MEDIENSPIEGEL 5.2.11
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, Kino)
- (St)Reitschule. Leistungsvertrags-Gschtürm; Angriffe auf Polizei
- 30 Jahre AJZ: Langer Atem; Winterstadt erwache
- Schützenmatte: Securitas werden weggespart; nix Campus
- Clubleben: Regierungsstatthalter will "Bürgerwehr"
- RaBe-Info 1.-4.2.11
- Einbürgerung: Adam Riese und der Gebühren-Hess
- Asyl: Verschärfungen; Beschleunigungen
- Nothilfe: Kampagne; Alltag; Kritik
- Sans-Papiers: Kosten SZ
- Ausschaffungen: Vollzugsprobleme; Theater
- Migration Conrol: CH-Grenzwächter an EU-Aussengrenzen
- Blödsinn: Hakenkreuzhaus LU
- Bad Bonn: Petition für eine Zukunft mit Kultur
- Squat ZH: Tessinerkeller geräumt
- Rec Rec: Veit Stauffer im Inteview
- Gefangene: Knastspaziergänge BE + ZH
- Tieraktiv: Tierrechtsforum 2011
- Repression + Hetze: SP-Entschuldigung; Polizeisorgen; Extremismus-Märchen; Schnellgerichte
Anti-WEF: RAufbau vor Bundergericht; "Racketen"-Fall SG; Festnahmen-Nachwehen
- Police FR: Vorbeugende Massnahmen gegen Demonstrierende
- Police ZH: Cops gegen Kennzeichnung; Polizeiverordnung; Ausgangssicherheit
- Police LU: Kennzeichnungsfragen
- Ruhe & Ordnungen: Verlagerung statt Lösung in Frauenfeld
- Sicherheitsdieste: Schwarze Schafe
- Big Brother: Überwachung VD
- Weltsozialforum: Globalisierung von unten
-  Undercover: Heidelberg; Mark "Stone" Kennedy; Geldfragen
- Drogen: Koka + Bolivien; Neue Wege
- Alkohol: Milliardenschäden
- Sexwork LU: Strassenstrich + Wohngebiete; Mieten; Standorte
- Rechtsextremismus: Pnos-Eglin muss zahlen
- David Frankfurter: Schüsse in Davos
- SiKo München 2011
- Anti-Atom: Mühleberg; Gösgen; Axpo + 2 Grad; Niederamt; Leukämie; Initiative

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REITSCHULE
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So 06.02.11
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flomarkt und Brunch bis 16.00
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilme am Flohmi-Sonntag: Das Dschungelbuch, Wolfgang Reitherman, USA 1967
20.00 Uhr - Rössli - The Phenomenauts. - New Wave / Punk / Rockabilly

Di 08.02.11
20.30 Uhr - Kino - Uncut - Warme Filme am Dienstag: L'Arbre et la Foret, Olivier Ducastel, Frankreich 2010

Mi 09.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
19.00 Uhr - SousLePont - Mittelalter-Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von Paraform. Eine Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit

Do 10.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von Paraform. Eine Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
21.00 Uhr - Rössli - Pirol - Plattentaufe. Support: Quieta. --Indie/Noise/Shoegaze

Fr 11.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
20.30 Uhr - Kino - Ander, Roberto Castón, Spanien 2009
20.00 Uhr - Infoladen - Die extreme Rechte in "Social Networks". Veranstaltung der Antifa Bern mit Michael Weiss, Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Apabiz, Berlin
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von Paraform. Eine Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
23.00 Uhr - Dachstock - Patchwork: DOOM DJ-SET (aka MF DOOM/Lex Rec). Support: DJ Sassy J & ill dubio & ketepica -- Hiphop

Sa 12.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
21.00 Uhr - Kino - Ander, Roberto Castón, Spanien 2009
20.30 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum Valentinstag. Conférence: Sylvia Garatti
22.00 Uhr - Dachstock - MARTERIA (GER), Support: DJ's Kermit & Kid Silly -- Hiphop, Electro

So 13.02.11
19.00 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum Valentinstag. Conférence: Sylvia Garatti.
20.00 Uhr - Rössli - Gabriel Hirsch -- Indiepop

Mo 14.02.11
20.30 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum Valentinstag. Conférence: Sylvia Garatti

Infos:
http://www.reitschule.ch

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kulturagenda.be 3.2.11

Saga-hafte Rätsel

Die Schauspielerin Serena Wey bringt wieder einen Roman auf die Bühne, "Schattenfuchs" des isländischen Autors Sjón. Mit dem Musiker Benjamin Brotbeck spielt sie ihr Zweipersonenstück im Tojo.

"Schattenfuchs" ist eine rätselhafte Geschichte mit fantastischen Elementen der isländischen Sagas. Da gibt es einen Jäger auf der Jagd nach einer erdschwarzen Füchsin. Und eine tote Frau. Was ist passiert? Der Roman des isländischen Autors Sjón lebt von atmosphärischen Bildern und von der Spannung - am Schluss lösen sich alle Rätsel auf.
"Trotz seiner archaischen Sprache lässt sich der Text gut in unsere Zeit übersetzen ", sagt die Schauspielerin Serena Wey. Sie hat den Text zu einem Zweipersonenstück gemacht, hat ihn stark gekürzt, aber nicht umgeschrieben. Wey hat sich vor zwanzig Jahren auf die szenische Umsetzung von Romanen spezialisiert. Zuletzt spielte sie den "Schwimmer" nach Zsuzsa Bánk. Mit Serena Wey steht Benjamin Brotbeck auf der Bühne. Der Multiinstrumentalist ist für die Musik zuständig, die sich "auf Augenhöhe mit dem Text und dem Spiel" befinde, wie Wey betont. Brotbeck hat bereits bei mehreren Produktionen am Theater Basel mitgewirkt. Nun arbeitet er erstmals mit Serena Wey zusammen.

Michael Feller

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Tojo Theater, Bern. Mi., 2.2, bis Sa., 5.2., 20.30 Uhr. www.tojo.ch

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kulturagenda.be 3.2.11

Tippa Irie und Peter Hunnigale im Dachstock

Tippa Irie (Bild) und Peter Hunnigale sind zwei der wichtigsten Reggae-Vertreter Englands. Seit den 80er-Jahren machen sie immer wieder gemeinsame Projekte. Tippa Irie kennt man ausserdem von seiner Kooperation mit den Black Eyed Peas für die Single "Hey Mama". Im Dachstock präsentieren die beiden ihr riesiges Repertoire.
Dackstock in der Reitschule, Bern. Sa., 5.2., 22 Uhr

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kulturagenda.be 3.2.11

"Das Dschungelbuch" im Kino in der Reitschule
Der kleine Mowgli wird im Dschungel von den Wölfen grossgezogen. Als Tiger Shir Khan
dem Jungen nach dem Leben trachtet, bringt ihn Panther Baghira sicherheitshalber zu
den Menschen. Der Disney-Zeichentrickfilm "Das Dschungelbuch" (1967) ist ein zeitloser
Klassiker und begeistert mit seinen witzigen Figuren und den eingängigen Songs von jeher
Jung und Alt. Kino in der Reitschule, Bern. So., 6.2., 13.30 Uhr

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(ST)REITSCHULE
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BZ 5.2.11

Ja zum Leistungsvertrag - mit einem Vorbehalt

 Reitschule. Falls im Stadtrat ein unterschriebener Vertrag vorliegt und sich das Kulturzentrum kooperativ zeigt, wollen die Mitteparteien Ja zu den Subventionen sagen.

 Weil die Kommissionsmitglieder der Mitteparteien dagegen waren, lehnte die vorberatende Kommission den Leistungsvertrag mit der Reitschule ab. Die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (Ikur) reagierte befremdet darauf. Nun machen GFL/EVP, BDP/CVP und GLP ein Angebot an die Adresse der Ikur. Wenn dem Stadtrat eine Woche vor der Debatte über die Kulturverträge ein unterzeichneter Vertrag vorliege und sich die IKUR zur überwiesenen Motion "Reitschule schützen: Gewaltprobleme lösen" bekenne, würden sie dem Vertrag zustimmen.

 Die Ikur soll pro Jahr 380 000 Franken erhalten von der Stadt Bern. Nicht betroffen ist der separate Vertrag mit der Grossen Halle.
 cab

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Bund 4.2.11
http://www.derbund.ch/bern/Reitschule-Ultimatum-von-MitteParteien-und-Ruege-von-Nause/story/16530476

Reitschule: Ultimatum von Mitte-Parteien und Rüge von Nause

 Die Stadtberner Mitte-Parteien werden den Leistungsvertrag mit der Reitschule nur genehmigen, wenn er bis zum 24. Februar unterzeichnet ist.

 Christian Brönnimann

 In der basisdemokratisch organisierten Reitschule dauert die Entscheidungsfindung manchmal etwas länger. So ist der Leistungsvertrag mit der Stadt Bern noch nicht unterzeichnet, obwohl der Stadtrat in vier Wochen darüber zu entscheiden hat. Dies hat die vorberatende Kommission für Soziales, Bildung und Kultur dazu bewogen, dem Parlament die Ablehnung des Leistungsvertrags zu beantragen (siehe "Bund" vom 2. 2.).

 Nun machen auch die Mitte-Parteien GFL, EVP, BDP, CVP und GLP Druck. In einer gemeinsamen Erklärung teilen sie mit, dass sie den Leistungsvertrag nur dann genehmigen werden, wenn er den Fraktionen mindestens eine Woche vor der Kulturdebatte vom 3. März vorliegt - sprich am 24. Februar. Zudem müssten sich Reitschule und Gemeinderat zu einer 2009 überwiesenen Richtlinienmotion bekennen, die unter anderem einen schlagkräftigen reitschulinternen Sicherheitsdienst verlangt. Zusammen mit der SVP könnten die Mitte-Parteien den Leistungsvertrag kippen.

 Unterschrift am Wochenende?

 Die Reitschule reagiert gelassen auf das Ultimatum. Man liege gut im Zeitplan, schreibt die Mediengruppe auf Anfrage. Dieses Wochenende stehe der definitive Entscheid an; die Verhandlungen mit der Stadt seien letzte Woche abgeschlossen worden. Vonseiten der Reitschule gebe es "keine generellen Widerstände" gegen den Leistungsvertrag. Bei den Gesprächen sei es nur um "ein paar wenige Punkte" gegangen. Konkretere Angaben dazu machte die Mediengruppe nicht.

 Laut Peter Tschanz, Generalsekretär der städtischen Präsidialdirektion, mussten in den Verhandlungen Verantwortlichkeiten bei Veranstaltungen auf dem Vorplatz der Reitschule geklärt werden. Konkret sei festgelegt worden, wer dafür zuständig sei, die jeweils nötigen Bewilligungen einzuholen. Die bestehenden Sicherheitsvereinbarungen bleiben laut Tschanz unverändert integraler Bestandteil des Leistungsvertrages.

 Nause verurteilt Angriff auf Polizei

 Derweil hat der Gemeinderat gestern per Communiqué den Angriff Vermummter auf Polizisten bei der Reitschule in der Nacht auf letzten Sonntag verurteilt (siehe "Bund" vom 31. 1.). Zwar sei er sich bewusst, dass die Ikur als Betreiberin der Reitschule nicht für alle Ereignisse im Umkreis der Institution verantwortlich gemacht werden könne, schreibt der Gemeinderat. Dennoch erwarte er von der Ikur "eine deutliche Distanzierung von solchen gewalttätigen Übergriffen". Zu Angriffen auf die Polizei mit Flaschen oder Steinen war es bei der Reitschule bereits im letzten Dezember und im Oktober gekommen.

 Die Mediengruppe der Reitschule nimmt wie folgt dazu Stellung: "Da wir die Täter(innen) nicht kennen, können wir uns nur von ihren Taten distanzieren. Da wir solche Aktionen für ungerechtfertigt, kontraproduktiv, gefährlich und sinnlos halten und die Reitschule nicht Ort für Strassenschlachten sein will, appellieren wir schon seit Jahren an unser Umfeld und an unsere Gäste, dies zu respektieren. Dabei ist auch die Polizei gefordert, im Allgemeinen wie im Speziellen vernünftig und verhältnismässig zu agieren."

 Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) befriedigt dieses Statement nur bedingt, wie er auf Anfrage sagt: "Ich hätte es mir klarer gewünscht." Es sei halbbatzig, weil man sich eigentlich auch von den Tätern distanzieren müsse. Zudem sei es völlig falsch, bei einer Situation wie am letzten Sonntagmorgen von Verhältnismässigkeiten zu sprechen. Laut Darstellung der Kantonspolizei wurden die Polizisten angegriffen, als sie einen Selbstunfall aufnehmen wollten.

 Der Vorfall werde wie üblich am runden Tisch mit den Reitschule-Verantwortlichen besprochen, verspricht Nause. "Der Sicherheitsdienst funktioniert offenbar nicht wie gewünscht." Konkrete kurzfristige Massnahmen seien vonseiten der Stadt aber keine geplant.

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20 Minuten 4.2.11
http://www.20min.ch/news/bern/story/Reitschule-verurteilt-Angriffe-auf-Polizisten-16887059

Reitschule verurteilt die Angriffe auf Polizisten

 BERN. Wegen Subventionen und Angriffen auf Polizisten steht die Reitschule erneut unter Beschuss. Tom Locher aus der Mediengruppe der Reitschule nimmt Stellung.

 Vermummte griffen am Sonntag erneut Polizisten an. Wie steht ihr dazu?

 Locher: Wir verurteilen solche Aktionen. Sie sind ungerechtfertigt, kontraproduktiv und sinnlos. Die Reitschule ist kein Ort für Strassenschlachten.

 Schaden euch solche Vorfälle?

 Ja, sie vergiften das politische Klima und gefährden Gäste und Betreiber. Reagiert die Polizei mal mit Tränengas, könnte eine Panik ausbrechen, mit Verletzten oder gar Toten. Deshalb bitten wir die Beteiligten, darauf zu verzichten.

 Wer das nicht tut, muss womit rechnen?

 Wir haben die Möglichkeit, ihn mit Hausverbot zu belegen, im schlimmsten Fall mit einer Anzeige. Da wir aber häufig nicht wissen, wer dahintersteckt, ist das oft mühselig.

 Die Reitschule ist also kein rechtsfreier Raum?

 Wir sind ein uniformfreier, aber sicher kein rechtsfreier Raum. Das behaupten die Rechtspopulisten. Tatsache ist: Wir haben ein Manifest, in dem auch Sanktionen festgelegt sind.

 Wegen Sicherheitsbedenken fordern jetzt Politiker, der neue Leistungsvertrag solle nicht mehr unterzeichnet werden.

 Wie können sie einen Vertrag kritisieren, den sie gar nicht gelesen haben? Wir haben zusammen mit der Stadt die letzten Differenzen bereinigt. Die Unterzeichnung ist nur noch Formsache.

 Falls es nicht dazu kommt: Was bedeutet das?

 Die finanziellen Konsequenzen wären das Geringste. Das Vertrauen in die Stadt wäre aber erschüttert.

 Pedro Codes

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Blick am Abend 3.2.11

Zoff wegen Polizei- und Geldsorgen

 REITSCHULE

 Die SP Bern und der Gemeinderat nerven sich - wegen und am Kulturbetrieb.

 Die Reitschule erhitzt auch weiterhin die Gemüter. Die SP Bern empört sich, dass dem Kulturbetrieb der Geldhahn abgedreht werden soll. Der Gemeinderat ermahnt die Betreiber wegen Übergriffen auf die Polizei. Es geht um einen Vorfall vom Wochenende.

 Am Sonntagmorgen wurde eine Patrouille der Kantonspolizei "von Vermummten angegriffen", wie der Gemeinderat in einer Medienmitteilung schreibt. Die Beamten seien gerade mit einem Unfall in der Nähe der Reitschule beschäftigt gewesen, als die Unfallaufnahme durch den Angriffverhindert worden sei. Weil es sich bereits um den zweiten Angriff auf die Polizei seitens Reitschule- Besucher innerhalb kürzester Zeit handelt, mahnt jetzt der Gemeinderat die Betreiberin Ikur. Er sei sich bewusst, dass die Ikur "nicht für alle Ereignisse im Umkreis der Reitschule verantwortlich gemacht werden kann." Dennoch erwartet er "eine deutliche Distanzierung vor gewalttätigen Übergriffen".

 Die SP Bern empört sich derweil darüber, dass die Stadtratskommision den Leistungsvertrag mit der Reitschule ablehnt. Die SP werde sich dafür einsetzen, dass dem Betrieb das Geld nicht ausgeht. rrt

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bernerzeitung.ch 3.2.11

Gemeinderat verurteilt Übergriffe auf Polizisten vor Reitschule

pd / mau

 Am Sonntagmorgen wurde eine Patrouille der Kantonspolizei Bern bei der Reitschule von Vermummten angegriffen. Der Gemeinderat fordert nun, dass sich die Betreiberin der Reitschule Ikur vor solchen gewalttätigen Übergriffen distanziert.

 Die Patrouille der Kantonspolizei Bern wurde angegriffen, nachdem sie zu einem Verkehrsunfall gerufen worden war. Die umgehende Unfallaufnahme ist dadurch verhindert worden. Es war bereits der zweite Übergriff auf die Kantonspolizei innert kurzer Zeit bei der Reitschule.

 Der Gemeinderat verurteilt die beiden Vorfälle und die Behinderung der polizeilichen Ermittlungen, wie er in einer Mitteilung schreibt. Er sei sich bewusst, dass die Ikur als Betreiberin der Reitschule nicht für alle Ereignisse im Umkreis der Reitschule verantwortlich gemacht werden könne. Dennoch erwartet der Gemeinderat von ihr eine deutliche Distanzierung vor solchen gewalttätigen Übergriffen. Der Gemeinderat wird diese laut Mitteiluing auch an den Gesprächen thematisieren, die regelmässig zwischen Stadt und Reitschule stattfinden.

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Bund 3.2.11

SP und Reitschule empört über Ablehnung der SBK

 Die SP Stadt Bern ist "konsterniert" über die Ablehnung des Leistungsvertrags mit der Reitschule durch die Stadtratskommission. Sie werde sich dafür einsetzen, dass dem Kulturbetrieb der Geldhahn nicht abgedreht werde, teilte sie mit. Schliesslich habe sich Berns Stimmbevölkerung erst vor vier Monaten mit dem Nein zur Reitschul-Initiative erneut klar zur Reitschule bekannt. Die SBK habe sich von ideologischen Standpunkten leiten lassen - "leider abermals mithilfe des Bündnispartners GFL", schreibt die SP. Die Mediengruppe der Reitschule ihrerseits zeigte sich "erstaunt", dass die SBK "keine Ahnung" über den Inhalt des Leistungsvertrags zu haben scheine, obwohl die Verhandlungen darüber "unmittelbar vor Abschluss" stünden.(pd)

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BZ 3.2.11

SP Stadt Bern

 "Konsterniert" über SBK-Entscheid

 Die SP Stadt Bern sei konsterniert über den Entscheid der Stadtratskommission, den Leistungsvertrag mit der Reitschule abzulehnen. Das schreibt die Partei in einer Medienmitteilung. Sie werde sich dafür einsetzen, dass dem Kulturbetrieb der Geldhahn nicht abgedreht werde. Die SP verlange von der Stadtratskommission mehr Umsicht und Sachkompetenz. pd

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bern.ch 2.2.11

Vorfälle bei der Reitschule: Gemeinderat verurteilt Angriffe auf die Polizei

Am Sonntagmorgen wurde eine Patrouille der Kantonspolizei Bern bei der Reitschule von Vermummten angegriffen, nachdem sie zu einem Verkehrsunfall gerufen worden war. Die umgehende Unfallaufnahme wurde dadurch verhindert. Es war bereits der zweite Übergriff auf die Kantonspolizei innert kurzer Zeit bei der Reitschule. Der Gemeinderat verurteilt die beiden Vorfälle und die Behinderung der polizeilichen Ermittlungen. Er ist sich bewusst, dass die Ikur als Betreiberin der Reitschule nicht für alle Ereignisse im Umkreis der Reitschule verantwortlich gemacht werden kann. Dennoch erwartet der Gemeinderat von ihr eine deutliche Distanzierung vor solchen gewalttätigen Übergriffen. Der Gemeinderat wird diese auch an den Gesprächen thematisieren, die regelmässig zwischen Stadt und Reitschule stattfinden.

 
Informationsdienst der Stadt Bern

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SP Bern 2.2.11

02.02.2011 | 14:37 |

Ja zum Reitschul-Vertrag!

Die SP Stadt Bern ist konsterniert über den Entscheid der Stadtratskommission, den Leistungsvertrag mit der Reitschule abzulehnen. Sie wird sich dafür einsetzen, dass dem Kulturbetrieb der Geldhahn nicht abgedreht wird.

Ende September hat die Berner Stimmbevölkerung die Reitschul-Initiative wuchtig verworfen und damit zum fünften Mal in der Folge ein klares Bekenntnis zur Reitschule abgelegt. Dass die Stadtratskommission SBK 4 Monate später den Leistungsvertrag mit den Reitschule-Betreibern ablehnt und der Reitschule damit den Finanzhahn zudrehen will, ist schon vor diesem Hintergrund inakzeptabel. Das Argument, dass kein unterschriebener Vertrag vorgelegen habe, ist unhaltbar: Der Vertrag steht und beinhaltet klare Bestimmungen zu Sicherheitsvereinbarungen. Insofern ist die Ablehnung des Leistungsvertrags nichts anderes als eine völlig unnötige Gängelung der Reitschule-Betreiber.

Die SP Stadt Bern stellt fest, dass sich die SBK bei wichtigen Geschäften zum wiederholten Male statt von Sachverstand von ideologischen Standpunkten hat leiten lassen - leider abermals mithilfe des Bündnispartners GFL, wie aus den Medien zu erfahren war. Die SP erwartet, dass die Kommission in Zukunft die nötige Umsicht und Sachkompetenz an den Tag legt, die von einer stadträtlichen Kommission zu erwarten ist.

SP Stadt Bern

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Bund 2.2.11

Kommission will der Reithalle kein Geld geben

 Die Stadtratskommission empfiehlt überraschend, den Leistungsvertrag mit den Betreibern der Reitschule abzulehnen.

 Der Leistungsvertrag für die Jahre 2012 bis 2015 mit der Reitschule soll abgelehnt werden: Diese überraschende Empfehlung macht die vorberatende Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) dem Stadtrat nach ihrer Sitzung vom Montag. Kommissionspräsident Martin Schneider (BDP) begründet diesen Entscheid auf Anfrage damit, dass kein von der Vollversammlung der Reitschule unterschriebener Vertrag vorgelegen habe, der den in der Motion des einstigen GFL-Stadtrates Erik Mozsa festgehaltenen Punkten Rechnung getragen hätte. Der Vorstoss, der vom Stadtrat überwiesenen wurde, sieht unter anderem die Einrichtung eines internen Sicherheitsdienstes vor, der auch Hausverbote aussprechen kann. Zudem sollen die Türen zum Kulturzentrum bei Demonstrationen geschlossen werden.

 "Reitschule hat Widerstände"

 Es kann davon ausgegangen werden, dass der GFL-Stadtrat Lukas Gutzwiller im Verbund mit den Bürgerlichen für die Ablehnung votierte. GFL/EVP-Fraktionschef Peter Künzler lässt keinen Zweifel daran, dass der überraschende SBK-Entscheid unter Mitwirkung des GFL-Mitglieds in der Kommission zustande gekommen ist. "An unserer positiven Haltung zur Reitschule gibt es keinen Zweifel", sagt Künzler. Die GFL unterstütze das Kulturzentrum aber nur dann, wenn sich die Betreiber an die in der Motion von Mozsa festgehalten Auflagen hielten. Laut Künzler ist der neue Leistungsvertrag mit der Reitschule noch gar nicht unterzeichnet. Ein Vertragsentwurf mit den genannten Auflagen sei in Verhandlung. Die Vertreter der Reitschule hätten aber offenbar Widerstände, diesen zu unterzeichnen. Laut Künzler ist jedoch klar: "Wenn die Reitschul-Betreiber weiterhin Geld von der Stadt wollen, werden sie auf die Bedingungen eingehen müssen."

 "Der Vertrag steht"

 Die Verhandlungen mit der Reitschule werden auf städtischer Seite von der Präsidialdirektion geführt. Deren Generalsekretär, Peter Tschanz, weiss nichts von "Widerständen" der Reitschule bei der Vertragsunterzeichnung. "Der Vertrag steht. Die Unterzeichnung hat sich verzögert, weil zuerst die Vollversammlung der Reitschule ihr Einverständnis dazu geben muss." Integraler Bestandteil des Vertrages seien die Bestimmungen der Sicherheitsvereinbarung, welche die einstige Statthalterin Regula Mader im November 2009 mit den Reitschul-Betreibern abgeschlossen hatte. Tschanz kann nicht sagen, ob diese Sicherheitsvereinbarung in jedem Detail den Forderungen der GFL-Motion entspricht. Er gibt aber zu bedenken, dass es sich beim Vorstoss um eine für den Gemeinderat unverbindliche Richtlinienmotion gehandelt habe.

 Auch Kommissionssprecher Ruedi Keller (SP) zeigte wenig Verständnis für den Entscheid der Mehrheit. Die Ablehnung des Kredits an Auflagen der Motion Mozsa zu knüpfen, sei "absurd", sagte er. Insbesondere, da der Gemeinderat der Kommission beschieden habe, es gebe keine Gründe, den Vertrag abzulehnen. Dass die Kommission dies dennoch getan hat, könne durchaus als Misstrauensvotum gegenüber dem Gemeinderat verstanden werden.

 Die Leistungsverträge mit den grössten Kulturorganisationen empfahl die Kommission zur Genehmigung - auch der umstrittene Beitrag an das "Konzert Theater Bern", in dem sich künftig Stadttheater und Berner Symphonieorchester vereinen. Auch diese Entscheidung war umstritten. Der Stadtrat entscheidetam 3. März.(bob/tik)

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BZ 2.2.11

Kein Geld für Reitschule

 KulturverträgeDie Kulturkommission des Stadtrats spricht sich für die neuen Kulturverträge aus. Einzig jenen für die Reitschule lehnt sie ab.

 Am 3. März diskutiert der Stadtrat über die Kulturverträge für die nächste Subventionsperiode. Die vorberatende Kommission empfiehlt dem Parlament, die Verträge mit einer Ausnahme anzunehmen. "Den Vertrag mit der Ikur, also der Reitschule, lehnte die Kommission ab", sagte Kommissionspräsident Martin Schneider (BDP) auf Anfrage. Der Gemeinderat habe die Konsequenzen aus der Motion der Fraktion GFL/EVP (Erik Mozsa: "Reitschule schützen") nicht gezogen, und der definitive Vertrag mit der Ikur liege gar noch nicht vor. Kommissionsmitglied Ruedi Keller (SP), das Grüne Bündnis und die Junge Alternative distanzierten sich postwendend von dieser offiziellen Meldung. Schliesslich beantragt die Kommission, dass die Kürzung um 50 000 Franken beim Kino im Kunstmuseum wieder rückgängig gemacht wird.
 cab

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Langenthaler Tagblatt 2.2.11

Neuer Streit um die Berner Reitschule

 Bern Die Reitschule sorgt erneut für Zwist: Die zuständige stadträtliche Kommission empfiehlt den Leistungsvertrag 2012 bis 15 mit der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR) zur Ablehnung.

 Erstens habe der Gemeinderat die Konsequenzen aus einer Motion der Fraktion GFL/EVP nicht gezogen, begründete die Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) gestern ihren Entscheid. Der Vorstoss zielte darauf ab, die Reitschul-Betreiber zu mehr Sicherheitsanstrengungen zu verpflichten. Ausserdem liege der definitive Vertrag mit der IKuR noch gar nicht vor, hielt die Kommission weiter fest. Deshalb könne sie den Leistungsvertrag nicht zur Annahme empfehlen. Das letzte Wort hat der Stadtrat am 3. März.

 Linksparteien reagierten erbost: So warf das Grüne Bündnis der SBK vor, sie missachte den Volkswillen. Schliesslich habe sich der Berner Souverän im letzten Herbst klar hinter die "Kulturinstitution Reitschule" gestellt. Auch die Junge Alternative warf der Kommission "unsinnige Zwängerei" vor. Die Richtlinienmotion sei längstens erfüllt. So verfüge die Reitschule seit dem Abschluss der neuen Sicherheitsvereinbarung im November 2009 über einen Sicherheitsdienst. Sie habe auch verbindliche Ansprechpersonen für die Stadt. Der Leistungsvertrag sieht Zahlungen von total 1,52Millionen Franken vor, also 380000 Franken pro Jahr. (sda)

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Der Bund 2.2.11

Leserbrief Vermummte greifen Polizei bei der Reitschule an, "Bund" vom 31. Januar

 Der Kanton würde die Stadt überstimmen

 Es ist nicht das erste Mal, und es wird nicht das letzte Mal sein, dass die Polizei bei der Reitschule von vermummten und pubertierenden sogenannten Aktivisten mit Flaschen beworfen wird. Es ist für die meisten nicht ganz nachvollziehbar, dass die Polizei es fertigbringt, sich bei Strassenverkehrskontrollen locker durchzusetzen und zu büssen. Wenn sie hingegen grundlos bei der Reithalle angegriffen werden, ziehen sie sich wie Feiglinge zurück (ich meine hier nicht die Frontleute, sondern diejenigen, die die Einsatzdoktrin festlegen bzw. die Politiker).

 Niemand in der Stadt kann sich so etwas erlauben, ausser eben den Reitschulbetreibern mit ihrer erlauchten Kundschaft. Ob sie das wollen oder nicht, sie tolerieren es, und das ist fatal. Dass diese Leute, inkl. der sogenannten Betriebskommission, es nicht merken, dass sie Erich Hess eine Steilvorlage mit ihrem Gebaren liefern, um eine kantonale Abstimmung zur Schliessung der Reithalle anzustreben, sollte ja gewissen Leuten auch zu denken geben, falls diese Gabe bei ihnen vorhanden ist. Kommt es irgendwann zu einer solchen Abstimmung, dann können sie sicher sein, dass die Reitschule dann kurzum geschlossen wird. Der Kanton wird die Stadt überstimmen wie so oft bei fragwürdigen Abstimmungsvorlagen.

 Martin Häfeli Bern

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BZ 2.2.11

Ausgabe vom 31. Januar

 "Polizisten vor Reitschule mit Flaschen beworfen"

 "Nicht ganz nachvollziehbar"

 Es ist nicht das erste Mal und es wird nicht das letzte Mal sein, dass die Polizei bei der Reitschule von vermummten und pubertierenden "Aktivisten" mit Flaschen beworfen wird. Es ist für die meisten nicht ganz nachvollziehbar, dass die Polizei es fertigbringt, sich bei Strassenverkehrskontrollen locker durchzusetzen, hingegen wenn sie bei der Reithalle grundlos angegriffen wird, sich wie ein Feigling zurückzuzieht (sorry, ich meine da nicht die Frontleute, sondern diejenigen, die den Einsatz festlegen, beziehungsweise die Politiker). Niemand in der Stadt kann sich so etwas erlauben, ausser eben die Reitschulbetreiber mit ihrer erlauchten Kundschaft. Dass sich der Stadtrat in seiner politischen Ausrichtung daran nicht stört, ist klar. Dass der Gemeinderat auch nichts dagegen unternimmt, ist schon eher bedenklich, aber wegen seiner Zusammensetzung auch nicht verwunderlich. Dass diese Leute, inklusive der sogenannten Betriebskommission, es nicht merken, dass sie Erich Hess eine Steilvorlage liefern, um eine kantonale Abstimmung zur Schliessung der Reithalle anzustreben, sollte gewissen Leuten auch zu denken geben - falls diese Gabe bei ihnen vorhanden ist. Kommt es irgendwann zu einer solchen Abstimmung, dann können sie sicher sein, dass die Reitschule geschlossen wird. Der Kanton wird die Stadt überstimmen, wie so oft bei fragwürdigen Abstimmungsvorlagen.

 Martin Häfeli, Bern

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reitschule.ch 1.2.11

Bern, 1. Februar 2011

Medienmitteilung zum Antrag der Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK)

Sehr geehrte Medienschaffende

Wir sind erstaunt, dass die SBK-Kommission scheinbar keine Ahnung vom Stand der Verhandlungen über den Leistungsvertrag zwischen der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR) und der Stadt Bern hat, obwohl diese Verhandlungen nach intensiven Gesprächen nun unmittelbar vor dem Abschluss stehen. Ebenso erstaunt sind wir darüber, dass der Kredit von der Kommission zur Ablehnung empfohlen wird, offenbar ohne dass sich die Kommission über den Inhalt des Leistungsvertrages informiert hat.
Wir unterstützen andererseits den Antrag der Kommission, dass die Kürzung der städtischen Subventionen für das Kino im Kunstmuseum wieder rückgängig gemacht wird.

Mit freundlichen Grüssen

Mediengruppe
Reitschule Bern

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bernerzeitung.ch/derbund.ch 1.2.11

http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Streit-um-Berner-Reitschule--Stadt-will-Geldhahn-zudrehen/story/26832667
http://www.derbund.ch/bern/Stadt-will-Reitschule-den-Geldhahn-zudrehen/story/31372349

Streit um Berner Reitschule - Stadt will Geldhahn zudrehen

Die Berner Reitschule sorgt erneut für politischen Zwist: Die zuständige stadträtliche Kommission empfiehlt den Leistungsvertrag 2012-15 mit der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (IKuR) zur Ablehnung.
Erstens habe der Gemeinderat die Konsequenzen aus einer Motion der Fraktion GFL/EVP nicht gezogen, begründete die Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) am Dienstag ihren Entscheid. Der Vorstoss zielte darauf ab, die Reitschul-Betreiber zu mehr Sicherheitsanstrengungen zu verpflichten.

Ausserdem liege der definitive Vertrag mit der IKuR noch gar nicht vor, hielt die Kommission weiter fest. Deshalb könne sie den Leistungsvertrag - anders als die Abkommen mit den anderen Kulturinstitutionen - nicht zur Annahme empfehlen. Das letzte Wort hat der Stadtrat am 3. März.
Linksparteien reagierten erbost auf den Kommissionsentscheid. So warf das Grüne Bündnis der SBK vor, sie missachte den Volkswillen. Schliesslich habe sich der Berner Souverän im letzten Herbst klar hinter die "Kulturinstitution Reitschule" gestellt.

Auch die Junge Alternative warf der Kommission "unsinige Zwängerei" vor. Die Richtlinienmotion sei längstens erfüllt. So verfüge die Reitschule seit dem Abschluss der neuen Sicherheitsvereinbarung im November 2009 über einen Sicherheitsdienst. Sie habe nun auch verbindliche Ansprechpersonen für die Stadt. Der Leistungsvertrag sieht Zahlungen von insgesamt 1,52 Millionen Franken vor, also 380'000 Franken pro Jahr. (tan/sda)

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gbbern.ch 1.2.11

Medienmitteilung des Grünen Bündnis zum SBK-Entscheid betreffend Leistungs- und Kulturverträge

Die Reitschule verdient Unterstützung!

Der Entscheid der Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK), den Kredit für den Leistungsvertrag mit der Interessegemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR zur Ablehnung zu empfehlen, stösst sauer auf. Das Grüne Bündnis interpretiert die Entscheidung der SBK als direkten Angriff auf die IkuR und Missachtung des Volkswillens: Das Berner Stimmvolk hat sich im vergangenen Herbst klar hinter die Kulturinstitution Reitschule und die Aktivitäten der IKuR gestellt.

Die Interessegemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR leistet eine gute und wichtige Arbeit, welche durch eine Kündigung des Subventionsvertrags gefährdet ist. Vor allem wenn man sich das Resultat der letzten von fünf Abstimmungen über die Reitschule vor Augen führt - 68% der Berner Stimmbevölkerung haben sich im September 2010 zugunsten der Reitschule ausgesprochen - erscheint dieser Entscheid unverständlich und nicht im Sinne der Berner Stimmbevölkerung. Durch die ständigen Angriffe von Seiten bürgerlicher Sparapostel befindet sich die IKuR unter dauerndem Legitimationsdruck und quasi in einem ständigen Abstimmungskampf. Eine Institution, die wertvolle, unverzichtbare und für die Stadt Bern beispiellos günstige Kultur bietet, hat dies nicht verdient.


Weitere Auskünfte:
Cristina Anliker-Mansour, GB-Stadträtin, Natel: 077 415 76 30

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jungealternative.ch 1.2.11

Schluss mit der unsinnigen Zwängerei gegen die Reitschule!

Gestern hat die stadträtliche Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) den Entscheid gefällt, den Leistungsvertrag mit der Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR zur Ablehnung zu empfehlen. Die Junge Alternative JA! kritisiert diesen Entscheid scharf. Alle Stadtratsparteien ausser FDP und SVP haben bei der vergangenen Abstimmung vom 26. September 2010 die Reitschule klar unterstützt. Dieser plötzliche Kurswechsel ist unverständlich und kontraproduktiv.

Als Begründung legt die Kommission die Tatsache vor, dass der Gemeinderat den Forderungen aus der Richtlinienmotion von Erik Mozsa "Reitschule schützen: Gewaltprobleme lösen" im neuen Leistungsvertrag nicht genügend Rechnung getragen habe. Diese Argumentation ist unverständlich. Die Forderungen der Motion sind längst erfüllt: So verfügt die Reitschule seit dem Abschluss der neuen Sicherheitsvereinbarung im November 2009 über einen Sicherheitsdienst. Auch hat die Reitschule verbindliche Ansprechpersonen, welche sich in regelmässigen Abständen mit der Stadt treffen.

Diese Tatschen lassen die JA! schliessen, dass der Kommissionsentscheid kaum eine Folge von rationalen Überlegungen sein kann, sondern eher als ein weiteres Zeichen der mitte-bürgerlichen Aversion und Intoleranz gegenüber alternativen Strukturen und Andersdenkenden gedeutet werden muss. Zudem ignoriert die Kommission mit ihrem Entscheid die Abstimmung vom September 2010, bei welcher sich 68.4% der Stimmenden für die Reitschule ausgesprochen haben.

Die Junge Alternative JA! fordert die mitte-bürgerlichen Stadtratsparteien dazu auf, endlich mit ihrer destruktiven Politik gegen die Reitschule aufzuhören und den Kredit für den Leistungsvertrag mit der Reitschule im Stadtrat zu genehmigen.

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bern.ch 1.12.11

Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK)
Morellhaus, Postgasse 14 Postfach, 3000 Bern 8
Telefon 031 321 79 20 Fax 031 321 79 22
ratssekretariat@bern.ch  www.bern.ch

An die Berner Medien

Bern, 1.Februar 2011 BK

Medienmitteilung der Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK)

(...)

Die SBK beantragt dem Stadtrat die Genehmigung der Leistungsverträge mit den Kulturinstitutionen mit folgenden Ausnahmen: Den Kredit für den Leistungsvertrag mit der Interessegemeinschaft Kulturraum Reitschule IKuR beantragt die SBK zur Ablehnung.
Sie ist der Auffassung, der Gemeinderat habe die nötigen Konsequenzen aus der Motion der Fraktion GFL/EVP (Erik Mozsa "Reitschule schützen") nicht gezogen. Zudem würde der definitive Vertrag mit der IKuR noch gar nicht vorliegen. Schliesslich beantragt die Kommission, dass die Kürzung der städtischen Subvention um 50'000 Franken beim Kino im Kunstmuseum wieder rückgängig gemacht wird. Über die Leistungsverträge wird der Stadtrat am 3. März 2011 entscheiden.

Für weitere Auskünfte stehen Ihnen Kommissionsreferentin Kathrin Bertschy (KITAInitiative, 078 667 68 85) und Ruedi Keller (Leistungsverträge, 079 287 00 60) gerne zur Verfügung.

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30 JAHRE AJZ
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BZ 5.2.11

Der lange Atem eines Abbruchobjekts

 REITSCHULE BERN. Am 5. Februar 1981, heute vor 30 Jahren, bewilligte Berns Stadtrat die Einrichtung eines Jugendzentrums in der Reitschule. Kaum eröffnet, wurde sie wieder geschlossen. Ein Aktivist und ein Behördenvertreter von damals erinnern sich und erklären, warum die Reitschule überlebt hat.

 Die 80er-Bewegung hatte im langsamen Bern ein Jahr Verspätung. In Fahrt kam sie erst 1981, vor 30 Jahren, als die sich autonom nennenden Jugendlichen in der ehemaligen städtischen Reitschule auf der Schützenmatte ein Dach über dem Kopf erhielten. Die 80er-Bewegung mag verspätet gewesen sein, dafür erwies sie sich im behäbigen Bern als umso nachhaltiger. Die Reitschule hat erstaunlicherweise bis heute überlebt. Auch weil sie sich zusammen mit der Stadt gewandelt und geöffnet hat.

 Geschenk der Stadt

 Genau genommen flammte die Bewegung in Bern schon im Jahr auf, das ihr den Namen gab. Nach dem Auftakt, dem Krawall vor dem Zürcher Opernhaus am 20. Juni 1980, forderten junge Leute vor dem damals leer stehenden Tramdepot am Bärengraben die Einrichtung eines "autonomen" Zentrums. Erfüllt wurde dieses Begehren dann genau heute vor 30 Jahren. Nicht durch die kühne Besetzung und Aneignung der Reitschule, wie ein in Bern gern nacherzählter Mythos behauptet. Es war im Gegenteil die viel geschmähte Obrigkeit, die der zornigen Berner Jugend am 5. Februar 1981 die Reitschule grosszügig zur Verfügung stellte. Vor zahlreichen Aktivisten auf den Zuschauerrängen im Ratssaal bewilligte das Parlament der damals von einer bürgerlichen Mehrheit regierten Stadt an jenem Februartag mit 59 gegen 7 Stimmen einen Kredit von 600 000 Franken für die Einrichtung eines Jugendzentrums in den Stallungen der Reitschule.

 Im Bericht der Berner Zeitung BZ über die Stadtratsdebatte von damals konnte man schon alle Hoffnungen und Befürchtungen lesen, die die Reitschule später zum Brennpunkt machten und ihr ein negatives Image verpassten. Kritikern galt sie als "Schandfleck" am Eingang zur Stadt und als Symbol für die Laschheit der Berner Politik.

 Hoffnung und Befürchtung

 Filmer Peter von Gunten vom Jungen Bern (JB) war in der Debatte vom 5. Februar 1981 laut BZ überzeugt, dass ein Jugendzentrum "die Reibungen zwischen Verwaltung und Jugend verringern" werde. Die damals noch gemässigte SVP fand, man solle "das Experiment mit dem Jugendzentrum wagen". Der spätere Stadtpräsident Klaus Baumgartner von der SP war skeptischer. Er mahnte, das Experiment werde "Jugendprobleme sichtbar" machen, denen man mit flankierenden Massnahmen begegnen müsse. Er dürfte an Drogenprobleme gedacht haben.

 Die heute aufgelöste Rechtsgruppierung Nationale Aktion (NA) forderte erfolglos, der Reitschule-Kredit sei dem Volk zu unterbreiten. Stadtpräsident Werner Bircher (FDP) verlangte, es müsse in der Reitschule eine verantwortliche Trägerschaft geben. Die kritischsten Töne schlug der spätere Stadtratspräsident Hans-Rudolf Thomet von der FDP an. Er vertrete "den Grossteil der Bevölkerung, die kein Verständnis für Chaoten und Krawallanten" habe, erklärte er. Man schaffe ein "Agitationszentrum", die Autonomen seien kaum bereit, "sich Bedingungen zu unterziehen", warnte er.

 Thomets wie auch Baumgartners Befürchtungen haben sich in den darauf folgenden 30 Jahren öfter bewahrheitet. Und linke Hoffnungen erwiesen sich immer wieder als Wunschdenken. Die Reitschule blieb bis heute ein Ort sozialer Probleme, unklarer Legitimität und bisweilen aggressiver Eigenmächtigkeit. Das zeigt der jüngste Vorschlag der Stadtratskommission für Soziales, Bildung und Kultur, den Leistungsvertrag mit den Reitschule-Betreibern abzulehnen, weil sie etwa Sicherheitsvorkehrungen verweigern würden.

 Exponiert und doch im Abseits

 Der Architekt Tilman Rösler (51), vor 30 Jahren "bewegter" Aktivist, erinnert sich, dass die Reitschule "gar nicht im Visier" der Bewegung gewesen sei. "Es erschien uns utopisch, einen so zentral gelegenen Ort zu erhalten." Und er bestätigt, dass die Reitschule nicht durch eine revolutionäre Besetzung errungen wurde. Er war nämlich persönlich dabei, als die frühere Baudirektorin Ruth Geiser Im Obersteg den Jungaktivisten die Reitschule vorführte. Der Gebäudekomplex, in dessen Halle noch Reiter hoch zu Pferd Runden drehten, galt als Abbruchobjekt. Ein Jugendzentrum in einer Abbruchbaute, so wohl die Logik der Behörden, würde eine vorübergehende Erscheinung sein.

 Die Lage sollte sich noch als Vorteil erweisen. Die vom Bahnviadukt zerschnittene Schützenmatte liegt in einem toten Winkel. Die in Bern schwächere wirtschaftliche Nachfrage liess das Gelände links liegen. Die Behörden selber packten nie ein Umgestaltungsprojekt an. Und als sie in der Nähe die Drogenanlaufstelle installierten, sorgten sie dafür, dass der Unort Schützenmatte ein Unort blieb.

 Eröffnet wurde die Reitschule nach Umbauarbeiten am 16. Oktober 1981 mit einem grossen Fest. Fotos von den damaligen Räumlichkeiten gibt es kaum. Die weltanschaulich rigiden Betreiber verfügten gegenüber Reportern und Fotografen der in ihren Augen "bürgerlichen Medien" eine Zensur. Wer sie missachtete, wurde bisweilen handgreiflich daran erinnert, wer Herr in dem der Stadt gehörenden, autonomen Haus war. In der Reitschule wurde Klassenkampf betrieben.

 Mühsame Basisdemokratie

 Tilman Rösler, der damals als Architekturstudent an der ETH auch die Zürcher Unruhen hautnah miterlebte, erinnert sich an ein "kreatives Chaos". Fast täglich hätten Vollversammlungen (VV) der gerade Anwesenden über die Belange des Hauses entschieden. "Die VV war die richtige und logische Form, wie sich viele Leute spontan organisieren, um zusammenzusitzen und zu reden." Diese Ära sieht er als "Übung in Demokratie", auf die er noch heute stolz sei. Junge hätten gelernt zu reden, zuzuhören, anzupacken, etwas zu bewegen.

 Weniger kreativ kam die Basisdemokratie den damaligen Stadtbehörden vor. Jürg Biancone (73), pensionierter Stadtschreiber-Stellvertreter, erinnert sich an ein mühsames "Hin und Her". Er war bei der Stadt der Ansprechpartner für die Reitschule. Zu Unterredungen seien immer wieder andere Leute erschienen, die über frühere Verhandlungen nicht informiert gewesen seien.

 Oft habe man den Stadtvertretern der Stadt den Zutritt zu dem der Stadt gehörenden Gebäude verwehrt. Ein Pfarrer habe als "Pendeldiplomat" im Bahnhofbuffet Instruktionen der Stadt erhalten, die er in die Reitschule überbracht habe. Biancone berichtet, er selber sei nie bedroht worden, man habe ihn als Vermittler meist akzeptiert. "Die Feindbilder waren Stadtpräsident Werner Bircher und Polizeidirektor Marco Albisetti."

 Die Dauerverhandlungen zwischen Behörden und Reitschülern drehten sich um eine Vereinbarung, die die Reitschüler lange ablehnten. Erst Ende der 1980er-Jahre wurde ein Gebrauchsleihevertrag über die Verrechnung von Miet-, und Infrastrukturkosten abgeschlossen. "Ein Betriebskonzept aufzustellen, gelang nie", sagt Biancone. Er habe schauen müssen, dass der Reitschule-Betrieb "in einigermassen geordneten Bahnen lief".

 Kampf um Freiraum

 Dafür hätten die Reitschüler ohne Zutun der Stadt selber gesorgt, findet Rösler. Denn im Gebäude hätten sich "Troublemaker" und Süchtige eingenistet. Ursprünglich seien die Räume rund um die Uhr geöffnet gewesen. Soziale Probleme hätten dann "eine Tendenz zur Schliessung und Strukturierung" ausgelöst. Die Einzelinteressen der Kino-, Theater- oder Restaurantgruppe seien mit der Zeit wichtiger geworden als das Gesamtinteresse. Heute leite eine Koordinationsgruppe aus Delegierten der Gruppen die Reitschule. Ihre Entscheide genehmige dann die VV.

 Den Stadtbehörden und den Betreibern wird bis heute vorgeworfen, die Reitschule sei ein "rechtsfreier Raum". Die Bewegung habe diese Formel positiv verstanden, sagt Rösler. In den noch rigid reglementierten 1980er-Jahren habe es in Bern und anderswo für Junge keine Freiräume, keine Ausgeh- oder Versammlungsräume gegeben. "Man konnte sie nur mit Druck und Kompromisslosigkeit erobern", sagt Rösler.

 Es waren die letzten Jahre des Kalten Kriegs mit einer Atmosphäre wie unter einer Käseglocke. Das bürgerliche Establishment und junge Nonkonformisten rieben sich heftig aneinander und entwarfen vom Gegenüber je stark überzeichnete Feindbilder. Der Berner Filmemacher Bernhard Giger hat dieses aufgeladene Klima zwischen Depression und Aggression in seinem 1981 gedrehten Spielfilmerstling "Winterstadt" in beklemmenden Bildern eingefangen (siehe Text nächste Seite).

 Wiedereröffnung 1987

 In dieser gesellschaftlichen Staulage blieb der Reitschule-Betrieb heiss umstritten. Nach nur einem halben Betriebsjahr wurde die Reitschule am 14. April 1982 von der Polizei geschlossen und ein Jahr lang rund um die Uhr bewacht. Die offizielle Begründung der Stadtregierung: Es sei keine Einigung auf ein Betriebskonzept zustande gekommen, und die Reitschüler hätten keine Ansprechpartner bezeichnet. Ging es den Behörden auch darum, einen Drogenschauplatz zu entfernen? Das Drogenproblem in der Reitschule sei marginal gewesen, sagt Rösler. In Zürich sei das AJZ von Drogendealern überschwemmt worden, die dortigen Behörden hätten das auch zugelassen und es zum Anlass genommen, das AJZ abzureissen. Im kleineren Bern wurde die Reitschule trotz geringerem sozialem Druck geschlossen. Gerade weil die Probleme kleiner gewesen seien, habe man in Bern eine längere Schliessung durchsetzen können, sagt Rösler.

 Erst mit den Jahren nahm der Druck in Bern zu. Junge besetzten leer stehende Häuser, richteten, noch ganz ohne Aufrufe per SMS, illegale "Strafbars" ein. Ein Projekt für ein Reitschule-Kulturzentrum scheiterte an den Kosten. 1986 wurde mit der Gründung des Reitschule-Trägervereins Ikur eine alte Forderung der Stadtbehörden erfüllt. Als der Gemeinderat im Herbst 1987 das Hüttendorf Zaffaraya auf dem alten Gaswerkareal an der Aare räumen liess, löste er in der Stadt eine mehrtägige Protestwelle aus. Am 31. Oktober erzwangen gut 10 000 nicht nur autonome Besucher eines legendären Konzerts von Stephan Eicher, Polo Hofer und Züri West in der grossen Reithalle die Wiedereröffnung der Reitschule.

 Rot-grünes Wohlwollen

 Ihr Betrieb blieb bis heute umstritten. Das zeigen mehrere Abriss- und Umbauvorhaben. Sie scheiterten allesamt an der Urne. Auch deshalb, weil sich die politische Ausrichtung der Stadtberner durch den Auszug des Mittelstands in die Agglomeration verschob. Ausdruck davon war 1992 der Wahlsieg der rot-grünen Parteien. Sie verhalten sich gegenüber dem Reitschule-Betrieb grosszügiger - oder je nach politischer Perspektive lascher.

 "Die Reitschule hat sich zu einem valablen Kulturzentrum entwickelt", zieht Jürg Biancone heute eine positive Bilanz, "aber mit unschönen Nebengeräuschen." Er meint militante Gruppen wie den Schwarzen Block, die nach vollbrachten Zerstörungswerk der Polizei entgehen, indem sie sich unter das Reitschule-Publikum mischen und diese als Fluchtburg missbrauchen.

 Tilman Rösler will diesen Missstand gar nicht abstreiten. Es sei auch für die heutigen Reitschule-Betreiber ein Problem, dass einige Hitzköpfe, die heute längst nicht mehr mit so widrigen Verhältnissen konfrontiert seien wie vor 30 Jahren, die Reitschule als Bühne ihrer Spätpubertät missbrauchten. Natürlich sei die Reitschule heute als Ausgehort wichtig, räumt Rösler ein. Es gebühre ihr dennoch das Verdienst, mit minimalen Subventionen einen Betrieb aufrechtzuerhalten, der immer noch ein Trainingsgelände für Demokratie sei. Die Reitschul-Betreiber würden "mit ihrer widerständigen Gegenkultur zum Mainstream" einen Beitrag zu Berns Vielfalt liefern.

 Urbaner Ausgehtempel

 Die Reitschule wird heute von den Kindern der einstigen Pioniere frequentiert. Sie schätzen sie als urbanen Treffpunkt und als Konzertlokal, das Reitschule-Restaurant Sous le Pont hat bei ihnen einen guten Ruf für seine Pommes-frites-Portionen. Vor 30 Jahren waren Pommes frites als imperialistischer US-Import dort noch tabu. Die Reitschule hat sich auch entspannt, weil sich die Stadt um sie herum gewandelt hat. Liberalisierte Gastronomiereglemente haben Bern neue Lokale und eine mediterrane Atmosphäre beschert. Die Reitschule ist heute einer unter zahlreichen Hotspots im Nachtbern der Jungen.

 Es gehört zur Ironie der Reitschule-Geschichte, dass ihr ausgerechnet die Kommerzialisierung, die sie bekämpfte, den Fortbestand ermöglicht. Dass 2010 die fünfte Vorlage gegen den Reitschule-Betrieb an einem rekordhohen Nein-Stimmen-Anteil von fast 69 Prozent scheiterte, hat auch damit zu tun, dass die Reitschule zu einem normalen Ausgehort geworden ist. Berns Junge nutzen ihn nicht wegen, sondern trotz des dort noch gepflegten Polit-Ingrimms.

 Stefan von Bergen

 stefan.vonbergen@bernerzeitung.ch

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BZ 5.2.11

Verzweifeltes Anfilmen gegen den Sandstein

 BERNHARD GIGERS FILM "WINTERSTADT"Im bleichen Januar 1981 drehte der Filmer in Bern seinen Spielfilmerstling. Er erzählt, wie er das angespannte Klima des ausgehenden Kalten Kriegs, gegen das die 80er-Bewegung ankämpfte, in beklemmende Bilder umsetzte.

 Ich nannte ihn Charlie. Seine Geschichte erzählte ich so: Vor einigen Jahren ist er auf der Fahrt von Amsterdam in den Süden hier hängen geblieben. Er wäre besser weitergefahren, der Zwischenhalt in Bern hat ihm nicht gutgetan. Die Stadt wurde ihm zur Falle.

 Die Stadt hat auch dann Charme, wenn der Himmel grau ist. Sie verspricht Ruhe und Geborgenheit. Wenn man über die Eisenbahnbrücke in sie einfährt, könnte man meinen, auf einer Insel zu landen. Für Charlie aber wurde die Ruhe zur Leere, die Stadt zum Kerker. Er dreht seine Runden zwischen der Wohnung, die er nie richtig eingerichtet hat, und der Bar, die sein eigentliches Zuhause wird.

 Eines Tages taucht dort eine Frau auf, Lena heisst sie und ist auf der Durchreise, wie er es einmal gewesen war. Charlie und Lena kommen sich flüchtig näher. Mehr lässt er nicht zu, im Gegenteil: Er macht fast alles, damit sie wieder geht. Und er zurückbleibt, allein in seinem Teufelskreis.

 Die bleiernen Jahre

 Ein Film über die Resignation und das Ende der Hoffnung sei "Winterstadt", habe ich vor 30 Jahren gesagt, als ich ihn 1981 drehte. Es war auch ein Film über die 70er-Jahre, die viele als Zeit der Ernüchterung erlebten. Von der "undurchschaubar gewordenen Wirklichkeit" schrieb ich in den "Anmerkungen des Autors zum Film", von Angst, Verzweiflung und Wahnsinn. Waren sie tatsächlich so depressiv, diese 70er-Jahre?

 Man sprach damals von "bleiernen Jahren". Der Begriff bezog sich auf die Bundesrepublik Deutschland. Dort terrorisierte die RAF, die Rote Armee Fraktion, das Land. Der Terror der Strasse - Überfälle, Entführungen, Hinrichtungen deutscher Führungspersönlichkeiten - provozierte den Terror des Staates - verordnetes Misstrauen, polizeilich-militärische Aufrüstung des öffentlichen Raums. Die Waffen sassen locker, auf beiden Seiten.

 Die Hysterie der Zaungäste

 Die Schweiz war davon nur am Rand betroffen. Wir waren Zaungäste. Aber die Hysterie hatte auch unser Land erfasst. Die Fahndungsplakate der deutschen Polizei wurden auch hier ausgehängt. Und als im März 1977 im Jura ein Polizist hinterrücks erschossen wurde, war man sich schnell einig, dass der Täter höchstwahrscheinlich dem terroristischen Umfeld der RAF zuzuordnen sei. Später stellte sich heraus, dass der Polizist von einem Kollegen getötet worden war.

 Hysterie auf der einen Seite, und auf der anderen, in Kreisen der links-alternativen Szene und darüber hinaus im politischen Niemandsland der Resignierten, eine ständige leise Panik, ein schleichendes Gefühl der Angst: Das war die diffuse, dumpfe Zeitstimmung. Allerdings: Wovor, ganz konkret, sollte man Angst haben? Die Schweiz war kein Polizeistaat, bloss ein Schnüffelstaat, aber das wurde erst ein Jahrzehnt später, Ende der 80er-Jahre, richtig bekannt.

 Bern im Packeis

 Bleierne Zeit - halb real, halb eingebildet - also auch in der Schweiz. Da kam die RAF gerade recht: Die machen das auch für uns - so dachten nicht wenige. Und als Rainer Werner Fassbinder in "Deutschland im Herbst" seine Mutter am Küchentisch mit der Frage provozierte, ob "das Schlimme bei den Terroristen" nicht sei, "dass sie vielleicht sogar Gründe haben, die du verstehen könntest?", da hat nicht nur sie, da haben auch wir genickt.

 "Deutschland im Herbst" - der Film, der die Ereignisse im Oktober 1977 reflektiert, als der Kampf zwischen RAF und deutschem Staat dramatisch eskalierte - war für mich eine Art Vorwort zu "Winterstadt". Die Stagnation am Ende des Jahrzehnts, das 1968 so viel Hoffnung geschürt hatte auf Veränderung und Aufbruch, liess auch mich schier verzweifeln.

 Gedreht wurde "Winterstadt" vor genau 30 Jahren, in einem ähnlich bleichen Januar wie Anfang dieser Woche. Aber das Drehbuch habe ich geschrieben, bevor Zürich brannte und Bern bebte. In dieser Winterstadt macht niemand "aus dem Staat Gurkensalat", wie es die 80er-Bewegung später forderte. Bloss ein paar Punks, die in der Migros nicht bezahlen wollen, sorgen für etwas Unruhe. Sonst sind alle viel zu sehr mit sich selber beschäftigt. Kein Film der Bewegung also, die lauthals ihren Anspruch auf Freiräume anmeldete, aber ein "Klimafilm", wie man damals sagte. Der "Drahtzieher", das Organ der Berner Jugendbewegung, sprach von "präzisen Bildern, die Versteinerung, Kälte, Packeis sichtbar machen".

 Bist du Charlie?

 Im Kino, das ist der andere Ausgangspunkt des Films, fühlte ich mich oft heimischer als in der realen Welt. Das wollte ich machen: Kino im klassischen Sinn. Ich hatte keinen dokumentarischen Anspruch, aber ich wollte authentisch ein Lebensgefühl dieser Jahre vermitteln. Von den Autoren des jungen Films, Bertolucci, Fassbinder, Wenders, Scorsese, hatte ich gelernt, dass ein Film nur funktionieren kann, wenn er konsequent von den eigenen Erfahrungen und Empfindungen ausgeht.

 Was aber nicht bedeutet, dass er deswegen auch autobiografisch ist. Von der Premiere an - sie fand im Sommer 1981 am Filmfestival von Locarno statt - war das die meistgestellte Frage: Wie viel hat der Film, wie viel hat vor allem die Hauptfigur mit dir persönlich zu tun? Charlie, die Filmfigur, war 45, ich, der Autor, 29 Jahre jung. Fremd war mir dieser Vereinsamte aber nicht, gerade deshalb sah und zeichnete ich ihn als jemanden, wie ich nie einer werden wollte. Ich brauchte ihn, um mich von ihm distanzieren zu können.

 Der Realität war "Winterstadt" vielleicht näher, als wir glaubten. Der damalige Schuldirektor der Stadt, der auch Präsident der Filmkommission war, gab nach der Lektüre des Drehbuchs zu bedenken, ob die Szene am Schluss des Films, in der Charlie sich im zweiten Obergeschoss des Bahnhofs weit über die Brüstung lehnt, nicht zur Nachahmung verleiten könnte. Die Szene blieb im Film. Hauptdarsteller Peter Hasslinger hat sich wirklich weit hinausgelehnt, man könnte meinen, er lasse sich gleich fallen. Das macht Charlie dann auch, auf seine Art: Er sackt auf der Heimfahrt im Taxi in sich zusammen - während die Gruppe Taxi den bis heute berühmten, melancholischen Hit "Campari Soda" spielt und die Stadt unter ihm versinkt.

 Filme altern wie wir

 Der Titel, "Winterstadt", ist eine Hommage. Terrence Malicks "Badlands" mit dem jungen Martin Sheen und der noch jüngeren Sissy Spacek, 1973 gedreht, war damals einer meiner zehn Filme für die einsame Insel. Genau so etwas wollte ich machen, einen Film über einen Ort, der Heimat und verfluchtes Land zugleich ist, nur nicht in der Wildnis Dakotas, sondern in Bern, dort, wo ich lebte und mich auskannte, in meiner Stadt. Gegen sie, gegen Sandsteinmauern und Betonköpfe, wollte ich anfilmen, wie Endo Anaconda gegen die Berge angesungen hat.

 1981 habe ich nicht einen Moment daran gedacht, das herzustellen, was man Zeitdokument nennt. Bei einem Erstling, das versteht sich von selbst, arbeitet man für die Ewigkeit. Aber Filme sind nicht zeitlos. Sie altern wie wir. "Winterstadt" könnte ich heute so nicht mehr machen, der Film hätte mit mir nichts mehr zu tun und auch nicht mit der Stadt, in der er handelt. Also doch Zeitdokument.

 Selbst dokumentarischen Wert hat er unterdessen. Einige seiner Orte sind verschwunden: Ins Foyer im ersten Obergeschoss des Kinos Capitol wurde ein zweiter Saal eingebaut, das alte Quick, die legendäre Bar in der Marktgass-Passage, ist längst Geschichte. Und wo einst die elegante Eingangshalle des Kursaals stand, dreht sich heute die Glastür eines Hotels.

 Jemand hat damals in der Reitschule "Winterstadt erwache" an die Wand gesprayt. Sie ist erwacht. Es ist wärmer geworden in Bern. Das ist nicht nur eine Folge der globalen Klimaveränderung, das ist auch lokal begründet.

 Bernhard Giger

 zeitpunkt@bernerzeitung.ch

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SCHÜTZENMATTE
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Bund 4.2.11

Berner Gemeinderat will 60 Millionen Franken sparen

 Stadtregierung nimmt Leistungsabbau für die Jahre 2012 bis 2014 in Angriff.

 Bernhard Ott

 Die Berner Stadtregierung trat gestern in corpore vor die Medien: "Wir treten hier nicht gemeinsam auf, weil wir Angst haben", sagte Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP). Der Gemeinderat wolle mit seinem Auftritt vielmehr illustrieren, dass er als Ganzes hinter den Massnahmen zur Haushaltverbesserung stehe. Dabei gehe es nicht um "Schocktherapien" oder "Experimente", aber durchaus um "unpopuläre Massnahmen", sagte Tschäppät.

 Die Liste des Gemeinderates zählt über 80 Massnahmen. Nebst Aufgabenkürzungen und Gebührenerhöhungen geht es erstmals seit Jahren wieder um Leistungsabbau. Gestrichen werden etwa die Berufsfeuerwehrschule 2012 und 2013, die Securitas-Kontrollen auf der Schützenmatte, der Eislauf in der Ka-We-De oder das Weihnachtsgeld für Sozialhilfebezüger. Einnahmenseitig sollen die Gewinnablieferungen von Energie Wasser Bern (EWB) und von den Stadtbauten (Stabe) erhöht werden.

 Folgen der Steuergesetzrevision

 Der Gemeinderat nahm das Massnahmenpaket Mitte 2010 in Angriff, nachdem im Finanzplan für die Jahre 2012 bis 2014 Defizite in der Höhe von 23 bis 29 Millionen Franken prognostiziert worden waren. Diese Fehlbeträge seien zu hoch gewesen, "um einfach zur finanzpolitischen Tagesordnung überzugehen", sagte Finanzdirektorin Barbara Hayoz (FDP). Mit dem Paket des Gemeinderates könnten in den genannten Jahren Einsparungen von jährlich 20 Millionen Franken erzielt werden. Hayoz und Tschäppät begründeten die Notwendigkeit der Massnahmen auch mit der kantonalen Steuergesetzrevision, die ab 2012 zu einem Minderertrag von jährlich 15,5 Millionen Franken führen werde. Die Revision des Finanz- und Lastenausgleichs (Filag) wiederum habe ab 2012 eine um 7 Millionen Franken tiefere Entlastung des städtischen Haushaltes zur Folge als ursprünglich angenommen. Hayoz räumte ein, dass sich die Konjunktur "wider Erwarten" rasch erholt habe.Ein vorsichtiger Kurs sei aber nach wie vor angebracht, da "Boom- und Rezessionszeiten sehr nahe beieinander" lägen.— Kommentar rechts, Seite 23

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Alexander Tschäppät: "Wir scheuen uns nicht, unpopuläre Massnahmen zu ergreifen"

 Der Gemeinderat möchte 2012 bis 2014 keine Defizite. Er will Ausgaben kürzen, Gebühren erhöhen und Leistungen abbauen.

 Bernhard Ott

 Der Gemeinderat der Stadt Bern steckt in einem Dilemma: "Alle wollen sparen", sagte Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) gestern vor den Medien. "Aber wenn der Gemeinderat damit ernst machen will, gibt es Widerstände." Kurz nach der Präsentation des mittlerweile 12. Pakets zur Sanierung des Stadtberner Haushaltes haben sich gestern denn auch die Kritiker zu Wort gemeldet. "Kein Abbau bei der Bildung!", titelte das Grüne Bündnis (GB) seine Medienmitteilung. "Schuldenbremse ist nach wie vor nötig", meinte demgegenüber die FDP (siehe Kasten). Der Aufschrei von links und rechts illustriert, dass der vom Gemeinderat gewählte Massnahmen-Mix aus Leistungsabbau, Aufwandkürzungen und Gebührenerhöhungen tatsächlich einer breiteren Überprüfung der Aufgaben entsprungen ist. Der Gemeinderat hatte die Aufgabenüberprüfung Mitte 2010 in Angriff genommen, nachdem im Finanzplan für die Jahre 2012 bis 2014 Rechnungsdefizite von 23 bis 29 Millionen Franken ausgewiesen worden warten.

