MEDIENSPIEGEL
8.2.11
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, Dachstock, Rössli)
- (St)Reitschule: Leistungsvertrag abgesegnet
- Jugendtreffs BE+BS: Beliebt + überfüllt; Gegen Rassismus
- Clubleben: WirtInnen gegen Regierungsstatthalter-Pläne
- Kulturgeld: Weniger weggespart
- RaBe-Info 7-8.2.11
- Freiraum Chur: Kulturwoche für Kulturzentrum
- Squat Stans: Hausbesetzung im Museum
- Anti-SVP: Plakatklau; Eierwürfe
- Gefangene: Soli-Demo für Steven
- Intersexualität: Protest gegen Verstümmelungen SG
- Sexwork: FDP fordert Sexwork-Lohnklagen; Strassenstrich LU
- Drogen: Schnellgerichte AG
- Nothilfe: Kritische Aktionswochen
- Sans-Papiers: Unia-Aktionspläne; Papierlosenzeitung;
Arbeitgeberstreit
- Ausschaffungen: Sri Lanka; Klage gegen Ausschaffungsinitiative
- Migration Control: Keine Chance für Nigerianer + Georgier;
Angriff auf Asylrechte
- Police ZH: Kennzeichnungsängste 1
- Police LU: Kennzeichnungsängste 2
- Big Brother Video: Gesetz LU; Regionalzüge SBB
- Big Brother Sport: Hooligans Neuchatel
- Weltsozialforum: Kritik + Aufrufe
- Gepfeffert: Ein schwäbischer Spray für die ganze Welt
- Anti-Atom: Niederamt; Mühleberg; Tiefenlager; BKW
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REITSCHULE
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Di 08.02.11
20.30 Uhr - Kino - Uncut - Warme Filme am Dienstag:
L'Arbre et la
Foret, Olivier Ducastel, Frankreich 2010
Mi 09.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel -
Gastküche: Restaurant
Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
19.00 Uhr - SousLePont - Mittelalter-Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von
Paraform. Eine
Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
Do 10.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel -
Gastküche: Restaurant
Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von
Paraform. Eine
Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
21.00 Uhr - Rössli - Pirol - Plattentaufe. Support:
Quieta.
--Indie/Noise/Shoegaze
Fr 11.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel -
Gastküche: Restaurant
Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
20.30 Uhr - Kino - Ander, Roberto Castón, Spanien
2009
20.00 Uhr - Infoladen - Die extreme Rechte in "Social
Networks".
Veranstaltung der Antifa Bern mit Michael Weiss, Antifaschistisches
Pressearchiv und Bildungszentrum Apabiz, Berlin
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von
Paraform. Eine
Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
23.00 Uhr - Dachstock - Patchwork: DOOM DJ-SET (aka MF
DOOM/Lex Rec).
Support: DJ Sassy J & ill dubio & ketepica -- Hiphop
Sa 12.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel -
Gastküche: Restaurant
Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
21.00 Uhr - Kino - Ander, Roberto Castón, Spanien
2009
20.30 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum
Valentinstag.
Conférence: Sylvia Garatti
22.00 Uhr - Dachstock - MARTERIA (GER), Support: DJ's
Kermit & Kid
Silly -- Hiphop, Electro
So 13.02.11
19.00 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum
Valentinstag.
Conférence: Sylvia Garatti.
20.00 Uhr - Rössli - Gabriel Hirsch -- Indiepop
Mo 14.02.11
20.30 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum
Valentinstag.
Conférence: Sylvia Garatti
Infos:
http://www.reitschule.ch
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kulturstattbern.derbund.ch 7.2.11
Kulturbeutel 6/11
Von Grazia Pergoletti am Montag, den 7. Februar 2011, um 06:02 Uhr
Signora Pergoletti empfiehlt:
Die "Murder Ballads" am Stadttheater, weil bei der Kombination Nick
Cave/Rebekka Kricheldorf eigentlich nichts schiefgehen kann, am Samstag
in der Vidmar. Wem, anstatt nach etwas mörderischem, eher nach
etwas lebenserhaltendem und sehr herzlichem zumute ist, sollte sich
"Let's Pretend To Be Human" ansehen, ein Projekt von Marcel Schwald,
unter anderem auch, weil es hier ein Wiedersehen mit der ziemlich
einzigartigen Ariane Andereggen gibt, ab Mittwoch im Tojo. Ausserdem
sei das Konzert von "Zachov!", alias Jacob Suske am Donnerstag im Sous
Soul wärmstens empfohlen!
(...)
Herr Sartorius empfiehlt:
Eine Woche der Konzerte. Diese beginnt am Mittwoch in der jubilierenden
Bee-Flat-Turnhalle mit dem Auftritt von The Bad Plus, geht weiter mit
den lieben Wave Pictures im Café Kairo am Donnerstag, ehe MF
Doom seine Maske auch am DJ-Set im freitäglichen Dachstock tragen
wird, bevor dann am Sonntag ins ebenfalls geburtstagsfeiernde Bad Bonn
gereist wird, um mit Glasser weiter zu verspielen. Eigentlich
hervorragend.
(...)
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kulturstattbern.derbund.ch 7.2.11
Phenomenautic
Von Gisela Feuz am Montag, den 7. Februar 2011, um 00:02 Uhr
Frau Feuz zückt den Hut vor dem eben Gesehenen. Am Sonntagabend in
einem halbvollen Rössli eine solche Show hinzulegen, muss man erst
mal hinkriegen. Die Helden des Abends heissen The Phenomenauts.
Grösstmögliches Rock'n'Roll-Kino inklusive
Klopapier-Abroll-Schleuder und Space-Uniform. Bravo!
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(ST)REITSCHULE
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BZ 8.2.11
Leistungsvertrag ist unterschrieben
Reitschule. Am Sonntag hat die Reitschule den Leistungsvertrag
mit der Stadt abgesegnet. Nun sieht es für den Vertrag im Stadtrat
gut aus.
Mehr als zwei Drittel des Berner Stimmvolks bekannten sich
letzten Herbst zur Reitschule und verwarfen eine Initiative, die deren
Schliessung und Verkauf verlangt hatte. Ausser der SVP und der FDP
hatten alle Parteien den Widerstand gegen die Initiative mitgetragen.
Es wurde aber schon damals deutlich, dass die Liebe der Mitte-Parteien
BDP, CVP, EVP, GFL und GLP zum alternativen Kulturzentrum keine
bedingungslose ist.
Zum Ausdruck kam dies gestern vor einer Woche: Die vorberatende
Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) empfahl mit den
Stimmen der Mitte, den Leistungsvertrag mit der Reitschule für die
Jahre 2012 bis 2015 abzulehnen (wir berichteten). Die Kommission
begründete ihren Entscheid damit, dass noch gar kein definitiver
Vertrag mit dem Verein Interessengemeinschaft Kultur in der Reitschule
(Ikur) vorliege. Zudem habe der Gemeinderat die Konsequenzen aus der
Motion Mozsa ("Reitschule schützen") nicht gezogen. Die Motion aus
dem Oktober 2008 fordert von der Reitschule verbindliche Strukturen,
einen permanenten Sicherheitsdienst sowie die Schliessung des
Eingangstors bei Demonstrationen.
"Jetzt kommt es wohl gut"
Vertreter von SP, Grünem Bündnis und der Jungen
Alternative (JA) kritisierten den SBK-Entscheid. Die JA warf der
Kommission vor, ein ideologisches "Zeichen der Intoleranz
gegenüber alternativen Strukturen und Andersdenkenden" gesetzt zu
haben.
Falsch, sagt Kommissionspräsident Martin Schneider (BDP) auf
Nachfrage: "Es ging der Kommission nie darum, die Reitschule zu
gängeln. Im Gegenteil: Die Kommission kam sich von der Reitschule
gegängelt vor." Da der Vertrag an der Kommissionssitzung noch
nicht vorgelegen habe, sei die gegenseitige Verbindlichkeit zwischen
Reitschule und Stadt nicht gegeben gewesen.
Die gestrige Nachricht aus der Reitschule, dass sie den
Leistungsvertrag abgesegnet habe, freue ihn. Sollte im Vertrag nicht
noch "ein Hund begraben sein", geht er davon aus, dass das
Geschäft im Stadtrat angenommen wird: "Dann kommt es wohl gut
für die Reitschule."
Kulturdebatte am 3.März
Behandelt wird der Leistungsvertrag zwischen Stadt und Reitschule
am 3. März, wenn der Stadtrat sämtliche Kulturverträge
für die nächste Subventionsperiode diskutiert. Die Ikur soll
von der Stadt jährlich 380 000 Franken erhalten.
Noch vor der grossen Kulturdebatte im Stadtrat sollte diesem die
gemeinderätliche Antwort auf die Motion Mozsa vorliegen, wie
Veronica Schaller, Leiterin der Abteilung Kulturelles, auf Anfrage
bestätigte. Auch bezüglich des Vertragsinhalts verbreitet sie
gute Stimmung: "Die Forderungen der Motion Mozsa sind im Vertrag
zwischen der Stadt und der Reitschule weitestgehend aufgenommen."
Nach den beiden kürzlich erfolgten Übergriffen auf die
Kantonspolizei bei der Reitschule (wir berichteten) ist es aber
denkbar, dass im Stadtrat aus den Reihen der Reitschule-Gegner
Sicherheitsfragen angesprochen werden. Die Mediengruppe der Reitschule
distanzierte sich in einer Stellungnahme von den Vorfällen und
bezeichnete sie als "kontraproduktiv und sinnlos".
Christoph Hämmann
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JUGENDTREFFS
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20 Minuten 8.2.11
Beliebte Berner Jugendtreffs
BERN. Die Jugendtreffs in der Stadt sind beliebt - und stossen
deshalb immer wieder an ihre Grenzen. "Es kommt oft vor, dass sich 200
Jugendliche auf 50 Quadratmeter pferchen müssen", sagt Stephan
Wyder, Co-Geschäftsführer des Trägervereins der offenen
Jugendarbeit (TOJ). Wyder schätzt, dass sich pro Jahr zwischen 31
000 und 35 000 Jugendliche in den acht Jugendtreffs der Stadt
aufhalten. Besonders eng wird es in den kalten Monaten - schon seit
längerem. "So können wir dem Betreuungsauftrag nicht gerecht
werden", erklärt Wyder. Es fehle sowohl an finanziellen wie auch
an personellen Ressourcen.
Stadtrat Manuel C. Widmer erstaunt das nicht: "Das ist ein
offenes Geheimnis. Die Treffs müssen immer mehr Funktionen
übernehmen, die ins Elternhaus gehören." Deshalb müsse
man als Erstes die Eltern unterstützen und nicht nach mehr
Ressourcen suchen. PEC
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20 Minuten 8.2.11
Mädchentreff gegen Rassismus
BERN. Nachdem Minarette per Volksentscheid verboten wurden und
kriminelle Ausländer ausgeschafft werden müssen, nimmt sich
der Berner Mädchentreff Punkt 12 nun des Themas Rassismus an. Noch
bis im Juli finden unter dem Motto "Gegen Rassismus und für
Menschenwürde" verschiedene Events und Workshops für Berner
Girls statt. So etwa der Film- und Diskussionsnachmittag "Respekt" oder
der Workshop "Misch dich ein!", in dem Tipps für mehr Zivilcourage
vermittelt werden. Der Treff an der Jurastrasse 1 steht für
Mädchen und junge Frauen von 10 bis 20 Jahren offen.
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20 Minuten 7.2.11
Basler Jugendtreffs platzen aus allen Nähten
BASEL. Die Jugendtreffs der Stadt sind sehr beliebt - und werden
deshalb regelrecht überrannt. Nun ist aber ihre
Kapazitätsgrenze erreicht.
Die sieben Jugendhäuser der Basler Freizeitaktionen BFA sind
beliebter denn je (siehe Box). Das bekommen auch die Mitarbeiter des
Jugendtreffs Dreirosen zu spüren, die ständig auf Trab
gehalten werden: Im Treff wimmelt es täglich nur so von
aufgeweckten Kindern und jungen Erwachsenen. Wer die gemütlichen
Räume im Brückenkopf der Dreirosenbrücke betritt,
versteht sofort, warum das Jugi so beliebt ist: Billardtisch, DJ-Pult,
Kino, Tanz- und Kraftraum - alles ist da, was ein Teenagerherz begehrt.
Während sich die zahlreichen Teenies bestens amüsieren,
kommen die Betreuer jedoch oftmals an ihre Grenzen. "Die
pädagogische Aufgabe, die mein Team zu leisten hat, ist mit den
vorhandenen Ressourcen nur schwierig zu bewältigen ", so Waltraud
Waibel, die den Jugendtreff leitet. "Während den strengsten Tagen
tragen zwei Betreuer die Verantwortung für hundert junge
Menschen", erzählt sie aus ihrem Alltag. Das sei schwierig, zumal
jeder Jugendliche individuelle Bedürfnisse habe. Für ihre
Schützlinge, die sie fast alle mit Namen kenne, sei sie
Psychologin und Lehrerin zugleich. "Jugendtreffs sind für viele
Kinder und Jugendliche ein zweites Zuhause ", weiss Waibel.
JEANNE DUTOIT
--
Boom bei den Jugendtreffs
BASEL. Laut Erhebungen hat sich die Besucherzahl der BFA-Treffs
in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. So wurden 2010 rund 72
000 Besuche verzeichnet, was im Vergleich zu 2009 einem Zuwachs von 37
Prozent entspricht. Das Jugi Dreirosen konnte sich 2010 mit 24 000
Besuchen über den höchsten Zulauf erfreuen. Aufgrund der
grossen Nachfrage fordert Albrecht Schönbucher,
Co-Geschäftsführer der BFA, einen zusätzlichen
Jugendtreff.
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CLUBLEBEN
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BZ 7.2.11
Online
Sicherheitsdienste
Reaktionen auf Lerchs Forderung
Die Forderung von Regierungsstatthalter Christoph Lerch, wonach
Wirte in der oberen Altstadt einen privaten Sicherheitsdienst
organisieren und selbst für Ruhe und Ordnung auf den Gassen sorgen
müssen (wir berichteten darüber), hat zahlreiche Kommentare
ausgelöst. Hier eine Auswahl.
Christoph Jeanneret: Was für eine unausgereifte und
undurchdachte Schnapsidee von Regierungsstatthalter Christoph Lerch.
Patrick Renfer: Und ich Naivling dachte, die Stadt respektive die
Polizei müsse für Recht und Ordnung schauen. Was macht
eigentlich die Stadt? Für was bezahle ich meine Steuern?
Peter Burri: Es wird ja immer schöner. Die Polizei macht am
liebsten nur noch die "Schoggijobs" wie Lärmmessungen bei
Motorrädern, Radarfallenaufstellen und Bussenverteilen.
Hans Berner: Christoph Lerch hält dagegen: "Lokalbetreiber
haben neben ihren Rechten auch Pflichten." Ich bin total dieser
Meinung. Gilt das auch für die Reithalle?
Heinz Gerber: Wie sieht es denn vor der Reitschule aus?
Müssen die Betreiber auch einen Sicherheitsdienst engagieren, oder
wird dies wieder von der Stadt subventioniert?
Martin Fischer: Am Ende werden die Kosten wieder auf den
Konsumenten, die Partygänger und die anständigen
Restaurantbesucher abgewälzt.
Max Fahrni: Eine gute Idee von Herrn Lerch.
Daniel Kettiger: Diese Idee ist rechtsstaatlich unhaltbar.
Private Sicherheitsdienste haben im öffentlichen Raum nichts zu
suchen.sru
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Bund 5.2.11
Wirte sollen zahlen - und gehen auf die Barrikaden
Der Regierungsstatthalter will die Wirte in der oberen Berner
Altstadt für die Sicherheit auf den Gassen zusätzlich zur
Kasse bitten - mit bis zu 5400 Franken jährlich. Der Plan
stösst auf grossen Widerstand.
Christian Brönnimann
Wirte und Clubbetreiber in der oberen Berner Altstadt sind in
Aufruhr. In einem Schreiben, das den Medien von FDP, SVP und BDP
zugespielt wurde, informierte der Regierungsstatthalter Bern-Mittelland
die Wirte im Januar über das geplante Sicherheitskonzept. Konkret
sieht es vor, dass Betriebe mit Überzeitbewilligung zwischen 300
und 450 Franken monatlich an einen privaten Sicherheitsdienst bezahlen
müssen, solche ohne Überzeitbewilligung 150 Franken. Laut
Regierungsstatthalter Christoph Lerch soll mit dem Geld eine
Zweierpatrouille mit Hund finanziert werden, die in Freitag- und
Samstagnächten zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh
auf den Gassen für Ruhe und Ordnung sorgt.
Betroffen von der Ankündigung sind 33 Betriebe in
Aarberger-, Neuen-, Genfer- und Speichergasse, knapp zwei Drittel davon
besitzen eine Überzeitbewilligung. Sollten sie sich nicht
freiwillig am Konzept beteiligen, wird das Regierungsstatthalteramt
"die notwendigen Auflagen trotzdem verfügen und die
Betriebsbewilligungen anpassen", wie im Schreiben zu lesen ist. Am 4.
März laden die Behörden zu einer Informationsveranstaltung
ein.
Die Wirte sind empört
Der Aufschrei ist gross: "Wir sind Wirte und keine
Hilfspolizisten", sagt zum Beispiel Eveline Neeracher, Präsidentin
von Gastro Stadt Bern und Umgebung. "Es kann nicht sein, dass wir
für die Sicherheit auf den Strassen verantwortlich gemacht
werden." Die Wirte bezahlten ja bereits Steuern und Gebühren, das
solle reichen. Bernhard Hüsser vom Restaurant Moléson in
der Aarbergergasse sagt, dass sich die betroffenen Wirte und
Clubbetreiber bestimmt gegen das Konzept wehren werden. "Diejenige
Instanz muss eine Aufgabe ausführen, die auch die dazu notwendigen
Kompetenzen besitzt", erklärt Hüsser. Ein privater
Sicherheitsdienst könne beispielsweise bei einer Schlägerei
nicht so durchgreifen wie die Polizei.
Auch für Rolf Bähler, Geschäftsführer des
Clubs Bonsoir, ist der eingeschlagene Weg der falsche. "Ich bin
über das Schreiben erschrocken, der Ton ist respektlos", sagt er.
Vor der Androhung einer Verfügung erwarte er einen gesunden
Dialog. Das Regierungsstatthalteramt sei aber auf ein
Gesprächsangebot im letzten Sommer gar nicht erst eingestiegen.
Nun liege ein einseitig erarbeiteter Vorschlag auf dem Tisch, der nicht
praktikabel sei. "Es gibt schwarze Schafe unter den Clubbetreibern, die
sich nicht um die Sicherheit scheren. Alle anderen sollen nun
dafür büssen", sagt Bähler. Viel sinnvoller wäre es
in seinen Augen, ein Nachtlebenkonzept zu schaffen, in welchem die
Anforderungen definiert würden, die ein Betreiber erfüllen
muss, um die Betriebsbewilligung zu erhalten (siehe auch Text unten).
Rechte bringen Pflichten mit sich
Christoph Lerch rechtfertigt das Konzept: "Wer Rechte, wie zum
Beispiel eine Überzeitbewilligung hat, hat auch Pflichten", sagt
er. "Das Konzept ist unser Entwurf und stützt sich auf das
kantonale Gastgewerbegesetz." Dieses besagt unter anderem, dass
Bewilligungen mit Auflagen verbunden (Artikel 4) und
Einschränkungen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gemacht
werden können (Artikel 1). Zudem haben Wirte ihren Betrieb so zu
führen, dass "für die Nachbarschaft keine
übermässigen Einwirkungen entstehen" (Artikel 21).
Die Behörden strebten an, "Hand in Hand" mit den Wirten eine
rasch umsetzbare Lösung zu suchen, deshalb organisiere man die
Informationsveranstaltung, so Lerch."Eigentlich sind die Pflichten der
Wirte ja bekannt, nun sollen sie auch wahrgenommen werden, analog zu
Sportveranstaltungen, wo sich die Teams an den Sicherheitskosten
beteiligen müssen." Überdies bitte auch die Stadt Thun ihre
Wirte zur Kasse für die Sicherheit.
In Thun beteiligen sich die Innenstadtwirte seit 2006
tatsächlich an den Kosten für einen privaten
Sicherheitsdienst. Die Beiträge sind jedoch deutlich tiefer
angesetzt als in Bern. Laut Karin Kupferschmied vom Gewerbeinspektorat
beträgt der Monatsbeitrag pro Betrieb zwischen 100 und 160
Franken. Zudem müssen nur diejenigen Betriebe bezahlen, die
über eine Überzeitbewilligung verfügen.
Kapo: Keine lückenlose Präsenz
Und weshalb kann nicht die Kantonspolizei für die Sicherheit
auf Berns Ausgehmeile sorgen? Immerhin steht bis 2013 eine Aufstockung
um 20 000 Mannstunden an. Eine Zweierpatrouille im vorgesehenen Rahmen
würde nur etwas mehr als einen Zwanzigstel davon in Anspruch
nehmen. "Eine lückenlose Präsenz ist nicht vorgesehen, da die
Polizei an sämtlichen Brennpunkten in der Stadt Bern präsent
sein muss", schreibt die Kantonspolizei dazu auf Anfrage.
Laut Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) geht es zudem um mehr
als um die Sicherheit: "Zusammen mit den Lokalen wollen wir eine
Gassenidentität entwickeln", sagt er. Dazu brauche es das
Commitment aller Betreiber, auch für die Gassen verantwortlich zu
sein, sowie einen gemeinsamen Sicherheitsdienst.
--
Reaktionen
"Lerchs Vorgehen zeigt das Dilemma der Linken beim Thema
Sicherheit"
Sämtliche Fraktionen im Berner Stadtrat lehnen private
Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum ab. In der Schweiz habe
der Staat das Gewaltmonopol inne.
Grossrat Philippe Müller (FDP) fühlt sich "verarscht":
Die Bestrebungen von Statthalter Christoph Lerch (SP) zur Bildung eines
privaten Sicherheitsdienstes in der oberen Altstadt zeigten, dass der
Gemeinderat vor einem Jahr nicht die Wahrheit gesagt habe, sagt der
Vater der Initiative zur Erhöhung der Polizeipräsenz. Vor der
Abstimmung habe der Gemeinderat stets versichert, dass Bern eine
sichere Stadt sei. Seither habe sich die Sicherheitslage nicht
verändert. Und trotzdem wolle nun SP-Statthalter Lerch für
mehr Patrouillenpräsenz in der oberen Altstadt sorgen - allerdings
durch private Sicherheitsdienste. "Offenbar hat die Polizei die Sache
eben doch nicht im Griff", sagt Müller.
Lerchs Vorgehen zeige sehr schön das "Dilemma der Linken"
beim Thema Sicherheit: "Man kann nicht gegen die Polizei und für
das staatliche Gewaltmonopol eintreten", sagt Müller.
Schelte für Lerch auch von der SP
Erstaunt über Lerchs Vorgehen sind aber auch die
rot-grünen Parteien. Das Grüne Bündnis (GB) könne
den Einsatz privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum "auf
keinen Fall akzeptieren", sagt Co-Fraktionschef Hasim Sancar. Und sogar
Lerchs eigene Partei, die SP, spricht von einer "unglücklichen
Forderung" Lerchs. Es sei zwar begrüssenswert, wenn nun ein
Versuch unternommen werde, die Lokale in der oberen Altstadt für
die Sicherheitskosten in die Pflicht zu nehmen, sagt Stadträtin
Corinne Mathieu. Das Gewaltmonopol müsse aber in der Hand des
Staates bleiben. Zudem sei es "schräg", wenn Speiselokale wie das
Moléson nun über den gleichen Leisten geschlagen
würden wie die Nachtklubs. Mathieu ortet auch ein Vakuum bei der
Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen, das nun durch den Statthalter
gefüllt werde.
"Gemeinderat versteckt sich"
In diesem Zusammenhang greift die SP-Frau zu ungewöhnlich
scharfen Worten gegen die rot-grüne Stadtregierung: "Der
Gemeinderat verschanzt sich hinter kantonalen gesetzlichen Grundlagen
und zieht sich somit aus der Verantwortung." Mathieu hat Mitte letzten
Jahres einen Vorstoss eingereicht, in dem sie die Ausarbeitung eines
Konzeptes für das Berner Nachtleben fordert. Eine
interfraktionelle Motion von GFL, GLP, BDP, SVP und CVP weist in eine
ähnliche Richtung. Beide Vorstösse sind noch hängig. Der
Gemeinderat hat sich bereits letztes Jahr gegen ein solches Konzept
ausgesprochen. Stadtpräsident Tschäppät sagte damals,
ein Konzept könne die konkreten Probleme vor einzelnen
Nachtlokalen in der Aarbergergasse nicht lösen. Die Instrumente
zur Lenkung des Nachtlebens seien ausreichend. Für deren Umsetzung
seien Polizei und Statthalter zuständig.
Welches Nachtleben will Bern?
"Mit einem Konzept kann man keine Gewalttaten verhindern", meint
auch GFL-Parteipräsident Manuel Widmer. Ein Konzept könnte
aber zu einer anderen Ausgangskultur in der oberen Altstadt beitragen,
von der sich eine andere Klientel angezogen fühlte. "Für
Statthalter Lerch ist das Nachtleben ein Problem. Es ist aber eine
Kultur, die nun mal zu einer Stadt gehört", sagt Widmer. "Mit
Zurückbinden und Reglementieren allein ist es nicht getan", meint
auch Christian Pauli, Präsident der Veranstalter-Dachorganisation
Bekult. Der Gemeinderat müsse eine Antwort auf die Frage finden,
welche Art Nachtleben er in Bern fördern wolle. "Ich habe den
Eindruck, dass der Statthalter gar nicht weiss, wie es in der
Aarbergergasse aussieht", sagt Pauli.(bob)
--
Kommentar
Gemeinderat und Statthalter auf dem Holzweg
Bernhard Ott
Der Gemeinderat der Stadt Bern und Regierungsstatthalter
Christoph Lerch (SP) haben diese Woche zwei äusserst
fragwürdige sicherheitspolitische Zeichen gesetzt. Der Gemeinderat
gab bekannt, dass er die Securitas-Patrouillen im Raum
Schützenmatte aus Spargründen aufheben will. Statthalter
Christoph Lerch wiederum will die Lokale an der Aarbergergasse unter
Drohungen zur Finanzierung eines privaten Sicherheitsdienstes
verpflichten. Die Behörden wollen also Aufgaben der
öffentlichen Sicherheit privatisieren und stellen das staatliche
Gewaltmonopol infrage. Diese Politik ist für rot-grüne
Politiker und Verwalter doch erstaunlich.
Der Gemeinderat foutiert sich um das Nachtleben und lehnt ein
entsprechendes Konzept ab. Statthalter Lerch wiederum zäumt das
Pferd von hinten auf. Anstatt mit den Wirten das Gespräch zu
suchen und gemeinsam ein Sicherheitsmonitoring zu etablieren, wie dies
ein Vorstoss der SP (!) im Stadtrat verlangt, droht er mit Massnahmen
wie dem Entzug von Überzeitbewilligungen. Ein einmaliger Vorgang
ist es auch, wenn eine Behörde Private unter Androhung von
Sanktionen zur Aufstellung eines Sicherheitsdienstes auf
öffentlichem Grund verpflichten will. Letztlich leuchtet es nicht
ein, warum die Polizei an Wochenenden in der Aarbergergasse nachts
nicht durchgehend präsent sein kann. Eine Zweierpatrouille
müsste während gut 1000 Stunden pro Jahr präsent sein,
was fünf Prozent der ab September anstehenden Erhöhung der
Polizeipräsenz ausmacht.
Der Fisch stinkt wohl vom Kopf her. Der Gemeinderat bestellt die
Polizei und definiert, wo sie schwerpunktmässig eingesetzt werden
soll. Warum er in der Aarbergergasse nicht für genügend
Polizei sorgt, ist schleierhaft. Will er nicht eingestehen, dass die
Stadt eben doch nicht so sicher ist, wie er vor der Abstimmung
über die Initiative zur Erhöhung der Polizeipräsenz
stets betont hatte? Ein solches Prestigedenken ginge zulasten aller,
die sich auch in der Aarbergergasse frei bewegen wollen. Der
Gemeinderat soll endlich im Dialog mit den Betroffenen ein Konzept zum
Nachtleben ausarbeiten, das auch unpopuläre Massnahmen
enthält. Dies wäre politisch zwar riskanter, aber auch
konstruktiver, als den Statthalter mit Zwangsmassnahmen
vorauszuschicken.
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KULTURGELD
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Bund 8.2.11
Kulturszene kommt mit blauem Auge davon
Die Auswirkungen der vom Berner Gemeinderat angekündigten
Sparmassnahmen für die nächsten drei Jahre sind für die
Kultur nicht so gravierend, wie befürchtet wurde.
