Hier wird gefräst, geschraubt und gebohrt.
Rumgeschleppt, hochgehievt und anmontiert. Die Fenster stehen
unmittelbar vor dem Einbau, die Lüftung hängt schon an der
Decke,
während das Schild der alten Brasserie wie ein Relikt aus
vergangenen
Zeiten in der Küche lehnt. Willkommen auf der Baustelle: Anfang
Dezember öffnet am unteren Bollwerk, an einem der urbansten Ecken
der
Stadt, ein neuer Club, das Kapitel.
Ein gewöhnungsbedürftiger Name. Der aber passt. Hat doch das darbende Berner Nachtleben ein neues Kapitel bitter nötig. Das Sous-Soul schliesst, das Wasserwerk steht vor dem Aus, und so gestaltet sich das Kapitel als mutige Antithese zum vielseits lamentierten Clubsterben. Ein neues Kapitel ist es auch für die drei Macher: Fausto de Siena und Tom Weingart waren für elektronische Nächte in der Formbar besorgt, während Diego Dahinden als Veranstalter im Dachstock frischen Wind im alternativen Berner Clubangebot entfacht hat.
Kapitel heisst der Club aber eigentlich, weil hier ein Betrieb entsteht, der in mehreren Etappen funktioniert: Montag bis Freitags werden über den Mittag Menüs serviert, am Abend gibt’s feine Happen und Drinks an der Bar, Donnerstags und Freitags laden Partys mit heimischen Labels und DJs zum Tanz, am Samstag auch mit internationalen Acts. Discoides bis Technoides soll aus den Boxen poltern, mit besonderen Ohrenmerk auf Qualitätshouse. Aufhorchen lässt schon jetzt eine Berliner Residenz: Die DJs aus Berghain und Panorama Bar werden laut Dahinden regelmässig im Kapitel einkehren. Und das ist ja immerhin der angesagteste Club-Tempel der Gegenwart.
---Reitschule · Die GFL hat im Stadtrat anders als die Bündnispartner von RGM abgestimmt. Damit entschied die Partei die Abstimmung über den Reitschule-Vertrag.
Acht GFL-Stadträte waren anwesend, acht stimmten
dafür, dass der Leistungsvertrag mit der Reitschule
nur für ein Jahr abgeschlossen werden soll - dies im Unterschied
zu den
Bündnispartnern von RGM. Die GFL-Stimmen gaben den Ausschlag, dass
sich
der Kommissionsantrag durchsetzte. Die RGM-Partner der GFL beteuern,
dass das Ausscheren keinen Einfluss auf den gemeinsamen Auftritt bei
den Wahlen habe. Linke Jungparteien hingegen fordern die GFL auf, das
RGM-Bündnis zu verlassen. Die Reitschule
selber wertet den Entscheid der Mitte-rechts-Mehrheit im Stadtrat als
"Angriff auf die Kultur- und Jugendpolitik der Stadt".wrs
Seite 3
Stadtrat · Die Grüne Freie Liste (GFL) ist bei der Reitschule-Abstimmung aus dem RGM-Bündnis ausgeschert - und entschied so die Abstimmung. Linke Jungparteien sistieren deswegen ihre Unterstützung für die RGM-Gemeinderatsliste.
Von den Stimmen her war die Entscheidung klar: 38 Stadträte sprachen sich am Donnerstag dafür aus, den Leistungsvertrag mit der Reitschule wegen nach wie vor ungelöster Sicherheitsfragen nur für ein Jahr abzuschliessen. 31 folgten dem Antrag des Gemeinderats, Vertrag und Subventionen über die ganze Dauer 2012-2015 zu genehmigen.
Das Ergebnis zeigt, dass letztlich eine Partei die Abstimmung entschieden hat. Geschlossen stimmten nämlich die acht anwesenden GFL-Stadträte für den einjährigen Vertrag, wie es die vorberatende Kommission beantragt hatte. Damit scherte die GFL aus dem RGM-Bündnis aus, in dem sie vermutlich für die Wahlen 2012 antreten will. Alle weiteren RGM-Stadträte stimmten für den vierjährigen Vertrag. Mit ihnen übrigens auch die vier anwesenden Stadträte der GLP.
Hätte die GFL mit RGM gestimmt, wäre der Gemeinderatsvorschlag mit 39 zu 30 Stimmen angenommen worden.
"Halten an Vorstössen fest"
"Wir halten an unseren Vorstössen fest und lassen uns nicht auf taktische Spiele ein", erläutert GFL-Fraktionschef Peter Künzler die Haltung. Vor drei Jahren hatte der damalige GFL-Stadtrat Erik Mozsa mit der Motion "Reithalle schützen" verbindliche Strukturen bei der Sicherheit gefordert. "Es ist uns ernst mit diesem Anliegen, und deshalb bestehen wir auch darauf, dass die Motion vom Gemeinderat richtig umgesetzt wird", sagt Künzler. Vor der Abstimmung seien unter den RGM-Parteien umfangreiche Gespräche geführt worden, so Künzler. Die anderen Parteien hätten gewusst, dass die GFL den Antrag der Kommission unterstützen werde.
"RGM verträgt das"
Im Interview mit dieser Zeitung kündete die neue GFL-Präsidentin Dorothea Loosli an, dass die Parteibasis darüber diskutieren müsse, ob die GFL mit RGM zu den Wahlen antreten solle (siehe Ausgabe vom Mittwoch). Hat sich die GFL mit der Reitschule-Abstimmung nun ein weiteres Stück von RGM entfernt?
Hasim Sancar, Fraktionschef des RGM-Partners Grünes Bündnis (GB), bezeichnet den Ausgang der Abstimmung zwar als "sehr ärgerlich". Das abweichende Stimmverhalten der GFL reiche aber nicht aus, um RGM infrage zu stellen. "Dafür müssten die Differenzen enorm sein", so Sancar. Auch Flavia Wasserfallen, Co-Präsidentin der SP Stadt Bern, des grössten RGM-Partners, will keinen direkten Zusammenhang herstellen (siehe Kasten unten links). Ein Bruch mit RGM lasse sich in den Reitschule-Entscheid "schlicht nicht reininterpretieren", findet auch GFL-Fraktionschef Peter Künzler. "RGM verträgt das, unterschiedliche Ansichten liegen drin", sagt er und verweist auf die Kita-Abstimmung. "Wir sind halt das M von RGM." Zur Frage, für wie wahrscheinlich er einen Bruch mit RGM halte, sagt Künzler: "Ich streite lieber mit der SP, als mit der CVP einig zu sein."
Motionär Mozsa zufrieden
Ex-GFL-Stadtrat Erik Mozsa, der die Sicherheitsdiskussion
mit seiner
Motion ursprünglich ins Rollen gebracht hatte, lebt heute in
Holland
und verfolgte die Stadtratsdebatte übers Internet. Er sei
zufrieden mit
dem Ausgang, sagt er. "Die Reitschule
ist ein anerkannter Kulturort, der leider zu wenig gegen Gewaltbereite
unternimmt." Der Gemeinderat habe bislang geschlafen und mit seiner
permissiven Haltung gegenüber der Ikur Wasser auf die Mühlen
der Reitschule-Gegner
gegossen. "Nun hat der Stadtrat endlich ein Zeichen gegen linksradikale
Gewalt gesetzt und damit langfristig den Kulturort gestärkt", sagt
Mozsa.
Wolf Röcken
Die linken Jungparteien sistieren ihre Unterstützung für die RGM-Gemeinderatsliste. Sie reagieren damit auf das Abstimmungsverhalten der GFL.
Der Ausgang der Reitschule-Abstimmung könnte Auswirkungen auf den Wahlkampf vor den Gemeinderatswahlen 2012 haben. Die drei Jungparteien Juso, Junge Alternative (JA) und Junge Grüne sistieren ihre Unterstützung für die RGM-Gemeinderatsliste. Sie protestieren damit gegen das Abstimmungsverhalten des RGM-Partners Grüne Freie Liste (GFL), der sich für einen vorerst einjährigen Vertrag aussprach (siehe Text oben). In einem offenen Brief an die RGM-Partner zeigen sich die Jungparteien "konsterniert" darüber, dass die GFL die Reitschule "bekämpfe". Mehrfach sei eine junge Kandidatur aus einer der drei Parteien für die RGM-Liste im Gespräch gewesen. Zu dieser werde es nicht kommen, solange die GFL Teil der RGM-Gemeinderatsliste sei, schreiben die Jungparteien.
Flavia Wasserfallen, Co-Präsidentin der SP Stadt Bern, war von den Jungparteien über den offenen Brief vorinformiert worden. Sie habe ein gewisses Verständnis für das Anliegen der Jungen, denen die Reitschule sehr wichtig sei, sagt sie. "Ich halte es aber für leicht übertrieben, die Reitschule-Abstimmung zur Schicksalsfrage für ein langjährig bewährtes politisches Bündnis wie RGM zu machen." Die SP-Parteileitung stehe im Gespräch mit den Jungparteien.
