MEDIENSPIEGEL 8.2.11
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, Dachstock, Rössli)
- (St)Reitschule: Leistungsvertrag abgesegnet
- Jugendtreffs BE+BS: Beliebt + überfüllt; Gegen Rassismus
- Clubleben: WirtInnen gegen Regierungsstatthalter-Pläne
- Kulturgeld: Weniger weggespart
- RaBe-Info 7-8.2.11
- Freiraum Chur: Kulturwoche für Kulturzentrum
- Squat Stans: Hausbesetzung im Museum
- Anti-SVP: Plakatklau; Eierwürfe
- Gefangene: Soli-Demo für Steven
- Intersexualität: Protest gegen Verstümmelungen SG
- Sexwork: FDP fordert Sexwork-Lohnklagen; Strassenstrich LU
- Drogen: Schnellgerichte AG
- Nothilfe: Kritische Aktionswochen
- Sans-Papiers: Unia-Aktionspläne; Papierlosenzeitung; Arbeitgeberstreit
- Ausschaffungen: Sri Lanka; Klage gegen Ausschaffungsinitiative
- Migration Control: Keine Chance für Nigerianer + Georgier; Angriff auf Asylrechte
- Police ZH: Kennzeichnungsängste 1
- Police LU: Kennzeichnungsängste 2
- Big Brother Video: Gesetz LU; Regionalzüge SBB
- Big Brother Sport: Hooligans Neuchatel
- Weltsozialforum: Kritik + Aufrufe
- Gepfeffert: Ein schwäbischer Spray für die ganze Welt
- Anti-Atom: Niederamt; Mühleberg; Tiefenlager; BKW

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REITSCHULE
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Di 08.02.11
20.30 Uhr - Kino - Uncut - Warme Filme am Dienstag: L'Arbre et la Foret, Olivier Ducastel, Frankreich 2010

Mi 09.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
19.00 Uhr - SousLePont - Mittelalter-Spezialitäten
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von Paraform. Eine Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit

Do 10.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von Paraform. Eine Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
21.00 Uhr - Rössli - Pirol - Plattentaufe. Support: Quieta. --Indie/Noise/Shoegaze

Fr 11.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
20.30 Uhr - Kino - Ander, Roberto Castón, Spanien 2009
20.00 Uhr - Infoladen - Die extreme Rechte in "Social Networks". Veranstaltung der Antifa Bern mit Michael Weiss, Antifaschistisches Pressearchiv und Bildungszentrum Apabiz, Berlin
20.30 Uhr - Tojotheater - Let's pretend to be human. Von Paraform. Eine Exkursion ins Abenteuer Menschlichkeit
23.00 Uhr - Dachstock - Patchwork: DOOM DJ-SET (aka MF DOOM/Lex Rec). Support: DJ Sassy J & ill dubio & ketepica -- Hiphop

Sa 12.02.11
19.00 Uhr - Grosse Halle - Blinde Insel - Gastküche: Restaurant Dampfzentrale (Essen pünktlich 19.30 Uhr)
21.00 Uhr - Kino - Ander, Roberto Castón, Spanien 2009
20.30 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum Valentinstag. Conférence: Sylvia Garatti
22.00 Uhr - Dachstock - MARTERIA (GER), Support: DJ's Kermit & Kid Silly -- Hiphop, Electro

So 13.02.11
19.00 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum Valentinstag. Conférence: Sylvia Garatti.
20.00 Uhr - Rössli - Gabriel Hirsch -- Indiepop

Mo 14.02.11
20.30 Uhr - Tojotheater - Female Freaks - Die Show zum Valentinstag. Conférence: Sylvia Garatti

Infos:
http://www.reitschule.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 7.2.11

Kulturbeutel 6/11

Von Grazia Pergoletti am Montag, den 7. Februar 2011, um 06:02 Uhr

Signora Pergoletti empfiehlt:
Die "Murder Ballads" am Stadttheater, weil bei der Kombination Nick Cave/Rebekka Kricheldorf eigentlich nichts schiefgehen kann, am Samstag in der Vidmar. Wem, anstatt nach etwas mörderischem, eher nach etwas lebenserhaltendem und sehr herzlichem zumute ist, sollte sich "Let's Pretend To Be Human" ansehen, ein Projekt von Marcel Schwald, unter anderem auch, weil es hier ein Wiedersehen mit der ziemlich einzigartigen Ariane Andereggen gibt, ab Mittwoch im Tojo. Ausserdem sei das Konzert von "Zachov!", alias Jacob Suske am Donnerstag im Sous Soul wärmstens empfohlen!

(...)

Herr Sartorius empfiehlt:
Eine Woche der Konzerte. Diese beginnt am Mittwoch in der jubilierenden Bee-Flat-Turnhalle mit dem Auftritt von The Bad Plus, geht weiter mit den lieben Wave Pictures im Café Kairo am Donnerstag, ehe MF Doom seine Maske auch am DJ-Set im freitäglichen Dachstock tragen wird, bevor dann am Sonntag ins ebenfalls geburtstagsfeiernde Bad Bonn gereist wird, um mit Glasser weiter zu verspielen. Eigentlich hervorragend.

(...)

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kulturstattbern.derbund.ch 7.2.11

Phenomenautic
Von Gisela Feuz am Montag, den 7. Februar 2011, um 00:02 Uhr

Frau Feuz zückt den Hut vor dem eben Gesehenen. Am Sonntagabend in einem halbvollen Rössli eine solche Show hinzulegen, muss man erst mal hinkriegen. Die Helden des Abends heissen The Phenomenauts. Grösstmögliches Rock'n'Roll-Kino inklusive Klopapier-Abroll-Schleuder und Space-Uniform. Bravo!

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(ST)REITSCHULE
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BZ 8.2.11

Leistungsvertrag ist unterschrieben

 Reitschule. Am Sonntag hat die Reitschule den Leistungsvertrag mit der Stadt abgesegnet. Nun sieht es für den Vertrag im Stadtrat gut aus.

 Mehr als zwei Drittel des Berner Stimmvolks bekannten sich letzten Herbst zur Reitschule und verwarfen eine Initiative, die deren Schliessung und Verkauf verlangt hatte. Ausser der SVP und der FDP hatten alle Parteien den Widerstand gegen die Initiative mitgetragen. Es wurde aber schon damals deutlich, dass die Liebe der Mitte-Parteien BDP, CVP, EVP, GFL und GLP zum alternativen Kulturzentrum keine bedingungslose ist.

 Zum Ausdruck kam dies gestern vor einer Woche: Die vorberatende Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) empfahl mit den Stimmen der Mitte, den Leistungsvertrag mit der Reitschule für die Jahre 2012 bis 2015 abzulehnen (wir berichteten). Die Kommission begründete ihren Entscheid damit, dass noch gar kein definitiver Vertrag mit dem Verein Interessengemeinschaft Kultur in der Reitschule (Ikur) vorliege. Zudem habe der Gemeinderat die Konsequenzen aus der Motion Mozsa ("Reitschule schützen") nicht gezogen. Die Motion aus dem Oktober 2008 fordert von der Reitschule verbindliche Strukturen, einen permanenten Sicherheitsdienst sowie die Schliessung des Eingangstors bei Demonstrationen.

 "Jetzt kommt es wohl gut"

 Vertreter von SP, Grünem Bündnis und der Jungen Alternative (JA) kritisierten den SBK-Entscheid. Die JA warf der Kommission vor, ein ideologisches "Zeichen der Intoleranz gegenüber alternativen Strukturen und Andersdenkenden" gesetzt zu haben.

 Falsch, sagt Kommissionspräsident Martin Schneider (BDP) auf Nachfrage: "Es ging der Kommission nie darum, die Reitschule zu gängeln. Im Gegenteil: Die Kommission kam sich von der Reitschule gegängelt vor." Da der Vertrag an der Kommissionssitzung noch nicht vorgelegen habe, sei die gegenseitige Verbindlichkeit zwischen Reitschule und Stadt nicht gegeben gewesen.

 Die gestrige Nachricht aus der Reitschule, dass sie den Leistungsvertrag abgesegnet habe, freue ihn. Sollte im Vertrag nicht noch "ein Hund begraben sein", geht er davon aus, dass das Geschäft im Stadtrat angenommen wird: "Dann kommt es wohl gut für die Reitschule."

 Kulturdebatte am 3.März

 Behandelt wird der Leistungsvertrag zwischen Stadt und Reitschule am 3. März, wenn der Stadtrat sämtliche Kulturverträge für die nächste Subventionsperiode diskutiert. Die Ikur soll von der Stadt jährlich 380 000 Franken erhalten.

 Noch vor der grossen Kulturdebatte im Stadtrat sollte diesem die gemeinderätliche Antwort auf die Motion Mozsa vorliegen, wie Veronica Schaller, Leiterin der Abteilung Kulturelles, auf Anfrage bestätigte. Auch bezüglich des Vertragsinhalts verbreitet sie gute Stimmung: "Die Forderungen der Motion Mozsa sind im Vertrag zwischen der Stadt und der Reitschule weitestgehend aufgenommen."

 Nach den beiden kürzlich erfolgten Übergriffen auf die Kantonspolizei bei der Reitschule (wir berichteten) ist es aber denkbar, dass im Stadtrat aus den Reihen der Reitschule-Gegner Sicherheitsfragen angesprochen werden. Die Mediengruppe der Reitschule distanzierte sich in einer Stellungnahme von den Vorfällen und bezeichnete sie als "kontraproduktiv und sinnlos".

 Christoph Hämmann

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JUGENDTREFFS
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20 Minuten 8.2.11

Beliebte Berner Jugendtreffs

 BERN. Die Jugendtreffs in der Stadt sind beliebt - und stossen deshalb immer wieder an ihre Grenzen. "Es kommt oft vor, dass sich 200 Jugendliche auf 50 Quadratmeter pferchen müssen", sagt Stephan Wyder, Co-Geschäftsführer des Trägervereins der offenen Jugendarbeit (TOJ). Wyder schätzt, dass sich pro Jahr zwischen 31 000 und 35 000 Jugendliche in den acht Jugendtreffs der Stadt aufhalten. Besonders eng wird es in den kalten Monaten - schon seit längerem. "So können wir dem Betreuungsauftrag nicht gerecht werden", erklärt Wyder. Es fehle sowohl an finanziellen wie auch an personellen Ressourcen.

 Stadtrat Manuel C. Widmer erstaunt das nicht: "Das ist ein offenes Geheimnis. Die Treffs müssen immer mehr Funktionen übernehmen, die ins Elternhaus gehören." Deshalb müsse man als Erstes die Eltern unterstützen und nicht nach mehr Ressourcen suchen.  PEC

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20 Minuten 8.2.11

Mädchentreff gegen Rassismus

 BERN. Nachdem Minarette per Volksentscheid verboten wurden und kriminelle Ausländer ausgeschafft werden müssen, nimmt sich der Berner Mädchentreff Punkt 12 nun des Themas Rassismus an. Noch bis im Juli finden unter dem Motto "Gegen Rassismus und für Menschenwürde" verschiedene Events und Workshops für Berner Girls statt. So etwa der Film- und Diskussionsnachmittag "Respekt" oder der Workshop "Misch dich ein!", in dem Tipps für mehr Zivilcourage vermittelt werden. Der Treff an der Jurastrasse 1 steht für Mädchen und junge Frauen von 10 bis 20 Jahren offen.

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20 Minuten 7.2.11

Basler Jugendtreffs platzen aus allen Nähten

 BASEL. Die Jugendtreffs der Stadt sind sehr beliebt - und werden deshalb regelrecht überrannt. Nun ist aber ihre Kapazitätsgrenze erreicht.

 Die sieben Jugendhäuser der Basler Freizeitaktionen BFA sind beliebter denn je (siehe Box). Das bekommen auch die Mitarbeiter des Jugendtreffs Dreirosen zu spüren, die ständig auf Trab gehalten werden: Im Treff wimmelt es täglich nur so von aufgeweckten Kindern und jungen Erwachsenen. Wer die gemütlichen Räume im Brückenkopf der Dreirosenbrücke betritt, versteht sofort, warum das Jugi so beliebt ist: Billardtisch, DJ-Pult, Kino, Tanz- und Kraftraum - alles ist da, was ein Teenagerherz begehrt.

 Während sich die zahlreichen Teenies bestens amüsieren, kommen die Betreuer jedoch oftmals an ihre Grenzen. "Die pädagogische Aufgabe, die mein Team zu leisten hat, ist mit den vorhandenen Ressourcen nur schwierig zu bewältigen ", so Waltraud Waibel, die den Jugendtreff leitet. "Während den strengsten Tagen tragen zwei Betreuer die Verantwortung für hundert junge Menschen", erzählt sie aus ihrem Alltag. Das sei schwierig, zumal jeder Jugendliche individuelle Bedürfnisse habe. Für ihre Schützlinge, die sie fast alle mit Namen kenne, sei sie Psychologin und Lehrerin zugleich. "Jugendtreffs sind für viele Kinder und Jugendliche ein zweites Zuhause ", weiss Waibel.
 JEANNE DUTOIT

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 Boom bei den Jugendtreffs

 BASEL. Laut Erhebungen hat sich die Besucherzahl der BFA-Treffs in den vergangenen fünf Jahren verdoppelt. So wurden 2010 rund 72 000 Besuche verzeichnet, was im Vergleich zu 2009 einem Zuwachs von 37 Prozent entspricht. Das Jugi Dreirosen konnte sich 2010 mit 24 000 Besuchen über den höchsten Zulauf erfreuen. Aufgrund der grossen Nachfrage fordert Albrecht Schönbucher, Co-Geschäftsführer der BFA, einen zusätzlichen Jugendtreff.

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CLUBLEBEN
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BZ 7.2.11

Online

 Sicherheitsdienste

 Reaktionen auf Lerchs Forderung

 Die Forderung von Regierungsstatthalter Christoph Lerch, wonach Wirte in der oberen Altstadt einen privaten Sicherheitsdienst organisieren und selbst für Ruhe und Ordnung auf den Gassen sorgen müssen (wir berichteten darüber), hat zahlreiche Kommentare ausgelöst. Hier eine Auswahl.

 Christoph Jeanneret: Was für eine unausgereifte und undurchdachte Schnapsidee von Regierungsstatthalter Christoph Lerch.

 Patrick Renfer: Und ich Naivling dachte, die Stadt respektive die Polizei müsse für Recht und Ordnung schauen. Was macht eigentlich die Stadt? Für was bezahle ich meine Steuern?

 Peter Burri: Es wird ja immer schöner. Die Polizei macht am liebsten nur noch die "Schoggijobs" wie Lärmmessungen bei Motorrädern, Radarfallenaufstellen und Bussenverteilen.

 Hans Berner: Christoph Lerch hält dagegen: "Lokalbetreiber haben neben ihren Rechten auch Pflichten." Ich bin total dieser Meinung. Gilt das auch für die Reithalle?

 Heinz Gerber: Wie sieht es denn vor der Reitschule aus? Müssen die Betreiber auch einen Sicherheitsdienst engagieren, oder wird dies wieder von der Stadt subventioniert?

 Martin Fischer: Am Ende werden die Kosten wieder auf den Konsumenten, die Partygänger und die anständigen Restaurantbesucher abgewälzt.

 Max Fahrni: Eine gute Idee von Herrn Lerch.

 Daniel Kettiger: Diese Idee ist rechtsstaatlich unhaltbar. Private Sicherheitsdienste haben im öffentlichen Raum nichts zu suchen.sru

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Bund 5.2.11

Wirte sollen zahlen - und gehen auf die Barrikaden

 Der Regierungsstatthalter will die Wirte in der oberen Berner Altstadt für die Sicherheit auf den Gassen zusätzlich zur Kasse bitten - mit bis zu 5400 Franken jährlich. Der Plan stösst auf grossen Widerstand.

 Christian Brönnimann

 Wirte und Clubbetreiber in der oberen Berner Altstadt sind in Aufruhr. In einem Schreiben, das den Medien von FDP, SVP und BDP zugespielt wurde, informierte der Regierungsstatthalter Bern-Mittelland die Wirte im Januar über das geplante Sicherheitskonzept. Konkret sieht es vor, dass Betriebe mit Überzeitbewilligung zwischen 300 und 450 Franken monatlich an einen privaten Sicherheitsdienst bezahlen müssen, solche ohne Überzeitbewilligung 150 Franken. Laut Regierungsstatthalter Christoph Lerch soll mit dem Geld eine Zweierpatrouille mit Hund finanziert werden, die in Freitag- und Samstagnächten zwischen Mitternacht und fünf Uhr früh auf den Gassen für Ruhe und Ordnung sorgt.

 Betroffen von der Ankündigung sind 33 Betriebe in Aarberger-, Neuen-, Genfer- und Speichergasse, knapp zwei Drittel davon besitzen eine Überzeitbewilligung. Sollten sie sich nicht freiwillig am Konzept beteiligen, wird das Regierungsstatthalteramt "die notwendigen Auflagen trotzdem verfügen und die Betriebsbewilligungen anpassen", wie im Schreiben zu lesen ist. Am 4. März laden die Behörden zu einer Informationsveranstaltung ein.

 Die Wirte sind empört

 Der Aufschrei ist gross: "Wir sind Wirte und keine Hilfspolizisten", sagt zum Beispiel Eveline Neeracher, Präsidentin von Gastro Stadt Bern und Umgebung. "Es kann nicht sein, dass wir für die Sicherheit auf den Strassen verantwortlich gemacht werden." Die Wirte bezahlten ja bereits Steuern und Gebühren, das solle reichen. Bernhard Hüsser vom Restaurant Moléson in der Aarbergergasse sagt, dass sich die betroffenen Wirte und Clubbetreiber bestimmt gegen das Konzept wehren werden. "Diejenige Instanz muss eine Aufgabe ausführen, die auch die dazu notwendigen Kompetenzen besitzt", erklärt Hüsser. Ein privater Sicherheitsdienst könne beispielsweise bei einer Schlägerei nicht so durchgreifen wie die Polizei.

 Auch für Rolf Bähler, Geschäftsführer des Clubs Bonsoir, ist der eingeschlagene Weg der falsche. "Ich bin über das Schreiben erschrocken, der Ton ist respektlos", sagt er. Vor der Androhung einer Verfügung erwarte er einen gesunden Dialog. Das Regierungsstatthalteramt sei aber auf ein Gesprächsangebot im letzten Sommer gar nicht erst eingestiegen. Nun liege ein einseitig erarbeiteter Vorschlag auf dem Tisch, der nicht praktikabel sei. "Es gibt schwarze Schafe unter den Clubbetreibern, die sich nicht um die Sicherheit scheren. Alle anderen sollen nun dafür büssen", sagt Bähler. Viel sinnvoller wäre es in seinen Augen, ein Nachtlebenkonzept zu schaffen, in welchem die Anforderungen definiert würden, die ein Betreiber erfüllen muss, um die Betriebsbewilligung zu erhalten (siehe auch Text unten).

 Rechte bringen Pflichten mit sich

 Christoph Lerch rechtfertigt das Konzept: "Wer Rechte, wie zum Beispiel eine Überzeitbewilligung hat, hat auch Pflichten", sagt er. "Das Konzept ist unser Entwurf und stützt sich auf das kantonale Gastgewerbegesetz." Dieses besagt unter anderem, dass Bewilligungen mit Auflagen verbunden (Artikel 4) und Einschränkungen zur Aufrechterhaltung von Ruhe und Ordnung gemacht werden können (Artikel 1). Zudem haben Wirte ihren Betrieb so zu führen, dass "für die Nachbarschaft keine übermässigen Einwirkungen entstehen" (Artikel 21).

 Die Behörden strebten an, "Hand in Hand" mit den Wirten eine rasch umsetzbare Lösung zu suchen, deshalb organisiere man die Informationsveranstaltung, so Lerch."Eigentlich sind die Pflichten der Wirte ja bekannt, nun sollen sie auch wahrgenommen werden, analog zu Sportveranstaltungen, wo sich die Teams an den Sicherheitskosten beteiligen müssen." Überdies bitte auch die Stadt Thun ihre Wirte zur Kasse für die Sicherheit.

 In Thun beteiligen sich die Innenstadtwirte seit 2006 tatsächlich an den Kosten für einen privaten Sicherheitsdienst. Die Beiträge sind jedoch deutlich tiefer angesetzt als in Bern. Laut Karin Kupferschmied vom Gewerbeinspektorat beträgt der Monatsbeitrag pro Betrieb zwischen 100 und 160 Franken. Zudem müssen nur diejenigen Betriebe bezahlen, die über eine Überzeitbewilligung verfügen.

 Kapo: Keine lückenlose Präsenz

 Und weshalb kann nicht die Kantonspolizei für die Sicherheit auf Berns Ausgehmeile sorgen? Immerhin steht bis 2013 eine Aufstockung um 20 000 Mannstunden an. Eine Zweierpatrouille im vorgesehenen Rahmen würde nur etwas mehr als einen Zwanzigstel davon in Anspruch nehmen. "Eine lückenlose Präsenz ist nicht vorgesehen, da die Polizei an sämtlichen Brennpunkten in der Stadt Bern präsent sein muss", schreibt die Kantonspolizei dazu auf Anfrage.

 Laut Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) geht es zudem um mehr als um die Sicherheit: "Zusammen mit den Lokalen wollen wir eine Gassenidentität entwickeln", sagt er. Dazu brauche es das Commitment aller Betreiber, auch für die Gassen verantwortlich zu sein, sowie einen gemeinsamen Sicherheitsdienst.

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Reaktionen

 "Lerchs Vorgehen zeigt das Dilemma der Linken beim Thema Sicherheit"

 Sämtliche Fraktionen im Berner Stadtrat lehnen private Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum ab. In der Schweiz habe der Staat das Gewaltmonopol inne.

 Grossrat Philippe Müller (FDP) fühlt sich "verarscht": Die Bestrebungen von Statthalter Christoph Lerch (SP) zur Bildung eines privaten Sicherheitsdienstes in der oberen Altstadt zeigten, dass der Gemeinderat vor einem Jahr nicht die Wahrheit gesagt habe, sagt der Vater der Initiative zur Erhöhung der Polizeipräsenz. Vor der Abstimmung habe der Gemeinderat stets versichert, dass Bern eine sichere Stadt sei. Seither habe sich die Sicherheitslage nicht verändert. Und trotzdem wolle nun SP-Statthalter Lerch für mehr Patrouillenpräsenz in der oberen Altstadt sorgen - allerdings durch private Sicherheitsdienste. "Offenbar hat die Polizei die Sache eben doch nicht im Griff", sagt Müller.

 Lerchs Vorgehen zeige sehr schön das "Dilemma der Linken" beim Thema Sicherheit: "Man kann nicht gegen die Polizei und für das staatliche Gewaltmonopol eintreten", sagt Müller.

 Schelte für Lerch auch von der SP

 Erstaunt über Lerchs Vorgehen sind aber auch die rot-grünen Parteien. Das Grüne Bündnis (GB) könne den Einsatz privater Sicherheitsdienste im öffentlichen Raum "auf keinen Fall akzeptieren", sagt Co-Fraktionschef Hasim Sancar. Und sogar Lerchs eigene Partei, die SP, spricht von einer "unglücklichen Forderung" Lerchs. Es sei zwar begrüssenswert, wenn nun ein Versuch unternommen werde, die Lokale in der oberen Altstadt für die Sicherheitskosten in die Pflicht zu nehmen, sagt Stadträtin Corinne Mathieu. Das Gewaltmonopol müsse aber in der Hand des Staates bleiben. Zudem sei es "schräg", wenn Speiselokale wie das Moléson nun über den gleichen Leisten geschlagen würden wie die Nachtklubs. Mathieu ortet auch ein Vakuum bei der Umsetzung von Sicherheitsmassnahmen, das nun durch den Statthalter gefüllt werde.

 "Gemeinderat versteckt sich"

 In diesem Zusammenhang greift die SP-Frau zu ungewöhnlich scharfen Worten gegen die rot-grüne Stadtregierung: "Der Gemeinderat verschanzt sich hinter kantonalen gesetzlichen Grundlagen und zieht sich somit aus der Verantwortung." Mathieu hat Mitte letzten Jahres einen Vorstoss eingereicht, in dem sie die Ausarbeitung eines Konzeptes für das Berner Nachtleben fordert. Eine interfraktionelle Motion von GFL, GLP, BDP, SVP und CVP weist in eine ähnliche Richtung. Beide Vorstösse sind noch hängig. Der Gemeinderat hat sich bereits letztes Jahr gegen ein solches Konzept ausgesprochen. Stadtpräsident Tschäppät sagte damals, ein Konzept könne die konkreten Probleme vor einzelnen Nachtlokalen in der Aarbergergasse nicht lösen. Die Instrumente zur Lenkung des Nachtlebens seien ausreichend. Für deren Umsetzung seien Polizei und Statthalter zuständig.

 Welches Nachtleben will Bern?

 "Mit einem Konzept kann man keine Gewalttaten verhindern", meint auch GFL-Parteipräsident Manuel Widmer. Ein Konzept könnte aber zu einer anderen Ausgangskultur in der oberen Altstadt beitragen, von der sich eine andere Klientel angezogen fühlte. "Für Statthalter Lerch ist das Nachtleben ein Problem. Es ist aber eine Kultur, die nun mal zu einer Stadt gehört", sagt Widmer. "Mit Zurückbinden und Reglementieren allein ist es nicht getan", meint auch Christian Pauli, Präsident der Veranstalter-Dachorganisation Bekult. Der Gemeinderat müsse eine Antwort auf die Frage finden, welche Art Nachtleben er in Bern fördern wolle. "Ich habe den Eindruck, dass der Statthalter gar nicht weiss, wie es in der Aarbergergasse aussieht", sagt Pauli.(bob)

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Kommentar

 Gemeinderat und Statthalter auf dem Holzweg

Bernhard Ott

 Der Gemeinderat der Stadt Bern und Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) haben diese Woche zwei äusserst fragwürdige sicherheitspolitische Zeichen gesetzt. Der Gemeinderat gab bekannt, dass er die Securitas-Patrouillen im Raum Schützenmatte aus Spargründen aufheben will. Statthalter Christoph Lerch wiederum will die Lokale an der Aarbergergasse unter Drohungen zur Finanzierung eines privaten Sicherheitsdienstes verpflichten. Die Behörden wollen also Aufgaben der öffentlichen Sicherheit privatisieren und stellen das staatliche Gewaltmonopol infrage. Diese Politik ist für rot-grüne Politiker und Verwalter doch erstaunlich.

 Der Gemeinderat foutiert sich um das Nachtleben und lehnt ein entsprechendes Konzept ab. Statthalter Lerch wiederum zäumt das Pferd von hinten auf. Anstatt mit den Wirten das Gespräch zu suchen und gemeinsam ein Sicherheitsmonitoring zu etablieren, wie dies ein Vorstoss der SP (!) im Stadtrat verlangt, droht er mit Massnahmen wie dem Entzug von Überzeitbewilligungen. Ein einmaliger Vorgang ist es auch, wenn eine Behörde Private unter Androhung von Sanktionen zur Aufstellung eines Sicherheitsdienstes auf öffentlichem Grund verpflichten will. Letztlich leuchtet es nicht ein, warum die Polizei an Wochenenden in der Aarbergergasse nachts nicht durchgehend präsent sein kann. Eine Zweierpatrouille müsste während gut 1000 Stunden pro Jahr präsent sein, was fünf Prozent der ab September anstehenden Erhöhung der Polizeipräsenz ausmacht.

 Der Fisch stinkt wohl vom Kopf her. Der Gemeinderat bestellt die Polizei und definiert, wo sie schwerpunktmässig eingesetzt werden soll. Warum er in der Aarbergergasse nicht für genügend Polizei sorgt, ist schleierhaft. Will er nicht eingestehen, dass die Stadt eben doch nicht so sicher ist, wie er vor der Abstimmung über die Initiative zur Erhöhung der Polizeipräsenz stets betont hatte? Ein solches Prestigedenken ginge zulasten aller, die sich auch in der Aarbergergasse frei bewegen wollen. Der Gemeinderat soll endlich im Dialog mit den Betroffenen ein Konzept zum Nachtleben ausarbeiten, das auch unpopuläre Massnahmen enthält. Dies wäre politisch zwar riskanter, aber auch konstruktiver, als den Statthalter mit Zwangsmassnahmen vorauszuschicken.

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KULTURGELD
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Bund 8.2.11

Kulturszene kommt mit blauem Auge davon

 Die Auswirkungen der vom Berner Gemeinderat angekündigten Sparmassnahmen für die nächsten drei Jahre sind für die Kultur nicht so gravierend, wie befürchtet wurde.
 
Brigitta Niederhauser

 Die Ankündigung hat die Berner Kulturszene aufgeschreckt: "Wir scheuen uns nicht, unpopuläre Massnahmen zu ergreifen", sagte Stadtpräsident Alexander Tschäppät letzte Woche, als der Berner Gemeinderat bekannt gab, mit welchen Massnahmen er in den Jahren 2012 bis 2014 ein Defizit in der Stadtkasse verhindern wolle. 60 Millionen Franken will der Gemeinderat in den drei Jahren einsparen, zwei Millionen davon zulasten der Kultur, und zwar im Bereich der Förderkredite (siehe "Bund" vom 4. Februar).