Brigitta Niederhauser
Die Ankündigung hat die Berner Kulturszene aufgeschreckt:
"Wir scheuen uns nicht, unpopuläre Massnahmen zu ergreifen", sagte
Stadtpräsident Alexander Tschäppät letzte Woche, als der
Berner Gemeinderat bekannt gab, mit welchen Massnahmen er in den Jahren
2012 bis 2014 ein Defizit in der Stadtkasse verhindern wolle. 60
Millionen Franken will der Gemeinderat in den drei Jahren einsparen,
zwei Millionen davon zulasten der Kultur, und zwar im Bereich der
Förderkredite (siehe "Bund" vom 4. Februar).
Jährlich 150 000 Franken weniger
Was auf den ersten Blick nach einer drastischen Kürzung
aussieht, relativiert sich bei näherer Betrachtung. "Konkret
werden wir 150 000 Franken pro Jahr gegenüber 2011 einsparen
müssen", sagt Veronica Schaller, Kultursekretärin der Stadt
Bern. Das bedeute, dass der ursprünglich geplante und budgetierte
Ausbau bei den Förderkrediten nicht vorgenommen werden könne.
Wo genau wie viel gestrichen werde, steht zum heutigen Zeitpunkt
noch nicht fest. Zu den 150 000 Franken kommen noch die 160 000
Franken, die - wie bereits bekannt - ab 2011 beim Filmkredit gestrichen
werden. Diese Reduktion wird "abgefedert" durch die 500 000 Franken,
die der Kanton Bern zusätzlich jährlich dem Filmkredit
zukommen lässt, so Schaller.
Weitere Einsparungen von 200 000 Franken sind laut Veronica
Schaller beim Haus der Religionen möglich. "Wir haben die
Investitionsbeiträge hinausschieben können, diese fallen
nicht vor 2015 an."
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RABE-INFO
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Di. 8. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_8._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_8._Februar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%208.%20Februar%202011
- Eine andere Welt ist möglich: Das zehnte Weltsozialforum im
senegalesischen Dakar hat begonnen
- "Achtung, Frauen am Steuer!": Die Beratungsstelle für
Unfallverhütung geht diesem Vorurteil auf den Grund
- Berner Filmschaffende im Aufbruch: Heute startet die Tour de Berne
Links:
http://fsm2011.org
http://www.tour-de-berne.be/
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Mo. 7. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._Februar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%207.%20Februar%202011
- Nach der Absage in Genf - George W. Bush soll nun weltweit wegen
Foltervorwürfen verfolgt werden
- 40 Jahre Frauenstimmrecht - unser Kopf der Woche ist die
93-jährige Berner Frauenrechtlerin Marthe Gosteli.
Links:
http://www.amnesty.ch/de/laender/amerikas/usa/dok/2011/bush-schweiz-verlangt-verhaftung
http://www.gosteli-foundation.ch
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FREIRAUM CHUR
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Südostschweiz 8.2.11
Mit einer Kulturwoche für ein Churer Kulturzentrum werben
Der Verein Kulturraum Chur lässt nicht locker, damit Chur
doch noch zu einem Kulturzentrum kommt. Nächste Woche wird der
politischen Forderung mit einer Kulturwoche der nötige Nachdruck
verliehen.
Von Dario Morandi
Chur. - In Chur fehle es an Konzertlokalen und Räumen, in
denen Bands üben könnten. Die wenigen vorhandenen Räume
seien entweder zu teuer oder unzureichend isoliert, was wegen
Lärmimmissionen zu Konflikten mit Anwohnern führe: Diese
Feststellungen machte gestern, stellvertretend für die
Kulturschaffenden, Nora Scheel vom Verein Kulturraum Chur an einer
Medienkonferenz.
Eine Kulturwoche lancieren
Die Kulturschaffenden wollen diesen Makel innerhalb
nützlicher Frist beheben. Und zwar mit der Lancierung eines
Kulturzentrums. Im Vordergrund steht dabei die Nutzung der alten
Postremise, die unmittelbar an den Stadtgarten angrenzt. Auf Initiative
des Autonomen Jugenkulturvereins Chur haben sich der Verein
Bündner Musikszene, Nachtleba sowie die Jungsozialisten zum Verein
Kulturraum zusammengeschlossen und im September 2010 eine Petition mit
2700 Unterschriften zuhanden des Gemeinderates eingereicht. Und nun
setzen die jungen Leute weiteren Druck auf. Mit einer Kulturwoche
wollen sie zeigen, dass ihre Forderung noch längst nicht ad acta
gelegt ist.
Kulturellen Austausch ermöglichen
Die Kulturwoche versteht sich als eine Art
"Anschauungsunterricht", was in einem solchen Kulturzentrum so alles
möglich wäre. Denn: "Das geforderte Kulturzentrum soll der
ganzen Bevölkerung offen stehen - und damit auch allen
Ausdrucksformen", erklärte Tama Carigiet vom Verein Bündner
Musikszene. Vom Hardcore bis Kabarett könnten sich verschiedene
künstlerische Richtungen und deren Publikum den Raum teilen "und
dadurch kulturellen Austausch ermöglichen".
Im Programm der Kulturwoche (siehe Kasten) finden sich prominente
Künstler, die sich hinter die Forderung stellen. So etwa der
Bündner Kabarettist Flurin Caviezel, der mit seinem Stück
"Zmizt im Leba" auftritt, und der Schauspieler Jaap Achterberg, der
"Die Geschichte von Herrn Sommer" präsentiert.
Nicht alle Forderungen vergessen
Dass der Ruf nach einem Kulturzentrum in Zeiten (fast) leerer
Kassen im Rathaus auf mehr oder weniger taube Ohren stossen
dürfte, wissen die Initianten der Kulturwoche beziehungsweise des
Kulturzentrums Die finanzielle Situation der Stadt stelle sicher ein
grosses Problem dar, sagte Kulturraum-Sprecherin Scheel. "Man sollte
aber trotzdem deshalb nicht alle politischen Forderungen vergessen."
Das Anliegen für die Schaffung eines Kulturzentrums sei
berechtigt, meinte sie und verwies dabei auf die vielen Unterschriften
in der Petition.
Scheels Kollege vom Verein Bündner Musikszene sieht es
ähnlich: Bereits vor mehr als zehn Jahren sei die Forderung nach
einem Kulturzentrum laut geworden. "Passiert ist aber bisher nichts",
sagte Carigiet. "Und dabei wuchert es in Chur nur so von Kultur."
Deshalb wolle man sich auch nicht allein auf eine Nutzung der alten
Postremise konzentrieren. Vielleicht gebe es in Chur auch noch andere
Möglichkeiten.
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SQUAT STANS
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NLZ 8.2.11
"Hausbesetzung" im Museum
Stans
Künstlerinnen setzten sich mit den Räumen des
Winkelriedhauses auseinander. Das Ergebnis ist als "Hausbesetzung" zu
bewundern.
red. Das Nidwaldner Museum eröffnet am Samstag, 12. Februar,
um 17 Uhr die neuste Sonderausstellung "Hausbesetzung" im
Winkelriedhaus. 13 Künstlerinnen haben sich über mehrere
Wochen mit den Räumen des altehrwürdigen Hauses
auseinandergesetzt. Dies taten sie nicht zum ersten Mal. Vor zehn
Jahren stellten die gleichen Künstlerinnen auf Einladung des
Frauenforums im Salzmagazin aus.
Nun hat das Nidwaldner Museum sie eingeladen, in einer
regulären Museumsausstellung ihre Entwicklung zu zeigen. Unter der
Kuration von Brigit Kämpfen-Klapproth ist eine spannende
Ausstellung entstanden. "Die Besetzerinnen machen mit ihren
Installationen und Interventionen auf das Haus aufmerksam und lassen es
selber zum Ausstellungsobjekt werden, indem sie es zwingen -
spielerisch, poetisch, tiefgründig -, sowohl seine Erinnerungen
und sein Wesen preiszugeben als auch neue Interpretationen und
Perspektiven zuzulassen", heisst es in einer Medienmitteilung. Die 13
Künstlerinnen stellten sich mit Lust und Respekt dieser
Herausforderung.
"Als Vorteil erwies sich dabei die Tatsache, dass das
Winkelriedhaus bereits zwei Monate vor Ausstellungseröffnung frei
war. Viele nutzten diese Zeit, um sich mit dem Ausstellungsort
auseinanderzusetzen. Ihre Arbeiten reiften direkt in Räumen. Es
entstanden Rauminstallationen, welche als brandneue Schöpfungen
die Architektur, die Geschichte, das Dekor oder die Bilderwelt des
Hauses als Ausgangspunkt haben", heisst es weiter. Nach und nach wurde
das ganze Haus in Besitz genommen. In dieser Vorbereitungsphase
entstand der Ausstellungstitel "Hausbesetzung".
"Hausbesetzung": 13. Februar bis 24. April im Nidwaldner Museum,
Winkelriedhaus, Engelbergstrasse 54a, Stans. Öffnungszeiten:
Mittwoch bis Freitag 14 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 17 Uhr.
Vernissage: 12. Februar, 17 Uhr. Weitere Informationen unter
www.nidwaldner-museum.ch
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ANTI-SVP
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NLZ 7.2.11
"Chaoten und Diebe" am Werk
Giswil
Die SVP Obwalden gibt sich entrüstet: In Giswil hat jemand
ein Abstimmungsplakat geklaut - und den Ständer gleich mitgehen
lassen.
ve. Die SVP Obwalden habe sich in den vergangenen Jahren an
einiges gewöhnt in Sachen öffentlicher Plakatierung, schreibt
die Partei. "Umgeworfene und beschädigte Plakatständer sind
auch hier an der Tagesordnung."
Nun aber, findet die SVP, wurde eine weitere Grenze
überschritten: Unbekannte Täter haben in Giswil ein
Propagandaplakat gegen die Waffeninitiative gestohlen - samt einem
neuen Plakatständer. Der Diebstahl passierte unterhalb des
Restaurants OWI-Land in Giswil.
Die SVP Obwalden hat nun Strafanzeige eingereicht und bittet
allfällige Zeugen, sich bei der Polizei zu melden. "Unsere
fleissigen Mitglieder liessen sich aber all die Jahre nie entmutigen
und stellten die mutwillig beschädigten Plakatständer immer
wieder auf", schreibt die Partei. "Letztes Jahr liessen wir neue
Plakatständer produzieren, bezahlt von Mitgliederbeiträgen.
Mit Diebstahl haben wir aber nicht gerechnet."
Nicht von Millionären gesponsert
Die SVP Obwalden stellt weiter klar: Entgegen anders lautenden
Berichten, wonach "die SVP von Multimillionären gesponsert werde",
müsse man diesen Diebstahl - und auch frühere
Beschädigungen - aus der eigenen Kasse berappen.
"Das alles passiert in einen Land, das sich bei jeder Gelegenheit
auf die direkte Demokratie beruft", schreibt die SVP Obwalden.
"Verstärkt wird das noch von Aussagen gewisser Parteien, die nicht
müde werden, über Respekt und Toleranz zu philosophieren.
Abgerundet durch ein Gejammer, die heutige Bevölkerung sei
demokratiemüde und die Stimmbeteiligung zum Heulen."Die SVP
Obwalden verurteile solche Attacken gegen politisch engagierte Leute
aufs Schärfste und "verlangt von den Behörden, endlich
durchzugreifen, statt bemühend wegzuschauen".
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Nachgefragt
"Das geht zu weit"
Albert Sigrist, Präsident SVP Obwalden
Hat man schon einen Verdacht, wer den Ständer entfernt haben
könnte?
Albert Sigrist: Nein, leider nicht. Vermutlich handelt es sich um
Befürworter der Initiative.
Ist es mehr als ein Lausbubenstreich?
Sigrist: Lausbubenstreich? Seit wann gehen
Sachbeschädigungen und Diebstahl unter dieses Kapitel?
Wie viel kostet so ein Ständer?
Sigrist: Ein Ständer hat uns rund 450 Franken gekostet. Dazu
kommen die Kosten für die Pflege, die Plakate und die Lagerung.
Nicht in diesen Kosten ist das ehrenamtliche Bearbeiten und Verteilen
der Ständer durch unsere Mitglieder.
Wurden an anderen Orten auch wieder Plakate beschädigt?
Sigrist: Ja, leider müssen wir uns immer wieder mit
beschädigten Ständern und Plakaten beschäftigen. In
früheren Jahren war es noch eher schlimmer als im Moment. Unsere
Plakatverantwortlichen in den Gemeinden haben aber immer den
grösseren Durchhaltewillen als die Chaoten. So nach der dritten
Zerstörungsaktion durch Chaoten haben die Plakatständer dann
eher Ruhe.
Hand aufs Herz: Profitiert die SVP nicht auch ein bisschen von
solchen Aktionen - die Partei in der Rolle als Opfer von "Chaoten und
Dieben"?
Sigrist: Wir haben neue Ständer produziert und sind sehr
motiviert, diese aufzustellen. Da kommt mehr Frust als Freude auf, wenn
diese mutwillig zerstört oder gestohlen werden. Diebstahl geht zu
weit, deshalb haben wir auch Strafanzeige eingereicht.
ve
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Zentralschweiz am Sonntag 6.2.11
Eier-Attacke auf SVP-Präsident
Jürg Auf der Maur
In Basel wurde SVP-Präsident Toni Brunner gestern mit einem
Ei beworfen. Auf eine Strafklage will er aber verzichten.
Die Liste der Übergriffe auf SVP-Einrichtungen,
-Veranstaltungen und -Personen wird immer länger. Auch wenn sie
gemäss eigenem Bekunden "unvollständig" ist, umfasst sie
mittlerweile über 20 Ereignisse, die SVP-Generalsekretär
Martin Baltisser seit September 2006 notieren musste.
Der jüngste Vorfall ereignete sich am Freitagabend in Basel,
als SVP-Präsident Toni Brunner nach der Muba-Eröffnung eine
Veranstaltung der Kantonalpartei besuchte. Kurz bevor er ins
Gebäude eintrat, wurde er mit einem Ei beworfen. "Hätte es
mich im Gesicht getroffen, wäre es sicherlich schmerzhaft
geworden", sagt Brunner gegenüber unserer Zeitung.
Brunner selber wollte den Fall zwar nicht publik machen, nahm
aber öffentlich Stellung, nachdem die Attacke am Samstag auch
Thema in der "Basler Zeitung" geworden war.
Keine Anzeige
Brunner geht davon aus, dass es sich bei der Täterschaft um
zwei jüngere Männer gehandelt habe, die politisch wohl eher
dem linken Lager zuzuordnen gewesen seien. Beide machten sich sofort
nach dem Wurf aus dem Staub. Die SVP verzichtet nach Rücksprache
mit ihrem Präsidenten auf eine Strafanzeige. Er wolle den Fall
nicht unnötig aufbauschen, begründet Brunner seinen
Entscheid, auch wenn sich die Eierattacke "in eine ganze Anzahl von
Übergriffen" einreihe.
Dabei ist auch ein Wandel feststellbar. Wurden früher
primär SVP-Veranstaltungen gestört, SVP-Immobilien besetzt
oder Wohnhäuser von SVP-Parlamentariern beschädigt, wird seit
2011 direkt auf Personen gezielt. So wurde der Zürcher
SVP-Nationalrat Hans Fehr vor Monatsfrist vor dem Albisgüetli
attackiert und verletzt.
Anstieg seit November 2010
Gemäss interner Liste nimmt die Zahl der Übergriffe
seit November 2010 stark zu. So wurde das SVP-Sekretariat in Lausanne
besetzt, der Zugang zum Zürcher Parteisekretariat zugemauert und
das Generalsekretariat in Bern gleich zweimal angegriffen, indem Storen
und Fenster zerstört und die Fassade Opfer von Schmierereien wurde.
Am 1. und am 2. Januar wurde das SVP-Generalsekretariat erneut
Ziel eines Angriffs. Davor wurden im November und im Dezember in
Zürich aber auch Privathäuser attackiert. So in Winterthur
dasjenige von Nationalrat Jürg Stahl und Natalie Rickli, bereits
im November war Nationalrat Ulrich Schlüer betroffen.
Jürg Auf der Maur
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GEFANGENE
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Indymedia 7.2.11
Gemeinsam gegen Repression, Sa. 5.2.2011 ::
AutorIn : freiheit
Am Samstag 5.2.2011 grüssten ca. 60 Personen lauthals Steven, der
seit dem 15.12.2010 in Untersuchungshaft im BGZ sitzt.
Lauthals und mit einigem Feuerwerk und lauter Musik versammelten wir
uns am Sa. 5.2. vor dem BGZ. Die Stimmung war gut und folgender Flyer
wurde den PassantInnen verteilt:
GEMEINSAM GEGEN REPRESSION
Untill all are free, no one is free!!!
Wir gehen heute auf die Strasse um für die Freiheit von Steven zu
kämpfen. Er wurde am 15.12.2010 in Zürich verhaftet. Ihm wird
vorgeworfen einen Brand auf der Hardbrücke vom 18.9.2010
verursacht zu haben. Obwohl die Beweislage alles andere als klar ist,
wurde das Haftentlassungsgesuch abgelehnt. Der Staatsanwalt will Steven
bis zum Prozess im Gefängnis behalten. Gegen Steven und die
Bewegung lief in den letzten Wochen eine vorverurteilende, mediale
Hetze. Allen voran der Blick mit dem rechten Journalisten Victor
Dammann, der nicht davor scheute, das Umfeld sowie private Daten zu
veröffentlichen.
Es sind jedoch nicht nur AktivistInnen von Repression betroffen,
sondern staatliche Unterdrückung zieht sich durch viele
gesellschaftliche Bereiche: Alltäglich werden Menschen aufgrund
rassistischer Vorbehalte kontrolliert, von Migrationsämter
schikaniert und womöglich abgeschoben.
Die Wirtschaftskrise wird auf die abgewälzt, die den Gürtel
schon länger "enger" schnallen müssen: Alleinerziehende,
Arbeitslose, RentnerInnen, SozialbezügerInnen, SchülerInnen.
Dort wird gespart was das Zeug hält, während sich die Chefs
von Banken Millionenbonis auszahlen lassen. Doch wen überraschts!
Der Staat mit seinen verschiedenen Repressionsapparaten wie Polizei und
Justiz hat schon immer versucht, jeglichen Widerstand zu behindern.
Schliesslich dient das staatliche Gewaltmonopol der Sicherung der
herrschenden Ordnung. Neben Ueberwachung, Fichierung und
Einschüchterung ist auch die öffentliche Diffamierung wie es
gerade in den Medien geschieht, eine Folge der Kriminalisierung. Wir
sollen als gefährlich, inhaltslos verleumdet werden, um
mögliche Solidarisierung zu erschweren und Spaltungsprozesse unter
der Bevölkerung in Gang zu setzen. Diese Spaltung dient
letzendlich den Mächtigen, damit sich die Wut nicht gegen die
Profiteure und den Staat richtet!
Es ist wichtig Steven und den anderen Gefangenen unsere
Solidarität zu zeigen. Setzen wir der medialen Hetze gegen uns und
gegen die Bewegung unseren Widerstand entgegen!
FREIHEIT FÜR STEVEN! ZUSAMMEN SIND WIR STARK! SOLIDARITÄT MIT
DEN POLITISCHEN GEFANGENEN!
Freiheit für alle Gefangenen - Knäste sind keine Lösungen
Zürich, 5.2.11
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INTERSEXUALITÄT
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St. Galler Tagblatt 7.2.11
Protest gegen Verstümmelung von Zwittern
Vor dem Ostschweizer Kinderspital protestierte gestern nachmittag
die Menschenrechtsgruppe "Zwischengeschlecht.org" gegen kosmetische
Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen in Schweizer
Kinderkliniken.
"Wir protestieren gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen
an Zwittern", sagte Daniela Truffer, Gründungsmitglied der
Organisation. Auch am St. Galler Kinderspital würden
regelmässig Kinder ohne ihre Einwilligung an den uneindeutigen
Genitalien zwangsoperiert, lebenslängliche psychische und
physische Schäden seien die Folgen. In einem offenen Brief fordert
die Organisation das Kinderspital dazu auf, die fragwürdigen
Praktiken im Zusammenhang mit Intersexualität zu
überprüfen und Stellung zu nehmen. Auch setze man sich
für ein gesetzliches Verbot der Genitaloperationen ein.
An der friedlichen Aktion beteiligten sich etwa zehn Personen,
laut Truffer "verhältnismässig viele Leute". Denn
"Intersexualität ist immer noch ein grosses Tabu". Die Gruppe
hatte bereits vor Kinderkliniken in Zürich, Bern und Luzern
protestiert. (jag)
---
zwischengeschlecht.info 6.2.11
>>> Chefarzt Prof. Dr. Christian Kind:
"Genitalverstümmelungen ethisch unbedenklich"
Heute Sonntag 6.2. protestiert die Menschenrechtsgruppe
Zwischengeschlecht.org zum 4. Mal mit einer friedlichen Aktion gegen
die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern in Schweizer
Kinderkliniken. >>> mehr
Um 15:00 Uhr vor dem Kinderspital St. Gallen werden wir den
Verantwortlichen des Kinderspitals einen Offenen Brief persönlich
übergeben. Den Wortlaut des Offenen Briefes finden Sie
untenstehend.
Der Offene Brief wurde den Verantwortlichen des Kinderspitals St.
Gallen bereits per Mail zugestellt.
Zum Einholen von Statements zum Inhalt des Offenen Briefes besteht
keine Sperrfrist!
Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von
kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie
"Menschenrechte auch für Zwitter!".
KONTAKT:
n e l l a
Daniela Truffer
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info
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>>> Der Offene Brief als PDF
http://zwischengeschlecht.org/public/Offener_Brief_SG_2011.pdf
Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!
Postfach 2122
8031 Zürich
info@zwischengeschlecht.org
Ostschweizer Kinderspital
z.Hd. Kinderchirurgie
und Pädiatrie/Jugendmedizin
Claudiusstrasse 6
9006 St. Gallen
Zürich, 6. Februar 2011
Offener Brief von Zwischengeschlecht.org
Sehr geehrte Damen und Herren
Als sogenannt 'intersexuelle' Menschen und in diesem Zusammenhang auch
Betroffene von nicht eingewilligten medizinischen Massnahmen sind wir
sehr besorgt über öffentliche Äusserungen und
Verlautbarungen aus dem Ostschweizer Kinderspital, worin ebensolche
Zwangsmassnahmen öffentlich propagiert, gerechtfertigt oder
beschönigt werden.
So werden im Ostschweizer Kinderspital unter anderem bei Kleinkindern
mit "Störungen der Geschlechtsentwicklung", "Hypospadie" und
"Klitorishypertrophie" medizinisch nicht notwendige chirurgische
"Korrektureingriffe" öffentlich angeboten und offensichtlich auch
regelmässig durchgeführt. (1)
Zwar bemüht sich das Kispi dabei gegen aussen um einen betont
fortschrittlichen und aufgeklärten Anstrich:
So bestehe seit Jahren ein "Multiprofessionelles
endokrinologisch-gynäkologisch-psychologisches Betreuungsteam (MBT
ENG)" (1) beziehungsweise ein "Multiprofessionelles Betreuungsteam
für Störungen der Geschlechtsentwicklung, früher
'Intersexualität' (MBT-DSD)" (2), welches betroffenen Kindern und
ihren Eltern unter anderem auch "[p]sychologische Beratung und
Betreuung" sowie eine "Mitarbeiterin des Sozialdienstes" zur
Verfügung stelle. Weiter würden auch Kontakte zu
"Selbsthilfegruppen" vermittelt (1). "(…) wir nehmen das Kind so an,
wie es ist (…) und drängen nicht zu einer Entscheidung in die eine
oder andere Richtung." (2)
Leider scheint dieser hohe Anspruch bisweilen nicht ganz der
Realität zu entsprechen. So schilderte unlängst eine Mutter
ihre Erfahrungen mit dem "Multiprofessionellen Betreuungsteam" wie
folgt:
"Wir Eltern wurden von den Ärzten massiv unter Druck gesetzt, das
Kind geschlechtsbestimmend operieren zu lassen, obwohl es vollkommen
gesund war und keine Beschwerden hatte. Nicht zu operieren, wäre
für das Kind ein gesellschaftliches Desaster, lautete die
Begründung. Die Rede war zuerst von einem Mädchen. ‘Aber wir
machen auch einen Bub, wenn Sie das lieber wollen', bot uns die
Ärztin an." (3)
Auch die versprochenen Hinweise auf Selbsthilfegruppen entsprechen laut
der Betroffenenselbsthilfe intersex.ch offensichtlich nicht immer der
tatsächlichen Praxis.
Weiter fällt auf, dass die konkret angebotene
sozialpädagogische Unterstützung letztlich doch nicht so ganz
ergebnisoffen, sondern primär auf medizinische Behandlungen
ausgerichtet ist: Erwähnt werden lediglich gegebenenfalls
Hinauszögerung der Anmeldung als Junge oder Mädchen bei den
Meldebehörden sowie Unterstützung bei der Durchsetzung von
Forderungen bei Krankenkassen und Invalidenversicherung. (2)
Leiterin des "Multiprofessionellen Betreuungsteams" ist die
Endokrinologin Prof. Dr. med. Dagmar L'Allemand-Jander, zugleich
leitende Ärztin Endokrinologie/Diabetologie am Ostschweizer
Kinderspital sowie Leiterin des "Studienzentrum St. Gallen" des
deutschen "Netzwerk Intersexualität/DSD". Angesprochen auf
(prophylaktische) Kastrationen und deren lebenslange Folgen behauptete
L'Allemand-Jander am 5. Netzwerktreffen 2008 in Kiel öffentlich:
"Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." (4) Obwohl
geschlechtsbestimmende Operationen zum Mädchen, wie sie der oben
zitierten Mutter angetragen wurde, eine Entfernung der Hoden
zwangsläufig beinhalten.
Bezeichnenderweise sind auch vom Ostschweizer Kinderspital keinerlei
Zahlen darüber bekannt, wie viele Kinder mit "Störungen der
Geschlechtsentwicklung" dort behandelt werden und wie viele davon
kosmetisch genitaloperiert und/oder kastriert werden.
Chefarzt Pädiatrie/Bereichsleiter Fachbereich Pädiatrie am
Ostschweizer Kinderspital ist Prof. Dr. Christian Kind, der
gleichzeitig unter anderem als Präsident der "Zentralen
Ethikkommission (ZEK)" der "Schweizerischen Akademie der medizinischen
Wissenschaften (SAMW)" amtet. Angesprochen auf die ethische Problematik
kosmetischer Genitaloperationen an Kindern gab er 2010 öffentlich
bekannt:
"[Wir] richten uns dabei eigentlich nach dem, was wir für Signale
aus der Ärzteschaft und aus der Öffentlichkeit bekommen. Und
da muss ich Ihnen sagen, dass in unserer Wahrnehmung bis jetzt das
Problem der Störung der Geschlechtsentwicklung nicht als so
brennend und mit einem grossen Handlungsbedarf behaftet gesehen wird."
(5)
Im selben Interview urteilte Prof. Dr. Kind über die Jahrzehnte
langen Klagen unzufriedener Zwangsbehandelter:
"Es scheint uns eher, dass es sich um Einzelproteste und eine sehr sehr
kleine Gruppe zu handeln scheint und sich auch auf etwas Vergangenes
bezieht." (5)
Dies, obwohl das Ostschweizer Kinderspital an der Lübecker
Evaluationsstudie beteiligt war, die unter anderem bestätigte,
dass heute noch 90% aller betroffenen Kinder und Jugendlichen im
Durchschnitt mehrfach kosmetisch genitaloperiert werden, wobei die
Behandlungsunzufriedenheit hoch ist (vgl. auch unten Anmerkungen 7 und
8).
Als Betroffene sowohl von nicht eingewilligten "Genitalkorrekturen" wie
auch von nicht eingewilligten Gonadektomien sind wir über solche
Aussagen und "Beratungen" entsetzt und halten fest:
Geschlechtszuweisende chirurgische "Genitalkorrekturen" ohne
medizinische Indikation, wie sie auch im Ostschweizer Kinderspital
immer noch regelmässig an Kleinkindern durchgeführt werden,
sind auch in der medizinischen Lehre alles andere als unumstritten.
Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, dass sie auf lange
Sicht wirksam und sicher sind. Hingegen gibt es viele Indizien, welche
ihre Wirksamkeit in Frage stellen.
Weder ist gesichert, dass "Genitalkorrekturen" langfristig zu besseren
psychosozialen Resultaten führen, als wenn sie unterlassen werden.
Noch kann garantiert werden, dass ein Kind sich entsprechend der ihm
zugewiesenen Geschlechtsidentität entwickelt. Im Gegenteil,
aktuelle Studien belegen:
"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant
hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet
geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr
zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr
unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T.
unzufrieden." (6)
Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und
auch Eltern intersexueller Kinder "gering". Eltern beurteilen "die
behandelnden Ärzte/Ärztinnen schlechter als Eltern von
Kindern mit anderen chronischen Erkrankungen". (7) "Als Ergebnis zeigt
sich, dass viele Erwachsene mit DSD mit der medizinischen Behandlung
sehr unzufrieden sind." (8)
"The outcome of early genital vaginoplasty is poor and repeat
procedures are common. Complications such as stenosis and persistent
offensive vaginal discharge and bleeding are common. [...] It is also
increasingly clear that clitoral surgery in childhood is detrimental to
adult sexual function." (9)
"Auch aus der Literatur ist bekannt, dass sich ein
überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im
Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das
ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (10)
Dass die Wirksamkeit der chirurgischen und hormonellen
Behandlungsmethoden an Kleinkindern auch nach sechzigjähriger
Praxis immer noch nicht erwiesen werden konnte, wird durch die Tatsache
unterstrichen, dass es in der Schweiz dazu noch nicht einmal eine
Leitlinie gibt. Selbst im benachbarten Ausland, wie zum Beispiel in
Deutschland, befinden sich die aktuellen AWMF-Leitlinien allesamt auf
der niedrigsten Entwicklungsstufe 1.
