MEDIENSPIEGEL 23. - 29. JANUAR 2012

Bund 28.1.12

Kurz & kritisch Theater 1231: "Dumm und dick"

Als das Schreiben geholfen hat

"Der liebe Gott hat uns beide vergessen", sagt die junge Frau zu ihrer ersten grossen Liebe. Der junge Mann bleibt stumm. Er ist der Sohn eines reichen Bauern, sie die Tochter eines armen Trunkenbolds. Dass der liebe Gott ihr keine grosse Hilfe ist, hat sie früh erfahren müssen. Er hat zugelassen, dass sie als dumm und dick verspottet und von der eigenen Mutter abgelehnt wurde. Der früh verstorbene Vater, gefangen in seinem eigenen Unglück, war der Einzige, der sie wie einen Menschen behandelt hatte. Geholfen hat das Schreiben. Eine eigene Sprache findet die Frau, mit ihr bannt sie das Grauen der jahrelangen Verletzungen und Demütigungen, das an ihr klebt wie eine zweite Haut und das abzuschütteln sie so lange vergeblich versucht hat.

Unter dem Motto "Was ist der Mensch?" bringt der Berner Schriftsteller Werner Wüthrich das Schicksal von Rosmarie Buri (1930-1994) auf die Bühne. Ein vielschichtiges Unterfangen, denn Wüthrich, der Rosmarie Buri gut gekannt hat, ist nicht der Versuchung erlegen, das alte Klischee des dummen dicken Mädchens durch ein neues scheinwerfertaugliches zu ersetzen. Gar märchenhaft ist nämlich die Story der Bestsellerautorin, dieser Hausfrau aus Burgdorf, deren Erinnerungen "Dumm und dick" (1990) sich mehr als 300 000 Mal verkauften, nachdem sie acht Jahre lang vergeblich einen Verlag gesucht hatte. In Wüthrichs Stück, das in einer Inszenierung des Theaters 1231 (Regie Peter Incondi) in der Nydeggkirche zur Uraufführung kommt, tritt zwar ein aalglatter Talkmaster auf. In allerlei quotenträchtige Fallen versucht dieser die Sechzigjährige zu locken, um dem Publikum erst skandalträchtige Enthüllungen und dann ein Bilderbuch-Happy-End präsentieren zu können. Doch die Rose, die sich da erinnert, lässt sich vom Rampenlicht nicht verführen. Sie hat weit mehr als ein Gesicht, und welches das wahre ist, ist eine Frage, die sich ihr nicht stellt. Sie traut nur ihrer ganz eigenen Sprache, mit der sie sorgsam und unbeirrbar die Konturen ihrer Existenz nachzieht. Zwei Darstellerinnen, die unterschiedlicher nicht sein könnten, spielen sich durch die verschiedenen Stadien dieser Frau, die sich so hartnäckig sucht und manchmal findet: abgeklärt, elegant und blond die eine, unförmig, kindlich und grauhaarig die andere.

Wüthrich versucht nicht, die Leerstellen zu füllen, die Buri in ihren Erinnerungen ausgespart hat, zum Beispiel die fast vierzig Jahre Ehe mit einem Bauarbeiter oder die Beziehung zu ihren Kindern. Er zeigt vielmehr eine Frau, für die das Wunder der Sprache zur Offenbarung geworden ist.Die Differenziertheit von Wüthrichs Text unterlegt das Theater 1231 mit schlichten holzschnittartigen Szenen. Zum herben Passionsspiel wird so die Inszenierung in den Rückblenden zu Rosmarie Buris leidvoller Jugend. In der kirchlichen Kulisse garantiert dies zwar ein paar eindrückliche Momente. Doch wird dadurch die Figur der Rose genau zu jener Schablone, die man in Werner Wüthrichs subtilem Text vergeblich sucht.
Brigitta Niederhauser

Aufführungen: 3. 2. Ref. Kirche Lyss; 3. 3. Stadtkirche Thun; 11. 3. Ökumenisches Zentrum Kehrsatz; 23. 3. Ref. Kirche Muri-Gümligen; 26./27./28. 4. Grosse Halle Reitschule in Bern; 3./4. 5. Stadtkirche Burgdorf. www.theater1231.ch