 Mit den gestern präsentierten Massnahmen will der Gemeinderat in diesen Jahren Einsparungen von jährlich rund 20 Millionen Franken bewirken. Die Differenz bleibt laut Finanzdirektorin Barbara Hayoz (FDP) in der Grössenordnung einer "allgemeinen Planungsunschärfe". Hayoz zeigte sich jedenfalls zuversichtlich, dass die Stadt bei einer Umsetzung der Massnahmen auch nach dem Jahr 2011 ausgeglichene Rechnungsabschlüsse präsentieren kann.

 Keine Securitas auf "Schütz" mehr

 Dem Gemeinderat war klar, dass er beim Abwägen vom Wünschbaren mit dem Machbaren "letztlich politisch entscheiden musste", sagte Stadtpräsident Tschäppät. Dabei scheue er sich nicht vor unpopulären Massnahmen, verzichte aber auf "Schocktherapien" und "Experimente".

 Die vom Gemeinderat präsentierte Liste umfasst über 80 Einzelmassnahmen (siehe Tabelle). Drei Viertel davon sind Ausgabenkürzungen. Bei einem Viertel handelt es sich um Mehreinnahmen und Gebührenerhöhungen. Für Gesprächsstoff beim Leistungsabbau dürfte der Verzicht auf die Berufsfeuerwehrschule 2012 und 2013, die Aufgabe des Eisbetriebs in der Ka-We-De, die Reduktion der Kontrollzeiten der Securitas und der Verzicht auf die Weihnachtspauschale für Sozialhilfebezüger sorgen. Dank einer "günstigen Altersstruktur" werde der Verzicht auf die Ausbildung von Berufsfeuerwehrleuten nicht zu Engpässen führen, versicherte Gemeinderat Reto Nause (CVP). Notfalls werde man die Leute halt auf dem freien Markt rekrutieren. Die ursprünglich kommunizierte Schliessung der Ka-We-De hat der Gemeinderat angesichts des Widerstandes wieder rückgängig gemacht. "Wir gehen heute von einer Redimensionierung und Umnutzung der Ka-We-De aus", sagte Gemeinderätin Edith Olibet (SP). Die Reduktion der Securitas-Kontrollen wiederum betrifft die Schützenmatte. "Seit dem Abschluss des Bahnhofumbaus hat sich die Lage dort wieder beruhigt", sagte Gemeinderat Nause.

 EWB muss mehr abliefern

 Ebenfalls umstritten dürften die teuerungsbedingte Anhebung der Parkgebühren, die Erhöhung der Arbeitszeit für Lehrkräfte in Tagesschulen sowie die Erhöhung der Gewinnablieferungen von Stadtbauten (Stabe) und Energie Wasser Bern (EWB) sein. "Die Erhöhung der EWB-Gewinnablieferung von 42 auf 43 Millionen Franken ist vertretbar", sagte Gemeinderat Nause.

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 Erste Reaktionen

 Stadtrat übt Kritik

 Das Grüne Bündnis (GB) kritisiert in einer Mitteilung die "Verschlechterung der Arbeitsbedingungen" für die Lehrkräfte in den Tagesschulen und die Streichung der Subventionen an die Volkshochschule. "Das GB akzeptiert keinen Abbau bei Bildung und Kultur." Das GB fordert den Gemeinderat auf, das Sanierungspaket vorläufig zu sistieren und einen runden Tisch der Fraktionen zur Sanierung der Stadtfinanzen einzuberufen. Für die FDP wiederum ist die ursprünglich beabsichtigte Schliessung von Ka-We-De und Hallenbad Hirschengraben "fragwürdig". Die Sparbemühungen des Gemeinderates seien "zaghaft". Die Einführung einer Schuldenbremse tue daher immer noch not. (bob)

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Bund 3.2.11

Zur Sache

 Tschäppät: "Ich bin sehr zufrieden"

 Herr Stadtpräsident, in Biel werden über 100 Millionen Franken in den Bau eines neuen Campus investiert. Bern kann den Besitzstand wahren. Sind Sie enttäuscht?

 Ich begrüsse die Konzentration der Fachhochschulstandorte. Natürlich habe ich eine Vollkonzentration der Standorte in der Stadt Bern angestrebt - dies aber nicht zuletzt auch aus taktischen Gründen. Eine Zentralisierung in der Stadt Bern hätte im Grossen Rat des Kantons Bern kaum eine Chance gehabt. Zudem sind die Bereiche Technik und Architektur sowie Gesundheit, Soziales, Kunst und Wirtschaft in Biel beziehungsweise Bern jeweils gut verankert. Die Teilkonzentration in Biel und Bern liegt daher auf der Hand. Ich bin mit dem nun gefällten Entscheid zufrieden.

 Kann sich der Fachhochschulstandort Bern in den nächsten Jahren überhaupt noch entwickeln?

 Ja. Wir wollen einen guten Standort für die Weiterbildung in jenen Fachhochschulbereichen anbieten, die bereits heute in Bern stationiert sind. Da Weiterbildung in der Regel am Abend oder an Samstagen stattfindet, ist ein bahnhofsnaher Standort eminent wichtig. Nebst der Schanzenpost kämen dafür die heute von den SBB genutzten Räumlichkeiten am Bollwerk infrage. Die ganze Häuserzeile zwischen dem Migros Bahnhof und dem neuen Gebäude mit der Infothek SBB Historic ist in einem schlechten Zustand. Es ist geplant, die Gebäude abzureissen und durch einen Neubau zu ersetzen.

 Für den Regierungsrat sind die Standorte Schützenmatte und Wankdorf City zu klein. Für den Bau eines Campus standen zuletzt Biel und Weyermannshaus zur Debatte. Das "Weyerli" sei aber schlechter verfügbar als Biel. Dieser Malus war ja wohl bekannt?

 Ja. Die Terrains im "Weyerli" gehören meist nicht der Stadt. Die Eigentümer haben aber in Gesprächen ihre Bereitschaft zur Kooperation signalisiert. Wäre der Campus-Standortentscheid zugunsten von Bern-Weyermannshaus ausgefallen, hätte dies der Entwicklung einen Schub verliehen. Das Weyermannshaus ist für einen Studierenden aus dem Berner Oberland besser erreichbar als Biel. Ich will jetzt aber nicht Biel und Bern gegeneinander ausspielen.

 Der Regierungsrat findet den Standort Weyermannshaus aber auch weniger attraktiv und weniger urban als den Standort Biel. Ist das nicht ein hartes Verdikt für den Entwicklungsschwerpunkt Ausserholligen, der seit Jahrzehnten nicht vom Fleck kommt?

 Von einem "Verdikt" kann keine Rede sein. Fakt aber ist: Mit Ausnahme des Europaplatzes steht der ESP Ausserholligen noch gar nicht zur Verfügung. Weitere Bereiche werden nun mit dem Bau der jüngst vom Stadtrat genehmigten Fussgängerpasserelle attraktiver gestaltet. Ich bin zuversichtlich, dass Ausserholligen "zum Fliegen" kommen wird.

 Interview: Bernhard Ott

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bern.ch 3.2.11

Gemeinderat will Haushalt um rund 20 Milllionen entlasten
http://www.bern.ch/mediencenter/aktuell_ptk_sta/2011/02/portfoliohaus

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CLUBLEBEN BE
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BZ 5.2.11

Gegen die Bürgerwehr

 Stadt Bern Breiter Widerstand gegen die staatlich verordnete Bürgerwehr in Berns Partymeile: Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) will 33 Berner Wirte zwingen, einen privaten Patrouillendienst zu finanzieren. In Zürich oder St. Gallen wäre das undenkbar. "Bei uns ist das illegal", sagt St. Gallens Polizeisprecherin. tob Seite 3

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Politiker stellen sich gegen Bürgerwehr in Bern

 Nachtleben. Politiker jeder Couleur wehren sich gegen die Pläne des Regierungsstatthalters Christoph Lerch (SP). Er will Lokalbetreiber in Bern zwingen, durch die Gassen zu patrouillieren.

 Der Präsident des kantonalen Polizeiverbandes kritisiert den jüngsten Coup des Regierungsstatthalters Christoph Lerch (SP). "Es darf nicht sein, dass private Sicherheitstruppen durch Berns Gassen patrouillieren", sagt Markus Meyer. Zwar wolle er sich als Roggwiler nicht ins Berner Nachtleben einmischen. Doch gegen eine Bürgerwehr würde der SP-Grossrat politisch aktiv werden, betont er.

 In einem Brief an 33 Stadtberner Clubbetreiber und Wirte hat Christoph Lerch von den Lokalbetreibern in der Aarberger-, Neuen-, Genfer-, und Speichergasse verlangt, dass sie am Wochenende einen privaten Sicherheitsdienst organisieren - und diesen auch bezahlen. Mit dieser Aktion will der Regierungsstatthalter das Vandalismus- und Gewaltproblem bekämpfen (Ausgabe von gestern). Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) unterstützt das Vorhaben.

 "Das Geld falsch investiert"

 Die Wirte sind konsterniert. Doch sie erhalten Unterstützung aus der Politik. "Ausgerechnet der Staat selber will in Bern eine Bürgerwehr installieren", sagt GB-Stadtrat Hasim Sancar. Dagegen werde er sich wehren. Für einmal kämpft der Linke Sancar Seite an Seite mit den bürgerlichen Parteien FDP, SVP und BDP. Diese haben sich beim Regierungsstatthalter in einem offenen Brief beschwert. Mit Markus Meyer sitzt auch ein Genosse im Boot des Widerstands. Dass mit Christoph Lerch ausgerechnet einer seiner Parteikollegen das Gewaltmonopol aushebeln will, kommentiert Markus Meyer nicht. "Mir gehts um die Sache", sagt er. Und in der Sache spricht der Präsident des Polizeiverbandes Klartext: "Jetzt zeigt sich, dass die Stadtbehörden den Synergiegewinn aus der Polizeifusion besser in mehr Polizisten hätten investieren sollen."

 "Polizisten müssen ran"

 Für öffentliche Sicherheitsaufgaben kämen nur Polizisten infrage, sagt Meyer. "Denn jedermann, auch ein Krimineller, kann eine eigene Sicherheitsfirma gründen." Es gebe in dieser Branche weder Kontrollen noch eine anerkannte Ausbildung. "Ein Polizist dagegen wird körperlich und psychisch getestet und ein Jahr lang an der Polizeischule ausgebildet, bevor er auf Patrouille darf."

 Im Gegensatz zu Markus Meyer will sich der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) nicht einmal zur Sache äussern.

 Tobias Habegger

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Städtevergleich

 Nicht nur in Bern sorgt das Nachtleben für Probleme. "Auch in Zürichs Gassen kommts an Wochenenden vermehrt zu Gewalt, Lärm und Vandalismus", sagt der Zürcher Stadtpolizei-Sprecher Marco Cortesi auf Anfrage. In Zürich besitzen rund

 650 Ausgehlokale eine Überzeitbewilligung. Doch anders als in Bern komme es für die Zürcher Behörden nicht infrage, dass die Wirte einen eigenen Sicherheitsdienst betreiben müssten. "Für die Sicherheit auf öffentlichem Grund ist die Polizei alleine verantwortlich", sagt Marco Cortesi. Patrouillen seien in den Ausgehzonen ständig präsent. "Das wirkt beruhigend."

 Die Clubs ihrerseits müssen auch in Zürich den Umgebungslärm im Auge behalten. "Und bei Handgreiflichkeiten schreiten die Sicherheitsdienste im Rahmen der Notwehrhilfe ein." Um die Clubbetreiber aber an den Kosten für die öffentliche Sicherheit zu beteiligen, fehlt laut Cortesi im kantonalen Polizeigesetz die Rechtsgrundlage. "Wir können auf einen Wirt die Einsatzkosten nur überwälzen, wenn dieser vorsätzlich oder grobfahrlässig gehandelt hat."

 Auch St. Gallen distanziert sich vom Berner Ruf nach privaten Sicherheitspatrouillen in den Partygassen. "Das wäre bei uns illegal", sagt Polizeisprecherin Petra Ludewig. Die Clubbetreiber engagieren sich auf freiwilliger Basis: Die 2010 gegründete Arbeitsgruppe Commitment ruft zu Respekt im öffentlichen Raum auf.tob

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bernerzeitung.ch 4.2.11

"Private Sicherheitsleute haben im öffentlichen Raum nichts zu suchen"

Tanja Kammermann

 Die Forderung von Regierungsstatthalter Christoph Lerch, dass Berner Wirte der oberen Altstadt künftig selber für Recht und Ordnung auf den Gassen sorgen sollen, erhitzt die Gemüter unserer Leser. Auch prominente Berner haben sich zu Wort gemeldet.

 Die Beizer und Clubbetreiber aus der Aarberger-, Neuen-, Genfer- und Speichergasse wurden im Janaur aufgefordert, künftig gemeinsam einen privaten Sicherheitsdienst zu betreiben. Dieser soll am Wochenende zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen durch die Gassen patroullieren. Nicht nur den Beizern, sondern auch vielen Lesern stösst diese Idee sauer auf.

 So auch FDP-Politiker Philippe Müller: "Es ist noch kein Jahr her, da wehrten sich sich der rot-grüne Stadt- und Gemeinderat und auch Reto Nause gegen mehr Polizei - Bern sei sicher, hiess es." Vor knapp einem Jahr lancierte der FDP-Politiker Philippe Müller die Initiative "Für eine sichere Stadt Bern". Sie forderte unter anderem viel mehr Polizei in Bern. "Warum unterstützen nun die gleichen Leute die privaten Ordnungsdienste, die ausgerechnet ein SP-Statthalter verlangt?", fragt er in seinem Kommentar vom Freitag.

 Auch Jimy Hofer, Stadtoriginal und Besitzer der Bronco-Bar in der Matte, unterstützte damals die Sicherheitsinitiative und hat sich zu Wort gemeldet: "Genau die, die mit einem untauglichen Gegenvorschlag die Sicherheitsinitiative zu Fall gebracht haben, fordern nun mehr Security in den Gassen. Die Gerichte werden aber hoffentlich wie in Sachen "Littering" im öffentlichen Raum entscheiden, dass nämlich die Gemeinde dort für die Sicherheit zu sorgen hat."

 Von einer abstrakten Idee schreibt Leser Rainer Berner: "Wer sich draussen - vor den gastronomischen Betrieben - aufhält, befindet sich auf öffentlichem Grund und Boden. Und nun sollen Betriebsinhaber quasi dafür verantwortlich gemacht werden - und dafür auch noch bezahlen - dass dort nachts Ruhe und Ordnung herrscht."

 Öffnungszeiten verlängern

 Leser Christoph Jeanneret glaubt, längere Öffnungszeiten würden das Problem lösen: "Was für eine unausgereifte und undurchdachte Idee vom Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP). Einerseits will dieser an der Polizeistunde um 3.30 Uhr festhalten und so in Kauf nehmen, dass es Lärmemissionen auf der Strasse gibt, und andererseits will er die Betreiber für die Gäste in der Öffentlichkeit haftbar machen. Lasst die Ausgänger durchfeiern und der Lärm wird verschwinden!", meint er.

 Daniel Kettiger schlägt vor, dass sich die Beizer an den Polizeikosten beteiligen sollen: "Diese Idee ist rechtsstaatlich unhaltbar. Private Sicherheitsdienste haben im öffentlichen Raum nichts zu suchen und schaffen primär Unsicherheit. Sie haben dort nicht mehr Kompetenzen als jede Privatperson. In Bern gibt es heute schon zu viele davon. Notwendig ist mehr Polizei und ein städtisches Reglement, dass eine Finanzbeteiligung der Lokalbetreiber am Polizeiaufwand festlegt."

 Doch die Idee stösst auch auf Zustimmung: "Eine gute Idee von Herr Lerch. Nach dem Verursacherprinzip. Bravo sollte man in Thun auch einführen", schreibt Max Fahrni. Auch Hans Berner stösst ins gleiche Horn: "Christoph Lerch hält dagegen. Lokalbetreiber haben neben ihren Rechten auch gewisse Pflichten. Ich bin total Ihrer Meinung."

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BZ 4.2.11

Beizer sollen bezahlen

 Stadt BernRegierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) fordert mehr als 30 Wirte und Klubbetreiber in der oberen Berner Altstadt auf, Gewalt und Vandalismus zu bekämpfen. In einem Pilotprojekt will Lerch die Lokalbetreiber verpflichten, gemeinsam einen privaten Sicherheitsdienst zu betreiben. Die Kosten müssten sie gemäss einem Verteilschlüssel untereinander aufteilen. In einem Schreiben hat Lerch die Wirte informiert - und sie zu einer Informationsveranstaltung im Amthaus aufgeboten.

 Die Teilnahme am Pilotprojekt ist für alle Wirte obligatorisch. Wer sich querstellt, riskiert den Verlust seiner Überzeitbewilligung. In einem offenen Brief kritisieren die bürgerlichen Parteien Lerchs Vorgehen.tob

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Wirte sollen für Sicherheit bezahlen

 NachtlebenRegierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) nimmt Clubbetreiber und Beizer in die Pflicht. Weil das Nachtleben in der oberen Altstadt aus dem Ruder läuft, müssen die Wirte einen privaten Ordnungsdienst bezahlen.

 Wie 32 andere Berner Wirte hat auch Bernhard Hüsser vom Restaurant Moléson im Januar einen Brief erhalten von Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP). Über den Inhalt war Bernhard Hüsser gemäss eigenen Aussagen "nicht nur überrascht - sondern regelrecht schockiert". Die Beizer und Clubbetreiber aus der Aarberger-, Neuen-, Genfer- und Speichergasse wurden vom Regierungsstatthalter aufgefordert, "den Lärm, die Verunreinigung, den Vandalismus und die Gewalt" in der Berner Partymeile in der oberen Altstadt zu bekämpfen. Wie sie das tun sollen, wird ihnen an einer Infoveranstaltung am 4. März im Berner Amthaus erklärt.

 Wirte sind empört

 Die Idee der Behörden enthält Zündstoff. Sie lautet wie folgt: Die Restaurants und Ausgehlokale betreiben gemeinsam einen privaten Sicherheitsdienst. Dieser patrouilliert am Wochenende zwischen Mitternacht und dem Morgengrauen durch die Gassen. "Weil die Lokale den Sicherheitsdienst gemeinsam betreiben, ist es einem Radaustifter nicht weiter möglich, nach dem Rausschmiss aus einem Club ein anderes Lokal zu besuchen", sagt der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (siehe Interview rechts).

 Die Kosten für den privaten Ordnungsdienst müssten die Lokale untereinander aufteilen. Der Verteilschlüssel sieht laut dem Schreiben des Regierungsstatthalters wie folgt aus: Die Restaurants ohne generelle Überzeitbewilligung (12 Betriebe) steuern eine monatliche Pauschale von 120 Franken bei. Die Clubs mit einer generellen Überzeitbewilligung (21 Betriebe) zahlen neben der Pauschale je nach Grösse zusätzlich zwischen 300 und 400 Franken monatlich. Besonders brisant: Die Beteiligung am geplanten Ordnungsdienst soll für die Wirte obligatorisch sein. Wer sich nicht freiwillig an diesem Pilotprojekt beteiligt, dem droht laut des Briefs von Christoph Lerch die Anpassung der Betriebsbewilligung. Konkret: Er könnte seine Überzeitbewilligung oder die Bewilligung zum Rausstuhlen verlieren.

 Rechtlich ist ein solches Vorgehen laut Pierre Tschannen, Professor für öffentliches Recht der Universität Bern, "grundsätzlich möglich". Eine Gastgewerbebewilligung könne angepasst werden, wenn sich die Voraussetzungen verändert hätten. "Zudem kann eine Bewilligung mit Auflagen verbunden werden, sofern diese verhältnismässig sind."

 Alles andere als verhältnismässig ist dieser Schritt aus Sicht des Moléson-Wirtes Bernhard Hüsser: "Ich leide selber unter dem Dreck und dem Vandalismus in der Aarbergergasse. Jetzt soll ich auch noch dafür bezahlen, damit dies aufhört", sagt er. Auch Roman Bühler, Mitinhaber der beiden Clubs Bonsoir und Propeller, sagt: "Wir Clubbetreiber bezahlen ja Steuern. Weshalb sollten wir uns auch noch finanziell an der Sicherheit in den Gassen beteiligen?"

 Offener Brief an Lerch

 Unterstützung erhalten die beiden Wirte von den bürgerlichen Parteien der Stadt Bern. In einem offenen Brief an Regierungsstatthalter Lerch kritisieren die FDP, die SVP und die BDP dessen Idee. "Es gehört zu den Aufgaben des Staates, die öffentliche Sicherheit zu gewährleisten", sagt FDP-Fraktionssprecher Bernhard Eicher.

 Der kritisierte Christoph Lerch hält dagegen: "Lokalbetreiber haben neben ihren Rechten auch gewisse Pflichten." Gemäss Gastgewerbegesetz seien die Wirte mitverantwortlich für das, was um ihren Betrieb herum passiert. Er könne die Aufregung der Lokalbetreiber nachvollziehen, sagt Lerch - berechtigt sei diese jedoch nicht. Christoph Lerch zieht den Vergleich zu Hochrisikospielen im Fussball. "Da müssen sich die Clubs auch an den Polizeikosten beteiligen", sagt er.

 Tobias Habegger

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 Reto Nause

 Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) will, dass die Wirte und Clubbetreiber die Drecksarbeit nicht länger der Polizei überlassen.

 Reto Nause, was läuft schief im Berner Nachtleben?

 Reto Nause: Zwischen zwei Uhr und fünf Uhr morgens ist die Stimmung fiebrig, weil sich alkoholisierte Pubertierende in den Gassen Hahnenkämpfe liefern. Doch abgesehen davon hat Bern die attraktivste Ausgangsmeile nördlich von Mailand.

 Nun sollen die Clubbetreiber in der oberen Altstadt einen Ordnungsdienst finanzieren.

 Ich unterstütze die Idee des Regierungsstatthalters (siehe Text links). Die Wirte können nicht nur den Umsatz einstreichen, während die Polizei die Drecksarbeit alleine macht.

 Die bürgerlichen Parteien kämpfen dagegen an.

 Ach, es ist Wahljahr, und einige Politiker stürzen sich auf solche Geschichten. Doch wir finden im Dialog mit den Clubbetreibern und Beizern bestimmt eine Lösung, von der alle profitieren.

 Welchen Beitrag leisten die Behörden?

 Der Regierungsstatthalter hat in den letzten Jahren viele Überzeitbewilligungen erteilt - und damit ein attraktives Nachtleben ermöglicht. Zudem wird die Kantonspolizei ihre Patrouillen ab September 2011 um 10 000 Stunden erhöhen. Ein Jahr später kommen weitere 10 000 Stunden dazu. So haben es die Stimmbürger 2010 verlangt.tob

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RABE-INFO
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Fr. 4. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_4._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_4._Februar_2011.mp3&song_title=###TITLE###
- Tage des Zorns im Nahen Osten - Perspektiven für die Demokratisierung der arabischen Welt
- 40 Jahre Frauenstimmrecht - Nicht alle Frauen waren dafür
- Ear We Are - Festival in Biel ist eine Herausforderung für die Ohren

Links:
http://www.earweare.ch

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Do. 3.Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_3._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_3._Februar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%203.%20Februar%202011
- Hintergründe und Perspektivem zum Volksaufstand in Ägypten
- Menschenrechtsorganisationen kritisieren Nothilfe für abgewiesene Asylbewerber
- Abbau von Steinkohle in Kolumbien ist eine Gefahr für Mensch und Natur

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Mi. 2. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_2._Februar_2011.mp3&song_title=###TITLE###
- Umbruchstimmung in Ägypten - ein Erlebnisbericht aus Kairo
- Kein Geld für die Reitschule - Das Kulturzentrum gerät erneut unter politischen Beschuss
- Lex Duvalier wird in Kraft gesetzt - Die Schweiz sperrt die Konten vom Ex-Diktator Haitis

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Di. 1. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_1._Februar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%201.%20Februar%202011
- Grössere Hürden für Zivildienstleistende: Der Zugang ist ab heute wieder schwieriger
- Billiger Autofahren im Kanton Bern: Wie viel billiger entscheidet das Stimmvolk am 13. Februar
- Lancierung der Initiative "für eine öffentliche Krankenkasse": Sie soll eine bessere Versorgung und mehr Transparenz bringen

Links:
http://www.zivi.admin.ch
http://www.civil.ch

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EINBÜRGERUNGEN
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Blick am Abend 3.2.11

Wie viel darf es sein, Herr Hess?

 PASS

 Erich Hess (SVP) fordert vom Regierungsrat die Einführung einer Einbürgerungs-Steuer.

 Potz Blitz!", dachte sich die Blick am Abend-Redaktion in Bern, als sie das Mail von Erich Hess (SVP) las. Eine Einbürgerungssteuer von 6500 Franken pro Kopf soll im Kanton eingeführt werden. Zudem die Vereinheitlichung der bisherigen Gebühren.

 Eine Familie mit zwei Kindern müsste für die roten Pässe - inklusive Gebühren - glatt 30400 Franken hinblättern. Dann das nächste Mail: Es habe sich "ein Fehler in die Mitteilung eingeschlichen". Die Einbürgerungssteuer solle lediglich 2500 Franken pro Kopf betragen.

 Ein Fehler? Oder vielleicht Angst vor der eigenen Courage? "Wir sind zum Entschluss gelangt, dass die Motion mit 2500 Franken mehr Chancen hat", sagt Hess zu Blick am Abend. Also doch kein Tippfehler - sondern Politverstand.

 "Wir Schweizer zahlen seit Generationen Steuern, darum unser Wohlstand", referiert Hess, "die Ausländer können sich in ein gemachtes Nest legen." Dennoch, selbst bei 2500 Franken Einbürgerungssteuer plus einer Vereinheitlichung bestehender Gebühren: Eine vierköpfige Familie müsste 14400 Franken für die Schweizer Pässe bezahlen. Ziemlich happig. "Nein", meint Erich Hess zu Blick am Abend, "wer normal arbeiten geht, kann sich das gut leisten." rrt

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ASYL
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Tagesanzeiger 5.2.11

Im Ausländerrecht kündigt sich eine Welle von Verschärfungen an

 Erfolg für FDP-Nationalrat Philipp Müller: Er brachte strengere Regeln für die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern in der zuständigen Kommission durch.

 Von Fabian Renz, Bern

 Regierung und Parlament senden in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik derzeit ziemlich gegensätzliche Signale aus. Eben erst hat die sozialdemokratische Justizministerin Simonetta Sommaruga bekannt gegeben, die Neuaufnahme von UNO-Kontingentsflüchtlingen werde geprüft. Sie lässt also etwas mehr Grosszügigkeit als ihre Vorgängerin walten. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK) hingegen beschloss gestern eine Serie beträchtlicher Verschärfungen: Sie hiess drei parlamentarische Initiativen des Aargauer FDP-Nationalrats Philipp Müller gut, die allesamt auf eine Erschwerung der Immigration aus Nicht-EU-Staaten zielen.

 "Mit diesen Beschlüssen werden wir dort tätig, wo wir überhaupt noch tätig werden können", sagt Müller. "Bei Immigranten aus der EU sind wir schliesslich an das Freizügigkeitsabkommen gebunden." Philipp Müller und mit ihm die Mehrheit der SPK vertreten die Ansicht, dass eine jährliche Immigration von 40 000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten für die Schweiz nicht länger zu verkraften ist.

 Für Müllers FDP sind die Kommissionsentscheide auch ein parteitaktischer Erfolg: Die gutgeheissenen Vorschläge sind Bestandteil des (parteiintern nicht unumstrittenen) freisinnigen Migrationskonzepts. Es handelt sich im Einzelnen um folgende Bestimmungen:

 Abschaffung des Familienasyls: Die umstrittenste der drei Initiativen betrifft den Familiennachzug. Nur wer einen anerkannten Fluchtgrund geltend machen kann, soll künftig den Flüchtlingsstatus erhalten - nicht aber automatisch auch die Mitglieder seiner Familie. Rund die Hälfte aller Asyle werden heute laut Angaben der SPK aufgrund des Familienasyls gewährt. Dadurch würden nachgezogene Familienmitglieder gegenüber den anerkannten Flüchtlingen in unangebrachter Weise bevorzugt, fand eine knappe Mehrheit der Kommission: Mit 12 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen wurde der Initiative Folge gegeben.

 Niederlassungsbewilligung erst nach zehn Jahren: Für anerkannte Flüchtlinge soll es neu zehn statt wie bisher fünf Jahre dauern, bis sie Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung erhalten. Damit werde Rechtsgleichheit geschaffen, argumentiert die SPK: Drittstaaten-Ausländer, die als Arbeitskräfte statt als Asylsuchende in die Schweiz kämen, müssten für eine Niederlassungsbewilligung schon heute zehn Jahre warten. Die Initiative fand in der Kommission eine Ja-Mehrheit von 16 zu 9 Stimmen.

 Kein Familiennachzug bei Sozialhilfe: Wer Sozialhilfe bezieht oder keine geeignete Wohnung hat, soll das Recht auf Familiennachzug verlieren. Die SPK will diese Regelung, die für Jahresaufenthalter heute schon gilt, auf Personen mit einer Niederlassungsbewilligung ausweiten. Der entsprechende Beschluss wurde mit 17 zu 7 Stimmen gefällt.

 Im Weiteren hiess die Kommission mit 14 zu 10 Stimmen eine Ständeratsmotion gut, die vom Bundesrat Vorschläge verlangt, um die Zuwanderung zu bremsen.

 Gegen "fundamentale Rechte"

 Die Schweizerische Flüchtlingshilfe reagiert entrüstet auf die SPK-Beschlüsse: Die Abschaffung des Familienasyls und die verdoppelte Wartefrist für die Niederlassungsbewilligung kämen einem "Angriff auf fundamentale Flüchtlingsrechte" gleich. Initiant Philipp Müller überschreite damit "definitiv eine rote Linie". Trotz der eindringlichen Wortwahl ist aber eher nicht damit zu rechnen, dass juristische Mittel ergriffen werden. Die Initiativen, obwohl "politisch hoch problematisch", seien mit dem Völkerrecht vermutlich kompatibel, meint Flüchtlingshilfe-Sprecher Adrian Hauser.

 Die Flüchtlingshilfe setzt nun darauf, dass Müllers Vorstösse in der parlamentarischen Beratung scheitern oder abgeschwächt werden. Als Nächstes hat sich die Staatspolitische Kommission des Ständerats mit den Verschärfungen zu befassen.

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Basler Zeitung 4.2.11

Das Mantra der Magistraten

 Bundesrätin Sommaruga will die Asylverfahren beschleunigen - wie alle ihre Vorgänger

Martin Furrer

 Asylverfahren dauerten viel zu lange. Zu diesem Schluss kommt SP-Justizministerin Simonetta Sommaruga. Schon ihre Amtsvorgänger haben das Problem erkannt - aber nie gelöst.

 Der Befund ist schonungslos. "Unsere Asylverfahren", sagt Justizministerin Simonetta Sommaruga, "dauern zu lange." Damit hat die Sozialdemokratin am Dienstag (BaZ von gestern) ein heikles Thema bemerkenswert offen angesprochen. "Je länger ein Verfahren dauert", sagte Sommaruga, "desto entwürdigender wird es für den betroffenen Menschen. Die lange Dauer ist zudem mit Kosten verbunden." Ausserdem reagiere die Bevölkerung mit Unmut.

 Eine Woche zuvor hatte Sommaruga an einem Asylsymposium in Bern präzisiert: Es dauere heute "ein bis zwei Jahre", bis ein Verfahren abgeschlossen sei. Das stelle "Bund, Kantone und Gemeinden vor logistische Probleme". Zudem wecke es bei den Betroffenen unrealistische Hoffnungen. Eine "Mehrheit der Asylsuchenden" reise "heute mit asylfremden Gründen ein, und wir reagieren darauf mit einem immer aufwendigeren und bürokratischeren Verfahren".

 "Asylverfahren dauern zu lange" - wie eine düstere Formel der Kapitulation zieht sich der Satz durch die Asylpolitik der vergangenen Jahre. Sommaruga ist nicht die erste und sie wird nicht die letzte Justizministerin sein, die sich zu diesem Eingeständnis gezwungen sieht. Ihre Vorgänger im Justiz- und Polizeidepartement kamen jeweils zum selben Schluss. Dem Mantra der Magistraten zum Trotz folgten den Diagnosen aber kaum taugliche Therapien. Auch das Parlament scheiterte an der Macht des Faktischen.

 Beschönigung

1989 versprach der damalige Justizminister Arnold Koller (CVP), er werde dank einer "raschen Triage echte Flüchtlinge von Arbeitssuchenden" trennen und das Verfahren, das damals schon rund zwei Jahre dauerte, dramatisch straffen.

 Eine Expertengruppe sollte aufzeigen, wie das Prozedere - von der Einreichung des Asylgesuches bis zur definitiven Erledigung - innert drei bis vier Monaten abgewickelt werden könnte. Doch die Kommission löste sich ebenso auf wie die Hoffnung auf mehr Tempo im Verfahren.

 Ende der Neunzigerjahre klopfte der Basler SVP-Nationalrat Jean Henri Dunant beim Bundesrat an. Die Regierung antwortete auf seinen Vorstoss: "Das Bundesamt für Flüchtlinge hat seit 1992 Massnahmen zur Straffung des Asylverfahrens umgesetzt. Diese haben zu einer markanten Beschleunigung des erstinstanzlichen Verfahrens geführt."

 Die "markante Beschleunigung" entpuppte sich als amtliche Beschönigung. Im Jahr 2000 erliess die Eidgenössische Kommission für Flüchtlingsfragen einen Appell: Asylverfahren, mahnte der Ausschuss, dürften "in der Regel höchstens sechs Monate dauern" - Rekursverfahren inklusive. Nicht nur Rechts- und Mitteparteien, auch die Schweizerische Flüchtlingshilfe zeigten Verständnis: Die "wiederholte Erstreckung von Ausreisefristen" und die "uneinheitliche Vollzugspraxis in den Kantonen" führten dazu, "dass die Asylbehörden in den Augen der Betroffenen an Glaubwürdigkeit verlieren".

 Verschleppung

Der Appell verhallte ungehört. Zwar lobte 2002 die damalige Justizministerin Ruth Metzler (CVP), die erste Befragung in den Empfangsstellen dauere nur noch sechs Tage, "das ist sensationell". Doch damit war das Thema nicht entschärft. Bürgerliche Parteien bemängelten, Asylbewerber hätten weiterhin ein Interesse, das Verfahren durch unkooperatives Verhalten in die Länge zu ziehen. Dadurch steige die Chance, dass sie der Bund im Rahmen einer humanitären Aktion doch noch aufnehme.

 Christoph Blocher (SVP), der 2003 Metzlers Sitz im Bundeshaus übernommen hatte, verschärfte das Gesetz - um das Verfahren zu beschleunigen. Die Rechte Asylsuchender wurden eingeschränkt - das Tempoproblem blieb. 2007 rüffelte das Bundesgericht die Asylrekurskommission: Sie hatte das Verfahren von zwei Russen sage und schreibe über fünf Jahre verschleppt.

 2009 hat die damalige Justizministerin Evelyne Widmer-Schlumpf (BDP) angekündigt, die Beschwerdefristen von 30 auf 15 Tage zu reduzieren. Der Ständerat stoppte sie mit dem Argument, das sei "Pflästerlipolitik". Ihre Nachfolgerin Sommaruga müsse die Chance haben, das Thema grundsätzlich zu überdenken.

 Jetzt brütet erneut eine Expertenrunde über der Frage, wie die Verfahren zu verkürzen wären. Im März soll sie Sommaruga einen Bericht abliefern - das vorläufig letzte Kapitel einer unendlichen Geschichte.

 Reduktion

Nationalrat Phi-lipp Müller (FDP, AG) weiss, was zu tun wäre. "Es gibt viel zu viele Rechtsmittel, mit denen das Verfahren verzögert werden kann. Zudem nehmen sich die Gerichte zu viel Zeit für ihre Entscheide." Einsprachemöglichkeiten seien darum "zu überprüfen und gegebenenfalls zu reduzieren, sofern dadurch die Rechtsstaatlichkeit nicht eingeschränkt wird".

 Müller bleibt aber Realist: "Wenn abgewiesene Asylbewerber wegen fehlender Papiere, mangelnder Kooperation oder Widerstand des Herkunfsstaates monate- oder jahrelang nicht ausgewiesen werden können, bleibt das Problem bestehen."

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NOTHILFE
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augenauf.ch 5.2.11

Kurzvorträge

Nothilfe Kampagne: Kurzvorträge im Container

augenauf Zürich führt im Rahmen der Nothilfe-Kampagne 2011 am Samstag, 12. Februar verschiedene Vorträge durch.

14 Uhr: "Wo es hell ist, da ist die Schweiz" - die schweizerische Flüchtlingspolitik im 2. Weltkrieg

15 Uhr: Zivilstandsbeamte als PolizistInnen - Kontrolle und Denunziation vor der Heirat

16 Uhr: für die Reichen, gegen die Armen - die grosse Lüge "humanitäre Tradition"

Ort:  im Container der Kampagne vor der Stauffacher-Kirche offener St.Jakob, Zürich

Info zur Kampagne unter http://www.nothilfe-kampagne.ch

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refugees-welcome.ch 5.2.11

Nothilfe Kampagne

Wie du vielleicht weisst, werden in der Schweiz abgewiesene Asylsuchende von der Sozialhilfe ausgeschlossen. Sie können nur noch das in der Bundesverfassung festgeschriebene Recht auf Hilfe in Notlagen geltend machen. In vielen Fällen ist diese Situation aber untragbar und Menschenrechte wie das Recht auf Gesundheit, auf Schulbildung oder auf genügend und gesunde Ernährung werden verletzt. Das System der Nothilfe bedeutet für die Betroffenen Schikanen, soziale Isolation und Hoffnungslosigkeit, die vor allem bei LangzeitbezügerInnen zu psychisch und physisch kranken Menschen führt.

Amnesty International Schweiz lanciert deshalb in Zusammenarbeit mit der Schweizerischen Flüchtlingshilfe, Solidarité sans Frontières und der Schweizerischen Beobachtungsstelle im Februar 2011 eine Sensibilisierungskampagne, die die Bevölkerung und die PolitikerInnen aufrütteln und sie dazu auffordern soll, das Konzept der Nothilfe in der Schweiz grundsätzlich zu überdenken.

Im Rahmen der Nothilfekampagne werden von Februar bis Mai 2011 verschiedene nationale und kantonale Aktionen stattfinden.

Im Kanton Zürich hat Amnesty zusammen mit dem Solidaritätsnetz Zürich eine besondere Aktion entwickelt. In der Woche vom 7.-13. Februar 2011 werden wir dazu auf dem Stauffacherplatz in Zürich einen Container aufstellen. Dieser Container soll dazu dienen, die unmenschliche Wohn- und Lebenssituation der NothilfebezügerInnen zu veranschaulichen und mediales Interesse zu wecken.

Im und um den Container sind verschiedene Aktionen geplant: Performance, Pressekonferenz, Konzert, Migrosgutscheine-Umtausch, Photoausstellung, Aufklärungsarbeit auf der Strasse, Cafeteria "Leben für 8.50 pro Tag" (siehe Programm).

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beobachtungstelle.ch 4.2.11

Nothilfe-Kampagne lanciert

Das Nothilfe-System im Asylwesen muss grundsätzlich in Frage gestellt werden. Zu diesem Zweck startete am 3. Februar 2011 schweizweit eine Kampagne der vier im Asylbereich tätigen Organisationen Amnesty International, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans frontières. Rund 5800 zurückgewiesene Asylsuchende sind der Nothilfe unterworfen. Einem System, das zu sozialer Isolation, zahlreichen behördlichen Schikanen und zu einem Leben in Ungewissheit führt und die Betroffenen so an einem Leben in Würde hindert.

"Mit unserer Kampagne machen wir die Öffentlichkeit auf die schwierigen und menschenunwürdigen Lebensumstände aufmerksam, denen Menschen in der Nothilfe unterworfen sind", erklärt Claudia Dubacher, Generalsekretärin der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht. "Die Schweizer Bevölkerung muss sich bewusst werden, was es heisst, mit 4.30 bis maximal 12 Franken pro Tag in Bar oder in Form von Einkaufsgutscheinen auskommen zu müssen. Ein menschenwürdiges Dasein ist unter diesen Bedingungen schlicht unmöglich."

Die vier an der Kampagne beteiligten Organisationen fordern eine grundsätzliche Überprüfung des Nothilfesystems, das unbedingt mehr auf die Bedürfnisse besonders verletzlicher Personen eingehen muss. Grundrechte müssen respektiert werden. Im Besonderen das Recht auf Schulbildung und das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein - beides Rechte, welche den Menschen in der Nothilfe regelmässig vorenthalten werden. Die vier beteiligten Organisationen werden sich in dieser Angelegenheit in den nächsten Wochen an die nationalen und kantonalen Behörden wenden.

Qazem Alizada, Mitglied des Bleiberecht-Kollektivs Bern, hat zwei Jahre lang in der Nothilfe und in den damit verbundenen menschenunwürdigen Umständen gelebt. "Als Vertreter von Solidarité sans frontières ist es mir wichtig, denjenigen eine Stimme zu verleihen, die heute noch in diesen Bedingungen leben müssen. Am schwersten zu ertragen ist die Frustration durch den rechtlosen Zustand, man existiert offiziell gar nicht mehr. Wir sind Gefangene unserer Situation und leben zusätzlich in ständiger Angst, von der Polizei aufgegriffen und eingesperrt zu werden. Und das, obwohl wir uns nichts zu Schulden haben kommen lassen."

Der Ausschluss aus der Sozialhilfe sollte ursprünglich zur Abschreckung dienen, die Anzahl der Asylgesuche und der ausserordentlichen Verfahren senken und - vor allem - zurückgewiesene Asylbewerber zum Verlassen des Landes zu bewegen. Da nur 15% der Nothilfebezüger nach einem Jahr noch im System sind, vertritt das Bundesamt für Migration BFM die Meinung, dass eine Mehrheit der Betroffenen das Land verlassen hat. Aber nur 12 bis 17% sind nachweislich aus der Schweiz ausgereist. Ein Beweis dafür, dass der Sozialhilfestopp nicht die erwartete Wirkung zeigt.

"Das Nothilfe-System hatte von Anfang an den Zweck, die betroffenen Menschen aus den Statistiken verschwinden zu lassen", sagt Susanne Bolz. "Und das ist bis heute sein einziger Verdienst. Es ist illusorisch zu glauben, dass alle ehemaligen Nothilfebezüger die Schweiz verlassen haben. Statt die Betroffenen zu einer raschen Rückkehr zu bewegen, schafft die Nothilfe lebensunwürdige und demoralisierende Zustände, in denen vor allem die Schwächsten zum Teil für lange Zeit hängen bleiben."

Die Kampagne wird in den nächsten Wochen am Beispiel der Kantone Graubünden, Zürich, Bern und Waadt aufzeigen, was Nothilfe für die Betroffenen konkret bedeuten kann - was nicht heissen will, dass die Dinge anderorts besser stehen.

>> weitere Informationen zur Kampagne
http://beobachtungsstelle.ch/index.php?id=189

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Beobachter 4.2.11

Reportage

 Geboren ohne Heimat

 Sie wachsen auf in einer Welt, die nicht für sie gedacht ist: Hunderte Kinder von abgewiesenen Asylbewerbern leben in Schweizer Nothilfezentren. Verunsicherung prägt ihren Alltag.

 Text: Markus Föhn; Fotos: Jacek Pulawski

 J osé steht auf einmal still und schweigt, sein kleiner Körper zittert. Eben noch ist er lachend durchs Zimmer gerannt, seine Schwester Ruth war in sein Gebrüll eingefallen und hatte ihn mit Wäsche beworfen - doch dann hatte der wütende Schrei der Mutter beide zum Schweigen gebracht. Jetzt steht der Bub da und lässt unruhig den Blick schweifen. Mustert den Winkel mit den aufgetürmten Koffern. Die fleckige Wand. Die Ecke, in der auf einer zerwühlten Matratze seine Mutter sitzt, die Esperança heisst, auch wenn in ihr kaum mehr Hoffnung ist.

 Hin und her geht Josés Blick, immer schneller - Koffer, Wände, Esperança -, und dann legt er seinen Kopf in den Nacken und biegt den Rücken durch. Der Schrei, der ihm entfährt, ist ohrenbetäubend, und José sieht aus, als wolle er nie mehr aufhören zu schreien. Als wolle er sich hinausschreien aus seiner engen Welt.

 José ist zwei Jahre alt, und was er vom Leben bisher gesehen hat, sind hauptsächlich Asylunterkünfte von innen. Zentren wie das Nothilfezentrum hier im bernischen Aarwangen mit seinen 140 Plätzen, in dem er seit sieben Monaten lebt, zusammen mit seiner sechsjährigen Schwester und seiner Mutter. Der Raum misst etwa drei auf vier Meter, hinter einer Tür ist die Toilette. José verlässt ihn praktisch nur, um zu essen oder von Esperança unter die Dusche gestellt zu werden. Ab und zu schleicht er durch den schummrigen Korridor, doch seine Mutter sieht das nicht gern: "Die Umgebung da draussen ist nicht gut für ein Kind", sagt sie. "Zu viele Probleme."

 Anspruch auf Hilfe und Betreuung für alle

 Gemäss den aktuellsten verfügbaren Zahlen von 2009 wohnen rund 5800 abgewiesene Asylbewerber in Schweizer Nothilfezentren, davon sind gegen 700 noch keine 15 Jahre alt, Kinder wie José und Ruth. Die Abgewiesenen leben verstreut über alle Kantone, in eigenen Unterkünften oder speziellen Trakten von Durchgangszentren, oft sehr abgelegen. Manche bleiben ein paar Monate, vielleicht ein Jahr, reisen dann aus oder tauchen unter. Nach Angaben des Bundesamts für Migration (BFM) bleiben 15 Prozent von ihnen länger als ein Jahr.

 Ein Nothilfezentrum ist eine Transitstation. Wer hier wohnt, für den ist ein Leben in der Schweiz nicht vorgesehen, die Behörden haben sein Gesuch um Asyl abgelehnt oder sind gar nicht erst darauf eingetreten. Trotzdem ist er weiterhin hier. Weil entweder sein Herkunftsland ihn nicht als Staatsangehörigen anerkennt oder ihm keine Papiere für eine Rückreise ausstellt. Weil sein Land keine Schweizer Sonderflüge mit zurückgeschafften Flüchtlingen akzeptiert. Oder weil er sich stumm stellt, nicht sagt, woher er stammt, und so die Rückreise blockiert. Weil er sich fürchtet. Vor der Perspektivlosigkeit, vor Verfolgung vielleicht - oder schlicht vor dem Gesichtsverlust, als Gescheiterter zu Hause ankommen und von vorn anfangen zu müssen.

 Diese Menschen haben von der Schweiz nicht mehr zu erwarten als das, was Artikel 12 der Bundesverfassung festschreibt; dass nämlich Anspruch auf Hilfe und Betreuung habe, wer in Not geraten sei und nicht für sich selber sorgen könne. Das heisst konkret: ein Dach über dem Kopf, eine medizinische Notfallversorgung, Nahrungsmittel im Wert von sechs bis acht Franken pro Tag, je nach Kanton. Die Eidgenossenschaft lässt ihre ungebetenen Gäste nicht verhungern und nicht erfrieren, doch allzu wohl soll es ihnen nicht werden. Im Gegenteil: Ziel der Nothilfe ist es, abgewiesene Asylsuchende zur Ausreise zu bewegen.

 Im Nothilfezentrum von Gampelen im Berner Seeland gibt es 70 Plätze, drei davon belegen die sechsjährige Hweida, ihre einjährige Schwester Wadik und Michaela, die Mutter der beiden. Sie teilen sich ein Zimmer und ein Bett. Der Raum ist heller und grösser als jener in Aarwangen, die Möbel sind zusammengewürfelt und abgeschossen, aber intakt. Doch Hoffnungslosigkeit wohnt auch in diesem Zimmer: Wenn Mutter Michaela weint, presst sie Wadik gegen ihre Brust, bis diese ebenfalls zu weinen anfängt, und Hweida rennt hinüber in den Aufenthaltsraum, um Trickfilmfiguren tonlos über den Fernsehschirm tanzen zu sehen, die Nase beinahe auf die Mattscheibe gedrückt. Michaela weint viel.

 Michaelas Odyssee

 Die 29-Jährige stammt aus Eritrea, sie wirkt verängstigt, mit den Nerven am Ende. Ihre Geschichte kommt stockend und in einer Mischung aus Englisch, Deutsch und Italienisch. Sie war 22, als sie unverheiratet schwanger wurde - eine Schande in den ländlichen Gebieten Eritreas. Ihr Vater verbot ihr, jemals wieder sein Haus zu betreten. Also zog sie zu ihrem Freund, der im Sudan illegal einen Job gefunden hatte. Tochter Hweida kam zur Welt, doch eine Familie konnten sie nicht lange sein: Der Sudan wies sie, die Fremden, aus.

 Michaela verlor ihren Freund aus den Augen, sie reiste mit der Tochter nordwärts, nach Libyen, und nach einiger Zeit übers Meer nach Italien. Da sie befürchtete, die dortigen Behörden würden sie nach Eritrea zurückschaffen, zog sie weiter. Seit eineinhalb Jahren ist sie in der Schweiz, die zweite Tochter, Wadik, kam hier zur Welt.

 Wo ihr Vater ist, kann Michaela dem Mädchen nicht erklären, jedenfalls ist er nicht in der Schweiz, um ihnen zur Seite zu stehen. Und auch sie werden hier nicht bleiben können: Michaela hatte bereits in Italien einen Asylantrag gestellt, die Schweiz wird sie aufgrund des Dubliner Übereinkommens dorthin zurückschicken. "Ich kann nicht zurück", wimmert sie. "Hier wäre es gut für uns alle. Ich kann nicht zurück!" Wadik, die über den Fussboden krabbelt und Zeitungspapier zerreisst, wendet ratlos den Kopf ihrer Mutter zu, die niemanden hat, der sie in den Arm nimmt.

 "Als sei ich aus der Welt gefallen"

 Kinder in Nothilfezentren wachsen auf in einer Welt, in der es wenig Sicherheit gibt und die Stimmung gedrückt bleibt, selbst wenn gelacht wird oder Musik aus einem Zimmer schallt. In der die Erwachsenen die Luft anhalten, wenn ein Polizeiwagen vorfährt, weil das eine Ausschaffung bedeuten kann und man nie weiss, wen es trifft. Die blankliegenden Nerven sind beinahe greifbar in den Unterkünften, die kaum je ein Einheimischer betritt.

 Um die psychische Gesundheit der Bewohner steht es nicht gut. Zu diesem Schluss kommt ein Bericht, den das BFM und die Kantone Ende 2009 in Auftrag gaben. "Auffallend ist die Häufung insbesondere psychischer Erkrankungen unter den Nothilfebezügern", steht darin. Hauptursache dafür sei "weniger die ökonomische Lage der Nothilfebezüger, sondern eher die Perspektivlosigkeit, die Unsicherheit und die Stigmatisierung, die mit der Situation als ausreisepflichtige Person verbunden sind". In Gampelen sagt ein 34-jähriger Afghane in mühsam formuliertem Deutsch: "Ich fühle mich, als sei ich aus der Welt gefallen. Ich bin nirgends."▶

 Das Leben ist leer, zu tun gibt es nichts. Arbeiten ist den Bewohnern verboten, der Tagesablauf besteht im Wesentlichen aus Schlafen, Essen und Fernsehen. In manchen Zentren bestehen Möglichkeiten zur sportlichen Betätigung. Die wenigsten Bewohner entfernen sich hin und wieder für Spaziergänge vom Gebäude, in dem sie untergebracht sind - sie fürchten, Präsenzkontrollen zu verpassen oder von einer Polizeistreife angehalten und wegen illegalen Aufenthalts festgenommen zu werden.

 Kinder als blosse Anhängsel betrachtet

 Das Gefühl des Eingepferchtseins führt zu permanenter Frustration, verstärkt dadurch, dass auf engem Raum Menschen aus verschiedenen Nationen und Kulturen zusammenleben. Die Spannung schlägt leicht um in Gehässigkeit, zuweilen in offene Gewalt. Immer wieder kommt es auch zu Fällen von Drogenhandel oder Prostitution.

 Die Einzigen, die in den Genuss eines strukturierten Tagesablaufs kommen, sind Kinder im schulpflichtigen Alter: Sie haben Anrecht auf Unterricht an öffentlichen Schulen. Dies ist aber die einzige Sonderbehandlung, die Flüchtlingskindern zuteilwird. "Die Behörden betrachten sie als blosse Anhängsel der Erwachsenen, nicht als Gruppe, die besonders verletzlich ist und darum Schutz benötigt", kritisiert Claudia Dubacher, Geschäftsleiterin der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht.

 Die Umstände, unter denen Kinder in Nothilfezentren leben und aufwachsen müssten, würden die von der Schweiz ratifizierte Kinderrechtskonvention verletzen. "Den Kindern fehlt es an den Voraussetzungen für eine gesunde Entwicklung", sagt Dubacher. "Zum Beispiel die Ernährung: Auf dem Niveau der Nothilfe ist eine Versorgung mit gesunden Nahrungsmitteln und mit Frischprodukten nicht möglich." Zudem gebe es kaum Plätze zum Spielen, positive Vorbilder fehlten, Familien würden häufig auseinandergerissen. "Da wachsen Menschen heran, denen elementare Lebensgrundlagen fehlen."

 Auch Esperança macht sich Sorgen um ihre Kinder. Esperança, die sich in ihrem Heimatland Angola nicht sicher fühlte, obwohl der Bürgerkrieg vorbei war, und die im Jahr 2003 als 29-Jährige ihren Coiffuresalon aufgab und in die Schweiz flog, in der Hoffnung auf ein Leben frei von Angst. Das Erhoffte fand sie hier nicht, dafür in einem Asylzentrum die Liebe, einen Landsmann, den Vater von José und Ruth, untergebracht nun in einem Zentrum bei Genf. Nein, sagt sie, es sei nicht vernünftig gewesen, Kinder zu bekommen, doch wie jeder Mensch habe sie sich nach der Geborgenheit einer Familie gesehnt, allen Widrigkeiten zum Trotz. "Aber wenn ich daran denke, in welcher Umgebung José und Ruth aufwachsen, habe ich Angst um sie."

 Dass selbst Kinder die volle Härte des Gesetzes zu spüren bekommen, ist nach Einschätzung von Magdalena Urrejola von Amnesty International Absicht - Ausdruck eines "generalpräventiven Ansatzes", wie sie sagt. "Das System zielt auf eine Vergraulungstaktik ab, man will den Leuten das Leben so lange schwermachen, bis sie untertauchen oder ausreisen. Dass Kinder davon nicht verschont werden, soll den Nothilfeempfängern signalisieren: Kinder retten euch nicht vor einer Rückkehr in euer Herkunftsland." Das BFM will diesen Vorwurf nicht kommentieren, sondern verweist auf ein Rechtsgutachten des Bundesamts für Justiz, laut dem weder das Verfassungs- noch das Völkerrecht Leistungen an Familien vorschreibt, die über Nothilfeleistungen hinausgehen. "Auch sind uns keine Fälle bekannt, in denen Kinderrechte verletzt werden", sagt BFM-Sprecher Michael Glauser.

 Aus Sicht der Behörden bewährt es sich, abgewiesenen Asylbewerbern lediglich Nothilfe zukommen zu lassen. Zum einen, weil nur die Hälfte aller Abgewiesenen überhaupt Nothilfe beantragt - vom Rest nimmt das BFM an, dass sie ausreisen. Zum anderen, weil von jenen, die 2009 Nothilfe bezogen, 17 Prozent kontrolliert abgereist sind. "Noch häufiger wird die Schweiz unkontrolliert verlassen", sagt Glauser. Ziel nach offizieller Einschätzung also erreicht: Die Aussicht, von der Nothilfe leben zu müssen, bringt die meisten abgewiesenen Asylsuchenden dazu, das Land zu verlassen.

 "Ich fand das bessere Leben nicht"

 Menschenrechtsorganisationen dagegen halten das System der Nothilfe für gescheitert. Dass lediglich 17 Prozent der Empfänger kontrolliert ausreisten, zeige, dass sich der Staat in eine Sackgasse verrenne. "Der Staat rüttelt mit diesem Regime kräftig an den Grundrechten", kritisiert Magdalena Urrejola von Amnesty International. "Er füttert Menschen auf niedrigstem Niveau durch und steckt sie in Unterkünfte, die sie in manchen Kantonen faktisch nicht verlassen dürfen, obwohl kein Richter sie zu einer Freiheitsstrafe verurteilt hat, und trotzdem reisen die wenigsten dieser Menschen aus." Amnesty International, die Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht, die Schweizerische Flüchtlingshilfe und Solidarité sans frontières starten dieser Tage deshalb eine Kampagne, in der sie von Bund und Kantonen fordern, die Nothilfe zu überdenken.

 In ihrem engen Zimmer in Aarwangen wühlt Ruth in Wäschestücken. José ist auf den Heizkörper geklettert und klebt am Fenster, blickt nach draussen, wo sich die Nebeldecke auflöst und die Sonne durchbricht. Er brabbelt Unverständliches. Noch weiss er nicht, dass er bald nach Angola fliegen wird. Esperança hat einer kontrollierten Ausreise zugestimmt, die Vorbereitungen laufen.

 "Ich hatte einen Traum von einem besseren Leben, deshalb kam ich hierher", sagt sie achselzuckend. "Ich fand das bessere Leben nicht, und Träume habe ich keine mehr. Aber meinen Kindern will ich eine Zukunft ermöglichen. Wenn das hier nicht geht, dann muss es eben in Angola gehen." José, Ruth und Esperança werden ihr Zimmer nächstens räumen. Lange wird es nicht leer bleiben.

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Basler Zeitung 4.2.11

Das System Nothilfe hat Ziel verfehlt

 Abgewiesene Asylbewerber bleiben laut Flüchtlingshilfe trotzdem in der Schweiz

 Statt Sozialhilfe erhalten abgewiesene Asylbewerber seit 2008 nur noch Nothilfe. Sie sollen damit zur Ausreise bewogen werden.

 Das System der Nothilfe funktioniert nach Ansicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und anderer Organisationen nicht. Die Flüchtlingshilfe schlägt deshalb vor, die Rückkehrhilfe an Asylsuchende auszubauen - und hofft auf die neue Bundesrätin Simonetta Sommaruga.

 Seit 2008 erhalten abgewiesene Asylbewerber statt Sozialhilfe nur noch Nothilfe. Das Ziel dieser Massnahme bestand darin, die Migranten auf diese Weise zur Ausreise zu bewegen. Dies scheint aber nicht zu funktionieren. Nur 12 bis 17 Prozent der Nothilfebezüger würden die Schweiz nachweislich verlassen, teilten die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Amnesty International Schweiz, die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerfragen und Solidarité sans frontières am Donnerstag gemeinsam mit.

 Die Zahlen des Bundesamtes für Migration zeigten, dass das System der Nothilfe nicht die gewünschte abschreckende Wirkung habe: Die Mehrheit der abgewiesenen Asylsuchenden tauche unter, statt auszureisen, oder werde zu Langzeit-Bezügern der Nothilfe. Beides verhindere ein Leben in Würde. Die Nothilfe beträgt pro Tag höchstens zwölf Franken. Übernachten müssen die Asylbewerber in einem Zentrum.

 Die Flüchtlingshilfe schlägt aus diesem Grund vor, die Rückkehrhilfe auszubauen, auch die finanzielle. Gerade Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen gekommen seien, könnte auf diese Weise ein Anreiz geboten werden. Oft ginge es den Asylsuchenden auch darum, bei einer Rückkehr das Gesicht zu wahren.

 SOMMARUGA INTERESSIERT. Neu sollte weiter auch jenen Asylsuchenden geholfen werden, gegen die bereits Zwangsmassnahmen angeordnet wurden. Denn: In der Regel könnten sich ausreisepflichtige Personen erst dann auf Angebote einlassen, wenn sie sehen würden, dass ein Verbleib in der Schweiz unter keinen Umständen mehr möglich sei. Generell müssten die Behörden den schon bestehenden Handlungsspielraum besser nutzen.

 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement teilte auf Anfrage mit, dass Bundesrätin Sommaruga über die gestartete Kampagne und den Bericht der Flüchtlingshilfe informiert sei und beides "mit Interesse" zur Kenntnis genommen habe.  SDA/sbo

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NZZ 4.2.11

Blockaden um weggewiesene Asylsuchende

 Hilfswerke und Amnesty fordern Verbesserung und Überprüfung des Nothilfesystems

 Flüchtlingsorganisationen halten das Regime der blossen Nothilfe an weggewiesene Asylsuchende für eine Sackgasse. Neben Rücksichtnahme auf besonders Schutzbedürftige fordern sie, dass das System überdacht wird.

 C. W. Bern · Die 2004 gesetzlich eingeführte und 2008 ausgedehnte Regelung, dass weggewiesene Asylbewerber von der üblichen Sozialhilfe ausgeschlossen werden können, war von Anfang an umstritten. Einerseits schien es inkonsequent, Asylsuchenden nach dem rechtskräftigen negativen Entscheid weiterhin den Lebensunterhalt in der Schweiz zu gewähren. Von der Beschränkung auf eine minimale, von der Verfassung für Notlagen verlangte Hilfe versprach man sich einen zusätzlichen Druck, das Land zu verlassen. Anderseits wurde kritisiert, dass sich menschenunwürdige Situationen ergäben, zumal viele Betroffene gar nicht ausreisen könnten.

 Wenig individuelle Rücksicht

 Das Bundesamt für Migration begleitete die Einführung des "Sozialhilfestopps" mit Erhebungen und gelangte insgesamt zum Schluss, dass das System funktioniere. Demgegenüber untersuchte die Schweizerische Flüchtlingshilfe (SFH) die Praxis der Kantone und kam - mehr aus der Sicht der Betroffenen - zu einem schlechteren Bild. Die Leistungen der Kantone seien sehr ungleich und teilweise ungenügend. Namentlich werde nicht auf spezielle Bedürfnisse Rücksicht genommen, es fehle auch ein einheitlicher Begriff von "verletzlichen" Personen, wozu etwa Kranke und Kinder zu zählen sind. Alleinstehende Frauen würden manchmal Kollektivunterkünften zugewiesen, die ganz von Männern dominiert seien. Da einige Kantone nicht für die obligatorische Krankenversicherung sorgen, hängt der Zugang zu Ärzten dort oft vom Entscheid des fachlich dafür nicht qualifizierten Betreuungspersonals ab. Durch die zermürbenden Umstände - Untätigkeit, Isolation, Angst vor der Polizei - ergeben sich, wie festgestellt wird, oft psychische Probleme.

 Umstrittene Wirkung

 Die Flüchtlingshilfe, Amnesty International, Solidarité sans frontières und die ebenfalls private Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht lancieren nun eine Kampagne, um die Bevölkerung zu sensibilisieren und mittels einer Petition Veränderungen zu erwirken. Die Verhältnisse hätten sich nicht verbessert, sagte Susanne Bolz von der SFH aufgrund eines neuen Berichts, der frühere Untersuchungen mit Blick auf sieben Kantone fortschreibt. Zum Teil hätten die Behörden den Druck auf die Betroffenen noch erhöht, zum Beispiel mit zusätzlichen Melde- und Präsenzpflichten; besonders in grossen Kantonen sei aber auch eine gewisse Resignation festzustellen.

 Die vier Organisationen zweifeln, ob eine Art "permanente Beugehaft", wie ein Afghane die zwei Jahre lang selber erlebte Situation bezeichnete, überhaupt wirkt. 2009 bezogen 5800 Personen, die Hälfte der seit Anfang 2008 Weggewiesenen, Nothilfe. Im vierten Quartal 2009 lag der Entscheid bei einem Fünftel schon mehr als ein Jahr zurück. Während der Anteil der Langzeitbezüger nach dem Urteil des Bundesamts klein ist, zeigt er für die Träger der Kampagne, dass die Nothilfe, als Übergangslösung gedacht, der Realität nicht gerecht wird. Sie reden von einer Sackgasse, in der nicht nur die Betroffenen, sondern auch der Staat stecke.

 Gefordert wird nun zum einen eine Behebung der kritisierten Mängel. Verletzliche Personen sollten Sozialhilfe erhalten, ebenso jene Weggewiesenen, die sich kooperationsbereit gezeigt haben, aber wegen des Verhaltens ihres Heimatstaats nicht zurückkehren können.

 Beratung als Alternative

 Zum anderen, heisst es in der Petition, müsse das System "überdacht" werden. Die SFH sieht einen Lösungsansatz in einer besseren Beratung. Eine Begleitung der Asylsuchenden sollte sicherstellen, dass sie das Verfahren als fair erleben und ein negatives Resultat verstehen. Die Hilfswerke wären zu solchen Aufgaben bereit, hätten allerdings nicht die nötigen Mittel; schon die heutige Rechtsberatung ist lückenhaft geworden. Ebenso sei die Rückkehrberatung noch auszubauen. So brauche es Hilfe zur ordentlichen Beendigung des Aufenthalts, zur Wahrnehmung von Ansprüchen und Pflichten. Und die Unterstützung der Wiedereingliederung müsse individueller darauf ausgerichtet werden, dass die Rückkehrer ihr Gesicht wahren könnten. Es werde aber immer Leute geben, die nicht zurückkehren wollten, fügte Susanne Bolz hinzu.

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Tagesschau 3.2.11

Flüchtlingshilfe kritisiert Nothilfe

Viele abgewiesene Asylsuchende tauchen ab oder beziehen über lange Zeit Nothilfe. Dies sei ein Misstand, sagen Hilfswerke wie die Schweizerische Flüchtlingshilfe. Sie kritisieren das System der Nothilfe im Asylwesen scharf.
http://videoportal.sf.tv/video?id=8e7f66c9-795c-4abc-821c-b2daf1e94a66

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sf.tv 3.2.11

Asylwesen: Kritik an mangelhafter Nothilfe

sda/vaid

 Das System der Nothilfe funktioniert nach Ansicht der Schweizerischen Flüchtlingshilfe und anderer Organisationen nicht. Die Flüchtlingshilfe schlägt deshalb vor, die Rückkehrhilfe an abgewiesene Asylsuchende auszubauen. Insgesamt hoffen die Hilfswerke auf die neue Bundesrätin Sommaruga.

 Nur 12 bis 17 % der Nothilfebezüger verlassen die Schweiz tatsächlich. Die Zahlen des Bundesamtes für Migration zeigen, dass das System der Nothilfe nicht die gewünschte abschreckende Wirkung hat. Dieser Ansicht sind die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Amnesty International Schweiz, die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerfragen und Solidarité sans frontières.

 Die Mehrheit der abgewiesenen Asylsuchenden taucht unter statt auszureisen oder würden zu Langzeit-Bezügern der Nothilfe. Beides wiederum verhindere ein Leben in Würde, teilen die vier Organisationen mit.

 Mehr Geld für Rückkehrer

 Die Flüchtlingshilfe schlägt deshalb vor, die Rückkehrhilfe auszubauen, auch die finanzielle. Gerade Personen, die aus wirtschaftlichen Gründen gekommen seien, könnte auf diese Weise ein Anreiz geboten werden. Oft ginge es den Asylsuchenden auch darum, bei einer Rückkehr das Gesicht zu wahren.

 Neu sollte weiter auch jenen Asylsuchenden geholfen werden, gegen die bereits Zwangsmassnahmen angeordnet wurden. Denn: In der Regel könnten sich ausreisepflichtige Personen erst dann auf Angebote einlassen, wenn sie sehen würden, dass ein Verbleib in der Schweiz unter keinen Umständen mehr möglich sei.

 Generell müssten die Behörden ihren schon heute bestehenden Handlungsspielraum besser nutzen, fordern die vier Organisationen.

 Noch keine Signale aus dem EJPD

 "Wir denken, dass die neue Bundesrätin Simonetta Sommaruga den Ball aufnimmt", sagt Amnesty-Sprecher Daniel Graf. Allerdings seien noch keine Signale aus dem Justizdepartement gekommen. Auch Adrian Hauser von der Flüchtlingshilfe sagt: "Hoffnungen auf eine andere Gangart sind da."