Flächendeckende prophylaktische Gonadektomien sind laut
medizinischen Studien in den meisten Fällen medizinisch nicht
notwendig, haben aber für die Betroffenen lebenslange, sehr
schwerwiegende Folgen, insbesondere bei anschliessender
Hormonersatztherapie entgegen der ursprünglichen Hormonproduktion
des Körpers. So beträgt beispielsweise bei CAIS das
Krebsrisiko lediglich 0.8 %, bei PAIS 15 %. (11) Sogar Wünsch und
Wessel halten in einer aktuellen Publikation fest: "Indikation und
Zeitpunkt der Gonadenentfernung müssen dem individuellen
Tumorrisiko angepasst werden. Der Schutz der Fertilität ist ein
zentrales Anliegen." (12)
Auch aus ethischen und juristischen Gründen sind
geschlechtszuweisende chirurgische "Genitalkorrekturen" und
prophylaktische Gonadektomien an Kindern ohne deren informierte
Zustimmung strikt abzulehnen.
So kritisiert zum Beispiel Dr. med. Nikola Biller-Andorno, Professorin
für Biomedizinische Ethik an der Universität Zürich, in
der "Schweizerischen Ärztezeitung" an einem konkreten
Fallbeispiel, dass eine "Verschiebung der operativen 'Korrektur'" mit
"Einbeziehung des dann Jugendlichen in den Entscheidungsprozess" von
den behandelnden Ärzten lediglich als "'theoretische' Option",
jedoch nie als praktische Möglichkeit erwogen wird.
Im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten plädiert
Biller-Andorno "angesichts des relativ geringen Schadens/Risikos im
Falle des Aufschiebens einer Operation und angesichts der noch nicht
zufriedenstellenden Datenlage bezüglich der Auswirkungen der
jeweiligen Eingriffe auf die Lebensqualität der Betroffenen"
für eine Aufschiebung und dagegen, "durch eine Operation bereits
irreversible Fakten zu schaffen". (13)
Auch internationale Ethikgremien kommen zum Schluss:
"Our working group unanimously supported waiting for children to be old
enough to participarte in decisions about risky and painful surgeries
that might fail to reliably retain function and produce more normal
appearance (for example, surgery for intersex and achondroplasia)." (14)
"Maßnahmen, für die keine zufrieden stellende
wissenschaftliche Evidenz vorliegt, sowie Maßnahmen, die
irreversible Folgen für die Geschlechtsidentität oder
negative Auswirkungen auf Sexualität oder
Fortpflanzungsfähigkeit haben können, sind besonders
begründungs- und rechtfertigungspflichtig und bedürfen einer
zwingenden medizinischen Indikation. [...] Die Verfügung über
Organe und Strukturen, die für die körperliche
Integrität oder Geschlechtsidentität wichtig sind (z.B.
Keimdrüsen), sollten in der Regel - wenn keine gewichtigen, das
Kindeswohl betreffenden Gründe entgegenstehen - dem Betroffenen
selbst überlassen bleiben." (15)
Auch Prof. Dr. iur. Andrea Büchler, Professorin für
Privatrecht an der Universität Zürich, stellt
unmissverständlich klar:
"Ein medizinischer Eingriff braucht die Zustimmung der betroffenen
Person. In der Regel können die Eltern für ihr Kind
zustimmen. Geschlechtszuweisende Operationen aber tangieren die
höchstpersönlichen Rechte und dürfen nicht ohne
Zustimmung des betroffenen Kindes vorgenommen werden - ausser es ist
medizinisch notwendig." (16)
Nicht zuletzt verletzen medizinisch nicht notwendige, kosmetische
Genitaloperationen an Kleinkindern Grund- und Menschenrechte,
insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit und
Selbstbestimmung.
Namhafte Menschenrechtsorganisationen unterstreichen zudem die
Parallelen zur weltweit geächteten Praxis der weiblichen
Genitalverstümmelung.
Die Stiftung Kinderschutz Schweiz kritisiert 2009 in einem gemeinsam
mit der Mütter- und Väterberatung Schweiz herausgegebenen
Elternratgeber:
"Leider werden auch heute noch viele intersexuelle Kinder bereits als
Säugling oder Kleinkind operativ einem Geschlecht zugewiesen (…)."
(17)
Die beiden Organisationen konstatieren,
"dass nicht notwendige operative Eingriffe dringend vermieden werden
sollten, bis das Kind bzw. der Jugendliche selbst miteintscheiden kann,
ob und wenn ja welche Eingriffe vorgenommen werden sollen." (17)
In der Vernehmlassung zur parlamentarischen Initiative "Verbot von
sexuellen Verstümmelungen" forderten Terre des Femmes Schweiz und
die Schweizer Sektion von Amnesty International 2009 ausdrücklich
die Ausdehnung des Tatbestandes auch auf kosmetische Genitaloperationen
an Intersexuellen. (18)
Die Sektionen Schweiz und Deutschland von Amnesty International
verabschiedeten 2010 an ihren Jahresversammlungen je eine Motion, worin
sie Handlungsbedarf unterstrichen.
Amnesty Schweiz führte dazu in der Begründung aus:
"Wir erachten genitale Zwangsoperationen für ein schweres
Verbrechen, das gegen die Menschenrechte auf körperliche
Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde verstösst.
Genitale Zwangsoperationen sind schwere medizinische Eingriffe an
Kindern mit gesunden, aber sogenannten nicht eindeutigen
Geschlechtsmerkmalen, die ohne die Einwilligung der Betroffenen
vorgenommen werden. Die Folgen von chirurgischen und
medikamentösen Eingriffen werden von den Betroffenen oft als
Verstümmelungen wahrgenommen. Die Suizidrate bei operierten und
hormonbehandelten Intersexuellen ist stark erhöht; auch
verstösst die Zuweisung zum explizit männlichen oder
weiblichen Geschlecht gegen die Menschenrechte auf körperliche
Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde, die nicht nur bei
Female Genital Mutilation (FGM) in Entwicklungsländern, sondern
weiterhin auch bei genitalen Zwangsoperationen in Industrieländern
verletzt werden." (19)
Amnesty Deutschland wertete die kosmetischen Genitaloperationen an
Kindern als "fundamentalen Verstoß gegen die Menschenrechte":
"Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die Ächtung einer
medizinischen Praxis, intersexuellen Menschen entweder im frühen
Kindesalter ohne Einwilligungsfähigkeit - oder Erwachsenen ohne
Aufklärung über Folgen - auf operativ-medikamentösem Weg
ein eindeutiges Geschlecht "zuzuweisen". Dies wird als fundamentaler
Verstoß gegen die Menschenrechte (Recht auf körperliche
Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Würde und auf
Nicht-Diskriminierung) gewertet, da solche Maßnahmen in den
allermeisten Fällen aus medizinisch-gesundheitlicher Sicht
keinerlei Begründung haben." (20)
Terre des Femmes Deuschland und internationale Expertinnen konstatieren
seit Jahren, dass kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern eine
Form von Genitalverstümmelung sind und für die Opfer
vergleichbar schädlich wie die weibliche
Genitalverstümmelung. (21)
Auch die UNO wertet kosmetische Genitaloperationen an Kindern als
Menschenrechtsverletzung: Als Reaktion auf einen Schattenbericht der
deutschen NGO Intersexuelle Menschen e.V., der verschiedene
Menschenrechtsverletzungen von Intersexuellen durch medizinische
Zwangseingriffe auflistete (22), rügte 2009 das UN-Komitee CEDAW
die Bundesregierung wegen Missachtung ihrer Schutzpflicht
gegenüber intersexuellen Kindern. In den daraus resultierenden
schriftlichen Empfehlungen forderte das Komitee die Bundesregierung
auf, "wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu
ergreifen" (23).
Wie in der Schweiz ist auch in Deutschland das Recht auf
körperliche Unversehrtheit ausdrücklich Bestandteil der
Verfassung. Die Juristin Dr. Angela Kolbe kritisiert in ihrer mit dem
Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichneten
Dissertation über die verfassungsrechtliche Situation
intersexueller Menschen insbesondere die schweren Eingriffe bei
Kleinkindern als Verstoß gegen das Grundrecht auf
körperliche Unversehrtheit. (24)
Erwachsene, die als Kinder kosmetischen Genitaloperationen unterzogen
wurden, beklagen seit den 1990er-Jahren öffentlich die
"Zerstörung des sexuellen Empfindens" und der "körperlichen
Unversehrtheit" (25) durch diese Eingriffe, welche sie als
"Genitalverstümmelung" erfahren. (26)
Wir betroffene Menschen bitten Sie deshalb inständig, die offenbar
auch im Kinderspital St. Gallen üblichen, fragwürdigen
Praktiken im Zusammenhang mit Intersexualität zu
überprüfen, und bitten um eine diesbezügliche
Stellungnahme innert nützlicher Frist.
Ebenso bitten wir Sie inständig um angemessenen Einbezug der
Betroffenen und ihrer Organisationen beim Erarbeiten künftiger
Behandlungsrichtlinien sowie in der Behandlung selbst (Anbieten von
kontinuierlichem Peer Support sowohl für die betroffenen Kinder
wie auch für ihre Eltern).
In der Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog zwischen
verantwortlichen Ärzten und uns Betroffenen grüssen wir Sie
freundlich
Im Namen von Zwischengeschlecht.org
Daniela Truffer
Gründungsmitglied Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied XY-Frauen
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.
Quellen (alle Links Stand 5.2.2011)
(1) Flyer Multiprofessionelle Sprechstunde für chronisch kranke
Kinder und Jugendliche mit Hormonstörungen, Störungen der
Geschlechtsentwicklung und des Wachstums (MBT ENG), 2009
http://www.kispisg.ch/downloads_cms/flyer_sprechstunde_eng.pdf
(2) Information DSD-Team am OKS, 2011
http://www.kispisg.ch/downloads_cms/information_dsd-team_2011.pdf
(3) Renata Egli-Gerber: "Weder Mann noch Frau - und doch beides", in:
Sonntag/Leben und Glauben, Heft 36/2010, S. 28-30, hier S. 29
http://kastrationsspital.ch/public/SLG_36-2010_Intersexualitaet.pdf
(4)
http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/09/11/5-Netzwerk-Treffen-Kiel-6908%3A-Intersexualitat-ade-DSD-ahoi
(5) DRS2 Kontext 21.10.2010: "Wenn der Arzt das Geschlecht bestimmt"
http://www.drs.ch/www/de/drs/sendungen/kontext/5005.sh10153728.html
Teiltranskript:
http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2011/02/05/kind
(6) Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen
den Geschlechtern".
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0
Lisa Brinkmann; Katinka Schweizer; Hertha Richter-Appelt:
"Behandlungserfahrungen von Menschen mit Intersexualität.
Ergebnisse der Hamburger Intersex-Studie". Gynäkologische
Endokrinologie 04/2007, S. 235-242
(7) Eva Kleinemeier, Martina Jürgensen: "Erste Ergebnisse der
Klinischen Evaluationsstudie im Netzwerk Störungen der
Geschlechtsentwicklung/Intersexualität in Deutschland,
Österreich und Schweiz Januar 2005 bis Dezember 2007", S. 18.
http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf
(8) Ebd., S. 37
(9) Sarah M. Creighton: "Adult Outcomes of Feminizing Surgery". In:
Sharon E. Sytsma (Ed.): "Ethics and Intersex", Dordrecht: Springer,
2006, S. 207-214
(10) M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit
Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale
Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift
Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233
(11) Martine Cools, Stenvert L. S. Drop, Katja P. Wolffenbuttel, J.
Wolter Oosterhuis, and Leendert H. J. Looijenga: "Germ Cell Tumors in
the Intersex Gonad: Old Paths, New Directions, Moving Frontiers".
Endocrine Reviews 27(5), 2006: S. 468-484 (S. 481)
(12) L. Wünsch, L. Wessel: "Chirurgische Strategien bei
Störungen der Geschlechtsentwicklung". Monatsschrift
Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3. Springer Berlin / Heidelberg
2008, S. 234-240
(13) Nikola Biller-Andorno: "Zum Umgang mit Intersex: Gibt es Wege
jenseits der Zuordnung des 'richtigen Geschlechts'?". Schweizerische
Ärztezeitung, 47/2007, S. 2047-2048
(14) Erik Parens (Ed.): "Surgically Shaping Children", Baltimore: The
Johns Hopkins University Press, 2006, S. xxix
(15) Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität
"Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung": "Ethische Grundsätze
und Empfehlungen bei DSD. In: Monatsschrift Kinderheilkunde 2008, Nr.
156, S. 241-245
(16) Katrin Hafner: "Ein Intersexueller klagt seinen ehemaligen Arzt
an". Tages-Anzeiger, 05.02.2008.
http://www.tagesanzeiger.ch/dyn/wissen/medizin/838834.html
(17) Stiftung Kinderschutz Schweiz, Mütter- und Väterberatung
Schweiz (Hrsg.): Sexualerziehung bei Kleinkindern und Prävention
von sexueller Gewalt, September 2009, S. 22
(18) Genitalverstümmelung: Übersicht zur Vernehmlassung:
http://humanrights.ch/home/de/Fokus-Schweiz/Inneres/Gewalt/Genitalverstuemmelung/idcatart_9012-content.html?zur=300
Vernehmlassungsantwort von Terre des Femmes
Schweiz:http://www.terre-des-femmes.ch/files/TERRE_DES_FEMMES_Schweiz_Stellungnahme_Vernehmlassung_FGM.pdf
Vernehmlassungsantwort von Amnesty International:
http://humanrights.ch/home/upload/pdf/090504_PP_FGM.pdf
(19) Motion 6: "Position zu Intersexualität"
http://www.queeramnesty.ch/docs/QAI_Motion_GV2010_Intersex.pdf
(20) "Intersexualität und Menschenrechte", Mitteilung vom 26.5.2010
http://www.mersi-hamburg.de/Main/20100526001
(21) Hanny Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal". Orlanda 2003.
Vgl. insbesondere Kapitel 3: "Intersex-Chirurgie - ein Segen für
wen?", S. 49-58
Fana Asefaw, Daniela Hrzán: Genital Cutting - Eine
Einführung. In: ZtG Bulletin 28, 2005, S. 8-21
Relevante Auszüge:
http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2010/08/07/Genitale-Zwangsoperationen-an-Zwittern-Genitalverstuemmelung-Typ-IV-Fana-Asefaw%2C-Daniela-Hrzan%2C-2005
Ganzer Text:
http://www.gender.hu-berlin.de/w/files/ztgbulletintexte28/2artikel_asefaw_hrzan.pdf
Marion Hulverscheidt: "Weiblich gemacht? Genitalverstümmelung bei
afrikanischen Frauen und bei Intersexuellen". In: TDF. Menschenrechte
für die Frau, Nr. 3/4, 2004, S. 23-26
http://kastrationsspital.ch/public/Hulverscheidt_TDF_3-4-04.pdf
Konstanze Plett: "Die Macht der Tabus". amnesty journal 03/2008 - Das
Magazin für die Menschenrechte
http://schattenblick.net/infopool/buerger/amnesty/bagru265.html
(22) Lucie G. Veith / Sarah Luzia Hassel-Reusing / Claudia J. Kreuzer:
Parallelbericht zum 6. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland
zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder
Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW). Erstellt von: Intersexuelle
Menschen e.V. / XY-Frauen (http://intersex.schattenbericht.org)
(23) CEDAW/C/DEU/CO/6
Deutsche Übersetzung:
http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Menschenrechte/Download/ConcludingCommentsFrauen.pdf
(24) Angela Kolbe: Intersexualität, Zweigeschlechtlichkeit und
Verfassungsrecht. Eine interdisziplinäre Untersuchung. Nomos 2010
(Dissertation)
(25) Cheryl Chase: "Letters from Readers". In: The Sciences,
July/August, 3, 1993
http://www.isna.org/articles/chase1995a
(26) Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und
Gynäkologie (AGGPG):
"Genitalverstümmelungen in Deutschland in der Kinder- und
Jugendgynäkologie"
http://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Genitalverstuemmelungen-AGGPG-%281996%29
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SEXWORK
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20 Minuten 8.2.11
FDP fordert: Dirnen sollen Lohn einklagen können
BERN. Die Berner FDP setzt sich für die Rechte von
Sexarbeiterinnen ein. Dafür nimmt die Partei sogar in Kauf, sich
gegen das Bundesgericht zu stellen.
Der Dirnenlohn ist nicht einklagbar: Dies urteilte das
Bundesgericht und erteilte Prostituierten, die säumige Freier vor
den Richter zerren, eine Abfuhr. Denn obwohl Prostitution in der
Schweiz legal ist, gelten Verträge zwischen Prostituierten und
ihren Kunden als sittenwidrig und somit als nichtig. "Das macht keinen
Sinn", so FDP-Grossrätin und Fürsprecherin Katrin Zumstein.
Im Kanton Bern verlange man ja sogar einen Businessplan von den Frauen
- würden sie aber um ihren Lohn geprellt, weise man sie ab.
Darum will die FDP die Sittenwidrigkeit jetzt per Gesetz
abschaffen. Dann wären von beiden Parteien vertragliche Leistungen
einklagbar - jedoch nur finanzielle. Ein Recht des Freiers auf Sex
schliesst Zumstein aus.
Landet diese FDP-Idee tatsächlich im Berner
Prostitutionsgesetz, käme das einem Rüffel ans Bundesgericht
gleich. "Es ist gewagt", räumt Zumstein ein. "Aber ich hoffe, das
Gericht nimmt es zum Anlass, die Rechtsprechung anzupassen."
Lob gibt es für diese Haltung von der Aids-Hilfe Schweiz:
"Wir begrüssen jede Möglichkeit, die Situation der
Sexarbeiterinnen zu verbessern", so Geschäftsführer Daniel
Bruttin.
NINA JECKER
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Neue Luzerner Zeitung 7.2.11
Strassenstrich soll ins Gewerbegebiet
Interpellation
Barbara Inglin
Was tut der Stadtrat für die Anwohner des Tribschen-Strichs?
Die FDP fordert Antworten - ohne selbst Lösungen vorzuschlagen,
werfen ihr andere Parteien vor.
Barbara Inglin
barbara.inglin@luzernerzeitung.ch
Jetzt wird der Strassenstrich im Tribschenquartier zum Politikum
(Ausgaben vom 1. und 2. Februar). FDP-Grossstadtrat Daniel Wettstein
fordert von der Regierung mit seinem Vorstoss, der unserer Zeitung
vorliegt, Antworten auf folgende Fragen:
Welche Hilfen kann der Stadtrat den betroffenen
Strassenzügen bieten?
Hat sich an der absoluten Ablehnung eines Strichplans etwas
verändert beziehungsweise unter welchen Bedingungen wäre ein
solcher denkbar?
Wie beziehungsweise mit welchen konkreten Forderungen nimmt der
Stadtrat Einfluss auf die aktuelle Entwicklung eines kantonalen
Prostitutionsgesetzes?
Wie sind die Verkehrsberuhigungsmassnahmen bei der Tribschenstadt
unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung zu vertreten?
"Ich bin mir bewusst, dass es keine einfache Antwort auf diese
Fragen gibt", sagt Wettstein. "Doch die Anwohner haben es verdient,
dass ihre Sorgen ernst genommen werden." Er erwarte vom Stadtrat, dass
nun nach kreativen Lösungen gesucht werde und dass er sich beim
Kanton aktiv einbringe, wenn es um die Ausarbeitung des
Prostitutionsgesetzes gehe. "Es kann nicht sein, dass der
Strassenstrich in einem Wohngebiet einfach so toleriert wird."
CVP-Gruppe arbeitet an Vorschlag
CVP-Fraktionschef Markus Mächler stimmt dem zu, "es ist
stossend, was da passiert". Die CVP habe eine Arbeitsgruppe
zusammengestellt, die nun nach möglichen Massnahmen für das
Strich-Problem suche. "Die Situation ist aber sehr komplex. Gewisse
Scheinlösungen wie ein Strichplan oder ein staatliches Bordell
lassen sich in der Praxis kaum umsetzen", sagt Mächler. "Dass die
FDP nur eine Interpellation einreicht, zeigt, dass auch sie keine
Lösungsvorschläge haben", sagt Mächler.
Manuela Jost, Fraktionschefin der Grünliberalen (GLP) sieht
dies ähnlich: "Die jetzige Situation im Tribschenquartier ist
unbefriedigend, da gebe ich der FDP Recht. Aber bei den konkreten
Lösungsvorschlägen happert es." Sie selbst könnte sich
einen Strichplan durchaus vorstellen. "Der Stadtrat muss sich klar dazu
äussern, wo er dieses Gewerbe ansiedeln will. Meiner Meinung nach
gehört es ins Gewerbegebiet." Das Tribschenquartier habe sich zum
Wohnquartier gewandelt, die Strassenprostitution sei dort
konfliktträchtig. Auch der Idee eines "offiziellen" Freudenhauses
stehe sie offen gegenüber. "Ein solches könnte von einer
Stiftung oder einem Verein geführt werden. Damit wäre der
Schutz der Prostituierten besser gewährleistet." Ob die GLP einen
Vorstoss dazu einreichen wollen, sei noch offen.
SVP-Fraktionschef Werner Schmid verweist darauf, dass seine
Partei schon mehrfach Vorstösse zum Thema eingereicht habe (siehe
Kasten). "Für uns ist klar, dass dieses Gewerbe an den Stadtrand
gehört und dass der Stadtrat alle Quartiere gleich behandeln muss."
"Können Frauen nicht vertreiben"
SP-Fraktionschef Dominik Durrer betont, dass bei möglichen
Massnahmen der Schutz der Prostituierten nicht vergessen gehen
dürfe: "Wir können diese Frauen nicht in ein Industriegebiet
vertreiben, wo es keine soziale Kontrolle mehr gibt." Es sei die
Aufgabe der Stadt, jetzt mit Einbezug der Betroffenen nach
Lösungen zu suchen.
Edith Lanfranconi, Fraktionschefin der Grünen, sieht dies
ebenso. Die Stadt müsse nochmals mit Betroffenen und Beteiligten
das Gespräch suchen. Sie begrüsst zudem die im Vorstoss
gemachte Idee, dass der Stadtrat über die Städteinitiative
aktiv werden könnte. "Was mich allerdings ärgert, ist die
Tonalität der Interpellation. Es ist ja nicht so, dass sich der
Stadtrat in der Vergangenheit nicht um eine Lösung bemüht
hätte."
--
Vier Mal abgelehnt
Stadtrat
bin. Der Luzerner Stadtrat musste sich in der Vergangenheit schon
mehrmals mit politischen Vorstössen zum Strassenstrich im
Tribschenquartier auseinandersetzen. Bereits im Jahr 1999 reichte die
SVP ein entsprechendes Postulat ein, 2001 wurde eine Volksmotion
eingereicht, 2004 folgte eine SVP-Motion. Und 2006 verlangte Viktor
Rüegg für die Chance21 ein Verbot der Strassenprostitution in
Bauzonen und eine Verlagerung der Szene in das Gebiet Ibach. Der
Stadtrat äusserte sich jeweils ablehnend zu den geforderten
Massnahmen.
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DROGEN
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Solothurner Zeitung 7.2.11
Asylmissstände: Justiz macht Druck
Kanton Aargau Staatsanwalt verurteilte illegal Anwesende gleichentags
zu Freiheitsstrafen
Michael Spillmann
Kokainhändler - meist schwarzafrikanische Asylbewerber, wie
etwa die so genannte "Holderbank-Connection" - müssen sich in
regelmässigen Abständen vor Gericht verantworten. Bei gross
angelegten Razzien oder Routinekontrollen in den Unterkünften
gehen der Polizei immer wieder Dealer ins Netz. Darunter oft
weggewiesene Personen, welche die Schweiz längst hätten
verlassen sollen, aber nicht ausgeschafft werden können. Dies,
weil sie keinen Grund haben, sich kooperativ zu zeigen, und auch
über keine Reisedokumente verfügen - die Behörden
müssen in aufwändiger Kleinarbeit mit horrenden Kosten deren
Heimatländer eruieren. Wie in diesem Zusammenhang beim kantonalen
Migrationsamt zu erfahren war, gibt es im Aargau gut 330 illegal
Anwesende, die sich trotz rechtskräftig verfügter Wegweisung
aufhalten. Schätzungen, wie viele abgewiesene Asylbewerber
untergetaucht sind, können nicht gemacht werden.
18 Personen sofort verurteilt
Die illegal Anwesenden sind teilweise nicht nur bereits wegen
Verstössen gegen das Ausländergesetz, sondern nicht selten
auch wegen Diebstählen oder Drogendelikten vorbestraft. In ihrem
Fall will die kantonale Staatsanwaltschaft nun Druck aufsetzen. Bei
einem Pilotversuch verurteilte die zuständige Staatsanwaltschaft
Zofingen-Kulm nach einer Kontrolle der Unterkunft Oftringen im
Schnellverfahren 18 illegal anwesende Personen. Es wurden unbedingte
Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten ausgesprochen. "Wir wollen schnelle
Urteile mit spürbareren Strafen", erklärt der leitende
Staatsanwalt Simon Burger. Er ist überzeugt: "Mehr Druck auf die
Weggewiesenen wird deren Zahl reduzieren." Der leitende
Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht bestätigt die Schnellverfahren
und fügt an: "Wir werden sehen, ob sich das bewährt."
Rückblick: "Die Asylbewerberunterkunft in Oftringen wurde in
der Vergangenheit immer wieder als Stützpunkt für kriminelle
Aktivitäten - namentlich Drogenhandel und Widerhandlungen gegen
das Ausländergesetz - missbraucht", schrieb die Kantonspolizei am
25.Januar in einer Medienmitteilung. Nur Stunden zuvor hatte ein
Grossaufgebot der Regional- und der Kantonspolizei die Unterkunft
durchsucht. Mit dabei waren Staatsanwaltschaft und Vertreter des
kantonalen Sozialdienstes. Letzterer ist für die Unterbringung,
die Aufsicht und die Kontrolle der Unterkünfte zuständig. In
Oftringen sind - wie auch in Holderbank - zur Ausreise verpflichtete
Personen untergebracht, die Nothilfe beantragen können.
Während sich etwa in der Unterkunft in Birr, wo es nur einen Tag
später eine Grosskontrolle gab, mehrheitlich Personen mit
hängigen Asylverfahren befinden.
Vom Kommandanten angeordnet
Beim Eintreffen der Polizei befanden sich insgesamt 25 der total
60 gemeldeten Personen verschiedener Nationalitäten in der
Unterkunft. Angeordnet hatte die Kontrolle Polizeikommandant Stephan
Reinhardt, der mit dem "Schwerpunkt" verhindern will, dass die
Unterkünfte zu rechtsfreien Räumen mutieren.
Während ansonsten keine "Unregelmässigkeiten"
festgestellt wurden, verzeigte die Polizei 23 der 25 Personen wegen
Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz. Die Staatsanwaltschaft
erliess noch am gleichen Tag in 18 Fällen Strafbefehle. Davon
müssen 15 Personen eine unbedingte Freiheitsstrafe zwischen 30
Tagen und 6 Monaten absitzen, nur gerade 3 Personen waren nicht
vorbestraft und kamen mit einer bedingten Geldstrafe davon. Die
Fälle seien allesamt "sonnenklar" gewesen, erklärt
Staatsanwalt Simon Burger.
Gibt es einen Verdrängungseffekt?
Lassen sich die Weggewiesenen von dieser Taktik beeindrucken? "Es
gibt einen Verdrängungseffekt", prophezeit Simon Burger. Oder die
Personen würden einfach abtauchen. "Das Strafrecht kann das
Problem nicht lösen, aber es ist ein Beitrag", sagt dazu
Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht.
--
Kokain: drei Nigerianer verurteilt
Die "Holderbank-Connection" beschäftigt die Gerichte weiter.
Im neuen Jahr mussten sich bereits wieder drei Nigerianer wegen
Betäubungsmitteldelikten vor Bezirksgericht Lenzburg verantworten.
Die drei Männer aus dem Umfeld des Netzwerks waren der Polizei bei
Ermittlungen gegen Bewohner der Asylbewerberunterkunft Holderbank bei
Telefonüberwachungen ins Netz gegangen. Die Nigerianer im Alter
zwischen 23 und 26 Jahren waren ursprünglich in den Kantonen
Schaffhausen und Zürich untergebracht. Die beiden "Zürcher"
mussten sich wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das
Betäubungsmittelgesetz verantworten, einer zusätzlich wegen
Geldwäscherei und Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz.
