macht sichtbar, wie der Ausgang einer Volksabstimmung durch eine PR- und Werbekampagne beeinflusst wird. "Wahrheit ergibt sich nur aus den Geschichten", erklärt Harry Wind dem Bundespolizisten Rappold, der wegen Landesverrats gegen ihn ermittelt. Ein Satz, der auch für Diggelmanns Werk herhalten kann, das oft mit der Biografie des Autors verbunden war. (Bis zu seinem Tod Ende der 70er Jahre galt Diggelmann als Nonkonformist. Er selbst bezeichnete sich als "Geschichtenerzähler" - denn, wie sagt Harry Wind: "Nur wer eine gute Geschichte hat, dringt durch."

 "Das Verhör des Harry Wind" ist ein Roman, der ein präzises Bild der schweizerischen Gesellschaft Ende der 50er Jahre gibt. Die Filmversion, so viel sei trotz Info-Sperrfrist schon jetzt verraten, konzentriert sich vor allem auf das Duell Wind-Rappold (von Koch und Brandauer gespielt).

 Eine ausführliche Filmkritik von "Manipulation" folgt in den nächsten Tagen.

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BIG BROTHER
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NZZ am Sonntag 23.1.11

USA enttäuscht über Absage an Spionage-Einheit

 Depeschen beweisen, dass die USA in Bern ein Observations-Team einsetzen wollten - und wie enttäuscht sie auf die Absage der Schweiz reagierten.

 Heidi Gmür

 Im Dezember 2006 waren die USA zuversichtlich, dass sie in Bern bald ein Observations-Team - eine sogenannte Surveillance Detection Unit - einsetzen können, um die US-Botschaft vor Terroranschlägen zu schützen. In einer kürzlich von Wikileaks publizierten Depesche meldete die damalige US-Botschafterin Pamela Willeford erfreut nach Washington, man habe den Kanton Bern in dieser Sache "nach vielen Jahren" umstimmen können. Wie die "NZZ am Sonntag" letzte Woche publik machte, erteilte der Bundesrat dem Ansinnen im August 2007 aber eine Absage. Das wiederum quittierte Willefords Nachfolger Peter Coneway in einer Depesche vom Dezember 2008 mit den Worten: "Die enttäuschendste Sicherheits-Angelegenheit war die Ablehnung unseres Gesuchs, ein Surveillance Detection Team einzusetzen."

 Eine weitere Depesche zeigt indes, dass die US-Mission in Genf bereits im Oktober 2005 einen Surveillance-Detection-Techniker angestellt hatte. Dieser hatte einen muslimischen Genfer Intellektuellen und dessen Begleitung observiert und die beiden inklusive Bildern in der US-Datenbank Simas registriert. Simas steht für Security Incident Management Analysis System, in dem die US-Aussenstellen weltweit verdächtige Vorfälle sammeln. Zur Frage, wie viele Schweizer Simas-Einträge es gibt, äussern sich weder die Schweiz noch die USA. Derzeit prüfen die Schweizer Behörden, ob sich die USA in Genf allenfalls mit illegalen Methoden gegen Terroranschläge schützen.

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Liechtensteiner Vaterland 21.1.11

Liechtenstein

 Fingerabdrucksystem droht Totalausfall

 Weil das bisherige System an seine Grenzen stösst, hat der Bundesrat der Beschaffung eines neuen Identifikationssystems für Finger- und Handflächenabdrücke zugestimmt. Davon betroffen ist auch die Landespolizei, da sie an die Schweizer Datenbank angebunden ist.

 Von Bianca Cortese

 Vaduz/Bern. - Wie das Bundesamt für Polizei (fedpol) mitteilt, soll das sogenannte "AFIS New Generation" voraussichtlich 2013 das alte System ablösen. Die Kosten von rund 18,5 Millionen Franken werden vom Bund getragen. Wie es diesbezüglich in Liechtenstein aussieht, ist noch offen. Aber Tina Enz bestätigt, dass die Landespolizei seit zirka Mitte der 90er-Jahre mit derselben Technologie arbeitet: "Wenn in der Schweiz diesbezüglich also Änderungen vorgenommen werden, betrifft das auch uns", so die Mediensprecherin der Landespolizei. Nähere Informationen, ob und wann die Erneuerung stattfindet, kann sie zum jetzigen Zeitpunkt nicht geben.

 Leistungsgrenze erreicht

 Das automatisierte Fingerabdruck-Identifikationssystem AFIS wird seit 1984 vom Bundesamt für Polizei (fedpol) betrieben und ist diesem zufolge aus der Sicherheitslandschaft "nicht mehr wegzudenken", wie aus einer Medienmitteilung des Amtes hervorgeht. Das zentrale, nationale System kommt vor allem bei der Identifikation von Personen und Tatortspuren zum Einsatz. 2009 wurden mit AFIS rund 128 000 Überprüfungen durchgeführt, was zu 52 000 Personenidentifizierung geführt hat. Gleichzeitig konnten über Analyse und Vergleich von Finger- und Handflächenabdrücken, die an Tatorten gesichert wurden, rund 2 300 Personen identifiziert werden. Dabei handelt es sich grössenteils um Täterspuren.

 Seit der letzten Erneuerung des Systems im Jahr 2002 hat sich das Auftragsvolumen massiv erhöht. Die technischen Leistungsgrenzen sind zwischenzeitlich in allen Bereichen erreicht: Eine Weiterführung des bestehenden Systems kann "mittelfristig zu einem Totalausfall" des gesamtschweizerischen Fingerabdrucksystems führen. Das Bundesamt für Polizei könnte dann seinen Leistungsauftrag gegenüber Kantonspolizisten, Grenzwachkorps, Interpol-Partnerstaaten und weiteren Partnern, die das System rund um die Uhr nutzen, nicht mehr erfüllen.

 Neben den technischen Gesichtspunkten gelte es auch den zunehmenden internationalen Bedürfnissen Rechnung zu tragen, heisst es in der Mitteilung weiter. Der Datenaustausch geschehe heute über die Schnittstellen zu Eurodac, der europäischen Asyldatenbank, sowie mit den Interpol-Partnerstaaten. "Damit die technischen und qualitativen Anforderungen auch in Zukunft erfüllt werden können, muss das bestehende AFIS durch das neue System ‹AFIS New Generation› abgelöst werden."

 Über 800 000 Abdrücke

 In der AFIS-Datenbank befinden sich zirka 30 000 2-Finger-Abdrücke, 725 000 10-Finger-Abdrücke (davon rund 550 000 mit Handflächen) sowie 50 000 offene Tatortspuren. Im AFIS werden nur die Fingerabdruck-Daten gespeichert. Die dazugehörenden Personen- und Fallangaben sind physikalisch getrennt und in einem separaten Informationssystem gespeichert. Erst wenn ein Suchlauf zu einer Übereinstimmung mit einem gespeicherten Abdruck führt, kann eine Verbindung zu den Personen- und Fallangaben hergestellt werden. Dieses Vorgehen gewährleistet den gesetzlich verankerten Datenschutz.

 Nähere Infos unter www.fedpol.admin.ch und www.ejpd.admin.ch

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20min.ch 20.1.11

Widerstand gegen Projekt Indect: "Wir sind alles Terroristen"

 Das EU-Überwachungsprogramm Indect stösst in Deutschland auf wachsenden Widerstand. Und auch die Leser von 20 Minuten Online haben heftig reagiert.

 Wann ist menschliches Verhalten verdächtig oder gefährlich? Und wer darf das beurteilen? Wenn es nach den Vorstellungen europäischer Sicherheitsfachleute geht, dann werden wir in Zukunft alle überwacht. Ob wir im Internet surfen, in der Stadt einkaufen oder im Zug telefonieren - der Staat sieht und hört mit.

 Bislang stellte die unvorstellbar grosse Datenmenge, die nur schon bei der Telekommunikation anfällt, die Überwacher vor Probleme. Darum wird intensiv geforscht, wie aus einer unüberschaubaren Menge von Informationen diejenigen herausgepickt werden, die aus staatsschützerischer und polizeilicher Sicht interessant sind.

 Das mit 15 Millionen Euro finanzierte EU-Forschungsprojekt Indect will genau das. Ziel ist es, "abnormales Verhalten" automatisch zu erkennen und frühzeitig darauf zu reagieren. So könnte das Überwachungssystem auf aggressive Stimmen und gewalttätige Mimik in Videos und Bildern reagieren. Wer im Internet negativ auffällt, soll anschliessend auch im realen Leben ausspioniert werden. Dazu werden verschiedenste Informationskanäle angezapft.

 Genutzt werden die zunehmende Videoüberwachung und die Handy-Ortung, geplant ist aber auch die flächendeckende Überwachung öffentlicher Plätze durch unbemannte Flugobjekte (Drohnen). Weil der Mensch nicht mehr in der Lage ist, die gewaltigen Datenmengen zu sichten, übernehmen die Computer diese Aufgabe. Sie filtern potenziell gefährliche Situationen heraus. Daran forscht auch eines der bei Indect beteiligten Industrieunternehmen, die deutsche Firma Innotec Data.

 Ein "Horrorszenario"

 Was nach absoluter Paranoia tönt, könnte dank Indect Realität werden. Dies zeigt ein Beispielvideo, das aus den Anfängen des Indect-Projekts stammt und von der Projektkoordinationsstelle in Polen realisiert wurde.

 In Deutschland wächst der Widerstand gegen das Big-Brother-Projekt. Der Kampf wird auch im Internet geführt. Unter http://indectproject.eu ist eine Website aufgeschaltet worden, die der offiziellen Indect-Website (www.indect-project.eu) gleicht - ja in grossen Teilen kopiert worden ist. Die Projektverantwortlichen warnen denn auch laut Online-Dienst heise.de vor der Fälschung und sagen, das illegale Vorgehen sei typisch für die Gegner des Projekts.

 Kunst-Protestaktion

 Tatsächlich handelt es sich beim Plagiat um eine künstlerische Protestaktion aus Deutschland. Ziel sei es, das politische Bewusstsein zu fördern, lassen die Urheber verlauten. In fetter roter Schrift werden die Besucher auf die Fälschung hingewiesen. Ausserdem sind Links aufgeführt, die zu zahlreichen Indect-kritischen Medienberichten verweisen. Ausserdem kann die auf 3Sat ausgestrahlte Sendung "Kulturzeit" abgerufen werden.

 Reporter des Fernsehsenders veranschaulichen, wie das EU-Projekt den Alltag der Bürger tangieren könnte. In der Sendung äussert sich auch der Datenschutzbeauftragte der Stadt Berlin: Die Beschreibung des Projekts Indect versammle "ein regelrechtes Horrorszenario von Überwachungsmassnahmen, die getestet oder ausprobiert werden sollen", sagt Alexander Dix. Und weiter: "Aus meiner Kenntnis ist kein Datenschutzbeauftragter einbezogen worden". Dabei müsste doch eigentlich klar geregelt sein, welchem Zweck eine solche Beobachtung diene.

 Leser-Reaktionen

 Heftige Reaktionen hat auch der Bericht von 20 Minuten Online über Big Brother im Quadrat ausgelöst. Die meisten Kommentare richten sich gegen staatliche Überwachung. Ein Leser schreibt ironisch: "Wir sind alles Terroristen, wir müssen überwacht werden", ein anderer meint: "Video-Überwachung an sich wäre noch eines, aber all die Facebook- und Netzwerk-Junkies geben sogar noch ihre Daten preis".

 Vereinzelt sind aber auch Stimmen zu hören, die sich von der Überwachung mehr Sicherheit im öffentlichen Raum erhoffen. Ein weiterer Leser meint schliesslich: "Das dauert keine zehn Jahre mehr dann wird einem bei Geburt gleich ein Chip mit GPS-Sender in die Rübe geschossen und das wie immer unter dem Deckmäntelchen der Sicherheit." (dsc)

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20 Minuten 20.1.11

Projekt Indect: So werden wir künftig überwacht

 Ein deutscher Europa-Politiker warnt vor einem "Forschungsprojekt", das die Totalüberwachung der Bürger bringe.

 George Orwells Schreckensvision von einem Big-Brother-Staat, der seine Bürger komplett überwacht, ist näher denn je. Die Europäische Union finanziert ein grenzüberschreitendes Forschungsprojekt, das alle bestehenden Überwachungstechniken zu einem mächtigen Instrument verbinden soll.

 "Für die Sicherheit der Bürger" prangt auf der Website des Indect-Projekts. Man wolle Kriminalität bekämpfen - im Internet und auf den Strassen. Dank Indect soll die Polizei in Zukunft alles sehen und alles mitverfolgen können, was die private und öffentlichen Sicherheit bedroht oder in ein Verbrechen mündet. An die 15 Millionen Euro hat die Europäische Union bereits für das Projekt gesprochen, das während der Fussball-Europameisterschaft 2012 erstmals in der Praxis getestet werden soll.

 Kritiker wie der deutsche Journalist Florian Rötzer, der seit Jahren über das Indect-Projekt berichtet, sprechen von einem totalen Überwachungsprogramm. Dem pflichtet der deutsche Europa-Parlamentarier Alexander Alvaro bei. In einem Radiointerview wunderte er sich kürzlich, warum das Projekt noch immer nicht vom "Radar der Öffentlichkeit" erfasst wurde.

 Tangiert Indect auch die Schweiz? Gibt es eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Überwachungssystems? 20 Minuten Online hat eine entsprechende Anfrage beim Bundesamt für Polizei platziert. Die Antwort steht noch aus. Die Leser von 20 Minuten Online sind ob eines solches Szenarios jedenfalls sehr beunruhigt, wie die Talkback-Einträge (siehe Box) zeigen.  

Daniel Schurter

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20min.ch 19.1.11

Projekt Indect: Big Brother im Quadrat

 Ein deutscher Europa-Politiker warnt vor einem "Forschungsprojekt", das die Totalüberwachung der Bürger bringe. Der Praxistest soll an der Fussball-EM 2012 erfolgen.

Daniel Schurter

 George Orwells Schreckensvision von einem Big-Brother-Staat, der seine Bürger komplett überwacht, ist näher denn je. Die europäische Union finanziert ein grenzüberschreitendes Forschungsprojekt, das alle bestehenden Überwachungstechniken zu einem mächtigen Instrument verbinden soll. Beteiligt sind wissenschaftliche Institute in 10 Ländern - darunter Deutschland und Österreich.

 "Für die Sicherheit der Bürger" - prangt auf der Website des Indect-Projekts. Man wolle Kriminalität bekämpfen - im Internet und auf den Strassen. Indect - die Abkürzung steht für "Intelligent Information System supporting Observation, Searching and Detection for Security of Citizens in Urban Environment". Kurz zusammengefasst: Dank Indect kann die Polizei in Zukunft alles sehen und alles mitverfolgen, was die private und öffentlichen Sicherheit bedroht oder in ein Verbrechen mündet.

 "Bevölkerungsscanner"

 Im Visier haben die Verantwortlichen verschiedenste Delikte. Dies reiche von Kinderpornografie, die sich via Internet ausbreitet, über menschlichen Organhandel bis hin zu Hooliganismus und Diebstahl. Um Straftaten zu verhindern, sollen alle verfügbaren Daten gesammelt, verbunden und "intelligent" ausgewertet werden. Ziel sei ein automatischer Bevölkerungsscanner für die Menschen im urbanen Raum, wie Zeit Online treffend konstatierte.

 Kritiker wie der deutsche Journalist Florian Rötzer, der seit Jahren über das Indect-Projekt berichtet, sprechen von einem totalen Überwachungsprogramm. Dem pflichtet der deutsche Europa-Parlamentarier Alexander Alvaro bei. In einem Radiointerview wunderte er sich kürzlich, warum das Projekt noch immer nicht vom "Radar der Öffentlichkeit" erfasst wurde. Auch in den Schweizer Medien scheint die Thematik bislang nicht präsent zu sein. Eine Recherche im Schweizer Medienarchiv ergab keinen relevanten Treffer zum Projekt.

 Das europäische Parlament sei erst durch Bürgeranfragen darauf aufmerksam gemacht worden, sagt Alvaro. Europa werde benutzt, um "unter dem Deckmantel europäischer Forschung" Massnahmen einzuführen, die in den einzelnen EU-Mitgliedstaaten nicht durchsetzbar gewesen wären. Im Interview mit 20 Minuten Online übt der deutsche Jurist mit portugiesischen Wurzeln heftige Kritik. Das Projekt sei völlig intransparent. Es werde auch nicht offengelegt, wie Überwachungs-Einsätze dereinst in der Praxis ablaufen.

 Budget: 15 Millionen Euro

 Das Projekt sieht vor, dass eine Ethikkommission die Forscher begleitet und sich mit den grundlegenden Fragen rund um die Grundrechte befasst. Als sich jedoch die kritischen Fragen zum Projekt häuften, habe die Kommission "gemauert", sagt Alvaro. Dies könne er nicht akzeptieren, schliesslich werde das Projekt mit Steuergeldern finanziert. Als nächstes wolle er sich nun bei den beteiligten Forschungsinstituten persönlich informieren. So werde er etwa bei der Bergischen Universität Wuppertal vorstellig, um sich ein genaues Bild zu machen.

 An die 15 Millionen Euro hat die Europäische Union bereits für Indect gesprochen. Das 2009 lancierte Projekt ist auf fünf Jahre befristet. Während der Fussball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine soll das Überwachungssystem erstmals in der Praxis getestet werden. Dazu passt, dass die Projektkoordination in Warschau beheimatet ist.

 20 Minuten Online hat den Kontakt zu den Projekt-Verantwortlichen gesucht. Eine entsprechende Interview-Anfrage blieb bislang unbeantwortet. Auf der Website wird betont, dass es sich um ein reines Forschungsprojekt handle. Im Rahmen der Forschungstätigkeit werde nur mit fiktiven Daten gearbeitet - es gebe keinerlei globales Monitoring. Wie die entwickelten Mittel schliesslich eingesetzt würden, entscheide dann die Polizei.

 Europa-Parlamentarier Alvares hat kein Verständnis für die Haltung der Forscher. "Die Wissenschaftler machen es sich sehr einfach, wenn sie die Verantwortung abgeben, was später mit dem entwickelten Überwachungssystem geschieht."

 Was ist mit der Schweiz?

 Tangiert das europäische Forschungsprojekt namens Indect auch die Schweiz? Gibt es eine Zusammenarbeit bei der Entwicklung des Überwachungssystems? 20 Minuten Online hat eine entsprechende Anfrage beim Bundesamt für Polizei (Fedpol) platziert. Die Antwort steht aus.

 Aus dem Büro des eidgenössischen Datenschutz- und Informationsbeauftragten, Hanspeter Thür, heisst es, man sei in dieser Sache weder kontaktiert noch selbst aktiv worden. Da es sich um ein laufendes Forschungsprojekt der EU handle, sei eine Stellungnahme des Datenschützers zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich. Grundsätzlich werde die Entwicklung von Überwachungssystemen kritisch verfolgt, versichert eine Mediensprecherin. Der Schweizer Datenschützer sei auch auf internationaler Ebene gut vernetzt. Dank bestehender Zusammenarbeit mit europäischen Datenschützern werde man auf dem Laufenden gehalten.

 Laut dem deutschen Europa-Parlamentarier Alexander Alvaro ist die Schweiz nicht in das Projekt involviert. "Sie sollten sich aber keine Illusionen machen", sagt der FDP-Politiker. "Wenn das Überwachungssystem erst einmal funktioniert, könnte dies ein schlechtes Vorbild für andere Staaten sein."

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20 Minuten 19.1.11

Chip-Ausweise für Eingewanderte

 BERN. Ab kommendem Montag werden in Bern und Solothurn die ersten biometrischen Ausländerausweise ausgestellt. Migranten, die sich nicht auf die Personenfreizügigkeit berufen können, erhalten ein Aufgebot, sobald ihr alter Ausweis ausläuft. "Bei uns werden dann ihre Fingerabdrücke mit speziellen Geräten elektronisch erfasst", erklärt Alexander Ott vom Stadtberner Migrationsamt. Während der Kanton Zürich 15 zusätzliche Stellen für die Einführung des Ausweises geschaffen hat, meistern die Berner diese Aufgabe ohne Personalaufstockung. Auf dem Land sind die regionalen Erfassungszentren zuständig. Mit der Chipkarte und einer zentralen Datenbank soll die illegale Einwanderung bekämpft werden. Ott erwartet, dass sich die Migranten nicht widersetzen: "Es ist in ihrem Interesse, dass sie den Ausweis und eine Aufenthaltsbewilligung erhalten."  MAR

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Bund 18.1.11

US-Botschaftsschutz

 Verdacht auf Spionage betrifft ausschliesslich Genf

 Die US-Botschaft in Bern ist von den Untersuchungen des Bundes wegen Verdachts auf ein illegales Überwachungssystem bei US-Vertretungen in der Schweiz nicht betroffen. Wie das Bundesamt für Polizei erklärt, stellte die Kantonspolizei Bern bei Überprüfungen im Auftrag des Bundessicherheitsdienstes 2007 und 2008 bei der US-Botschaft in Bern keine Aktivitäten fest, die bewilligungspflichtig wären. Letztmals habe die Kantonspolizei Bern Ende 2010 mitgeteilt, dass keine Erkenntnisse über Aktivitäten vorliegen würden.(dav)

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UNDERCOVER
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linksunten.indymedia.org 21.1.11

Enttarnte britische Agenten Liebesgrüße aus Kingston

Doppelagent in Sachen Liebe: Jim Boyling.

Quelle: taz

Jim Boyling soll eine Aktivistin beschatten. Und verliebt sich in sie. Er ist bereits der vierte britische aufgeflogene Spitzel in linken Bewegungen innerhalb von zwei Wochen.

Er hat seine Aufgabe als Spitzel übererfüllt: Jim Boyling von der Londoner Anti-Terrorismus-Einheit SO15 heiratete seine Zielperson und bekam mit ihr zwei Kinder.

Sie hatten sich 1999 in einem Pub in London-Euston bei einem Treffen der Organisation Reclaim the Streets kennen gelernt. Boyling war damals 34, er nannte sich Jim Sutton, seine künftige Ehefrau war 28. Boyling galt als Fitness-Fanatiker. Weil er Führerschein und Auto besaß, stieg er zum Fahrer der Organisation auf. Reclaim the Streets war darauf spezialisiert, Innenstädte durch Straßenblockaden oder spontane Straßenpartys lahmzulegen.

Im Februar 2000 zogen die beiden zusammen. Sie wunderte sich, dass er ideologisch nicht unbedingt sattelfest war, aber es war die Art, wie er seine Wanderstiefel putzte, die sie für einen winzigen Augenblick misstrauisch machte. Im September 2000 verschwand Boyling plötzlich in die Türkei, von dort wollte er angeblich nach Südafrika weiterreisen. Seine Freundin suchte ihn, sie reiste sogar nach Südafrika. Dann hörte sie, dass er in Kingston in Surrey lebe. Sie zog ebenfalls dorthin, und eines Tages kam er zufällig in den Buchladen, in dem sie arbeitete.

Boyling gestand ihr, ein Polizeiagent zu sein und verriet ihr die Namen anderer Spitzel. Er überredete sie, ihren Namen offiziell zu ändern, damit seine Vorgesetzten nicht merkten, dass sie seine Zielperson war. Er sagte, er arbeite nicht mehr als Agent. Sie glaubte ihm, die beiden heirateten.

Erst im Laufe der Jahre merkte sie, dass er weiter ein Doppelleben führte. Vor zwei Jahren wurde die Ehe geschieden. "Jeder weiß, dass es Leute in der Bewegung gibt, die vorgeben, jemand anderes zu sein", sagt sie. "Aber du erwartest nicht, dass es die Person, der du am meisten vertraust, gar nicht gibt."

Er ist bereits der vierte aufgeflogene Spitzel, den die britische Polizei in die Umweltbewegung eingeschleust hat. Lynn Watson war in der Antiatombewegung aktiv, Mark Jacobs hatte die Antiglobalisierungsbewegung unterwandert und 2007 an den Protesten rund um den G8-Gipfel in Heiligendamm teilgenommen. Mark Kennedy, der als Erster vor zwei Wochen enttarnt wurde und den Polizeidienst inzwischen quittiert hat, ist in den USA untergetaucht.

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Radio Dreyeckland (Freiburg) 21.1.11

Entgrenzte Spitzel

Linke Internetseiten, aber auch die Mainstream Presse ist voll davon. Geschichten von enttarnten Spitzeln. Im moment speziell aus England. Mit Matthias Monroy, Journalist aus Berlin haben wir uns über den Grenzüberschreitenden Aspekt der Spitzeltätigkeiten und die Rolle der EU unterhalten. Natürlich geht es auch um eine politische Reaktion darauf.....
http://www.freie-radios.net/mp3/20110121-entgrenztes-38590.mp3
http://www.freie-radios.net/portal/streaming.php?id=38590

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grundrechte.ch 18.1.11

Grenzüberschreitende Spitzel

18. Januar 2011

Undercover agent - Agent provocateur

Nach der Enttarnung eines britischen Polizisten in Grossbritannien ist auch in Heidelberg ein Spitzel aufgeflogen. Zudem enthüllt die Dokumentation eines Gerichtsverfahrens gegen Tierrechtler in Österreich, wie eine "Führungsperson" mit ins Ausland nach Luzern fährt und per Mobiltelefon Treffen mithört.

UMTS-Stick und Fahrdienste

Im Oktober 2010 war in Grossbritannien ein Spitzel mit weitreichenden internationalen Kontakten aufgeflogen. Der britische Polizist Mark Kennedy hatte vor 10 Jahren begonnen, linke Zusammenhänge auszuforschen. Kennedy wurde nur durch Zufall enttarnt, als sein echter Pass bei ihm gefunden wurde. Als "Mark Stone" war Kennedy immer wieder bei Aktionen, Demonstrationen und Camps in EU-Staaten unterwegs und unternahm Fahrdienste oder verlieh grosszügig seinen UMTS-Stick für mobiles Internet.

In Island hatte Stone Workshops zu "Direkter Aktion" gegen die Aluminiumverhüttung und Verschmutzung ganzer Landstriche organisiert. Der Spitzel war auch bei Gipfelprotesten zugegen und tauchte unter anderem beim G8-Gipfel in Heiligendamm auf. Kurz vor seiner Enttarnung erkundigte er sich bei französischen Aktivisten nach dem Stand der Mobilisierung zum nächsten G8-Gipfel in Frankreich.

Kennedy inszenierte mehrere sexuelle Affären und war regelmässig in Berlin zu Besuch. In der Antwort auf eine Kleine Anfrage des Bundestagsabgeordneten Andrej Hunko mochte die deutsche Regierung hierzu allerdings keine Stellungnahme abgeben und erklärte auf Nachfrage lediglich, es lägen "keine Anhaltspunkte für Verstösse gegen internationale Vereinbarungen vor". Wenn dem so ist, waren die deutschen Behörden mindestens informiert, wenn nicht sogar an den Ermittlungen beteiligt. Über das Ermittlungsziel kann höchstens spekuliert werden.

Durchaus möglich, dass die verdeckten Ermittlungen zusammen mit deutschen Bundes- oder Länderpolizeien in einer sogenannten "Gemeinsamen Ermittlungsgruppe" (GEG) durchgeführt wurden, wie sie seit Jahren unter EU-Mitgliedsstaaten immer üblicher werden.

http://grundrechte.ch/2011/Mark_Kennedy.JPG
Mark Kennedy


Undercover agent made in Germany

"Halli Hallo allerseits, bin wieder aus Brüssel zurück und schau mir mit Schrecken die Bilder und Videos aus Stuttgart an. Geht's euch allen soweit gut?", schreibt "Simon Brenner" nach seiner Rückkehr vom Grenzcamp in Belgien Anfang Oktober 2010 besorgt. Das Mail bezieht sich auf den heftigen Wasserwerfer- und Prügeleinsatz anlässlich der Demonstrationen gegen das S21-Projekt. Zwei Monate später wurde der Aktivist als Spitzel enttarnt.

Während eines Camping-Urlaubs in Frankreich wurde "Brenner", dessen Vorname anscheinend nicht falsch ist, einer anderen Urlauberin als Polizist vorgestellt. Pech für den Undercover-Polizisten: Die Frau kommt aus Heidelberg und hatte ihn dort wiedererkannt und sofort geoutet. "Brenner" versuchte sie zuvor vergeblich von seiner Enttarnung abzubringen. Linken Netzaktivisten gelang es darüber hinaus, einen seiner Mailaccounts bei ymail.com zu übernehmen und Zugriff auf über 2.000 Mails zu erlangen, darunter solche mit Einzelverbindungsnachweisen seines Mobiltelefons.

In der darauf folgenden unfreiwilligen Konfrontation durch seine politischen Zusammenhänge offenbart "Brenner", im Bereich "Verdeckte Ermittlungen Staatsschutz" im Stuttgarter Landeskriminalamt "geführt" zu werden. Dorthin habe er etwa Informationen und "Personalakten" übermittelt. Des Weiteren telefonierte "Brenner" regelmässig mit zwei Polizisten des Heidelberger Staatsschutzes. Dem Einsatz ging eine Ausbildung für verdeckte Ermittlungen und eine Einführung in die polizeiliche Einschätzung der Heidelberger linken Szene voraus.

Auf dem Brüsseler Grenzcamp brachte sich "Brenner" in die Selbstorganisationsstrukturen ein und zeigte starkes Interesse an der Antirepressionsarbeit. Die war durchaus nötig, denn die belgische Polizei ging mit einer Härte gegen Demonstranten vor, die selbst Einheimische überraschte. Nach massiven Schlagstockeinsätzen, verbotenen Demonstrationen und "präventiver" Verhaftung Hunderter Demonstranten war es in Brüssel zu einem Angriff auf eine Polizeistation gekommen, bei der mehrere Fenster zu Bruch gingen.


Auch in der Schweiz

Aus der Sicht der Aktivisten aus dem östlichen Nachbarland war die Schweizer Tierrechtsbewegung ein Problemfall: zu wenige Aktivisten und Kampagnen, keine "einheitliche Bewegung". Also beschlossen die Österreicher, Entwicklungshilfe zu leisten und luden im Sommer 2007 zu einem zweitägigen "Animal Liberation Workshop" im Café Parterre in Luzern.

Etwa 80 Teilnehmer, auch aus dem Tessin und Genf, bekamen Kampagnenstrategie, Methoden zur Tierbefreiung und Rechtslage erklärt. Unter den Österreichern waren der führende Aktivist Martin Balluch und eine junge Frau namens Danielle Durand, die sich erst kurz zuvor den Tierschützern angeschlossen hatte.

Was damals niemand im Luzerner Workshop wusste: Durand war eine verdeckte Ermittlerin der österreichischen Polizei, die herausfinden sollte, welche Tierschützer wo und wann gewalttätige Aktionen planten. Die Frau war in Luzern überraschend aufgetaucht. "Sie sagte, dass sie hier gerade Ferien mache", erinnert sich Balluch. Der Einsatz der österreichischen Polizistin war mit der Luzerner Polizei abgesprochen.

Die Luzerner hatten mit der Auflage eingewilligt, dass die Ermittlerin keine Waffe tragen und sich nicht an strafbaren Handlungen beteiligen dürfe. Die Österreicher garantierten, dass Durands Erkenntnisse aus Luzern niemals in einem "strafprozessualen Verfahren verwendet werden". Doch genau das ist jetzt der Fall.

In Wiener Neustadt, 50 Kilometer südlich von Wien, wird seit einem halben Jahr gegen 13 österreichische Tierschützer verhandelt. Sie sollen unter anderem einen Brandanschlag verübt und Pelzbekleidung zerstört haben. Der Sachschaden beträgt eine halbe Million Euro.

* Ein Cop ausser Kontrolle
http://grundrechte.ch/2011/Spiegel_17012011.pdf
* Grenzüberschreitende Spitzel
http://grundrechte.ch/2011/Telepolis.pdf
* Spionin aus Österreich war bei Tierschützern in Luzern
http://grundrechte.ch/2011/Tagi_16122010.pdf

* siehe auch Farner bespitzelte die GSoA
http://grundrechte.ch/2009/aktuell09102009.shtml
* Securitas spionierte für Nestlé
http://grundrechte.ch/2008/aktuell15062008.shtml

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RUHE & ORDNUNG
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Freiburger Nachrichten 19.1.11

Schwerpunkt

 Neue Gesichter auf den Perrons

 Ab März sollen Patinnen und Paten am Freiburger Bahnhof für mehr Sicherheit sorgen und als Ansprechpartner zur Verfügung stehen. Sie ersetzen aber nicht die Sicherheitskräfte, deren Einsatz vor Ort weiterhin vonnöten ist.

 Carolin Foehr

 Ende Oktober haben die Schweizer Bundesbahnen (SBB) zusammen mit der Stadt Freiburg Freiwillige gesucht, um das Projekt Railfair auf die Beine zu stellen. Mit Erfolg: Bislang haben sich etwa fünfzehn Personen aus dem Grossraum Freiburg auf die Anzeige im Informationsblatt "1700" gemeldet, wie die SBB auf Anfrage sagten. Das Auswahlverfahren laufe aber noch.

 Zehn Personen habe man bereits eingestellt; im Februar werden sie die Ausbildung, die vom Schweizerischen Roten Kreuz organisiert wird, beginnen. Die Mehrheit sind Frauen zwischen 35 und 55 Jahren. Ab März werden sie, zumeist in Zweiergruppen, auf dem Bahnhofsgelände "patrouillieren".

 Positiv wahrgenommen

 Ziel der Bahnhofspatenschaften ist es unter anderem, den Reisenden ein grösseres Gefühl von Sicherheit zu vermitteln. Sie sollen aber auch beim Fahrplanlesen oder als Ansprechperson bereitstehen und Passanten vor Ort, die durch negatives Verhalten oder Gewalt auffallen, darauf aufmerksam machen.

 In Bern läuft das Projekt Railfair mit einem Dutzend Freiwilligen bereits seit zwei Jahren. "Die Erfahrungen sind allgemein gut", so Reto Kormann, Mediensprecher der SBB. "Die Patinnen und Paten werden positiv wahrgenommen, auch von den Jugendlichen." Ihre konkrete Aufgabe besteht darin, die Reisenden auf die Bahnhofsordnung, wie zum Beispiel Rauch- und Treppensitzverbot, aufmerksam zu machen. "Auch Jugendliche zeigen sich empfänglich, wenn man sie höflich, aber bestimmt zurechtweist", so Kormann.

 Kommt es dennoch zu hitzigen Situationen, haben die Paten die Anweisung, sich zurückzuziehen oder wenn nötig Hilfe anzufordern. Sie verfügen über keine weiterführenden Kompetenzen, so Kormann, damit es zu keinen Überschneidungen mit den Aufgaben der Sicherheitsdienste vor Ort kommt.

 Denn die Freiwilligenarbeit ist kein Ersatz für die Aufgaben der Polizeipatrouillen, die ebenfalls regelmässig am Freiburger Bahnhof Präsenz zeigen (siehe Kasten).

 Projekt seit 2005

 Die Idee der Bahnhofspatenschaft stammt ursprünglich aus Deutschland. In der Schweiz wurde sie zum ersten Mal 2005 in Thun umgesetzt, seit 2007 sind die Paten auch in der Westschweiz, zum Beispiel in Yverdon-les-Bains, unterwegs. Schweizweit haben knapp 200 Freiwillige eine Patenschaft übernommen. Freiburg ist die 13. Stadt, die am Projekt Railfair teilnimmt.

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 Sicherheit: Freiburger Bahnhof nur ein Brennpunkt unter vielen

 Es habe kein ausschlaggebendes Ereignis für die Einführung der Bahnhofpatenschaft in Freiburg gegeben, sagt Gemeinderat Charles de Reyff auf Anfrage. "Die Situation am Bahnhof ist nicht so brisant, wie manche behaupten. Und es ist nur eine Risikozone unter vielen."

 Trotzdem werde dem Bereich die nötige Aufmerksamkeit geschenkt. Polizeibeamte seien regelmässig vor Ort, und auch bei der Gestaltung des Platzes wolle man das Sicherheits- und Wohlgefühl der Reisenden berücksichtigen. "Mit dem neuen Bahnhofsdach wird der Platz heller und besser zugänglich", so de Reyff. Zurzeit ist das Bauprojekt allerdings bei der Kostenevaluation stehengeblieben, sagte Stadtarchitekt Thierry Bruttin auf Anfrage. cf

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POLICE CH
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NLZ 18.1.11

Polizei "knackt" Kantonsgrenzen

 Sicherheit

ds.

 Die Zentralschweizer Polizisten verstärken ihre Zusammenarbeit - etwa bei Verfolgungsjagden.

 ds. Nach langjährigen Verhandlungen ist nun das Projekt Polizei XXI in Kraft getreten. Dieses soll die Zusammenarbeit sämtlicher Zentralschweizer Kantone im Bereich Polizei intensivieren und vereinfachen. Die Polizei XXI regelt unter anderem die Polizeibefugnisse bei grenzüberschreitenden Handlungen. So dürfen Polizisten künftig in ihrem Kantonsgebiet begonnene polizeiliche Handlungen auf dem Hoheitsgebiet der anderen Kantone fortsetzen, wenn die örtlich zuständigen Polizisten nicht rechtzeitig zur Stelle sein können. Dieses Szenario könnte etwa bei Verfolgungsjagden eintreffen.

 Einheitliche Uniform

 Eine weitere Neuerung ist die einheitliche Uniform, mit der ab 2012 alle Polizeikorps der Zentralschweiz ausgerüstet werden. Die Uniformen unterscheiden sich einzig durch das Kantonswappen. Die Kantone wollen so mehrere hunderttausend Franken pro Jahr einsparen.

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Zentralschweizer Polizisten setzen auf Teamwork

 Sicherheit

Daniel Schriber

 Banditen aufgepasst: Die Zentralschweizer Polizeikorps arbeiten ab sofort intensiver zusammen - und tragen bald dieselbe Uniform.

 Der Name ist zurzeit das Einzige, was beim Projekt Polizei XXI an die Armee XX erinnert. Denn während Letztere regelmässig durch Sparübungen und Querelen für Schlagzeilen sorgt, ist das Polizeiprojekt gerade erst gestartet. Nach Jahren der Vorarbeit ist das neue Zentralschweizer Polizeikonkordat am 13. Januar in Kraft getreten. Peter Reuteler, Schwyzer Regierungsrat und Präsident der Zentralschweizer Polizeidirektorenkonferenz (ZPDK), sprach an der gestrigen Medienkonferenz von einem Projekt, das "als ausgezeichnetes Beispiel für andere Regionen dient". Das verstärkte Teamwork der Zentralschweizer Polizeikorps umfasst vier wesentliche Punkte:

 Kantonsgrenzen: Die Kleinräumigkeit der Zentralschweiz bewirkt, dass ein Polizeieinsatz schnell einmal an die Kantonsgrenze stösst. Das Konkordat regelt die Polizeibefugnisse bei grenzüberschreitenden Einsätzen für die ganze Zentralschweiz. Konkret: Dank Polizei XXI ist zum Beispiel der Luzerner Polizist befugt, eine in seinem Gebiet begonnene Verfolgungsjagd in einem anderen Zentralschweizer Kanton fortzusetzen. Dies etwa, wenn die örtliche Polizei wegen der besonderen Dringlichkeit des Falles nicht rechtzeitig zur Stelle sein kann.

 Logistik:Kernpunkt des Teilprojektes Logistik, das unter der Federführung des Kantons Schwyz steht, ist die gemeinsame Beschaffung von Uniformen und persönlichen Ausrüstungsgegenständen. Ab 2012 sollen alle Polizeikorps stufenweise mit der gleichen Uniform ausgerüstet werden. Die Uniformen unterscheiden sich künftig nur noch durch Schulter- sowie durch Brust- und Oberarmzeichen. Laut Othmar Filliger, Sekretär der Zentralschweizer Regierungskonferenz, haben Modellberechnungen ergeben, dass sich durch die einheitliche Uniform etwa 400 000 Franken pro Jahr sparen lassen.