 Um Druck zu machen, wollen die Organisationen in einer nationalen Kampagne aufzeigen, was Nothilfe für die Betroffenen bedeutet. Zudem sammeln sie Unterschriften für eine Petition. Diese fordert, dass das System der Nothilfe grundsätzlich überdacht wird. Weiter sollten verletzliche Personen einheitlich Sozialhilfe erhalten.

 4.30 bis 12 Franken pro Tag

 Asylbewerber mit einem Nichteintretensentscheid sowie abgewiesene Asylbewerber bekommen so genannte Nothilfe: Sie erhalten pro Tag zwischen 4.30 und 12 Franken in bar oder in Form von Gutscheinen sowie medizinische Notversorgung. Übernachten müssen sie in einem Zentrum. Für den Vollzug sind die Kantone zuständig.

 Bericht zeigt Mängel auf

 Ein von der Flüchtlingshilfe publizierter Bericht listet die Mängel der Nothilfe auf. Stark kritisiert wird, dass viele Kantone Verschärfungen eingeführt haben: "Das Grundrecht auf Hilfe in Notlagen wird damit immer mehr als eigentliche Zwangsmassnahme im Wegweisungsvollzug missbraucht."

 Auch herrsche noch immer Unklarheit, welche Personen als besonders verletzlich gelten würden. Das führe dazu, dass beispielsweise alleinerziehende Frauen mit ihren Kindern in Nothilfezentren untergebracht seien. Weiter gebe der Gesundheitszustand vieler Nothilfebezüger Anlass zur Sorge.

 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement teilte auf Anfrage mit, dass Bundesrätin Sommaruga über die gestartete Kampagne und den Bericht der Flüchtlingshilfe informiert sei und beides "mit Interesse" zur Kenntnis genommen habe.

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fluechtlingshilfe.ch 3.2.11

Nothilfe: Eine Sackgasse

Das Nothilfe-System im Asylwesen muss grundsätzlich in Frage gestellt werden. Zu diesem Zweck startete am 3. Februar 2011 schweizweit eine Kampagne der vier im Asylbereich tätigen Organisationen Amnesty International, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans frontières.

Medienmitteilung vom 3. Februar 2011
http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse
Bericht: Nothilfe für ausreisepflichtige Asylsuchende (pdf)
http://www.fluechtlingshilfe.ch/asylrecht/nothilfe/nothilfe-fuer-ausreisepflichtige-asylsuchende/at_download/file
Galerie: Leben in Baracken
http://www.fluechtlingshilfe.ch/asylrecht/nothilfe/galerie-leben-in-baracken
www.nothilfe-kampagne.ch
http://www.nothilfe-kampagne.ch/

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http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse

Nothilfe: Eine Sackgasse

Das Nothilfe-System im Asylwesen muss grundsätzlich in Frage gestellt werden. Zu diesem Zweck startet heute schweizweit eine Kampagne der vier im Asylbereich tätigen Organisationen Amnesty International, Schweizerische Flüchtlingshilfe SFH, Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans frontières. Rund 5800 zurückgewiesene Asylbewerber sind der Nothilfe unterworfen. Einem System, das zu sozialer Isolation, zahlreichen behördlichen Schikanen und zu einem Leben in Ungewissheit führt und die Betroffenen so an einem Leben in Würde hindert. Die Zustände in der Nothilfe sind besonders für als verletzlich geltende Personen schwer zu ertragen. So leiden Ältere und Traumatisierte, alleinerziehende oder schwangere Frauen und unbegleitete Minderjährige besonders stark unter den schwierigen Lebensbedingungen. Anderseits ist es zweifelhaft, ob die Nothilfe die bezweckte abschreckende Wirkung hat: Alleine 12 bis 17 % der Nothilfe-Bezüger verlassen die Schweiz nachweislich.

"Mit unserer Kampagne machen wir die Öffentlichkeit auf die schwierigen und menschenunwürdigen Lebensumstände aufmerksam, denen Menschen in der Nothilfe unterworfen sind", erklärt Claudia Dubacher, Generalsekretärin der Schweizerischen Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht. "Die Schweizer Bevölkerung muss sich bewusst werden, was es heisst, mit 4.30 bis maximal 12 Franken pro Tag in Bar oder in Form von Einkaufsgutscheinen auskommen zu müssen. Ein menschenwürdiges Dasein ist unter diesen Bedingungen schlicht unmöglich."

Die vier an der Kampagne beteiligten Organisationen fordern eine grundsätzliche Überprüfung des Nothilfesystems, das unbedingt mehr auf die Bedürfnisse besonders verletzlicher Personen eingehen muss. Grundrechte müssen respektiert werden. Im Besonderen das Recht auf Schulbildung und das Recht auf ein menschenwürdiges Dasein - beides Rechte, welche den Menschen in der Nothilfe regelmässig vorenthalten werden. Die vier beteiligten Organisationen werden sich in dieser Angelegenheit in den nächsten Wochen an die nationalen und kantonalen Behörden wenden.

"Die Nothilfe wird von Kanton zu Kanton unterschiedlich umgesetzt, was zu Ungerechtigkeit und Willkür führt", bestätigt Susanne Bolz, Leiterin des Rechtsdienstes der Schweizerischen Flüchtlingshilfe SFH. "Das zeigt unsere jüngst aktualisierte Studie zu diesem Thema." Die Studie zeigt, dass in einigen Kantonen kaum auf die Situation bestimmter besonders verletzlicher Personen Rücksicht genommen wird. Zum Beispiel auf Familien mit Kleinkindern, alleinstehende oder schwangere Frauen und auf ältere Menschen. Die Kantone nutzen die Möglichkeiten, die ihnen zur Verfügung stehen, nicht voll aus und gehen zu wenig auf die Situation einzelner Betroffener ein.

Qazem Alizada, Mitglied des Bleiberecht-Kollektivs Bern, hat zwei Jahre lang in der Nothilfe und in den damit verbundenen menschenunwürdigen Umständen gelebt. "Als Vertreter von Solidarité sans frontières ist es mir wichtig, denjenigen eine Stimme zu verleihen, die heute noch in diesen Bedingungen leben müssen. Am schwersten zu ertragen ist die Frustration durch den rechtlosen Zustand. Man existiert offiziell gar nicht mehr. Wir sind Gefangene unserer Situation und leben zusätzlich in ständiger Angst, von der Polizei aufgegriffen und eingesperrt zu werden. Und das, obwohl wir uns nichts zu Schulden haben kommen lassen."

Der Ausschluss aus der Sozialhilfe sollte ursprünglich zur Abschreckung dienen, die Anzahl der Asylgesuche und der ausserordentlichen Verfahren senken und - vor allem - zurückgewiesene Asylbewerber zum Verlassen des Landes zu bewegen. Da nur 15 % der Nothilfebezüger nach einem Jahr noch im System sind, vertritt das Bundesamt für Migration BFM die Meinung, dass eine Mehrheit der Betroffenen das Land verlassen hat. Aber nur 12 bis 17 % sind nachweislich aus der Schweiz ausgereist. Ein Beweis dafür, dass der Sozialhilfestopp nicht die erwartete Wirkung zeigt.

"Das Nothilfe-System hatte von Anfang an den Zweck, die betroffenen Menschen aus den Statistiken verschwinden zu lassen", sagt Susanne Bolz. "Und das ist bis heute sein einziger Verdienst. Es ist illusorisch zu glauben, dass alle ehemaligen Nothilfebezüger die Schweiz verlassen haben. Statt die Betroffenen zu einer raschen Rückkehr zu bewegen, schafft die Nothilfe lebensunwürdige und demoralisierende Zustände, in denen vor allem die Schwächsten zum Teil für lange Zeit hängen bleiben."

Die Kampagne wird in den nächsten Wochen am Beispiel der Kantone Graubünden, Zürich, Bern und Waadt aufzeigen, was Nothilfe für die Betroffenen konkret bedeuten kann - was nicht heissen will, dass die Dinge anderorts besser stehen.
Allgemeine Informationen zur Nothilfe

Seit dem 1. April 2004 werden Asylbewerber mit einem Nichteintretensentscheid aus der Sozialhilfe ausgeschlossen. Seit dem 1. Januar 2008 trifft dies auch auf Menschen zu, deren Asylgesuch endgültig zurückgewiesen wurde. Bereits Ende 2009 bezogen schweizweit rund 5800 Personen Nothilfe.

Nothilfe ist ein von der Verfassung garantiertes Grundrecht. Sie umfasst eine einfache, oft kollektive Unterkunft, die Versorgung mit Lebensmitteln und Hygieneartikeln, medizinische Notversorgung und allfällige andere unverzichtbare Leistungen.

Galerie: Leben in Baracken
http://www.fluechtlingshilfe.ch/asylrecht/nothilfe/galerie-leben-in-baracken

Mehr Informationen:


Medienmitteilung vom 3. Februar 2011 (pdf)
http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse/medienmitteilung-vom-3.-februar-2011/at_download/file
Bericht: Nothilfe für ausreisepflichtige Asylsuchende (pdf)
http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse/bericht-nothilfe-fuer-ausreisepflichtige-asylsuchende/at_download/file
Porträt: Drei Betten für fünf Personen (pdf)
http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse/portraet-drei-betten-fuer-fuenf-personen/at_download/file
Porträt: Für den Sohn gibt's nur das Nötigste (pdf)
http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse/portraet-fuer-den-sohn-gibt-s-nur-das-noetigste/at_download/file
Flyer Kampagne (pdf)
http://www.fluechtlingshilfe.ch/news/medienmitteilungen/nothilfe-eine-sackgasse/flyer-kampagne/at_download/file

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SANS-PAPIERS
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Schwyzer Zeitung 3.2.11

Sans-Papiers: Was kosten sie den Staat?

 Kanton

 Die SVP will wissen, wie viel Ausländer, die nicht hier sein dürften, den Steuerzahler kosten.

 opp. Ausländer, die sich illegal in der Schweiz aufhalten, sind mehreren SVP-Kantonsräten ein Dorn im Auge. "Die direkten und indirekten Aufwendungen für diese spezielle Volksgruppe dürften sehr hoch sein", schreiben sie in der kürzlich eingereichten Interpellation mit dem Titel "Anwesenheit von illegal anwesenden Ausländern". Unterzeichnet wurde der Vorstoss von den SVP-Kantonsräten Hanspeter Rast (Reichenburg), Peter Häusermann (Immensee), Bernadette Wasescha (Merlischachen), Gabriela Keller (Galgenen) und Peter Inderbitzin (Steinen). Die Steuerzahlenden hätten einen Anspruch, zu erfahren, welche Mittel für diese Ausländer, die hier gar nicht leben dürften, ausgegeben würden.

 Die SVP-Kantonsräte ersuchen deshalb den Regierungsrat, unter anderem aufzuzeigen, ob Kinder von illegal anwesenden Ausländern irgendeine Form von Betreuungsstätten sowie privaten und staatlichen Schulen besuchten. Die Aufzählung der verschiedensten Bereiche, in denen die Interpellanten aufgezeigt haben möchten, welche Leistungen an besagte Ausländer entrichtet werden, erstreckt sich von der Gesundheitsversorgung über das Justizwesen bis hin zu staatlich unterstützten Beratungsstellen. So soll der Regierungsrat auch abklären, ob Alimentenbevorschussungen an illegal anwesende Ausländer bezahlt werden. Oder ob Führerausweise an solche Personen ausgestellt worden sind und ob irgendwelche staatlich unterstützte Organisationen diese Personen unterstützen.

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AUSSCHAFFUNGEN
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St. Galler Tagblatt 3.2.11

Wegweisungen bleiben schwierig

 15 567 Menschen stellten 2010 in der Schweiz ein Asylgesuch. Der Kanton St. Gallen betreut sechs Prozent davon. Er schafft sie bei ablehnenden Asylentscheiden auch aus - das jedoch bereitet den Behörden nach wie vor Probleme.

 Urs-Peter Zwingli

 St. Gallen. Die meisten Menschen, die 2010 in der Schweiz Asyl beantragt haben, kommen neu aus Nigeria: 1969 Nigerianer oder zehn Prozent mehr als noch im Vorjahr haben ein entsprechendes Gesuch gestellt - und waren chancenlos: "Der Bund hat alle abgewiesen", sagt Bruno Zanga, Leiter des Ausländeramtes des Kantons St. Gallen. Der Grund dafür ist, dass in Nigeria zwar "Armut und soziale Probleme" herrschten, jedoch keine Bedrohung für Leib und Leben. Dies wäre aber Voraussetzung für die Gewährung von Asyl. Doch mit dem Vollzug der vom Bund ausgesprochenen Wegweisungen tut sich der Kanton St. Gallen schwer: 294 Wegweisungen sind derzeit pendent (siehe Grafik). Das heisst, dass diese Menschen das Land eigentlich verlassen müssten, dies aber nicht tun.

 Genug Platz in den Heimen

 Gerade im Fall Nigeria hat das spezielle Gründe: Seit im März 2010 ein Häftling bei den Vorbereitungen zu seiner Ausschaffung am Flughafen Zürich gestorben ist, sind Sonderflüge in das westafrikanische Land nicht mehr möglich. Und wenn die Nigerianer - gestützt auf das seit 2008 geltende Dublin-Abkommen - ins erste Einreiseland (meist Italien) zurückgeschickt wurden, reisten sie danach oft wieder in die Schweiz ein.

 Zanga kam damit auf den wunden Punkt zu sprechen, als er gestern mit der St. Galler Regierungsrätin Karin Keller-Sutter und Beat Tinner, Präsident des Vereins der St. Galler Gemeindepräsidenten (VSGP) über die Entwicklungen im Ausländer- und Asylwesen informierte. Der Asylbereich hat schweizweit turbulente Phasen hinter sich: Auf eine eigentliche Vollzugsnot bei den Wegweisungen im Jahre 2003 folgte 2008 ein sprunghafter Anstieg der Asylgesuche.

 Zumindest in St. Gallen sei man aber wieder gut aufgestellt: In den vier Durchgangsheimen (sogenannte Kollektivzentren) des Kantons hat es genug Plätze (338), um das Soll des Bundes zu erfüllen. In diesen Zentren werden die Asylsuchenden auf das nachfolgende Leben in den Gemeinden vorbereitet. Die deshalb enge Zusammenarbeit zwischen Kanton und Gemeinden funktioniere "sehr gut". In den Gemeinden sind die Sozialhilfeämter für die Betreuung der Asylsuchenden zuständig.

 Diskussionen über Nothilfe

 Ebenfalls von den Gemeinden beherbergt werden Bezüger von Nothilfe. Das sind Asylsuchende, die einen negativen Entscheid (oder einen Nichteintretensentscheid) auf ihr Gesuch erhalten haben, sich aber noch in der Schweiz befinden. Sie erhalten acht Franken pro Tag und medizinische Notversorgung, Kinder zudem Schulbildung. Ziel ist, sie durch unattraktive Lebensbedingungen zur Ausreise zu bewegen. Rund 200 Menschen beziehen im Kanton St. Gallen aktuell diese Leistungen. "Für die Gemeinden ist diese Zahl aber kein grösseres Problem", sagt Tinner. Die Nothilfe war Ende 2010 in die Kritik geraten: Weil Nothilfebezüger in Mels in Containern untergebracht wurden, sprach die SP in einer Einfachen Anfrage an die Regierung von "menschenunwürdigen" Umständen. Tinner betonte gestern, dass die Unterbringung in Containern vom Bundesamt für Migration geprüft und für menschenwürdig befunden worden sei. "Der VSGP kann sich darum vorstellen, dass die Container Modellcharakter haben und in weiteren Gemeinden eingeführt werden", so Tinner.

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 Das Asylverfahren

 Bei der Einreise in die Schweiz werden Asylsuchende in einem Empfangs- und Verfahrenszentrum (EVZ) des Bundes registriert und befragt. Bei offensichtlich unbegründeten, aber auch bei klar positiven Fällen werden beschleunigte Verfahren angewendet. So werden die Menschen teils noch aus dem EVZ wieder ausgeschafft.

 Asylsuchende, über deren Gesuch der Bund nicht innert 60 Tagen entscheidet, werden bis zum Abschluss des Verfahrens den Kantonen zugeteilt. Für die erste Betreuungsphase von sechs bis neun Monaten führt der Kanton St. Gallen vier Kollektivzentren. Im Anschluss wohnen die Asylsuchenden in den Gemeinden. (upz)

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Thuner Tagblatt 1.2.11

Ausgeschafft und verzweifelt

 Thun. Die lokale Gsruppe von Amnesty International lädt am nächsten Samstag zu einem bewegenden Stück Theater und einer anschliessenden Diskussionsrunde über Asylpolitik in die Thuner Johanneskirche.

 Die Gruppe Thun/Interlaken von Amnesty International präsentiert am nächsten Samstag in Thun die Theatergruppe Stückwerk mit ihrem Bühnenwerk "Abflug". Die Geschichte handelt von einer Sammelabschiebung von Asylsuchenden: Die 17-jährige Melina aus Togo und der Ghanaer Raimou werden frühmorgens aus dem Schlaf gerissen und per Flugzeug ausgeschafft. Melina verbrachte fast ihr ganzes Leben in ihrem Gastland. Togo ist ihr völlig fremd - sie spricht weder Französisch noch die Stammessprache Ewe. Auch Raimou ist verzweifelt. Um seine Familie ernähren zu können, nahm er die lebensgefährliche Reise nach Europa auf sich - nun wird er mit leeren Händen zurückkehren.

 Das Stück mache tief betroffen und motiviere alle, sich für eine menschenwürdige Asylpolitik einzusetzen, schreibt Amnesty International in einer Pressemitteilung.

 Im Anschluss an die Aufführung ist eine Diskussion mit den Schauspielern und Denise Graf, der Koordinatorin von Amnesty International für Menschenrechtsarbeit in der Schweiz, vorgesehen, zu der alle Zuschauer eingeladen sind.
 pd

 Aufführung: 5. Februar, 20 Uhr,

 Johanneskirche, Waldheimstrasse, Thun; Eintritt frei, Kollekte.

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MIGRATION CONTROL
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20min.ch 4.2.11

Grenzwächter: Schweiz ist bereit für EU-Einsatz

 Ab sofort können Schweizer Grenzwächter helfen, die EU-Aussengrenzen zu sichern. Die letzte Vereinbarung dazu wurde Ende Januar unterzeichnet.

 Die Schweiz ist bereit für einen weiteren Auslandeinsatz. Details der Zusammenarbeit zwischen der der Schweiz und der EU dazu sind bereinigt. "Die letzte Vereinbarung wurde Ende Januar unterzeichnet", bestätigte Walter Pavel, Mediensprecher der Eidgenössischen Zollverwaltung, auf Anfrage von 20 Minuten Online: "Damit können ab sofort auch Schweizer Grenzwächterinnen und Grenzwächter zum Einsatz an der EU-Aussengrenze kommen."

 Für die Zusammenarbeit mit der "Europäischen Agentur für die operative Zusammenarbeit an den Aussengrenzen der europäschen Union" (Frontex) steht beim Grenzwachtkorps ein Pool von 30 Mitarbeitern zur Verfügung. Es handelt sich dabei um Spezialisten zur Erkennung von gefälschten Dokumenten und von Schmuggelverstecken in Fahrzeugen. Die Beteiligungg an Frontex, die eine Folge des Schweizer Beitritts zum Schengen-Raum ist, kostet rund drei Millionen Franken pro Jahr.

 Schweiz kann frei entscheiden

 Zum Auslandeinsatz kommen die Grenzwächter, sobald Frontex Bedarf anmeldet. "Eine Anfrage ist bisher noch nicht eingetroffen", sagt Pavel. Wann dies der Fall sein werde, lasse sich nicht sagen.

 Klar ist allerdings: Die Schweiz wird der Frontex für die Einsätze gleichzeitig maximal fünf Mitarbeitende zur Verfügung stellen. Und, so Pavel: "Der Einsatz kann in begründeten Fällen auch abgelehnt werden." Etwa, wenn die Schweiz die Grenzwächter aufgrund von besonderen Lagen selber benötige.

 Die Grenzwächter bleiben bei ihrem Einsatz Angestellte des Bundes. Sie würden aber Teil des 730 Personen umfassenden, multinationalen Rabit-Pools von Frontex. Rabit ("Rapid Border Intrevention Teams") sind die schnelle Eingreiftruppe zur Sicherung der Aussengrenzen, die in Krisenfällen die nationalen Grenzschützer unterstützen.

 Schnelle Ergebnisse

 Ein erster Einsatz dieser Eingreiftruppe erfolgte im November 2010 an der türkisch-griechischen Grenze, dem derzeit zentralen Einfallstor für über 90 Prozent der illegalen Grenzübertritte in die EU.

 Die 175 Grenzwächter aus dem Schengen-Raum waren rasch erfolgreich. Seit dem Einsatz der Truppe ging der Zustrom von illegalen Einwanderern um 44 Prozent züruck. (uwb)

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BLÖDSINN
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20 Minuten 2.2.11

Unterstützung für Hakenkreuz-Haus

 LUZERN. Das Hakenkreuz-Haus eines Architekturstudenten der Luzerner Hochschule hat bei Schweizer Juden für Unmut gesorgt (20 Minuten berichtete) - dafür haben viele Leser kein Verständnis. In einem Grossteil der rund hundert Kommentare aus 20 Minuten Online wird die Arbeit in Schutz genommen. "Langsam sollte man von dieser Hysterie wegkommen und die Geschichte ruhen lassen", schreibt etwa User Luzerner. "Hoffentlich lässt sich der Student nicht entmutigen und macht weiter an diesem guten Projekt."

 David A. wiederum hat für den Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund, der die Verwendung des Zeichens als "unsensibel" bezeichnete, kein Verständnis: "Wir Juden motzen sowieso bei jeder Gelegenheit (bin selber Jude). Ich finde das einfach übertrieben." Der Student, der das Hakenkreuz-Projekt zeichnete, wollte sich gegenüber 20 Minuten gestern nicht äussern. mfe

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20 Minuten 1.2.11

Hakenkreuz-Haus verärgert Juden

 LUZERN. Ein Hakenkreuz als Grundriss: Die Arbeit eines Studenten der Hochschule Luzern sorgt bei Juden in der Schweiz für rote Köpfe.

 An der Hochschule Luzern - Technik & Architektur wurden während der letzten Wochen die Semesterarbeiten der Masterkurs-Studentenin den Fluren ausgestellt. Eine Arbeit sorgte dabei bei einzelnen Studenten für Kopfschütteln: Sie zeigt ein Haus, dessen Grundriss die Form eines Hakenkreuzes hat.

 Beim Schweizerischen Israelitischen Gemeindebund zeigte man sich gestern auf Anfrage irritiert. "Es ist unsensibel, ein solches Symbol in der heutigen Zeit so zu verwenden", sagt Generalsekretär Jonathan Kreutner. Auch bei Yves Kugelmann, Chefredaktor des jüdischen Wochenmagazins "Tachles", stösst das Hakenkreuz-Haus auf Unverständnis. "Von einem Architekturstudenten erwarte ich schon mehr Sensibilität. Vor allem auch deshalb, weil Architektur sehr eng an Gesellschaft, Geschichte und Kultur geknüpft ist."

 Gegenüber 20 Minuten verteidigte die Hochschule die Arbeit. "Es ging darum, die Architektur in den Alpen und im Himalaja zu analysieren", erklärt der verantwortliche Modulleiter Hanspeter Bürgi. In der buddhistischen Architektur komme das Symbol in vielen Bauten vor, da es dort für Glück stehe. Er räumt aber ein, dass der Grundriss unglücklich dargestellt sei. "Ich entschuldige mich in aller Form für diese Darstel- lung, die leider missverständlich interpretiert werden kann", so Bürgi.  matthias Giordano

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 Hakenkreuzform immer wieder Stein des Anstosses

 LUZERN. Immer wieder sorgt das Hakenkreuz architektonisch für Aufruhr. Anfang der siebziger Jahre baute die US-Navy in Coronado (Kalifornien) eine Basis. Erst als Google Earth hochauflösende Satellitenbilder ins Netz gestellt hatte, bemerkte man die Hakenkreuzform des Baus. Nach Protesten wurde das Haus dann für 600 000 Dollar umgebaut. Auch ein Kindergarten in Bregenz (Ö) hat von oben die Form des bekannten Symbols. Dort wurde danach die Farbe des Daches geändert.

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BAD BONN
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BZ 3.2.11

Petition für das Bad Bonn

 Düdingen. Sympathisanten haben gestern eine Petition mit 3949 Unterschriften an Staatsrätin Isabelle Chassot übergeben. Sie fordern, dass alles für ein Weiterbestehen des Bonn getan werden soll - auch finanziell, wenn nötig.

 Das Musiklokal Bad Bonn in Düdingen ist weit über die Region hinaus bekannt. Nicht nur wegen der jährlich stattfindenden Bonn-Kilbi. Mit einem mutigen Konzertprogramm, das sowohl einheimischem Schaffen als auch neuen internationalen Trends Platz lässt, hat sich das Lokal einen guten Ruf geschaffen. Doch Anfang des letzten Jahres hat sich die finanzielle Situation verschlechtert.

 Grund dafür war unter anderem das neue Nichtrauchergesetz, das zu einem Streit zwischen dem Bad Bonn und den Behörden führte. Damit das Rauchen in ihrem Lokal weiterhin möglich war, wurde aus der öffentlichen Gaststätte ein Vereinslokal. Das wurde von den Behörden allerdings nicht akzeptiert, und sie drohten mit der Schliessung des Lokals. Dem kamen die Betreiber zuvor und öffneten das Lokal vorübergehend nur für Konzerte. Bereits zuvor hatte das Verbot von Glücksspielautomaten und die Einführung der 0,5-Promille-Grenze zu einem Rückgang der Einnahmen aus dem Gastrobetrieb geführt. Angesprochen wurden dabei auch die Subventionen. Die Bad-Bonn-Betreiber bemängelten, dass sie bei der Verteilung der Kulturgelder benachteiligt würden. Kurz darauf gab die Agglomeration Freiburg bekannt, dass sie ihre Unterstützung in Zukunft von 15 000 auf 50 000 Franken pro Jahr erhöhen würde.

 Als Marius Gruber und Jordi Pürro von den finanziellen Schwierigkeiten des Bad Bonns erfuhren, lancierten sie eine Petition zur Rettung des Konzertprogramms "im einzigartigen und schweizweit geschätzten Lokal", wie sie in einer Mitteilung schreiben. Darin verlangen sie, dass das Bad Bonn "deutlich mehr Kulturgelder" erhält, weil die Quersubventionierung durch den Gastrobetrieb nicht mehr möglich sei.

 3949 Personen haben innerhalb eines halben Jahres die Petition "für eine Zukunft mit Kultur im Bad Bonn" unterschrieben. Neben Privatpersonen haben auch Organisatoren (Paléo-Festival) und Musikagenturen die Petitionäre unterstützt. Gestern Abend wurden die Unterschriftenbögen von der zuständigen Freiburger Staatsrätin Isabelle Chassot persönlich entgegengenommen.
 pd/hus

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Freiburger Nachrichten 3.2.11

Fast 4000 Unterschriften für das Bad Bonn

 Das Kulturlokal Bad Bonn erhält Unterstützung aus der Bevölkerung. Sympathisanten haben gestern eine Petition mit 3949 Unterschriften an Staatsrätin Isabelle Chassot übergeben. Sie fordern, dass alles für ein Weiterbestehen des Bonn getan werden soll - auch finanziell, wenn nötig.

 Pascal Jäggi

 "Wir sind sehr erfreut, dass sich die Bevölkerung für uns einsetzt", sagt Daniel Fontana, Programmator des Bad Bonn. "Das ist ein Bekenntnis zum Bad Bonn." Der Grund für die Dankbarkeit: Zwei grosse Fans des Kulturlokals, Jordi Pürro und Marius Gruber, haben seit Mai 2010 3949 Unterschriften für ihre Petition "Für eine Zukunft mit Kultur im Bad Bonn" gesammelt. Ziel der Petition ist es, die Schliessung des Lokals zu verhindern. Die öffentlichen Stellen werden mit der Petition aufgerufen, dies finanziell sicherzustellen.

 Wichtiges Kulturlokal

 Gestern haben zehn Sympathisanten die Unterschriften an Staatsrätin Isabelle Chassot übergeben. Die Kulturvorsteherin lobte das Engagement der Unterstützer. "Das Bad Bonn ist wichtig für die Jugend und die Kultur", sagte sie, "es hat Freiburg in der Schweiz bekannt gemacht." Die Staatsrätin hatte noch eine Überraschung auf Lager. Es seien sicher mehr als 4000 Unterschriften zusammengekommen, sagte sie. Neben Unterstützungsbriefen von Kulturlokalen seien einige Unterschriftenbögen direkt zu ihr geschickt worden, sagte Chassot. Der Staatsrat sei nicht für Subventionen zuständig, aber sie werde die verantwortliche Stelle, die Agglomeration, informieren, so Chassot, die bekannte, früher auch schon die Vorzüge des Bad Bonn genossen zu haben.

 Marius Gruber erklärte kurz, wie das Ganze entstanden ist. "Als das Bad Bonn kurz vor der Kilbi 2010 seinen Betrieb eingestellt hatte, wollten wir etwas tun", sagte er. Nach der Gründung einer Facebook-Gruppe (3405 Mitglieder) entstand die Idee der Petition. Freiwillige haben an Sommerfestivals Unterschriften gesammelt und im Freundeskreis geworben. Sogar von den "Eurockéennes" im französischen Belfort kamen 300 Unterschriften.

 Für das Bad Bonn sind die Probleme nicht ausgestanden. "Im letzten Jahr hatten wir ein Defizit von rund 35 000 Franken", hält Daniel Fontana fest. Im letzten Jahr kam zwar zusätzliches Geld von der Agglo, neben dem Beitrag von 50 000 Franken (siehe Kasten) wurde ein Gesuch über 10 000 Franken genehmigt. Ob es aber in diesem Jahr wieder mehr Geld gibt, zeigt sich erst im März.

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 Zahlen und Fakten

 Agglomeration und Lotterie unterstützen Kultur

 Die Loterie Romande verteilte 2010 mehr als fünf Millionen Franken an die Kultur im Kanton Freiburg. Die Agglomeration gab laut Tätigkeitsbericht 2009 fast 1,1 Millionen Franken für Kulturveranstaltungen aus (ohne den Beitrag ans Nouveau Monde). Das Bad Bonn hat im Jahr 2009 von der Loterie Romande und der Agglo insgesamt 140 000 Franken an Subventionen erhalten, was einem Anteil von sieben Prozent an den Gesamteinnahmen entspricht. Nach dem Beitritt Düdingens zur Agglomeration wurde der Beitrag im letzten Jahr von 15 000 auf 60 000 Franken erhöht. In Kombination mit rückläufigen Einnahmen - der Barumsatz sank im Vergleich zu 2009 um 22 Prozent - wies das Bad Bonn 2010 eine Eigenfinanzierungsquote von 88 Prozent auf. Das Fri-Son (370 000 Franken Subentionen) erwirtschaftete in den letzten Jahren jeweils rund 80 Prozent selber, die Spirale (über 200 000 Franken Subventionen) etwas mehr als 40 Prozent. Rund 60 Prozent beträgt die Eigenfinanzierungsquote beim Nouveau Monde. Ab 2009 wurden die Beiträge der Agglo fürs Nouveau Monde auf 120 000 Franken verdoppelt, jene der Loterie Romande stiegen von 130 000 auf 180 000 Franken.

 Das Nouveau Monde hat dem Staatsrat einen Brief mit der Anfrage für eine deutliche Erhöhung der Subventionen für das Bad Bonn geschickt - eine Forderung, die das Fri-Son und die Spirale unterstützen. fa

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WoZ 3.2.11

Düdingen FR

 Lasst Bad Bonn nicht abschiffen

 Am Mittwoch dieser Woche wurde in Freiburg der Staatsrätin Isabelle Chassot die Petition "Für eine Zukunft mit Kultur im Bad Bonn!" mit 3939 Unterschriften übergeben. Jordi Pürro und Marius Gruber haben sie letztes Jahr gemeinsam mit besorgten FreundInnen zwischen Mai und November zusammengetragen.

 Das am aufgestauten Schiffenensee gelegene Café Bad Bonn liegt auf Düdinger Gemeindegebiet. Der Kulturort hat sich mit Konzerten abseits des Mainstreams einen ausgezeichneten Ruf erarbeitet. Seit längerem strahlt der lauschige Ort weit über die Landesgrenzen hinaus. Die Frage "Where the hell is Bad Bonn?" können immer mehr Leute beantworten.

 Die jeweils Ende Mai stattfindende Bad Bonn Kilbi, an der unzählige HelferInnen ohne Lohn arbeiten, ist der Höhepunkt der Saison. In den letzten Jahren sind Bands von Sonic Youth über Yeasayer, Tocotronic bis zum Sun Ra Arkes-tra aufgetreten und waren - wie das Publikum   - von der Atmosphäre des Festivals begeistert.

 Aber das macht nicht den Alltag aus. Im "Bad Bonn" wird an sechs Tagen gekellnert, werden Essen aufgetischt, Getränke ausgeschenkt und der Laden in Schuss gehalten. Das Rauchverbot und das Verbot von Glücksspielautomaten haben das Geschäft nicht gerade beflügelt. Doch wird mit jedem Franken, der bei dieser Plackerei übrig bleibt, das Kulturprogramm quersubventioniert, wie man so schön sagt.

 Obwohl der Eigenfinanzierungsgrad bei neunzig Prozent liegt, ist Ende 2010 ein Minus von 35 000 Franken aufgelaufen, erzählt Daniel Fontana. Er ist als Einziger seit den Anfängen dabei und massgeblich für das Musikprogramm verantwortlich. Der Kanton Freiburg hat zur jährlichen Unterstützung von 50 000 Franken deshalb einmalig noch 10 000 Franken nachgereicht. Fontana meint, dass mit einer jährlichen kantonalen Unterstützung von 100 000 Franken dem "Bad Bonn" geholfen wäre. Dann könnten die Aktiven des Vereins etwas ruhiger schlafen und wieder etwas riskanter programmieren.

 Die WOZ gratuliert dem "Bad Bonn" zum 20. Jubiläum am 11. Februar und schliesst sich dem Motto der Jubiläumsnacht an: "The Good, the Bad and No Ugly".

 Fredi Bosshard

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SQUAT ZH
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Schweiz Aktuell 3.2.11

Verdrängungskampf

Der Tessiner Keller, ein Restaurant in Zürich, war das Symbol für den sogenannten "Chreis Cheib". Das Gebäude wird jetzt jedoch abgerissen - Die Anwohner im Quartier sehen sich von zahlungskräftigeren Mietern verdrängt.
http://videoportal.sf.tv/video?id=05c7e538-c37b-4001-a148-78b0b8f28dd7

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20 Minuten 3.2.11

Besetzer sind weg - Abriss gestartet

 ZÜRICH. Die "Räuberhöhli" ist nun endgültig Geschichte - gestern Vormittag begannen die ersten Arbeiten für den Abriss des Gebäudes, in dem sich bis Ende 2010 das legendäre Restaurant Tessinerkeller befand. Die auf derselben Parzelle an der Neufrankengasse 16 liegende einstige Bombay-Bar war seit dem 13. Januar besetzt gewesen. Am Montag hatten die Eigentümer der Gebäude dagegen Strafantrag eingereicht (20 Minuten berichtete). Zu einer polizeilichen Räumung kam es jedoch nicht - noch vor dem Ablauf des Ultimatums der Polizei hatten die Besetzer gestern das Feld geräumt. "Als wir um 8 Uhr vorbeischauten, war niemand mehr da", sagt Stadtpolizei-Sprecher Marco Bisa auf Anfrage. Nach dem Abriss der Gebäude werden die SBB das Gelände als Baustellenzufahrt nutzen. Danach will die Architektin Vera Gloor einen Neubau mit 22 Wohnungen erstellen.  lüs

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Tagesanzeiger 3.2.11

Besetzer weg: "Höhli" wird abgebrochen

 Zürich - Das Ultimatum an die Besetzer des Tessinerkellers im Kreis 4 ist gestern Morgen abgelaufen: Als die Polizei das Areal an der Neufrankengasse um 8Uhr räumen wollte, war niemand mehr vor Ort. Kurz darauf begannen die Abbrucharbeiten. Bis Ende Woche wird von den ehemaligen Trendlokalen Bombay-Bar und Tessinerkeller nur noch wenig übrig sein. 1995 hatte Wirt Christian Egger die ehemalige "Räuberhöhli" übernommen und machte daraus ein Szenerestaurant. Anstelle des Tessinerkellers ist ein Neubau mit Wohnungen geplant. Bis dieser realisiert wird, benötigen die SBB die Parzelle als Baustellenzufahrt für ihr Wohnbauprojekt direkt an den Gleisen.(jcu)

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20 Minuten 2.2.11

Tessinerkeller: Polizei stellt Besetzern ein Ultimatum

 ZÜRICH. Die Polizei setzt den Besetzern der Häuser an der Neufrankengasse 16 eine Auszugsfrist. Wenn sie diese nicht nutzen, kommt es zur Räumung.

 Wie angekündigt haben die Eigentümer der Neufrankengasse 16 im Kreis 4 gestern Strafantrag eingereicht. Seit Mitte Januar besetzen Aktivisten auf jenem Grundstück, zu dem auch das Ende Jahr geschlossene Restaurant Tessinerkeller gehört, die ehemalige Bombay-Bar. "Wir haben den Besetzern eine faire Frist gesetzt, in der sie das Haus verlassen müssen", so Stadtpolizei-Sprecher Marco Bisa. "Danach müssen sie jederzeit mit der polizeilichen Räumung rechnen."

 Architektin Vera Gloor, die die Eigentümer vertritt, hofft zwar, dass die Besetzung friedlich ausgeht, dennoch ist sie enttäuscht: "Ich hatte am Montag das Gespräch mit den Besetzern gesucht, doch sie liessen mich nicht herein." Gloor betont, dass der Schritt nötig sei: "In den nächsten Tagen beginnt der Abbruch, damit die SBB ihre Baustellenzufahrt realisieren kann." Zudem bestehe entgegen anderweitiger Aussagen sehr wohl ein Neubauprojekt für den Tessinerkeller.

 Dies bezweifelt der Anwohnerverein "Neufrankenschneise nein!" nach wie vor und fordert vom Stadtrat deshalb einen Stopp dieses "Abbruchs auf Vorrat". Sprecher Reto Plattner sagt: "Wir haben leider kein politisches Instrument mehr, um uns zu wehren - aber wenn die Bagger auffahren, werden wir demonstrieren." Von den Besetzern war gestern niemand zu sprechen.  

Roman Hodel

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Landbote 2.2.11

Kampf auf verlorenem Posten

 Thomas Schraner  THOMAS SCHRANER

 Zürich. Die legendäre "Räuberhöhle" im Kreis 4 steht vor dem Abbruch. Aktivisten wollen dies in letzter Minute verhindern, stehen aber auf verlorenem Posten. Ihnen geht es um Grundsätzliches.

 Das Gebäude an der Neufrankengasse 16/18 ist alt und sanierungsbedürftig, aber kein architektonisches Schmuckstück. In die Schlagzeilen geriet es, weil darin die "Räuberhöhle" einquartiert war, eine Beiz, in der Proletarier, Prostituierte und schräge Gestalten ein- und ausgingen. Diese Zeiten sind vorbei, der "Tessinerkeller", wie die "Räuberhöhle" richtig hiess, war am Ende seiner Tage (Ende 2010) ein normales Restaurant geworden, im Hinterhaus war die "Bombay Bar" untergebracht.

 Schon seit Monaten ist bekannt, dass die Liegenschaft abgebrochen werden soll. Die Eigentümer, drei Private, wollen dort einen fünfstöckigen Neubau mit 23 sogenannten Clusterwohnungen errichten. Was das ist, erklärt Architektin Vera Gloor, die auch als Sprachrohr der Eigentümer fungiert: Kleinwohnungen für Alleinstehende von je rund 30 Quadratmetern mit einer gemeinsamen Küche und einem grossen Gemeinschaftsraum. Eine Art moderne Wohngemeinschaft. Im Sommer will Gloor das Baugesuch einreichen, das Abbruchgesuch hat sie schon in der Tasche.

 Vor drei Wochen sind in der Bar Besetzer eingezogen, gestern offenbar auch im "Tessinerkeller". Sie habe die Besetzer gebeten, freiwillig abzuziehen. Weil sie dies nicht taten, reichte Gloor gestern bei der Stadtpolizei einen Strafantrag ein. Die Räumung steht also bevor. Marco Bisa, Sprecher der Stadtpolizei, bestätigt, dass den Besetzern eine Frist zum Abzug gesetzt worden ist. Wann diese abläuft, sagt er nicht. Ist sie abgelaufen, müssen die Besetzer laut Bisa jederzeit mit einer Räumung rechnen.

 Gegen den Abbruch stellt sich auch eine Organisation, die sich "Neufrankenschneise Nein" nennt. Sie wirft den Eigentümern der "Räuberhöhle" vor, das Gebäude auf Vorrat abbrechen zu wollen. Tatsächlich will Gloor erst in zwei Jahren bauen, wie sie auf Anfrage bestätigt. Erst dann nämlich, wenn die SBB ihr Projekt Urban Home fertig gebaut haben. Dieses grenzt unmittelbar an Gloors Parzelle. Vorgesehen sind dort, direkt an den Bahngleisen, 28 exklusive Eigentumswohnungen, die schon 2012 fertig sein sollen.

 Knackpunkt Zufahrten

 Wenn sie vorne an der Neufrankengasse baue, könnten die SBB nicht gleichzeitig hinten ihr Gebäude hochziehen, erklärt Gloor. Grund seien die Zufahrten. Sie habe sich daher mit den Bahnen auf folgendes Vorgehen geeinigt: zuerst der SBB-Bau, dann der eigene. Resultat dieser Verhandlungen war ein Vertrag: Gloor vermietet den Bahnen ihr Areal für zwei Jahre und verpflichtet sich, das Gebäude mit der "Räuberhöhle" bis Ende Februar abreissen zu lassen, damit die Zufahrt zum SBB-Grundstück frei wird. Die SBB wollen mit dem Bau Ende Februar starten.

 Vorgeschobene Argumente, wie die Neufrankenschneiser sagen? "Völlig falsch", sagt Gloor. "Eine andere Zufahrt ist unmöglich." Auch die von den Aktivisten vorgeschlagene Alternative via Weichengasse funktioniere nicht. Reto Plattner, Sprecher der Neufrankenschneiser, widerspricht. "Wenn man wirklich will, gibt es Alternativen", sagt er. Aber Gloor wolle nicht: "Sie will die ‹Räuberhöhle› möglichst schnell weg haben, damit sie dort freie Hand hat." Am liebsten würden er und seine Leute das Gebäude als Erinnerungsort erhalten. Wenn schon etwas Neues, müsste es quartierverträglich sein, findet Plattner. Das, was die Architektin vorhabe, treibe die Gentrifizierung des Quartiers voran. Gloor baue für Gutbetuchte. Alteingesessene würden verdrängt. Das sei auch bei den Clusterwohnungen nicht anders.

 "Das ist eine Fehlinterpretation", erwidert Gloor. "Wir gehören sicher nicht in den Spekulantentopf, denn wir bauen bewusst quartierverträglich", sagt die 47-Jährige, die durch verschiedene Umbauten im Quartier bekannt und auch kritisiert worden ist. Für den "Tessinerkeller" sei es so oder so zu spät. Dessen Schicksal sei schon 2008 besiegelt worden, als die Stadtzürcher Stimmberechtigten die Baulinien verschoben. Diese liegen heute hinter dem "Tessinerkeller". Gloor findet, der Widerstand gegen den Abbruch lohne sich nicht. Mit dem Projekt Europaallee komme vom Bahnhof her eine Entwicklung, die sich nicht stoppen lasse. "Es ist besser, man stellt dieser Grossüberbauung etwas Sinnvolles gegenüber", sagt sie - und verweist auf ihre Clusterwohnungen.

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Limmattaler Tagblatt 2.2.11

Tessinerkeller soll polizeilich geräumt werden

 Hausbesetzung. Die Polizei droht den Besetzern des Tessinerkellers mit Räumung. Die Eigentümer der Liegenschaft an der Neufrankengasse im Kreis 4 reichten heute Strafantrag ein. Damit seien die Voraussetzungen für eine polizeiliche Räumung gegeben, sagte ein Sprecher der Stadtpolizei Zürich auf Anfrage von Radio 1. Vertreter der Polizei hätten den Besetzern heute die Rechtslage erläutert und eine angemessene Frist zum Verlassen der besetzten Gebäude gesetzt. Nach deren Ablauf müsse jederzeit mit der Räumung der Liegenschaft gerechnet werden, so der Polizeisprecher weiter.

 Obwohl die Besitzer des Lokals laut "tagesanzeiger.ch" von etablierten Leuten unterstützt werden, scheint der Abriss unausweichlich. Das Gebäude soll noch im Februar abgerissen werden, weil dort die Baustellenzufahrt für die SBB-Überbauung "Urban Home" durchführt. Trotzdem hat das bevorstehende Ende nochmals verschiedene Gruppierungen mobilisiert: die Besetzer, den Verein "Neufrankenschneise Nein", Politiker aus der Alternativen Liste, Stadtforscher. Rund 500 Personen protestierten am vergangenen Samstag gegen die "von der Stadt forcierten Aufwertung".

 Die Besetzung sei ein politischer Akt, sagte Reto Plattner vom Verein "Neufrankenschneise Nein". Der Verein verlor 2008 das Referendum gegen die neue Baulinie, die zum Abriss des Tessinerkellers führen wird. In den Kreisen 4 und 5 hingegen wurde das Referendum mit 55 Prozent angenommen. Der Tessinerkeller und die dahinterliegende frühere Bombaybar müsse man noch gar nicht abreissen, schreibt Plattner in einer Mitteilung von gestern Dienstag. Bis zu einem rechtsgültigen Bauprojekt auf dem Areal würden noch Monate vergehen. Der Verein "Neufrankenschneise Nein" glaubt ausserdem nicht, dass die Baustellenzufahrt just über das Areal führen muss. Plattner: "Das ist ein vorgeschobenes Argument." (ant)

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REC-REC
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WoZ 3.2.11

Veit Stauffer

 "Während Zürich brannte, schrieb ich meine Memoiren"

 Plattenhändler und Rec-Rec-Gründer Veit Stauffer hat etwas zu erzählen. Darüber, wie in einem mit Media-Märkten überzogenen Land Musikfachgeschäfte am Laufmeter schliessen, wie seine Eltern in einem revolutionären Akt die Kunstschule F+F gründeten und wie Zürcher Bewegte im Heroin versanken statt Bomben zu zünden.

 Von Daniel Ryser (Interview) und Adrian Elsener (Fotos)

 WOZ: Wer Ihren Laden Rec Rec betritt, dem kann es passieren, dass er Sie verstimmt antrifft. Was geht in solchen Momenten in Ihnen vor?

 Veit Stauffer: Es gibt viele Leute, die der Meinung sind, dass ich meistens sehr nett bin zu den Leuten. Aber es ist schon so: Ich bin gewissen Launen ausgesetzt. Deswegen habe ich manchmal ein schlechtes Gewissen. Meine Stimmung ist wohl von meiner Tagesform abhängig. Es kann sein, dass mich die Kommunikation mit unterschiedlichen Leuten am selben Tag derart fordert, dass ich an meine Grenzen komme.

 Man darf als Kunde aber, wenn man Sie in solch einem schlechten Moment erwischt, durchaus eine Frage stellen?

 Ja, auf jeden Fall.

 Auch etwas ganz Banales?

 Ja. Auch ganz Banales. Das macht mir Spass, und ich nehme es dankbar entgegen. Klar, es gibt zwischendurch lange Gesichter. Es kann mir auch mal ablöschen. Wenn ich etwa merke, der Kunde hat jetzt schon an fünf Orten gefragt oder im Internet alles nachgeschaut, und er will jetzt einfach noch von mir bestätigt bekommen, dass er etwas total Ausgefallenes sucht.

 Dann werden Sie giftig.

 Sehen Sie, ich versuche, nicht elitär und eklig zu sein. Das gelingt mir aber nicht immer. Auch deshalb, weil die Zeiten angespannt sind. Die Konkurrenz ist riesig. Wenn sich am gleichen Tag etwa drei Leute beschweren, dass 32 Franken für eine CD viel sind, dann bekomme ich Zustände. Einerseits werde ich wütend, andererseits verunsichert es mich. Ich denke, die anderen Kunden beschweren sich ja auch nicht. Sie benützen auch gerne die Elf-für-zehn-Stempelkarte. Sagen die einfach nichts? Empfinden die auch so? Oder sind 32 Franken für eine gute CD in Ordnung?

 Das Geschäft des Zwischenhändlers geht vor die Hunde

 Der Druck ist gross?

 Ja. Ich zahle Universal nach wie vor 19.90 Franken für eine CD, plus Porto und Mehrwertsteuer. Ich muss zehn Franken an einer CD verdienen, dass es funktioniert. Ich bin dabei hin- und hergerissen. Einerseits finde ich, die CD-Preise hätten im Einkauf schon längst auf zehn bis fünfzehn Franken fallen müssen, dann wäre die Situation auch entspannter. Andererseits sind ja etwa die Buchpreise auch nicht gerade tief. Für einen gebundenen Roman kann ich problemlos vierzig Franken bezahlen. Aber womöglich haben viele CDs einfach eine niedrige Halbwertszeit, weil der Markt überschwemmt ist mit Mist, mit schnelllebigen Hitparadengeschichten etwa. Lohnen sich da 32 Franken? Ich versuche den Kunden Musik zu verkaufen, die auf Dauer einen gewissen Wert hat.

 Es gibt also nach wie vor viele Leute, die sich für Nischen inter­essieren? Für Musik, die im Verborgenen passiert, brodelt?

 Auf jeden Fall. Die Neugier ist nach wie vor gross. Was sich verändert hat: Einen gewissen Prozentsatz der potenziellen Kundschaft werde ich nie kennenlernen. Es gibt Leute, die wissen bestens Bescheid, aber sie wickeln alles im Privaten ab, ohne Kommunikation mit dem Ladenlokal, sondern mit Amazon, iTunes. Rec Rec funktioniert aber nach wie vor als Marke. Die Kunden gehen nach wie vor davon aus, dass ich gute Sachen bestelle, dass sie hier Entdeckungen machen können.

 Die Zeiten sind also nicht allzu gut. Das war aber sicher lange anders. Haben Sie sich nicht lange eine goldene Nase verdient?

 Ach was.

 Ach was?

 Das ist Geschwätz. Tatsächlich trifft dies teilweise auf die CD-Branche zu, auf die grossen Labels mit den Klassikkatalogen etwa. Als die CD das Vinyl und die Kassette ablöste, konnten sie den Leuten das ganze Sortiment noch einmal auf CD verkaufen. Ein unglaubliches Geschäft. Und auch der 68er-Generation konnte man alles noch einmal auf CD verkaufen. Aber diesen Wechsel habe ich sowieso nicht mitbekommen.

 Warum nicht? Da waren Sie doch schon längst im Geschäft?

 Ich hatte mir zu jener Zeit eine Auszeit genommen. Aber um bei der "goldenen Nase" zu bleiben: Der nächste Wechsel war dann jener von der CD zur MP3-Datei. Hier gab es für die Läden nichts zu gewinnen. 9/11 war dabei eine Art Stichdatum für den Niedergang. Ab dort hat man es gespürt. Die Leute waren verunsichert, gleichzeitig kamen die technischen Geschichten, der Download, ob legal oder illegal.

 Der Zwischenhändler wird mit dem Internetdownload, legal oder illegal, umgangen.

 Ja, ich mache das seit einigen Jahren mit. Ich sehe, wie die Läden rundherum schliessen. In den letzten achtzehn Monaten allein in Zürich Rock On, die Jecklin-Filiale an der Sihlporte, nun Sonic Records. In Solothurn schliesst Tribe Music. In Basel und in Luzern ist die Lage desolat.

 Die Rechnung geht für gut sortierte Fachgeschäfte also nicht mehr auf?

 Nein, oftmals nicht mehr. Bei mir in meinem Einmannbetrieb aber geht die Rechnung nach wie vor irgendwie auf. Ich habe drei Standbeine: Fünfzig Prozent des Umsatzes kommen aus dem Verkauf neuer CDs, 25 Prozent aus dem Verkauf von antiquarischem Material, also dem Verkauf von LP-Sammlungen. Den Rest verdiene ich mit Mailorder, dem Verkauf übers Internet. Aber zeitweise sitze ich stundenlang alleine im Laden. Dann komme ich schon ins Sinnieren. Was mach ich hier? Muss ich die Öffnungszeiten anpassen? Aber ich kann Ihnen etwas sagen: Ich bin jetzt 52. Ich mache das seit dreissig Jahren. Und ich mache es sicher noch weitere fünf bis zehn Jahre.

 Revolte im biederen Kunstmilieu: Mutter Stauffer veranstaltet Hexenkurse

 Sie sind nun seit 1979 unterwegs in Sachen "andere Musik", für   Avantgarde, Jazz, moderne Klassik, Minimal, Punk, Pop ... Wie haben Sie so lange durchgehalten?

 Es gab Momente, da habe ich aufgegeben. 1989 hatte ich eine schwierige Lebensphase: eine harte Trennung, einen Sohn, etwas Alkohol, ein wenig Drogen. Ich wollte auf mich schauen, ich wollte weg. Immerhin hatte ich den Laden zum Florieren gebracht. Es lief so gut, dass mich Rec Rec mit 50 000 Franken ausbezahlt hat.

 Und dann sind Sie abgehauen?

 Nein. Eben nicht. Die geplante Weltreise platzte. Einerseits wurde meine damalige Frau schwanger mit meiner Tochter, die heute 21 ist. Andererseits wurde mein Vater ins Spital eingeliefert. Diagnose Lungenkrebs. Er starb kurz darauf. Und ich begann, als Expresspöstler zu arbeiten.

 Ihr Vater war der legendäre Fotofachdozent Serge Stauffer, der 1971 zusammen mit Ihrer Mutter Doris in Zürich die F+F, Schule für Kunst und Mediendesign, gründete.

 Das ist richtig so. Sie waren bei der Gründung zu viert. Und die ganze Geschichte war ja ein riesiger Skandal. Aber darüber gibt es ja gar ein ganzes Buch.

 Ich bin Jahrgang 1979. Ich weiss von nichts.

 Die F+F ist das Produkt einer Rebellion. Zuerst war sie für fünf Jahre an die heutige Schule für Gestaltung gekoppelt gewesen, deren Direktor Mark Buchmann ein Konservativer war. Aber meine Eltern und andere Dozenten, wie die F+F-Mitgründer Hansjörg Mattmüller und Peter Jenny oder Gastdozent Peter Bichsel, waren vom 68er-Geist angesteckt. Es hat einen Aufruhr gegeben. Die Zeitungen waren voll, es gab Sitzstreiks, an denen mit Megafon gefordert wurde: "Buchmann raus! Treten Sie zurück!" Und er hielt entgegen: "Ich trete sicher nicht zurück!" Das war richtig Action. Dann sind die Lehrer geschlossen zurückgetreten und haben sehr bald postuliert: Wir machen eine Privatschule. Ein Jahr später, 1971, hatte man genug Geld gesammelt und auch einen Ort gefunden, um zu starten. Sowohl die Tagesschule als auch die Abendkurse waren ein grosser Erfolg. Es gab ja damals noch keine Abendkurse für Kunstinteressierte, wie sie heute selbst die Migros veranstaltet. Ich glaube, meine Mutter war bei der Gründung fast die wichtigere Figur als mein Vater.

 Warum?

 Meine Eltern kommen aus kleinbürgerlichem Milieu. Sie besuchten beide die Fotoklasse 1952 an der Schule für Gestaltung, dort haben sie sich kennengelernt. Meine Mutter hat sich anfangs eher familiär betätigt, bis etwa 1967, 1968, und dann hat sie ihren Ausbruch gehabt. Damals hat sie auch meinen Vater ziemlich gefordert. Hat die Frauenthematik auf den Tisch geknallt, ihn ziemlich kritisiert wegen versteckter, subtiler Unterdrückungsmechanismen. Sie hat das Kind mit dem Bad ausgeschüttet. Sie entschied in dieser Zeit des Aufbruchs: Meine Kinder sind genug alt, jetzt schaue ich für mich. Sie war ja bis zu jenem Zeitpunkt Hausfrau. Als Nächstes hat sie eine offene Ehe eingeführt. Dann hat sie - mit der Fotoausbildung im Hintergrund - sich zugetraut, sie könne ja auch einen Kurs leiten, es gebe auch für sie Platz als Dozentin an der damals noch alten F+F.

 Was war ihr Platz?

 Ihr Thema war "Teamwork". Denn sie fand, an der Schule für Gestaltung schaffen alle für sich, vielleicht gar gegeneinander in Konkurrenz. Ich glaube, "Teamwork" war der Grundstein für die Revolte. Sie hat einfach alles auf den Kopf gestellt. Sie hat Duzis eingeführt, Aktionen veranstaltet, Happenings, Performances, sie hat in Gruppen agiert und dafür gesorgt, dass die Kunst nicht mehr einfach am Pult stattfand mit "Aktzeichnen", "Perspektivenzeichnen", sondern dass die Kunst in den Alltag übergegangen ist. Sie hat sich bis 1980 voll an der F+F engagiert. Ab 1978 hat sie sogenannte Hexenkurse angeboten, Kurse nur für Frauen.

 Da hatten dann vor lauter Feminismus die Männer keinen Platz?

 Das war natürlich umstritten. Hansjörg Mattmüller etwa hat diese Kurse torpediert. Er fand, das führe in eine Sackgasse. Die Hardliner wie meine Mutter waren der Meinung, dass etwa das Frauenzentrum nur Frauen zugänglich sein soll.

 Hat Sie selbst die Feminismusdebatte interessiert?

 Die Debatte hat mich enorm interessiert. Auch wenn mich das Thema Gleichberechtigung nach wie vor interessiert, kam es mir Mitte der Achtziger schnell etwas anachronistisch vor. Ich beteiligte mich lieber konkret an der Erziehung meiner zwei Kinder. Die "Hodenbadegruppe" im Kanzlei war definitiv nicht mein Ding   - dort hat eine Männergruppe eine ziemlich riskante Verhütungsmethode eingeübt.

 Wo waren Sie eigentlich, als Ihre Eltern rebellierten?

 Ich war noch sehr jung. Mit dreizehn besuchte ich selbst die F+F, zuerst einen Abendkurs zum Thema "Musik mit Anton Bruhin und Daniel Fueter" - das war wirklich spannend, es hat grossen Spass gemacht und mich sehr gefördert. Ich war eigentlich ein begabter Schüler gewesen, aber das Gymi hat mich nicht interessiert, und die Sekundarschule in Seebach hat mir gar nicht gepasst. Ich wollte ja schon damals Schallplattenverkäufer werden, aber es gab halt keine Lehrstelle. Also organisierten mir meine Eltern einen Platz an der F+F-Tagesschule, damit ich keine Dummheiten mache. Das zweieinhalbjährige Studium war eine Offenbarung. Und dann, zwischen 1978 und 1982, arbeitete ich an meinen Memoiren. Die Endversion hatte 260 Seiten und wurde im Herbst 1983 im Verlag Ricco Bilger unter dem Titel "Halbweiss" veröffentlicht.

 Sie waren knapp zwanzig und schrieben Ihre Memoiren?

 Verrückt, nicht? Meine Freunde aus der WG, Achtziger-Bewegte, waren der Meinung: Der Typ spinnt! Draussen geht es zu und her wie in der Hölle, und der Typ schreibt seine Memoiren. Lebt in der Vergangenheit. Das stimmte natürlich. Während Zürich brannte, schrieb ich meine Memoiren.

 Der Rec Rec brennt, das AJZ wird plattgemacht, Heroin statt Stadtguerilla

 Aber die "Bewegung" haben Sie vor lauter Memoiren nicht verpasst?

 Natürlich nicht. Im Herbst 1980 verschwand ich zuerst für sechs Monate nach München. Ich hatte dort eine Freundin, und als ich zurückkam, war unsere WG ein Schlachtfeld: Das Heroin hatte Einzug gehalten. Zwei Mitbewohner hingen an der Nadel. Das war nicht auszublenden. Als dann im März 1982 das Autonome Jugendzentrum plattgemacht wurde, war ich überzeugt, dass jetzt Leute in den Untergrund gehen, dass es jetzt eine Art neue RAF gibt. Es war, als würde ich auf die Uhr schauen und warten, bis es knallt. Überall war so viel Wut. Es war ja fast eine Art Minibürgerkrieg im Gange gewesen. Der Konflikt hat die Stadt entzweit.

 Und Sie waren Teil davon?

 Ja. Aber in Bezug auf die Ausschreitungen spreche ich als Beobachter. Ich habe mich selbst nie in Gefahr begeben und wurde nie verhaftet. Aber da war dieses Gefühl, das viele hatten: Endlich läuft etwas, endlich können wir unsere Stimme erheben   - aber dieses Gefühl wurde wohl überstrapaziert. Denn als es mit dem AJZ wirklich fertig war, empfand ich es fast als Befreiung, ich dachte, jetzt können wir uns endlich Konstruktivem zuwenden. Die Stadtregierung hatte zuvor die Drogenszene ins AJZ geschleust. Ich war der Meinung, wir müssen uns doch nicht auch noch als Sozialarbeiter-Heroes gebärden und versuchen, alle Probleme dieser Stadt lösen. Nach der AJZ-Schliessung hoffte ich, dass wir uns jetzt auf uns konzentrieren können. Gleichzeitig war da dieser Eindruck, dass Leute jetzt in den Untergrund gehen. Weil es einfach extrem unangenehm und ungemütlich und daneben war, wie mit der Bewegung umgegangen wurde. Sie wurde einfach niedergewalzt.

 Aber es sind keine Bomben explodiert. Ihr Gefühl war falsch.

 Womit wir wieder bei den Drogen wären. Viele Leute sind damals im Heroin gelandet, im Drogensumpf. Die Preise waren derart tief. Das hat mich masslos desillusioniert. Ein guter Freund von mir hing während über zweier Jahre an der Spritze. Immer behauptete er, wir sollten uns keine Sorgen machen, er wisse, was er tue. Er sumpfte ab, stand zweimal eine heftige Gelbsucht durch. Später gelang es ihm, durch eiserne Disziplin eine neue Existenz aufzubauen. Entzug. Büezerjob. Aber HIV-positiv. Immerhin bricht die Krankheit nicht aus. Ein Glücksfall. Eine andere gute Freundin hatte da nicht so viel Glück. Sie starb mit 34 an Aids - Folge des Fixens.

 Inmitten des "brennenden Zürichs" wurde auch das Rec-Rec-Feuer entfacht.

 Rec Rec ist nicht aus der Bewegung heraus entstanden, aber wir konnten uns gut einbetten.

 Wir veranstalteten zu Beginn vor allem auch Konzerte. Durch den wachen Geist der Bewegung hatten wir ein erstaunlich grosses Publikum. So wurden wir bekannt.

 Die meisten Konzerte haben wir in der Roten Fabrik organisiert, nur wenige im AJZ. Dort war die Stimmung für unsere Art von Musik zu roh. Dort passten eher Zugpferde wie The Bucks, die schnörkellosen Punk spielten. Oder natürlich Jimmy Cliff. Als sich dann im Frühling 1982 das Blatt wendete und das AJZ abgebrochen wurde, der Kampf gescheitert war, haben sich die besonnenen Kräfte auf die Rote Fabrik konzentriert. Dort waren die Leute sehr offen, viele hatten genug vom Strassenkampf, vom Katz-und-Maus-Spiel. Man reibt sich auf, aber was bringt es letztlich? Viele haben sich in das kulturelle Milieu zurückfallen lassen oder das Angebot mit Dankbarkeit entgegengenommen. Sie waren der Meinung, die Leute von Rec Rec bringen coole Bands, die zwar niemand kennt, aber extrem gefallen. Diese Konzerte, ein viertägiges Festival namens "Musik ausser Kontrolle", das wir im Oktober 1982 organisiert haben, sowie ein halbes Jahr später The Residents im Volkshaus waren die Initialzündung für unseren Aufstieg.

 Wer ist eigentlich gemeint, wenn Sie von "uns" sprechen?

 Als Konzertveranstalter hatten wir viele Helfer, einen solidarischen Klüngel von Leuten, die für wenig Geld gerackert haben. Es war damals eine superinnovative Betriebsgruppe in der Roten Fabrik, auch der "Ziegel", das Fabrik-Restaurant, hat Gas gegeben, war initiativ und hat sich innert kurzer Zeit professionalisiert. Ich selbst arbeitete auch sechs Monate dort.

 Rec Rec als Vertrieb, als Label und letztlich als Laden ist eigentlich ein Projekt aus London: Das Mutterschiff ist das dortige Label Recommended Records, kurz eben Rec Rec. Gründer war Chris Cutler, Schlagzeuger von Bands wie Henry Cow, Art Bears und Pere Ubu. Er war es, der mich fragte, ob ich unter dem Namen Rec Rec in Zürich einen Vertrieb aufbauen wolle.

 Warum fragte er genau Sie?

 Ich hatte mit meinem ersten Hilfsarbeiterlohn nach dem F+F-Studium im Januar 1978 das Konzert von Cutlers Band Henry Cow organisiert. So hatten wir uns kennengelernt. Ich hatte jedoch keine Ahnung, wie das gehen könnte. Ich traute es mir ehrlich gesagt nicht zu. Aber mein Kumpel Daniel Waldner hatte das KV absolviert. Also legten wir zusammen los. Zuerst, 1979, als Mailorderversand, 1981 dann mit einem eigenen Ladenlokal, und 1983 gründete Waldner dann auch das Label mit eigenen Musikproduktionen. Ich habe schon immer alles sehr gründlich gemacht. Ich kniete mich also rein. Flog etwa im Sommer 1982 nach London, um die echte Labelluft zu schnuppern. Gegen Kost und Logis tütete ich während dreier Monate Rec-Rec-Platten ein. Ich kannte wohl bis zu neunzig Prozent der damaligen Rockmusik. Im Herbst 1983 übernahm ich dann in Eigenregie den Laden, reiste zweimal im Jahr nach London, um Platten einzukaufen. So wurde das Sortiment sehr breit, und mit 27 schrieb ich einen 230 Seiten umfassenden Rec-Rec-Gesamtkatalog - ein Buch. Die Herstellung kostete 9000 Franken - und monatelange Nachtschichten. Zu jeder Band, die wir im Sortiment hatten, lieferte ich eine chronologische Beschreibung.

 Tod in den Bergen, der Vertrieb im freien Fall, Tribut für einen verkannten Sänger

 Rec Rec startete auf allen Ebenen durch. Das Label allein veröffentlichte über sechzig Bands und Künstler, etwa Fred Frith, The Ex, Negativland, Guy Klucevsek. Der Vertrieb sorgte dafür, dass zahlreiche Schweizer Bands in die Läden kamen, bekannt wurden, selbst der Laden wurde über die Landesgrenze hinaus bekannt als gute Adresse für alternative Musik. Geblieben sind einzig Sie: ein Einmannbetrieb an der Rotwandstrasse in Zürich. Was ist passiert?

 Ich finde es nach wie vor ein Phänomen, dass zwischen 1983 und 2008 über siebzig Leute für den Vertrieb Rec Rec gearbeitet haben. Es begeistert mich, dass so viele Leute diese Firma durchlaufen haben; dies vor allem dank Daniel Waldner, der weit­sichtig und voller Enthusiasmus war, Derartiges aufzubauen. Aber irgendwann stand Rec Rec das Wasser bis zum Hals. Als ich nach meiner Auszeit 1994 zurückkam, überschlugen sich die Ereignisse. Daniel Waldner verunglückte mit seinem achtzehn Monate alten Sohn Valentin tödlich auf einer Wanderung. Ein Drama. Vier Monate später starb Mathias, den ich als Mitarbeiter in den Laden geholt hatte, an Krebs. Ich stürzte in eine verfrühte Midlife-Crisis. Kurz darauf, 1997, ging die ganze Firma Konkurs. Waldner war immer sehr optimistisch gewesen, auch risikofreudig, aber wie sich herausstellte, hatte er in diesem Fall zu viel riskiert. Das Label wurde aufgelöst, Laden und Vertrieb machten als zwei getrennte Firmen weiter. Zwischen 2001 und 2004 begann man sich dann ernsthaft Sorgen um die ganze Branche zu machen. 2008 musste der Vertrieb schliessen. Obwohl Laden und Vertrieb zu diesem Zeitpunkt zwei unterschiedliche Firmen waren, ist mir das ganz schlecht reingekommen. Ein Minierdbeben. Irrationale Ängste kamen hoch: Wie soll es mit mir weitergehen?