Für Juso, JA und die Jungen Grünen ist der
Fall klar: Die Haltung der GFL als Partner von RGM sei "nicht haltbar".
Die konsequente Unterstützung der Reitschule
sei ein "wichtiges Kriterium" für die Zusammenarbeit mit anderen
Gruppierungen und Parteien. Die GFL habe wiederholt bewiesen, dass sie
die Reitschule nur teilweise
unterstütze. Sie habe den rechtsbürgerlichen Parteien
Gelegenheit geboten, ihre Polemik gegen die Reitschule aufzufrischen.wrs
Die Mediengruppe der Reitschule reagiert mit einer Mitteilung auf den Stadtratsentscheid. Sie wertet den Entscheid der Mitte-rechts-Mehrheit als "Armutszeugnis" und Angriff auf die Kultur- und Jugendpolitik der Stadt sowie auf das Verhältnis zwischen Reitschule und Stadt. Mit dem Bekenntnis, aus der Reitschule einen "ganz normalen Kulturbetrieb" machen zu wollen, zeige die Ratsmehrheit, dass ihr "jeglicher Respekt für die Reitschule" fehle - ebenso für die bisher gefällten demokratischen Grundsatzentscheide der Bevölkerung. Die Reitschule sei ein Projekt der ausserparlamentarischen Linken, das kulturelle, politische und soziale Anliegen vereine. Wer aus der Reitschule eine "gutbürgerliche Stube" machen wolle, zerstöre einen wichtigen Teil der urbanen Kultur in Bern. Ob die Reitschule einen Konsens für einen einjährigen Leistungsvertrag mit der Stadt finde, werde sich zeigen. Nun werde man basisdemokratisch über das weitere Vorgehen entscheiden. Weiter fordert die Reitschule "politische, kulturelle und soziale Rahmenbedingungen", um in der ganzen Stadt brennende Probleme in der Nachtleben-, Drogen- und Sicherheitspolitik zu lösen. In einer Dokumentation halten die Betreiber fest, dass mit jedem neuen Vertrag der Spielraum kleiner geworden sei. Je kooperativer man bei städtischen Anliegen geworden sei, desto härter seien nachfolgenden Forderungen geworden. Es gelte zudem "auszuhalten", dass das Verhältnis Reitschule - Polizei "historisch belastet" sei.
Zudem weist die Reitschule darauf hin, dass sie nicht abhängig von Betriebssubventionen sei. Das städtische Geld diene für Unterhalt und Gebäudesicherheit. Die Petition "Reitschule: Bleib, wie du bist" haben bisher 4500 Personen unterzeichnet.wrs
Die Ablehnung des Reitschul-Vertrages durch die GFL sei inakzeptabel.
Das Nein des Berner Stadtrates zu einem vierjährigen Leistungsvertrag mit der Reitschule hat politische Folgen: Die Junge Alternative (JA), die Jungen Grünen und die Juso wollen keine "junge Kandidatur" für die Gemeinderatswahlliste der Rot-Grün-Mitte-Parteien (RGM) stellen, "solange die GFL Teil dieser Gemeinderatsliste ist". Zudem setzen sie ihre Unterstützung für die RGM-Gemeinderatsliste vorläufig aus, wie einem offenen Brief an SP, GB und GFL zu entnehmen ist. Die drei linken Jungparteien sind "konsterniert" über das Abstimmungsverhalten der GFL in der Stadtratsdebatte über den Leistungsvertrag mit der Reitschule. Die GFL hatte den Abschluss eines vierjährigen Leistungsvertrages abgelehnt. Mithilfe der Bürgerlichen beschränkte sie die Subventionsdauer auf ein Jahr, damit verbindlichere Sicherheitsvereinbarungen getroffen werden können.
Druck der Gewerkschaften
SP und GB haben Verständnis für die Empörung der Jungparteien. Gleichzeitig versuchen sie deren Vorprellen zu relativieren, um die GFL nicht kopfscheu zu machen. Mitte Dezember entscheidet nämlich die GFL-Parteibasis, ob die Partei bei den städtischen Wahlen 2012 wie bis anhin mit SP und GB oder mit der GLP und weiteren Mitte-Parteien in den Wahlkampf ziehen soll. Ein Entscheid für die Mitte-Parteien könnte womöglich das Ende der bald 20-jährigen RGM-Mehrheit in der Berner Stadtregierung bedeuten. SP-Co-Präsidentin Flavia Wasserfallen hält es denn auch für "leicht übertrieben", aus dem Reitschul-Vertrag eine Bündnisfrage zu machen.
Nicht nur die Forderungen der Jungparteien, sondern auch diejenigen der Gewerkschaften könnten einen Verbleib der GFL bei RGM erschweren. Ruedi Keller, Präsident des Gewerkschaftsbundes, verweist auf eine Wahlplattform, die zurzeit in Bearbeitung ist. "Mit der Unterstützung dieser Plattform wird die GFL zeigen können, ob sie noch zu RGM steht oder nicht", sagt Keller. - Seite 25
Juso, Junge Alternative und Junge Grüne sind verärgert, dass die Grüne Freie Liste (GFL) die Reitschule im Berner Stadtrat "nur teilweise" unterstützt hat.
Stadträtin Rahel Ruch nimmt kein Blatt vor den Mund: "Die Geduld der Jungen Alternative (JA) mit der Politik der GFL ist erschöpft." In den letzten Monaten und Jahren sei die GFL in zentralen Fragen immer wieder von der Haltung der rot-grünen Parteien abgewichen. So habe die GFL den Wechsel in der Kinderbetreuung zum marktwirtschaftlich orientierten Gutscheinmodell und die Erhöhung des Rentenalters für städtische Angestellte gutgeheissen. Diese Woche habe die Partei im Stadtrat gemeinsam mit den Bürgerlichen den vierjährigen Leistungsvertrag mit der Reitschule gekippt. "Für uns ist das Mass nun voll", sagt Ruch. Die JA, die Juso und die Jungen Grünen haben gestern bekannt gegeben, dass sie ihre Unterstützung für die gemeinsame Wahlliste der Rot-grün-Mitte-Parteien (RGM) vorläufig einstellen. Solange die GFL bei der RGM-Liste mitmache, wollten sie auch keine "Junge Kandidatur" aufstellen. "Die GFL hat wiederholt bewiesen, dass sie die Reitschule nur teilweise unterstützt." Das fehlende Bekenntnis zur Reitschule sei für sie aber ein "wichtiges Ausschlusskriterium", halten die Jungparteien fest.
Zerreissprobe für RGM-Bündnis
Ein Jahr vor den Stadtberner Wahlen trifft das Aufbegehren der RGM-Jungparteien ihre Mutterparteien in einem ungünstigen Moment. Mit den Wahlerfolgen von GLP und BDP in den nationalen Wahlen sind innerhalb der GFL Stimmen laut geworden, nicht mehr mit SP und GB, sondern mit der GLP und den Mitte-Parteien in die Wahlen zu ziehen. Der entsprechende Bündnisentscheid der GFL-Parteibasis findet Mitte Dezember statt. Mit dem Vorprellen der RGM-Jungparteien steht die GFL nicht nur im Sog der Mitte-Parteien, sondern auch unter Druck von links. Falls die GFL das RGM-Bündnis jedoch verlässt, könnte sich ein kleines politisches Erdbeben in der Stadt Bern ereignen: Die seit 1993 regierende RGM-Mehrheit in der Stadtregierung wäre in Gefahr.
Die Jungparteien streben mit ihren Forderungen kein Auseinanderbrechen des RGM-Bündnisses an. Das Aufstellen einer eigenen "jungen Liste", die der RGM-Liste Wählerstimmen abgraben könnte, scheint eher unwahrscheinlich. In diese Richtung argumentieren zumindest Ruch und Juso-Sprecher Dominik Fitze. "Es kann nicht unser Ziel sein, die RGM-Mehrheit zu gefährden", sagt Fitze. Für Philipp Zimmermann von den Jungen Grünen hingegen sind politische Inhalte wichtiger als ein Zweckbündnis. Das Aufstellen einer eigenen Liste behalte man sich jedenfalls vor. "Wir wollen nicht RGM torpedieren. Aber wir wollen ein klares Bekenntnis zu linken Inhalten", sagt Zimmermann.
GFL bereitet der SP Sorgen
Bei den RGM-Mutterparteien versucht man, den Ball flach zu halten. "Es ist ja nicht neu, dass wir nicht einen strammen linken Kurs verfolgen", sagt GFL/EVP-Fraktionschef Peter Künzler. RGM sei eine Koalition, und das Wesen einer solchen bestehe nun einmal darin, Kompromisse zu finden. "Wir stehen klar zur Reitschule", sagt GFL-Präsidentin Dorothea Loosli. Mit der Ablehnung eines vierjährigen Leistungsvertrages zugunsten einer einjährigen Variante ermögliche die GFL weitere Verhandlungen zur Ausarbeitung von Sicherheitsbestimmungen. "Wir wollen einen Beitrag zur Eindämmung der Gewalt auf dem Vorplatz leisten", sagt Loosli.