Gemäss Anklage sollen die beiden etwa in Wettingen oder Aarau,
aber auch in Interlaken und Basel ihren Kokaingeschäften
nachgegangen sein. Die Bezirksrichter verurteilten die Nigerianer zu
Freiheitsstrafen von 28 und 40 Monaten unbedingt. Der dritte
Nigerianer, mehrmals in Niederlenz "unterwegs", erhielt für
qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz
eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten unbedingt. (spi)
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Aargauer Zeitung 7.2.11
Schnelljustiz für Drogenhändler
Die Aargauer Justiz will verhindern, dass ihr ausländische
Drogenhändler auf der Nase herumtanzen können. In den
Asylunterkünften von Holderbank und Oftringen hat die Polizei bei
Kontrollen immer wieder kriminelle Aktivitäten festgestellt.
Asylbewerber aus Schwarzafrika betätigen sich oft als
Drogenhändler, begehen Diebstähle und verstossen gegen das
Ausländergesetz. Bei einem Pilotversuch hat die Staatsanwaltschaft
Zofingen-Kulm nach einer Kontrolle in der Unterkunft Oftringen 18
illegal anwesende Personen im Schnellverfahren verurteilt. Dabei wurden
unbedingte Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten ausgesprochen. (SPI)
Seite 20
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NOTHILFE
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NZZ 8.2.11
"Prekäres" Nothilfe-Regime
Aktionswoche von Flüchtlingsorganisationen in Zürich
vö. · Amnesty International möchte diese Woche
zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf die
prekäre Lage von weggewiesenen Asylbewerbern in den Zürcher
Nothilfeunterkünften aufmerksam machen. In Absprache mit dem
kantonalem Sozialamt besuchten Vertreter dieser Organisationen in den
vergangenen Monaten sechs von sieben Nothilfeunterkünften, in
denen hauptsächlich junge Männer leben. Sie trafen aber auch
Frauen, Kinder und "andere Verletzliche". Viele dieser Kinder seien in
der Schweiz geboren und würden nichts anderes kennen als die
organisierte Trostlosigkeit der Unterkünfte, heisst es in einem
offenen Brief an Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein. Eine
öffentliche Debatte über die Nothilfe im Kanton Zürich
sei dringend angezeigt.
Mit dem Inkrafttreten der Asylgesetzrevision am 1. 1. 08 ist der
Sozialhilfestopp von Personen mit Nichteintretensentscheiden auf alle
abgewiesenen Asylbewerber ausgedehnt worden. Die Wirkung ist aber
weniger gross als erwartet: Obwohl die Nothilfe auf das absolute
Minimum beschränkt und bewusst mit abschreckenden Strategien
verbunden ist, bleiben viele Abgewiesene weiter im Land. Der Kanton
Zürich hat deshalb vor einem Jahr beim Bund auf das Problem der
Langzeitbezüger von Nothilfe hingewiesen. Eine Analyse hat
allerdings zu keinen Lösungen geführt.
Die Organisationen fordern nun Hollenstein auf, erneut beim Bund
zu intervenieren sowie den Handlungsspielraum beim Vollzug zu nutzen
und verletzlichen Personen das Nothilfe-Regime zu ersparen. Heute
Dienstag findet eine öffentliche Diskussion in der Kirche St.
Jakob in Zürich statt. Laut einer Medienmitteilung vom Montag
wurde auch Hollenstein eingeladen, er hat sich aber abgemeldet.
---
Zürichsee-Zeitung 8.2.11
Vollzug der Nothilfe "problematisch"
Kanton Zürich. Die Flüchtlingshilfe und andere
Nichtregierungsorganisationen (NGO) kritisieren den Vollzug der
Nothilfe im Kanton Zürich.
Im Kanton Zürich sei der Vollzug der Nothilfe besonders
problematisch, schreiben die Schweizerische Flüchtlingshilfe,
Amnesty International, die Schweizerische Beobachtungsstelle für
Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans
Frontières in einer gemeinsamen Mitteilung gestern Montag.
Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen besuchten in den
vergangenen Monaten in Absprache mit den verantwortlichen Behörden
sechs von sieben Nothilfezentren im Kanton. Am Montag machten sie vor
dem Zürcher Rathaus auf die "menschlichen Schicksale" aufmerksam.
Unter den rund 500 betroffenen Personen befänden sich viele Frauen
und Kinder.
Zahlreiche dieser Kinder seien in der Schweiz geboren und
würden nichts anderes kennen als die organisierte Trostlosigkeit
der Notunterkünfte, schreiben die Organisationen und fordern eine
öffentliche Debatte über die Nothilfe. Für die
betroffenen Menschen sei kein Ausweg aus der Sackgasse absehbar.
Intervention gefordert
Vor einem Jahr habe der Kanton beim Bund noch Alarm geschlagen,
weil das Nothilfe-Regime neben Zusatzkosten vor allem auch neue soziale
Probleme schaffe. Heute sei der Kanton jedoch verstummt und arrangiere
sich mit dem Nothilfe-Regime, das auch für die Behörden eine
Zumutung sei, heisst es in der Mitteilung weiter. Gemäss den
Organisationen sind die grossen, einflussreichen Kantone die einzigen,
die einen Weg aus der Sackgasse weisen könnten. Deshalb fordern
sie Regierungspräsident Hans Hollenstein auf, beim Bund zu
intervenieren. (sda)
---
nzz.ch 7.2.11
Kritik am Vollzug der Nothilfe im Kanton Zürich
Flüchtlichshilfe und andere Organisationen appellieren an
Regierungsrat
Die Flüchtlingshilfe und andere Organisationen kritisieren
den Vollzug der Nothilfe im Kanton Zürich. Sie appellieren an den
Regierungsrat, Frauen und Kinder aus der Nothilfe zu holen und den
Handlungsspielraum auszunutzen, den der Bund den Kantonen lässt.
Im Kanton Zürich sei der Vollzug der Nothilfe besonders
problematisch, schreiben die Schweizerische Flüchtlingshilfe,
Amnesty International, die Schweizerische Beobachtungsstelle für
Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans
Frontières in einer gemeinsamen Mitteilung vom Montag.
Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen besuchten in
den vergangenen Monaten in Absprache mit den verantwortlichen
Behörden sechs von sieben Nothilfezentren im Kanton. Am Montag
machten sie vor dem Zürcher Rathaus auf die "menschlichen
Schicksale" aufmerksam. Unter den rund 500 betroffenen Personen
befänden sich viele Frauen und Kinder.
Zahlreiche dieser Kinder seien in der Schweiz geboren und
würden nichts anderes kennen als die organisierte Trostlosigkeit
der Notunterkünfte, schreiben die Organisationen und fordern eine
öffentliche Debatte über die Nothilfe. Für die
betroffenen Menschen sei kein Ausweg aus der Sackgasse absehbar.
Intervention beim Bund gefordert
Vor einem Jahr habe der Kanton beim Bund noch Alarm geschlagen,
weil das Nothilfe-Regime neben Zusatzkosten vor allem auch neue soziale
Probleme schaffe. Heute sei der Kanton jedoch verstummt und arrangiere
sich mit dem Nothilfe-Regime, das auch für die Behörden eine
Zumutung sei, heisst es in der Mitteilung weiter.
Gemäss den Organisationen sind die grossen, einflussreichen
Kantone die einzigen, die einen Weg aus der Sackgasse weisen
könnten. Deshalb fordern sie Regierungspräsident Hans
Hollenstein auf, beim Bund zu intervenieren. Der Kanton Zürich
solle "Dienst nach Vorschrift" leisten und den grossen
Handlungsspielraum ausnutzen, den das Bundesrecht zulasse.
Die Menschenrechtsorganisationen kritisieren etwa, dass
Nothilfebezüger im Kanton Zürich jede Woche die Unterkunft
wechseln müssten, statt Bargeld nur Migros-Gutscheine erhielten,
oft keine Krankenversicherung hätten oder keine
Wohnsitzbestätigung mit Foto erhalten würden.
Um die Problematik der Nothilfe zu thematisieren, laden die
Flüchtlingshilfe und die anderen Organisationen am Dienstag zu
einer öffentlichen Diskussion in die Kirche St. Jakob in
Zürich. Regierungspräsident Hollenstein wurde auch
eingeladen. Er habe sich jedoch abgemeldet, heisst es in der Mitteilung.
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SANS-PAPIERS
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sf.tv 8.2.11
Weltsozialforum: Unia plant Migrations-Aktion
halp
Die Gewerkschaft Unia will die Situation der geschätzten
200'000 Sans-Papiers in der Schweiz verbessern. Die Gesellschaft
müsse merken, wie wichtig die Migranten für die Wirtschaft
seien, sagten Unia-Vertreter an einer Diskussionsrunde am
Weltsozialforum in Dakar.
"Wenn die Migranten in der Schweiz für eine halbe Stunde
ihre Arbeit unterbrechen würden, dann hätte dies
Konsequenzen, die alle spüren könnten", sagte Guglielmo
Bozzolini, Präsident der Migrationskommission des Schweizerischen
Gewerkschaftsbundes (SGB) am Weltsozialforum (WSF) in Dakar.
Migrations-Aktionstag für 2012 geplant
So könne der Bevölkerung klar werden, dass die
Sans-Papiers auch ein Recht auf gesetzliche Anerkennung hätten.
Die Unia plant deshalb für das Jahr 2012 einen nationalen
Migrations-Aktionstag, wie Bozzolini im Gespräch mit der
Nachrichtenagentur SDA sagte. Unter dem Motto "Ohne uns geht nichts"
soll es in der ganzen Schweiz Aktionen geben, anlehnend an den
nationalen Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991.
Bestätigt in ihrer Absicht wurden die Unia-Vertreter am von
ihnen organisierten Workshop zum Thema Rechte der Migranten am WSF:
Ehemalige Sans-Papiers afrikanischer Herkunft berichteten den rund 50
Teilnehmern aus Europa, Südamerika und Afrika über ihre
Erfahrungen in Italien, Frankreich oder Deutschland.
Erfolgreicher Streik
"Nachdem wir in Frankreich einen Streik der Sans-Papiers
organisiert hatten, erhielten 2008 allein in Paris 2000 Papierlose eine
Aufenthaltsbewilligung", sagte Camara Harouna. Der 33-Jährige
stammt aus Mali und arbeitet in Paris. Nach seiner Legalisierung 2008
begann er sich gewerkschaftlich zu engagieren. Besonders die Medien und
die Arbeitgeber hätten sich wegen des Streiks mit den Papierlosen
solidarisiert, erklärte er.
Eine ähnliche Erfahrung machte der Senegalese Fiom Kail, der
in Italien arbeitet. "Nachdem in Italien auf arbeitende Afrikaner
geschossen worden war, organisierten wir Sans-Papiers einen kurzen
Streik", sagte der 38-jährige Gewerkschafter, der seit 13 Jahren
in Ancona lebt.
Situation der Migranten wird immer prekärer
Die Solidarität der Bevölkerung sei gross gewesen;
allerdings beugte sich in Italien die Regierung dem Druck nicht. "Die
Situation der Migranten in Italien wird wegen der Wirtschaftskrise
immer prekärer", hielt er fest.
Ob ein Sans-Papiers-Streik in der Schweiz erfolgreich sein kann,
blieb in der Diskussion in Dakar umstritten. Nach Einschätzung von
Bozzolini ist die Durchführung eines Streiks in der Schweiz kein
einfaches Unterfangen. "Wir nennen die Aktion bewusst nicht Streik",
sagte er.
Solidarität der Bevölkerung mit Migranten
Die Einschätzung teilt SP-Nationalrat Jean-Claude Rennwald
(JU): "In der Schweiz sind die Leute nicht an Streiks gewöhnt, wie
etwa die Franzosen", erklärte er. "Zudem muss in der Schweiz die
Solidarität der Bevölkerung mit den Migranten noch aufgebaut
werden", sagte Bozzolini mit Blick auf die Ausschaffungsinitiative, die
im letzten November angenommen worden war.
Die Gewerkschafter wollen dabei eine wichtige Rolle spielen: "In
den Gewerkschaften treffen sich Ausländer und Schweizer", sagte
Bozzolini.
Parlamentarier sollten sich mit Migranten befassen
Weiter kamen die Workshop-Teilnehmer zum Schluss, dass sie
längerfristig nur auf gesamteuropäischer Ebene Verbesserungen
für die Migranten erzielen können. "Es braucht eine Aktion in
Brüssel", sagte Fiom Kail. Denn innenpolitisch seien die
Regierungen der einzelnen Länder zu sehr unter Druck der
rechtspopulistischen Parteien.
Für Giovanni Giarrana, Co-Präsident der
Unia-Migrationskommission, braucht es noch viele weitere Massnahmen, um
den Migranten und Sans-Papiers in der Schweiz zu mehr Akzeptanz zu
verhelfen: "An einem Parlamentariertag sollten sich die Politiker einen
Tag mit den Problemen der Migranten befassen und selber mit diesen
sprechen", forderte der Schweizer mit italienischen Wurzeln. Auch in
den Medien sollten die Migranten vermehrt Platz haben.
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Papierlose Zeitung 2/2011
Autonome Schule Zürich: Beteiligte berichten über das
Bildungsprojekt
Kleine Schanze: Der Kampf der Sans-Papiers um das Recht auf Rechte
Das Interview: Theaterszene über die Absurditäten des
Asylverfahrens
…und vieles mehr in der
Papierlosen Zeitung 2/2011!
Alle AbonnentInnen und UnterstützerInnen des
Bleiberecht-Kollektivs bekommen die Zeitung in den nächsten Tagen
kostenlos zugestellt.
Noch nicht auf unserem Verteiler? Schleunigst nachholen!
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http://www.bleiberecht.ch/wp-content/uploads/2011/02/papierlose_zeitung_2_web_ES.pdf
Sämtliche Artikel finden sich auch in unserem Blog auf http://www.papierlosezeitung.ch.
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Zentralschweiz am Sonntag 6.2.11
Bundesrätliche Schelte sorgt für Unmut bei Arbeitgebern
Jürg Auf der Maur
Bundesrätin Sommaruga wirft den Arbeitgebern vor, sie
würden Sans-Papiers ausnützen. Der Verband aber sieht die
Behörden in der Pflicht.
Jürg Auf der Maur
juerg.aufdermaur@luzernerzeitung.ch
"Wir sind gleicher Meinung wie Bundesrätin Simonetta
Sommaruga: Wir wollen weder Schwarzarbeit noch Lohndumping", sagt Ruth
Derrer Balladore, Mitglied der Geschäftsleitung des
Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Doch damit hört die
Übereinstimmung mit der Justizministerin bereits auf.
In Zürich am Sitz des Arbeitgeberverbandes staunt man
nämlich nicht schlecht über jüngste Äusserungen der
SP-Bundesrätin, die das Sans-Papiers-Problem vor allem bei den
Arbeitgebern ortet. So erklärte Sommaruga diese Woche in einem
Interview mit der Westschweizer Tageszeitung "Le Temps", dass
Sans-Papiers oft allein deswegen in die Schweiz kämen, weil sie
hier Schwarzarbeit fänden. Sommaruga wörtlich: "Die
Arbeitgeber profitieren davon, gewisse zahlen nicht einmal die
Sozialversicherungen."
Das, so Sommaruga, mache sie wütend, denn das sei nichts
anderes als "Sklaverei". Sommaruga kündigt denn auch Schritte
dagegen an. Es müssten zusammen mit den Kantonen und dem
Arbeitgeberverband so rasch wie möglich Lösungen gefunden
werden, um dieses Übel zu bekämpfen.
Billige Haushaltskräfte
Beim Arbeitgeberverband sieht man sich nicht in der Pflicht. Mit
dem Gesetz gegen die Schwarzarbeit habe man eigentlich ein gutes
Instrument zur Hand, betont Ruth Derrer. Beim Arbeitgeberverband staune
man viel eher, wie oft Gemeinden oder Nachbarn wegschauten, wenn sie
Auffälliges sehen würden: "Niemand fragt bei den
Gemeindebehörden nach, ob die notwendigen Bewilligungen vorliegen."
Mit anderen Worten: Sans-Papiers seien nicht bei den Mitgliedern
des Arbeitgeberverbandes, sondern vielmehr in Haushalts- und bei
anderen Gelegenheitsjobs zu suchen. In der Tat werden bekanntlich
gerade in der Westschweiz viele Ausländerinnen als Putzfrauen in
so genannt "besseren" Häusern beschäftigt.
Trotzdem schlägt Derrer der Bundesrätin die Tür
nicht einfach zu: Bis jetzt sei zwar keine offizielle Anfrage
eingegangen. "Aber wenn Bundesrätin Sommaruga auf uns zukommt,
werden wir sicher bei der Lösungssuche mitmachen. Denn niemand hat
ein Interesse an zu vielen Sans-Papiers."
200 000 Unangemeldete
In der Schweiz wird davon ausgegangen, dass derzeit rund 200 000
Menschen in der Schweiz leben, die auf den Ämtern nicht
vorschriftsgemäss angemeldet sind. Allerdings gehen die
Schätzungen dazu weit auseinander und reichen von 90 000 bis 300
000. Die Sans-Papiers würden häufig unter unglaublich
schwierigen Umständen leben, betont Sommaruga. Sie wolle deren
Status baldmöglichst klären, wobei es nicht darum gehe, deren
Aufenthalt allgemein zu regularisieren. Das mache keinen Sinn.
Das Thema Sans-Papiers ist wieder voll auf der Traktandenliste,
seit der Bundesrat die Schule verpflichten möchte, Kinder von so
genannt illegalen Aufenthaltern in der Schweiz den Behörden zu
melden. Für Aufsehen sorgt auch das Parlament. Nach der Grossen
Kammer hat letztes Jahr auch der Ständerat beschlossen, dass
Kinder von Sans-Papiers Zugang zu einer Berufslehre erhalten sollen.
Jetzt muss der Bundesrat ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.
---
Südostschweiz 6.2.11
Die "Sklaverei" soll aufhören
Bundesrätin Simonetta Sommaruga wirft den Arbeit- gebern
vor, sie würden Sans- Papiers ausnützen. Der Verband aber
sieht die Behörden in der Pflicht.
Von Jürg Auf der Maur
Zürich. - "Wir sind gleicher Meinung wie Bundesrätin
Simonetta Sommaruga: Wir wollen weder Schwarzarbeit noch Lohndumping",
sagt Ruth Derrer Balladore, Mitglied der Geschäftsleitung des
Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Doch damit hört die
Übereinstimmung mit der Justizministerin bereits auf. In
Zürich am Sitz des Arbeitgeberverbandes staunt man nämlich
nicht schlecht über jüngste Äusserungen der
SP-Bundesrätin, die das Sans-Papiers-Problem vor allem bei den
Arbeitgebern ortet. So erklärte Sommaruga diese Woche in einem
Interview mit der Westschweizer Tageszeitung "Le Temps", dass
Sans-Papiers oft allein deswegen in die Schweiz kämen, weil sie
hier Schwarzarbeit fänden. Sommaruga wörtlich: "Die
Arbeitgeber profitieren davon, gewisse zahlen nicht einmal die
Sozialversicherungen." Das, so Sommaruga, mache sie wütend, denn
es sei nichts anderes als "Sklaverei".
Die neue Justizministerin kündigt denn auch Schritte dagegen
an. Es müssten zusammen mit den Kantonen und dem
Arbeitgeberverband so rasch wie möglich Lösungen gefunden
werden, um dieses Übel zu bekämpfen.
Billige Haushaltskräfte
Beim Arbeitgeberverband sieht man sich nicht in der Pflicht. Mit
dem Gesetz gegen die Schwarzarbeit habe man eigentlich ein gutes
Instrument zur Hand, betont Ruth Derrer. Beim Arbeitgeberverband staune
man viel eher, wie oft Gemeinden oder Nachbarn wegschauten, wenn sie
Auffälliges sehen würden: "Niemand fragt bei den
Gemeindebehörden nach, ob die notwendigen Bewilligungen
vorliegen." Mit anderen Worten: Sans-Papiers seien nicht bei den
Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes, sondern vielmehr in Haushalt- und
bei anderen Gelegenheitsjobs zu suchen. In der Tat werden gerade in der
Westschweiz viele Ausländerinnen als Putzfrauen in sogenannt
"besseren" Häusern beschäftigt.
Warten auf eine Anfrage
Trotzdem schlägt Derrer der Bundesrätin die Tür
nicht einfach zu: Bis jetzt sei zwar keine offizielle Anfrage
eingegangen. "Aber wenn Bundesrätin Sommaruga auf uns zukommt,
werden wir sicher bei der Lösungssuche mitmachen. Denn niemand hat
ein Interesse an zu vielen Sans-Papiers", sagt sie.
Es wird davon ausgegangen, dass derzeit rund 200 000 Menschen in
der Schweiz leben, die nicht vorschriftsgemäss angemeldet sind.
Allerdings gehen die Schätzungen dazu weit auseinander und reichen
von 90 000 bis 300 000. Sommaruga will den Status dieser Menschen nun
baldmöglichst klären, wobei es nicht darum gehe, deren
Aufenthalt allgemein zu regularisieren. Das mache keinen Sinn.
Das Thema Sans-Papiers ist wieder voll auf der Traktandenliste,
seit der Bundesrat die Schule verpflichten möchte, Kinder von
sogenannt illegalen Aufenthaltern in der Schweiz den Behörden zu
melden. Für Aufsehen sorgt auch das Parlament. Nach der grossen
Kammer hat letztes Jahr auch der Ständerat beschlossen, dass
Kinder von Sans-Papiers Zugang zu einer Berufslehre erhalten sollen.
Jetzt muss der Bundesrat ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.
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AUSSCHAFFUNGEN
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St. Galler Tagblatt 8.2.11
Asylsuchende im ungewissen
Sri Lanka gilt wieder als sicher und die Schweiz will Flüchtlinge
aus diesem Land zurückschaffen. Wie ist das für die zehn
tamilischen Asylsuchenden in Rickenbach? Und wie haben sie sich in der
umstrittenen Baracke eingerichtet?
YANN CHERIX
Rickenbach. Im Untergeschoss der Rickenbacher Primarschule riecht
es exotisch. Die zehn Asylsuchenden kochen ihr Nationalgericht: Curry
mit Gemüse. Jeweils zum Zmittag dürfen die Männer die
Schulküche benützen. Ansonsten sind sie im Zivilschutzbunker
neben dem Gemeindehaus untergebracht. Das hatte für viel Unmut
gesorgt (siehe Kasten).
Doch heute ist nicht die Behausung das Problem. Die Stimmung ist
gedrückt. Alle wissen, dass die Schweizer Behörden sie nach
Hause zurückschicken wollen. Die Lage sei stabil, heisst es von
offizieller Seite. Und jetzt ist auch bekannt: Im Juli werden sie zum
Gespräch gebeten. Da soll abgeklärt werden, wie weit die
Integration fortgeschritten ist, wie gefährlich es wirklich
für den einzelnen ist. Laut dem Rickenbacher Gemeindeammann Ivan
Knobel wurde keiner der zehn Männer aufgenommen. Sie müssten
also so oder so zurück.
Probleme am Flughafen
Für Antonio Satrukalsinghe ist der Fall klar: "Wenn ich
zurückgeschickt werde, beginnen für mich bereits am Flughafen
die Probleme." Der 31jährige Tamile fürchtet sich nach dem
Kriegsende vor der Rache der Polizei. "Sie haben mit uns noch eine
Rechnung offen." Für den gelernten Informatiker, der fliessend
Englisch und gut Deutsch spricht, wäre eine Rückführung
nach Sri Lanka darum schlimm. Er will in der Schweiz bleiben und
möglichst bald eine Arbeit finden.
Denn viel zu tun hat er nicht. Am Mittwoch findet ein Deutschkurs
statt. Dazu kommen verschiedene Aufgaben für die Gemeinde - so wie
heute. Das Wegräumen von Holz steht an. Alle tragen bereits die
Arbeiterhosen. "Es tut gut, sich nützlich zu machen. So kommen wir
auch an die frische Luft."
Die Anspielung ist subtil. Doch es ist klar, dass Antonio
Satrukalsinghe auf seine Unterkunft hinweist. Die Bedingungen sind
für ihn nicht viel besser geworden. Frühmorgens hat er
Mühe aufzuwachen. Im Zivilschutzkeller ist es nach der Nacht
stickig, es mangelt an Sauerstoff. Doch der Mann aus Sri Lanka ist
intelligent genug, sich nicht offen zu beklagen.
Aufenthaltsraum mit Tageslicht
Zudem steht seit letztem Herbst ein Container auf der Wiese
über der Unterkunft. Es ist eine Art Aufenthaltsraum mit
Tageslicht. Doch das Wichtigste steht noch immer im Untergrund: der
Fernseher. Darum wurde der spärlich eingerichtete Raum bis jetzt
nicht wirklich abgenommen. Es ist mittlerweile kurz vor eins, Zeit
aufzuräumen.
Letzter Winter in der Schweiz?
Die Männer reissen die Fenster auf, der Duft nach Curry
verflüchtigt sich langsam. Es wird kalt werden. Antonio
Satrukalsinghe zieht sich eine warme, schützende Jacke an. Wie oft
er dies noch machen muss, weiss er nicht. Vielleicht ist es für
ihn der letzte Winter in der Schweiz.
--
Diskussionen um einen Pavillon
Anfang März 2009 widersetzten sich die zehn Asylsuchenden
mit einem Rekurs gegen ihre Unterkunft. Dieser wurde zwei Monate
später vom Kanton teilweise gutgeheissen. Das hiess, dass sie den
Flüchtlingen einen Aufenthaltsraum mit Tageslicht zusprachen. Mit
dem beheizbaren Pavillon fanden die drei betroffenen Gemeinden einen
Ausweg. Die Rekursfrist gegen das Bauvorhaben lief am 14. Juni
ungenutzt aus. Allerdings mussten die Gemeindevertreter die Nachbarn
bei einem Treffen über die Details informieren. Anfang Juli 2009
wurde mit dem Bau begonnen. In nächster Zeit sind kleinere
Arbeiten im Garten geplant. (cix)
---
Sonntagsblick 6.2.11
Ein kurdischer Flüchtling will den Volksentscheid kippen
Ali klagt gegen die Ausschaffungsinitiative
VON BEAT KRAUSHAAR
Kriminelle Ausländer raus! So will es das Schweizer Volk. Ob
das zulässig ist, entscheidet vielleicht schon bald der
Europäische Gerichtshof.
Mit 53 Prozent nahmen die Stimmbürgerinnen und
Stimmbürger Ende November 2010 die Ausschaffungsinitiative an.
Zurzeit klärt eine vom Justizdepartement eingesetzte
Arbeitsgruppe, wie sich das umstrittene Volksbegehren umsetzen
lässt.
Gar nicht, glaubt alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay
(68). Denn für den Straf- und Verfassungsrechtler ist klar: Die
Initiative verletzt das Völkerrecht.
So sieht es auch Ali Tüm (34). Am 13. Januar 2011 hat er
beim Schweizerischen Bundesgericht in Lausanne sowie beim
Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (F)
Beschwerde gegen die Ausschaffungsinitiative eingereicht. "Ich habe
auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey in einem Schreiben
darüber informiert", sagt Tüm.
Warum tritt er als Einzelperson gegen die Ausschaffungsinitiative
an? "Ich mache das, weil ich als Kurde davon direkt betroffen bin.
Zudem fühle ich mich auch als Privatperson diskriminiert", sagt
er. Die SVP mache "ständig populistische Politik auf dem Buckel
der Ausländer".
Dabei sei es der Partei egal, ob sie gegen die Menschenrechte
verstosse - oder, wie bei der Minarettinitiative, gegen die
Glaubensfreiheit.
Tüm kam 1996 in die Schweiz und erhielt politisches Asyl. Er
lebt in Zürich; sein Herz schlage links, "für die SP", sagt
er.
Bei der Klage aber gehe es weder um linke noch um rechte Politik
- sondern darum, dass die Schweiz mit der Ausschaffungsinitiative ihren
Ruf als humanitäres Land im Ausland aufs Spiel setzt.
Tüms Empörung ist spürbar; sie verrät sich
gelegentlich auch in Übertreibungen, wenn er beispielsweise in
seiner Beschwerde formuliert, "dass die Ausländer von den
Politikern nur noch als kriminelle schwarze Schafe angesehen werden".
Und deshalb die schweizerische Demokratie "schrittweise in Rassismus
und Fremdenfeindlichkeit umgewandelt" werde.
Was er vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte
erwartet, steht am Schluss seiner achtseitigen Eingabe. Strassburg
solle feststellen, dass die Schweiz mit der Ausschaffungsinitiative
gegen zwingendes Völkerrecht verstosse. Sie sei daher zu verwarnen
und anzuweisen, die Initiative für ungültig zu erklären.
Hat Tüms Beschwerde eine Chance?
Ja, sagt Ex-Bundesrichter Nay. "In der Regel braucht es viel,
dass der Europäische Gerichtshof auf eine Beschwerde eintritt,
wenn jemand, wie hier, nicht direkt von einer Ausschaffung betroffen
ist." Gute Chancen gibt er ihr dennoch. Da von der Initiative viele
Menschen betroffen sein könnten, werden die Richter in Strassburg
wohl auf die Beschwerde eintreten, so Nays Einschätzung.