 Jährlich 150 000 Franken weniger

 Was auf den ersten Blick nach einer drastischen Kürzung aussieht, relativiert sich bei näherer Betrachtung. "Konkret werden wir 150 000 Franken pro Jahr gegenüber 2011 einsparen müssen", sagt Veronica Schaller, Kultursekretärin der Stadt Bern. Das bedeute, dass der ursprünglich geplante und budgetierte Ausbau bei den Förderkrediten nicht vorgenommen werden könne.

 Wo genau wie viel gestrichen werde, steht zum heutigen Zeitpunkt noch nicht fest. Zu den 150 000 Franken kommen noch die 160 000 Franken, die - wie bereits bekannt - ab 2011 beim Filmkredit gestrichen werden. Diese Reduktion wird "abgefedert" durch die 500 000 Franken, die der Kanton Bern zusätzlich jährlich dem Filmkredit zukommen lässt, so Schaller.

 Weitere Einsparungen von 200 000 Franken sind laut Veronica Schaller beim Haus der Religionen möglich. "Wir haben die Investitionsbeiträge hinausschieben können, diese fallen nicht vor 2015 an."

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RABE-INFO
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Di. 8. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_8._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_8._Februar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%208.%20Februar%202011
- Eine andere Welt ist möglich: Das zehnte Weltsozialforum im senegalesischen Dakar hat begonnen
- "Achtung, Frauen am Steuer!": Die Beratungsstelle für Unfallverhütung geht diesem Vorurteil auf den Grund
- Berner Filmschaffende im Aufbruch: Heute startet die Tour de Berne

Links:
http://fsm2011.org
http://www.tour-de-berne.be/

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Mo. 7. Februar 2011
http://www.rabe.ch/uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._Februar_2011.mp3
http://www.rabe.ch/nc/webplayer.html?song_url=uploads/tx_mcpodcast/RaBe-_Info_7._Februar_2011.mp3&song_title=RaBe-%20Info%207.%20Februar%202011
- Nach der Absage in Genf - George W. Bush soll nun weltweit wegen Foltervorwürfen verfolgt werden
- 40 Jahre Frauenstimmrecht - unser Kopf der Woche ist die 93-jährige Berner Frauenrechtlerin Marthe Gosteli.

Links:
http://www.amnesty.ch/de/laender/amerikas/usa/dok/2011/bush-schweiz-verlangt-verhaftung
http://www.gosteli-foundation.ch

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FREIRAUM CHUR
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Südostschweiz 8.2.11

Mit einer Kulturwoche für ein Churer Kulturzentrum werben

 Der Verein Kulturraum Chur lässt nicht locker, damit Chur doch noch zu einem Kulturzentrum kommt. Nächste Woche wird der politischen Forderung mit einer Kulturwoche der nötige Nachdruck verliehen.

 Von Dario Morandi

 Chur. - In Chur fehle es an Konzertlokalen und Räumen, in denen Bands üben könnten. Die wenigen vorhandenen Räume seien entweder zu teuer oder unzureichend isoliert, was wegen Lärmimmissionen zu Konflikten mit Anwohnern führe: Diese Feststellungen machte gestern, stellvertretend für die Kulturschaffenden, Nora Scheel vom Verein Kulturraum Chur an einer Medienkonferenz.

 Eine Kulturwoche lancieren

 Die Kulturschaffenden wollen diesen Makel innerhalb nützlicher Frist beheben. Und zwar mit der Lancierung eines Kulturzentrums. Im Vordergrund steht dabei die Nutzung der alten Postremise, die unmittelbar an den Stadtgarten angrenzt. Auf Initiative des Autonomen Jugenkulturvereins Chur haben sich der Verein Bündner Musikszene, Nachtleba sowie die Jungsozialisten zum Verein Kulturraum zusammengeschlossen und im September 2010 eine Petition mit 2700 Unterschriften zuhanden des Gemeinderates eingereicht. Und nun setzen die jungen Leute weiteren Druck auf. Mit einer Kulturwoche wollen sie zeigen, dass ihre Forderung noch längst nicht ad acta gelegt ist.

 Kulturellen Austausch ermöglichen

 Die Kulturwoche versteht sich als eine Art "Anschauungsunterricht", was in einem solchen Kulturzentrum so alles möglich wäre. Denn: "Das geforderte Kulturzentrum soll der ganzen Bevölkerung offen stehen - und damit auch allen Ausdrucksformen", erklärte Tama Carigiet vom Verein Bündner Musikszene. Vom Hardcore bis Kabarett könnten sich verschiedene künstlerische Richtungen und deren Publikum den Raum teilen "und dadurch kulturellen Austausch ermöglichen".

 Im Programm der Kulturwoche (siehe Kasten) finden sich prominente Künstler, die sich hinter die Forderung stellen. So etwa der Bündner Kabarettist Flurin Caviezel, der mit seinem Stück "Zmizt im Leba" auftritt, und der Schauspieler Jaap Achterberg, der "Die Geschichte von Herrn Sommer" präsentiert.

 Nicht alle Forderungen vergessen

 Dass der Ruf nach einem Kulturzentrum in Zeiten (fast) leerer Kassen im Rathaus auf mehr oder weniger taube Ohren stossen dürfte, wissen die Initianten der Kulturwoche beziehungsweise des Kulturzentrums Die finanzielle Situation der Stadt stelle sicher ein grosses Problem dar, sagte Kulturraum-Sprecherin Scheel. "Man sollte aber trotzdem deshalb nicht alle politischen Forderungen vergessen." Das Anliegen für die Schaffung eines Kulturzentrums sei berechtigt, meinte sie und verwies dabei auf die vielen Unterschriften in der Petition.

 Scheels Kollege vom Verein Bündner Musikszene sieht es ähnlich: Bereits vor mehr als zehn Jahren sei die Forderung nach einem Kulturzentrum laut geworden. "Passiert ist aber bisher nichts", sagte Carigiet. "Und dabei wuchert es in Chur nur so von Kultur." Deshalb wolle man sich auch nicht allein auf eine Nutzung der alten Postremise konzentrieren. Vielleicht gebe es in Chur auch noch andere Möglichkeiten.

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SQUAT STANS
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NLZ 8.2.11

"Hausbesetzung" im Museum

 Stans

 Künstlerinnen setzten sich mit den Räumen des Winkelriedhauses auseinander. Das Ergebnis ist als "Hausbesetzung" zu bewundern.

 red. Das Nidwaldner Museum eröffnet am Samstag, 12. Februar, um 17 Uhr die neuste Sonderausstellung "Hausbesetzung" im Winkelriedhaus. 13 Künstlerinnen haben sich über mehrere Wochen mit den Räumen des altehrwürdigen Hauses auseinandergesetzt. Dies taten sie nicht zum ersten Mal. Vor zehn Jahren stellten die gleichen Künstlerinnen auf Einladung des Frauenforums im Salzmagazin aus.

 Nun hat das Nidwaldner Museum sie eingeladen, in einer regulären Museumsausstellung ihre Entwicklung zu zeigen. Unter der Kuration von Brigit Kämpfen-Klapproth ist eine spannende Ausstellung entstanden. "Die Besetzerinnen machen mit ihren Installationen und Interventionen auf das Haus aufmerksam und lassen es selber zum Ausstellungsobjekt werden, indem sie es zwingen - spielerisch, poetisch, tiefgründig -, sowohl seine Erinnerungen und sein Wesen preiszugeben als auch neue Interpretationen und Perspektiven zuzulassen", heisst es in einer Medienmitteilung. Die 13 Künstlerinnen stellten sich mit Lust und Respekt dieser Herausforderung.

 "Als Vorteil erwies sich dabei die Tatsache, dass das Winkelriedhaus bereits zwei Monate vor Ausstellungseröffnung frei war. Viele nutzten diese Zeit, um sich mit dem Ausstellungsort auseinanderzusetzen. Ihre Arbeiten reiften direkt in Räumen. Es entstanden Rauminstallationen, welche als brandneue Schöpfungen die Architektur, die Geschichte, das Dekor oder die Bilderwelt des Hauses als Ausgangspunkt haben", heisst es weiter. Nach und nach wurde das ganze Haus in Besitz genommen. In dieser Vorbereitungsphase entstand der Ausstellungstitel "Hausbesetzung".

 "Hausbesetzung": 13. Februar bis 24. April im Nidwaldner Museum, Winkelriedhaus, Engelbergstrasse 54a, Stans. Öffnungszeiten: Mittwoch bis Freitag 14 bis 17 Uhr, Samstag und Sonntag 11 bis 17 Uhr. Vernissage: 12. Februar, 17 Uhr. Weitere Informationen unter www.nidwaldner-museum.ch

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ANTI-SVP
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NLZ 7.2.11

"Chaoten und Diebe" am Werk

 Giswil

 Die SVP Obwalden gibt sich entrüstet: In Giswil hat jemand ein Abstimmungsplakat geklaut - und den Ständer gleich mitgehen lassen.

 ve. Die SVP Obwalden habe sich in den vergangenen Jahren an einiges gewöhnt in Sachen öffentlicher Plakatierung, schreibt die Partei. "Umgeworfene und beschädigte Plakatständer sind auch hier an der Tagesordnung."

 Nun aber, findet die SVP, wurde eine weitere Grenze überschritten: Unbekannte Täter haben in Giswil ein Propagandaplakat gegen die Waffeninitiative gestohlen - samt einem neuen Plakatständer. Der Diebstahl passierte unterhalb des Restaurants OWI-Land in Giswil.

 Die SVP Obwalden hat nun Strafanzeige eingereicht und bittet allfällige Zeugen, sich bei der Polizei zu melden. "Unsere fleissigen Mitglieder liessen sich aber all die Jahre nie entmutigen und stellten die mutwillig beschädigten Plakatständer immer wieder auf", schreibt die Partei. "Letztes Jahr liessen wir neue Plakatständer produzieren, bezahlt von Mitgliederbeiträgen. Mit Diebstahl haben wir aber nicht gerechnet."

 Nicht von Millionären gesponsert

 Die SVP Obwalden stellt weiter klar: Entgegen anders lautenden Berichten, wonach "die SVP von Multimillionären gesponsert werde", müsse man diesen Diebstahl - und auch frühere Beschädigungen - aus der eigenen Kasse berappen.

 "Das alles passiert in einen Land, das sich bei jeder Gelegenheit auf die direkte Demokratie beruft", schreibt die SVP Obwalden. "Verstärkt wird das noch von Aussagen gewisser Parteien, die nicht müde werden, über Respekt und Toleranz zu philosophieren. Abgerundet durch ein Gejammer, die heutige Bevölkerung sei demokratiemüde und die Stimmbeteiligung zum Heulen."Die SVP Obwalden verurteile solche Attacken gegen politisch engagierte Leute aufs Schärfste und "verlangt von den Behörden, endlich durchzugreifen, statt bemühend wegzuschauen".

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 Nachgefragt

 "Das geht zu weit"

 Albert Sigrist, Präsident SVP Obwalden

 Hat man schon einen Verdacht, wer den Ständer entfernt haben könnte?

 Albert Sigrist: Nein, leider nicht. Vermutlich handelt es sich um Befürworter der Initiative.

 Ist es mehr als ein Lausbubenstreich?

 Sigrist: Lausbubenstreich? Seit wann gehen Sachbeschädigungen und Diebstahl unter dieses Kapitel?

 Wie viel kostet so ein Ständer?

 Sigrist: Ein Ständer hat uns rund 450 Franken gekostet. Dazu kommen die Kosten für die Pflege, die Plakate und die Lagerung. Nicht in diesen Kosten ist das ehrenamtliche Bearbeiten und Verteilen der Ständer durch unsere Mitglieder.

 Wurden an anderen Orten auch wieder Plakate beschädigt?

 Sigrist: Ja, leider müssen wir uns immer wieder mit beschädigten Ständern und Plakaten beschäftigen. In früheren Jahren war es noch eher schlimmer als im Moment. Unsere Plakatverantwortlichen in den Gemeinden haben aber immer den grösseren Durchhaltewillen als die Chaoten. So nach der dritten Zerstörungsaktion durch Chaoten haben die Plakatständer dann eher Ruhe.

 Hand aufs Herz: Profitiert die SVP nicht auch ein bisschen von solchen Aktionen - die Partei in der Rolle als Opfer von "Chaoten und Dieben"?

 Sigrist: Wir haben neue Ständer produziert und sind sehr motiviert, diese aufzustellen. Da kommt mehr Frust als Freude auf, wenn diese mutwillig zerstört oder gestohlen werden. Diebstahl geht zu weit, deshalb haben wir auch Strafanzeige eingereicht.

 ve

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Zentralschweiz am Sonntag 6.2.11

Eier-Attacke auf SVP-Präsident

Jürg Auf der Maur

 In Basel wurde SVP-Präsident Toni Brunner gestern mit einem Ei beworfen. Auf eine Strafklage will er aber verzichten.

 Die Liste der Übergriffe auf SVP-Einrichtungen, -Veranstaltungen und -Personen wird immer länger. Auch wenn sie gemäss eigenem Bekunden "unvollständig" ist, umfasst sie mittlerweile über 20 Ereignisse, die SVP-Generalsekretär Martin Baltisser seit September 2006 notieren musste.

 Der jüngste Vorfall ereignete sich am Freitagabend in Basel, als SVP-Präsident Toni Brunner nach der Muba-Eröffnung eine Veranstaltung der Kantonalpartei besuchte. Kurz bevor er ins Gebäude eintrat, wurde er mit einem Ei beworfen. "Hätte es mich im Gesicht getroffen, wäre es sicherlich schmerzhaft geworden", sagt Brunner gegenüber unserer Zeitung.

 Brunner selber wollte den Fall zwar nicht publik machen, nahm aber öffentlich Stellung, nachdem die Attacke am Samstag auch Thema in der "Basler Zeitung" geworden war.

 Keine Anzeige

 Brunner geht davon aus, dass es sich bei der Täterschaft um zwei jüngere Männer gehandelt habe, die politisch wohl eher dem linken Lager zuzuordnen gewesen seien. Beide machten sich sofort nach dem Wurf aus dem Staub. Die SVP verzichtet nach Rücksprache mit ihrem Präsidenten auf eine Strafanzeige. Er wolle den Fall nicht unnötig aufbauschen, begründet Brunner seinen Entscheid, auch wenn sich die Eierattacke "in eine ganze Anzahl von Übergriffen" einreihe.

 Dabei ist auch ein Wandel feststellbar. Wurden früher primär SVP-Veranstaltungen gestört, SVP-Immobilien besetzt oder Wohnhäuser von SVP-Parlamentariern beschädigt, wird seit 2011 direkt auf Personen gezielt. So wurde der Zürcher SVP-Nationalrat Hans Fehr vor Monatsfrist vor dem Albisgüetli attackiert und verletzt.

 Anstieg seit November 2010

 Gemäss interner Liste nimmt die Zahl der Übergriffe seit November 2010 stark zu. So wurde das SVP-Sekretariat in Lausanne besetzt, der Zugang zum Zürcher Parteisekretariat zugemauert und das Generalsekretariat in Bern gleich zweimal angegriffen, indem Storen und Fenster zerstört und die Fassade Opfer von Schmierereien wurde.

 Am 1. und am 2. Januar wurde das SVP-Generalsekretariat erneut Ziel eines Angriffs. Davor wurden im November und im Dezember in Zürich aber auch Privathäuser attackiert. So in Winterthur dasjenige von Nationalrat Jürg Stahl und Natalie Rickli, bereits im November war Nationalrat Ulrich Schlüer betroffen.

 Jürg Auf der Maur

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GEFANGENE
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Indymedia 7.2.11

Gemeinsam gegen Repression, Sa. 5.2.2011 ::

AutorIn : freiheit         

Am Samstag 5.2.2011 grüssten ca. 60 Personen lauthals Steven, der seit dem 15.12.2010 in Untersuchungshaft im BGZ sitzt.     
    
Lauthals und mit einigem Feuerwerk und lauter Musik versammelten wir uns am Sa. 5.2. vor dem BGZ. Die Stimmung war gut und folgender Flyer wurde den PassantInnen verteilt:

GEMEINSAM GEGEN REPRESSION

Untill all are free, no one is free!!!

Wir gehen heute auf die Strasse um für die Freiheit von Steven zu kämpfen. Er wurde am 15.12.2010 in Zürich verhaftet. Ihm wird vorgeworfen einen Brand auf der Hardbrücke vom 18.9.2010 verursacht zu haben. Obwohl die Beweislage alles andere als klar ist, wurde das Haftentlassungsgesuch abgelehnt. Der Staatsanwalt will Steven bis zum Prozess im Gefängnis behalten. Gegen Steven und die Bewegung lief in den letzten Wochen eine vorverurteilende, mediale Hetze. Allen voran der Blick mit dem rechten Journalisten Victor Dammann, der nicht davor scheute, das Umfeld sowie private Daten zu veröffentlichen.

Es sind jedoch nicht nur AktivistInnen von Repression betroffen, sondern staatliche Unterdrückung zieht sich durch viele gesellschaftliche Bereiche: Alltäglich werden Menschen aufgrund rassistischer Vorbehalte kontrolliert, von Migrationsämter schikaniert und womöglich abgeschoben.

Die Wirtschaftskrise wird auf die abgewälzt, die den Gürtel schon länger "enger" schnallen müssen: Alleinerziehende, Arbeitslose, RentnerInnen, SozialbezügerInnen, SchülerInnen. Dort wird gespart was das Zeug hält, während sich die Chefs von Banken Millionenbonis auszahlen lassen. Doch wen überraschts! Der Staat mit seinen verschiedenen Repressionsapparaten wie Polizei und Justiz hat schon immer versucht, jeglichen Widerstand zu behindern. Schliesslich dient das staatliche Gewaltmonopol der Sicherung der herrschenden Ordnung. Neben Ueberwachung, Fichierung und Einschüchterung ist auch die öffentliche Diffamierung wie es gerade in den Medien geschieht, eine Folge der Kriminalisierung. Wir sollen als gefährlich, inhaltslos verleumdet werden, um mögliche Solidarisierung zu erschweren und Spaltungsprozesse unter der Bevölkerung in Gang zu setzen. Diese Spaltung dient letzendlich den Mächtigen, damit sich die Wut nicht gegen die Profiteure und den Staat richtet!

Es ist wichtig Steven und den anderen Gefangenen unsere Solidarität zu zeigen. Setzen wir der medialen Hetze gegen uns und gegen die Bewegung unseren Widerstand entgegen!

FREIHEIT FÜR STEVEN! ZUSAMMEN SIND WIR STARK! SOLIDARITÄT MIT DEN POLITISCHEN GEFANGENEN!

Freiheit für alle Gefangenen - Knäste sind keine Lösungen

Zürich, 5.2.11

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INTERSEXUALITÄT
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St. Galler Tagblatt 7.2.11

Protest gegen Verstümmelung von Zwittern

 Vor dem Ostschweizer Kinderspital protestierte gestern nachmittag die Menschenrechtsgruppe "Zwischengeschlecht.org" gegen kosmetische Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen in Schweizer Kinderkliniken.

 "Wir protestieren gegen die massiven Menschenrechtsverletzungen an Zwittern", sagte Daniela Truffer, Gründungsmitglied der Organisation. Auch am St. Galler Kinderspital würden regelmässig Kinder ohne ihre Einwilligung an den uneindeutigen Genitalien zwangsoperiert, lebenslängliche psychische und physische Schäden seien die Folgen. In einem offenen Brief fordert die Organisation das Kinderspital dazu auf, die fragwürdigen Praktiken im Zusammenhang mit Intersexualität zu überprüfen und Stellung zu nehmen. Auch setze man sich für ein gesetzliches Verbot der Genitaloperationen ein.

 An der friedlichen Aktion beteiligten sich etwa zehn Personen, laut Truffer "verhältnismässig viele Leute". Denn "Intersexualität ist immer noch ein grosses Tabu". Die Gruppe hatte bereits vor Kinderkliniken in Zürich, Bern und Luzern protestiert. (jag)

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zwischengeschlecht.info 6.2.11

>>> Chefarzt Prof. Dr. Christian Kind: "Genitalverstümmelungen ethisch unbedenklich"

Heute Sonntag 6.2. protestiert die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org zum 4. Mal mit einer friedlichen Aktion gegen die systematischen Menschenrechtsverletzungen an Zwittern in Schweizer Kinderkliniken. >>> mehr

Um 15:00 Uhr vor dem Kinderspital St. Gallen werden wir den Verantwortlichen des Kinderspitals einen Offenen Brief persönlich übergeben. Den Wortlaut des Offenen Briefes finden Sie untenstehend.
Der Offene Brief wurde den Verantwortlichen des Kinderspitals St. Gallen bereits per Mail zugestellt.

Zum Einholen von Statements zum Inhalt des Offenen Briefes besteht keine Sperrfrist!

Die Menschenrechtsgruppe Zwischengeschlecht.org fordert ein Verbot von kosmetischen Genitaloperationen an Kindern und Jugendlichen sowie "Menschenrechte auch für Zwitter!".


KONTAKT:

n e l l a
Daniela Truffer
Mobile +41 (0) 76 398 06 50
presse@zwischengeschlecht.info
Regelmässige Updates: http://zwischengeschlecht.info

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>>> Der Offene Brief als PDF
http://zwischengeschlecht.org/public/Offener_Brief_SG_2011.pdf

Zwischengeschlecht.org
Menschenrechte auch für Zwitter!
Postfach 2122
8031 Zürich
info@zwischengeschlecht.org


Ostschweizer Kinderspital
z.Hd. Kinderchirurgie
und Pädiatrie/Jugendmedizin
Claudiusstrasse 6
9006 St. Gallen


Zürich, 6. Februar 2011

Offener Brief von Zwischengeschlecht.org

Sehr geehrte Damen und Herren

Als sogenannt 'intersexuelle' Menschen und in diesem Zusammenhang auch Betroffene von nicht eingewilligten medizinischen Massnahmen sind wir sehr besorgt über öffentliche Äusserungen und Verlautbarungen aus dem Ostschweizer Kinderspital, worin ebensolche Zwangsmassnahmen öffentlich propagiert, gerechtfertigt oder beschönigt werden.

So werden im Ostschweizer Kinderspital unter anderem bei Kleinkindern mit "Störungen der Geschlechtsentwicklung", "Hypospadie" und "Klitorishypertrophie" medizinisch nicht notwendige chirurgische "Korrektureingriffe" öffentlich angeboten und offensichtlich auch regelmässig durchgeführt. (1)

Zwar bemüht sich das Kispi dabei gegen aussen um einen betont fortschrittlichen und aufgeklärten Anstrich:

So bestehe seit Jahren ein "Multiprofessionelles endokrinologisch-gynäkologisch-psychologisches Betreuungsteam (MBT ENG)" (1) beziehungsweise ein "Multiprofessionelles Betreuungsteam für Störungen der Geschlechtsentwicklung, früher 'Intersexualität' (MBT-DSD)" (2), welches betroffenen Kindern und ihren Eltern unter anderem auch "[p]sychologische Beratung und Betreuung" sowie eine "Mitarbeiterin des Sozialdienstes" zur Verfügung stelle. Weiter würden auch Kontakte zu "Selbsthilfegruppen" vermittelt (1). "(…) wir nehmen das Kind so an, wie es ist (…) und drängen nicht zu einer Entscheidung in die eine oder andere Richtung." (2)

Leider scheint dieser hohe Anspruch bisweilen nicht ganz der Realität zu entsprechen. So schilderte unlängst eine Mutter ihre Erfahrungen mit dem "Multiprofessionellen Betreuungsteam" wie folgt:

"Wir Eltern wurden von den Ärzten massiv unter Druck gesetzt, das Kind geschlechtsbestimmend operieren zu lassen, obwohl es vollkommen gesund war und keine Beschwerden hatte. Nicht zu operieren, wäre für das Kind ein gesellschaftliches Desaster, lautete die Begründung. Die Rede war zuerst von einem Mädchen. ‘Aber wir machen auch einen Bub, wenn Sie das lieber wollen', bot uns die Ärztin an." (3)

Auch die versprochenen Hinweise auf Selbsthilfegruppen entsprechen laut der Betroffenenselbsthilfe intersex.ch offensichtlich nicht immer der tatsächlichen Praxis.

Weiter fällt auf, dass die konkret angebotene sozialpädagogische Unterstützung letztlich doch nicht so ganz ergebnisoffen, sondern primär auf medizinische Behandlungen ausgerichtet ist: Erwähnt werden lediglich gegebenenfalls Hinauszögerung der Anmeldung als Junge oder Mädchen bei den Meldebehörden sowie Unterstützung bei der Durchsetzung von Forderungen bei Krankenkassen und Invalidenversicherung. (2)

Leiterin des "Multiprofessionellen Betreuungsteams" ist die Endokrinologin Prof. Dr. med. Dagmar L'Allemand-Jander, zugleich leitende Ärztin Endokrinologie/Diabetologie am Ostschweizer Kinderspital sowie Leiterin des "Studienzentrum St. Gallen" des deutschen "Netzwerk Intersexualität/DSD". Angesprochen auf (prophylaktische) Kastrationen und deren lebenslange Folgen behauptete L'Allemand-Jander am 5. Netzwerktreffen 2008 in Kiel öffentlich: "Das wird ja heute sowieso nicht mehr gemacht." (4) Obwohl geschlechtsbestimmende Operationen zum Mädchen, wie sie der oben zitierten Mutter angetragen wurde, eine Entfernung der Hoden zwangsläufig beinhalten.

Bezeichnenderweise sind auch vom Ostschweizer Kinderspital keinerlei Zahlen darüber bekannt, wie viele Kinder mit "Störungen der Geschlechtsentwicklung" dort behandelt werden und wie viele davon kosmetisch genitaloperiert und/oder kastriert werden.

Chefarzt Pädiatrie/Bereichsleiter Fachbereich Pädiatrie am Ostschweizer Kinderspital ist Prof. Dr. Christian Kind, der gleichzeitig unter anderem als Präsident der "Zentralen Ethikkommission (ZEK)" der "Schweizerischen Akademie der medizinischen Wissenschaften (SAMW)" amtet. Angesprochen auf die ethische Problematik kosmetischer Genitaloperationen an Kindern gab er 2010 öffentlich bekannt:

"[Wir] richten uns dabei eigentlich nach dem, was wir für Signale aus der Ärzteschaft und aus der Öffentlichkeit bekommen. Und da muss ich Ihnen sagen, dass in unserer Wahrnehmung bis jetzt das Problem der Störung der Geschlechtsentwicklung nicht als so brennend und mit einem grossen Handlungsbedarf behaftet gesehen wird." (5)

Im selben Interview urteilte Prof. Dr. Kind über die Jahrzehnte langen Klagen unzufriedener Zwangsbehandelter:

"Es scheint uns eher, dass es sich um Einzelproteste und eine sehr sehr kleine Gruppe zu handeln scheint und sich auch auf etwas Vergangenes bezieht." (5)

Dies, obwohl das Ostschweizer Kinderspital an der Lübecker Evaluationsstudie beteiligt war, die unter anderem bestätigte, dass heute noch 90% aller betroffenen Kinder und Jugendlichen im Durchschnitt mehrfach kosmetisch genitaloperiert werden, wobei die Behandlungsunzufriedenheit hoch ist (vgl. auch unten Anmerkungen 7 und 8).

Als Betroffene sowohl von nicht eingewilligten "Genitalkorrekturen" wie auch von nicht eingewilligten Gonadektomien sind wir über solche Aussagen und "Beratungen" entsetzt und halten fest:

Geschlechtszuweisende chirurgische "Genitalkorrekturen" ohne medizinische Indikation, wie sie auch im Ostschweizer Kinderspital immer noch regelmässig an Kleinkindern durchgeführt werden, sind auch in der medizinischen Lehre alles andere als unumstritten. Nach wie vor gibt es keine gesicherten Erkenntnisse, dass sie auf lange Sicht wirksam und sicher sind. Hingegen gibt es viele Indizien, welche ihre Wirksamkeit in Frage stellen.