Stadträtin Monika Hächler, Interimspräsidentin des GB, kann den Ärger der Jungparteien nachvollziehen. Die Haltung der GFL zur Reitschule sei aber seit Jahren klar. SP-Co-Präsidentin Flavia Wasserfallen wiederum hält es bei allem Verständnis für die Jungparteien für "leicht übertrieben", aus der Reitschul-Abstimmung im Stadtrat eine Schicksalsfrage zu machen. Zudem habe RGM vorerst beschlossen, mit vier Kandidierenden in die Wahlen zu ziehen. "Eine junge Kandidatur wurde nur andiskutiert."
Das Verhalten der GFL macht ihr mehr Sorgen
als die Forderungen der Jungparteien. Sie weist darauf hin, dass
bereits ein gemeinsamer RGM-Wahlausschuss an der Arbeit sei. "Wir
bereiten die Wahlen vor, und plötzlich gibt es wieder
Grundsatzdiskussionen in der GFL." Dieses Hin und Her sei für die
Bündnispartner ärgerlich, sagt Wasserfallen.
Der Berner Stadtrat hat Ernst gemacht: Weil die Bürgerlichen und die Mitteparteien nach wie vor unzufrieden sind mit der Sicherheitslage um das alternative Kulturzentrum, bewilligten sie der Reitschule die Subventionen statt für vier nur für ein Jahr. Diese kann somit 2012 zwar auf 380000 Franken Unterstützung zählen und den Betrieb weiterführen. Zusammen mit der Stadt muss sich die Reitschul-Betreiberin IKUR aber darum bemühen, offene Sicherheitsfragen zu klären.
Die Begrenzung erfolgte auf Antrag der vorberatenden Kommission und obsiegte mit 38 zu 31 Stimmen dank einer Mitte-Rechts-Mehrheit gegen den gemeinderätlichen Antrag für einen Vier-Jahres-Kredit.
Mehrere Redner von SVP, FDP, CVP, EVP, Grünliberalen und Grüner Freier Liste (GFL) riefen in Erinnerung, dass das Parlament das Geschäft schon im Frühjahr zurückgewiesen habe mit der Auflage, dass die Regierung den Ikur-Vertrag neu aushandle und ein Sicherheitskonzept vereinbare. Der Gemeinderat kam der Forderung nicht nach, weil Sicherheitsbestimmungen nicht in einen Kulturvertrag gehörten.
Die Reitschule geriet in den letzten Monaten wegen Auseinandersetzungen zwischen Besuchern und Polizisten in die Schlagzeilen (az Langenthaler Tagblatt berichtete mehrfach). Die Polizei fühlt sich in ihrer Arbeit behindert und kritisiert, dass die Reitschul-Betreiber die Sicherheit "nicht gewährleisten können oder wollen".
SP und Grünes Bündnis (GB) warfen der Polizei im Stadtrat vor, sie lasse sich in politische Spiele einbinden. Die Reitschule unternehme selber genug für die Sicherheit und könne nicht für alles verantwortlich gemacht werden. Als "Propagandalügen und Unwahrheiten" wies auch die Reitschule die Aussagen des Mitte-Rechts-Lagers gestern in einer Mitteilung zurück. "Mit dem Bekenntnis, aus der Reitschule ‹einen ganz normalen Kulturbetrieb› machen zu wollen, zeigt die Stadtrats-Mehrheit, dass ihr jeglicher Respekt für demokratisch gefällte Grundsatzentscheide fehlt." Laut der Mediengruppe wird die Vollversammlung nächste Woche darüber entscheiden, ob sie auch einen Einjahresvertrag akzeptiert oder nicht.
Parteienknatsch im rot-grünen Lager
Die Junge Alternative (JA), die Jungsozialisten und die Jungen Grünen dagegen reagierten bereits und kündigten an, unter diesen Umständen auf die gemeinsame, bereits beschlossene Gemeinderatsliste mit SP, GB und GFL bei den Erneuerungswahlen nächstes Jahr "bis auf weiteres" zu verzichten.
Beim jährlichen Beitrag der Stadt gehts letztlich "um verwaltungsinternes Verschieben von Geld", so Lea Bill (GB/JA). 319000 Franken fliessen zur Begleichung des Mietzinses an die Stadtbauten Bern AG. Der Rest geht zweckgebunden an die Nebenkosten.
Stadtpräsident Alexander Tschäppät lobte
die Reitschule
als schweizweit bekannte Institution, die eine "offene und
fantasievolle Szene" beherberge. Er bedankte sich ausdrücklich bei
den
Reitschul-Betreibern für ihre Arbeit, mahnte sie zugleich aber,
sich
klarer von Chaoten abzugrenzen. (sda/sat)
---
Seit Monaten sorgt das Nachtleben für Schlagzeilen: Schlägereien in der Aarbergergasse, Clubsterben in der Altstadt, Freiluftbar vor dem Bahnhof. 10 000 Personen haben eine Petition unterschrieben, die ein "hauptstadtwürdiges" Nachtleben fordert. Was läuft wirklich in der Berner Dunkelheit? Eine Reportage über eine Freitagnacht - neun Stunden, neun Locations und eine Prügelei.
Und was jetzt? Die Clubs haben die tanzenden und trinkenden Menschen ausgespuckt, es ist 5.10 Uhr, Samstagmorgen, und die meisten, die noch unterwegs sind, gehen heim, die meisten, aber nicht alle. Der letzte Gang dieser Nacht führt von der Innenstadt in die Sackgasse. Das Dead End an der Neubrückstrasse, ein privater Club mit Ruf über die Kantonsgrenzen hinaus, gemäss den Betreibern der After-Hour-Club der Stadt schlechthin, das steht so auf der Website, doch eben: privat, Members only. Wir passieren die Reitschule, der Vorplatz ist unterdessen praktisch leer, nur zwei junge Menschen stehen noch da, eine Frau und ein Mann. Sie hüpft herüber aufs Trottoir und fragt, ob wir ein Paar Hosen für ihren Kollegen hätten. Wie bitte? Seine seien pitschnass, und er brauche trockene. Sie schweift ab, wir verstehen nicht und gehen weiter bis zum Dead End, und würde sie uns nicht hinterherschwafeln, die Nacht wäre still.
Das Berner Nachtleben ist also im Sterben begriffen. Spätestens seit bekannt ist, dass die beiden Clubs Sous-Soul und Wasserwerk per Ende Jahr ihre Pforten schliessen, hat sich ein Prozess in Gang gesetzt, der so leicht nicht mehr zu stoppen sein dürfte. Clubbesitzer, jugendliche Partygänger, Anwohner, Medien und gar Soziologieprofessoren debattieren, argumentieren und suchen Lösungen. Die konkreten Probleme heissen Lärm, Gewalt, Littering, immer geht es um den Exzess, und angeblich, das beklagen Anwohner, nehmen diese Nebenwirkungen der nächtlichen Vergnügungen laufend zu. Doch sie beklagen nicht nur, sie klagen an. Die Petition Pro Nachtleben Bern ist als direkte Antwort darauf zu verstehen. Ihre Forderung lautet, dass sich der Gemeinderat der Stadt mit einem klaren Konzept zu einem attraktiven, vielfältigen Nachtleben bekennen soll. Die Petition wurde bis heute von 10 000 Menschen unterschrieben. Sie wird am nächsten Freitag, nach zweieinhalb Monaten der Unterschriftensammlung, eingereicht, in der Turnhalle im Progr findet heute Abend das offizielle Petitionsfest statt. Doch was passiert in Bern wirklich, wenn es dunkel ist? Wir waren eine Nacht lang in der Hauptstadt unterwegs, am 11. 11. 11, neun Stunden lang, von 21.30 bis 6.30 Uhr und haben nicht debattiert, argumentiert oder Lösungen gesucht, sondern - zugeschaut (und ein bisschen nachgefragt).