 Grossanlässe: Schon heute spannen die Polizeikorps bei speziellen Anlässen zusammen. Beispiele hierfür sind vergangene Rütlifeiern, risikoreiche FCL-Spiele oder Demonstrationen. Neu können sich die Polizeikorps bei den gemeinsamen Einsätzen auf eine einheitliche Organisations-, Ausbildungs- und Ausrüstungsgrundlage stützen. Dafür braucht es jedoch noch den positiven Beschluss der Kantonsregierungen, der Ende Februar fällig wird. Stimmen die Regierungen den Plänen zu, soll die ZPDK bis im Sommer definieren, wie die gemeinsamen Grundlagen konkret aussehen sollen.

 Gemeinsame Einsatzleitzentrale: Die Polizeikorps wollen ihre Zusammenarbeit nicht nur im Einsatz, sondern auch im Hintergrund verstärken. Derzeit wird geprüft, welche Vorteile die Verbindung der verschiedenen Einsatzleitzentralen mit sich bringt. Ein mögliches Szenario: In Schwyz tobt ein Unwetter, worauf die Zentrale der Kantonspolizei aufgrund zahlreicher Anrufe überlastet ist. In diesem Fall könnten Anrufe auf die Zentrale eines benachbarten Kantons umgeleitet werden. Möglich wäre auch, dass zu ruhigen Nachtzeiten eine Einsatzzentrale temporär geschlossen wird. Bis jetzt sind die Kantone Schwyz, Nidwalden, Zug und Uri in dieses Pilotprojekt involviert. Obwalden und Luzern wollen zuerst die Ergebnisse der rund zwei Jahre dauernden Tests abwarten.

 Daniel Schriber

 daniel.schriber@luzernerzeitung.ch

Weitere Informationen zum Projekt Polizei XXI finden Sie unter
https://www.zrk.ch/Projekte-Detail.51.0.html?&tx_ttnews[tt_news]=126&cHash=576de72bc747bc4a38cb5ac636ebc466

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 Nachgefragt

 Warum hat es so lange gedauert?

 Yvonne Schärli, Luzerner Sicherheitsdirektorin

 Yvonne Schärli, Das Projekt "Polizei XXI" war erstmals 2002 ein Thema. Erst jetzt wirds konkret. Warum hat das so lange gedauert?

 Schärli: Konkordatsprozesse dauern in der Regel lange. Betreffen die Projekte dann auch noch die Polizeihoheit, ist noch etwas mehr Beharrlichkeit und Geduld gefragt.

 Hat sich das Warten gelohnt?

 Schärli: Mit Sicherheit. In vielen Bereichen - etwa bei der Ausbildung, im Controlling oder bei gemeinsamen Einsätzen - hatten die Kantone eine unterschiedliche Praxis. Jetzt existiert dafür eine rechtliche Grundlage und eine einheitliche Doktrin.

 Kritiker befürchten steigende Kosten für Luzern aufgrund des Projekts.

 Schärli: Ich habe mich stets stark und mit Erfolg dafür eingesetzt, dass Luzern nicht schlechter wegkommt als andere Kantone.

 Um Kosten zu sparen, gibt es nun einheitliche Uniformen. Luzern hat aber schon sehr gute Einkaufskonditionen.

 Schärli: Das stimmt. Hier wird Luzern nicht so viel einsparen wie andere. Es geht aber nicht nur darum, Geld zu sparen, sondern auch darum, Synergien zu nutzen und die Qualität zu steigern. Die Solidarität spielt eine wichtige Rolle.

 Daniel Schriber

 daniel.schriber@luzernerzeitung.ch

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SÖLDNERFIRMEN
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Sonntag 23.1.11

Söldnerfirma Aegis ist aktiv in der Schweiz
 
Geheimdienstaktivitäten in Zusammenhang mit einer Firmenübernahme

Von Beat Schmid

 Die umstrittene Söldnerfirma Aegis spionierte Schweizer Politiker, Richter, Polizisten und Banker aus. Den Auftrag erhielt sie im Zusammenhang mit dem wüsten Übernahmekampf um die Westschweizer Privatspitalgruppe Genolier.

 Die Firma Aegis Defence Services Ltd. startete im vergangenen Juli eine verdeckte Operation in der Westschweiz. Mitarbeiter trafen sich mit Westschweizer Repräsentanten aus Politik, Justiz, Polizei und Banken. Das Ziel der Aktion war die Beschaffung von kompromittierenden Informationen über den illustren Walliser Unternehmer Antoine Hubert. Das steht in einem sechsseitigen Bericht, welchen die Organisation für ihre Auftraggeber verfasste.

 Es finden sich keine Hinweise, wie die Mitarbeiter von Aegis vorgegangen sind. Ebenso unklar ist, mit wem sie gesprochen haben oder ob Bestechungsgelder geflossen sein. Der Text zitiert anonyme Quellen und ist auf blankem Papier ohne Briefkopf gedruckt. Das Dokument trägt weder Absender noch Unterschrift. Der Name Aegis erscheint nirgends im Dokument. Es liegt in der Natur dieses Geschäfts, keine Spuren zu hinterlassen. Aegis-Mitarbeiter dürften verdeckt und mit falschen Namen in Geheimdienstmanier vorgegangen sein. Wer Wirtschaftsspionage bereibt, wagt sich auf ein heikles Terrain. Wer Justiz- und Polizeipersonal Informationen abluchst, kann sich der Anstiftung zur Amtsgeheimnisverletzung schuldig machen.

 Spuren hat Aegis aber bei der Rechnungsstellung hinterlassen. Dem "Sonntag" liegt eine Rechnung vor, die in Zusammenhang mit dem Auftrag steht. Darin listet die Firma Aufwendungen für Recherche und Spionagedienste ("Intelligence Services") auf. Eine Firmensprecherin wollte sich zum Fall nicht äussern.

 Bei ihrer Aktion in der Westschweiz schien Aegis nichts Spektakuläres herausgefunden zu haben. Das Ziel war es, angebliche Verstrickungen zwischen der Westschweizer Politik und Immobilienspekulanten in Zusammenhang mit der Fastpleite der Waadtländer Kantonalbank zu belegen. Doch mehr als Gerüchte über zu hohe Immobilienbewertungen, die das effektive Ausmass des Milliardenlochs hätten verschleiern sollen, gab es nicht. Aegis und ihre Auftraggeber hatten also nichts Verwertbares, das sie dem Immobilieninvestor und Grossaktionär des Spitalnetzwerkes Genolier, Antoine Hubert, hätten in die Schuhe schieben können.

 Doch wer ist der Auftraggeber? Die Rechnung ist adressiert an die beiden Genolier-Verwaltungsräte Hans-Reinhard Zerkowski und Michael Schroeder. Doch ob sie den Auftrag erteilt haben, ist unklar. Zum Hintergrund: Schroeder und Zerkowski waren die letzten verbliebenen Verwaltungsräte bei Genolier, nachdem Hubert und der Ex-Diplomat Raymond Loretan Anfang Juni 2010 abgewählt wurden. Über den Sommer lieferten sich die vier einen erbitterten Machtkampf, der bis zur Wiederwahl von Hubert Kosten in der Höhe von rund 4 Millionen Franken auslöste.

 Schroeder und Zerkowski beauftragten renommierte Anwaltskanzleien, PR-Berater und das Beratungsunternehmen PwC. Letztere erstellte einen 700000 Franken teuren Bericht über ein angebliches Bestechungssystem innerhalb der Genolier-Gruppe, um reiche Patienten aus dem arabischen Raum anzuwerben. In der Folge wurde Strafanzeige gegen Hubert wegen Bestechung eingereicht. Weil die Waadtländer Behörden nie aktiv wurden, vermutete die Gegenpartei ein abgekartetes Spiel. Aegis sollte das durchleuchten. Die Rechnung von Aegis und anderen Beteiligten wurde bis heute nicht bezahlt. Deshalb liegen sich die Parteien weiterhin in den Haaren.

 Die Aegis Defence Services ist eine weltweit operierende Organisation mit schätzungsweise 20000 Mitarbeitern. Sie ist gemäss eigenen Angaben in fast allen Gewaltkonflikten der Welt tätig, unter anderem in Afghanistan, Irak, Kongo und Sudan. Söldner arbeiten unter anderem für die UNO und das amerikanische Militär. Die Dienste umfassen auch Spionageaktivitäten für Unternehmen. Wie die Organisation auf ihrer Homepage schreibt, habe sie auch Projekterfahrung in der Schweiz. Gegründet wurde Aegis vom britischen Ex-Offizier Tim Spicer, der den Übernamen "König der Söldner" erhalten hat. Letzten Sommer kam die Organisation in die Schlagzeilen, als bekannt wurde, dass sie den Holdingsitz nach Basel verlegt hatte. Damals forderten Politiker, dass Regeln für Privatarmeen wie Aegis aufgestellt werden.

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TIERAKTIV
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linksunten.indymedia.org 22.1.11

Wie die Polizei die Tierschützer "gefährlich" machte

Quelle: DiePresse.com

Im Tierschützer-Verfahren wächst der Druck auf Polizei und Justiz: Die Grünen kündigten am Freitag an, die ehemalige Leitung der polizeilichen Sonderkommission und möglicherweise auch den Staatsanwalt anzuzeigen.

Mitgliedschaft in einer kriminellen Organisation - dieser pauschale Vorwurf ("Mafia-Paragraf") wird 13 Tierschützern gemacht. Die schon seit 2.März 2010 in Wiener Neustadt laufende Verhandlung wird am Montag mit der Einvernahme der verdeckten Ermittlerin "Danielle Durand" fortgesetzt. Und könnte nun eine Wende nehmen: Grünen-Justizsprecher Albert Steinhauser wird wegen des Verdachts des Amtsmissbrauchs eine Anzeige (Sachverhaltsdarstellung) gegen die Spitze der ehemaligen - personell üppig ausgestatteten - Polizeisonderkommission einbringen.

Auch prüfe er eine Anzeige gegen Staatsanwalt Wolfgang Handler, teilte Steinhauser am Freitag vor Journalisten mit. Zusätzlich machen sich die Grünen für einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss stark, der nach dem rechtskräftigen Abschluss des Strafverfahrens kommen soll. Steinhauser: "Dabei habe ich mit Hannes Jarolim (Justizsprecher der SPÖ, Anm.) einen Verbündeten." Hintergrund dieser Maßnahmen ist die Frage, ob das gesamte Verfahren "politisch motiviert" sei, wie dies am Freitag auch der Hauptangeklagte Martin Balluch - vom Verein gegen Tierfabriken - und Stefan Traxler, einer der Verteidiger der 13 Beschuldigten (Traxler vertritt vier Verdächtige), unterstrichen.

Verhindern von Anti-Pelz-Demos

Tatsächlich finden sich in polizeiinternen Papieren Hinweise, wonach nicht nur nach streng objektiven Kriterien vorgegangen worden ist. Bereits am 17.November 2006 gab es ein erstes Treffen zwischen dem Geschäftsführer der Textilhandelskette "Kleider Bauer", Peter Graf, und der Polizei. "Besprechungsgegenstand waren die ,Dauerdemos‘ vor den ,Kleider Bauer‘-Filialen", heißt es in einem Aktenvermerk der Bundespolizeidirektion Wien. Offenkundiger Tenor der Besprechung: Die Polizei solle der Handelskette, die auf den Verkauf von Pelzen nicht verzichten wolle, die Demonstranten gleichsam vom Hals schaffen.

Als es in der Nacht auf den 4.April 2007 auch Sachbeschädigungen in "Kleider-Bauer"-Filialen gab, riet die Polizei der Firma zu einer "Medienaktion" - "z.B. in Form der Zurschaustellung ihrer beschädigten Fahrzeuge". Weiter hieß es in einem "Behördenauftrag": "Mögliche Örtlichkeiten" dieser Aktion könnten sein: "das nahe Umfeld des BMI (Innenministeriums, Anm.) bzw. das nahe Umfeld des Bundeskanzleramtes."

Gleich am 5.April, einen Tag nach diesen polizeilichen Ratschlägen, gab es ein Gipfeltreffen zwischen der "Kleider-Bauer"-Spitze und jener der Polizei: Unter der Leitung des Generaldirektors für öffentliche Sicherheit, Erik Buxbaum, beschloss man eine Soko zu errichten. Buxbaum ordnete laut einem ebenfalls der "Presse" vorliegenden "Resumeeprotokoll" an: "Ausschöpfen sämtlicher administrativer Möglichkeiten im Hinblick auf die Untersagung der Demonstrationen."

Allein, die Anti-Pelz-Demos hörten nicht auf. In einem Verschlussakt vom 23.1.2008 heißt es daher zornig: "Bei jeder angemeldeten Demo egal unter welchem Motto muss im gesamten Bundesgebiet ausnahmslos" der Verfassungsschutz vor Ort sein, zusätzlich müssten mindestens zwei uniformierte Beamte der Alarmabteilung, "am besten mit einem Dienstfahrzeug ausgestattet (...) positioniert sein". So würden "die militanten Tierschützer auch in der Öffentlichkeit in das Licht der ,außergewöhnlichen gefährlichen Demonstranten‘ gerückt (...)".

Entspricht all das objektiver Polizeiarbeit? Werden nun Anzeigen eingebracht, muss ein Staatsanwalt diese Frage prüfen.

("Die Presse", Print-Ausgabe, 22.01.2011)

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St. Galler Tagblatt 21.1.11

Kleinkrieg um Zirkustiere

 Der Circus Royal will sich mit Hausverboten bestimmte Tierschützer vom Hals halten. Diese hatten gegen die Tierhaltung im Circus protestiert. Direktor Oliver Skreinig weist alle Vorwürfe zurück und erhebt selbst welche gegen die Aktivisten.

 Nicole d'Orazio

 Lipperswil. Der Lipperswiler Circus Royal und die Schweizer Tierschützer werden nie Freunde. Verstösse gegen die Tierhaltung, nicht artgerechte Transporte und das Mitführen von Tieren im Zirkus allgemein - das machen immer wieder verschiedene Organisationen den Zirkussen zum Vorwurf. Anfang Dezember wollte der Schweizer Tierschutz (STS) beobachtet haben, dass der Circus Royal Tiere beim Transport von Bregenz nach Emmenbrücke 27 Stunden lang eingesperrt hatte, ohne diese zu füttern oder zu tränken. Der STS reichte deshalb Strafanzeige ein.

 Ende Dezember folgte der nächste Zwischenfall mit drei Aktivisten der Anarchistischen Aktion Zentralschweiz, die in Emmenbrücke vor dem Circus gegen die Tierhaltung demonstriert hatten. Der Verein "Aktion Zirkus ohne Tiere" (Azot) unterstützte den Protest und verbreitete in einer Medienmitteilung, dass nun der Circus gegen die drei Aktivisten sowie den ganzen Azot ein Hausverbot an allen Schweizer Spielorten in einem Umkreis von 20 Metern verhängt habe. Das sei undemokratische Selbstjustiz, beklagt sich der Azot. Zudem behauptet die Anarchistische Aktion Zentralschweiz, dass ihre Leute von den Circusmitarbeitern tätlich angegriffen und beleidigt worden seien.

 Circus schlägt zurück

 "Das stimmt alles nicht", weist Royal-Direktor Oliver Skreinig die Vorwürfe von sich. "Nach der Anzeige des STS wegen des Transportes hatte der Amtstierarzt des Kantons Luzern unsere Tierhaltung überprüft und keine Missstände aufgedeckt." Er hätte darum postwendend gegen den Schweizer Tierschutz eine Klage wegen Rufschädigung eingereicht. Nun müsse das Gericht entscheiden.

 Den Vorfall mit den drei Aktivisten beschreibt der Zirkusdirektor natürlich auch anders. "Die drei Personen haben meine Mitarbeiter bedroht und bespuckt sowie Zuschauer am Einlass gehindert." Er habe daraufhin die Polizei gerufen, welche für Sicherheit auf dem Platz sorgte. "Wenn meine Leute ausfällig geworden wären, hätte ich doch sicher nicht die Polizei um Hilfe gebeten."

 Keine richtigen Tierschützer

 Mit den Hausverboten wolle man sich die drei Aktivisten vom Leib halten und den Zirkus schützen, rechtfertigt sich Skreinig. "Wenn man sich nur die aggressive Homepage der Anarchistischen Aktion Zentralschweiz anschaut, sieht man, um was für Leute es sich handelt." Das seien keine Tierschützer aus Überzeugung, sondern Personen, denen es nur ums Randalemachen gehe und die mit Attentaten drohten. Gegen den Azot habe man kein Hausverbot verhängt, sondern gegen den Schweizer Tierschutz.

 Der sogenannte Tierschutz hat sich zu einem grossen Geschäft entwickelt, prangert Skreinig an. Bei den meisten Organisationen gehe es nicht primär um die Tiere, sondern nur noch ums Geld.

 Nichts zu verbergen

 Bei der Tierhaltung habe er nichts zu verstecken, betont der Direktor. Im Circus Royal würden immer wieder Kontrollen der kantonalen Veterinärämter durchgeführt. "2010 waren es einige, bemängelt wurde nichts." Zudem müsse jeder Circus in der Schweiz eine Bewilligung haben, um auf Tournée zu gehen. "Am ersten Standort wird die Tierhaltung überprüft."

 Skreinig betont, dass ihm seine Tiere am Herzen lägen. "Ich habe zu jedem eine Beziehung." Der Circus Royal besitzt Kamele, Pferde, Ponies, Esel, Lamas, Alpakas, Nandus, Rinder, Ziegen, Schaffen sowie Affen. "Wir haben keine eigenen Raubtiere und keine Elefanten." Für diese benötige man unterwegs mehr Platz, begründet er. Im Moment befänden sich alle Tiere im Winterquartier in Lipperswil. Am 5. März startet die Tournée in Weinfelden - ohne eingekaufte Raubtiernummer. "Das hat aber nichts mit den Protesten zu tun, sondern damit, dass wir dem Publikum was Neues bieten wollen."

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GEFANGENE
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Indymedia 21.1.11

Marco Camenisch erneut verschlept ::

AutorIn : A         

Marco Camenisch wurde erneut in einer Nacht-Nebelaktion verlegt. Diesmal nach Lenzburg. Kt Aargau!

Drinnen und draussen ein Kampf!
Freiheit für alle Gefangenen!!!

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Indymedia 20.1.11

Costa und Billy erneut transferiert ::

AutorIn : a  |  übersetzt von : der Wind         

Quelle:  http://silviabillycostaliberi.tk/

Billy wurde nach Thun zurückgebracht und Costa nach Bern.     
    
Hier die Adressen, um Silvia, Costa und Billy zu schreiben:

Silvia Guerini
c/o
Regionalgefängnis Biel
Spitalstrasse 20
2502 Biel/Bienne, Switzerland

Luca Bernasconi
c/o
Regionalgefängnis Thun
Allmendstr. 34
3600 Thun, Switzerland

Costantino Ragusa
c/o
Regionalgefängnis Bern
Genfergasse 22
3001 Bern, Switzerland

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BOMBEN-STIMMUNG
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Sonntagsblick 23.1.11

Angst vor Terror in Davos

 Armee-Hunde gegen Anarchos

 Wegen der Verhaftung dreier Öko-Terroristen haben Bombenbastler das WEF ins Visier genommen.

 Das Gebirgs-Infanterie-Bataillon 29 ist in Achterkolonnen zur Fahnenübergabe aufgereiht. Traditionsgemäss stellt die Truppe den Grossteil der Soldaten zur Bewachung des WEF in Davos. Unterstützung erhalten die Elite-Soldaten durch einen Zug der Hundeführerstaffel.

 Kommandant Simon Küchler hält eine Rede. Er warnt die Soldaten vor einem besonders teuflischen Risiko: "In den letzten Wochen haben sich sicherheitsrelevante Ereignisse gehäuft." Küchler erwähnt die Paketbomben von Rom und Athen. Der Oberstleutnant im Generalstab weiss: Die Terror-Gefahr am WEF ist real.

 Nachdem die Bundesanwaltschaft im April drei bekannte Anarcho-Aktivisten aus Italien vor dem versuchten Anschlag auf ein IBM-Labor verhaftet hat (SonntagsBlick berichtete), kommt es wöchentlich zu Anschlägen. Allein im neuen Jahr gab es Brandanschläge auf das Bundesstrafgericht in Bellinzona, einen Militärlastwagen im Kanton Zürich und Farbanschläge auf Banken. Mit der Gewaltwelle unterstreichen die Anarchos ihre Forderung nach Freilassung inhaftierter Öko-Terroristen.

 In Internet-Foren wird zur Gewalt gegen das WEF aufgerufen. Die Öko-Anarchisten sind in kleinen Zellen organisiert und der Polizei kaum bekannt. Sie sind gut vernetzt und können jederzeit zuschlagen - mit Brandanschlägen, Brief- und Paketbomben.

 Kommandant Küchler hat die Gefahr erkannt: "Die Gegenseite ist nicht berechenbar", warnt er seine Soldaten.

 BEAT KRAUSHAAR

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Indymedia 22.1.11

Offener Brief von Fee Marie Meyer ::

AutorIn : anarchist         

Offener Brief von Fee Marie Meyer zu ihrer kürzlichen Verhaftung durch die Anti-Terror EinheitFeitag, 21. Jänner, 2011 [Notiz des Übersetzers]
Fee Marie Meyer wurde am Freitag dem 14ten Jänner, nachmittags von Männern der Anti-Terror Einheit vor ihrem Haus in Athen festgenommen. Die Polizei hat offiziell bestätigt, dass ihr einziger "Beweis" gegen sie ihre Freundschaft zu Christos Politis sei, ein weiterer Anarchist, der sich in diesem Moment im Gefängnis befindet für die vermeintliche Partizipation in einer Stadtguerilla Gruppe wobei die Polizei es nicht einmal Wert findet deren Namen bekanntzugeben. Bald nach Fee's Verhaftung, liess die Polizei eine verwunderliche, ergreifende und so wie bald bewiesen - fabrizierte Geschichte durchsickern: Fee war die vermeintliche Tochter des RAF Mitgliedes Barbara Meyer und ihr Vater wurde vermeintlich in einer Schiesserei mit der Polizei in Wien getötet. ‘Meyer' ist bekanntlicherweise eine extrem häufiger Nachname in Deutschland: Die Barbara Meyer, die der RAF beitrat hat mit Fee's Mutter aber schon absolut nichts zu tun. Ein unwichtiges Detail für die kommerziellen Medien in Griechenland, die es darauf anlegten, die Polizeipropaganda schnell zu reproduzieren. Nun zu Fee's Worten:     
    
Nun, dass die Lichter der Show abgeschaltetet wurden und die Bühnenvorhange sich geschlossen haben, ist für mich die Zeit gekommen zu sprechen. So wie ich es will. Darüber was passierte, welche Spiele auf meinem Rücken ausgetragen wurden aber auch jenseits meiner Person: um über die Dinge zu sprechen, die jedes denkende Individuum im griechischen Territorium betreffen sollten.

Bezüglich meines ‘Falles': mittlerweile bin ich ziemlich sicher, dass von dem Moment als meine persönlichen Details an die allseitsbekannten Übergeschnappten der Anti-Terroristischen Einheit (was natürlich völlig gerechtfertigt war - Ich trank ein Glässchen mit den falschen Leuten) weitergegeben wurden, das Spielchen feststand. Als sie meinen Nachnamen googelten (in Griechenland so häufig wie Papadopolous) und stellt euch ihre Freude vor, als sie den reichhaltigen Hintergrund meiner "Familie" feststellten. Dass mein Vater einen anderen Nachnamen hat, war ein unwichtiges Detail (solche von "ihrer Sorte schlafen ja ohnehin mit allen") genauso wie das Geburtsdatum meiner Mutter, dass nicht übereinstimmte mit ihrer Geschichte. Von dem Moment an, an dem die Wirklichkeit nicht mehr übereinstimmte mit ihrer Geschichte, musste sie angepasst werden. Ich spielte die Rolle, die sie für mich vorbereitet hatten. Sie entführten mich am Freitag [14ter Jänner] um 15:00, in dem Moment als ich mein Haus verliess um in die Sprachschule zu gehen in der ich unterrichte. Mindestens 10 Leute mit Balaklavas, brachten mich, nachdem sie mir auch eine übergezogen hatten, in den 12ten Stock des Polizeihauptquartiers in Athen, ohne ein einziges Wort zu sagen. Dortm nachdem ich von 6 Leuten verhört worden war, wurde mir eine Foto gezeigt auf dem ich mit meinem Freund und Kameraden Christos Politis zu sehen waren. Sie fragten mich, ob ich ihn kannte und nachdem ich positiv geantwortet hatte, dass er eine weitere Person ist, die sie unrechtmäßig verhaftet hatten, befahl ihr Kommandeur unverschämt "mit dem üblichen Prozedere fortzufahren". Sie zogen mir alle Kleider aus, nahmen alle Details auf, stahlen mein Hemd und meine Socken - offensichtlich ohne mir zu sagen, welcher Sache ich angeklagt sei und natürlich ohne sich eine Dreck um meine Forderung nach einem Anwalt zu scheren. Die Zeit ist ein wichtiger Faktor, denn von 17:00 an, war die Geschichte über meine Eltern bereits vollkommen ausgebrochen. Das erklärt perfekt, warum sie mich, während ich mich weigerte von ihnen fotografiert zu werden, sie mich mit ihren Mobiltelefonen fotografierten, um sich ein Bild von mir zu sichern. Sonst würde sich ihre heisse Geschichte nicht so gut verkaufen lassen…

Ich weiss nun seit Jahren, wie diese Mechanismen funktionieren, völlig verrottet bis ins kleinste Detail; wir wissen dass die Journalisten-Informanten (mit einer Handvoll doch so wichtiger Ausnahmen) hin und her schalten zwischen dem Reproduzieren von Polizeilügen und dem Befehl den diese an die Bullen erteilen. Dazu bereit jegliches Leben zu zerfetzen, dass ihnen vor das Maul geworfen wird, dazu bereit Wahrheit zu verinnerlichen und Lügen auszuspucken. Niederträchtige Wesen…

Was ich für unvorstellbar hielt, zumindest persönlich, ist die völlige Schamlosigkeit in der das im hier und jetzt passierte.
Als das Fiasko begann klar zu werden, und während ich persönlich noch nicht bewusst darüber war, welcher Schmutz da als ‘Wahrheit' dargestellt wurde, wurde ich ins Büro des Beamten für ‘internationalen Terrorismus' gebracht. Er begann mich in ein ‘freundliches Gespräch' zu verwickeln, darüber wann genau mein Vater in der Schiesserei getötet wurde! Meine Kinnlade musste in diesem Moment wahrhaftig bis zum Fussboden aufgeknallt sein, speziell als er mir lächelnd erzählte "nun, ich bin mehr am internationalen Haftbefehl ihrer Mutter interessiert…" Das einzige was er nicht tat, war mich davon zu beschuldigen einen Kriminellen zu schützen, da ich vom Beginn an ihm die Namen meiner Eltern nicht gab…
Aber dann wieder tat ich eine Menge Dinge. So wie die Generalstaatsanwältin sagte, dass sie eine Menge an Sachen in meinem Haus konfiszierten…Bürsten, Kleidungsstücke, Zahnbürsten, Pölsterüberzüge…gedrucktes Material. Material, das mit Sicherheit beweist, dass ich ein Anarchist bin, etwas das ich niemals versteckten würde und so wie es diese gebildete Frau, die Generalstaatsanwältin ausdrückte so sprachgewandt ausdrückte - Ich sein eine Terroristin, was es ihr sogar erlaubte meine Freiheit zu verweigern bis ein Richterkommitee über meinen Fall entschied!
Wenn sie mich dafür verhaften will, dass ich eine Anarchistin bin, ja dann bin ich schuldig und ich werde das somit immer sein. Ich werde immer auf der Seite der Ausgebeuteten stehen, nicht auf der, der Ausbeuter, für immer, bis es keine Autorität eines Menschen über den anderen und über die Tiere und die Natur mehr gibt. Aber ich fordere öffentlich und ernsthaft, dass die Anschuldigungen gegen mich sich ändern. Dass sie die wahren Anschuldigungen hinschreiben, so dass niemand um den heissen Brei herumredet: dass sie die Anschuldigung ändern in "Sie ist eine Anarchistin und sie kann lesen. Sie hat eine Beziehung mit vielen Menschen die noch immer kämpfen und sie ist stolz darauf".
Ladet, zielt und erschiesst uns an der Mauer von Keariani [eine Referenz zur Mauer in Athen an der Nazi-Soldaten Partisanen exekutierten - Übers.]
Ich las irgendwo, dass sich das Gesicht eines politischen Regimes auf dem Weg zeigt in welchem es seine politischen Gegner behandelt. Der Ruhm von Griechenland! [populärer Ausdruck, der dazu verwendet wird, die Willkür der Staatsmacht in Griechenland zu verdeutlichen -unübersetzbar - Übers.]
Die Zeiten in denen wir leben sind flüssig, fremdartig und einer ständigen Veränderung unterzogen. In Zeiten der institutionellen und finanziellen Krisen wird die Autorität immer mit der Karrotte auf dem Stock, sowie mit Angst und Sicherheit spielen. Sie wollen, dass niemand auf irgendwas reagiert, nichts ausspricht, nicht um sich herumblickt, nicht anders denkt, oder wo möglich überhaupt nicht denkt. Amputiert unser Gehirn bei unserer Geburt, los, um dem ein Ende zu bereiten!
Sie versuchen überall ihre furchteregende und absolute Homogenität durchzusetzen; ihre absolute und durch und durch studierte Unmenschlichkeit.
In den griechischen Territorien werden in diesem Moment ungefähr 40 Menschen für politische Gründe festgehalten. Die meisten von ihnen waren noch nicht einmal vor Gericht und werden trotzdem in Hochsicherheitsgefängnissen festgehalten; andere werden nicht in öffentlichen oder offenen Verhandlungen vor Gericht gestellt; andere wieder werden ohne das kleinste bisschen Beweis gegen sie festgehalten, ausschlisslich wegen ihrer Einstellung, wegen ihrer auf Solidarität basierenden Lebenseinstellung die sie in ihren persönlichen Beziehungen einnehmen, festgehalten.
Ultrakonservativ und einer immer faschistischeren Weise, wollen sie Isolation erzwingen, Einsamkeit, die Logik des "jeder für sich"; sie wollen, dass wir trash-Fernsehen schauen, Substanzen konsumieren, sowie die Lügen und das Spektakel. Nicht mit Bekannten sprechen, keine Menschen in unsere Häuser einladen, niemanden treffen oder sie zu fragen uns besser schon mal ihre Polizeiaufzeichnungen zu zeigen, lieber nicht, wir könnten Probleme bekommen.
Sie wollen dass wir aufhören zu fühlen, und basierend auf die niedrigsten Überlebensinstinke und nach dem Selbsterhaltungstrieb zu agieren, basierend auf dem Sadimus des Türspions, in anderer Menschen Leben herumzuschnüffeln um in diesem Prozess das eigene Leben zu verlieren.
Sie wollen dass wir hassen, alles verdammen das anders ist, Menschen von anderen Orten, Mitarbeiter anderer Sektoren, jeder der anders denkt oder anders lebt.
Die sind alle gefährlich und wir müssen sie hassen, da Hass Angst erzeugt und vice-versa.
Das ist die Angst auf der sie herumtrampeln um ihre Todessicherheit aufzuzwingen, die sterbenden Laute einer Gesellschaft, die die letzten Verknüpfungen denunziert, die sie als solche definieren.
Ich glaube um das menschliche Element im Menschen zu definieren sind nur drei Worte ausreichend: Würde-Freiheit-Solidarität. Niemand kann ohne die anderen beiden existieren, keine von diesen fallen vom Himmel. Sie erfordern Tugend und die Herausforderung. Aber diese sind die schwierigen Bedeutungen, die dem Menschen Substanz geben und die Überleben in Leben verwandlen.
Sie können uns nur kontrollieren, uns in Fetzen zerreissen und uns isolieren, solange wir auf unseren Knien stehen mit unserem Rücken nach vorne gebeugt, einer jedweden Karrotte nachjagend, die sie uns hinhalten.
Lasst uns Widerstand leisten! Wenn wir unseren Kopf erheben und uns wieder in die Augen blicken, werden ihre wackelnden Strukturen wie ein Kartenhaus in sich zusammenbrechen. Denn heute mag die Katastrophe auf deinen Nachbarn gefallen sein, aber schon morgen könntest Du an der Reihe sein.
Lasst uns Widerstand leisten! Weil es überall auf der Welt Menschen gibt, die es wagen ihre Köüfe zu erheben. Überall und zu allen Zeiten, zu jedem einzelnen winzigsten Moment, wo man seinen Blick gen Himmel schweifen läßt und gegen den unendlichen Horizont, den sie seit ihrer Jugend vergessen haben, wird das menschliche Element im Menschen wiedergeboren.
Genug! wir haben zuviel und zulange toleriert! Kämpft für die ganze Welt und für Freiheit, kämpft für unsere Leben und für die Würde.
Der Staat und die Medien sind die einzigen Terroristen.
Solidarität für jeden der kämpft ist nicht nur unsere Waffe, sie ist Gewissheit.
Ein gut bekanntes Gedicht, leicht verändert [von Martin Niemöller - Übers.]
Zuerst kamen sie zu meinem Nachbarn
und ich sagte nichts, weil er ein Ausländer war.
Wenn sie für den nächsten kamen wars ein Roma,
und wieder sagte ich nichts.
Dann nahmen sie den Armen, den Landstreicher, den Anarchisten, den Linken
Am Ende kamen sie zu mir.
und erst da verstand ich, dass niemand geblieben war der reagieren hätte können…

Fee Marie Meyer

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St. Galler Tagblatt 19.1.11

Buch der Woche

 "Terror" - Wenn der Staat gegen seine eigenen Bürger mobilmacht

 Urlaub in Lenzari, das tönt idyllisch: Der Berliner Kameramann Marc Burth zieht sich mit Frau und fünfjährigem Töchterchen für ein paar Auszeit-Monate in ein Haus von Freunden in das pittoreske Bergdorf in Ligurien zurück. Doch schon am ersten Abend erschrecken ihn Schreie im fast ausgestorbenen Ort, ein Marokkaner im Nachbarhaus behauptet, von Polizisten geschlagen worden zu sein, Marc stellt seine Videokamera mit Fokus auf den Dorfplatz auf - und ist schon bald selber in Todesgefahr.

 So weit der Trailer zum Roman "Terror" von Martin Maurer. Der Drehbuchautor kennt sein Handwerk, und einen (reisserischen) Trailer gibt es tatsächlich auf der Website des Dumont-Verlags, der den Buchstart heftig lanciert. Immerhin mit einigem Recht; "Terror" bietet packend erzählte und versiert aufgebaute Hochspannung. Und hinter dem Action-Vordergrund verbirgt sich ein politischer Sumpf, der das Buch zusätzlich brisant macht.

 Ein Gemetzel im Dorf

 In zwei eng geführten Erzählsträngen rollt der aus Konstanz stammende, in Berlin lebende Autor die Story auf. Zum einen sind ab Januar 2010 Marcs Erlebnisse und Recherchen in Lenzari und Berlin chronologisch erzählt - zum andern spitzt sich das Geschehen am 4. Juni des Jahres zu: Die Carabinieri Cesare und Francisco entdecken kurz vor Lenzari ein verletztes und verstörtes Kind. Es ist Anna, Marcs Tochter. Im Spital versucht Übersetzerin Carla aus Anna mehr herauszubringen als den Satz "So viel Blut" - und erkennt zugleich in einem der Polizisten ihren Peiniger vor Jahren an den G-8-Protesten in Genua wieder. Währenddessen stossen die Carabinieri auf ein Gemetzel an den Dorfbewohnern. An der Wand arabische Schriftzeichen, die auf islamistischen Terror hindeuten.

 Aber Marc und wir Leser wissen es besser. Denn auf dem zweiten Erzählstrang fügen sich unterdessen wie Puzzlesteine die Recherchen Marcs und seiner Berliner Kollegen zu einem Bild, das immer ungeheuerlicher wird: Alles deutet darauf hin, dass Polizei und Behörden selber ihre Hände im blutigen Spiel haben.

 Oktoberfest, "Gladio" & Co.

 Schlüsselfigur ist ein Bösewicht mit Schnauzbart; in Lenzari für einen obskuren Sicherheitsdienst tätig, tauchte er angeblich bereits 1980 beim (realen) Attentat auf das Münchner Oktoberfest auf, bei dem 13 Menschen starben und das einem Einzeltäter in die Schuhe geschoben wurde - während Hinweise auf Hintermänner im Geheimdienst unter den Tisch gekehrt wurden. Derselbe Mann soll zudem an der Exekution des Italieners Fabrizio Quattrocchi im April 2004 in Irak beteiligt gewesen sein.

 Eine Menge Stoff also für Verschwörungstheoretiker - aber ganz abwegig sind Maurers Querbezüge nicht. Er hat mit Zeitzeugen gesprochen, dem Anwalt der Oktoberfest-Opfer, aber auch mit Extremisten wie Karl Heinz Hoffmann oder Michael "Bommi" Baumann. Auf www.dumont.de und auf dem Blog prenzlauer berger.wordpress.com sind Interviews, Dokumente und Tagesschau-Berichte aufgeschaltet, hauptsächlich zum Oktoberfest-Massaker sowie zur faschistischen Geheimarmee "Gladio" und anderen "Stay-behind-Armeen", die den Kommunismus verhindern und die Rechte stärken sollten.

 Maurers These: Es geht um Terrorismus nicht gegen den Staat, sondern vom Staat selber gegen seine eigenen Bürger. Im Kalten Krieg gab es dafür den Begriff der "Strategie der Spannung". Im Roman erläutert ein anonymer Geheimdienstler, kurz bevor er seinerseits massakriert wird, diese Strategie: "Man lässt Attentate geschehen oder inszeniert sie selber und schiebt sie dann dem politischen Gegner - in unserem Fall waren das die Linken - in die Schuhe. Dadurch bewirkt man zwei Dinge: Die Ideen des Gegners werden diskreditiert, und die Leute verlangen nach mehr Sicherheit, nach einem starken Staat."

 Parallelen zur Gegenwart

 Das Buch erinnert so auch an die düstere Geschichte des Rechtsterrorismus in Europa. Und zieht beklemmende Parallelen zur Gegenwart: Maurers Thriller warnt davor, hinter Terroranschlägen heute vorschnell "den Islam" zu vermuten. In Lenzari sind jedenfalls die Carabinieri Mittäter. Einer, der Bescheid wüsste, wäre Marc Burth. Doch der ist, wenn auch fiktiv, seit dem 4. Juni verschollen.

 Peter Surber

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Bund 18.1.11

Anschlag

 Brandstiftung beim Bundesstrafgericht

 Am Eingang eines Gebäudes des Bundesstrafgerichts in Bellinzona ist in der Nacht auf Montag ein Brand gelegt worden. Auf eine Wand war italienisch der Slogan "Brennt die Gerichte nieder - nieder mit dem Staat" gesprayt worden. "Unterzeichnet" wurde die Botschaft mit einem eingekreisten "A".(sda)

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20 Minuten 18.1.11

Anschläge Linksextremer: Experten sind alarmiert

 BELLINZONA. Die Serie von Anschlägen eskaliert: Gestern brannte es beim Bundesstrafgericht. Experten warnen vor weiteren Anschlägen Linksextremer.