 Wer Ihr Treiben ein wenig verfolgt hat, dem kann fast nicht entgangen sein: Immer wieder haben Sie versucht - neben den unzähligen anderen wenig bekannten Musikern, die Sie einem breiteren Publikum bekannter zu machen versuchten -, vor allem einem jung verstorbenen Musiker zu mehr Aufmerksamkeit zu verhelfen: Tim Buckley. Was hat es mit dieser Figur auf sich?

 Das ist eine Art Privatpassion. Tim Buckley ist eine Figur, von der ich finde, sie sollte einen viel höheren Stellenwert haben. Er ist in zweierlei Hinsicht ein Phänomen. Zwischen 19 und 23 hat er bereits sechs Alben veröffentlicht und mit 23 dann zwei Alben, die eigentlich avantgardistische Meisterwerke sind, visionär, "Lorca" und "Starsailor". Wenn man die Anfänge dieses Musikers betrachtet, würde man nie erwarten, dass ein Songwriter, der relativ brave, melancholische Folksongs geschrieben hat, plötzlich fast hendrixmässig als Stimmvirtuose loslegt, dass einer noch so jung eine derartige Entwicklung durchmacht. Aber dafür musste er büssen. "Starsailor" war ein kommerzieller Flop. Er versank in Depressionen, konsumierte zu viel Alkohol, auch Speed und starb an einer Überdosis Heroin. Vor seinem Tod hat er noch einmal eine Wandlung durchgemacht und sich dem Management angepasst, nach dem Motto: "Ich mach, wie ihr es wollt." Dieses Album hiess "Greetings from L.A.", eine komische Mischung aus Soul, Funk, R'n'B, Rock. Es war irgendwie lieblos, halbfertig, überproduziert. Buckley fiel zwischen Stuhl und Bank, starb, völlig verkannt, 1975 mit 28 Jahren.

 Und Sie machten es sich zur Aufgabe, der Schweiz klarzumachen, dass Buckley ein verkanntes Genie ist.

 Nicht bloss der Schweiz, der ganzen Welt! Zwölf Jahre nach seinem Tod produzierte ich ein Tribute namens Comebuckley mit dem Zürcher Sänger Andi Czech. Mit dieser Platte, die auch international drei sehr gute Kritiken erhielt, wollte ich der Welt zeigen, wie wichtig der Mann eigentlich war. Später hatte ich einen Briefwechsel mit Lee Underwood, Buckleys Gitarristen. Ich besuchte die Witwe mit ihrem dritten Mann. Sie verwalteten den Nachlass. Ich plante einen Dokumentarfilm. Die Ausgangslage wäre nicht schlecht gewesen, aber es fehlte letztlich am Geld. Und als ich 1994 zu Rec Rec zurückkam, hatte ich sowieso keine Hand mehr frei. Und eine Neuauflage des Comebuckley-Vinyls auf CD floppte 2007. Ich bin überzeugt, wäre sie auf einem angesagten englischen Label erschienen, das wäre eine grosse Sache geworden. Stattdessen sitze ich auf 1500 Doppel-CDs. Aber sie plagt mich inzwischen nicht mehr täglich, die Frage, wann Buckley endlich bekannter wird. Ich habe meinen Frieden gefunden mit Tim.

 Nach der bewegenden Geschichte - wo steht Rec Rec, der Einmannbetrieb, heute?

 Mittlerweile geht es darum, den Rec-Rec-Geist im Laden und in der Mailorder weiterleben zu lassen, den Spirit von "anderer Musik", schrägen Sachen, Neuentdeckungen. Es ist nach wie vor eine Spezialität des Hauses, voller Neugier Debüts zu entdecken, sie den Kunden ans Herz zu legen. Aktuell gerade Analogik aus Dänemark, eine typische Rec-Rec-Band. Der Laden ist mit einer Galerie vergleichbar: Da ist jemand, der den Leuten etwas vermitteln kann, das sie vorher nicht gekannt haben. Und das sind auch meine liebsten Kunden, die reinkommen und sagen: "Empfiehl mir fünf Sachen zum Hören. Ich bin sicher, ich werde bei deiner Auswahl fündig."

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 Veit Stauffer und Rec Rec

 Für LiebhaberInnen von Musik jenseits des Mainstreams ist der Rec-Rec-Laden an der Rotwandstrasse 64 im Zürcher Kreis 4 die allererste Adresse. Rec Rec entstand 1979 ursprünglich als Schweizer Vertrieb des gleichnamigen britischen Labels. 1981 kam das Ladenlokal hinzu, das Veit Stauffer (*1959) - unterbrochen von einer fünfjährigen Auszeit - seit 1983 in Alleinregie führt.

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GEFANGENE
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Indymedia.ch 5.2.11

Freiheit für Steven! ::

AutorIn : warda         

Heute, Samstag den 5. Februar 2011, versammelten sich ca. 50 Personen vor dem BGZ in Zürich. Es wurde Feuerwerk gezündet und laute Musik abgespielt.
Dieser Flyer wurde am angrenzenden Flohmarkt und den Passanten verteilt.

Freiheit für Steven!     
    
Alltäglich gefangen oder gefangen im Alltag

Unser Freund Steven wurde am 15. Dezember 2010 verhaftet und befindet sich seither im BGZ in Untersuchungshaft. Gestützt auf eine äusserst fragwürdige Beweislage, wird ihm vorgeworfen, letzten Herbst auf der Hardbrückenbaustelle in Zürich ein Feuer gelegt zu haben.

Es geht uns jedoch hier nicht darum, über Schuld und Unschuld zu sprechen. Unsere Kritik geht weit über die Verfahrensführung der Staatsanwaltschaft hinaus. Wir wollen uns nicht auf die Seite jener stellen, die mit der juristischen oder moralischen Gerechtigkeit argumentieren. Dies sind Methoden und Werte, die tief in uns allen verankert sind, weil sie uns bereits durch die Erziehung eingeprägt wurden. Sie werden kaum in Frage gestellt, da sie Teil der Kultur der heutigen Gesellschaft sind.
Es geht uns darum, diese Vorstellung von Moral und Justiz zu durchbrechen, denn genau diese Werte sind es, die nicht nur die Häftlinge zur Gefangenschaft verurteilen, sondern auch alle, die sich ausserhalb der Mauern befinden. So wird das Gefängnis zu einem Thema, das uns alle betrifft, denn es reflektiert die Gesellschaft, die uns alle in unserem Alltag einschliesst. Sie definiert, wie wir in unserem Leben zu funktionieren haben. Sie legt uns Zwänge auf, die uns vom Leben entfremden und dem Drang nach Freiheit keinen Raum lassen. Allzu oft verwandelt sich die Sehnsucht nach Leben unter der Last der Pflichten in Unzufriedenheit und Depression.
Justiz und Moral werden von jenen bestimmt, die aus den Lebensbedingungen der Mehrheit der Menschen Profit ziehen. Sie bilden die Grundlage dieses Systems und sind ein Instrument der Mächtigen, um die Ausbeutung unserer Arbeitskraft zu gewährleisten, denn gleichzeitig dienen sie als Mittel zur Kontrolle. Kontrolle beschränkt sich nämlich nicht nur auf Überwachungseinrichtungen, sie beruht auch auf der Angst, den Anforderungen der Gesellschaft nicht gerecht zu werden, oder eines Tages ohne nichts dazustehen; auf der Angst vor Bestrafung, vor der Vorstellung eingesperrt und von Freunden und Familie getrennt zu werden.
Das Gesetzt bestraft einerseits Menschen, die sich dem System nicht fügen oder sich dagegen zur Wehr setzen. Anderseits bestraft es jene, die in der Orientierungslosigkeit in dieser entfremdeten Welt sich selbst oder anderen Schaden zufügen. So oder so rechtfertigt die Herrschaft Gefangenschaft und Kontrolle mit der "Kriminalität”, die ihr eigenes Produkt ist. Mit den zunehmend erschwerten Lebensbedingungen, der verschärften Gesetzgebung und Kontrolle, kommen immer breitere Bevölkerungsschichten den Toren der Gefängnisse näher.

Wir anerkennen Diebstahl und Betrug nicht als Straftatbestand, denn diese Ordnung bringt uns jeden Tag durch ihre Zwänge und Schwindel um ein freies Leben. Wir anerkennen auch die Zerstörung nicht als Straftatbestand, denn man errichtet um uns herum eine Welt, die uns immer fremder scheint, in der alles immer gefängnisähnlicher und lebloser wird. Wir anerkennen überhaupt keinen Straftatbestand, denn wir anerkennen die Gesetze nicht, die uns von den Reichen und Mächtigen aufgezwungen werden, um ihr Wohl und unsere Ausbeutung zu garantieren.

Wir wollen überhaupt keine rechtsetzende Instanz und überhaupt keine Gefängnisse, sondern ein Leben, das auf Solidarität und einer anti-autoritären Haltung aufbaut. Wir sind überzeugt, dass ein nicht-institutioneller und nicht-repressiver Umgang mit zwischenmenschlichen Problemen und Konflikten möglich ist.
Wir wissen aber auch, dass dies nach einer grundlegenden Umwälzung unseres Denkens und einer Revolte gegen diese Ordnung verlangt.

Bekämpfen wir die Angst und Entfremdung, die uns alle einsperrt.

Freiheit für Steven!
Freiheit für alle Gefangenen!

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Indymedia.ch 4.2.11

Communiqué zum Knastspaziergang vom 4.2.11 in Bern ::

AutorIn : Gegen Knäste         

Diesen Abend führten wir einen weiteren Knastspaziergang in Bern durch. Die Aktion führten wir anlässlich des Ermittlungsschlusses im Verfahren gegen Billy, Silvia und Costa durch.     

Diesen Abend führten wir einen weiteren Knastspaziergang in Bern durch. Wir zündeten diesmal vier Pneus an, und ihr fragt euch vielleicht: wer ist so bescheuert, Pneus anzuzünden, um für die Freiheit von Gefangenen einzustehen, gerade wenn es zusätzlich um die Freiheit von sogenannten Öko-AnarchistInnen geht? Wir glauben nicht, dass wir mit brennenden Reifen die Welt verändern und Gefangene befreien können. Diese Aktion hat den simplen Zweck, mehr Aufmerksamkeit zu erlangen. Es wurden schon viele Knastspaziergänge durchgeführt, doch unsere Anliegen fanden den Weg an eine breitere Öffentlichkeit nicht. Ihr sagt, wir könnten uns nicht verbal ausdrücken und machen deswegen von Gewalt gebrauch. Doch wir wissen, ihr hört uns nicht an, solange wir Gewalt nicht als Mittel verwenden. Gewalt ist keine angeborene Ausdrucksform, kein biologischer oder psychischer Fehler eines Menschen, sondern nur die logische Antwort auf die Unterdrückung, Ausbeutung und Repression durch die Autoritäten.

Die Aktion führten wir anlässlich des Ermittlungsschlusses im Verfahren gegen Billy, Silvia und Costa durch. Die Ermittlungen wurden am zweiten Februar beendet (für mehr Informationen siehe:  http://ch.indymedia.org/de/). Doch uns interessiert nicht, welchen Verbrechen unsere Genossen beschuldigt werden, und welche Beweise gegen sie aufgeführt werden. Wir verachten Knäste immer und überall.
Im Anhang befindet sich ein Text des ABC-Berlin (Anarchist Black Cross), welcher die Gründe für unsere Ablehnung gegenüber Knästen sehr schön darstellt.

Feuer und Flamme allen Knästen!
It's time for Direct Action!
Freiheit für alle Gefangenen!



Anhang:
Wieso sind wir gegen Knäste, gegen alle Knäste?
ABC Berlin ( http://www.abc-berlin.net/was-ist-abc)

http://www.abc-berlin.net/was-ist-abc#gegenalleknaeste

Wir sagen einfache Sachen, weil wir einfache Menschen sind.
Die Gedanken, Wünsche und Träume, die wir versuchen auszudrücken, trägt die Menschheit seit ihrer Entstehung in sich.
Eine endlose Reihe von GesetzgeberInnen, PolitikerInnen, ExpertInnen, Intellektuellen und anderen BefürworterInnen von autoritären Ideen hat mit List und Tücke viele Fragen erschwert, sodass sich viele Männer und Frauen als dumm und niedrig fühlen, Menschen, welche sich immer nur auf das einzigste Buch indem irgendwelche Antworten zu finden sind bezogen haben: dies der gelebten Erfahrung.

Sie erzählen uns, der Knast wäre der absolut notwendige Ort um Leute, welche die Gesetze der Gesellschaft übertreten zu bestrafen, zu maßregeln.
Nun, der Begriff "Regel” setzt hier voraus, dass an der Basis dieser Gesellschaft freie Vereinbarungen getroffen werden. Eine Gesamtheit von Normen, die von all denen, welche die Gesellschaft bilden, freiwillig geteilt werden.
Ist dies allerdings wirklich der Fall?
Vertreten Regierungen wirklich den Willen der Regierten?
Stimmt der Arme mit Freude zu, wenn der Reiche durch seine Arbeit profitiert?
Würde der Dieb weiter stehlen, auch wenn er eine Fabrik von seinem Vater geerbt hätte oder von Zinsen leben könnte?
Wenn wir uns anschauen wie diese Gesellschaft funktioniert, können wir uns nur dazu entscheiden wie wir uns Gesetzen gegenüber verhalten wollen. Gesetze, welche andere für uns beschlossen haben und die eine Regierung der Mehrheit der Menschen aufgezwungen hat.
Bevor wir uns fragen ob es richtig ist oder nicht diejenigen, welche die "Regeln" übertreten haben mit Knast zu bestrafen, müssen wir uns erst einmal fragen: wer entscheidet - und wie - über die Regeln dieser Gesellschaft?

Sie sagen uns, Knast würde uns vor Gewalt beschützen.
Ist dies aber wirklich der Fall?
Wieso sind denn die schlimmsten Gewalttätigkeiten - wir denken an Krieg oder an Menschen die an initiiertem Hunger sterben - perfekt legal?
Wieso landet jemand im Knast, der/die wegen Eifersucht tötet, aber wenn jemand eine gesamte Bevölkerung bombardiert, erlangt die Person Ansehen oder wird sogar als "HeldIn” gefeiert?
Der Knast bestraft nur die Gewalt, die entweder die Reichen und den Staat belästigt, oder ihnen in irgendeiner Form Nutzen bringen - diese werden dann als besonders abscheulich präsentiert (etwa wie Vergewaltigungen oder andere Delikte die besonders grausam sind).
Allerdings wird die strukturelle Gewalt der Machthabenden täglich vor dem Knast beschützt.
Wie viele Unternehmen brechen täglich die Gesetze? Wie viele der Inhaftierten sind ArbeitgeberInnen?
Um auch auf die so genannten abscheulichen Verbrechen einzugehen: seht ihr es als gerecht an, dass diejenigen, welche Geld fälschen, viel härter bestraft werden als die, welche jemanden vergewaltigen?
Das darf aber nicht seltsam erscheinen: das Gesetz muss das private Eigentum beschützen, nicht das Wohl der Menschen.

Sie sagen uns, dass das Gesetz für alle gleich ist.
Im Knast jedoch sitzen fast nur Menschen, die eine niedrige Schulbildung besitzen. Illegalisierte, MigrantInnen oder Kinder von ArbeiterInnen, welche zu meist wegen "Verbrechen" an Eigentumsverhältnissen sitzen, wegen Aktionen, welche hier in dieser Gesellschaft in der wir leben tief verwurzelt sind. Es ist die Notwendigkeit, die sie von morgens bis abends bewegt: Geld finden zu müssen.
Ohne zu erwähnen, dass viele Gefangene schon draußen wären (oder Zugang zu sogenannten alternativen Strafen hätten), wenn sie einfach das benötigte Geld hätten, um eine/n anständige/n AnwältIn zu bezahlen.

Sie sagen uns, Knast hilft dabei sich zu rehabilitieren oder in die Gesellschaft zu reintegrieren. Aber die Mehrheit der Gefangenen sind WiederholungstäterInnen, weil wenn sie wieder draußen sind, sie die gleichen Bedingungen - wenn nicht gar schlimmere - vorfinden, wie bevor sie eingeknastet wurden.
Wenn es einen Weg gibt, wie mensch ein Individuum dabei behindern will über die eigenen Taten zu reflektieren, dann ist es genau dieser letzte: durch Buchführung ihm/sie den Wert eines wilden Tieres zu unterwerfen: x Verbrechen, x Jahre.
Unabhängig von den unternommenen "Verbrechen" - wieso sollte er/sie sich am Ende der Strafe ("der bezahlten Schuld”) in Ordnung fühlen? Wenn er/sie von den Taten überzeugt ist (falls die Person z.B.: ein/e RebellIn oder selbstbewusste/r DiebIn ist), wird nur Hass gegenüber einer Gesellschaft empfunden, die ihn/sie eingekerkert hat, obwohl sie selbst weitaus krimineller ist.
Wieso gilt es als erbaulich, jahrelang von seinen/ihren eigenen ähnlichen getrennt zu sein, bis dazu nichts spannendes zu machen, verurteilt zu werden, Zeit verstreichen zu lassen, ausgebildet zu sein, dem/der SozialarbeiterIn oder dem/der Psychologen/In etwas vorzutäuschen und gewohnt sich immer den Oberen zu unterwerfen?
Am Ende fragen wir uns dann: ist diese Gesellschaft wirklich so tugendhaft, als Verteilerin von so gehoben Werten und so gleichgültigen Beziehungen, dass sie jemanden empfehlen kann, ihn/sie in sich zu integrieren?

Sie sagen uns: selbst wenn sie Leute nicht rehabilitieren können, zumindest erschrecken sie sie.
Und wieso werden die Gefangenen dann mehr und mehr? Wieso erweitert sich die Tendenz, mehr und mehr Verhalten zu kriminalisieren?
Es handelt sich deutlich um ein großes soziales Programm: die Armen von der Straße zu schaffen, um gleichzeitig ins Big Business des Einsperrens zu investieren (wie viele Firmen gibt es, die aus Bauaufträgen, Instandhaltungen, Lieferungen usw. Profite schlagen?).
In den USA, dem Fanal der Strafgesellschaft, gibt es mehr Gefangene als Bauern, obwohl die Verbrechen weniger werden. Ist das der Weg, den wir gehen möchten?

Wir sind gegen den Knast, weil er geschaffen und entwickelt wurde, um die Privilegien der Reichen und die Macht des Staates zu beschützen.
Wir sind gegen den Knast, weil eine Gesellschaft ihn nicht mehr braucht, wenn sie nicht auf Geld und Profiten sondern auf Freiheit und Solidarität basiert.
Wir sind gegen den Knast, weil wir nach einer Welt streben, wo die Regeln wirklich gemeinsam entschieden werden.
Wir sind gegen den Knast, weil selbst das grausamste Verbrechen irgendetwas über uns selbst erzählt, über unsere Ängste, unsere Schwächen. Es bringt nichts, diese hinter Mauern verborgen zu halten.
Wir sind gegen den Knast, weil die größten VerbrecherInnen diejenigen sind, welche die Schlüssel besitzen.
Wir sind gegen den Knast, weil nichts gutes auf Unterwerfung und Zwang wachsen kann.
Wir sind gegen den Knast, weil wir diese Gesellschaft radikal verändern wollen (und deswegen ihre Gesetze übertreten), weil wir uns nicht friedlich in ihre Städte, ihre Fabriken, ihre Kasernen, ihre Einkaufszentren integrieren wollen.
Wir sind gegen den Knast, weil der Lärm der Schlüssel im Zellenschloss eine tägliche Folter ist, Isolation eine Abscheu, das Ende der Sprechstunde eine Qual, die eingesperrte Zeit eine Sanduhr, welche langsam tötet.
Wir sind gegen den Knast, weil das geschlossene Gremium der Schließer immer bereit ist zu jeglicher Gewalttat oder jeglichem Missbrauch, entmenschlicht aufgrund deren Gewohnheit zu Gehorsam und Denunziation.
Wir sind gegen den Knast, weil er uns entweder viel zu viele Tage, Monate oder Jahre, oder viel zu viele FreundInnen, Unbekannte oder GenossInnen weggenommen hat.
Wir sind gegen den Knast, weil die Menschen, diese wir darin getroffen haben, weder besser noch schlechter sind als diejenigen, die unsere Existenz hier draußen kreuzen. (Oft, wenn wir nachdenken, sogar besser).
Wir sind gegen den Knast, weil die Notiz eines Ausbruchs unsere Herzen aufwärmt, mehr als der erste Tag des Frühlings.
Wir sind gegen den Knast, weil die Welt, durch das Loch eines Türschlosses gesehen, wie von verdächtigen oder hinterhältigen Menschen bevölkert wirkt.
Wir sind gegen den Knast, weil mensch den Sinn der Gerechtigkeit niemals innerhalb irgendwelcher Gesetzbücher finden wird.
Wir sind gegen den Knast, weil eine Gesellschaft die es braucht, Menschen einzusperren und zu entmündigen, selbst ein Knast ist.

AnarchistInnen

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TIERAKTIV
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Indymedia 5.2.11

Tierrechtsforum 2011 in Broc, Fribourg ::

AutorIn : Tierrechtsforum 2011     : http://www.tierrechtsforum.ch     
Vom 21. bis 24. April 2011 findet in Broc, Fribourg zum Zweiten Mal das Tierrechtsforum statt. Nach dem erfolgreichen Treffen im April 2010 in Winterthur soll die Idee des Tierrechtsforums nun weitergeführt werden.     
    
Diesmal jedoch mit Fokus auf die gesamte Schweiz! Daher wird es Veranstaltungen auf Französisch und Deutsch gegeben. Einen Schwerpunkt bildet dabei die Vernetzung. Das von Tierrechtsaktivist_innen aus der ganzen Schweiz organisierte Forum lädt explizit auch alle Interessierten und bisher noch nicht Organisierten herzlich ein!

Inhaltlich orientiert sich das Treffen an folgenden Themenschwerpunkten: Erfahrungsaustausch mit Aktivist_innen (Methoden, Kampagnen), Politisierung der Tierrechtsbewegung und bessere Organisation und Vernetzung der Aktivist_innen in der Schweiz.

Wir denken, dass wir nur durch die eingehende Analyse der gesellschaftlichen Machtverhältnisse und der eigenen Vorgehensweisen wirksame Strategien zur Befreiung der Tiere entwickeln können. Dem wollen wir durch das Forum einen geeigneten Raum und Rahmen geben. Es wird täglich sowohl Vorträge und Workshops, als auch Vernetzungsphasen und Möglichkeiten zum informellen Austausch geben. Details zum Programm werden von uns zu einem späteren Zeitpunkt veröffentlicht.

Das Forum bietet eine ideale Gelegenheit, um sich weiterzubilden, Kontakte mit Aktivistinnen und Aktivisten zu knüpfen, Erfahrungen auszutauschen und Kollektive zu gründen.

Wir freuen uns, euch Ende April (Ostern) zahlreich im "Village de la Paix” in Broc begrüßen zu dürfen! Der Veranstaltungsort ist einfach mit den öffentlichen Verkehrsmitteln erreichbar und bietet eine wunderschöne, ruhige und erholsame Umgebung. Für die Unterkunft und reichhaltige, vegane Verpflegung wird gesorgt.

Weitere Informationen finden sich auf unserer Webseite: www.tierrechtsforum.ch

Für eine vereinte und starke Tierrechtsbewegung - in der Schweiz und überall!

- Das Organisationskollektiv des Tierrechtsforum 2011

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REPRESSION & HETZE
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Tagesanzeiger 5.2.11

SP-Präsidentin gesteht "Dummheit" ein

 SP-Präsidentin Beatrice Reimann entschuldigt sich bei den Genossen für ihre Aussage nach der Prügelattacke auf SVP-Nationalrat Hans Fehr.

 Von Stefan Hohler

 Zürich - Mit ihrer Aussage in den Medien, dass SVP-Nationalrat Hans Fehr an der Albisgüetli-Tagung vom 21. Januar verantwortungslos gehandelt habe und sich nicht wundern müsse, dass er von den Chaoten verprügelt worden sei, hat sich Beatrice Reimann, Co-Präsidentin der SP Stadt Zürich, ins politische Abseits manövriert. Sie wurde dafür nicht nur von der SVP kritisiert, sondern auch von den eigenen Genossen.

 Nun krebst die 39-jährige Sozialarbeiterin zurück: "Es war einfach passiert, und ich habe zwei Tage lang schier in die Tischplatte gebissen, wegen meiner eigenen Dummheit", schreibt sie in der Kolumne "Rote Gedanken" in der linken Wochenzeitung "P. S." Sie sei nachhaltig "stinksauer" gewesen über sich und ihre ungeschickte Aussage. "Nach etlichen Jahren aktiver Politik und einigen hundert Interviews zu den verschiedensten Vorkommnissen erwische ich auf eine Journalistenfrage unter vielen anderen genau den Satz, der nicht hätte gesagt sein dürfen."

 Auf Anfrage sagt Reimann, sie habe die "Erklärung" auf eigene Initiative verfasst und nicht auf Druck von der Partei. Die Reaktionen auf ihre Aussagen in den Zeitungen seien mehrheitlich fragend gewesen. "Wie kommt sie auf die Idee, so etwas zu sagen?" Es seien nur wenige gehässige Mails, Telefonate oder SMS bei ihr eingegangen. Dass es Spannungen zwischen ihr und der Co-Präsidentin, Andrea Sprecher, gegeben habe, weist sie zurück.

 Sie sei erleichtert, dass sie mit der Kolumne den Fehler erklären konnte. "Ich gelobe Besserung im Wissen darüber, dass in der Politik Schweigen Silber, die überlegte Rede Gold, die unüberlegte Rede jedoch Schrott ist", beendet Beatrice Reimann die Kolumne.

Fehr hat das Augenflimmern

 SVP-Nationalrat Hans Fehr sagte auf Anfrage, dass er immer noch an den Folgen der Prügelattacke leide. So habe der Augenarzt an seinem linken Auge sogenannte "Mouches volantes" diagnostiziert, hervorgerufen durch Schläge. Eine solche Glaskörpertrübung sei zwar nicht gravierend und würde nach ein paar Wochen vergehen. Aber die sich hin- und herbewegenden schwarzen Punkte würden stören. Auch die Schläge auf die Rippen würden sich beim Husten bemerkbar machen. Für ihn persönlich sei der Fall aber abgeschlossen. Er erwartet aber auf der politischen Bühne eine Null-Toleranz-Politik gegenüber Gewalt und die Durchsetzung des Vermummungsverbots.

 Nach den Tätern - in den Medien war von zweien die Rede - werde immer noch ermittelt, sagte gestern eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft.

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Le Nouvelliste 4.2.11

L'INVITÉ

 La police n'a-t-elle que le droit de se faire insulter?

 PHILIPPE BARRAUD  JOURNALISTE

 A Lausanne, les procès de policiers pour abus d'autorité se multiplient, sous la pression d'un Ministère public qui ne laisse rien passer. Dernière affaire en date: celle d'un agent qui a frappé un individu en garde à vue, qui menaçait de s'en prendre à ses enfants.

 Particulièrement agité, pris de boisson et vociférant, l'individu emmené au poste n'a cessé d'insulter l'agent chargé de le surveiller, de se détacher alors qu'il avait été attaché plusieurs fois. Enfin, il a hurlé qu'il s'attaquerait à ses enfants. Excédé, le jeune père a flanqué un coup de poing au visage de l'individu et lui a fendu la lèvre. Plus tard, il s'est excusé, s'est dénoncé lui-même à ses supérieurs. Celui qui a reçu le coup de poing n'a pas porté plainte, mais le Ministère public a ouvert une action pénale. Tout est bien.

 Vraiment? Cette histoire laisse un goût amer. Ainsi, le citoyen moyen se demande pourquoi les personnes qu'on emmène au poste ont tous les droits, y compris celui d'insulter et de menacer gravement les policiers, tandis que ces derniers devraient tout encaisser sans broncher, et à défaut se retrouver au tribunal, lâchés par leurs chefs, à la moindre erreur. Menacer les enfants d'un père de famille est une agression intolérable, même pour un policier qui doit garder son sang-roid. Chacun comprend dès lors que celui-ci sanctionne cette agression par ce qu'on pourrait appeler un acte de communication non verbale, puisque la communication verbale est inopérante. Qu'aurait dû faire le policier? Offrir une bière à celui qui menaçait ses enfants? Lui couler un bain, peut-être?

 Nous sommes entrés dans une ère où la police, en tant qu'incarnation de l'autorité, est devenue l'ennemi public numéro un, en tout cas aux yeux de toute une faune qui saisit chaque occasion pour s'en prendre à elle: qu'il s'agisse de secours aux blessés, d'intervention dans des rixes ou de constats d'accidents, la police est de plus en plus empêchée de faire son travail et prise pour cible. On l'a vu encore le week-end dernier à Berne, où les policiers ont été empêchés de faire un constat d'accident par des "autonomes", bien entendu assurés de l'impunité.

 Cette dérive est une menace pour notre sécurité à tous, car c'est l'autorité et l'ordre public qui sont clairement visés. A force de ne pas sévir contre les Black Blocks et autres bandes organisées qui fascinent les médias, la classe politique encourage ceux qui nient toute autorité à aller toujours plus loin. Aujourd'hui ils cassent du flic et des vitrines, demain ils s'en prendront aux élus (l'UDC Hans Fehr peut en témoigner), aux patrons, aux propriétaires, et à tout ce qui est porteur de quelque autorité.

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WoZ 3.2.11

Medientagebuch

 Ein Gespenst geht um

 Nick Lüthi über Faktenarmut an der Extremismusfront

 Ein interessantes Gespräch über Literatur und Sprache hätte es werden können am Montag abend im "Fokus" auf DRS 3. Doch Moderatorin Anna Meier fühlte sich bemüssigt, den Germanisten Peter von Matt in die medial angeheizte Debatte über Gewalt im Allgemeinen und jene von links im Speziellen reinzuziehen.

 Der Fall Hans Fehr zieht weiterhin seine Kreise. Gar nach seinem Leben getrachtet hätten die Schläger, die den SVP-Politiker vor der Abisgüetlitagung vermöbelten, wollte Meier wissen. Sie zitierte damit wohl unwissentlich einen Beitrag, der auf der Internetplattform Indymedia veröffentlicht und von zahlreichen JournalistInnen für bare Münze genommen wurde. Weil die Aussage so schön ins Bild der blutrünstigen Radikalen passt, muss Quellenkritik hintanstehen.

 Nun ist hinlänglich bekannt, dass freie Kommentarplattformen im Internet regelmässig ProvokateurInnen - im Jargon als Trolle bekannt - anziehen. Das ist bei "indymedia" so. Das ist bei "tagesanzeiger.ch" nicht anders. Was in Schweizer Medien auch schon getan wurde: JournalistInnen verfassen anonym oder unter Pseudonym den provokativen Beitrag gleich selbst, um ihn danach als Beleg für ihre wilden Thesen zu zitieren.

 So weit braucht man indes gar nicht zu gehen. Auch aus dem hohlen Bauch (oder Kopf) heraus lässt sich vortrefflich Schwach- und Unsinn verbreiten. Zum Beispiel jene Mär von der fehlenden wissenschaftlichen Auseinander setzung mit der radikalen Linken in der Schweiz.

 Der "SonntagsBlick" irrt, wenn er einfach behauptet: "Fakt ist: Die extreme Schweizer Linke wurde weder politisch noch sozialwissenschaftlich jemals untersucht." Zum einen widerspricht sich der Journalist in der nächs ten Zeile gleich selbst, wenn er dort eine Dissertation zum Thema von 2008 erwähnt. Zum anderen gibt es mehrere Lizenziatsarbeiten, die Aspekte der ausserparlamentarischen Linken aufgreifen. Und zwar auch solche, die wunde Punkte treffen, wie etwa jene zwei Arbeiten, die den Antisemitismus in der radikalen Linken untersuchen. Und auch der Staatsschutz befasst sich seit Jahrzehnten recht intensiv mit dem Linksextremismus, wie jedes Jahr auch im Bericht Innere Sicherheit ausführlich nachzu lesen ist.

 Doch wenn es darum geht, der Forderung von rechts nach einer "Durchleuchtung der linksextremen Szene" das Wort zu reden, interessiert all das offenbar nicht. Dazu passt auch die Behauptung einer Radikalisierung. Davon ist seit mindestens zehn Jahren immer wieder die Rede, vor allem nach publizitätsträchtigen Ereignissen, wie aktuell dem Übergriff auf Hans Fehr. Von einer ernsthaften journalistischen Auseinandersetzung mit der radikalen Linken kann nicht die Rede sein. Vielmehr treibt die Politik die Journaille vor sich her, und die wiederum gebärdet sich als willige Erfüllungs gehilfin für die Forderungen der Politik.

 Faktenarmut ist freilich nicht alleine das Privileg der BerichterstatterInnen an der Extremismusfront. Gerade bei Medienkampagnen, mit denen ein vermuteter Missstand nicht nur aufgedeckt, sondern gleich auch behoben werden soll, droht die eigenständige Recherche auf der Strecke zu bleiben. Hat erst einmal ein Leitmedium - im aktuellen Fall die "Weltwoche" mit ihrer Titelgeschichte zur linken Gewalt   - die Thesen schön ausgebreitet, dann schreibt sichs im Fahrwasser leichter.

 Nick Lüthi  ist Medienjournalist in Bern.

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Le Matin 2.2.11

LE DÉCODAGE

 Qui se cache derrière les cagoules des Black Blocks?

 CASSEURS Attentats contre le Forum de Davos, attaque contre le politicien Hans Fehr: les extrémistes de gauche font l'actualité. Des politiciens exigent une enquête sur la mouvance.

 QUI TIRE LES FICELLES?

 • HIÉRARCHIE

 La militante d'extrême gaucheAndrea Stauffacher, 61 ans, est l'éminence grise des Black Blocks. Selon le journalSonntag, c'est elle qui aurait empêché que l'attaque contreHans Fehr(UDC/ZH) vire au bain de sang. Elle est active depuis plus de 30 ans sur la scène autonome zurichoise et fait partie des dirigeants du "Revolutionärer Aufbau". L'activiste professionnelle a été condamnée à 6 mois de prison en 1997 pour émeute et dommages à la propriété, en marge de manifestations interdites et violentes.

 QUE FAIT BERNE?

 • ENQUÊTE Les récentes activités de la gauche radicale ont alarmé les politiciens. Les présidents de la Commission de la politique de sécurité veulent mettre le sujet à l'ordre du jour de leurs prochaines séances. Leur but: demander au Conseil fédéral une étude sur l'extrémisme de gauche en Suisse, bien moins documenté que l'extrémisme de droite. Des UDC réclament de leur côté que le PS prenne davantage ses distances avec la gauche radicale. "Nous ne tolérons pas d'actes violents dans le champ politique", se défend le président du PS, Christian Levrat.

 QUI SONT LES BLACK BLOCKS?

 • Portrait Les membres du Black Block sont les casseurs que mobilise la gauche radicale au gré des manifestations. Ils seraient un millier en Suisse, selon le Rapport sur la sécurité intérieure. Agés d'une vingtaine d'années, ils proviennent de milieux différents. La coordination du mouvement est assurée par une dizaine de chefs plus âgés, membres du groupuscule "Revolutionärer Aufbau" (Reconstruction révolutionnaire) basé à Zurich. Les activistes luttent contre le capitalisme et le fascisme. Le Service de renseignements de la Confédération prévoit une augmentation de l'activité violente d'extrême gauche.

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Blick am Abend 1.2.11

"Die Polizei soll endlich was tun"

 VERMUMMTE

 Eigentlich ist es verboten, aber an Demos tun es viele: sich vermummen. Dafür soll es jetzt anstatt nur Busse auch Haft geben.

 michael.perricone@ringier.ch

 Es waren, so erzählt Hans Fehr von der SVP, vermummte Demonstranten, die ihn am Freitag vor einer Woche zusammenschlugen. Seither hat er auf fast allen Kanälen von diesem schlimmen Erlebnis berichtet, und alle sind sich einig: Das darf nicht sein.

 Einer will langfristig etwas daran ändern: Claudio Zanetti, Parteikollege von Fehr und Zürcher Kantonsrat. "Die Polizei soll das Vermummungsverbot endlich durchsetzen können", fordert er. "Heute kann die Polizei an einer Demo ja nur mit dem Bussenblock durch die Reihen schreiten, durchgreifen kann sie nicht", so Zanetti. Denn bei einer Übertretung, und als solche wird Vermummung geahndet, gibts keine Festnahmen.

 Tatsächlich hat die Polizei heute kaum eine Möglichkeit, das Vermummungsverbot durchzusetzen. Das Schweizer Recht ist äusserst zurückhaltend mit dem Freiheitsentzug. "Ich erlebe viel Frustration bei Polizisten", sagt Polizeirechtsexperte Markus Mohler (siehe Interview links).

 Stefan Leutert hat eine wissenschaftliche Arbeit zum Vermummungsverbot verfasst. Und bestätigt: Die Hürde für eine Festnahme ist hoch. "Bei den Hooligans gibt es auch einen Polizeigewahrsam. Aber erst wenn jemand bereits bekannt ist als Gewalttäter und ein Rayonverbot und eine Meldepflicht besteht, könnte er überhaupt präventiv in Polizeigewahrsam genommen werden."

 Das will Zanetti ändern und reichte eine Motion ein. In dieser verlangt der SVPler vom Regierungsrat, das geltende Recht so zu ändern, "damit in Zukunft Verletzungen des Vermummungsverbots mit Haft geahndet werden können." Früher wars möglich: Bis 2007 drohte vermummten Demonstranten (das Verbot wurde 1995 nach einer Volksabstimmung im Kanton eingeführt) sogar Haft.

 So weit aber will Zanetti nicht gehen: "Gefängnis fürs Vermummen wäre nicht verhältnismäs sig, wir wollen keinen Polizeistaat. Aber Polizeigewahrsam will ich." Das heisst, die Polizei könnte jemanden, der sich an einer Demo, die zu Straftaten führen könnte, vermummt, präventiv festnehmen und abführen.

 "Ich hoffe", so Zanetti, "dass bereits einige Stunden Zelle und die Bekanntschaft mit dem Haftrichter genügend Eindruck hinterlassen."

 Auch dass Eltern ihren Sprössling bei der Polizei abholen müssten oder er vielleicht an der Arbeitsstelle fehlt, solle abschreckend wirken.

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ANTI-WEF
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Tagesanzeiger 4.2.11

Linksextreme müssen vor die Bundesrichter

 Zwei Zürcher Mitglieder des Revolutionären Aufbaus sind von der Bundesanwaltschaft wegen Sprengstoffdelikten und Brandstiftung angeklagt worden.

 Von Stefan Hohler

 Zürich/Bern - Die beiden Beschuldigten sollen ihre Straftaten in Zürich und Bern verübt haben. Sie müssen sich vor dem Bundesstrafgericht in Bellinzona verantworten. Der Anklage liegen im Wesentlichen fünf Sprengstoffanschläge sowie ein Brandanschlag zugrunde. Die Attacken sollen zwischen September 2002 und Mai 2008 verübt worden sein. Sie seien mit unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen getätigt worden, heisst es in der Mitteilung der Bundesanwaltschaft. Bei diesen sogenannten USBV handelt es sich um selbst gebastelte Bomben, meist aus Feuerwerkskörpern. Beschädigt wurden Häuser, in denen staatliche oder halbstaatliche Institutionen eingemietet sind. Genauere Angaben wollte die Sprecherin der Bundesanwaltschaft nicht machen. Gemäss TA-Recherchen sollen zwei der fünf Sprengstoffanschläge im Zusammenhang mit dem WEF, dem Weltwirtschaftsforum in Davos, verübt worden sein. Bei der Brandstiftung soll der Privatwagen eines Zürcher Stadtpolizisten, der im Bereich Extremismus arbeitete, angezündet worden sein.

 Farbanschlag gegen die UBS

 In Zürich müssen sich demnächst ebenfalls zwei Jugendliche aus der linksextremen Szene wegen Vandalismus verantworten. Die damals 15- und 16-jährigen Schüler sollen am Farbanschlag auf die UBS beim Paradeplatz vom 17. Januar   2009 beteiligt gewesen sein. Sie sassen deshalb zwölf Tage in Untersuchungshaft. Der Prozess vom 13. Januar dieses Jahres vor dem Zürcher Jugendgericht ist aber kurzfristig abgesetzt worden. Das Verfahren wurde wegen der neuen Strafprozessordnung an die Jugendanwaltschaft übergeben.

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St. Galler Tagblatt 4.2.11

"Rackete": Weshalb die Analysen so lange dauerten

 Die Polizei brauchte eine Woche, um einen Gegenstand am Helvetia-Gebäude als modifizierte 1.-August-Rakete zu identifizieren. Wieso dauerte das so lange?

 Andreas Kneubühler

 St. Gallen. Der Gegenstand wurde am 26. Januar entdeckt und in Zürich untersucht. Eine Gruppe hatte gewarnt: "Heute haben wir mit einer Rackete die Kaderschmiede des Kapitals (HSG) in St. Gallen angegriffen." Am 27. Januar detonierte in einem Davoser Hotel ein Feuerwerkskörper. Am 2. Februar teilte die St. Galler Kantonspolizei mit, beim Gegenstand am Helvetia-Gebäude habe es sich "um einen pyrotechnischen Gegenstand vergleichbar mit einer 1.-August-Rakete" gehandelt.

 Thomas Hansjakob, Erster Staatsanwalt des Kantons St. Gallen, ärgert sich über die Frage nach der langen Abklärungsdauer. Man renne doch nicht mit jedem Zwischenergebnis zu den Medien. Gründliche Abklärungen brauchten Zeit. Der Gegenstand sei zu analysieren, es seien Abklärungen über Spuren und die Herkunft des Materials zu treffen, und man habe Zusammenhänge zur Detonation in Davos prüfen müssen. Nach einer provisorischen internen Risikoabschätzung habe man den Schlussbericht aus Zürich abgewartet.

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WoZ 3.2.11

Ausserdem

 Kreativer kämpfen

 Von Bettina Dyttrich

 "Davos wird brennen", schreibt ein anonymer Aktivist im Internet. Die Presse ist empört über das Gewaltpotenzial der "Linksextremen". Kurz vor dem Wef beschädigen Unbekannte mit Knallraketen die Panzerglasfenster des Davoser Kongresszentrums. Letzte Woche? Nein, vor zehn respektive elf Jahren. Geht jetzt wieder alles von vorne los? Es sieht fast so aus: ein dilettantischer Anschlag in St. Gallen, eine kleine Detonation in Davos, die Attacke auf Hans Fehr samt gefälschtem "Bekennerschreiben" im Netz. Wieder wird viel über die linksextreme Bedrohung geschrieben, PolitikerInnen fordern eine "Durchleuchtung" der Szene mit Nationalfondsgeldern.

 Doch etwas ist anders: Vor zehn Jahren gab es eine breite Bewegung gegen das Wef. Autonome, Anarchos und der Revolutionäre Aufbau (die die Presse immer noch nicht auseinanderhalten kann), Gewerkschafterinnen, Christen und Grüne - alle waren auf der Strasse. Das sorgte für heftigen Streit in der Bewegung, aber es gab ihr auch einen gewissen Schutz. Heute ist die Bewegung winzig und besteht vor allem aus Leuten, die sich "revolutionär" nennen (und dem Staatsschutz vermutlich alle bekannt sind). Es wird nicht mehr szenenübergreifend gestritten - und gerade das ist beunruhigend.

 Die Gefahr besteht, dass die "Revolutionären" die Bodenhaftung endgültig verlieren. Zudem könnten ihre Aktionen für den Staatsschutz willkommener Anlass sein, sich ver stärkt mit den vielen Leuten zu befassen, die in den letzten zehn Jahren in Polizeikesseln rund ums Wef fichiert wurden. Und das Fichieren geht weiter: Im Prättigau räumte die Polizei am Samstag einen Zug mit DemonstrantInnen, liess sie stundenlang gefesselt in der Kälte warten, fotografierte und verhörte sie dann in Landquart - wie vor sieben Jahren, nur etwas weniger gewalttätig. Andrew Clark vom britischen "Guardian" war zufällig im Zug und schrieb einen empörten Artikel (siehe www.tinyurl.com/clarkarrest). In der Schweiz interessierte die Sache niemanden.

 Soll man aus Angst vor dem Staatsschutz nichts mehr tun? Natürlich nicht. Aber Attacken auf SVP-Politiker bekämpfen die SVP ebenso wenig, wie Sprengkörper in Garagen den Kapitalismus abschaffen. Dafür würde es schon ein paar kreativere Ideen brauchen.

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NZZ 3.2.11

Anklage gegen zwei Linksautonome

 Verfahren der Bundesanwaltschaft

 -yr. · Die Bundesanwaltschaft (BA) hat gegen zwei Angehörige des Revolutionären Aufbaus Anklage erhoben. Den beiden werden fünf Sprengstoffdelikte und eine Brandstiftung vorgeworfen, die sie zwischen 2002 und 2008 in Zürich und in Bern begangen haben sollen. Laut einer Mitteilung der BA ist dabei zum Teil erheblicher Sachschaden entstanden, Personen wurden keine verletzt. Ziele der Anschläge seien jeweils Gebäude gewesen, in denen sich staatliche oder halbstaatliche Institutionen befinden. In einem Fall sei das Auto eines Beamten betroffen gewesen. Dabei handle es sich nicht um den Brandanschlag auf das Auto der Ehefrau von Regierungsrat Markus Notter, präzisierte auf Anfrage eine Sprecherin der BA. Die Anklageschrift wurde am Bundesstrafgericht in Bellinzona eingereicht. Angehörige des Revolutionären Aufbaus machten zuletzt auf sich aufmerksam, als sie an der Albisgütli-Tagung Nationalrat Hans Fehr angriffen.
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Bund 3.2.11

Sprengsatz in St. Gallen war 1.-August-Rakete

 Beim "Sprengsatz", den mutmassliche WEF-Gegner vor einer Woche an ein Bürofenster der Versicherung Helvetia in St. Gallen geklebt hatten, handelte es sich um eine modifizierte 1.-August-Rakete. Dies gab die Polizei gestern - per Communiqué - bekannt. Der "pyrotechnische Gegenstand" enthielt keinen elektrischen Zündmechanismus. Die Rakete hätte direkt mit einem Feuerzeug gezündet werden können.

 Sprengstoffspezialisten hatten vor einer Woche den verdächtigen Gegenstand vom Bürofenster entfernt. Die Polizei war mit 15 Mann ausgerückt, hatte Strassen abgesperrt und einen Teil des Helvetia-Gebäudes evakuiert.

 Der Angriff zu Beginn des Weltwirtschaftsforums in Davos könnte der Universität St. Gallen gegolten haben, die direkt nebenan liegt. Möglicherweise verwechselten die Täter die Gebäude. In einem Mail an die Pendlerzeitung "20 Minuten" wurde ein Angriff auf die "Kaderschmiede des Kapitals" angekündigt. Die Polizei klärt ab, ob ein Zusammenhang mit den Vorfällen am WEF besteht.(sda)

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BZ 3.2.11

Doch kein Sprengsatz

 WEF-Gegner In St. Gallen ist vor einer Woche ein Gebäude nach einem Bombenalarm evakuiert worden. Es handelte sich jedoch nicht um einen Sprengsatz, hat die Polizei nun herausgefunden.

 Beim "Sprengsatz", den mutmassliche WEF-Gegner vor einer Woche an ein Bürofenster der Versicherung Helvetia in St. Gallen geklebt hatten, handelte es sich um eine modifizerte 1.-August-Rakete. Dies gab die Polizei gestern bekannt. Der pyrotechnische Gegenstand, so hiess es im Communiqué, enthielt keinen elektrischen Zündmechanismus. Die Rakete hätte direkt mit einem Feuerzeug gezündet werden müssen.

 Sprengstoffspezialisten hatten vor einer Woche den verdächtigen Gegenstand vom Bürofenster entfernt. Die Polizei war mit 15 Mann ausgerückt, hatte Strassen abgesperrt und einen Teil des Helvetia-Gebäudes evakuiert.

 Der Angriff zu Beginn des Weltwirtschaftsforums (WEF) in Davos könnte der Universität St. Gallen gegolten haben, die direkt nebenan liegt. Möglicherweise verwechselten die Täter die Gebäude. In einem Mail an die Pendlerzeitung "20 Minuten" wurde ein Angriff auf die "Kaderschmiede des Kapitals" angekündigt. Die Polizei klärt ab, ob ein Zusammenhang mit den Vorfällen am WEF in Davos besteht. Die Spuren würden miteinander verglichen, hiess es.
 sda

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admin.ch 2.2.11

Sprengstoff- und Branddelikte vor Gericht - Bundesanwaltschaft klagt Exponenten des Revolutionären Aufbaus Schweiz an

Bern, 02.02.2011 - Die Bundesanwaltschaft (BA) kommt nach Abschluss einer Strafuntersuchung gegen zwei Zugehörige des Revolutionären Aufbaus Schweiz zum Schluss, dass sich diese strafbar gemacht haben und dass die mutmasslichen Straftaten einer gerichtlichen Beurteilung zuzuführen sind. Es werden ihnen Sprengstoffdelikte und Brandstiftung in Zürich und in Bern zur Last gelegt. Die Anklageschrift wurde beim Bundesstrafgericht in Bellinzona eingereicht.

Der Anklage liegen im Wesentlichen fünf Sprengstoffanschläge sowie ein Brandanschlag zugrunde. Die Anschläge mit unkonventionellen Spreng- oder Brandvorrichtungen (sog. USBV) betrafen Gebäude, worin sich Vertretungen staatlicher oder halbstaatlicher Institutionen eingemietet hatten, und in einem Fall das Auto eines Beamten. Alle Delikte wurden zwischen September 2002 und Mai 2008 verübt. Bei den untersuchten Anschlägen entstand zum Teil erheblicher Sachschaden, Personen wurden nicht verletzt.

Die beiden beschuldigten Personen gehören dem Revolutionären Aufbau Schweiz (RAS) bzw. der Sektion Revolutionärer Aufbau Zürich (RAZ) an. Die Organisation ist international vernetzt, setzt sich auf eigenen Internetseiten für eine andere Gesellschaftsform ein und behält sich zur Erreichung ihrer Ziele die Verübung von Straftaten ausdrücklich vor.
Die Anklage der BA lautet auf Gefährdung durch Sprengstoffe in verbrecherischer Absicht (Art. 224 des Schweizerischen Strafgesetzbuches; StGB), Brandstiftung (Art. 221 StGB), Aufbewahren und Verbergen von Sprengstoffen (Art. 226 StGB), Sachbeschädigung (Art 144 StGB) und auf verbotenen Besitz von Waffen (Art. 33 i.V.m. Art. 4 Waffengesetz). Für die beiden beschuldigten Personen gilt bis zur gerichtlichen Beurteilung die Unschuldsvermutung.

Mit Einreichung der Anklageschrift geht die Zuständigkeit für die Information der Medien auf das Bundesstrafgericht in Bellinzona über.

Adresse für Rückfragen:
Walburga Bur, Medien- und Kommunikationsdienst BA, +41 31 324 32 40, info@ba.admin.ch

Herausgeber:
Bundesanwaltschaft
Internet: http://www.ba.admin.ch/ba/de/home.html

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Südostschweiz 2.2.11

Die Polizei hat auch Unschuldige gefesselt und abgeführt

 Bei ihrem Einsatz zur Ermittlung der Chaoten, welche an der Anti-WEF-Demo in Davos randaliert hatten, ging die Polizei wenig zimperlich vor. Gefesselt und abgeführt wurden auch Unschuldige, etwa ein englischer Journalist.

 Von Theo Gstöhl

 Fideris.- Um diejenigen Personen identifizieren zu können, welche am vergangenen Samstagnachmittag an der Anti-WEF-Demo in Davos Sachschäden angerichtet haben (Ausgabe vom Sonntag), wurde gegen 17 Uhr in Fideris der Zug angehalten, mit welchem die Demonstranten Davos verliessen. "Was nun folgte, war ein Trauerspiel, wie ich es in diesem Land nicht für möglich gehalten hätte", schrieb ein 17-jähriger Bündner Mittelschüler, der friedlich an der Demonstration teilgenommen hatte, in einem Leserbrief an die "Südostschweiz" (siehe Seite 2).

 Mit Kabelbindern gefesselt

 Vermummte Polizeibeamte seien durch den Zug gelaufen und hätten zahlreiche Personen aufgefordert mitzukommen. "Das Auswahlkriterium war wohl 'jung und ohne Skianzug'", meinte der Mittelschüler auf Anfrage. Auch er musste den Zug verlassen. Auf einem eingezäunten Areal wurde er durchsucht, die Hände wurden ihm mit Kabelbindern auf dem Rücken zusammengebunden.

 Alle, die bereits durchsucht und gefesselt worden waren, wurden daraufhin zusammengepfercht. "Nach rund einer Stunde wurden wir nach Landquart gefahren. Dort mussten wir uns in einer Tiefgarage mit dem Rücken zur Wand hinsetzen", erklärte der Schüler. Nach und nach sei dann jeder einzeln in den Polizeiposten gebracht worden. Dort seien die Personalien aufgenommen und jeder sei fotografiert worden. "Nach drei Stunden wurden mir dann die Fesseln abgenommen, und um 20 Uhr konnte ich in Landquart den Zug nach Hause nehmen", hielt der junge Mann fest.

 Presseausweis half nichts

 So wie ihm, erging es auch dem englischen Journalisten Andrew Clark, welcher für die Tageszeitung "The Guardian" über das WEF berichtet und sich nicht an der Demonstration beteiligt hatte (siehe Kästen). Als der Polizeieinsatz im gestoppten Zug lief, machte er mit seinem Black Berry Fotos von den Polizisten und Notizen in seinem Notebook. Das Vorweisen des Presseausweises half ihm nichts - auch er wurde gefesselt und nach Landquart gebracht. Dort sei er auf dem Polizeiposten aufgefordert worden, die Fotos und Notizen zu löschen, wie der Journalist in seinem Artikel im "Guardian" schrieb. Obschon er sich weigerte, dies zu tun, konnte er dann nach polizeiinternen Abklärungen seine Heimreise mit drei Stunden Verspätung fortsetzen. Und so erschien auch ein Bild des Polizeieinsatzes im "Guardian".

 65 Leute wurden mitgenommen

 Insgesamt waren in Fideris 65 Personen aus dem Zug geholt, gefesselt und zur Abklärung der Personalien nach Landquart gebracht worden. "Es ist völlig klar, dass nicht alle der kontrollierten Personen gewalttätig waren", erklärte Thomas Hobi, Mediensprecher der Kantonspolizei Graubünden, gestern. Anhand der Fotos könne nun geklärt werden, wer für die Sachbeschädigungen verantwortlich sei. Diese Personen müssten mit einem Strafverfahren rechnen.

 Hobi versicherte, dass die Daten und Fotos der anderen kontrollierten Personen gelöscht werden. "Von unserer Seite war die Aktion verhältnismässig. Hätten wir die Täter laufen lassen, würde es heissen, die Polizei habe nichts unternommen", betont der Polizeisprecher. Die Verwendung der Kabelbindern sei eine Vorsichtsmassnahme gewesen, nachdem sich zuvor in Davos mehrere der Personen gewaltbereit gezeigt hätten.

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 Janom verteidigt den Einsatz

 Die Bündner Justiz- und Polizeidirektorin Barbara Janom Steiner hat den Polizeieinsatz vom vergangenen Samstag in Fideris verteidigt. "Wir konnten nicht zulassen, dass Chaoten, die in Davos straffällig geworden sind, ihren Weg einfach nach Zürich fortsetzen und ihren Feldzug dort weiterführen", sagte Janom Steiner gestern am monatlichen Treffen der Regierung mit den Medien.

 Dass bei dem Einsatz auch Unbeteiligte Unannehmlichkeiten gehabt hätten, bedauere sie aufrichtig, erklärte Janom Steiner. Allerdings liesse sich dies nicht immer vermeiden. Was die Behandlung jenes britischen Journalisten angehe, welcher bei dem Einsatz ebenfalls kontrolliert worden sei, gebe es noch offene Fragen. "Zum Beispiel ist unklar, ab welchem Zeitpunkt sich die betreffende Person als Journalist zu erkennen gegeben hat." Der ganze Vorfall werde genau analysiert, so Janom Steiner, "und wir werden unsere Polizeikräfte einmal mehr auf die Verfassung und die Pressefreiheit hinweisen".

 Janom Steiner zog ein positives Gesamtfazit über den Einsatz der Ordnungskräfte am World Economic Forum (WEF). Den Zwischenfall von vergangener Woche, bei welchem ein Feuerwerkskörper in einem Davoser Hotel gezündet worden war, bezeichnete Regierungspräsident Martin Schmid als "höchstens mediale Bombe". Janom Steiner erklärte ihrerseits, der Feuerwerkskörper sei ausserhalb des Sicherheitsrayons detoniert und ungefährlich gewesen. (obe)

 Gewerkschaft steht hinter Clark

 Syndicom, die Schweizer Gewerkschaft für Medien und Kommunikation, verurteilt das Verhalten der Polizei gegenüber dem britischen Journalisten Andrew Clark nach der Anti-WEF-Demonstration am vergangenen Samstag. "Polizisten müssen sich gefallen lassen, dass sie bei ihrer Arbeit im öffentlichen Raum von Medienschaffenden beobachtet und fotografiert werden", hält die Zentralsekretärin der Branche Presse und elektronische Medien, Stephanie Vonarburg, in einer Stellungnahme fest. Gerade bei polizeilichen Übergriffen gehöre es zur Pflicht von Journalisten, diese festzuhalten und zu veröffentlichen.

 Wie der britische Journalist von der Polizei behandelt worden sei, sei kein Einzelfall. Die Polizeibehörden würden in der Schweiz immer wieder mit rechtsstaatlich unhaltbaren Methoden gegen Demonstrierende und Medienschaffende vorgehen, heisst es weiter.

 Vonarburg weist darauf hin, dass Polizeiaktionen rund ums WEF schon in anderen Jahren für Verletzungen der Pressefreiheit gesorgt haben. In einem Fall von 2001 habe der betroffene Journalist schlussendlich erst vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte obsiegt. Der Mann war von der Polizei an einer Fahrt nach Davos gehindert worden, obwohl er einen Presseausweis vorgewiesen hatte. "Für viele Polizisten ist Pressefreiheit ein Fremdwort. Die Polizeibehörden haben noch einiges zu lernen, was den rechtlich einwandfreien Umgang mit Medienschaffenden anbelangt", zieht Vonarburg Fazit. (thg)

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Drei Stunden an den Händen gefesselt

 Ich hatte mich, wie schon die Jahre zuvor, an die Demonstration gegen das WEF in Davos begeben, um friedlich meine Meinung kundzutun. Der Zug, mit dem wir nach Hause wollten, hielt in einem umzäunten Gebiet an. Was folgte, ist ein Trauerspiel, wie ich es in diesem Land für unmöglich gehalten hätte. Einige vermummte Beamte liefen durch den Zug und baten Personen, die sie anscheinend willkürlich auswählten, mit ihnen mitzukommen. Ich wurde ebenfalls aufgefordert mitzugehen. Meine Personalien wurden aufgenommen, und ich wurde auf verbotene Gegenstände durchsucht.

 Von diesem Moment an waren meine Hände gefesselt. Alle, die bereits durchsucht worden waren, wurden zusammengepfercht. Wir waren umzingelt von Mini-Vans, die uns mit ihren Lampen beleuchteten. Etwa eine Stunde später wurden wir nach Landquart abtransportiert. Auf meine Bitte hin, meine Angehörigen kontaktieren zu dürfen, erntete ich nur ein müdes Lächeln.

 In Landquart angekommen, wurden wir in einer Tiefgarage aufgefordert, uns mit dem Rücken zur Wand hinzusetzen. Einer nach dem anderen wurde daraufhin in den Polizeiposten geführt. Hier wurden wir abgelichtet, und eine Wegweisung aus dem Kanton oder, falls hier wohnhaft, aus Davos wurde ausgesprochen. Nun wurden endlich - nach über drei Stunden - meine Handfesseln gelöst und ich durfte nach Hause.

 Sebastian Grosheintz, Untervaz

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grundrechte.ch 1.2.11

Wirtschaftsjournalist Andrew Clark vom Guardian am WEF 2011 verhaftet

1. Februar 2011

Trotz Presseausweis wegen Fotografierens im Zug verhaftet

Am 27. Januar 2001 versuchte ein Journalist und Redaktor mit dem Postauto von Klosters nach Davos zum WEF zu gelangen. Kurz vor Davos wurde das Postauto angehalten. Die Insassen wurden kontrolliert und an der Weiterreise gehindert. Trotz seiner Angaben über journalistische Tätigkeiten wurde auch der Journalist zur Rückkehr angehalten.

Gegen diese Anordnung der Kantonspolizei Graubünden erhob der Journalist Beschwerde beim Bündner Justiz-, Polizei- und Sanitätsdepartement, blitzte dort aber ebenso ab wie beim Bündner Verwaltungsgericht und beim Bundesgericht. Mit Urteil 12675/05 vom 8.Oktober 2009 verurteilte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte die Schweiz wegen ungerechtfertigter Einschränkung der Meinungsäusserungsfreiheit.

Gelernt daraus hat die Polizei in Graubünden nicht viel. Gut ein Jahr nach dem Urteil haben Spezialeinheiten der Polizei am 29. Januar 2011 in einem Zug von Davos nach Landquart den britischen Journalisten Andrew Clark verhaftet, weil er mit einem Mobiltelefon ein paar Bilder geschossen hatte.

Der Zug wurde in Fideris angehalten und von Spezialeinheiten der Polizei umstellt. Wer ein Fenster öffnete, wurde sofort mit Pfefferspray eingedeckt. Die Wagen wurden anschliessend von Robocops durchkämmt, und Personen wurden wahllos aus dem Zug geführt. Weil Andrew Clark mit seinem Mobiltelefon ein paar Bilder knipste, wurde er von einem Beamten gepackt und unsanft aus dem Zug befördert.

Obwohl sich Andrew Clark sofort als Journalist zu erkennen gab und seinen Presseausweis vorlegte, wurde er mit Kabelbindern gefesselt, und seine Habseligkeiten wurden in einen Plastikbeutel verstaut und um seinen Hals gehängt. Mit rund 60 anderen Zugpassagieren wurde er nach Landquart verfrachtet, wo er gefesselt in einer kalten Tiefgarage ausharren musste. Im Abstand von etwa 15 Minuten wurde jeweils eine Person zum Verhör geführt. Dort wurden alle fotografiert und befragt, aber nicht mit einem Tatverdacht konfrontiert.

Andrew Clark insistierte mit Hinweis auf seine Eigenschaft als Pressevertreter darauf, freigelassen zu werden. Nach einer Stunde durfte er zum Verhör. Er wurde aufgefordert, die Aufnahmen auf seinem Mobiltelefon zu löschen und alle Seiten aus seinem Notizbuch zu reissen, welche relevante Bemerkungen enthielten. Andrew Clark weigerte sich und verlangte, einen Telefonanruf machen zu können. Daraufhin kam er nach etwa 3 Stunden frei.

Offenbar wurden an diesem Tag in Landquart auch Bilder, welche andere Personen gemacht hatten, systematisch gelöscht. Dieses illegale Verhalten der Polizei ist z. B.auch unter Besuchern von Auswärtsspielen bei Sportveranstaltungen bestens bekannt.

Thomas Hobi von der Bündner Kantonspolizei erklärt auf Anfrage, Clarks Schilderung sei korrekt. Es habe sich beim Vorgehen seiner Kollegen um eine normale Kontrolle gehandelt (siehe auch Video). Mit dem Anhalten des Zuges in Fideris habe man sicherstellen wollen, dass die Demonstranten, die zuvor in Davos für Sachbeschädigungen gesorgt hätten, nicht unregistriert verschwinden könnten.

* Guardian Davos journalist's sinister encounter with the Swiss riot police
http://grundrechte.ch/2011/www-guardian-co-uk.pdf
* Bündner wollten Journalisten zensieren
http://grundrechte.ch/2011/20Min_01022011.pdf
* Video - Ankunft im Kessel von Fideris nach Anti WEF Demo in Davos 2011
http://grundrechte.ch/2011/Was%20die%20Medien%20verschweigen%20-%20Ankunft%20im%20Kessel%20von%20Fideris%20nach%20Anti%20WEF%20Demo%20in%20Davos%202011.flv

* siehe auch WEF 2001: Von Davos weggewiesener Journalist bekommt in Strassburg recht
http://grundrechte.ch/2009/aktuell08102009.shtml
* Rund ums WEF 2009
http://grundrechte.ch/2009/aktuell26012009.shtml

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20min.ch 1.2.11
http://www.20min.ch/news/schweiz/story/13386399

WEF-Einsatz: Bündner wollten Journalisten zensieren

 Im Rahmen eines WEF-Einsatzes verlangten Polizisten von einem englischen Journalisten, dass er Bilder löscht - zu Unrecht. Die Polizei sucht nach Erklärungen.

Lukas Mäder

 Dass Polizisten in der Schweiz in juristischen Belangen nicht immer sattelfest sind, hat ein Journalist der englischen Zeitung "The Guardian" bei seiner Abreise vom WEF in Davos erlebt. Der Wirtschaftsredaktor Andrew Clark war am späteren Samstagnachmittag im Zug unterwegs nach Landquart, als Polizisten in Kampfmontur den Zug in Fideris stoppten und die Passagiere kontrollierten. Grund waren Teilnehmer der Anti-WEF-Demonstration, die sich nach gewalttätigen Angriffen auf die Polizei zumindest teilweise in diesem Zug aus Davos absetzten. Clark macht mit seinem Smartphone-Aufnahmen von der Polizeiaktion, wie er in einem Bericht schreibt. Das passt den Polizisten jedoch nicht. Sie fordern ihn auf auszusteigen, wo ihm sofort mit Kabelbindern die Hände hinter dem Rücken zusammengebunden werden. Damit beginnt seine dreistündige Erfahrung in polizeilichem Gewahrsam.

 "Ich dachte, sie wollten ausserhalb des Zuges kurz meine Personalien kontrollieren", sagt Clark zu 20 Minuten Online. Nach der Arretierung sagt er sofort, dass er Journalist sei. Die Polizisten antworteten, er sehe aus wie ein typischer Demonstrant. "Das ist ironisch", sagt Clark. Er habe einen Markenmantel getragen und einen Rollkoffer dabeigehabt. Laut Polizeisprecher Thomas Hobi sass Clark am falschen Ort unter Demonstranten. Man habe nur die hinteren zwei Waggons des Zuges kontrolliert. Clark widerspricht dieser Darstellung. Zwar seien in seinem Waggon viele Demonstranten gesessen, aber um ihn herum seien normale Gäste gewesen, darunter auch Skifahrer. Diese seien nicht mitgenommen worden.

 Warten auf dem Boden der Tiefgarage

 Der Presseausweis nützte Clark nichts. Er musste zusammen mit den mutmasslichen Demonstranten im Polizeiwagen nach Landquart fahren. Insgesamt habe die Polizei rund 60 Personen auf den dortigen Polizeiposten gebracht, wo sie fotografiert und ihre Personalien aufgenommen wurden, wie Polizeisprecher Thomas Hobi sagte. Die Fesselung sei das übliche Vorgehen bei einer so grossen Personenkontrolle. Offenbar war die Polizei in Landquart auch räumlich überfordert. Clark musste zusammen mit den übrigen Personen rund eine Stunde lang auf dem Boden der Tiefgarage sitzen. Sprechen war ihnen verboten.