Weder ist gesichert, dass "Genitalkorrekturen" langfristig zu besseren psychosozialen Resultaten führen, als wenn sie unterlassen werden. Noch kann garantiert werden, dass ein Kind sich entsprechend der ihm zugewiesenen Geschlechtsidentität entwickelt. Im Gegenteil, aktuelle Studien belegen:

"Die Behandlungsunzufriedenheit von Intersexuellen ist [...] eklatant hoch. [...] Ein Drittel [der Patienten] bewertet geschlechtsangleichende Operationen als zufriedenstellend bzw. sehr zufriedenstellend, ein weiteres Drittel ist unzufrieden bzw. sehr unzufrieden und das letzte Drittel ist z.T. zufrieden, z.T. unzufrieden." (6)

Die Behandlungszufriedenheit ist bei intersexuellen Erwachsenen und auch Eltern intersexueller Kinder "gering". Eltern beurteilen "die behandelnden Ärzte/Ärztinnen schlechter als Eltern von Kindern mit anderen chronischen Erkrankungen". (7) "Als Ergebnis zeigt sich, dass viele Erwachsene mit DSD mit der medizinischen Behandlung sehr unzufrieden sind." (8)

"The outcome of early genital vaginoplasty is poor and repeat procedures are common. Complications such as stenosis and persistent offensive vaginal discharge and bleeding are common. [...] It is also increasingly clear that clitoral surgery in childhood is detrimental to adult sexual function." (9)

"Auch aus der Literatur ist bekannt, dass sich ein überdurchschnittlich hoher Prozentsatz von Menschen mit DSD im Lauf der Pubertät oder im Erwachsenenalter entschließt, das ihnen zugewiesene soziale Geschlecht zu wechseln." (10)

Dass die Wirksamkeit der chirurgischen und hormonellen Behandlungsmethoden an Kleinkindern auch nach sechzigjähriger Praxis immer noch nicht erwiesen werden konnte, wird durch die Tatsache unterstrichen, dass es in der Schweiz dazu noch nicht einmal eine Leitlinie gibt. Selbst im benachbarten Ausland, wie zum Beispiel in Deutschland, befinden sich die aktuellen AWMF-Leitlinien allesamt auf der niedrigsten Entwicklungsstufe 1.

Flächendeckende prophylaktische Gonadektomien sind laut medizinischen Studien in den meisten Fällen medizinisch nicht notwendig, haben aber für die Betroffenen lebenslange, sehr schwerwiegende Folgen, insbesondere bei anschliessender Hormonersatztherapie entgegen der ursprünglichen Hormonproduktion des Körpers. So beträgt beispielsweise bei CAIS das Krebsrisiko lediglich 0.8 %, bei PAIS 15 %. (11) Sogar Wünsch und Wessel halten in einer aktuellen Publikation fest: "Indikation und Zeitpunkt der Gonadenentfernung müssen dem individuellen Tumorrisiko angepasst werden. Der Schutz der Fertilität ist ein zentrales Anliegen." (12)

Auch aus ethischen und juristischen Gründen sind geschlechtszuweisende chirurgische "Genitalkorrekturen" und prophylaktische Gonadektomien an Kindern ohne deren informierte Zustimmung strikt abzulehnen.

So kritisiert zum Beispiel Dr. med. Nikola Biller-Andorno, Professorin für Biomedizinische Ethik an der Universität Zürich, in der "Schweizerischen Ärztezeitung" an einem konkreten Fallbeispiel, dass eine "Verschiebung der operativen 'Korrektur'" mit "Einbeziehung des dann Jugendlichen in den Entscheidungsprozess" von den behandelnden Ärzten lediglich als "'theoretische' Option", jedoch nie als praktische Möglichkeit erwogen wird.

Im Gegensatz zu den behandelnden Ärzten plädiert Biller-Andorno "angesichts des relativ geringen Schadens/Risikos im Falle des Aufschiebens einer Operation und angesichts der noch nicht zufriedenstellenden Datenlage bezüglich der Auswirkungen der jeweiligen Eingriffe auf die Lebensqualität der Betroffenen" für eine Aufschiebung und dagegen, "durch eine Operation bereits irreversible Fakten zu schaffen". (13)

Auch internationale Ethikgremien kommen zum Schluss:

"Our working group unanimously supported waiting for children to be old enough to participarte in decisions about risky and painful surgeries that might fail to reliably retain function and produce more normal appearance (for example, surgery for intersex and achondroplasia)." (14)

"Maßnahmen, für die keine zufrieden stellende wissenschaftliche Evidenz vorliegt, sowie Maßnahmen, die irreversible Folgen für die Geschlechtsidentität oder negative Auswirkungen auf Sexualität oder Fortpflanzungsfähigkeit haben können, sind besonders begründungs- und rechtfertigungspflichtig und bedürfen einer zwingenden medizinischen Indikation. [...] Die Verfügung über Organe und Strukturen, die für die körperliche Integrität oder Geschlechtsidentität wichtig sind (z.B. Keimdrüsen), sollten in der Regel - wenn keine gewichtigen, das Kindeswohl betreffenden Gründe entgegenstehen - dem Betroffenen selbst überlassen bleiben." (15)

Auch Prof. Dr. iur. Andrea Büchler, Professorin für Privatrecht an der Universität Zürich, stellt unmissverständlich klar:

"Ein medizinischer Eingriff braucht die Zustimmung der betroffenen Person. In der Regel können die Eltern für ihr Kind zustimmen. Geschlechtszuweisende Operationen aber tangieren die höchstpersönlichen Rechte und dürfen nicht ohne Zustimmung des betroffenen Kindes vorgenommen werden - ausser es ist medizinisch notwendig." (16)

Nicht zuletzt verletzen medizinisch nicht notwendige, kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern Grund- und Menschenrechte, insbesondere das Recht auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung.

Namhafte Menschenrechtsorganisationen unterstreichen zudem die Parallelen zur weltweit geächteten Praxis der weiblichen Genitalverstümmelung.

Die Stiftung Kinderschutz Schweiz kritisiert 2009 in einem gemeinsam mit der Mütter- und Väterberatung Schweiz herausgegebenen Elternratgeber:

"Leider werden auch heute noch viele intersexuelle Kinder bereits als Säugling oder Kleinkind operativ einem Geschlecht zugewiesen (…)." (17)

Die beiden Organisationen konstatieren,

"dass nicht notwendige operative Eingriffe dringend vermieden werden sollten, bis das Kind bzw. der Jugendliche selbst miteintscheiden kann, ob und wenn ja welche Eingriffe vorgenommen werden sollen." (17)

In der Vernehmlassung zur parlamentarischen Initiative "Verbot von sexuellen Verstümmelungen" forderten Terre des Femmes Schweiz und die Schweizer Sektion von Amnesty International 2009 ausdrücklich die Ausdehnung des Tatbestandes auch auf kosmetische Genitaloperationen an Intersexuellen. (18)

Die Sektionen Schweiz und Deutschland von Amnesty International verabschiedeten 2010 an ihren Jahresversammlungen je eine Motion, worin sie Handlungsbedarf unterstrichen.

Amnesty Schweiz führte dazu in der Begründung aus:

"Wir erachten genitale Zwangsoperationen für ein schweres Verbrechen, das gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde verstösst. Genitale Zwangsoperationen sind schwere medizinische Eingriffe an Kindern mit gesunden, aber sogenannten nicht eindeutigen Geschlechtsmerkmalen, die ohne die Einwilligung der Betroffenen vorgenommen werden. Die Folgen von chirurgischen und medikamentösen Eingriffen werden von den Betroffenen oft als Verstümmelungen wahrgenommen. Die Suizidrate bei operierten und hormonbehandelten Intersexuellen ist stark erhöht; auch verstösst die Zuweisung zum explizit männlichen oder weiblichen Geschlecht gegen die Menschenrechte auf körperliche Unversehrtheit, Selbstbestimmung und Würde, die nicht nur bei Female Genital Mutilation (FGM) in Entwicklungsländern, sondern weiterhin auch bei genitalen Zwangsoperationen in Industrieländern verletzt werden." (19)

Amnesty Deutschland wertete die kosmetischen Genitaloperationen an Kindern als "fundamentalen Verstoß gegen die Menschenrechte":

"Im Mittelpunkt der Bemühungen steht die Ächtung einer medizinischen Praxis, intersexuellen Menschen entweder im frühen Kindesalter ohne Einwilligungsfähigkeit - oder Erwachsenen ohne Aufklärung über Folgen - auf operativ-medikamentösem Weg ein eindeutiges Geschlecht "zuzuweisen". Dies wird als fundamentaler Verstoß gegen die Menschenrechte (Recht auf körperliche Unversehrtheit, auf Selbstbestimmung und Würde und auf Nicht-Diskriminierung) gewertet, da solche Maßnahmen in den allermeisten Fällen aus medizinisch-gesundheitlicher Sicht keinerlei Begründung haben." (20)

Terre des Femmes Deuschland und internationale Expertinnen konstatieren seit Jahren, dass kosmetische Genitaloperationen an Kleinkindern eine Form von Genitalverstümmelung sind und für die Opfer vergleichbar schädlich wie die weibliche Genitalverstümmelung. (21)

Auch die UNO wertet kosmetische Genitaloperationen an Kindern als Menschenrechtsverletzung: Als Reaktion auf einen Schattenbericht der deutschen NGO Intersexuelle Menschen e.V., der verschiedene Menschenrechtsverletzungen von Intersexuellen durch medizinische Zwangseingriffe auflistete (22), rügte 2009 das UN-Komitee CEDAW die Bundesregierung wegen Missachtung ihrer Schutzpflicht gegenüber intersexuellen Kindern. In den daraus resultierenden schriftlichen Empfehlungen forderte das Komitee die Bundesregierung auf, "wirksame Maßnahmen zum Schutz ihrer Menschenrechte zu ergreifen" (23).

Wie in der Schweiz ist auch in Deutschland das Recht auf körperliche Unversehrtheit ausdrücklich Bestandteil der Verfassung. Die Juristin Dr. Angela Kolbe kritisiert in ihrer mit dem Deutschen Studienpreis der Körber-Stiftung ausgezeichneten Dissertation über die verfassungsrechtliche Situation intersexueller Menschen insbesondere die schweren Eingriffe bei Kleinkindern als Verstoß gegen das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit. (24)

Erwachsene, die als Kinder kosmetischen Genitaloperationen unterzogen wurden, beklagen seit den 1990er-Jahren öffentlich die "Zerstörung des sexuellen Empfindens" und der "körperlichen Unversehrtheit" (25) durch diese Eingriffe, welche sie als "Genitalverstümmelung" erfahren. (26)

Wir betroffene Menschen bitten Sie deshalb inständig, die offenbar auch im Kinderspital St. Gallen üblichen, fragwürdigen Praktiken im Zusammenhang mit Intersexualität zu überprüfen, und bitten um eine diesbezügliche Stellungnahme innert nützlicher Frist.

Ebenso bitten wir Sie inständig um angemessenen Einbezug der Betroffenen und ihrer Organisationen beim Erarbeiten künftiger Behandlungsrichtlinien sowie in der Behandlung selbst (Anbieten von kontinuierlichem Peer Support sowohl für die betroffenen Kinder wie auch für ihre Eltern).

In der Hoffnung auf einen konstruktiven Dialog zwischen verantwortlichen Ärzten und uns Betroffenen grüssen wir Sie freundlich

Im Namen von Zwischengeschlecht.org


Daniela Truffer
Gründungsmitglied Zwischengeschlecht.org
Gründungsmitglied Selbsthilfegruppe Intersex.ch
Mitglied XY-Frauen
Mitglied Intersexuelle Menschen e.V.



Quellen (alle Links Stand 5.2.2011)

(1) Flyer Multiprofessionelle Sprechstunde für chronisch kranke Kinder und Jugendliche mit Hormonstörungen, Störungen der Geschlechtsentwicklung und des Wachstums (MBT ENG), 2009
http://www.kispisg.ch/downloads_cms/flyer_sprechstunde_eng.pdf

(2) Information DSD-Team am OKS, 2011
http://www.kispisg.ch/downloads_cms/information_dsd-team_2011.pdf

(3) Renata Egli-Gerber: "Weder Mann noch Frau - und doch beides", in: Sonntag/Leben und Glauben, Heft 36/2010, S. 28-30, hier S. 29
http://kastrationsspital.ch/public/SLG_36-2010_Intersexualitaet.pdf

(4) http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2008/09/11/5-Netzwerk-Treffen-Kiel-6908%3A-Intersexualitat-ade-DSD-ahoi

(5) DRS2 Kontext 21.10.2010: "Wenn der Arzt das Geschlecht bestimmt"
http://www.drs.ch/www/de/drs/sendungen/kontext/5005.sh10153728.html
Teiltranskript:
http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2011/02/05/kind

(6) Christian Schäfer: "Intersexualität: Menschen zwischen den Geschlechtern".
http://www.springer.com/medicine/thema?SGWID=1-10092-2-513709-0

Lisa Brinkmann; Katinka Schweizer; Hertha Richter-Appelt: "Behandlungserfahrungen von Menschen mit Intersexualität. Ergebnisse der Hamburger Intersex-Studie". Gynäkologische Endokrinologie 04/2007, S. 235-242

(7) Eva Kleinemeier, Martina Jürgensen: "Erste Ergebnisse der Klinischen Evaluationsstudie im Netzwerk Störungen der Geschlechtsentwicklung/Intersexualität in Deutschland, Österreich und Schweiz Januar 2005 bis Dezember 2007", S. 18. http://www.netzwerk-dsd.uk-sh.de/fileadmin/documents/netzwerk/evalstudie/Bericht_Klinische_Evaluationsstudie.pdf

(8) Ebd., S. 37

(9) Sarah M. Creighton: "Adult Outcomes of Feminizing Surgery". In: Sharon E. Sytsma (Ed.): "Ethics and Intersex", Dordrecht: Springer, 2006, S. 207-214

(10) M. Jürgensen; O. Hiort; U. Thyen: "Kinder und Jugendliche mit Störungen der Geschlechtsentwicklung: Psychosexuelle und -soziale Entwicklung und Herausforderungen bei der Versorgung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3, March 2008, S. 226-233

(11) Martine Cools, Stenvert L. S. Drop, Katja P. Wolffenbuttel, J. Wolter Oosterhuis, and Leendert H. J. Looijenga: "Germ Cell Tumors in the Intersex Gonad: Old Paths, New Directions, Moving Frontiers". Endocrine Reviews 27(5), 2006: S. 468-484 (S. 481)

(12) L. Wünsch, L. Wessel: "Chirurgische Strategien bei Störungen der Geschlechtsentwicklung". Monatsschrift Kinderheilkunde, Volume 156, Number 3. Springer Berlin / Heidelberg 2008, S. 234-240

(13) Nikola Biller-Andorno: "Zum Umgang mit Intersex: Gibt es Wege jenseits der Zuordnung des 'richtigen Geschlechts'?". Schweizerische Ärztezeitung, 47/2007, S. 2047-2048

(14) Erik Parens (Ed.): "Surgically Shaping Children", Baltimore: The Johns Hopkins University Press, 2006, S. xxix

(15) Arbeitsgruppe Ethik im Netzwerk Intersexualität "Besonderheiten der Geschlechtsentwicklung": "Ethische Grundsätze und Empfehlungen bei DSD. In: Monatsschrift Kinderheilkunde 2008, Nr. 156, S. 241-245

(16) Katrin Hafner: "Ein Intersexueller klagt seinen ehemaligen Arzt an". Tages-Anzeiger, 05.02.2008. http://www.tagesanzeiger.ch/dyn/wissen/medizin/838834.html

(17) Stiftung Kinderschutz Schweiz, Mütter- und Väterberatung Schweiz (Hrsg.): Sexualerziehung bei Kleinkindern und Prävention von sexueller Gewalt, September 2009, S. 22

(18) Genitalverstümmelung: Übersicht zur Vernehmlassung: http://humanrights.ch/home/de/Fokus-Schweiz/Inneres/Gewalt/Genitalverstuemmelung/idcatart_9012-content.html?zur=300

Vernehmlassungsantwort von Terre des Femmes Schweiz:http://www.terre-des-femmes.ch/files/TERRE_DES_FEMMES_Schweiz_Stellungnahme_Vernehmlassung_FGM.pdf

Vernehmlassungsantwort von Amnesty International: http://humanrights.ch/home/upload/pdf/090504_PP_FGM.pdf

(19) Motion 6: "Position zu Intersexualität"
http://www.queeramnesty.ch/docs/QAI_Motion_GV2010_Intersex.pdf

(20) "Intersexualität und Menschenrechte", Mitteilung vom 26.5.2010
http://www.mersi-hamburg.de/Main/20100526001

(21) Hanny Lightfoot-Klein: "Der Beschneidungsskandal". Orlanda 2003. Vgl. insbesondere Kapitel 3: "Intersex-Chirurgie - ein Segen für wen?", S. 49-58

Fana Asefaw, Daniela Hrzán: Genital Cutting - Eine Einführung. In: ZtG Bulletin 28, 2005, S. 8-21
Relevante Auszüge: http://blog.zwischengeschlecht.info/post/2010/08/07/Genitale-Zwangsoperationen-an-Zwittern-Genitalverstuemmelung-Typ-IV-Fana-Asefaw%2C-Daniela-Hrzan%2C-2005
Ganzer Text: http://www.gender.hu-berlin.de/w/files/ztgbulletintexte28/2artikel_asefaw_hrzan.pdf

Marion Hulverscheidt: "Weiblich gemacht? Genitalverstümmelung bei afrikanischen Frauen und bei Intersexuellen". In: TDF. Menschenrechte für die Frau, Nr. 3/4, 2004, S. 23-26
http://kastrationsspital.ch/public/Hulverscheidt_TDF_3-4-04.pdf

Konstanze Plett: "Die Macht der Tabus". amnesty journal 03/2008 - Das Magazin für die Menschenrechte
http://schattenblick.net/infopool/buerger/amnesty/bagru265.html

(22) Lucie G. Veith / Sarah Luzia Hassel-Reusing / Claudia J. Kreuzer: Parallelbericht zum 6. Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland zum Übereinkommen der Vereinten Nationen zur Beseitigung jeder Form der Diskriminierung der Frau (CEDAW). Erstellt von: Intersexuelle Menschen e.V. / XY-Frauen (http://intersex.schattenbericht.org)

(23) CEDAW/C/DEU/CO/6
Deutsche Übersetzung: http://www.auswaertiges-amt.de/diplo/de/Aussenpolitik/Themen/Menschenrechte/Download/ConcludingCommentsFrauen.pdf

(24) Angela Kolbe: Intersexualität, Zweigeschlechtlichkeit und Verfassungsrecht. Eine interdisziplinäre Untersuchung. Nomos 2010 (Dissertation)

(25) Cheryl Chase: "Letters from Readers". In: The Sciences, July/August, 3, 1993
http://www.isna.org/articles/chase1995a

(26) Arbeitsgruppe gegen Gewalt in der Pädiatrie und Gynäkologie (AGGPG):
"Genitalverstümmelungen in Deutschland in der Kinder- und Jugendgynäkologie"
http://blog.zwischengeschlecht.info/pages/Genitalverstuemmelungen-AGGPG-%281996%29

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SEXWORK
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20 Minuten 8.2.11

FDP fordert: Dirnen sollen Lohn einklagen können

 BERN. Die Berner FDP setzt sich für die Rechte von Sexarbeiterinnen ein. Dafür nimmt die Partei sogar in Kauf, sich gegen das Bundesgericht zu stellen.

 Der Dirnenlohn ist nicht einklagbar: Dies urteilte das Bundesgericht und erteilte Prostituierten, die säumige Freier vor den Richter zerren, eine Abfuhr. Denn obwohl Prostitution in der Schweiz legal ist, gelten Verträge zwischen Prostituierten und ihren Kunden als sittenwidrig und somit als nichtig. "Das macht keinen Sinn", so FDP-Grossrätin und Fürsprecherin Katrin Zumstein. Im Kanton Bern verlange man ja sogar einen Businessplan von den Frauen - würden sie aber um ihren Lohn geprellt, weise man sie ab.

 Darum will die FDP die Sittenwidrigkeit jetzt per Gesetz abschaffen. Dann wären von beiden Parteien vertragliche Leistungen einklagbar - jedoch nur finanzielle. Ein Recht des Freiers auf Sex schliesst Zumstein aus.

 Landet diese FDP-Idee tatsächlich im Berner Prostitutionsgesetz, käme das einem Rüffel ans Bundesgericht gleich. "Es ist gewagt", räumt Zumstein ein. "Aber ich hoffe, das Gericht nimmt es zum Anlass, die Rechtsprechung anzupassen."

 Lob gibt es für diese Haltung von der Aids-Hilfe Schweiz: "Wir begrüssen jede Möglichkeit, die Situation der Sexarbeiterinnen zu verbessern", so Geschäftsführer Daniel Bruttin.  

NINA JECKER

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Neue Luzerner Zeitung 7.2.11

Strassenstrich soll ins Gewerbegebiet

 Interpellation

Barbara Inglin

 Was tut der Stadtrat für die Anwohner des Tribschen-Strichs? Die FDP fordert Antworten - ohne selbst Lösungen vorzuschlagen, werfen ihr andere Parteien vor.

 Barbara Inglin

 barbara.inglin@luzernerzeitung.ch

 Jetzt wird der Strassenstrich im Tribschenquartier zum Politikum (Ausgaben vom 1. und 2. Februar). FDP-Grossstadtrat Daniel Wettstein fordert von der Regierung mit seinem Vorstoss, der unserer Zeitung vorliegt, Antworten auf folgende Fragen:

 Welche Hilfen kann der Stadtrat den betroffenen Strassenzügen bieten?

 Hat sich an der absoluten Ablehnung eines Strichplans etwas verändert beziehungsweise unter welchen Bedingungen wäre ein solcher denkbar?

 Wie beziehungsweise mit welchen konkreten Forderungen nimmt der Stadtrat Einfluss auf die aktuelle Entwicklung eines kantonalen Prostitutionsgesetzes?

 Wie sind die Verkehrsberuhigungsmassnahmen bei der Tribschenstadt unter dem Blickwinkel der Gleichbehandlung zu vertreten?

 "Ich bin mir bewusst, dass es keine einfache Antwort auf diese Fragen gibt", sagt Wettstein. "Doch die Anwohner haben es verdient, dass ihre Sorgen ernst genommen werden." Er erwarte vom Stadtrat, dass nun nach kreativen Lösungen gesucht werde und dass er sich beim Kanton aktiv einbringe, wenn es um die Ausarbeitung des Prostitutionsgesetzes gehe. "Es kann nicht sein, dass der Strassenstrich in einem Wohngebiet einfach so toleriert wird."

 CVP-Gruppe arbeitet an Vorschlag

 CVP-Fraktionschef Markus Mächler stimmt dem zu, "es ist stossend, was da passiert". Die CVP habe eine Arbeitsgruppe zusammengestellt, die nun nach möglichen Massnahmen für das Strich-Problem suche. "Die Situation ist aber sehr komplex. Gewisse Scheinlösungen wie ein Strichplan oder ein staatliches Bordell lassen sich in der Praxis kaum umsetzen", sagt Mächler. "Dass die FDP nur eine Interpellation einreicht, zeigt, dass auch sie keine Lösungsvorschläge haben", sagt Mächler.

 Manuela Jost, Fraktionschefin der Grünliberalen (GLP) sieht dies ähnlich: "Die jetzige Situation im Tribschenquartier ist unbefriedigend, da gebe ich der FDP Recht. Aber bei den konkreten Lösungsvorschlägen happert es." Sie selbst könnte sich einen Strichplan durchaus vorstellen. "Der Stadtrat muss sich klar dazu äussern, wo er dieses Gewerbe ansiedeln will. Meiner Meinung nach gehört es ins Gewerbegebiet." Das Tribschenquartier habe sich zum Wohnquartier gewandelt, die Strassenprostitution sei dort konfliktträchtig. Auch der Idee eines "offiziellen" Freudenhauses stehe sie offen gegenüber. "Ein solches könnte von einer Stiftung oder einem Verein geführt werden. Damit wäre der Schutz der Prostituierten besser gewährleistet." Ob die GLP einen Vorstoss dazu einreichen wollen, sei noch offen.

 SVP-Fraktionschef Werner Schmid verweist darauf, dass seine Partei schon mehrfach Vorstösse zum Thema eingereicht habe (siehe Kasten). "Für uns ist klar, dass dieses Gewerbe an den Stadtrand gehört und dass der Stadtrat alle Quartiere gleich behandeln muss."

 "Können Frauen nicht vertreiben"

 SP-Fraktionschef Dominik Durrer betont, dass bei möglichen Massnahmen der Schutz der Prostituierten nicht vergessen gehen dürfe: "Wir können diese Frauen nicht in ein Industriegebiet vertreiben, wo es keine soziale Kontrolle mehr gibt." Es sei die Aufgabe der Stadt, jetzt mit Einbezug der Betroffenen nach Lösungen zu suchen.

 Edith Lanfranconi, Fraktionschefin der Grünen, sieht dies ebenso. Die Stadt müsse nochmals mit Betroffenen und Beteiligten das Gespräch suchen. Sie begrüsst zudem die im Vorstoss gemachte Idee, dass der Stadtrat über die Städteinitiative aktiv werden könnte. "Was mich allerdings ärgert, ist die Tonalität der Interpellation. Es ist ja nicht so, dass sich der Stadtrat in der Vergangenheit nicht um eine Lösung bemüht hätte."

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 Vier Mal abgelehnt

 Stadtrat

 bin. Der Luzerner Stadtrat musste sich in der Vergangenheit schon mehrmals mit politischen Vorstössen zum Strassenstrich im Tribschenquartier auseinandersetzen. Bereits im Jahr 1999 reichte die SVP ein entsprechendes Postulat ein, 2001 wurde eine Volksmotion eingereicht, 2004 folgte eine SVP-Motion. Und 2006 verlangte Viktor Rüegg für die Chance21 ein Verbot der Strassenprostitution in Bauzonen und eine Verlagerung der Szene in das Gebiet Ibach. Der Stadtrat äusserte sich jeweils ablehnend zu den geforderten Massnahmen.

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DROGEN
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Solothurner Zeitung 7.2.11

Asylmissstände: Justiz macht Druck
 
Kanton Aargau Staatsanwalt verurteilte illegal Anwesende gleichentags zu Freiheitsstrafen

Michael Spillmann

 Kokainhändler - meist schwarzafrikanische Asylbewerber, wie etwa die so genannte "Holderbank-Connection" - müssen sich in regelmässigen Abständen vor Gericht verantworten. Bei gross angelegten Razzien oder Routinekontrollen in den Unterkünften gehen der Polizei immer wieder Dealer ins Netz. Darunter oft weggewiesene Personen, welche die Schweiz längst hätten verlassen sollen, aber nicht ausgeschafft werden können. Dies, weil sie keinen Grund haben, sich kooperativ zu zeigen, und auch über keine Reisedokumente verfügen - die Behörden müssen in aufwändiger Kleinarbeit mit horrenden Kosten deren Heimatländer eruieren. Wie in diesem Zusammenhang beim kantonalen Migrationsamt zu erfahren war, gibt es im Aargau gut 330 illegal Anwesende, die sich trotz rechtskräftig verfügter Wegweisung aufhalten. Schätzungen, wie viele abgewiesene Asylbewerber untergetaucht sind, können nicht gemacht werden.

 18 Personen sofort verurteilt

 Die illegal Anwesenden sind teilweise nicht nur bereits wegen Verstössen gegen das Ausländergesetz, sondern nicht selten auch wegen Diebstählen oder Drogendelikten vorbestraft. In ihrem Fall will die kantonale Staatsanwaltschaft nun Druck aufsetzen. Bei einem Pilotversuch verurteilte die zuständige Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm nach einer Kontrolle der Unterkunft Oftringen im Schnellverfahren 18 illegal anwesende Personen. Es wurden unbedingte Freiheitsstrafen bis zu 6 Monaten ausgesprochen. "Wir wollen schnelle Urteile mit spürbareren Strafen", erklärt der leitende Staatsanwalt Simon Burger. Er ist überzeugt: "Mehr Druck auf die Weggewiesenen wird deren Zahl reduzieren." Der leitende Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht bestätigt die Schnellverfahren und fügt an: "Wir werden sehen, ob sich das bewährt."

 Rückblick: "Die Asylbewerberunterkunft in Oftringen wurde in der Vergangenheit immer wieder als Stützpunkt für kriminelle Aktivitäten - namentlich Drogenhandel und Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz - missbraucht", schrieb die Kantonspolizei am 25.Januar in einer Medienmitteilung. Nur Stunden zuvor hatte ein Grossaufgebot der Regional- und der Kantonspolizei die Unterkunft durchsucht. Mit dabei waren Staatsanwaltschaft und Vertreter des kantonalen Sozialdienstes. Letzterer ist für die Unterbringung, die Aufsicht und die Kontrolle der Unterkünfte zuständig. In Oftringen sind - wie auch in Holderbank - zur Ausreise verpflichtete Personen untergebracht, die Nothilfe beantragen können. Während sich etwa in der Unterkunft in Birr, wo es nur einen Tag später eine Grosskontrolle gab, mehrheitlich Personen mit hängigen Asylverfahren befinden.

 Vom Kommandanten angeordnet

 Beim Eintreffen der Polizei befanden sich insgesamt 25 der total 60 gemeldeten Personen verschiedener Nationalitäten in der Unterkunft. Angeordnet hatte die Kontrolle Polizeikommandant Stephan Reinhardt, der mit dem "Schwerpunkt" verhindern will, dass die Unterkünfte zu rechtsfreien Räumen mutieren.