Wo beginnt diese lange Nacht in Bern? In der Turnhalle, natürlich. Wir machen, was man in der Turnhalle macht: ein Bier bestellen und ein bisschen rumstehen. Beide Etagen sind schon gut gefüllt, trotzdem liegt in der Luft so etwas wie gepflegte Langeweile. Die Männer tragen kurze und lange Bärte, Männer und Frauen tragen schwarze Jacken, sie ziehen sie nicht aus, denn man ist nicht gekommen, um zu bleiben. Es ist 22.40 Uhr, der Moment für die Mutter aller Fragen des Nachtlebens, eine ganz banale, doch sie fällt bestimmt: "Was louft hüt eigentlich?" Ja, was läuft heute eigentlich? Läuft überhaupt irgendetwas? Fehlen in Bern wirklich die Angebote, um ein "hauptstadtwürdiges" Nachtleben zu garantieren? Die aktuellen Diskussionen lassen vermuten, dass spätestens mit der Schliessung der erwähnten Clubs auf Angebotsseite ein Manko entsteht. Ob das stimmt? Man kann Zahlen nennen: Die Agenda dieser Zeitung führt für diesen Abend 15 Partys und 9 Konzerte auf, von der alkoholfreien Barfussparty im Prisma bis zum Hard-Fi-Konzert im Bierhübeli. In der Gemeinde Bern verfügen im Moment 107 Gastwirtschaftsbetriebe über eine generelle Überzeitbewilligung mit individuellen Schliessungszeiten; 15 dieser Betriebe dürfen bis 5 Uhr morgens geöffnet haben. Fast die Hälfte dieser Bewilligungen betrifft die obere Altstadt. Zwischen Zytglogge und Hirschengraben sind es 52 Betriebe, die über eine generelle Überzeitbewilligung verfügen, 8 davon bis 5 Uhr. Arci Friede vom Club Bonsoir sagt: "Das Nachtleben in Bern ist vielfältig. Es gibt weltweit keine einzige Stadt dieser Grösse, die ein im Bezug auf Vielfalt und Qualität ähnliches Kulturangebot aufweist." Auch dem Berner Kollektiv Festmacher, das Partys ausserhalb von Clubs - in der rechtlichen Grauzone - organisiert, fehlt es nicht an Angeboten. "Vielmehr sind wir mit der zunehmenden Kommerzialisierung des öffentlichen Raumes unzufrieden", sagt einer der Festmacher mit Pseudonym "August Love". Sind vielleicht schlicht die Erwartungen zu hoch? Bern ist zwar Bundesstadt, mit gut 120 000 Einwohnern aber nur die viertgrösste Stadt der Schweiz. Aus der verhältnismässig geringen Grösse ergibt sich ein Problem: Es fehlen spezifische Quartiere, wie sie in grösseren Städten existieren, in denen Subkulturen ungestört gedeihen können, die man aber auch gezielt meiden kann. Folge davon ist die Übernutzung der Innenstadt. Ihr Einzugsgebiet ist gross: 32 Moonliner-Linien gibt es mittlerweile, die im letzten Jahr 240 000 Jugendliche transportiert haben - ein Plus von 50 Prozent innert vier Jahren. "Bern hat es verpasst, mit dieser Entwicklung zu wachsen", sagte Jürg Häberli vom Berner Jugendamt kürzlich an einer Podiumsdiskussion zum Berner Nachtleben. "Wir haben eine sehr enge Stadt, überall Nachbarn, überall Gewerbe, immer ist jemand gestört", erklärte Häberli. Der Zürcher Soziologieprofessor Kurt Imhof verwies an der gleichen Veranstaltung auf dieses Problem: "In der Berner Innenstadt leben die Gutbetuchten. Im Zuge der 24-Stunden-Gesellschaft drängen immer mehr Jugendliche nachts in diese Innenstadt. Das birgt viel Konfliktpotenzial." Zum Ärger der Clubbetreiber ist die Haltung der Stadtregierung zu dieser Thematik nicht eindeutig definiert. Zur Podiumsdiskussion erschien trotz Einladung kein Gemeinderat.
Wir lassen uns treiben, überqueren die Strasse, keine hundert Meter von der Turnhalle wartet eine komplett neue Welt. Vor der Türe des Cowboys an der Speichergasse stehen ein riesiger Türsteher und einige Besucher, die Zigaretten rauchen. Draussen ists ruhig und kalt, drinnen dröhnen Party-Hits and -Shits, statt Bärten tragen die Männer Baseballmützen. Hier werden keine Stangen bestellt, sondern Pitcher-Krüge - literweise Bier. Es ist eng, es wird mitgesungen und ein bisschen getanzt, bis plötzlich die Musik unterbricht, um eine Shot-Runde anzukünden. Shot ’o’ clock! Die Bardamen steigen auf den Tresen, Flaschen mit rotem Hochprozentigen in der Hand, und schenken jedem ein und jeder, Alkohol direkt ab Flasche die Kehle hinunter. Am Grossbildschirm hinter der Bar läuft ein Spielfilm mit Nicolas Cage, keiner schaut hin. Auch nicht der SCB-Eishockeyspieler, der sich mit Kollegen ganz dem Bier widmet, denn das Einzige, was hier zählt, sind ein volles Glas und eine gute Zeit; der Alltag und die Arbeit sind weit weg. Dass Menschen Alkohol trinken, wenn sie ausgehen, und dabei manchmal mit allem ein bisschen übertreiben, das lässt sich auch in Bern nicht ändern.
Wir verlassen die trinkenden Cowboys und Cowgirls, passieren ein junges Paar, das vor einem Hauseingang sitzt und ernste Gespräche führt. Sie fragt: "Versteisch, Jimmy?" Ab in die Cesary-Bar am Kornhausplatz, wir trinken einen Veronese in der kleinen italienischen Bar und gönnen den Augen eine kurze Pause. Lang wird sie nicht, um 0.30 Uhr schliesst das Lokal, wie viele Berner Bars. Wer jetzt noch weiterziehen will, der zahlt fast überall Eintritt oder landet an Orten, die nicht dazu geeignet sind, entspannt am Bartresen einen vorletzten Drink zu trinken. Es gibt Ausnahmen, von einer ausgeprägten Barkultur nach Mitternacht kann in der Bundesstaat indes kaum die Rede sein. Vielleicht ist aber auch das ein Luxus, den sich bloss Millionenstädte leisten können, und das Problem liegt beim Anspruch, nicht bei Bern.
Aus dem Freitag ist Samstag geworden, und wir stehen ein erstes Mal an, das Quasimodo wartet, gleich neben dem Cesary. Die Glocke, wie das Lokal umgangssprachlich heisst, ist jetzt schon voll, weil die Fluktuation aber hoch ist, sind wir bald mittendrin in der tanzenden Masse, viele über 35, viele Asiatinnen. DJ Silence spielt die üblichen Party-Hits. Anmache und Abschleppe, Frau tanzt Mann an, Mann wirft Frau ein Zwinkern zu. Hier muss niemand alleine nach Hause.
Wo sind eigentlich die Teenager? In der Glocke jedenfalls nicht. Die Bars schliessen, nun hats schwer, wer noch nicht 21 ist. Und weil das so ist, treiben sie sich halt irgendwo in den Strassen herum, machen den Bahnhofeingang zur Freiluftbar, produzieren Lärm und Abfall. Für diese Altersgruppe würden die entsprechenden Angebote fehlen, heisst es. Wenn in einer Bar ein paar 18-Jährige auftauchen, rümpfen die anderen Gäste die Nase. Arci Friede, Mitbetreiber des Clubs Bonsoir, nennt es "Altersfaschismus".
Wir schauen beim Bahnhof vorbei: Es ist nichts los. Drei Jugendliche stehen vor dem Bahnhofeingang. Wohin des Weges? "Nach Hause", sagt Yolanda, 20. Ihnen fehle nichts in Bern, sagen die drei. Wenn sie länger unterwegs sind, gehen sie gerne ins Mad Wallstreet oder mal ins Desperados. "Bloss nicht in den Propeller", sagt Yolandas Kollegin Angela, "dort klebt der Boden, und die Musik ist sehr schlecht." Zurück in die Altstadt. In der "Flammebar" fehlt trotz den stilisierten Flammen am Eingang offenbar die zündende Idee. Nur eine Handvoll Leute befindet sich um 0.45 Uhr im Kellergewölbe in der Kramgasse. Es wird ein bisschen getrunken und noch mehr geredet. Wir treffen auf Bekannte, das Gespräch dreht sich um das Berner Nachtleben und seine Mythen. Das Komfort sei die beste Bar gewesen, welche die Stadt in den letzten Jahren gekannt habe, sagt eine Grafikerin. "Auch in der Freien Bühne hat es Spass gemacht", sagt ihr Freund. Das Komfort befand sich ab 1998 für einige Jahre in der ehemaligen Toilettenanlage des Casinoparkings. Düster war es dort und ziemlich spannend. In der Freien Bühne an der Kramgasse 68 war es ebenfalls düster, an den Wänden befanden sich Regale, vollgestopft mit Büchern. Im zweiten Untergeschoss spielte manchmal eine Band. Die Freie Bühne gibt es seit dem Winter 2006 nicht mehr. Zum Mythos geworden ist auch das Wasserwerk. Allerdings ist es das "alte" Wasserwerk, an das sich viele gerne erinnern. Jenes, das seine Türen vor ein paar Jahren schloss, bevor der Club nach kurzer Zeit unter neuer Leitung wiedereröffnet wurde. Zu den legendären Zeiten traten im Wasserwerk M. I. A. und Princess Superstar auf, die damals noch unbekannt waren. Ein paar Wochen noch gibt es das "neue" Wasserwerk, geöffnet ist nur noch samstags. Bereits gibt es aber Gerüchte, wonach die nächste Neueröffnung des Wasserwerks nur eine Frage der Zeit sei. Sicher verschwinden wird am Jahresende das Sous-Soul. Nach Lärmklagen von Anwohnern dürfen die Betreiber die Musik gerade noch mit 90 Dezibel abspielen. Nachdem auch der Hausbesitzer Eigenbedarf angemeldet hatte für jenen Teil der Bar, in dem sich zurzeit das Fumoir befindet, gaben sich die Betreiber geschlagen. Die Schliessung ist für die Branche ein weiterer Beweis dafür, dass ihr die Lobby fehlt. Es würden Gesetze vollzogen, die veraltet seien, "und so kann eine einzige Person, die eine Beschwerde einreicht, einen ganzen Betrieb zu Fall bringen", sagt etwa Rolf Bähler, der Geschäftsführer des Bonsoir. Christoph Lerch, Regierungsstatthalter der Region Bern-Mittelland, sagt dazu nur: "Ich mache die Gesetze nicht, aber ich muss sie umsetzen." Im Sous-Soul ist die Party Ende Dezember zu Ende. Und so wird an der Junkerngasse 1 erstmals seit 70 Jahren kein Nachtlokal mehr beheimatet sein. In den 40er-Jahren wurde hier der Jazzclub Hot House eröffnet, wo auch Louis Armstrong aufgetreten sein soll. Danach traf sich bis 1996 im Ursus Club die Berner Schwulenszene. Später hiess die Bar, das Restaurant oder der Club U1, La Wy oder Sirup. In dieser Nacht ist es vor dem Sous-Soul ruhig. Im Keller herrscht kurz vor 2 Uhr eine gepflegte Atmosphäre, die Besucher verteilen sich an der Bar, auf der Tanzfläche und im Raucherraum. Der Altersschnitt des Publikums liegt zwischen 20 und 40. Die DJs spielen Reggae und Soul, das Publikum tanzt. Jemand spricht aus, was alle denken: "Schade, ist es hier bald vorbei."