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Bund 28.1.12

Meinungen

Perspektiven

Wenn die Agenda "Randale" heisst

Artur K. Vogel

Die Demonstration fand nicht statt und hallt trotzdem nach. Vor einer Woche wollten in Bern ein paar Hundert Leute gegen die WEF-Jahrestagung in Davos protestieren. Die Polizei verhinderte mit einem Grossaufgebot die unbewilligte Manifestation. Seither wird darüber gestritten, ob deren Einsatz verhältnismässig gewesen sei.

Die Verhältnismässigkeit ist jedoch nicht das erste Thema, das einem in den Sinn kommt. Relevant sind viel mehr folgende Fragen: Ist das Demonstrationsrecht verletzt worden? Wie grenzt sich dieses gegen andere Rechte ab? Wie weit soll ein Gemeinwesen wie die Stadt Bern illegale Aktionen von gewaltbereiten Minderheiten tolerieren? Welche politischen Schlüsse müssen gezogen werden?Das Demonstrationsrecht. Das Recht, seine Meinung öffentliche kundzutun, gehört zu jeder Demokratie. Oder umgekehrt: Wird das Demonstrationsrecht so weit eingeschränkt, dass Kundgebungen praktisch unmöglich sind - momentan etwa in Russland zu beobachten -, muss man sich ernsthafte Gedanken über den Zustand einer Demokratie machen.

Hingegen ist das Demonstrationsrecht nicht absolut. Um zu demonstrieren, wird öffentlicher Raum für Zwecke belegt, für die er nicht geschaffen ist. Juristisch nennt man das einen "gesteigerten Gemeingebrauch", und dieser kann Regeln unterstellt werden, zum Beispiel einer Bewilligungspflicht. Gemäss Bundesgerichtsurteil kann eine Demonstration zudem "nur in den durch die Rechtsordnung und die öffentliche Ordnung aufgestellten Schranken durchgeführt werden". In ihrer Arbeit über "Demonstrationsfreiheit und Rechte Dritter" formulieren es Professor Yvo Hangartner und Andreas Kley-Situller so: "Das Randalieren, das Bekleben von Schaufenstern, Einschlagen von Scheiben, die Beschädigung von Autos, die Stilllegung des Verkehrs oder die Belästigung von Passanten" stellten "keine grundrechtlich geschützte Ausübung des Demonstrationsrechts dar".

Fazit: Das Demonstrationsrecht wird nicht verletzt, wenn man eine unbewilligte Demonstration auflöst, zumal eine, in deren Vorfeld schon zu Gewalt aufgerufen wurde.

Die politischen Konsequenzen. Nicht verständlich ist, dass Vertreter und Vertreterinnen linker und grüner Parteien oft reflexartig die Position der Krawallmacher vertreten. Linke und Grüne, wenn ich sie richtig verstehe, wollen die Welt verbessern und zu einem menschenwürdigeren Ort machen. Der harte Kern illegaler Demonstrationen hingegen hat nur vordergründig eine politische Agenda - Kampf gegen die Globalisierung zum Beispiel. Tatsächlich geht es diesem harten Kern - der immer wieder auch Umzüge zum 1. Mai und ähnliche Manifestationen für Ausschreitungen missbraucht -, vor allem um eines: Randale. Hätte man eine friedliche Absicht: wozu dann Angriffswerkzeug und Vermummungsmaterial an die Demo mitbringen?