 Dass die Polizisten Clark mitgenommen haben, weil er die Aktion im Zug fotografierte, darauf deutet auch das Vorgehen bei der Vernehmung hin. Ein Offizier habe ihm befohlen, die Aufnahmen der Polizeiaktion zu löschen und die entsprechenden Seiten aus seinem Notizbuch zu reissen. Wenn er das tue, könne er gehen, sonst müsse er bleiben, habe der Polizist laut Clark gesagt. Als der Journalist sich weiterhin weigerte und stattdessen verlangte, dass er einen Telefonanruf machen könne, haben sich die Polizisten beraten. Laut Clarks Schilderung führte der Offizier daraufhin selbst ein Telefongespräch und liess ihn danach gehen.

 Löschung unrechtmässig verlangt

 Die Kantonspolizei Graubünden bestätigt den Vorfall und stellt klar: "Auf öffentlichem Grund darf man in Graubünden auch Polizisten fotografieren." Dass somit unrechtmässig ein Polizeioffizier die Löschung der Aufnahmen verlangt hat, versucht Sprecher Hobi positiv zu deuten: "Die Polizisten haben von Clark gewünscht, dass er die Bilder lösche, weil darauf auch unschuldige Personen zu sehen sind." Es sei um den Persönlichkeitsschutz von Unbeteiligten gegangen. Clark widerspricht: "Es war eine Aufforderung." Zudem hätten die Polizisten auch die Vernichtung von Notizen gefordert, auf denen ja keine Personen zu erkennen waren.

 Als mögliche Erklärung führt Hobi auch an, dass Polizisten aus mehreren Kantonen im Einsatz standen, die nicht unbedingt juristische Kenntnisse der Bündner Verhältnisse hatten. "Wir klären nun ab, wie der Fall abgelaufen ist", sagt Hobi. Falls es doch eigene Polizisten waren, hätte dies Konsequenzen - aber keine gravierenden: "Wenn sich herausstellt, dass ein einzelner Polizist keine ausreichenden juristischen Kenntnisse hat, dann bringen wir ihn auf den aktuellen Stand." Bei Clark entschuldigt hat sich die Kantonspolizei nicht, sagt Hobi. Es sei ja kein Unrecht geschehen. Clark klärt mit seinen Vorgesetzten das weitere Vorgehen ab.

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Tagesanzeiger 1.2.11

WEF: Polizei verletzte Pressefreiheit

Foppa Daniel

 Für den Journalisten Andrew Clark der britischen Tageszeitung "The Guardian" hat das WEF mit einem einschneidenden Erlebnis geendet: Als er am Samstag Davos per Zug verlassen wollte, geriet er in eine Kontrolle der Polizei. Diese verfolgte Anti-WEF-Aktivisten, die Sachbeschädigungen verursacht hatten. Clark fotografierte den Einsatz und machte sich Notizen auf seinem Notebook.

 Trotz Presseausweis wurde auch er angehalten. Polizisten banden Clark die Hände auf den Rücken und brachten ihn in ein Polizeigebäude nach Landquart. Dort forderten sie ihn auf, die Fotos und Aufzeichnungen zu löschen. "Sie haben eine Minute. Wenn Sie die Fotos und Notizen löschen, können Sie gehen. Wenn nicht, bleiben Sie hier", habe ihm ein Offizier gesagt, so Clark im Internet. Ob man denn in der Schweiz Polizisten nicht fotografieren dürfe, fragte der Journalist, worauf ihm beschieden wurde: "Am WEF gelten besondere Regeln." Clark kam der Aufforderung nicht nach. Dennoch liess man ihn nach drei Stunden in Polizeigewahrsam ziehen.

 Thomas Hobi, Sprecher der Bündner Kantonspolizei, bestätigt den Vorfall und sagt: "Da ist nicht alles optimal gelaufen." Es sei erlaubt, Polizisten auf öffentlichem Grund zu fotografieren und sich zu einem Polizeieinsatz Notizen zu machen. Man werde den Fall analysieren und Konsequenzen für künftige Einsätze ziehen. "Wir werden unsere Leute", so Hobi, "nochmals auf die Regeln der Pressefreiheit hinweisen."(daf)

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NZZ 1.2.11

Bündner Polizei am "Guardian"-Pranger

Klage über Behandlung in Davos

 ark. · Die Geschichte hat auf dem Online-Portal des englischen "Guardian" für Aufsehen gesorgt: Dutzende von Kommentatoren kritisieren dort das Verhalten der Bündner Polizei. Grund für den Unmut sind die ungemütlichen Erlebnisse des Journalisten Andrew Clark auf der Heimreise vom WEF in Davos am Samstag. Clark reiste zufälligerweise im gleichen Zug wie ein Teil der Demonstranten, die zuvor gegen das WEF protestiert hatten. In Fideris wurde der Zug von Polizei in Kampfmontur angehalten und durchsucht. Clark war eine von rund 50 Personen, die, die Hände auf dem Rücken gefesselt, aus dem Zug geholt und anschliessend nach Landquart zur Befragung gebracht wurden. Erst nach drei Stunden habe man ihn mit den Worten "you can go back to your country" aus Fesseln und Gefangenschaft entlassen, berichtet Clark. Thomas Hobi von der Bündner Kantonspolizei erklärt auf Anfrage, Clarks Schilderung sei korrekt. Es habe sich beim Vorgehen seiner Kollegen um eine normale Kontrolle gehandelt. Man habe sicherstellen müssen, dass die Demonstranten, die zuvor in Davos für Sachbeschädigungen gesorgt hätten, nicht unregistriert verschwänden.

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St. Galler Tagblatt 1.2.11

Nicht ausdiskutiert

 Armeebestand wird laut Maurer Streitpunkt bleiben.

 Die Rechnung des Bundes 2010 schliesst um fünf Milliarden besser ab als erwartet. Müssen Sie nun im VBS weniger sparen?

 Ueli Maurer: Das ist eine vorübergehende Situation. Die Begehrlichkeiten sind gross. Wir schieben nicht nur in der Armee, sondern auch bei den Sozialwerken oder beim Verkehr eine Schuldenwelle vor uns hin. Deshalb glaube ich nicht, dass sich für uns etwas ändert. Wir könnten im Moment gar nicht mehr Geld ausgeben wegen der Schuldenbremse. Zudem müssten wir die Projekte erst wieder aufgleisen.

 Was ist eigentlich Ihre Vision der Armee?

 Maurer: Ich vertrete die Haltung des Bundesrates: Der sieht eine Armee mit 80 000 Mann, mit jährlich 4,4 Milliarden Ausgaben und neuen Kampffliegern vor.

 Und Sie persönlich?

 Maurer: Es ist ein offenes Geheimnis, dass ich gerne etwas mehr in die Armee investieren würde. Denken Sie an Davos letzte Woche. Die Welt wird immer unsicherer. Wer in einem Hotel eine harmlose Explosion verursachen kann, kann auch irgendwann eine Bombe legen. Um das zu verhindern, muss rund um die Uhr jedes Hotel, jeder Raum überwacht werden. Das braucht Personal. Je kleiner die Armee, desto weniger kann sie solche Aufgaben erfüllen. Ich bin überzeugt, die Diskussion über die Grösse der Armee ist noch lange nicht beendet.

 Die kleine Explosion am WEF soll den höheren Bestand rechtfertigen?

 Mauer: Was ich damit sagen will: Weil die Sicherheitsanforderungen immer komplexer werden, braucht es tendenziell mehr Leute, um die Sicherheit zu garantieren. Die Polizei hat bei uns wenig Möglichkeiten. Für Anlässe wie das WEF dagegen ist die Armee massgeschneidert. Im längerfristigen Sicherheitsdenken wird die Armee deshalb höheren Stellenwert erhalten. Dafür braucht sie Mittel. Interview: eno/ja

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POLICE FR
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Freiburger Nachrichten 4.2.11

SVP-Grossrat fordert "vorbeugende Massnahmen" bei Demonstrationen

 Es gebe nicht genügend Mittel, um gewalttätigen Ausschreitungen an Kundgebungen vorzubeugen, meint Stéphane Peiry. Der Grosse Rat stimmte dem zu und überwies das Postulat klar mit 65 zu 18 Stimmen an den Staatsrat.

 Carolin Foehr

 Freiburg Sein Schreiben hatte Stéphane Peiry, SVP-Grossrat aus Freiburg, eine Woche nach den gewaltsamen Ausschreitungen vor dem Freiburger Zentralgefängnis im Juni 2010 eingereicht. Darin hatte er bemängelt, den Behörden fehle es an wirksamen Mitteln, um solche Eskalationen zu verhindern.

 Konkret schlug er drei zusätzliche Massnahmen vor: präventive Kontrollen im Vorfeld der Kundgebung, die Schaffung eines eigenen Gerichtes "für frisch begangene Strafen" und ein Verbot, maskiert oder vermummt zu demonstrieren. Andere Kantone hätten solche Massnahmen bereits eingeführt. "Die Liste könnte beliebig verlängert werden", fügte er gestern im Grossen Rat hinzu.

 "Vermummungs-Verbot"

 In seiner schriftlichen Antwort von Ende Dezember hatte sich der Staatsrat schon bereit erklärt, "abzuklären, ob der Polizei im Rahmen gewalttätiger Demonstrationen nicht weitere Rechte eingeräumt werden sollten". Dies bekräftigte Justizdirektor Erwin Jutzet gestern in der Parlamentssitzung. Er werde die Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft suchen und ein "Vermummungs-Verbot" prüfen, versprach er.

 Auch die FDP und die CVP unterstützten den Vorstoss der SVP. CVP-Sprecherin Emmanuelle Kaelin-Murith aus Bulle verlangte allerdings, dass zunächst geklärt werden müsse, ob ein reeller Handlungsbedarf bestehe. "Mit Verboten sollte man nicht leichtfertig umgehen", sagte sie.

 Gegen die Übergabe des Postulats sprachen sich das Mitte-links-Bündnis und die SP aus. Für Benoît Rey (MLB, Freiburg) roch der Vorstoss allzu sehr nach Wahlkampf-Strategie. Zudem seien die vom Staatsrat im Sicherheitskonzept aufgezählten Massnahmen ausreichend. Ebenso argumentierte SP-Grossrat Pierre-Alain Clément: "Das Postulat wäre nur eine Doublette früherer Vorstösse."

 Bericht erweitern

 Genau dieses Sicherheitskonzept war Gegenstand der anschliessenden Kenntnisnahme durch den Grossen Rat. Ausgehend von einem Postulat der CVP-Grossrätin Gabrielle Bourguet aus Granges vom September 2008 hat der Staatsrat in Zusammenarbeit mit den Oberämtern einen Bericht über die Sicherheitsmassnahmen bei Sport- und Kulturanlässen verfasst und vor drei Wochen veröffentlicht (die FN vom 13. Januar).

 Die Studie, die nun über die Sicherheit an Demonstrationen verfasst werden soll, werde eine Ergänzung des Konzepts bilden, so der Staatsrat.

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POLICE ZH
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Tagesanzeiger 4.2.11

Kennzeichnung: Stadtpolizisten sind wütend auf die Politiker

 Polizeikritische Anwälte erhoffen sich durch die neue Regel eine Erleichterung ihrer Arbeit.

 Von Beat Metzler und Stefan Hohler

 Zürich - "Riesige Empörung" herrsche im Polizeikorps, sagt Gabriel Allemann, seit 30 Jahren Polizist und Vizepräsident des städtischen Polizei-Beamten-Verbandes. Die Politik habe der Polizei ihr Misstrauen ausgesprochen.

 Grund für die Aufregung: Randalierende Fans und 1.-Mai-Demonstranten werden künftig nicht mehr identischen Polizisten in Kampfmontur gegenüberstehen, sondern identischen Polizisten in Kampfmontur, die angeschrieben sind. Dies hat der Zürcher Gemeinderat knapp beschlossen (TA von gestern). Anders als im normalen Dienst werden aber keine Namen auf den Uniformen stehen, sondern Codes, die bei jedem Einsatz wechseln. Die Codes dürften weder zu einfach noch zu kompliziert ausfallen, sagt Gemeinderat Balthasar Glättli (Grüne). Sie könnten etwa aus zwei Buchstaben und zwei Zahlen bestehen. Sie sollen helfen, fehlbare Polizisten im Nachhinein zu identifizieren.

 SP, Grüne, AL und einem Teil der Grünliberalen fehle die Achtung vor den einzelnen Polizisten, sagt Gabriel Allemann. Sonst hätten sie anders entschieden. Belästigungen im Alltag, denen einige Polizisten schon heute ausgesetzt seien, würden wegen der Codes zunehmen. "Ich befürchte auch, dass gewalttätige Demonstranten noch häufiger Anzeige gegen uns erstatten." Auch wenn ein Verfahren eingestellt werde, was in den allermeisten Fällen geschehe, belaste ein solches den betroffenen Polizisten. Eine Folge könnte sein, dass sich die Polizisten künftig in brenzligen Situationen zurückhalten würden, um sich nicht unnötig zu exponieren. "So kauft man uns den Schneid ab."

 Eine weitere Sorge von Allemann ist, dass Chaoten markierte Polizisten gezielt angreifen. Nach einer Festnahme könnten einzelne Beamte so zu einer "regelrechten Zielscheibe" werden.

 "Nichts zu befürchten"

 Die SVP kritisiert, dass sich Aktivisten vermummten, Polizisten sich dagegen anschreiben müssten. Solange die politische Führung der Polizei das Vermummungsverbot nicht konsequent durchsetze, schütze sie "linksextreme Chaoten". Unterstützung erhalten die Stadtpolizisten auch vom Schweizerischen Verband der Polizei-Beamten. In einer Stellungnahme an die Gemeinderäte unterstellt dieser den Befürwortern sogar, sie gehörten dem gleichen Lager an wie die gewalttätigen Aktivisten.

 Linke und Grüne haben mit der Kennzeichnung ein langjähriges Anliegen durchgesetzt. Laut Balthasar Glättli dürfen die Codes die Polizisten nicht zum öffentlichen Freiwild machen. "Die Namen dahinter werden nur in Strafverfahren aufgedeckt. Für die Polizei ist es sicher kein Problem, diese Daten vertraulich zu halten." Es gehe auch nicht darum, Polizisten zu schikanieren. "Anständige Beamte haben nichts zu befürchten." Die Kennzeichnung erhöhe im Gegenteil die Legitimität der Polizei und ihres Gewaltmonopols. "Wir haben die Pflicht, alle Vorwürfe abzuklären und zu prüfen. Die Kennzeichnungen vereinfachen dies." Dass solche Verfahren Kosten verursachten, lasse sich in einem Rechtsstaat nicht vermeiden. "Sonst könnte die Polizei ja auch aufhören, Bagatelldelikte zu verfolgen."

 Mehrere Anwälte, die Menschen bei polizeilichen Übergriffen vertreten, glauben, dass die Kennzeichnung ihre Beweisführung erleichtere. Marcel Bosonnet schildert einen Prozess wegen Körperverletzung, bei dem der Kreis der Verdächtigten auf drei Polizisten eingeschränkt wurde. Diese hätten sich aber gegenseitig gedeckt. Es kam zu keinem Schuldspruch. Viktor Györffy erzählt von einem ähnlichen Fall: Während eines 1.-Mai-Einsatzes hätten Polizisten einem Unbeteiligten aus nächster Nähe Gummischrot ins Gesicht geschossen. Auch hier gelang es dem Staatsanwalt nicht, den schuldigen Polizisten aus der betreffenden Einheit zu identifizieren. Beide Anwälte sind überzeugt, dass eine Kennzeichnung zumindest weitergeholfen hätte. "Die Schilder werden zudem eine abschreckende Wirkung auf gewisse Polizisten ausüben", sagt Anwältin Manuela Schiller. Und Fotos von Polizeieinsätzen gewännen durch die Kennzeichnungen mehr Beweiskraft.

 In Basel kein Problem

 Zürich ist nicht die erste Schweizer Stadt, die ihre Polizisten anschreibt. Basler Stadtpolizisten tragen auf normalen Patrouillen Namensschilder. Beim "unfriedlichen Ordnungsdienst", etwa an Anti-WEF-Demonstrationen oder gegen randalierende Fussballfans, werden die Polizisten mit Nummern auf den Schulterpatten versehen. Es habe damit nie Probleme gegeben, sagt David Gelzer, Präsident des Basler Polizei-Beamten-Verbands. Dies bestätigt Klaus Mannhart, Mediensprecher der Kantonspolizei Basel-Stadt. Die Namensschilder und Nummern hat Basel bereits 1997 eingeführt. Zwei Wochen nach jedem Einsatz wird die Nummernliste gelöscht, im Computer erscheint sie nicht. Auch Berner Kantonspolizisten sind bei Demonstrationseinsätzen mit Nummern markiert.

 Bei der Kantonspolizei Zürich sind dagegen weder Namensschilder noch Nummern ein Thema, wie Marcel Strebel, Chef der Informationsabteilung sagt. An den 1.-Mai-Demonstrationen werden in Zukunft also gekennzeichnete Stadtpolizisten neben anonymen Kantonspolizisten gemeinsam im Einsatz stehen.

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Kommentar

 Zeichen schaffen Klarheit

Von Peter Aeschlimann

 Niemand mit Verstand misstraut der Zürcher Polizei grundsätzlich. Unfehlbar sind Beamte jedoch genauso wenig wie wir alle.

 Bisher konnten Menschen, die negative Erfahrungen mit Polizisten in Kampfmontur gemacht haben, vor Gericht nur Angaben machen wie: "Ein Mann mit blauem Helm hat mich geschlagen." Echte Aufklärung etwaigen Fehlverhaltens war so kaum möglich. Die vom Gemeinderat beschlossene Kennzeichnung der Beamten im unfriedlichen Ordnungsdienst löst nun genau dieses Problem.

 Ja, auch vermummte Chaoten werden die Codes auf den Uniformen lesen. Anfangen können sie damit aber herzlich wenig. Denn die Polizei hat dafür zu sorgen, dass die Liste mit den zu den Zahlen gehörenden Namen nicht in falsche Hände und auf dubiose Portale im Internet geraten kann. Das ist einer Truppe zuzutrauen, die täglich mit heiklen Daten zu tun hat. Die Furcht der Beamten vor Übergriffen auf Familienmitglieder ist unbegründet.

 Es ist richtig, dass nur der Staat knüppeln, einkesseln und verhaften darf. Wer aber das Gewaltmonopol innehat, benötigt auch das Vertrauen jener, die es zu beschützen gilt. Dafür braucht es nicht nur Regeln, sondern auch taugliche Mittel, um Missbrauch zu ahnden.

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Neue Polizeiverordnung

 Tauben dürfen weiterhin gefüttert werden

 Zürich - Soll die Stadt das Füttern von wild lebenden Tieren verbieten dürfen? In der Nacht auf gestern Donnerstag diskutierte der Gemeinderat den umstrittenen Artikel in der neuen allgemeinen Polizeiverordnung (APV). Es gehe nicht darum, das Füttern von Enten im Zürichsee grundsätzlich zu verbieten, sagte Marianne Aubert (SP). Vielmehr wolle man mit dem Verbot verhindern, dass sich Füchse, Ratten oder Tauben unkontrolliert vermehren können. Dezidiert gegen ein Verbot stellte sich die SVP. Fraktionschef Mauro Tuena erzählte dazu eine rührende Anekdote aus seiner Kindheit: "Ich mag mich gut erinnern, wie ich mit meiner Grossmutter jeweils aus dem Kreis 4 an den edlen Zürichsee spaziert bin und dort unser hartes Brot an die Enten verfüttert habe." Alecs Recher (AL) betonte, dass genau dieser Kontakt zu Tieren für Menschen in der Stadt extrem wichtig sei. Um Krankheiten vorzubeugen, müsse man informieren, nicht verbieten. In Notfällen könne der Kanton ausserdem bereits heute ein temporäres Verbot aussprechen. Mit 68   zu   41 Stimmen wurde der Artikel, wenn auch in abgeschwächter Form, in der APV beibehalten. Neu heisst er: "Der Stadtrat kann das Füttern wild lebender Tiere einschränken."

 Alkohol auf Spielplätzen erlaubt

 Beibehalten wird auch die Vorschrift, dass für das Wild gefährliche Hunde in Wildschonrevieren an der Leine zu führen sind. Dagegen waren SVP, FDP und CVP. Es sei einem Polizisten nicht zuzumuten, abschätzen zu können, welcher Hund gefährlich sei, sagte Roger Tognella (FDP). Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) entgegnete, dass es seltsam anmute, wenn in städtischen Grünanlagen die Menschen geschützt würden, die Rehe im Wald jedoch nicht. Mit 74 zu 45 Stimmen beliess der Rat die Leinenpflicht in der APV.

 Gestrichen wurde hingegen das Alkoholverbot auf öffentlichen Kinderspielplätzen und der sogenannte Botellón-Artikel. Dieser verlangte, dass Personen, welche öffentliches Eigentum verunreinigen, nebst einer Busse auch die Instandstellungskosten zu bezahlen hätten. Über die restlichen Artikel befindet der Gemeinderat am 2. März. Unter anderem wird dann das Veloreparierverbot auf Trottoirs zur Debatte stehen.

 Peter Aeschlimann

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Limmattaler Tagblatt 4.2.11

Polizeiverordnung sorgte für hitzige Debatten

 Stadt Zürich Besonders umstritten im Parlament war die individuelle Kennzeichnung von Polizisten in Kampfmonturen

 Bereits vor eineinhalb Jahren hatte sich das Parlament der Stadt Zürich mit dem stadträtlichen Entwurf zur neuen Allgemeinen Polizeiverordnung (APV) befasst. Diese regelt das Zusammenleben im öffentlichen Raum und soll die Polizeiverordnung aus dem Jahr 1977 ersetzen.

 Der Gemeinderat befand die Vorlage der damaligen Polizeivorsteherin Esther Maurer (SP) als engstirnig, überladen und gewerbefeindlich. Diskussionsstoff lieferten insbesondere Alkoholverbotszonen, Lärmvorschriften, Ruhezeiten bei Bauarbeiten, Regeln für das Füttern von Tauben, Füchsen und Ratten sowie das Flicken von Velos auf öffentlichem Grund.

 Sub- und Spezialkommissionen hatten - auch in Zusammenarbeit mit dem neuen Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) - während 21Monaten die Vorlage überarbeitet. Rund 50Änderungsanträge zu 32Artikeln hätten am Mittwoch behandelt werden müssen.

 "Unfriedlicher Ordnungsdienst"

 Bereits bei Artikel3 entspann sich jedoch am späten Mittwochabend eine sehr lange Debatte. Dabei ging es um die Kennzeichnung der Ordnungskräfte im Einsatz.

 Konkret sollen Polizisten im "unfriedlichen Ordnungsdienst" eine individualisierte, wechselnde Kennzeichnung tragen. Das heisst, dass Polizisten in Kampfmonturen, wie diese sie beispielsweise am 1.Mai tragen, erkennbar sein sollen. Dies ist ein langjähriger Wunsch der Linken. Nur mit einer individuellen Kennzeichnung könne man bei einem Fehlverhalten konkret Anzeige erstatten und nicht einfach "gegen einen Polizisten mit Helm", sagte eine SP-Vertreterin. Die Gegner hielten den Artikel für "unangemessen, unnötig und unfair". Auch sei er ein Misstrauensvotum gegen die Polizei. Die Polizisten würden zu Straftätern gemacht, Racheakte gegen Polizisten erleichtert - beispielsweise durch Internetpranger.

 Mehrheit für die Kennzeichnung

 Der Linken (SP, Grüne, AL) wurde einseitige Wahrnehmung vorgehalten. Demonstranten seien vermummt - trotz Vermummungsverbot -, aber Polizisten sollten angeschrieben sein. Das widerspreche dem gesunden Menschenverstand.

 Stadtrat Leupi, Vorsteher des Polizeidepartements, vertrat die Ansicht, dass die Polizei sehr gut arbeite, wenn auch nicht fehlerfrei.

 Aus Sicht des Stadtrates brauche es keine neue Regelung. Der Rat war jedoch nicht dieser Ansicht. Mit 63 zu 59Stimmen votierte er für die Kennzeichnung.

 Zu später Stunde rang sich der Rat zu einem so genannten "Leichtbier-Artikel" durch. Er ersetzt die einst vorgeschlagenen alkoholfreien Zonen.

 Zur Vermeidung von Gewalttätigkeiten kann der Vorsteher des Polizeidepartements bei Veranstaltungen mit hohem Gefährdungspotenzial am Veranstaltungsort und in der näheren Umgebung die Abgabe von Bier mit über 3Vol.%Alkohol zeitlich befristet verbieten. Der Verkauf von Bier bis 3Vol.%Alkohol ist in diesem Gebiet nur im Offenausschank erlaubt. Zum Zuge kommt der Artikel beispielsweise bei Fussballspielen mit hohem Risiko.

 Ausnahmen können für einzelne abgegrenzte und kontrollierte Bereiche innerhalb von Gastwirtschaften genehmigt werden.

 Am 2.März wird der Rat die Beratung zur APV fortsetzen. (sda)

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NZZ 4.2.11

Tumult um Bier und Randale

 Stadtzürcher Polizeiverordnung knapp zur Hälfte besprochen

 Am Mittwochabend hat der Zürcher Gemeinderat lange über die Polizeiverordnung diskutiert. Trotzdem wurde erst über 13 von 32 Artikeln abgestimmt.

 rsr. · Die Allgemeine Polizeiverordnung (APV) hätte am Mittwochabend nach langer Vorgeschichte vom Zürcher Gemeinderat verabschiedet werden sollen. Trotz - oder vielmehr wegen - langen Diskussionen ist dies nicht gelungen: Die Geister hatten sich vor allem in der Frage der Kennzeichnung von Polizisten beim unfriedlichen Ordnungsdienst geschieden. Einig wurde man sich zwar nicht, aber eine knappe Mehrheit setzte mit 63 zu 59 Stimmen durch, dass Polizisten künftig bei Demonstrationen mit individueller Kennzeichnung versehen sein müssen (NZZ 3. 2. 11).

 "Entschlackungsmassnahmen"

 Erwartungsgemäss wurde ein Artikel, der ein diskriminierungsfreies Verhalten der Polizei festschreiben sollte, klar abgelehnt, ist dies doch laut Polizeivorsteher Daniel Leupi bereits auf höherer Ebene geregelt. Wenig später wurde dafür das Verhalten gegenüber Polizeiorganen weniger ausführlich geregelt als im Entwurf des Stadtrats vorgesehen. So ist ein Absatz, der es verboten hätte, falsche Angaben zu seinen Personalien zu machen, gegen die Stimmen von SVP und GLP gestrichen worden.

 Solche als "Entschlackungsmassnahmen" gepriesenen Kürzungen der APV wurden von unterschiedlichsten Seiten angestrebt. Der Verordnungsentwurf wurde so um mehrere Artikel und Absätze abgespeckt. Meist diente allein die Vision eines schlanken und umsetzbaren Regelwerks als Begründung für die Streichungsanträge. Dies hinderte aber kaum einen Redner daran, später in der Debatte auf Partikularinteressen zu beharren, wie auch Niklaus Scherr (al.) den Gemeinderäten vorwarf.

 Leichtbier erlaubt

 In seinen Augen war eine solche Regelung beim Artikel zur Alkoholabgabe zu finden. Nachdem nämlich die Möglichkeit in der APV verankert worden war, "bei Veranstaltungen mit hohem Gefährdungspotenzial" den Verkauf von Bier einzuschränken - Leichtbier bleibt erlaubt -, wollte eine Mehrheit von 102 Gemeinderäten, dass Ausnahmen "für einzelne abgegrenzte und kontrollierte Bereiche innerhalb von Gastwirtschaften" genehmigt werden können.

 Tierfreunde werden dagegen erleichtert feststellen, dass der Stadtrat das Füttern wild lebender Tiere nicht verbieten, sondern nur einschränken kann.

 Die Beratungen der APV erstreckten sich über die ganze Dauer der Doppelsitzung vom Mittwoch, bis die Präsidentin Marina Garzotto die Gemeinderäte kurz nach 23 Uhr 30 entliess. Die restlichen 19 Artikel (von 32) sollen nun am 2. März zu Ende diskutiert werden.

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20 Minuten 4.2.11

"Bei kritischen Situationen greift die Polizei weniger ein"

 ZÜRICH. Stadtpolizisten müssen etwa am 1. Mai neu eine Kennzeichnung tragen. Damit würden sie von den Politikern bloss-gestellt, ärgert sich der Polizeibeamtenverband.

 Was halten Sie vom Entscheid des Zürcher Gemeinderats?

 Gabriel Allemann*: Zuerst wird uns der Lohn gekürzt und nun wollen uns die Politiker auch noch blossstellen. Wir Polizisten sind darüber frustriert und finden den Entscheid inakzeptabel.

 Warum sträuben Sie sich so sehr gegen die individuelle Kennzeichnung?

 Sie ist einerseits unnötig, weil man bereits heute genau weiss, welcher Polizist wo im Einsatz steht. Andererseits weil sie alle Ordnungshüter vorverurteilt. Dies zeigt, wie wenig die Politiker unsere Arbeit wertschätzen - nicht gerade motivierend. Zudem ist zu erwarten, dass markierte Polizisten von Chaoten gezielt ausgesucht und angegriffen werden.

 Wie wirkt sich der Entscheid auf die Arbeit der Stapo aus?

 Der Papierkrieg wird wieder einmal vergrössert, dadurch dauert es länger, bis die Beamten an einem Einsatzort sind. Wegen der Kennzeichnung sind sie an der Front ausgestellt - dies wird dazu führen, dass sie in kritischen Situationen aus eigenem Interesse weniger eingreifen werden. So können sie einer falschen Anprangerung entgehen. Zudem wird es für die Stadtpolizei dadurch noch schwieriger, gute Leute zu finden.

 Die Grünen, Partei von Polizeivorsteher Daniel Leupi, haben die Kennzeichnung unterstützt. Fühlen Sie sich von ihm zu wenig ernst genommen?

 Wir wünschen uns, dass er mehr auf die Polizisten an der Basis hört und das Gespräch mit Personalvertretern sucht.  

Regina Ryser

 *Vizepräsident des städtischen Polizeibeamtenverbandes

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Blick am Abend 3.2.11

Jetzt kommt die Stunde der Wahrheit

 DEMOS

 Polizisten werden an Demos gekennzeichnet. Werden auch Chaoten härter angefasst?

 Das ist absurd", ereifert sich Claudio Zanetti. "Es kann doch nicht sein, dass jene, die gegen das Gesetz verstossen, besser dran sind als jene, die das Gesetz vertreten müssen."

 Der SVP-Kantonsrat ist gar nicht einverstanden mit einem Entscheid, den der Stadtzürcher Gemeinderat gestern Abend fällte: Künftig müssen Polizisten in Kampfmontur an Demonstrationen eine gut sichtbare Zahl oder einen Code tragen. So sollen sie identifizierbar sein, sollte sich einer falsch verhalten. SP, AL, Grüne und ein Teil der Grünliberalen brachten diese Vorschrift in der neuen Polizeiverordnung unter. Gegen den Widerstand der Bürgerlichen.

 Polizisten also werden gekennzeichnet, während Chaoten weiterhin vermummt bleiben.

 Für die Moral des Korps sei dieser Entscheid verheerend, meint Zanetti. Denn es sei ein klares Misstrauensvotum gegen die Polizei. "Eigentlich sollte doch der Ordnungshüter diejenigen identifizieren können, die an illegalen Demos teilnehmen und nicht umgekehrt", sagt Zanetti. Das Vermummungsverbot aber kann die Polizei wegen dem Verhältnismässigkeitsprinzip nicht durchsetzen. "Deshalb fordere ich im Kantonsrat, dass die Polizei Vermummte wenigstens in Polizeihaft nehmen kann." So soll sie präventiv eingreifen können (Blick am Abend berichtete über diese Motion).

 Für Zanetti kommt es jetzt zur Stunde der Wahrheit: "Wenn die Linke das nicht unterstützt, dann ist ihre Haltung eindeutig: Pro Chaoten, gegen die Ordnungshüter." mip

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Tagesanzeiger 3.2.11

Stadtpolizisten müssen an Demos bald Kennzeichen tragen

 Eine Mehrheit des Zürcher Gemeinderats will verhindern, dass Beamte anonym Gewalt ausüben können.

 Von Peter Aeschlimann

 Zürich - Der Gemeinderat behandelte gestern bis spät in die Nacht den Entwurf für eine neue Polizeiverordnung (APV). Bis Redaktionsschluss kam er nicht weit. Eine heftige Debatte entbrannte bereits bei Artikel 3 von 32.

 Es geht darin um die "individualisierte Kennzeichnung von Beamten im unfriedlichen Ordnungsdienst". Die Uniformen von Polizisten, die zum Beispiel bei 1.-Mai-Krawallen im Einsatz stehen, sollen demnach künftig mit einer Zahl oder einer Reihe von Symbolen versehen werden. Dieser bei jedem Einsatz wechselnde Code würde es erlauben, im Nachhinein etwaiges fehlbares Verhalten einem Individuum zuzuordnen. Seit 2002 tragen die Beamten der Stapo Namensschilder im friedlichen Ordnungsdienst, etwa bei Verkehrs- oder Personenkontrollen.

 Für Marianne Aubert (SP) böte eine Ausdehnung auf sämtliche Korpsmitglieder einen Schutz für all jene, die sich korrekt verhielten. Es gehe ihrer Partei nicht darum, die Persönlichkeit der Polizisten preiszugeben und auszustellen. Man wolle einzig und allein verhindern, dass die Polizisten anonym schalten und walten können.

 Furcht vor Attacken

 Als unfair und unangemessen bezeichnete Marc Bourgeois (FDP) die von der Ratslinken geforderte Ergänzung in der APV. Eine aufwendige Kennzeichnung verursache bloss zusätzliche Kosten. Falls es tatsächlich einmal zu einem Übergriff kommen sollte, gebe es schon heute zahlreiche Möglichkeiten, die Schuldigen zu identifizieren. Die Einsatzzentrale sei stets darüber im Bild, wer sich gerade wo aufhalte. Der Zugführer sei beschriftet, und es gebe meistens auch Zeugen. Bourgeois warf den Befürwortern der Kennzeichnung vor, es fehle ihnen an Distanz zu den Chaoten. Diese würden sich vermummen und Gesetze brechen, die Polizei hingegen mache nur ihren Job.

 Mauro Tuena (SVP) sagte, es gebe Kreise, die alles daran setzen würden, die Listen mit den zu den Nummern oder Symbolen gehörenden Namen auf einschlägigen Seiten im Internet zu veröffentlichen. Und dann würden wieder Wohnungen verschmiert und Leuten abgepasst. "Wollen sie das wirklich?", fragte Tuena. Entschieden gegen Namensschilder für Kampftruppen war auch die CVP. Man dürfe die Polizei nicht dem Pöbel aussetzen, sagte Urs Rechsteiner.

 AL-Gemeinderat Niklaus Scherr empörte sich darüber, dass die Bürgerlichen Polizisten und Chaoten auf dieselbe Stufe stellten. In Zürich habe allein die Polizei das Gewaltmonopol. "Wenn wir aber jemanden dazu berechtigen, Gewalt auszuüben, braucht es auch gewisse Regeln." Die Grünliberalen beschlossen Stimmfreigabe. Schliesslich wurde die Ergänzung mit 63 zu 59 Stimmen in die neue APV aufgenommen. SP, Grüne, AL und fünf Mitglieder der GLP stimmten dem umstrittenen Zusatz zu, SVP, FDP, CVP, EVP, SD und sieben GLP-Gemeinderäte waren dagegen.

 Gegen den Willen des Stadtrats strich das Parlament Artikel 4.2 aus der Verordnung. Dieser verbietet das Angeben von falschen Personalien. Die Polizei könne bei einem klaren Verdacht jederzeit jemanden auf die Wache mitnehmen, um die Identität zu überprüfen, sagte Alecs Recher (AL). Deswegen sei der Absatz nichts als eine nette Verzierung, auf die man verzichten könne.

 Zudem darf der Stadtrat künftig bei Risikospielen anordnen, dass um den Veranstaltungsort nur Schwachbier ausgeschenkt wird. Der Rat war mit 90 zu 27 für eine entsprechende Regelung in der APV. Er lässt aber Ausnahmen zu: So ist es Wirten erlaubt, in kontrollierten Bereichen stärkeres Bier auszuschenken.

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NZZ 3.2.11

Polizisten beschriften

 Der Zürcher Gemeinderat debattiert unerwartet heftig über die Polizeiverordnung

 Die neue Polizeiverordnung soll verschiedenste Belange des Zusammenlebens regeln. Sie hat am Mittwochabend den Zürcher Gemeinderat beschäftigt. Bei der Diskussion über die Kennzeichnung von Polizisten sorgte die GLP für zeitweise Aufregung.

 rsr. · Das Ansinnen, die Allgemeine Polizeiverordnung (APV) zu erneuern, war bereits unter Stadträtin Esther Maurer verfolgt worden. Sie legte allerdings ein Regelwerk vor, das weit übers Ziel hinausschoss. Ihr Nachfolger Daniel Leupi erwies sich in vielen Punkten als pragmatischer, so dass sich die grosse Mehrheit der Kommission schliesslich für die neue APV aussprach - allerdings bei rund 50 Änderungsanträgen. Abgelehnt wurde die Verordnung in der Kommission nur vom Vertreter der AL. Am Mittwochabend hat sich nun der Gemeinderat mit der APV befasst.

 Lob von allen Fraktionen

 Auch wenn die beinahe einmütige Kommissionsempfehlung nicht auf Missstimmigkeiten oder längeren Diskussionsbedarf hingewiesen hatte, zeigten bereits die Fraktionserklärungen, dass Harmoniesüchtige an diesem Abend wohl zu kurz kommen würden. Andrew Katumba sprach namens der SP-Fraktion von einem "liberalen und pragmatischen" Ansatz und pries die Freiheiten, die, vom ersten Entwurf noch verwehrt, den Bürgern gewährt werden sollten: "Wildlebende Tauben können fast ohne Einschränkung gefüttert werden."

 Anders tönte es von der gegenüberliegenden Ratsseite. SVP-Fraktionspräsident Mauro Tuena schalt die APV als "engstirniges und kleinkariertes Regelwerk". Daher habe seine Partei "diverse entschlackende Detailanträge" gestellt. Von der FDP und der GP lobten danach Roger Tognella und Markus Knauss die Arbeit von Polizeivorsteher Leupi. In einzelnen Punkten waren die beiden Redner zwar uneins, doch schien beiden die neue Regelung "praxisnäher" und "den Lebensumständen angepasst".

 Für die GLP sprach Guido Trevisan und stellte klar, "auf die Eigenverantwortung der Mitbürger" setzen zu wollen, wie auch CVP-Fraktionspräsident Christian Traber dazu aufrief, "den gesunden Menschenverstand nicht zu vergessen". Dennoch fordere das heutige Ausgehverhalten seinen Tribut und mache es notwendig, Regeln zu schaffen, "um den Menschen vor sich selber und Mitmenschen zu schützen". Kritisch äusserte sich Alecs Recher für die AL-Fraktion: Er glaube nicht, "dass die Sicherheit in Zürich durch den langen Katalog an Benimmvorschriften verbessert wird". Zahlreiche der Verbote und Regelungen seien überflüssig. Die SD schliesslich sahen sich als Einzige im Rat für Ordnung einstehen. Christoph Spiess hätte denn auch die ursprüngliche Fassung der Polizeiverordnung von Stadträtin Maurer dem nun vorliegenden Antrag vorgezogen. Zum Schluss der rund einstündigen Aufwärmrunde, bestehend aus Fraktionserklärungen und Voten der Kommissionsvertreter, rief Polizeivorsteher Daniel Leupi in Erinnerung, dass in der Limmatstadt nicht nur Festbrüder unterwegs seien, sondern auch eine Wohnbevölkerung lebe. Im Vergleich zu anderen Städten und Gemeinden sei die Zürcher APV "nicht sehr restriktiv".

 Die Detailberatung der einzelnen Artikel war bereits gestartet, als plötzlich Aufregung in der linken Ratshälfte ausbrach. Ihr Vorhaben, Polizisten "im unfriedlichen Ordnungsdienst", also etwa beim Einsatz gegen gewalttätige Demonstranten, individuell zu kennzeichnen, drohte zu scheitern. Die GLP, deren Stimmen zur Mehrheit erforderlich sind, wollte mit "Nein" abstimmen.

 Und plötzlich herrscht Hektik

 Fraktionschefs und weitere Exponenten von AL, GP und SP sammelten sich um die Partei, die nun eine andere Position als ihr Vertreter in der vorberatenden Kommission einnehmen wollte. Das Scheitern ihres alten Anliegens vor Augen, legte sich die gesamte SP-Fraktion tüchtig ins Zeug: Insgesamt acht Redner versuchten allfällige Unschlüssige von der Richtigkeit ihrer Absichten zu überzeugen. Die Polizistinnen und Polizisten, wurde mehrfach versichert, würden keine Namensschilder tragen, sondern Zeichen oder Nummern, die nur polizeiintern bekannt wären und bei jedem Einsatz änderten. Eine Identifizierung der Polizeikräfte solle Aussenstehenden weiterhin nicht möglich sein.

 Durch derartige Voten auf die Palme gebracht, sagte Roger Liebi (svp.) warnend: "Es geht der Linken um die Deckung der Straftäter, nicht um den Schutz der Polizisten." Käme die Liste der eingesetzten Polizisten in falsche Hände, wären diese und auch ihre Familien gefährdet. Wer linksextreme Gewalttäter so schütze, sei eine Gefahr für die nationale Sicherheit.

 GP-Fraktionschef Markus Knauss formulierte schon bald ein Ultimatum: Scheitere die neue Regelung, sei fraglich, ob die APV in der Schlussabstimmung im März durchkomme. Die GLP entschied sich derweil an einer Ad-hoc-Fraktionssitzung für Stimmfreigabe. So kam das Anliegen mit Hilfe von Teilen der GLP gegen das Votum des Polizeivorstehers mit 63 zu 59 Stimmen durch.

 Nach Diskussionen wurde ebenfalls der sogenannte "Leichtbier"-Artikel mit 90 zu 27 Stimmen gutgeheissen. Damit sind zeitlich und örtlich beschränkte Verbote zum Verkauf von Bier möglich.

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20 Minuten 3.2.11

Bei Risikoanlässen kann die Stadt Leichtbier verordnen

 ZÜRICH. Bei Anlässen mit hohem Gewaltpotenzial kann der Stadtrat künftig normales Bier verbieten. Das ist eine von diversen Änderungen in der neuen Polizeiverordnung.

 Das Zürcher Stadtparlament hat gestern Abend den Entwurf zur neuen Allgemeinen Polizeiverordnung behandelt. Dieser hatte im Vorfeld für heftige Reaktionen gesorgt wegen diverser Benimmregeln des Stadtrats wie etwa einem Alkoholverbot auf öffentlichem Grund. Letzteres wird es nun nicht geben, dafür eine eingeschränkte Bierabgabe in bestimmten Fällen. So hat der Gemeinderat mit 90 zu 27 Stimmen beschlossen, dass der Stadtrat bei "Veranstaltungen mit hohem Gefährdungspotenzial" - beispielsweise Hochrisiko-Fussballspiele - die Abgabe von Normalbier zeitlich und örtlich verbieten kann. Stattdessen darf nur Leichtbier ausgeschenkt werden. Beizen sind davon ausgenommen.

 Polizeivorsteher Daniel Leupi (Grüne) sagte: "Diese Einschränkung bringt etwas - es ist erwiesen, dass es einen Zusammenhang gibt etwa zwischen Gewalt im Sport und Alkohol." Auch FDP-Sprecher Roger Tognella sagte: "Mit dem Leichtbier hatten wir während der EM 2008 gute Erfahrungen gemacht." Anders sah dies GLP-Sprecher Guido Trevisan: "Das Normalbier-Verbot bringt wenig, dann trinkt ein Hooligan sein Ten-Pack einfach ausserhalb der Zone." Gekippt hat der Gemeinderat zudem das ursprünglich geplante Verbot, wonach auf Kinderspielplätzen kein Alkohol konsumiert werden darf. Andere Punkte wie etwa das umstrittene Taubenfütterungsverbot waren bei Redaktionsschluss noch nicht behandelt.  

Roman Hodel

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Polizisten müssen Nummern tragen

Polizisten in Kampfmonturen müssen künftig - etwa am 1. Mai - eine individualisierte, wechselnde Kennzeichnung tragen. Das hat der Gemeinderat gestern im Rahmen der neuen Polizeiverordnung mit 63 zu 59 Stimmen beschlossen. Die langjährige Forderung der Linken war heftig umstritten. Nur mit einer individuellen Kennzeichnung könne man bei einem Fehlverhalten konkret Anzeige erstatten und nicht einfach "gegen einen Polizisten mit Helm", sagte eine SP-Vertreterin. Die Gegner hielten den Artikel für "unangemessen, unnötig und unfair". Auch der Stadtrat war dagegen.

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Tagesanzeiger 3.2.11

Podiumsdiskussion über Sicherheit im Ausgang

 Den Kollegen bei der Sanität abliefern und weiterfeiern

 Rund 60 000 Partygänger sind an einem Wochenende in Zürich unterwegs. Welche Folgen hat das für Polizei, Anwohner und Clubs?

 Von Sarah Rüegger

 Zürich - In Zürich ist die 24-Stunden-Gesellschaft Realität. Jedes Wochenende pilgern Heerscharen von Partygängern in die Festhütte der Schweiz - und mit ihnen kommen Lärm, Abfall und Gewalt. Anwohner sind genervt und verunsichert, die Polizei arbeitet am Limit. Das Thema Sicherheit ist besonders in den Stadtkreisen   4 und 5 präsenter denn je, auch für die Politik. Die FDP lud am Dienstag zur öffentlichen Podiumsdiskussion im Club X-tra mit Vertretern der betroffenen Branchen.

 Die Diskussionsteilnehmer sind sich einig: Die Clubszene muss mit der Anwohnerschaft vereinbar sein. Zürich mit seinem Nachtleben habe eine grosse Magnetwirkung, sagt Markus Kappeler von der X-tra Productions AG. "Gerade der Ausbau des S-Bahn-Netzes bringt immer neue Partygänger nach Zürich." Mario Dändliker, Chef Stab Polizeiregionen der Stadtpolizei Zürich, bestätigt: "Bei so vielen Menschen im Ausgang brauchen wir dringend mehr Polizisten im Einsatz." Denn mit der neuen Strafprozessordnung habe der Aufwand für die Polizei sogar noch zugenommen: "Während ein Polizist früher am Tatort ein 4-seitiges Formular ausfüllen musste, hat er heute 16 Seiten zu bewältigen." Auch der personelle Aufwand pro Einsatz ist gestiegen: "Heute rücken wir mit zwei statt wie früher mit einem Polizeiwagen aus. So kann der eine den anderen schützen", sagt Dändliker. Die Polizei setze ausserdem spezielle Patrouillen ein, welche ausschliesslich für Ruhestörungen im Einsatz seien.

 600 Betrunkene in neuer Zelle

 "Auch unsere Ausnüchterungszellen sind eine traurige Erfolgsgeschichte: Letztes Jahr hatten wir 600 Klienten bei uns", sagt Dändliker. Die Zellen beherbergen die Härtefälle unter den Betrunkenen. "Das sind diejenigen, welche im Spital durchdrehen und deshalb nicht vom normalen Pflegepersonal behandelt werden können."

 Die Frustrationsgrenze liege klar niedriger als früher, sagt auch Remo Michel, Leiter Ausbildung bei der Protectas. Weiter beobachte er, wie die Eigenverantwortung immer mehr abnehme. "Ich habe schon Leute erlebt, die nicht wussten, was zu tun war, als ein Freund bewusstlos am Boden lag. Sie gingen wohl davon aus, dass irgendein System dann schon greift." Kappeler doppelt nach: "Es gibt diejenigen, welche den Kollegen bei der Sanität abliefern und dann weiterfeiern."

 Es fehle tatsächlich vermehrt der Respekt voreinander, meint Rudi Bindella, Gastrounternehmer aus Zürich. Aber auch die Publikumsausrichtung der Lokale spielt eine Rolle. Im Niederdorf beispielsweise hätten sich Betriebe eingemietet, welche das Niveau des Quartiers beeinträchtigten. Dändliker stimmt zu: "Eine Kneipe zu eröffnen, ist heute relativ einfach." Die Folge sei oft ein Qualitätsverlust. Renata Taiana, Präsidentin des Quartiervereins Kreis 4, meint: "Man sollte sich vor jeder Neueröffnung fragen: Ist der Betrieb für den Standort verträglich?"

 Die Diskussion am Dienstag war zwar spannend, doch die Lösungsvorschläge blieben vage und schwer umsetzbar: Mehr Eigenverantwortung, weniger Bürokratie, mehr Polizisten vor Ort. Gerade dort entsteht laut Mario Dändliker ein neues Problem: "Uns laufen die Leute weg. Nicht jeder Polizist will jedes Wochenende an der Front arbeiten."

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POLICE LU
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NLZ 5.2.11

Sollen Polizisten bei Demos gekennzeichnet werden?

 Luzern

Jan Flückiger

 In Zürich müssen Polizisten bei heiklen Einsätzen künftig identifizierbar sein. Nun kommt das Thema auch in Luzern wieder aufs Tapet.

 Bei Demonstrationen und anderen Einsätzen in Vollmontur müssen die Polizisten der Stadt Zürich künftig eine gut sichtbare Zahl oder einen Code tragen. Damit sollen sie auch im sogenannten Ordnungsdienst klar identifizierbar sein. Der Code kann regelmässig gewechselt werden, damit die Anonymität gewährleistet ist. Dies hat der Zürcher Gemeinderat am Mittwoch entschieden - auf Antrag der Linken, gegen den Widerstand der Bürgerlichen.

 Nun könnte diese Forderung auch in Luzern zum Thema werden. "Wir haben dies auch schon öffentlich gefordert", sagt der Luzerner Juso-Grossstadtrat David Roth, "in einer Aussprache mit Regierungsrätin Yvonne Schärli, nach der Demonstration im Vögeligärtli im Dezember 2007." Damals habe die Polizei in seinen Augen übermässig eingegriffen. Alle Beschwerden seien aber abgewiesen worden, mit der Begründung, es sei nicht klar, welchen Polizisten ein Fehlverhalten vorgeworfen werde.

 Bürgerliche halten nichts davon

 SP-Kantonsrat Giorgio Pardini kann sich gut vorstellen, dass die SP nun aktiv wird. Der Persönlichkeitsschutz der Polizisten müsse zwar gewahrt sein, aber das sei mit einer Nummerierung der Fall. Auch seine Fraktionskollegin Priska Lorenz (Juso) teilt das Anliegen. Allerdings sei noch nichts Konkretes geplant. Zumindest bei den Grünen hätte ein solcher Vorstoss gute Chancen. "Das ist eine alte Forderung der Linken", sagt Fraktionspräsident Adrian Borgula, "aufgrund von übermässigen Einsätzen der Polizei in der Vergangenheit." Er kann sich vorstellen, dass seine Fraktion einen Vorstoss unterstützen würde.

 Nichts von der Idee halten hingegen die Bürgerlichen. "Wir haben ein hohes Grundvertrauen in die Arbeit der Polizei", sagt FDP-Fraktionspräsident Rolf Born. Es gebe keinen Anlass, daran zu rütteln. Die Einsätze der Polizei seien in letzter Zeit immer korrekt gewesen. Zudem wisse man auch ohne eine Nummerierung, wer wo im Einsatz sei. SVP-Fraktionschef Guido Müller ergänzt: "Das Vermummungsverbot wird nicht konsequent durchgesetzt. Dort muss man durchgreifen und nicht die Arbeit der Gesetzeshüter erschweren." Auch CVP-Fraktionschef Bruno Schmid sieht keinen Grund für eine Nummerierung. "Die Polizei greift ein, wenn andere sich aggressiv verhalten", sagt er. "Der Schutz der Polizisten geht vor."

 Kanton: "Kein Handlungsbedarf"

 Bei der Luzerner Polizei heisst es auf Anfrage: "Unsere Polizisten tragen seit langem im uniformierten Alltagsdienst ein gut lesbares Namensschild", sagt Mediensprecher Richard Huwiler. Im Ordnungsdienst gebe es hingegen keine Namensschilder, aber die Helme seien mit Zahlen beschriftet, welche die Gruppeneinteilung und damit intern auch die Namen definierten. "Eine Identifizierung war bisher bei Beschwerden in der Regel möglich. Deshalb wurde eine zusätzliche Beschriftung nicht thematisiert." Ähnlich argumentiert Erwin Rast, Sprecher des Luzerner Justiz- und Sicherheitsdepartements: "Die aktuell geltende Regelung hat sich bisher bewährt, sodass kein unmittelbarer Handlungsbedarf besteht." In Bern und Basel kennt man die Nummerierung der Polizisten schon länger - in Basel seit 1997. Es habe damit nie Probleme gegeben, so David Belzer, Präsident des Basler Polizeibeamtenverbands, im "Tages-Anzeiger". Der Schweizerische Polizeibeamtenverband äussert sich jedoch klar gegen eine Kennzeichnung.

 Jan Flückiger

 jan.flueckiger@luzernerzeitung.ch

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RUHE & ORDNUNG
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St. Galler Tagblatt 5.2.11

Anwohner ärgern sich über Besoffene beim Marktplatz

 Am Bahnhof Frauenfeld ist es dank Nulltoleranzpolitik und verstärkter Polizeipräsenz ruhiger geworden. Das Problem scheint sich aber auf den Marktplatz verlagert zu haben.

 Elisabeth Reisp

 Frauenfeld. Gemeinderätin Eveline Buff führt eine Kleintierpraxis beim Marktplatz und erlebt immer wieder, wie Leute sich dort betrinken, grölen und Flaschen zerschlagen. Das Wartehäuschen der Frauenfeld-Wil-Bahn musste deshalb geschlossen werden (siehe TZ von gestern). "Es geht doch einfach nicht an, dass man lärmen, öffentlich pinkeln und Sachen beschädigen kann, ohne belangt zu werden", sagt Buff. Tatsächlich kann die Polizei nicht viel machen. Bis die Polizei vor Ort ist, kann eine halbe Stunde vergehen. Der Schaden ist dann schon angerichtet. Die Polizisten können aber Littering oder öffentliches Urinieren nur verzeigen, wenn sie dies selbst beobachten konnten.

 Bahnhof hat Priorität

 Geschäftsleute und Anwohner seien davon betroffen. Buff sieht zwei Gründe für die Problematik. Einerseits die hohe Event-Dichte, vor allem auch in der Festhalle. Betrunkene Festbesucher lassen regelmässig eine Spur der Verwüstung hinter sich. Andererseits aber auch, dass die Polizei sich vor allem auf den Bahnhof konzentriere, wo seit zwei Monaten die Nulltoleranzpolitik gilt. Dass der Bahnhof Priorität habe, ist richtig, findet Buff. Aber der Marktplatz sei nun mal auch ein neuralgischer Punkt.

 "Alles wird toleriert"

 "Das ist ein gesellschaftliches Problem. Wir tolerieren mittlerweile einfach alles", sagt Buff. Und die Allgemeinheit müsse dafür zahlen. Denn die Werkhofmitarbeiter müssen am Montag den Müll aufräumen.

 Werner Sigrist, Leiter Amt für öffentliche Sicherheit der Stadt Frauenfeld, zeigt sich überrascht vom Marktplatzproblem. Die Stadtverwaltung habe erst durch den gestrigen Artikel in der TZ davon erfahren. Man werde die Angelegenheit sicher untersuchen. Ob allerdings eine ähnliche Lösung wie am Bahnhof angestrebt werde, darüber kann Sigrist noch nichts sagen. Die Nulltoleranzpolitik am Bahnhof sei ein Pilotprojekt. Das müsse sich zuerst bewähren, bevor es auf dem Marktplatz angewendet werden könne.

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SICHERHEITSDIENSTE
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St. Galler Tagblatt 3.2.11

"Schwarze Schafe gibt es viele"

 Nicht nur in der Qualität, sondern auch in der Gesetzgebung über private Sicherheitsdienste gibt es grosse Unterschiede. Wolfgang Lesjak betreibt eine Sicherheitsfirma und erklärt, woran man einen guten Sicherheitsdienst erkennen kann.

 Natalie Brägger

 Wil. Grosse Männer mit breiten Schultern, dunkler Kleidung strengem Gesichtsausdruck - Sicherheitsangestellte sind bei vielen Partygängern nicht wirklich beliebt. Ihren schlechten Ruf haben sie allerdings nicht von ungefähr, denn es gibt grosse Qualitätsunterschiede zwischen den verschiedenen privaten Sicherheitsdiensten. "Schwarze Schafe gibt es in unserer Branche leider viele", sagt Wolfgang Lesjak, Gründer und Inhaber der Wiler Sicherheitsfirma LBS Schweiz. Auch er erhält viele Bewerbungen, bei denen er schnell sieht, dass die Leute nicht in sein Team passen. "Wenn jemand angibt, dass er nebenbei ein wenig arbeiten wolle und schon seit Längerem Kampfsport betreibe, ist er bei uns falsch", betont der gebürtige Österreicher.

 Unterschiedliche Gesetzeslage

 Grund für die Qualitätsunterschiede der verschiedenen Sicherheitsdienste dürften nicht nur die Charaktere der einzelnen Angestellten sein, sondern auch die Gesetzgebung. Diese ist nämlich in jedem Kanton etwas anders. Im Kanton Thurgau braucht man eine Bewilligung, um eine Sicherheitsfirma betreiben zu können. Dazu muss der Leiter eine entsprechende Prüfung ablegen. Die von ihm ausgebildeten Angestellten muss er halbjährlich beim Kanton melden. Im Kanton St. Gallen ist die Gesetzgebung etwas strenger. Es muss nicht nur eine Bewilligung für eine Firma eingeholt werden, sondern sogar für jede Person, die ohne Ausbildung bei einem Sicherheitsdienst schnuppern will. Eine Firma, welche die Bewilligung im Kanton Thurgau besitzt, darf allerdings auch in St. Gallen arbeiten. Ganz anders sieht die Situation im Kanton Zürich aus: Dort ist für eine Sicherheitsfirma keine Bewilligung nötig. "Das ist sehr schlecht", findet Wolfgang Lesjak.

 Rechte und Pflichten kennen

 Einheitliche Vorschriften darüber, wie die einzelnen Sicherheitsangestellten genau ausgebildet sein müssen, gibt es keine. In Wolfgang Lesjaks Unternehmen wird zuerst der Charakter geprüft, anschliessend dürfen Bewerber bei einem Einsatz schnuppern. Darauf durchlaufen sie das Ausbildungsprogramm, welches vor allem das Büffeln von Rechtsgrundlagen beinhaltet. Erst wenn ein Sicherheitsangestellter seine Rechte und Pflichten kennt, darf er in Lesjaks Firma die Uniform tragen. Zur Weiterbildung bietet Lesjak für sein rund 20-köpfiges Team zusätzlich regelmässig Kurse im Ju Jitsu Club Frauenfeld an. Dabei arbeitet er mit Roli Bichsel, Selbstverteidigungsinstruktor Polizei und Militär bei der Kantonspolizei Thurgau, zusammen. Fit halten können sich die Mitarbeitenden im firmeneigenen Trainingsraum in Wallenwil. Wichtig ist für Wolfgang Lesjak bei der Arbeit aber vor allem ein wacher Geist. Sein Ziel ist es, einen passiven Sicherheitsdienst zu leisten. "Das meiste kann man mit Kommunikation schlichten, Gewalt ist nie eine Lösung", so die Meinung Lesjaks.

 Auf Zertifikate achten

 Einen Anhaltspunkt, um professionelle Sicherheitsdienste in allen Kantonen zu erkennen, gibt es allerdings. Die Paritätische Kommission Sicherheit (PaKo) Schweiz überprüft Sicherheitsunternehmen, die mehr als zehn Angestellte beschäftigen, regelmässig. "Die kleineren entkommen solchen Kontrollen und können deshalb auch die Preise drücken", erklärt Wolfgang Lesjak, dessen Firma seit Februar 2009 von der PaKo zertifiziert ist. "Die Kunden schauen viel zu wenig auf die Zertifikate, sondern meist nur auf den Preis", weiss Lesjak. Beim Sicherheitsdienst spare man klar am falschen Ort. Der 32-Jährige hofft, dass es der Verband Schweizerischer Sicherheitsdienstleistungs-Unternehmen VSSU bald schafft, gesamtschweizerische Richtlinien für die Ausübung von polizeiähnlichen Aufgaben aufzustellen. "Dann werden viele kleine Firmen verschwinden", vermutet Lesjak.

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BIG BROTHER
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La Liberté 5.2.11

Un engagement politique très suivi par la police cantonale

 Surveillance ● Les fiches se suivent et se ressemblent pour le député Jean-Michel Dolivo, dont l'activité militante a été dûment consignée.

Arnaud Crevoisier

 Le 1er décembre 2009, Jean-Michel Dolivo participe à une "manifestation contre l'intolérance". Deux jours après le vote sur l'interdiction des minarets, un cortège de 3000 personnes défile pacifiquement dans les rues de Lausanne. Le parcours se termine symboliquement devant la mosquée.

 Ce rassemblement a été dûment consigné par le groupe des renseignements généraux de la Police de sûreté. Son rapport désigne l'avocat et député vaudois comme représentant du Mouvement de lutte contre le racisme (MLCR), le collectif qui avait lancé l'appel à manifester. Sur place, un des slogans ("Nous sommes tous des musulmans") a aussi retenu l'attention policière.

Fiché une première fois

 Connu pour son engagement militant, Jean-Michel Dolivo avait été fiché une première fois comme organisateur d'une manifestation contre Christoph Blocher en septembre 2007. Après des demandes insistantes auprès du Service de renseignement de la Confédération (SRC) puis de la police cantonale, il a finalement reçu de cette dernière, il y a dix jours, une copie de la fiche en question. Il avait appris l'existence de ce document dans ses démarches pour récupérer le premier rapport de renseignement le concernant (notre édition du 14 janvier).

 Contrairement au précédent, ce deuxième rapport n'avait pas été conservé dans le fichier des renseignements fédéraux ISIS. En revanche, il figurait toujours dans celui de la police cantonale. "Nous n'avons pas été informés par le SRC du fait que les renseignements contenus dans ce rapport n'avaient finalement pas été intégrés à la banque de données ISIS, de sorte que nous avons conservé celui-ci au titre de document établi pour le compte de la Confédération", a justifié son commandant, Jacques Antenen, dans sa réponse écrite à Jean-Michel Dolivo.

 Tout n'est pas éclairci pour autant. Sur la copie obtenue, le nom d'un autre membre du MLCR a été caviardé. Est-ce à dire que d'autres militants auraient été fichés? Jean-Michel Dolivo en est persuadé. De même, il doute que la police lui ait tout dévoilé.

 Encore d'autres fiches?

 "Le canton a admis qu'il y a une deuxième fiche. Il est tout à fait possible qu'il y en ait d'autres. Mais il est impossible de vérifier ce que contient le fichier cantonal, puisqu'il n'y a aucune base légale, ni aucune procédure pour y accéder", s'insurge le député. En outre, aucun contrôle du fichier n'est possible par le préposé cantonal à la protection des données ou par la commission de gestion du Grand Conseil, observe-t-il.

 La teneur des deux documents obtenus contredit également la version officielle sur l'existence du fichier cantonal. En décembre dernier, le Conseil d'Etat avait admis l'existence d'"une base de données informatique en lien avec la protection de l'Etat cantonal". Dans nos colonnes, la police avait alors assuré que les informations collectées concernaient les individus violents et autres "quérulents": "Le citoyen qui exerce ses droits politiques et démocratiques conformément à la loi n'a pas de risque de se retrouver dans cette base de données."

 Pourquoi, dès lors, Jean-Michel Dolivo (et d'autres?), dont les fiches elles-mêmes attestent du comportement civique, y figure-t-il? A ces interrogations, ni la police, ni la cheffe du Département de la sécurité et de l'environnement (DSE), Jacqueline de Quattro, n'ont eu le temps de répondre hier.

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WELTSOZIALFORUM
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Basler Zeitung 5.2.11

Morgen Sonntag beginnt im senegalesischen Dakar das Weltsozialforum

 Für eine gerechtere Globalisierung von unten

 Maya Graf*

 Im Unterschied zur Romandie wird in der deutschsprachigen Schweiz das Weltsozialforum wenig zur Kenntnis und auch nicht ernst genommen. Während die Medien ungezählte Seiten über das WEF in Davos produzieren, wo sich die Elite der Welt zur gegenseitigen Bestätigung ihrer Wichtigkeit jeweils trifft, so wird über das jeweils eine Woche später stattfindende Weltsozialforum kaum berichtet. Dabei hat dieses globale Treffen der Zivilgesellschaft, wo Menschen wie du und ich sich an einer Art Gegenveranstaltung zum WEF treffen, durchaus seine Berechtigung, wenn nicht gar eine dringende Notwendigkeit. Wie, wenn nicht von der Basis her, können und müssen die dringend nötigen Veränderungen angeschoben und umgesetzt werden? Und von wem, wenn nicht von den Betroffenen selbst, müssen Alternativen für eine gerechtere Globalisierung, für eine gerechtere Verteilung unserer Ressourcen gezeigt werden? "Eine andere Welt ist möglich" ist denn auch das Motto.

 60 000 Teilnehmer. Die achte Ausgabe des Weltsozialforums (WSF) wird nach vielen Jahren in Brasilien morgen Sonntag in der senegalesischen Hauptstadt Dakar eröffnet und bis zum nächsten Freitag dauern. Mit einer grossen Kundgebung durch die Stadt zur Universität von Dakar wird morgen der Kongress eröffnet. Erwartet werden bis zu 60 000 Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der ganzen Welt. In über hundert Workshops und Treffen werden Frauen und Männer, Junge und Alte aus allen Teilen der Welt, vor allem aber aus Ländern des Südens, über aktuelle politische und wirtschaftliche Fragen diskutieren. Der thematische Rahmen ist breit: Zur Debatte stehen die Auswirkungen der Wirtschaftskrise auf die Ärmsten und die Neugestaltung der Weltwirtschaft, aber auch Themen wie Hunger oder Klimawandel. In Dakar sollen möglichst viele Projekte entstehen oder weiterentwickelt werden, um die Welt gerechter und nachhaltiger zu gestalten.

 Vertreterinnen und Vertreter sozialer Bewegungen, Gewerkschaften, bäuerliche Organisationen und Nichtregierungsorganisationen sowie Parlamentarierinnen und Parlamentarier aus der ganzen Welt sind am WSF angemeldet. Zu den bekanntesten Teilnehmern zählen der ehemalige brasilianische Präsident Ignacio Lula da Silva, der bolivianische Präsident Evo Morales oder die ehemalige französische Präsidentschaftskandidatin Ségolène Royal.

 BauernProjekte. Aus der Schweiz ist eine 55-köpfige Delegation nach Dakar gereist, auch ich gehöre zu dieser Schweizer Delegation und bin gespannt, was mich erwarten wird. Ein Höhepunkt wird dabei für uns vier grüne Parlamentarierinnen das Treffen mit der internationalen Vereinigung der Grünen sein. Abgesehen davon interessiere ich mich bei meiner erstmaligen Teilnahme vor allem für Ernährungs- und landwirtschaftspolitische Fragen. Und ich bin dabei schon voll auf meine Kosten gekommen. Unsere Delegation ist bereits seit vier Tagen hier in Dakar und nutzte die Gelegenheit, landwirtschaftliche Projekte mit Heks und Fastenopfer vor Ort zu besuchen. Es ist eindrücklich zu sehen, wie hier Bauernorganisationen zusammen mit der lokalen ländlichen Bevölkerung versuchen, ihre Lebensmittelproduktion aufrechtzuerhalten, und gegen den Landverlust infolge Erosion und Wüstenbildung und durch Aufkauf durch Grossgrundbesitzer kämpfen. Die Ernährungslage in Senegal ist sehr prekär. Der Ruf nach Ernährungssouveränität hier in Afrika hat eine andere Dimension, es geht darum, durch Selbstbestimmung, durch Investition in den ländlichen Raum und in das Wissen der Bäuerinnen und Bauern Hunger und Armut zu überwinden. Gut, werden auch Vertreterinnen und Vertreter dieser Kooperativen am Weltsozialforum teilnehmen und uns aufzeigen, mit welcher Politik wir in unseren Ländern ihnen vor Ort helfen können.