 Während ansonsten keine "Unregelmässigkeiten" festgestellt wurden, verzeigte die Polizei 23 der 25 Personen wegen Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz. Die Staatsanwaltschaft erliess noch am gleichen Tag in 18 Fällen Strafbefehle. Davon müssen 15 Personen eine unbedingte Freiheitsstrafe zwischen 30 Tagen und 6 Monaten absitzen, nur gerade 3 Personen waren nicht vorbestraft und kamen mit einer bedingten Geldstrafe davon. Die Fälle seien allesamt "sonnenklar" gewesen, erklärt Staatsanwalt Simon Burger.

 Gibt es einen Verdrängungseffekt?

 Lassen sich die Weggewiesenen von dieser Taktik beeindrucken? "Es gibt einen Verdrängungseffekt", prophezeit Simon Burger. Oder die Personen würden einfach abtauchen. "Das Strafrecht kann das Problem nicht lösen, aber es ist ein Beitrag", sagt dazu Oberstaatsanwalt Philipp Umbricht.

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 Kokain: drei Nigerianer verurteilt

 Die "Holderbank-Connection" beschäftigt die Gerichte weiter. Im neuen Jahr mussten sich bereits wieder drei Nigerianer wegen Betäubungsmitteldelikten vor Bezirksgericht Lenzburg verantworten. Die drei Männer aus dem Umfeld des Netzwerks waren der Polizei bei Ermittlungen gegen Bewohner der Asylbewerberunterkunft Holderbank bei Telefonüberwachungen ins Netz gegangen. Die Nigerianer im Alter zwischen 23 und 26 Jahren waren ursprünglich in den Kantonen Schaffhausen und Zürich untergebracht. Die beiden "Zürcher" mussten sich wegen mehrfacher qualifizierter Widerhandlung gegen das Betäubungsmittelgesetz verantworten, einer zusätzlich wegen Geldwäscherei und Widerhandlungen gegen das Ausländergesetz. Gemäss Anklage sollen die beiden etwa in Wettingen oder Aarau, aber auch in Interlaken und Basel ihren Kokaingeschäften nachgegangen sein. Die Bezirksrichter verurteilten die Nigerianer zu Freiheitsstrafen von 28 und 40 Monaten unbedingt. Der dritte Nigerianer, mehrmals in Niederlenz "unterwegs", erhielt für qualifizierte Widerhandlungen gegen das Betäubungsmittelgesetz eine Freiheitsstrafe von 21 Monaten unbedingt. (spi)

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Aargauer Zeitung 7.2.11

Schnelljustiz für Drogenhändler

 Die Aargauer Justiz will verhindern, dass ihr ausländische Drogenhändler auf der Nase herumtanzen können. In den Asylunterkünften von Holderbank und Oftringen hat die Polizei bei Kontrollen immer wieder kriminelle Aktivitäten festgestellt. Asylbewerber aus Schwarzafrika betätigen sich oft als Drogenhändler, begehen Diebstähle und verstossen gegen das Ausländergesetz. Bei einem Pilotversuch hat die Staatsanwaltschaft Zofingen-Kulm nach einer Kontrolle in der Unterkunft Oftringen 18 illegal anwesende Personen im Schnellverfahren verurteilt. Dabei wurden unbedingte Freiheitsstrafen bis zu sechs Monaten ausgesprochen. (SPI) Seite 20

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NOTHILFE
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NZZ 8.2.11

"Prekäres" Nothilfe-Regime

 Aktionswoche von Flüchtlingsorganisationen in Zürich

 vö. · Amnesty International möchte diese Woche zusammen mit anderen Nichtregierungsorganisationen (NGO) auf die prekäre Lage von weggewiesenen Asylbewerbern in den Zürcher Nothilfeunterkünften aufmerksam machen. In Absprache mit dem kantonalem Sozialamt besuchten Vertreter dieser Organisationen in den vergangenen Monaten sechs von sieben Nothilfeunterkünften, in denen hauptsächlich junge Männer leben. Sie trafen aber auch Frauen, Kinder und "andere Verletzliche". Viele dieser Kinder seien in der Schweiz geboren und würden nichts anderes kennen als die organisierte Trostlosigkeit der Unterkünfte, heisst es in einem offenen Brief an Sicherheitsdirektor Hans Hollenstein. Eine öffentliche Debatte über die Nothilfe im Kanton Zürich sei dringend angezeigt.

 Mit dem Inkrafttreten der Asylgesetzrevision am 1. 1. 08 ist der Sozialhilfestopp von Personen mit Nichteintretensentscheiden auf alle abgewiesenen Asylbewerber ausgedehnt worden. Die Wirkung ist aber weniger gross als erwartet: Obwohl die Nothilfe auf das absolute Minimum beschränkt und bewusst mit abschreckenden Strategien verbunden ist, bleiben viele Abgewiesene weiter im Land. Der Kanton Zürich hat deshalb vor einem Jahr beim Bund auf das Problem der Langzeitbezüger von Nothilfe hingewiesen. Eine Analyse hat allerdings zu keinen Lösungen geführt.

 Die Organisationen fordern nun Hollenstein auf, erneut beim Bund zu intervenieren sowie den Handlungsspielraum beim Vollzug zu nutzen und verletzlichen Personen das Nothilfe-Regime zu ersparen. Heute Dienstag findet eine öffentliche Diskussion in der Kirche St. Jakob in Zürich statt. Laut einer Medienmitteilung vom Montag wurde auch Hollenstein eingeladen, er hat sich aber abgemeldet.

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Zürichsee-Zeitung 8.2.11

Vollzug der Nothilfe "problematisch"

 Kanton Zürich. Die Flüchtlingshilfe und andere Nichtregierungsorganisationen (NGO) kritisieren den Vollzug der Nothilfe im Kanton Zürich.

 Im Kanton Zürich sei der Vollzug der Nothilfe besonders problematisch, schreiben die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Amnesty International, die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans Frontières in einer gemeinsamen Mitteilung gestern Montag. Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen besuchten in den vergangenen Monaten in Absprache mit den verantwortlichen Behörden sechs von sieben Nothilfezentren im Kanton. Am Montag machten sie vor dem Zürcher Rathaus auf die "menschlichen Schicksale" aufmerksam. Unter den rund 500 betroffenen Personen befänden sich viele Frauen und Kinder.

 Zahlreiche dieser Kinder seien in der Schweiz geboren und würden nichts anderes kennen als die organisierte Trostlosigkeit der Notunterkünfte, schreiben die Organisationen und fordern eine öffentliche Debatte über die Nothilfe. Für die betroffenen Menschen sei kein Ausweg aus der Sackgasse absehbar.

 Intervention gefordert

 Vor einem Jahr habe der Kanton beim Bund noch Alarm geschlagen, weil das Nothilfe-Regime neben Zusatzkosten vor allem auch neue soziale Probleme schaffe. Heute sei der Kanton jedoch verstummt und arrangiere sich mit dem Nothilfe-Regime, das auch für die Behörden eine Zumutung sei, heisst es in der Mitteilung weiter. Gemäss den Organisationen sind die grossen, einflussreichen Kantone die einzigen, die einen Weg aus der Sackgasse weisen könnten. Deshalb fordern sie Regierungspräsident Hans Hollenstein auf, beim Bund zu intervenieren. (sda)

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nzz.ch 7.2.11

Kritik am Vollzug der Nothilfe im Kanton Zürich

 Flüchtlichshilfe und andere Organisationen appellieren an Regierungsrat

 Die Flüchtlingshilfe und andere Organisationen kritisieren den Vollzug der Nothilfe im Kanton Zürich. Sie appellieren an den Regierungsrat, Frauen und Kinder aus der Nothilfe zu holen und den Handlungsspielraum auszunutzen, den der Bund den Kantonen lässt.

 Im Kanton Zürich sei der Vollzug der Nothilfe besonders problematisch, schreiben die Schweizerische Flüchtlingshilfe, Amnesty International, die Schweizerische Beobachtungsstelle für Asyl- und Ausländerrecht und Solidarité sans Frontières in einer gemeinsamen Mitteilung vom Montag.

 Vertreterinnen und Vertreter dieser Organisationen besuchten in den vergangenen Monaten in Absprache mit den verantwortlichen Behörden sechs von sieben Nothilfezentren im Kanton. Am Montag machten sie vor dem Zürcher Rathaus auf die "menschlichen Schicksale" aufmerksam. Unter den rund 500 betroffenen Personen befänden sich viele Frauen und Kinder.

 Zahlreiche dieser Kinder seien in der Schweiz geboren und würden nichts anderes kennen als die organisierte Trostlosigkeit der Notunterkünfte, schreiben die Organisationen und fordern eine öffentliche Debatte über die Nothilfe. Für die betroffenen Menschen sei kein Ausweg aus der Sackgasse absehbar.

 Intervention beim Bund gefordert

 Vor einem Jahr habe der Kanton beim Bund noch Alarm geschlagen, weil das Nothilfe-Regime neben Zusatzkosten vor allem auch neue soziale Probleme schaffe. Heute sei der Kanton jedoch verstummt und arrangiere sich mit dem Nothilfe-Regime, das auch für die Behörden eine Zumutung sei, heisst es in der Mitteilung weiter.

 Gemäss den Organisationen sind die grossen, einflussreichen Kantone die einzigen, die einen Weg aus der Sackgasse weisen könnten. Deshalb fordern sie Regierungspräsident Hans Hollenstein auf, beim Bund zu intervenieren. Der Kanton Zürich solle "Dienst nach Vorschrift" leisten und den grossen Handlungsspielraum ausnutzen, den das Bundesrecht zulasse.

 Die Menschenrechtsorganisationen kritisieren etwa, dass Nothilfebezüger im Kanton Zürich jede Woche die Unterkunft wechseln müssten, statt Bargeld nur Migros-Gutscheine erhielten, oft keine Krankenversicherung hätten oder keine Wohnsitzbestätigung mit Foto erhalten würden.

 Um die Problematik der Nothilfe zu thematisieren, laden die Flüchtlingshilfe und die anderen Organisationen am Dienstag zu einer öffentlichen Diskussion in die Kirche St. Jakob in Zürich. Regierungspräsident Hollenstein wurde auch eingeladen. Er habe sich jedoch abgemeldet, heisst es in der Mitteilung.

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SANS-PAPIERS
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sf.tv 8.2.11

Weltsozialforum: Unia plant Migrations-Aktion

halp

 Die Gewerkschaft Unia will die Situation der geschätzten 200'000 Sans-Papiers in der Schweiz verbessern. Die Gesellschaft müsse merken, wie wichtig die Migranten für die Wirtschaft seien, sagten Unia-Vertreter an einer Diskussionsrunde am Weltsozialforum in Dakar.

 "Wenn die Migranten in der Schweiz für eine halbe Stunde ihre Arbeit unterbrechen würden, dann hätte dies Konsequenzen, die alle spüren könnten", sagte Guglielmo Bozzolini, Präsident der Migrationskommission des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes (SGB) am Weltsozialforum (WSF) in Dakar.

 Migrations-Aktionstag für 2012 geplant

 So könne der Bevölkerung klar werden, dass die Sans-Papiers auch ein Recht auf gesetzliche Anerkennung hätten. Die Unia plant deshalb für das Jahr 2012 einen nationalen Migrations-Aktionstag, wie Bozzolini im Gespräch mit der Nachrichtenagentur SDA sagte. Unter dem Motto "Ohne uns geht nichts" soll es in der ganzen Schweiz Aktionen geben, anlehnend an den nationalen Frauenstreiktag vom 14. Juni 1991.

 Bestätigt in ihrer Absicht wurden die Unia-Vertreter am von ihnen organisierten Workshop zum Thema Rechte der Migranten am WSF: Ehemalige Sans-Papiers afrikanischer Herkunft berichteten den rund 50 Teilnehmern aus Europa, Südamerika und Afrika über ihre Erfahrungen in Italien, Frankreich oder Deutschland.

 Erfolgreicher Streik

 "Nachdem wir in Frankreich einen Streik der Sans-Papiers organisiert hatten, erhielten 2008 allein in Paris 2000 Papierlose eine Aufenthaltsbewilligung", sagte Camara Harouna. Der 33-Jährige stammt aus Mali und arbeitet in Paris. Nach seiner Legalisierung 2008 begann er sich gewerkschaftlich zu engagieren. Besonders die Medien und die Arbeitgeber hätten sich wegen des Streiks mit den Papierlosen solidarisiert, erklärte er.

 Eine ähnliche Erfahrung machte der Senegalese Fiom Kail, der in Italien arbeitet. "Nachdem in Italien auf arbeitende Afrikaner geschossen worden war, organisierten wir Sans-Papiers einen kurzen Streik", sagte der 38-jährige Gewerkschafter, der seit 13 Jahren in Ancona lebt.

 Situation der Migranten wird immer prekärer

 Die Solidarität der Bevölkerung sei gross gewesen; allerdings beugte sich in Italien die Regierung dem Druck nicht. "Die Situation der Migranten in Italien wird wegen der Wirtschaftskrise immer prekärer", hielt er fest.

 Ob ein Sans-Papiers-Streik in der Schweiz erfolgreich sein kann, blieb in der Diskussion in Dakar umstritten. Nach Einschätzung von Bozzolini ist die Durchführung eines Streiks in der Schweiz kein einfaches Unterfangen. "Wir nennen die Aktion bewusst nicht Streik", sagte er.

 Solidarität der Bevölkerung mit Migranten

 Die Einschätzung teilt SP-Nationalrat Jean-Claude Rennwald (JU): "In der Schweiz sind die Leute nicht an Streiks gewöhnt, wie etwa die Franzosen", erklärte er. "Zudem muss in der Schweiz die Solidarität der Bevölkerung mit den Migranten noch aufgebaut werden", sagte Bozzolini mit Blick auf die Ausschaffungsinitiative, die im letzten November angenommen worden war.

 Die Gewerkschafter wollen dabei eine wichtige Rolle spielen: "In den Gewerkschaften treffen sich Ausländer und Schweizer", sagte Bozzolini.

 Parlamentarier sollten sich mit Migranten befassen

 Weiter kamen die Workshop-Teilnehmer zum Schluss, dass sie längerfristig nur auf gesamteuropäischer Ebene Verbesserungen für die Migranten erzielen können. "Es braucht eine Aktion in Brüssel", sagte Fiom Kail. Denn innenpolitisch seien die Regierungen der einzelnen Länder zu sehr unter Druck der rechtspopulistischen Parteien.

 Für Giovanni Giarrana, Co-Präsident der Unia-Migrationskommission, braucht es noch viele weitere Massnahmen, um den Migranten und Sans-Papiers in der Schweiz zu mehr Akzeptanz zu verhelfen: "An einem Parlamentariertag sollten sich die Politiker einen Tag mit den Problemen der Migranten befassen und selber mit diesen sprechen", forderte der Schweizer mit italienischen Wurzeln. Auch in den Medien sollten die Migranten vermehrt Platz haben.

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Papierlose Zeitung 2/2011

Autonome Schule Zürich: Beteiligte berichten über das Bildungsprojekt

Kleine Schanze: Der Kampf der Sans-Papiers um das Recht auf Rechte

Das Interview: Theaterszene über die Absurditäten des Asylverfahrens

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Sämtliche Artikel finden sich auch in unserem Blog auf http://www.papierlosezeitung.ch.

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Zentralschweiz am Sonntag 6.2.11

Bundesrätliche Schelte sorgt für Unmut bei Arbeitgebern

Jürg Auf der Maur

 Bundesrätin Sommaruga wirft den Arbeitgebern vor, sie würden Sans-Papiers ausnützen. Der Verband aber sieht die Behörden in der Pflicht.

 Jürg Auf der Maur

 juerg.aufdermaur@luzernerzeitung.ch

 "Wir sind gleicher Meinung wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga: Wir wollen weder Schwarzarbeit noch Lohndumping", sagt Ruth Derrer Balladore, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Doch damit hört die Übereinstimmung mit der Justizministerin bereits auf.

 In Zürich am Sitz des Arbeitgeberverbandes staunt man nämlich nicht schlecht über jüngste Äusserungen der SP-Bundesrätin, die das Sans-Papiers-Problem vor allem bei den Arbeitgebern ortet. So erklärte Sommaruga diese Woche in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung "Le Temps", dass Sans-Papiers oft allein deswegen in die Schweiz kämen, weil sie hier Schwarzarbeit fänden. Sommaruga wörtlich: "Die Arbeitgeber profitieren davon, gewisse zahlen nicht einmal die Sozialversicherungen."

 Das, so Sommaruga, mache sie wütend, denn das sei nichts anderes als "Sklaverei". Sommaruga kündigt denn auch Schritte dagegen an. Es müssten zusammen mit den Kantonen und dem Arbeitgeberverband so rasch wie möglich Lösungen gefunden werden, um dieses Übel zu bekämpfen.

 Billige Haushaltskräfte

 Beim Arbeitgeberverband sieht man sich nicht in der Pflicht. Mit dem Gesetz gegen die Schwarzarbeit habe man eigentlich ein gutes Instrument zur Hand, betont Ruth Derrer. Beim Arbeitgeberverband staune man viel eher, wie oft Gemeinden oder Nachbarn wegschauten, wenn sie Auffälliges sehen würden: "Niemand fragt bei den Gemeindebehörden nach, ob die notwendigen Bewilligungen vorliegen."

 Mit anderen Worten: Sans-Papiers seien nicht bei den Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes, sondern vielmehr in Haushalts- und bei anderen Gelegenheitsjobs zu suchen. In der Tat werden bekanntlich gerade in der Westschweiz viele Ausländerinnen als Putzfrauen in so genannt "besseren" Häusern beschäftigt.

 Trotzdem schlägt Derrer der Bundesrätin die Tür nicht einfach zu: Bis jetzt sei zwar keine offizielle Anfrage eingegangen. "Aber wenn Bundesrätin Sommaruga auf uns zukommt, werden wir sicher bei der Lösungssuche mitmachen. Denn niemand hat ein Interesse an zu vielen Sans-Papiers."

 200 000 Unangemeldete

 In der Schweiz wird davon ausgegangen, dass derzeit rund 200 000 Menschen in der Schweiz leben, die auf den Ämtern nicht vorschriftsgemäss angemeldet sind. Allerdings gehen die Schätzungen dazu weit auseinander und reichen von 90 000 bis 300 000. Die Sans-Papiers würden häufig unter unglaublich schwierigen Umständen leben, betont Sommaruga. Sie wolle deren Status baldmöglichst klären, wobei es nicht darum gehe, deren Aufenthalt allgemein zu regularisieren. Das mache keinen Sinn.

 Das Thema Sans-Papiers ist wieder voll auf der Traktandenliste, seit der Bundesrat die Schule verpflichten möchte, Kinder von so genannt illegalen Aufenthaltern in der Schweiz den Behörden zu melden. Für Aufsehen sorgt auch das Parlament. Nach der Grossen Kammer hat letztes Jahr auch der Ständerat beschlossen, dass Kinder von Sans-Papiers Zugang zu einer Berufslehre erhalten sollen. Jetzt muss der Bundesrat ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.

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Südostschweiz 6.2.11

Die "Sklaverei" soll aufhören

 Bundesrätin Simonetta Sommaruga wirft den Arbeit- gebern vor, sie würden Sans- Papiers ausnützen. Der Verband aber sieht die Behörden in der Pflicht.

 Von Jürg Auf der Maur

 Zürich. - "Wir sind gleicher Meinung wie Bundesrätin Simonetta Sommaruga: Wir wollen weder Schwarzarbeit noch Lohndumping", sagt Ruth Derrer Balladore, Mitglied der Geschäftsleitung des Schweizerischen Arbeitgeberverbandes. Doch damit hört die Übereinstimmung mit der Justizministerin bereits auf. In Zürich am Sitz des Arbeitgeberverbandes staunt man nämlich nicht schlecht über jüngste Äusserungen der SP-Bundesrätin, die das Sans-Papiers-Problem vor allem bei den Arbeitgebern ortet. So erklärte Sommaruga diese Woche in einem Interview mit der Westschweizer Tageszeitung "Le Temps", dass Sans-Papiers oft allein deswegen in die Schweiz kämen, weil sie hier Schwarzarbeit fänden. Sommaruga wörtlich: "Die Arbeitgeber profitieren davon, gewisse zahlen nicht einmal die Sozialversicherungen." Das, so Sommaruga, mache sie wütend, denn es sei nichts anderes als "Sklaverei".

 Die neue Justizministerin kündigt denn auch Schritte dagegen an. Es müssten zusammen mit den Kantonen und dem Arbeitgeberverband so rasch wie möglich Lösungen gefunden werden, um dieses Übel zu bekämpfen.

 Billige Haushaltskräfte

 Beim Arbeitgeberverband sieht man sich nicht in der Pflicht. Mit dem Gesetz gegen die Schwarzarbeit habe man eigentlich ein gutes Instrument zur Hand, betont Ruth Derrer. Beim Arbeitgeberverband staune man viel eher, wie oft Gemeinden oder Nachbarn wegschauten, wenn sie Auffälliges sehen würden: "Niemand fragt bei den Gemeindebehörden nach, ob die notwendigen Bewilligungen vorliegen." Mit anderen Worten: Sans-Papiers seien nicht bei den Mitgliedern des Arbeitgeberverbandes, sondern vielmehr in Haushalt- und bei anderen Gelegenheitsjobs zu suchen. In der Tat werden gerade in der Westschweiz viele Ausländerinnen als Putzfrauen in sogenannt "besseren" Häusern beschäftigt.

 Warten auf eine Anfrage

 Trotzdem schlägt Derrer der Bundesrätin die Tür nicht einfach zu: Bis jetzt sei zwar keine offizielle Anfrage eingegangen. "Aber wenn Bundesrätin Sommaruga auf uns zukommt, werden wir sicher bei der Lösungssuche mitmachen. Denn niemand hat ein Interesse an zu vielen Sans-Papiers", sagt sie.

 Es wird davon ausgegangen, dass derzeit rund 200 000 Menschen in der Schweiz leben, die nicht vorschriftsgemäss angemeldet sind. Allerdings gehen die Schätzungen dazu weit auseinander und reichen von 90 000 bis 300 000. Sommaruga will den Status dieser Menschen nun baldmöglichst klären, wobei es nicht darum gehe, deren Aufenthalt allgemein zu regularisieren. Das mache keinen Sinn.

 Das Thema Sans-Papiers ist wieder voll auf der Traktandenliste, seit der Bundesrat die Schule verpflichten möchte, Kinder von sogenannt illegalen Aufenthaltern in der Schweiz den Behörden zu melden. Für Aufsehen sorgt auch das Parlament. Nach der grossen Kammer hat letztes Jahr auch der Ständerat beschlossen, dass Kinder von Sans-Papiers Zugang zu einer Berufslehre erhalten sollen. Jetzt muss der Bundesrat ein entsprechendes Gesetz erarbeiten.

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AUSSCHAFFUNGEN
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St. Galler Tagblatt 8.2.11

Asylsuchende im ungewissen
 
Sri Lanka gilt wieder als sicher und die Schweiz will Flüchtlinge aus diesem Land zurückschaffen. Wie ist das für die zehn tamilischen Asylsuchenden in Rickenbach? Und wie haben sie sich in der umstrittenen Baracke eingerichtet?

YANN CHERIX

 Rickenbach. Im Untergeschoss der Rickenbacher Primarschule riecht es exotisch. Die zehn Asylsuchenden kochen ihr Nationalgericht: Curry mit Gemüse. Jeweils zum Zmittag dürfen die Männer die Schulküche benützen. Ansonsten sind sie im Zivilschutzbunker neben dem Gemeindehaus untergebracht. Das hatte für viel Unmut gesorgt (siehe Kasten).

 Doch heute ist nicht die Behausung das Problem. Die Stimmung ist gedrückt. Alle wissen, dass die Schweizer Behörden sie nach Hause zurückschicken wollen. Die Lage sei stabil, heisst es von offizieller Seite. Und jetzt ist auch bekannt: Im Juli werden sie zum Gespräch gebeten. Da soll abgeklärt werden, wie weit die Integration fortgeschritten ist, wie gefährlich es wirklich für den einzelnen ist. Laut dem Rickenbacher Gemeindeammann Ivan Knobel wurde keiner der zehn Männer aufgenommen. Sie müssten also so oder so zurück.

 Probleme am Flughafen

 Für Antonio Satrukalsinghe ist der Fall klar: "Wenn ich zurückgeschickt werde, beginnen für mich bereits am Flughafen die Probleme." Der 31jährige Tamile fürchtet sich nach dem Kriegsende vor der Rache der Polizei. "Sie haben mit uns noch eine Rechnung offen." Für den gelernten Informatiker, der fliessend Englisch und gut Deutsch spricht, wäre eine Rückführung nach Sri Lanka darum schlimm. Er will in der Schweiz bleiben und möglichst bald eine Arbeit finden.

 Denn viel zu tun hat er nicht. Am Mittwoch findet ein Deutschkurs statt. Dazu kommen verschiedene Aufgaben für die Gemeinde - so wie heute. Das Wegräumen von Holz steht an. Alle tragen bereits die Arbeiterhosen. "Es tut gut, sich nützlich zu machen. So kommen wir auch an die frische Luft."

 Die Anspielung ist subtil. Doch es ist klar, dass Antonio Satrukalsinghe auf seine Unterkunft hinweist. Die Bedingungen sind für ihn nicht viel besser geworden. Frühmorgens hat er Mühe aufzuwachen. Im Zivilschutzkeller ist es nach der Nacht stickig, es mangelt an Sauerstoff. Doch der Mann aus Sri Lanka ist intelligent genug, sich nicht offen zu beklagen.

 Aufenthaltsraum mit Tageslicht

 Zudem steht seit letztem Herbst ein Container auf der Wiese über der Unterkunft. Es ist eine Art Aufenthaltsraum mit Tageslicht. Doch das Wichtigste steht noch immer im Untergrund: der Fernseher. Darum wurde der spärlich eingerichtete Raum bis jetzt nicht wirklich abgenommen. Es ist mittlerweile kurz vor eins, Zeit aufzuräumen.

 Letzter Winter in der Schweiz?

 Die Männer reissen die Fenster auf, der Duft nach Curry verflüchtigt sich langsam. Es wird kalt werden. Antonio Satrukalsinghe zieht sich eine warme, schützende Jacke an. Wie oft er dies noch machen muss, weiss er nicht. Vielleicht ist es für ihn der letzte Winter in der Schweiz.

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 Diskussionen um einen Pavillon

 Anfang März 2009 widersetzten sich die zehn Asylsuchenden mit einem Rekurs gegen ihre Unterkunft. Dieser wurde zwei Monate später vom Kanton teilweise gutgeheissen. Das hiess, dass sie den Flüchtlingen einen Aufenthaltsraum mit Tageslicht zusprachen. Mit dem beheizbaren Pavillon fanden die drei betroffenen Gemeinden einen Ausweg. Die Rekursfrist gegen das Bauvorhaben lief am 14. Juni ungenutzt aus. Allerdings mussten die Gemeindevertreter die Nachbarn bei einem Treffen über die Details informieren. Anfang Juli 2009 wurde mit dem Bau begonnen. In nächster Zeit sind kleinere Arbeiten im Garten geplant. (cix)

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Sonntagsblick 6.2.11

Ein kurdischer Flüchtling will den Volksentscheid kippen

 Ali klagt gegen die Ausschaffungsinitiative

 VON  BEAT KRAUSHAAR

 Kriminelle Ausländer raus! So will es das Schweizer Volk. Ob das zulässig ist, entscheidet vielleicht schon bald der Europäische Gerichtshof.

 Mit 53 Prozent nahmen die Stimmbürgerinnen und Stimmbürger Ende November 2010 die Ausschaffungsinitiative an. Zurzeit klärt eine vom Justizdepartement eingesetzte Arbeitsgruppe, wie sich das umstrittene Volksbegehren umsetzen lässt.

 Gar nicht, glaubt alt Bundesgerichtspräsident Giusep Nay (68). Denn für den Straf- und Verfassungsrechtler ist klar: Die Initiative verletzt das Völkerrecht.

 So sieht es auch Ali Tüm (34). Am 13. Januar 2011 hat er beim Schweizerischen Bundesgericht in Lausanne sowie beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg (F) Beschwerde gegen die Ausschaffungsinitiative eingereicht. "Ich habe auch Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey in einem Schreiben darüber informiert", sagt Tüm.

 Warum tritt er als Einzelperson gegen die Ausschaffungsinitiative an? "Ich mache das, weil ich als Kurde davon direkt betroffen bin. Zudem fühle ich mich auch als Privatperson diskriminiert", sagt er. Die SVP mache "ständig populistische Politik auf dem Buckel der Ausländer".

 Dabei sei es der Partei egal, ob sie gegen die Menschenrechte verstosse - oder, wie bei der Minarettinitiative, gegen die Glaubensfreiheit.

 Tüm kam 1996 in die Schweiz und erhielt politisches Asyl. Er lebt in Zürich; sein Herz schlage links, "für die SP", sagt er.