Wenn sich linke Nachwuchsgruppierungen und zum Teil sogar gestandene Politiker aus dem linken Lager rituell mit Krawallmachern solidarisieren, muss man sich deshalb fragen, ob sie wirklich dazu taugen, eine Stadt wie Bern zu regieren. Denn deren Bevölkerung hat Anspruch darauf, dass ihre Regierung - die von den Steuergeldern dieser Bürgerinnen und Bürger lebt - ihre legitimen Interessen achtet und notfalls durchsetzt; das Recht auf Privateigentum zum Beispiel oder das Recht auf körperliche Unversehrtheit.Verhältnismässigkeit. Es war also richtig, die unbewilligte Demonstration im Keim zu ersticken. War es auch verhältnismässig? Im Nachhinein ist man stets klüger, und es ist möglich, dass die paar Grüppchen am letzten Samstag mit geringerem polizeilichem Aufwand hätten aufgelöst werden können. Das ändert aber nichts an der Tatsache, dass die Stadtregierung unbewilligte Manifestationen, die jeweils in Sachbeschädigungen und Chaos ausarten, unterbinden und dass sie der Polizei die Mittel, die dazu notwendig sind, bewilligen muss.

Besonders kurios ist die Forderung, man hätte im Voraus mitteilen sollen, dass die unbewilligte Demonstration nicht toleriert werde. Dann wären viele Teilnehmer gar nicht erst gekommen. Das kommt mir ein bisschen vor wie einer, der auf der Autobahn mit überhöhter Geschwindigkeit geblitzt wird und sich beklagt, dass man ihn nicht vorher über die Existenz des Radargeräts informiert habe; er hätte dann das Auto zu Hause gelassen.

Nein: Es war höchste Zeit für die links-grün dominierte Stadtregierung, ihre Verantwortung wahrzunehmen und gewaltbereiten Grüppchen klarzumachen, dass die Stadt ein Ort für alle ist, wo Anarchie und Zerstörungswut nicht toleriert werden. Wer demonstrieren will, soll dies tun, aber im Rahmen der für alle geltenden Regeln. Und er soll die Verantwortung dafür übernehmen, statt sich hinter Palästinensertüchern zu verstecken.

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BZ 28.1.12

Neuer Aufruf zur Demo

Stadt Bern. Nach der verhinderten Anti-WEF-Demo von letztem Samstag wird für heute in einer Woche zur "Wiederholung" aufgerufen.

"Wir lassen uns nicht einschüchtern, weder von den Polizeihundertschaften noch von den Politikern, die deren Angriff gegen uns befohlen haben", steht in einer Mitteilung mit dem Absender Anti WEF. Am letzten Samstag, als die Polizei eine unbewilligte Anti-WEF-Demo im Keim erstickte, sei die Stadt "polizeilich besetzt" gewesen. Für heute in einer Woche, am Samstag, 4. Februar, wird deshalb zur "Demowiederholung" in der Innenstadt aufgerufen. Dies sei nötig, weil die Polizei die Demoteilnehmer daran gehindert habe, Kritik zu äussern, finden die Aktivisten. Die Demonstranten seien "gefesselt, weggeschleift, weggesperrt, bedroht und geschlagen" worden. Die "angebliche Gewaltdrohung" im Vorfeld sei ein Vorwand für die Polizei gewesen, um radikale Kritik zu kriminalisieren.

Bis gestern Nachmittag ging bei der Stadt keine Anfrage für eine Bewilligung ein. wrs

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bernerzeitung.ch 27.1.12 (15.05 Uhr)
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Bisher-keine-Bewilligung-fuer-neue-AntiWEFDemo-in-Bern/story/22689388

Bisher keine Bewilligung für neue Anti-WEF-Demo in Bern

Nach der verhinderten Anti-WEF-Demo von letztem Samstag wird laut Recherchen der Berner Zeitung für Samstag in einer Woche zur "Wiederholung" aufgerufen. Polizei und Stadt Bern haben den Aufruf zur Kenntnis genommen.

"Wir lassen uns nicht einschüchtern, weder von den Polizeihundertschaften noch von den Politikern, die deren Angriff gegen uns befohlen haben", steht in einer Mitteilung mit dem Absender Anti-WEF. Am letzten Samstag, als die Polizei eine angekündigte, aber unbewilligte Anti-WEF-Demo im Keim erstickte, sei die Stadt "polizeilich besetzt" gewesen.

Demo-Aufruf für den 4. Februar

Für Samstag, 4. Februar, wird deshalb zu einer Wiederholung der Kundgebung in der Berner Innenstadt aufgerufen.