 * Maya Graf ist Nationalrätin der Grünen. Die Biobäuerin wohnt in Sissach und besucht in diesem Jahr zum ersten Mal das Weltsozialforum.

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work 4.2.11

Weltsozialforum

 Diskussionen in Dakar

 Vom 6. bis 11. Februar findet in Dakar, Senegal, das zehnte Weltsozialforum statt. Auf dem Programm stehen Themen wie die Menschenrechte, der universelle Zugang zu öffentlichen Gütern, die Demokratisierung von Wissen, Kultur und Kommunikation, die Befreiung der Welt von Herrschaft und kapitalistischen Strukturen sowie der Aufbau einer sozialen Wirtschaft. Am Forum vertreten ist auch eine Unia-Delegation.

 Das Forum kann im Internet live mitverfolgt werden: http://www.weltsozialforum.org ("Dakar Extended").

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WoZ 3.2.11

Weltsozialforum

 Mit der Karawane nach Dakar

 Zum Weltsozialforum (WSF) in der senegalesischen Hauptstadt Dakar sind in den letzten Tagen aus unterschiedlichen Orten in Afrika Karawanen gestartet. AktivistInnen aus Afrika und Europa wollen damit der afrikanischen Bevölkerung die Themen und Ziele des Sozialforums näherbringen.

 Eine Gruppe von 250 Personen unter dem Namen Afrique-Europe-Interact ist am 1. Februar in Bamako (Mali) gestartet. Zuvor nahmen die AktivistInnen in der Wüstenstadt Nioro du Sahel, die kurz vor der mauretanischen Grenze liegt, an einem stillen Gedenkmarsch für die "Toten der Festung Europas" teil. Auf einem zehn Meter langen Spruchband entrollten sie die Namen von 14 600 Personen, die auf ihrer Flucht von Afrika nach Europa ums Leben gekommen sind. Frauen aus Nioro, die sich selbst als "die Mütter der Migranten" bezeichnen, forderten beim Marsch ihre auf der Flucht verschwundenen Kinder zurück.

 Nioro ist eine Durchgangsstation für AfrikanerInnen, die nach Europa wollen. Inzwischen gelangen viele von ihnen nicht einmal mehr ans Meer, sondern werden mit Unterstützung der EU-Grenzbehörde Frontex bereits am Übergang von Mali nach Mauretanien abgefangen. Die MigrantInnen werden dadurch gezwungen, immer gefährlichere Fluchtrouten zu wählen. Wer in Mauretanien erwischt wird, landet in sogenannten Auffanglagern, in denen es kaum zu essen gibt, wie verschiedene Zeugen am Gedenkmarsch aussagten. Das zehnte Weltsozialforum findet vom 6. bis 11. Februar statt.

 Claudia Krieg  , Bamako

 Die WOZ wird in den nächsten Tagen auf ihrer Website www.woz.ch laufend vom Weltsozialforum in Dakar berichten.

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UNDERCOVER
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linksunten.indymedia.org 4.2.11

Polizeiskandal um verdeckte ErmittlerInnen weitet sich aus: Zwei weitere Polizeispitzel in Heidelberg aktiv

Verfasst von: AIHD (Benutzerkonto: AIHD).

-Presseerklärung-

Heidelberg, 4.2.2011 - Intensive Recherchen der AIHD in den letzten Wochen nach der Enttarnung des Polizeispitzels Simon Bromma haben ergeben, dass auch nach seiner Enttarnung noch zwei weitere verdeckte ErmittlerInnen des LKA gegen die linke Szene in Heidelberg aktiv sind.

Bromma war nur Teil einer großangelegten Ausspähung der Heidelberger Linken.
Der Einsatz wurde vor ungefähr 2 Jahren als gemeinsames Projekt der Polizeidirektion Heidelberg und des LKA Baden-Württemberg gestartet. Die Darstellung des Innenministeriums, nach der der Einsatz von der Polizeidirektion Heidelberg im Alleingang angeordnet wurde, entspricht nicht der Wahrheit.
Der damals geplante Spitzeleinsatz war ausgerichtet auf die Einbringung von verdeckten ErmittlerInnen in die linke Szene Heidelbergs. Schwerpunkt der Erkenntnisgewinnung sollte der Bereich ‚Antifa' sein. Entgegen den öffentlichen Äußerungen der Polizeidirektion Heidelberg ist der Einsatz aber keineswegs beendet.

Ursprünglich war geplant, fünf ErmittlerInnen in die Szene einzuschleusen. Letztendlich wurde das Vorhaben mit zwei Beamten und einer Beamtin verwirklicht.
Nach der Enttarnung Simon Brommas sind immer noch ein Mann und eine Frau als verdeckte ErmittlerInnen mit falscher Identität in Heidelbergs linker Szene aktiv geblieben.

Die Erfahrungen mit der Vertuschungs- und Verschleierungspraxis der letzten Wochen haben gezeigt, dass ohne massiven gesellschaftlichen Druck eine Aufklärung durch das Innenministerium nicht zu erwarten ist. Wir gehen davon aus, dass sich im Falle der beiden verbliebenen ErmittlerInnen Betroffene anders verhalten werden als beim Outing Simon Brommas. Wir fordern das LKA und die Polizeidirektion Heidelberg auf, die beteiligten Spitzel nicht unnötig zu gefährden, den Einsatz unverzüglich offenzulegen und aufzuklären und alle verdeckten ErmittlerInnen abzuziehen.

Antifaschistische Initiative Heidelberg (AIHD), 4.2.2011

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WoZ 3.2.11

Europa

 Polizeispitzel on tour

 Nicht nur die Öko-Bewegung vernetzt sich allmählich über die Grenzen hinweg - auch Polizeispitzel agieren zunehmend international. Am Mittwoch vergangener Woche bestätigte der Präsident des deutschen Bundeskriminalamts (BKA) einen Bericht der britischen Tageszeitung "Guardian". Diese hatte ausführlich über einen Undercoveragenten berichtet, der vor allem UmweltaktivistInnen ausspähte.

 Mark Kennedy (alias Mark Stone) war in vielen europäischen Ländern aktiv - auch in Deutschland. Nach Angaben des BKA hatten sich die Behörden von Mecklenburg-Vorpommern den verdeckten Ermittler von Scotland Yard zur Bespitzelung der G-8-Proteste vor Heiligendamm (2007) ausgeliehen. Auch die Aktionen gegen den Nato-Gipfel 2009 in Baden-Baden/Strassburg hatte er verfolgt. Und nicht nur das: Immer wieder habe sich Kennedy, so bestätigen mittlerweile ZeugInnen, durch besonders militante Aktionen hervorgetan. pw

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telepolis 2.2.11
http://www.heise.de/tp/r4/artikel/34/34120/1.html

Wer bezahlte die Spitzel?

Die Enthüllungen über dubiose Aktivitäten britischer Spitzel bei Gipfelprotesten in Deutschland werfen zahlreiche rechtliche Fragen auf. Die Affäre beschäftigt jetzt die Landtagsparlamente

Nachdem die Enttarnungen britischer Spitzel und ihre internationale Verwendung in zahlreichen EU-Mitgliedsstaaten hohe Wellen schlugen, nimmt die Aufarbeitung der Affäre in Deutschland jetzt ihren Weg durch die Landesparlamente. Eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Barbara Borchardt fragt das Landesinnenministerium Mecklenburg-Vorpommern jetzt nach Details der Zusammenarbeit zwischen der Rostocker Polizei und dem Scotland Yard anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm.

Der Präsident des Bundeskriminalamts (BKA) Jörg Ziercke hatte erklärt, Kennedy habe aus Berlin "nicht berichtet, sein Aufenthalt dort hätte stattdessen seiner "Legendenbildung" gedient. Folglich habe auch das Berliner Landeskriminalamt (LKA) nicht von den britischen Behörden informiert werden müssen. Allerdings ist fraglich, wie ein Spitzel überhaupt "außer Dienst sein" kann, wenn er weiter seine falsche Identität benutzt. Berlin war zudem Kennedys jahrelanger Hauptstützpunkt in Deutschland, wo er zahlreiche Freundschaften inszenierte wie auch an Treffen teilnahm. Laut Selbstauskunft hat er seinen Vorgesetzten auch "Beweismittel" von dort mitgebracht. Kennedy war also durchaus in Berlin dienstlich unterwegs. Es läge ein Bruch internationaler Verträge vor, wenn seine britischen Vorgesetzten deutschen Behörden hierüber nicht berichteten.

Kennedy hat in Berlin - auf dem Höhepunkt der "militanten Kampagne" linker Gruppen und einer durch Medien emotional aufgeheizten Öffentlichkeit - im Rahmen einer Demonstration zum Erhalt von Hausprojekten eine Mülltonne als Barrikade angezündet. Ausländische verdeckte Ermittler dürfen allerdings keine "milieubedingten Straftaten" begehen. darauf weist auch die Bundesregierung in ihrer Antwort auf eine Kleine Anfrage hin. Das scheint den meisten Spitzeln indes egal zu sein: Kennedy gab beispielsweise zur Unterstützung seiner Legende als "Drogenkurier" Heroin und Kokain weiter. Nach seiner Verhaftung in Berlin im Anschluss an die "One struggle - One fight"-Demonstration Ende 2007 wurde er umgehend freigelassen, sein Brandstiftungs-Verfahren als "Bagatelldelikt" schnell eingestellt. Die Berliner Staatsanwaltschaft behält indes andere Aktivisten für gleiche (und nicht einmal bewiesene) Vorwürfe lange in Untersuchungshaft, während die Berliner Boulevard-Presse parallel dazu die Vorverurteilung übernimmt. Aufklärung der dubiosen Kennedy-Affäre würde wohl nur eine Strafanzeige gegen das LKA Berlin wegen Strafvereitelung bringen.

Einsätze ausländischer Spitzel werden zwar seit Jahren praktiziert, eine kritische Öffentlichkeit wie auch Parlamentarier aber aus "einsatztaktischen Gründen" nicht unterrichtet (Grenzüberschreitende Spitzel). Es gibt hier also keine öffentliche Kontrolle. Dabei basieren die Einsätze häufig auf fadenscheinigem, unbegründetem Verdacht. Baden-Württembergs Innenminister Heribert Rech (CDU) hatte die Ausleihe britischer Polizisten etwa diffus auf "Erkenntnisse aus den G8-Treffen in Genua, Gleneagles und Heiligendamm" gegründet. Ähnlich lax hatte der LKA-Spitzel Simon Bromma seine Einsatzziel begründet, als er von den Ausgeforschten zur Rede gestellt wurde.

Die Landespolizeigesetze wie auch Bestimmungen anderer EU-Mitgliedsstaaten lassen einen Einsatz zur Gefahrenabwehr allerdings ohne nähere Bestimmungen, etwa von Zielpersonen, nicht zu. Nach entsprechender Änderung des Polizeigesetzes in Österreich mussten deshalb Spitzel aus der linken Szene abgezogen werden.

Kennedys Einsatz zog sich sogar über mehrere Jahre hin. Es liegt also nahe, dass er zum vorausschauenden Ausforschen verwendet wurde. Zudem verstricken sich Behörden in Widersprüche: Kennedy war entgegen der Behauptungen des BKA-Chefs neben Berlin auch in Hamburg aktiv, wo er sich kurz vor seiner Enttarnung für einen Kongress von Tierrechtsaktivisten anmeldete. Einer sagt hier also nicht die Wahrheit: Mark Kennedy oder Jörg Ziercke.

Zivil- und strafrechtliche Fragen

Ausländische Spitzel gelten in Deutschland nicht als Polizisten, also Angehörige deutscher Verfolgungsbehörden. Um ihre erlangten Erkenntnisse dennoch gerichtlich verwerten zu können, erkennen Gerichte ihnen den Status als "Vertrauenspersonen" zu. Damit entfällt womöglich auch das Beantragen richterlicher Beschlüsse für das tiefgehende Eindringen in die Privatsphäre Betroffener und ihrer Kontaktpersonen.

Ungeklärt ist zudem, wie Betroffene Rechtssicherheit erlangen können, wenn sie nicht wissen dass Kennedy als Agent Provocateur agierte und sie dadurch ins Visier von Strafverfolgung gerieten. Es ist aus Großbritannien, Irland und Island bekannt, dass Kennedy Aktivisten zu Aktionen anstiftete und sie hierfür in Techniken unterrichtete. Nach seiner Enttarnung ist ein Verfahren gegen Klimaaktivisten, deren geplante Blockade des Kraftwerks Ratcliffe nach seiner Undercover-Aufklärung aufflog und vor einem britischen Gericht verhandelt wurde, sofort eingestellt worden. Die Bundesregierung verweist zur Frage der Rechtssicherheit auf die Strafprozessordnung, nach der Verdächtige oder ihre Kontaktpersonen innerhalb von Gerichtsverfahren Auskunft über die polizeilichen Informationsquellen erlangen können. Dazu müssen diese aber überhaupt über etwaige Ermittlungen unterrichtet werden. Die deutsche Polizei ist indes für ihr mageres Auskunftsverhalten bekannt, weshalb linke Bürgerrechtsaktivisten regelmäßig zu Auskunftsersuchen in Polizeidatenbanken aufrufen.

Auch das Praktizieren von Sexualität zum Erschleichen von Vertrauen oder dem Erlangen von Informationen, wie es über Kennedy aus mehreren Ländern berichtet wird, könnte in Deutschland straf- und zivilrechtlich relevant sein. Das Vortäuschen einer anderen Identität zur Ausübung von Sexualität ist zwar in Deutschland nicht strafbar. Allerdings könnte der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt sein, erst Recht wenn Beziehungen über einen längeren Zeitraum gehen. Nach deutschem Recht wäre die Privatheit der Sexualsphäre tangiert. Es dürfte auch einen Unterschied machen, ob die Ziel- oder deren Kontaktpersonen als polizeiliche Sexualobjekte ausgewählt werden. Zivilrechtlich könnten Betroffene, die angesichts der "Ent-täuschung" eine Traumatisierung nachweisen, laut Einschätzung von Anwälten hohe Schadensersatzansprüche geltend machen. In Großbritannien wird die Problematik unter dem Gesichtspunkt diskutiert, dass Staatsbedienstete ihre Fürsorgepflicht gegenüber ihren Staatsbürgern verletzt haben.

Als Spitzel scheint man gut zu verdienen

Laut seiner an die Tageszeitung Daily Mail verkauften Geschichte hat Kennedy in Großbritannien zusätzlich zu seinem regulären Einkommen von 60.000 Euro weitere Sonderzahlungen von bis zu 240.000 Euro erhalten. Wenn deutsche Landeskriminalämter ihn vertraglich eingestellt haben, dürfte seine Besoldung nicht weit vom Gehalt des Entsendelandes abweichen. Bekanntlich waren allerdings gleich mehrere ausländische verdeckte Ermittler im Einsatz, die von der britischen ACPO ausgeliehen wurden. Erhellendes würde hierzu womöglich nur Auskünfte über hauspolitische Ausgaben für verdeckte Ermittlungen bringen, die von Bundes- und Landesregierungen gewöhnlich nicht verweigert werden.

Die grenzüberschreitende polizeiliche Spitzelausleihe und mithin die Anbahnung der vertraglichen Anstellung wird in einer "European Cooperation Group on Undercover Acitvities" koordiniert, zu der auch das deutsche Bundeskriminalamt wie das Zollkriminalamt eingeladen werden. Hier hat das BKA vermutlich die von dessen Präsident zugegebene "Vermittlung" Kennedys an deutsche Landesinnenministerien arrangiert. Die EU-Polizeiagentur Europol unterhält mit der Cross-Border SurveillanceWorking Group zudem eine eigene Arbeitsgruppe, um auch die Finanzierung von Informanten, also Privatpersonen die mit Innenbehörden kooperieren, innerhalb der EU zu vereinfachen.

Die britischen Spitzel wurden von der "Assosciaton of Chief Police Officers" (ACPO) geführt. Die ACPO ist allerdings seit Ende der 90er Jahre als Firma eingetragen und übernimmt Aufgaben für Scotland Yard. Es ist mehr als zweifelhaft, wenn sich deutsche Behörden ausländischer verdeckter Ermittler bedienen, die für private Firmen arbeiten.

Seit Ende der 90er Jahre widmet sich die ACPO vorrangig politischem "Extremismus" und hat hierfür Dossiers von 2.000 angeblichen politischen Aktivisten angelegt. Unklar ist, ob die Daten auch an andere Firmen, darunter den Energieversorger E.ON weitergegeben wurden - der Kraftwerksbetreiber bestreitet bislang jede Zusammenarbeit.

Wegen öffentlicher Auseinandersetzungen nach Bekanntwerden der umstrittenen Spitzelei will der britische Innenminister der ACPO die Kompetenz zur Führung verdeckter Ermittler entziehen. Hinzu kommt, dass Kennedy sowohl für die private Sicherheitsfirma "Global Open Ltd." arbeitete wie auch mit "Tokra Ltd." ein eigenes entsprechendes Unternehmen gründete. Die im Polizeisold erlangten Informationen hat er womöglich auch privat weiterverwertet.

Matthias Monroy

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DROGEN
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NLZ 5.2.11

Bolivien kämpft für seine Droge

 Kokakauen

Sandra Weiss, Puebla

 In den Anden ist es eine jahrtausendealte Tradition - für die UNO eine gefährliche Droge. Bolivien versucht vergeblich, das Kauen von Kokablättern zu legalisieren.

 nachrichten@luzernerzeitung.ch

 Alles Lobbyieren von Boliviens Präsident Evo Morales hat nichts genützt. Er ist mit seinem Vorstoss, das Kauen von Kokablättern zu erlauben, in der UNO klar gescheitert. 14 Länder, darunter die USA, Deutschland, Frankreich und Italien, haben sich dagegen ausgesprochen - das reichte, um die Änderung der UNO-Drogen-Konvention zu verhindern.

 Das Kokablätterkauen - eine jahrtausendealte Tradition in den Andenländern - wurde 1961 von der UNO verboten mit dem Ziel, es innerhalb von 25 Jahren komplett auszurotten. 1988 trat ein Nachfolgeabkommen in Kraft, wonach das Kokakauen zwar generell verboten ist, aber als Tradition in gewissen Gegenden geduldet wird. Doch das änderte nichts an der Tatsache, dass faktisch eine strafbare Handlung begeht, wer Kokablätter kaut. Morales' Vorschlag war, das Kokakauen zu erlauben. Die Andenländer - einschliesslich des engen USA-Verbündeten Kolumbien - brachten keine Einwände gegen Morales' Vorstoss ein. Der Weltgesundheitsorganisation zufolge entsteht durch das Kokakauen kein gesundheitlicher Schaden, sondern es kann sogar therapeutische Wirkung haben. Die USA hingegen argumentierten, die Legalisierung würde einen gefährlichen Präzedenzfall schaffen und sei ein negatives Zeichen im Kampf gegen die Drogen.

 Koka ist nicht gleich Kokain

 In Bolivien, wo das Kokablatt als "heilig" gilt und unter dem Schutz der Verfassung steht, stiess die Haltung der USA und ihrer Verbündeten auf harsche Kritik. Morales bedauerte, dass einige Länder noch immer Koka mit Kokain und Kokabauern mit Drogenhändlern verwechselten. Morales will deshalb nicht klein beigeben. Er fordert jetzt eine internationale UNO-Konferenz zu dem Thema und denkt sogar darüber nach, die Drogenkonvention zu kündigen.

 Auch Coca-Cola ist Kunde

 Morales' Regierung fördert ausserdem die Industrialisierung des Kokablatts, etwa in Tees, Shampoos und Zahnpasta. In Bolivien sind 12 000 Hektar für die Anpflanzung von Koka freigegeben. Das entspricht in etwa dem traditionellen Konsum. Doch laut der UNO beträgt die Anbaufläche in Wirklichkeit mehr als das Doppelte - vor allem für die Drogenproduktion. Unbequeme Fakten für Morales, der zwischen den Forderungen seiner Basis und dem internationalen Druck aufgerieben wird. Denn in Bolivien leben Hunderttausende vom Kokaanbau. "Willkommen in der Koka-Hauptstadt" steht am Ortseingang von Chulumani, 129 Kilometer von La Paz entfernt und 2200 Meter tiefer gelegen. Hier dreht sich alles um das Blatt, das auf Sportplätzen und sogar vor Kirchen zum Trocknen ausgelegt ist.

 Schon zu Zeiten der Inkas wurde hier Koka angebaut für rituelle und medizinische Zwecke. Bis heute gilt die Koka aus der Region als die geschmackvollste der Welt - sogar Coca-Cola lässt sich von hier mit den Blättern für seine braune Brause beliefern.

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 Wundermittel gegen Müdigkeit

 red. Die Kokablätter wurden schon von den Inkas für religiöse Zeremonien und zu medizinischen Zwecken benützt. Sie helfen ausserdem gegen Höhenkrankheit und Erschöpfung, weshalb sie besonders bei den hart arbeitenden Bergleuten beliebt sind. Ausserdem werden die Kokablätter gekaut, um Kälte, Hungergefühl und Schmerz zu betäuben. Durch eine aggressive chemische Umwandlung entsteht aus den Blättern Kokain.

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St. Galler Tagblatt 3.2.11

Morales kämpft für Kokaanbau

 Boliviens Präsident ist mit dem Vorstoss zur Legalisierung des Kokaanbaus in der UNO vorerst gescheitert. USA fürchten negative Wirkung auf Drogenbekämpfung.

 Sandra Weiss

 Puebla. "Unser Vorschlag war, das Kokakauen zu erlauben. Diejenigen, die dagegen sind - darunter die USA, Schweden, Grossbritannien, Deutschland, Frankreich, Italien, Russland, Japan und Kanada -, argumentieren aber, sie wollten das Kokablatt nicht von der Liste kontrollierter Substanzen streichen. Doch das haben wir gar nicht vorgeschlagen", erklärte Boliviens UNO-Botschafter Pablo Solon.

 Tradition als Heilmittel

 Das Kauen von Kokablättern - in den Anden Tradition - wurde 1961 von der UNO verboten. Seit 1988 wird es aber, in gewissen Gegenden, geduldet. Die Andenländer - einschliesslich des engen US-Verbündeten Kolumbien - hatten keine Einwände gegen Boliviens Vorstoss, es offiziell zu legalisieren. Laut Weltgesundheitsorganisation entsteht durch das Kokakauen kein gesundheitlicher Schaden, vielmehr könnten therapeutische Effekte erzielt werden. Es helfe gegen die Höhenkrankheit und Erschöpfung, weshalb es bei hart arbeitenden Bergleuten in Bolivien beliebt ist.

 Die USA argumentieren aber, die Legalisierung schaffe einen gefährlichen Präzedenzfall und sei ein negatives Zeichen im Kampf gegen die Drogen. Boliviens Regierung fördert den Kokaanbau, etwa zur Herstellung von Tee, Shampoos, einheimischen Erfrischungsgetränken und Zahnpasta. In Bolivien sind 7000 Hektar für die Anpflanzung von Koka freigegeben. Hunderttausende leben vom Anbau.

 Milliardengewinne der Mafia

 Laut UNO-Büro wurden die Anbauflächen in den vergangenen Jahren allerdings auf 30 000 Hektar ausgeweitet - vor allem für die Drogenherstellung. 2009 erwirtschaftete der Drogenhandel nach Schätzungen der Regierung zwischen 300 und 700 Millionen Dollar in Bolivien.

 Boliviens Präsident Morales, einst selbst Kokabauer, will dennoch nicht klein beigeben. Bolivien beantragt nun eine internationale Konferenz zu dem Thema, und Morales schloss nicht aus, dass La Paz die aus dem Jahr 1961 stammende Drogen-Konvention der UNO aufkündige.

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swissinfo.ch 2.2.11

Neue Wege in der internationalen Drogenpolitik

swissinfo

 Die ehemaligen Staatsoberhäupter von Brasilien, der Schweiz, Mexiko und Kolumbien trafen sich in Genf, um den in Repression erstarrten Drogenkrieg durch den auf soziale und medizinische Aspekte konzentrierten Kampf gegen Rauschgift zu ersetzen.

 Dieses international als neu erachtete   Modell basiert auf bereits gemachten Erfahrungen in der Schweiz. Das Resultat des repressiven Ansatzes hingegen, seit 1971 von US-Präsident Nixon eingeführt, ist bekannt: Der Drogenkrieg kostet Riesensummen, hat bisher aber wenig brauchbare Resultate erbracht. Ja, oft wird die Situation durch die Repression noch verschlimmert.   Dennoch hat sich an diesem Ansatz bisher wenig verändert, höchstens werden die Vergehen   je nach Land mehr oder weniger streng geahndet.   In Genf trafen sich aus diesem Grund die ehemaligen Präsidenten   Fernando Henrique Cardoso (Brasilien), Cesar Gaviria (Kolumbien), Ernesto Zedillo (Mexiko)   und Ruth Dreifuss (Schweiz). Sie rufen zu einem Strategiewechsel auf, denn inzwischen sind ganze Länder von den Drogenbaronen destabilisiert.   Zum Beispiel in Mexiko, wo allein 2010 der Krieg zwischen Armee und Polizei gegen die Drogenkartelle mehr als 15'000 Tote kostete.

 Reiner Verbots-Ansatz

 "Die lateinamerikanischen Länder sind erschöpft von diesem Konflikt und vom Ansatz des Prohibitionismus, den die USA weiterhin aufrecht erhalten", sagt Gaviria.   Sich rein auf Verbote abzustützen,   sei eine kontraproduktive Politik, die aber auch von den UNO-Organen und den bewaffneten Behörden der   Suchtmittel-Konvention von 1961   praktiziert werde.     "Sie gehen immer noch von einer Welt ohne Drogen aus, während es doch noch nie derart viel Rauschgift auf der Welt gab wie jetzt", so der ehemalige kolumbianische Präsident.     Um aus diesem Kreislauf herauszufinden, der nur dem organisierten Verbrechen Aufschub gibt, schlagen die Politiker in Genf zwar keine Legalisierung verbotener Drogen vor, sondern ein gleichgewichtigeres Vorgehen gegen Rauschgift, das nicht nur auf Repressionsansätzen basiert.

 Entkriminalisierung statt Legalisierung

 Laut Cardoso soll ein Rauschgiftsüchtiger in erster Linie als eine Person erachtet werden, die medizinische HIlfe braucht, und nicht als Krimineller. Die Repression soll sich auf die organisierte Kriminalität konzentrieren, statt sich in der Verfolgung der Süchtigen zu verzetteln.   "In den USA sitzen rund eine halbe Million Personen im Gefängnis, die wegen einem Rauschgiftdelikt verurteilt sind. Das entspricht der Gesamtheit aller in Europa in Gefängnissen Untergebrachten", so der Brasilianer im weiteren. Dennoch sei in den USA der Widerstand gegen eine Änderung der Drogenpolitik am grössten.   An ihrem   Treffen   in Genf   haben die   Politiker begonnen, eine globale Kommission auf die Beine zu stellen (Global commission on drug policy), weil hier in Europa die Länder im Kampf gegen die Drogen weniger ideologisch vorgingen als die USA.   Doch auch hier entfalle ein Grossteil des drogenpolitischen Budgets auf Repression statt auf soziale (Wieder-)Eingliederung und gesundheitliche Aspekte der Süchtigen.

 Bezug zur Drogenpolitik in der Schweiz

 Die Schweizerische Drogenpolitik dient dabei als Referenzpunkt für die Kommission, die sich auch auf Erfahrungen in den Niederlanden oder Portugal abstützt.   Ruth Dreifuss, ehemalige Schweizer Bundespräsidentin und Gesundheitsministerin, erklärt, weshalb der Schweizer Ansatz die Lateinamerikaner interessiert: "Die Drogenpolitik in der Schweiz ist etappenmässig vorgegangen. Eine   Art Evolution, basierend auf gemachten Erfahrungen. Zum Beispiel bei der ärztlichen   Verschreibung von Heroin, wobei die Resultate wissenschaftlich untersucht wurden." Die Folgerungen daraus   seien dann die Revision des Gesetzes eingeflossen. Das habe auch dazu geführt,   dass die   Bevölkerung die gesetzlichen   Änderungen 2006 abgesegnet habe.     Dieser pragmatische Ansatz mit den vier Säulen Prävention, Therapie,   Reduktion der Risiken beim Konsumieren und Repression   weckt im   Ausland umso mehr Interesse,   als die Schweiz "für ihre solide konservative Einstellung" bekannt sei, wie das ein Bericht der Open Society schreibt. Die Open Society ist eine Nichtregierungsorganisation, die vom Financier   Georges Soros gegründet wurde und   welche die diese Woche in Genf gegründete Kommission unterstützt.

 Kampf gegen das Rauchen

 Die neu gegründete, stark vernetzte Kommission möchte Vereinigungen unterstützen, die im Bereich der Drogen aktiv sind, und die Länder auffordern, breite Diskussionen über dieses noch als Tabu erachtete Thema zu entfachen.   Auch will sie   die Regierungen überzeugen, dass es nur mit Repression nicht mehr weitergehen kann.   Zu diesem Zweck will die Kommission die bestehenden wissenschaftlichen Erkenntnisse   in die Öffentlichkeit bringen und neue Instrumente gegen Drogen vorschlagen, wie Prävention oder Risikoreduktion.   Sie möchte sich ausserdem von den Kampagnen inspirieren lassen, die gegen Tabak und das Rauchen geführt werden, und die erwiesenermassen den Zigarettenkonsum vermindern konnten. Um die Macht der Drogenkartelle zu mindern, muss die Zahl der Süchtigen verringert werden.

 Länder des Südens sind überflutet

 Der Ursprung dieser Kommission ist Südamerika, doch möchte sie ihre Repräsentativität verbreitern und Vertreter aus allen Weltregionen integrieren.   Für nächsten Juni ist eine Zusammenkunft in den USA geplant. Dabei soll ein Aktionsplan festgeschrieben werden, der die USA und die UNO dazu bewegen soll, ihre Rauschgiftpolitik radikal zu ändern.   Denn es zeichnet sich ab, dass in den westlichen Ländern der Drogenkonsum sich langsam zu stabilisieren beginnt, während der Verbrauch in vielen Ländern des Südens stark zunimmt.

 Frédéric Burnand,swissinfo.chGenf(Übertragung aus dem Französischen: Alexander Künzle)

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ALKOHOL
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Landbote 2.2.11

Alkohol verursacht Milliardenschaden

 Luca De Carli  Luca De Carli

 BERN. Deutschschweizer Angestellte haben gemäss einer Studie, die auf den Aussagen von Personalchefs basiert, deutlich häufiger ein Alkoholproblem als ihre Kollegen in der Romandie und im Tessin.

 Eine Milliarde Franken pro Jahr - das sind laut einer gestern veröffentlichten Studie die Kosten, welche der übermässige Alkoholkonsum den Arbeitgebern in der Schweiz verursacht. Sie entstehen durch öfteres Fehlen am Arbeitsplatz, Unfälle unter Einfluss von Alkohol und vor allem durch eine tiefere Produktivität. Laut der Studie leistet eine Person, die zu viel Alkohol konsumiert, im Schnitt 15 Prozent weniger. Die Angaben beruhen auf Befragungen von Personalverantwortlichen. Im Auftrag von Bundesamt für Gesundheit (BAG) und Suva wurden ihre Aussagen zu rund 1100 Unternehmen ausgewertet. Demnach beträgt der Anteil der Angestellten mit einem problematischen Alkoholkonsum rund zwei Prozent. Hochgerechnet auf die Schweiz wären demnach 70 000 von 3,5 Millionen Erwerbstätigen betroffen.

 Dieser Wert liegt deutlich unter den Ergebnissen anderer Studien: So haben in der letzten Gesundheitsbefragung, bei der 2007 fast 20 000 Personen Aussagen zu ihrer eigenen Situation machten, fünf Prozent ein Alkoholproblem angegeben. Auch überrascht, dass gemäss der BAG/Suva-Studie in Kleinunternehmen mehr als doppelt so viele Personen mit Alkoholproblemen beschäftigt sind als in Grossunternehmen. Die höchsten Werte verzeichnen die Gastronomie und die Maschinenindustrie: Hier trinkt in 49 beziehungsweise 42 Prozent der Unternehmen mindestens ein Mitarbeitender zu viel. Der Schnitt aller Branchen liegt bei einem Drittel. Auch ist gemäss den Aussagen der Personalbeauftragten die Deutschschweiz (2,4 Prozent aller Angestellten) stärker betroffen als die Romandie (1,8 Prozent) und das Tessin (0,6 Prozent). Insbesondere in der Region Zürich (2,5 Prozent) und der Ostschweiz (3 Prozent) arbeiteten überdurchschnittlich viele Personen mit Alkoholproblemen.

 Dani Ernst, Leiter Prävention der Zürcher Fachstelle für Alkoholprobleme, vermutet hinter diesen Werten Mentalitätsunterschiede. Das Problembewusstsein sei beim Alkohol in der Romandie und im Tessin kulturell bedingt ein anderes als in der Deutschschweiz. Die Statistiken zum Alkoholismus zeigten dagegen keinen Röstigraben. Die höheren Fallzahlen bei Kleinbetrieben gehen laut Ernst auf die grössere Nähe der Vorgesetzten zu den Angestellten zurück. "Hier wird ein plötzliches Abfallen der Leistungen oder ein häufigeres Fehlen schneller bemerkt." Zwar führe man keine Statistik zum Zusammenhang zwischen Firmengrösse und Alkoholkonsum. Es seien aber alle Schichten und Ausbildungsgrade in den Beratungen vertreten.

 Dennoch hält Ernst den Ansatz der Studie für sinnvoll: Die Personalverantwortlichen seien es, die zum Thema Alkohol weitergebildet würden - welche trotz Hemmungen an Mitarbeiter herantreten müssten. Es sei wichtig, dass Vorgesetzte das Problem ansprechen. Ihr Einfluss darauf, wie der Betroffene damit umgeht, sei oft gar grösser als der von Partnern oder Angehörigen.

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SEXWORK
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NLZ 4.2.11

Der Strassenstrich gehört nicht in Wohngebiete

 Jérôme Martinu über die Probleme mit der Strassenprostitution

 Die Aussagen der vom Strassenstrich betroffenen Anwohner der Stadt Luzern sind an Deutlichkeit nicht zu überbieten: "In der Tribschenstadt, wo neue Wohnungen gebaut wurden, werden Strassensperren errichtet, bei uns wird das Problem hingegen seit Jahren toleriert. Das riecht nach Zweiklassengesellschaft." Oder: "Die Familien mit Kindern sind schon alle weggezogen." Oder: "Für jeden Gemüsestand auf dem Trottoir braucht es eine Bewilligung. Ich sehe nicht ein, warum das bei der Strassenprostitution nicht der Fall ist." Oder: "Gäste mit Kindern traue ich schon gar nicht mehr einzuladen."

 Wohlverstanden: Es soll an dieser Stelle keine Sekunde lang moralisiert werden. Prostitution ist Teil unserer Gesellschaft. Solange eine Nachfrage danach besteht, wird es sie geben. Punkt. Tatsache ist aber, dass die Strassenprostitution nicht nur in Grossstädten wie Zürich (wo man nun stark reglementierend eingreifen will) ein Problem ist, sondern auch in der Stadt Luzern. Während sich die Stadtregierung auf die Position stellt, das Strassenstrichproblem habe in den letzten Jahren abgenommen, stellen die Anwohner keine Verbesserung fest oder haben sogar den Eindruck, es sei schlimmer geworden.

 Ab 2004 hat die Stadt Luzern das neu erbaute, attraktive Wohngebiet Tribschenstadt mit Strassensperrungen vom Strassenstrich entlastet. Die Leidensgeschichte geht indes ein paar Dutzend Meter davon entfernt weiter - zum Leidwesen der dortigen Anwohner. Die Aussagen des Stadtrats zum Problem Strassenstrich lesen sich beim Blick ins Zeitungsarchiv wie eine Wiederholungsgeschichte. Sie zieht die Motivation der Verantwortlichen in Zweifel, sich des Problems ernsthaft anzunehmen.

 20. Januar 2004: Stadträtin Ursula Stämmer auf die Frage, was Sie veranlassen werde, falls der Strassenstrich in ein angrenzendes Wohngebiet ausweiche: "Wir müssten über die Bücher gehen und handeln, das ist klar."

 19. Oktober 2006: "Je mehr das Gebiet dort belebt wird, umso mehr wird auch die Prostitution verschwinden. Die Situation hat sich aus der Sicht der Polizei beruhigt. Wir tun, was wir können", so die Stadträtin zum Gebiet Tribschenstadt.

 18. September 2007: Zur Disposition stand nach einem Vorstoss der Chance 21 ein Verbot der Strassenprostitution in den Wohngebieten mit gleichzeitiger Schaffung zweier "Bordellzonen". Der Stadtrat hielt nichts von der Idee. Zum einen habe sich die Situation mit der Strassenprostitution stark gebessert, so Ursula Stämmer, zum andern wären solche Strichzonen für das Ausmass des Problems in Luzern "nicht verhältnismässig". Der Vorstoss fiel beim Parlament im November 2007 klar durch.

 14. September 2010: "Momentan planen wir nichts in dieser Richtung", lautet die knappe Antwort von Stadträtin Stämmer auf die Frage, ob staatliche Bordelle dereinst auch für Luzern ein Thema sein könnten. Dabei meinte etwa die Luzerner Aids-Prävention, dass die Grundidee "auch in Luzern Sinn machen könnte", vor allem auch zum Schutz der Prostituierten.

 2. Februar 2011: Sicherheitsdirektorin Stämmer kann "heute nicht sagen", ob ein staatliches Bordell, ein Strichplan oder Verrichtungsboxen - diese Ideen schweben den betroffenen Quartierbewohnern vor - die richtige Lösung sei. "Ich warte den kantonalen Bericht ab." Und: "Die Polizei wird weiterhin vor Ort präsent sein. Weitere Massnahmen sind momentan nicht geplant."

 Klar ist: Das Prostitutionsgewerbe ist kein Thema, mit dem man sich als Politiker profilieren kann. Klar ist aber auch: Das Problem auf die lange Bank zu schieben, wiederholt abzuwiegeln und auf andere Institutionen und kommende Berichte zu verweisen - damit muss irgendwann Schluss sein. Und fast schon zynisch wirken solche Aussagen: "Die Freier haben auch Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen."

 Die Stadtregierung muss im Interesse ihrer Bewohner aktiv vorgehen - völlig unabhängig davon, ob sich eine Problemzone in einem attraktiv-privilegierten oder in einem normalen bis preisgünstigen Wohngebiet befindet. Konkret heisst das: Jetzt, da das kantonale Justiz- und Sicherheitsdepartement den Entwurf eines Prostitutionsgesetzes prüft, muss die Stadtregierung dort entsprechende Vorschläge zur Entschärfung des Strassenstrichproblems platzieren. Und auch wenn der Vorstoss 2007 schon einmal Schiffbruch erlitt: Die Idee von Sperrzonen muss noch einmal ernsthaft auf den Tisch. Denn die Strassenprostitution hat in Wohnquartieren einer Stadt wie Luzern nichts verloren.

 jerome.martinu@luzernerzeitung.ch

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Horrende Mieten für "Absteigen"

 Tribschen

Barbara Inglin

 Vermieter verlangen von Prostituierten überrissene Mieten und verstossen damit gegen das Mietrecht. Kann die Stadt hier nichts tun?

 Barbara Inglin

 barbara.inglin@luzernerzeitung.ch

 An der Ecke Tribschenstrasse/Grimselweg stehen allabendlich die Prostituierten. Der Suchverkehr der Freier, die lauten Diskussionen der Frauen und der liegen gelassene Abfall ärgern die Anwohner seit Jahren. "Das Anschaffen auf der Strasse und das Vermieten von Zimmern können wir nicht verbieten", sagte Stadträtin Ursula Stämmer gestern in einem Interview in unserer Zeitung. Denn die Prostituierten stehen hier, weil sie in den nahe gelegenen Häusern an der Tribschenstrasse 24 und am Grimselweg 4 Zimmer für ihre Dienste anmieten können.

 Für die Zimmermieten zahlen die Prostituierten stark überrissene Preise. Die Besitzer der beiden Häuser wollen sich zwar nicht zu den Mietpreisen äussern. Laut Insidern dürften die Preise aber bei etwa 140 Franken pro Zimmer und Tag liegen. Das ergibt immerhin 4200 Franken Monatsmiete für ein einziges Zimmer. Gemäss Klingelschildern wohnen je acht Personen in jedem Haus, aufgrund der Hausgrösse dürften es aber einige mehr sein. Ein gutes Geschäft für die Vermieter der alten Häuser.

 Ist das legal?

 Kann die Stadt hier nicht einschreiten? Ist es legal, Wohnungen zu Preisen weit über dem Marktwert zu vermieten? "Gemäss Gesetz hat der Vermieter ein Recht auf eine Rendite", sagt Beat Wicki, Geschäftsleiter des Mieterinnen- und Mieterverbandes Luzern. "Die erwirtschaftete Rendite auf das eingesetzte Eigenkapital darf aber ein gewisses Niveau nicht überschreiten." Beim aktuellen Referenzzinssatz liege dieses Niveau bei 3,25 Prozent. "Bei einer Monatsmiete von 4200 Franken für ein einziges Zimmer liegt die Rendite sicher um ein x-Faches höher", sagt Wicki.

 Die Vermieter verstossen mit ihren horrenden Mietpreisen also gegen das Mietrecht. "Trotzdem haben die Stadt oder andere Drittpersonen keine Handlungsmöglichkeiten", sagt Wicki. Denn einzig die Mieterin ist berechtigt, den Mietzins vor der kantonalen Schlichtungsbehörde anzufechten. In diesem Fall wären dies die Prostituierten. "Ihre Chancen, mit einem Antrag durchzukommen, wären gut", sagt Wicki.

 Trotzdem wird dies kaum je gemacht. Denn die Frauen müssten daraufhin mit einer Kündigung des Mietvertrages rechnen. "Natürlich könnten sie auch diese Kündigung wieder anfechten und hätten sogar Aussicht auf Erfolg", so Wicki. Realistisch ist dies aber nicht. Denn die Prostituierten kommen meist aus dem Ausland, bleiben nur für kurze Zeit in der Schweiz und sind darauf angewiesen, dass ihnen jemand ein Zimmer vermietet. Dafür sind sie bereit, hohe Mietpreise zu bezahlen.

 "Bin auf Einnahmen angewiesen"

 Die Stadt hat also keine rechtlichen Handlungsmöglichkeiten. Bleibt nur noch das Gut-Zureden. Laut Ursula Stämmer habe man das Gespräch mit den Hausbesitzern gesucht und an diese appelliert, ihre Häuser anderweitig zu nutzen. Die Besitzer* der Liegenschaft an der Tribschenstrasse 24 behaupten allerdings auf Anfrage, nie von der Stadt kontaktiert worden zu sein. Man wolle aber sowieso nichts von einem Verkauf oder einer Umnutzung wissen. "Ich bin auf diese Einnahmen angewiesen", sagt die Liegenschaftsbesitzerin am Telefon.

 Hingegen scheinen sich die Besitzer* des Hauses am Grimselweg 4 nun umbesonnen zu haben. Laut Informationen, die unserer Zeitung vorliegen, laufen Verkaufsverhandlungen zum Objekt. Einer der jetzigen Mitbesitzer der Liegenschaft geht davon aus, dass das Haus danach umgenutzt wird. Wer am Kauf des Hauses interessiert ist und wofür dieses künftig genutzt werden könnte, darüber will er keine Auskunft geben.

 * Namen der Redaktion bekannt

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NLZ 2.2.11

Wo soll der Strassenstrich hin?

 Sexgewerbe

Interview Barbara Inglin

 Mitten im Tribschenquartier befinden sich zwei Freudenhäuser. Stadträtin Ursula Stämmer sagt, warum sie nicht gegen die Prostituierten vorgeht.

 Interview Barbara Inglin

 barbara.inglin@luzernerzeitung.ch

 Seit in der Rösslimatte abends Strassensperren errichtet werden, hat sich der Strassenstrich ins Gebiet Unterlachenstrasse/Grimselweg verschoben. Das war vor sieben Jahren. Seither leiden die Anwohner dort unter dem Suchverkehr der Freier, verbalen Belästigungen durch Prostituierte und Lärm (siehe Kasten). Für viele ist klar: Die Tribschenstadt wird geschützt. Auf der anderen Seite der Tribschenstrasse, wo Personen mit niedrigerem Einkommen wohnen, wird der Strassenstrich aber seit Jahren geduldet.

 Ursula Stämmer, die Anwohner fühlen sich von der Politik im Stich gelassen. Eine Ungleichbehandlung?

 Ursula Stämmer*: Das hat nichts damit zu tun, ob die Anwohner mehr oder weniger verdienen. Tatsache ist, dass am Grimselweg und an der Tribschenstrasse private Eigentümer Liegenschaften an Prostituierte vermieten. Diese Frauen warten auf der Strasse auf Freier.

 Wieso müssen sich die Prostituierten ausgerechnet dort aufhalten?

 Stämmer: Der Standort hängt direkt damit zusammen, dass die Frauen in der Nähe eine "Absteige" haben. Es gibt Freier, die nicht in einen Salon oder Club gehen wollen, weil ihnen dieses Angebot "zu offiziell" ist. So nehmen sie die Dienste der Frauen auf der Strasse in Anspruch, respektive die meisten dieser Frauen schaffen auf der Strasse an und nehmen den Freier mit aufs teuer gemietete Zimmer. Im Umfeld der Tribschenstrasse gibt es mindestens zwei grössere Häuser von Privaten, die an Prostituierte vermieten. So kommt es zu einer Ansammlung von Prostituierten. Die Polizei spricht aber zahlenmässig von nicht mehr als einem guten Dutzend Frauen, die der Strassenprostitution nachgehen.

 Können Sie nichts für die Anwohner tun? Müssen sie sich mit der unangenehmen Situation abfinden?

 Stämmer: Das kantonale Justiz- und Sicherheitsdepartement klärt zurzeit ab, ob es für eine Verbesserung der Situation gesetzliche Grundlagen braucht. Tatsache ist, dass die Szene in den letzten Jahren kleiner geworden ist, sich aber Richtung Tribschenstrasse verschoben hat. Dass dies die Anwohner aber stört, ist verständlich. Die Polizei ist in diesem Gebiet präsent und überprüft, ob Prostituierte illegal hier arbeiten oder ob Freier unerlaubterweise mit dem Auto Runde um Runde drehen. Das Anschaffen auf der Strasse und das Vermieten von Zimmern können wir nicht verbieten.

 Können Sie keinen Druck auf die Hausbesitzer ausüben?

 Stämmer: Wir haben schon mit den betroffenen Hausbesitzern Kontakt aufgenommen und versucht, Einfluss zu nehmen. Wir können aber nur an sie appellieren, ihre Häuser anders zu nutzen. Die Hausbesitzer entscheiden selber, wem sie ihre Wohnungen geben. Mit dem Vermieten von Zimmern an Prostituierte wird viel Geld verdient.

 Laut Informationen, die unserer Zeitung vorliegen, laufen Verkaufsverhandlungen zum Haus am Grimselweg 4, in welchem heute Zimmer an Prostituierte vermietet werden. Der jetzige Liegenschaftsverwalter geht davon aus, dass das Haus danach umgenutzt wird. Geht das auf Ihre Verhandlungen zurück?

 Stämmer: Nein, davon wusste ich nichts. Aber die Entwicklung ist natürlich erfreulich. Das bringt dem Quartier vielleicht eine gewisse Entlastung.

 Wie Sie selbst auch schon gesagt haben, lässt sich die Prostitution auf dem Strassenstrich nicht verhindern. Wo wäre in Luzern ein geeigneter Platz dafür?

 Stämmer: Das kann ich im Moment nicht beantworten. Wie gesagt, klärt der Kanton ab, ob es gesetzliche Grundlagen für eine Veränderung braucht. Am besten wäre natürlich eine Lösung in einem Club oder Salon. Aber solange es eine Nachfrage nach Strassenprostitution gibt, wird auch das Angebot da sein.

 In Zürich können neu Freier gebüsst werden, welche sich nicht an gewisse Bestimmungen halten. Wäre das auch für Luzern eine Option?

 Stämmer: Das kantonale Justiz- und Sicherheitsdepartement wird sicher auch die Regelungen in anderen Städten prüfen. Konkret kann ich dazu nichts sagen. Ich meine aber, die Freier haben auch die Verantwortung, Rücksicht auf die Anwohner zu nehmen.

 Die betroffene Quartierbevölkerung sieht in einem staatlichen Bordell, einem Strichplan oder in Verrichtungsboxen die Lösung für das Problem. Wie stehen Sie zu diesen Massnahmen?

 Stämmer: Ob ein Strichplan oder ein offizielles Bordell die richtige Lösung ist, kann ich heute nicht sagen. Ich warte den kantonalen Bericht ab.

 Der Strassenstrich ist in den kantonalen Abklärungen aber bislang kein Thema. Gleichzeitig ist er fast ausschliesslich ein Problem der Stadt Luzern. Wird das Thema nicht einfach vergessen?

 Stämmer: Der Bericht wird auch Aussagen zur Strassenprostitution machen müssen. Ich weiss, dass der Kanton und die Polizei ganz genau wissen, was auf dem Strassenstrich abgeht. Wir von der Stadt sind via Sicherheitsausschuss auch zu Fragen der Prostitution involviert und können so unsere Anliegen einbringen.

 Die Erarbeitung eines kantonalen Gesetzes dauert. Was können Sie in der Zwischenzeit für die geplagten Anwohner tun?

 Stämmer: Die Polizei wird weiterhin vor Ort präsent sein. Weitere Massnahmen sind momentan nicht geplant. Sinnvoll fände ich eine nationale Lösung, denn das Sexgewerbe ist gut vernetzt. Wenn in einem Kanton das Gesetz verschärft wird, verschiebt sich die Szene einfach anderswo hin. Ich gehe davon aus, dass sich der Kanton Luzern für eine nationale Lösung starkmachen wird.

 * Ursula Stämmer (52, SP) ist Direktorin Umwelt, Verkehr und Sicherheit der Stadt Luzern.

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 Anwohner: "Die Situation ist unerträglich"

 Tribschenquartier

 bin. Seit Jahren schaffen Prostituierte entlang der Tribschenstrasse an, in der Nähe des Grimselwegs warten sie auf Kundschaft. Teuer angemietete Zimmer in den Häusern an der Tribschenstrasse 24 und am Grimselweg 4 dienen als "Absteigen". Eine höchst unangenehme Situation für die Anwohner. "Es gibt nichts schönzureden. Die Familien mit Kindern sind schon alle weggezogen", sagt eine Person, die seit zehn Jahren eine Beiz in der Nähe führt. "Vor dem Geschäft ist es dreckig, niemand hat Lust, hier zu flanieren. Ich muss mir jeden Kunden einzeln verdienen." Auch Werner Roos vom Wirtshaus zum Unterlachenhof ärgert sich: "Es ist eine Schweinerei, was hier allabendlich passiert. Die Prostituierten machen meine Kunden an, die Freier besetzen meine Parkplätze."

 "Zweiklassengesellschaft"

 Viele im Quartier zeigen sogar ein gewisses Verständnis dafür, dass die Prostituierten auf der Strasse auf Kundschaft warten. "Was ich aber wirklich nicht verstehe, ist diese Ungleichbehandlung, diese Willkür seitens der Politik", sagt Jost Renggli, der an der nahen Kellerstrasse wohnt. "In der Tribschenstadt, wo neue Wohnungen gebaut wurden, werden Strassensperren errichtet, bei uns wird das Problem hingegen seit Jahren toleriert. Das riecht nach Zweiklassengesellschaft." Er selber will das Quartier nun verlassen. "Ich habe einen extremen Fluchtdrang, es ist katastrophal hier." Fast schon jeden Abend werde er auf dem kurzen Weg von der Bushaltstelle zum Hauseingang von einer Prostituierten belästigt. "Gäste mit Kindern traue ich schon gar nicht mehr einzuladen."

 Ein Kollege von ihm wohnt noch näher beim Geschehen, am Grimselweg 6. "Die Situation hat sich in den letzten Jahren massiv verschärft. Heute stehen regelmässig bis zu zehn Frauen hier herum", sagt er. Er komme gar nicht mehr zu seinem Haus, ohne dass ihm die Frauen "Schätzeli" hinterherrufen und sich bei ihm einhängen. "Einmal ist das lustig, aber mit der Zeit nervt es nur noch."

 Vor allem am Wochenende sei es extrem laut, da die Frauen lange draussen warteten und dabei lautstarke Diskussionen führten. Der Abfall staple sich auf dem Trottoir, da die Ausländerinnen keine Ahnung hätten von Abfuhrplänen und Sperrgutmarken. "Zudem zieht das Milieu komische Leute an, junge Leute, die aus den Autos johlen und die Frauen verbal angreifen", sagt der Anwohner.

 Quartierverein hofft auf Politiker

 Eine gewisse Resignation ist bei jenen zu spüren, die sich seit Jahren für eine Verbesserung einsetzen. "Ich habe das Gefühl, dass der Stadtrat nicht gewillt ist, die Rechtsgrundlage so zu ändern, sodass er wirkungsvoll eingreifen kann", sagt Heinrich Bachmann, Vizepräsident des Quartiervereins Tribschen-Langensand. "Für jeden Gemüsestand auf dem Trottoir braucht es eine Bewilligung. Ich sehe nicht ein, warum das bei der Strassenprostitution nicht der Fall ist. Wir erwarten vom Stadtrat und dem Parlament, dass sie das Problem lösen und nicht nur von einer Strassenseite auf die andere verschieben."

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RECHTSEXTREMISMUS
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Basler Zeitung 1.2.11

Rechtsextremer muss zahlen

 Basel. Philippe Eglin, der Ex-Pnos-Präsident beider Basel, ist im Juli vom Basler Strafgericht wegen Rassendiskriminierung zu einer unbedingten Geldstrafe von fast 11 000 Franken verurteilt worden. Dieses Urteil ist nun rechtskräftig, wie Onlinereports meldete. Eglin hatte zwar dagegen appelliert, doch er habe es danach versäumt, die Auflagen der Berufungsinstanz einzuhalten. Eglin sei so uneinsichtig wie zuvor und verbreite weiterhin rechtsextreme Propaganda auf dem Internet, sagt Rechtsextremismus-Experte Samuel Althof.  spe

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DAVID FRANKFURTER
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Schweiz Aktuell sf.tv 4.2.11

Geschichtsträchtig

Heute vor genau 75 Jahren verübte ein junger Medizinstudent ein Attentat auf den höchsten nationalsozialistischen Funktionär der Schweiz in Davos: Ein historisches Ereignis mit internationalen Folgen.
http://videoportal.sf.tv/video?id=e9be041d-f6fe-4424-9424-c8797e56b4b9

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Bund 4.2.11

Vor 75 Jahren: Student aus Bern erschiesst Nazi

 Am 4. Februar 1936 erschoss der jüdische Student David Frankfurter, der in Bern studierte, in Davos den Landesgruppenleiter der NSDAP, Wilhelm Gustloff. Die Tat überraschte Frankfurters Freunde in Bern - doch sie hielten zu ihm, als er im Gefängnis sass.

 Simon Thönen

 Als der Medizinstudent David Frankfurter am 1. Februar 1936 mit dem Zug von Bern nach Davos fuhr, hatte er kein Retourbillett und kein Gepäck dabei - aber eine Pistole und ein Ziel: Er wollte den Leiter der Landesgruppe Schweiz der deutschen Nazi-Partei NSDAP, Wilhelm Gustloff, erschiessen.

 In Davos zögerte Frankfurter. Seiner Familie schrieb er: "Ich kann nicht mehr das Unglück des jüdischen Volkes ertragen, es hat mir die Lebensfreude genommen." Der aus Slawonien (heute Kroatien) stammende Sohn eines streng orthodoxen Oberrabbiners hatte in Deutschland den Beginn der Judenverfolgungen nach der Machtergreifung der Nazis miterlebt.

 Am Abend des 4. Februar klingelte Frankfurter schliesslich bei Gustloff. Er schoss fünf Mal - vier Schüsse trafen den Landesgruppenleiter und töteten ihn. Kurz nach der Tat stellte Frankfurter sich der Polizei in Chur.

 Nazis: "Mitschuld der Hetzpresse"

 Der "Bund" vermeldete das Attentat in der Abendausgabe vom 5. Februar in dicken Lettern auf der Titelseite. Über den Attentäter urteilte der "Bund" in der Morgenausgabe des 6. Februar in harten Worten: Mit seiner Tat habe er "nur bewiesen, dass er entweder nicht mehr klar und normal überlegen konnte oder dass er ein bösartiger politischer Kindskopf ist". Die Zeitung befürchtete auch, "dass die in Deutschland wohnenden Juden die Quittung für seine Tat zu bezahlen haben werden".

 Das Nazi-Regime und seine gleichgeschaltete Presse nutzten das Attentat umgehend für Propaganda gegen die Juden - und gegen die "marxistische und linksbürgerliche Schweizer Presse", die in den Monaten vor dem Attentat einen "Hetzfeldzug gegen Gustloff" geführt habe. Die Propagandaaktivitäten von Gustloff waren ein heiss umstrittenes Politikum in der Schweiz gewesen. Der Bundesrat hatte eine Ausweisung Gustloffs aber abgelehnt.

 Der "Bund" befürchtete nach der Tat, dass der Bundesrat nun die "Notverordnung gegen Presseauswüchse" schärfer anwenden werde - was die Landesregierung auch tat. Zugleich wurden die Parteiorganisationen der NSDAP in der Schweiz formell verboten, ihr Fortbestehen wurde aber weiterhin geduldet.

 Frankfurter wurde im Dezember 1936 in Chur wegen Mordes zu 18 Jahren Gefängnis verurteilt.

 Berner Freunde hielten zu ihm

 Die Tat hatte auch Frankfurters Freunde in Bern überrascht. Das Ehepaar Anna und Guido Angeli hatte Frankfurter über seine Schlummermutter in der Länggasse kennen gelernt. "Es waren alles junge Leute, man hatte es sehr lustig miteinander", erinnert sich die Nichte von Guido Angeli, die Musikerin Iris Gerber. Im Freundeskreis habe man zwar darüber gesprochen, dass Frankfurter unter einer schmerzhaften Knochenkrankheit litt - aber nicht über Politik. Seine Verzweiflung über die Judenverfolgungen der Nazis liess Frankfurter sich nicht anmerken.

 "Weder vorher noch danach hätte man Frankfurter die Tat zugetraut", sagt Gerber, die Frankfurter nur als Kind erlebte. "Mein Onkel und seine Frau schilderten ihn als grundgütigen Menschen." Als Frankfurter dann in Graubünden im Gefängnis sass, schickten Anna und Guido Angeli ihm Fresspäckli und Bücher. "Nachträglich gesehen war es für Frankfurter wohl fast ein Glück, dass er in der ganzen Kriegszeit in Graubünden sicher in einem Gefängnis sass", sagt Gerber.

 Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs wurde Frankfurter begnadigt und reiste nach Israel aus, wo er den unspektakulären Beruf eines Beamten ausübte. "Der Kontakt riss auch danach nicht ab", sagt Gerber, "wir erhielten immer wieder Orangen aus Israel von ihm."

 Landesverweis spät aufgehoben

 In der Schweiz besuchen konnte Frankfurter seine Berner Freunde jedoch vorerst nicht. Sein lebenslänglicher Landesverweis war 1945 nicht aufgehoben worden. Dies geschah erst Ende der 60er-Jahre. "Mein Onkel hatte sich dafür eingesetzt", erinnert sich Gerber. Frankfurter hatte von Israel aus um eine gnadenweise Aufhebung des Landesverweises gebeten, "da er für wenige Tage in die Schweiz reisen möchte, um seine Freunde zu besuchen", wie eine Zeitung 1969 berichtete. "Danach war er hin und wieder zu Besuch in Bern", sagt Gerber. In Bern gebe es heute ihres Wissens keine sichtbaren Spuren, die noch an David Frankfurter erinnern.

 In der ehemaligen Wohnung Gustloffs in Davos waren Ende der 60er-Jahre vor einer Renovation noch die Einschusslöcher sichtbar, wie sich Lydia Jaccard, die mit der Familie Angeli befreundet ist, erinnert. Jaccard hatte - aus Zufall - die Wohnung in Davos für einige Jahre gemietet.

 Zum Attentat auf Gustloff gibt es mehrere Bücher und den Film "Die Konfrontation" von Rolf Lyssy. Der Mann von Gerber, der Künstler Daniel Ritter, hat vor ein paar Jahren die Theatercollage "Cut" über David Frankfurter geschrieben. Das Werk umfasst unter anderem Ausschnitte aus den Protokollen des Gerichtsprozesses gegen ihn. Es wurde in Wien und Bern aufgeführt.

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BZ 4.2.11

Aufgefallen

 David Frankfurter

 Heute vor 75 Jahren erschoss David Frankfurter in Davos

 Wilhelm Gustloff, den Leiter der NSDAP-Landesgruppe Schweiz. Frankfurter war am 31. Januar aus Bern angereist, wo der 27-jährige jugoslawische Staatsbürger seit 1933 Medizin studierte. Aufgewachsen war er in einem streng jüdisch-orthodoxen Elternhaus. Bei Büchsenmacher Schwarz an der Aarbergergasse 14 hatte er kurz vor dem Jahreswechsel eine automatische Pistole erworben. "Für mich und irgendeinen Nazi", wie er später zu Protokoll gab. Anschliessend hatte er zum ersten Mal in seinem Leben Schiessübungen im Schiessstand von Ostermundigen durchgeführt.

 Gegen 20 Uhr klingelte Frankfurter an jenem 4. Februar 1936 in Davos an einer Wohnungstüre im Parkhaus Nr. 3 im zweiten Stock. Neben der Türe hing ein Schild "Gustloff NSDAP". Hedwig Gustloff öffnete ihm und führte ihn ins leere Büro ihres Mannes. Wilhelm Gustloff war seit Februar 1932 nationalsozialistischer Landesgruppenleiter in der Schweiz und damit dienstältester Landesgruppenleiter im Ausland überhaupt. Als Gustloff ins Büro trat, tötete Frankfurter ihn mit vier Schüssen. Der Student stellte sich anschliessend freiwillig der Davoser Polizei.

 Das erste Attentat gegen einen Repräsentanten des Dritten Reiches im Ausland wurde von der nationalsozialistischen Propaganda zur antijüdischen Hetze und zu Angriffen gegen die Schweiz instrumentalisiert.

 Im Dezember 1936 wurde Frankfurter in Chur der Prozess gemacht. Die NS-Medien berichteten breit darüber und überboten sich gegenseitig mit Kritik an der Justiz und mit Häme über den Angeklagten.

 Das Urteil: 18 Jahre Zuchthaus und anschliessender lebenslanger Landesverweis. Nach über 8 Jahren Haft wurde er nach Kriegsende vom Bündner Grossen Rat begnadigt und am 1. Juni 1945 freigelassen. In einem Interview sagte er damals: "Ich wollte das Gewissen der Welt aufrütteln, aber sie schlief weiter. So blieb es nur eine moralische Geste ohne Folgen." Frankfurter lebte später in Israel. Der Landesverweis wurde erst 1969 aufgehoben, um dem inzwischen 60-Jährigen eine Schweiz-Reise zu ermöglichen. Frankfurter starb 1982 in Israel.

 Für Gustloffs sterbliche Überreste begann nach einer Gedächtnisfeier in Davos eine von der NS-Propaganda inszenierte Triumphfahrt von Davos via Zürich, Stuttgart, Halle und Wittenberg nach Schwerin. Dort wurde er am 12. Februar mit einem Staatsbegräbnis beigesetzt. Adolf Hitler persönlich hielt die Grabrede. Doch da richteten sich die Augen der Welt längst nach Garmisch-Partenkirchen: Dort hatte am 6. Februar die Winterolympiade von Hitlers Gnaden begonnen.
 
Andreas Saurer

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Südostschweiz  4.2.11

Ein Mord, der die Welt erzittern liess

 Heute vor 75 Jahren, am 4. Februar 1936, tötete der jugoslawische Student David Frankfurter in Davos den Deutschen Wilhelm Gustloff. Der Attentäter rechtfertigte sich mit Gründen, die auch auf Verständnis stiessen.

 Von Johann Ulrich Schlegel

 Davos. - Als zwei Kranke, die wie irrlichternde Gestirne aus dem Universum der Millionen von Menschen unerbittlich und schicksalsträchtig aufeinanderzurasen, um dann in furchtbarer Kollision aneinander zu zerschellen: So erscheinen diese zwei Figuren der europäischen Geschichte der Dreissigerjahre des letzten Jahrhunderts. Der eine bezahlte sein Tun mit einem jähen Tod, der andere mit der Verurteilung zu jahrzehntelangem Zuchthaus. Der eine entpuppte sich als fanatischer Rassist, der das Volk des Mörders schwer verunglimpfte, der Rächer aber rächte nicht nur sein Volk und stand für dieses ein, er rächte sich auch aus ganz persönlichen Motiven.

 Ein Tumorkranker gegen einen Lungenkranken

 Der Deutsche Wilhelm Gustloff hatte eine Lehre als Bankkaufmann beendet, war aber infolge eines schweren Lungenleidens so behindert, dass er zu normaler Arbeit nur unzulänglich taugte und schliesslich nach Davos übersiedelte, um dank des Höhenklimas Linderung von seinen Leiden zu finden. Er flüchtete sich sodann in die Politik, und diese war damals in der westlichen Zivilisation mehrheitlich rechts, zunehmend aber auch rechtsradikal, ja in bösartiger Weise rassistisch. Am Schlimmsten war die rassistische Gehässigkeit gegen die Juden. Und exakt Gustloff erwies sich in der Schweiz als extremer Statthalter des damaligen deutschen Antisemitismus; er war verantwortlich für unwahre oder böswillige Schriften gegen die Juden. Seit 1932 war er dann auch Landesgruppenleiter der Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei (NSDAP) in der Schweiz.

 Weit verbreiteter Antisemitismus

 David Frankfurter auf der anderen Seite war der Sohn eines Oberrabbiners im damaligen Königreich Jugoslawien. Und auch er war von Geburt an schwer krank. Er litt an Knochentumor. Dennoch gelang es Frankfurter ab 1929, in Wien und Leipzig Medizin zu studieren. Aber man kann nicht genug betonen: In dieser Zeit herrschte - und leider wird dies bis heute gerne verschwiegen - in breiten Kreisen aller Bevölkerungsschichten und ausgerechnet noch besonders stark im akademischen Milieu ein unerträglicher Antisemitismus. Kurz: Frankfurter selber sah sich sogar im Hörsaal schlimmster Beschimpfung, ja Verfolgung ausgesetzt. Im Zug fuhr er schliesslich im Februar 1936 durch das winterliche Prättigau hinauf nach Davos, klingelte an der Türe Gustloffs und erschoss ihn auf der Stelle.

 Die Erregung, welche durch die Presse der Welt ging, war gewaltig. Gab es mildernde Umstände? Ging es um Tyrannenmord, der entschuldbar wäre? Der berühmte Schriftsteller Emil Ludwig setzte sich für Frankfurter ein. Weltweit wurde sein Plädoyer begrüsst. Allein, die Presse Deutschlands hetzt aufs Schärfste, ja sogar die jüdischen Kreise in Deutschland distanzierten sich.