Gutgeheissen wäre sie damit allerdings noch nicht.
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MIGRATION CONTROL
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St. Galler Tagblatt 8.2.11
Nigerianer und Georgier fast chancenlos
Kari Kälin
Staatsangehörige diverser Länder stellen reihenweise
Gesuche, die fast alle abgeschmettert werden. So tendiert die
Wahrscheinlichkeit, dass ein Nigerianer oder Georgier in der Schweiz
Asyl bekommt, gegen Null. Deshalb soll jetzt bei den Asylverfahren aufs
Tempo gedrückt werden.
Bern. 15 567 Personen ersuchten 2010 in der Schweiz um Asyl.
Davon erhielten 3449 den Flüchtlingsstatus. Damit stieg die
Anerkennungsquote gegenüber dem Vorjahr leicht auf 17,7 Prozent.
Die Quote variiert stark nach Herkunftsland. Bei Asylsuchenden aus
Eritrea - 2160 Gesuche wurden letztes Jahr gutgeheissen, 1799 neue
gestellt - betrug sie zum Beispiel 63 Prozent.
Lediglich zwei erhielten Asyl
Daneben gibt es hingegen eine Reihe von Ländern, deren
Staatsangehörigen die Schweiz praktisch nie den
Flüchtlingsstatus gewährt. Die Wahrscheinlichkeit, als
Nigerianer Asyl zu erhalten oder vorläufig aufgenommen zu werden,
tendiert gegen Null. Dennoch stammten 2010 die meisten neuen
Asylbegehren (1969) aus dem westafrikanischen Land. In der
Asylstatistik 2010 des Bundesamtes für Migration heisst es: "2010
wurden 2243 Asylgesuche von nigerianischen Staatsangehörigen
entschieden. Lediglich zwei Personen erhielten Asyl, eine Person wurde
vorläufig aufgenommen." Mit anderen Worten: Praktisch alle
Nigerianer können keine asylrelevanten Gründe geltend machen.
Sie sind also nicht an Leib und Leben bedroht wegen ihrer Rasse,
Religion oder politischen Überzeugung. Dennoch flatterten zwischen
2001 bis 2010 8881 nigerianische Asylgesuche auf dem Tisch der hiesigen
Behörden. Lediglich 14 Personen erhielten den
Flüchtlingsstatus, 37 wurden vorläufig aufgenommen. Mit 1,1
Prozent war die Anerkennungsquote 2001 noch am höchsten.
In Basiskriminalität aktiv
Seit Jahren bitten Georgier auf konstant hohem Niveau um Aufnahme
in der Schweiz. 5237 Gesuche waren es in den letzten 10 Jahren. Davon
wurden 13 Personen als Flüchtlinge anerkannt und 32 vorläufig
aufgenommen. Prominenter als bei der Anerkennungsquote in der
Asylstatistik tauchen Georgier und Nigerianer dafür im
jüngsten Jahresbericht des Bundesamtes für Polizei auf:
Einige Gruppen der organisierten Kriminalität seien in der Schweiz
vorab in der Basiskriminalität aktiv, beispielsweise im
Strassenhandel mit Drogen oder bei Einbrüchen und Raubdelikten.
Und: "Dies trifft vor allem auf die Gruppen aus Westafrika, Ost- und
Südosteuropa sowie Georgien zu."
Kosovaren und Algerier
Die Worte, die Alard Du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamtes
für Migration, in der "NZZ am Sonntag" wählte, lösten
eine Polemik aus - erstaunen tun sich nicht: 99,5 Prozent der
nigerianischen Asylsuchenden kämen "nicht als Flüchtlinge,
sondern um illegale Geschäfte zu machen". Ein grosser Teil drifte
in die Kleinkriminalität ab, betätige sich im Drogenhandel.
Nigeria und Georgien sind nicht die einzigen Länder, aus
denen die zahlreichen Gesuche nahezu samt und sonders abgeschmettert
werden. So baten zum Beispiel im vergangenen Jahr 602 Kosovaren um Asyl
- bei tiefer Anerkennungsquote von 2,5 Prozent. Noch tiefer (1,8
Prozent) lag sie bei den Serben (910 Gesuche). Auch Algerier versuchen
ihr Glück (417) fast immer vergeblich in der Schweiz
(Anerkennungsquote 0,7 Prozent).
Arbeitslosigkeit als Motiv
Trotz minimaler Aussichten auf ein Bleiberecht übt die
Schweiz offenbar grosse Anziehungskraft aus. Weshalb also strömen
diese Menschen ins Land - trotz trüben Aussichten auf Asyl? "Da
die Schweiz von der Wirtschaftskrise weniger stark betroffen ist als
andere wichtige Zielländer von Nigerianern, insbesondere Italien
und Spanien, kam es zu binneneuropäischen Wanderungen", sagt Marie
Avet, Sprecherin beim Bundesamt für Migration. Perspektiven- und
hohe Arbeitslosigkeit sei etwa bei jungen Georgiern wichtiges
Migrationsmotiv.
In Serbien darbt die Roma-Minderheit wirtschaftlich. "Es besteht
keine reelle Chance auf eine kurz- bis mittelfristige Verbesserung der
Situation", sagt Avet. Die Zahl der Gesuche von serbischen Roma sei
letztes Jahr deutlich gestiegen, weil serbische Staatsangehörige
nun ohne Visum in den Schengenraum reisen könnten.
Verfahrensdauer stört
Angesichts dieses Leerlaufs verwundert es nicht, dass die neue
Justizministerin Simonetta Sommaruga anlässlich ihrer
100-Tage-Bilanz feststellte, das Vertrauen der Bevölkerung in die
Asylpolitik habe trotz 10 Revisionen des Asylgesetzes seit den
Achtzigerjahren nicht zugenommen: "Es herrscht im Gegenteil der
Eindruck vor, unser Asylsystem werde vor allem missbraucht." Vor allem
die lange Verfahrensdauer stört. Denn gemäss Bundesamt
für Migration wird ein Asylgesuch im Durchschnitt erst nach zwei
bis drei Jahren erledigt. Vereinzelt dauert es wegen Beschwerden noch
sehr viel länger.
Geld für Sinnvolleres ausgeben
Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement arbeitet
derzeit an einem Bericht, in dem es aufzeigen will, wie die langen
Verfahren zustande kommen und wie sie verkürzt werden
könnten. Das Geld, das diese Bürokratie verschlingt,
würde Sommaruga lieber "für die Rückkehrhilfe, für
die Unterstützung im Herkunftsland oder für die Integration
von anerkannten Flüchtlingen" nutzen.
Ganz anders sieht dies SVP-Generalsekretär Martin Baltisser:
"Grosszügige Rückkehrhilfen lösen auf jeden Fall keine
Probleme, sondern wirken im Gegenteil anziehend." Die Verfahrensdauer
sei auch für aussichtslose Asylgesuche zu lang. "Die Verfahren
müssen endlich vereinfacht und verkürzt werden, damit nur
erstinstanzliche Entscheide mit entsprechender Rekursmöglichkeit
gefällt werden", so Baltisser.
---
Kollektive Diskriminierung
Warum versuchen Menschen ihr Glück in der Schweiz, wenn sie
doch kaum Hoffnung auf ein Bleiberecht haben können? "In all
diesen Ländern treiben korrupte Regime, schwere politische
Repression oder Minderheitenprobleme weite Teile der Bevölkerung
oder bestimmte Ethnien ins Elend", sagt Denise Graf, die bei der
Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz für
Asylfragen zuständig ist. "Da diese Menschen sehr oft Opfer von
allgemeiner Diskriminierung oder Repression sind, fallen sie nach der
Schweizer Praxis nicht unter den Flüchtlingsbegriff, weil diese
Verfolgung nicht gezielt gegen sie als Individuen, sondern gegen eine
ganze Bevölkerungsgruppe gerichtet ist." So seien etwa in den
Balkanländern Roma schwerster Diskriminierung ausgesetzt. In
Nigeria habe sich die Menschenrechtssituation im Nigerdelta in den
letzten zwei Jahren massiv verschlechtert. Willkür und Korruption
führten zu krassen Menschenrechtsverletzungen, und die christliche
Minderheit werde bedrängt.
Wie Graf weiter erläutert, wurden in Georgien 2008
während des Krieges in Russland rund 200 000 Menschen vertrieben:
"Die Reintegration ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden." Immer
öfters würden sie Opfer von Zwangsvertreibungen. (kä)
---
NLZ 8.2.11
Sommaruga will Asylverfahren straffen
Asylpolitik
kä.
Nigerianer oder Georgier haben kaum Chancen, in der Schweiz Asyl
zu erhalten. Dennoch kommen sie zu Tausenden. Dies will der Bund nun
ändern.
kä. Justizministerin Simonetta Sommaruga will bei den
Asylverfahren den Hebel ansetzen. Denn diese, so Sommaruga, würden
viel kosten und zu lange dauern. In einem Bericht will die neue
Bundesrätin Wege aufzeigen, wie die Verfahrensdauer verkürzt
werden könnte. Gleichzeitig will sie aber auch das Bild
korrigieren, das Schweizer Asylsystem werde vor allem missbraucht, wie
Simonetta Sommaruga betont. Handlungsbedarf gibt es sehr wohl.
Vergangenes Jahr sind zwar 17,7 Prozent aller behandelten
Asylanträge gutgeheissen worden. Fast jeder fünfte
Gesuchsteller wurde damit als Flüchtling anerkannt.
Doch fast ebenso oft muss sich das Bundesamt für Migration
mit Gesuchen von Personen herumschlagen, die kein Anrecht auf Asyl in
der Schweiz haben. Ein Blick in die Asylstatistik der vergangenen zehn
Jahre offenbart zum Beispiel, dass von den insgesamt 8881 Gesuchen aus
Nigeria lediglich 14 anerkannt wurden.
Zahlreich flattern im selben Zeitraum auch Anträge von
Personen aus Georgien auf den Tisch der Schweizer Behörden. Doch
lediglich 13 Personen erhielten den Flüchtlingsstatus - dies bei
total 5237 Gesuchen. Auf einem tiefen Wert bewegte sich die
Anerkennungsquote vergangenes Jahr auch bei Gesuchstellern aus Serbien
(1,8 Prozent) oder dem Kosovo (2,5 Prozent).
3
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Chancenlose Anträge belasten Asylwesen
Asylwesen
Kari Kälin
Staatsangehörige zahlreicher Länder stellen reihenweise
Gesuche, die fast alle abgewiesen werden. Jetzt geht der Bund über
die Bücher.
Kari Kälin
kari.kaelin@luzernerzeitung.ch
15 567 Personen ersuchten 2010 in der Schweiz um Asyl. Davon
erhielten 3449 den Flüchtlingsstatus. Damit stieg die
Anerkennungsquote gegenüber dem Vorjahr leicht auf 17,7 Prozent
(+1,14 Prozent; siehe Grafik). Die Quote variiert je nach Herkunftsland
allerdings stark. Bei Asylsuchenden aus Eritrea betrug sie zum Beispiel
63 Prozent: - 2160 Gesuche wurden vergangenes Jahr gutgeheissen, 1799
neue gestellt.
Daneben gibt es hingegen eine Reihe von Ländern, deren
Staatsangehörigen die Schweiz praktisch nie den
Flüchtlingsstatus gewährt. Die Wahrscheinlichkeit, als
Nigerianer Asyl zu erhalten oder vorläufig aufgenommen zu werden,
tendiert gegen null. Dennoch stammten 2010 die meisten neuen
Asylbegehren (1969) aus dem westafrikanischen Land. In der
Asylstatistik 2010 des Bundesamtes für Migration heisst es: "2010
wurden 2243 Asylgesuche von nigerianischen Staatsangehörigen
entschieden. Lediglich zwei Personen erhielten Asyl, und eine Person
wurde vorläufig aufgenommen."
Mit anderen Worten: Praktisch alle Nigerianer können keine
asylrelevanten Gründe geltend machen. Sie sind also nicht an Leib
und Leben bedroht wegen ihrer Rasse, Religion oder politischen
Überzeugung. Dennoch flatterten zwischen 2001 und 2010 total 8881
nigerianische Asylgesuche auf den Tisch der hiesigen Behörden.
Lediglich 14 Personen erhielten den Flüchtlingsstatus, 37 wurden
vorläufig aufgenommen. Mit 1,1 Prozent war die Anerkennungsquote
2001 noch am höchsten.
Asyl für 13 Georgier in 10 Jahren
Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Asylgesuchen von Personen
aus Georgien. 5237 Gesuche wurden in den vergangenen zehn Jahren
eingereicht. Davon wurden 13 Personen als Flüchtlinge anerkannt
und 32 vorläufig aufgenommen.
Prominenter als bei der Anerkennungsquote in der Asylstatistik
tauchen unter anderen die Georgier und Nigerianer dafür im
jüngsten Jahresbericht des Bundesamtes für Polizei auf.
Einige Gruppen der organisierten Kriminalität seien in der Schweiz
vorab in der Basiskriminalität aktiv, beispielsweise im
Strassenhandel mit Drogen oder bei Einbrüchen und Raubdelikten,
heisst es dort. Und: "Dies trifft vor allem auf die Gruppen aus
Westafrika, Ost- und Südosteuropa sowie Georgien zu." Die Worte,
die Alard Du Bois-Reymond, der Direktor des Bundesamtes für
Migration, letzten Frühling in der "NZZ am Sonntag" wählte,
lösten eine Polemik aus - erstaunen tun sie nicht. 99,5 Prozent
der nigerianischen Asylsuchenden kämen "nicht als
Flüchtlinge, sondern um illegale Geschäfte zu machen", sagte
er. Ein grosser Teil drifte in die Kleinkriminalität ab oder
betätige sich im Drogenhandel. "Das ist eine traurige Tatsache",
so Du Bois-Reymond.
Nigeria und Georgien sind nicht die einzigen Länder, aus
denen die zahlreichen Gesuche nahezu samt und sonders abgeschmettert
werden. So baten zum Beispiel im vergangenen Jahr 602 Kosovaren um Asyl
- bei gleichzeitig tiefer Anerkennungsquote von 2,5 Prozent. Noch
tiefer (1,8 Prozent) lag sie bei den Serben (910 Gesuche). Auch
Algerier versuchen ihr Glück (417) fast immer vergeblich in der
Schweiz (Anerkennungsquote 0,7 Prozent). Trotz minimalen Aussichten auf
ein Bleiberecht übt die Schweiz offenbar eine grosse
Anziehungskraft aus. Weshalb strömen zu Tausenden Menschen ins
Land trotz trüben Aussichten auf Asyl?
Arbeitslosigkeit als Motiv
"Da die Schweiz von der Wirtschaftskrise weniger stark betroffen
ist als andere wichtige Zielländer von Nigerianern, insbesondere
Italien und Spanien, kam es zu binneneuropäischen
Weiterwanderungen", sagt Marie Avet, Sprecherin beim Bundesamt für
Migration. Perspektiven- und hohe Arbeitslosigkeit sei insbesondere bei
jungen Georgiern ein wichtiges Migrationsmotiv. In Serbien kommt die
Roma-Minderheit wirtschaftlich auf keinen grünen Zweig. "Es
bestehen keine reellen Chancen auf eine kurz- bis mittelfristige
Verbesserung der Situation", sagt Avet. Die Zahl der Gesuche von
serbischen Roma sei im vergangenen Jahr deutlich gestiegen, weil
serbische Staatsangehörige ohne Visum in den Schengenraum reisen
könnten.
Verfahren verkürzen
Angesichts dieses Leerlaufs verwundert es nicht, dass die neue
Justizministerin Simonetta Sommaruga vergangene Woche an ihrer
100-Tage-Bilanz feststellte, das Vertrauen der Bevölkerung in die
Asylpolitik habe trotz zehn Revisionen des Asylgesetzes seit den
1980er-Jahren nicht zugenommen. "Es herrscht im Gegenteil der Eindruck
vor, unser Asylsystem werde vor allem missbraucht", sagte die
SP-Magistratin, die sich unter anderem an der langen Verfahrensdauer
stört. Denn gemäss Bundesamt für Migration wird ein
Asylgesuch im Durchschnitt erst in zwei bis drei Jahren erledigt. In
Einzelfällen dauert die Prozedur wegen Beschwerden aber viel
länger. Ende 2010 waren 9025 erstinstanzliche Gesuche hängig,
3890 liegen beim Bundesverwaltungsgericht, das über die
Beschwerden entscheidet.
Das Justiz- und Polizeidepartement arbeitet derzeit an einem
Bericht, in dem es aufzeigen will, wie die langen Verfahren zu Stande
kommen und wie sie verkürzt werden könnten. Das Geld, das
diese Bürokratie verschlingt, würde Simonetta Sommaruga
lieber "für die Rückkehrhilfe, für die
Unterstützung im Herkunftsland oder für die Integration von
anerkannten Flüchtlingen" nutzen.
Anders sieht dies SVP-Generalsekretär Martin Baltisser:
"Grosszügige Rückkehrhilfen lösen keine Probleme,
sondern wirken im Gegenteil anziehend." Die Verfahrensdauer sei auch
für aussichtslose Asylgesuche zu lang. "Die Verfahren müssen
endlich vereinfacht und verkürzt werden, damit nur
erstinstanzliche Entscheide mit entsprechender Rekursmöglichkeit
gefällt werden."
--
"Sie sind Opfer allgemeiner Diskriminierung"
Amnesty kä. Nigeria 0,1, Georgien 0,3, Algerien 0,7, Serbien
1,8, Kosovo 2,5 Prozent: Die Anerkennungsquote von
Staatsangehörigen dieser Länder lag 2010 äusserst tief.
Wieso versuchen sie ihr Glück dennoch zu Hunderten in der
Schweiz? "In all diesen Ländern treiben korrupte Regime, schwere
politische Repression oder Minderheitenprobleme weite Teile der
Bevölkerung oder bestimmte Ethnien ins Elend", sagt Denise Graf,
die bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz
für Asylfragen zuständig ist. "Da diese Menschen sehr oft
Opfer von allgemeiner Diskriminierung oder Repression sind, fallen sie
nach der Schweizer Praxis nicht unter den Flüchtlingsbegriff, weil
diese Verfolgung nicht gezielt gegen sie als Individuen, sondern gegen
eine ganze Bevölkerungsgruppe gerichtet ist", erklärt Denise
Graf.
Willkür und Vertreibungen
So seien etwa in den Balkanländern Roma schwerster
Diskriminierung ausgesetzt. "Ihre Kinder haben oft keinen Zugang zu den
ordentlichen staatlichen Schulen und somit keine Zukunft", sagt Denise
Graf. In Serbien und Kosovo sei die Diskriminierung derart in den
Gemütern der Bevölkerung verankert, dass es für deren
Beseitigung langfristige Knochenarbeit brauche.
2 Millionen Menschen vertrieben
In Nigeria habe sich die Menschenrechtssituation im Nigerdelta in
den letzten zwei Jahren massiv verschlechtert. "Mehr als zwei Millionen
Menschen wurden seit dem Jahr 2000 gewaltsam aus ihrem angestammten
Wohnraum vertrieben, ohne dass ihnen Alternativen vorgeschlagen worden
wären", sagt Graf.
Willkür und Korruption führten zu krassen
Menschenrechtsverletzungen, und die christliche Minderheit werde
bedrängt.
Wie Denise Graf von Amnesty International weiter erläutert,
wurden in Georgien im Jahre 2008 während des Krieges in Russland
rund 200 000 Menschen vertrieben. "Die Reintegration dieser Menschen
ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden", sagt Graf.
Immer öfters würden sie Opfer von Vertreibungen.
Die Asylstatistik des Bundes finden Sie auf
http://www.bfm.admin.ch/content/bfm/de/home/dokumentation/zahlen_und_fakten/asylstatistik/jahresstatistiken.html
Kommentar
Knacknuss Vollzug
Kari Kälin
Blickt man auf die nackten Zahlen, hat sich die Situation im
Asylbereich entspannt. Die Zahl der Gesuche sank letztes Jahr um 2,7
Prozent auf 15 567. Fast jedes fünfte Asylbegehren (17,7 Prozent)
hiess die Schweiz gut. Damit hat sich die Anerkennungsquote auf einen
Wert eingependelt, der noch vor zehn Jahren bei weitem nicht erreicht
wurde. Mit anderen Worten: Unter den Gesuchstellern befinden sich heute
im Vergleich zu früher mehr Personen, welche die
Flüchtlingseigenschaften aufweisen und zu Recht unseren Schutz
erhalten.
Doch Staatsangehörige diverser Länder versuchen ihr
Glück seit Jahren in der Schweiz trotz minimaler Aussichten auf
Asyl. So wurden in den letzten zehn Jahren zum Beispiel lediglich 13
Georgier als Flüchtlinge anerkannt, obwohl 5237 Georgier einen
Asylantrag stellten. Von 8881 nigerianischen Gesuchstellern erhielten
im gleichen Zeitraum bloss 14 den Flüchtlingsstatus. Auch
Staatsangehörige anderer Länder beschäftigen die
Behörden reihenweise mit faktisch sinnlosen Anträgen.
Es überwiege der Eindruck, dass das Asylsystem vor allem
missbraucht werde, stellte die neue Justizministerin Simonetta
Sommaruga letzte Woche fest. Dieser Befund erstaunt umso weniger, als
etwa die Nigerianer und die Georgier im Bericht des Bundesamtes
für Polizei negativ auffallen.
Sommaruga setzt auf schnellere Verfahren. Selbst wenn die
Asylentscheide rascher gefällt werden, ist das Problem des
Vollzugs nicht gelöst. Kann ein abgewiesener Asylbewerber nicht in
sein Herkunftsland zurückgeführt werden, leidet die
Glaubwürdigkeit der Asylpolitik. Dies zu ändern, bleibt eine
Knacknuss.
Kari Kälin
kari.kaelin@luzernerzeitung.ch
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beobachtungstelle.ch 7.2.11
Erneuter Angriff auf die Rechte von Flüchtlingen
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK-N) wünscht
strengere Regeln beim Familiennachzug. Sie hat drei parlamentarischen
Initiativen von Philipp Müller (FDP, Aargau) Folge gegeben.
Betroffen wären nicht zuletzt Flüchtlinge.
Nach dem Willen der SPK-N soll das Familienasyl abgeschafft werden:
Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen sollen keinen
Flüchtlingsstatus mehr erhalten. Für diese Änderung
sprach sich die Kommission mit 12 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen aus,
wie die Parlamentsdienste am Freitag mitteilten.
Rund die Hälfte der Flüchtlinge haben ihren Status aufgrund
des Familienasyls. Die Mehrheit der SPK sieht in der heutigen Praxis
aber eine Besserstellung der Familienmitglieder von Flüchtlingen
gegenüber anderen Zuwanderern. In den Augen der Minderheit
würde eine Abschaffung des Familienasyls dagegen das Recht einer
Flüchtlingsfamilie, ihr Familienleben im Asylland
fortzuführen, unangemessen einschränken. Zudem würde das
Ziel einer raschen Integration in Frage gestellt.
Einer anderen parlamentarischen Initiative gab die SPK-N mit 16 zu 9
Stimmen Folge: Anerkannte Flüchtlinge sollen künftig erst
nach 10 Jahren anstatt wie bisher nach 5 Jahren Aufenthalt in der
Schweiz eine Niederlassungsbewilligung erhalten.
Mit 17 zu 7 Stimmen sprach sich die Kommission weiter für
strengere Regeln beim Familiennachzug von Personen mit einer
Niederlassungsbewilligung aus. Der Familiennachzug soll nur dann
möglich sein, wenn der Niedergelassene mit der Familie in einer
bedarfsgerechten Wohnung zusammenwohnen kann und die Familie keine
Sozialhilfe beansprucht.
Schliesslich beantragt die Kommission ihrem Rat mit 14 zu 10 Stimmen
bei 2 Enthaltungen, einer Motion von Ständerat Christoffel
Brändli (SVP, Graubünden) mit dem Titel "Die Zuwanderung in
geordnete Bahnen lenken" zuzustimmen. Der Bundesrat soll Massnahmen
vorschlagen, um die Zuwanderung zu verlangsamen und die
Bevölkerungszahl der Schweiz zu stabilisieren (SDA).
Die SBAA ist über die Annahme dieser Vorstösse sehr besorgt,
da diese erneut die "Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen" in
Frage stellen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat die beiden
parlamentarischen Initiativen zu den Rechten von Flüchtlingen von
Nationalrat Müller analysiert und hierzu ein juristischen
Gutachten verfasst.
>> Rechtsgutachten der SFH
http://beobachtungsstelle.ch/fileadmin/user_upload/pdf_divers/Gesetzesrevision/110110_Gutachten_Initiativen_Mueller_d.pdf
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Bund 5.2.11
Im Ausländerrecht kündigt sich eine Welle von
Verschärfungen an
Erfolg für FDP-Nationalrat Müller: Er brachte strengere
Regeln für die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern in der
zuständigen Kommission durch.
Fabian Renz
Regierung und Parlament senden in der Ausländer- und
Flüchtlingspolitik derzeit ziemlich gegensätzliche Signale
aus. Eben erst hat die sozialdemokratische Justizministerin Simonetta
Sommaruga bekannt gegeben, die Neuaufnahme von
UNO-Kontingentsflüchtlingen werde geprüft. Sie lässt
also etwas mehr Grosszügigkeit als ihre Vorgängerin walten.
Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK) hingegen
beschloss gestern eine Serie beträchtlicher Verschärfungen:
Sie hiess drei parlamentarische Initiativen des Aargauer
FDP-Nationalrats Philipp Müller gut, die allesamt auf eine
Erschwerung der Immigration aus Nicht-EU-Staaten zielen.
"Mit diesen Beschlüssen werden wir dort tätig, wo wir
überhaupt noch tätig werden können", sagt Müller.
"Bei Immigranten aus der EU sind wir schliesslich an das
Freizügigkeitsabkommen gebunden." Philipp Müller und mit ihm
die Mehrheit der SPK vertreten die Ansicht, dass eine jährliche
Immigration von 40 000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten für die
Schweiz nicht länger zu verkraften ist.
Für Müllers FDP sind die Kommissionsentscheide auch ein
parteitaktischer Erfolg: Die gutgeheissenen Vorschläge sind
Bestandteil des (parteiintern nicht unumstrittenen) freisinnigen
Migrationskonzepts. Es handelt sich im Einzelnen um folgende
Bestimmungen:
Abschaffung des Familienasyls: Die umstrittenste der drei
Initiativen betrifft den Familiennachzug. Nur wer einen anerkannten
Fluchtgrund geltend machen kann, soll künftig den
Flüchtlingsstatus erhalten - nicht aber automatisch auch die
Mitglieder seiner Familie. Rund die Hälfte aller Asyle werden
heute laut Angaben der SPK aufgrund des Familienasyls gewährt.
Dadurch würden nachgezogene Familienmitglieder gegenüber den
anerkannten Flüchtlingen in unangebrachter Weise bevorzugt, fand
eine knappe Mehrheit der Kommission: Mit 12 zu 11 Stimmen bei 2
Enthaltungen wurde der Initiative Folge gegeben.
Niederlassungsbewilligung erst nach zehn Jahren: Für
anerkannte Flüchtlinge soll es neu zehn statt wie bisher fünf
Jahre dauern, bis sie Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung
erhalten. Damit werde Rechtsgleichheit geschaffen, argumentiert die
SPK: Drittstaaten-Ausländer, die als Arbeitskräfte statt als
Asylsuchende in die Schweiz kämen, müssten für eine
Niederlassungsbewilligung schon heute zehn Jahre warten. Die Initiative
fand in der Kommission eine Ja-Mehrheit von 16 zu 9 Stimmen.
Kein Familiennachzug bei Sozialhilfe:Wer Sozialhilfe bezieht oder
keine geeignete Wohnung hat, soll das Recht auf Familiennachzug
verlieren. Die SPK will diese Regelung, die für Jahresaufenthalter
heute schon gilt, auf Personen mit einer Niederlassungsbewilligung
ausweiten. Der entsprechende Beschluss wurde mit 17 zu 7 Stimmen
gefällt.
Im Weiteren hiess die Kommission mit 14 zu 10 Stimmen eine
Ständeratsmotion gut, die vom Bundesrat Vorschläge verlangt,
um die Zuwanderung zu bremsen.
Gegen "fundamentale Rechte"
Die Schweizerische Flüchtlingshilfe reagiert entrüstet
auf die SPK-Beschlüsse: Die Abschaffung des Familienasyls und die
verdoppelte Wartefrist für die Niederlassungsbewilligung
kämen einem "Angriff auf fundamentale Flüchtlingsrechte"
gleich. Initiant Philipp Müller überschreite damit "definitiv
eine rote Linie". Trotz der eindringlichen Wortwahl ist aber eher nicht
damit zu rechnen, dass juristische Mittel ergriffen werden. Die
Initiativen, obwohl "politisch hoch problematisch", seien mit dem
Völkerrecht vermutlich kompatibel, meint
Flüchtlingshilfe-Sprecher Adrian Hauser.