 Bei der Klage aber gehe es weder um linke noch um rechte Politik - sondern darum, dass die Schweiz mit der Ausschaffungsinitiative ihren Ruf als humanitäres Land im Ausland aufs Spiel setzt.

 Tüms Empörung ist spürbar; sie verrät sich gelegentlich auch in Übertreibungen, wenn er beispielsweise in seiner Beschwerde formuliert, "dass die Ausländer von den Politikern nur noch als kriminelle schwarze Schafe angesehen werden". Und deshalb die schweizerische Demokratie "schrittweise in Rassismus und Fremdenfeindlichkeit umgewandelt" werde.

 Was er vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte erwartet, steht am Schluss seiner achtseitigen Eingabe. Strassburg solle feststellen, dass die Schweiz mit der Ausschaffungsinitiative gegen zwingendes Völkerrecht verstosse. Sie sei daher zu verwarnen und anzuweisen, die Initiative für ungültig zu erklären.

 Hat Tüms Beschwerde eine Chance?

 Ja, sagt Ex-Bundesrichter Nay. "In der Regel braucht es viel, dass der Europäische Gerichtshof auf eine Beschwerde eintritt, wenn jemand, wie hier, nicht direkt von einer Ausschaffung betroffen ist." Gute Chancen gibt er ihr dennoch. Da von der Initiative viele Menschen betroffen sein könnten, werden die Richter in Strassburg wohl auf die Beschwerde eintreten, so Nays Einschätzung. Gutgeheissen wäre sie damit allerdings noch nicht.

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MIGRATION CONTROL
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St. Galler Tagblatt 8.2.11

Nigerianer und Georgier fast chancenlos

Kari Kälin

 Staatsangehörige diverser Länder stellen reihenweise Gesuche, die fast alle abgeschmettert werden. So tendiert die Wahrscheinlichkeit, dass ein Nigerianer oder Georgier in der Schweiz Asyl bekommt, gegen Null. Deshalb soll jetzt bei den Asylverfahren aufs Tempo gedrückt werden.

 Bern. 15 567 Personen ersuchten 2010 in der Schweiz um Asyl. Davon erhielten 3449 den Flüchtlingsstatus. Damit stieg die Anerkennungsquote gegenüber dem Vorjahr leicht auf 17,7 Prozent. Die Quote variiert stark nach Herkunftsland. Bei Asylsuchenden aus Eritrea - 2160 Gesuche wurden letztes Jahr gutgeheissen, 1799 neue gestellt - betrug sie zum Beispiel 63 Prozent.

 Lediglich zwei erhielten Asyl

 Daneben gibt es hingegen eine Reihe von Ländern, deren Staatsangehörigen die Schweiz praktisch nie den Flüchtlingsstatus gewährt. Die Wahrscheinlichkeit, als Nigerianer Asyl zu erhalten oder vorläufig aufgenommen zu werden, tendiert gegen Null. Dennoch stammten 2010 die meisten neuen Asylbegehren (1969) aus dem westafrikanischen Land. In der Asylstatistik 2010 des Bundesamtes für Migration heisst es: "2010 wurden 2243 Asylgesuche von nigerianischen Staatsangehörigen entschieden. Lediglich zwei Personen erhielten Asyl, eine Person wurde vorläufig aufgenommen." Mit anderen Worten: Praktisch alle Nigerianer können keine asylrelevanten Gründe geltend machen. Sie sind also nicht an Leib und Leben bedroht wegen ihrer Rasse, Religion oder politischen Überzeugung. Dennoch flatterten zwischen 2001 bis 2010 8881 nigerianische Asylgesuche auf dem Tisch der hiesigen Behörden. Lediglich 14 Personen erhielten den Flüchtlingsstatus, 37 wurden vorläufig aufgenommen. Mit 1,1 Prozent war die Anerkennungsquote 2001 noch am höchsten.

 In Basiskriminalität aktiv

 Seit Jahren bitten Georgier auf konstant hohem Niveau um Aufnahme in der Schweiz. 5237 Gesuche waren es in den letzten 10 Jahren. Davon wurden 13 Personen als Flüchtlinge anerkannt und 32 vorläufig aufgenommen. Prominenter als bei der Anerkennungsquote in der Asylstatistik tauchen Georgier und Nigerianer dafür im jüngsten Jahresbericht des Bundesamtes für Polizei auf: Einige Gruppen der organisierten Kriminalität seien in der Schweiz vorab in der Basiskriminalität aktiv, beispielsweise im Strassenhandel mit Drogen oder bei Einbrüchen und Raubdelikten. Und: "Dies trifft vor allem auf die Gruppen aus Westafrika, Ost- und Südosteuropa sowie Georgien zu."

 Kosovaren und Algerier

 Die Worte, die Alard Du Bois-Reymond, Direktor des Bundesamtes für Migration, in der "NZZ am Sonntag" wählte, lösten eine Polemik aus - erstaunen tun sich nicht: 99,5 Prozent der nigerianischen Asylsuchenden kämen "nicht als Flüchtlinge, sondern um illegale Geschäfte zu machen". Ein grosser Teil drifte in die Kleinkriminalität ab, betätige sich im Drogenhandel.

 Nigeria und Georgien sind nicht die einzigen Länder, aus denen die zahlreichen Gesuche nahezu samt und sonders abgeschmettert werden. So baten zum Beispiel im vergangenen Jahr 602 Kosovaren um Asyl - bei tiefer Anerkennungsquote von 2,5 Prozent. Noch tiefer (1,8 Prozent) lag sie bei den Serben (910 Gesuche). Auch Algerier versuchen ihr Glück (417) fast immer vergeblich in der Schweiz (Anerkennungsquote 0,7 Prozent).

 Arbeitslosigkeit als Motiv

 Trotz minimaler Aussichten auf ein Bleiberecht übt die Schweiz offenbar grosse Anziehungskraft aus. Weshalb also strömen diese Menschen ins Land - trotz trüben Aussichten auf Asyl? "Da die Schweiz von der Wirtschaftskrise weniger stark betroffen ist als andere wichtige Zielländer von Nigerianern, insbesondere Italien und Spanien, kam es zu binneneuropäischen Wanderungen", sagt Marie Avet, Sprecherin beim Bundesamt für Migration. Perspektiven- und hohe Arbeitslosigkeit sei etwa bei jungen Georgiern wichtiges Migrationsmotiv.

 In Serbien darbt die Roma-Minderheit wirtschaftlich. "Es besteht keine reelle Chance auf eine kurz- bis mittelfristige Verbesserung der Situation", sagt Avet. Die Zahl der Gesuche von serbischen Roma sei letztes Jahr deutlich gestiegen, weil serbische Staatsangehörige nun ohne Visum in den Schengenraum reisen könnten.

 Verfahrensdauer stört

 Angesichts dieses Leerlaufs verwundert es nicht, dass die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga anlässlich ihrer 100-Tage-Bilanz feststellte, das Vertrauen der Bevölkerung in die Asylpolitik habe trotz 10 Revisionen des Asylgesetzes seit den Achtzigerjahren nicht zugenommen: "Es herrscht im Gegenteil der Eindruck vor, unser Asylsystem werde vor allem missbraucht." Vor allem die lange Verfahrensdauer stört. Denn gemäss Bundesamt für Migration wird ein Asylgesuch im Durchschnitt erst nach zwei bis drei Jahren erledigt. Vereinzelt dauert es wegen Beschwerden noch sehr viel länger.

 Geld für Sinnvolleres ausgeben

 Das Eidgenössische Justiz- und Polizeidepartement arbeitet derzeit an einem Bericht, in dem es aufzeigen will, wie die langen Verfahren zustande kommen und wie sie verkürzt werden könnten. Das Geld, das diese Bürokratie verschlingt, würde Sommaruga lieber "für die Rückkehrhilfe, für die Unterstützung im Herkunftsland oder für die Integration von anerkannten Flüchtlingen" nutzen.

 Ganz anders sieht dies SVP-Generalsekretär Martin Baltisser: "Grosszügige Rückkehrhilfen lösen auf jeden Fall keine Probleme, sondern wirken im Gegenteil anziehend." Die Verfahrensdauer sei auch für aussichtslose Asylgesuche zu lang. "Die Verfahren müssen endlich vereinfacht und verkürzt werden, damit nur erstinstanzliche Entscheide mit entsprechender Rekursmöglichkeit gefällt werden", so Baltisser.

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 Kollektive Diskriminierung

 Warum versuchen Menschen ihr Glück in der Schweiz, wenn sie doch kaum Hoffnung auf ein Bleiberecht haben können? "In all diesen Ländern treiben korrupte Regime, schwere politische Repression oder Minderheitenprobleme weite Teile der Bevölkerung oder bestimmte Ethnien ins Elend", sagt Denise Graf, die bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz für Asylfragen zuständig ist. "Da diese Menschen sehr oft Opfer von allgemeiner Diskriminierung oder Repression sind, fallen sie nach der Schweizer Praxis nicht unter den Flüchtlingsbegriff, weil diese Verfolgung nicht gezielt gegen sie als Individuen, sondern gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe gerichtet ist." So seien etwa in den Balkanländern Roma schwerster Diskriminierung ausgesetzt. In Nigeria habe sich die Menschenrechtssituation im Nigerdelta in den letzten zwei Jahren massiv verschlechtert. Willkür und Korruption führten zu krassen Menschenrechtsverletzungen, und die christliche Minderheit werde bedrängt.

 Wie Graf weiter erläutert, wurden in Georgien 2008 während des Krieges in Russland rund 200 000 Menschen vertrieben: "Die Reintegration ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden." Immer öfters würden sie Opfer von Zwangsvertreibungen. (kä)

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NLZ 8.2.11

Sommaruga will Asylverfahren straffen

 Asylpolitik

kä.

 Nigerianer oder Georgier haben kaum Chancen, in der Schweiz Asyl zu erhalten. Dennoch kommen sie zu Tausenden. Dies will der Bund nun ändern.

 kä. Justizministerin Simonetta Sommaruga will bei den Asylverfahren den Hebel ansetzen. Denn diese, so Sommaruga, würden viel kosten und zu lange dauern. In einem Bericht will die neue Bundesrätin Wege aufzeigen, wie die Verfahrensdauer verkürzt werden könnte. Gleichzeitig will sie aber auch das Bild korrigieren, das Schweizer Asylsystem werde vor allem missbraucht, wie Simonetta Sommaruga betont. Handlungsbedarf gibt es sehr wohl. Vergangenes Jahr sind zwar 17,7 Prozent aller behandelten Asylanträge gutgeheissen worden. Fast jeder fünfte Gesuchsteller wurde damit als Flüchtling anerkannt.

 Doch fast ebenso oft muss sich das Bundesamt für Migration mit Gesuchen von Personen herumschlagen, die kein Anrecht auf Asyl in der Schweiz haben. Ein Blick in die Asylstatistik der vergangenen zehn Jahre offenbart zum Beispiel, dass von den insgesamt 8881 Gesuchen aus Nigeria lediglich 14 anerkannt wurden.

 Zahlreich flattern im selben Zeitraum auch Anträge von Personen aus Georgien auf den Tisch der Schweizer Behörden. Doch lediglich 13 Personen erhielten den Flüchtlingsstatus - dies bei total 5237 Gesuchen. Auf einem tiefen Wert bewegte sich die Anerkennungsquote vergangenes Jahr auch bei Gesuchstellern aus Serbien (1,8 Prozent) oder dem Kosovo (2,5 Prozent).

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Chancenlose Anträge belasten Asylwesen

 Asylwesen

Kari Kälin

 Staatsangehörige zahlreicher Länder stellen reihenweise Gesuche, die fast alle abgewiesen werden. Jetzt geht der Bund über die Bücher.

 Kari Kälin

 kari.kaelin@luzernerzeitung.ch

 15 567 Personen ersuchten 2010 in der Schweiz um Asyl. Davon erhielten 3449 den Flüchtlingsstatus. Damit stieg die Anerkennungsquote gegenüber dem Vorjahr leicht auf 17,7 Prozent (+1,14 Prozent; siehe Grafik). Die Quote variiert je nach Herkunftsland allerdings stark. Bei Asylsuchenden aus Eritrea betrug sie zum Beispiel 63 Prozent: - 2160 Gesuche wurden vergangenes Jahr gutgeheissen, 1799 neue gestellt.

 Daneben gibt es hingegen eine Reihe von Ländern, deren Staatsangehörigen die Schweiz praktisch nie den Flüchtlingsstatus gewährt. Die Wahrscheinlichkeit, als Nigerianer Asyl zu erhalten oder vorläufig aufgenommen zu werden, tendiert gegen null. Dennoch stammten 2010 die meisten neuen Asylbegehren (1969) aus dem westafrikanischen Land. In der Asylstatistik 2010 des Bundesamtes für Migration heisst es: "2010 wurden 2243 Asylgesuche von nigerianischen Staatsangehörigen entschieden. Lediglich zwei Personen erhielten Asyl, und eine Person wurde vorläufig aufgenommen."

 Mit anderen Worten: Praktisch alle Nigerianer können keine asylrelevanten Gründe geltend machen. Sie sind also nicht an Leib und Leben bedroht wegen ihrer Rasse, Religion oder politischen Überzeugung. Dennoch flatterten zwischen 2001 und 2010 total 8881 nigerianische Asylgesuche auf den Tisch der hiesigen Behörden. Lediglich 14 Personen erhielten den Flüchtlingsstatus, 37 wurden vorläufig aufgenommen. Mit 1,1 Prozent war die Anerkennungsquote 2001 noch am höchsten.

Asyl für 13 Georgier in 10 Jahren

 Ein ähnliches Bild zeigt sich bei Asylgesuchen von Personen aus Georgien. 5237 Gesuche wurden in den vergangenen zehn Jahren eingereicht. Davon wurden 13 Personen als Flüchtlinge anerkannt und 32 vorläufig aufgenommen.

 Prominenter als bei der Anerkennungsquote in der Asylstatistik tauchen unter anderen die Georgier und Nigerianer dafür im jüngsten Jahresbericht des Bundesamtes für Polizei auf. Einige Gruppen der organisierten Kriminalität seien in der Schweiz vorab in der Basiskriminalität aktiv, beispielsweise im Strassenhandel mit Drogen oder bei Einbrüchen und Raubdelikten, heisst es dort. Und: "Dies trifft vor allem auf die Gruppen aus Westafrika, Ost- und Südosteuropa sowie Georgien zu." Die Worte, die Alard Du Bois-Reymond, der Direktor des Bundesamtes für Migration, letzten Frühling in der "NZZ am Sonntag" wählte, lösten eine Polemik aus - erstaunen tun sie nicht. 99,5 Prozent der nigerianischen Asylsuchenden kämen "nicht als Flüchtlinge, sondern um illegale Geschäfte zu machen", sagte er. Ein grosser Teil drifte in die Kleinkriminalität ab oder betätige sich im Drogenhandel. "Das ist eine traurige Tatsache", so Du Bois-Reymond.

 Nigeria und Georgien sind nicht die einzigen Länder, aus denen die zahlreichen Gesuche nahezu samt und sonders abgeschmettert werden. So baten zum Beispiel im vergangenen Jahr 602 Kosovaren um Asyl - bei gleichzeitig tiefer Anerkennungsquote von 2,5 Prozent. Noch tiefer (1,8 Prozent) lag sie bei den Serben (910 Gesuche). Auch Algerier versuchen ihr Glück (417) fast immer vergeblich in der Schweiz (Anerkennungsquote 0,7 Prozent). Trotz minimalen Aussichten auf ein Bleiberecht übt die Schweiz offenbar eine grosse Anziehungskraft aus. Weshalb strömen zu Tausenden Menschen ins Land trotz trüben Aussichten auf Asyl?

 Arbeitslosigkeit als Motiv

 "Da die Schweiz von der Wirtschaftskrise weniger stark betroffen ist als andere wichtige Zielländer von Nigerianern, insbesondere Italien und Spanien, kam es zu binneneuropäischen Weiterwanderungen", sagt Marie Avet, Sprecherin beim Bundesamt für Migration. Perspektiven- und hohe Arbeitslosigkeit sei insbesondere bei jungen Georgiern ein wichtiges Migrationsmotiv. In Serbien kommt die Roma-Minderheit wirtschaftlich auf keinen grünen Zweig. "Es bestehen keine reellen Chancen auf eine kurz- bis mittelfristige Verbesserung der Situation", sagt Avet. Die Zahl der Gesuche von serbischen Roma sei im vergangenen Jahr deutlich gestiegen, weil serbische Staatsangehörige ohne Visum in den Schengenraum reisen könnten.

 Verfahren verkürzen

 Angesichts dieses Leerlaufs verwundert es nicht, dass die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga vergangene Woche an ihrer 100-Tage-Bilanz feststellte, das Vertrauen der Bevölkerung in die Asylpolitik habe trotz zehn Revisionen des Asylgesetzes seit den 1980er-Jahren nicht zugenommen. "Es herrscht im Gegenteil der Eindruck vor, unser Asylsystem werde vor allem missbraucht", sagte die SP-Magistratin, die sich unter anderem an der langen Verfahrensdauer stört. Denn gemäss Bundesamt für Migration wird ein Asylgesuch im Durchschnitt erst in zwei bis drei Jahren erledigt. In Einzelfällen dauert die Prozedur wegen Beschwerden aber viel länger. Ende 2010 waren 9025 erstinstanzliche Gesuche hängig, 3890 liegen beim Bundesverwaltungsgericht, das über die Beschwerden entscheidet.

 Das Justiz- und Polizeidepartement arbeitet derzeit an einem Bericht, in dem es aufzeigen will, wie die langen Verfahren zu Stande kommen und wie sie verkürzt werden könnten. Das Geld, das diese Bürokratie verschlingt, würde Simonetta Sommaruga lieber "für die Rückkehrhilfe, für die Unterstützung im Herkunftsland oder für die Integration von anerkannten Flüchtlingen" nutzen.

 Anders sieht dies SVP-Generalsekretär Martin Baltisser: "Grosszügige Rückkehrhilfen lösen keine Probleme, sondern wirken im Gegenteil anziehend." Die Verfahrensdauer sei auch für aussichtslose Asylgesuche zu lang. "Die Verfahren müssen endlich vereinfacht und verkürzt werden, damit nur erstinstanzliche Entscheide mit entsprechender Rekursmöglichkeit gefällt werden."

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 "Sie sind Opfer allgemeiner Diskriminierung"

 Amnesty kä. Nigeria 0,1, Georgien 0,3, Algerien 0,7, Serbien 1,8, Kosovo 2,5 Prozent: Die Anerkennungsquote von Staatsangehörigen dieser Länder lag 2010 äusserst tief.

 Wieso versuchen sie ihr Glück dennoch zu Hunderten in der Schweiz? "In all diesen Ländern treiben korrupte Regime, schwere politische Repression oder Minderheitenprobleme weite Teile der Bevölkerung oder bestimmte Ethnien ins Elend", sagt Denise Graf, die bei der Menschenrechtsorganisation Amnesty International Schweiz für Asylfragen zuständig ist. "Da diese Menschen sehr oft Opfer von allgemeiner Diskriminierung oder Repression sind, fallen sie nach der Schweizer Praxis nicht unter den Flüchtlingsbegriff, weil diese Verfolgung nicht gezielt gegen sie als Individuen, sondern gegen eine ganze Bevölkerungsgruppe gerichtet ist", erklärt Denise Graf.

 Willkür und Vertreibungen

 So seien etwa in den Balkanländern Roma schwerster Diskriminierung ausgesetzt. "Ihre Kinder haben oft keinen Zugang zu den ordentlichen staatlichen Schulen und somit keine Zukunft", sagt Denise Graf. In Serbien und Kosovo sei die Diskriminierung derart in den Gemütern der Bevölkerung verankert, dass es für deren Beseitigung langfristige Knochenarbeit brauche.

 2 Millionen Menschen vertrieben

 In Nigeria habe sich die Menschenrechtssituation im Nigerdelta in den letzten zwei Jahren massiv verschlechtert. "Mehr als zwei Millionen Menschen wurden seit dem Jahr 2000 gewaltsam aus ihrem angestammten Wohnraum vertrieben, ohne dass ihnen Alternativen vorgeschlagen worden wären", sagt Graf.

 Willkür und Korruption führten zu krassen Menschenrechtsverletzungen, und die christliche Minderheit werde bedrängt.

 Wie Denise Graf von Amnesty International weiter erläutert, wurden in Georgien im Jahre 2008 während des Krieges in Russland rund 200 000 Menschen vertrieben. "Die Reintegration dieser Menschen ist mit grossen Schwierigkeiten verbunden", sagt Graf.

 Immer öfters würden sie Opfer von Vertreibungen.

 Die Asylstatistik des Bundes finden Sie auf http://www.bfm.admin.ch/content/bfm/de/home/dokumentation/zahlen_und_fakten/asylstatistik/jahresstatistiken.html

Kommentar

 Knacknuss Vollzug

Kari Kälin

 Blickt man auf die nackten Zahlen, hat sich die Situation im Asylbereich entspannt. Die Zahl der Gesuche sank letztes Jahr um 2,7 Prozent auf 15 567. Fast jedes fünfte Asylbegehren (17,7 Prozent) hiess die Schweiz gut. Damit hat sich die Anerkennungsquote auf einen Wert eingependelt, der noch vor zehn Jahren bei weitem nicht erreicht wurde. Mit anderen Worten: Unter den Gesuchstellern befinden sich heute im Vergleich zu früher mehr Personen, welche die Flüchtlingseigenschaften aufweisen und zu Recht unseren Schutz erhalten.

 Doch Staatsangehörige diverser Länder versuchen ihr Glück seit Jahren in der Schweiz trotz minimaler Aussichten auf Asyl. So wurden in den letzten zehn Jahren zum Beispiel lediglich 13 Georgier als Flüchtlinge anerkannt, obwohl 5237 Georgier einen Asylantrag stellten. Von 8881 nigerianischen Gesuchstellern erhielten im gleichen Zeitraum bloss 14 den Flüchtlingsstatus. Auch Staatsangehörige anderer Länder beschäftigen die Behörden reihenweise mit faktisch sinnlosen Anträgen.

 Es überwiege der Eindruck, dass das Asylsystem vor allem missbraucht werde, stellte die neue Justizministerin Simonetta Sommaruga letzte Woche fest. Dieser Befund erstaunt umso weniger, als etwa die Nigerianer und die Georgier im Bericht des Bundesamtes für Polizei negativ auffallen.

 Sommaruga setzt auf schnellere Verfahren. Selbst wenn die Asylentscheide rascher gefällt werden, ist das Problem des Vollzugs nicht gelöst. Kann ein abgewiesener Asylbewerber nicht in sein Herkunftsland zurückgeführt werden, leidet die Glaubwürdigkeit der Asylpolitik. Dies zu ändern, bleibt eine Knacknuss.

 Kari Kälin

 kari.kaelin@luzernerzeitung.ch

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beobachtungstelle.ch 7.2.11

Erneuter Angriff auf die Rechte von Flüchtlingen

Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK-N) wünscht strengere Regeln beim Familiennachzug. Sie hat drei parlamentarischen Initiativen von Philipp Müller (FDP, Aargau) Folge gegeben. Betroffen wären nicht zuletzt Flüchtlinge.

Nach dem Willen der SPK-N soll das Familienasyl abgeschafft werden: Familienangehörige von anerkannten Flüchtlingen sollen keinen Flüchtlingsstatus mehr erhalten. Für diese Änderung sprach sich die Kommission mit 12 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen aus, wie die Parlamentsdienste am Freitag mitteilten.

Rund die Hälfte der Flüchtlinge haben ihren Status aufgrund des Familienasyls. Die Mehrheit der SPK sieht in der heutigen Praxis aber eine Besserstellung der Familienmitglieder von Flüchtlingen gegenüber anderen Zuwanderern. In den Augen der Minderheit würde eine Abschaffung des Familienasyls dagegen das Recht einer Flüchtlingsfamilie, ihr Familienleben im Asylland fortzuführen, unangemessen einschränken. Zudem würde das Ziel einer raschen Integration in Frage gestellt.

Einer anderen parlamentarischen Initiative gab die SPK-N mit 16 zu 9 Stimmen Folge: Anerkannte Flüchtlinge sollen künftig erst nach 10 Jahren anstatt wie bisher nach 5 Jahren Aufenthalt in der Schweiz eine Niederlassungsbewilligung erhalten.

Mit 17 zu 7 Stimmen sprach sich die Kommission weiter für strengere Regeln beim Familiennachzug von Personen mit einer Niederlassungsbewilligung aus. Der Familiennachzug soll nur dann möglich sein, wenn der Niedergelassene mit der Familie in einer bedarfsgerechten Wohnung zusammenwohnen kann und die Familie keine Sozialhilfe beansprucht.

Schliesslich beantragt die Kommission ihrem Rat mit 14 zu 10 Stimmen bei 2 Enthaltungen, einer Motion von Ständerat Christoffel Brändli (SVP, Graubünden) mit dem Titel "Die Zuwanderung in geordnete Bahnen lenken" zuzustimmen. Der Bundesrat soll Massnahmen vorschlagen, um die Zuwanderung zu verlangsamen und die Bevölkerungszahl der Schweiz zu stabilisieren (SDA).

Die SBAA ist über die Annahme dieser Vorstösse sehr besorgt, da diese erneut die "Schutzbedürftigkeit von Flüchtlingen" in Frage stellen. Die Schweizerische Flüchtlingshilfe hat die beiden parlamentarischen Initiativen zu den Rechten von Flüchtlingen von Nationalrat Müller analysiert und hierzu ein juristischen Gutachten verfasst.


>> Rechtsgutachten der SFH
http://beobachtungsstelle.ch/fileadmin/user_upload/pdf_divers/Gesetzesrevision/110110_Gutachten_Initiativen_Mueller_d.pdf

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Bund 5.2.11

Im Ausländerrecht kündigt sich eine Welle von Verschärfungen an

 Erfolg für FDP-Nationalrat Müller: Er brachte strengere Regeln für die Zuwanderung aus Nicht-EU-Ländern in der zuständigen Kommission durch.

 Fabian Renz

 Regierung und Parlament senden in der Ausländer- und Flüchtlingspolitik derzeit ziemlich gegensätzliche Signale aus. Eben erst hat die sozialdemokratische Justizministerin Simonetta Sommaruga bekannt gegeben, die Neuaufnahme von UNO-Kontingentsflüchtlingen werde geprüft. Sie lässt also etwas mehr Grosszügigkeit als ihre Vorgängerin walten. Die Staatspolitische Kommission des Nationalrats (SPK) hingegen beschloss gestern eine Serie beträchtlicher Verschärfungen: Sie hiess drei parlamentarische Initiativen des Aargauer FDP-Nationalrats Philipp Müller gut, die allesamt auf eine Erschwerung der Immigration aus Nicht-EU-Staaten zielen.

 "Mit diesen Beschlüssen werden wir dort tätig, wo wir überhaupt noch tätig werden können", sagt Müller. "Bei Immigranten aus der EU sind wir schliesslich an das Freizügigkeitsabkommen gebunden." Philipp Müller und mit ihm die Mehrheit der SPK vertreten die Ansicht, dass eine jährliche Immigration von 40 000 Menschen aus Nicht-EU-Staaten für die Schweiz nicht länger zu verkraften ist.

 Für Müllers FDP sind die Kommissionsentscheide auch ein parteitaktischer Erfolg: Die gutgeheissenen Vorschläge sind Bestandteil des (parteiintern nicht unumstrittenen) freisinnigen Migrationskonzepts. Es handelt sich im Einzelnen um folgende Bestimmungen:

 Abschaffung des Familienasyls: Die umstrittenste der drei Initiativen betrifft den Familiennachzug. Nur wer einen anerkannten Fluchtgrund geltend machen kann, soll künftig den Flüchtlingsstatus erhalten - nicht aber automatisch auch die Mitglieder seiner Familie. Rund die Hälfte aller Asyle werden heute laut Angaben der SPK aufgrund des Familienasyls gewährt. Dadurch würden nachgezogene Familienmitglieder gegenüber den anerkannten Flüchtlingen in unangebrachter Weise bevorzugt, fand eine knappe Mehrheit der Kommission: Mit 12 zu 11 Stimmen bei 2 Enthaltungen wurde der Initiative Folge gegeben.

 Niederlassungsbewilligung erst nach zehn Jahren: Für anerkannte Flüchtlinge soll es neu zehn statt wie bisher fünf Jahre dauern, bis sie Anspruch auf eine Niederlassungsbewilligung erhalten. Damit werde Rechtsgleichheit geschaffen, argumentiert die SPK: Drittstaaten-Ausländer, die als Arbeitskräfte statt als Asylsuchende in die Schweiz kämen, müssten für eine Niederlassungsbewilligung schon heute zehn Jahre warten. Die Initiative fand in der Kommission eine Ja-Mehrheit von 16 zu 9 Stimmen.