 Der Haupteingang eines Gebäudes des Bundesstrafgerichts in Bellinzona liegt in Schutt und Asche, die Glastüre ist zerborsten - das Resultat eines Brandanschlags, der in der Nacht auf gestern verübt worden ist. Zwei Frauen, die im betroffenen Gebäude arbeiteten, entkamen dem Feuer unverletzt. Die Feuerwehr löschte den Brand rasch. Auf der Wand neben dem Eingang steht: "Brennt die Gerichte nieder - nieder mit dem Staat". Unterzeichnet war die Botschaft mit dem von Anarchisten verwendeten eingekreisten A.

 CVP-Nationalrat Jakob Büchler, Präsident der Sicherheitspolitischen Kommission, ist alarmiert: "Wir müssen die Gefahr, die von dieser Szene ausgeht, sehr ernst nehmen." Noch schlimmere Anschläge, etwa auf das Bundeshaus, Kernkraftwerke oder das Bahnstreckennetz, seien nicht mehr auszuschliessen. Und: "Es ist wichtig, dass bei solchen Sicherheitsbedrohungen neben der Polizei auch die Armee bereitsteht", sagt Büchler. Nun sei eingetroffen, wovor Armeechef André Blattmann bereits letzten Frühling im Vortrag "Bedrohungen für die Schweiz" gewarnt habe und dafür ausgelacht worden sei. Samuel Althof von der Fachstelle Extremismus- und Gewaltprävention vermutet, dass sich die Täter von den linksextremen Aktivisten, die in den letzten Monaten Bombenanschläge auf Botschaften verübt haben, inspiriert wurden. Ausserdem begünstige auch das zunehmend angespannte politische Klima in der Schweiz solche Gewalteskalationen: "Politiker sollten ihre Wortwahl verantwortungsvoll treffen, um das gespannte Klima nicht weiter anzuheizen, denn Extremisten können darauf gewalteskalierend reagieren."  

Désirée Pomper

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St. Galler Tagblatt 18.1.11

Im Visier der Anarchisten

 Auf das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist ein Anschlag verübt worden. Der Anschlag steht möglicherweise im Zusammenhang mit laufenden Strafverfahren gegen italienische Anarchisten.

 Andri Rostetter

 Das Bundesstrafgericht in Bellinzona ist in der Nacht auf Montag Ziel eines Brandanschlags geworden. Betroffen war ein Gebäude, in dem das Bundesstrafgericht provisorisch untergebracht ist. Der Brand war kurz vor 2 Uhr ausgebrochen, wie die Tessiner Polizei mitteilte. Die Feuerwehr konnte das Feuer rasch löschen. Zwei Frauen, die sich in dem Haus befanden, konnten dieses unverletzt verlassen.

 Spuren nach Italien

 Wer hinter dem Anschlag steht, ist unklar. Es gibt aber deutliche Hinweise: Auf eine Wand am Tatort war auf Italienisch eine Nachricht gesprayt: "Feuer den Gerichten - Schlagen wir den Staat nieder". Unterzeichnet war die Nachricht mit einem eingekreisten "A", dem Erkennungszeichen der Anarchisten. Am Tatort fand die Polizei Spraydosen und eine Flasche mit Flüssigkeit. Die Behörden gehen davon aus, dass die Inschrift und der Anschlag von derselben Täterschaft stammen. Laut Informationen der Nachrichtenagentur SDA konzentrieren sich die Ermittlungen auf anarchistische Kreise. Nicht nur die auf die Wand gesprayten Kampfparolen sprechen dafür, dass die Polizei im richtigen Umfeld sucht. Seit die Polizei im April 2010 in Langnau am Albis ZH drei mutmassliche Ökoterroristen verhaftet hat, ist die Schweiz ins Visier der linksanarchistischen Szene gerückt.

 Bei den Festgenommenen handelt es sich um einen Italiener, eine Italienerin sowie einen in Italien lebenden Tessiner. Ihnen wird vorgeworfen, einen Anschlag auf den europäischen Forschungshauptsitz von IBM in Rüschlikon ZH geplant zu haben. Das US-Computerunternehmen eröffnet dort im Frühjahr 2011 zusammen mit der ETH ein Zentrum für Nanotechnologie. Der festgenommene Italiener gilt als Kopf der Extremistengruppe "Il Silvestre", die sich dem Kampf gegen Tierversuche, Gen- und Nanotechnologie verschrieben hat. Im Auto der Festgenommenen fand die Polizei Sprengstoff, Brandsätze und ein Bekennerschreiben. Die drei Angeschuldigten sitzen seit dem 15. April 2010 in getrennten Gefängnissen in Untersuchungshaft. Seither haben Sympathisanten wiederholt die Freilassung von "Silvia, Billy und Costa" gefordert.

 Vor Weihnachten geriet der Fall in die Schlagzeilen, als sich die Gruppe "Federazione Anarchico Informale" (FAI) zu den Paketbomben-Anschlägen auf die Schweizer Botschaft in Rom am 23. Dezember bekannte. Die FAI wird dem gleichen Umfeld zugerechnet wie "Il Silvestre".

 Am Prozess gegen die mutmasslichen Attentäter ist auch die italienische Justiz interessiert. Die Turiner Staatsanwaltschaft führt gegen sie ein Verfahren wegen des Verdachts auf "Gefährdung durch Sprengstoffe sowie der terroristischen Vereinigung", wie es in den Akten des Bundesstrafgerichts heisst. Die Turiner Behörden ersuchten die Schweiz im Sommer 2010 um Erlaubnis für die Anwesenheit italienischer Funktionäre bei der Einvernahme. Dagegen reichten die Angeschuldigten Beschwerde ein. Das Bundesstrafgericht wies diese am 4. Januar ab.

 Zeitgleich mit Prozessbeginn

 Auch das Datum des gestrigen Anschlags auf das Gericht in Bellinzona scheint nicht zufällig gewählt: Wenige Stunden nach dem Brand begann in Athen der Prozess gegen 13 mutmassliche Mitglieder der linksanarchistischen "Verschwörung der Feuerzellen", die sich zu einer Paketbomben-Serie im November bekannt hatte. Laut Medienberichten wiesen die Sprengkörper der griechischen Extremisten Ähnlichkeiten mit den Bomben auf, zu welchen sich die FAI bekannt hatte.

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 Zusammenhang mit Camenisch

 Das Anarchisten-"A" wurde im Tessin in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit Marco Camenisch verwendet. Der heute 58jährige Bündner Ökoterrorist verbüsst wegen der Ermordung eines Grenzwächters eine Freiheitsstrafe. Camenisch hat sich mit den drei im April 2010 in Langnau am Albis ZH verhafteten Anarchisten solidarisiert. (sda/ar)

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NZZ 18.1.11

Anschlag auf Strafgericht

 Brandstiftung in Bellinzona

 (sda) · Am Eingang eines Gebäudes des Bundesstrafgerichts in Bellinzona ist in der Nacht auf Montag ein Brand gelegt worden. Laut der Tessiner Kantonspolizei war das Feuer rasch unter Kontrolle. Tatverdächtige wurden bisher nicht gefunden. Verletzt wurde niemand. Der Brand war gegen 2 Uhr ausgebrochen, wie die Polizei mitteilte. Betroffen war ein Gebäude, in dem sich Büros des Bundesstrafgerichts und der Swisscom befinden. Zwei Frauen, die dort arbeiteten, konnten es unverletzt verlassen. Die Feuerwehr löschte den Brand rasch. In Mitleidenschaft gezogen wurden der Haupteingang des Gebäudes und dessen Umgebung.

 Am Brandort wurden nach Angaben der Polizei Spraydosen gefunden. Auf eine Wand war in italienischer Sprache der Slogan "Brennt die Gerichte nieder - Nieder mit dem Staat" gesprayt worden. "Unterzeichnet" war die Botschaft mit dem von Anarchisten verwendeten eingekreisten "A", wie die Polizei mitteilte. Die polizeilichen Ermittlungen konzentrieren sich denn auch auf diese Kreise. Das sogenannte Anarchisten-A wurde im Tessin in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit Parolen zugunsten des Bündners Marco Camenisch verwendet. Der sogenannte "Öko-Terrorist" war in den achtziger Jahren in Italien wegen Sprengstoffanschlägen an Strommasten verurteilt worden. Nach seiner Auslieferung an die Schweiz wurde ihm 2007 in Zürich der Prozess gemacht, weil er 1989 einen Grenzwächter erschossen haben soll.

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Südostschweiz 18.1.11

 Hinter Anschlag stecken wohl Anarchisten

 Am Eingang eines Gebäudes des Bundesstrafgerichts in Bellinzona ist in der Nacht auf gestern ein Brand gelegt worden. Verletzt wurde niemand.

 Bellinzona. - Der Brand war gegen 2 Uhr ausgebrochen, wie die Polizei gestern mitteilte. Betroffen war ein Gebäude, in dem sich Büros des Bundesstrafgerichts und der Swisscom befinden. Die Feuerwehr löschte den Brand rasch. In Mitleidenschaft gezogen wurden der Haupteingang des Gebäudes und dessen Umgebung.

 Am Brandort wurden nach Angaben der Polizei Spraydosen gefunden. Auf eine Wand war in Italienisch der Slogan "Brennt die Gerichte nieder -Nieder mit dem Staat" gesprayt worden. "Unterzeichnet" war die Botschaft mit dem von Anarchisten verwendeten eingekreisten "A". Die polizeilichen Ermittlungen konzentrieren sich denn auch auf diese Kreise. Das sogenannte Anarchisten-A wurde im Tessin in der Vergangenheit vor allem im Zusammenhang mit Parolen zugunsten des Bündners Marco Camenisch verwendet, der in den Achtzigerjahren in Italien wegen Sprengstoffanschlägen zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilt worden war. Nach seiner Auslieferung an die Schweiz wurde ihm 2007 in Zürich der Prozess gemacht, weil er im Dezember 1989 einen Grenzwächter erschossen haben soll.

 Beim italienischen Konsulat im Zentrum Luganos sorgte gestern ausserdem ein herrenloser Koffer für Aufregung. Die Umgebung wurde abgesperrt, der Koffer gesprengt. Er war leer, wie sich herausstellte. (sda)

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BZ 18.1.11

Eklat vor Gericht

 Griechenland. Der Prozess in Athen gegen mutmassliche Anarchisten hat mit einem Eklat begonnen.

 Der Prozess gegen 13 mutmassliche Mitglieder der linksextremen griechischen Gruppe "Verschwörung der Feuerzellen", die sich zu einer Paketbomben-Serie im November bekannt hatte, hat gestern mit einem Eklat begonnen. Nach zweimaliger Unterbrechung der Auftaktsitzung in einem Gefängnis nahe Athen verliessen die anwesenden Angeklagten den Saal. Eine Vertretung durch Anwälte lehnten sie ab.

 Die zwischen 19 und 30 Jahre alten Angeklagten müssen sich vor dem Anti-Terror-Gericht im Athener Hochsicherheitsgefängnis Korydallos wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verantworten. Neun von ihnen erschienen gestern vor dem Gericht. Gegen die vier übrigen Angeklagten, die flüchtig sind, läuft das Verfahren in Abwesenheit.

 Die Angeklagten begründeten ihren Auszug aus dem Gerichtssaal damit, dass ihre anwesenden Familienangehörigen und Freunde von der Polizei kontrolliert und durchsucht worden seien. Ein Angeklagter sagte, von den Zuschauern dürften keine Ausweispapiere verlangt werden.

 Richterin Maria Mariellou hatte lediglich zugestanden, dass die Papiere nicht fotokopiert, sondern am Eingang zurückgelassen würden. "Sie werden den Prozess vor einem leeren Gerichtssaal führen", sagte einer der Beschuldigten, als er und die anderen Angeklagten unter dem Applaus der Zuschauer den Saal verliessen. Im Fall einer Verurteilung drohen den Angeklagten Haftstrafen von zehn bis 25 Jahren.
 sda

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St. Galler Tagblatt 18.1.11

"Verschwörung der Feuerzellen" vor Gericht

 Unter drakonischen Sicherheitsmassnahmen hat in Athen der Prozess gegen 13 mutmassliche Mitglieder der anarchistischen Terrorgruppe "Verschwörung der Feuerzellen" begonnen.

 Anke Stefan

 ATHEN. Die erstmalig im Januar 2008 in Erscheinung getretene Organisation hatte zuletzt mit einer Reihe von Briefbomben internationales Aufsehen ausgelöst.

 Politiker als Terrorziele

 Im aktuellen Verfahren geht es allerdings nicht um die spektakulären Briefbomben. In diesen Fällen sind die Ermittlungen noch nicht abgeschlossen. Den 13 Angeklagten, 12 Männern und einer jungen Frau, werden vielmehr drei frühere Anschläge der "Feuerzellen" angelastet. Eines ihrer Ziele war 2009 die Wohnung des ehemaligen Vize-Innenministers und obersten Dienstherrn der griechischen Polizei, Panagiotis Chinofotis. Ein weiterer Anschlag galt dem Ministerium für Mazedonien und Thrakien und ein drittes Ziel war im gleichen Jahr die Wohnung der damaligen Abgeordneten der sozialdemokratischen PASOK und derzeitigen Arbeitsministerin Louka Katseli. In allen drei Fällen wurde Sachschaden angerichtet. Vier der 13 Angeklagten sind noch flüchtig.

 Vorwürfe an die Behörden

 Die meisten der Angeklagten bestreiten jede Verbindung zur "Verschwörung der Feuerzellen". Die sich zur anarchistischen Szene Griechenlands bekennenden politischen Aktivisten werfen den Behörden vor, sie einzig aufgrund ihrer freundschaftlichen Beziehungen untereinander zu kriminalisieren. Unter dem Beweismaterial der Anklage sind zahlreiche Fotos, welche die Angeklagten gemeinsam zeigen.

 Eine Reihe von kleineren Anschlägen mit Sachschäden aus "Solidarität mit den Angeklagten" hat erneut Alarm ausgelöst. Vor wenigen Tagen wurden vier junge Männer verhaftet, in deren Wohnung Waffen und ein Bekennerschreiben für geplante Anschläge im Zusammenhang mit dem Prozess gefunden wurden.

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NZZ 18.1.11

Prozess gegen Anarchisten in Athen

 Angeklagte verlassen den Saal

 (afp) · Der Prozess gegen 13 Mitglieder der griechischen Gruppe "Verschwörung der Feuerzellen", die sich zu den Paketbombenanschlägen im November bekannt hatte, hat am Montag mit einem Eklat begonnen. Nach zweimaliger Unterbrechung der Auftaktsitzung in einem Gefängnis nahe Athen verliessen die 9 anwesenden Angeklagten den Saal. Eine Vertretung durch ihre Anwälte lehnten sie ab. Die zwischen 19 und 30 Jahre alten Angeklagten müssen sich vor dem Anti-Terror-Gericht im Athener Hochsicherheitsgefängnis Korydallos wegen Mitgliedschaft in einer terroristischen Organisation verantworten. Von ihnen erschienen 9 am Montag vor dem Gericht. Gegen die 4 übrigen Angeklagten, die flüchtig sind, läuft das Verfahren in Abwesenheit.

 Die Angeklagten begründeten ihren Auszug aus dem Gerichtssaal damit, dass ihre anwesenden Familienangehörigen und Freunde von der Polizei kontrolliert und durchsucht worden seien. Ein Angeklagter sagte, von den Zuschauern dürften keine Ausweispapiere verlangt werden. Die Richterin hatte lediglich zugestanden, dass die Papiere nicht fotokopiert, sondern am Eingang zurückgelassen würden. "Sie werden den Prozess vor einem leeren Gerichtssaal führen", sagte einer der Beschuldigten, als er und die 8 anderen Angeklagten unter dem Applaus der Zuschauer den Saal verliessen. Der seit Anfang 2008 aktiven Gruppe werden Dutzende von Brand- und Sprengstoffanschlägen zur Last gelegt.

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Blick 18.1.11

"Blamage" für Polizei

 Athen -

 Sie waren stolz, die griechischen Polizisten, die am Freitag eine Deutsche (27) mit Kontakten in die anarchistische Szene fassten. Die Tochter der mutmasslichen RAF-Terroristin Barbara Meyer, glaubten sie. Nur: Ausser dem Namen verbindet die Mutter nichts mit der RAF - Meyer junior kam wieder frei. Die griechische Presse sprach von einer "Blamage ohnegleichen", Barbara Meyer will die Verantwortlichen zur Rechenschaft ziehen.

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Le Monde 18.1.11

Une nouvelle génération d'anarchistes jugée en Grèce

 Treize personnes devant la justice pour des attentats et l'envoi de colis piégés à des ambassades

Alain Salles

C'est une nouvelle génération  de terroristes grecs dont le procès a commencé, lundi 17janvier, devant une cour spéciale, installée dans la prison de haute sécurité de Korydallos, dans la banlieue d'Athènes. Elle s'inscrit dans un courant d'anarchisme nihiliste qui prône " la guérilla urbaine".

 Treize membres présumés de la Conspiration des cellules de feu, un mouvement d'obédience anarchiste, sont jugés pour appartenance à un groupe terroriste et pour trois attentats commis en 2009. Quatre d'entre eux sont jugés par contumace. Le mouvement s'est signalé de façon spectaculaire, en novembre 2010, en envoyant des colis piégés dans plusieurs ambassades à Athènes et à des responsables européens, notamment Nicolas Sarkozy, la chancelière allemande Angela Merkel ou le président du Conseil italien, Silvio Berlusconi.

 Seuls deux prévenus reconnaissent leur appartenançe à la Conspiration des cellules de feu, notamment Panayotis Argyrou qui a été arrêté début novembre en possession d'un colis piégé, adressé à M. Sarkozy. Ils sont âgés de 19 à 3lans. Les attentats revendiqués par le mouvement depuis le début de 2008 n'ont pas fait de victimes.

 Le 13janvier, des prévenus se sont adressés depuis leur prison à plus de deux cents personnes entassées dans un amphithéâtre de l'Ecole polytechnique d'Athènes, haut lieu, de la révolte étudiante grecque. Ils ont parlé à tour de râle devant des jeunes qui les ont écoutés religieusement puis applaudis.

 "Jeunes et pas pauvres"

Le même jour, quatre jeunes de 21 à 23 ans ont été arrêtés, ainsi qu'une Allemande de 27 ans, qui nie toute participation à une action terroriste. La police réalise régulièrement des coups de filet et découvre d'importants stocks d'armes.
 Mais les arrestations ne démantèlent pas le mouvement, organisé en cellules de quelques personnes.
 Après l'interpellation de Panayotis Argyrou et de Gerassimos Tsakalos - qui n'est pas jugé lundi, car il ne faisait pas l'objet d'un mandat de recherche - en possession des colis piégés en novembre, puis de nouveaux membres présumés en décembre, la Conspiration a revendiqué un attentat contre le tribunal administratif d'Athènes, le 30décembre.

 Selon la police, les quatre jeunes arrêtés préparaient un attentat avant le procès de Korydallos. "Il s'agit d'un nouveau groupe terroriste sans nom, qui prétendfaire partie de groupes internationaux violents", affirme le porte-parole de la police, Athanassios Kokkalakis. Les policiers ont découvert un projet de tract non signé faisant référence au procès.

 La jeunesse est une caractéristique de ce mouvement. "Ils sont jeunes et ne sont pas pauvres, explique Mary Bossi, professeur à l'université du Pirée. Ils sont très déterminés et se présentent comme une sorte d'avant-garde de la lutte contre la société. Il s'agit d'un mouvement assez important en nombre. "

"Ces groupes ont évolué depuis les révoltes étudiantes de décembre2008. Ils se nourrissent de la crise économique et sociale. Ils ont recruté de nouveaux membres dans ces mouvements de jeunesse. Leurs attentats sont plus élaborés", selon Théodore Papathéodorou, professeur de criminologie à l'université du Péloponnèse. La Conspiration des cellules de feu a commencé, début 2008, par des attentats à l'engin explosif contre des concessionnaires de voiture de luxe et des banques. Pour M. Papathéodorou, le nombre d'armes saisies par la police montre un "probable lien avec la criminalité organisée".

 La Grèce a été marquée par une tradition de violence politique qui a culminé avec les attentats du groupe du 17-Novembre (extrême gauche), responsable de plusieurs attentats meurtriers, fortement marqué par la résistance à la dictature des colonels de 1967 à 1974.

 Mais les mouvements autour de la Conspiration se rattachent à des traditions différentes. Dans leurs tracts, publiés le site Indymedia.org, ils se réclament de "l'anarchisme antisocial" et refusent de s'inscrire dans une logique de lutte des classes. Ils clament que la "démocratie ne doit pas l'emporter" et dénoncent la passivité de la société, "cette foule de citoyens complaisants".

 Autre caractéristique de ces mouvements leur lien international. Des attentats en Italie ont eu lieu juste avant Noél 2010 pour soutenir les anarchistes grecs. Les tracts de la Conspiration des cellules de feu se réfèrent à d'autres prisonniers étrangers.

 Les nouveaux moyens de communication favorisent ces interactions. "Ils ne se parlent pas que par Internet, ils se connaissent et discutent ensemble", explique Mme Bassi. Le porte-parole de la police minimise: "Ils veulent faire croire qu'ils ont des connexions internationales mais c'est un mouvement qui reste cantonné à l'intérieur de nos frontières ". affirme M. Kokkalakis.

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Schweiz Aktuell 17.1.11

TI: Brandanschlag gegen Bundesstrafgericht in Bellinzona
http://videoportal.sf.tv/video?id=eac479fe-68de-4e14-8d8a-7e5f58dc8387

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WIDERSTAND
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Bund 21.1.11

Wahrheiten eines Untergrund-Kämpfers

 Ein Leben lang hat Stéphane Hessel sich für eine gerechte Gesellschaft eingesetzt, auch unter Lebensgefahr.

 Claudia Kühner

 Ein kleines Büchlein, keine dreissig Seiten Text, verfasst von einem 93-jährigen Herrn, erschienen im kleinen südfranzösischen Verlag Indigène, ist die Lese-Sensation dieses Winters in Frankreich. Über 900 000 Mal soll "Indignez-vous!" - Empört euch! - schon verkauft worden sein. Es kostet drei Euro und ist an jedem Kiosk zu haben. Es ist eine andere Art der Empörung als jene eines Thilo Sarrazin, der mit seinem Gestus des Ausschliessens in Deutschland eine ebenso grosse Leserschaft anzog. Stéphane Hessel hat eine Botschaft der Humanität. Sein Thema ist die gewaltlose Empörung gegen Zeiterscheinungen und gegen die Missachtung grundlegender Rechte. Die schlimmste aller Haltungen ist für ihn die Gleichgültigkeit.

 Entstanden ist das Büchlein ohne Absicht. Stéphane Hessel war eingeladen zu einer Gedenk-Veranstaltung in den Savoyer Bergen. Dort hatte im Zweiten Weltkrieg eine kleine Résistance-Truppe gegen die deutsche Wehrmacht gekämpft und eine schreckliche Niederlage erlitten. Die Verlegerin von Indigène war zugegen und bat Hessel, seine Gedanken nochmals in einem Gespräch zu formulieren. Daraus entstand "Indignez-vous!".

 Verhaftet, gefoltert, deportiert

 Das Büchlein hat Stéphane Hessel zu einem gefragten Mann gemacht. Ein Interviewer löst den nächsten ab in seiner kleinen Wohnung im 14. Pariser Arrondissement, das voller Bücher und Antiquitäten ist. Das Telefon klingelt ohne Unterlass, Journalisten bitten um Termine oder klingeln auf gut Glück unten an der Türe. Hessel hat das Rampenlicht nicht gesucht. Keiner ist überraschter vom Erfolg als er selbst. Die Menschen spüren wohl die geistige Autorität und die Wahrhaftigkeit dieses Mannes: Was er hier fordert, dafür hat er ein Leben lang und unter Todesgefahr gekämpft - in der Résistance, später als Diplomat.

 Stéphane Hessel, soigniert, von freundlicher Geduld, spricht druckreif, konzentriert und in makellosem Deutsch. Denn er wurde 1917 in Berlin geboren, als Sohn des jüdischen Schriftstellers Franz Hessel und der Journalistin und Übersetzerin Helen Grund. Als Hessel sieben war, zog die Familie nach Paris und wurde dort Teil der Künstlerkreise um Pablo Picasso, Max Ernst, Marcel Duchamp, Man Ray, Alexander Calder, später Walter Benjamin. Verewigt sind seine Eltern in François Truffauts Filmklassiker "Jules et Jim" (1962), der ihre Dreiecksgeschichte mit dem Schriftsteller Henri-Pierre Roché nachzeichnet, mit Jeanne Moreau und Oskar Werner in den Hauptrollen.

 1941, im Jahr nach dem deutschen Einmarsch und dem Todesjahr seines Vaters, schloss sich Hessel der Résistance an. Von London aus arbeitete er zunächst an der Seite von General de Gaulle. Zurück in Frankreich sollte er das Funknetz des Widerstands neu organisieren. Doch er wurde verraten und im Sommer 1944 von der Gestapo verhaftet, gefoltert, schliesslich in das KZ Buchenwald deportiert. Er überlebte es dank der Hilfe seines deutschen Mithäftlings Eugen Kogon, der später berühmt wurde mit seinem grundlegenden Buch über den SS-Staat (1946). Hessel gelang die Flucht aus einem deutschen Zug, der ihn kurz vor Kriegsende nach Bergen-Belsen bringen sollte.

 Ein engagierter Diplomat

 Die Résistance ist bis heute seine Richtschnur. Denn sie bestand nicht nur im Kampf gegen die deutschen Besatzer. Zusammengesetzt aus den verschiedensten politischen Lagern, von Kommunisten bis zu Katholiken, formulierte sie auch Werte für die Nachkriegsordnung, für eine gerechte Gesellschaft und soziale Verantwortung, für einen Rechtsstaat, der zuvor so schmählich verraten worden war. Darauf beruft sich Hessel immer wieder. Die Résistance hat er auch als Empörung gegen die herrschenden Zustände erfahren.

 Zurück in Paris entschied sich der junge Hessel für die Diplomatenlaufbahn. Rasch führte sie ihn nach New York an die UNO. Dort wurde er zum Mitverfasser der Menschenrechtscharta, die man als Gründungsurkunde des modernen Völkerrechts betrachten kann. Sie wurde zu einer Basis seines Denkens, auf die er auch in seinem Büchlein immer wieder zu sprechen kommt. Seine berufliche Laufbahn führte Hessel in viele Länder, nach Algerien (wo er für die Unabhängigkeit der Algerier eintrat), nach Schwarzafrika, nach Asien. Er wurde zu einem Experten für Entwicklungszusammenarbeit und begann, sich für Umweltfragen einzusetzen. Nachzulesen ist all das in seinem Lebensbericht "Tanz mit dem Jahrhundert".

Hessel hat auch den Gazastreifen wiederholt besucht: Die unhaltbaren Zustände dort haben ihn zu einem deutlichen Kritiker der israelischen Besatzungspolitik gemacht. Das hat diese Woche in Paris zu einer "Affäre" geführt. Am Dienstag sollte Hessel an der Ecole Normale Supérieure zum Thema Gaza sprechen. Auf Drängen des Zentralrats der französischen Juden wurde er aber wieder ausgeladen. Hessel wich auf die Place du Panthéon aus, er sprach im Freien.

 Nun wird für "Indignez-vous!" ein deutscher Verlag gesucht. Michael Kogon, der Sohn von Eugen Kogon, soll es übersetzen. Der Autor freut sich, dass es neuerdings sogar einen deutschen Literaturpreis gibt, benannt nach seinem Vater Franz Hessel. Verliehen wird er je einem Schriftsteller aus Frankreich und aus Deutschland.

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"Wacht auf! Ihr könnt mehr erreichen"

 Mit unseren Demokratien stimmt was nicht, sagt Stéphane Hessel. Er ruft die Bürger in einem Büchlein auf, sich zu empören.Ex-Bundesrat Couchepin findet das naiv. Hessel antwortet ihm.

 Interview: Luciano Ferrari und Claudia Kühner

 In Tunesien haben die Menschen sich gegen das Regime erhoben und es gestürzt. Wie beurteilen Sie, der als Diplomat in Nordafrika tätig war, die Entwicklung?

 Ich bin natürlich sehr erfreut über die Ereignisse in Tunesien. Nicht nur, dass der Sturz des Regimes dort so schnell und so kraftvoll geschah. Sondern auch, weil sich die Erhebung ausbreiten könnte. Ich war im Dezember zwei Mal in Algerien und hatte den Eindruck, dort hätten wie in Tunesien viele der Jungen genug von einer Regierung, die nichts zustande bringt und die Polizei gegen die eigene Bevölkerung einsetzt, aber nichts tut, um die Lebensumstände der Menschen zu verbessern.

 Ist das die Empörung, die Sie sich wünschen?

 Na ja, die Empörung, die ich meine, ist keine revolutionäre, sondern eine, die besagt: Es könnte uns besser gehen, wenn wir uns wieder auf unsere Grundwerte besännen, Grundwerte, die wir in Frankreich in der Résistance gegen den Nationalsozialismus entwickelt haben. In anderen Ländern wie der Tschechoslowakei haben sie sich im Widerstand gegen ein totalitäres Regime herausgebildet. Da haben sich die Menschen gegen unwürdige Zustände zur Wehr gesetzt.

 Sie berufen sich in Ihrem Büchlein "Indignez-vous!" oft auf die Grundwerte. Was steht für Sie im Vordergrund?

 Jene Werte, die nach dem Zweiten Weltkrieg in der UNO-Menschenrechtscharta niedergeschrieben und zu universellen Grundrechten der Menschen erklärt worden sind: Dazu gehört die Pressefreiheit, die Eindämmung der Übermacht der Finanzmärkte, eine gewisse soziale Sicherheit für alle und die Befriedigung der Grundbedürfnisse der Bevölkerung nach Ausbildung und Gesundheitsversorgung für alle.

 Sind diese Errungenschaften in Europa wirklich bedroht?

 Wir sind in der merkwürdigen Situation, dass wir in einer sehr viel wohlhabenderen Zeit leben als unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg, unsere Regierungen aber sagen, sie hätten das Geld nicht, um diese Grundbedürfnisse zu stillen. Dagegen sollten sich die Menschen empören, das ist mein Aufruf. Die Regierungen in Europa sind nicht despotisch oder tyrannisch, aber sie sind nur scheinbar demokratisch, wenn sie unfähig sind, das zur Verfügung zu stellen, was die Bevölkerung braucht. Es geht also darum, die Würde unserer Staatswesen wiederherzustellen. Im französischen Wort "Indignez vous!" steckt ja das Wort Würde.

 Was lesen Sie aus dem Aufstand in Tunesien? Dass die Menschen nicht mehr alles mit sich machen lassen?

 Genau das: Die Menschen machen ihre Rechte geltend, wollen nicht mehr nur verwaltet werden. Sie fordern vom Staat das ein, was er ihnen schuldet: Freiheit und Menschenwürde. Die Menschen wollen ernst genommen werden. Sie mischen sich ein. Das ist sehr wichtig: Eine Demokratie des Mitmachens brauchen wir überall.

 Hat Sie die französische Haltung gegenüber Ben Alis Regime empört?

 Meine Empörung hat grundsätzlicheren Charakter. Es ist keine direkte Attacke gegen den französischen Präsidenten Nicolas Sarkozy, für den ich keine Sympathie empfinde. Mir geht es um eine Rückbesinnung auf die Menschenrechte.

 Warum werden diese immer wieder in den Hintergrund gedrückt?

 Die Wirtschaft beansprucht immer mehr für sich, will immer mehr verdienen und lenkt die Geldströme nach ihren Bedürfnissen. Sie hat die Übermacht über die Regierungen gewonnen. Die Politik folgt der Wirtschaft, dabei sollte es umgekehrt sein. Die Welt hat viele Revolutionen erlebt, welche die Menschen demokratiepolitisch vorwärtsgebracht haben. Im Moment aber spüren viele Menschen, dass etwas mit unseren Demokratien nicht mehr stimmt.

 Empören sich die Menschen wirklich darüber, dass ihre Regierungen sich stark in den Dienst der Wirtschaftsinteressen stellen, oder kämpft nicht vielmehr jeder um sein eigenes Glück, sein persönliches Fortkommen?

 Mein Büchlein kreist um den Gedanken, dass wir uns nicht nur empören sollen, weil wir mehr Lohn, mehr Freizeit möchten, oder damit "etwas für die Jugend" getan wird. Das genügt nicht. Mein Aufruf basiert auch auf dem Eindruck, dass viele Bürger und gerade auch die Jugendlichen schlafen oder resigniert haben und sich sagen: Na ja, mehr kann ich nicht erreichen, ich bin zwar schon seit zwei Jahren arbeitslos, aber das gehört nun einmal dazu, ich warte ab, bis ich Arbeit bekomme. Diese Müdigkeit ganzer Gesellschaftsgruppen bewegt mich, ihnen zuzurufen: Wacht auf! Ihr könnt mehr erreichen. Ihr müsst euch aber auf gewisse Werte stützen, die in den Grundbüchern der Demokratie stehen. Wie wir es einst in der Résistance getan haben.

 Sehen Sie uns denn in einer vergleichbaren Situation zu damals?

 Unsere Krise ist etwas ganz anderes als Krieg, Faschismus oder Stalinismus. Es ist aber dennoch eine grosse Krise, denn wir fahren derzeit auf mehreren Wegen gegen die Wand. Zum einen aufgrund der Dominanz der Finanzwirtschaft: Sie führt dazu, dass die Staaten die Banken retten müssen und das Geld an anderer Stelle fehlt. Die heutige Wirtschaftskrise erinnert an 1929, auch wenn sie sehr viel globalere Auswirkungen hat. Die zweite Gefahr, die es damals nicht gab, ist die ökologische. Drittens kommt der Terrorismus dazu, auf den wir noch keine gute Antwort gefunden haben. Bomben über Afghanistan oder dem Irak abzuwerfen, ist keine. Empören soll man sich gegen das Ausbleiben politischen Handelns angesichts dieser Gefahren.

 Wo finden wir denn die richtigen Antworten?

 In meinem Büchlein habe ich die Antworten nicht niedergeschrieben, nur die Fragen gestellt.

 Woher nehmen Sie die Hoffnung, dass Ihr Appell Wirkung zeigt und sich eine Bewegung von unten, ausgehend von den Jungen, bilden könnte?

 Diese Hoffnung habe ich, weil ich so lange gelebt und gesehen habe, wie grosse Krisen und Schwierigkeiten überwunden werden konnten. Dass am Anfang auch die entschlossene Aktion einer Minderheit genügt, die sich auflehnt und Widerstand leistet. Die Résistance in Frankreich wurde von einer kleinen Gruppe gebildet wie in anderen Ländern auch. Aber sie war es, die allmählich die Entwicklung bestimmte.

 In Ihrem Appell beziehen Sie sich auf Jean-Paul Sartre, darauf, dass jeder verantwortlich ist für sein Handeln und deshalb auch aktiv werden muss. Ein Aufruf zu mehr Moral auch in der Politik?

 Wenn sich die Politik nicht auf moralische Werte stützt, dann wird sie eine Politik der Schlauheit, populistisch. Das ist die falsche Richtung. In dieser Hinsicht habe ich den einstigen französischen Ministerpräsidenten Pierre Mendès France bewundert, der sich dafür einsetzte, dass das Volk bekommt, was ihm zusteht. Die heutigen Politiker reden nur so, tun aber nichts.

 Empörung sehen wir allenthalben, bei den sogenannten Wutbürgern, die sich in Europa bemerkbar machen und bei der amerikanischen Tea Party. Was unterscheidet Ihre Empörung von jener Sarah Palins?

 Ich kann denen natürlich nicht sagen, sie sollen sich nicht empören. Ich sage nur, man soll sich für gewisse Werte starkmachen. Dabei berufe ich mich auf die allgemeine Erklärung der Menschenrechte, die für die ganze Welt gelten soll. Die Tea Party beruft sich auch auf Werte, sie will zum Beispiel so wenig Staat wie möglich, aber das ist natürlich das Gegenteil dessen, was ich befürworte.

 Sie kritisieren die israelische Politik hart und sind darum selbst auch heftig kritisiert worden.

 Die Gründung des israelischen Staates verdankt sich den Vereinten Nationen, Israel ist UNO-Mitglied und damit auch deren Charta verpflichtet. Solange aber ein Staat die Freiheiten und Rechte, die in der Charta garantiert werden, nicht respektiert, ist er moralisch und juristisch im Unrecht. Daher mein besonderer Ärger über die Art und Weise, wie Israel sich benimmt. Die Besetzung von Gebieten ist rechtswidrig.

 Man wirft Ihnen vor, sie forderten von Israel einen Modellcharakter.

 Das Land soll nicht korrekter sein, sondern nur korrekt. Man kann verstehen, dass ein kleines Land wie Israel, umgeben von Millionen von Arabern, die ihm gefährlich werden könnten, sich verteidigen will. Aber was ist die beste Verteidigung? Bestimmt nicht, auf die Nachbarn einzuschlagen. Viel intelligenter wäre es, mit ihnen eine gute Beziehung aufzubauen. Will Israel in Sicherheit leben - und ich wünsche ihm das -, muss es sich an das internationale Rech halten und sich so benehmen, dass es akzeptiert wird.

 Ein wichtiger Punkt für Sie ist auch die Behandlung von Minderheiten.

 Das ist ein für uns alle wichtiges Problem. Die Zuwanderung wird weiter zunehmen. Auch wegen der grossen Klimaveränderungen. Europa muss sich darauf vorbereiten, diesen Immigranten einen Platz zu geben. Davon ist genug vorhanden. Man darf sie nicht einfach vorerst einmal in die Illegalität abschieben, sie ohne Papiere lassen. Und wenn es dereinst zu viele werden und wir mit unserer Aufnahmefähigkeit an Grenzen stossen, muss man mit den Herkunftsländern darüber verhandeln, was man tun kann, damit die Menschen ihre Heimat nicht mehr verlassen.

 Was aber ist mit jenen, die schon hier sind, oft seit Jahrzehnten? Hier ist doch eine teilweise verlorene Jugend herangewachsen.

 Bei uns in Frankreich hat man den Fehler gemacht, ihnen das Wahlrecht vorzuenthalten. Sie leben noch immer im Abseits. Man braucht eine intelligente und starke Migrations- und Integrationspolitik, in ganz Europa.

 Unser früherer Innenminister Pascal Couchepin hat Ihr Buch am Radio kritisiert, gerade was die Immigration anbelangt. Er wirft Ihnen vor, keine Lösung anzubieten, Ihr Buch sei "ein Schrei der Ohnmacht eines alten Mannes".

 Das ist nicht sehr höflich, aber Alt-Bundesrat Couchepin hat in gewisser Weise recht. Ich bringe, wie gesagt, nur Fragen, keine Antworten. Aber gleichzeitig ist seine Kritik ungerecht, weil mein Buch gar keine Antworten geben will, es erhebt vielmehr den Anspruch, dass die Werte eingelöst werden, die wir in der Vergangenheit in einer ganz schwierigen Zeit als die universal gültigen erkannt haben - und die heute verletzt werden. Das muss uns empören. Wir müssen mit allen Mitteln verlangen, dass diese Werte ernst genommen werden und dass wirklich aufgebaut wird, was darin vorgesehen ist.

 Couchepin muss das als Kritik an seiner eigenen Politik empfinden.

 Es ist nun einmal die Aufgabe einer guten Politik, die Würde der Menschen so zu unterstützen, dass sie sich zu guten Bürgern entwickeln können.

 Sie kennen die Schweiz, waren lange bei den Vereinten Nationen in Genf stationiert. Was sagen Sie zur Rolle der Schweiz in der Welt?

 Es hat mich gefreut, dass die Schweiz der UNO beigetreten ist. Sie hat ein besonders interessantes politisches System, das die Bürger beteiligt. Zu fragen wäre, ob man das auf andere Länder übertragen könnte. Die Schweiz spielt sicher eine besondere Rolle wegen ihrer langen Geschichte und ihrer alten Demokratie. Dennoch ist auch in diesem Land sicher nicht alles gut. Wenn Herr Couchepin denkt, in der Schweiz brauche es keine Empörung, dann sage ich: Vorsicht, Kritik an der Regierung ist auch hier nötig und gültig. Einwanderungsprobleme zum Beispiel gibt es auch in der Schweiz.