Auf dem Weg zurück in die obere Altstadt passiert es dann: An der Ecke Speichergasse/Waisenhausplatz knallts. Zwischen zwei Jünglingen fliegen die Fäuste und Füsse. Rasch ist es vorbei. Die Emotionen verpuffen. Es ist ein ruhiger Abend in der Aarbergergasse. Das mag mit der Polizeipatrouille zusammenhängen, die sich von Zeit zu Zeit auf der Strasse postiert. Vielleicht liegt es aber auch an der kalten Herbstluft, dass sich das Nadelöhr des Berner Nachtlebens so viel ruhiger präsentiert als in den Sommerwochen zuvor. Stephan Zesiger, der Besitzer des Liquid-Clubs an der Ecke Aarberger- und Genfergasse, bedauert, dass die Nachtleben-Petition die Gewaltproblematik nicht anspricht. "Jetzt warten wir halt auf den runden Tisch mit den Stadtbehörden, der nun endlich zum ersten Mal stattfinden wird." Auch das Liquid sah sich in der Vergangenheit mit unschönen Vorfällen konfrontiert - mit Diebstählen, Belästigungen und Schlägereien im Club. "Dank rigorosen Eingangskontrollen und einem Badge- und Member-System ist es uns gelungen, die Gewalt, die Diebstähle und auch frauenfeindliches Verhalten auf ein Minimum zu reduzieren", sagt Zesiger. Wer heute ins Liquid will, muss sich registrieren lassen. Dafür gibts eine Mitgliederkarte, mit der auch die Getränke bezahlt werden. Am Ende der Nacht kennt das Liquid so nicht nur das Alter und das Geschlecht der Besucher, sondern auch deren Getränkegeschmack. Sieht so die Zukunft des Nachtlebens aus? Der Besitz einer Liquid-Karte garantiert aber nicht dafür, dass am Wochenende im Club gefeiert werden darf: "Wir achten auf die richtige Durchmischung der Gäste", sagt Zesiger. "Gruppen, die unseren Kriterien nicht entsprechen, werden rigoros abgewiesen, auch wenn wir dadurch Umsatzeinbussen in Kauf nehmen." Das Liquid ist die Sorte Club, in der es nicht zuletzt ums Gesehenwerden geht. Die Röcke der Frauen sind kurz, die Männer führen ihre neuen Nike-Air-Max-Turnschuhe spazieren. Das meist junge Publikum fackelt auch nicht lange. Auf der Drehbühne wird zu lauter R’n’B-Musik im Trockennebel getanzt und gebalzt. Auch der SCB-Spieler hat unterdessen den Weg vom Cowboys ins Liquid hinter sich gebracht. Er hält sich am Tresen fest, als ob es die Bande im Eisstadion wäre. Das Liquid ist in dieser Nacht ebenfalls voll. Es brauche neben den alternativen Angeboten kommerzielle Tanztempel wie das Liquid im Berner Nachtleben, sagt Besitzer Zesiger.
Nicht zu dieser Kategorie zählen sich die Bonsoir-Betreiber mit ihrem Lokal, das nur wenige Meter entfernt liegt. Sie positionieren sich "zwischen Alternativ- und Mainstream-Kultur", also zwischen Reithalle und Liquid. Im Bonsoir hat die Berner Elektroszene ihre Nische. Im Innern des sorgfältig eingerichteten Clubs, dessen Bar jedem 5-Stern-Hotel Konkurrenz machen würde, ist es ganz schön dunkel. Hell erleuchtet sind nur die DJs. Das Publikum gibt sich zurückhaltend interessiert und geniesst die Musik eher still. Die Nacht ist ja auch schon lang, die Scherben von zerbrochenen Gläsern auf der Tanzfläche bohren sich in die Sohlen der teuren Schuhe. Hier ist bald Schluss, und nach 5 Uhr morgens ist ein Ort für eine Verlängerung der Nacht nicht so leicht zu finden. Die Cafeteria in der Reithalle hat mittlerweile wieder geöffnet, einladend jedoch ist sie nicht. Hier wird Härteres als Kaffee konsumiert. Bleibt das Dead End. Der Member-Club macht seinem Namen an diesem Abend alle Ehre. Die Türsteher sind streng, eigentlich wollen sie uns nicht in ihrem Club haben. Schliesslich klappts mit einem letzten Bier unter lokalen Nachtgestalten. Etwas nach 6 Uhr morgens geht es ab ins Taxi und nach Hause.
Zurück bleibt von dieser einen Freitagnacht die Erkenntnis, dass Bern ein Nachtleben hat, das diesen Namen verdient. Auch wenn die Clubs sterben: Die Nacht lebt. Vor allem da, wo sie soll: Die Clubs und Bars sind voll. Bern ist nicht Berlin, doch wer sich amüsieren will, der kann. Das wird auch 2012 so sein, wenn Sous-Soul und Wasserwerk keine Mikrokosmen des nächtlichen Lebens dieser Stadt mehr sind. Gerade weil Bern nicht Berlin ist, sind diese Verluste aber herb. Die Debatte wird weitergehen, Clubbetreiber, Anwohner und Ausgänger wissen, was sie wollen. Ausgerechnet die Stadtregierung tut sich aber offenbar schwer, ihre Position zu finden.
Text: Pierre Hagmann und Alexander Wäfler Bilder: Christian PfanderSeine Rückenflosse hing traurig zur Seite, aber sein Freiheitsdrang war legendär. Keiko, der Zirkusorca der "Free Willy"-Trilogie, berührte die Menschen. So sehr, dass Tierschützer ihn kauften und 2003 in die Freiheit entliessen. Doch kaum frei, war Keiko tot. Das komplizierte Verhältnis von Natur und Kultur beleuchtete 2004 die Theatergruppe Schauplatz International in "Free Keiko". Nun kommt das Stück in überarbeiteter Fassung erneut auf die Bühne des Tojo-Theaters. (len)
Tojo-Theater
Mittwoch, 23., Freitag, 25., und Samstag, 26. November, jeweils 20.30
Uhr.
Virginia Wolf forderte in ihrem Essay "A Room of One's Own" 1929 ein Minimum an Privatsphäre und Entfaltungsraum für die Frau. Ihr Werk wurde zu einem der meistgelesenen Texte der Frauenemanzipationsbewegung. Ebenfalls um Emanzipation, allerdings um jene auf dem Weg vom jungen zum erwachsenen Mann, geht es im Stück der Theatergruppe Lemon Kuliba. Die drei Protagonisten fordern auch Raum ein, geben sich aber mit einem Quadratmeter zufrieden. Ein Quadratmeter würde genügen, um herauszufinden, wo sie stehen im Leben und wo sie noch hinwollen.
Der 19-jährige David zum Beispiel, seine Eltern sind aus Angola, er spielt Fussball, hört Rap und hat leider keine Freundin, muss für die Prüfungen büffeln. Er merkt, wie die Anforderungen seines Umfelds an ihn steigen. In manchen Momenten empfindet er gar Sehnsucht nach seiner Kindheit, als noch keine "Vorgaben, Vorschriften, Vorwürfe, Verantwortungen" auf ihm lasteten. "1m2 Freiheit" erzählt Episoden aus dem Leben dreier Jugendlicher, die sich ihren Raum abstecken, indem sie Grenzen ausloten: beim RAV, bei den Eltern, den Freunden und sich selbst.