Die Flüchtlingshilfe setzt nun darauf, dass Müllers
Vorstösse in der parlamentarischen Beratung scheitern oder
abgeschwächt werden. Als Nächstes hat sich die
Staatspolitische Kommission des Ständerats mit den
Verschärfungen zu befassen.
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POLICE ZH
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NZZ 8.2.11
Zürcher Gemeinderat empört Polizisten
Kritik an Kennzeichnung
rsr. · "Polizisten werden zu Freiwild", meint der Verband
Schweizerischer Polizeibeamter warnend. Damit reagiert er auf den
knappen Entscheid des Zürcher Gemeinderats, Stadtpolizisten
künftig im unfriedlichen Ordnungsdienst - also bei Demonstrationen
und Krawallen - individuell zu kennzeichnen (NZZ 3. 2. 11). Laut einer
Mitteilung vom Montag sieht der Verbandspräsident Heinz Buttauer
darin "ein klares Misstrauensvotum" gegen die 1600 Zürcher
Stadtpolizisten. Der Entscheid, der mit den Stimmen von SP, GP, AL und
Teilen der GLP zustande gekommen war, nehme den Polizisten jeglichen
Persönlichkeitsschutz. Die Einsatzkräfte seien bereits heute
ohne Kennzeichnung intern jederzeit identifizierbar, wenn es zu
Übergriffen kommt. Buttauer befürchtet Racheakte an
Polizisten etwa über eine Art Pranger im Internet oder gar
ungerechtfertigte Anschuldigungen.
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Landbote 8.2.11
Gegen Uniformnummern
Peter Fritsche
zürich. Ein Kennzeichen oder eine Nummer auf der
Kampfmontur: Für eine Mehrheit des Zürcher Stadtparlaments
wäre dies eine sinnvolle Massnahme, um in Fällen von
möglicher Polizeigewalt besser ermitteln zu können. Die
Polizei befürchtet, mit solch gekennzeichneten Uniformen noch
stärker als bisher zur Zielscheibe von gewaltbereiten
Demonstranten und Hooligans zu werden. Deshalb will der Berufsverband
der Stadtpolizisten nun mit Lobbyarbeit versuchen, die Befürworter
im Parlament zu einem Umdenken zu bewegen. Ihre Kollegen vom Schweizer
Polizeibeamtenverband forderten derweil gestern den Zürcher
Gemeinderat über eine Medienmitteilung dazu auf, den Entscheid zu
überdenken und anlässlich der Fortsetzung der Debatte
über die neue Polizeiverordnung zu korrigieren. (pfr) Seite 21
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"Freiwild" wegen Kennzeichen?
Peter Fritsche Peter Fritsche
zürich. Ein Kennzeichen auf der Kampfmontur von Polizisten,
um anonymen Übergriffen vorzubeugen: Das will eine Mehrheit des
Zürcher Stadtparlaments. Die Polizei ist empört und versucht
nun, mit Lobbyarbeit den Entscheid zu korrigieren.
Es brodelt im Korps der Zürcher Stadtpolizei. Für die
Polizisten kommt eine Kennzeichnung im "unfriedlichen Ordnungsdienst",
also zum Beispiel bei 1.-Mai-Nachdemo-Einsätzen, nicht in Frage.
"Die Sache ist noch nicht gegessen", sagt Martin Niederer vom
Stadtzürcher Polizeibeamtenverband. Vor dem 2. März, wenn die
neue Polizeiverordnung im Gemeinderat verabschiedet werden soll, wollen
die Polizisten versuchen, die Befürworter unter den
Parlamentariern durch Gespräche oder eine Aktion zu einem Umdenken
zu bewegen. Niederer: "Wie wir das genau machen, ist noch nicht
entschieden." Zumindest moralische Schützenhilfe erhalten die
Zürcher Polizisten vom Schweizerischen Polizeibeamtenverband.
Dieser forderte gestern in einer Medienmitteilung, der Gemeinderat
müsse "dieses ungerechtfertigte Misstrauensvotum gegen die rund
1600 Stadtpolizistinnen und Stadtpolizisten korrigieren".
Die politische Linke im Zürcher Stadtparlament hatte das
Kennzeichen letzte Woche in der Debatte um die Polizeiverordnung
gefordert und eine 63-zu-59-Mehrheit für das Anliegen gefunden.
Und zwar sollen die Kampfmonturen nicht mit einem Namensschild, sondern
mit einer Nummer versehen werden, die nach jedem Einsatz wechselt.
Dieser Code soll es ermöglichen, nach gewalttätigen
Übergriffen von Seiten der Polizei die uniformierten Täter
einfacher zu ermitteln. "Es muss eine klare Zuordnung möglich
sein", fordert der grüne Gemeinderat Balthasar Glättli. Zwar
habe es seit Längerem keine schwerwiegenden Fälle von
Polizeigewalt gegeben, aber: "Die Polizei hat das Gewaltmonopol. Sollte
ein Polizist das missbrauchen, so liegt es im Interesse der
Öffentlichkeit und auch der Polizei, dass der Fehlbare rasch
gefunden wird", sagt Glättli.
Das Polizeikorps sieht die Sache ganz anders. Es befürchtet,
wegen des Kennzeichens noch stärker als bislang zur Zielscheibe
gewalttätiger Demonstranten zu geraten. Der Mob könne sich
etwa an einer 1.-Mai-Nachdemo gezielt auf einen Polizisten mit einer
bestimmten Nummer einschiessen, sagt Niederer. Oder es sei theoretisch
möglich, einen Polizisten im Nachhinein mit einer Flut
ungerechtfertigter Anzeigen einzudecken. Für Heinz Buttauer vom
Schweizer Polizistenverband ist Persönlichkeitsschutz für
Polizisten bei Ausschreitungen elementar: "Krawallanten und Hooligans
sehen uns von Vornherein als Gegner", sagt Buttauer. Das Kennzeichen
mache Polizisten zu "Freiwild".
Bern und Basel: Kein Problem
Die Diskussion über die Kennzeichnung der Polizei ist nicht
neu. Mehrfach wurde dies auch schon im Kantonsrat gefordert, allerdings
stets erfolglos. Das heisst, müsste die Stadtpolizei die
Beschriftung tatsächlich einführen, stünden bei
gemeinsamen Einsätzen mit den Kollegen der Kantonspolizei codierte
Polizisten neben anonymen Uniformierten. Nummern auf der Kampfmontur,
das wurde auch schon in Winterthur verlangt und verworfen. Hingegen
sind in Winterthur, Zürich und auch in vielen anderen Gemeinden
Polizisten mit Bürgerkontakt, also zum Beispiel
Quartierpolizisten, mit einem Namensschild unterwegs. Interessant ist
ein Blick in die Stadt Basel und in den Kanton Bern: Seit mehreren
Jahren tragen diese Polizeikorps bei Demoeinsätzen die in
Zürich umstrittenen Kennzeichen. Es habe damit nie Probleme
gegeben, sagte ein Sprecher des Stadtbasler Polizeibeamtenverbandes
kürzlich dem "Tages-Anzeiger". "Keine negativen Erfahrungen",
meldet auch die Berner Kantonspolizei auf Anfrage.
Für Befürworter wie Balthasar Glättli ist dies
natürlich ein starkes Argument für eine Uniformkennzeichnung.
Das zeige, dass die Befürchtungen der Zürcher Stadtpolizei
und des schweizerischen Berufsverbandes "schon sehr weit hergeholt
sind", sagt Glättli. Die Praxis zeige, dass Polizisten nicht wie
befürchtet zu Freiwild würden. "Indem die Codes nach jedem
Einsatz wechseln, soll das ja verhindert werden", so der grüne
Gemeinderat. Umgekehrt wäre es mit Code künftig nicht mehr
möglich, dass sich Polizisten gegenseitig deckten.
Marcel Bosonnet, ein Anwalt, der oft Mandanten in Zusammenhang
mit möglicher Polizeigewalt vertritt, sagt: "Ein Kennzeichen
wäre einfach enorm hilfreich für die Rekonstruktion des
Tatgeschehens."
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Blick am Abend 7.2.11
"Wer schützt die Polizisten vor Verfolgung?"
GEGENWEHR
Der Polizeiverband ist gegen eine Nummerierung der Zürcher
Stadtpolizisten.
Der Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) wehrt sich
gegen die vom Gemeinderat beschlossene Beschriftung von Zürcher
Stadtpolizisten in Kampfmontur (Blick am Abend berichtete). "Das nimmt
den Polizisten jeglichen Persönlichkeitsschutz und macht sie zu
Freiwild", so VSPB-Präsident Heinz Buttauer. Besonders, dass die
Chaoten weiterhin vermummt bleiben, während Polizisten
gekennzeichnet werden, stösst sauer auf. "Wer schützt die
Polizisten vor gezielten Verfolgungen?", fragt Buttauer. Er ist
zuversichtlich, dass der Gemeinderat den "unsäglichen" Entscheid
noch korrigieren wird. as
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POLICE LU
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NLZ 8.2.11
Polizei braucht Anonymität, aber auch Verantwortlichkeit
Ismail Osman zur Kennzeichnung von Polizisten
Wenn Stadtzürcher Polizisten künftig bei
Demonstrationen oder anderen Anlässen in Vollmontur im Einsatz
stehen, sollen sie individuell durch einen Zahlen-/Buchstaben-Code
gekennzeichnet sein. Dies beschloss das Stadtzürcher Parlament
vergangene Woche - und löste damit heftige Diskussionen über
Persönlichkeitsschutz und Haftbarkeit von Polizeibeamten aus. Die
Kennzeichnung soll im Nachhinein die Identifizierung von fehlbaren
Beamten ermöglichen.
Unbestritten ist, dass die Identität von Polizisten nicht
Allgemeingut ist. Damit sie ihrer Arbeit ohne Angst vor
Vergeltungsaktionen nachgehen können, ist es essentiell, dass die
Identität der Polizeibeamten nicht in die Öffentlichkeit
getragen wird. Dass dem nicht so sein könnte, ist aber die
Befürchtung der Zürcher Polizisten wie auch verschiedener
Polizeiorganisationen. "Polizisten werden zu Freiwild!" schreibt etwa
Heinz Buttauer, Präsident des Verbandes Schweizerischer
Polizeibeamter in einer Stellungnahme. Das Recht auf Personenschutz
gehe für die Beamten verloren. Die Beamten und deren
Angehörige könnten fortan gezielt verfolgt werden - etwa via
Internetpranger.
Die praktische Anwendung solcher Kennzeichnungen nimmt diesen
Befürchtungen allerdings den Wind aus den Segeln. Die Stadt Basel
etwa führte ein solches Kennzeichnungssystem bereits 1997 ein -
und bekundet heute keinerlei Probleme damit. Zwei Wochen nach jedem
Einsatz wird die Nummernliste gelöscht. Auch die Berner
Kantonspolizei verwendet dieses System bei Demonstrationseinsätzen.
Was eine Kennzeichnung bringt, ist klar: mehr Haftbarkeit. Bei
Kampfeinsätzen - wie etwa bei den 1.-Mai-Demonstrationen in
Zürich - kommt es immer wieder zu handfesten Auseinandersetzungen.
Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommt es dabei zu
Vorwürfen von polizeilichen Übergriffen. Einerseits ist es
schwierig, diesen Vorwürfen konkret nachzugehen. Anderseits
müssen sich Polizeibeamte immer wieder gegen ungerechtfertigte
Anschuldigungen wehren. Die anonymisierte Kennzeichnung, die nur
für den internen Gebrauch bestimmt ist, kann in beiden Fällen
mehr Klarheit über strittige Sachverhalte bieten.
Einige Gegner der neuen Verordnung sehen auch eine
Ungleichbehandlung gegenüber vermummten Chaoten. Die Polizei auf
die gleiche Stufe mit diesen zu stellen, ist allerdings völlig
unsinnig. Während die einen unter dem Schutz der Anonymität
Gewaltakte ausüben wollen, ist die Polizei dazu ermächtigt,
bei Bedarf auch Gewalt anzuwenden.
Dazu braucht es klare Regeln und Grenzen. Wer diese bricht, muss
zur Verantwortung gezogen werden können. Gleichzeitig muss der
Persönlichkeitsschutz von Polizeibeamten in der
Öffentlichkeit tatsächlich zu jeder Zeit gewährleistet
sein.
ismail.osman@luzernerzeitung.ch
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BIG BROTHER VIDEO
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presseportal.ch 8.2.11
Kanton Luzern regelt Videoüberwachung mit einem Gesetz
Luzern (ots) - Der Luzerner Regierungsrat legt dem Kantonsrat
einen Entwurf eines Gesetzes über die Videoüberwachung vor.
Am 13. September 2010 entschied der Kantonsrat, die
Videoüberwachung in einem Spezialerlass zu regeln und nicht wie
von der Regierung geplant in das bestehende Datenschutzgesetzt zu
integrieren. Die entsprechende Ergänzungsbotschaft (B 186) wird
voraussichtlich in der Aprilsession dem Kantonsrat unterbreitet.
Regierungsrat legt Kriterien fest Anders als in der
ursprünglichen Botschaft vorgesehen, soll nun der Regierungsrat
die Kriterien für die Anordnung von Videoüberwachungen
festlegen. Gemäss diesen Kriterien ordnet das Justiz- und
Sicherheitsdepartement sämtliche Videoüberwachungen an, die
durch kantonale Organe, einschliesslich der Gerichtsbehörden,
betrieben werden. In der ursprünglichen Botschaft war
beabsichtigt, dass jedes Departement und die obersten Gerichte
Videoüberwachungen anordnen können, die von den ihnen
unterstellten Behörden betrieben werden sollen.
Nach wie vor gilt der Grundsatz, Videoüberwachungen nur
zurückhaltend einzusetzen. Dies geht neu aus der Bestimmung
über den Gesetzeszweck hervor. Explizit hält die Botschaft
überdies fest, dass insbesondere im Zusammenhang mit Gewalt bei
Veranstaltungen Videoüberwachungsgeräte auch mobil eingesetzt
werden können.
In den Gemeinden ist weiterhin der Gemeinderat für die
Anordnung von Videoüberwachungen zuständig, sofern die
Gemeinden nicht andere Regelungen erlassen haben.
ots Originaltext: Staatskanzlei Luzern Internet:
www.presseportal.ch
Kontakt: Staatskanzlei Luzern Tel.: +41/41/228'6000 E-Mail:
information@lu.ch Internet: www.lu.ch
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NLZ 8.2.11
Kamera-Standorte müssen auf eine Liste
Videokameras
Daniel Schriber
Der Kantonsrat hat ein erstes Gesetz für die
Videoüberwachung abgelehnt. Jetzt hat es die Regierung
nachgebessert.
"Es ist wichtig, dass für die Videoüberwachung eine
gute und saubere Rechtsgrundlage besteht." Dies sagt die Luzerner
Justiz- und Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli. Das Thema
Videoüberwachung ist schon seit längerem umstritten - nun
soll es gesetzlich geregelt werden. Bereits letztes Jahr wollte die
Regierung die Videoüberwachung deshalb in das bestehende
Datenschutzgesetz integrieren, um den Umgang mit Kameras im
öffentlichen Raum klar zu regeln. Dieser Vorschlag wurde am 13.
September 2010 jedoch vom Kantonsrat abgelehnt - das Parlament
verlangte ein eigenes Gesetz. Der Entwurf dafür liegt nun vor.
100 Tage gespeichert
Das Gesetz der Videoüberwachung umfasst unter anderem
folgende Kernpunkte:
Aufbewahrungsdauer: Bilder müssen nach 100 Tagen
gelöscht werden.
Kamera-Standorte:Kameras müssen gekennzeichnet und auf einer
Liste für jeden einsehbar sein. Für mobile Kameras gilt diese
Regel jedoch nicht. Solche Anlagen müssen nicht speziell
gekennzeichnet sein, sind jedoch auch in die öffentliche Liste
aufzunehmen.
Einsicht: Die Aufnahmen dürfen nur bei einem Tatverdacht
ausgewertet und eingesehen werden. Andere Behörden als diejenigen,
die die Geräte betreiben, erhalten nur in einem Straf-, Zivil-
oder Verwaltungsverfahren Einsicht in die Aufnahmen.
Die Regierung entscheidet
Mit dem geplanten Gesetz reagiere die Regierung auf den heutigen
Zeitgeist, sagt Justiz- und Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli.
Gemäss dem neuen Gesetz und der geplanten Verordnung dazu ordnet
das Justiz- und Sicherheitsdepartement künftig im Auftrag der
Regierung sämtliche Videoüberwachungen an, die "durch
kantonale Organe betrieben werden". In der ursprünglichen
Botschaft war beabsichtigt, dass jedes Departement und die obersten
Gerichte Videoüberwachungen anordnen können. Das Parlament
entschied sich aber gegen diese Regelung.
Mehr Kameras?
Laut Yvonne Schärli gilt weiterhin der Grundsatz, "Kameras
auch in Zukunft zurückhaltend einzusetzen". Sie glaubt nicht, dass
künftig viel mehr Kameras eingesetzt werden. Die Massnahme soll
insbesondere dort zum Zug kommen, wo andere Massnahmen wie ein
besonderes Lichtkonzept oder andere baulichen Massnahmen nichts bringen
würden. Eine weitere Voraussetzung für die Installation von
Kameras sei laut Schärli, dass an dem betreffenden Ort schon
Straftaten begangen wurden oder die Wahrscheinlichkeit da ist, dass
Straftaten begangen werden könnten. Die genauen Kriterien werden
in einer Verordnung festgehalten, die noch in Bearbeitung ist.
Vorlage für Gemeinden
Auf Zustimmung dürfte das geplante Gesetz bei den Luzerner
Gemeinden stossen. Diese können sich in Zukunft eins zu eins auf
das kantonale Gesetz beziehen. Grundsätzlich können die
Gemeinden selbst über die Anordnung von Kameras entscheiden. Wenn
sie wollen, können sie zum Schutz der Personendaten gar strengere
Vorschriften erlassen. Eine Lockerung der Vorschriften auf
Gemeindeebene ist indessen nicht möglich. Bereits heute sind etwa
in Emmen, Reiden und der Stadt Luzern Kameras an öffentlichen
Orten installiert. In Luzern werden beispielsweise der Bahnhofplatz und
die Kapellbrücke überwacht.
Der Luzerner Kantonsrat wird voraussichtlich im April über
das nun neu vorgelegte Gesetz befinden.
Daniel Schriber
daniel.schriber@luzernerzeitung.ch
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Wilisauer Bote 8.2.11
Auch mobiler Einsatz möglich
Kanton Luzern | Videoüberwachung wird gesetzlich geregelt
Im Kanton Luzern wird die Videoüberwachung gesetzlich
geregelt. Der Regierungsrat schafft dazu, wie vom Parlament verlangt,
ein eigenes Gesetz.
Ursprünglich wollte die Regierung die behördliche
Videoüberwachung im Datenschutzgesetz regeln. Der Kantonsrat
wollte davon aber nichts wissen und wies im letzten September eine
entsprechende Vorlage an den Regierungsrat zurück.
Die Videoüberwachung sei einfacher zu handhaben, wenn sie in
einem eigenen Gesetz mit Zweckartikel geregelt sei, hatten damals die
bürgerlichen Fraktionen argumentiert. Die Regierung stellte sich
auf den Standpunkt, dass es bei der Videoüberwachung vor allem um
den Schutz von Personendaten gehe. Zudem lohne sich für einige
wenige Paragraphen ein eigenes Gesetz nicht.
Das Videoüberwachungsgesetz umfasst sechs Paragraphen.
Zuständig für die Anordnung der Videoüberwachung ist
beim Kanton das Justizdepartement, in den Gemeinden der Gemeinderat.
Gemäss der zurückgewiesenen Botschaft hätten jedes
kantonale Departement und die obersten Gerichte Überwachungen
anordnen können. Das Gesetz schreibt vor, dass
Videoüberwachungen nur zurückhaltend eingesetzt werden
sollen. Der mobile Einsatz von Kameras wird erlaubt, vor allem wenn es
um Veranstaltungen geht, von denen Gewalt ausgehen könnten. Die
Aufzeichnungen müssen, sofern sie nicht für ein Verfahren
verwendet werden, spätestens nach hundert Tagen gelöscht
werden. > Seite 3
--
Videoüberwachung regeln
Regierungsrat | Entwurf für ein neues Gesetz
Der Luzerner Regierungsrat legt dem Kantonsrat einen Entwurf
eines Gesetzes über die Videoüberwachung vor.
Am 13. September 2010 entschied der Kantonsrat, die
Videoüberwachung in einem Spezialerlass zu regeln und nicht, wie
von der Regierung geplant, in das bestehende Datenschutzgesetzt zu
integrieren. Die entsprechende Ergänzungsbotschaft wird
voraussichtlich in der April-Session dem Kantonsrat unterbreitet, wie
die Staatskanzlei gestern Montag mitteilte.
Regierungsrat legt Kriterien fest
Anders als in der ursprünglichen Botschaft vorgesehen, soll
nun der Regierungsrat die Kriterien für die Anordnung von
Videoüberwachungen festlegen. Gemäss diesen Kriterien ordnet
das Justiz-und Sicherheitsdepartement sämtliche
Videoüberwachungen an, die durch kantonale Organe, einschliesslich
der Gerichtsbehörden, betrieben werden.
In der ürsprunglichen Botschaft war beabsichtigt, dass jedes
Departement und die obersten Gerichte Videoüberwachungen anordnen
können, die von den ihnen unterstellten Behörden betrieben
werden sollen. Nach wie vor gelte der Grundsatz,
Videoüberwachungen nur zurückhaltend einzusetzen, schreibt
der Regierungsrat. Dies geht neu aus der Bestimmung über den
Gesetzeszweck hervor. Explizit hält die Botschaft überdies
fest, dass insbesondere im Zusammenhang mit Gewalt bei Veranstaltungen
Videoüberwachungsgeräte auch mobil eingesetzt werden
können.
Gemeinderat weiterhin zuständig
In den Gemeinden ist weiterhin der Gemeinderat für die
Anordnung von Videoüberwachungen zuständig, sofern die
Gemeinden nicht andere Regelungen erlassen haben, wie es in der
Botschaft des Regierungsrates heisst. sk/WB
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20 Minuten 8.2.11
Videoüberwachung wird neu geregelt
LUZERN. Im Kanton Luzern wird die Videoüberwachung
gesetzlich geregelt. Das von der Regierung ausgearbeitete neue Gesetz
legt fest, dass Videoüberwachung auf öffentlichen
Plätzen, bei Spitälern und an Schulen möglich sein soll.
Auch bei Fussballspielen und Demonstrationen dürfen mobile Kameras
eingesetzt werden. "Überwachungen sollen aber zurückhaltend
angeordnet werden", sagt Regierungsrätin Yvonne Schärli vom
zuständigen Justiz- und Sicherheitsdepartement. Welche
Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wird die Regierung in
einer Verordnung regeln. Diese wird demnächst der Justiz- und
Sicherheitskommission vorgelegt.
Dort sorgen jetzt vor allem mobile Einsätze für
Diskussionen. "Illegale Demonstrationen sollen auf jeden Fall gefilmt
werden", sagt Kommissionsmitglied Guido Luternauer (SVP). Etwas
zurückhaltender ist Esther Schönenberger (CVP): "Nur wenn es
an Veranstaltungen wiederholt zu Vorkommnissen kommt, soll die Polizei
überwachen dürfen." BER
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Sonntag 6.2.11
150 Kondukteure angegriffen
Bis in drei Jahren sollen alle Regionalzüge mit Videokameras
ausgestattet werden
Von Benjamin Weinmann und Pirmin Kramer
Die Gewalt gegen SBB-Kondukteure nimmt ab. "2010 wurden weniger
als 150 Vorfälle registriert, während die Zahl der von den
SBB beförderten Passagiere neuerlich angestiegen ist", sagt
SBB-Sprecher Reto Kormann. 2009 war es 200-mal zu Übergriffen auf
das Zugpersonal gekommen, ein Jahr zuvor 240-mal. Zu den
Übergriffen zählen Drohungen und Belästigungen sowie
auch Tätlichkeiten, bei denen Waffen eingesetzt werden. Solche
Übergriffe gelten als Offizialdelikte und werden von Amts wegen
verfolgt, sagt Kormann.
Er erklärt die Abnahme der Übergriffe damit, dass die
SBB-Transportpolizei ihre Einsatztaktik laufend anpasse. "Wir haben
beispielsweise festgestellt, dass wir insbesondere am Samstag- und
Sonntagmorgen den Frühzügen ein besonderes Augenmerk schenken
müssen." Zudem habe sich die Doppelbegleitung durch Zugpersonal
bewährt.
"Wir sind erfreut, dass die Zahl gesunken ist", sagt Peter Moor
von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV). "Wir sehen darin auch
einen Erfolg unserer Hartnäckigkeit, das Thema gemeinsam mit den
SBB anzupacken." Besonders schwierig seien für Kondukteure aber
nach wie vor Fahrten nach Sportanlässen oder Konzerten, bei denen
Gruppen alkoholisierter Personen unterwegs seien. "Auch die
unbefriedigende Situation mit den Nachtzuschlägen macht die
Situation nicht leichter."
Die SBB haben bereits diverse Massnahmen getroffen. Neben der
Transportpolizei werden Fanbegleiter, Schülerbegleiter,
Präventionsassistenten und Bahnhof-Paten eingesetzt. Immer
häufiger werden Bahnhöfe und Züge zudem mit Videokameras
überwacht. Ziel sei es, bis 2014 alle Regionalzüge mit
Kameras auszustatten. Denn diese dienten nicht nur dem Schutz der
Menschen, sondern auch dem "Objektschutz", so Kormann. Die SBB stellen
fest, dass weniger Vandalismus stattfindet, wo die Kameras gut sichtbar
sind. Zudem dienen die Videoaufnahmen der Beweissicherung bei
Straftaten.
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BIG BROTHER SPORT
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L'Express / L'Impartial 8.2.11
SÉCURITÉ
Des autorités excédées d'endurer la violence
gratuite des hooligans
SANTI TEROL
Engagé contre les violences générées,
notamment, en périphérie des rencontres de
Neuchâtel Xamax, Jean Studer n'entend plus supporter les
débordements comme ceux de dimanche à Neuchâtel. Le
Conseil d'Etat va se pencher sérieusement sur la
problématique des ultras.
Trop, c'est trop! Avec la venue des supporters sédunois,
dimanche, pour "animer" la rencontre de football entre Neuchâtel
Xamax et le FC Sion, le vase à une nouvelle fois
débordé. Pour le conseiller d'Etat Jean Studer, la
situation devient simplement intenable!
"Cette violence commence à faire partie du paysage. Or, je
dis que cela n'appartient pas à l'ordre des choses. Cela ne va
plus, on ne peut plus l'accepter!", dénonce le chef de la
Sécurité (DJSF), en évoquant la bataille de rue
non loin de l'entrée des urgences de l'hôpital
Pourtalès, à Neuchâtel, entre forces de l'ordre et
ultras du FC Sion (notre édition d'hier).
Le chef du DJSF ne veut pas prendre de décisions à
l'emporte-pièce: il portera ce dossier devant le Conseil d'Etat.
"Nous devons absolument discuter de la responsabilisation des clubs. Ce
laisser-aller est insupportable", lâche-t-il, en se demandant ce
qui pourrait bien se passer si les hockeyeurs de La Chaux-de-Fonds
accédaient eux aussi à l'élite nationale...
"Faudra-t-il imposer le huis clos ou interdire des rencontres...?"
Spectateurs de l'échauffourée, visiteurs et
patients de l'hôpital Pourtalès n'ont heureusement pas
été incommodés par cette bataille. Mais il a
manqué peu. "Nous avons trouvé des cailloux dans la cour
de l'hôpital", relève Philippe Nicoud. Le responsable de
la sécurité de l'Hôpital neuchâtelois
félicite le boulot des policiers, qui n'ont pas tiré de
gaz lacrymogènes si près des puits d'aération
situés autour de l'établissement. "Ils savent les risques
que cela peut entraîner pour des patients avec troubles
respiratoires, par exemple. Par contre, les tirs de fumigènes
des hooligans sédunois étaient complètement
irresponsables. Heureusement, la fumée n'a pas
pénétré dans l'hôpital." /STE
--
Pour les CFF, les coûts non couverts provoqués par
les supporters se montent à trois millions de francs!