 Gibt es ein Recht zu sagen: Wir haben die Finanzkrise wunderbar überstanden, zum Glück sind wir nicht in der EU und den anderen internationalen Organisationen?

 Das finde ich natürlich eine völlig falsche Haltung. Die Schweiz muss mitmachen, sie ist ebenso betroffen von den Weltproblemen wie jedes andere Land. Alles andere wäre ein schrecklicher Egoismus. Die Schweizer dürfen nicht sagen, bei uns ist alles gut, die anderen interessieren uns nicht. Das wäre ganz im Gegensatz zu dem, was mein Freund Jean-Paul Sartre immer gefordert hat, nämlich eine verantwortungsvolle Haltung.

 Es gibt allerdings auch die Auffassung: Wenn jeder für sich schaut, dann geht es allen gut.

 Die gibt es in allen Ländern. Bei uns in Frankreich ist es jetzt Marine Le Pen vom Front National, die sagt, wir sollen uns um Frankreich kümmern, nicht um Europa. Aber es gibt keine nationalen Lösungen mehr. Wir sind viel zu stark voneinander abhängig. Nicht einmal die USA können an sich alleine denken.

 Sie sind Hegelianer und offenbar überzeugt, dass sich alles zum Besseren entwickelt.

 Ich war ein Hegelianer bis zu der Zeit, als ich mit Walter Benjamin zusammentraf, der in Paris in der Emigration war. Er hatte recht, als er sagte, mit Hegel gehe es nicht so leicht, der Fortschritt der Freiheit sei bei ihm nicht garantiert. Wir müssen Hegel überwinden und weiterdenken. Das haben die Rückschritte in der Geschichte gezeigt, zum Beispiel die zurückliegenden Jahre mit US-Präsident George W. Bush und den Terroranschlägen vom 11. September 2001. Wir dürfen nicht naiv sein und denken, es wird immer alles besser. Wir müssen mutig sein und sagen, es ist schwer, aber wir können etwas für bessere Verhältnisse tun.

 "Was ist die beste Verteidigung? Bestimmt nicht, auf die Nachbarn einzuschlagen."

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sf.tv 17.1.11
http://www.sendungen.sf.tv/dok/Sendungen/DOK/Archiv/Laura-D-Oriano-vom-17.01.2011

DOK am Montag, 17.01.2011, 22:50 Uhr auf SF1

Laura D'Oriano
Die geheimnisvolle Schweizer Spionin

Ein Film von Armin Biehler

Am frühen Morgen des 16. Januar 1943 erschiesst ein Sonderkommando in Rom eine junge Frau: Laura D'Oriano, verurteilt wegen Spionage für den französischen Widerstand. Laura war Schweizerin und ist die einzige Frau, die das faschistische Italien während des Zweiten Weltkrieges hinrichtete. Trotzdem kennt ihre Geschichte niemand, denn die Schweiz hatte damals kein grosses Interesse, sich für Laura d'Oriano einzusetzen. Zurück blieben nach ihrer Ermordung in Bottighofen am Bodensee zwei Töchter und der Ehemann.
http://videoportal.sf.tv/video?id=a9678a2b-679e-40db-859c-026455bee42d

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HOMOPHOBIE
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Sonntagszeitung 23.1.11

Schwulenparade in Moskau? Njet!

 Russland rekurriert gegen ein Strassburger Urteil, das einem russisch-schweizerischen Schwulenaktivisten Versammlungsfreiheit zugestanden hatte

von Claudia Stahel

 Noch am vergangenen Freitag, seinem letzten Ferientag im französischen Skiort Val-d'Isère, dachte Nikolai Alexejew, der bekannteste russische Schwulenaktivist, er habe einen historischen Sieg errungen. Vor drei Monaten entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg, dass das wiederholte Verbot der Moscow Gay Pride, der Moskauer Schwulen- und Lesbenparade, gegen das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Diskriminierungsverbot verstosse. Russland müsse die Veranstaltung in Zukunft erlauben.

 Dass Russland gegen den Entscheid Einspruch erheben würde, daran glaubte Alexejew am Freitagmorgen nicht mehr. Die Rekursfrist endete um Mitternacht. Doch am späten Nachmittag informierte ihn der Gerichtshof per E-Mail: "Russland legt Berufung ein." Dabei hatte Alexejew vor zweieinhalb Wochen Post vom russischen Justizministerium erhalten: Man benötige seine Bankdaten für die Überweisung der Strafgebühr. Laut dem Urteil des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte stehen Alexejew 12 000 Euro Wiedergutmachung und 17 510 Euro Anwaltskostenentschädigung zu.

 Seit fünf Jahren kämpft der 33-jährige Alexejew vor russischen Gerichten für das Recht auf Versammlungsfreiheit - und zahlte dafür einen hohen Preis. Sechsmal wurde er verhaftet, sechzigmal dem Richter vorgeführt, einmal gar entführt.

 Mittlerweile ist der Kampf für Schwulenrechte ein 100-Prozent-Job für Alexejew. Der Jurist ist seit elf Jahren mit einem Schweizer liiert, lebt in einer eingetragenen Partnerschaft, pendelt zwischen Genf und Moskau. "Manchmal prozessiere ich am Morgen in Moskau und fliege dann am Nachmittag zurück nach Genf", erzählt Alexejew. "In Russland siehst du keine Schwulen Händchen halten. Der Anteil Schwuler in der Bevölkerung ist sicher nicht kleiner als in der Schweiz - doch in Russland outen sie sich nicht."

 Laut einer Umfrage der russischen Schwulen- und Lesben-Dachorganisation verstecken 74 Prozent der Homosexuellen ihre sexuelle Neigung vor Familie, Arbeitgeber und Behörden. "Millionen von Russen haben eine jahrelange sowjetische Gehirnwäsche hinter sich", sagt Alexejew. Homosexualität stand zu Sowjetzeiten und in Russland bis 1993 unter Strafe und galt bis 1998 offiziell als Geisteskrankheit. Vor drei Jahren publizierte ein Meinungsforschungsinstitut eine Studie zur öffentlichen Moral in Russland. 84 Prozent der Befragten bezeichneten Homosexualität als "unmoralisch". Kiffen, Polygamie und Bestechung seien weniger verwerflich.

 Für Putin tragen Schwule "zum demografischen Problem" bei

 Der russische Ministerpräsident Wladimir Putin, der sich gerne oben ohne beim Reiten und Fischen fotografieren lässt, sagte Anfang Dezember in einer US-Talkshow, die Schwulen trügen "zum demografischen Problem" in Russland bei. Und der oberste russische Verfassungsrichter Waleri Zorkin kritisierte vor Weihnachten, das Urteil des Gerichtshofs zugunsten Alexejews lasse "wichtige Aspekte der russischen Gesellschaft ausser Acht". Auch für Muslime sei Homosexualität ein heikles Thema. "Was denken die sich in Strassburg? Sitzen in ihrem Glaskasten und werfen mit Steinen auf andere."

 Einer Depesche der US-Botschaft in Frankreich zufolge, welche kürzlich auf Wikileaks publik gemacht wurde, rügte der französische Präsident Nicolas Sarkozy im September 2007 gegenüber Putin die Unterdrückung der russischen Schwulen.

 Nicht nur Schwule, auch Bürgerrechtler und Oppositionelle werden in Russland daran gehindert, zu demonstrieren. "Der Entscheid des Gerichtshofs ist ein wichtiger Präzedenzfall", sagt Anna Sevortian, Chefin des Moskauer Büros der Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch. "Er besagt, dass niemandem wegen seiner sexuellen Neigung das Recht auf Versammlungsfreiheit verwehrt werden darf." Und auch nicht wegen der politischen Überzeugung.

 So verbrachte der Ex-Vize-Regierungschef und heutige Oppositionsführer Boris Nemzow Silvester hinter Gittern, weil er an einer unbewilligten Kundgebung teilnahm. Die Menschen in Russland gehen mittlerweile auf die Strasse, um überhaupt demonstrieren zu dürfen. Ob Schwule oder Oppositionelle - die Begründung der Behörden für Demoverbote sind stets die gleichen: "Einmal hiess es, das Trottoir sei zu schmal, und es gäbe denkmalschützerische Bedenken", erzählt Alexejew.

 Russlands Präsident Dmitri Medwedew wird kommende Woche das World Economic Forum (WEF) in Davos mit einer Rede eröffnen, einen Tag später wird der Gerichtshof in Strassburg detaillierte Zahlen für das Jahr 2010 veröffentlichen. Bereits bekannt ist, dass Ende November dort 142 550 Beschwerden hängig waren, wovon 28 Prozent Russland betrafen - obwohl die Russen nur 18 Prozent der Gesamtbevölkerung der Gerichtshofstaaten ausmachen.

 "Die russischen Behörden verstehen nur die Sprache der Macht", sagt Alexejew. "Wenn du etwas von ihnen willst, musst du es ihnen entreissen." Die Aktivistenlaufbahn wurde Alexejew nicht in die Wiege gelegt. Er wuchs in einer Plattensiedlung im Norden von Moskau auf, Vater und Mutter waren Ingenieure. "Mit zwölf Jahren wusste ich, dass ich schwul bin. Ich war noch minderjährig. Der Strafartikel betraf mich nicht."

 Als Homosexualität legalisiert wurde, schwieg Alexejew. "Auf dem Papier hatte sich etwas geändert, nicht aber in den Köpfen. Ich wusste nicht, wie meine Eltern, die Verwandten und Nachbarn reagieren würden." Solange er nach dem Prinzip "Frag nicht und sag nichts" lebte, hatte er keine Probleme.

 Die fingen vor neun Jahren an - mit seinem Coming-out. Alexejew wollte in Jura promovieren. "Ich beschloss, meine Doktorarbeit über die Rechte sexueller Minderheiten in Russland zu schreiben, um meine eigenen Rechte zu kennen." Als er seinen Professoren das Thema vorstellte, hatte er bereits die ganze Arbeit getippt. 400 Seiten. Die Moskauer Staatsuniversität nahm die Arbeit nicht an, und Alexejew ging zum ersten Mal vor Gericht - gegen die eigene Universität. Er verlor.

 Kein einziger Journalist kam zur Gründungsfeier von Gayrussia

 "Schwule, das waren damals Sänger, die in Frauenkleidern im Fernsehen auftraten", erinnert sich Alexejew, "ich wollte uns endlich auf die politische Agen- da bringen." Er mietete einen Raum und verschickte unzählige E-Mails. Kein einziger Journalist kam im Mai 2005 zur Gründungsfeier seiner Bewegung Gayrussia. Einen Monat nach dem Medienflop kündigte er an, in Moskau die erste russische Schwulenparade zu organisieren - und war plötzlich in allen Medien.

 Ein Jahr später, die Moskauer Stadtverwaltung hatte gerade die Parade verboten, kamen über hundert Journalisten an seine Medienkonferenz, darunter ein Team des britischen TV-Senders BBC. Eine kleine Gruppe, darunter Alexejew und prominente Aktivisten wie der deutsche Bundestagsabgeordnete Volker Beck oder der britische Bürgerrecht- ler Peter Tatchell, demonstrierte im Mai 2006 trotz Verbot in der Moskauer Innenstadt. Den rund sechzig Aktivisten standen mehrere Hundert Gegendemonstranten gegenüber. Rechtsextreme und radikal-orthodoxe Schlägertrupps gingen auf die Protestierenden los. Bilder mit Becks blutig geschlagenem Gesicht gingen um die Welt. Seither versuchte Alexejew Jahr für Jahr, eine Parade zu organisieren und scheiterte jedes Mal am Widerstand der russischen Behörden.

 Die Unnachgiebigkeit Russlands bekam Alexejew im vergangenen September erneut zu spüren, als er von Moskau nach Genf reisen wollte. Kurz vor dem Einsteigen ins Flugzeug verhaftete ihn die Flughafenpolizei: "Eine Begründung nannte man nicht." Man habe ihn einer anderen Einheit übergeben. Die hätte ihn aus der Stadt gebracht und in einem fensterlosen Raum festgehalten. "Sie verlangten, dass ich meine Beschwerde zurückziehe." Nach zwei Tagen liess man ihn gehen. Bis heute wisse er nicht, wer hinter der Entführung stehe. "Danach hätte ich am liebsten alles hingeschmissen", beschreibt Alexejew seinen Frust. "Aber wenn ich nicht weitermache, gewinnen sie am Ende."

 Die Grosse Kammer des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte hat jetzt drei Monate Zeit, das russische Begehren zu prüfen. Alexejew hofft, dass dies vor Anfang Mai und zu seinen Gunsten geschehen wird, also bevor die sechste Moskauer Schwulenparade stattfinden soll.

 "Wenn nicht", sagt Alexejew, "gehen wir trotzdem auf die Strasse."

 Die Recherchen für diesen Beitrag waren Teil einer Diplomarbeit am Schweizer Medienausbildungs- zentrum (Maz).

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NESTLÉ
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WoZ 20.1.11

Kolumbien

 Wer sich organisiert, ist in Lebensgefahr

 In kaum einem Land werden so viele GewerkschafterInnen ermordet wie in Kolumbien. Mit der neuen Regierung ändert sich bei der Verfolgung regimekritischer Personen nur der Umgangston.

Von Werner Hörtner, Bogotá (TEXT UND FOTO)

 Während der Regen des täglichen Wintergewitters an die Fensterscheiben prasselt, erzählt Jessica Hoyos Morales die Geschichte von der Ermordung ihres Vaters vor fast zehn Jahren. Jorge Darío Hoyos Franco hatte seine Tätigkeit bereits in jungen Jahren in LandarbeiterInnengewerkschaften begonnen, arbeitete mit StudentInnen- und Frauenorganisationen zusammen und war später in der Internationalen Vereinigung der MinenarbeiterInnen aktiv. Am 3. März 2001 erschossen ihn in Bogotá zwei Angehörige paramilitärischer Gruppen, nachdem er wegen seines Engagements zuvor jahrelang Drohungen erhalten hatte.

 Die Mörder wurden verhaftet und 2003 zu langen Haftstrafen verurteilt. Jessica Hoyos besuchte einen der beiden mehrmals im Gefängnis. "Das war nicht einfach, aber ich wollte unbedingt die Wahrheit herausfinden", erzählt sie. Hoyos war zum Zeitpunkt der Tat sechzehn Jahre alt und hatte gerade ihr Rechtsstudium begonnen. Sie ist Mitgründerin der Bewegung "Söhne und Töchter für die Erinnerung und gegen die Straflosigkeit" und arbeitet heute im Anwaltskollektiv José Alvear Restrepo (CCAJAR), wo sie auf Arbeitsrecht spezialisiert ist.

 Ihre Recherchen über die Auftraggeber und die Hintergründe der Ermordung ihres Vaters führten zu einer Wiederaufnahme der Ermittlungen und zu einem Strafprozess. Der angeklagte Hintermann, ein ehemaliger Polizeioffizier, konnte jedoch nie verhaftet werden und wurde 2007 in Abwesenheit zu vierzig Jahren Haft wegen Mordes an Darío Hoyos verurteilt. Die Regierung feierte das Urteil als grossen Erfolg der Justiz. Nur durch Zufall fand Jessica Hoyos später heraus, dass der gesuchte Polizist zum Zeitpunkt des Urteils nicht mehr lebte. Er war bereits 2006 verstorben - die Staatsanwaltschaft hatte einen Toten verurteilt.

 Hinzu kommt, dass die Staatsanwaltschaft trotz der Urteile noch bis 2008 an der Hypothese festhielt, dass es sich beim Mord an Darío Hoyos um ein Beziehungsdelikt handle und das Verbrechen nichts mit seiner gewerkschaftlichen Arbeit zu tun habe. Der für den Fall zuständige Sonderrichter José Emilio Sánchez kritisierte diese in Kolumbien weitverbreitete Praxis des Justizwesens, bei Verbrechen gegen GewerkschafterInnen die Ermittlungen in eine falsche Richtung zu lenken. Der Zweck dieser Praxis ist es, eine Verurteilung der wahren DrahtzieherInnen zu verhindern, die in vielen Fällen Mitglieder der Regierung, der Sicherheitskräfte oder des staatlichen Geheimdienstes DAS sind.

 2694 Morde in 24 Jahren

 Die Zahlen sprechen für sich: Laut einer Statis tik der Nationalen Gewerkschaftsschule ENS wurden zwischen 1986 und 2009 in Kolumbien 9911 Gewaltakte gegen Gewerkschafter Innen verzeichnet, davon 2694 Morde. Nur in vierzig Prozent der Mordfälle kam es überhaupt zu Ermittlungen - in denen gerade mal neunzig Urteile gefällt wurden. Die linke Einheitsgewerkschaft CUT schätzt, dass zudem rund 200 weitere GewerkschaftsaktivistInnen auf ungeklärte Weise verschwunden sind.

 Kolumbien weist heute den niedrigsten Grad der gewerkschaftlichen Organisation in ganz Lateinamerika auf. Von den achtzehn Millionen Arbeitenden in Kolumbien haben nur drei Millionen einen Arbeitsvertrag. Nur diesen drei Millionen ist es gesetzlich erlaubt, sich überhaupt gewerkschaftlich zu organisieren - und weniger als ein Drittel der Beschäftigten mit einem Arbeitsvertrag sind in einer Gewerkschaft. Hinzu kommen Hindernisse bei der Bildung einer Gewerkschaft: 2007 verweigerte die Regierung 253 Gewerkschaften die Registrierung.

 Doch nicht nur rechtliche Hürden erschweren die gewerkschaftliche Organisation. In den vergangenen acht Jahren der Regierung des ehemaligen Präsidenten Álvaro Uribe hat die Kriminalisierung des sozialen Protests massiv zugenommen. So wurden Friedens- und MenschenrechtsaktivistInnen, Kleinbäuer­Innen, ethnische Minderheiten und GewerkschafterInnen von der Regierung als SympathisantInnen der Guerilla und als "politische Handlanger des Terrorismus" diffamiert, bedroht und juristisch verfolgt (vgl. Text "Die Imagepflege des Juan Manuel Santos").

 "Heutzutage sind so gut wie alle Gewerkschafter in Kolumbien schon einmal bedroht worden, und auf viele wurden Attentate verübt", sagt die Anwältin Hoyos. "Unter diesen Umständen ist an eine normale gewerkschaftliche Tätigkeit nicht zu denken." Nur in den wenigsten Fällen handelt es sich bei den TäterInnen um Angehörige der Guerilla. In einer Studie von 2007 über die Verfolgung von GewerkschafterInnen in Kolumbien zeigte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, dass in 49 Prozent der Fälle Paramilitärs die Tat begangen haben. In 43 Prozent waren staatliche Sicherheitskräfte dafür verantwortlich und nur in 2 Prozent die Guerilla.

 "Die Morde an Gewerkschaftern sind die Folge einer systematischen Politik des Staats", sagt Jessica Hoyos. So habe die Arbeit ihres Vaters die politischen und wirtschaftlichen Inter­essen von RegionalpolitikerInnen, mächtigen Landbesitzern und Armeemitgliedern bedroht.

 Nestlé und die Paramilitärs

 Besonders gefährlich wird es für Gewerkschaften aber dann, wenn sie sich gegen den Abbau von Arbeitsrechten einsetzen oder die Politik der transnationalen Konzerne im Land anprangern. Der Fall des Schweizer Nahrungsmittelkonzerns Nestlé ist ein Paradebeispiel dafür, wie internationale Konzerne mit staatlichen Institutionen und den Paramilitärs zusammenarbeiten. So hatte Salvatore Mancuso   - der inhaftierte frühere Oberkommandierende des paramilitärischen Dachverbands AUC   - 2007 ausgesagt, dass seine Einheiten von verschiedenen Unternehmen finanziert worden seien, darunter auch von der Nestlé-Milchpulverfabrik Cicolac in Valledupar im Norden des Landes.

 Die Nestlé-Beschäftigten sind in der Lebensmittelgewerkschaft Sinaltrainal organisiert. Seit der Gründung von Sinaltrainal 1982 wurden achtzehn AktivistInnen wegen ihrer gewerkschaftlichen Tätigkeiten ermordet, zwei sind bis heute verschwunden. Immer wieder erhalten die GewerkschaftsführerInnen und ihre Familien Morddrohungen. So auch letzten September.

 Nach einem Aktionstag zum Gedenken an die Ermordung des Gewerkschafters Luciano Romero 2005 wurden in Bugalagrande, einem weiteren Standort von Nestlé Kolumbien, Flugblätter der paramilitärischen Gruppe Águilas Negras verteilt (siehe WOZ Nr. 44/10). Die Paramilitärs drohten darin, die GewerkschafterInnen und ihre Familien "zu beseitigen". Einige der namentlich genannten Gewerkschafter stehen unter dem Schutz der Interamerikanischen Menschenrechtskommission.

 Der Mord an Luciano Romero ist einer der bekanntesten Fälle in der Kontroverse um Nestlés Verstrickungen mit den Paramilitärs. Zum einen, weil es im Mordprozess mehrere Urteile gab, zum anderen, weil die Aufklärung des Verbrechens dank der Begleitung durch die Internationale Arbeitsorganisation ILO relativ weit fortgeschritten ist. Der Gewerkschafter Luciano Romero war von Nestlé 2002 entlassen worden, weil er an einem Streik teilgenommen haben soll - der alledings nie stattgefunden hat. Dennoch blieb Romero weiterhin für Sinaltrainal aktiv. Im Herbst 2005 hätte er in die Schweiz reisen sollen, um in Bern an einer Anhörung zur Politik von Nestlé in Kolumbien teilzunehmen. Am 10. September wurde Romero in Valledupar von einem Kommando der Paramilitärs entführt und in derselben Nacht ermordet.

 Im Fall Romero gibt es bisher acht Festnahmen und vier Urteile. Drei ehemalige Paramilitärs und ein DAS-Informant erhielten hohe Haftstrafen. Gegen zwei DAS-Agenten und zwei hochrangige Paramilitärs läuft noch ein Verfahren. Auch gegen sechs leitende An gestellte von Nestlé Kolumbien wurden Untersuchungen angestellt - doch bisher ist noch keiner von der Staatsanwaltschaft vorgeladen worden. "Der Konzern hat mittlerweile die meisten von ihnen auf hohe Posten in anderen Ländern befördert", sagt Edgar Paéz, interna tionaler Sekretär von Sinaltrainal, gegenüber der WOZ.

 Doch nicht nur GewerkschafterInnen sind in Kolumbien in Gefahr. So kam es Anfang September vor dem Sitz des Anwaltskollektivs CCAJAR im Zentrum von Bogotá zu einer grossen Demonstration. Die Gruppe Nationalistische Bewegung von Kolumbien hatte auf Bannern die "Auslöschung" des CCAJAR gefordert. "Wir haben gesehen, dass bei der Demonstra tion Familienmitglieder von Militärs dabei waren, Angehörige verschiedener Geheimdienste und der extremen Rechten", sagt die Anwältin Jessica Hoyos. Wenige Tage später wurden mehrere MitarbeiterInnen des Anwaltsbüros telefonisch mit dem Tod bedroht.

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 Kolumbiens neuer Präsident

 Die Imagepflege des Juan Manuel Santos

 Im August 2010 übernahm Juan Manuel Santos die Präsidentschaft von seinem Mentor Álvaro Uribe Vélez. In den acht Jahren von Uribes rechtsautoritärer Herrschaft haben die Angriffe auf soziale Bewegungen, Menschenrechtsorganisationen, regimekritische Aktivisten und Journalistinnen sowie Gewerkschaften stark zugenommen. Die paramilitärischen Gruppen wurden vom Staat gezielt gegen jene eingesetzt, die bessere Arbeitsbedingungen und die Respektierung der Menschenrechte forderten. Laut Iván Cepeda, Menschenrechtsaktivist und Parlamentsabgeordneter der Linkspartei Polo Democrático, verfügte Uribe dennoch über eine sehr solide Basis im Establishment, da die meis ten Parteien im Parlament seine Politik unterstützten.

 Im Wahlkampf hatte Santos - der von 2006 bis 2009 Verteidigungsminister war -stets betont, die Politik seines Vorgängers fortzusetzen. Es ist anzunehmen, dass er seine Versicherung, nicht "in den Rückspiegel zu schauen", ernst gemeint hat. Mit ein Grund dafür dürften Santos' eigene Verwicklungen in Uribes mafiöse Machtstrukturen sein. Dennoch mehren sich die Anzeichen einer Entzweiung zwischen den beiden. Im Gegensatz zu Uribe scheint Santos auch auf die Kooperation mit den Grünen und anderen Linksparteien zu setzen. Zudem scheint er sich beispielsweise bei der Aussenpolitik vom harten Kurs seines Vorgängers abzugrenzen und zumindest rhetorisch seiner Regierung vermehrt einen zivilisierten, demokratischen Anstrich geben zu wollen.

 Mit zu dieser Imagepflege gehört die Wahl seines Vizepräsidenten Angelino Garzón, der in den achtziger Jahren Vorsitzender des Gewerkschaftsdachverbands CUT war, bevor er in die Politik ging und unter anderem als Arbeitsminister und Gouverneur der im Wes ten des Landes gelegenen Provinz Valle del Cauca amtierte. Ideologisch hat sich der einst kommunistische Gewerkschafter von seinen früheren Weggefährten entfernt, setzt sich nach eigenen Aussagen aber immer noch für deren Anliegen ein.

 2009 bemühte Garzón sich als Botschafter bei der Internationalen Arbeitsorganisation ILO in Genf, Kolumbiens angeschlagenen Ruf zu retten. So ist es denn auch seiner Lobby arbeit zuzuschreiben, dass die ILO Kolumbien 2010 das erste Mal seit 21 Jahren von ihrer jährlichen "schwarzen Liste" jener Länder gestrichen hat, in denen die Rechte der ArbeiterInnen besonders schwer missachtet werden. Laut einem Bericht der kolumbianischen Regierung sind 2009 "nur" 28 GewerkschafterInnen getötet worden. Der Internationale Gewerkschaftsbund IGB spricht hingegen von 48 Ermordeten.

 Im Februar will sich nun eine ILO-Kommission vor Ort über die Lage der Gewerkschaftsbewegung informieren.
 
Werner Hörtner

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 Dieser Artikel wurde ermöglicht durch den Recherchierfonds des Förder­vereins ProWOZ. Dieser Fonds unterstützt Recherchen und Reportagen, die die finanziellen Möglichkeiten der WOZ übersteigen. Er speist sich aus ­Spenden der WOZ-Leser Innen.

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MIGRATION CONTROL
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NZZ am Sonntag 23.1.11

Flüchtlingspolitik der EU in Frage gestellt

 Die Rückführung von Asylbewerbern nach Griechenland gilt als menschenrechtswidrig. Das Dublin-Verfahren, zentrales Element der EU-Asylpolitik, kommt unter Druck.

 Marianne Truttmann, Brüssel

 Gerichtsurteile, welche die Asylverfahren in Griechenland als menschenrechtswidrig anprangern, stellen das Dublin-II-Abkommen zur Regelung des Asylverfahrens in Europa zunehmend in Frage. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg am Freitag entschieden, dass Belgien einen afghanischen Asylbewerber nicht nach Griechenland hätte abschieben dürfen. Und im Vorgriff auf ein drohendes Verfassungsgerichtsurteil beschloss Deutschland bereits Anfang Woche, die Rückführungen nach Griechenland für ein Jahr zu stoppen. Irland und Grossbritannien wiederum lassen durch den Europäischen Gerichtshof in Luxemburg klären, ob Abschiebungen nach Griechenland zulässig sind.

 Gemäss dem Text von Dublin II müssen Asylgesuche von dem Land behandelt werden, in dem ein Flüchtling zuerst ankommt. Damit wollte die EU das sogenannte Asyl-Shopping vermeiden, also das Stellen von Asylanträgen in mehreren Staaten. Werden Asylbewerber, die nach Ablehnung ihres Gesuchs weiterziehen, aufgegriffen, können sie in das Erstaufnahmeland zurückgeschafft werden. Dieses System belastet naturgemäss die südlichen und östlichen Staaten an den EU-Aussengrenzen übermässig stark.

 Griechenland steht seit Jahren in der Kritik insbesondere vom Flüchtlingshochkommissariat UNHCR der Vereinten Nationen, weil das Asylverfahren dort wesentliche Mängel aufweise. Der von Belgien zurückgeschickte Afghane beispielsweise wurde bei seiner Ankunft drei Tage lang zusammen mit 20 anderen Personen in einen kleinen Raum eingeschlossen, ohne genügend Frischluft und ohne saubere Schlafmöglichkeit. Anschliessend wurde er ohne Mittel für seinen Unterhalt und ohne klare Aufklärung über das weitere Verfahren auf die Strasse gesetzt.

 Die südlichen EU-Staaten verlangen seit langem, dass die Lasten der Asylverfahren stärker auf alle Dublin-Staaten verteilt werden. Die nördlichen Länder, vor allem Deutschland, wehren sich aber vehement dagegen. Deutschland argumentiert damit, man habe vor der Einführung von Dublin II den grössten Teil der Flüchtlinge, damals aus dem Osten, alleine übernommen.

 Nach dem neuesten Urteil aus Strassburg setzte das Schwarzpeterspiel unter EU-Staaten und -Institutionen erneut ein. Der deutsche EU-Parlamentarier Manfred Weber von den Konservativen warf der EU-Innenkommissarin Cecilia Malmström vor, bei der Umsetzung von EU-Asylstandards in Griechenland untätig zu sein. Diese verwies auf die grosse finanzielle Hilfe für Griechenland, das 2010 rund 47 000 Flüchtlinge verzeichnete. So erhält das Land für die Zeit von 2007 bis 2011 aus den EU-Kassen einen Betrag von über 170 Millionen Euro für die Flüchtlingsbetreuung. Zudem hat die EU wegen des Flüchtlingsstroms aus der Türkei europäische Grenzschützer der Agentur Frontex entsandt.

 Politisch chancenlos ist derzeit der Vorschlag der EU-Kommission, den Mechanismus von Dublin II bei ausserordentlichen Umständen, etwa einem grossen Flüchtlingszustrom, auszusetzen. Eine Mehrheit der EU-Innenminister ist dagegen. Auch der EU-Parlamentarier Weber bekräftigt: "Dublin II ist ein funktionierendes System und Rückgrat der EU-Asylpolitik. Daran darf im Grundsatz nicht gerüttelt werden."

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 Rückführungen nach Griechenland

 Schweiz entscheidet bis Februar über einen Stopp

 Das Bundesamt für Migration (BfM) schickt aufgrund der bekannten Missstände seit fast zwei Jahren keine verletzlichen Personengruppen - also Betagte, Familien mit minderjährigen Kindern und Personen, die auf medizinische Hilfe angewiesen sind - zurück nach Griechenland. "Wir prüfen derzeit, ob Überstellungen nach Griechenland im Rahmen des Dublin-Verfahrens ganz ausgesetzt werden sollen", sagt BfM-Sprecherin Marie Avet. Ein Entscheid werde bis Februar erwartet. Das Bundesverwaltungsgericht plant zeitgleich ein Grundsatzurteil zur Zumutbarkeit von Überstellungen von Asylsuchenden nach Griechenland, wie ein Sprecher bestätigt.

 Im Februar 2010 hatte das Bundesverwaltungsgericht bereits entschieden, die bisher gemäss Dublin-Verfahren praktizierte sofortige Abschiebung nach Griechenland sei unzulässig. Seither muss bei einem Nichteintretensentscheid eine Ausreisefrist von fünf Tagen sowie die Möglichkeit, ein Rechtsmittel zu ergreifen, gewährt werden. Innerhalb von weiteren fünf Tagen muss sodann über die aufschiebende Wirkung der Beschwerde entschieden werden.

 Im letzten Jahr hat die Schweiz im Dublin-Verfahren 50 Asylbewerber nach Griechenland überstellt. In 422 Fällen erhielt die Schweiz von Griechenland die Zusicherung zur Übernahme des Verfahrens, die Überstellung ist aber aufgrund von Rekursfristen noch nicht erfolgt. (brk.)

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Bund 22.1.11

Ein vernichtendes Zeugnis

 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hält Überstellungen von Asylbewerbern nach Griechenland für "unmenschlich und erniedrigend".

 Stephan Israel, Brüssel

 Griechenland ist die Lücke in der Festung Europa. Wer den Fluss Evros an der griechisch-türkischen Grenze überquert, hat es in die Europäische Union geschafft. Auch der Afghane M. S. S. kam 2009 auf diesem Weg und reiste Richtung Norden weiter, um in Belgien einen Asylantrag zu stellen. Weil Griechenland das Einreiseland war, ordnete Belgien jedoch die Überstellung nach Athen an, wo das Asylgesuch des Afghanen geprüft werden sollte.

 Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte verurteilte gestern sowohl Griechenland als auch Belgien. Beide Länder müssen dem Afghanen Schadenersatz von mehr als 25 000 Euro bezahlen. Die Bedingungen für Asylbewerber seien in Griechenland "unmenschlich und erniedrigend", befanden die Richter. Belgien wurde verurteilt, weil es den Afghanen zurückgeschickt hatte, obwohl die erniedrigenden Haft- und Lebensbedingungen in Griechenland allgemein bekannt gewesen seien.

 Der Afghane kam zuerst in ein überfülltes Zelt und lebte später auf der Strasse. Der Kläger habe in Griechenland monatelang in extremer Armut leben müssen und sei nach eigenen Angaben von der Polizei geschlagen worden, schreiben die Richter in ihrem Urteil. Die Behörden des Landes seien nicht in der Lage, für Grundbedürfnisse wie Nahrung, Hygiene und Unterkunft aufzukommen. Die Regierung in Athen habe selber eingeräumt, für Zehntausende Asylbewerber über weniger als tausend Plätze in Aufnahmezentren zu verfügen.

 Die Richter stellen die griechischen Behörden als hoffnungslos überfordert dar. Sie seien nicht in der Lage, Asylverfahren zügig durchzuführen. Mit ihrem vernichtenden Urteil stellen die Hüter über die Menschenrechte einen Pfeiler der Asylpolitik der EU infrage: Belgien schickte den Afghanen nämlich gestützt auf die Dublin-II-Verordnung in das Land zurück, über das er auf EU-Territorium gelangt war. "Dublin" war einst beschlossen worden, um das sogenannte Asyl-Shopping zu unterbinden. Seit dem Schengen-Beitritt kann auch die Schweiz Asylbewerber ins Land der Ersteinreise zurückschicken.

 Die Richter anerkennen zwar in ihrem Urteil, "dass der wachsende Zustrom von Einwanderern und Asylsuchenden die Staaten an den EU-Aussengrenzen derzeit stark belastet und vor erhebliche Schwierigkeiten stellt". Das Verbot erniedrigender Behandlung gehe aber vor. Der Einwanderungsdruck auf Griechenland nahm zu, nachdem Italien mit Libyen ein umstrittenes Rückführungsabkommen abgeschlossen hatte.

 Das Urteil dürfte die Spannungen innerhalb der EU verschärfen. Mittelmeeranrainer wie Griechenland, Malta und Spanien drängen auf eine Revision von "Dublin" und auf mehr Solidarität bei der Verteilung der Asylbewerber. Bereits vor dem Urteil haben Island, Schweden, Grossbritannien und Norwegen Überstellungen gestoppt. Insgesamt wurden im vergangenen Jahr knapp 1000 Asylbewerber aus Schengen-Staaten nach Griechenland zurückgeschickt, 50 davon aus der Schweiz. Deutschland und Belgien kündigten gestern an, vorerst keine Asylbewerber mehr nach Griechenland zu schicken. Die Schweizer Behörden prüfen derzeit noch ihre Praxis.

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Südostschweiz 22.1.11

25 000 Euro Schadenersatz wegen Rückschaffung

 Der Gerichtshof für Menschenrechte hat zwei EU-Staaten verurteilt: Belgien hätte einen Flüchtling nicht nach Griechenland zurückschicken dürfen, weil dort "erniedrigende" Bedingungen herrschen.

 Strassburg. - Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte geht hart ins Gericht mit den Haft- und Lebensbedingungen für Asylbewerber in Griechenland; diese seien "unmenschlich und erniedrigend". Gleichzeitig verurteilt der Gerichtshof Belgien: Ein afghanischer Asylbewerber, den Belgien 2009 nach Griechenland überstellte, hätte nicht dorthin zurückgeschickt werden dürfen. Die Strassburger Richter erklären in ihrem gestrigen Urteil, Belgien habe damit "gegen das Verbot menschenunwürdiger Behandlung" verstossen, denn die Mängel im griechischen Asylsystem seien den belgischen Behörden bekannt gewesen.

 Belgien zahlt den Löwenanteil

 Die beiden Länder müssen dem Kläger zusammen rund 25 000 Euro Schadenersatz zahlen, wobei auf Belgien mit 24 900 Euro der Löwenanteil entfällt. Griechenland muss nach dem Richterspruch "den Asylantrag ohne Verzögerung und im Einklang mit der Menschenrechtskonvention prüfen" und darf den Afghanen "bis Abschluss dieser Prüfung nicht abschieben".

 Der Flüchtling, der über die menschenunwürdigen Zustände in griechischen Aufnahmelagern geklagt hatte, war über Griechenland nach Belgien gereist, wo er 2009 einen Asylantrag stellte. Er war noch im selben Jahr nach Griechenland abgeschoben worden, das mit dem Ansturm von Asylbewerbern überfordert ist.

 Schweiz prüft Rückschaffungsstopp

 Die Abschiebung erfolgte nach der Dublin-Verordnung, die vorsieht, dass Asylsuchende dorthin zurückgeschickt werden, wo sie ihren ersten Asylantrag gestellt haben. Deutschland, Island, Schweden, Norwegen und Grossbritannien haben Rückführungen nach Griechenland aus humanitären Gründen vorübergehend gestoppt. Die Schweiz verfolgt die Praxis, dass verletzte, minderjährige oder alte Personen nicht nach Griechenland zurückgeschafft werden. Eine Ausweitung des Rückführungsstopps wird in Bern derzeit geprüft. (sda)

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NZZ 22.1.11

Mehr Schutz in der EU für Asylbewerber
 
Wegweisendes Strassburger Urteil

 (ddp) · Wegen der unzumutbaren Verhältnisse für Asylbewerber in Griechenland ist es nach einem Urteil des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofes illegal, Asylbewerber aus EU-Ländern nach Griechenland zurückzuschicken. In dem Land, das mit einem massiven Ansturm von Flüchtlingen zu kämpfen hat, würden das Verbot unmenschlicher Behandlung (Artikel 3) und das Recht auf Beschwerde (Artikel 13) in der Menschenrechtskonvention verletzt, urteilen die Strassburger Richter. Mit der Entscheidung hatte die Beschwerde eines afghanischen Asylbewerbers Erfolg, der 2009 von Belgien nach Griechenland überstellt wurde. Die EU-Kommission will ein Moratorium erreichen, so dass Flüchtlinge innerhalb der EU aufgeteilt werden, wenn bestimmte Länder durch eine Asylbewerberwelle überlastet sind wie derzeit Griechenland.

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St. Galler Tagblatt 22.1.11

Gerichtshof urteilt gegen EU-Asylpolitik

 Strassburg. Belgien hätte 2009 einen afghanischen Asylbewerber nicht nach Griechenland abschieben dürfen, befand gestern der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR). Die Strassburger Richter kritisierten in ihrem Urteil die Bedingungen für Asylbewerber in Griechenland als "unmenschlich und erniedrigend". Belgien habe gegen das Verbot menschenunwürdiger Behandlung verstossen, denn die Mängel im griechischen Asylsystem seien bekannt gewesen.