Entstanden ist das Theaterprojekt unter der Federführung der Jugendarbeit Bern-West. Auf seine Schauspieler stiess Regisseur Azad Süsem während der aufsuchenden Jugendarbeit: drei Jugendliche mit Migrationshintergrund und schauspielerischen Ambitionen. Das Drehbuch entstand gemeinschaftlich: "Es liegt nahe an der Lebensrealität der Jugendlichen", sagt Süsem. Nachdem das Stück vergangenes Jahr in Bern Premiere feierte und sogar in Berlin gespielt wurde, macht es heuer im Tojo eine Ehrenrunde. Wie in Jugendtheatergruppen nicht unüblich, wurde auch Lemon Kuliba von Fluktuationen heimgesucht: Dieses Jahr spielt Ernesto Garcia Pedro alle Rollen selbst. (hjo)
Tojo-Theater
Fr und Sa 20.30 sowie So 19.00
Es heisst, er habe die berührendste Stimme im Pop seit Connor Oberst. Wie der Bright-Eyes-Frontmann hat Rae Spoon, Sänger und Transgender, auch im Country gestartet. "Love Is a Hunter", Spoons jüngstes Werk, erscheint nun aber mit Elektronika versetzt, poppig und ausgesprochen charmant. Aber was man sich über Spoons Stimme erzählt, das stimmt haargenau. (len)
Frauenraum Reitschule
Montag, 21. November, 19.30 Uhr
Kissogram aus Berlin machen Disco-Pop im Taschenrechnerformat. Eine musikalische Charmeoffensive.
Sie bewegen sich auf einem schmalen Grat, die Bands, die sich zum Ziel gesetzt haben, den Ernst der Indie-Szene mit Heiterkeit und uneitler Genre-Jonglage zu konterkarieren. Bands wie Bonaparte oder das Jeans Team haben es in dieser Disziplin zur Meisterschaft gebracht, doch was heute als draufgängerisch und erfrischend gefeiert wird, könnte bereits morgen als nervig und unchic gelten.
Eine Band, die einen solchen Stimmungsumschwung erdulden musste, ist Kissogram aus Berlin. Anfang des Jahrtausends sorgte das Duo mit dem vom Berliner Produzenten Woody ziemlich humorlos zum Disco-Stampfer aufgemöbelten Track "If I Had Known This Before" für volle Tanzböden. Doch bereits auf ihrem Debüt-Album "The Secret Life of Captain Ferber", das 2004 vom Label Louisville veröffentlicht wurde, war von geschmeidiger Disco-Routine nicht mehr viel zu vernehmen. Kissogram produzierten naiv-verspielten Synthiepop mit dilettantischem Gesang, der stellenweise derart windschief ausfiel, dass er fast schon wieder als charmant durchging.
Pop im Taschenrechnerformat
Noch abenteuerlicher fiel das Nachfolgewerk "Nothing Sir" aus, wo die zwei Mannen auch vor Ausschweifungen in die balkaneske Schlagermusik, ins Alleinunterhalter-Entertainment oder ins Gebiet des Psychedelic-Pops nicht zurückschreckten. Auch wenn sie englisch sangen, klangen Kissogram wie Nachkommen der abenteuerlichsten Elektrobastler aus der Neue-Deutsche-Welle-Zeit, wie Sprösslinge von Pyrolator, Der Plan und Konsorten. Diese Pop-Miniaturen waren von so erfrischend unverkrampftem Naturell und derart neckisch aufs Taschenrechnerformat zusammengeschrumpft, dass die Berliner Szene Kissogram zum Hype der Stunde emporjubelte. Die Konzerte mutierten zu wilden Feiern, die Freunde des nonkonformen Popformats schnurrten vor Vergnügen. Und auch der internationale Erfolg liess nicht lange auf sich warten. Die Gruppe Franz Ferdinand engagierte Kissogram als Vorband für eine ausgedehnte Europatournee, ein Umstand, der von der sensiblen Indie-Fraktion indes weniger goutiert wurde. Das bisher ausgefeilteste Werk "Rubber & Meat" (2009) wurde mit viel Skepsis begutachtet, das Duo, das um einen Schlagzeuger verstärkt wurde, stand auf einmal unter Ausverkauf-Verdacht, ohne sich wesentlich verkrümmt zu haben. Wie hiess es bei Der Plan so schön: "Es ist eine fremde und seltsame Welt." (ane)
Reitschule
Rössli Sonntag, 20. November, 20 Uhr (Türe)
Dass der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) lieber und besser schwadroniert als präzise analysiert, ist über die engen Mauern Berns hinaus bekannt. Dass er gezielt Fakten dreht, wurde durch die Beharrlichkeit des FDP-Stadtrats Alexander Feuz publik. Er erkundigte sich nach den Zuständen ums städtische Dauerärgernis Reitschule und erhielt nach Tschäppäts Ausflüchten Zugang zu den polizeilichen Basisdokumenten. Auf die Frage zum Beispiel, ob die Situation vor Abstimmungen sich verändere, rapportierte die Polizei zuhanden Tschäppäts korrekt: "Vor Abstimmungen, Wahlen, Vertragsverhandlungen etc. mit zu erwartenden direkten negativen Auswirkungen auf den IKUR-Betrieb der Reitschule verbessern sich die Situation und die Sicherheitslage jeweils merklich. Ist der politische und mediale Druck nicht mehr vorhanden, verschlechtert sich die Situation umgehend." Daraus fertigte Tschäppät die offizielle Antwort: "Dem Gemeinderat liegen keine konkreten Zahlen vor." Aus der Schilderung der tätlichen und verbalen Angriffe der "Reitschüler" auf die Polizei machte Tschäppät: "Solche Angriffe passieren allerdings nicht nur bei der Reithalle." Die polizeilich dokumentierten direkten Bezüge zwischen gewalttätigen Demonstrationen und Reitschule negiert der Präsident gar: "Nähere Angaben sind dem Gemeinderat nicht bekannt." (upe)
(...) BERN. Beim Berner Bollwerk werden
seit gestern wieder Verpflegungsstände, Jahrmarktsbuden und
verschiedene Bahnen aufgebaut. Am Samstag geht es dann los mit der
traditionellen "Schütz". 16 Schaustellertrupps betreiben ab dann
ihre
Buden und Fahrgeschäfte in Bern. Der Lunapark bleibt bis am 4.
Dezember
auf der Schützenmatte
und ist täglich bis 23 Uhr geöffnet.
Claudia Salzmann
Am Donnerstag könnte die Fraktion GFL/EVP im Stadtrat eine entscheidende Rolle beim Entscheid über den Leistungsvertrag zwischen der Stadt und der Reitschule spielen. Wie sie abstimmen wird und die Gründe dafür, erklärt Fraktionschef Peter Künzler.
Im Anschluss an die Fraktionssitzung der GFL und EVP vom Dienstag antwortete Peter Künzler, der Fraktionschef, gegenüber : "Es sieht so aus, als ob unsere Fraktion sich einstimmig für den einjährigen Leistungsvertrag (siehe Box) aussprechen wird."
Gründe dafür seien, dass der Gemeinderat besser mit der Reitschule verhandeln müsse und von Seiten der Reitschule noch zu wenig für die Sicherheit getan werde.
Besser kommunizieren
Dass die Fraktion gegen den vierjährigen Leistungsvertrag stimme, sei keine Abstrafung für die Reitschule. "Die Stadt steht hinter der Reitschule, das haben ja auch die Abstimmungen gezeigt", sagt Künzler. "Doch wir sehen Verbesserungspotenzial, insbesondere bei der Schnittstelle zwischen der Reitschule und der Polizei."
Der momentane Vertrag fordert unter anderem ein Sicherheitskonzept für den Vorplatz. Die Verantwortlichen der Reitschule teilen mit, dass auch "dieses Stück Papier" Vorfälle weder verhindere noch entschärfe: "Sicherheit entsteht durch flexibles, vernünftiges und verantwortliches Handeln der Beteiligten."
Mut fassen und Distanz gewinnen
Künzler sieht in einem Konzept auch nicht die Lösung für das Problem auf dem Vorplatz. "Doch damit hat die Reitschule die Gelegenheit, sich vom Dauerverdacht, der insbesondere in der politisch Rechten herrsche, zu lösen."
Der Stadtrat selber wohnt in der Nähe der Reitschule und seine Kinder gehen dort in den Ausgang. Somit wisse er, wovon er rede. Wenn es Zwischenfälle gebe, höre er das bei sich zu Hause.
Das Reitschulfest von Ende Oktober sei riesig
gewesen und ohne Probleme über die Bühne gegangen, bis einige
"unvermeidlichen Süffel für Zoff" gesorgt
hätten. "Die Reitschule lässt
sich hier missbrauchen, wie YB auch. Die Reitschule muss hier Mut
fassen und sich von gewissen Leuten distanzieren."