 Die Welt schaute nach Chur

 Auch in der Schweiz lehnte man die Untat mehrheitlich ab. Dahinter steckte begreiflicherweise wie bei der jüdischen Bevölkerung in Deutschland die Furcht vor den Nationalsozialisten.

 Für Deutschland war der Prozess, der am 9. Dezember 1936 in Chur gegen David Frankfurter begann, ein Weltereignis. Die Presse und noch mehr die nationalsozialistische Regierung räumten ihm höchste Priorität ein. Die Hotels in Chur erfuhren einen gewaltigen Ansturm, insbesondere von deutschen Berichterstattern. Hoteliers installierten spezielle Telefonkabinen, und selbst im Postgebäude hatte man einen erweiterten Telefondienst eingerichtet.

 Vor dem Verhandlungssaal des Gerichts standen den aus der ganzen Schweiz und dem Ausland angereisten Presseleuten sechs Telefonkabinen zur Verfügung. Im Saal selber waren rund zwei Dutzend Plätze für deutsche Vertreter reserviert. Sodann standen 129 Sitzplätze ausschliesslich weiteren ausländischen und schweizerischen Journalisten zu Verfügung.

 Einer von ihnen schrieb wörtlich: "Der Saal bietet das Bild eines internationalen Kongresses. Zu meiner Rechten sitzt, soeben aus Spanien eingetroffen, der Berichterstatter eines New Yorker Blattes. Mein Nachbar bedient italienische und schwedische Zeitungen. Aus Frankreich, England und der Tschechoslowakei sind Journalisten nach Chur geeilt. Der Balkan, Ungarn und andere Länder sind gut vertreten."

 Das Urteil gegen Frankfurter lautete schliesslich auf 18 Jahre Zuchthaus wegen Mordes, wovon er bis zu seiner Begnadigung 1945 neun Jahre in der Strafanstalt Sennhof verbüsste.

 Plötzlich ging es ganz schnell

 Gustloff wurde vom damaligen Deutschen Reich zum Märtyrer hochstilisiert. Nach ihm wurde eines der grössten deutschen Passagierschiffe benannt. Hitler taufte an der Seite der Witwe Gustloffs, die früher Hitlers Sekretärin gewesen war, das Schiff auf den Namen "Wilhelm Gustloff". Aber Unglück bringt so oft wieder Unglück. In einer der furchtbarsten Schiffskatastrophen der Weltgeschichte sank die "Wilhelm Gustloff" mit rund 10 000 Passagieren nach einem mörderischen russischen U-Boot-Beschuss am 30. Januar 1945.

 Im gleichen Jahr war auch das Grauen Deutschlands vorüber. Und da zeigte sich, wie die Justiz oftmals übermächtigen Zwängen ausgesetzt ist. Adolf Hitler war tot. Die Gefahr vorüber. Und da konnte Graubünden Frankfurter auch wie von Zauberhand sofort begnadigen. Er wurde aus dem Zuchthaus entlassen und ging nach Palästina, dem späteren Israel.

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SIKO MÜNCHEN 2011
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Indymedia 1.2.11

Auf nach München - fight global war ::

AutorIn : Antimilitaristin         

Wieder einmal ist es soweit: Militärstrategen, Generäle und Rüstungsexperten, Außen- und Verteidigungsminister der Nato- und EU-Staaten, sowie Vertreter der Rüstungsindustrie und der Medien, treffen sich im Nobelhotel "Bayerischer Hof" in München. Die Sicherheitskonferenz steht stellvertretend für die weltweite Unterdrückung, für Ausbeutung und Krieg, deswegen ist es wichtig mit vielfältigen, emanzipatorischen und radikalen Mittel dagegen vorzugehen. Dies ist eine kleine Zusammenfassung für alle die nach München fahren:     
    
Was ist los in München:
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Zum 47. Mal tagt vom 4. bis 6. Februar 2011 die so genannte "Sicherheitskonferenz" [Siko] im Münchner Hotel "Bayerischer Hof". Die Münchner Siko ist ein Treffen von internationalen Politikern, Militärs und Rüstungsindustriellen. Es ist das weltweit größte Treffen seiner Art. Bei der Sicherheitskonferenz werden Militärstrategien und ökonomische Interessen aufeinander abgestimmt, Kriegspläne diskutiert und öffentlich als Einsatz für "Frieden" und "Sicherheit" angepriesen, aber auch teilweise widersprüchliche Interessen einzelner Staaten und Bündnisse verhandelt.

Seit zehn Jahren sind die Proteste in München gegen die Siko der stärkste und kämpferischte Ausdruck der antimilitaristischen Bewegung in der BRD. Mehrere Tausend Leute werden wieder dieses Jahr gegen Siko am 5. Februar in München auf die Straße gehen. Auch die radikale Linke wird wieder dabei sein. In diesem Jahr ist thematisch der seit zehn Jahre andauernde Krieg in Afghanistan und die deutsche Beteiligung der Schwerpunkt der Proteste.

Einerseits mobilisisieren verschiedene linksradikale Gruppen aus München zu einem antikapitalistischen Block unter dem Motto "Gegen Krieg und Krise - Sabotieren, Desertieren, Blockieren, Generalstreik!", anderseits mobilisiert das Antifaschistische und Antimilitaristische Aktionsbündnis bundesweit nach München als zweiten Teil ihrer bundesweiten Kampagne "No Nato. No War. No Capitalism. - Kampf der deutschen Kriegspolitik!" gegen die Mandatsverlängerung in Afghanistan und die Siko.


Termine der Proteste gegen die Siko:
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04.02.2011 | Protestkundgebung | 18:00 Uhr | Marienplatz

05.02.2011 | Großdemonstration | 13:00 Uhr | Marienplatz


Aktionen und Mobilisierung in Vorfeld:
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22.01.2011 | Das Antifaschistischen und Antimilitaristischen Aktionsbündnis machte einen bundesweiten Aktionstag zur Mandatsverlängerung in Afghanistan mit Aktionen in acht Städten >>>  http://3a.blogsport.de/mandatsverlaengerung/

22.01.2011 | An einem Solikonzert unter dem Motto "Fuck war - no war" im Feierwerk in München feierten 500 Leute.>>>  http://sdajmuenchen.blogsport.eu/2011/01/fuck-war-no-war-konzert-mit-500-leuten/

26.01.2011 | Radikale Linke machten eine Infoveranstaltung zur Siko in Kafe Marat in München

28.01.2011 | Am Tag der Mandatsverlängerung flogen in Berlin und Sindelfingen Farbeutel an die Büros von MdBs, welche für die Weiterführung des Krieges in Afghanistan gestimmt haben.

Infos unter >>>  http://www.bundeswehr-wegtreten.org/

29.01.2011 | Die SDAJ machte eine Jubeldemonstration zur Siko unter dem Motto "Party, Ballern, Panzerfahrn - Join the Bundeswehr!” >>> http://sdajmuenchen.blogsport.eu/2011/01/jubeldemo/

31.01.2011 | Die SDAJ machte eine Veranstaltung im EineWeltHaus in München mit Said Mahmood Pahiz von der Solidaritäts Partei über die linke Bewegung in Afghanistan


Aufrufe zur Siko:
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Aufruf der linksradikalen Gruppen aus München:
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Gegen Krieg und Krise - Sabotieren, Desertieren, Blockieren, Generalstreik!

Die Bundeswehr wird umstrukturiert. Die Bundesregierung hat beschlossen, dass ab Juli 2011 die Zahl der SoldatInnen deutlich verringert wird und die Wehrpflicht praktisch abgeschafft werden soll. Das gesteckte Ziel ist es, eine kleinere, aber leistungsfähigere, hoch mobile und hochtechnisierte Interventionsarmee zu schaffen um überall auf der Welt flexibler und effektiver einsatzfähig zu sein. Dieser Beschluss ist nur einer von vielen Schritten zur Umstrukturierung der ...

weiter unter >>>  http://www.autistici.org/g8/deu/siko/aufruf-gegen-die-nato-sicherheitskonferenz/


Aufruf des Antifaschistischen und Antimilitaristischen Aktionsbündnis:
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No Nato. No War. No Capitalism. - Kampf der deutschen Kriegspolitik!

Ende Januar 2011 wird der Bundestag über die Verlängerung des Mandates für den Bundeswehreinsatz in Afghanistan abstimmen. Wie in den vergangenen Jahren werden die bürgerlichen Parteien mehrheitlich dem Einsatz zustimmen. Damit stimmen sie für die Besatzung Afghanistans, die weder im Interesse der Menschen Afghanistans noch im Interesse der Mehrheit der Menschen hierzulande ist. Die Nato-Besatzung dient vielmehr den politischen und geostrategischen Interessen der imperialistischen ...

weiter unter >>>  http://3a.blogsport.de/2011/01/20/no-nato-no-war-no-capitalism-kampf-der-deutschen-kriegspolitik/


Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz:
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Aktiv werden gegen die NATO-Kriegspolitik! - Für Frieden und Abrüstung! -Bundeswehr raus aus Afghanistan!

Am ersten Februarwochenende treffen sich im Hotel Bayerischer Hof wieder die Regierungsvertreter_innen, Militärs, Kriegsstrateg_innen und Rüstungslobbyist_innen überwiegend aus NATO- und EU-Staaten.

Wir aber wollen unsere Sicherheit nicht Politiker_innen und Militärstrateg_innen überlassen, an deren Händen Blut klebt: Das Blut ...

weiter unter >>>  http://sicherheitskonferenz.de/de/Aufruf-2011-Gegen-die-SIKO

Kritik am Aktionsbündnis >>>  http://www.autistici.org/g8/deu/siko/no-support/


Busse zur Siko:
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Berlin

Tickets: Buchladen OH21 | Oranienstrasse 21 | 10999 Berlin

Preis: 20€ | ermäßigt 15€

Abfahrt: 05.02.2010 | 01:00 Uhr

Rückfahrt: 06.02.2010 | 10:00 | Übernachtungplätze sind bereitgestellt


Nordrhein-Westfalen

Tickets bestellbar unter:  koeln@rote-antifa.org

Preis: 30€

Abfahrt: 05.02.2010 | Köln | ca.06:00 Uhr

Rückfahrt: 05.02.2010 | 16:00 Uhr


Stuttgart

Tickets: LZ Lilo Herrmann | Böblingerstr. 105 | 70199 Stuttgart

Tickets auch bestellbar unter:  ot-gegenkrieg@gmx.de

Abfahrt: 05.02.2010


Zürich

Tickets bestellbar über die PdA | www.pda.ch

Preis: 45/35 Fr.

Abfahrt 05.02.2011 | ca.7:30 Uhr


Materialen zu Krieg und Kapitalismus
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Broschüre "In Bewegung bleiben" über die Proteste bei der Sicherheitskonferenz in München >>>  http://www.autistici.org/g8/files/siko_broschuere.pdf


Broschüre "Krieg, Krise, Kapitalismus" vom Antifaschistischen / Antimilitaristischen Aktionsbündnis >>>  http://3a.blogsport.de/images/aaabund_broschur_2011.pdf


Broschüre "Bundeswehr und Nato raus aus Afghanistan" von der Revolutionären Perspektive Berlin, Projekt Revolutionäre Perspektive Hamburg und der Revolutionären Aktion Stuttgart >>>  http://www.perspektive.nostate.net/afghanistan_2011_broschur.pdf


Broschüre "Im Windschatten der NATO" von der Informationstelle Militarisierung und Sabine Lösing, MdEP >>>  http://imi-online.de/download/EU-Afghanistan2011-web.pdf


Reader "Tatort Kurdistan" von der gleichnamigen Kampagne über den Krieg in Kurdistan und die deutsche Unterstützung. >>>  http://data6.blog.de/media/680/4774680_840f2b0b34_d.pdf


Broschüre "Deutschland im Krieg" über Krieg und den Celler Trialog >>>  http://antimilitarismus.blogsport.de/images/broschreweb.pdf


Feministisches Positionspapier"Wir müssen uns mehr einmischen!" zur Militarisierung >>>  http://antimilitarismus.blogsport.de/images/feministischespositionspapier_neu.pdf


Berichte, Bilder und Videos der letzten zwei Jahre
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2009
Bericht zu den Protesten >>>  http://de.indymedia.org/2009/01/238897.shtml
Bericht zu den Protesten >>>  http://de.indymedia.org/2009/02/241606.shtml
Bilder zur Demo >>>  http://www.umbruch-bildarchiv.de/bildarchiv/foto2/siko09/index.htm
Mobivideo zur Siko >>>  http://www.youtube.com/watch?gl=DE&hl=de&v=zYGZ6TgP3so
Video zur Demo Teil 1 >>>  http://www.youtube.com/user/DokuTube2009#p/u/2/XABm-uyOr6o
Video zur Demo Teil 2 >>>  http://www.youtube.com/watch?v=oUDnnYf046c


2010
Bericht zu den Protesten >>>  http://de.indymedia.org/2010/02/273676.shtml
Video zur Demo Teil 1 >>>  http://www.youtube.com/watch?v=UrqTw8Y7jGM&feature=related
Video zur Demo Teil 2 >>>  http://www.youtube.com/watch?v=N7iyQs8fn6Y&feature=related
Video zur Demo 2010 Teil 3 >>>  http://www.youtube.com/watch?v=ipwacwN9iUs&feature=related


Convergence Center
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Wie jedes Jahr wird im ehemaligen Tröpferlbad (Kafe Marat) in der Thalkirchnerstraße vor und während der "Siko"-Proteste ein Convergence Center eingerichtet, bei dem sich AktivistInnen treffen, ausruhen und informieren können. Das Convergence Center wird voraussichtlich am Freitag, 4. Februar ab 19 Uhr und am Samstag, den 5. Februar ab 17 Uhr geöffnet haben. (Thalkirchnerstr. 102 | U3/6 Goetheplatz, Bus 58 Kapuzinerstrasse)


Ermittlungsausschuss
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Der Ermittlungsausschuss (EA) kümmert sich während der Aktionstage um Festgenommene und kontaktiert ggf. Anwälte. Wer fest- oder in Gewahrsam genommen wird oder wer Festnahmen beobachtet, sollte den EA anrufen und Namen des/der Festgenommenen und Festnahmegrund mitteilen. Nach der Entlassung sollten sich AktivistInnen beim EA rückmelden! Die Nummer des EA lautet 089/448 96 38


Beschluß des Aktionsbündnisses gegen die NATO-Sicherheitskonferenz vom 03.02.2009 (Gilt auch dieses Jahr) :
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Wir wollen keine Nationalfahnen. Das wird sowohl vom Lauti gesagt, als auch von den Ordner_innen so vertreten. Sie gehen zu Fahnenträger_innen hin und fordern sie auf die Fahnen einzurollen.

Aktionsbündnis Einigung aus den vergangenen Jahren …

Zum Umgang mit Nazis, rassistischen und antisemitischen Parolen und Nationalfahnen während der Kundgebungen und Demonstrationen des Demonstrationsbündnisses gegen die Nato-Sicherheitskonferenz am 6./7. Februar 2009:

1. Nazis haben auf einer fortschrittlichen Demo keinen Platz und werden von uns unter keinerlei Umständen geduldet werden.

2. Wir wollen keine rassistischen und antisemitischen Parolen, ebenso keine Holocaust- und NS-Vergleiche.

3. Wir wünschen uns keine Nationalfahnen auf den Kundgebungen und Demos. Nationalfahnen sind für uns Symbol von Nationalismus und damit einer Ideologie, die nach innen und außen Druck erzeugt, Widersprüche innerhalb einer "Nation” negiert und eine emanzipatorische Politik schwächt.


Weiter Informationen unter:
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No Nato >>>  http://www.autistici.org/g8/deu/

Aktionsbündnis gegen die NATO-Sicherheitskonferenz >>>  http://sicherheitskonferenz.de/

Antimilitaristisches und Antifaschistisches Aktionsbündnis >>>  http://3a.blogsport.de/siko-2011/

SDAJ München >>>  http://sdajmuenchen.blogsport.eu/nato-kriegskonferenz-2011/


Wir sehen uns in München - fight global war - fight capitalism
Join the international and anticapitalist block!     

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ANTI-ATOM
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BZ 5.2.11

Anwohner des AKW melden sich zu Wort

 Seedorf Rund 100 Anwohner des Atomkraftwerkes Mühleberg wehren sich aktiv gegen einen Neubau.

 Ein Lager für radioaktive Abfälle neben dem neuen Atomkraftwerk oder eine mögliche Überflutungsgefahr. In den letzten Wochen seien neue Fakten enthüllt worden, die einen Teil der Anwohner des Atomkraftwerkes Mühleberg stark beunruhigt hätten und nun "das Fass zum Überlaufen gebracht haben", heisst es in einer Mitteilung. Im Anschluss an eine Lesung in Seedorf, bei der es um einen literarische Aufarbeitung der Katastrophe von Tschernobyl ging, hätten einige Anwesende ihre Köpfe zusammengesteckt. "Nicht die ganze Bevölkerung rund um Mühleberg steht hinter einem neuen Atomkraftwerk", erklärt Barbara von Escher, eine der Initiantinnen. Deshalb hat eine kleine Gruppe beschlossen, ein Zeitungsinserat gegen ein neues AKW zu publizieren, falls sich bis Mitte Woche 30 Personen bereit erklärten, mit ihrem Namen hinzustehen und das Inserat zu finanzieren.

 Dieses Ziel sei schnell klar übertroffen worden, sagt Barbara von Escher. "Es entwickelte sich eine Eigendynamik, und innerhalb von vier Tagen waren gut 100 Personen bereit, mit ihrem Namen für ein Nein einzustehen", sagt von Escher zur erfolgreichen Aktion. Nur wenige Angefragte hätten abgesagt. Es sei klar, dass die Anwohner, die Angst vor den langfristigen Folgen haben, nicht mit der grossen finanziellen Kelle anrichten könnten. Auch der Zeitpunkt für ein Inserat sei spät. "Aber es ist nie zu spät", betont Barbara von Escher. Zudem sei das Thema "Neues AKW in Mühleberg" mit dieser Konsultativabstimmung noch nicht abgeschlossen. Obwohl nichts Langfristiges geplant sei. Vielleicht kristallisiere sich ein kleiner Kern heraus, der bei den weiteren Abstimmungen die Koordination übernehme, sagt Barbara von Escher.
 hus

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Thuner Tagblatt 5.2.11

BO-Redaktionsleiter Bruno Stüdle zur Abstimmung über den Ersatz des AKW Mühleberg

 Atomstrom ist eine Auslaufenergie

 Jawohl! Atomstrom ist eine Auslaufenergie. Warum?

 Erstens A, weil bei einem so genannten "Zwischenfall" mindestens zwischenzeitlich nichts mehr läuft und bei einem GAU das jahrundertelange Blackout nicht nur für die Wirtschaft, sondern vor allem für Umwelt, Natur und Mensch droht.

 Zweitens A, weil das Problem der Zwischenlagerung des Atommülls noch nicht gelöst ist und das Problem der Endlagerung vermutlich gar nicht gelöst werden kann.

 Drittens A, weil das Risiko aus Erstens A und Zweitens A in den nächsten Jahren gar nicht mehr eingegangen werden muss - und darf. Dafür sprechen folgende Argumente:

 Erstens B zeigt das Energieszenario IV des Bundesamtes für Energie auf, dass bis zum Jahr 2035 die Stromproduktion aller drei Schweizer Atomkraftwerke durch eine bessere Energieeffizienz der Wohn- und Geschäftshäuser in den Bereichen Wärmedämmung, Heizen, Warmwasser und Beleuchtung ersetzt werden könnte.

 Zweitens B könnte die von der Stromlobby prophezeite Stromlücke bis 2035 auch mit erneuerbaren Energien wie Wasser-, Solar-, Biomasse- und Windkraft geschlossen werden.

 Dazu braucht es erstens C neben dem politischen Willen und der Innovationskraft der Schweizer Wirtschaft vor allem den Mut des Stimmvolkes, der Atomkraft abzusagen. Besinnen wir uns auf unsere viel gepriesenen Tugenden von Pionier- und Erfindergeist. Als Preis winkt nicht nur sauberer, sicherer und genügend Strom, sondern auch der wichtige Wissens-Vorsprung gegenüber dem Ausland und damit viele neue und nachhaltige Arbeitsplätze.

 Zweitens C muss, wer "Atomstrom - Nein danke!" sagt, auch "Ja zu gewissen Einschnitten in die Natur" sagen. Denn, ohne höhere und vielleicht auch neue Staumauern, ohne neue Kleinwasserkraftwerke, ohne Windparks und vor allem ohne Solarzellen kann der Atomstrom trotz Ablaufdatum nicht ersetzt werden.
b.stuedle@bom.ch

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Berner Oberländer 5.2.11

KMU-Chefs gegen AKW

 Oberland. KMU-Chefs aus dem Oberland engagieren sich gegen ein neues AKW. Sie hoffen auch auf neue Jobs dank den erneuerbaren Energien.

 "Die Oberländer Wirtschaft inklusive Tourismus braucht kein neues Atomkraftwerk", sagen prominente Oberländer KMU-Chefs. Sie engagieren sich im Abstimmungskampf in der "Gruppe neue Energie Bern" (GNEB) gegen den Ersatz des AKW Mühleberg und setzen auf erneuerbare Energien. Laut der GNEB hat die sogenannte erneuerbare Bernische Energiewirtschaft im vergangenen Jahr im Kanton Hunderte von neuen Jobs geschaffen. Allein in Thun generierte die Solarfirma Meyer Burger gegen 150 neue Arbeitsplätze.bst Seite 2

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KMU-Chefs werben für Nein zum AKW

 Oberländer kmu-Chefs "Die Oberländer Wirtschaft inklusive Tourismus braucht kein neues Atomkraftwerk". Da sind sich prominente Oberländer KMU-Chefs sicher. Sie setzen auf erneuerbare Energien und engagieren sich im Abstimmungskampf gegen den Ersatz des AKW Mühleberg.

 "Zur Sicherung unseres Angebots und damit auch der zahlreichen Arbeitsplätze sind wir auf eine ausreichende, wirtschaftliche Energieversorgung angewiesen." So warben Mitte Januar prominente Oberländer Touristiker an einer Medienkonferenz für ein "Ja" zum Ersatz des Atomkraftwerks (AKW) Mühleberg (wir berichteten). So denken im Oberland und der Region Thun aber nicht alle Unternehmer. Einige KMU-Chefs engagieren sich in der Gruppe neue Energie Bern (GNEB) für eine nachhaltige Energieversorgung auf der Basis erneuerbarer Energien und Energieeffizienz ohne ein neues AKW Mühleberg.

 "Der Oberländer Tourismus braucht genügend Strom, aber eben auch eine möglichst intakte Natur. Deshalb dürfen wir nicht auf den Risikostrom eines AKWs setzen", sind zum Beispiel Rosemarie und Karl Bieri vom Hotel Ermitage in Kandersteg überzeugt. "Wenn es in Mühleberg zu einem Zwischenfall kommt, könnte das den Tourismus für Jahrzehnte oder für alle Ewigkeit lahmlegen", sagt Karl Bieri. Er ist sich sicher, dass bis zur definitiven Abschaltung des AKW-Mühleberg genügend Strom aus erneuerbaren Energien bereitgestellt werden kann. Zum Beispiel mit dem "zwingenden Ausbau an der Wasserkraft an der Grimsel - KWO-Plus - mit Solarenergie und mehr Kleinwasserkraftwerken wie jenes im Alpbach." Dieses decke über 80 Prozent des Strombedarfs in Kandersteg ab.

 Auf Wasserkraft - und Solarstrom - setzt auch Walter F. Bettschen der Sägewerk Bettschen AG in Reichenbach. "Bei der Nutzung der Wasserkraft haben wir ein grosses Know How und ein sehr grosses Potenzial. Ich wäre bereit, für den Ausbau der Wasserkraft ein weiteres Tal im Oberland unter Wasser zu setzen", sagt Bettschen. Angst, dass bei einem Nein zu Mühleberg Arbeitsplätze verloren gehen, hat Bettschen nicht: "Als einer, der von der Bauwirtschaft abhängt und in der Gewissheit, dass einer der grössten Aufträge für unser Unternehmen jener beim Bau des AKW Leibstadt war, bin ich sicher, dass mit erneuerbaren Energien weit mehr und vor allem nachhaltigere Arbeitsplätze geschaffen werden können, als mit der Atomwirtschaft." Wie überzeugt Walter F. Bettschen und Sohn Lukas W. Bettschen von den erneuerbaren Energien sind, zeigt ein Blick auf die Dächer der Sägewerk Bettschen AG. 2009 haben sie dort die grösste private Solaranlage der Schweiz installiert.

 "Die Energiepolitik wirkt sich immer direkt auf die Holzpolitik aus", weiss Markus Wenger von der Wenger Fenster AG in Wimmis und Blumenstein. "Wenn man ein Fenster aus regionalem Holz baut, dann benötigt man vier Mal weniger Strom als bei der Produktion von Billigfenstern aus PVC. Das ist aber nur so lange möglich, wie wir von Billigstrom, wie jenem aus AKWs überschwemmt werden", erklärt Wenger. Im Unternehmen hat man die Vision, den Nettonergieverbrauch zu halbieren. Dazu brauche es aber auch den politischen Willen, auf eine erneuerbare und damit teurere, aber nachhaltigere Energieversorgung zu setzen. So könnten die Energieeffizienz gesteigert und neue Arbeitsplätze geschaffen werden", ist der Fensterbauer überzeugt. ""Höhere Energiekosten und tiefere Lohnnebenkosten würden wichtige Anreize für mehr Arbeitsplätze und weniger Energieverbrauch schaffen", sagt Wenger.
 
Bruno Stüdle

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 Die "Gruppe neue Energie Bern" (GNEB), zählt rund 60 KMUs. Aus der Region sind dabei: Allenbach Holz- und Trockenbau AG, Frutigen; Architektur Atelier Adrian Christen, Thun; AWG Solar GmbH, Thun; e-nova Solar AG, Thun; ElektroLink AG, Frutigen; Elektroplan Buchs & Grossen AG, Frutigen; Elektro Tschanz, Saanenmöser; Hobag Brienz - automatische Holzheizungen, Brienz; Hotel Ermitage, Kandersteg; Kraftwerk Engstligen-alp, Adelboden; Liebi LNC AG, Oey-Diemtigen; Sägewerk Bettschen AG, Reichenbach; Wenger Fenster AG, Wimmis; ZOBO Hydropower AG, Brienz; Kentron Baubiologie Hilterfingen und Bern; Biral AG, Münsingen.

 Das Arbeitsplatzangebot der Energiewirtschaft

 Das neue AKW Mühleberg soll im Kanton 1300 Jobs sichern. Die erneuerbare Bernische Energiewirtschaft rechnet mit Hunderten von neuen Jobs.

 "Ein Ja zu Mühleberg sichert wirtschaftliches Wachstum und damit wichtige Berner Arbeitsplätze", so wirbt Peter Flück,

 Nationalrat aus Brienz und Präsident der FDP Kanton Bern, auf Inseraten des überparteilichen Komitees "Ja zu Mühleberg". Das Gleiche wird dem Stimmvolk auch in der Abstimmungsbotschaft versprochen: "Der volkswirtschaftliche Nutzen des Ersatz-Atomkraftwerks ist gross. Es schafft viele neue Arbeitsplätze." Wie viele, das erfährt man dort nicht. Aktuell arbeiten laut Botschaft rund 300 Personen im AKW Mühleberg, weitere rund 200 Personen seien bei Lieferanten beschäftigt. Und laut Pro-Komitee soll das Ersatz-Atomkraftwerk dem Kanton und der Region "1300 Arbeitsplätze sichern und jährlich 600 Millionen Franken Wertschöpfung bringen".

 Zum Vergleich: Die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) beschäftigt laut aktuellem Eintrag auf der Homepage rund 490 Mitarbeitende (325 Vollzeitstellen). Die Thuner Technologiegruppe Meyer Burger zählt aktuell weltweit über 1200 Vollzeitstellen; davon arbeiten alleine 440 (plus 210 Temporärstellen) in Thun bei der Gruppengesellschaft MB Wafertec und 150 bei der 3S Modultec in Lyss. Gesamthaft sind das rund 590 Arbeitsplätze im Kanton Bern. Im vergangenen Jahr hat das Unternehmen rund 150 neue Stellen geschaffen - die meisten davon in Thun.

 Die "Gruppe neue Energie Bern" (GNEB) spricht von weiteren 162 neu geschaffenen Stellen ihrer 60 Mitglieder im Kanton. Und: "Es darf davon ausgegangen werden, dass die erneuerbare Bernische Energiewirtschaft 2010 mehrere hundert

 Arbeitsplätze neu schaffen konnte", schreibt die GNEB.

 Auch die Aussichten sind gut: "Die Auftragsbücher der im Bereich der erneuerbaren Energien und Energieeffizienz tätigen Unternehmungen sind gut gefüllt und lassen weiteres Wachstum zu. Allein die beiden grossen Solarfirmen im Kanton - Meyer Burger und Sputnik in Biel - wollen im laufenden Jahr 225 neue Stellen schaffen", weiss Stefan Batzli von der GNEB. Er hält weiter fest: "Weil erneuerbare Energien und Energieeffizienz hier vor Ort entwickelt, gefertigt, installiert und betrieben werden, bleibt das Know How und die damit erzielte Wertschöpfung im Kanton Bern."

 Mit dem Bau eines neuen AKW Mühleberg würde man das Gegenteil tun: "Der Kanton würde die Energieinvestitionen in die veraltete Atomtechnologie lenken, statt auf die zukunftsgerichteten erneuerbaren Energien zu setzen und er würde es damit verpassen, sich am Megatrend der erneuerbaren Energien aktiv zu beteiligen und entsprechend zu profitieren", mahnt die GNEB in ihrer Mittelung. Laut der Agentur für Erneuerbare Energien und Energieeffizienz (AEE) erwirtschaftet die Schweizer

 Solarbranche einen Umsatz von 1,9 Milliarden Franken. Sie

 beurteilt den Bau neuer Atomkraftwerke für die Schweiz als "wenig interessant. Aus dem geschrumpften Markt für Kerntechnik haben sich alle schweizerischen Hersteller zurückgezogen. Kernreaktoren, Rohstoffe (Uran) und wichtige Verarbeitungsschritte (Brennstäbe, Konditionierung der Abfälle) müssten im Ausland eingekauft werden. Auch das Personal würde im Ausland rekrutiert, denn an schweizerischen Universitäten werden kaum mehr Atomspezialisten ausgebildet", hält die AEE fest.bst

 www.aee.ch, www.aber-sicher.ch

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NZZ 5.2.11

Querelen um AKW Mühleberg

 Umstrittene Erdbebensicherheit

 dsc. · Der Bundesrat hat im Dezember 2009 die befristete Betriebsbewilligung für das Atomkraftwerk Mühleberg in eine unbefristete Bewilligung umgewandelt. Dagegen wurde beim Bundesverwaltungsgericht von mehreren Einzelpersonen Beschwerde eingelegt. Nachdem diese Woche eine Akteneinsicht erfolgt ist, äussern sich nun die Beschwerdeführer in einer Medienmitteilung. Ihr zentraler Kritikpunkt ist der Umstand, dass ein Bericht über die angeordneten Verstärkungen des Kernmantels von 2005 noch nicht neuste Erdbebenszenarien berücksichtigt habe. Hingegen hält das Eidgenössische Nuklearsicherheitsinspektorat (Ensi) auf Anfrage fest, dass neuere Analysen die Sicherheit auch bei der Annahme von schwereren Erdbeben belegten. Bei solchen Überprüfungen seien in den letzten Jahren Verstärkungen an einzelnen Mauern angeordnet worden, sagt Hannes Hänggi vom Ensi. Laut Rainer Weibel, dem Anwalt der Beschwerdeführer, hat man aber weitere problematische Punkte entdeckt, deren Veröffentlichung vom Gericht derzeit mit Verweis auf Firmengeheimnisse untersagt worden seien. Ein Kritikpunkt betrifft den Hochwasserschutz.

 Der Kernmantel des AKW Mühleberg ist das wohl am besten dokumentierte Einzelteil aller Schweizer Atomkraftwerke. Der Mantel befindet sich innerhalb des Reaktordruckbehälters und regelt den Fliesskreislauf um den Kern. Wegen Rissen wurde der Kernmantel mit Zugankern verstärkt, um zu verhindern, dass er sich bei einem Erdbeben verschiebt und das Einfahren der Steuerstäbe behindern könnte.

 Das Kernkraftwerk Mühleberg erhielt als letztes der Schweizer AKW eine unbefristete Betriebsbewilligung. Das Ensi hält dabei fest, dass die Bewilligung bei Sicherheitsproblemen jederzeit entzogen werden kann. In den vergangenen Jahren erhielt die Anlage in Mühleberg von der Sicherheitsbehörde gute Noten. Über die Beschwerde gegen die Betriebsbewilligung wird das Bundesverwaltungsgericht wohl noch in diesem Jahr entscheiden.

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Schweizer Bauer 5.2.11

Bern: Neues Kernkraftwerk verbaut Bauern Zukunftschancen

 Bauernkomitee gegen Mühleberg II gegründet

 Ein neues AKW schade der Landwirtschaft, dem Bauer werde die Chance des Energiewirts entzogen, ist das Komitee sicher.

Reto Blunier

 "Die Lobag sieht sich als Interessenvertreter sämtlicher Bauern. Doch deren Präsident wirbt für das AKW Mühleberg II. Damit sprengt die Lobag ihre Grenzen, denn es gibt auch Bauern, die gegen das AKW sind", findet Kilian Baumann, dessen Gemüsebetrieb 20 Kilometer nördlich vom geplanten Ersatzkraftwerk liegt. Das Komitee "Landwirtschaft für erneuerbare Energien und gegen Mühleberg II" betonte vergangenen Mittwoch im Berner Ratshaus, dass Mühleberg II der Landwirtschaft schade und eine grosse Zukunftschance verbaue. Rund 30 Bauernfamilien sind der Ansicht, dass die bei den Bauern in grosser Menge anfallenden Ressourcen Sonne, Holz, Wind und Biomasse die Grundlage für eine nachhaltige und auslandsunabhängige Energieversorgung gewährleisten. Nebst einer Ernährungs- müsse auch eine Energiesouveränität angestrebt werden, betonen sie.

 Standbein geht verloren

 Ein Nebeneinander beider Technologien ist für das Komitee keine Option, denn mit dem Bau des AKW werde für die nächsten 80 Jahre den erneuerbaren Energien der Wind aus den Segeln genommen. Mit dem Ausbau von erneuerbaren Energien bleibe die gesamte Wertschöpfung im Kanton, da die Anlagen hier gefertigt, installiert und betrieben würden. Durch den Bau von Mühleberg II werde den Bauern das Standbein Energiewirt entzogen, zusätzliches Einkommen gehe verloren. Momentan sei Strom aus erneuerbarer Energie noch teurer, doch dieser werde dank Entwicklungsfortschritten immer billiger. Atomenergie sei für die Landwirtschaft ein nicht tragbares Risiko, da es die gesamte Lebensgrundlage zerstören könne.

 Gegen dezentrale Anlagen

 Die Frage der Endlagerung sei nicht geklärt, und ein Zwischenlager für radioaktive Abfälle sei für die Vermarktung von   Erzeugnissen aus der Region hinderlich. Die BKW AG habe kein Interesse, kleine und dezentral gelegene Anlagen zu fördern, betont das Komitee. Sie fördere ihre eigenen Solar-Grossanlagen (Solaranlage Wankdorfstadion). Zum Einwand der BKW, dass die Realisierung von Anlagen zur Gewinnung von erneuerbarer Energie schwierig sei, sagt das Komitee, die BKW müsse mehr Biss zeigen, denn bei Mühleberg II nehme sie auch Widerstände in Kauf.

 Die BKW bestreitet den Vorwurf des Desinteresses an kleinen, dezentralen Anlagen. Diese müssten eine gewisse Grösse aufweisen und gut gelegen sein. Die "gedeckelte" Einspeisevergütung verhindere momentan die Realisierung weiterer Fotovoltaikanlagen. Auch Christian Streun, Pressesprecher der Lobag, wehrt sich gegen die erhobenen Vorwürfe: "Die Lobag setzt sich sehr für erneuerbare Energien ein. Wir sind der Meinung, dass beide Technologien benötigt werden."

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Tribune de Genève 5.2.11

La face cachée du nucléaire en Suisse

 La centrale de Gösgen est accusée par Greenpeace de se fournir en combustibleà Mayak. Malaise aux SIG, qui possèdent une participation indirecte dans la centrale

Christiane Pasteur

 Le complexe nucléaire de Mayak est situé en Russie, dans l'Oural sibérien. C'est-à-dire loin, très loin de chez nous. Et pourtant, c'est, entre autres, là-bas que s'approvisionne en combustible nucléaire la centrale de Gösgen, dans le canton de Soleure. Via la firme française Areva qui elle-même sous-traite avec la société russe MSZ Elektrostal. En matière de nucléaire, la traçabilité emprunte parfois des chemins tortueux…

 Or, selon les enquêtes menées sur le terrain par Greenpeace, la région de Mayak est la deuxième zone la plus contaminée au monde après Tchernobyl. Les déchets radioactifs polluant les cours d'eau et les sols depuis soixante ans ont transformé la région "en véritable poubelle de l'industrie nucléaire", dénonce l'ONG. "Le taux de cancers dans la région de Tschelyabinsk(ndlr: grande comme la moitié de la Suisse)est largement plus élevé que la moyenne, le nombre de fausses couches aussi; de nombreux enfants naissent avec des malformations génétiques et des handicaps d'une extrême gravité. "

 Lettre ouverte aux actionnaires

 Greenpeace a donc envoyé, peu avant Noël, une lettre ouverte aux actionnaires et aux collectivités approvisionnées en électricité par la centrale nucléaire de Gösgen, dont les Services Industriels de Genève (SIG). En effet, alors même que les Genevois ont inscrit dans la Constitution l'interdiction pour le canton de s'approvisionner en électricité d'origine nucléaire, les SIG possèdent un siège au conseil d'administration d'Alpiq, numéro   1 de l'électricité en Suisse, lui-même actionnaire à hauteur de 40% de la centrale de Gösgen.

 "Nous avons été sensibles au courrier de Greenpeace, assure Isabelle Dupont Zamperini, porte-parole des SIG. La situation, telle qu'elle nous est décrite dans cette lettre ouverte, ne correspond pas à nos critères en matière de développement durable, de sécurité et de respect des droits humains. Notre président, Daniel Mouchet, a interpellé le conseil d'administration d'Alpiq concernant la traçabilité de l'uranium et ses conditions de production. Nous attendons un rapport dans les semaines à venir. "

 En septembre dernier, Moritz Leuenberger, alors conseiller fédéral, avait reconnu que l'Office fédéral de l'énergie n'est pas habilité à effectuer des contrôles sur un territoire étranger. Une tâche qui revient à chaque pays, sous la surveillance de l'Agence internationale de l'énergie atomique.

 Manque de transparence

 A Gösgen, personne n'a souhaité répondre à nos questions. "Nous avons besoin de temps pour vérifier les informations transmises par Greenpeace, déclare Andreas Werz, porte-parole d'Alpiq, au téléphone. Nous rencontrerons leurs représentants dans les semaines à venir mais ne souhaitons pas communiquer avec les médias. "

 Le groupe Axpo, qui possède la centrale nucléaire de Beznau, en Argovie, ainsi que des participations dans celles de Gösgen et de Leibstadt, travaille également avec Mayak. En novembre dernier, le patron d'Axpo, Manfred Thumann, a avoué à l'ATS s'être montré "trop naïf" sur l'origine des combustibles que lui livre l'entreprise française Areva et a parlé d'un futur changement de contrat après visite du site par un groupe d'experts. "Le cheminement des combustibles est beaucoup moins transparent et plus complexe qu'imaginé jusque-là. "

 "Il n'existe aucune perspective pour que l'installation produise de manière propre dans un délai raisonnable, estime Florian Kasser, chargé de l'énergie chez Greenpeace. Seul un assainissement complet de toute la région pourrait protéger les habitantes et habitants d'une contamination radioactive. " Et de conclure: "Sans la fourniture d'énergie étrangère d'origine douteuse, les centrales nucléaires suisses ne pourraient pas être exploitées. "

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Basler Zeitung 5.2.11

Regierung rügt "2 Grad"-Macher

Basel. Axpo-Deal habe Unabhängigkeit der Aussteller aufs Spiel gesetzt

 Patrick Marcolli

 Der Energiekonzern Axpo hatte in der Ausstellung "2 Grad" eine atomkritische Videopassage entfernen lassen. Die Rüge der Regierung ist pikant, ist doch das Präsidialdepartement selbst prominent im Trägerverein vertreten.

 Ungewöhnlich deutliche Worte sind es, die in der Regierungsantwort auf einen Vorstoss von Mirjam Ballmer (Grüne) zu lesen sind: "Der Regierungsrat zeigt sich erstaunt darüber, dass die Ausstellungsmacher im Bereich der Atomenergie diese Vereinbarung mit der Axpo abgeschlossen und damit ihre Unabhängigkeit aufs Spiel gesetzt haben." Sprich: Die Regierung goutiert die Vereinbarung zwischen den Machern der Ausstellung "2 Grad" und der Axpo nicht: Gemäss Vereinbarung mussten Texte zur Kernkraft, die in der Ausstellung vorkommen, zuerst mit dem Energiekonzern abgesprochen werden. Axpo ist einer der Sponsoren der Ausstellung und trägt gemäss Regierung zwei Prozent des Gesamtbudgets von 3,7 Millionen Franken, steuert also 74 000 Franken bei.

 Diese Vereinbarung brachte die Ausstellungsmacher aber in die Bredouille. Wie die BaZ Ende Dezember publik machte, hatte die Axpo interveniert und einen Satz aus einer Computergrafik entfernen lassen. Dort hatte es geheissen: "Uran ist eine begrenzte Ressource. Bei einem massiven Umstieg auf Atomkraft wären die Uranvorräte nach nur 18 Jahren verbraucht. Der radioaktive Abfall strahlt noch sehr lange und ein schwerer Unfall kann nie ausgeschlossen werden."

 keine intervention. Im Kontext der gesamten Ausstellung, die sich um das Klima der Erde dreht, bewertet die Regierung diese umstrittene Massnahme aber als nicht sehr gravierend: Alle zentralen Aussagen der Ausstellung seien bestehen geblieben. Es könne nicht die Rede davon sein, dass, wie es Ballmer formulierte, "der Inhalt der Ausstellung nachträglich bestimmt worden ist". Eine direkte Intervention bei den Ausstellungsmachern lehnt die Regierung "in Anbetracht der Geringfügigkeit des Eingriffs" ab.

 Eine solche Intervention wäre noch pikanter gewesen, als es die Rüge allein schon ist: Zum einen steuert der Kanton 300 000 Franken zur Ausstellung bei. Zum anderen ist er namhaft beteiligt am Trägerverein, der eigens gegründet wurde, um die Ausstellung nach Basel zu holen: Markus Ritter, engster Mitarbeiter von Regierungspräsident Guy Morin (Grüne), ist Vizepräsident des Vereinsvorstands.

 Grossrätin Ballmer liess gestern nach der Lektüre der Regierungsantwort verlauten, sie sei erstaunt über die Vereinbarung zwischen der Axpo und den Ausstellungsmachern und frage sich, ob noch andere solcher Abmachungen existierten. Die Ausstellungsmacher selbst wollten sich nicht mehr zu dieser Angelegenheit äussern. Sprecherin Jordy Haderek sagte der BaZ, man sei derzeit damit beschäftigt, den Besucheransturm - es handelt sich vor allem um Schulklassen - in den letzten Tagen der Ausstellung zu bewältigen. "2 Grad" ist noch bis am 20. Februar auf dem Dreispitzareal zu sehen.

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Bund 4.2.11

AKW MühlebergDer neuste Coup der Befürworter

 Mit Obama - aber ohne Bild

 Anfang Woche warben Zeitungsinserate mit dem früheren SP-Bundesrat Moritz Leuenberger für ein neues AKW in Mühleberg. In der Anzeige wurde ein altes Leuenberger-Zitat verwendet, in dem dieser die Haltung des Gesamtbundesrats zur Atomenergie darlegte. Illustriert war sie mit einem Bild, das den Politiker vor dem SP-Logo zeigte. Leuenberger reagierte erbost, er war vom Pro-Mühleberg-Komitee gar nicht angefragt worden. "Mangelnder Anstand", kommentierte der Alt-Bundesrat.

 Nun wirbt in neueren Zeitungsinseraten das Pro-Mühleberg-Komitee noch einmal mit einem Staatslenker - und der ist noch im Amt und erst noch viel prominenter als Leuenberger. Das Komitee zitiert Barack Obama mit einer atomenergiefreundlichen Aussage, illustriert dies aber nicht mit einem Obama-Bild, sondern, etwas verschämt, mit einem Bild des Weissen Hauses. Die AKW-Befürworter haben wohl befürchtet, dass es ihrer Kampagne doch etwas schaden könnte, wenn nach Leuenberger auch der amerikanische Präsident über seine Rolle als unfreiwilliger Werbebotschafter plötzlich motzen würde.(sw)

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Work 4.2.11

Solar-Firma wettet: Wir ersetzen Mühleberg durch Sonnenstrom

 Neues AKW wäre Milliarden-Flop

 Die Schlacht ums Atom beginnt am 13. Februar in Bern. Die Stromkonzerne wollen uns drei neue AKW hinstellen.

 DANIEL VONLANTHEN

 Schon mit 12 Jahren gründete Markus Gisler die Firma Megasol. Heute, kaum 30, fordert der Solar-Düsentrieb die Atomlobby heraus. Er schlägt dem Berner Stromkonzern BKW vor, den uralten Atommeiler Mühleberg durch Sonnenstrom zu ersetzen. Megasol will 16000 Dächer mit topmodernen Solarpanels ausrüsten. Denn: "Ein neues AKW ist eine milliardenschwere Fehlinvestition", sagt Gisler. Seine Mini-Solarkraftwerke für den Hausgebrauch liefern zusammen am Ende eine Spitzenleistung von 8000 Megawatt. Das AKW Mühleberg bringt es gerade auf 373 Megawatt.

 Gisler hat Referenzen. Mama Sarah, Grossmutter des US-Präsidenten Obama, produziert in Kenia Strom mit Megasol-Modulen. Bei Schanghai, in Ningbo, stellt Megasol Solarmodule neuester Bauart her. Megasol exportiert in 20 Länder. Jährlich wächst der Umsatz zwischen 30 und 60 Prozent.

 Dinosaurier-technologie

 Das Gesamtpaket der Megasol wäre nicht teurer als der Bau eines AKW: 13,8 Milliarden. Nur ohne Folgekosten wie beim Atomstrom. Und am Ende käme die Kilowattstunde Solarstrom auf vergleichbare 11 Rappen zu stehen.

 Die Offerte ist ein Donnerschlag in der Debatte um das AKW Mühleberg. Am 13. Februar richtet das Berner Stimmvolk über den Ersatz des Altreaktors. Die Wogen schlagen hoch. 2009 hatte sich der Kanton Waadt bereits gegen Mühleberg entschieden.

 Die Berner Abstimmung ist zwar unverbindlich. Doch sie eröffnet die grosse Schlacht um die Energiezukunft Schweiz. Seit 1988, als das Projekt für ein AKW in Kaiseraugst AG am Widerstand der Bevölkerung scheiterte, war die Dinosaurier-Technologie Atomstrom kein Thema mehr. Jetzt wollen die Atomstrom-Multis BKW, Axpo und Alpiq mindestens zwei, lieber drei neue Atommeiler bauen. Die Gesuche liegen beim Bundesrat. Economiesuisse-Chef Gerold Bührer diktierte Bundesrätin Doris Leuthard, die Meiler zu bewilligen.

 Pralle kriegskasse

 Voraussichtlich 2013 kommt die Sache vors Volk. Die Atomlobby setzt alles daran, das Atom-Revival durchzudrücken. Sie droht mit der "Stromlücke", wenn die alten Atomanlagen vom Netz genommen werden. Jetzt steht der teuerste Abstimmungskampf in der Geschichte bevor. Die Kriegskasse für Atomwerbung ist mit 30 Millionen Franken prall gefüllt. Das Volk finanziert indirekt via Stromtarife die eigene Manipulation mit. Die Stromkonzerne, Economiesuisse und die Bürgerlichen scharen sich um das Nuklearforum. Die Werbetrommel rührt die amerikanische PR-Agentur Burson-Marsteller, die auch schon Skandalunternehmen wie Exxon (Alaska-Ölpest) und den Chemiemultis der Bhopal-Katastrophe aus dem Dreck half.

 Klar, zeigte die BKW der Megasol die kalte Schulter. In Mühleberg will sie einen neuen, grösseren Atommeiler bauen, samt einem Zwischenlager für strahlenden Müll.

 Hauptargument der BKW: "Die Schweizer Wirtschaft braucht Energiepreise, die bezahlbar sind."

 Doch die Zeit arbeitet gegen die Atomkraft: Die Kosten für neue AKW steigen ins Unermessliche. Die Kurve der Energiepreise steigt steil an. Mit jedem Rappen verbessern sich die Marktchancen erneuerbarer Energien. Ein neues AKW lässt sich nicht in 15 Jahren bauen. Solarkraftwerke schon. Strom aus erneuerbaren Energien ist nicht nur ökologisch, sondern auch ökonomisch vorteilhaft. Voraussichtlich ab 2014 wird der Strommarkt in der Schweiz komplett liberalisiert. Dann werden wir den Versorger frei wählen können. Die Folge: Axpo, Alpiq und BKW bleiben auf ihrem Atomstrom sitzen. Schweizer Städte wie Basel, Bern, Zürich, Genf und St.Gallen haben die Abkehr vom Atomstrom beschlossen.

 viele neue jobs

 Megasol ist, gemeinsam mit 60 andern KMU, Mitglied der Gruppe "Neue Energie Bern". Sie setzen ganz auf Energieeffizienz und erneuerbare Energien und lehnen den Bau neuer AKW ab. Letztes Jahr schufen die Firmen zusammen über 160 neue Arbeitsplätze. Der Megasol-Pionier blickt zuversichtlich in die Zukunft. Gisler: "Wenn die BKW nicht auf unser Angebot einsteigt, suchen wir andere Trägerschaften."

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 Die kleinen Dreckeleien der AKW-Lobby

 Genosse Atom

 Wie arrogant und dreist die millionenschwere Atomlobby agiert, kann man im Abstimmungskampf um das AKW Mühleberg wieder einmal besichtigen. Für ein Inserat bot sie alt Bundesrat rat Moritz Leuenberger auf. Nur: Leuenberger wusste nichts davon. Und hinter Leuenberger prangt das SPSignet. Signet. Doch die SP kämpft gegen Mühleberg und hat eine Initiative für "100000 neue Arbeitsplätze dank erneuerbaren Energien" gestartet.

 Pro-Atom-Sprüche. Dumm nur, können sich die Atomstromer für ihre kleinen Dreckeleien damit herausreden, dass die radioaktive Lobby einige Sozis in ihren Reihen hat. Etwa den früheren Direktor des Bundesamtes für Energie, Eduard Kiener, oder den Berner Grossrat Markus Meyer. Leuenberger selbst hat gerne mit Pro-Atom-Sprüchen provoziert. Und als Verwaltungsrat des Baukonzerns Implenia wird er sich kaum dagegen wehren, wenn in Mühleberg ein paar Millionen Kubikmeter Beton verbaut werden.

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Energiespezialist und Ökonom Ruedi Rechsteiner warnt:

 "Die Atomlobby agiert wie eine Sekte"

 Die Atomlobby würde Solarstrom sogar ablehnen, wenn er gratis wäre. Es gehe ihr nur um die Pro-Atom-Ideologie.

 Daniel Vonlanthen

 work: Die Abstimmung in Bern eröffnet die grosse Atomdebatte. Herr Rechsteiner, wer gewinnt?

 Rudolf Rechsteiner: Alle Argumente sind auf unserer Seite. Windenergie ist heute die günstigste Stromerzeugungstechnik überhaupt. Solarenergie wird in drei bis fünf Jahren wettbewerbsfähig sein. Der Zug fährt in Richtung erneuerbare Energien. Doch der Abstimmungskampf in Bern ist gezinkt. Die BKW als Staatsunternehmen wendet Millionen auf und sponsert alle Parteien, die sich für Atomkraft einsetzen. Sie kauft Politiker und Gemeinden.

 Das vergiftet das Klima und verfälscht den Volkswillen.

 Weshalb ist der Entscheid so wichtig?

 Weil wir den Franken nur einmal ausgeben können. Wenn neue AKW gebaut werden, sind die Stromnetze verstopft, und die Solarenergie hat hierzulande keine Zukunft mehr. Man kann nicht AKW bauen und zugleich erneuerbare Energien fördern. Es gibt kein Miteinander.

 Die Atomlobby will ihre Versorgungsmacht nicht preisgeben?

 Genau. Ein Bauer, der selber Strom auf dem Dach produziert, ist für die BKW unerwünschte Konkurrenz. Deshalb baut die BKW nur eigene Solarkraftwerke wie jenes auf dem Stade de Suisse und bekämpft die Schaffung von fairen Vergütungen für dezentrale Eigenerzeuger. Mit solchen Prestigeobjekten kann sie sich erst noch ein grünes Mäntelchen umhängen.

 Ist das Angebot der Megasol realistisch?

 Unbedingt. Endlich geht eine Firma in die Offensive und zeigt, was nun möglich ist.

 Viele Solarunternehmen wirken passiv. Warum?

 Ich habe mich auch schon gefragt, ob diese Unternehmen eigentlich merken, dass es jetzt um die Wurst geht. Für die Abstimmung im Kanton Bern haben einzelne Firmen 10000 Franken gespendet. So gewinnt man nicht, denn die BKW scheut keinen Aufwand. Eine Firma wie Meyer Burger müsste jetzt zwei oder drei Millionen Franken auf den Tisch legen und sagen: Diesen Match wollen wir unbedingt gewinnen, denn es geht um die Zukunft der Solarenergie. Schweizer Dächer können mehr Strom erzeugen als alle Atomkraftwerke zusammen.

 Wo stehen die Hauseigentümer?

 Bei den Hauseigentümern ist das Bewusstsein zum Teil schon da. Das zeigt ja die lange Warteliste mit 10000 Gesuchen für neue Solarstromanlagen. Wären die Einspeisevergütungen nicht gedeckelt, könnten wir jährlich 20000 bis 30000 Solaranlagen montieren.

 Entscheidet nicht der Markt?

 Nein, denn der Markt ist verfälscht. Die Atomlobby zahlt keine Haftpflichtversicherung und schiebt ihre Abfälle der Eidgenossenschaft unter. Die Atombranche agiert wie eine Sekte und ist bereit, Milliardendefizite in Kauf zu nehmen. Die Axpo würde auch dann keine Solarenergie einkaufen, wenn sie gratis wäre. Die Pro-Atom-Ideologie dominiert alle Überlegungen. Ein neues AKW Mühleberg oder Beznau wird bei heutigen Strompreisen 400 bis 500 Millionen Defizit pro Jahr verursachen. Die Kosten für Atomabfälle, Haftpflichtversicherung und Endlagerung nicht eingerechnet.

 Bringt die Strommarktliberalisierung den Durchbruch?

 Die Liberalisierung begünstigt erneuerbare Energien. Die BKW wird Mühe bekommen, ihren teuren und verpönten Atomstrom zu verkaufen. In Europa gilt der offene Markt. Alle, auch Sie und ich, haben ein Transportrecht auf den offenen Netzen und können billigen Windstrom von der Nordsee holen.

 Ruedi Rechsteiner, 53, ist Ökonom und Energieexperte. Der frühere Nationalrat ist der Vater der SP-Cleantech-Initiative.

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Oltner Tagblatt 4.2.11

Niederamt

 Fairen Ausgleich im Richtplan festhalten

 Winznau Der Gemeinderat führt Beschwerde gegen den Einwendungsbericht zur Anpassung des kantonalen Richtplanes "Neues Kernkraftwerk Niederamt" (KKN).

 Nach Kenntnisnahme des jetzt vorliegenden Einwendungsberichtes zur Anpassung des kantonalen Richtplanes "Neues Kernkraftwerk Niederamt" (KKN) hat der Gemeinderat Winznau Beschwerde eingereicht. Er verlangt, dass die Richtplananpassung in der vorliegenden Form nicht genehmigt wird, und fordert deren Überarbeitung sowie die Aufnahme verbindlicher Klauseln beispielsweise betreffend Uferschutzzone, betreffend Fruchtfolgeflächen, betreffend Dauer des Parallelbetriebs von KKW und KKN, betreffend Zwischenlagerung radioaktiver Abfälle und betreffend Abgeltungen.

 Interessen wahren

 Mit Schreiben vom 1. Juli 2010 hatte der Winznauer Gemeinderat dem Bau- und Justizdepartement seine Einwendungen zum Anpassungsentwurf des kantonalen Richtplanes mitgeteilt. Die Einwendungen hatten sich vornehmlich auf raumrelevante Fragen betreffend Vorranggebiet Natur und Landschaft, auf die Problematik der Kompensation von Fruchtfolgeflächen sowie auf die zu erwartenden entwicklungsrelevanten Wirkungen von kerntechnischen Anlagen und deren Abgeltungen im Sinne eines fairen Ausgleichs bezogen. Der jetzt vorliegende Einwendungsbericht trägt den vor einem halben Jahr vorgebrachten Einwendungen nicht oder nicht ausreichend Rechnung, sodass sich der Gemeinderat entschloss, beim Regierungsrat Beschwerde gemäss Paragraf 64 des Planungs- und Baugesetzes zu führen.

 Der Rat legt Wert auf die Feststellung, dass es sich dabei nicht um die Manifestation einer Fundamentalopposition gegen die Nutzung von Kernenergie handle. Der Gemeinderat weist aber ebenso unmissverständlich darauf hin, dass aus seiner Sicht mit der jetzt vorliegenden Fassung der Richtplananpassung zum Projekt Neues Kernkraftwerk Niederamt die Interessen der Gemeinde Winznau insbesondere mit Blick auf ihre weiteren Entwicklungschancen nicht in hinlänglicher Form gewahrt sind.

 KKN - nomen est omen

 Der Gemeinderat unterstreicht in seiner Beschwerde erneut, dass das geplante Kernkraftwerk "Niederamt" bereits in seinem Namen die regionale Bedeutung vermittle und ebenso, dass die Auswirkungen von Bau und Betrieb regional deutlich spürbar sein würden. Diesem Umstand müsse im Richtplan Rechnung getragen werden. Weiter erachtet der Rat Abgeltungen respektive deren Regelung in der Region mittel- und langfristig grundsätzlich als entwicklungswirksame und damit als zumindest indirekt raumrelevante Faktoren. Folgerichtig verlangt der Rat die verbindliche Festhaltung von Ausgleichsmechanismen im Richtplan.

 Im Prinzip hält der Rat an der Philosophie seiner im Sommer vorgebrachten Einwendungen fest und verlangt, dass auf Stufe Richtplan in verbindlicher Form alles festgehalten werden müsse, was geeignet sei, die durch das Projekt Neues Kernkraftwerk Niederamt zu erwartende Bevorteilung beziehungsweise Benachteiligung der einzelnen Niederämter Gemeinden auszugleichen respektive abzufedern. Die Überwindung der seit Jahrzehnten im Niederamt zu beobachtende Asymmetrie in der Verteilung kernkraftwerkbezogener, respektive kernkraftwerkbedingter Nutzen und Lasten sieht der Winznauer Gemeinderat als eine wichtige Grundvoraussetzung für eine positive Entwicklung des Niederamts als Region mit eigener Identität.

 Öffentlich - nicht öffentlich

 Der Gemeinderat fasste Beschluss betreffend öffentliche beziehungsweise nichtöffentliche Behandlung von Geschäften. Es wird nach den Bestimmungen des Gemeindegesetzes und des Informations- und Datenschutzgesetzes vorgegangen. So wird auch weiterhin an der bisherigen Praxis festgehalten und insbesondere bei der Behandlung von Personal- und Schülerangelegenheiten sowie bei Geschäften, die Berufs-, Geschäfts- und Fabrikationsgeheimnisse oder die Privatsphäre betreffen, zur Wahrung von schützenswerten privaten Interessen die Öffentlichkeit ausgeschlossen. Ebenso wird bei der Behandlung von Geschäften, bei denen das Steuergeheimnis, das Submissionsgeheimnis, die Schweigepflicht im Bereich Sozialversicherung sowie das Amtsgeheimnis tangieren, unter Einhaltung der jeweiligen gesetzlichen Bestimmungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit beraten. (msw)

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 Einzonungsgesuch erhalten

 Die gegenwärtig starke Nachfrage nach verfügbarem Bauland hält weiter an. Der Gemeinderat nahm den Eingang eines Einzonungsgesuches im Bereich Burmatt/Loch/ Laudelen zur Kenntnis. Das Gesuch beantragt eine aus Sicht der Grundeigentümer sinnvolle Arrondierung und Erweiterung der bestehenden Bauzone W2 und macht einen konkreten Erschliessungsvorschlag. Der Gemeinderat beauftragte die Planungskommission mit den sachrelevanten Abklärungen. (msw)

 Studie In Richtplan einfliessen lassen

 Der Winznauer Gemeinderat hält in seiner Beschwerde auch fest, dass es aus seiner Sicht zwingend erforderlich sei, die Ergebnisse beziehungsweise Erkenntnisse der von der Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) in Auftrag gegebenen sozioökonomischen Studie in geeigneter Weise in die Richtplananpassung betreffend Neues Kernkraftwerk Niederamt einfliessen zu lassen. Ohne die Berücksichtigung der in der Studie zu Tage geförderten Fakten sei eine Interessenabwägung insbesondere in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt nicht möglich. (msw)

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Niederamt
 Beschwerde gegen Richtplananpassung

 Starrkirch-Wil Der Gemeinderat ist mit der Antwort des Kantons nicht einverstanden

 Von Beat Gradwohl

 Im Juni 2010 konnte sich der Gemeinderat zur vorgesehenen Anpassung des Kantonalen Richtplanes "Neues Kernkraftwerk Niederamt" (KKN) äussern; Mitte letzten Jahres lag die Richtplananpassung öffentlich auf. Er tat dies auch und verlangte, dass ein allfälliger Parallelbetrieb des bestehenden Kernkraftwerkes (KKG) und eines allfälligen neuen Kernkraftwerkes (KKN) auf maximal fünf Jahre zu beschränken sei. Begründet wurde diese Einsprache mit folgenden Punkten:

 · Erhöhtes Risiko bei zwei parallel laufenden Kernkraftwerken.

 · Klimatische Auswirkungen auf das Mikroklima.

 · Möglichst rasche Wiederherstellung an das ursprüngliche Landschaftsbild (Wegfall des grossen Kühlturms).

 Mit Begründung nicht zufrieden

 Kürzlich erhielt der Gemeinderat nun vom Bau- und Justizdepartement den Einwendungsbericht. Darin wird die seinerzeitige Einwendung des Gemeinderates Starrkirch-Wil zur Beschränkung des Doppelbetriebs lapidar beantwortet: "Der Doppelbetrieb KKG und KKN dauert so lange, wie die sicherheitstechnischen Anforderungen an das KKG gewährt sind. Dies wird voraussichtlich bis 2039 der Fall sein".

 Allein schon diese Begründung vermochte den Gemeinderat nicht zu befriedigen. Dazu kamen noch die Ergebnisse einer Studie über die sozioökonomischen Auswirkungen der kerntechnischen Anlagen im Niederamt, welche die Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) hatte ausarbeiten lassen und die kürzlich ebenfalls erschien (vergleiche OT vom vergangenen Freitag). Die Studie befasst sich, nebst einer Reihe von verschiedenen anderen interessanten Punkten, unter anderem auch mit dem Umstand eines Parallelbetriebes von zwei Kernkraftwerken im Niederamt.

 Doppelbetrieb wird abgelehnt

 In der Studie wird zur Frage des geplanten Doppelbetriebes KKG und KKN während 15 bis 20 Jahren aufgezeigt, dass mit Ausnahme der Gemeinden Däniken und Eppenberg-Wöschnau nur eine Minderheit einen Doppelbetrieb befürwortet. Analog zu den 81 befragten Personen in Starrkirch-Wil lehnt somit die Mehrheit der Niederämter Bevölkerung einen Doppelbetrieb von zwei Kernkraftwerken ab.

 Störend empfindet es der Gemeinderat auch, dass diese sozioökonomische Studie dem Bau- und Justizdepartement seit Anfang Januar 2011 vorlag, auf deren Inhalt jedoch im Einwendungsbericht in keiner Art und Weise eingegangen wurde. Unverständlich ist dies zudem, weil im Einwendungsbericht festgehalten wird, dass das Richtplanverfahren dem Kanton eine Gelegenheit bietet, sich zu positionieren und seine raumplanerischen und sozioökonomischen Anliegen an ein Kernkraftwerkprojekt zuhanden des Bundes darzulegen.

 Die Gemeinde Starrkirch-Wil verlangt deshalb in der Beschwerde an den Regierungsrat, dass bei der Frage zum Doppelbetrieb nicht nur lapidar auf die sicherheitstechnischen Anforderungen des KKG verwiesen wird, sondern dass ein allfälliger Doppelbetrieb von KKG und KKN zeitlich auf maximal fünf Jahre beschränkt wird und auf die Ergebnisse der sozioökonomischen Studie Rücksicht genommen wird. Das kann zur Folge haben, dass das KKG vorzeitig abgestellt werden muss oder aber mit dem Bau eines allfälligen KKN erst Ende der 2020er-Jahre begonnen werden darf.

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Basler Zeitung 4.2.11

Die Niederämter sind gegen ein Atommülllager

 Die Zurückhaltung der Gemeinden zwischen Aarau und Olten könnte den Bözberg zum Favoriten machen
 
Franziska Laur

 Vier Fünftel der Niederämter Haushalte sind gemäss einer Studie der Gemeinden gegen ein Endlager in ihrer Region. Die Fricktaler Atom-Gegner fürchten nun, aus politischen Gründen zum bevorzugten Standort zu werden.

 "Demokratisch gesehen ist das Endlager tot" - dieses Fazit zieht der Verein Niederamt ohne Endlager (NoE) nach der Auswertung einer Studie, die von den Gemeindepräsidenten in Auftrag gegeben worden war. 15 Gemeinden mit 32 800 Einwohnern zwischen Aarau und Olten haben an der Befragung teilgenommen. Die meisten von ihnen wehren sich entschieden gegen ein Atommülllager. "Vier der fünf befragten Haushalte sind gegen ein Endlager", sagt Urs Huber, Solothurner Kantonsrat und Präsident des Vereins NoE.

 Jeder zehnte Haushalt wurde befragt, und die Resultate lassen an Deutlichkeit nicht zu wünschen übrig. 71 Prozent der Befragten sind negativ oder sehr negativ zu den Endlagerplänen eingestellt. Nur 15 Prozent können sich ein Endlager vorstellen. Noch extremer sind die Werte bei der Frage auf die Image-Wirkung eines solchen Lagers auf die Region. 84 Prozent sehen dies negativ oder sehr negativ, nur sieben Prozent können sich eine positive Wirkung vorstellen. Wie Urs Huber weiter sagt, seien nicht einmal die Pläne für ein zweites Kernkraftwerk als Parallelbetrieb zu Gösgen akzeptiert. "Die Region hat eindeutig genug davon, alle Atomlasten tragen zu müssen." Dies sagen allerdings auch die Aargauer. Die Regierung argumentiert, mit dem Zwischenlager für Atommüll in Würenlingen und den drei AKW-Standorten Leibstadt sowie Beznau I und II habe man genug Lasten zu tragen.

 Doch die Bözberg-Gemeinderäte äusserten ihre Meinung bis anhin nicht so dezidiert wie die Niederämter. "An allen anderen potenziellen Standorten zeigt sich Widerstand - ausser in der Region Bözberg", sagt Elisabeth Burgener aus Gipf-Oberfrick, Vorstandsmitglied des Vereins Kaib ("Kein Atommüll im Bözberg") und SP-Grossrätin. Sie sieht die Gefahr, dass der Bözberg schon nur aufgrund des fehlenden Widerstands als Favorit unter den potenziellen Endlager-Standorten gilt. Viele der meist finanziell schlecht dastehenden Gemeinden rund um den Bözberg erhoffen sich mehr Arbeitsplätze und Steuereinnahmen durch ein Endlager.