 Beide Länder müssen dem Flüchtling, der über menschenunwürdige Zustände in griechischen Aufnahmelagern geklagt hatte, zusammen rund 25 000 Euro Schadenersatz zahlen. Griechenland muss nun den Asylantrag neu prüfen und darf den Mann bis dahin nicht ausweisen.

 Er war über Griechenland nach Belgien gereist, wo er einen Asylantrag gestellt hatte und daraufhin aufgrund der Dublin-Verordnung abgeschoben wurde. Diese Verordnung könnte nun durch das Urteil in Frage gestellt werden, denn sie enthält die sogenannte Rückübernahme-Klausel. Sie sieht vor, dass Asylsuchende in das "Erstland" zurückgeschickt werden, also in jenen Staat, in dem sie ihren ersten Asylantrag gestellt haben. Diese Klausel ist auch in der EU umstritten, insbesondere die Frage, ob Länder von der Rückübernahme ausgenommen werden können. (dpa)

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ANTI-ATOM
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20min.ch 22.1.11

Atom-Abstimmung: Werbeverbot für Greenpeace

 Greenpeace darf am Fernsehen nicht für erneuerbare Energien werben, weil Bern über das AKW Mühleberg abstimmt. Der Spot könnte die Stimmbürger beeinflussen.

Lukas Mäder

 Bakom will keine Energie-Werbung am TV sehen

 Weil Bern abstimmt, darf Greenpeace nicht werben

 Weil Bern über das AKW Mühleberg abstimmt, dürfen die Umweltschützer im TV nicht für erneuerbare Energien werben. Der Spot könnte die Stimmbürger beeinflussen.

 Die Schweiz steckt mitten in einer Atom-Diskussion. Das hat auch Greenpeace zu spüren bekommen. Die Umweltschutzorganisation wollte für ihre jährliche Aktion zur Mitgliederwerbung einen TV-Spot im Schweizer Fernsehen aussenden. Dieser ist keineswegs provokant. Er zeigt anfangs Bilder ein korrodierendes Fass mit Atommüll, unterlegt mit düsteren Tönen, bevor zu optimistischer Musik die lichte Zukunft mit erneuerbaren Energien beschworen wird. So konventionell - so harmlos. Doch das Bundesamt für Kommunikation (Bakom) lässt eine Ausstrahlung dieser Werbung nicht zu, wie Greenpeace-Sprecherin Franziska Rosenmund sagt. Deshalb zeigt die Umweltschutzorganisation den Spot nun in einigen Schweizer Kinos und auf mehreren News-Websites mit dem Hinweis "Was wir am Fernsehen nicht zeigen dürfen, sehen Sie hier...".

 Anlass für diesen Streit ist die Konsultativabstimmung vom 13. Februar im Kanton Bern über das Kernkraftwerk Mühleberg. Der Greenpeace-Spot könnte laut Bakom vor diesem Hintergrund als politische Werbung aufgefasst werden - obwohl die Umweltorganisation keinen direkten Bezug zur Abstimmung nimmt. Politische Werbung ist laut Radio- und Fernsehgesetz im Zusammenhang mit Volksabstimmungen unzulässig. Über diese Argumentation ist Greenpeace verwundert. "Angesichts des harmlosen Spots ist der Entscheid des Bakom reichlich unverständlich und hart", sagt Rosenmund. Dem Werbefilm sei einzig der Zeitpunkt der geplanten Ausstrahlung zum Verhängnis geworden. Im Hinblick auf eine ganze Reihe von Volksabstimmungen zur Atomkraft, die auf die Schweiz zukommen werden, sagt Rosenmund: "Damit muss sich das Bakom die Grundsatzfrage stellen, ob es ab jetzt sämtlichen Verlautbarungen zu Energiefragen einen Maulkorb verpassen will."

 Unverbindliche Einschätzung

 Das Bakom wehrt sich gegen den Vorwurf, dass es den Spot nicht zugelassen habe. "Wir haben den Spot nicht verboten", sagt Sprecherin Deborah Murith. Das Bakom habe auf Anfrage eine Einschätzung vorgenommen. "Wir kamen zum Schluss, dass der Spot wegen der aktuellen Abstimmung in Bern heikel sein könnte", sagt sie. Solche Einschätzungen nehme das Bakom immer wieder vor, rund zehn Mal jährlich. Dies sei beispielsweise auch vor den Abstimmungen über das Minarettverbot oder die Ausschaffungsinitiative der Fall gewesen, wie Murith sagt. Eine rechtlich verbindliche Prüfung nehme das Bakom erst nach einer Ausstrahlung vor.

 Zwar ist die Einschätzung des Bakom rechtlich unverbindlich, faktisch entspricht sie jedoch einem Sendeverbot. Denn die Verantwortung für das Ausstrahlen von Werbespots trägt die Konzessionsnehmerin, beim Schweizer Fernsehen also die SRG. Sie würde bei einem Verstoss gebüsst und müsste möglicherweise die Einnahmen zurückzahlen. Deshalb sei in den letzten Jahren nie entgegen einer Empfehlung des Bakom gesendet worden, sagt Othmar Stadelmann von Publisuisse, der exklusiven Vermarkterin der SF-Werbeplätze. Publisuisse prüft im Auftrag der SRG jede Werbung, die bei ihr eingeht. Bei unklaren Fällen spricht man sich mit den SRG-Juristen ab und gelangt allenfalls für eine Einschätzung an das Bakom. Dies war auch beim Greenpeace-Spot der Fall, wobei sowohl Publisuisse wie auch die SRG zum Schluss kamen, dass er heikel sein könnte. Da das Bakom diese Bedenken teilte, lehnte die SRG eine Ausstrahlung ab. Laut Stadelmann besteht kein Anrecht darauf, dass ein Spot gesendet wird.

 Gilt für die ganze Schweiz

 Kurioserweise beeinflusst die kantonale Berner Abstimmung die Fernsehwerbung der ganzen Schweiz. Laut Stadelmann unterscheidet das Gesetz nicht zwischen nationalen, kantonalen oder kommunalen Abstimmungen. Wird ein Spot als politische Werbung eingestuft, gilt dies schweizweit. Der Bezug zur Berner Abstimmung wäre also auch gegeben, wenn der Greenpeace-Spot auf einem Ostschweizer oder Tessiner Regionalsender ausgestrahlt wird. Es könnte sein, dass jemand den Spot dort sieht, aber in Bern abstimmt, erläutert der Jurist Stadelmann. Deshalb könnte eine Beeinflussung des politischen Meinungsbildungsprozesses nicht ausgeschlossen werden.

 Für Greenpeace bleiben wegen der Berner Abstimmung nur Webseiten, um den Spot zu zeigen. Ein Trost für die Umweltschutzorganisation mag sein, dass nicht nur Gegner der Kernkraftwerke betroffen sind, sondern auch Befürworter. Der Energiekonzern Alpiq, der an den Atomkraftwerken in Gösgen und Leibstadt beteiligt ist, muss laut "Beobachter Online" ebenfalls auf die Ausstrahlung eines Spots verzichten, mit dem er für eine Kombination aus Atomenergie und erneuerbaren Energien werben wollte.

 Der als heikel eingeschätzte Spot von Greenpeace:
http://www.20min.ch/videotv/?vid=189146&cid=3

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Bund 22.1.11

Bieler Stadtrat will aus Atomenergie aussteigen

 Ein Postulat, das mittelfristig eine Stromversorgung ohne Atomenergie und keine Beteiligung an Atomkraftwerken des Energie Service Biel wünscht, hat der Bieler Stadtrat am späten Donnerstagabend erheblich erklärt. Der Vorstoss war von Grünen und Sozialdemokraten als Motion eingereicht worden. Der Gemeinderat hatte jedoch in seiner Antwort argumentiert, für einen bindenden Beschluss sei es zu früh. Erst müssten die Konsequenzen analysiert werden, insbesondere hinsichtlich der Frage, aus welchen Quellen der Strom kommen soll.

 Die grüne Energiedirektorin Barbara Schwickert hatte im November dem "Bund" gesagt, sie halte einen Atomausstieg bis 2030 oder 35 grundsätzlich für möglich. Bereits heute bezieht die Stadt rund die Hälfte des Stroms aus erneuerbaren Energiequellen. In der Stadt Bern, die den Atomausstieg bereits beschlossen hat, ist es lediglich ein Drittel.

 Gegen den Willen der Exekutive überwies der Stadtrat am Donnerstag ein zweites Postulat, das den Gemeinderat einlädt, seine Haltung gegenüber der unbefristeten Betriebsverlängerung für Mühleberg zu klären, die Bevölkerung über mögliche Gefahren zu informieren und dem Solidaritätskomitee "Mühleberg Ver-Fahren" beizutreten.(sda/rw)

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Bund 22.1.11

Wandfluh, Michel, Kernen & Co. werben für Mühleberg II

 Zwei Wochen nach einem Auftritt von verschiedenen Unternehmern gegen ein neues Atomkraftwerk Mühleberg sind gestern Freitag nun auch Berner Wirtschaftsvertreter vor die Medien getreten, welche Mühleberg II befürworten. Sie hoben vor allem den Wert eines Kernkraftwerks für die bernische Wirtschaft hervor.

 Das AKW garantiere "weit über 1300 Arbeitsplätze" und Steuereinnahmen von über 70 Millionen Franken, schreibt die Unternehmergruppe in einer Mitteilung von gestern. Zusammengerufen hatte sie der Frutiger Unternehmer und SVP-Nationalrat Hansruedi Wandfluh, der das AKW Mühleberg als "regionalen Wirtschaftsmotor" bezeichnete.

 Zu den Unternehmern für ein neues AKW gehören etwa auch Willy Michel, Verwaltungsratspräsident der Burgdorfer Ypsomed AG, Ex-Skirennfahrer Bruno Kernen, der in Schönried ein Hotel führt, Luc Frutiger, Verwaltungsrat der gleichnamigen Thuner Baugruppe, und Peter Stähli vom Swiss Economic Forum.

 Kraftwerk als Standortvorteil

 Michel wies auf die Wertschöpfung von 500 Millionen Franken hin, welche ein Ersatz-AKW schaffe, Frutiger auf den steigenden Stromkonsum und die Aufträge für die regionale Wirtschaft, welche der Bau eines neuen AKW bedeuten würde. Für Stähli wäre es falsch, mit dem AKW auf einen Standortvorteil des Kantons Bern zu verzichten.

 Das Bernervolk entscheidet am 13. Februar an der Urne, wie die Stellungnahme des Kantons Bern zum Rahmengesuch der "Ersatz Kernkraftwerk Mühleberg AG" zuhanden der Bundesbehörden ausfallen soll.(sda)

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BZ 22.1.11

Wirtschaftsführer setzen sich für neues AKW ein

 AKW-AbstimmungBerner Wirtschaftsführer weibeln für ein Ja zum neuen AKW Mühleberg. Der Ausstieg aus der Atomenergie sei dennoch nur eine Frage der Zeit.

 Es ist ein seltenes Bild: Hansruedi Wandfluh (CEO Wandfluh AG) sitzt neben Stefan Endras (Geschäftsleiter Papierfabrik Utzenstorf) sitzt neben Willy Michel (Verwaltungsratspräsident Ypsomed AG) sitzt neben Edi Fischer (Geschäftsleiter Bucher-Motorex AG) sitzt neben Luc Frutiger (Verwaltungsrat Frutiger AG). Mehr als 4000 Angestellte repräsentieren die fünf Berner Unternehmen - es ist ihr Gewicht, das im Abstimmungskampf um das AKW Mühleberg den Ausschlag geben soll.

 Volkswirtschaftlicher Unsinn

 "Die gute Energieversorgung ist ein Berner Trumpf", sagt Hansruedi Wandfluh. "Den dürfen wird nicht einfach so aufgeben." Auf die Initiative des SVP-Nationalrates hin haben sich die regionalen Wirtschaftsführer zur Pressekonferenz versammelt. Er selbst ist Mitglied der Aktion für vernünftige Energiepolitik Schweiz, die sich vehement für die Atomenergie einsetzt. Für Wandfluh ist denn auch klar: Bei einem Verzicht auf Kernenergie würde der Kanton im Wettbewerb der Wirtschaftsstandorte weiter abfallen. Sorgen macht sich der Unternehmer auch über sein eigenes Geschäft: "Heute beziehen wir Strom für 370 000 Franken jährlich. Würden wir völlig auf erneuerbare Energien umstellen, könnten sich die Kosten leicht verdoppeln."

 Auch für Ypsomed-Gründer Willy Michel wäre ein Nein bei der Abstimmung vom 13. Februar verheerend - allerdings aus anderen Gründen: Mit einem Verzicht auf Kernenergie verliere der Kanton 70 Millionen Franken an Steuereinnahmen. Zudem gingen nach seinen Angaben "weit über 1300 Arbeitsplätze verloren". Michels Fazit: "Volkswirtschaftlich ist ein Nein zur Atomenergie kompletter Unsinn." An einen gesamtschweizerischen Ausstieg glaubt er ohnehin nicht. Verzichte Bern auf ein eigenes AKW, würde dieses eben anderswo gebaut.

 Urgrosskinder ohne AKW

 "Die Zeit für einen Ausstieg ist noch nicht reif", ist sich auch Peter Stähli, CEO des Swiss Economic Forum in Thun, sicher. Der Energieingenieur lobte den bernischen Stromstandort als Weltmodellfall: "Wir produzieren günstig und praktisch CO2-frei." Der gänzliche Übergang zu erneuerbaren Energien sei jedoch ein langer und steiniger Weg. Trotz seines Einsatzes für das neue AKW glaubt auch Hansruedi Wandfluh an diesen Weg: "Ich hoffe, dass meine Urgrosskinder auf Kernenergie verzichten können. Meine Kinder und Enkelkinder müssen aber noch damit leben."

 Christian Zeier

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Ungleiche Zahlenspiele mit dem Schrecken

 BERNER KATASTROPHEN-VorsorgeNotfallplaner sehen in Bern oder Köniz für eine Pandemie Massengräber samt Quarantäne wie aus einem Hollywoodfilm vor. Diese Szenarien basieren auf massiv überhöhten Todeszahlen. Die Planung bei einem Unfall im AKW Mühleberg aber wirkt erstaunlich harmlos.

 Am Eingang des Stadtberner Bremgartenfriedhofs liegt, wenig idyllisch neben einem Werksgebäude, eine 70 mal 55 Meter grosse Wiese. Kein Grabstein lädt auf ihr zum Verweilen ein. Die Öffentlichkeit weiss nicht, dass dieses Feld eine Landreserve ist, von der man hoffen muss, dass sie nie gebraucht wird.

 "Wir nennen es intern das Katastrophenfeld", sagt Berns Stadtgärtner Christoph Schärer, der auch für das Friedhofwesen zuständig ist. Auf der Matte würde im Katastrophenfall ein Massengrab für bis zu mehrere Tausend Tote ausgehoben. Auch auf dem Schosshaldenfriedhof sei so ein Notfeld ausgespart.

 Für den Pandemie-Notfall

 In Haiti gibt es Massengräber für die Opfer des Erdbebens und der Cholera. In Bern aber, wo kaum Naturkatastrophen zu befürchten sind und ein perfektes Gesundheitssystem auf jede Art Krankheit vorbereitet ist, kommt einem die Planung von Massengräbern etwas hysterisch vor. Die Ausscheidung der Katastrophenfelder habe der nun aufgelöste Grippepandemiestab der Stadt 2008 angeordnet, sagt Schärer.

 Die Schweinegrippepandemie erwies sich als harmlos, Zehntausende von teuren Grippeimpfdosen blieben ungenutzt liegen. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat die Pandemie mittlerweile für beendet erklärt. Das Katastrophenfeld aber muss bereit bleiben. Die Pandemiepläne von Kantonen und Gemeinden behalten ihre Gültigkeit. Die Präventionsarbeit all der Amtsstellen soll sich offenbar gelohnt haben.

 Wie im Hollywoodfilm

 Eine seriöse Vorbereitung auf den Pandemiefall gehört zu den Aufgaben der Behörden. Die Szenarien, die man in den Pandemieplänen auf der Homepage von Bern oder Köniz einsehen kann, wirken aber so drastisch, dass man an ihrer Glaubwürdigkeit und Wirksamkeit zweifeln kann. Sie lesen sich wie das Drehbuch des Hollywood-Thrillers "Outbreak" (1995), in dem eine US-Stadt nach der Ausbreitung eines Killervirus von Militär in Sicherheitsanzügen abgeschottet wird.

 Als spielte "Outbreak" in Bern und Köniz, würden dort Zivilschützer in Schutzkleidern mit besonders bezeichneten Fahrzeugen aus dem Fuhrpark der Gemeinde Pandemieopfer in desinfizierte Leichentücher hüllen und zum Massengrab fahren, das ein angemieteter Bagger ausheben würde. Neben dem Massengrab würde bei Bedarf ein Kühlzelt zur Aufbahrung und Identifikation der Toten aufgestellt.

 Bis zu 4000 Tote in Bern

 Dramatisch wie im Film sind im Berner und im Könizer Pandemieplan insbesondere die Todeszahlen. Im schlimmsten Fall rechnet man im Berner Pandemieplan in der ersten Pandemiewelle mit bis zu 4000 Toten im heftigsten Monat. Bern hätte demnach pro Tag über 100 Tote zu beklagen. Köniz 1200 Tote im Monat oder 30 im Tag.

 Angesichts dieser Zahlen, sagt Jean-Claude Hess, Polizeiinspektor der Stadt Bern und Mitglied des aufgelösten Pandemiestabs, habe er Alarm geschlagen. Er habe sich nach den Bestattungskapazitäten erkundigt und erfahren, dass das Berner Krematorium im Monat maximal 580 und pro Tag 24 Tote einäschern könne. Und dass auf Berns Friedhöfen täglich fünf bis acht Tote bestattet werden.

 4000 Tote im Monat oder 100 im Tag aber, schloss Hess, könnten nur noch ohne Kremation in einem Massengrab beigesetzt werden. Sollte wegen hoher Ansteckungsgefahr das öffentliche Leben stark eingeschränkt sein wie beim Ausbruch der Schweinegrippe in Mexiko, würde man laut Pandemieplan nachträgliche Gedenkgottesdienste durchführen - in Anwesenheit des Gesamtgemeinderates.

 Um Faktor 30 übertrieben?

 Nun stehen aber in denselben Pandemieplänen, die mit einer dramatischen Sterberate rechnen, weiter vorne viel tiefere Todeszahlen. Das wirkt unseriös. In der Einleitung der Pläne gibt es ein "Mengengerüst" der kantonalen Gesundheitsdirektion und des Bundesamts für Gesundheit (BAG). Darin skizziert das BAG aufgrund von realen Erfahrungszahlen der WHO, dass in der ersten, etwa 12 Wochen dauernden Pandemiewelle damit zu rechnen sei, dass 25 Prozent der Bevölkerung erkrankten. Und dass von den Erkrankten 2,5 Prozent hospitalisiert werden müssten und 0,4 Prozent sterben würden.

 In der Schweiz gäbe es demnach innerhalb von knapp drei Monaten 1,8 Millionen Erkrankte und etwa 7500 Grippetote, im Kanton Bern 250 000 Erkrankte und rund 1000 Tote, in der Stadt Bern 32 500 Erkrankte und rund 130 Tote. Zu diesen Zahlen merken Kanton und BAG an, die Anzahl der Hospitalisierungen und Todesfälle könne "bis um Faktor 10 variieren".

 Die Stadtberner oder die Könizer Behörden legen diesen Faktor in ihren Pandemieplänen so grosszügig aus, dass es einem schon fast makaber vorkommt. Die 4000 Toten, mit denen im Abschnitt "Bestattung" von Berns Pandemieplan gerechnet wird, entsprechen einer Multiplikation um den Faktor 30 und einer Sterberate von 12 statt 0,4 Prozent der Erkrankten.

 Die Pandemieplanung habe schon 2006 begonnen, angesichts der drohenden Vogelgrippe, von der man befürchtet habe, sie könnte in einem Monat bis zu 4000 Opfer fordern, erklärt Polizeiinspektor Hess die differierenden Zahlen. Auch das BAG habe zu Beginn der Schweinegrippepandemie 2008 mit mehreren Zehntausend Toten gerechnet. Die Zahlen seien dann "fortlaufend relativiert" worden. Warum hat man sie im Pandemieplan nicht korrigiert? "Es weiss niemand, wie viele Opfer eine schwere Pandemie wirklich fordern würde. Mit 4000 Toten wären wir auf jeden Fall auf der sicheren Seite und müssten uns nicht vorwerfen lassen, wir seien unvorbereitet", erwidert Jean-Claude Hess. 4000 Tote seien ohnehin nur ein "Worst Case", man sei froh, wenn es nicht so komme.

 Rytz und die Spanische Grippe

 Die grüne Gemeinderätin Regula Rytz, zu deren Tiefbaudirektion auch die Friedhöfe gehören, hält die hohen Todeszahlen und die Planung von Massengräbern für "heikel und übertrieben". Sie stellt einen historischen Vergleich an. Am Ende des Ersten Weltkriegs erkrankten in der Schweiz vom Frühling 1918 bis zum Frühling 1919 fast 750 000 Menschen an der Spanischen Grippe. 25 000 Menschen starben, was einer Rate von 3,3 Prozent der Erkrankten entspricht. Fast 2000 der Toten waren in unhygienischen Kasernen zusammengepferchte Soldaten. Seither, sagt Rytz, hätten Medizin und Hygiene enorme Fortschritte gemacht, die Opferzahlen müssten also angepasst werden.

 Weitere Gefahrenszenarien

 Die moderne Gegenwart, gerade in dicht besiedelten urbanen Zentren, ist allerdings nicht weniger risikoreich. Und sie birgt neue Gefahren. Auch dafür gibt es Vorkehrungen. Franz Bachmann, Stadtberner Feuerwehr- sowie Zivilschutzchef und Gesamteinsatzleiter des aufgelösten Pandemiestabs, nennt weitere zehn Szenarien, die man erarbeitet habe. So für einen Chemiestörfall in Zusammenhang mit einem Bahnunfall, für einen Flugzeugabsturz oder eine Überflutung. "Die Mortalitätsrate ist dabei nicht in absoluten Zahlen erfasst", sagt Bachmann.

 Katastrophenplanung bedeutet, das Undenkbare zu denken. Ob ein Szenario übertrieben oder realistisch ist, lässt sich deshalb schwer sagen. Klar sagen lässt sich aber, dass es ein Berner Szenario gibt, das vor der Abstimmung vom 13. Februar besonders interessiert und das im Vergleich zum Pandemieszenario erstaunlich unspektakulär ist: jenes für eine Havarie im nahen Atomkraftwerk Mühleberg. Die Gefahr eines Vorfalls in der politisch und wirtschaftlich relevanten Atomenergie wird offenbar anders eingeschätzt als diejenige einer Grippeepidemie.

 Bei AKW-Unfall in den Keller

 Die grüne Stadtberner Grossrätin Natalie Imboden hat sich eben in einer Interpellation beim Berner Regierungsrat erkundigt, wie die Sicherheit der 440 000 Menschen in einem Radius von 20 Kilometern rund um das AKW Mühleberg gewährleistet werde. Imboden will ihre Interpellation nun in der kommenden Session des Grossen Rats diskutieren lassen. Weil sie sich etwa wundert, dass bei einem AKW-Störfall "keine Evakuation der Bevölkerung vorgesehen ist", da diese "nicht durchführbar und auch nicht sinnvoll" sei. So steht es in der Antwort der kantonalen Polizei- und Militärdirektion, die Imboden auf ihre Frage erhielt.

 Dort ist auch zu lesen, dass "kein Schutzraumbezug stattfindet", wichtig sei es, "den Durchzug der radioaktiven Wolke, durch Beton möglichst gut abgeschirmt, im Keller abzuwarten". Überdies solle man die 2004/ 2005 verteilten Jodtabletten einnehmen, Ruhe bewahren, und sich auf dem Laufenden halten.

 Auch für den Fall einer AKW-Havarie gibt es Vergleichszahlen. Nach dem bisher schwersten Unfall 1986 im ukrainischen Tschernobyl wurden alle 200 000 Menschen aus dem dünn besiedelten Gebiet 30 Kilometer um das AKW umgesiedelt. Die Todeszahlen sind massiv kleiner als ursprünglich angenommen. An den Folgen der Verstrahlung um Tschernobyl sind bis heute rund 4000 Menschen gestorben. Eine Massenbestattung war nicht nötig, weil die Opfer im Laufe vieler Jahre ihren Krebserkrankungen erlagen.

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Die Nation blickt nach Bern

 13. FEBRUARWas der Kanton Bern an diesem Tag an der Urne entscheidet, betrifft die ganze Schweiz. Die Ständeratsersatzwahl gibt früh im Wahljahr Einblick in die nationalen Kräfteverhältnisse. Und die heiss umkämpfte Konsultativabstimmung über ein neues AKW in Mühleberg lanciert die Atomdebatte neu.

 Man könnte als Berner Stimmbürger vor dem kommenden Urnengang glatt nervös werden. Denn am 13. Februar beantwortet der Kanton Bern zwei brisante Fragen für die ganze Schweiz. Die Nation wird deshalb in die Bundesstadt blicken.

 Mit der Ständeratsersatzwahl für die in den Bundesrat aufgestiegene Simonetta Sommaruga spielt Bern Politbarometer für die nationalen Wahlen im Oktober und misst eine erste Zwischenzeit in der Ausmarchung der politischen Mitte gegen die Pole von links und rechts. Und die Konsultativabstimmung über ein neues AKW Mühleberg wird der Schweizer Energiezukunft die Richtung weisen.

 Die Gesichter der Polarisierung

 Dass der 13. Februar das ganze Land angeht, belegte am vorletzten Freitag die "Arena" des Schweizer Fernsehens. Wohl noch nie vorher war sie einer Ständeratsersatzwahl in einem einzelnen Kanton gewidmet. Das liegt am Kandidatentrio, das in Bern antritt. Christa Markwalder (FDP), Adrian Amstutz (SVP) und Ursula Wyss (SP) sind nicht bloss unbekannte Lokalgrössen, die sich die kantonalen Parteikarriereleitern hochgedient haben. Es sind nationale Figuren. Sie sind oben angekommen, sie wurden schon als Bundesratskandidaten gehandelt.

 Wichtiger noch: Es sind profilierte Figuren, die - eher unbernisch - debattieren, sich exponieren und etwas riskieren. Den abstrakten politischen Richtungskämpfen in der nationalen Politik verleihen sie ein Gesicht.

 Christa Markwalder steht trotz ihrem klaren Bekenntnis für die EU für die Mitte. Adrian Amstutz, der Kopf des siegreichen Komitees der Ausschaffungsinitiative, markiert die harte Linie des Rechtspols in der Schweizer Politik. Und die SP-Fraktionschefin Ursula Wyss steht, klassisch links, für den Sozialstaat, die aussenpolitische und gesellschaftliche Öffnung ein.

 Wo steht Stadt-Land-Zoff?

 Drei Fragen von nationalem Interesse werden am 13. Februar in Bern entschieden: Marschiert Adrian Amstutz mit dem Zürcher Stil auch in Bern durch? Und setzt er so SVP-Präsident Toni Brunners Plan ein erstes Mal um, mehr SVP-Köpfe in den Ständerat zu bringen, um diese letzte Bastion der politischen Mitte zu knacken?

 Die zweite Frage: Wo positioniert sich die BDP auf der Links-Recht-Skala? Vor allem dann, wenn sie sich in einem zweiten Wahlgang am 6. März zwischen Hardliner Adrian Amstutz und der Linken Ursula Wyss entscheiden muss - und sich dabei Unterstützung für das ohnehin fragliche politische Überleben von Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf verscherzen könnte. Frage drei lautet: Kann Ursula Wyss den Sitz der rot-grünen, urbanen Wähler gegen das konservativ tickende Land verteidigen?

 In Bern werden diese drei Fragen am 13. Februar wie unter Laborbedingungen geprüft. Denn Bern ist eine Schweiz im Kleinen, in der der Stadt-Land-Gegensatz besonders virulent ist, weil das Lager der Städte und des Landes zahlen- und kräftemässig praktisch gleichauf sind. Bleiben, überspitzt gesagt, bloss fünf Prozent der Städter der Wahl fern, dann gewinnt Amstutz.

 Bern heizt Atomdebatte an

 Aufregender und nachhaltiger noch als die Richtungswahl in den Ständerat wird am 13. Februar die Frage über ein neues AKW in Mühleberg sein. Zwar ist es nur eine Konsultativabstimmung, und ein Ja verpflichtet die Politik und die Strombranche noch lange nicht, in Mühleberg auch wirklich ein neues AKW zu bauen. Ein Nein würde die Chancen für ein Mühleberg zwei zwar empfindlich schmälern, aber es blieben weitere zwei Schweizer AKW-Projekte im Rennen.

 Dass die Berner Konsultativabstimmung dennoch zum nationalen Plebiszit über Atomenergie werden könnte, hat mit der Ausweitung und Dynamisierung zu tun, die der Abstimmungskampf in Bern in den letzten Wochen erfahren hat. Der Berner Energiekonzern BKW hat in ihre Kampagne jüngst viel Energie investiert und sich auf die Äste hinausgewagt. Als sie jüngst zu Recht auf die mangelnde Akzeptanz gegenüber neuer Infrastruktur für die Gewinnung von Alternativenergie verwies, handelte sie sich den Vorwurf ein, sie mache die Alternativenergie bewusst schlecht, um die Atomenergie als unverzichtbar darzustellen

 Das Lager der Atomgegner hatte seinen umstrittensten Auftritt jüngst an der Medienkonferenz der Berner Kantonsregierung, die sich mehrheitlich gegen neue AKW ausspricht. Die bürgerliche Mehrheit des Kantonsparlaments, die für ein neues AKW in Mühleberg ist, erwägt nun gar, ihrer Regierung einen Maulkorb zu verpassen. Die Exekutive steckt in einem Dilemma: Sie ist atomkritisch und gleichzeitig mit zwei Mitgliedern im Verwaltungsrat der atomfreundlichen BKW vertreten.

 Farbe bekennen

 Am sichtbarsten verkörpert dieses Dilemma die SP-Energiedirektorin und BKW-Verwaltungsrätin Barbara Egger-Jenzer. Auch wenn sie für ihren Auftritt am Medientermin des Regierungsrats gerügt wurde, sie findet sich heute in einer nationalen Atom- und Energiedebatte wieder, in der ihre Haltung auch auf Zustimmung stösst. Die Atomfrage beginnt sich, nach stillen Jahren, wieder zu entzünden. Nicht zuletzt an der Abfallfrage. In Bern ärgern sich Atomgegner, dass in der Abstimmungsbotschaft zum 13. Februar verschwiegen werde, dass in Mühleberg auch ein Zwischenlager für hoch radioaktiven Abfall errichtet würde. Und in jenen Regionen, die in der neu lancierten Standortsuche für ein Atommüll-Endlager in Frage kämen, gehen die Emotionen hoch.

 Am 13. Februar müssen die Bürger in Bern nach langer Zeit wieder einmal an der Urne Farbe bekennen zur Atomenergie - und sich der Konsequenzen ihrer Zustimmung oder Ablehnung gewahr werden. Ihr Verdikt betrifft eine ganze Schweizer Branche und ihre Geldgeber, die wissen wollen, in was für eine Energiezukunft sie investieren sollen. Das Verdikt ist zweitens eine Weichenstellung für die BKW und ihre künftige Position und Stärke im hart umkämpften Strommarkt. Drittens betrifft das Verdikt die Kantonsregierung und überhaupt das rot-grüne Lager. Dessen Energiepolitik würde bei einem Ja zu Mühleberg zwei einen argen Dämpfer erleiden. Bei einem Nein müsste Rot-Grün den Tatbeweis antreten, dass sich wirklich eine alternative Energiezukunft realisieren lässt.

 Politshowdown in Bern

 Auf den 13. Februar kann sich die Schweiz freuen. Weil an diesem Tag die Politik für einmal relevante, grosse Richtungs- und Zukunftsfragen zur Debatte stellt. Auf den 13. Februar kann sich auch Bern freuen, weil es an diesem Tag jenes politische Headquarter der Schweiz sein wird, das es so gerne sein möchte. Am Abend des zweiten Februarsonntags wird die Politik so aufregend und spannend sein wie der gleichzeitig ausgestrahlte "Tatort"-Krimi.

 Stefan von Bergen

 stefan.vonbergen@bernerzeitung.ch

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Landbote 22.1.11

Nagra will in Elsau messen

Elsau. Wo die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) auftritt, sorgt sie für Wirbel. So auch in Elsau: Der erste Schock über ein Baugesuch der Nagra war gross. Doch schliesslich stellte es sich für die Behörden als harmlos heraus. "Wir wollen in Elsau kein Tiefenlager bauen, sondern nur eine Messstation", erklärt Heinz Sager, Pressesprecher der Nagra. Jene soll zuverlässige Daten über kleinste Erdbewegungen liefern. (fam) Seite 27

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Nagra plant in Elsau eine Messstation

 Fabio Mauerhofer

 Elsau. Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle will im Elsauer Weiler Fulau eine hochsensible Messstation errichten. Diese soll zuverlässige Daten über kleinste Erdbewegungen bei den möglichen Tiefenlagerstandorten liefern.

 Die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) hat sich in Elsau angemeldet. Dies warf bei den Behörden sofort Fragen auf: Sind wir etwa ein möglicher Standort für ein radioaktives Endlager? "Da läuteten bei uns schon die Alarmglocken", sagt Gemeindeschreiber Ruedi Wellauer. Schliesslich sei das Thema negativ belastet. Der erste Schock war aber schnell verflogen. Das Baugesuch der Nagra erwies sich laut Wellauer als harmlos. Auch deren Pressesprecher, Heinz Sager, stellt klar: "Wir wollen in Elsau kein Tiefenlager bauen, sondern bloss eine Messstation errichten."

 Dennoch steht die sogenannte GNSS-Empfangsstation (siehe Kasten unten links) im Zusammenhang mit der Standortsuche der Nagra. Sie soll künftig vom Buck aus die Geschehnisse unter der Erde aufzeichnen. Die Messungen auf dem Hügel beim Elsauer Weiler Fulau erfolgen mit Hilfe der Signale des globalen Navigationssatelliten. Insgesamt sind elf solcher Anlagen in der Nordschweiz und in Deutschland geplant. Zu den Standortkriterien gehören ein möglichst freier Horizont und ein stabiler Baugrund. Die neuen Satellitenempfänger ergänzen das Messnetz, das vom Bundesamt für Landestopographie betrieben wird. "Wir brauchen ein dichteres Netz mit noch präziseren Daten", erklärt Sager.

 Messung im Millimeterbereich

 Der Fokus der Nagra liegt dabei auf den vorgeschlagenen Standortgebieten für die Tiefenlagerung hochradioaktiver Abfälle im Zürcher Weinland, nördlich der Lägern und bei Bözberg AG. "In diesem Perimeter und den angrenzenden Regionen möchten wir noch genauer wissen, ob und wie sich die Erdkruste bewegt", erklärt Sager. Mit dem Messnetz werden im geologischen Untergrund Bewegungen von weniger als einem Millimeter pro Jahr registriert. Die Beobachtungen sollen über 25 Jahre hinweg laufen. "Dies ergänzt die Sicherheitsanalyse für künftige Tiefenlager mit wertvollen zusätzlichen Daten", so Sager.

 In Elsau, das am östlichen Rand des Überwachungsgebietes liegt, handelt es sich bereits um eines der letzten Baugesuche. Die Bewilligungen für acht weitere Messstationen sind erteilt, vier davon sind bereits in Betrieb. Im Kanton Schaffhausen läuft derzeit noch ein Rekursverfahren. In Elsau beginnt mit dem eingereichten Baugesuch die 20-tägige öffentliche Auflage. Da es sich um Landwirtschaftsland handelt, wird auch der Kanton das Gesuch prüfen. In Trüllikon - dem zweiten Messstandort im Kanton Zürich - ist die Frist, in welcher der Baurechtsentscheid verlangt werden kann, gerade abgelaufen.

 Stationen strahlen nicht

 Die Messstationen sind laut Nagra kompakt gestaltet und treten im Gelände nicht gross in Erscheinung. Der Mast ist knapp drei Meter hoch, darauf thront ein "grosser Suppenteller". Im Gegensatz zu Mobilfunkantennen sind die Satellitenempfänger zudem passiv. "Sie senden keine Strahlung aus, sondern haben nur eine Empfängerfunktion", erklärt Sager.

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 Was Verbirgt sich hinter GNSS?

 Beim GNSS (Global Navigation Satellite System) handelt es sich um eine sehr präzise, weltweit eingesetzte Positionsbestimmung mit Hilfe von Satelliten. Das Prinzip funktioniert ähnlich wie bei Navigationssystemen im Auto, deren Genauigkeit für die Fragestellungen der Nagra allerdings nicht ausreichen. Um geologische Bewegungsraten im Bereich von weniger als einem Millimeter pro Jahr überhaupt registrieren zu können, müssen die Messstationen höchsten technischen Ansprüchen genügen. Zudem ist eine langfristige kontinuierliche Aufzeichnung der Satellitensignale erforderlich. Durch Kombination von hochpräziser Messtechnik und aufwendiger Berechnungs- und Auswertungsverfahren wird die erforderliche Genauig- keit erreicht. Die hochsensiblen Messstationen sollten dabei keinen grossen Erschütterungen ausgesetzt sein. Die Standorte werden daher möglichst in verkehrsfreien Gebieten gewählt. (fam)

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work 21.1.11

Abstimmung übers AKW Mühleberg

 Berner zahlen dafür, manipuliert zu werden

 Am 13. Februar kann das Volk im Kanton den Stromschalter auf grüne Energie stellen.

 Die grossen Schweizer Städte rücken von der Atomkraft ab: Basel, Bern und Zürich haben längst beschlossen, ihre Versorgung auf erneuerbare Energien auszurichten. Am 13.Februar sind nun die Stimmenden des Kantons Bern am Kippschalter: Sie können die Dinosauriertechnik ab- und Cleantech einschalten. Der alte Reaktor Mühleberg müsste sowieso bald vom Netz genommen werden, unabhängig vom Ausgang der Konsultativabstimmung.

 Gehirnwäsche

Die Atomlobby und der Berner Stromkonzern BKW aber wollen den Standort Mühleberg nicht aufgeben: Sie planen einen neuen Atommeiler mit vierfacher Leistung. Dazu gehört auch ein riesiges Zwischenlager für Atommüll. Sicher dabei ist nur das Risiko: im Betrieb, bei einem Störfall, bei der Lagerung radioaktiver Abfälle, bei der Abhängigkeit vom Ausland und bei der Finanzierung. Letztlich zahlt der Bürger sowieso alles. Selbst seine eigene Gehirnwäsche: Die AKW-Betreiberin BKW hat alle Haushalte im Kanton Bern flächendeckend mit Atomkraftpropaganda versorgt. Schon 2009 mischte der Konzern kräftig mit, als die Stimmenden im Kanton Waadt sich zur Betriebsverlängerung äussern konnten. 64 Prozent stimmten dann trotzdem für die rasche Stilllegung des AKW Mühleberg.

 Die BKW ist mehrheitlich im Besitz des Kantons Bern, also des Berner Volks. Kurz vor der Abstimmung hat die BKW die Investitionen für alternative Energieprojekte massiv zusammengestrichen. Ein untrügliches Zeichen dafür, dass die Chefs voll auf Atomkraft setzen. So wird dem Volk Angst vor der "Stromlücke" eingejagt. (dv)

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Langenthaler Tagblatt 21.1.11

Pro-und-Kontra-Serie Teil II

 Braucht der Kanton Bern mit Mühleberg II ein neues AKW?