Trois millions par an! C'est le montant net des dommages, frais
de nettoyage et de mise en œuvre d'accompagnements spécifiques
(agent de trains, police ferroviaire) induits par le transport de
supporters. Ce montant entre dans la comptabilité
générale des CFF; il est donc supporté par
l'ensemble des utilisateurs du réseau ferroviaire. /ste
--
Magasins et vandales
Quand bien même il leur arrive de minimiser la
portée des saccages dans les magasins de gare, les
gérants de ces commerces sont confrontés à un vrai
problème: assurer la santé et la sécurité
de leur personnel. Dimanche, les pauvres employés d'Aperto ont
en fait l'expérience, qui se sont fait voler et détruire
une quantité non négligeable de denrées, tandis
que des dizaines de Sédunois faisaient le chahut aux deux
caisses ouvertes. "Si rien n'est entrepris, nous pourrions intervenir
auprès des employeurs", reconnaît le Service de
surveillance et relations du travail (SSRT). Car la police avise les
commerçants des dangers induits par les hordes de supporters
ultras. La direction d'Aperto assure en avoir pris conscience depuis
longtemps. "Nous avons temporairement fermé le magasin de Thoune
dernièrement", relève Stéphane Ferrara. Le chef de
vente d'Aperto assure qu'il en fera de même à
Neuchâtel lors du prochain match à risques. /ste
Sentiments de provocation inversée
Sous les cris de "Xamax, Xamax, on t'enc...!", les quelque 800
supporters sédunois ont fait une apparition tonitruante en gare
de Neuchâtel. Le reste de la journée allait être du
même acabit. Certains se demandent si l'attitude de la Police
neuchâteloise de rester volontairement en retrait, afin de ne pas
provoquer, est la bonne tactique. D'aucuns suggèrent un cordon
policier pour encadrer les supporters jusqu'au stade. D'autres
proposent qu'on les fasse descendre à la Maladière par
petits groupes. Un supporter xamaxien remarque, lui, qu'on "nous
interdit d'aller à Sion en train. Nous sommes obligés d'y
aller en cars, qui nous déposent à l'entrée du
stade!" Cela ne résout pas tout, comme l'explique un spectateur
neuchâtelois qui se trouvait, avec sa fille et sa nièce,
bloqué au milieu des quelque 200 Sédunois devant
l'entrée de la Maladière. Contrairement à ce que
prétend le responsable d'AGS, société
chargée de la sécurité dans la Maladière,
"une seule porte était ouverte (réd: AGS assure avoir
ouvert les deux portes). J'ai fait la queue de 15h10 jusqu'à
16h15. Pour moi, c'est de la provocation à l'envers, car tous
les supporters sédunois ne sont pas des connards. Je me suis
quand même fait gazer au poivre", déplore ce spectateur
neutre, qui a conservé un drôle de goût dans la
bouche durant tout le match. /ste
---
20 Minutes 7.2.11
"Ces fans sont une bande de crétins des Alpes!"
Neuchâtel. Des supporters sédunois ont semé
le trouble en marge de la rencontre de foot entre Xamax et Sion.
"Ces fans sont une bande de crétins des Alpes. Ils sont
une honte pour le FC Sion!" A l'instar de nombreux Neuchâtelois,
Michel a été abasourdi hier après-midi par le
comportement de hooligans valaisans. Venus en train spécial
depuis le Valais pour assister au derby du championnat de Super League,
700 à 800 fans n'ont pas brillé par leur fair-play.
"Près du stade, ils ont bifurqué dans une rue en
direction du bistrot "Gibraltar", stamm des supporters
neuchâtelois. A proximité immédiate de
l'hôpital de Pourtalès, le cortège a
été stoppé par la police", explique le
lieutenant-colonel Ivan Keller. Une poignée de fans valaisans a
alors lancé des pierres et des bouteilles et tirés des
engins pyrotechniques à l'horizontale en direction des forces de
l'ordre. La police a répondu à ces jets par des balles en
caoutchouc. Les Valaisans ont ensuite été
repoussés vers l'entrée du stade réservée
aux visiteurs où ils ont défoncé le dispositif de
la sécurité privée du club...
"A la suite de ces échauffourées près de
l'hôpital, nous devons malheureusement déplorer deux
blessés légers. Un jeune a dû subir des points de
suture et une vieille dame heurtée par les Valaisans et qui a
perdu connaissance", souligne Ivan Keller.
L'officier précise que ces scènes de
guérillas urbaines n'ont pas entraîné
d'interpellations et ont causé quelques dégâts sur
des véhicules stationnés.
Grégoire Corthay
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WELTSOZIALFORUM
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NZZ 8.2.11
Lula kritisiert die Industrieländer
Aufruf am Weltsozialforum in Dakar
(sda) · Senegals Präsident Abdoulaye Wade hat am
Montag im Rahmen des Weltsozialforums in Dakar den ehemaligen
brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva
empfangen. In seiner Ansprache versprach Wade den Teilnehmern Meinungs-
und Demonstrationsfreiheit. Unter tosendem Applaus mehrerer hundert
Zuhörer verurteilte der ehemalige brasilianische Präsident in
aller Schärfe die derzeitige Situation des Welthandels. Es
könne nicht sein, dass eine kleine Gruppe reicher Länder das
Sagen habe, meinte Lula. Die Weltbank diktiere den armen Ländern
Wirtschaftsprogramme, die nichts brächten ausser Armut und Hunger.
Der Kampf gegen den Hunger sei nur zu gewinnen, wenn das Modell der
internationalen Zusammenarbeit radikal geändert werde.
Das bedeutet gemäss Lula: weg von Neoliberalismus und Diktat
der USA, hin zu einer "Integration aller Länder". Sowohl in Afrika
als auch in Lateinamerika sei das Potenzial der Landwirtschaft riesig.
Es müsse aber vor allem in Afrika noch weiter entwickelt werden.
Dazu verdiene Afrika die Hilfe der Industrieländer. Die
Entwicklung und die Demokratie müssten jedoch zuoberst auf der
Agenda der afrikanischen Politik stehen, sagte Lula.
Kommentar, Seite 21
--
Globalisierung nutzen
Das Weltsozialforum sollte ermutigen, nicht bremsen.
Von Martin Lanz
Um das Buhlen um die mediale Aufmerksamkeit zu vermeiden, findet
das als Gegenveranstaltung zum Davoser World Economic Forum (WEF)
gedachte Weltsozialforum (WSF) dieses Jahr leicht verzögert statt.
Gastgeberin ist Dakar, die Hauptstadt des westafrikanischen Staates
Senegal. Das WSF nahm 2001 in der brasilianischen Stadt Porto Alegre
seinen Anfang und kann dieses Jahr sein 10-Jahre-Jubiläum feiern.
Erneut werden Zehntausende Aktivisten zusammenkommen, um für eine
bessere Welt einzustehen. Aus der Schweiz nehmen über 50
Persönlichkeiten aus Politik, Gewerkschaften, NGO und den Medien
am Treffen der globalisierungskritischen Bewegungen teil.
Die Zivilgesellschaft feiert sich selber
Das WSF sieht sich wie das Davoser WEF nicht als Ort der
Entscheidungen, sondern der Debatten. Deshalb dürfte auch in Dakar
die Hauptherausforderung für die Teilnehmer darin bestehen, zur
richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um an den relevanten
Erfahrungsaustauschen teilzuhaben. Denn worin die Weltverbesserung
bestehen soll, ist wie gewöhnlich nicht so einfach ersichtlich.
Nicht weniger als zwölf Themenachsen stehen auf dem Programm,
wobei die entwicklungspolitische Relevanz zum Teil kaum erkennbar ist.
Immerhin ging im Programm das Einstehen "für eine Welt frei von
kapitalistischen Werten und Strukturen, patriarchaler
Unterdrückung, von jeder Form von Herrschaft durch finanzielle
Befugnisse der transnationalen Konzerne und ungleichen Handelssystemen,
von kolonialer Herrschaft und Herrschaft durch Verschuldung" nicht
vergessen.
Solch diffuse Slogans werden wohl immer Anhänger finden. Die
Realität der weltwirtschaftlichen Entwicklung droht allerdings der
WSF-Bewegung immer mehr den Boden zu entziehen. Denn die jüngste,
in unterschiedlichen Geschwindigkeiten verlaufende Erholung der
Weltwirtschaft und die Verschiebung der Wirtschaftsmacht sind
eigentlich Balsam für all jene, welchen der Wohlstand der Armen am
Herzen liegt. Im Fahrwasser der grossen aufstrebenden Volkswirtschaften
sorgt sogar das lange als verlorener Kontinent geltende Afrika
zunehmend für positive Schlagzeilen. Selbst viele nicht
ölexportierende Länder Afrikas weisen seit einigen Jahren
Wachstumsraten von über 5% aus. Entsprechend steigt das Interesse
an Afrika als Wirtschaftsstandort, wie eine Vielzahl von Publikationen
von Banken und Konsulenten bezeugt.
Handelschancen wahrnehmen
Diese erfreuliche Entwicklung gründet in günstigen
aussenwirtschaftlichen Bedingungen, Verbesserungen der politischen
Verhältnisse und des makroökonomischen Managements. Beim
ersten Faktor, der sich im zunehmenden Handel Afrikas mit Asien
äussert, droht allerdings die Gefahr, dass WSF-Kreise die
Entwicklung aufgrund einschlägiger kolonialer Erfahrungen und
früherer Boom-Bust-Zyklen als nicht nachhaltig und bloss
ausbeuterisch sehen. Statt Chancen werden vor allem Risiken beschworen,
obwohl es durchaus Raum für den von den Chinesen oft bemühten
"Win-win-Charakter" der Beziehungen zwischen Afrika und Asien gibt.
Afrika braucht Absatzmärkte für sein Öl, Kobalt, Kupfer,
Eisenerz, Mangan und Uran und im Gegenzug Finanzierung, Technologie und
Infrastruktur. China bietet sich hierzu als symbiotischer Partner an
und hat die Vereinigten Staaten als Afrikas wichtigsten Handelspartner
abgelöst. Seit dem Jahrtausendwechsel bestehen die afrikanischen
Importe aus China auch zunehmend aus höherwertigen Produkten wie
Maschinen, Fahrzeugen, elektronischen und
Telekommunikationsausrüstungen, wie man es sich aus
entwicklungspolitischer Sicht wünscht.
Was jahrzehntelange Entwicklungszusammenarbeit nicht
fertiggebracht hat - den durch die Integration Afrikas in den
Welthandel angestossenen Wachstumsschub -, geschieht nun sozusagen
unverordnet und darf nicht von Gutmenschen gebremst werden. Die
Globalisierung macht vor den ärmsten Ländern nicht halt, und
Handel ist ein entscheidender Entwicklungsfaktor. Statt sich der
Globalisierung zu verweigern, sollte die WSF-Bewegung besser mithelfen,
deren Chancen aufzuzeigen und möglichst vielen Menschen den Zugang
zu ihr zu ermöglichen. Das heisst auch, im gegenwärtigen
Umfeld dafür einzustehen, dass die derzeit nachfragebedingt
steigenden Nahrungsmittelpreise sich in einer Angebotsreaktion und
verbesserten Einkommensmöglichkeiten der Landwirtschaft
äussern können und nicht primär als schädlich
für die armen Gesellschaften dargestellt werden.
---
swissinfo.ch 7.2.11
Westafrika als Zentrum der Altermondialisten
swissinfo
Nach Abschluss des Weltwirtschaftsforums in Davos sind die
Globalisierungsgegner an der Reihe. Soeben hat das achte
Weltsozialforum in Dakar (Senegal) begonnen. Dieses Jahr wird das Thema
Migration eine besonders wichtige Rolle spielen.
"Eine andere Welt ist möglich". Unter diesem Motto fand 2001
das erste Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre (Brasilien) statt. Die
Globalisierungsgegner, die sich inzwischen Altermondialisten
(Befürworter einer anderen Welt) nennen, suchten nach Auswegen aus
der vorherrschend neoliberalen Ideologie. Zehn Jahre nach
dem ersten Weltsozialforum und nach einer globalen Wirtschafts- und
Finanzkrise, welche die dunklen Seiten des weltumspannenden
Kapitalismus entlarvte, ist das Motto des WSF aktueller denn
je. Seit Sonntag sind Tausende von Personen in Dakar
zusammen gekommen, um ihre Meinungen auszutauschen und neue Ideen im
Kampf für eine gerechtere Welt zu entwickeln. "Das WSF
stellt für uns eine wichtige Gelegenheit dar, Neues zu lernen und
Erfahrungen mit Personen auszutauschen, die sich in der gleichen
Situation wie wir befinden", sagt Mariam Sow, Leiterin einer
Nichtregierungsorganisation (NGO) in Senegal. "Es ist für uns
wichtig zu wissen, dass es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die
für eine bessere Welt kämpfen."
Eine Bewegung im Krebsgang?
Das Weltsozialforum ist als Gegenveranstaltung zum WEF in Davos
entstanden, wo sich alljährlich die Mächtigen und
Wirtschaftsführer aus aller Welt treffen. Doch seit einigen Jahren
wird das WSF in der Öffentlichkeit kaum mehr
wahrgenommen. Das schwache mediale Echo sowie die geringe
Beteiligung aus Europa (zum letzten europäischen Sozialforum im
Juli 2010 in Istanbul kamen gerade mal 3000 Personen) hat Stimmen laut
werden lassen, wonach die Bewegung praktisch am Ende ist.
Und doch ist das Weltsozialforum, das dieses Jahr aus organisatorischen
Gründen nicht zeitgleich zum WEF in Davos stattfindet, stets
gewachsen. Gerade mal 20'000 Teilnehmende waren es beim ersten WSF. Vor
zwei Jahren in Belém zählte man 130‘000 Teilnehmende. Die
Zahl der Veranstaltungen und Workshops ist von 400 im Jahr 2001 auf
über 2000 gestiegen. "Die Dynamik des Forums hat nicht
nachgelassen, aber teilweise andere Formen angenommen", meint der
Soziologe Jean Rossiaud, Mitglied der Schweizer Delegation in Dakar und
ein Kenner sozialer Bewegungen. "Ein Teil der Argumente und
Themen, die wir vor 10 Jahren gegen das WEF von Davos vorbrachten, wird
heute direkt vom WEF aufgegriffen. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass
das System nicht wie bisher weiter gehen kann. Das sagen inzwischen
sogar Leader wie Sarkozy und Obama. Unter ideologischen Gesichtspunkten
haben wir in gewisser Weise gewonnen, weil sich unsere Themen
durchgesetzt haben", betont Rossiaud. Als Beispiel
führt er etwa den Kampf gegen die Steuerparadiese an. Dieses Thema
stehe heute bei vielen Ländern ganz oben auf der Agenda.
Migranten als Spiegel der Gesellschaft
Gemäss Rossiaud wächst die Bewegung der
Altermondialisten global, weil bei jedem Forum andere Teile der
Zivilgesellschaft einbezogen werden. "In Belém war es die
Amazonas-Bevölkerung. Dieses Jahr werden es die Migranten sein.
Dieses gesamthafte Wachstum hat eine stärkere Koordination der
verschiedenen Bewegungen zur Folge." Zum Auftakt des
Forums wird es in Dakar eine Weltversammlung der Migranten
geben. Und dies in einem äusserst symbolischen Ort: Auf der Insel
Gorée in der Bucht von Dakar. Von dort wurden einst die Sklaven
nach Amerika verschifft. "Migranten sind die Vorhut von
Veränderungen. Um die heutigen Herausforderungen unseres Planeten
meistern zu können, braucht es Personen, die zwischen
verschiedenen Kulturen stehen. Und das sind die Migranten", betont der
Genfer Soziologe.
Wenn das Beispiel Tunesiens Schule macht
Das Thema der Migration liegt auch der Schweizer Gewerkschaft
Unia am Herzen. Sie wird in Dakar einen Workshop zu den Rechten von
Migranten organisieren. Andere Schweizer Organisationen
bieten Veranstaltungen zu Zusammenarbeit und Entwicklung in Westafrika
an, zur Doha-Runde und die Freihandelsabkommen sowie den fairen
Handel. Diese Themen ergänzen die "klassischen" Panels
am Weltsozialforum wie die Auswirkungen der Finanzkrise auf die
ärmsten Länder, die Neuorganisation der Weltwirtschaft, der
Kampf gegen den Hunger in der Welt und den Klimawandel.
Genauso wie beim WEF in Davos werden mit Sicherheit die
aktuellen Entwicklungen in Tunesien sowie in Ägypten ihre Schatten
- beziehungsweise ihr Licht - aufs WSF werfen. "Nach den
Ereignissen in Tunesien können weder der Internationale
Währungsfonds noch die Weltbank ihre Augen vor bestimmten
Realität verschliessen, nur weil dort Regierungen die
Liberalisierung unterstützen", meint Ibrahime Sène, Leader
einer senegalesischen Oppositionsbewegung. Häufig
handele es sich um dieselben Regierungen, die das wenige Wachstum, das
erwirtschaftet werde, in die eigenen Taschen steckten.Sène gibt
eine Warnung aus: "Bereitet Euch darauf vor, dass sich die Ereignisse
von Tunesien auch in Westafrika wiederholen können."
Daniele Mariani,swissinfo.chDakar(Übertragung aus dem
Italienischen: Gerhard Lob)
--
Weltsozialforum eröffnet: 45'000 in Dakar
halp
Globalisierungskritik kann lautstark, bunt und friedlich sein: Am
Sonntag haben zehntausende Menschen aus der ganzen Welt mit einem
Marsch durch Dakar das Weltsozialforum eröffnet. Boliviens
Präsident Evo Morales rief zum Widerstand gegen den
Neoliberalismus auf. Unter den Schweizer Teilnehmern sind auch
Nationalräte.
"Wenn sich die Zivilgesellschaft auf allen Kontinenten
organisiert, ist sie fähig, die Welt zu verändern", rief
Morales auf dem Campus der Universität Cheikh Anta Diop der
jubelnden Menge zu.
Lösungen für das Klimaproblem
Rund 45'000 Menschen waren vom Stadtzentrum der senegalesischen
Hauptstadt auf den Campus geströmt, wie Taoufik Ben Abdallah,
Koordinator des Afrikaforums und Mitorganisator des Weltsozialforums,
sagte.
Evo Morales zeigte sich überzeugt von der politischen
Sprengkraft des Weltsozialforums (WSF). Er denke dabei nicht nur an
soziale, sondern auch an Umweltprobleme. "Es gibt keinen besseren Ort
als das WSF, um Lösungen des Klimaproblems aufzuzeigen", sagte der
Südamerikaner. Davon könne auch der nächste Klimagipfel
in Durban profitieren.
123 Länder vertreten
"Diese Woche werden wir sagen, was wir von der Welt denken",
sagte der Tunesier Ben Abdallah in seiner Ansprache. "Wir", das
bedeutet am diesjährigen WSF Teilnehmer aus 123 Ländern,
davon 45 afrikanische Nationen. Über 1200 Organisationen werden
bis am 11. Februar rund 1000 Veranstaltungen organisieren.
Die starke Präsenz Afrikas war bereits am
Eröffnungsumzug sichtbar. Während am ersten WSF 2001 in Porto
Alegre in Brasilien bloss 30 Afrikaner teilgenommen hatten, machten am
Sonntag tausende Menschen in traditionellen, bunten Gewändern aus
Mauretanien, Mali, Marokko oder der Elfenbeinküste auf ihre
Forderungen aufmerksam.
"Gerechten sozialen Wandel"
Die Menschen tanzten, sangen und riefen Parolen für eine
gerechtere Welt. So ausgelassen die Stimmung an dem Marsch war, so
ernst sind die Anliegen der Teilnehmer: "Nein zum Missbrauch unserer
Kinder", forderte eine senegalesische Jugendgruppe. "Unser Ackerland
ist unser Leben" stand auf den Transparenten vieler afrikanischer
Vertreter.
Eine Delegation aus Bangladesch forderte "einen gerechteren
sozialen Wandel" und marokkanische Gewerkschafter machten sich gegen
die Massenarbeitslosigkeit in ihrem Land stark.
Schweizer gemeinsam mit Senegalesinnen
Unter die Menschenmenge mischte sich auch die 55-köpfige
Schweizer Delegation. Einige spannten kurzerhand mit einer
senegalesischen Frauengruppe zusammen und skandierten den Slogan
"Sans-Papiers sans terre - nous les femmes, on veut de la terre".
Auch Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen Partei
Schweiz, marschierte in Dakar mit den Leuten. "Die Verbundenheit der
Menschen ist einfach beeindruckend", sagte der Nationalrat (GE). "Ich
spüre hier die Kraft der Menschen", zeigte sich die
SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen (BE) beeindruckt. "Hier
treffen sich die Menschen, in Davos trifft sich das Kapital", sagte sie.
Afrika-Tag zu Beginn
Heute Montag beginnt das eigentliche Programm des WSF mit einem
Afrika-Tag. Themen wie Migration, Frauen, Klima- und
Ernährungskrise, Unterentwicklung, kleinbäuerliche
Landwirtschaft, Gesundheit oder soziale Sicherheit werden an diesem Tag
in hunderten Workshops und Treffen diskutiert. "Afrika soll
während diesen Tagen sichtbar sein", sagte der senegalesische
Bauernführer Mamadou Dissoko.
Die Menschen erhofften sich Diskussionen und Erfahrungsaustausch.
"Um die Lösungen für unsere Probleme muss sich Afrika selber
kümmern", hielt Dissoko fest.
---
nzz.ch 6.2.11
Weltsozialforum in Senegal eröffnet
Globalisierungskritiker treffen sich in Dakar für eine
gerechtere Welt
Globalisierungskritik kann lautstark, bunt und friedlich sein: Am
Sonntag haben zehntausende Menschen aus der ganzen Welt mit einem
Marsch durch Dakar das Weltsozialforum eröffnet. Boliviens
Präsident Evo Morales rief zum Widerstand gegen den
Neoliberalismus auf.
"Wenn sich die Zivilgesellschaft auf allen Kontinenten
organisiert, ist sie fähig, die Welt zu verändern", rief
Morales auf dem Campus der Universität Cheikh Anta Diop der
jubelnden Menge zu. Rund 45'000 Menschen waren vom Stadtzentrum der
senegalesischen Hauptstadt auf den Campus geströmt, wie Taoufik
Ben Abdallah, Koordinator des Afrikaforums und Mitorganisator des
Weltsozialforums, der Nachrichtenagentur SDA sagte.
Evo Morales zeigte sich überzeugt von der politischen
Sprengkraft des Weltsozialforums (WSF). Er denke dabei nicht nur an
soziale, sondern auch an Umweltprobleme. "Es gibt keinen besseren Ort
als das WSF, um Lösungen des Klimaproblems aufzuzeigen", sagte der
Südamerikaner. Davon könne auch der nächste Klimagipfel
in Durban profitieren.
123 Länder vertreten
"Diese Woche werden wir sagen, was wir von der Welt denken",
sagte der Tunesier Ben Abdallah in seiner Ansprache. "Wir", das
bedeutet am diesjährigen WSF Teilnehmer aus 123 Ländern,
davon 45 afrikanische Nationen. Über 1200 Organisationen werden
bis am 11. Februar rund 1000 Veranstaltungen organisieren.
Die starke Präsenz Afrikas war bereits am
Eröffnungsumzug sichtbar. Während am ersten WSF 2001 in Porto
Alegre in Brasilien bloss 30 Afrikaner teilgenommen hatten, machten am
Sonntag tausende Menschen in traditionellen, bunten Gewändern aus
Mauretanien, Mali, Marokko oder der Elfenbeinküste auf ihre
Forderungen aufmerksam. Die Menschen tanzten, sangen und riefen Parolen
für eine gerechtere Welt.
So ausgelassen die Stimmung an dem Marsch war, so ernst sind die
Anliegen der Teilnehmer: "Nein zum Missbrauch unserer Kinder", forderte
eine senegalesische Jugendgruppe. "Unser Ackerland ist unser Leben"
stand auf den Transparenten vieler afrikanischer Vertreter. Eine
Delegation aus Bangladesch forderte "einen gerechteren sozialen Wandel"
und marokkanische Gewerkschafter machten sich gegen die
Massenarbeitslosigkeit in ihrem Land stark.
Schweizer gemeinsam mit Senegalesinnen
Unter die Menschenmenge mischte sich auch die 55-köpfige
Schweizer Delegation. Einige spannten kurzerhand mit einer
senegalesischen Frauengruppe zusammen und skandierten den Slogan
"Sans-Papiers sans terre - nous les femmes, on veut de la terre".
Auch Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen Partei
Schweiz, marschierte in Dakar mit den Leuten. "Die Verbundenheit der
Menschen ist einfach beeindruckend", sagte der Nationalrat der SDA.
"Ich spüre hier die Kraft der Menschen", zeigte sich die
SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen beeindruckt. "Hier treffen
sich die Menschen, in Davos trifft sich das Kapital", sagte sie.
Afrika-Tag zu Beginn
Am Montag beginnt das eigentliche Programm des WSF mit einem
Afrika-Tag. Themen wie Migration, Frauen, Klima- und
Ernährungskrise, Unterentwicklung, kleinbäuerliche
Landwirtschaft, Gesundheit oder soziale Sicherheit werden an diesem Tag
in hunderten Workshops und Treffen diskutiert.
"Afrika soll während diesen Tagen sichtbar sein", sagte der
senegalesische Bauernführer Mamadou Dissoko der SDA. Die Menschen
erhofften sich Diskussionen und Erfahrungsaustausch. "Um die
Lösungen für unsere Probleme muss sich Afrika selber
kümmern", hielt Dissoko fest.
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GEPFEFFERT
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Spiegel 7.2.11
Reizstoff
Ortstermin: Ein schwäbischer Unternehmer profitiert von der
Nachfrage nach Pfefferspray
Scheuermann, Christoph
Ortstermin: Wie ein schwäbischer Pfefferspray-Hersteller vom
weltweiten Wutbürgertum profitiert
Hoernecke, der Tränenmacher, lässt sich auf einen Stuhl
in seinem Besprechungszimmer sinken. Er ist 54 und seit knapp 30 Jahren
im Reizstoffgeschäft tätig, ein Mann mit rosigen Wangen und
einem Schnauzbart, unter dem sein Besitzer auch dann hervorschmunzelt,
wenn es um Schmerzen geht.
Der Kaktus hat Stacheln, die Brennnessel hat Nesseln, sagt
Hoernecke. Der Mensch hat leider nichts. Er muss sich seine Nesseln
woanders besorgen.
Thomas Hoernecke macht zweieinhalb Millionen Euro Umsatz im Jahr
mit Pfefferspray. Wer das Pech hat, von einem seiner Geräte
angesprüht zu werden, reagiert binnen Sekunden mit triefenden
Augen, entzündeten Schleimhäuten, Atemnot, kurzzeitigem
Erblinden, manchmal mit vorübergehenden Sprechproblemen und
Krämpfen im Oberkörper. Ein Gefühl zwischen Fausthieb
und Streifschuss.
Hoernecke liefert die Sprühflaschen aus einer
schwäbischen Kleinstadt nördlich von Stuttgart an
Privatleute, vor allem aber an die Polizei, die dabei hilft, das Recht
durchzusetzen, zum Beispiel am Stuttgarter Hauptbahnhof oder beim
Castor-Transport in Gorleben oder bei Autonomen-Demonstrationen.
Es läuft ganz gut für Hoernecke. In den vergangenen
Monaten war viel zu tun. Er sagt, die Nachfrage steige kontinuierlich.
Polizeidienststellen fast aller Bundesländer bestellen bei ihm.
Nach Gorleben brauchte auch die Bundespolizei 2190 neue
Sprühflaschen. Thomas Hoernecke profitiert von der neuen deutschen
Lust am zivilen Ungehorsam.
Er streicht mit der Hand über ein Blatt Papier, eine
Mitteilung des Deutschen Bundestags. Der Innenausschuss
beschäftigte sich vor kurzem mit Pfefferspray im Polizeieinsatz.
Es hieß, es habe Tote gegeben. Die Bundesregierung musste
Stellung nehmen. Hoernecke fühlt sich nicht wohl bei solchen
Diskussionen, er sagt, er wolle die größtmögliche
Wirkung mit der geringstmöglichen Konzentration an Reizstoff
erzielen. Er halte sich an das Chemikaliengesetz und verarbeite
Chiliextrakt in Lebensmittelqualität. Wer masochistisch genug ist,
kann bei ihm Capsaicin probieren, als flüssigen Chiliextrakt.
Hoernecke verlässt das Besprechungszimmer und kommt mit
einem kleinen grauen Koffer zurück, in dem vier Flaschen liegen.
In einer Flasche schwappt eine rostbraune Flüssigkeit. Der
Chiliextrakt. Ein halbes Tröpfchen auf der Zunge fühlt sich
an, als hätte man an einem glühenden Eisen geleckt. Hoernecke
lehnt sich zurück und sagt, nach ein paar Stunden sei das Brennen
vorüber.
Der Schmerz entstehe im Gehirn, also dort, wo auch die Wut auf
die Politik heranwächst und in Protesten gegen Bahnhöfe und
Atomtransporte und Häuserräumungen mündet. Schmerz und
Wut sind ungute Gefühle und eher nicht so angenehm, wobei die Wut
gewöhnlich tiefer sitzt und anders als das höllische Brennen
eines Pfefferstrahls nicht nach einigen Stunden wieder abklingt.
Die Firma Hoernecke mischte zunächst Kräuter und
verkaufte Badezusätze. In den Sechzigern entdeckte der Vater von
Thomas Hoernecke die Sprühdose, sie kam aus den USA. Thomas
Hoernecke sagt: "Die Sprühdose ist das Produkt mit der geringsten
Hemmschwelle." Sie hat ein positives Image. Sie ist
handtaschentauglich. Anfangs versuchte sein Vater, Salbe gegen
Hautkrankheiten in die Dosen zu pressen, entdeckte aber bald die
Vorteile einer konzentrierten Ladung Chilisaft. Der erste
Großauftrag kam von der Bundespost, die Briefträgern
Pfefferspray zum Schutz vor Hunden mitgab.