 Angst um Thermalquellen

Inzwischen hat sich allerdings die Euphorie über diesen "idealen" Standort auch unter Fachleuten etwas gelegt. Die Schweizerische Energiestiftung zeigte kürzlich auf, dass selbst die Nagra die Opalinustonschichten, die heute als geeignet klassifiziert werden, vor Jahren als zu wenig mächtig einstufte. Ein grosser Gegner des Endlagers im Bözberg ist Oskar Baldinger aus Umiken. Der pensionierte Ingenieur hat die Webseite geotherma.ch eingerichtet, welche vor möglichen Folgen für die Region warnt. In düsteren Worten prophezeit er das Ende der Thermalquellen-Produktion und das Aus für die Nutzung geothermischer Energie rund um den Bözberg, falls das Endlager gebaut werde.

 Differenzierter sieht dies Marco Buser, Umweltgeologe und Verfasser einer Studie zur Markierung eines Endlagers. Die Thermalaufstösse seien für ein potenzielles Endlagergebiet tatsächlich eine Hypothek, sagt er. Für seinen Geschmack handeln Nagra wie Bund in ihrem Eifer zur Partizipation voreilig. "Da scheucht man die Leute auf und mindestens für einige Standorte ist das dann vergebens", sagt er. Seiner Ansicht nach müsste man zuerst die verschiedenen Standorte untersuchen, Varianten auswählen und erst danach die Bevölkerung im Partizipationsverfahren einbeziehen.

 "Bevor die geeigneten Standorte gewählt werden und ein schein-partizipatives Mitspracheverfahren aufgegleist wird, müssen offene Fragen beantwortet werden", sagen auch die Vertreter des Vereins Kaib.

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swissinfo.ch 3.2.11

Mühlebergs Arrangement mit dem AKW

swissinfo

 Das 40-jährige Atomkraftwerk Mühleberg soll durch ein neues ersetzt werden. Die Gemeinde Mühleberg scheint sich mit dem Werk arrangiert zu haben. Doch es gibt auch kritische Stimmen. Dennoch will sich niemand so richtig exponieren. Ein Besuch vor Ort.

 In Mühleberg Dorf im Westen der Hauptstadt Bern hängt weit und breit kein einziges Plakat zur bevorstehenden Abstimmung.   Auch das Atomkraftwerk selber, über dessen Ersatz am 13. Februar im Kanton Bern abgestimmt wird, sieht man nicht. Es liegt gut versteckt rund drei Kilometer entfernt am Wohlensee.   Dass sie das Werk nicht ständig vor Augen haben, scheint den Dorfbewohnerinnen und -bewohnern nur recht zu sein. Im Restaurant Traube jedenfalls sind die lokalen Gäste des Themas müde und beantworten die Fragen bezüglich Abstimmung und AKW mit Skepsis.   "Klar ist das AKW bei uns auch Thema, aber nicht mehr so sehr wie früher", sagt die Wirtin. Angst habe sie keine. "Wenn's polet, de polet's." Will heissen: wenn es kracht, dann kracht es halt.   Das Dorf sei in zwei Lager gespalten, meint eine Frau am Tisch. Für sie sei das AKW kein Problem. "Je nachdem, woher der Wind kommt, wären wir sogar weniger gefährdet als andere", meint sie. Und damit ist das Thema erledigt.

 Der Realist

 "Organisierten Widerstand gibt es hier nicht. Der Grossteil der Gemeinde akzeptiert das AKW und hat sich daran gewöhnt, wir kennen die Leute, die dort arbeiten, haben Vertrauen. Nie gab es Vorfälle oder Alarm. Es ist dort und läuft und läuft", sagt Gemeindepräsident Kurt Herren von der rechtskonservativen Schweizerischen Volkspartei.   Bis zu seiner Pensionierung 2001 war er Pilot bei der Swissair. Zur Zeit ist Herren ein gefragter Mann. Die Journalisten geben sich im Gemeindehaus die Klinke in die Hand. Herrens Arbeitspensum ist von 25 auf 70 Prozent angestiegen.   Wohl zum x-ten Mal erläutert der Gemeindepräsident, wieso die Schweiz auf Atomenergie angewiesen sei: "Wir müssen die Energiesicherheit gewährleisten. Da die alten AKW vom Netz gehen und die Lieferverträge mit Frankreich bald wegfallen, braucht es neue AKW."   Er sei ein Befürworter erneuerbarer Energien, fahre ein Hybrid-Auto und habe zu Hause eine Erdsonde installiert. "Aber ich bin auch Realist. In den nächsten 50 Jahren kann die Atomenergie nicht durch erneuerbare Energien ersetzt werden, das ist eine Illusion." Man solle jedoch nicht das eine gegen das andere ausspielen. Im Moment brauche es beide Energiearten.   In der SVP-dominierten Gemeinde Mühleberg, die aus 13 Dörfern besteht, leben knapp 3000 Personen. 50 bis 60 von ihnen arbeiten im AKW, das der Gemeinde beträchtliche Steuereinnahmen beschert. Laut einer Umfrage von 2009 stehen 62% hinter einem neuen Kraftwerk.

 Es geht ums Geld

 Diese Zahlen bezweifelt Beat Gerber. Er wohnt seit 21 Jahren im alten Dorfkern von Mühleberg und ist Zentralsekretär der Schweizerischen Vereinigung für Sonnenenergie SSES. "Die Studie war klar getürkt. In der von den Bernischen Kraftwerken BKW in Auftrag gegebenen Umfrage wurden gezielt Pro-Leute gesucht."   Aber auch der Atomkraftkritiker hat sich ein Stück weit mit dem AKW arrangiert, denn mit den Nachbarn will man es sich nicht verderben. "Man weiss in der dörflichen Struktur, wer wo steht und wer im AKW arbeitet. Einzelpersonen wollen sich hier nicht exponieren."   Mit dem Produkt Energie wird laut Gerber zu wenig haushälterisch umgegangen, "weil gewisse Kreise Interesse daran haben, möglichst viel Strom zu verkaufen".   Er ist überzeugt, dass mit Massnahmen bei der Energieeffizienz, strengeren Bauvorschriften und der Förderung erneuerbarer Energien die Atomenergie abgelöst werden könnte. "Das muss ja nicht von einem Tag auf den anderen geschehen, sondern kontinuierlich."

 Atomare Strahlen

 Die Gefahr eines möglichen Unfalls im Atomkraftwerk ist im Dorf kein Thema. Beat Gerber spricht von einem Verdrängungs-Mechanismus. Mehr Gedanken machten sich einige Leute über die Häufung von Krebserkrankungen in der Nähe von Atomkraftwerken und sammelten Daten.   Für den Gemeindepräsidenten sind solche Ängste und Behauptungen unbegründet, entsprechende Studien aus Deutschland findet er "unseriös und wenig aussagekräftig".   Die Strahlung in der Umgebung des AKW sei geringer als die natürliche Strahlung. "Und ich als Pilot habe sicher mehr Strahlendosis erwischt als jeder Einwohner in Mühleberg."   Auch wenn es keine hundertprozentige Sicherheit gebe, legt er für sein Werk die Hand ins Feuer: "Ich bin bei der jährlichen Revision jeweils dabei, da wird jeder cm2 untersucht. Zudem fliegt ein AKW nicht plötzlich in die Luft. Es gibt eine Vorwarnzeit."   Beat Gerber, der Sonnenenergie-Experte, ist da vorsichtiger. "Ich halte mich an Albert Einstein, der gesagt hat, dass die Atomenergie die Menschheit überfordern werde." Noch nie sei zum Beispiel ein stillgelegtes AKW zurückgebaut worden, es fehle der Erfahrungswert. Die Überforderung zeige sich auch bei der ungelösten Endlagerung radioaktiver Abfälle.

 Atommüll

 Auch dieses Problem ist für den Gemeindepräsidenten lösbar. Er jedenfalls würde lieber neben einem Endlager für hochradioaktive Abfälle wohnen als neben einem Chemiewerk in Basel, betont er gegenüber swissinfo.ch.   Den Atommüll soll Mühleberg auf dem eigenen Boden lagern, sagt Christian Minder. Der Bauer aus der Nachbargemeinde Frauenkapplen ist wütend: Sollte ein neues AKW gebaut werden, möchten die Betreiber auf seinem Boden eine Container-Siedlung für 1700 Arbeiter errichten. Die Bauzeit dürfte 10 bis 12 Jahre dauern.   "Die BKW wollen eine temporäre Umzonung des Kulturlandes beantragen. Damit bin nicht einverstanden." Minder, der etwa gleich alt ist wie das AKW Mühleberg, das gut zwei Kilometer von seinem Hof entfernt liegt, will weder Container, noch Parkplätze noch mehr Verkehr auf seinem Ackerland. "Ich denke langfristig und produziere nachhaltig. Dieses Projekt wäre einschneidend für das Geschäft und unsere Lebensqualität."   Das AKW war für ihn bislang normal wie "der Stausee, die Hochspannungsleitung, die Kehrichtdeponie. Ich habe auch nicht Angst. Jetzt aber bin ich konfrontiert und kritischer geworden".   Die Milliardenbeträge, die für den Bau neuer AKW nötig wären, würde man seiner Ansicht nach besser in erneuerbare Energien investieren. "Es geht nicht, dass eine Generation sich bereichert und den nächsten 4000 Generationen diese Hypothek hinterlässt."

 Gaby Ochsenbein,swissinfo.chMühleberg

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Bund 3.2.11

"Mühleberg II würde Bauern Einkommenschance verbauen"

 Erneuerbare Energien seien eine grosse Zukunftschance für die Landwirtschaft, argumentiert ein Bauernkomitee gegen Mühleberg II.

 Auf dem Dach des Biobauernhofs Bützenmatte in der Gemeinde Wohlen steht eine Solaranlage, die Strom für gut ein Dutzend Haushalte produziert. Bauernhaus und Stöckli werden mit Holz beheizt. Gemeinsam mit rund dreissig Bauernfamilien wehren sich die Eigentümer Kaspar Herrmann und Maria Salzmann gegen ein neues Atomkraftwerk in Mühleberg.

 "Wer für weitere 80 Jahre auf Atomtechnologie setzen will, wird den erneuerbaren Energien den Wind aus Segeln nehmen", betonte gestern das Komitee "Berner Landwirtschaft für erneuerbare Energien und gegen Mühleberg II" an einer Medienkonferenz. "Damit würde der Landwirtschaft eine grosse Einkommenschance verbaut." Deren Potenzial für die Stromversorgung sei vor allem bei Biomasse, Fotovoltaik und Windkraft bei weitem nicht ausgeschöpft, meinte Meisterlandwirt Beat Hänni aus Kirchlindach. "Viele landwirtschaftliche Bauten haben grosse Dachflächen mit südlicher Neigung und eignen sich ganz besonders für Solaranlagen zur Stromproduktion."

 "Unfall träfe Landwirtschaft"

 Bei einem AKW-Unfall wäre die Landwirtschaft besonders betroffen, sagte Hänni. Zum Zeitpunkt des Reaktorunfalls in Tschernobyl sei er ein junger Bauer gewesen. "Ich erinnere mich sehr genau daran, dass zum Beispiel Gemüse, Salate und Ziegenkäse nicht mehr verkauft werden konnten. Schon damals hat niemand die Schäden übernommen." Laut seiner Frau, der grünen Grossrätin und Biobäuerin Kathy Hänni, will das Komitee auch ein Gegengewicht zur "einseitigen Positionierung" des bernischen Landwirtschaftsverbands Lobag sein, der zu Mühleberg II die Ja-Parole beschlossen hat.(st)

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WoZ 3.2.11

AKW-Abstimmung in Bern

 "Leukämie tut weh, wahnsinnig weh"

 Am 13. Februar wird die Bevölkerung des Kantons Bern zum allfälligen Neubau des Atomkraftwerks Mühleberg befragt. Annette Ridolfi, die während fast zwanzig Jahren im Berner Inselspital krebskranke Kinder behandelt hat, wehrt sich vehement gegen die Nutzung der Atomkraft, weil radioaktive Strahlung das Erbgut schädigt und Krebs verursacht.

 Von Susan Boos (Text) UND URSULA HÄNE (Foto)

 Was war die schlimmste Geschichte? Annette Ridolfi zögert. In ihrem Berufsleben sah sie viele schlimme Schicksale, wobei "schlimm" das falsche Wort ist, "traurig" würde es eher treffen. Dann erzählt Ridolfi von einem Jungen, der drei Jahre alt war, als er zu ihr ins Spital kam - Diagnose: Leukämie. Der Junge genas, dann kam ein Rückfall, es folgte die nächste Behandlung, die nächste Krise, die nächste Behandlung. Der Junge kämpfte, die Mutter kämpfte. Irgendwann schien der Junge über den Berg zu sein, dann erneut ein Rückschlag, Diagnose Hodgkin-Lymphom, der Junge starb, da war er grad mal zwanzig Jahre alt. "Eine so lange Leidensgeschichte, grauenhaft", sagt Ridolfi.

 "Warum haben wir nicht aufgehört?"

 Fast zwanzig Jahre lang arbeitete Annette Ridolfi als leitende Ärztin und Kinderonkologin am Inselspital Bern. Vielen Eltern muss te sie sagen, ihr Kind habe Leukämie. "Die ersten Fragen waren immer: ‹Woher kommt das?› und ‹Hat es etwas mit Atomkraftwerken zu tun?›" In den achtziger Jahren antwortete Ridolfi den Eltern, es gebe den Verdacht, dass radioaktive Strahlung eine Ursache sein könne, doch beweisen lasse es sich nicht.

 Heute aber gebe es die Beweise, sagt Ridolfi. Damals kannte man zwei verschiedene Leukämieformen und wusste wenig über die Therapie. Man behandelte die Kinder, die einen wurden gesund, die anderen starben, niemand wusste, weshalb. Bis erste Forschungsresultate zeigten, dass sich die Leukämievarianten auf der Chromosomen ebene unterscheiden. Es gibt im Erbgut der Blutzellen einen Defekt, der dazu führt, dass die Zellen nicht mehr tun, was sie tun sollten. "Wir haben den Beweis, dass radioaktive Strahlung Veränderungen in den Genen der Chromosomen auslöst. Je nachdem, welche Gene betroffen sind, ist eine Leukämie besser oder nur sehr schwer zu behandeln."

 Wenn es um Atomkraft geht, wird Ridolfi ungehalten: "Schon seit den Atombombenabwürfen von Hiroshima und Nagasaki ist bekannt, dass radioaktive Strahlung Leukämien und bösartige Tumore verursacht." Die Strahlung schädige das Erbgut, das führe zu Krebserkrankungen. "Unsere Kinder werden einmal fragen, warum wir nicht damit aufgehört haben, obwohl wir wussten, was es anrichtet."

 Ridolfi wuchs im Kleinbasel auf. Ihr Grossvater stammte aus Italien, konnte weder lesen noch schreiben. Ihr Vater war Maurer, las Tols toi, Marx und Engels. Ihre Mutter arbeitete als Schneiderin. Ridolfi studierte, auch wenn ihre Mutter befürchtete, sie würde das nicht durchhalten.

 Ridolfi ist Mutter zweier Töchter. Ihr Mann arbeitete als Werbefotograf und kümmerte sich um Kinder und Haushalt. Sie arbeitete voll im Spital, oft auch an Wochenenden oder nachts, wann immer die kleinen Kranken sie brauchten, war sie da.

 In Ridolfis Lehrbuch stand noch: Leukämie ist nicht heilbar. Sie hat das Lehrbuch aufbewahrt, als Erinnerung an die Zeit, in der ihr die Kinder unter den Händen wegstarben. Heute können acht von zehn Kindern geheilt werden, sagt sie. Sie hat hart dafür gearbeitet und bei Dutzenden von Behandlungsprotokollen mitgewirkt, immer auf der Suche nach einer noch besseren Therapie. Heute unterscheidet man viele verschiedene Leukämievarianten und kann sie gezielt behandeln, womit die Heilungschancen stark gestiegen sind. Doch die Angst bleibt. Manchmal entwickeln die Kinder nach einer erfolgreichen Behandlung auch einen Zweittumor, der vielleicht durch die erste Behandlung ausgelöst wurde.

 "Leukämie tut weh, wahnsinnig weh", sagt Ridolfi. Es tut so weh, wie wenn einem alle paar Sekunden heftig gegen das Schienbein getreten wird. Früher bekamen Kinder kein Morphin oder erst, wenn sie rettungslos verloren waren. Man glaubte, die Kleinen würden abhängig. Die Kinder schrien tagelang, weil die herkömmlichen Schmerzmittel nicht halfen. Das ist heute zum Glück nicht mehr so.

 Einmal hätte Ridolfi fast ihren Job verloren. Im Herbst 1990 stand die Abstimmung über die Ausstiegs- und Moratoriumsinitiative bevor. Ridolfi gehörte schon damals der Vereinigung der ÄrztInnen gegen Atomkrieg (IPPNW/PSR) an, die die Initiativen unterstützten. Die Onkologin wollte, dass die Eltern ihrer PatientInnen wussten, worum es ging, und organisierte eine Informationsveranstaltung. Sie mietete im Spital einen Raum und verschickte in Spitalcouverts Einladungen sowie Informationsmaterial.

 Dummerweise kam ein Brief zurück - er ging aber nicht direkt zu ihr, sondern zur Direktion. Der Direktor war ausser sich, weil es nicht angehe, dass Ridolfi im Namen des Spitals Propaganda betreibe. Am liebsten hätte er sie gefeuert: "Was nicht passiert ist, weil sie mich wirklich brauchten", sagt Ridolfi.

 Ein vergnügter Zug

 Die Informationsveranstaltung kam trotzdem zustande. Die Eltern waren aufgewühlt, als sie hörten, welche Gefahren Atomkraft mit sich bringt. Eine Mutter fand, sie müssten mit den Kindern demonstrieren. Ridolfi versuchte es ihr auszureden, doch die Eltern wollten partout auf die Strasse. Am Abend des 14. Septembers 1990 fand dann die wohl eigentümlichste Demonstration statt, die Bern je gesehen hat. Kinder ohne Haare, in Rollstühlen und mit Infusionsständern hielten Lampions, an der Spitze des Zuges trugen sie eine grosse Sonnenlaterne. Eltern und ÄrztInnen in weissen Kitteln marschierten mit und trugen Plakate, auf denen sie für die Initiativen warben. Ein vergnügter Zug, aber keine Zeitung berichtete darüber.

 Kinder in der Umgebung von Atomanlagen erkranken häufiger an Leukämie, das haben Studien in Deutschland inzwischen belegt. In der Schweiz wird derzeit auch an einer derartigen Studie gearbeitet. Was bringen all die Studien? Ridolfi schüttelt energisch den Kopf: "Wir brauchen diese Studien gar nicht! - Was wir wissen müssen, wissen wir schon längst!" Sie wolle nicht die Studien schlechtmachen, für die wissenschaftliche Debatte seien sie wichtig. "Doch die Bevölkerung versteht diese Studien nicht, die Ergebnisse sind zu komplex. Man muss das aber auch nicht verstehen. Radioaktive Strahlung verursacht Krebs und schädigt unser Erbgut! Es reicht, das zu wissen!"

 Keine Chemiefirma dürfte in Betrieb sein, wenn sie ihr Abfallproblem nicht gelöst hätte - doch bei den Atomkraftwerken werde das akzeptiert. Es sei wichtig, den Leuten Alternativen aufzuzeigen, damit sie nicht fürchteten, sie müssten Kerzen anzünden, wenn die AKWs abgestellt würden. Doch die Alternativen gebe es ja.

 Ridolfi erzählt weiter von ihren PatientInnen und von Krankenkassen, die ein Medikament nicht zahlen wollten, obwohl das Kind es brauchte. "Die Behandlung von Krankheiten ist teuer", sagt sie: "Wir sind bereit, AKWs zu akzeptieren, die Krankheiten erzeugen - aber wenn die Krankheiten da sind, will keiner zahlen."

 Sie sei an jeder Beerdigung gewesen von jenen Kindern, die sie nicht hatten retten können. Aber das Schöne sei, dass sie auch oft zu Trauungen und Taufen eingeladen werde, von denen, die geheilt wurden.

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Blick am Abend 2.2.11

Auch Bauern gegen AKW

 ATOM

 Die Front gegen Mühleberg wird breiter. Jetzt kämpft auch die Landwirtschaft für ein Nein.

 Berner Landwirtschaft setzt auf erneuerbare Energien". Mit diesem Slogan trat heute Morgen das "Komitee Berner Landwirtschaft für erneuerbare Energien und gegen Mühleberg II" an die Öffentlichkeit. 30 Bauernbetriebe aus dem ganzen Kanton Bern haben sich der Bewegung angeschlossen. Das Komitee ist der Meinung, Atomenergie sei gefährlich und nicht nachhaltig. Dazu werde die Atomenergie importiert. Kathy Hänni, Bäuerin in Kirchlindach, grüne Grossrätin und Mitinitiantin: "Nicht nur das Uran kommt aus dem Ausland. Die Schweiz sollte Energiesouveränität anstreben." Dazu entwickle sich der Landwirt mittelfristig zum Energiewirt. Die natürlichen Ressourcen Sonne, Wind, Holz und Biomasse seien für die Bauern in der Schweiz ein Zukunftsmarkt. pp

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bund.ch 2.2.11

Bauernkomitee gegen Mühleberg II

sda / bs

 Rund 30 Bauernfamilien haben sich einem Komitee "Berner Landwirtschaft gegen Mühleberg II" angeschlossen. Die Atomenergie schade der Landwirtschaft.

 Zudem verbaue die Atomenergie verbaue den Bauern eine grosse Zukunftschance, betonten Vertreter des Komitees am Mittwoch vor den Medien in Bern.

 Schliesslich seien es die erneuerbaren Energien, die heute Marktanteile gewännen. Sonne, Wind, Holz und Biomasse seien die natürlichen Grundlagen für eine nachhaltige und vom Ausland unabhängige Energieversorgung - und von allen vier Ressourcen habe die Landwirtschaft grosse Mengen zu bieten.

 Ein Nebeneinander beider Technologien gebe es nicht, betonte das Komitee gemäss Presseunterlagen. "Wer für weitere 80 Jahre auf Atomtechnologie setzen will, wird der erneuerbaren Energie den Wind aus den Segeln nehmen."

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BZ 2.2.11

Kein Müll von anderen AKW in Mühleberg

 Grosser RatBald entscheidet die Berner Bevölkerung de facto über ein neues AKW in Mühleberg. Gestern nutzte der Grosse Rat die letzte Gelegenheit, dazu Fragen zu stellen.

 Am 13. Februar stimmt die Berner Bevölkerung über den Ersatz des AKW Mühleberg ab. Gestern nutzten die Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentarier die Fragestunde des Grossen Rates dafür, sich von Energiedirektorin Barbara Egger (SP) noch die dringendsten Fragen beantworten zu lassen.

 So wollte etwa Nadine Masshardt (SP-Juso, Bern) wissen, wann das geplante Zwischenlagers für hoch radioaktive Abfälle in Mühleberg in Betrieb sein solle. Mit dem Bau des Zwischenlagers würde erst nach Inbetriebnahme eines neuen AKW begonnen, erklärte Egger. Dies wäre frühestens in den Jahren 2025 bis 2030. Egger betonte zudem, dass nicht geplant sei, Abfälle anderer AKW in Mühleberg zwischenzulagern.

 Dass die BKW Energie AG ihr Engagement im Bereich erneuerbare Energien senken will, gab ebenfalls Anlass zu Fragen. Egger erklärte, dass sie den BKW-Entscheid bedaure. "Die BKW hat nicht so entschieden, weil sie nicht an das Potenzial der erneuerbaren Energien glaubt", so Egger. "Es ist vielmehr so, dass Projekte für erneuerbare Energien lokal oft auf Widerstand stossen."
 as

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Langenthaler Tagblatt 2.2.11

(Vorerst) letzte AKW-Debatte

 Grosser Rat Regierung wehrt sich nicht nur gegen Atomkraftwerk, sondern stellt sich auch hinter BKW

Therese Hänni (SDA) / Samuel THomi

 Vertreter von SP und Grünen nutzten gestern die grossrätliche Fragestunde als letzte Gelegenheit, vor dem Urnengang am 13. Februar den umstrittenen Ersatz des AKW Mühleberg im Parlament noch einmal zu thematisieren. Die Ratsmitglieder beschäftigten unter anderem Fragen nach dem ebenfalls geplanten Zwischenlager für radioaktive Abfälle. Andreas Hofmann (SP/Bern) etwa kritisierte, das Berner Stimmvolk habe sich 1983 an der Urne deutlich gegen ein Zwischenlager als "Dauerzustand", gegen Abfälle anderer AKW und erst recht gegen die Zwischenlagerung von hoch radioaktivem Müll ausgesprochen.

 Es sei nicht geplant, radioaktive Abfälle anderer Kernkraftwerke in Mühleberg zwischenzulagern, antwortete Regierungsrätin Barbara Egger-Jenzer (SP). Der Bau eines Zwischenlagers würde zudem erst nach Inbetriebnahme eines neuen AKW an die Hand genommen, 2025 bis 2030 also. Hoch radioaktiver Müll würde erst danach in Mühleberg deponiert.

 Zudem gehe die BKW Energie AG als Betreiberin des AKW davon aus, dass der Bund rechtzeitig wie im nationalen Kerngesetz festgeschrieben ein Endlager bereitstellen werde und das Zwischenlager somit kein "Providurium" sei, antwortete Egger SP-Grossrätin Nadine Masshardt (Bern).

 Auch der Entscheid der BKW, ihre Ziele im Bereich neue erneuerbare Energien zu senken, gab Anlass zu Fragen. Die BKW habe ihre Ziele nicht gesenkt, weil sie nicht an das Potenzial glaube, so Egger. Es sei vielmehr so, dass Projekte für die Nutzung erneuerbarer Energien lokal oft auf grossen Widerstand stiessen. Die Regierung nehme den Entscheid der BKW mit Bedauern, aber auch einem gewissen Verständnis zur Kenntnis.

 Im Rahmen der Fragestunde hatte Energiedirektorin Barbara Egger aber noch mehr Arbeit: Zum Vorschlag der Aarwanger Solarfirma Megasol sagte die Energiedirektorin, sie habe "nur aus der Presse Kenntnis" von der Offerte und könne daher nicht näher Stellung zum Alternativ-Kraftwerk (az Langenthaler Tagblatt berichtete) nehmen.

 Zur mehrfach kritisierten "Informationszeitung", welche die BKW in alle Haushalte in den Kantonen Bern und Jura verteilen liess, antwortete Barbara Egger: Es seien ihr keine inhaltlichen Verfehlungen bekannt. Und die BKW dürfe sich laut ihren "Grundsätzen zur Information" zu politischen Themen, die sie direkt beträfen, auch sachlich äussern.

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 Seelsorger gegen AKW

 23 Pfarrerinnen und Pfarrer aus dem Kanton (ohne Oberaargau/Emmental) haben sich zum Komitee "Seelsorgerinnen und Seelsorger gegen Mühleberg II" zusammengeschlossen. Ethische, wirtschaftliche und sicherheitspolitische Argumente sprächen gegen das neue Atomkraftwerk: "Die Zukunft gehört der Energieeffizienz und erneuerbaren Energien", so das Komitee. "Die Kirchenleitung hat noch keine konsolidierte Meinung", lässt sich dagegen Synodalratspräsident Andreas Zeller im Januar-"Reformiert" zitieren. Die Landeskirche Bern-Jura-Solothurn erarbeite derzeit für die 2013 stattfindende nationale Abstimmung eine Position. (sat)

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Solothurner Zeitung 2.2.11

Gegen die Ursache des Mülls

 Anti-AKW Juso und Junge Grüne ergreifen gemeinsam die Initiative

Cyril Lüdi

 Um konkret gegen den Bau eines neuen AKW vorgehen zu können, haben Juso und Junge Grüne wie angekündigt am Montag einen Trägerverein für eine kantonale Volksinitiative gegründet. Cyrill Bolliger (Junge Grüne) und Yves Fankhauser (Juso) führten die 19 frisch eingeschriebenen Mitglieder und mehrere Gäste aus anderen Parteien - darunter SP-Nationalrätin Bea Heim und alt SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner - durch den Abend. "Ein wichtiges Ziel dieses Vereins soll die Ausweitung dieser Bewegung auf andere Kantone sein", erklärte Cyrill Bolliger. Da über die Rahmenbewilligungen für das neue AKW allerdings auf Bundesebene abgestimmt wird, kann eine kantonale Initiative der Jungpolitiker nicht direkt gegen den Bau eines neuen AKW vorgehen. Dazu Bolliger: "Alles, was wir erreichen können, ist, die Solothurner Behörden dazu zu verpflichten, mit allen möglichen Mitteln gegen den Bau neuer AKW im Kanton vorzugehen." Dies sei das eigentliche Ziel der anstehenden Initiative. Der genaue Wortlaut des Initiativtextes soll vom neu gewählten Vorstand in der nächsten Zeit ausgearbeitet werden. Der Zeitpunkt der Lancierung der Initiative wurde provisorisch auf August dieses Jahres festgelegt.

 Der Verein und die Initiative sollten ursprünglich einmal gegen ein Endlager im Kanton Solothurn vorgehen. "Wir wollten uns dann aber nicht auf den Müll, sondern auf dessen Ursache - das AKW - konzentrieren", gab Bolliger als Grund für die Richtungskorrektur an.

 Der Name: "Stopp Gösgen 2"

 Die Wahl des Vereinsnamens - der sogleich auch als Name der Initiative fungieren soll - nahm einige Zeit in Anspruch. Nachdem man sich sehr schnell per Abstimmung auf "Solothurn Atomfrei" geeinigt hatte, startete ein Rückkommensantrag die Diskussion von neuem. Da einige Mitglieder den Namen "Stopp Gösgen 2" als konkreter und eingängiger befanden, gewann er die Abstimmung gegen "Solothurn Atomfrei" mit 10 zu 6 Stimmen. In den Statuten ist festgelegt, dass sich der Verein gegen den Bau neuer Atomkraftwerke im Kanton Solothurn einsetzt: "Er tut dies namentlich, indem er als Träger und Initiant einer kantonalen Volksinitiative im Kanton Solothurn fungiert." Finanzieren will sich der Verein in erster Linie durch Spenden. Der Vorstand setzt sich zusammen aus Cyril Bolliger (Co-Präsident, Junge Grüne, Hessigkofen), Alice Schmid (Co-Präsidentin, Juso, Biberist), Christof Schauwecker (Sekretär, Junge Grüne, Solothurn), Jeremias Ambühl (Kassier, Juso, Solothurn), Magdalena Röösli (Beisitz, Junge Grüne, Aedermannsdorf) und Laura Villiger (Beisitz, Juso, Zuchwil). Bis jetzt gab es noch keine Kandidaturen von allfälligen Partnerorganisationen für die dafür vorgesehenen fakultativen Beisitze.

 Gegen Ende des Anlasses hielt Rudolf Rechsteiner ein Referat gegen die AKW. Er wies daraufhin, dass Atomenergie mehr und mehr von erneuerbaren Energien verdrängt wird. Neue AKW seien nur noch wegen Korruption im Parlament und Druck von der Atomlobby im Gespräch.

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Oltner Tagblatt 2.2.11

"Nicht gegen Müll, sondern dessen Ursache"

 Neues Kernkraftwerk Juso und Junge Grüne Kanton Solothurn gründeten in Däniken mit viel Herzblut einen Verein zur Lancierung einer Anti-AKW-Initiative. von Cyril Lüdi

 Um konkret gegen den Bau eines neuen KKW vorgehen zu können, gründeten zwei Solothurner Jungparteien, namentlich Juso und Junge Grüne, am Montag einen Trägerverein für eine kantonale Volksinitiative gegen neue AKW. Der Verein hat seinen Sitz in Däniken.

 Solothurner Behörden verpflichten

 Cyrill Bolliger (Junge Grüne) und Yves Fankhauser (Juso) führten die 19 frisch eingeschriebenen Mitglieder und mehrere Gäste aus anderen Parteien - darunter SP-Nationalrätin Bea Heim und der ehemalige SP-Nationalrat Rudolf Rechsteiner (Basel-Stadt) - durch den Abend. "Ein wichtiges Ziel dieses Vereins soll die Ausweitung dieser Bewegung auf andere Kantone sein", erklärte Cyrill Bolliger. Da über die Rahmenbewilligungen für das neue AKW allerdings auf Bundesebene abgestimmt wird, kann eine kantonale Initiative der Jungpolitiker nicht direkt gegen den Bau eines neuen KKW vorgehen. Dazu meinte Cyrill Bolliger: "Alles was wir erreichen können ist, die Solothurner Behörden dazu zu verpflichten, mit allen möglichen Mitteln gegen den Bau neuer AKW im Kanton vorzugehen." Dies sei das eigentliche Ziel der anstehenden Initiative. Der genaue Wortlaut des Initiativtextes soll vom neu gewählten Vorstand in der nächsten Zeit ausgearbeitet werden. Der Zeitpunkt der Lancierung der Initiative wurde provisorisch auf August dieses Jahres festgelegt.

 Der Verein und die Initiative sollten ursprünglich einmal gegen ein Endlager im Kanton Solothurn vorgehen. "Wir wollten uns dann aber nicht auf den Müll, sondern auf dessen Ursache - das AKW - konzentrieren", gab Bolliger als Grund für die Richtungskorrektur an.

 Der Name: "Stopp Gösgen 2"

 Die Wahl des Vereinsnamens - der zugleich auch als Name der Initiative fungieren soll - nahm einige Zeit in Anspruch. Nachdem man sich sehr schnell per Abstimmung auf "Solothurn Atomfrei" geeinigt hatte, startete ein Rückkommensantrag die Diskussion von Neuem. Da einige Mitglieder den Namen "Stopp Gösgen 2" als konkreter und eingängiger befanden, gewann er die Abstimmung gegen "Solothurn Atomfrei" mit 10 zu 6 Stimmen.

 In den Statuten wurde festgelegt, dass sich der Verein gegen den Bau neuer Atomkraftwerke im Kanton Solothurn einsetzt: "Er tut dies namentlich, indem er als Träger und Initiant einer kantonalen Volksinitiative im Kanton Solothurn fungiert." Aus den Statuten geht auch hervor, dass sich der Verein in erster Linie durch Spenden finanzieren soll.

 Gegen Ende des Anlasses hielt Rudolf Rechsteiner ein Referat gegen die AKW. Er wies darauf hin, dass Atomenergie mehr und mehr von erneuerbaren Energien verdrängt werde. Neue AKW seien nur noch wegen Korruption im Parlament und Druck von der Atomlobby im Gespräch.

 Bei den Vorstandswahlen kam es zu einer "Kampfwahl" um den Posten der Co-Präsidentin von Seiten der Juso, zwischen Bettina Leibundgut und Alice Schmid. Um dann schliesslich Alice Schmid aus Biberist zu wählen, war sogar ein zweiter Wahlgang nötig. Ansonsten wurden alle Kandidaten einstimmig gewählt. Es sind dies: Co-Präsident (Junge Grüne) Cyril Bolliger, Hessigkofen; Sekretär Christof Schauwecker (Junge Grüne), Solothurn; Kassier Jeremias Ambühl (Juso), Solothurn; Beisitz (Junge Grüne) Magdalena Röösli, Aedermannsdorf, und Beisitz (Juso) Laura Villiger, Zuchwil.

 Bis jetzt gab es noch keine Kandidaturen von allfälligen Partnerorganisationen für die dafür vorgesehenen fakultativen Beisitze.

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bernerzeitung.ch 1.2.11

Mühleberg nochmals Thema im Grossen Rat

sda / bs

 Das Kantonsparlament hat die wohl letzte Gelegenheit genutzt, vor der Abstimmung Mitte Februar noch einmal den Ersatz des AKW Mühleberg zu thematisieren. Im Rahmen der Fragestunde hatte Energiedirektorin Barbara Egger viel Arbeit.

 Die Parlamentarier beschäftigte unter anderem die Frage nach einem geplanten Zwischenlager für radioaktive Abfälle in Mühleberg.

 Es sei nicht geplant, radioaktive Abfälle anderer Kernkraftwerke in Mühleberg zwischenzulagern, gab Barbara Egger-Jenzer (SP) bekannt. Der Bau eines Zwischenlagers würde erst nach Inbetriebnahme eines neuen AKW an die Hand genommen, also erst in den Jahren 2025 bis 2030.

 Ziele weniger hoch gesteckt

 Auch der Entscheid der BKW Energie AG, ihre Ziele im Bereich erneuerbare Energien zu senken, gab Anlass zu Fragen. Die BKW habe ihre Ziele nicht gesenkt, weil sie nicht an deren Potenzial glaube, betonte Egger.

 Es sei vielmehr so, dass Projekte für die Nutzung erneuerbarer Energien lokal oft auf grossen Widerstand stiessen. Sie nehme den Entscheid der BKW mit Bedauern, aber auch einem gewissen Verständnis zur Kenntnis.

 Perrenoud: "Hinweise ernst genommen"

 Ein weiteres Thema war das Anfang Jahr vom Kanton geschlossene Behindertenheim Tobias in Niederbipp. Gesundheits- und Fürsorgedirektor Philippe Perrenoud betonte, dass Hinweise auf eine Gefährdung von Heimbewohnern beim Kanton ernst genommen würden.

 Tatsächlich seien schon 2002 und 2007 Gefährdungshinweise zum Haus Tobias eingegangen, allerdings hätten sich diese bei entsprechenden Abklärungen nicht erhärtet.

 Das zuständige Amt nehme pro Jahr rund zehn bis 15 Heimbesuche vor, informierte Perrenoud weiter. Wollte man diese Aufsichtstätigkeit intensivieren, bräuchte es entweder mehr Personal oder der Kanton müsste externe Fachpersonen damit betrauen. Beides würde entsprechende Kosten verursachen, konstatierte Perrenoud.

 Ehre für einen ganz "Bösen"

 Schliesslich beschäftigte sich der Rat auch noch mit einem ganz "Bösen". Christoph Berger (SVP/Aeschi) wollte wissen, warum Schwingerkönig Kilian Wenger nicht zur Wahl "Berner Sportler des Jahres" zugelassen worden sei.

 Dies habe schlicht und einfach zeitlich nicht mehr gereicht, erklärte Polizei- und Militärdirektor Hans-Jürg Käser. Wenger habe das "Eidgenössische" am 22. August gewonnen. Damals sei die Nominationsfrist schon abgelaufen gewesen. Der Kanton habe Wengers Verdienste aber mit der Verleihung des Sonderpreises "Berner Sportbär" gewürdigt.

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Bund 1.2.11

Leuenberger wütend über AKW-Kampagne

 Das Komitee "Ja zu Mühleberg" wirbt mit Bild und Aussagen von Moritz Leuenberger für neue Atomkraftwerke. Gefragt wurde er nicht. "Hier wird suggeriert, ich unterstütze ein Ja zu Mühleberg", sagt der Alt-Bundesrat. Auch ein anderes SP-Mitglied hat bezüglich Atomkraft Erklärungsbedarf. Grossrat Markus Meyer ist Geschäftsführer des Forums Vera, das Atomkritiker zur Atomlobby zählen.(rw) — Seite 24

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SP-Grossrat zwischen Atomlobby und Atomgegnern

 Markus Meyer ist Geschäftsführer des Forums Vera, das Atomgegner der Atomlobby zurechnen.

 Reto Wissmann

 In der Atomdebatte sind die Fronten klar: Linke und Grüne sind gegen den Bau neuer Atomkraftwerke, bürgerliche Politiker praktisch geschlossen dafür. Unklar ist hingegen die Rolle von Grossrat Markus Meyer, einer führenden Kraft in der SP-Fraktion. Der gelernte Maurer und studierte Rechtsanwalt aus Roggwil ist unter anderem Präsident der SP Oberaargau und seit vielen Jahren Geschäftsführer des Forums Vera (Verantwortung für die Entsorgung radioaktiver Abfälle). Nach eigenen Angaben setzt sich die Institution mit Sitz in Bern unabhängig von Parteiinteressen für die "technisch sichere und akzeptable Entsorgung von radioaktiven Abfällen" ein. Den Vorstand dominieren jedoch FDP, CVP und SVP-Vertreter. Atomkritiker zählen das Forum denn auch zur Atomlobby.

 Dient Meyer der Organisation somit lediglich als sozialdemokratisches Feigenblatt? Der Grossrat wehrt sich: "Das Forum Vera ist absolut nicht Teil der Atomlobby." Es kümmere sich lediglich darum, Lösungen für das Abfallproblem zu finden, um es nicht kommenden Generationen überlassen zu müssen. Aus der aktuellen Debatte über den Ersatz des Kernkraftwerks Mühleberg halte sich das Forum bewusst heraus.

 Und wie steht Meyer persönlich zur Atomkraft? "Ich bin zwar skeptisch, vertrete aber die Ansicht, dass es nicht möglich ist, sofort aus der Kernkraft auszusteigen", sagt er. Zum Bau eines neuen Kernkraftwerks in Mühleberg will sich Meyer nicht festlegen: "Bei dieser Frage möchte ich den Joker einsetzen." Auch im Grossen Rat spielte er den Joker: Als es im November um die Abstimmungsempfehlung zur Konsultativabstimmung vom 13. Februar über Mühleberg II ging, enthielt sich Meyer der Stimme.

 Unter den Genossen sorgt Meyers Haltung gelegentlich für Gesprächsstoff. Parteipräsident Roland Näf sagt: Er akzeptiere grundsätzlich andere Auffassungen, dass sich Meyer beim Forum Vera als Geschäftsführer engagiere, sei jedoch "nicht so glücklich".

 Intransparente Finanzierung

 Das Forum Vera führt Studienreisen sowie Weiterbildungskurse für Lehrkräfte durch und publiziert Informationsmaterial zum Thema Atomkraft. Laut Meyer verfügt es über ein Jahresbudget von 290 000 Franken. Zwei Drittel davon stammten von der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra), die weitgehend von den AKW-Betreibern finanziert wird, sowie von den "Stromproduzenten" direkt. Welche Firma welchen Beitrag leistet und wie viel Geld etwa von der BKW stammt, gibt das Forum nicht bekannt.

 Der Schaffhauser SP-Nationalrat Hans-Jürg Fehr bezeichnet das Forum als "atomfreundliche Organisation" und Jürg Buri, Geschäftsführer der atomkritischen Energiestiftung, als "Airbag der Atomindustrie". 1998 sorgte das Forum mit einer Werbekampagne für Aufregung. Darin wurde unter dem Slogan "Energie erzeugt Abfall" Atomkraft mit Bananen verglichen.

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Kanton Bern

 24 Seelsorgende gegen AKW

 Das Komitee "Seelsorgerinnen und Seelsorger gegen Mühleberg II" empfiehlt ein Nein in der Konsultativabstimmung über den Ersatz des AKW Mühleberg. Der Vereinigung gehören 24 Theologinnen und Theologen und Pfarrleute aus römisch-katholischen und reformierten Pfarreien im Bernbiet an. Die Atomenergie widerspreche der Generationengerechtigkeit, so das Komitte.(pd)

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BZ 1.2.11

Mit Leuenberger für das AKW

 AKW-abstimmungAlt-Bundesrat Moritz Leuenberger wirbt ohne sein Wissen für den Ersatz des AKW Mühleberg.

 Knapp zwei Wochen vor der Abstimmung im Kanton Bern über ein neues Kernkraftwerk in Mühleberg gibt ein Inserat der Befürworter zu reden. Es wirbt mit einem Foto und einem Zitat von Alt-Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) für ein Ja an der Urne.

 "Ich wurde vor Erstellung des Inserates nicht kontaktiert; dieses ist ohne mein Wissen erschienen", stellt der ehemalige Vorsteher des Departements für Umwelt, Verkehr, Energie und Kommunikation (Uvek) in einer Mitteilung klar.

 Vorgehen ist nicht korrekt

 Der Alt-Bundesrat wird im Inserat mit einer Aussage vom 24. Oktober 2010 zitiert. Er sagte damals, dass die Kernenergie "nahezu CO2-freien Strom" produziere, was klimapolitisch "nicht zu unterschätzen" sei. Das Zitat stamme aus seiner Zeit als aktiver Bundesrat und gebe die offizielle Haltung des Gesamtbundesrates wieder, hält Leuenberger fest. Für die kommende Abstimmung hätte man deshalb die aktuelle Energieministerin zitieren müssen. Das Vorgehen der Inserenten sei unkorrekt. In den kantonalen Abstimmungskampf wolle er sich nicht einmischen.

 Befürworter wehren sich

 Beim Komitee "Ja zu Mühleberg" ist man sich indes keines Fehlers bewusst. Leuenberger sei eine öffentliche Person, sagte Komiteesprecher Adrian Haas auf Anfrage. Zudem stehe im Inserat, dass das Zitat aus Leuenbergers Zeit als Bundesrat stamme. Ein Einverständnis sei deshalb nicht nötig gewesen. Das Komitee habe einfach jenes Bundesratsmitglied zitieren wollen, dass damals für die Energiestrategie des Bundes zuständig gewesen sei, hält Haas fest. Dass auf dem Bild des Inserats auch das Logo von Leuenbergers Partei zu sehen ist, halte er ebenfalls nicht für problematisch. Die SP kämpft im Kanton Bern an vorderster Front gegen ein neues AKW.
 sda

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Tagesanzeiger 1.2.11

Atom-Befürworter benutzen Leuenberger

 Ein Berner Komitee wirbt mit dem Konterfei und mit Aussagen von Moritz Leuenberger für das AKW Mühleberg. Der frühere Umweltminister ist erbost.

 Von Daniel Foppa

 Am 13. Februar stimmt der Kanton Bern konsultativ über ein neues Atomkraftwerk in Mühleberg ab. Die Befürworter haben nun unerwartete Schützenhilfe erhalten: In Inseraten, die gestern im "Bund" und in der "Berner Zeitung" erschienen sind, wirbt Ex-Energieminister Moritz Leuenberger für Atomstrom. Der Haken an der Sache: Leuenberger wurde gar nie angefragt, ob er bei der Kampagne mitmachen wolle.

 Der Zürcher ist denn auch entsprechend verstimmt: "Diese Inserate erschienen ohne mein Wissen. Hier wird suggeriert, ich unterstütze ein neues AKW Mühleberg", sagt er auf Anfrage. Das sei "unkorrekt". Leuenberger betont, er habe in der zitierten Aussage die offizielle Haltung des Gesamtbundesrats wiedergegeben. Indem sein Zitat aber neben einem Bild mit SP-Logo stehe, werde suggeriert, er habe diese Aussage an einem Parteitag gemacht.

 "Damit ziehen die Befürworter auch meine Partei in ihre Kampagne rein", sagt Leuenberger. Trotz seines Ärgers will er keine juristischen Schritte unternehmen. Für ihn zeugt es von "mangelndem Anstand", dass ihn das Komitee nicht kontaktiert hat. Inhaltlich möchte sich Leuenberger nicht zur Frage eines neuen AKW Mühleberg äussern.

 "Mit harten Bandagen"

 Adrian Haas, Sekretär des Komitees, weist die Vorwürfe zurück: "Moritz Leuenberger ist eine öffentliche Person. Deshalb ist sein Einverständnis nicht erforderlich." Zudem stehe im Inserat, dass Leuenberger diese Aussage als Bundesrat gemacht habe. "Leuenberger hat die bundesrätliche Energiestrategie geprägt. Und die setzt eben auch auf Atomstrom", so Haas. Ob das Inserat erneut publiziert werde, sei noch offen.

 Selbstkritischer als Haas gibt sich der Berner BDP-Ständerat Werner Luginbühl, der dem Komitee-Vorstand angehört: "Man hätte Leuenberger vor der Veröffentlichung des Inserats anfragen sollen - auch wenn die Antwort absehbar gewesen wäre." Es sei bekannt, dass Mitglieder einer Exekutive nicht immer ihre persönliche Meinung vertreten könnten. Luginbühl sagt, der Abstimmungskampf um Mühleberg sei hoch emotional: "Da wird hüben wie drüben mit harten Bandagen gekämpft."

 Es ist nicht das erste Mal, dass ein Bundesrat gegen seinen Willen zu Kampagnenzwecken gebraucht wird. 2007 sorgte eine Kampagne des Gewerkschaftsbunds (SGB) für Kritik. Auf Plakaten wurden die Bundesräte Christoph Blocher, Pascal Couchepin und Hans-Rudolf Merz als Behinderte dargestellt, um so gegen die Revision der Invalidenversicherung zu werben. Der SGB entschuldigte sich schliesslich dafür.

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NZZ 1.2.11

Apropos

 Von Zitaten heimgesucht

 Davide Scruzzi ·

"Die Kernenergie ist Bestandteil der bundesrätlichen Politik. Sie produziert nahezu CO 2 -freien Strom . Das ist klimapolitisch nicht zu unterschätzen " , verkündet der frühere Bundesrat Moritz Leuenberger in einem Inserat der Befürworter eines neuen AKW Mühleberg. Diese Botschaft im Berner Abstimmungskampf erstaunt. Nicht weil sie falsch wäre, sondern weil Leuenberger auch während seiner Amtszeit seine AKW-kritische Haltung nie ganz verheimlichen konnte.

 Hat der Ex-Magistrat neben dem neuen Verwaltungsratsmandat bei der Baufirma Implenia nun auch bei der Stromwirtschaft angeheuert? Über die Schweizerische Depeschenagentur erklärt er, dass das Zitat aus seiner Zeit als aktiver Bundesrat stamme und die Haltung des Gesamtbundesrats wiedergebe. Dieses Abdrucken im Abstimmungskampf sei unkorrekt, die jetzige Energieministerin sei in der Frage zu zitieren, so Leuenberger.

 Die politische Wirksamkeit des frechen Inserats ist schwierig einzuschätzen. Noch komplexer droht künftig aber die Zuschreibung von Leuenberger-Zitaten zu werden. Sind die vielgerühmten Texte des Alt-Bundesrats, beispielsweise im Buch "Lüge, List und Leidenschaft", nun ebenfalls Äusserungen des Gesamtbundesrats oder gar von Doris Leuthard? Umbenennungen leistet sich die Buchbranche allenfalls, wenn ein Autor Papst wird. Vielleicht ist aber Moritz Leuenberger ohnehin bald froh um eine kleine AKW-freundliche Zitatsammlung - falls "sein" Unternehmen Implenia dereinst um Bauaufträge für neue AKW buhlt.

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20 Minuten 1.2.11

Leuenberger "wirbt" für AKW

 BERN. Alt Bundesrat Moritz Leuenberger (SP) als Aushängeschild der AKW-Befürworter: Dieses Bild suggeriert ein Inserat, das die AKW-Freunde kurz vor der Berner Abstimmung über ein neues Kraftwerk in Mühleberg lanciert haben. Verwendet haben sie dazu ungefragt ein Zitat aus seiner Zeit als Bundesrat: Er sagte damals, dass die Kernenergie "nahezu CO2-freien Strom" produziere, was klimapolitisch "nicht zu unterschätzen" sei. Jetzt distanziert sich Leuenberger vom Inserat: Das Zitat stamme aus seiner Zeit als Bundesrat und gebe die offizielle Haltung des Gesamtbundesrates wieder.

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BZ 1.2.11

AKW-Abstimmung   - Mühleberg

 In Mühleberg gibt es kaum Widerstand gegen das neue AKW

 Gut für die Steuern, schlecht für die Landschaft. Der mögliche Ersatz des AKW Mühleberg löst in den betroffenen Gemeinden ganz unterschiedliche Reaktionen aus. Ein Augenschein im Zentrum der Berner Kernkraft.

 Mühleberg macht Schlagzeilen. Zwei Wochen vor der Konsultativabstimmung zum Berner AKW vergeht kein Tag, an dem der Name nicht irgendwo auftauchte: Nachrichten, Plakatwände, Flyer… Die kleine Berner Gemeinde mit dem grossen Kraftwerk ist zum landesweiten Politikum geworden.

 Vertrauen in die Kernkraft

 Während die Schweiz über Sinn und Unsinn von Atomkraft diskutiert, geht das Leben in Mühleberg weiter wie gewohnt. Zumindest fast: "Ich werde mich nicht beklagen, wenn die Abstimmung endlich vorbei ist", sagt Gemeindepräsident Kurt Herren mit einem müden Lächeln. Von der Genfer Zeitung "Le Temps" bis zur "Schweizer Illustrierten" - alle wollten von ihm eine Antwort auf dieselbe Frage: Herr Herren, wie lebt es sich mit einem Atomkraftwerk vor der Haustüre? Und immer antwortete er in seiner besonnenen Art: "Wir haben nie Probleme mit dem AKW gehabt. Das Vertrauen ist gross." Dem Gemeindepräsidenten ist keine organisierte Gruppe im Ort bekannt, die sich öffentlich gegen das Projekt stellt; nicht einmal die lokale Linke hat die Nein-Parole gefasst.

 Eine teure Nebenerscheinung

 Tatsächlich zeigt eine regionale Umfrage von 2009, dass die Zustimmung zu einem neuen AKW nirgends grösser ist als in Mühleberg selbst (siehe Grafik rechts). Gründe dafür gibt es einige. Da sind zum einen die nach Herrens Schätzung rund 50 Gemeindemitglieder, die im AKW arbeiten: "Diese Verankerung schafft zusätzliches Vertrauen." Da ist zum anderen aber auch der ganz konkrete finanzielle Vorteil, den das Kernkraftwerk mit sich bringt: Seit 2001 fliessen jährlich Millionenbeträge an Steuern in Mühlebergs Kassen. Rund ein Zehntel der Steuereinnahmen würden diese laut Herren durchschnittlich ausmachen. Dabei hängt die Höhe des Betrags vom Gewinn der BKW ab. Weil ein neues AKW deutlich mehr Strom produzieren würde, könnte sich der Zustupf für Mühleberg künftig sogar vergrössern. "Die Steuern sind eine schöne Nebenerscheinung", sagt der Gemeindepräsident. Das Geld dürfe jedoch auf keinen Fall zum Hauptargument werden.

 Ein Blick auf die Steuersätze der Region zeigt, wie viel Geld die Einwohner von Mühleberg durch das Kernkraftwerk einsparen: Mit 1,25 Einheiten liegt die Gemeinde weit unter dem Schnitt der neun Nachbarn (1,65 für 2010). Wie lange das noch so bleibt, dürfte vom Berner Stimmvolk abhängen. Sagt dieses am 13. Februar Nein und verabschiedet sich die BKW nach 2020 aus Mühleberg, wäre eine Erhöhung der Steuern unvermeidlich. Das bestätigt auch Gemeindepräsident Herren: "Längerfristig würden wir uns einem Wert von 1,65 annähern."

 Das versteckte Kraftwerk

 An einen nachhaltigen Vorteil für das lokale Gewerbe glaubt Kurt Herren ebenso wenig wie an einen Nachteil für das Image der Gemeinde: "Das Kraftwerk ist im Alltag kaum präsent. Es ist so gut versteckt, dass man es fast vergessen könnte." Ganz anders sähe das während der Bauzeit des neuen AKW aus: Die Zufahrt zur Baustelle sowie der Standort des geplanten Logistikplatzes und der Bauarbeitersiedlung seien die grossen Streitpunkte in der Gemeinde. "Das sind die Nachteile, mit denen wir leben müssten", sagt Kurt Herren. Dennoch sei der Gemeinderat davon überzeugt, dass die Schweiz ein neues AKW Mühleberg brauche: "Wir müssen sparen und die alternativen Energien fördern. Doch für ein Ende unseres Kernkraftwerks ist es zu früh."

 Opposition aus dem Norden

 Nur wenige Kilometer nördlich von Mühleberg sieht die Welt ganz anders aus. Hier, auf der anderen Seite der Aare, findet sich keine klare Mehrheit für ein neues AKW. "Wir haben zwar die Nähe zum Kraftwerk, doch die Vorteile fehlen." Urs Kuhn, Gemeindepräsident von Radelfingen, ist skeptischer als sein Amtskollege. Die Grösse des Kühlturms, der Lärm der Ventilatoren, der Verlauf der Hochspannungsleitungen - die nördlichen Nachbarn des Kernkraftwerks haben eine ganze Menge Bedenken. Anfang 2010 kam die BKW nach Radelfingen, um die Einwohner zu informieren. Doch die gestellten Fragen waren konkreter als die Antworten der Experten - eine gewisse Unsicherheit blieb. "Natürlich ist zu diesem Zeitpunkt noch vieles unklar", sagt Kuhn. Dennoch müsse man sich fragen, ob der Nutzen eines neuen Kraftwerks für die Region grösser sei als der Schaden, den Bau und Betrieb anrichteten.

 Begehrter Kernkraft-Kuchen

 Geplant sei, dass auch in Zukunft der Grossteil des Verkehrs durch die Gemeinde Mühleberg läuft. Trotzdem rechnet Kuhn mit negativen Auswirkungen auf Radelfingen. So ist zum Beispiel ein Logistikplatz auf dem Gemeindeland geplant, zudem sollen mehrere Brücken über die Aare gelegt werden. "Was die Vorteile angeht, mache ich mir keine Illusionen", sagt der Gemeindepräsident. Das lokale Gewerbe werde kaum profitieren, die Arbeitsplätze im Kraftwerk fallen für die Gemeinde nicht ins Gewicht. Hinzu kommt: In Radelfingen liegt der Steuersatz bei 1,69 Einheiten, die Nähe zum AKW lohnt sich finanziell nicht. "Natürlich gibt es den einen oder anderen, der etwas neidisch nach Mühleberg blickt", glaubt Urs Kuhn. Auch deshalb gebe es Bestrebungen der umliegenden Gemeinden, ein Stück vom Kernkraftkuchen abzubekommen. Konkrete Pläne für eine Entschädigung durch die BKW liegen laut Kuhn noch nicht vor: "Bei einem Ja schauen wir weiter. Kaufen lassen werden wir uns nicht."

 Christian Zeier

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 Volksinitiativen

 Keine Mehrheit für Berner Atomgegner

 Die Geschichte zeigt: Der Kanton Bern gehört im landesweiten Vergleich zu den AKW-Befürwortern. Ein einziges Mal nahm er eine atomkritische Initiative an.

 Die Korken der Atomgegner knallten vor mehr als zwanzig Jahren. Am 23. September 1990 sagte die Schweiz Ja zur Initiative "Stopp dem Atomkraftwerkbau" - es blieb bis zum heutigen Zeitpunkt die einzige nationale Zustimmung zu einer atomkritischen Volksvorlage. Das Erstaunliche daran: Der Kanton Bern stimmte damals klarer zu als der Schweizer Durchschnitt. Ganze 56,7 Prozent wollten ein auf zehn Jahre begrenztes Moratorium für neue Kernkraftwerke. Am selben Abstimmungstag stellte sich der Kanton mit nur 51,6 Prozent gegen eine Initiative zum Ausstieg aus der Atomenergie. Zwar wurde die Vorlage abgelehnt, doch Bern hatte sich erneut atomkritischer gezeigt als der Rest der Schweiz. Der Kanton Bern als Kritiker der Kernenergie? Mitnichten, wie ein Blick auf die weiteren Volksinitiativen zeigt. Denn die Geschichte der Atomabstimmungen begann bereits rund zehn Jahre früher: 1979 lehnte das Land die Volksinitiative für nukleare Sicherheit ab - der Kanton Bern lag mit 56,3 Prozent klar über dem landesweiten Schnitt. Nur fünf Jahre dauerte es bis zum nächsten Urnengang. 1984 wurde die Initiative "Für eine Zukunft ohne Kernkraftwerke" abgelehnt, wieder zählte Bern zu den klar ablehnenden Kantonen. Mit Ausnahme von 1990 blieb das Schema auch in den folgenden Jahren gleich: Die Schweiz lehnte ab, Bern noch etwas deutlicher. Sowohl das "Moratorium Plus" als auch die Initiative "Strom ohne Atom" gingen 2003 den Bach runter. Bern half mit 58,4 respektive 66,3 Prozent Nein-Stimmen kräftig mit.

 Grösser noch als die Zustimmung zur Kernenergie war in der Vergangenheit aber die Uneinigkeit innerhalb des Kantons. Ein Beispiel: Während die Standortgemeinde Mühleberg das Moratorium von 2003 mit mehr als 72 Prozent ablehnte, stimmte die Stadt Bern mit 54,4 Prozent zu.  

Christian Zeier

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 AKW: ja oder nein?  

 Abstimmung Am 13. Februar stimmt das Bernervolk darüber ab, ob es in Mühleberg nach dem Jahr 2020 ein neues Atomkraftwerk will oder nicht. Wichtig zu wissen: Es handelt sich dabei um eine konsultative Abstimmung. Das heisst: Das Resultat ist für den Bund nicht bindend, dürfte aber eine grosse Signalwirkung haben.

 Diese Zeitung beleuchtet vor der wegweisenden Abstimmung in einer Serie das Thema von verschiedenen Seiten.

 AKW-Abstimmung

 Das Dossier zum Urnengang vom 13. Februar

 www.urnengang.bernerzeitung.ch

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Oltner Tagblatt 1.2.11

"Definitiv keine Hurra-Stimmung"

 Olten-Gösgen Die SP der Amtei Olten-Gösgen sieht sich durch die Resultate der Bevölkerungsbefragung zu den kerntechnischen Anlagen bestätigt. Es gebe im Niederamt definitiv keine Hurra-Stimmung für ein neues Kernkraftwerk, wie das einzelne politische Exponenten aus Gemeinden und Kanton immer wieder zu glauben machen wollten. Im Gegenteil: 45 Prozent seien negativ eingestellt - nur 38 Prozent positiv. "Die Stimmung gegen-über einem Endlager für atomare Abfälle ist dermassen klar ablehnend, sie spricht für sich", schreibt die SP der Amtei Olten-Gösgen in ihrem Pressecommunique: Es sei anzunehmen, dass das bestehende KKW Gösgen 1 trotz unterschiedlicher Stimmung in der Bevölkerung noch mindestens 30 Jahre weiterlaufen werde, sofern nicht gravierende Sicherheitsprobleme auftauchen würden. Dies bedeute auch, dass praktisch alle aktuell Beschäftigten bis zu ihrer Pension eine Arbeitsstelle auf sicher haben werden. Für ein parallel betriebenes Gösgen 2 gebe es keine Mehrheit im Niederamt. Jetzt, heute zu entscheiden, bis ins Jahr 2090 ein AKW-Standort zu sein, sei Zwängerei. Es sei anzunehmen, dass es für einige Befragte durchaus eine Rolle gespielt haben könnte, dass zwei KKWs lange Jahre parallel in Betrieb wären. Eine Diskussion über Gösgen 2 als allfälliges Nachfolgewerk für Gösgen 1 müsste aber nicht 2011 stattfinden, sondern in 15 bis 20 Jahren.

 Wohl definitiv die Stimmung gegenüber neuen Kernanlagen verändert haben die konkreten Pläne für ein Endlager für atomare Abfälle für das Gebiet Jurasüdfuss. Mit dem bestehenden Werk Gösgen 1, den forcierten Plänen für Gösgen 2 und dann noch das Thema Endlager - das war vielen definitiv zu viel. "Jetzt längts - man ist nicht der Abfallkübel der Nation - diese Stimmung ist seither weit verbreitet", so die Partei und findet: "Zudem wäre es nicht sehr glaubwürdig, einerseits ein Endlager vehement abzulehnen, anderseits mit Gösgen 2 bis 2090 neue Abfälle produzieren zu wollen."

 Resultate ernst nehmen

 Für die SP Olten-Gösgen sei es zwingend, dass die Behörden in der Region und im Kanton die Resultate dieser Umfrage ernst nehmen. "Es kann nicht sein, dass man zuerst mehrere 100 000 Franken in eine Studie investiert, und dann so tut, als ob die Meinung der Bevölkerung irrelevant wäre. "Wenn eine Mehrheit Gösgen 2 ablehnt, was bedeutet das für das Vorgehen der politisch Verantwortlichen? Diese Frage müsste jetzt gestellt werden - und sonst keine!" (mgt/otr)

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Niederamt

 Die Studienergebnisse in den Richtplan aufnehmen

 Stüsslingen Der Gemeinderat reichte Beschwerde gegen den Einwendungsbericht zur Anpassung des kantonalen Richtplans "Neues Kernkraftwerk Niederamt" (KKN) ein.

 Von Marie-Theres von Arx

 Aufgrund des nun vorliegenden Einwendungsberichtes zur Anpassung des kantonalen Richtplanes "Neues Kernkraftwerk Niederamt" (KKN) hat der Gemeinderat Stüsslingen Beschwerde eingereicht. Er fordert, dass der Richtplan überarbeitet wird und die Ergebnisse der sozioökonomischen Studie in den Richtplan aufgenommen werden. Ferner verlangt er, dass im Richtplan verbindlich festzulegen ist, dass die Steuern und Abgeltungen eines neuen Kernkraftwerkes regional zu verteilen sind.

 Sozioökonomische Studie

 Aus Sicht des Stüsslinger Gemeinderates ist es unabdingbar, dass die Ergebnisse der sozioökonomischen Studie (siehe: www.stuesslingen.ch) in die Richtplananpassung einfliessen. Die Beschwerde wird damit begründet, dass die Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) die Studie in Auftrag gegeben hat, um gut informiert in die Planungs- und Entscheidungsprozesse für die Projekte "Neues Kernkraftwerk Gösgen" und "Tiefenlager für schwach- und mittelradioaktive Abfälle" einzutreten. Es ist unverständlich, weshalb diese wichtigen Erkenntnisse der Studie im Richtplan nicht berücksichtigt werden sollen.

 Der Gemeinderat weist insbesondere auf den Umstand hin, dass gemäss Bevölkerungsbefragung 45 Prozent die Pläne für ein neues Kernkraftwerk ablehnen, hingegen nur 38 Prozent eine positive Haltung einnehmen. Dieses Ergebnis steht im klaren Widerspruch zur Richtplanauflage, in welcher auf eine repräsentative Umfrage hingewiesen wird, wonach 59 Prozent für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt seien. Es wird verlangt, dass im Richtplan die Zahlen der sozioökonomischen Studie übernommen werden. Die Akzeptanz der Bevölkerung wird sicher auch durch den lange geplanten Parallelbetrieb und das mögliche Tiefenlager beeinflusst.

 Viele Hochspannungsleitungen

 Gemäss sozioökonomischer Studie gehört Stüsslingen zu den Gemeinden mit der höchsten Dichte an Hochspannungsleitungen. Der Gemeinderat verlangt, dass im Richtplan dieser Tatsache Rechnung getragen wird. Es sei sicherzustellen, dass sich die Nutzung der Freileitungen und des Magnetfeldes in Stüsslingen nicht verändern wird.

 Abgeltungen und Steuern

 Ein neues Kernkraftwerk Niederamt hat für die ganze Region räumliche Auswirkungen. Schon die gewählte Bezeichnung "Kernkraftwerk Niederamt" widerspiegelt die regionale Bedeutung. Verschiedene kernkraftwerkbezogene Einflüsse wie zum Beispiel Sichtbarkeit des Kühlturmes, Schattenwurf, Distanz zur Kernanlage, Transportleitungen für den Strom oder tiefere Liegenschaftspreise beeinträchtigen die umliegenden Gemeinden. Allein die negativen Imagewirkungen sind für die Region beträchtlich.

 Zudem sind elf Niederämter Gemeinden in der Bundesverordnung über den Notfallschutz in der Umgebung von Kernanlagen in der Gefahrenzone 1 ausgeschieden. Es darf nicht sein, dass bei einem allfälligen neuen Kernkraftwerk die Abgaben und Entschädigungen auf nur eine oder sehr wenige Gemeinden verteilt werden. Der Stüsslinger Gemeinderat erachtet es als legitim, dass die regionale Verteilung der Steuern und Abgaben bereits im Richtplan aufgenommen wird.