 PRO

 "Kernenergie ablösen ist eine Illusion"

 Ueli Jost

 Die Welt hat ein Problem: Klimaerwärmung! Das durch die Verbrennung von Erdöl und Gas entstehende CO führt unweigerlich zur globalen Erwärmung. Damit wird unser Lebensraum bedroht. Wer verantwortlich handelt, muss die CO-Produktion massiv reduzieren. Auch die Schweiz muss ihren Beitrag leisten. Bei der Produktion von Elektrizität entsteht bei uns dank dem Mix aus 60 Prozent Wasserkraft und 40 Prozent Atomstrom fast kein CO. Dass der Stromkonsum auch in Zukunft eher steigen wird, ist auf folgende Tatsachen zurückzuführen: Die Effizienz elektrischer Geräte ist nahezu ausgereizt, sparen also noch durch Verzicht möglich. Doch: Wer trinkt schon gerne warmes Bier? Hinzu kommen neue Anwendungen wie Elektro-Autos oder Wärmepumpen. Auch das Bevölkerungswachstum und mehr Kleinhaushalte steigern den Stromverbrauch.

 Die Ablösung der 40 Prozent Atomstrom durch neue erneuerbare Energien in den nächsten Jahrzehnten ist eine Illusion. Trotz Fördermassnahmen beträgt der Anteil der Photovoltaik nur 0,05 Prozent der Stromproduktion, notabene bei hohen Gestehungskosten und einer CO- Produktion, die durch die Herstellung 7-mal grösser ist als bei einem Kernkraftwerk. Will man die CO-Produktion massiv verkleinern, wäre es gescheiter, vorhandene Dachflächen zur Produktion von Warmwasser zu nutzen. Windenergie ist bei uns auf- grund der Topografie nur in beschränktem Masse möglich; der Import aus dem Ausland wegen fehlender Leitungskapazitäten unrealistisch.

 Eine Lösung der Entsorgung nuklearer Abfälle ist entgegen allen politischen Ränkespielen notwendig und geht schon daraus hervor, dass ein Drittel des einzulagernden Volumens aus Medizin, Industrie und Forschung stammt. Oder wollen wir auf die Anwendung radioaktiver Materialien für Therapie und Diagnose beispielsweise bei Krebsbehandlungen verzichten? - Dass eine Lösung möglich ist, zeigen uns Anlagen von Frankreich, Schweden oder Finnland.

 Dass im Volk immer wieder Ängste aufgrund der Katastrophe von Tschernobyl geschürt werden, ist bemühend. Insbesondere deshalb, weil komplett ausgeblendet wird, dass in Tschernobyl eine Anlage betroffen war, die ob ihrer technischen Auslegung in Westeuropa nie eine Bewilligung erhalten hätte.

 Probleme einiger Orte bei der Uran-Gewinnung sind bedauerlich; Bergbau war aber auch bei Kohle und Erzen problematisch. Herkunfts-Zertifikate werden künftig daher unabdingbar sein.

 Ein grosser Vorteil der Kernkraft ist darin zu sehen, dass im Kraftwerk Brennstoff für zwei Jahre gelagert werden kann. Das ist ein strategischer Vorteil gegenüber Gas und Öl, wird man doch weniger rasch erpressbar. Da Brennstoffkosten bei Kernkraftwerken nur zirka 5 Prozent der Gestehung ausmachen, würden auch Preissprünge beim Uran von 100 Prozent den Strom nur um 1/20 verteuern.

 Eine Lösung der Energie- und Umweltprobleme ist nur in einem Zusammenspiel von allen Produktionsmöglichkeiten machbar. Dabei sind auch realistische Einschätzungen notwendig. Wenn heute gesagt wird, dass Photovoltaikmodule bei uns Arbeitsplätze generieren, wird ausgeblendet, dass deren Produktion heute schon weitgehend im Fernen Osten erfolgt. Nicht Stimmengewinne bei den nächsten Wahlen sollten das Ziel sein, sondern die Sicherstellung der Energieversorgung in der Schweiz! - Packen wir sie an, auch mit Kernenergie!

 * Ueli Jost, Elektroing., ehem. Vizedirektor Kernkraftwerk Mühleberg, Vorstand Aves Bern.

 KONTRA

 "Technologie aus den 60er-Jahren vertrauen?"

 Jürg Joss*

 Das Departement für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) will das veraltete AKW Mühleberg unbefristet weiterlaufen lassen! Am 21. Dezember 2009 erteilte es dem Altreaktor Mühleberg auf Begehren der BKW (Betreiberin des AKW) eine unbefristete Betriebsbewilligung. Dies ungeachtet der 1900 Einsprachen von Einzelpersonen, Organisationen, Parteien und Gemeinwesen aus dem In- und Ausland - und trotz des klaren Abstimmungsresultats im Kanton Waadt. 64 Prozent der Stimmberechtigten haben am 29. November 2009 gegen eine unbefristete Betriebsbewilligung gestimmt.

 2007 wurde die BKW vom eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorat (ENSI) beauftragt, mehrere sicherheitsrelevante Punkte aufzuarbeiten. Hier ein Auszug der unerledigten Untersuchungen aus der Pendenzenliste des ENSI; unfallbedingter Flugzeugabsturz in MUSA, strukturmechanische Berechnungen zum Kernmantel, Kernschadenszustände in der MUSA 2005, Erdbebenanalyse in MUSA, Bruchanalyse Leitungen ausserhalb Containment ohne Einzelfehler, Brandanalyse zur SMUSA 2005 usw. Obschon diese Pendenzen noch nicht erledigt wurden, läuft der AKW-Betrieb weiter.

 Seit 1990 ist bekannt, dass das AKW Mühleberg Risse an Bestandteilen des Reaktorinnersten aufweist, insbesondere im Kernmantel und im Reaktordruckgefäss. Das ENSI hielt 2007 in seiner sicherheitstechnischen Stellungnahme zur periodischen Sicherheitsüberprüfung des AKW Mühleberg fest: "Mit dem Ausfall der Kernmantelfunktion könnte die Funktion mehrerer Sicherheitssysteme nicht mehr gewährleistet sein (Reaktorumwälzsystem, Steuerstabantrieb, Vergiftungssystem, Kernsprühsystem, alternatives Niederdrucksprühsystem)." Weshalb der Kernmantel in Mühleberg nicht ausgetauscht wurde, beantwortete der ENSI- Sprecher am 26. Februar 2008 im "Tagesanzeiger": Tatsächlich sei in einigen ausländischen Atomkraftwerken gleichen Typs der Kernmantel ausgetauscht worden. Doch sei dieser im Ausland etwas anders konstruiert und deshalb einfacher ersetzbar. Japan beispielsweise wechselte in mehreren AKW den gerissenen Kernmantel aus; in der Schweiz dagegen wird aus ökonomischen Gründen auf den Austausch des Kernmantels verzichtet.

 Das Taschenbuch für den Maschinenbau (Dubbel) spricht davon, dass die äussere Betonhülle eines AKW-Containments 1,5 bis 2 Meter dick ist. Die Betondecke des AKW ist gemäss Sicherheitsbericht 1990 an der dünnsten Stelle blosse 15 Zentimeter. Mühleberg hält einem Flugzeugabsturz nicht stand.

 Allgemein wird das Erdbebenrisiko massiv unterschätzt, wie eine von den Überwachungsbehörden in Auftrag gegebene Studie 2006 (Pegasos) aufzeigt. Doch obwohl die entsprechenden Nachrechnungen für Mühleberg fehlen, behaupten BKW und Behörden, das AKW könnte einem so genannten Sicherheitserdbeben standhalten. Die Beschwerdeführenden im laufenden Verfahren um die unbefristete Betriebsbewilligung berufen sich unter anderem auf Unterlagen des renommierten deutschen Ökoinstituts Darmstadt. Im Einspracheverfahren haben die Wissenschafter in zwei Gutachten gravierende Mängel am AKW Mühleberg aufgezeigt, so etwa in der Notstromversorgung, der Notkühlung und der Überflutung. Das wurde vom ENSI nur nebensächlich behandelt. Der Umgang der Schweizer Behörden mit der Atomkraft ist unverantwortlich: Daher fordern wir die Stilllegung der bestehenden AKW sowie den Verzicht auf den Bau weiterer Atomkraftwerke in der Schweiz.

 * Jürg Joss,Bätterkinden, kämpft mit Fokus Antiatom u.a. gegen die Bewilligung für Mühleberg I.

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Tagesanzeiger 21.1.11

Ein neues AKW kostet rund 8 Milliarden

 Deutsche Forscher glauben wegen der hohen Sicherheitsanforderungen nicht mehr an billigen Atomstrom.

 Von Martin Läubli

 25 Jahre sind seit der Reaktorkatastrophe in Tschernobyl vergangen. In der Schweiz scheint der Unfall Geschichte zu sein, der öffentliche Aufschrei gegen Atomenergie ist Erinnerung. Der Schweizer Kernenergiestrom fliesst seit Jahrzehnten ohne grosse Zwischenfälle. Doch heute, wenige Wochen vor der Berner Volksabstimmung über die Zukunft der Atomkraft im Kanton, steht die Frage wie einst im Zentrum: Wie sicher ist ein Atomkraftwerk?

 "Das Gefährdungspotenzial ist gross", betont der ehemalige Direktor des Eidgenössischen Nuklearsicherheitsinspektorats (Ensi), Ulrich Schmocker, in einem Interview im "Ensi-Magazin". Man müsse alles tun, damit die Radioaktivität eingeschlossen bleibe. Der schwere Reaktorunfall in Tschernobyl hat laut Schmocker zu einem Wandel im Sicherheitsdenken geführt: "Die Nuklearindustrie wusste genau, dass sie ein zweites Tschernobyl nicht überleben würde."

 Riesiger Aufwand

 Allerdings ist der Aufwand allein für die Sicherheit, die letztlich nichts mit der eigentlichen Stromproduktion zu tun hat, immens. Die Betreiber der Schweizer Atomkraftwerke haben viel investiert, um ihre in die Jahre gekommenen Anlagen auf den neusten technischen Stand zu bringen. Die Nachrüstung kostete allein für das älteste Kernkraftwerk Beznau insgesamt 1,5 Milliarden Franken. Der finanzielle Aufwand entspricht gemäss dem Schweizer Stromversorger Axpo etwa der dreifachen Summe der Erstinvestition.

 Heute könne rein rechnerisch eine Schädigung der Brennelemente, im schlimmsten Fall eine Kernschmelze alle 100 000 Jahre eintreten, sagt Michael Prasser, Leiter des Instituts für Energietechnik an der ETH Zürich. Und: "Das ist ein Wert, den die Internationale Atomenergiebehörde auch für Neubauanlagen fordert."

 Die umfassende Nachrüstung hat das Risiko zu einem Restrisiko gemacht. Die ersten Sicherheitsanalysen Ende der 1960er-Jahre gingen noch von einer Wahrscheinlichkeit von 1000 bis 10 000 Jahren aus. "Das wurde damals als ein zu hohes Risiko empfunden", sagt Prasser.

 Erstes Gebot für Betreiber von Atomkraftwerken ist es, eine Überhitzung des Kernreaktors und den Austritt radioaktiver Stoffe in die Umgebung zu verhindern. Das heisst zum Beispiel, Notkühlungspumpen müssen sofort anspringen, falls die Kühlung in einem Druckwasserreaktor etwa durch ein grosses Leck an der Kühlmittelleitung ausfällt. Verschiedene unabhängige Kühlsysteme, die mehrfach gesichert mit Strom versorgt werden, sollen dabei garantieren, dass Brennelemente nicht länger als fünf Minuten ungekühlt bleiben. Sonst ist eine starke Schädigung der Elemente nicht mehr zu verhindern. Der schlimmste Fall wäre der vollständige Ausfall der Notkühlung. Dann käme es zu einer Kernschmelze.

 Verschiedene Sicherheitsbarrieren sind in einem AKW eingebaut, damit bei schweren Störungen die Umgebung nicht radioaktiv verseucht wird (siehe Grafik). Betreiber müssen Jahr für Jahr nachweisen, dass diese Sicherheit gewährleistet ist. Dabei geht es nicht nur um technische Anforderungen. Auch die Organisation einer Anlage, sprich der Mensch, wird stets überprüft. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat, bei dem rund 130 Angestellte arbeiten, führt jährlich etwa 300 Inspektionen durch. Die Axpo beispielsweise hat eine nukleare Sicherheits-Charta entwickelt, in der sich der Stromversorger eine Selbstverpflichtung in Aus- und Weiterbildung für die Mitarbeiter auferlegt. Zudem ist die Axpo Mitglied der Wano, der World Association of Nuclear Operators, und lässt sich freiwillig regelmässig analysieren und bewerten.

 Allein diese Sicherheit zu gewährleisten, kostet Milliarden. Der Aufwand wird weiter steigen, weil die technischen Ansprüche immer grösser werden. Das Barrieresystem ist grundsätzlich in neuen Anlagen wie dem europäischen Druckwasserreaktor (EPR) der französischen Herstellerfirma Areva oder AP 1000 von Westinghouse Toshiba nicht wesentlich anders, jedoch stärker dimensioniert. Diese beiden Typen kämen unter anderen infrage, falls die Schweiz neue AKW zulassen würde. Neu ist auch, dass alle diese Reaktoren über eine Einrichtung verfügen, zum Beispiel eine Wanne (beim EPR), um im schlimmsten Fall die Kernschmelze aufzufangen.

 Hohe finnische Anforderungen

 Der EPR, der derzeit in Finnland und Frankreich gebaut wird, ist das beste Beispiel für gestiegene Sicherheitsanforderungen. Der Bau des EPR in Finnland kommt nicht planmässig voran. Ein Grund dafür sind die hohen Sicherheitsansprüche der finnischen Atombehörde. "Finnland ist pronuklear eingestellt, aber sie wollen das Optimum an Sicherheit", sagt Michael Sailer, Experte für nukleare Sicherheit am Öko-Institut in Darmstadt.

 So forderten die Finnen laut Sailer auch Sicherheitssysteme gegen elektromagnetische Störungen oder gegen Angriffe auf das Computersystem. Zudem wollten sie einen umfassenden Sicherheitsnachweis, falls die "grosse Leitung" abreisst, welche den Reaktor mit Kühlwasser speist. Hier gilt es nicht nur die Notkühlung zu simulieren, wenn sich der Kernreaktor allmählich überhitzt. Die Atombehörde wollte auch wissen, welchen Schaden das auslaufende Kühlwasser sonst noch anrichten könnte.

 Nicht nur die technische Umsetzung ist teuer. Auch die unzähligen Störfallsimulationen können kostspielig sein. Computermodelle waren in den 1970er- und 1980er-Jahren nur beschränkt möglich. "Heute können die insgesamt notwendigen Simulationen bis zu einer halben Milliarde Euro kosten", sagt Sailer.

 Der EPR gehört heute zum Vorzeigemodell punkto Sicherheit - vor allem weil die finnischen Betreiber hohe Anforderungen stellten. Das ist ein wesentlicher Grund neben Bauverzögerungen und Konstruktionsmängeln, dass sich die Bauzeit massiv verlängert und die Kosten vermutlich doppelt so hoch sein werden, als Areva budgetiert hat. Es ist absehbar, dass der Bau mit 6 Milliarden Euro teuer zu stehen kommt.

 "Atomstrom ist nicht günstig"

 Trotz den hohen Sicherheitskosten glaubt ETH-Experte Michael Prasser, dass der Strompreis pro Kilowattstunde gegenüber den preiswerten fossilen Energien konkurrenzfähig bleibe. Doch Michael Sailer vom Öko-Institut zieht ein anderes Fazit: "Nuklearenergie ist nicht günstig." Neue Atomkraftwerke sind zum Beispiel gegenüber neuen Gaskraftwerken unwirtschaftlicher geworden. Untersuchungen des Öko-Instituts würden zeigen, dass auch regenerative Energien wie Wind, Biomasse oder Wasserkraft billiger sein können als Atomstrom. "Studien zu den künftigen Stromkosten gehen vielfach vom ursprünglichen Preis der Areva aus." Hält man sich aber an die 6 Milliarden Euro, dann wird laut Sailer Atomstrom teuer. Er glaubt auch nicht daran, dass mit jeder neuen Anlage die Kosten sinken. Dafür würden zu wenige EPR gebaut.

 Wie teuer AKW tatsächlich sein werden, ist letztlich erst abschätzbar, wenn sie einmal in Betrieb sind. Sicher scheint: Neue Atomkraftwerke können wegen der höheren Sicherheitsansprüche doppelt so teuer sein wie frühere.

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WoZ 20.1.11

Berner AKW-Abstimmung

 Man streitet lieb und nett

 In Mühleberg, zwölf Kilometer westlich von Bern, soll ein neues Atomkraftwerk gebaut werden, das viermal so stark sein wird wie das alte. Am 13. Februar kommt es im Kanton Bern zu einer Konsultativabstimmung. Die Opposition in der Region hat es nicht einfach.

 Von Susan Boos (Text) und Ursula Häne (Foto)

 Seit über zwanzig Jahren kämpft sie beherzt gegen das Atomkraftwerk vor ihrer Haustür. Ursula Balmer-Schafroth lebt in Wileroltigen, einem Dorf zwischen Bern und Murten. Wenn man es genau nimmt, sieht man von ihrer Haustür aus ein hübsches Bauerndorf, aber das Kraftwerk sieht man nicht. Es liegt verborgen hinter den Hügeln.

 Von ihrem Haus bis zum AKW sind es nur zwei Kilometer Luftlinie. Wer so nahe dran lebt, gehört in die "Zone eins" und hat das Privileg, gegen die Atomanlage einspra che berechtigt zu sein. Ursula Balmer gehört seit Jahren der Ökogruppe an, die schon diverse Einsprachen durchgezogen hat, doch diesmal geht es um etwas anderes: Neben dem alten AKW will das Berner Energie unternehmen BKW zusammen mit dem Ostschweizer Energiekonzern Axpo ein neues bauen.

 Im 13. Februar kommt es zur grossen Abstimmung. Dabei wird die Temperatur gemessen, mehr nicht. Denn das AKW könnte auch gebaut werden, wenn die BernerInnen Mitte Februar Nein sagen würden, da am Ende die ganze Schweiz über die AKW-Neubauten befinden wird, was frühestens in zwei, drei Jahren ansteht. Trotzdem wäre ein Nein der BernerInnen ein starkes Signal.

 Das Dach von Balmers Haus ist mit Solarpanels vollgepackt, die so viel Strom produzieren, dass alle, die in der ehemaligen Käserei leben, damit auskommen. Ursula Balmer hat hier mit ihrem Mann vier Kinder grossgezogen. Sie war Sekundarlehrerin und arbeitet heute für einen Verein, der Tagesfamilien vermittelt. Vor acht Jahren, nach der letzten verlorenen Atomabstimmung, hätten sie die Ökogruppe fast aufgelöst, erzählt Balmer. Doch dank ihr überlebte die Gruppe und erlebte eine Renaissance, heute hat sie rund vierzig Mitglieder, acht bis zehn Personen kommen an die Sitzungen.

 Und wie ist die Stimmung im Dorf? Viele würden das Thema meiden, sagt Balmer. Als sie kürzlich Flyer in die Briefkästen verteilt habe, hätten manche betreten reagiert, als sie sie auf der Strasse antraf. "Ein Bauer hat mir aber auch gesagt: ‹Meine Frau stimmt sicher dagegen. Ich werde auch dagegen stimmen, aber das erzähle ich nicht her um.›"

 Ein bisschen habe sie schon ein schlechtes Gewissen, dass sie im Dorf nicht mehr mache, sagt Balmer. Aber eigentlich wüssten hier eh schon alle, was sie stimmen würden. Trotzdem schaltet die Ökogruppe in den Amtsblättern kleine, aufmüpfige Inserate, in denen steht, weshalb sie gegen ein zweites Mühleberg sind: weil es neue Hochspannungsleitungen brauche, weil es die Auslandsabhängigkeit erhöhe, weil sie alle ihrer Heimat beraubt würden, wenn es zum Super-GAU käme. Auf die Inserate habe sie auch immer wieder positive Reaktionen von Leuten erhalten, von denen sie es gar nicht erwartet habe, sagt Balmer.

 Die Opposition schweigt

 Margret Maeder ist auch in der Ökogruppe dabei und an diesem Tag bei Ursula Balmer zu Besuch, doch möchte sie lieber nicht zu prominent in die Zeitung. Maeder ist in Gümmenen aufgewachsen, das zu Mühleberg gehört. Sie hat erlebt, wie das Kraftwerk gebaut wurde, doch damals gab es keine Opposition. Heute leidet sie an einem Lymphom und überlegt sich schon, ob das mit dem AKW zusammenhängt. Maeder meint, sie passe nicht ganz ins Dorf, sie sei die Grüne, die alleinerziehende Mutter, die, die vor ihrem Haus einen Infobus gegen Mühleberg aufgestellt hatte.

 Heute sei es ruhig in der Gemeinde, sagt Maeder und nimmt den Berner "Bund" hervor, wo der Präsident der lokalen SP gesagt hat: "Es ist ein grosses Spannungsfeld, und wir lassen Stimmfreigabe zu." Und weiter sagte er: Als Ortspartei in einer kleinen Gemeinde wie Mühleberg befinde man sich in einer schwierigen Situation. "Wie ernst würden wir bei einem Nein im Dorf noch ge nommen?"

 Laut einer Umfrage, die die BKW im Dorf machen liess, sind 65 Prozent für den Neubau. Der Gemeinderat hat sich auch dafür ­ausgesprochen. Für die Gemeinde geht es auch um Geld. Wie der "Bund" vorrechnete, bekommt sie über die Steuern von der BKW jährlich 1,2 bis 1,5 Millionen Franken - und das bei einem Ausgabenbudget von 12,6 Millionen Franken. Dank dieser Gelder konnte Mühleberg in den letzten Jahren die Steuern senken.

 Trotzdem sind nicht alle glücklich. Schon vor geraumer Zeit organisierten sich die Leute von der Salzweid. Das Gebiet liegt an der Autobahn, schönes Kulturland, das einst genutzt werden soll, um darauf eine Siedlung für die ArbeiterInnen hinzustellen, die Mühleberg bauen müssten. Rund 1700 Menschen sollten dann temporär dort wohnen. Die Interessengemeinschaft (IG) Salzweid verlangte, dass die BKW ihr eigenes Land am andern Ende der Gemeinde nutzt, um ihr temporäres Dorf hinzustellen.

 Letztes Jahr hat die BKW Alternativen geprüft. Das Resultat war für die IG wenig erfreulich, die BKW rückt wohl nicht davon ab, die Salzweid zu beanspruchen. Oder wie es Christian Minder, ein betroffener Landwirt, gegenüber der WOZ formuliert: "Wir werden die Planung nicht mehr von unserem Grundeigentum wegbringen, weil die BKW Enteignungsmöglichkeit hat. Wenn das Projekt realisiert würde, müssten wir mit dieser Tatsache leben."

 Trotzdem verhält sich die IG im Abstimmungskampf still - die Begründung von Minder: "Da einige IG-Mitglieder persönlich, wirtschaftlich oder politisch von Mühleberg oder der BKW abhängig sind, hat eine Mehrheit beschlossen, dass die IG als Organisation im Abstimmungskampf politisch neutral bleibt." Einige Mitglieder würden sich aber ausserhalb der IG sehr wohl engagieren. "Für mich privat als Anwohner und Grundeigentümer wäre natürlich bei einem Volksnein zu Mühleberg das Problem elegant gelöst", fügt Minder noch an.

 Die Regierung äussert sich deutlich

 Und wie verläuft die Debatte ausserhalb der betroffenen Region? Burgdorf, Dienstag abend, die Grünen haben zu einer Veranstaltung "Erneuerbare Energiezukunft - ohne Atom!?" eingeladen. Auf dem Podium sitzen Jürg Buri von der Schweizerischen Energiestiftung, Hans Grunder, Präsident der Bürgerlich-Demokratischen Partei (BDP), und Christine Häsler, Fraktionspräsidentin der Grünen im Berner Kantonsrat.

 Im Saal sitzen etwa zwanzig Personen. Buri ist eloquent dagegen, Grunder liebenswürdig dafür und Häsler dagegen.

 Alle sorgen sich um die Umwelt. Grunder ist grundsätzlich einer Meinung mit Buri, nur dass er glaubt, der Klimawandel lasse sich ohne den Bau neuer Atomkraftwerke nicht aufhalten. Buri sagt, das sei falsch, weil damit die Gelder in die falsche Richtung gelenkt würden, man könne den Franken nur einmal ausgeben, würden Atomkraftwerke gebaut, fehlten die Mittel für den Ausbau der erneuerbaren Energien. Häsler sagt, sie sei auch gegen Atomkraftwerke, die alternativen Energien hätten Zukunft. Dann spricht sie über die Wasserkraft und darüber, dass "KWO plus" gebaut werden müsse. Manche im Saal staunen, jemand sagt, er habe grad eine politische Sternstunde erlebt, die Grünen seien doch immer gegen den Ausbau des Pumpspeicherwerkes auf der Grimsel gewesen. Grunder freut sich ebenfalls, dass bei den Grünen ein Umdenken stattfinde.

 Und das ist das Resultat des Abends. Man ist nett miteinander und versöhnt sich nebenbei bei einem Projekt, das die Umweltver bände seit Jahrzehnten bekämpfen. Buri versucht noch zu erklären, weshalb er das Grimsel projekt nach wie vor für eine schlechte Idee hält, doch vermutlich verstehen nicht alle im Saal, worum es ihm geht (nachts gibt es zu viel überschüssigen Atomstrom, der benutzt wird, um Wasser in die Speicherseen zu pumpen - womit billiger Atomstrom in teureren Spitzenstrom umgewandelt werden kann).

 So wird heute offenbar über AKW gestritten: lieb, besorgt, konfus. Immerhin äusserte sich die Berner Kantonsregierung für Schweizer Verhältnisse aussergewöhnlich deutlich. Das Berner Parlament ist zwar bürgerlich dominiert und wollte die Regierung nötigen, sich für den AKW-Neubau auszusprechen. Doch die Regierung liess sich das Wort nicht verbieten. Die Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) legte am Dienstag vor den Medien dar, weshalb sie gegen Mühleberg II sei: Atomkraft sei eine veraltete Technologie, sie sei gefährlich und schade der Umwelt, das finanzielle Risiko sei zu gross, Investitionen in erneuerbare Energie brächten mehr Arbeitsplätze. Und falls in Mühleberg ein Unfall passiere, müsste "bei Westwind, einer nicht unüblichen Wetterlage für Bern, unter Umständen die ganze Stadt und Agglomeration evakuiert werden"   - dieses Risiko wolle man nicht nochmals fünfzig Jahre tragen.

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BZ 20.1.11

CSP lehnt Atommüll-Zwischenlager ab

 Freiburg/MühlebergDer Vorstand der CSP Freiburg zeigt sich besorgt über das Sicherheitsrisiko einer oberirdischen Zwischenlagerung von hoch radioaktivem Material in einer Halle in Mühleberg. Dies schreibt die Partei in einer Mitteilung. "Das AKW-Neubauprojekt der BKW befindet sich vor den Toren unseres Kantons." Für Mensch und Umwelt im Kanton Freiburg entstehe ein Gefahrenpotenzial, zum Beispiel im Fall von Erdbeben, Klimakatastrophen, Terroranschlägen oder kriegerischen Konflikten. 39 freiburgische Gemeinden befinden sich gemäss CSP in einem Umkreis von 20 Kilometern vom AKW Mühleberg entfernt. Bei einem Zwischenfall mit Austritt von radioaktiven Substanzen wären Bevölkerung und Umwelt in den Zonen 1 und 2 der Kantone Bern und Freiburg "allenfalls hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt - mit verheerenden Folgen", schreibt die CSP. Mühleberg, das vor 38 Jahren ans Netz ging, sei eines der weltweit ältesten Kernkraftwerke. Bereits dies bedeute ein erhöhtes Sicherheitsrisiko. Die Delegierten der CSP Schweiz haben in Freiburg eine Resolution gegen den Bau neuer AKW verabschiedet.
 pd

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Freiburger Nachrichten 20.1.11

CSP fürchtet Zwischenlager

 Die CSP Freiburg zeigt sich besorgt über das geplante Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Mühleberg.

 Freiburg "Der Vorstand der CSP Freiburg ist vor allem besorgt über das Sicherheitsrisiko einer oberirdischen Zwischenlagerung von hochradioaktivem Material in einer Halle in Mühleberg für Mensch und Umwelt unseres Kantons - zum Beispiel im Fall von Erdbeben, Klimakatastrophen, Terroranschlägen oder kriegerischen Konflikten", schreibt die CSP in einer Medienmitteilung. Sie erinnert daran, dass neben dem neuen geplanten Atomkraftwerk in Mühleberg eine riesige Halle errichtet werden soll, in der nicht nur Abfälle der neuen Anlage, sondern auch abgebrannte Brennelemente und Rückbauabfälle des bestehenden Atomkrafwerks Platz haben sollen. "In Mühleberg könnte die Halle bis 200 Meter lang und bis 80 Meter breit sein", schreibt die CSP in ihrer Medienmitteilung.

 Vor den Toren Freiburgs

 Die CSP weist auch darauf hin, dass 39 Freiburger Gemeinden sich in einem Umkreis von 20 Kilometern (Zone 2) vom gegenwärtig in Betrieb stehenden Atomkraftwerk Mühleberg entfernt befinden. "Bei einem Zwischenfall mit Austritt von radioaktiven Substanzen wären Bevölkerung und Umwelt in den Zonen 1 und 2 der Kantone Bern und Freiburg allenfalls hohen Strahlenbelastungen ausgesetzt - mit verheerenden Folgen", warnt die CSP. az

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Langenthaler Tagblatt 20.1.11

Umweltverbände verzichten auf Beschwerde

AKW-Abstimmung Nach eingehender Prüfung einer Abstimmungsbeschwerde wegen dem angeblich unvollständigen Büchlein zur Abstimmung über ein neues AKW in Mühleberg verzichten die Umweltverbände. Wie das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" mitteilte, sei es klarer Wille der Umweltverbände und Organisationen, dass die Bernerinnen und Berner mit der Konsultativabstimmung gegenüber dem Bund rechtzeitig zum Rahmenbewilligungsgesuch der BKW Energie AG Stellung nehmen könnten. Im Gegenzug erwarten sie nun von Kanton und BKW, dass diese "umfassend und in aller Deutlichkeit" über das gleichzeitig mit dem neuen AKW geplante grosse Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle informieren (vgl. az Langenthaler Tagblatt vom Dienstag).

 SVP klärt Beschwerde weiter ab

 Ebenfalls eine Beschwerde prüft die SVP Kanton Bern - allerdings wegen den Äusserungen des Regierungsrates respektive im Speziellen wegen dem Medienauftritt von Energiedirektorin Barbara Egger (vgl. gestrige Ausgabe). Geschäftsführerin Aliki Panayides sinnierte, die Beschwerde könne durchaus auch ohne aufschiebende Wirkung Sinn machen. Bei einem Erfolg vor Bundesgericht müsste die Abstimmung dann nachträglich annulliert werden; die positive oder negative Stellungnahme an den Bund wäre dannzumal allerdings schon abgeschickt.

 Bund gegen Fristverlängerung

 Dass der Termin zwischen Abstimmung und Stellungnahme knapp ist, ist nicht neu. Bereits letzten Sommer beantragte der Kanton beim Bund daher eine Fristverlängerung; blitzte jedoch ab. Das sei immer noch der aktuelle Stand, hiess es gestern bei der Energiedirektion. Zum möglichen Verfahren sagte Staatsschreiber Kurt Nuspliger: Das Bundesgericht behandle Abstimmungsbeschwerden in der Regel nicht vor dem Urnengang. Überhaupt behandle Lausanne Einwände gegen Vorbereitungshandlungen nach der Abstimmung als Beschwerden gegen das Ergebnis. Dann werde zuerst geprüft, ob es sich bei der behaupteten unzulässigen behördlichen Einflussnahme überhaupt um einen rechtlich erheblichen Fehler handle. Falls Ja, prüfe das Bundesgericht, ob sich dieser auch aufs Ergebnis ausgewirkt habe. Erst dann würde die Abstimmung allenfalls aufgehoben. (sat)

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Bund 20.1.11

Mühleberg-Abstimmung

 Nein-Komitee verzichtet auf Abstimmungsbeschwerde

 Das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" verzichtet trotz der jüngsten Debatte über das Zwischenlager für radioaktive Abfälle auf eine Abstimmungsbeschwerde. Die Berner Bevölkerung solle rechtzeitig zum Rahmenbewilligungsgesuch eines neuen AKW in Mühleberg an der Urne Stellung nehmen können, schreibt das Komitee. Dies wäre aber mit einer Beschwerde und einer allfälligen Verschiebung der Abstimmung nicht mehr gewährleistet. Das Komitee fordert den Kanton und die BKW auf, in der Informationsarbeit das geplante Zwischenlager "und seine quantitativen und zeitlichen Dimensionen in aller Deutlichkeit zu kommunizieren". (sda)

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BZ 20.1.11

AKW: Keine Beschwerde

 AKW-DebatteDas Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" verzichtet auf eine Abstimmungsbeschwerde.

 Weil in den Abstimmungsunterlagen das projektierte Zwischenlager für hoch radioaktive Zwischenfälle nicht explizit erwähnt wird, haben verschiedene Parteien und das Nein-Komitee eine Abstimmungsbeschwerde geprüft. Das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" sowie die SP des Kantons Bern verzichten nun darauf. Das Nein-Komitee fordert aber eine umfassende Information vom Kanton und von der BKW.

 Es sei der klare Wille des Komitees, dass die Berner Bevölkerung rechtzeitig zum Rahmenbewilligungsgesuch eines neuen AKW in Mühleberg an der Urne Stellung nehmen kann. Nach eingehender Prüfung habe das Komitee feststellt, dass dies mit einer Abstimmungsbeschwerde und einer allfälligen Verschiebung der Abstimmung nicht mehr gewährleistet wäre.

 Das Komitee will nun die Thematik um das Zwischenlager in Mühleberg weiter ausschlachten und hat deshalb kurzfristig eine neue Kampagne lanciert. Die neuen Plakate werden bereits ab nächster Woche im ganzen Kanton hängen.
 nb

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20 Minuten 20.1.11

AKW: Keine Beschwerde

 BERN. Im Kampf gegen das AKW Mühleberg und das im Abstimmungstext verschwiegene Zwischenlager wird wohl keine Stimmrechtsbeschwerde erhoben. Denn sowohl das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" als auch die Grüne Freie Liste Zollikofen haben nach einer Prüfung beschlossen, darauf zu verzichten. Stattdessen fordern beide Seiten eine umfassende Aufklärung der betroffenen Bevölkerung.

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Solothurner Zeitung 20.1.11

"Nur geringes Restrisiko"

 Atomenergie Das Hauptthema an der 5. Generalversammlung der Aktion für eine vernünftige Energiepolitik Schweiz (Aves) in Solothurn war das Referat von Horst-Michael Prasser, Professor für Kernenergiesysteme an der ETH Zürich. Der Titel lautete: "Kernenergie - Sicherheit und Umwelt". Prasser gab aber bereits zu Beginn bekannt, dass er nur am Rande auf die Entsorgung und Lagerung von radioaktivem Abfall eingehen werde. Zunächst erklärte Prasser kurz die Unterschiede von Kernkraftwerken zu anderen Energieproduzenten. So werde zum Beispiel für den Import von Erdöl viel mehr Geld ausgegeben als für den Import von Kernbrennstoff. "Auch ist die Verfügbarkeit von Uran für mindestens 80 Jahre erkundet."

 Beim Thema Sicherheit erklärte der ETH-Professor verschiedene Notsysteme. Bei einer Kernschmelze gebe es sogenannte "Core Catcher". Man kann sich diese wie grosse Auffangbecken für den geschmolzenen Kern vorstellen. "Dieses Wissen wurde eingehend getestet, zum Teil auch in alten Kernkraftwerken", so Prasser. Bei den neuen Kernkraftwerken, genannt Generation III, bleibt somit nur noch ein geringes Restrisiko übrig. Prasser meint: "Die Vorteile - die Entlastung der Umwelt, gute Ökonomie, geringe Gesundheitsrisiken und weniger reale Störfallopfer - überragen das Restrisiko. Die Zukunft besteht aus nuklearer, erneuerbarer Energie und rationellem Energieersatz ohne fossile Energie."

 Rückbau kostet 1 Mrd. Franken

 Nach diesem Referat konnten die Anwesenden Fragen stellen. Eine Frage galt den stillgelegten Reaktoren. Prasser erklärte: "Es braucht rund 10 bis 15 Jahre für den Rückbau. Dieser kostet dann auch etwa eine Milliarde Franken. Allerdings ist dieser Betrag bereits durch den Betrieb gedeckt." Ein grosser Teil des Abfalls sei nicht oder nur schwach radioaktiv. Manchmal werde der Brennstoff wieder aufbereitet, das schaffe eine günstigere Lagerung der radioaktiven Stoffe. Am Ende rief ETH-Professor Horst-Michael Prasser nochmals allen ins Gedächtnis: "Kein Kraftwerk (auch kein Kohlekraftwerk) ist frei von radioaktiven Emissionen." (osl)

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Bund 19.1.11

Mühleberg-Abstimmung: Zwei Fronten gegen Regierungsrat

 Bürgerliche und Grüne kritisieren Kantonsregierung in Sachen AKW-Haltung.

 Sarah Nowotny

 Zwei Beschwerden werden geprüft, Rücktrittforderungen ausgesprochen und Adjektive wie "inakzeptabel" häufen sich: Der Abstimmungskampf im Kanton Bern zur Frage, ob in Mühleberg ein neues Atomkraftwerk gebaut werden soll, geht in die heisse Phase. Gestern erklärte Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) vor den Medien, warum der rot-grün dominierte Regierungsrat gegen das AKW ist. Dies wurde von bürgerlichen Parlamentariern gar nicht goutiert - der Grosse Rat ist klar für Mühleberg II und hat die Regierung gezwungen, sich zumindest auf dem Papier dafür auszusprechen. Die Einmischung des Regierungsrats in den Abstimmungskampf via Medien sei eine Verletzung der verfassungsmässigen Pflicht einer Exekutive, schrieb Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) in einem offenen Brief. Die SVP prüft gar eine Stimmrechtsbeschwerde gegen Egger wegen "Falschinformation". SP-Präsident Roland Näf hingegen bezeichnet den "Maulkorb", den man der Regierung verpassen wolle, als "inakzeptabel" und findet, Fischer kenne das politische System nicht und solle deshalb zurücktreten.

 Egger indes steht aus anderen Gründen auch von unerwarteter Seite unter Beschuss: Die Grünen kritisieren, dass die Regierung die Chance verpasst habe, die Bevölkerung über das geplante Zwischenlager für radioaktiven Müll in Mühleberg zu informieren. Stattdessen verharmlose er diese Absicht "erheblich". Tatsächlich steht zum Lager nichts im Abstimmungsbüchlein - AKW-Gegner prüfen eine Beschwerde gegen die offizielle Botschaft des Kantons. - Seite 23

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Grossratspräsident rügt Einmischung der Regierung vor AKW-Abstimmung

 Die SVP prüft wegen "Falschinformation" eine Stimmrechtsbeschwerde gegen Energiedirektorin Egger.

 Sarah Nowotny

 Die Regierung habe das Fass endgültig zum Überlaufen gebracht, erklärte Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP). Der höchste Berner solle zurücktreten, da er offensichtlich das politische System der Schweiz nicht verstehe, antwortete kurz darauf der kantonale SP-Präsident Roland Näf. Was war passiert? Gestern legte Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) vor den Medien dar, warum der rot-grüne Regierungsrat gegen den Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg ist (siehe Text unten) - wenige Wochen, bevor sich das Volk am 13. Februar zu dieser Frage äussern kann. Pikant ist die Pressekonferenz deshalb, weil sich der mehrheitlich bürgerliche Grosse Rat bereits im Herbst für ein neues AKW ausgesprochen hat.