 Kein Familiennachzug bei Sozialhilfe:Wer Sozialhilfe bezieht oder keine geeignete Wohnung hat, soll das Recht auf Familiennachzug verlieren. Die SPK will diese Regelung, die für Jahresaufenthalter heute schon gilt, auf Personen mit einer Niederlassungsbewilligung ausweiten. Der entsprechende Beschluss wurde mit 17 zu 7 Stimmen gefällt.

 Im Weiteren hiess die Kommission mit 14 zu 10 Stimmen eine Ständeratsmotion gut, die vom Bundesrat Vorschläge verlangt, um die Zuwanderung zu bremsen.

 Gegen "fundamentale Rechte"

 Die Schweizerische Flüchtlingshilfe reagiert entrüstet auf die SPK-Beschlüsse: Die Abschaffung des Familienasyls und die verdoppelte Wartefrist für die Niederlassungsbewilligung kämen einem "Angriff auf fundamentale Flüchtlingsrechte" gleich. Initiant Philipp Müller überschreite damit "definitiv eine rote Linie". Trotz der eindringlichen Wortwahl ist aber eher nicht damit zu rechnen, dass juristische Mittel ergriffen werden. Die Initiativen, obwohl "politisch hoch problematisch", seien mit dem Völkerrecht vermutlich kompatibel, meint Flüchtlingshilfe-Sprecher Adrian Hauser.

 Die Flüchtlingshilfe setzt nun darauf, dass Müllers Vorstösse in der parlamentarischen Beratung scheitern oder abgeschwächt werden. Als Nächstes hat sich die Staatspolitische Kommission des Ständerats mit den Verschärfungen zu befassen.

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POLICE ZH
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NZZ 8.2.11

Zürcher Gemeinderat empört Polizisten

 Kritik an Kennzeichnung

 rsr. · "Polizisten werden zu Freiwild", meint der Verband Schweizerischer Polizeibeamter warnend. Damit reagiert er auf den knappen Entscheid des Zürcher Gemeinderats, Stadtpolizisten künftig im unfriedlichen Ordnungsdienst - also bei Demonstrationen und Krawallen - individuell zu kennzeichnen (NZZ 3. 2. 11). Laut einer Mitteilung vom Montag sieht der Verbandspräsident Heinz Buttauer darin "ein klares Misstrauensvotum" gegen die 1600 Zürcher Stadtpolizisten. Der Entscheid, der mit den Stimmen von SP, GP, AL und Teilen der GLP zustande gekommen war, nehme den Polizisten jeglichen Persönlichkeitsschutz. Die Einsatzkräfte seien bereits heute ohne Kennzeichnung intern jederzeit identifizierbar, wenn es zu Übergriffen kommt. Buttauer befürchtet Racheakte an Polizisten etwa über eine Art Pranger im Internet oder gar ungerechtfertigte Anschuldigungen.

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Landbote 8.2.11

Gegen Uniformnummern

 Peter Fritsche

 zürich. Ein Kennzeichen oder eine Nummer auf der Kampfmontur: Für eine Mehrheit des Zürcher Stadtparlaments wäre dies eine sinnvolle Massnahme, um in Fällen von möglicher Polizeigewalt besser ermitteln zu können. Die Polizei befürchtet, mit solch gekennzeichneten Uniformen noch stärker als bisher zur Zielscheibe von gewaltbereiten Demonstranten und Hooligans zu werden. Deshalb will der Berufsverband der Stadtpolizisten nun mit Lobbyarbeit versuchen, die Befürworter im Parlament zu einem Umdenken zu bewegen. Ihre Kollegen vom Schweizer Polizeibeamtenverband forderten derweil gestern den Zürcher Gemeinderat über eine Medienmitteilung dazu auf, den Entscheid zu überdenken und anlässlich der Fortsetzung der Debatte über die neue Polizeiverordnung zu korrigieren. (pfr) Seite 21

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"Freiwild" wegen Kennzeichen?

 Peter Fritsche  Peter Fritsche

 zürich. Ein Kennzeichen auf der Kampfmontur von Polizisten, um anonymen Übergriffen vorzubeugen: Das will eine Mehrheit des Zürcher Stadtparlaments. Die Polizei ist empört und versucht nun, mit Lobbyarbeit den Entscheid zu korrigieren.

 Es brodelt im Korps der Zürcher Stadtpolizei. Für die Polizisten kommt eine Kennzeichnung im "unfriedlichen Ordnungsdienst", also zum Beispiel bei 1.-Mai-Nachdemo-Einsätzen, nicht in Frage. "Die Sache ist noch nicht gegessen", sagt Martin Niederer vom Stadtzürcher Polizeibeamtenverband. Vor dem 2. März, wenn die neue Polizeiverordnung im Gemeinderat verabschiedet werden soll, wollen die Polizisten versuchen, die Befürworter unter den Parlamentariern durch Gespräche oder eine Aktion zu einem Umdenken zu bewegen. Niederer: "Wie wir das genau machen, ist noch nicht entschieden." Zumindest moralische Schützenhilfe erhalten die Zürcher Polizisten vom Schweizerischen Polizeibeamtenverband. Dieser forderte gestern in einer Medienmitteilung, der Gemeinderat müsse "dieses ungerechtfertigte Misstrauensvotum gegen die rund 1600 Stadtpolizistinnen und Stadtpolizisten korrigieren".

 Die politische Linke im Zürcher Stadtparlament hatte das Kennzeichen letzte Woche in der Debatte um die Polizeiverordnung gefordert und eine 63-zu-59-Mehrheit für das Anliegen gefunden. Und zwar sollen die Kampfmonturen nicht mit einem Namensschild, sondern mit einer Nummer versehen werden, die nach jedem Einsatz wechselt. Dieser Code soll es ermöglichen, nach gewalttätigen Übergriffen von Seiten der Polizei die uniformierten Täter einfacher zu ermitteln. "Es muss eine klare Zuordnung möglich sein", fordert der grüne Gemeinderat Balthasar Glättli. Zwar habe es seit Längerem keine schwerwiegenden Fälle von Polizeigewalt gegeben, aber: "Die Polizei hat das Gewaltmonopol. Sollte ein Polizist das missbrauchen, so liegt es im Interesse der Öffentlichkeit und auch der Polizei, dass der Fehlbare rasch gefunden wird", sagt Glättli.

 Das Polizeikorps sieht die Sache ganz anders. Es befürchtet, wegen des Kennzeichens noch stärker als bislang zur Zielscheibe gewalttätiger Demonstranten zu geraten. Der Mob könne sich etwa an einer 1.-Mai-Nachdemo gezielt auf einen Polizisten mit einer bestimmten Nummer einschiessen, sagt Niederer. Oder es sei theoretisch möglich, einen Polizisten im Nachhinein mit einer Flut ungerechtfertigter Anzeigen einzudecken. Für Heinz Buttauer vom Schweizer Polizistenverband ist Persönlichkeitsschutz für Polizisten bei Ausschreitungen elementar: "Krawallanten und Hooligans sehen uns von Vornherein als Gegner", sagt Buttauer. Das Kennzeichen mache Polizisten zu "Freiwild".

 Bern und Basel: Kein Problem

 Die Diskussion über die Kennzeichnung der Polizei ist nicht neu. Mehrfach wurde dies auch schon im Kantonsrat gefordert, allerdings stets erfolglos. Das heisst, müsste die Stadtpolizei die Beschriftung tatsächlich einführen, stünden bei gemeinsamen Einsätzen mit den Kollegen der Kantonspolizei codierte Polizisten neben anonymen Uniformierten. Nummern auf der Kampfmontur, das wurde auch schon in Winterthur verlangt und verworfen. Hingegen sind in Winterthur, Zürich und auch in vielen anderen Gemeinden Polizisten mit Bürgerkontakt, also zum Beispiel Quartierpolizisten, mit einem Namensschild unterwegs. Interessant ist ein Blick in die Stadt Basel und in den Kanton Bern: Seit mehreren Jahren tragen diese Polizeikorps bei Demoeinsätzen die in Zürich umstrittenen Kennzeichen. Es habe damit nie Probleme gegeben, sagte ein Sprecher des Stadtbasler Polizeibeamtenverbandes kürzlich dem "Tages-Anzeiger". "Keine negativen Erfahrungen", meldet auch die Berner Kantonspolizei auf Anfrage.

 Für Befürworter wie Balthasar Glättli ist dies natürlich ein starkes Argument für eine Uniformkennzeichnung. Das zeige, dass die Befürchtungen der Zürcher Stadtpolizei und des schweizerischen Berufsverbandes "schon sehr weit hergeholt sind", sagt Glättli. Die Praxis zeige, dass Polizisten nicht wie befürchtet zu Freiwild würden. "Indem die Codes nach jedem Einsatz wechseln, soll das ja verhindert werden", so der grüne Gemeinderat. Umgekehrt wäre es mit Code künftig nicht mehr möglich, dass sich Polizisten gegenseitig deckten.

 Marcel Bosonnet, ein Anwalt, der oft Mandanten in Zusammenhang mit möglicher Polizeigewalt vertritt, sagt: "Ein Kennzeichen wäre einfach enorm hilfreich für die Rekonstruktion des Tatgeschehens."

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Blick am Abend 7.2.11

"Wer schützt die Polizisten vor Verfolgung?"

 GEGENWEHR

 Der Polizeiverband ist gegen eine Nummerierung der Zürcher Stadtpolizisten.

 Der Verband Schweizerischer Polizeibeamter (VSPB) wehrt sich gegen die vom Gemeinderat beschlossene Beschriftung von Zürcher Stadtpolizisten in Kampfmontur (Blick am Abend berichtete). "Das nimmt den Polizisten jeglichen Persönlichkeitsschutz und macht sie zu Freiwild", so VSPB-Präsident Heinz Buttauer. Besonders, dass die Chaoten weiterhin vermummt bleiben, während Polizisten gekennzeichnet werden, stösst sauer auf. "Wer schützt die Polizisten vor gezielten Verfolgungen?", fragt Buttauer. Er ist zuversichtlich, dass der Gemeinderat den "unsäglichen" Entscheid noch korrigieren wird. as

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POLICE LU
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NLZ 8.2.11

Polizei braucht Anonymität, aber auch Verantwortlichkeit

 Ismail Osman zur Kennzeichnung von Polizisten

 Wenn Stadtzürcher Polizisten künftig bei Demonstrationen oder anderen Anlässen in Vollmontur im Einsatz stehen, sollen sie individuell durch einen Zahlen-/Buchstaben-Code gekennzeichnet sein. Dies beschloss das Stadtzürcher Parlament vergangene Woche - und löste damit heftige Diskussionen über Persönlichkeitsschutz und Haftbarkeit von Polizeibeamten aus. Die Kennzeichnung soll im Nachhinein die Identifizierung von fehlbaren Beamten ermöglichen.

 Unbestritten ist, dass die Identität von Polizisten nicht Allgemeingut ist. Damit sie ihrer Arbeit ohne Angst vor Vergeltungsaktionen nachgehen können, ist es essentiell, dass die Identität der Polizeibeamten nicht in die Öffentlichkeit getragen wird. Dass dem nicht so sein könnte, ist aber die Befürchtung der Zürcher Polizisten wie auch verschiedener Polizeiorganisationen. "Polizisten werden zu Freiwild!" schreibt etwa Heinz Buttauer, Präsident des Verbandes Schweizerischer Polizeibeamter in einer Stellungnahme. Das Recht auf Personenschutz gehe für die Beamten verloren. Die Beamten und deren Angehörige könnten fortan gezielt verfolgt werden - etwa via Internetpranger.

 Die praktische Anwendung solcher Kennzeichnungen nimmt diesen Befürchtungen allerdings den Wind aus den Segeln. Die Stadt Basel etwa führte ein solches Kennzeichnungssystem bereits 1997 ein - und bekundet heute keinerlei Probleme damit. Zwei Wochen nach jedem Einsatz wird die Nummernliste gelöscht. Auch die Berner Kantonspolizei verwendet dieses System bei Demonstrationseinsätzen.

 Was eine Kennzeichnung bringt, ist klar: mehr Haftbarkeit. Bei Kampfeinsätzen - wie etwa bei den 1.-Mai-Demonstrationen in Zürich - kommt es immer wieder zu handfesten Auseinandersetzungen. Und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit kommt es dabei zu Vorwürfen von polizeilichen Übergriffen. Einerseits ist es schwierig, diesen Vorwürfen konkret nachzugehen. Anderseits müssen sich Polizeibeamte immer wieder gegen ungerechtfertigte Anschuldigungen wehren. Die anonymisierte Kennzeichnung, die nur für den internen Gebrauch bestimmt ist, kann in beiden Fällen mehr Klarheit über strittige Sachverhalte bieten.

 Einige Gegner der neuen Verordnung sehen auch eine Ungleichbehandlung gegenüber vermummten Chaoten. Die Polizei auf die gleiche Stufe mit diesen zu stellen, ist allerdings völlig unsinnig. Während die einen unter dem Schutz der Anonymität Gewaltakte ausüben wollen, ist die Polizei dazu ermächtigt, bei Bedarf auch Gewalt anzuwenden.

 Dazu braucht es klare Regeln und Grenzen. Wer diese bricht, muss zur Verantwortung gezogen werden können. Gleichzeitig muss der Persönlichkeitsschutz von Polizeibeamten in der Öffentlichkeit tatsächlich zu jeder Zeit gewährleistet sein.

 ismail.osman@luzernerzeitung.ch

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presseportal.ch 8.2.11

Kanton Luzern regelt Videoüberwachung mit einem Gesetz

 Luzern (ots) - Der Luzerner Regierungsrat legt dem Kantonsrat einen Entwurf eines Gesetzes über die Videoüberwachung vor.

 Am 13. September 2010 entschied der Kantonsrat, die Videoüberwachung in einem Spezialerlass zu regeln und nicht wie von der Regierung geplant in das bestehende Datenschutzgesetzt zu integrieren. Die entsprechende Ergänzungsbotschaft (B 186) wird voraussichtlich in der Aprilsession dem Kantonsrat unterbreitet.

 Regierungsrat legt Kriterien fest Anders als in der ursprünglichen Botschaft vorgesehen, soll nun der Regierungsrat die Kriterien für die Anordnung von Videoüberwachungen festlegen. Gemäss diesen Kriterien ordnet das Justiz- und Sicherheitsdepartement sämtliche Videoüberwachungen an, die durch kantonale Organe, einschliesslich der Gerichtsbehörden, betrieben werden. In der ursprünglichen Botschaft war beabsichtigt, dass jedes Departement und die obersten Gerichte Videoüberwachungen anordnen können, die von den ihnen unterstellten Behörden betrieben werden sollen.

 Nach wie vor gilt der Grundsatz, Videoüberwachungen nur zurückhaltend einzusetzen. Dies geht neu aus der Bestimmung über den Gesetzeszweck hervor. Explizit hält die Botschaft überdies fest, dass insbesondere im Zusammenhang mit Gewalt bei Veranstaltungen Videoüberwachungsgeräte auch mobil eingesetzt werden können.

 In den Gemeinden ist weiterhin der Gemeinderat für die Anordnung von Videoüberwachungen zuständig, sofern die Gemeinden nicht andere Regelungen erlassen haben.

 ots Originaltext: Staatskanzlei Luzern Internet: www.presseportal.ch

 Kontakt: Staatskanzlei Luzern Tel.: +41/41/228'6000 E-Mail: information@lu.ch Internet: www.lu.ch

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NLZ 8.2.11

Kamera-Standorte müssen auf eine Liste

 Videokameras

Daniel Schriber

 Der Kantonsrat hat ein erstes Gesetz für die Videoüberwachung abgelehnt. Jetzt hat es die Regierung nachgebessert.

 "Es ist wichtig, dass für die Videoüberwachung eine gute und saubere Rechtsgrundlage besteht." Dies sagt die Luzerner Justiz- und Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli. Das Thema Videoüberwachung ist schon seit längerem umstritten - nun soll es gesetzlich geregelt werden. Bereits letztes Jahr wollte die Regierung die Videoüberwachung deshalb in das bestehende Datenschutzgesetz integrieren, um den Umgang mit Kameras im öffentlichen Raum klar zu regeln. Dieser Vorschlag wurde am 13. September 2010 jedoch vom Kantonsrat abgelehnt - das Parlament verlangte ein eigenes Gesetz. Der Entwurf dafür liegt nun vor.

 100 Tage gespeichert

 Das Gesetz der Videoüberwachung umfasst unter anderem folgende Kernpunkte:

 Aufbewahrungsdauer: Bilder müssen nach 100 Tagen gelöscht werden.

 Kamera-Standorte:Kameras müssen gekennzeichnet und auf einer Liste für jeden einsehbar sein. Für mobile Kameras gilt diese Regel jedoch nicht. Solche Anlagen müssen nicht speziell gekennzeichnet sein, sind jedoch auch in die öffentliche Liste aufzunehmen.

 Einsicht: Die Aufnahmen dürfen nur bei einem Tatverdacht ausgewertet und eingesehen werden. Andere Behörden als diejenigen, die die Geräte betreiben, erhalten nur in einem Straf-, Zivil- oder Verwaltungsverfahren Einsicht in die Aufnahmen.

 Die Regierung entscheidet

 Mit dem geplanten Gesetz reagiere die Regierung auf den heutigen Zeitgeist, sagt Justiz- und Sicherheitsdirektorin Yvonne Schärli. Gemäss dem neuen Gesetz und der geplanten Verordnung dazu ordnet das Justiz- und Sicherheitsdepartement künftig im Auftrag der Regierung sämtliche Videoüberwachungen an, die "durch kantonale Organe betrieben werden". In der ursprünglichen Botschaft war beabsichtigt, dass jedes Departement und die obersten Gerichte Videoüberwachungen anordnen können. Das Parlament entschied sich aber gegen diese Regelung.

 Mehr Kameras?

 Laut Yvonne Schärli gilt weiterhin der Grundsatz, "Kameras auch in Zukunft zurückhaltend einzusetzen". Sie glaubt nicht, dass künftig viel mehr Kameras eingesetzt werden. Die Massnahme soll insbesondere dort zum Zug kommen, wo andere Massnahmen wie ein besonderes Lichtkonzept oder andere baulichen Massnahmen nichts bringen würden. Eine weitere Voraussetzung für die Installation von Kameras sei laut Schärli, dass an dem betreffenden Ort schon Straftaten begangen wurden oder die Wahrscheinlichkeit da ist, dass Straftaten begangen werden könnten. Die genauen Kriterien werden in einer Verordnung festgehalten, die noch in Bearbeitung ist.

 Vorlage für Gemeinden

 Auf Zustimmung dürfte das geplante Gesetz bei den Luzerner Gemeinden stossen. Diese können sich in Zukunft eins zu eins auf das kantonale Gesetz beziehen. Grundsätzlich können die Gemeinden selbst über die Anordnung von Kameras entscheiden. Wenn sie wollen, können sie zum Schutz der Personendaten gar strengere Vorschriften erlassen. Eine Lockerung der Vorschriften auf Gemeindeebene ist indessen nicht möglich. Bereits heute sind etwa in Emmen, Reiden und der Stadt Luzern Kameras an öffentlichen Orten installiert. In Luzern werden beispielsweise der Bahnhofplatz und die Kapellbrücke überwacht.

 Der Luzerner Kantonsrat wird voraussichtlich im April über das nun neu vorgelegte Gesetz befinden.

 Daniel Schriber

 daniel.schriber@luzernerzeitung.ch

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Wilisauer Bote 8.2.11

Auch mobiler Einsatz möglich

 Kanton Luzern | Videoüberwachung wird gesetzlich geregelt

 Im Kanton Luzern wird die Videoüberwachung gesetzlich geregelt. Der Regierungsrat schafft dazu, wie vom Parlament verlangt, ein eigenes Gesetz.

 Ursprünglich wollte die Regierung die behördliche Videoüberwachung im Datenschutzgesetz regeln. Der Kantonsrat wollte davon aber nichts wissen und wies im letzten September eine entsprechende Vorlage an den Regierungsrat zurück.

 Die Videoüberwachung sei einfacher zu handhaben, wenn sie in einem eigenen Gesetz mit Zweckartikel geregelt sei, hatten damals die bürgerlichen Fraktionen argumentiert. Die Regierung stellte sich auf den Standpunkt, dass es bei der Videoüberwachung vor allem um den Schutz von Personendaten gehe. Zudem lohne sich für einige wenige Paragraphen ein eigenes Gesetz nicht.

 Das Videoüberwachungsgesetz umfasst sechs Paragraphen. Zuständig für die Anordnung der Videoüberwachung ist beim Kanton das Justizdepartement, in den Gemeinden der Gemeinderat. Gemäss der zurückgewiesenen Botschaft hätten jedes kantonale Departement und die obersten Gerichte Überwachungen anordnen können. Das Gesetz schreibt vor, dass Videoüberwachungen nur zurückhaltend eingesetzt werden sollen. Der mobile Einsatz von Kameras wird erlaubt, vor allem wenn es um Veranstaltungen geht, von denen Gewalt ausgehen könnten. Die Aufzeichnungen müssen, sofern sie nicht für ein Verfahren verwendet werden, spätestens nach hundert Tagen gelöscht werden. > Seite 3

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Videoüberwachung regeln

 Regierungsrat | Entwurf für ein neues Gesetz

 Der Luzerner Regierungsrat legt dem Kantonsrat einen Entwurf eines Gesetzes über die Videoüberwachung vor.

 Am 13. September 2010 entschied der Kantonsrat, die Videoüberwachung in einem Spezialerlass zu regeln und nicht, wie von der Regierung geplant, in das bestehende Datenschutzgesetzt zu integrieren. Die entsprechende Ergänzungsbotschaft wird voraussichtlich in der April-Session dem Kantonsrat unterbreitet, wie die Staatskanzlei gestern Montag mitteilte.

 Regierungsrat legt Kriterien fest

 Anders als in der ursprünglichen Botschaft vorgesehen, soll nun der Regierungsrat die Kriterien für die Anordnung von Videoüberwachungen festlegen. Gemäss diesen Kriterien ordnet das Justiz-und Sicherheitsdepartement sämtliche Videoüberwachungen an, die durch kantonale Organe, einschliesslich der Gerichtsbehörden, betrieben werden.

 In der ürsprunglichen Botschaft war beabsichtigt, dass jedes Departement und die obersten Gerichte Videoüberwachungen anordnen können, die von den ihnen unterstellten Behörden betrieben werden sollen. Nach wie vor gelte der Grundsatz, Videoüberwachungen nur zurückhaltend einzusetzen, schreibt der Regierungsrat. Dies geht neu aus der Bestimmung über den Gesetzeszweck hervor. Explizit hält die Botschaft überdies fest, dass insbesondere im Zusammenhang mit Gewalt bei Veranstaltungen Videoüberwachungsgeräte auch mobil eingesetzt werden können.

 Gemeinderat weiterhin zuständig

 In den Gemeinden ist weiterhin der Gemeinderat für die Anordnung von Videoüberwachungen zuständig, sofern die Gemeinden nicht andere Regelungen erlassen haben, wie es in der Botschaft des Regierungsrates heisst. sk/WB

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20 Minuten 8.2.11

Videoüberwachung wird neu geregelt

 LUZERN. Im Kanton Luzern wird die Videoüberwachung gesetzlich geregelt. Das von der Regierung ausgearbeitete neue Gesetz legt fest, dass Videoüberwachung auf öffentlichen Plätzen, bei Spitälern und an Schulen möglich sein soll. Auch bei Fussballspielen und Demonstrationen dürfen mobile Kameras eingesetzt werden. "Überwachungen sollen aber zurückhaltend angeordnet werden", sagt Regierungsrätin Yvonne Schärli vom zuständigen Justiz- und Sicherheitsdepartement. Welche Voraussetzungen erfüllt sein müssen, wird die Regierung in einer Verordnung regeln. Diese wird demnächst der Justiz- und Sicherheitskommission vorgelegt.

 Dort sorgen jetzt vor allem mobile Einsätze für Diskussionen. "Illegale Demonstrationen sollen auf jeden Fall gefilmt werden", sagt Kommissionsmitglied Guido Luternauer (SVP). Etwas zurückhaltender ist Esther Schönenberger (CVP): "Nur wenn es an Veranstaltungen wiederholt zu Vorkommnissen kommt, soll die Polizei überwachen dürfen."  BER

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Sonntag 6.2.11

150 Kondukteure angegriffen

 Bis in drei Jahren sollen alle Regionalzüge mit Videokameras ausgestattet werden

 Von Benjamin Weinmann  und Pirmin Kramer

 Die Gewalt gegen SBB-Kondukteure nimmt ab. "2010 wurden weniger als 150 Vorfälle registriert, während die Zahl der von den SBB beförderten Passagiere neuerlich angestiegen ist", sagt SBB-Sprecher Reto Kormann. 2009 war es 200-mal zu Übergriffen auf das Zugpersonal gekommen, ein Jahr zuvor 240-mal. Zu den Übergriffen zählen Drohungen und Belästigungen sowie auch Tätlichkeiten, bei denen Waffen eingesetzt werden. Solche Übergriffe gelten als Offizialdelikte und werden von Amts wegen verfolgt, sagt Kormann.

 Er erklärt die Abnahme der Übergriffe damit, dass die SBB-Transportpolizei ihre Einsatztaktik laufend anpasse. "Wir haben beispielsweise festgestellt, dass wir insbesondere am Samstag- und Sonntagmorgen den Frühzügen ein besonderes Augenmerk schenken müssen." Zudem habe sich die Doppelbegleitung durch Zugpersonal bewährt.

 "Wir sind erfreut, dass die Zahl gesunken ist", sagt Peter Moor von der Gewerkschaft des Verkehrspersonals (SEV). "Wir sehen darin auch einen Erfolg unserer Hartnäckigkeit, das Thema gemeinsam mit den SBB anzupacken." Besonders schwierig seien für Kondukteure aber nach wie vor Fahrten nach Sportanlässen oder Konzerten, bei denen Gruppen alkoholisierter Personen unterwegs seien. "Auch die unbefriedigende Situation mit den Nachtzuschlägen macht die Situation nicht leichter."

 Die SBB haben bereits diverse Massnahmen getroffen. Neben der Transportpolizei werden Fanbegleiter, Schülerbegleiter, Präventionsassistenten und Bahnhof-Paten eingesetzt. Immer häufiger werden Bahnhöfe und Züge zudem mit Videokameras überwacht. Ziel sei es, bis 2014 alle Regionalzüge mit Kameras auszustatten. Denn diese dienten nicht nur dem Schutz der Menschen, sondern auch dem "Objektschutz", so Kormann. Die SBB stellen fest, dass weniger Vandalismus stattfindet, wo die Kameras gut sichtbar sind. Zudem dienen die Videoaufnahmen der Beweissicherung bei Straftaten.

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BIG BROTHER SPORT
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L'Express / L'Impartial 8.2.11

SÉCURITÉ

Des autorités excédées d'endurer la violence gratuite des hooligans

 SANTI TEROL

 Engagé contre les violences générées, notamment, en périphérie des rencontres de Neuchâtel Xamax, Jean Studer n'entend plus supporter les débordements comme ceux de dimanche à Neuchâtel. Le Conseil d'Etat va se pencher sérieusement sur la problématique des ultras.

 Trop, c'est trop! Avec la venue des supporters sédunois, dimanche, pour "animer" la rencontre de football entre Neuchâtel Xamax et le FC Sion, le vase à une nouvelle fois débordé. Pour le conseiller d'Etat Jean Studer, la situation devient simplement intenable!

 "Cette violence commence à faire partie du paysage. Or, je dis que cela n'appartient pas à l'ordre des choses. Cela ne va plus, on ne peut plus l'accepter!", dénonce le chef de la Sécurité (DJSF), en évoquant la bataille de rue non loin de l'entrée des urgences de l'hôpital Pourtalès, à Neuchâtel, entre forces de l'ordre et ultras du FC Sion (notre édition d'hier).

 Le chef du DJSF ne veut pas prendre de décisions à l'emporte-pièce: il portera ce dossier devant le Conseil d'Etat. "Nous devons absolument discuter de la responsabilisation des clubs. Ce laisser-aller est insupportable", lâche-t-il, en se demandant ce qui pourrait bien se passer si les hockeyeurs de La Chaux-de-Fonds accédaient eux aussi à l'élite nationale... "Faudra-t-il imposer le huis clos ou interdire des rencontres...?"

 Spectateurs de l'échauffourée, visiteurs et patients de l'hôpital Pourtalès n'ont heureusement pas été incommodés par cette bataille. Mais il a manqué peu. "Nous avons trouvé des cailloux dans la cour de l'hôpital", relève Philippe Nicoud. Le responsable de la sécurité de l'Hôpital neuchâtelois félicite le boulot des policiers, qui n'ont pas tiré de gaz lacrymogènes si près des puits d'aération situés autour de l'établissement. "Ils savent les risques que cela peut entraîner pour des patients avec troubles respiratoires, par exemple. Par contre, les tirs de fumigènes des hooligans sédunois étaient complètement irresponsables. Heureusement, la fumée n'a pas pénétré dans l'hôpital." /STE

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 Pour les CFF, les coûts non couverts provoqués par les supporters se montent à trois millions de francs!