Es geht jährlich um 380'000 Franken,
welche die Reitschulbetreiber zwischen 2012 und 2015 aus der Stadtkasse
erhalten sollen. An der Sitzung vom 17.November stimmt der Stadtrat
über den Leistungsvertrag mit der Reitschule ab. Diesen Vertrag
hat
eine Mitte-rechts-Koalition im März bereits einmal an den
Gemeinderat
zurückgewiesen - mit dem Auftrag, den Vertrag in vier Punkten zu
überarbeiten. Sämtliche dieser Punkte betrafen mangelnde
Sicherheitsauflagen.
Der Gemeinderat hat den Leistungsvertrag daraufhin überarbeitet
und
dem Parlament ein zweites Mal vorgelegt. Doch die Kritik steht nach wie
vor im Raum. Die vorberatende Kommission für Soziales, Bildung und
Kultur (SBK) empfiehlt dem Parlament deshalb, den Vertrag vorerst nur
für ein Jahr - anstatt für vier - zu bewilligen. tob
Für die Kantonspolizei haben die Gespräche mit den Reitschul-Betreibern nichts gebracht. Die Stadt sieht das ganz anders.
Die Kantonspolizei und der Berner Gemeinderat haben in Sachen Reitschule eine diametral entgegengesetzte Einschätzung der Lage: Für die Stadtregierung verlaufen die regelmässigen Gespräche zwischen Reitschul-Betreibern, Stadt und Polizei "ergebnisorientiert und gut", wie aus der Antwort auf einen FDP-Vorstoss hervorgeht. Für Manuel Willi, Chef Regionalpolizei Bern, sind diese Gespräche aber mehr oder weniger gescheitert. Zwar sei das Kontakttelefon institutionalisiert, und die Gesprächskultur habe sich "leicht verbessert", hält er in einem Schreiben an den Gemeinderat fest. Die "sehr zeitintensiven langjährigen Gespräche" hätten aber nicht zum erwünschten Erfolg geführt. Die Diskrepanzen zwischen Kantonspolizei und Stadtregierung bestärken die Mitte-rechts-Parteien in ihrem Nein zum vierjährigen Leistungsvertrag mit der Reitschule. - Seite 21
Für den Berner Gemeinderat laufen die Gespräche zwischen Reitschule, Stadt und Polizei "ergebnisorientiert und gut". Für die Polizei haben die Gespräche "bis heute nicht zum gewünschten Erfolg geführt".
Vor der morgigen Debatte im Berner Stadtrat über den Leistungsvertrag mit der Reitschule für die Jahre 2012 bis 2015 wird offenbar, dass Gemeinderat und Kantonspolizei in Sachen Reitschule nicht am gleichen Strick ziehen. In seiner Antwort auf einen dringlichen Vorstoss von Alexander Feuz (FDP) hält der Gemeinderat fest, dass die seit 2008 stattfindenden Gespräche zwischen Stadt, Reitschule und Kantonspolizei "ergebnisorientiert und gut" verlaufen würden. Die Polizei hingegen kommt zur gegenteiligen Ansicht: "Die sehr zeitintensiven langjährigen Bemühungen, mittels Gesprächen eine vernünftige Lösung zu finden, haben bis heute nicht zum erwünschten Erfolg geführt", hält Regionalpolizeichef Manuel Willi in einer Stellungnahme zuhanden der Stadtberner Sicherheitsdirektion fest, die der Gemeinderat aufgrund des FDP-Vorstosses eingeholt hatte.
Willi führt weiter aus, "dass die Betreibenden der Reitschule die Sicherheit nicht gewährleisten können oder wollen". Zwar hätten "je nach Verhandlungsdelegation" Annäherungen erzielt werden können. Die Umsetzung der Abmachungen habe aber "keine grosse Nachhaltigkeit". Einzig vor Wahlen, Abstimmungen und Vertragsverhandlungen "mit zu erwartenden negativen Auswirkungen auf den Betrieb der Reitschule" verbessere sich die Sicherheitslage jeweils merklich. "Ist der politische und mediale Druck nicht mehr vorhanden, verschlechtert sich die Situation umgehend", hält Willi fest.
Nause: "Rein polizeiliche Optik"
Die kritische Haltung der Polizei in diesem Punkt ist in der gemeinderätlichen Antwort nicht erwähnt. Sie wurde nur aufgrund eines Akteneinsichtgesuches des Interpellanten publik. Feuz spricht davon, dass der Gemeinderat die Einschätzung der Polizei "unter den Tisch kehren" wolle. Schliesslich habe er den Gemeinderat gebeten, seine Fragen in Zusammenarbeit mit den zuständigen Polizeidienststellen zu beantworten.
Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) weist diese Vorwürfe zurück. Die Haltung der Polizei sei vielleicht "in dieser spezifischen Frage" nicht zum Ausdruck gekommen. In anderen Teilen der gemeinderätlichen Antwort gebe es aber sehr wohl "kritische Bemerkungen" zur Sicherheitslage vor der Reitschule. Aus rein polizeilicher Optik treffe es sicher zu, dass sich die Sicherheitslage auf dem Vorplatz des Kulturbetriebes nicht verbessert habe. "Die Gesamtinterpretation der Lage ist aber nach wie vor Sache des Gemeinderates." Dabei gebe es noch andere Aspekte zu berücksichtigen wie etwa den durchaus positiv zu wertenden Umstand, dass überhaupt Gespräche zwischen den Beteiligten stattfänden, sagt Nause.
Grosses Tor lässt sich schliessen
Die Diskrepanzen zwischen Gemeinderat und Kantonspolizei erhöhen die Chancen eines uneingeschränkten Ja des Stadtrates zum Leistungsvertrag mit der Reitschule kaum. Morgen könnte ein Antrag der vorberatenden Kommission für Soziales, Bildung und Kultur (SBK) erfolgreich sein, den Vertrag für vorerst nur ein Jahr zu verabschieden ("Bund" vom 1. November).
Zünglein an der Waage spielt die GFL. Für GFL/EVP-Fraktionschef Peter Künzler sind die unterschiedlichen Einschätzungen der Gespräche zwischen Stadt, Reitschule und Kantonspolizei Ausdruck einer "ganz schlechten Kommunikationskultur zwischen Gemeinderat und Polizei". Er stellt Gemeinderat und Verwaltung ein schlechtes Zeugnis aus und sieht Parallelen zum jüngst in der "Berner Zeitung" publik gewordenen Umstand, dass gemäss einer Neubeurteilung der Gebäudeversicherung einer Schliessung des grossen Tors der Reitschule bei Demonstrationen nichts entgegenstehe. Der Gemeinderat hatte sich stets auf den Standpunkt gestellt, dass das Tor aus feuerpolizeilichen Gründen nicht geschlossen werden könne. "Nur ein Teil der Probleme liegt bei der Reitschule selber", sagt Künzler. Letztlich scheitere eine Verbesserung der Situation am Umstand, dass der Gemeinderat seine Vermittlungsfunktion zu wenig dezidiert wahrnehme. "Stadtpräsident Alexander Tschäppät soll die Leute an einen Tisch bringen und sich der Sache annehmen", sagt Künzler.
"Zwängerei der Bürgerlichen"
"Man spricht seit Jahren nett und lieb miteinander.
Aber passieren tut
nichts", sagt auch Martin Schneider (BDP). Die
gemeinderätliche Antwort
auf den FDP-Vorstoss sei "pure Schönfärberei".
Die
Mitte-rechts-Parteien beharrten nach wie vor auf einer Lösung der
Problematik mit der Torschliessung während Demonstrationen und auf
einem schriftlichen Sicherheitskonzept der Reitschul-Betreiber.
Stadträtin Lea Bill (JA) spricht demgegenüber von einer
"Zwängerei der
Bürgerlichen und der Mitte". Falls der Stadtrat den
Leistungsvertrag
auf ein Jahr befriste, gefährde er die Planung des Kulturbetriebs.
"Man
kann nicht Ja zur Kultur in der Reitschule
sagen, aber Nein zur Organisation." Die Schliessung des Tors bei
Demonstrationen wiederum sei nicht praktikabel. "Bei welchen
Demonstrationen muss denn das Tor geschlossen werden und bei welchen
nicht?", fragt Bill. Diese Frage sei kaum auf eine sachlich
gerechtfertigte Art zu beantworten.
Wolf Röcken Ressortleiter Stadt Bern
Der Stadtrat soll den Leistungsvertrag 2012-2015 mit der Reitschule morgen erneut zurückweisen. Sonst wird die Diskussion um Sicherheitsprobleme rund um die Reitschule unnötig aufgeschoben. Bereits im Frühjahr hatte eine Ratsmehrheit die Regierung damit beauftragt, den Vertrag neu auszuhandeln. Es ging dabei allein um Sicherheitsaspekte. Der Gemeinderat aber hat sich schwergetan und den Auftrag nur teilweise erfüllt. Im Vertrag, den er mit der Reitschule-Betreiberin Ikur überarbeitet hat, sind nun ein interner Sicherheitsdienst und ein Sicherheitsverantwortlicher festgeschrieben. Dass konkrete Namen und Kontakte im Anhang stehen und im Vertrag selber fehlen, ist praktikabel und zu akzeptieren.