 Allerdings hat die Regierung nie ein Hehl aus ihrer Haltung gemacht: Schon als der Grosse Rat sie dazu verknurrte, sich gegenüber den Entscheidungsträgern auf Bundesebene positiv zu Mühleberg II zu äussern, tat sie dies nur widerwillig. Mehrmals kündigte Egger zudem an, dass der Regierungsrat seine Position im Abstimmungskampf noch darlegen werde. Trotzdem provozierte sie gestern heftige Reaktionen. Der Grosse Rat habe sich klar - mit 91 zu 53 Stimmen - für ein neues AKW ausgesprochen, schrieb Grossratspräsident Fischer in einem offenen Brief an Politiker und Medienvertreter. Angesichts dieses Verdikts sei es die "verfassungsmässige Pflicht" der Exekutive, den Beschluss des Parlaments zu vollziehen und auf "erneute Kommunikation" zu verzichten - oder wenigstens Sachlichkeit und grosse Zurückhaltung zu üben.

 "Maulkorb ist inakzeptabel"

 Dies sei aber nicht geschehen, und als Grossratspräsident sei es seine Pflicht, das Vorgehen der Regierung im Namen des Parlaments zu verurteilen, so Fischer weiter. "Nicht alles, was nicht ausdrücklich untersagt ist, entspricht gutem politischem Stil" - zumal die Regierung bereits mehrmals Gelegenheit gehabt habe, ihre Haltung darzulegen. "Die Sorge um die Energiezukunft und bürgerliche Grossräte haben mich zu diesem Schritt gedrängt", sagte Fischer auf Anfrage. In die Klage stimmten denn auch alle bürgerlichen Parteien ein. Der Regierungsrat belaste "unnötigerweise" das Verhältnis zum Grossen Rat, liess die BDP verlauten. Die SVP zeigte sich "empört", sprach von "Falschinformationen" und einer "offensiven Abstimmungskampagne". Obwohl die "objektiven Fakten" klar für den "Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg" sprächen, behaupte die Regierung "ohne jegliche sachliche Untermauerung", es brauche keine AKW mehr. Deshalb prüfe die Partei eine Stimmrechtsbeschwerde.

 "So kurz vor der Abstimmung liegen die Nerven blank", lautete der Befund von FDP-Fraktionschef Adrian Kneubühler. Verfassungsrechtlich gesehen habe Fischer richtig gehandelt. "Ich hätte dieses Verhalten von der Regierung nicht erwartet, aber in dieser Angelegenheit ist offenbar alles möglich." Die Tatsache, dass Egger vor den Medien keine neuen Argumente auf den Tisch gelegt habe, zeige, dass es bei ihrem Auftritt bloss um ein "Polit-Theater" gegangen sei.

 Diametral entgegengesetzt beurteilte SP-Präsident Näf die Lage: "Es ist fragwürdig, eigentlich inakzeptabel, wenn der Grossratspräsident einen Maulkorb für die Regierung fordert." Die Regierung dürfe sehr wohl informieren - "auch mehrmals, denn es ist schwierig, die Aufmerksamkeit der Bevölkerung zu bekommen". Viel schlimmer sei, dass die BKW mit dem Geld der Stromkunden Propaganda betreibe.

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Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer nimmt Stellung zum AKW-Neubau

 "Ein Zwischenlager ist immer Bestandteil eines AKW"

 Atomkraftwerke seien eine "völlig veraltete, teure, gefährliche und unnötige" Technologie, findet die bernische Regierung.

 Mit dem geplanten neuen Atomkraftwerk, zu dem das Berner Stimmvolk am 13. Februar Stellung nehmen kann, würden in Mühleberg auch zwei grosse Zwischenlager für Atommüll entstehen. Allerdings fehlt diese Information im Abstimmungsbüchlein - AKW-Gegner prüfen deshalb eine Beschwerde ("Bund" von gestern). Diesen Entwicklungen konnte sich die bernische Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) nicht entziehen, als sie gestern vor den Medien in Bern die Anti-AKW-Haltung der Regierung begründete. Die Frage, warum der Regierungsrat in Sachen Abfälle nicht für Transparenz gesorgt habe, war eine der am heftigsten diskutierten. "Grundsätzlich ist für die Abstimmungsbotschaft das Büro des Grossen Rats zuständig - und nicht der Regierungsrat oder gar meine Direktion", sagte Egger. Die Verwaltung sei nur bei der Vorbereitung der Botschaft zugegen, könne sich dazu aber nicht verbindlich äussern. "Es wäre vielleicht tatsächlich gut gewesen, das Zwischenlager in der Botschaft zu erwähnen." Im Gesuch für ein neues AKW, das der Energiekonzern BKW beim Bund eingereicht habe, fänden sich Informationen dazu. "Dieses Dokument war im Besitz der zuständigen Kommission des Grossen Rats. Ihre Mitglieder müssen die Unterlagen halt aufmerksam lesen."

 "Ohne Staat nicht finanzierbar"

 Ein Zwischenlager für schwach und mittel radioaktive Abfälle sowie für hoch radioaktive verbrauchte Brennelemente sei immer Bestandteil eines AKW. "Das wurde nie verschwiegen. Die Diskussion zeigt aber, dass AKW nicht zuletzt wegen der gefährlichen Radioaktivität und der Abfälle umstritten sind." Egger zählte freilich noch andere Aspekte auf, die aus Sicht der Regierung gegen die Atomkraft sprechen. AKW seien eine "völlig veraltete" Technologie ohne Zukunft und liessen sich wohl ohne staatliche Hilfe nicht finanzieren. "Heute stehen wir bei den erneuerbaren Energien vor einem Durchbruch - AKW-Strom könnte schon in 20 Jahren teurer als Solarstrom sein." Auch bei der effizienten Nutzung von Energie gebe es grosse Fortschritte. "Sparlampen, die heute 50 Franken kosten, werden in zehn Jahren nur noch mit wenigen Franken zu Buche schlagen." Es sei zudem jederzeit möglich, Strom aus dem Ausland zu importieren. Ferner wolle die Regierung die Bevölkerung nicht länger dem Risiko eines Störfalls aussetzen - auch wenn dieses gering sei. "Unter Umständen müssten wir die ganze Stadt Bern und ihre Agglomeration evakuieren." Wie auch immer die Abstimmung ausgehe: "Die Regierung erwartet, dass der Entscheid von allen Seiten akzeptiert wird." Konkret heisst das, Egger will, dass die BKW bei einem Nein ihre Planung einstellt.(sn)

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Kommentar

 Keine Manipulation in letzter Minute

Sarah Nowotny

 Wie tief die beiden gegnerischen Lager wenige Wochen vor der kantonalen Abstimmung über ein neues Atomkraftwerk in Mühleberg gespalten sind, wurde gestern einmal mehr deutlich. Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP) legte vor den Medien dar, warum die rot-grüne Regierung gegen Mühleberg II ist. Dies kritisierten die bürgerlichen Parteien scharf. Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP), der einem Parlament vorsteht, das Mühleberg befürwortet, schrieb gar einen offenen Brief. Die Regierung habe ihre Sicht der Dinge schon oft genug darstellen können und müsse laut Verfassung den Parlamentsbeschluss pro Mühleberg vollziehen - oder zumindest den Argumenten der Befürworter Rechnung tragen.

 Nun muss man Egger zugutehalten, dass sie die Sichtweise des Pro-AKW-Lagers erwähnte - um dann zum Schluss zu kommen, es brauche trotzdem keine neuen AKW. Angesichts der Tatsache, dass diese Haltung der Regierung längst überall bekannt ist, wirkt die Reaktion des zur Neutralität verpflichteten Grossratspräsidenten etwas übertrieben: Gerade weil alle die Ansichten des Regierungsrats kennen und Letzterer sich schon früher immer wieder zu Mühleberg geäussert hat, kann die Pressekonferenz kaum als störender manipulativerAkt in letzter Minute bezeichnet werden.

 Wenn Fischer das Rollenbild der Exekutive zeichnet, vergisst er zudem, dass diese auch eine Informationspflicht hat. Es ist zwar nicht gesetzlich geregelt, wie sich eine Regierung in dieser speziellen Situation - ihre Position widerspricht dem Parlamentsbeschluss - im Detail zu verhalten hat. Ein Gutachten des Bundesamtes für Justiz von 2006 gibt aber Hinweise: Der Bundesrat könne vor Abstimmungen auch seine Haltung darlegen und dürfe Transparenz bei abweichenden Positionen schaffen, heisst es dort. Im Kanton Bern tat eine bürgerliche Regierung 1999 übrigens genau das auf Stufe Parlament: Sie lockerte zwar auf Wunsch des Grossen Rats die Uferwegplanung, bat die Legislative dann aber, nicht auf ihren Entwurf einzutreten.

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Bürgerliches Jugendkomitee für Mühleberg-Ersatz

 Das "Jugendkomitee Pro Mühleberg" hat sich am Montag den Medien präsentiert. Im Komitte haben sich Jungpolitiker der JSVP, der Jungfeisinnigen und der BDP zum Zweck formiert, insbesondere junge Wähler zu einem Ja zur Konsultativabstimmung zu bewegen. Das Ersatz-Atomkraftwerk ermögliche Unabhängigkeit vom Ausland und eine zahlbare und klimafreundliche Stromversorgung, sagten die Grossräte Erich Hess (JSVP), Jan Gnägi (BDP) und Bernhard Eicher (Jungfreisinn).(pd)

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BZ 19.1.11

AKW-Abstimmung: Die Nerven liegen blank

 Kanton Bern. Die Regierung führt ihren Kampf gegen das AKW weiter. SVP, BDP und sogar der Grossratspräsident greifen sie scharf an. Nun zeichnet sich eine Maulkorb-Debatte ab.

 SP-Regierungsrätin Barbara Egger sagte gestern vor den Medien in Bern nichts Neues: Dass der bernische Regierungsrat - mehrheitlich rot-grün - ein neues AKW in Mühleberg ablehnt, ist bestens bekannt. Trotzdem provozierte ihre Medienkonferenz harsche Kritik. Selbst Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) schaltete sich ein und massregelte die Regierung. Auch SVP und BDP griffen Egger hart an. Auf Unverständnis stösst, dass die Regierung sich vor der Abstimmung vom 13. Februar offensiv gegen das AKW ausspricht, obwohl der Grosse Rat mit klarer Mehrheit - 91 zu 53 Stimmen - für das Kraftwerk votierte.

 Indes räumte sogar der Grossratspräsident ein, dass die Regierung nichts Verbotenes tut. Auch Rechtsprofessor Pierre Tschannen erachtet das Verhalten der Regierung als unproblematisch.

 Das könnte sich allerdings ändern. Die bürgerliche Mehrheit des Grossen Rats kann relativ einfach eine Regelung übernehmen, die auf Bundesebene seit 2009 gilt: Der Bundesrat darf demnach keine von der Haltung der Bundesversammlung abweichende Abstimmungsempfehlung vertreten. Eine analoge Bestimmung im kantonalen Gesetz würde die Regierung im Streitfall dazu zwingen, die Empfehlung des bürgerlich dominierten Grossen Rats zu übernehmen. Den Bürgerlichen kommt zupass, dass das kantonale Gesetz über die politischen Rechte gerade in Revision ist. Die SVP erwägt nun, gleich eine analoge Regelung wie beim Bund zu fordern, erklärt ihr Fraktionschef Peter Brand auf Nachfrage. "Bisher war das offenbar nicht nötig", sagt Brand, "so etwas wie jetzt darf aber nicht mehr passieren."fab Seite 13

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"Atomkraft ist technisch veraltet"

 AKW-DebatteRegierungsrätin Barbara Egger (SP) sprach sich gestern im Namen des Gesamtregierungsrates erneut gegen ein neues AKW in Mühleberg aus. Die rot-grün dominierte Berner Regierung setzt stattdessen zuversichtlich auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz.

 Die bernische Regierung hat gestern ihre ablehnende Haltung zum Ersatz des Atomkraftwerks Mühleberg bekräftigt. An einer umstrittenen Medienkonferenz (siehe Zweittext unten) legte die Energiedirektorin Barbara Egger (SP) die Argumente des Regierungsrates nochmals dar.

 Egger sei sich der speziellen Ausgangslage - die Regierung und der Grosse Rat sind sich in der AKW-Frage nicht einig - durchaus bewusst. Der bürgerlich dominierte Grosse Rat spricht sich im Gegensatz zur Regierung für ein neues AKW aus.

 Deshalb betonte die Energiedirektorin, dass der Regierungsrat sehr froh sei, dass sich das Berner Stimmvolk am 13. Februar zum Ersatz des Atomkraftwerks Mühleberg äussern könne.

 Schnelle Entwicklung

 Der Regierungsrat lehnt ein neues Atomkraftwerk im Kanton Bern ab, weil seiner Ansicht nach die Atomenergie auf einer "uralten Technologie" beruhe, "die keine Zukunft hat". Zudem sei die Entsorgungsproblematik trotz intensiver Suche seit 40 Jahren ungelöst. Angesicht dessen sei es unverantwortlich, wenn mit einem neuen, grösseren Atommeiler trotzdem neue Atomabfälle produziert würden.

 Auch die Uranaufbereitung sei ökologisch nicht so sauber und unproblematisch, wie dies gewisse Befürworter glaubten, gab Egger zu bedenken.

 Das Technologieargument erachtet der Regierungsrat als sehr wichtig. "Denn neue Atomkraftwerke brauchen wir nicht heute oder morgen, sondern frühestens in 20 Jahren. Wer weiss heute schon, was in 20 Jahren ist?", fragte Egger in die Runde. Sie machte dabei den Vergleich zu anderen technologischen Entwicklungen. So hätte vor 20 Jahren auch kaum jemand geglaubt, dass sich Handys und Computer technologisch so schnell entwickeln würden. "Bei den erneuerbaren Energien und bei der Energieeffizienz stehen wir heute vor einem technologischen Durchbruch", sagte Egger. Darin seien sich die Fachleute auch einig.

 Aus diesem Grund sei der Regierungsrat überzeugt, dass die Energieversorgung in 20 Jahren auch ohne Atomenergie möglich sein werde. Bis zu diesem Zeitpunkt würden europaweit genügend erneuerbare Energien zur Verfügung stehen.

 Das Gefahrenpotenzial, das von einem AKW ausgeht, schätzt der Regierungsrat grundsätzlich als gering ein. Aber ein gewisses Restrisiko könne nicht ausgeschlossen werden. Die Regierung will die Bevölkerung diesem Risiko nicht länger als nötig aussetzen. Bei einem Störfall in Mühleberg müsste bei einer Westwindlage die ganze Stadt und Agglomeration evakuiert werden, gab Egger zu bedenken.

 "Zwischenlager ist nicht neu"

 Egger sprach auch über das Abstimmungsbüchlein, das zurzeit viel zu reden gibt, weil es das geplante Zwischenlager der BKW in Mühleberg für radioaktive Abfälle nicht explizit erwähnt.

 Für sie als Energiedirektorin sei immer klar gewesen, dass in Mühleberg neben dem neuen Atomreaktor auch ein Lager für hoch radioaktive Abfälle projektiert sei. Jedes Atomkraftwerk habe am Standort immer auch ein Lager für radioaktive Abfälle, betonte die Regierungsrätin. Dieser Sachverhalt sei nie verschwiegen worden und im Rahmenbewilligungsgesuch - das sie übrigens gelesen habe - auch enthalten.

 Der Regierungsrat und ihre Direktion könnten nichts dafür, dass das Zwischenlager im Abstimmungsbüchlein nicht erwähnt ist. Für die Abstimmungsbotschaft sei alleine der Grosse Rat beziehungsweise sein Büro zuständig. Es wäre aber wohl besser gewesen, wenn man das Zwischenlager in den Abstimmungsunterlagen erwähnt hätte, sagte Egger. Allerdings sei der Platz in einer Abstimmungsbotschaft knapp, und sie erinnerte daran, dass das Berner Stimmvolk ohnehin nicht über ein Baugesuch, sondern über die Stellungnahme des Kantons an den Bund über "Mühleberg II" abstimme.
 
Niklaus Bernhard

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Der "höchste Berner" tadelt den Regierungsrat

 Der Grossratspräsident, SVP und BDP griffen den Regierungsrat gestern hart an: Sein Abstimmungskampf sei problematisch und belaste das Verhältnis zum Grossen Rat.

 Der Präsident des bernischen Grossen Rates, Gerhard Fischer (SVP), war bestens vorbereitet: Eine halbe Stunde nach Beginn der Anti-AKW-Medienkonferenz des Regierungsrats verschickte er gestern einen offenen Brief. Fischer übt darin harte Kritik an der Regierung. Ihre Aufgabe wäre es in seinen Augen, den Entscheid des Grossen Rates zu vollziehen. Ihre (abweichende) Haltung hätte sie gar nicht oder nur zurückhaltend vertreten und dabei die Argumente der AKW-Befürworter wiedergeben sollen. Implizit gibt Fischer zu, dass die Regierung nichts Unerlaubtes tat. Sein Brief endet so: "Nicht alles, was nicht ausdrücklich untersagt ist, entspricht gutem politischem Stil."

 Die SVP reagiert "empört" und ortet eine "unerlaubte Beeinflussung". Als Beleg zitiert sie Aussagen von Regierungsrätin Egger vor den Medien, wonach die Atomenergie "uralt" und unnötig sei. Die SVP prüft nun eine Stimmrechtsbeschwerde.

 Nüchterner, aber nicht minder kritisch reagiert die BDP. Das Vorgehen der Regierung sei "problematisch". Sie müsse Beschlüsse des Grossen Rates vollziehen und sei bei Vernehmlassungen an seine Stellungnahme gebunden. In beiden Punkten widersetze sie sich nun und belaste damit das Verhältnis zum Grossen Rat.

 Energiedirektorin Egger nimmt die Kritik zur Kenntnis, ohne näher darauf einzugehen.

 Staatsrechtler winkt ab

 Bewegt sich die Regierung in der Tat auf juristisch heiklem Terrain? Nein, findet Pierre Tschannen, Professor für öffentliches Recht an der Universität Bern. "Die Haltung des Regierungsrates ist ja schon lange öffentlich bekannt", betont er und verweist auf die Debatte im Grossen Rat, in der die Regierung klar gegen das AKW Stellung bezogen hat.

 "Die Regierung hat gestern also nur wiederholt, dass sie immer noch gegen AKW ist." Daran sehe er nichts Problematisches und schon gar keinen Verstoss gegen irgendeinen Artikel in Verfassung oder Gesetz, sagt Pierre Tschannen - und fügt an, er sei in dieser Frage relativ liberal gesinnt: Er begrüsse, dass die Positionen der politischen Behörden transparent gemacht würden.

 Dem Argument, die Regierung setze den Beschluss des Grossen Rates nicht um, vermag der Professor nichts abzugewinnen. Der Grosse Rat habe ja zweierlei beschlossen: Er habe sich nicht nur für das AKW ausgesprochen, sondern auch entschieden, diese Stellungnahme dem Volk vorzulegen. "Genau dies setzt die Regierung jetzt ja um."

 Tschannen macht aber auch klar, wo die Grenzen sind: "Wenn die Regierung Plakate herstellen und aushängen lassen, ein eigenes Komitee bilden oder andere Komitees aus schwarzen Kassen finanzieren würde, dann wäre das nicht zulässig."
 fab/nb

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BDP kritisiert die Regierung

 Kanton BernDie BDP-Delegierten sind ziemlich klar gegen die Waffeninitiative und wesentlich klarer für den Ersatz des AKW Mühleberg.

 Es sei das Markenzeichen der BDP, dass sie unterschiedliche Meinungen zulasse, sagte BDP-Kantonalpräsident Urs Gasche gestern Abend in Langnau. Er zeigte sich stolz darauf, dass an der Delegiertenversammlung innerhalb der Partei verschiedene Meinungen zur Waffeninitiative diskutiert werden konnten. Einig wurden sich die Delegierten nicht: Mit 94 zu 25 Stimmen folgten sie aber der schweizerischen Mutterpartei und beschlossen die Nein-Parole. Damit setzte sich Grossrat Lorenz Hess (Stettlen) durch, der die Vorlage vorab wegen des Schiesssports bekämpfte und "weil die Initiative halt gegen die Armee geht". Sein Ratskollege Bernhard Riem (Iffwil) vermochte nicht zu überzeugen, als er sagte, es gehe um ein "birebitzeli mehr Sicherheit auf der einen und ein birebitzeli weniger Freiheit auf der andern Seite".

 In der zweiten Vorlage ging es, so Gasche, um die Frage, "ob wir im Kanton Bern in der Energieversorgung weiterhin bei den Grossen sind oder ob vom Tisch der Grossen etwas zu uns hinuntertröpfelt". Als es um die Parolenfassung ging, liess Gasche als BKW-Verwaltungsratspräsident die Versammlung allerdings von Vizepräsident und Grossrat Samuel Leuenberger (Trubschachen) leiten. Dieser sah sich aus "aktuellem Anlass" gezwungen, die gestrige Medienkonferenz der Berner Energiedirektorin Barbara Egger zu kommentieren. Obwohl der Grosse Rat deutlich beschlossen habe, gegen aussen ein positives Zeichen für den Ersatz des AKW Mühleberg zu setzen, habe sie gestern im Namen der Gesamtregierung ihr Nein bekräftigt (siehe auch Seite 13).

 Wenn sich die Gesamtregierung offiziell gegen einen Entscheid des Grossen Rates stel-le, sei das "staatspolitisch äusserst bedenklich". Leuenberger sprach gar von einem "offenen Bruch zwischen Parlament und Regierungsrat". SP-Grossrat Andreas Hofmann (Steffisburg) hatte einen schweren Stand, als er gegen BDP-Grossrat Mathias Tromp gegen den Ersatz des AKW Mühleberg argumentierte. Mit 108 zu 12 Stimmen sagte die BDP Ja zum AKW-Ersatz.
 sgs

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Langenthaler Tagblatt 19.1.11

Langenthaler Tagblatt Bern

 "Zwischenlager gehört einfach dazu"

AKW-Abstimmung Barbara Egger präsentiert Regierungshaltung - Kritik vom Grossratspräsidenten

Samuel Thomi

 Wie mehrfach angekündigt, verteidigte Energiedirektorin Barbara Egger gestern im Berner Rathaus an einer umstrittenen Medienkonferenz noch mal das Nein der Kantonsregierung zu einem neuen AKW in Mühleberg: "Der Regierungsrat ist nicht bereit, Stadt und Region Bern länger als unbedingt nötig diesem Risiko auszusetzen", so die SP-Frau (vgl. auch Montagsausgabe). Das Risiko eines Störfalls sei zwar gering, könne aber nie ausgeschlossen werden. Zudem sei die AKW-Technologie "veraltet, teuer und schädlich" für die Umwelt: "Kein innovatives Unternehmen, das Geld verdienen will, würde unter diesen Umständen heute noch in ein AKW investieren."

 Egger betonte, es gehe bei der Konsultativabstimmung vom 13. Februar nicht um ein Ja oder Nein zu einem baureifen Projekt, sondern um den Grundsatz. So haben die drei Elektrizitätsunternehmen BKW, Axpo und Alpiq beim Bund je auch erst ein Rahmenbewilligungsgesuch eingereicht; wozu die Kantone nun Stellung nehmen können. Für Bern hat der Grosse Rat beschlossen, diese freiwillig dem Volk vorzulegen. Den Bernerinnen und Bernern empfiehlt das bürgerlich dominierte Parlament mit 91 zu 53 Stimmen (7 Enthaltungen) deutlich ein Ja. Im Gegensatz dazu machte auch der mehrheitlich rot-grüne Regierungsrat nie einen Hehl aus seiner ablehnenden Haltung gegenüber neuen AKW.

 "Dem Parlament Rechnung tragen"

 Bereits kurz nach dem gestrigen Auftritt kritisierte Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP/Meiringen) Egger scharf. Es stehe dem Regierungsrat nicht zu, sich über Aufträge des Grossen Rates hinwegzusetzen, teilte er in einem offenen Brief mit. Und die Legislative habe von der Exekutive eine positive Stellungnahme verlangt. Zumindest, so Fischer, müsste die Regierung Zurückhaltung üben und der befürwortenden Parlamentsmehrheit ebenfalls Rechnung tragen.

 Egger legitimierte ihren Auftritt mit der Bedeutung des Themas: "Letztlich geht es darum, ob sich unser Kanton für weitere 50 Jahre und länger mit Atomkraft binden will." Wobei, so Egger, die Frage der Entsorgung der radioaktiven Abfälle für sie eine ebenso wichtige Bedeutung habe: "Niemand, keine Gemeinde, kein Kanton und kein Land der Welt will bekanntlich radioaktive Abfälle bei sich lagern."

 Dem hielt Martin Pfisterer, Mitglied der BKW-Leitung, gegenüber SFR gestern entgegen, der Betrieb des allfälligen Zwischenlagers sei nach der Abschaltung von Mühleberg II in 90 Jahren "nur in einer Übergangszeit" geplant.

 Dafür, dass in den letzten Tagen das ebenfalls mit dem AKW geplante Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle für einigen Wirbel sorgte (az Langenthaler Tagblatt von gestern), zeigte Egger wenig Verständnis: "Ein Zwischenlager gehört einfach zu einem Atomkraftwerk." Selber habe sie in den öffentlich zugänglichen Akten zum Rahmenbewilligungsgesuch davon gelesen.

 Auch die SVP prüft nun Beschwerde

 Der gestrige Regierungsauftritt provoziert derweil weitere Kritik: "Barbara Egger hat die Pflicht zur objektiven Information verletzt", so die SVP. Die Regierung "hintertreibt seit Wochen systematisch" den Beschluss des Parlaments zum Ersatz der AKW Mühleberg. So prüft nach den AKW-Gegnern nun auch die bernische Volkspartei eine Stimmrechtsbeschwerde.

 Auch die BDP hält das Vorgehen der Regierung für "politisch unklug". Einerseits habe diese einen Beschluss des Grossen Rates umzusetzen, andererseits befürchtet die BDP, der Regierungsrat belaste so unnötigerweise das Verhältnis zum Grossen Rat.

 Für FDP-Präsident Peter Flück ist es zwar legitim, dass auch die Regierung ihre Haltung darlegen kann; sie habe dazu aber schon genug Gelegenheiten gehabt, sagte er der SDA.

 Ferner begrüssen die Grünen Kanton zwar die ablehnende Regierungshaltung zur Konsultativabstimmung, kritisieren Eggers Ausführungen dennoch: "Der Regierungsrat verharmlost das geplante Atommülllager." In Mühleberg ein Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle "durch die Hintertür" einzuführen, sei "unredlich".

 Kommentar rechts

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Kommentar

 Wichtige Infos vorenthalten

Samuel Thomi

 Die Nerven vor der Konsultativabstimmung über ein neues AKW in Mühleberg liegen blank: Zuerst drohte die BKW, wegen steigenden Widerstands müsse der Ausbau der neuen erneuerbaren Energien reduziert werden. Hinzu kommen fast täglich neue Pro- oder Kontra-Komitees. Aktueller Höhepunkt: der gestrige Auftritt Barbara Eggers. Obwohl die Energiedirektorin namens des Regierungsrates kaum Neues erzählte, provozierte sie in Windeseile eine Flut von Widersprüchen. Egger sagte ferner, schon immer vom ebenfalls geplanten Zwischenlager in Mühleberg gewusst zu haben.

 Ob zutreffend oder nicht: Diese Aussage überrascht. Allgemein bekannt war bisher, dass die zusammen mit Mühleberg II geplanten Zwischenlager weder in der vorberatenden Kommission noch in der Grossratsdebatte Thema waren. Egger dafür einen direkten Vorwurf zu machen, wäre aber zu einfach: Es ist zu Recht nicht Aufgabe des Regierungsrates, das Abstimmungsbüchlein zu texten. Dennoch steht zumindest die Verwaltung der dafür zuständigen Grossratskommission zur Verfügung. Diese Hol- und Bringschuld wiederum stellt dem Milizsystem respektive allen Grossrätinnen und Grossräten inklusive der Medien als Vierte Gewalt kein gutes Zeugnis aus. Offenbar vertraute man lieber blind vorhandenen Positionen, statt das Rahmenbewilligungsgesuch selber zu lesen.

 Hier setzt schliesslich berechtigt die Kritik an der BKW ein. Ginge es dem bernischen Energiekonzern im Abstimmungskampf ernsthaft um Information, hätte er die im Volk womöglich emotionalsten Seiten des Projektes von sich aus aktiv thematisiert: den konkreten Umgang mit dem hochgefährlichen Atomabfall des neuen AKWs in Mühleberg.

 samuel.thomi@azmedien.ch

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Thuner Tagblatt 19.1.11

Ein undemokratischer Affront

 Chefredaktor  René E. Gygax  über die Stellungnahme des Regierungsrates zur Mühleberg-Abstimmung

 Die Stellungnahme des bernischen Regierungsrates gegen einen Grossratsbeschluss ist ein Affront sondergleichen. Es geht hier nicht um die Frage pro oder contra Atomenergie, sondern um die demokratischen Spielregeln.

 Der Regierungsrat hat auszuführen, was der Grosse Rat beschliesst. Dieser hat mit deutlichem Mehr eine positive Stellungnahme des Kantons Bern zu Mühleberg beschlossen. Entscheiden wird abschliessend das Volk. Der Regierungsrat hat dazu im Vorfeld der Abstimmung schlicht und einfach zu schweigen. Seine Stellungnahme ist umso bedeutungsloser, wenn man annehmen kann, dass sie im Verhältnis 4:3 gefallen ist.

 Es ist typisch für die linksgrüne "Viererbande" Egger-Perrenoud-Pulver-Rickenbacher: Vornedurch gibt sie landauf landab vor, die Wirtschaft und den Tourismus in diesem Kanton zu fördern. Und hintenherum schadet sie ihm wie jetzt mit dieser Stellungnahme.Wirtschaft und Tourismus befürworten Mühleberg fast geschlossen. Sie werden besser wissen warum als die knappe Mehrheit der Kantonsregierung. Unternehmer und Touristiker tragen eine langfristige Verantwortung für wirtschaftliches Gedeihen, für Umwelt und Arbeitsplätze. Viele Politiker nur bis zu ihrem Rücktritt.

 Oder ihrer Abwahl. Die Wählerinnen und Wähler des Kantons Bern sind gut beraten, sich diese undemokratische Haltung der gegenwärtigen Regierungsräte bis zu den nächsten Wahlen gut zu merken.

 re.gygax@bom.ch

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20 Minuten 19.1.11

AKW-Abstimmung: Der Zoff geht weiter

 BERN. Wer ist nun dafür verantwortlich, dass im AKW-Abstimmungstext nichts von einem Zwischenlager für hochradioaktiven Atommüll steht? Während der bernische Grossratspräsident Gerhard Fischer die Schuld dem Regierungsrat in die Schuhe schiebt (20 Minuten berichtete), weist Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer den Vorwurf entschieden zurück: "Für die Abstimmungsbotschaft ist der Grosse Rat beziehungsweise sein Büro zuständig."

 Es sei aber allgemein bekannt, dass jedes AKW am Standort auch ein Lager für radioaktive Abfälle habe. Für Wirbel sorgte zudem, dass Egger-Jenzer gestern vor den Medien erneut für die ablehnende Haltung des Regierungsrats zum Atomstrom warb. Für die SVP hat die Energiedirektorin die "Pflicht zur objektiven Information klar verletzt". Die Regierung hätte laut Fischer der befürwortenden Parlamentsmehrheit Rechnung zu tragen. Sogar die Grünen kritisierten die Regierung: Sie verschweige, dass in Mühleberg auch Müll von anderen AKWs gelagert werden solle. big

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NZZ 19.1.11

Regierung gegen AKW-Neubau

 Berner Parlament war dafür

 dgy. Bern · Der Kanton Bern steht am Abstimmungswochenende vom 13. Februar ganz besonders im Fokus: einerseits wegen der Ersatzwahl in den Ständerat, zu der mit Adrian Amstutz, Christa Markwalder und Ursula Wyss drei politische Schwergewichte antreten, und andererseits wegen der Volksabstimmung über den Neubau des KKW Mühleberg. Beide Fälle habe eine gewisse Signalwirkung über den Kanton hinaus - und in beiden Fällen gehen die Emotionen hoch: Am Dienstag sorgte die Berner Regierung für Aufregung, als sie Argumente gegen den Ersatz des KKW Mühleberg präsentierte.

 SVP protestiert

 Juristisch hat die bevorstehende Abstimmung zwar kaum Folgen: Es geht um die Frage, wie sich der Kanton Bern in der Vernehmlassung des Bundes zu einem Neubau des AKW stellt. Die Abstimmung entscheidet aber de facto über den Standort Mühleberg und gilt zudem als Stimmungstest im Hinblick auf einen nationalen Urnengang über den Bau eines neuen AKW. Die Berner Regierung, in der Rot-Grün über eine Mehrheit verfügt, ist klar gegen die AKW-Pläne. Doch Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer kämpfte im letzten Jahr im Grossen Rat vergeblich dafür, dass sich der Kanton auch dagegen ausspricht. Das bürgerlich dominierte Parlament setzte mit glasklarer Mehrheit eine positive Stellungnahme durch. Am 13. Februar wird dieser Beschluss den Stimmberechtigten vorgelegt.

 Am Dienstag sagte Egger an einer Pressekonferenz dennoch, die bernische Regierung erachte die Atomkraft als veraltet, teuer und schädlich für die Umwelt. Das Risiko eines Störfalls sei zwar gering, könne aber nicht ausgeschlossen werden. Ausserdem sei die Entsorgungsproblematik ungelöst. Der Berner Grossratspräsident Gerhard Fischer (svp.) schrieb darauf in einem offenen Brief, die Exekutive habe die Aufgabe, klare Parlamentsentscheide zu vollziehen. Seine Partei ergänzte in einem eigenen Communiqué, Egger lasse keine Gelegenheit aus, "um ihre rein ideologisch begründete negative Haltung zu Mühleberg darzulegen". Auch FDP und BDP äusserten gemäss der Nachrichtenagentur SDA Kritik - wenn auch in verhaltenerem Ton.

 Abstimmungsbüchlein korrekt

 Barbara Egger-Jenzer ging an der Pressekonferenz auch auf die Kritik an den Abstimmungsunterlagen ein, in welchen das geplante Zwischenlager für radioaktive Abfälle nicht explizit erwähnt wird (NZZ 18. 1. 11). Jedes Atomkraftwerk habe am Standort immer auch ein Lager für radioaktive Abfälle, betonte sie. Diese Tatsache sei nie verschwiegen worden und sei im Rahmenbewilligungsgesuch auch enthalten.

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Basler Zeitung 19.1.11

Schlechter Kampagnenstart für Atomkraftbefürworter

 Fehlender Hinweis in Abstimmungsbüchlein des Kantons Bern auf geplantes Zwischenlager in Mühleberg sorgt für Unmut

 Stefan Boss

 Am 13. Februar findet im Kanton Bern eine Konsultativabstimmung statt. Es geht um mehr als bloss um ein neues Atomkraftwerk.

 Im Kanton Bern gehen zurzeit die Wogen hoch: Grund dafür ist, dass im Abstimmungsbüchlein zwei Zwischenlager für radioaktive Abfälle auf dem Gelände des geplanten AKW Mühleberg mit keinem Wort erwähnt werden. Am 13. Februar befindet die Bevölkerung über einen Ersatz des Atomkraftwerks westlich von Bern.

 Es gehe bei der Abstimmung nicht um ein Baugesuch, sondern um die Stellungnahme des Kantons Bern an den Bund, betonte SP-Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer gestern an einer Medienkonferenz. Das Volksverdikt ist für den Bund zwar nicht bindend, man geht aber davon aus, dass ein Nein des Kantons das Aus für Mühleberg II bedeuten würde. Die Abstimmung gilt als Stimmungstest, weil später die Schweizer Bevölkerung über den Bau neuer AKW befinden muss.

 Die Dimensionen der geplanten Zwischenlager in Mühleberg sind beträchtlich, wie die Zeitung "Der Bund" gestern schrieb. Ein Gebäude für hochradioaktive Abfälle soll 200 Meter lang, 80 Meter breit und 30 Meter hoch werden. Das Lager für mittel- und schwachradioaktive Abfälle soll 80 Meter lang, breit und hoch werden. Die Existenz der Zwischenlager sei nie verschwiegen worden, betonte Egger-Jenzer - und sei auch im Rahmenbewilligungsgesuch für Mühleberg II erwähnt.

 Die Gegner der Atomkraft können sich darüber freuen, dass die Zwischenlager weniger als vier Wochen vor der Abstimmung prominent zum Thema werden. Im Dezember hatte der "Beobachter Natur" herausgefunden, dass neben Mühleberg auch für die neuen AKW in Gösgen und Beznau Zwischenlager geplant sind. Diese sollen radioaktive Abfälle aus den neuen und aus den alten Atommeilern aufnehmen - bisher landeten diese in Würenlingen.

 Patzer des Grossen Rats

Die BKW Energie AG bemühte sich bisher, die Bedeutung der Zwischenlager in Mühleberg herunterzuspielen. Dies sorgt nun für Unmut: "Ich habe kein Vertrauen in ein Unternehmen, das nicht mit offenen Karten spielt", sagte die grüne Berner Nationalrätin Franziska Teuscher gestern zur BaZ. Den Stimmbürgern werde eine wesentliche Information vorenthalten. Das links-grüne Komitee "Nein zum AKW Mühleberg", dem Teuscher angehört, prüfe deshalb eine Abstimmungsbeschwerde.

 Verantwortlich für das Abstimmungsbüchlein ist aber der Grosse Rat des Kantons Bern. Die Grossräte haben das Gesuch der BKW für Mühleberg II offenbar nicht seriös studiert. Entsprechend fand das Thema auch nicht Eingang in die Abstimmungsinformationen.

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Blick 19.1.11

AKW-Zukunft Heisse Schlacht um Mühleberg

 Befürworter und Gegner eines neuen Atomkraftwerks im bernischen Mühleberg schenken sich nichts, denn es geht um sehr viel.

 Der Kanton Bern führt am 13. Februar eine Konsultativabstimmung zum Bau eines neuen Atomkraftwerks in Mühleberg durch. Das bisherige AKW muss gegen 2020 altersmässig vom Netz. Vom Ausgang dieser Abstimmung hängt viel ab. Bei einem Nein dürfte für den Berner Stromkonzern BKW ein neues AKW in weite Ferne rücken.

 Darum war es wohl kein Zufall, dass die Schweizer Grünen gestern ihren Wahlauftakt mit dem Thema "Nein zu neuen AKW" lancierten. "Das AKW Mühleberg produziert heute Strom für schlecht isolierte Kühlschränke, stromfressende Elektroheizungen und veraltete Waschmaschinen", sagte Vizepräsidentin Franziska Teuscher. Die Grünen fordern einen Energieeffizienzfonds, weil "ohne Geld gar nichts geht", wie Teuscher präzisierte. Im Gebäudebereich sei die energetische Sanierung erst mit der Teilzweckbindung der CO2-Abgabe so richtig in Schwung gekommen.

 Doch auch die rot-grüne Berner Regierung kam gestern aus der Deckung. Sie erachte die Atomkraft als veraltet, teuer und schädlich für die Umwelt, sagte die kantonale Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer (SP). Das Risiko eines Störfalls sei zwar gering, könne aber nicht ausgeschlossen werden. Damit widerspricht sie dem bürgerlich dominierten Berner Kantonsparlament. SVP- und BDP-Politiker schäumten.