 Trois millions par an! C'est le montant net des dommages, frais de nettoyage et de mise en œuvre d'accompagnements spécifiques (agent de trains, police ferroviaire) induits par le transport de supporters. Ce montant entre dans la comptabilité générale des CFF; il est donc supporté par l'ensemble des utilisateurs du réseau ferroviaire. /ste

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 Magasins et vandales

 Quand bien même il leur arrive de minimiser la portée des saccages dans les magasins de gare, les gérants de ces commerces sont confrontés à un vrai problème: assurer la santé et la sécurité de leur personnel. Dimanche, les pauvres employés d'Aperto ont en fait l'expérience, qui se sont fait voler et détruire une quantité non négligeable de denrées, tandis que des dizaines de Sédunois faisaient le chahut aux deux caisses ouvertes. "Si rien n'est entrepris, nous pourrions intervenir auprès des employeurs", reconnaît le Service de surveillance et relations du travail (SSRT). Car la police avise les commerçants des dangers induits par les hordes de supporters ultras. La direction d'Aperto assure en avoir pris conscience depuis longtemps. "Nous avons temporairement fermé le magasin de Thoune dernièrement", relève Stéphane Ferrara. Le chef de vente d'Aperto assure qu'il en fera de même à Neuchâtel lors du prochain match à risques. /ste

 Sentiments de provocation inversée

 Sous les cris de "Xamax, Xamax, on t'enc...!", les quelque 800 supporters sédunois ont fait une apparition tonitruante en gare de Neuchâtel. Le reste de la journée allait être du même acabit. Certains se demandent si l'attitude de la Police neuchâteloise de rester volontairement en retrait, afin de ne pas provoquer, est la bonne tactique. D'aucuns suggèrent un cordon policier pour encadrer les supporters jusqu'au stade. D'autres proposent qu'on les fasse descendre à la Maladière par petits groupes. Un supporter xamaxien remarque, lui, qu'on "nous interdit d'aller à Sion en train. Nous sommes obligés d'y aller en cars, qui nous déposent à l'entrée du stade!" Cela ne résout pas tout, comme l'explique un spectateur neuchâtelois qui se trouvait, avec sa fille et sa nièce, bloqué au milieu des quelque 200 Sédunois devant l'entrée de la Maladière. Contrairement à ce que prétend le responsable d'AGS, société chargée de la sécurité dans la Maladière, "une seule porte était ouverte (réd: AGS assure avoir ouvert les deux portes). J'ai fait la queue de 15h10 jusqu'à 16h15. Pour moi, c'est de la provocation à l'envers, car tous les supporters sédunois ne sont pas des connards. Je me suis quand même fait gazer au poivre", déplore ce spectateur neutre, qui a conservé un drôle de goût dans la bouche durant tout le match. /ste

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20 Minutes 7.2.11

"Ces fans sont une bande de crétins des Alpes!"

 Neuchâtel. Des supporters sédunois ont semé le trouble en marge de la rencontre de foot entre Xamax et Sion.

 "Ces fans sont une bande de crétins des Alpes. Ils sont une honte pour le FC Sion!" A l'instar de nombreux Neuchâtelois, Michel a été abasourdi hier après-midi par le comportement de hooligans valaisans. Venus en train spécial depuis le Valais pour assister au derby du championnat de Super League, 700 à 800 fans n'ont pas brillé par leur fair-play.

 "Près du stade, ils ont bifurqué dans une rue en direction du bistrot "Gibraltar", stamm des supporters neuchâtelois. A proximité immédiate de l'hôpital de Pourtalès, le cortège a été stoppé par la police", explique le lieutenant-colonel Ivan Keller. Une poignée de fans valaisans a alors lancé des pierres et des bouteilles et tirés des engins pyrotechniques à l'horizontale en direction des forces de l'ordre. La police a répondu à ces jets par des balles en caoutchouc. Les Valaisans ont ensuite été repoussés vers l'entrée du stade réservée aux visiteurs où ils ont défoncé le dispositif de la sécurité privée du club...

 "A la suite de ces échauffourées près de l'hôpital, nous devons malheureusement déplorer deux blessés légers. Un jeune a dû subir des points de suture et une vieille dame heurtée par les Valaisans et qui a perdu connaissance", souligne Ivan Keller.

 L'officier précise que ces scènes de guérillas urbaines n'ont pas entraîné d'interpellations et ont causé quelques dégâts sur des véhicules stationnés.  

Grégoire Corthay

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WELTSOZIALFORUM
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NZZ 8.2.11

Lula kritisiert die Industrieländer

 Aufruf am Weltsozialforum in Dakar

 (sda) · Senegals Präsident Abdoulaye Wade hat am Montag im Rahmen des Weltsozialforums in Dakar den ehemaligen brasilianischen Präsidenten Luiz Inácio Lula da Silva empfangen. In seiner Ansprache versprach Wade den Teilnehmern Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. Unter tosendem Applaus mehrerer hundert Zuhörer verurteilte der ehemalige brasilianische Präsident in aller Schärfe die derzeitige Situation des Welthandels. Es könne nicht sein, dass eine kleine Gruppe reicher Länder das Sagen habe, meinte Lula. Die Weltbank diktiere den armen Ländern Wirtschaftsprogramme, die nichts brächten ausser Armut und Hunger. Der Kampf gegen den Hunger sei nur zu gewinnen, wenn das Modell der internationalen Zusammenarbeit radikal geändert werde.

 Das bedeutet gemäss Lula: weg von Neoliberalismus und Diktat der USA, hin zu einer "Integration aller Länder". Sowohl in Afrika als auch in Lateinamerika sei das Potenzial der Landwirtschaft riesig. Es müsse aber vor allem in Afrika noch weiter entwickelt werden. Dazu verdiene Afrika die Hilfe der Industrieländer. Die Entwicklung und die Demokratie müssten jedoch zuoberst auf der Agenda der afrikanischen Politik stehen, sagte Lula.

 Kommentar, Seite 21

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Globalisierung nutzen

 Das Weltsozialforum sollte ermutigen, nicht bremsen.

Von Martin Lanz

 Um das Buhlen um die mediale Aufmerksamkeit zu vermeiden, findet das als Gegenveranstaltung zum Davoser World Economic Forum (WEF) gedachte Weltsozialforum (WSF) dieses Jahr leicht verzögert statt. Gastgeberin ist Dakar, die Hauptstadt des westafrikanischen Staates Senegal. Das WSF nahm 2001 in der brasilianischen Stadt Porto Alegre seinen Anfang und kann dieses Jahr sein 10-Jahre-Jubiläum feiern. Erneut werden Zehntausende Aktivisten zusammenkommen, um für eine bessere Welt einzustehen. Aus der Schweiz nehmen über 50 Persönlichkeiten aus Politik, Gewerkschaften, NGO und den Medien am Treffen der globalisierungskritischen Bewegungen teil.

 Die Zivilgesellschaft feiert sich selber

 Das WSF sieht sich wie das Davoser WEF nicht als Ort der Entscheidungen, sondern der Debatten. Deshalb dürfte auch in Dakar die Hauptherausforderung für die Teilnehmer darin bestehen, zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um an den relevanten Erfahrungsaustauschen teilzuhaben. Denn worin die Weltverbesserung bestehen soll, ist wie gewöhnlich nicht so einfach ersichtlich. Nicht weniger als zwölf Themenachsen stehen auf dem Programm, wobei die entwicklungspolitische Relevanz zum Teil kaum erkennbar ist. Immerhin ging im Programm das Einstehen "für eine Welt frei von kapitalistischen Werten und Strukturen, patriarchaler Unterdrückung, von jeder Form von Herrschaft durch finanzielle Befugnisse der transnationalen Konzerne und ungleichen Handelssystemen, von kolonialer Herrschaft und Herrschaft durch Verschuldung" nicht vergessen.

 Solch diffuse Slogans werden wohl immer Anhänger finden. Die Realität der weltwirtschaftlichen Entwicklung droht allerdings der WSF-Bewegung immer mehr den Boden zu entziehen. Denn die jüngste, in unterschiedlichen Geschwindigkeiten verlaufende Erholung der Weltwirtschaft und die Verschiebung der Wirtschaftsmacht sind eigentlich Balsam für all jene, welchen der Wohlstand der Armen am Herzen liegt. Im Fahrwasser der grossen aufstrebenden Volkswirtschaften sorgt sogar das lange als verlorener Kontinent geltende Afrika zunehmend für positive Schlagzeilen. Selbst viele nicht ölexportierende Länder Afrikas weisen seit einigen Jahren Wachstumsraten von über 5% aus. Entsprechend steigt das Interesse an Afrika als Wirtschaftsstandort, wie eine Vielzahl von Publikationen von Banken und Konsulenten bezeugt.

 Handelschancen wahrnehmen

 Diese erfreuliche Entwicklung gründet in günstigen aussenwirtschaftlichen Bedingungen, Verbesserungen der politischen Verhältnisse und des makroökonomischen Managements. Beim ersten Faktor, der sich im zunehmenden Handel Afrikas mit Asien äussert, droht allerdings die Gefahr, dass WSF-Kreise die Entwicklung aufgrund einschlägiger kolonialer Erfahrungen und früherer Boom-Bust-Zyklen als nicht nachhaltig und bloss ausbeuterisch sehen. Statt Chancen werden vor allem Risiken beschworen, obwohl es durchaus Raum für den von den Chinesen oft bemühten "Win-win-Charakter" der Beziehungen zwischen Afrika und Asien gibt. Afrika braucht Absatzmärkte für sein Öl, Kobalt, Kupfer, Eisenerz, Mangan und Uran und im Gegenzug Finanzierung, Technologie und Infrastruktur. China bietet sich hierzu als symbiotischer Partner an und hat die Vereinigten Staaten als Afrikas wichtigsten Handelspartner abgelöst. Seit dem Jahrtausendwechsel bestehen die afrikanischen Importe aus China auch zunehmend aus höherwertigen Produkten wie Maschinen, Fahrzeugen, elektronischen und Telekommunikationsausrüstungen, wie man es sich aus entwicklungspolitischer Sicht wünscht.

 Was jahrzehntelange Entwicklungszusammenarbeit nicht fertiggebracht hat - den durch die Integration Afrikas in den Welthandel angestossenen Wachstumsschub -, geschieht nun sozusagen unverordnet und darf nicht von Gutmenschen gebremst werden. Die Globalisierung macht vor den ärmsten Ländern nicht halt, und Handel ist ein entscheidender Entwicklungsfaktor. Statt sich der Globalisierung zu verweigern, sollte die WSF-Bewegung besser mithelfen, deren Chancen aufzuzeigen und möglichst vielen Menschen den Zugang zu ihr zu ermöglichen. Das heisst auch, im gegenwärtigen Umfeld dafür einzustehen, dass die derzeit nachfragebedingt steigenden Nahrungsmittelpreise sich in einer Angebotsreaktion und verbesserten Einkommensmöglichkeiten der Landwirtschaft äussern können und nicht primär als schädlich für die armen Gesellschaften dargestellt werden.

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swissinfo.ch 7.2.11

Westafrika als Zentrum der Altermondialisten

swissinfo

 Nach Abschluss des Weltwirtschaftsforums in Davos sind die Globalisierungsgegner an der Reihe. Soeben hat das achte Weltsozialforum in Dakar (Senegal) begonnen. Dieses Jahr wird das Thema Migration eine besonders wichtige Rolle spielen.

 "Eine andere Welt ist möglich". Unter diesem Motto fand 2001 das erste Weltsozialforum (WSF) in Porto Alegre (Brasilien) statt. Die Globalisierungsgegner, die sich inzwischen Altermondialisten (Befürworter einer anderen Welt) nennen, suchten nach Auswegen aus der vorherrschend neoliberalen Ideologie.   Zehn Jahre nach dem ersten Weltsozialforum und nach einer globalen Wirtschafts- und Finanzkrise, welche die dunklen Seiten des weltumspannenden Kapitalismus entlarvte, ist das Motto des WSF aktueller denn je.   Seit Sonntag sind Tausende von Personen in Dakar zusammen gekommen, um ihre Meinungen auszutauschen und neue Ideen im Kampf für eine gerechtere Welt zu entwickeln.   "Das WSF stellt für uns eine wichtige Gelegenheit dar, Neues zu lernen und Erfahrungen mit Personen auszutauschen, die sich in der gleichen Situation wie wir befinden", sagt Mariam Sow, Leiterin einer Nichtregierungsorganisation (NGO) in Senegal. "Es ist für uns wichtig zu wissen, dass es auf der ganzen Welt Menschen gibt, die für eine bessere Welt kämpfen."  

 Eine Bewegung im Krebsgang?

 Das Weltsozialforum ist als Gegenveranstaltung zum WEF in Davos entstanden, wo sich alljährlich die Mächtigen und Wirtschaftsführer aus aller Welt treffen. Doch seit einigen Jahren wird das WSF in der Öffentlichkeit kaum mehr wahrgenommen.   Das schwache mediale Echo sowie die geringe Beteiligung aus Europa (zum letzten europäischen Sozialforum im Juli 2010 in Istanbul kamen gerade mal 3000 Personen) hat Stimmen laut werden lassen, wonach die Bewegung praktisch am Ende ist.   Und doch ist das Weltsozialforum, das dieses Jahr aus organisatorischen Gründen nicht zeitgleich zum WEF in Davos stattfindet, stets gewachsen. Gerade mal 20'000 Teilnehmende waren es beim ersten WSF. Vor zwei Jahren in Belém zählte man 130‘000 Teilnehmende. Die Zahl der Veranstaltungen und Workshops ist von 400 im Jahr 2001 auf über 2000 gestiegen.   "Die Dynamik des Forums hat nicht nachgelassen, aber teilweise andere Formen angenommen", meint der Soziologe Jean Rossiaud, Mitglied der Schweizer Delegation in Dakar und ein Kenner sozialer Bewegungen.   "Ein Teil der Argumente und Themen, die wir vor 10 Jahren gegen das WEF von Davos vorbrachten, wird heute direkt vom WEF aufgegriffen. Die Finanzkrise hat gezeigt, dass das System nicht wie bisher weiter gehen kann. Das sagen inzwischen sogar Leader wie Sarkozy und Obama. Unter ideologischen Gesichtspunkten haben wir in gewisser Weise gewonnen, weil sich unsere Themen durchgesetzt haben", betont Rossiaud.   Als Beispiel führt er etwa den Kampf gegen die Steuerparadiese an. Dieses Thema stehe heute bei vielen Ländern ganz oben auf der Agenda.

 Migranten als Spiegel der Gesellschaft

 Gemäss Rossiaud wächst die Bewegung der Altermondialisten global, weil bei jedem Forum andere Teile der Zivilgesellschaft einbezogen werden. "In Belém war es die Amazonas-Bevölkerung. Dieses Jahr werden es die Migranten sein. Dieses gesamthafte Wachstum hat eine stärkere Koordination der verschiedenen Bewegungen zur Folge."   Zum Auftakt des Forums   wird es in Dakar eine Weltversammlung der Migranten geben. Und dies in einem äusserst symbolischen Ort: Auf der Insel Gorée in der Bucht von Dakar. Von dort wurden einst die Sklaven nach Amerika verschifft.   "Migranten sind die Vorhut von Veränderungen. Um die heutigen Herausforderungen unseres Planeten meistern zu können, braucht es Personen, die zwischen verschiedenen Kulturen stehen. Und das sind die Migranten", betont der Genfer Soziologe.

 Wenn das Beispiel Tunesiens Schule macht

 Das Thema der Migration liegt auch der Schweizer Gewerkschaft Unia am Herzen. Sie wird in Dakar einen Workshop zu den Rechten von Migranten organisieren.   Andere Schweizer Organisationen bieten Veranstaltungen zu Zusammenarbeit und Entwicklung in Westafrika an, zur Doha-Runde und die Freihandelsabkommen sowie den fairen Handel.   Diese Themen ergänzen die "klassischen" Panels am Weltsozialforum wie die Auswirkungen der Finanzkrise auf die ärmsten Länder, die Neuorganisation der Weltwirtschaft, der Kampf gegen den Hunger in der Welt und den Klimawandel.   Genauso wie   beim WEF in Davos werden mit Sicherheit die aktuellen Entwicklungen in Tunesien sowie in Ägypten ihre Schatten - beziehungsweise ihr Licht - aufs WSF werfen.   "Nach den Ereignissen in Tunesien können weder der Internationale Währungsfonds noch die Weltbank ihre Augen vor bestimmten Realität verschliessen, nur weil dort Regierungen die Liberalisierung unterstützen", meint Ibrahime Sène, Leader einer senegalesischen Oppositionsbewegung.   Häufig handele es sich um dieselben Regierungen, die das wenige Wachstum, das erwirtschaftet werde, in die eigenen Taschen steckten.Sène gibt eine Warnung aus: "Bereitet Euch darauf vor, dass sich die Ereignisse von Tunesien auch in Westafrika wiederholen können."

 Daniele Mariani,swissinfo.chDakar(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)

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Weltsozialforum eröffnet: 45'000 in Dakar

halp

 Globalisierungskritik kann lautstark, bunt und friedlich sein: Am Sonntag haben zehntausende Menschen aus der ganzen Welt mit einem Marsch durch Dakar das Weltsozialforum eröffnet. Boliviens Präsident Evo Morales rief zum Widerstand gegen den Neoliberalismus auf. Unter den Schweizer Teilnehmern sind auch Nationalräte.

 "Wenn sich die Zivilgesellschaft auf allen Kontinenten organisiert, ist sie fähig, die Welt zu verändern", rief Morales auf dem Campus der Universität Cheikh Anta Diop der jubelnden Menge zu.

 Lösungen für das Klimaproblem

 Rund 45'000 Menschen waren vom Stadtzentrum der senegalesischen Hauptstadt auf den Campus geströmt, wie Taoufik Ben Abdallah, Koordinator des Afrikaforums und Mitorganisator des Weltsozialforums, sagte.

 Evo Morales zeigte sich überzeugt von der politischen Sprengkraft des Weltsozialforums (WSF). Er denke dabei nicht nur an soziale, sondern auch an Umweltprobleme. "Es gibt keinen besseren Ort als das WSF, um Lösungen des Klimaproblems aufzuzeigen", sagte der Südamerikaner. Davon könne auch der nächste Klimagipfel in Durban profitieren.

 123 Länder vertreten

 "Diese Woche werden wir sagen, was wir von der Welt denken", sagte der Tunesier Ben Abdallah in seiner Ansprache. "Wir", das bedeutet am diesjährigen WSF Teilnehmer aus 123 Ländern, davon 45 afrikanische Nationen. Über 1200 Organisationen werden bis am 11. Februar rund 1000 Veranstaltungen organisieren.

 Die starke Präsenz Afrikas war bereits am Eröffnungsumzug sichtbar. Während am ersten WSF 2001 in Porto Alegre in Brasilien bloss 30 Afrikaner teilgenommen hatten, machten am Sonntag tausende Menschen in traditionellen, bunten Gewändern aus Mauretanien, Mali, Marokko oder der Elfenbeinküste auf ihre Forderungen aufmerksam.

 "Gerechten sozialen Wandel"

 Die Menschen tanzten, sangen und riefen Parolen für eine gerechtere Welt. So ausgelassen die Stimmung an dem Marsch war, so ernst sind die Anliegen der Teilnehmer: "Nein zum Missbrauch unserer Kinder", forderte eine senegalesische Jugendgruppe. "Unser Ackerland ist unser Leben" stand auf den Transparenten vieler afrikanischer Vertreter.

 Eine Delegation aus Bangladesch forderte "einen gerechteren sozialen Wandel" und marokkanische Gewerkschafter machten sich gegen die Massenarbeitslosigkeit in ihrem Land stark.

 Schweizer gemeinsam mit Senegalesinnen

 Unter die Menschenmenge mischte sich auch die 55-köpfige Schweizer Delegation. Einige spannten kurzerhand mit einer senegalesischen Frauengruppe zusammen und skandierten den Slogan "Sans-Papiers sans terre - nous les femmes, on veut de la terre".

 Auch Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen Partei Schweiz, marschierte in Dakar mit den Leuten. "Die Verbundenheit der Menschen ist einfach beeindruckend", sagte der Nationalrat (GE). "Ich spüre hier die Kraft der Menschen", zeigte sich die SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen (BE) beeindruckt. "Hier treffen sich die Menschen, in Davos trifft sich das Kapital", sagte sie.

 Afrika-Tag zu Beginn

 Heute Montag beginnt das eigentliche Programm des WSF mit einem Afrika-Tag. Themen wie Migration, Frauen, Klima- und Ernährungskrise, Unterentwicklung, kleinbäuerliche Landwirtschaft, Gesundheit oder soziale Sicherheit werden an diesem Tag in hunderten Workshops und Treffen diskutiert. "Afrika soll während diesen Tagen sichtbar sein", sagte der senegalesische Bauernführer Mamadou Dissoko.

 Die Menschen erhofften sich Diskussionen und Erfahrungsaustausch. "Um die Lösungen für unsere Probleme muss sich Afrika selber kümmern", hielt Dissoko fest.

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nzz.ch 6.2.11

Weltsozialforum in Senegal eröffnet

 Globalisierungskritiker treffen sich in Dakar für eine gerechtere Welt

 Globalisierungskritik kann lautstark, bunt und friedlich sein: Am Sonntag haben zehntausende Menschen aus der ganzen Welt mit einem Marsch durch Dakar das Weltsozialforum eröffnet. Boliviens Präsident Evo Morales rief zum Widerstand gegen den Neoliberalismus auf.

 "Wenn sich die Zivilgesellschaft auf allen Kontinenten organisiert, ist sie fähig, die Welt zu verändern", rief Morales auf dem Campus der Universität Cheikh Anta Diop der jubelnden Menge zu. Rund 45'000 Menschen waren vom Stadtzentrum der senegalesischen Hauptstadt auf den Campus geströmt, wie Taoufik Ben Abdallah, Koordinator des Afrikaforums und Mitorganisator des Weltsozialforums, der Nachrichtenagentur SDA sagte.

 Evo Morales zeigte sich überzeugt von der politischen Sprengkraft des Weltsozialforums (WSF). Er denke dabei nicht nur an soziale, sondern auch an Umweltprobleme. "Es gibt keinen besseren Ort als das WSF, um Lösungen des Klimaproblems aufzuzeigen", sagte der Südamerikaner. Davon könne auch der nächste Klimagipfel in Durban profitieren.

 123 Länder vertreten

 "Diese Woche werden wir sagen, was wir von der Welt denken", sagte der Tunesier Ben Abdallah in seiner Ansprache. "Wir", das bedeutet am diesjährigen WSF Teilnehmer aus 123 Ländern, davon 45 afrikanische Nationen. Über 1200 Organisationen werden bis am 11. Februar rund 1000 Veranstaltungen organisieren.

 Die starke Präsenz Afrikas war bereits am Eröffnungsumzug sichtbar. Während am ersten WSF 2001 in Porto Alegre in Brasilien bloss 30 Afrikaner teilgenommen hatten, machten am Sonntag tausende Menschen in traditionellen, bunten Gewändern aus Mauretanien, Mali, Marokko oder der Elfenbeinküste auf ihre Forderungen aufmerksam. Die Menschen tanzten, sangen und riefen Parolen für eine gerechtere Welt.

 So ausgelassen die Stimmung an dem Marsch war, so ernst sind die Anliegen der Teilnehmer: "Nein zum Missbrauch unserer Kinder", forderte eine senegalesische Jugendgruppe. "Unser Ackerland ist unser Leben" stand auf den Transparenten vieler afrikanischer Vertreter. Eine Delegation aus Bangladesch forderte "einen gerechteren sozialen Wandel" und marokkanische Gewerkschafter machten sich gegen die Massenarbeitslosigkeit in ihrem Land stark.

 Schweizer gemeinsam mit Senegalesinnen

 Unter die Menschenmenge mischte sich auch die 55-köpfige Schweizer Delegation. Einige spannten kurzerhand mit einer senegalesischen Frauengruppe zusammen und skandierten den Slogan "Sans-Papiers sans terre - nous les femmes, on veut de la terre".

 Auch Ueli Leuenberger, der Präsident der Grünen Partei Schweiz, marschierte in Dakar mit den Leuten. "Die Verbundenheit der Menschen ist einfach beeindruckend", sagte der Nationalrat der SDA.

 "Ich spüre hier die Kraft der Menschen", zeigte sich die SP-Nationalrätin Margret Kiener Nellen beeindruckt. "Hier treffen sich die Menschen, in Davos trifft sich das Kapital", sagte sie.

 Afrika-Tag zu Beginn

 Am Montag beginnt das eigentliche Programm des WSF mit einem Afrika-Tag. Themen wie Migration, Frauen, Klima- und Ernährungskrise, Unterentwicklung, kleinbäuerliche Landwirtschaft, Gesundheit oder soziale Sicherheit werden an diesem Tag in hunderten Workshops und Treffen diskutiert.

 "Afrika soll während diesen Tagen sichtbar sein", sagte der senegalesische Bauernführer Mamadou Dissoko der SDA. Die Menschen erhofften sich Diskussionen und Erfahrungsaustausch. "Um die Lösungen für unsere Probleme muss sich Afrika selber kümmern", hielt Dissoko fest.

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GEPFEFFERT
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Spiegel 7.2.11

Reizstoff

 Ortstermin: Ein schwäbischer Unternehmer profitiert von der Nachfrage nach Pfefferspray

Scheuermann, Christoph

 Ortstermin: Wie ein schwäbischer Pfefferspray-Hersteller vom weltweiten Wutbürgertum profitiert

 Hoernecke, der Tränenmacher, lässt sich auf einen Stuhl in seinem Besprechungszimmer sinken. Er ist 54 und seit knapp 30 Jahren im Reizstoffgeschäft tätig, ein Mann mit rosigen Wangen und einem Schnauzbart, unter dem sein Besitzer auch dann hervorschmunzelt, wenn es um Schmerzen geht.

 Der Kaktus hat Stacheln, die Brennnessel hat Nesseln, sagt Hoernecke. Der Mensch hat leider nichts. Er muss sich seine Nesseln woanders besorgen.

 Thomas Hoernecke macht zweieinhalb Millionen Euro Umsatz im Jahr mit Pfefferspray. Wer das Pech hat, von einem seiner Geräte angesprüht zu werden, reagiert binnen Sekunden mit triefenden Augen, entzündeten Schleimhäuten, Atemnot, kurzzeitigem Erblinden, manchmal mit vorübergehenden Sprechproblemen und Krämpfen im Oberkörper. Ein Gefühl zwischen Fausthieb und Streifschuss.

 Hoernecke liefert die Sprühflaschen aus einer schwäbischen Kleinstadt nördlich von Stuttgart an Privatleute, vor allem aber an die Polizei, die dabei hilft, das Recht durchzusetzen, zum Beispiel am Stuttgarter Hauptbahnhof oder beim Castor-Transport in Gorleben oder bei Autonomen-Demonstrationen.

 Es läuft ganz gut für Hoernecke. In den vergangenen Monaten war viel zu tun. Er sagt, die Nachfrage steige kontinuierlich. Polizeidienststellen fast aller Bundesländer bestellen bei ihm. Nach Gorleben brauchte auch die Bundespolizei 2190 neue Sprühflaschen. Thomas Hoernecke profitiert von der neuen deutschen Lust am zivilen Ungehorsam.

 Er streicht mit der Hand über ein Blatt Papier, eine Mitteilung des Deutschen Bundestags. Der Innenausschuss beschäftigte sich vor kurzem mit Pfefferspray im Polizeieinsatz. Es hieß, es habe Tote gegeben. Die Bundesregierung musste Stellung nehmen. Hoernecke fühlt sich nicht wohl bei solchen Diskussionen, er sagt, er wolle die größtmögliche Wirkung mit der geringstmöglichen Konzentration an Reizstoff erzielen. Er halte sich an das Chemikaliengesetz und verarbeite Chiliextrakt in Lebensmittelqualität. Wer masochistisch genug ist, kann bei ihm Capsaicin probieren, als flüssigen Chiliextrakt.

 Hoernecke verlässt das Besprechungszimmer und kommt mit einem kleinen grauen Koffer zurück, in dem vier Flaschen liegen. In einer Flasche schwappt eine rostbraune Flüssigkeit. Der Chiliextrakt. Ein halbes Tröpfchen auf der Zunge fühlt sich an, als hätte man an einem glühenden Eisen geleckt. Hoernecke lehnt sich zurück und sagt, nach ein paar Stunden sei das Brennen vorüber.

 Der Schmerz entstehe im Gehirn, also dort, wo auch die Wut auf die Politik heranwächst und in Protesten gegen Bahnhöfe und Atomtransporte und Häuserräumungen mündet. Schmerz und Wut sind ungute Gefühle und eher nicht so angenehm, wobei die Wut gewöhnlich tiefer sitzt und anders als das höllische Brennen eines Pfefferstrahls nicht nach einigen Stunden wieder abklingt.