Der Siegeszug des Pfeffersprays ist auch mit dem deutschen Drang
zu erklären, eine einmal bewährte Waffe noch weiter zu
perfektionieren. Hoernecke hat sie so konstruiert, dass der
Sprühstoß nur nach vorn losgeht und nicht nach hinten, hat
Wand- und Fahrzeughalter entwickelt, Weitstrahlventile eingebaut,
Gürtelclips und LED-Lämpchen, und verkauft Schlagstöcke,
die Pfefferspray ausstoßen können, für die doppelte
Ladung Schmerz. Die Kartuschen, die er an die Polizei liefert, sind
immer größer geworden, für länge-re Einsätze
gegen mehr Menschen, beim G-8-Gipfel in Heiligendamm oder beim Kampf
gegen Hausbesetzer in Berlin. Seit kurzem beliefert Hoernecke auch die
Feldjäger der Bundeswehr.
Er wuchtet seinen Körper aus dem Sessel und tritt an eine
Weltkarte, die in einem Holzrahmen an der Wand hängt,
Maßstab eins zu zwanzig Millionen, und mit roten, gelben,
grünen und schwarzen Fähnchen gespickt ist. Eine Weltkarte
des Ungehorsams. Südafrika ist markiert, Saudi-Arabien, Indien,
China, Indonesien, die Türkei, alles Länder, die Hoernecke
schon beliefert hat oder gern beliefern würde.
Er baut zwar keine Landminen, er befüllt Metallkartuschen
mit Reizstoff, trotzdem braucht er für jede Fuhre über die
Grenzen der Europäischen Union hinweg eine Genehmigung der
deutschen Behörden. Pfefferspray fällt unter die
Anti-Folter-Verordnung der EU, genau wie Fesselungsbretter,
Elektroschocker oder Daumenschellen. Hoernecke beäugt die
Weltkarte genauer. Als ihm auffällt, dass sie nicht mehr ganz
aktuell ist, zieht er behutsam mit Daumen und Zeigefinger ein
grünes Fähnchen aus Moskau heraus.
Aus seinem Büro in Nordschwaben behält Hoernecke auch
den wachsenden Weltmarkt im Blick. Momentan fasziniert ihn der
arabische Raum. Ägypten, Tunesien, Jordanien, der Jemen.
Wütende Bürger, überall. Kaufmännisch
hochinteressant, sagt Hoernecke. Das Bundesamt für Wirtschaft und
Ausfuhrkontrolle ist aber vorsichtig. Hoernecke seufzt. Gibt sowieso
wieder keine Ausfuhrgenehmigung.
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ANTI-ATOM
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Oltner Tagblatt 8.2.11
Niederamt
Beschwerde gegen den Einwendungsbericht
Obergösgen. Gemeinderat fordert Aufnahme der Ergebnisse der
sozioökonomischen Studie in den Richtplan
Von Corin Klingenstein
Der Obergösger Gemeinderat hat sich intensiv mit dem
Einwendungsbericht zum Richtplan für ein neues Kernkraftwerk im
Niederamt (KKN) auseinandergesetzt. Die Anliegen, die seinerzeit bei
der Auflagefrist vom 7. Juni bis 7. Juli 2010 geltend gemacht worden
waren, sind leider nur zum Teil in den Bericht eingeflossen. Daher
reichte der Gemeinderat Beschwerde gegen den Einwendungsbericht zur
Anpassung des kantonalen Richtplans "Neues Kernkraftwerk Niederamt"
(KKN) ein.
Studienergebnisse berücksichtigen
Er fordert, dass die Ergebnisse der Sozioökonomischen Studie
in den Richtplan aufgenommen werden. Diese Studie ist sehr umfangreich,
und es wurde viel Zeit und Geld aufgewendet, nicht zuletzt auch seitens
des Kantons, um Erkenntnisse in Bezug auf die wirtschaftlichen und
gesellschaftlichen Auswirkungen eines zweiten KKW zu erhalten. Die
Antwort des Bau- und Justizdepartements (BJD), wonach die Ergebnisse
der Studie nicht Gegenstand der Richtplananpassung sein sollen, ist aus
Sicht des Gemeinderates nicht nachvollziehbar.
Auch finden sich im Einwendungsbericht diesbezüglich
bedeutende Widersprüche in der Aussage. So werden im Zusammenhang
mit dem Richtplanverfahren neben den raumplanerischen insbesondere auch
immer wieder die sozioökonomischen Anliegen erwähnt. Ohne die
Ergebnisse der Studie ist eine Interessenabwägung in den Bereichen
Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in der Region nicht möglich.
Die Sozioökonomische Studie, die von der
Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) in Auftrag gegeben
worden war (wir berichteten), kann heruntergeladen werden unter
www.niedergoesgen.ch oder unter www.ruetter.ch/cs/ aktuell/news.html.
Parallelbetrieb KKG und KKN
Mit der Antwort des BJD, dass nach dem Rückbau des
Kernkraftwerks Gösgen (KKG) dieser Standort nicht für ein
neues KKW zur Verfügung stehe, weil dazu ein neues Verfahren
eingeleitet werden müsste, ist ein Teil der Einwendung
beantwortet. Hingegen befürchtet der Gemeinderat, dass mit der
Aussage: "Der Doppelbetrieb des KKG und KKN dauert so lange, wie die
sicherheitstechnischen Anforderungen an das KKG gewährt sind",
einen Parallelbetrieb über Jahrzehnte.
Ein allfälliger Parallelbetrieb bis zur Abschaltung des KKG
ist für den Obergösger Gemeinderat jedoch nur während
einer kurzen Übergangsfrist annehmbar, und daher verlangt er, dass
der Rückbau des KKG sowie der Neubau des KKN auf der Zeitachse so
koordiniert und verbindlich festgelegt werden, dass ein Parallelbetrieb
auf ein absolutes Minimum beschränkt und nach Möglichkeit
ausgeschlossen wird.
Stromtransport und Leitungen
Es ist eine logische Konsequenz, dass an einem Ort, wo mehr
Energie erzeugt wird, auch dieselbe Mehrenergie abgeführt werden
muss. Im Fall eines Neubaus KKN müsste das bestehende elektrische
Übertragungsleitungsnetz ausgebaut werden, um die
Mehrkapazität aufnehmen und transportieren zu können. Ein
Parallelbetrieb KKG/KKN würde die Anforderungen entsprechend
erhöhen. Nach Ansicht des Gemeinderates besteht daher eine
Kausalität zwischen der Energiequelle und der Kapazität des
elektrischen Übertragungsleitungsnetzes, was die Behandlung als
integrierender Bestandteil in der Richtplananpassung rechtfertigt.
Im Nordosten quert eine 220-kV-Leitung Obergösgen. Die
Richtplananpassung sieht eine Netzverstärkungsmassnahme vor, indem
die bestehende Leitung mit 380 kV betrieben wird, um den
zusätzlichen Energieabfluss zu gewährleisten. Durch die
höheren Emissionswerte würde das betroffene Wohnquartier
zusätzlich belastet. Daher wird verlangt, auch wenn die
Zuständigkeit für Hochspannungsleitungen beim Bund liegt,
dass der Kanton die Interessen der Niederämter Bevölkerung
beim Bundesamt für Energie BFE vertritt, indem er sich beim Ausbau
der bestehenden oder beim Bau von neuen elektrischen
Übertragungsleitungsnetzen für eine Realisierung ausserhalb
von Wohngebieten im Boden einsetzt.
--
Verkehrsaufkommen: Gemeinden benennen
Im Einwendungsbericht wird erwähnt, dass ein Verkehrskonzept
erarbeitet wird und die betroffenen Gemeinden in die Ausarbeitung
miteinbezogen werden. Der Gemeinderat verlangt eine Präzisierung
durch die Nennung der betroffenen Gemeinden. (ckl)
--
KKN Namensgebung versus Image-Aufwertung der Region
Hinlänglich ist bekannt und erwiesen, dass die Gemeinden mit
der Bezeichnung "... gösgen" im Ortsnamen durch das KKG einen
Imageverlust hinnehmen müssen. Die Niederämter Gemeinden
bemühen sich in einem Regionalen Entwicklungskonzept (REK) um eine
Aufwertung der Region und um die Identifikation der Bevölkerung
mit dem Niederamt.
Es ist nicht nachvollziehbar, wie im Licht dieser Bemühungen
die Trägerschaft ein allfälliges neues Kernkraftwerk
Niederamt nennen kann und damit die Anstrengungen der Region
untergräbt. Der Gemeinderat fordert, dass der Name eines
gegebenenfalls neuen Kernkraftwerks im Niederamt, gerade im Hinblick
auf die regionale Entwicklung, keinen Bezug zu den betroffenen
räumlichen Gegebenheiten wie Gemeinde-, Gewässer-, Flur- oder
Gebietsnamen haben darf. (ckl)
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20 Minuten 7.2.11
AKW-Gegner: Aktiv an allen Fronten
BERN. Eine Woche vor dem Entscheid für oder gegen ein neues
AKW Mühleberg gaben die Atom-Gegner noch einmal so richtig Gas. Am
Samstagnachmittag etwa trafen sich rund 30 Personen in der Stadt, um
gemeinsam mit Passanten "Atommüll" zu entsorgen. Diesen gab es in
Form von Brennstäben (Malkreide), der durch Zeichnen auf dem
Asphalt zum Verschwinden gebracht werden sollte.
Das Jugendkomitee gegen Mühleberg kämpft derweil in der
virtuellen Welt und setzt auf Facebook-Kampagnen und YouTube-Clips -
wie auch diverse Bands, unter ihnen die Berner Rabiatisten.
Doch auch neue Stimmen haben sich kurz vor der Abstimmung noch zu
Wort gemeldet: So gründeten 40 Berner Ärzte ein Komitee gegen
Mühleberg II. In Berner Tageszeitungen vom letzten Samstag wehrten
sich zudem Mühleberg-Anwohner mit einem Anti-AKW-Inserat gegen das
Projekt. NJ
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Langenthaler Tagblatt 7.2.11
Mühleberg II Ärzte und Anwohner warnen
Knapp 40 Berner Ärztinnen und Ärzte haben ein Komitee
gegen ein neues AKW in Mühleberg gegründet. Sogar im
störungsfreien Betrieb schädige ein Atomkraftwerk die
Gesundheit der Menschen, wird die Nein-Parole begründet. Dazu
komme das Risiko eines Atomunfalls. Zwar erfüllten Schweizer AKW
die höchsten Sicherheitsstandards. Doch der Umgang mit bestehenden
Mängeln lasse an der vermeintlichen Sicherheit zweifeln. Auch
Anwohnerinnen und Anwohner des AKW Mühleberg kämpfen für
ein Nein am 13. Februar. Über 100 Personen aus der Gegend ums AKW
haben ein Inserat unterzeichnet, das am Samstag erschien. Die
Enthüllungen im Vorfeld der Abstimmung hätten das Fass zum
Überlaufen gebracht, heisst es in einem Communiqué. (sda)
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St. Galler Tagblatt 7.2.11
Abstimmung strahlt national aus
Am 13. Februar stimmen die Bernerinnen und Berner über ein
neues AKW in Mühleberg ab. Rechtlich ist der Entscheid nicht
bindend, aber politisch ist er wenige Jahre vor der nationalen
AKW-Abstimmung schweizweit bedeutend.
Barbara Spycher
bern. Wenn am 13. Februar die Berner Stimmzettel ausgezählt
werden, dann schaut die ganze Schweiz hin. Denn die knapp eine Million
Einwohnerinnen und Einwohner des zweitgrössten Kantons stimmen
darüber ab, ob sie im bernischen Mühleberg ein neues AKW
befürworten oder ablehnen. Mühleberg II wäre viermal
leistungsfähiger als der bestehende bald 40jährige Reaktor,
der zwölf Kilometer westlich der Stadt Bern steht und in
voraussichtlich zehn Jahren vom Netz gehen soll.
Ein Stimmungstest
Der Berner Urnengang ist der erste und letzte Stimmungstest,
bevor voraussichtlich 2013 oder 2014 die Stimmbürger der ganzen
Schweiz darüber entscheiden, ob zwei neue AKW gebaut werden. Die
Betreiber von Beznau (AG), Gösgen (SO) und Mühleberg (BE)
konnten sich noch nicht auf zwei Standorte einigen, haben aber ihre
Gesuche um Rahmenbewilligungen für neue Atommeiler eingereicht.
Nun folgen Stellungnahmen der Standortkantone, dann die Entscheide von
Bundesrat und Parlament, und schliesslich wird das Volk in einer
Referendumsabstimmung über die Schweizer Energiezukunft bestimmen.
Bedeutend für Standort
Die Bernerinnen und Berner werden schon jetzt an die Urne
gerufen, weil Regierung und Parlament die Stellungnahme des
Standortkantons Bern zu Mühleberg II dem Volk unterbreiten
wollten. Die rot-grüne Regierung ist gegen ein neues AKW, das
bürgerlich dominierte Parlament dafür. Die anderen
Standortkantone befragen das Volk nicht. Allerdings hat jüngst
eine Studie bei Gemeinden um Gösgen gezeigt, dass es unter den
Anwohnern mehr Gegner denn Befürworter gibt. In Bern ist die
Standortgemeinde Mühleberg atomfreundlich eingestellt, die Stadt
Bern atomkritisch, der Gesamtkanton aber stimmte in früheren
Atomvorlagen meistens wie der Schweizer Durchschnitt, meist gar noch
ein wenig atomfreundlicher.
Emotionale Abstimmung
Die jetzige Abstimmung ist bloss eine Konsultativabstimmung.
Sollten die Berner ein neues AKW ablehnen, dürften die Chancen
für einen Neubau auf Berner Boden aber markant sinken, auch wenn
der Energiekonzern BKW als Betreiber betont, sein Gesuch selbst dann
nicht zurückziehen zu wollen. Doch dann hätten Gösgen
und Beznau die deutlich besseren Karten.
Im Berner Abstimmungskampf werden sämtliche Register
gezogen, und die Emotionen gehen hoch. Diese Woche publizierten die
AKW-Befürworter Inserate mit einem Zitat von alt Bundesrat Moritz
Leuenberger vom Oktober, in dem er die AKW-befürwortende Haltung
des Bundesrats darlegte. Damit wird suggeriert, das sei die
persönliche Meinung des SP-Mannes - was Leuenberger gar nicht
gefiel. Viel kritisiert wurde auch der Rückzieher der BKW beim
"grünen Strom", den der Energiekonzern wenige Wochen vor dem
Urnengang ankündigte: Wegen des zunehmenden Widerstands gegen
Windparks und Kleinwasserkraftwerke sei es unmöglich, bei den
erneuerbaren Energien die Ziele des Bundes zu erreichen. Die BKW werde
ihre Ausbauprojekte in der Schweiz bis ins Jahr 2030 um 40 Prozent
reduzieren. Die implizite Botschaft "ohne AKW geht es nicht" wirkte
etwas gar durchsichtig. Doch auch die rot-grüne Berner Regierung
musste Schelte einstecken: An einer Medienkonferenz hatte sie vor der
Abstimmung erneut dargelegt, wieso sie sich gegen Mühleberg II
ausspricht. Das war den Bürgerlichen der "Information" zu viel.
Radioaktiver Müll inklusive
Der grösste Aufreger aber entstand um die zwei Zwischenlager
für radioaktive Abfälle, welche das neue AKW beinhaltet. Zwar
steht das im Gesuch der BKW, doch der Konzern selber schwieg vornehm
und spielte es herunter, auch Politiker thematisierten es nicht und
selbst im Abstimmungsbüchlein steht nichts dazu. Der Grund: Die
Kantonsparlamentarier hatten das Gesuch der BKW nicht richtig studiert.
Erst durch Medienberichte wurde publik: Mühleberg II würde
auch zwei Zwischenlager für Atommüll beinhalten. Das
Gebäude für hochradioaktive Abfälle würde 200 Meter
lang, 80 Meter breit und 30 Meter hoch und hätte nicht nur Platz
für die Brennstäbe aus dem neuen und dem alten AKW
Mühleberg, sondern auch für Abfall aus anderen Schweizer AKW.
Insbesondere für den Fall, dass während der Betriebszeit oder
gar bei der Stilllegung von Mühleberg II kein geologisches
Tiefenlager zur Verfügung steht. Dazu käme ein zweites
Gebäude für schwach- und mittelaktive Abfälle.
Wovor fürchten sich die Leute?
Wie sehr diese Enthüllungen den AKW-Gegnern in die
Hände spielen, wird sich weisen. Ebenso, wovor die
Bevölkerung mehr Angst hat: vor einer vermeintlichen
"Stromlücke" oder vor der radioaktiven Strahlung bei einem Unfall
wie in Tschernobyl. Denn auf diese Emotionen reduziert wird der
Abstimmungskampf von Befürwortern und Gegnern auf den Berner
Plakatwänden.
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Aargauer Zeitung 7.2.11
Tiefenlager: Noch sind viele Fragen offen
Zurzibiet "Nördlich Lägern ohne Tiefenlager" (LoTi)
informierte über Tiefenlagerproblematik.
Unter der Leitung von Hans-Peter Hubmann (Vorstand LoTi)
positionierten sich die Podiumsteilnehmenden in der Tiefenlagerfrage
pointiert. Nicht leicht hatte es José Rodriguez vom Bundesamt
für Energie, musste er doch versuchen, Vertrauen in die Entsorgung
radioaktiver Abfälle zu wecken. Er versicherte, dass der Bund mit
dem Sachplanverfahren ein Tiefenlager gewährleiste, das dort
realisiert werde, wo es am sichersten sei.
Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energiestiftung hielt
immer wieder den Finger auf die vielen offenen Fragen. Wie wird der
Abfall überwacht und markiert, bildet sich Gas im Opalinuston,
oder wie können die Abfälle zurückgeholt werden?
Hanspeter Lienhart vom Forum Lägern Nord hielt fest, dass die
Behörden der betroffenen Gemeinden ein Tiefenlager einstimmig
ablehnen. Trotzdem ist er der Meinung, dass das dreistufige
Sachplanverfahren geeignet sei, um den bestmöglichen Standort
für ein Lager zu finden. Damit ein Standortvergleich
überhaupt möglich sei, müssten Studien von
unabhängigen Stellen über alle sechs Standorte erstellt
werden.
Abgeltung von 500 Mio. Franken
Wer gehofft hatte, auf die Frage, wie wahrscheinlich eine
Realisierung eines Tiefenlagers im Raum Nördlich Lägern sei,
eine Antwort zu bekommen, wurde enttäuscht. Von dieser
Entscheidung sei man noch zu weit entfernt. Fest stehe aber, dass nur
ein Opalinuston-Standort infrage käme, sodass die
Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch ist, da nur drei Standorte für
schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle infrage kommen.
Zum Schluss der Diskussion liess José Rodriguez auf
Nachfrage von SP Grossrätin Astrid Andermatt, Co-Präsidentin
LoTi, in Sachen Abgeltung die Katze aus dem Sack. Ein künftiger
Standort für hochradioaktive Abfälle dürfe mit gut 500
Millionen Franken "Abgeltung" rechnen.
Der Diskussionsabend in Niederweningen sei nicht der letzte zu
diesem Thema gewesen. Denn die Bevölkerung wolle sich
möglichst gut informieren, damit sie in dieser wichtigen Frage
mitreden könne, so Andermatt. Nächste Gelegenheit dazu bietet
sich am 19. März beim Besuch des Felslabors Mont Terri in St.
Ursanne. Informationen unter www.loti2010.ch. (az)
--
Tiefenlager-Suche
2008 hat das dreistufige Auswahlverfahren für zwei
Tiefenlager begonnen. 2009 schlugen das Bundesamt für Energie
(BFE) und die Nationale Genossenschaft für die Lagerung
radioaktiver Abfälle (Nagra) sechs Regionen vor: das Zürcher
Weinland (ZH/TG), Nördlich Lägern (AG/ZH), Bözberg (AG),
Jurasüdfuss (AG), Wellenberg (NW/OW) und Südranden (SH). Die
Auswahl geschah gestützt auf die Geologie. (mru)
---
Südostschweiz 7.2.11
Nidwalden vereint gegen Atommüll
Nidwalden unternimmt einen neuen Anlauf, den Wellenberg als
Standort für ein Atommülllager zu verhindern. Die Abstimmung
am Sonntag dürfte zum klaren Verdikt gegen ein Tiefenlager werden.
Von Ueli Bachmann
Sarnen. - In der schweizerischen Demokratie hat das Volk das
letzte Wort. Allerdings können sich Gegebenheiten ändern und
Volksentscheide revidiert werden. Diese Lektion droht den Nidwaldner
und Nidwaldnerinnen erteilt zu werden. Über 20 Jahre haben sie die
Pläne für ein Atommülllager im Wellenberg bekämpft.
Nach dem letzten Volksverdikt 2002 schien der Bundesrat ein Einsehen zu
haben; in einer Interpellationsantwort hat er versichert, dass der
Wellenberg vom Tisch ist.
Doch das ist Schnee von gestern: Weil das Atommüllproblem in
keiner Weise gelöst ist, hat der Bund das ganze Verfahren um ein
geologisches Tiefenlager neu lanciert. Zudem sind die Spielregeln
geändert worden: Mit dem Kernenergiegesetz 2005 und der
dazugehörenden Verordnung hat nun die Stimmbevölkerung der
ganzen Schweiz und nicht mehr nur jene des Standortkantons zu
entscheiden, wo der Atommüll zu entsorgen ist. Und seit Herbst
2008 wissen die Nidwaldner, dass der Wellenberg trotz des
langjährigen Widerstands wieder im Rennen ist.
Deutliches Votum erwartet
Der Aufschrei über diese Wiederaufnahme des Wellenbergs war
in Nidwalden riesig. "Wir trauten unseren Ohren nicht", sagt die
damalige Baudirektorin Lisbeth Gabriel zur Stimmungslage des sich
übertölpelt fühlenden Kantons. Wie vor 20 Jahren kommt
es bei Veranstaltungen des Bundes oder der Nationalen Genossenschaft
für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) jeweils zu
Demonstrationen. Die meisten Gemeinden verweigern zudem die Beteiligung
beim Verfahren. Die Haltung der Nidwaldner Regierung fällt
ebenfalls unmissverständlich aus. In ihrer Stellungnahme fordert
sie die Streichung des Wellenbergs aus der Liste.
Jetzt wird erneut abgestimmt, weil die Stellungnahme der
Regierung dem Volk vorgelegt werden muss: Die Nidwaldner Nagra-Gegner
haben sich dieses Mitentscheidungsrecht bei Atommüllfragen 1987
gesichert. Am Sonntag wird an der Urne ein noch deutlicheres Votum
gegen ein Atommülllager im Wellenberg erwartet als bisher, weil
Regierung und bürgerliche Parteien mit linksgrünen
Nagra-Gegnern am gleichen Strick ziehen.
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NZZ am Sonntag 6.2.11
Stromkonzern BKW geizt beim Solarstrom
Die Berner BKW korrigierten jüngst ihr Ausbauziel für
grüne Energie nach unten. Wer als Kleinkunde selber in Solarstrom
investiert, bekommt von den BKW für seinen
überschüssigen Strom nur das Minimum.
Gabriela Weiss
"Als Pionierin setzen wir auf verschiedene Technologien und
prägen die Zukunft der erneuerbaren Energien mit", heisst es auf
der Homepage des drittgrössten Schweizer Stromkonzerns BKW.
Zurzeit kämpft er allerdings vor allem um die Zukunft des
AKW-Standorts Mühleberg. In einer Woche stimmt das Volk im Kanton
Bern darüber ab, ob dort dereinst ein neues Kernkraftwerk gebaut
werden soll. Obwohl die Abstimmung nur konsultativen Charakter hat,
wird sie Signalwirkung haben für die gesamte Schweiz.
Im Vorfeld der Abstimmung gab Konzernchef Kurt Rohrbach zu
verstehen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien wie
Kleinwasserkraft und Wind nicht im gewünschten Tempo vorangeht -
vor allem, weil der Widerstand von Anwohnern und Umweltorganisationen
gegen einzelne Projekte gross sei.
8 Rappen für Sonnenstrom
Wie ernst es dem börsenkotierten Energiekonzern
tatsächlich ist mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, ist jedoch
fraglich. Investiert ein Privater im BKW-Versorgungsgebiet ohne
kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) in eine Solaranlage, so
speist er im Fall eines Stromüberschusses diesen in das BKW-Netz
ein. Die BKW zahlen für den grünen Strom gerade einmal 8 bis
11,5 Rp. pro kWh - das gesetzliche Minimum.
Würden die Produzenten von der Einspeisevergütung
profitieren, erhielten sie für die Solarenergie - je nach Anlage -
zwischen 30 und 60 Rp. pro kWh. Ihren eigenen zertifizierten Solarstrom
verkaufen die BKW für einen Aufpreis von 80 Rp. "Die BKW
vergütet den Strom gemäss den gesetzlichen Vorgaben. Die
Technologie - Wind, Biomasse, Sonne - spielt dabei keine Rolle",
rechtfertigt BKW-Sprecher Antonio Sommavilla die Praxis.
Andere Energieversorger fahren eine grosszügigere Strategie.
So zum Beispiel das Stadtwerk Winterthur. Bekommt ein
Solarstromproduzent keine KEV-Vergütung, erhält er vom
Stadtwerk für seinen Strom den KEV-Ansatz vergütet. Die
gleiche Praxis verfolgen die Industriellen Werke Basel (IWB). "Wir
vergüten den Produzenten KEV-Ansätze für die effektiv
produzierte Menge Strom", bestätigt IWB-Kommunikationschef
René Kindhauser. Und das EWZ, das Elektrizitätswerk der
Stadt Zürich, betreibt eine Ökostrom-Börse, an der
Solarstromproduzenten ihre grüne Elektrizität zu einem
interessanten Preis verkaufen können.
Dass die Stadtwerke Investitionen in erneuerbare Energien
unterstützen, ist kein Zufall. In Zürich und Basel setzen
Energieversorger den Volkswillen um, langfristig aus der Atomenergie
auszusteigen. Andere Stromversorger haben analog den BKW keine
Ausstiegspläne - dazu gehören die Elektrizitätswerke des
Kantons Zürich (EKZ), welche auch an der Axpo beteiligt sind, oder
die Axpo-Tochter CKW. Beide zahlen für überschüssigen
Solarstrom, der nicht vom KEV-Fördertopf profitiert, ähnlich
tiefe Tarife wie die BKW.
Installateure tragen Kosten
Vor dem Hintergrund erstaunt kaum, dass nicht nur die
Einspeise-Tarife für Solarstrom bei kleinen
Sonnenstrom-Produzenten im BKW-Versorgungsgebiet für Unmut sorgen.
Auch die "Aktion solare Wassererwärmung" gibt zu reden: "Wir
belohnen Ihren Einsatz für Energieeffizienz mit einem einmaligen
Förderbeitrag von 1000 Franken", heisst es auf der Homepage der
BKW. Tatsächlich übernehmen die Hersteller und Installateure
der Solaranlage, die bei der Aktion mitmachen, die 1000 Fr. Nach
eigenen Angaben kommen die BKW nur für die Marketing- und
Kommunikationskosten auf. Und die Kunden würden einen Beitrag von
500 Fr. für eine Energieberatung erhalten.
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Bund 5.2.11
Ärztestreit zu Mühleberg II
Knapp 40 Ärztinnen und Ärzte aus dem Kanton Bern haben
ein Abstimmungskomitee gegen Mühleberg II gegründet. Sogar in
einem störungsfreien Betrieb schädige ein Atomkraftwerk die
Gesundheit der Menschen, schreiben sie. So habe eine Studie des
Deutschen Kinderkrebsregisters nachgewiesen, dass Kleinkinder ein
doppelt so hohes Leukämie-Risiko aufwiesen, wenn sie im Umkreis
von fünf Kilometern eines Atomkraftwerks lebten. Auch Auswirkungen
auf die Geburtenhäufigkeit seien nachgewiesen. Anderer Ansicht ist
das "Forum Medizin und Energie" (FME), ein überparteilicher Verein
von Ärztinnen und Ärzten. Das FME hat sich zum Ziel gesetzt,
die Schnittstellen zwischen menschlicher Gesundheit und Energie zu
erforschen. Die minimale Strahlung aus Kernkraftwerken sei aufgrund des
heutigen Wissens als Ursache für ein höheres
Leukämierisiko bei Kleinkindern unplausibel und könne
praktisch ausgeschlossen werden, schreibt das FME in einer Mitteilung.
Und die Behauptung, es gebe um KKW weniger Mädchen, "macht
biologisch keinen Sinn". Es sei bekannt, dass in der
Embryonalentwicklung das männliche Geschlecht wesentlich sensibler
ist als das weibliche und leichter auf Strahlenschäden
reagiere.(sda)