 Für die Befürworter sind neue AKW unerlässlich - auch weil wegen der langen Verfahren und Einsprachen der Ausbau von erneuerbarer Energie in der Schweiz nicht möglich sei, wie die BKW argumentiert. Am Freitag will die Berner Wirtschaft für ein neues AKW Stimmung machen. "Wir kommen nicht um zwei neue AKW herum", sagt SVP-Nationalrat Hans-Ruedi Wandfluh. "Wenn eines davon in Bern steht, bekommen wir wenigstens auch ein paar Arbeitsplätze."

 Hubert Mooser

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Kommentar

AKW-Signale aus Bern

 Hubert Mooser  Politredaktor

 hubert.mooser@ringier.ch

 Nach der Katastrophe von Tschernobyl 1986 glaubten sich die Grünen auf der Siegerstrasse. Neue Atomkraftwerke hielt man für Hirngespinste politischer Dinosaurier. Und nicht einmal diese hielten neue AKW für realistisch. Zu lange die Verfahren, zu teuer der Bau, zu gross der Widerstand. So dachten sie auch noch bis nach der Jahrtausendwende.

 Am 13. Februar stimmen die Berner Stimmbürgerinnen und Stimmbürger darüber ab, ob sie ein neues Atomkraftwerk wollen. Spätestens 2020 muss das bisherige AKW Mühleberg vom Netz. Die BKW hat ein Gesuch für den Bau eines neuen Meilers am gleichen Standort eingereicht. Auch Axpo und Alpiq wollen zwei neue Atomkraftwerke bauen.

 Die Abstimmung im Februar hat nur konsultativen Charakter. Aber sie hat Signalwirkung. Ein Ja zu Mühleberg wäre ein empfindlicher Dämpfer für die Anti-AKW-Bewegung. Wenn es ihr im rot-grün regierten Kanton Bern nicht gelingt, eine Mehrheit zu überzeugen, wie wollen sie dies bei der nationalen Abstimmung 2013 erreichen? Dann geht es nämlich um die Rahmenbewilligung für ein neues AKW.

 Ein Nein würde dagegen die Gegner beflügeln wie in den Achtzigerjahren, als sie Atommeiler in Kaiseraugst AG und Graben BE verhinderten. Doch die Ausgangslage ist heute anders. Die Betreiber verkaufen AKW nicht nur als "saubere" Stromfabriken, sondern auch als Königsweg gegen den Klimawandel, weil CO2-frei. Ob man mit einer Technik aus den 70er-Jahren die Energie-und Klimaprobleme im Jahre 2050 lösen kann, ist allerdings eine andere Geschichte. Doch auch darum geht es am 13. Februar.

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Le temps 19.1.11

Une ministre bernoise torpille Mühleberg II

 La campagne sur la future centrale oppose gouvernement et parlement

Serge Jubin

 C'est une magistrate qui compte dans le canton de Berne. Barbara Egger-Jenzer, 54 ans, ancienne avocate, ministre socialiste des Travaux publics, des transports et de l'énergie depuis 2002. Son triomphe électoral en 2006 avait entraîné le basculement du Conseil d'Etat à gauche. Son vibrant plaidoyer contre la construction d'une nouvelle centrale nucléaire à Mühleberg, principe soumis au peuple bernois le 13 février, ne passe pas inaperçu dans une campagne très émotionnelle.

 Officiellement, mardi, Barbara Egger-Jenzer a répété la position du Conseil d'Etat bernois, à tout le moins de sa majorité de gauche, qui clame depuis le printemps 2006 qu'il entend faire sortir le canton de Berne du nucléaire à moyen terme. Peut-être a-t-elle abusé de sa position, car le Grand Conseil, dominé par les partis bourgeois, est lui favorable, à 91 contre 53, à Mühleberg II. L'"importance majeure" du scrutin, bien qu'il n'ait qu'une portée consultative - "Pour la première fois à l'échelle d'un canton, la population est appelée à se prononcer sur la question d'une nouvelle centrale nucléaire", relève-t-elle -, justifie à ses yeux la possible entorse institutionnelle.

 Entre autres arguments mêlant le rationnel, un soupçon d'ironie et sa forte conviction que l'avenir est au renouvelable, Barbara Egger-Jenzer a astucieusement surfé sur l'une des polémiques de la campagne. Il lui a été reproché d'avoir omis de mentionner, dans la brochure électorale, que la nouvelle centrale devra abriter, pour un temps au moins, les déchets qu'elle produit. La ministre s'est défendue: le contenu du dépliant officiel est de la responsabilité du Grand Conseil. Et personne, dit-elle, n'a jamais passé sous silence le fait que des déchets resteront quelques années en dépôt dans l'enceinte de la centrale.

 En montant ce non-incident en épingle, Barbara Egger-Jenzer joue une carte peut-être décisive: celle de l'entreposage des déchets. "Ce débat confirme que les centrales comportent des dangers, en raison de la radioactivité et des déchets produits. Dès que le nucléaire est abordé non plus sous un angle général et abstrait, mais par le biais d'éléments concrets tels que les déchets et leur entreposage, il est moins bien accepté, et ce par tous les milieux." Et d'asséner: "Les déchets radioactifs sont et resteront dangereux, qu'ils soient entreposés à Mühleberg, Würenlingen ou ailleurs."

 Fondamentalement, poursuit la magistrate, "la technologie nucléaire n'a pas d'avenir et aucune entreprise innovante ne misera sur une technologie dépassée". Elle note que "nous n'avons pas besoin demain de nouvelle centrale, mais au plus tôt dans vingt ans". Et qu'alors, "au rythme où vont les choses, qui sait où en sera la technologie? Qui aurait prédit, il y a vingt ans, ce que les téléphones portables, les ordinateurs et Internet permettent de faire aujourd'hui?" Pour elle, l'avenir, ce sont les énergies renouvelables. "Les spécialistes sont unanimes: nous sommes à l'aube d'une avancée technologique déclenchée par la hausse des prix de l'énergie et des matières premières." Barbara Egger-Jenzer se dit persuadée que, "dans vingt ou trente ans, plus personne ne voudra acheter de l'électricité nucléaire parce que tout le monde produira du courant meilleur marché sur sa propre toiture".

 Et de démonter, les uns après les autres, les arguments des partisans de Mühleberg II. La ministre est convaincue qu'une nouvelle centrale coûtera bien plus que les 7 à 9 milliards annoncés, constatant que "les centrales ne sont plus finançables aujourd'hui sans l'aide de l'Etat". Les 1300 emplois que Mühleberg II permettrait de conserver? "Une nouvelle centrale ne créera pas de postes nouveaux, alors que les énergies renouvelables généreront un grand nombre d'emplois."

 La droite bernoise a condamné ces propos: selon le Parti bourgeois- démocratique (PBD), dont Berne est un des bastions, la ministre socialiste a agi de façon "problématique" en ne défendant pas la position du parlement dans ce dossier.

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Schweiz Aktuell sf.tv18.1.11

Atomstreit

Die Berner Regierung spricht sich erneut gegen Mühleberg aus und wird dafür scharf kritisiert.
http://videoportal.sf.tv/video?id=010c1ff1-f3f6-4282-9ef9-1addc68a240e

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Blick am Abend 18.1.11

Rat sagt Ja, Regierung Nein

 AUFTAKT

 Heisser als ein Brennstab: Der AKW-Abstimmungskampf geht in die entscheidende Phase.

 Die bernische Regierung hat heute ihre ablehnende Haltung zum Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg bekräftigt. Aus Sicht der Kantonsregierung ist die Atomkraft veraltet, gefährlich, teuer und unnötig. Die bevorstehende Abstimmung zu "Mühleberg" sei zwar nur konsultativ, aber dennoch von grosser Bedeutung, sagte Energiedirektorin Egger-Jenzer. Dem Regierungsrat sei es vor der Abstimmung ein Anliegen, seine Ansicht dem Volk nochmals kundzutun. Anders als das Kantonsparlament lehne die Regierung ein neues Atomkraftwerk im Kanton Bern ab.

 Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) übt scharfe Kritik am Regierungsrat. Er stösst sich daran, dass die rot-grün dominierte Kantonsregierung heute Dienstag erneut vor den Medien für ein Nein zu "Mühleberg" warb. SDA/pp

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derbund.ch 18.1.11

Regierung weiter gegen Atomkraft

sda / el

 Die bernische Regierung hat am Dienstag ihre ablehnende Haltung zum Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg bekräftigt. Derweil übt der Grossratspräsident scharfe Kritik am Regierungsrat.

 Anders als das Kantonsparlament lehne die Regierung ein neues Atomkraftwerk im Kanton Bern ab, weil die Atomkraft keine Zukunft habe und zudem veraltet, gefährlich, teuer und unnötig sei. Das Risiko eines Störfalls sei zwar gering, sagte die bernische Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer. Völlig auszuschliessen sei ein solcher aber nicht.

 Die bevorstehende Abstimmung zu "Mühleberg" sei zwar nur konsultativ, aber dennoch von grosser Bedeutung, sagte Egger-Jenzer. Dem Regierungsrat sei es vor der Abstimmung ein Anliegen, seine Ansicht dem Volk nochmals kundzutun.

 Die Regierungsrätin äusserte sich auch zum Zwischenlager, das dieser Tage zu reden gegeben hatte. Grundsätzlich sei für die Abstimmungsbotschaft der Grosse Rat beziehungsweise sein Büro zuständig, hielt sie fest.

 Jedes Atomkraftwerk habe am Standort immer auch ein Lager für radioaktive Abfälle. Ein Zwischenlager am Standort sei also immer Bestandteil eines Atomkraftwerkes beziehungsweise eines Projektes für ein AKW. Dieser Sachverhalt sei nie verschwiegen worden und im Rahmenbewilligungsgesuch enthalten, sagte Egger-Jenzer.

 Atomkraftwerke seien eben gefährlich, und das nicht zuletzt wegen der Radioaktivität und deren Abfälle. Dieser Sachverhalt sei in der Abstimmungsbotschaft aus ihrer Sicht genügend gut dargestellt, sagte Egger-Jenzer.

 Grossratspräsident übt scharfe Kritik an Regierung

 Der bernische Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP/ Meiringen) übt scharfe Kritik am Regierungsrat. Er stösst sich daran, dass die rot-grün dominierte Kantonsregierung erneut vor den Medien für ein Nein zum AKW Mühleberg warb.

 Schliesslich habe der Grosse Rat die Vorlage klar zur Annahme empfohlen, hält Fischer in einem offenen Brief an die Regierung fest. Der Entscheid des bürgerlich dominierten Parlaments fiel mit 91 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen.

 Die Exekutive hätte eigentlich die Aufgabe, Parlamentsentscheide zu vollziehen, "nicht zuletzt auch aus demokratischem Verständnis", schreibt Fischer. Zumindest müsste sie grosse Zurückhaltung üben und den Argumenten der befürwortenden Parlamentsmehrheit gebührend Rechnung tragen.

 Beides sei nicht geschehen, schreibt Fischer. Im Namen des Parlaments verurteile er das Vorgehen der Regierung. Denn "nicht alles, was nicht ausdrücklich untersagt ist, entspricht gutem politischem Stil", betont Fischer.

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bernerzeitung.ch 18.1.11

Berner Grossratspräsident kritisiert Regierung scharf

sda / gbl

 Der bernische Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP/ Meiringen) übt scharfe Kritik am Regierungsrat. Er stösst sich daran, dass die rot-grün dominierte Kantonsregierung am Dienstag erneut vor den Medien für ein Nein zum AKW Mühleberg warb.

 Schliesslich habe der Grosse Rat die Vorlage klar zur Annahme empfohlen, hält Fischer in einem offenen Brief an die Regierung fest. Der Entscheid des bürgerlich dominierten Parlaments fiel mit 91 zu 53 Stimmen bei 7 Enthaltungen.

 Die Exekutive hätte eigentlich die Aufgabe, Parlamentsentscheide zu vollziehen, "nicht zuletzt auch aus demokratischem Verständnis", schreibt Fischer. Zumindest müsste sie grosse Zurückhaltung üben und den Argumenten der befürwortenden Parlamentsmehrheit gebührend Rechnung tragen.

 Kritik an politischem Stil

 Beides sei nicht geschehen, schreibt Fischer. Im Namen des Parlaments verurteile er das Vorgehen der Regierung. Denn "nicht alles, was nicht ausdrücklich untersagt ist, entspricht gutem politischem Stil", betont Fischer.

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Regierungsrat will künftig kein AKW-Risiko mehr

sda / tan

 Die bernische Regierung hat am Dienstag ihre ablehnende Haltung zum Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg bekräftigt.

 Aus Sicht der Kantonsregierung ist die Atomkraft veraltet, gefährlich, teuer und unnötig, wie es in einer Mitteilung heisst. Anders als das Kantonsparlament lehne die Regierung ein neues Atomkraftwerk im Kanton Bern ab, weil die Atomkraft keine Zukunft habe. "Der Regierungsrat ist nicht bereit die Stadt und Region Bern länger als unbedingt nötig diesem Risiko auszusetzen", stellte Energiedirektorin Barbara Egger-Jenzer klar. Das Risiko eines Störfalls sei zwar gering, sagte sie . Völlig auszuschliessen sei ein solcher aber nicht.

 Die bevorstehende Abstimmung zu "Mühleberg" sei zwar nur konsultativ, aber dennoch von grosser Bedeutung, sagte Egger-Jenzer. Dem Regierungsrat sei es vor der Abstimmung ein Anliegen, seine Ansicht dem Volk nochmals kundzutun.

 Zwischenlager nie verschwiegen

 Die Regierungsrätin äusserte sich auch zum Zwischenlager, das dieser Tage zu reden gegeben hatte. Grundsätzlich sei für die Abstimmungsbotschaft der Grosse Rat beziehungsweise sein Büro zuständig, hielt sie fest.

 Jedes Atomkraftwerk habe am Standort immer auch ein Lager für radioaktive Abfälle. Ein Zwischenlager am Standort sei also immer Bestandteil eines Atomkraftwerkes beziehungsweise eines Projektes für ein AKW. Dieser Sachverhalt sei nie verschwiegen worden und im Rahmenbewilligungsgesuch enthalten, sagte Egger-Jenzer.

 Atomkraftwerke seien eben gefährlich, und das nicht zuletzt wegen der Radioaktivität und deren Abfälle. Dieser Sachverhalt sei in der Abstimmungsbotschaft aus ihrer Sicht genügend gut dargestellt, sagte Egger-Jenzer.

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be.ch 18.1.11

Medienmitteilung des Kantons Bern

Volksabstimmung vom 13. Februar 2011: Regierungsrat sagt Nein zum Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg (18.01.2011)

Der Regierungsrat des Kantons Bern setzt in seiner Energiepolitik auf erneuerbare Energien und Energieeffizienz. Im Gegensatz zum Grossen Rat lehnt er deshalb einen Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg ab. Aus Sicht der Kantonsregierung ist die Atomkraft veraltet, gefährlich, teuer und unnötig.

Zur Dokumentation

Am Wochenende vom 13. Februar 2011 befinden die Stimmberechtigten des Kantons Bern über die Stellungnahme des Kantons zum geplanten Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg. Am Dienstag (18.01.2011) hat die bernische Energiedirektorin, Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer, an einer Medienkonferenz in Bern die Position der Kantonsregierung zu dieser Frage dargelegt. Sie betonte, dass der Regierungsrat sehr froh ist, dass sich das Volk zum Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg äussern kann.

Der Regierungsrat lehnt ein neues Atomkraftwerk im Kanton Bern ab, weil die Atomkraft seiner Ansicht nach eine uralte Technologie ist, die keine Zukunft hat. Die Entsorgungsproblematik sei trotz intensiver Suche seit 40 Jahren ungelöst. Die Zukunft gehöre den erneuerbaren Energien. "Heute stehen wir vor einem technologischen Durchbruch, welcher insbesondere auch durch steigende Energie- und Rohstoffpreise ausgelöst wird", stellte die Energiedirektorin fest. Die Kantonsregierung erachtet die Atomkraft als gefährlich und schädlich für die Umwelt. Das Risiko eines Störfalls sei zwar gering, könne jedoch nicht völlig ausgeschlossen werden, gab Regierungsrätin Egger-Jenzer zu bedenken. "Der Regierungsrat ist nicht bereit die Stadt und Region Bern länger als unbedingt nötig diesem Risiko auszusetzen", stellte sie klar.

Ein neues Atomkraftwerk ist aus der Sicht der Kantonsregierung unnötig. "Der Regierungsrat ist überzeugt, dass unsere Energieversorgung in 20 Jahren auch ohne Atomkraft möglich ist", führte die Energiedirektorin aus. Das zu diesem Zeitpunkt europaweit vorhandene Potenzial an erneuerbaren Energien würde zusammen mit einer höheren Energieeffizienz ausreichen, um den Strombedarf zu decken. Der Atomstrom ist nach Ansicht des Regierungsrats zudem zu teuer, da der Bau von Atomkraftwerken mit grossen finanziellen Risiken verbunden ist. Schliesslich würde die bernische Wirtschaft vom Bau des neuen Atomkraftwerks kaum profitieren. Das Kraftwerk würde nämlich zu einem sehr grossen Teil von ausländischen Firmen und Experten gebaut. "Demgegenüber schaffen erneuerbare Energien und Massnahmen zur Steigerung der Energieeffizienz viele neue Arbeitsplätze hier bei uns im Kanton", gab die kantonale Energiedirektorin zu bedenken.
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Dokumentation

* Referat Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer, Bau-, Verkehrs- und Energiedirektorin (PDF, 49 KB)
http://www.portalbackend.be.ch/public/media/DisplayFile.aspx?fileId=55540817811715309&linkId=6511722921771111907&linkName=Referat
%20Regierungsr%E4tin%20Barbara%20Egger-Jenzer,%20Bau-,%20Verkehrs-%20und%20Energiedirektorin
Rahmenbewilligung "Ersatz KKW Mühleberg"
* Faktenblatt Energie (PDF, 24 KB)
http://www.portalbackend.be.ch/public/media/DisplayFile.aspx?fileId=55480647810413608&linkId=6510047621769810206&linkName=Faktenblatt%20Energie

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Bund 18.1.11

Atommülllager fehlt im Abstimmungsbüchlein

 Mit einem neuen Atomkraftwerk würden in Mühleberg auch zwei grosse Zwischenlager für Atommüll entstehen - möglicherweise für Jahrzehnte. Diese Information fehlt im Abstimmungsbüchlein des Grossen Rats. AKW-Gegner prüfen eine Beschwerde.

 Simon Thönen

 In diesen Tagen finden die bernischen Stimmberechtigten das Abstimmungsbüchlein des Grossen Rats in ihren Briefkästen. Eine zentrale Information zur wichtigsten Vorlage am 13. Februar, der konsultativen Abstimmung über ein neues Atomkraftwerk in Mühleberg, werden die Berner und Bernerinnen jedoch vergeblich suchen: Mit dem neuen AKW entstünden auch zwei grosse Zwischenlager für Atommüll in Mühleberg.

 Den Stimmbürgern fehle "eine entscheidende Information für ihre Entscheidfindung", kritisierte gestern das Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg". Man prüfe deshalb eine Beschwerde gegen die Abstimmungsbotschaft.

 Aufgeschreckt durch diese Ankündung liess Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) gestern beim Ratssekretariat die Rechtslage abklären. "Die Abstimmungsbotschaft ist korrekt", sagt Fischer - und begründet dies formal: "Das Volk im Kanton Bern stimmt nicht über den Bau eines Kernkraftwerks oder eines Zwischenlagers ab, sondern über eine grundsätzliche Stellungnahme des Kantons an den Bund." Zudem sei es darum gegangen, die Debatte im Grossen Rat abzubilden, sagt Fischer, "und da war das Zwischenlager kein Thema". Dies allerdings deshalb, weil die Grossräte - ob für oder gegen AKW - das Gesuch der BKW Energie AG für Mühleberg II schlicht nicht studiert haben.

 Grosse Atommülllager

 Im Gesuch der BKW hätten die Kantonsparlamentarier nachlesen können, dass die BKW mit Mühleberg II auch zwei grosse Müll-Zwischenlager plant.

 Das Gebäude für hoch radioaktive Abfälle würde 200 Meter lang, 80 Meter breit und 30 Meter hoch. Es ist Platz eingeplant für die Brennstäbe aus dem neuen und auch dem alten AKW Mühleberg - und sogar für Abfall aus "anderen schweizerischen Kernanlagen". Falls die Brennstäbe in einem Wasserbecken gelagert würden, gälten laut BKW-Sprecher Antonio Sommavilla für das Gebäude "vergleichbare Schutzanforderungen wie für das Reaktorgebäude". Bei einer Trockenlagerung müssten die Stäbe in den massiven Castor-Sicherheitsbehältern aufbewahrt werden.

 Das Gebäude für schwach- und mittelaktive Abfälle wäre je 80 Meter lang, breit und hoch. Zu 70 Prozent würde es mit Abfällen gefüllt, die beim Abriss des alten AKW entstünden.

 AKW und Mülllager im Kombi

 Das sehr grosse Volumen der Atommülllager erklärt sich durch eine brisante Aussage im Gesuch: Für den Fall, dass während der Betriebszeit und sogar noch bei der Stilllegung von Mühleberg II "kein geologisches Tiefenlager zur Verfügung steht", könnten alle Abfälle in den Zwischenlagern verstaut werden. Im Klartext: Die BKW plant die Option ein, dass es bis Ende der Laufzeit des neuen AKW - das heisst bis etwa 2090 - keine definitive Lösung für das Atommüllproblem gefunden wird (siehe Text rechts). Mühleberg II wäre dann also Atomkraftwerk und Atommülllager in einem.

 All dies steht im Gesuch der BKW, das im Internet zugänglich ist. "Wir weisen den Vorwurf der Verheimlichung zurück", sagt deshalb Sommavilla. Gegenüber einer breiteren Öffentlichkeit hat die BKW die Zwischenlager allerdings nicht oder kaum thematisiert. In der Abstimmungszeitung etwa, welche die BKW in alle bernischen Haushalte verteilen liess, steht davon kein Wort. Das Publikum im Kanton Bern dürfte erstmals von den Zwischenlagern erfahren haben, als die Zeitschrift "Beobachter" und gestützt darauf der "Bund" darüber berichteten (24.12.). Die BKW gab sich damals auf Anfrage grösste Mühe, die Lager herunterzuspielen. Die Rede war von einer blossen "Option" und einer Mülllagerung "bis zum Abtransport".

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Kommentar

 BKW betreibt Propaganda

Simon Thönen

 Mit einem neuen Atomkraftwerk entstünden in Mühleberg auch noch zwei grosse Zwischenlager für Atomabfälle - diese Information dürfte vor der kantonalen Abstimmung über Mühleberg II viele Stimmberechtigte interessieren. Die Mühleberg-Gegner kritisieren deshalb zu Recht, dass sie im offiziellen Abstimmungsbüchlein des Grossen Rats fehlt.

 Der BKW Energie AG kann man nicht direkt vorwerfen, dass sie diesen Sachverhalt verheimlicht habe. Jedenfalls beschrieb sie in ihren Gesuchsunterlagen von 2008, die im Internet zugänglich sind, was sie in Mühleberg auch noch plant: zwei Müll-Zwischenlager, die so gross sind, dass sie nicht nur den Atomabfall aus dem alten und dem neuen AKW in Mühleberg aufnehmen könnten - sondern auch jenen aus anderen schweizerischen AKW.

 In erster Linie müssen sich die Politiker und auch die Medien deshalb bei der eigenen Nase nehmen: Bei umstrittenen Projekten gehört es zu ihrer ureigenen Aufgabe, Projektunterlagen kritisch zu lesen. Man sollte von Projektträgern nicht erwarten, dass sie dem Publikum die heiklen Punkte von sich aus auf die Nase binden.

 Die BKW will jedoch weit mehr sein als nur ein parteiischer Projektträger. Ihr Anspruch ist es, im Abstimmungskampf die sachliche Instanz zu sein, die die Bevölkerung kompetent und neutral informiert. Deswegen nimmt sich die Firma im Kantonsbesitz das Recht heraus, auf Kosten ihrer Kunden und Eigentümer eine "Informationszeitung" in alle bernischen Haushalte zu verteilen. Dass darin kein Wort zu den Zwischenlagern steht, entlarvt die "Information" als Abstimmungspropaganda. Gelohnt hat sich die selektive Information für die BKW nicht: Die Zwischenlager werden doch zum Thema - spät zwar, aber heftig.

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BZ 18.1.11

Was ein Zwischenlager bedeuten würde

 Mühleberg. Dass die BKW neben einem neuen AKW auch ein Zwischenlager für hoch radioaktive Abfälle plant, hat am Wochenende viel Staub aufgewirbelt. Mindestens 30 Jahre würden dort hoch radioaktive Abfälle gelagert.

 Schon beim heutigen Kernkraftwerk Mühleberg steht ein Zwischenlager - allerdings nur eines für schwach radioaktive Abfälle. Dort werden bloss Arbeitskleider und Werkzeuge und andere Materialen aufbewahrt, die irgendwie in Berührung mit strahlenbelastetem Material gekommen sind.

 Das wirklich heikle Material - die hoch radioaktiven verbrauchten Uranbrennstäbe - wird heute vom AKW Mühleberg in ein Zwischenlager in Würenlingen im Kanton Aargau gebracht. Dort werden bis heute alle Brennstäbe aus allen Schweizer Kernkraftwerken zwischengelagert. Sie bleiben aller Voraussicht nach so lange dort, bis die Schweiz ein eigenes Endlager hat. Weltweit gibt es heute noch kein Endlager für hoch radioaktive Abfälle.

 Bei den Plänen für das neue AKW Mühleberg hat die BKW nun eine ganz andere Strategie: Die Strategie sieht vor, dass alle radioaktiven Abfälle des neuen AKW - also auch die hoch radioaktiven Brennstäbe - bis zur Endlagerung statt in Würenlingen direkt neben dem neuen AKW in Mühleberg gelagert werden. Die Brennstäbe würden dort mindestens 30 Jahre bleiben.

 Dazu sind in Mühleberg zwei Hallen geplant, insgesamt so gross wie drei Fussballfelder. In der Halle für das hoch radioaktive Material (200 mal 80 Meter) sollen die verbrauchten Brennstäbe in riesigen Metallbehältern - sogenannten Castoren - gelagert werden. Ein einziger Behälter ist zwar rund 130 Tonnen schwer, bietet aber nur für einige Dutzend Brennstäbe Platz. Ein Brennstab ist einige Meter lang, etwa einen Zentimeter dick und wenige Kilogramm schwer. Bevor die verbrauchten Stäbe in die Behälter verpackt werden, müssen sie mehrere Jahre in riesigen Wasserbecken abgekühlt werden. Diese Abkühlung findet bereits heute in Mühleberg statt.

 Viel Wind um einen Hinweis

 In diesen Tagen wird im Kanton Bern das Abstimmungsmaterial zur Konsultativabstimmung über das neue AKW verschickt. Weil in den Abstimmungsunterlagen der Hinweis fehlt, dass mit einem neuen AKW auch ein neues Zwischenlager geplant ist, sorgt nun für Kritik. Zu Recht liess die BKW gestern indessen verlauten, dass sie die Pläne zum Bau eines Zwischenlagers nie verheimlicht habe. Sie hatte dies auf ihrer Homepage ausführlich aufgezeigt. Auch im öffentlich zugänglichen Rahmengesuch für das neue AKW wird der Plan eines Zwischenlagers dargelegt. Die Zeitschrift "Beobachter" hat im vergangenen Dezember denn auch ausführlich über die Pläne berichtet. Die AKW-Gegner hat das aber bislang kaum interessiert.

 Abstimmung verschieben?

 Das überparteiliche Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" hat gestern angekündigt, dass es wegen des fehlenden Hinweises auf das Zwischenlager in den Abstimmungsunterlagen eine Abstimmungsbeschwerde prüft.

 Das Komitee will darin fordern, dass der Kanton die Bevölkerung noch vor der Abstimmung nachinformieren muss. Ob dies eine Verschiebung der Abstimmung bewirken könnte, war gestern noch nicht klar.

 Offensichtlich ist indessen, dass es dem Komitee mit der Beschwerde nicht um den Standort des Zwischenlagers geht, sondern darum, den fehlenden Hinweis im Abstimmungskampf auszuschlachten. So sagt Komitee-Mitglied und EVP-Grossrat Josef Jenni gegenüber dieser Zeitung freimütig: "Der Standort des AKW Mühleberg ist nicht viel schlechter als jener in Würenlingen. Uns geht es darum, generell den Bau neuer Kraftwerke zu verhindern."
 ma

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20 Minuten 18.1.11

Atommüll-Zwila: Wer zieht schwarzen Peter?

 BERN. Nächste Runde im Knatsch um die AKW- Abstimmung: Im Debakel um das Zwischenlager schieben sich die Parteien nun gegenseitig den schwarzen Peter zu.

 Wer ist schuld daran, dass die Abstimmungsunterlagen zum AKW Mühleberg keine Informationen zum geplanten Zwischenlager für radioaktiven Atommüll enthalten? Für Grossratspräsident Gerhard Fischer (SVP) hat eine Fehleinschätzung des Regierungsrats zum Debakel geführt. "Die BKW hat in ihren Unterlagen an die Regierung offengelegt, dass es bei einem Ja ein Zwischenlager geben wird. Ob absichtlich oder nicht - der Regierungsrat hat das Lager nicht in die Abstimmungsunterlagen aufgenommen."

 Ins gleiche Horn bläst die BKW: "Dem Kanton war die Lage bekannt", sagt Sprecher Antonio Sommavilla.

 Anderer Meinung ist Roland Näf, Präsident der kantonalen SP. "Dass ein AKW ein Zwischenlager hat, ist normal. Die BKW hätte den Regierungsrat aber darüber informieren müssen, dass dieses bis zu 80 Jahre bestehen könnte." Die für das AKW zuständige Energiedirektorin Barbara Egger wollte gestern keine Stellung nehmen.

 Während die Schuldfrage ungeklärt bleibt, wird nach Lösungen gesucht. Die GFL Zollikofen prüft eine Stimmrechtsbeschwerde (20 Minuten von gestern). Näf indessen will eine Infokampagne: "Die Stimmbürger müssen jetzt rasch über das Zwischenlager informiert werden." Ein Nachversand zu den Abstimmungsunterlagen schliessen aber sowohl er als auch Fischer aus: Dafür sei es zu spät.  

Nora Camenisch

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NZZ 18.1.11

Kritik am Abstimmungsbüchlein

 Vor Berner AKW-Abstimmung

 dsc. · Die AKW-Betreiber wollen sich an den Standorten für neue Anlagen die Option offenhalten, radioaktive Abfälle in einer speziell ausgerüsteten Halle zu lagern, bis ein Tiefenlager in Betrieb gehen wird. Derzeit erfolgt dies für alle Schweizer Werke zentral im eigens dafür gebauten Zwischenlager in Würenlingen. Das Berner Komitee "Nein zum neuen AKW Mühleberg" kritisiert aber, dass dieser - in den Informationsunterlagen des Bundes und der Stromunternehmen erkennbare - Umstand im Abstimmungsbüchlein zum bevorstehenden Berner Urnengang über die kantonale Stellungnahme zum neuen AKW nicht thematisiert wird. Das Komitee prüfe nun eine Abstimmungsbeschwerde, heisst es in einer Mitteilung. Verlangt werden auch umfassende Informationen zum Projekt. Die Zwischenlagerung abgebrannter Brennstäbe in unmittelbarer Nähe von AKW wird indes bisweilen auch von Umweltschutzorganisationen gefordert.

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NZZ 18.1.11

Zunahme der AKW-Vorfälle

 Arbeiten in Mühleberg als Grund

 (sda) · Die Kernkraftwerke und weiteren Kernanlagen in der Schweiz sind 2010 zwar sicher gelaufen. Das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) registrierte in seiner provisorischen Bilanz jedoch 42 meldepflichtige Vorfälle. 2009 waren es 27 gewesen. Im AKW Leibstadt bekam ein Taucher bei Revisionsarbeiten eine überhöhte Strahlendosis an der Hand ab, muss aber keine gesundheitlichen Folgen befürchten. Auf der international gültigen Ereignisskala Ines - sie umfasst die Stufen 0 bis 7 - ordnete das Ensi diesen Vorfall der Stufe 2 zu. Die anderen 41 Vorkommnisse entsprachen der Stufe 0. Im AKW Mühleberg ereigneten sich 14 dieser Vorfälle. Diese Häufung sei vor allem auf Störungen bei der Inbetriebnahme neuer Ausrüstungen nach Modernisierungen zurückzuführen, so das Ensi.

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NZZ 18.1.11

Breite Nidwaldner Front gegen Atommüll

 Kantonale Abstimmung über die Vernehmlassung zum Tiefenlager-Standort Wellenberg

 Nidwalden stimmt über die Vernehmlassungsantwort des Regierungsrates zum Tiefenlager-Standort Wellenberg ab. Erwartet wird ein demonstratives Ja zum Widerstand.

 Martin Merki, Stans

 Empörung und Fassungslosigkeit kennzeichneten vor zwei Jahren die Stimmung im Kanton Nidwalden, als der Sachplan geologische Tiefenlager des Bundesamts für Energie (BfE) vorgestellt und der Wellenberg als einer von sechs Standorten für ein Lager für radioaktive Abfälle genannt wurde. Empörung darüber, dass es der Bundesrat gewagt hatte, den Wellenberg wieder ins Spiel zu bringen. Und Fassungslosigkeit angesichts der Tatsache, dass die spezielle Nidwaldner Ausgangslage übergangen worden war.

 Vier Nein gegen Wellenberg

 Tatsächlich hat Nidwalden ein Vierteljahrhundert lang um den Wellenberg gerungen. Viermal - zweimal an den Landsgemeinden 1988 und 1990 sowie zweimal an der Urne 1995 und 2002 - hatte das Nidwaldnervolk faktisch oder explizit Nein gesagt zum Vorhaben. Es werde im Wellenberg kein Tiefenlager geben, hatte zudem Bundesrat Moritz Leuenberger 2003 in der Antwort auf einen Vorstoss im Parlament gesagt.

 Die Empörung ist immer noch virulent. So werden Auftritte des BfE und der Nagra regelmässig von Demonstrationen begleitet, wie sie für Nidwalden eher ungewohnt sind. Im Tal zwischen dem Vierwaldstättersee und dem Titlis wird es nach wie vor als Affront empfunden, dass der Wellenberg wieder zum Thema geworden ist. Aus dem mit viel Aufwand inszenierten "Partizipationsverfahren" (siehe Zusatztext) haben sich die meisten Gemeinden, darunter Stans und Engelberg, unter Protest zurückgezogen. Ihre Stellungnahmen präsentierten Nidwalden und Obwalden kürzlich gemeinsam vor den Medien. Obwalden wehrt sich gegen ein Lager, weil es Nachteile für den Tourismusort Engelberg befürchtet.

 Und nun wird am 13. Februar das Nidwaldnervolk erneut an die Urne gerufen, weil die Stellungnahme des Regierungsrates zur Auswahl der Standortgebiete für ein Tiefenlager für radioaktive Abfälle gemäss Kantonsverfassung der Volksabstimmung unterliegt.

 Alle Parteien dagegen

 Dass es überhaupt zu dieser Abstimmung kommt, ist ebenfalls Teil der Wellenberg-Geschichte. Die Landsgemeinde genehmigte 1987 eine Initiative der linksgrünen Wellenberg-Opposition mit der Forderung, dass künftig Vernehmlassungen der Regierung in Sachen Tiefenlager vom Volk sanktioniert werden müssen.

 Bei der kantonalen Abstimmung vom 13. Februar wird allgemein mit einem demonstrativen Ja zur Vernehmlassung gerechnet, weil inzwischen alle Parteien und die Nidwaldner Regierung geschlossen gegen den Wellenberg als Standort eintreten.

 Die FDP hat an ihrer Versammlung gar einstimmig die Ja-Parole ausgegeben, um dem Regierungsrat in seiner Haltung Rückenwind zu geben. Das war früher klar anders. Bis zur Wellenberg-Abstimmung 2002 standen Regierung und bürgerliche Parteien im Lager der Endlager-Befürworter. In der Zwischenzeit haben viele einen Gesinnungswandel durchgemacht. Die ablehnenden Volksentscheide und die Pläne des Bundes haben die Nidwaldner zusammengeschweisst.

 Alpenfaltung geht weiter

 Neben den bereits genannten demokratiepolitischen Gründen, also dem Bekenntnis zu den ablehnenden Volksentscheiden, macht die Nidwaldner Regierung in ihrer Antwort an den Bundesrat geologisch-sicherheitstechnische Argumente geltend, warum das "Standortgebiet Wellenberg für die Tiefenlagerung von schwach- und mittelradioaktiven Abfällen nicht geeignet" ist. Die Regierung argumentiert gestützt auf ein Gutachten des Freiburger Uni-Geologen Jon Mosar, der an sich mächtige Wirtgesteinskörper sei von zahlreichen Scher- oder Bruchzonen durchzogen und weise vermutlich grössere Fremdgestein-Einschlüsse auf. Die Störzonen seien mit keiner bekannten Methode verlässlich und umfassend festzustellen. Bereits der heutige Stand des Wissens über die Bruchstellen erlaube eine Placierung eines Lagers mit dem geforderten Sicherheitsabstand nicht. Da die Alpenfaltung nicht abgeschlossen sei, müsse auch künftig mit Bewegung in den Gesteinsschichten und damit mit Veränderungen der Wasserfliesswege gerechnet werden.

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 Beschränkte Mitsprache der Standortregionen
 

 dsc. · Die Opposition gegen ein Tiefenlager im Wellenberg hat eine besondere politische Tradition, doch eine grundsätzlich ablehnende Haltung zeigt sich auch in den anderen von der Nagra vorgeschlagenen Standortregionen (Bözberg, nördlich Lägeren, Jurasüdfuss, Südranden und Zürcher Weinland). Im Gegensatz zu den früheren Verfahren zum Wellenberg liegen allerdings gemäss dem heutigen Kernenergiegesetz bei den Kantonen selber keine eigentlichen Entscheidungskompetenzen. Die Regionen können im Rahmen eines aufwendigen Partizipationsverfahrens aber zum einen kritische Fragen einbringen und sich zum anderen an der Erarbeitung von Ausgleichsmassnahmen für den Fall einer Realisierung beteiligen.

 Mitte dieses Jahres soll der Bundesrat aufgrund von Fachgutachten und Stellungnahmen entscheiden, welche Gebiete im Auswahlverfahren verbleiben. Der Ausgang der Nidwaldner Abstimmung im Februar ist einer dieser Positionsbezüge. Das Parlament und wohl auch das Volk (Referendumsmöglichkeit) werden am Ende dieses Jahrzehnts über die Realisierung der Tiefenlager-Projekte befinden. Das Lager für schwach- und mittelaktive Abfälle und das Lager für hochaktiven Atommüll sind unterschiedliche Bauvorhaben, es ist aber denkbar, dass am Schluss beide Anlagen am selben Standort realisiert werden. Am Wellenberg wäre indes nur die Lagerung von schwach- und mittelaktiven Abfällen möglich. Dass der Wellenberg trotz den früheren Verdikten wieder im Verfahren ist, lässt sich unter anderem damit erklären, dass die ersten Standortvorschläge allein gemäss wissenschaftlichen Kriterien zusammengestellt werden mussten. In ersten Gutachten zu diesen Nagra-Vorschlägen wurden aber zu gewissen geologischen Gegebenheiten am Wellenberg bereits Fragezeichen gesetzt.

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Schweiz Aktuell sf.tv 17.1.11

Zündstoff für Abstimmungskampf

In vier Wochen entscheiden die Stimmberechtigten des Kantons Bern in einer Konsultativabstimmung, wie es mit dem Atomkraftwerk weitergehen soll. Jetzt sorgt ein Aspekt für Aufregung: In Mühleberg ist nicht nur ein neues AKW geplant, sondern auch ein Zwischenlager für hochradioaktive Abfälle.
http://videoportal.sf.tv/video?id=5dac3b07-075d-445a-bb8f-b2a6d51db527