 Die Firma Hoernecke mischte zunächst Kräuter und verkaufte Badezusätze. In den Sechzigern entdeckte der Vater von Thomas Hoernecke die Sprühdose, sie kam aus den USA. Thomas Hoernecke sagt: "Die Sprühdose ist das Produkt mit der geringsten Hemmschwelle." Sie hat ein positives Image. Sie ist handtaschentauglich. Anfangs versuchte sein Vater, Salbe gegen Hautkrankheiten in die Dosen zu pressen, entdeckte aber bald die Vorteile einer konzentrierten Ladung Chilisaft. Der erste Großauftrag kam von der Bundespost, die Briefträgern Pfefferspray zum Schutz vor Hunden mitgab.

 Der Siegeszug des Pfeffersprays ist auch mit dem deutschen Drang zu erklären, eine einmal bewährte Waffe noch weiter zu perfektionieren. Hoernecke hat sie so konstruiert, dass der Sprühstoß nur nach vorn losgeht und nicht nach hinten, hat Wand- und Fahrzeughalter entwickelt, Weitstrahlventile eingebaut, Gürtelclips und LED-Lämpchen, und verkauft Schlagstöcke, die Pfefferspray ausstoßen können, für die doppelte Ladung Schmerz. Die Kartuschen, die er an die Polizei liefert, sind immer größer geworden, für länge-re Einsätze gegen mehr Menschen, beim G-8-Gipfel in Heiligendamm oder beim Kampf gegen Hausbesetzer in Berlin. Seit kurzem beliefert Hoernecke auch die Feldjäger der Bundeswehr.

 Er wuchtet seinen Körper aus dem Sessel und tritt an eine Weltkarte, die in einem Holzrahmen an der Wand hängt, Maßstab eins zu zwanzig Millionen, und mit roten, gelben, grünen und schwarzen Fähnchen gespickt ist. Eine Weltkarte des Ungehorsams. Südafrika ist markiert, Saudi-Arabien, Indien, China, Indonesien, die Türkei, alles Länder, die Hoernecke schon beliefert hat oder gern beliefern würde.

 Er baut zwar keine Landminen, er befüllt Metallkartuschen mit Reizstoff, trotzdem braucht er für jede Fuhre über die Grenzen der Europäischen Union hinweg eine Genehmigung der deutschen Behörden. Pfefferspray fällt unter die Anti-Folter-Verordnung der EU, genau wie Fesselungsbretter, Elektroschocker oder Daumenschellen. Hoernecke beäugt die Weltkarte genauer. Als ihm auffällt, dass sie nicht mehr ganz aktuell ist, zieht er behutsam mit Daumen und Zeigefinger ein grünes Fähnchen aus Moskau heraus.

 Aus seinem Büro in Nordschwaben behält Hoernecke auch den wachsenden Weltmarkt im Blick. Momentan fasziniert ihn der arabische Raum. Ägypten, Tunesien, Jordanien, der Jemen. Wütende Bürger, überall. Kaufmännisch hochinteressant, sagt Hoernecke. Das Bundesamt für Wirtschaft und Ausfuhrkontrolle ist aber vorsichtig. Hoernecke seufzt. Gibt sowieso wieder keine Ausfuhrgenehmigung.

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ANTI-ATOM
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Oltner Tagblatt 8.2.11

Niederamt

 Beschwerde gegen den Einwendungsbericht

 Obergösgen. Gemeinderat fordert Aufnahme der Ergebnisse der sozioökonomischen Studie in den Richtplan

Von Corin Klingenstein

 Der Obergösger Gemeinderat hat sich intensiv mit dem Einwendungsbericht zum Richtplan für ein neues Kernkraftwerk im Niederamt (KKN) auseinandergesetzt. Die Anliegen, die seinerzeit bei der Auflagefrist vom 7. Juni bis 7. Juli 2010 geltend gemacht worden waren, sind leider nur zum Teil in den Bericht eingeflossen. Daher reichte der Gemeinderat Beschwerde gegen den Einwendungsbericht zur Anpassung des kantonalen Richtplans "Neues Kernkraftwerk Niederamt" (KKN) ein.

 Studienergebnisse berücksichtigen

 Er fordert, dass die Ergebnisse der Sozioökonomischen Studie in den Richtplan aufgenommen werden. Diese Studie ist sehr umfangreich, und es wurde viel Zeit und Geld aufgewendet, nicht zuletzt auch seitens des Kantons, um Erkenntnisse in Bezug auf die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Auswirkungen eines zweiten KKW zu erhalten. Die Antwort des Bau- und Justizdepartements (BJD), wonach die Ergebnisse der Studie nicht Gegenstand der Richtplananpassung sein sollen, ist aus Sicht des Gemeinderates nicht nachvollziehbar.

 Auch finden sich im Einwendungsbericht diesbezüglich bedeutende Widersprüche in der Aussage. So werden im Zusammenhang mit dem Richtplanverfahren neben den raumplanerischen insbesondere auch immer wieder die sozioökonomischen Anliegen erwähnt. Ohne die Ergebnisse der Studie ist eine Interessenabwägung in den Bereichen Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt in der Region nicht möglich. Die Sozioökonomische Studie, die von der Gemeindepräsidentenkonferenz Niederamt (GPN) in Auftrag gegeben worden war (wir berichteten), kann heruntergeladen werden unter www.niedergoesgen.ch oder unter www.ruetter.ch/cs/ aktuell/news.html.

 Parallelbetrieb KKG und KKN

 Mit der Antwort des BJD, dass nach dem Rückbau des Kernkraftwerks Gösgen (KKG) dieser Standort nicht für ein neues KKW zur Verfügung stehe, weil dazu ein neues Verfahren eingeleitet werden müsste, ist ein Teil der Einwendung beantwortet. Hingegen befürchtet der Gemeinderat, dass mit der Aussage: "Der Doppelbetrieb des KKG und KKN dauert so lange, wie die sicherheitstechnischen Anforderungen an das KKG gewährt sind", einen Parallelbetrieb über Jahrzehnte.

 Ein allfälliger Parallelbetrieb bis zur Abschaltung des KKG ist für den Obergösger Gemeinderat jedoch nur während einer kurzen Übergangsfrist annehmbar, und daher verlangt er, dass der Rückbau des KKG sowie der Neubau des KKN auf der Zeitachse so koordiniert und verbindlich festgelegt werden, dass ein Parallelbetrieb auf ein absolutes Minimum beschränkt und nach Möglichkeit ausgeschlossen wird.

 Stromtransport und Leitungen

 Es ist eine logische Konsequenz, dass an einem Ort, wo mehr Energie erzeugt wird, auch dieselbe Mehrenergie abgeführt werden muss. Im Fall eines Neubaus KKN müsste das bestehende elektrische Übertragungsleitungsnetz ausgebaut werden, um die Mehrkapazität aufnehmen und transportieren zu können. Ein Parallelbetrieb KKG/KKN würde die Anforderungen entsprechend erhöhen. Nach Ansicht des Gemeinderates besteht daher eine Kausalität zwischen der Energiequelle und der Kapazität des elektrischen Übertragungsleitungsnetzes, was die Behandlung als integrierender Bestandteil in der Richtplananpassung rechtfertigt.

 Im Nordosten quert eine 220-kV-Leitung Obergösgen. Die Richtplananpassung sieht eine Netzverstärkungsmassnahme vor, indem die bestehende Leitung mit 380 kV betrieben wird, um den zusätzlichen Energieabfluss zu gewährleisten. Durch die höheren Emissionswerte würde das betroffene Wohnquartier zusätzlich belastet. Daher wird verlangt, auch wenn die Zuständigkeit für Hochspannungsleitungen beim Bund liegt, dass der Kanton die Interessen der Niederämter Bevölkerung beim Bundesamt für Energie BFE vertritt, indem er sich beim Ausbau der bestehenden oder beim Bau von neuen elektrischen Übertragungsleitungsnetzen für eine Realisierung ausserhalb von Wohngebieten im Boden einsetzt.

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 Verkehrsaufkommen: Gemeinden benennen

 Im Einwendungsbericht wird erwähnt, dass ein Verkehrskonzept erarbeitet wird und die betroffenen Gemeinden in die Ausarbeitung miteinbezogen werden. Der Gemeinderat verlangt eine Präzisierung durch die Nennung der betroffenen Gemeinden. (ckl)

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 KKN Namensgebung versus Image-Aufwertung der Region

 Hinlänglich ist bekannt und erwiesen, dass die Gemeinden mit der Bezeichnung "... gösgen" im Ortsnamen durch das KKG einen Imageverlust hinnehmen müssen. Die Niederämter Gemeinden bemühen sich in einem Regionalen Entwicklungskonzept (REK) um eine Aufwertung der Region und um die Identifikation der Bevölkerung mit dem Niederamt.

 Es ist nicht nachvollziehbar, wie im Licht dieser Bemühungen die Trägerschaft ein allfälliges neues Kernkraftwerk Niederamt nennen kann und damit die Anstrengungen der Region untergräbt. Der Gemeinderat fordert, dass der Name eines gegebenenfalls neuen Kernkraftwerks im Niederamt, gerade im Hinblick auf die regionale Entwicklung, keinen Bezug zu den betroffenen räumlichen Gegebenheiten wie Gemeinde-, Gewässer-, Flur- oder Gebietsnamen haben darf. (ckl)

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20 Minuten 7.2.11

AKW-Gegner: Aktiv an allen Fronten

 BERN. Eine Woche vor dem Entscheid für oder gegen ein neues AKW Mühleberg gaben die Atom-Gegner noch einmal so richtig Gas. Am Samstagnachmittag etwa trafen sich rund 30 Personen in der Stadt, um gemeinsam mit Passanten "Atommüll" zu entsorgen. Diesen gab es in Form von Brennstäben (Malkreide), der durch Zeichnen auf dem Asphalt zum Verschwinden gebracht werden sollte.

 Das Jugendkomitee gegen Mühleberg kämpft derweil in der virtuellen Welt und setzt auf Facebook-Kampagnen und YouTube-Clips - wie auch diverse Bands, unter ihnen die Berner Rabiatisten.

 Doch auch neue Stimmen haben sich kurz vor der Abstimmung noch zu Wort gemeldet: So gründeten 40 Berner Ärzte ein Komitee gegen Mühleberg II. In Berner Tageszeitungen vom letzten Samstag wehrten sich zudem Mühleberg-Anwohner mit einem Anti-AKW-Inserat gegen das Projekt.  NJ

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Langenthaler Tagblatt 7.2.11

Mühleberg II Ärzte und Anwohner warnen

 Knapp 40 Berner Ärztinnen und Ärzte haben ein Komitee gegen ein neues AKW in Mühleberg gegründet. Sogar im störungsfreien Betrieb schädige ein Atomkraftwerk die Gesundheit der Menschen, wird die Nein-Parole begründet. Dazu komme das Risiko eines Atomunfalls. Zwar erfüllten Schweizer AKW die höchsten Sicherheitsstandards. Doch der Umgang mit bestehenden Mängeln lasse an der vermeintlichen Sicherheit zweifeln. Auch Anwohnerinnen und Anwohner des AKW Mühleberg kämpfen für ein Nein am 13. Februar. Über 100 Personen aus der Gegend ums AKW haben ein Inserat unterzeichnet, das am Samstag erschien. Die Enthüllungen im Vorfeld der Abstimmung hätten das Fass zum Überlaufen gebracht, heisst es in einem Communiqué. (sda)

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St. Galler Tagblatt 7.2.11

Abstimmung strahlt national aus

 Am 13. Februar stimmen die Bernerinnen und Berner über ein neues AKW in Mühleberg ab. Rechtlich ist der Entscheid nicht bindend, aber politisch ist er wenige Jahre vor der nationalen AKW-Abstimmung schweizweit bedeutend.

 Barbara Spycher

 bern. Wenn am 13. Februar die Berner Stimmzettel ausgezählt werden, dann schaut die ganze Schweiz hin. Denn die knapp eine Million Einwohnerinnen und Einwohner des zweitgrössten Kantons stimmen darüber ab, ob sie im bernischen Mühleberg ein neues AKW befürworten oder ablehnen. Mühleberg II wäre viermal leistungsfähiger als der bestehende bald 40jährige Reaktor, der zwölf Kilometer westlich der Stadt Bern steht und in voraussichtlich zehn Jahren vom Netz gehen soll.

 Ein Stimmungstest

 Der Berner Urnengang ist der erste und letzte Stimmungstest, bevor voraussichtlich 2013 oder 2014 die Stimmbürger der ganzen Schweiz darüber entscheiden, ob zwei neue AKW gebaut werden. Die Betreiber von Beznau (AG), Gösgen (SO) und Mühleberg (BE) konnten sich noch nicht auf zwei Standorte einigen, haben aber ihre Gesuche um Rahmenbewilligungen für neue Atommeiler eingereicht. Nun folgen Stellungnahmen der Standortkantone, dann die Entscheide von Bundesrat und Parlament, und schliesslich wird das Volk in einer Referendumsabstimmung über die Schweizer Energiezukunft bestimmen.

 Bedeutend für Standort

 Die Bernerinnen und Berner werden schon jetzt an die Urne gerufen, weil Regierung und Parlament die Stellungnahme des Standortkantons Bern zu Mühleberg II dem Volk unterbreiten wollten. Die rot-grüne Regierung ist gegen ein neues AKW, das bürgerlich dominierte Parlament dafür. Die anderen Standortkantone befragen das Volk nicht. Allerdings hat jüngst eine Studie bei Gemeinden um Gösgen gezeigt, dass es unter den Anwohnern mehr Gegner denn Befürworter gibt. In Bern ist die Standortgemeinde Mühleberg atomfreundlich eingestellt, die Stadt Bern atomkritisch, der Gesamtkanton aber stimmte in früheren Atomvorlagen meistens wie der Schweizer Durchschnitt, meist gar noch ein wenig atomfreundlicher.

 Emotionale Abstimmung

 Die jetzige Abstimmung ist bloss eine Konsultativabstimmung. Sollten die Berner ein neues AKW ablehnen, dürften die Chancen für einen Neubau auf Berner Boden aber markant sinken, auch wenn der Energiekonzern BKW als Betreiber betont, sein Gesuch selbst dann nicht zurückziehen zu wollen. Doch dann hätten Gösgen und Beznau die deutlich besseren Karten.

 Im Berner Abstimmungskampf werden sämtliche Register gezogen, und die Emotionen gehen hoch. Diese Woche publizierten die AKW-Befürworter Inserate mit einem Zitat von alt Bundesrat Moritz Leuenberger vom Oktober, in dem er die AKW-befürwortende Haltung des Bundesrats darlegte. Damit wird suggeriert, das sei die persönliche Meinung des SP-Mannes - was Leuenberger gar nicht gefiel. Viel kritisiert wurde auch der Rückzieher der BKW beim "grünen Strom", den der Energiekonzern wenige Wochen vor dem Urnengang ankündigte: Wegen des zunehmenden Widerstands gegen Windparks und Kleinwasserkraftwerke sei es unmöglich, bei den erneuerbaren Energien die Ziele des Bundes zu erreichen. Die BKW werde ihre Ausbauprojekte in der Schweiz bis ins Jahr 2030 um 40 Prozent reduzieren. Die implizite Botschaft "ohne AKW geht es nicht" wirkte etwas gar durchsichtig. Doch auch die rot-grüne Berner Regierung musste Schelte einstecken: An einer Medienkonferenz hatte sie vor der Abstimmung erneut dargelegt, wieso sie sich gegen Mühleberg II ausspricht. Das war den Bürgerlichen der "Information" zu viel.

 Radioaktiver Müll inklusive

 Der grösste Aufreger aber entstand um die zwei Zwischenlager für radioaktive Abfälle, welche das neue AKW beinhaltet. Zwar steht das im Gesuch der BKW, doch der Konzern selber schwieg vornehm und spielte es herunter, auch Politiker thematisierten es nicht und selbst im Abstimmungsbüchlein steht nichts dazu. Der Grund: Die Kantonsparlamentarier hatten das Gesuch der BKW nicht richtig studiert. Erst durch Medienberichte wurde publik: Mühleberg II würde auch zwei Zwischenlager für Atommüll beinhalten. Das Gebäude für hochradioaktive Abfälle würde 200 Meter lang, 80 Meter breit und 30 Meter hoch und hätte nicht nur Platz für die Brennstäbe aus dem neuen und dem alten AKW Mühleberg, sondern auch für Abfall aus anderen Schweizer AKW. Insbesondere für den Fall, dass während der Betriebszeit oder gar bei der Stilllegung von Mühleberg II kein geologisches Tiefenlager zur Verfügung steht. Dazu käme ein zweites Gebäude für schwach- und mittelaktive Abfälle.

 Wovor fürchten sich die Leute?

 Wie sehr diese Enthüllungen den AKW-Gegnern in die Hände spielen, wird sich weisen. Ebenso, wovor die Bevölkerung mehr Angst hat: vor einer vermeintlichen "Stromlücke" oder vor der radioaktiven Strahlung bei einem Unfall wie in Tschernobyl. Denn auf diese Emotionen reduziert wird der Abstimmungskampf von Befürwortern und Gegnern auf den Berner Plakatwänden.

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Aargauer Zeitung 7.2.11

Tiefenlager: Noch sind viele Fragen offen

 Zurzibiet "Nördlich Lägern ohne Tiefenlager" (LoTi) informierte über Tiefenlagerproblematik.

 Unter der Leitung von Hans-Peter Hubmann (Vorstand LoTi) positionierten sich die Podiumsteilnehmenden in der Tiefenlagerfrage pointiert. Nicht leicht hatte es José Rodriguez vom Bundesamt für Energie, musste er doch versuchen, Vertrauen in die Entsorgung radioaktiver Abfälle zu wecken. Er versicherte, dass der Bund mit dem Sachplanverfahren ein Tiefenlager gewährleiste, das dort realisiert werde, wo es am sichersten sei.

 Sabine von Stockar von der Schweizerischen Energiestiftung hielt immer wieder den Finger auf die vielen offenen Fragen. Wie wird der Abfall überwacht und markiert, bildet sich Gas im Opalinuston, oder wie können die Abfälle zurückgeholt werden? Hanspeter Lienhart vom Forum Lägern Nord hielt fest, dass die Behörden der betroffenen Gemeinden ein Tiefenlager einstimmig ablehnen. Trotzdem ist er der Meinung, dass das dreistufige Sachplanverfahren geeignet sei, um den bestmöglichen Standort für ein Lager zu finden. Damit ein Standortvergleich überhaupt möglich sei, müssten Studien von unabhängigen Stellen über alle sechs Standorte erstellt werden.

 Abgeltung von 500 Mio. Franken

 Wer gehofft hatte, auf die Frage, wie wahrscheinlich eine Realisierung eines Tiefenlagers im Raum Nördlich Lägern sei, eine Antwort zu bekommen, wurde enttäuscht. Von dieser Entscheidung sei man noch zu weit entfernt. Fest stehe aber, dass nur ein Opalinuston-Standort infrage käme, sodass die Wahrscheinlichkeit doch sehr hoch ist, da nur drei Standorte für schwach-, mittel- und hochradioaktive Abfälle infrage kommen.

 Zum Schluss der Diskussion liess José Rodriguez auf Nachfrage von SP Grossrätin Astrid Andermatt, Co-Präsidentin LoTi, in Sachen Abgeltung die Katze aus dem Sack. Ein künftiger Standort für hochradioaktive Abfälle dürfe mit gut 500 Millionen Franken "Abgeltung" rechnen.

 Der Diskussionsabend in Niederweningen sei nicht der letzte zu diesem Thema gewesen. Denn die Bevölkerung wolle sich möglichst gut informieren, damit sie in dieser wichtigen Frage mitreden könne, so Andermatt. Nächste Gelegenheit dazu bietet sich am 19. März beim Besuch des Felslabors Mont Terri in St. Ursanne. Informationen unter www.loti2010.ch. (az)

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Tiefenlager-Suche

 2008 hat das dreistufige Auswahlverfahren für zwei Tiefenlager begonnen. 2009 schlugen das Bundesamt für Energie (BFE) und die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) sechs Regionen vor: das Zürcher Weinland (ZH/TG), Nördlich Lägern (AG/ZH), Bözberg (AG), Jurasüdfuss (AG), Wellenberg (NW/OW) und Südranden (SH). Die Auswahl geschah gestützt auf die Geologie. (mru)

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Südostschweiz  7.2.11

Nidwalden vereint gegen Atommüll

 Nidwalden unternimmt einen neuen Anlauf, den Wellenberg als Standort für ein Atommülllager zu verhindern. Die Abstimmung am Sonntag dürfte zum klaren Verdikt gegen ein Tiefenlager werden.

 Von Ueli Bachmann

 Sarnen. - In der schweizerischen Demokratie hat das Volk das letzte Wort. Allerdings können sich Gegebenheiten ändern und Volksentscheide revidiert werden. Diese Lektion droht den Nidwaldner und Nidwaldnerinnen erteilt zu werden. Über 20 Jahre haben sie die Pläne für ein Atommülllager im Wellenberg bekämpft. Nach dem letzten Volksverdikt 2002 schien der Bundesrat ein Einsehen zu haben; in einer Interpellationsantwort hat er versichert, dass der Wellenberg vom Tisch ist.

 Doch das ist Schnee von gestern: Weil das Atommüllproblem in keiner Weise gelöst ist, hat der Bund das ganze Verfahren um ein geologisches Tiefenlager neu lanciert. Zudem sind die Spielregeln geändert worden: Mit dem Kernenergiegesetz 2005 und der dazugehörenden Verordnung hat nun die Stimmbevölkerung der ganzen Schweiz und nicht mehr nur jene des Standortkantons zu entscheiden, wo der Atommüll zu entsorgen ist. Und seit Herbst 2008 wissen die Nidwaldner, dass der Wellenberg trotz des langjährigen Widerstands wieder im Rennen ist.

 Deutliches Votum erwartet

 Der Aufschrei über diese Wiederaufnahme des Wellenbergs war in Nidwalden riesig. "Wir trauten unseren Ohren nicht", sagt die damalige Baudirektorin Lisbeth Gabriel zur Stimmungslage des sich übertölpelt fühlenden Kantons. Wie vor 20 Jahren kommt es bei Veranstaltungen des Bundes oder der Nationalen Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver Abfälle (Nagra) jeweils zu Demonstrationen. Die meisten Gemeinden verweigern zudem die Beteiligung beim Verfahren. Die Haltung der Nidwaldner Regierung fällt ebenfalls unmissverständlich aus. In ihrer Stellungnahme fordert sie die Streichung des Wellenbergs aus der Liste.

 Jetzt wird erneut abgestimmt, weil die Stellungnahme der Regierung dem Volk vorgelegt werden muss: Die Nidwaldner Nagra-Gegner haben sich dieses Mitentscheidungsrecht bei Atommüllfragen 1987 gesichert. Am Sonntag wird an der Urne ein noch deutlicheres Votum gegen ein Atommülllager im Wellenberg erwartet als bisher, weil Regierung und bürgerliche Parteien mit linksgrünen Nagra-Gegnern am gleichen Strick ziehen.

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NZZ am Sonntag 6.2.11

Stromkonzern BKW geizt beim Solarstrom

 Die Berner BKW korrigierten jüngst ihr Ausbauziel für grüne Energie nach unten. Wer als Kleinkunde selber in Solarstrom investiert, bekommt von den BKW für seinen überschüssigen Strom nur das Minimum.
 
Gabriela Weiss

 "Als Pionierin setzen wir auf verschiedene Technologien und prägen die Zukunft der erneuerbaren Energien mit", heisst es auf der Homepage des drittgrössten Schweizer Stromkonzerns BKW. Zurzeit kämpft er allerdings vor allem um die Zukunft des AKW-Standorts Mühleberg. In einer Woche stimmt das Volk im Kanton Bern darüber ab, ob dort dereinst ein neues Kernkraftwerk gebaut werden soll. Obwohl die Abstimmung nur konsultativen Charakter hat, wird sie Signalwirkung haben für die gesamte Schweiz.

 Im Vorfeld der Abstimmung gab Konzernchef Kurt Rohrbach zu verstehen, dass der Ausbau der erneuerbaren Energien wie Kleinwasserkraft und Wind nicht im gewünschten Tempo vorangeht - vor allem, weil der Widerstand von Anwohnern und Umweltorganisationen gegen einzelne Projekte gross sei.

 8 Rappen für Sonnenstrom

 Wie ernst es dem börsenkotierten Energiekonzern tatsächlich ist mit dem Ausbau erneuerbarer Energien, ist jedoch fraglich. Investiert ein Privater im BKW-Versorgungsgebiet ohne kostendeckende Einspeisevergütung (KEV) in eine Solaranlage, so speist er im Fall eines Stromüberschusses diesen in das BKW-Netz ein. Die BKW zahlen für den grünen Strom gerade einmal 8 bis 11,5 Rp. pro kWh - das gesetzliche Minimum.

 Würden die Produzenten von der Einspeisevergütung profitieren, erhielten sie für die Solarenergie - je nach Anlage - zwischen 30 und 60 Rp. pro kWh. Ihren eigenen zertifizierten Solarstrom verkaufen die BKW für einen Aufpreis von 80 Rp. "Die BKW vergütet den Strom gemäss den gesetzlichen Vorgaben. Die Technologie - Wind, Biomasse, Sonne - spielt dabei keine Rolle", rechtfertigt BKW-Sprecher Antonio Sommavilla die Praxis.

 Andere Energieversorger fahren eine grosszügigere Strategie. So zum Beispiel das Stadtwerk Winterthur. Bekommt ein Solarstromproduzent keine KEV-Vergütung, erhält er vom Stadtwerk für seinen Strom den KEV-Ansatz vergütet. Die gleiche Praxis verfolgen die Industriellen Werke Basel (IWB). "Wir vergüten den Produzenten KEV-Ansätze für die effektiv produzierte Menge Strom", bestätigt IWB-Kommunikationschef René Kindhauser. Und das EWZ, das Elektrizitätswerk der Stadt Zürich, betreibt eine Ökostrom-Börse, an der Solarstromproduzenten ihre grüne Elektrizität zu einem interessanten Preis verkaufen können.

 Dass die Stadtwerke Investitionen in erneuerbare Energien unterstützen, ist kein Zufall. In Zürich und Basel setzen Energieversorger den Volkswillen um, langfristig aus der Atomenergie auszusteigen. Andere Stromversorger haben analog den BKW keine Ausstiegspläne - dazu gehören die Elektrizitätswerke des Kantons Zürich (EKZ), welche auch an der Axpo beteiligt sind, oder die Axpo-Tochter CKW. Beide zahlen für überschüssigen Solarstrom, der nicht vom KEV-Fördertopf profitiert, ähnlich tiefe Tarife wie die BKW.

 Installateure tragen Kosten

 Vor dem Hintergrund erstaunt kaum, dass nicht nur die Einspeise-Tarife für Solarstrom bei kleinen Sonnenstrom-Produzenten im BKW-Versorgungsgebiet für Unmut sorgen. Auch die "Aktion solare Wassererwärmung" gibt zu reden: "Wir belohnen Ihren Einsatz für Energieeffizienz mit einem einmaligen Förderbeitrag von 1000 Franken", heisst es auf der Homepage der BKW. Tatsächlich übernehmen die Hersteller und Installateure der Solaranlage, die bei der Aktion mitmachen, die 1000 Fr. Nach eigenen Angaben kommen die BKW nur für die Marketing- und Kommunikationskosten auf. Und die Kunden würden einen Beitrag von 500 Fr. für eine Energieberatung erhalten.

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Bund 5.2.11

Ärztestreit zu Mühleberg II

 Knapp 40 Ärztinnen und Ärzte aus dem Kanton Bern haben ein Abstimmungskomitee gegen Mühleberg II gegründet. Sogar in einem störungsfreien Betrieb schädige ein Atomkraftwerk die Gesundheit der Menschen, schreiben sie. So habe eine Studie des Deutschen Kinderkrebsregisters nachgewiesen, dass Kleinkinder ein doppelt so hohes Leukämie-Risiko aufwiesen, wenn sie im Umkreis von fünf Kilometern eines Atomkraftwerks lebten. Auch Auswirkungen auf die Geburtenhäufigkeit seien nachgewiesen. Anderer Ansicht ist das "Forum Medizin und Energie" (FME), ein überparteilicher Verein von Ärztinnen und Ärzten. Das FME hat sich zum Ziel gesetzt, die Schnittstellen zwischen menschlicher Gesundheit und Energie zu erforschen. Die minimale Strahlung aus Kernkraftwerken sei aufgrund des heutigen Wissens als Ursache für ein höheres Leukämierisiko bei Kleinkindern unplausibel und könne praktisch ausgeschlossen werden, schreibt das FME in einer Mitteilung. Und die Behauptung, es gebe um KKW weniger Mädchen, "macht biologisch keinen Sinn". Es sei bekannt, dass in der Embryonalentwicklung das männliche Geschlecht wesentlich sensibler ist als das weibliche und leichter auf Strahlenschäden reagiere.(sda)