Nur fehlt auch im neuen Entwurf ein schriftliches und überprüfbares Sicherheitskonzept für den Vorplatz, wie es der Stadtrat fordert. Und es fehlt nach wie vor die Zusicherung der Ikur, alles gemäss ihren Möglichkeiten zu unternehmen, damit die Polizei bei Einsätzen nicht behindert wird. Oder anders formuliert: Es fehlt das Einverständnis, dass Behörden und Betreiber gemeinsam gegen jene Randgruppen vorgehen sollen, die rund um die Reitschule immer wieder für negative Schlagzeilen sorgen. Den Reitschule-Betreibern ist kein Vorwurf zu machen. Der Gemeinderat ist ihnen entgegengekommen.
Ein Sicherheitskonzept und die Zusicherung, mitzuhelfen, dass die Polizei nicht gestört wird, sind aber nötig. Dies sind zwei Punkte, die von einem subventionierten Betrieb erwartet werden dürfen. Auch dann, wenn man Rücksicht auf die "speziellen Strukturen und die Basisdemokratie der Reitschule" nimmt, wie der Gemeinderat schreibt.
Die Reitschule argumentiert, ein schriftliches Konzept wäre die falsche Form, um Sicherheit zu garantieren. Ein solches Papier könne je nach Ereignissen überholt werden. Vonseiten Stadt wiederum hiess es, dass es nicht sinnvoll sei, ein Sicherheitskonzept in einen Kulturvertrag zu schreiben.
Dabei ist ein Leistungsvertrag mit einem Veranstalter, der derart scharf beobachtet wird wie die Reitschule, eben gerade mehr als ein reiner Kulturvertrag. Dieser Vertrag kann Sicherheitsthemen unmöglich ausklammern. Der Gemeinderat will seine Forderungen weiter in die regelmässigen Gespräche zwischen allen Beteiligten einbringen. Dabei fehlt allerdings nach wie vor eine überprüfbare Verbindlichkeit.
Am Ziel vorbei geht deshalb auch der Vorschlag einer Mehrheit in der vorberatenden Kommission, den Vertrag vorerst nur für ein Jahr zu bewilligen. Damit soll ein "Signal" ausgesendet werden. Das ist unnötig. Denn Probleme und Positionen sind bekannt. Es gibt keinen Grund, die Sicherheitsdiskussion vor sich herzuschieben. Es braucht auch kein Jahr, um den Vertrag erneut zu überarbeiten. Zudem: Was Druck bewirken kann, hat das Jahr 2010 gezeigt. Vor der 5. Abstimmung um die Zukunft der Reitschule kam es zu keinen grösseren Vorfällen. Das war kein Zufall. Es zeigt, dass die Reitschule-Betreiber durchaus einen gewissen Einfluss ausüben können, auch auf ungebetene Gäste.
Eine zweite Rückweisung stellt die Zukunft der Reitschule nicht grundsätzlich infrage. Das wäre auch falsch. Denn der vielfältige Kulturbetrieb ist in breiten Kreisen akzeptiert und legitimiert. Die Stadtberner Stimmberechtigten haben sich in fünf Abstimmungen klar hinter das Kulturzentrum Reitschule gestellt. Bei einer Rückweisung des Leistungsvertrags würde die Stadt wohl erneut mit der Ikur verhandeln, hat Stadtpräsident Alexander Tschäppät angekündigt. Dagegen ist nichts einzuwenden. Für ein zufriedenstellendes Resultat braucht es mitunter mehrere Verhandlungsrunden. Ein angepasster Vertrag könnte nachträglich in Kraft treten.
Eine Kooperation in Sicherheitsfragen würde letztlich auch der Reitschule helfen. Nicht, dass Vorfälle damit ausgeschlossen werden könnten. Aber das Kulturzentrum käme im besten Fall aus der Schusslinie für Auswüchse und Vorfälle, für die es tatsächlich nicht verantwortlich gemacht werden kann. Noch etwas gilt es zu bedenken: Lenkt die Reitschule nicht ein, und bleibt die Situation gleich, ist zu befürchten, dass der Statthalter den Betrieb einschränkt. Im Unterschied zu einem Entgegenkommen im Leistungsvertrag würde dies den Kulturbetrieb direkt betreffen.
Mail: wolf.roecken@bernerzeitung.ch
Diskussion: blog.bernerzeitung.ch/leserblog
Subventionen · Am Donnerstag entscheidet der Stadtrat über
1,5 Millionen Franken Subventionen für die Reitschule-Betreiber.
Ohne dieses Geld können diese ab 2012 die Miete nicht mehr
bezahlen.
Das Gebäude gehört den Stadtbauten Bern. Doch die Reitschule-Betreiber
würden nicht einfach rausgeworfen - wie dies rechtlich mit
säumigen
Mietern möglich ist. "Das wäre ein Affront gegen das
Stimmvolk", sagt
Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP). "Bernerinnen
und Berner wollen
die Reithalle."tob
Seite 2
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Stadt Bern. Wie gehts weiter mit der Reitschule, falls der Stadtrat die Mietzinssubventionen für die Reitschule zurückweist? Aus rechtlicher Sicht könnten die Stadtbauten die Reitschule-Betreiber aus dem Gebäude werfen. Doch so weit wird es nicht kommen.
Am Donnerstag entscheidet das Stadtparlament über Subventionen für die Reitschule-Betreiber in der Höhe von 1,5 Millionen Franken für die Jahre 2012 bis 2015 . Die FDP fordert eine Rückweisung des Kredits wegen mangelnder Sicherheitsauflagen im Leistungsvertrag mit den Betreibern (wir berichteten). Falls das Parlament der FDP folgt, verliert die Interessengemeinschaft Kulturraum Reitschule (Ikur) jährliche Subventionen von 380 000 Franken. "In diesem Fall könnte die Ikur den Mietzins wohl nicht mehr bezahlen", sagt Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) auf Anfrage. Was dann mit der Reitschule passiert, könne er nicht voraussagen. "Es gibt kein Notfallszenario", sagt Tschäppät. "Wir hätten einen vertragslosen Zustand und müssten miteinander reden."
"Unfair gegen Jugendliche"
Das Reitschule-Gebäude gehört den Stadtbauten Bern (Stabe). Aus rechtlicher Sicht könnten die Stabe die säumigen Reitschule-Betreiber mahnen - und falls der Mietzins ausbleibt, den Mietvertrag kündigen. Oder anders gesagt: Die Stabe-Verantwortlichen könnten die Reitschule-Betreiber aus dem Gebäude werfen lassen.
Doch so weit wird es mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht kommen. "Bis Ende Jahr ist der Mietzins bezahlt", sagt René Tschanz, Geschäftsbereichsleiter Immobilienmanagement bei Stabe auf Anfrage. "Falls für 2012 keine Miete bezahlt wird, würden sie das weitere Vorgehen mit den zuständigen politischen Organen absprechen." Die Stabe gehören zu 100 Prozent der Stadt Bern. Alexander Tschäppät fügt an: "Der Mietvertrag mit der Ikur ist für die Stadtbauten kein 08/15-Geschäft." Dieses Dossier habe eine politische Dimension. "Eine Schliessung der Reitschule wäre unfair gegenüber mehreren 1000 Jugendlichen aus der ganzen Region", sagt Tschäppät. "Die meisten davon nutzen das Kulturangebot der Reitschule auf friedliche Art." Die Sicherheitsprobleme und die Attacken gegen Polizeibeamte gingen von Randgruppen aus. "Solche Sachen nerven mich. Dagegen müssen die Behörden und die Betreiber gemeinsam vorgehen." Doch eine Schliessung wegen ausbleibender Mieten wäre laut Tschäppät "ein Affront gegenüber einer grossen Mehrheit des Stimmvolkes". Das Stimmvolk hat sich an der Urne bereits fünfmal für den Erhalt der Reitschule ausgesprochen. Bei der letzten Abstimmung am 26. September 2010 stellten sich 68,8 Prozent hinter die Reithalle. "Die Bernerinnen und Berner wollen die Reithalle", sagt Tschäppät.
Neu verhandeln
Eine realistischere Lösung als die Kündigung des Mietverhältnisses mit der Ikur wäre die nachträgliche Anpassung des Leistungsvertrages. "Der Stadtrat hat das Recht, den Leistungsvertrag zu kritisieren und Änderungen zu fordern", sagt Tschäppät. Sollte das Parlament den Reitschule-Kredit zurückweisen, würde die Präsidialdirektion ein weiteres Mal mit der Ikur über den Leistungsvertrag verhandeln. Dies wäre kein gutes Zeugnis für die Regierung. Bereits im März hat der Stadtrat den Leistungsvertrag getadelt. Der Gemeinderat wurde zu Nachverhandlungen verdonnert.