Dies sei nötig, weil ein riesiges Polizei die Demonstranten daran gehindert habe, Kritik zu äussern. Vielmehr seien die Demonstranten "gefesselt, weggeschleift, weggesperrt, bedroht und geschlagen" worden.

Die angebliche Gewaltdrohung im Vorfeld der Demo sei wie schon oft lediglich ein Vorwand gewesen, um radikale Kritik zu kriminalisieren und zu schwächen.

Noch keine Bewilligung für Anti-WEF-Demo

Der Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) sagte am Freitag gegenüber Bernerzeitung.ch/Newsnet, dass die Stadt Bern Kenntnis von der angekündigten Anti-WEF-Demo vom 4. Februar genommen habe. Es sei jedoch noch keine Anfrage für eine Bewilligung eingegangen. Nause schliesst aber nicht aus, dass dies heute Freitag noch geschehe.

Auch die Kantonspolizei Bern hat Kenntnis von der angekündigten Anti-WEF-Demo vom 4. Februar genommen. "Wir können aber im Vorfeld keine Auskunft über das Vorgehen geben", sagte Polizeisprecher Michael Fichter.

Die Polizei hatte am 21. Januar 2012 eine erste unbewilligte Anti-WEF-Demo in Bern im Keim erstickt und damit erst gar nicht zugelassen. (cls, per, wrs)

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bernerzeitung.ch 27.1.12
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/AntiWEFDemo-in-Bern-soll-wiederholt-werden/story/22689388

Anti-WEF-Demo in Bern soll "wiederholt" werden

Nach der verhinderten Anti-WEF-Demo von letztem Samstag wird laut Recherchen der Berner Zeitung für Samstag in einer Woche zur "Wiederholung" aufgerufen. Die Polizei hat den Aufruf zur Kenntnis genommen.

"Wir lassen uns nicht einschüchtern, weder von den Polizeihundertschaften noch von den Politikern, die deren Angriff gegen uns befohlen haben", steht in einer Mitteilung mit dem Absender Anti-WEF. Am letzten Samstag, als die Polizei eine angekündigte, aber unbewilligte Anti-WEF-Demo im Keim erstickte, sei die Stadt "polizeilich besetzt" gewesen.

Demo-Aufruf für den 4. Februar

Für Samstag, 4. Februar, wird deshalb zu einer Wiederholung der Kundgebung in der Berner Innenstadt aufgerufen.

Dies sei nötig, weil ein riesiges Polizei die Demonstranten daran gehindert habe, Kritik zu äussern. Vielmehr seien die Demonstranten "gefesselt, weggeschleift, weggesperrt, bedroht und geschlagen" worden.

Die angebliche Gewaltdrohung im Vorfeld der Demo sei wie schon oft lediglich ein Vorwand gewesen, um radikale Kritik zu kriminalisieren und zu schwächen.

Polizei hält sich bedeckt

Die Kantonspolizei Bern hat Kenntnis von der angekündigten Anti-WEF-Demo vom 4. Februar genommen. "Wir können aber im Vorfeld keine Auskunft über das Vorgehen geben", sagte Polizeisprecher Michael Fichter auf Anfrage.

Die Polizei hatte am 21. Januar 2012 eine erste unbewilligte Anti-WEF-Demo in Bern im Keim erstickt und damit erst gar nicht zugelassen. (cls, per, wrs)

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derbund.ch 27.1.12
http://www.derbund.ch/bern/WEFGegner-wollen-Demo-wiederholen/story/31997379

WEF-Gegner wollen Demo "wiederholen"

WEF-Gegner rufen in einer Mitteilung zu einer "Wiederholung" der verhinderten Demo vom vergangenen Samstag auf. Die "Neuauflage" soll am 4. Februar stattfinden.

"Nein, wir lassen uns nicht einschüchtern, weder von den Polizeihundertschaften noch von den Politiker_innen, die deren Angriff gegen uns befohlen haben", schreiben die WEF-Gegner in einer Medienmitteilung. Sie kündigen an, am 4. Februar wieder auf die Strasse gehen zu wollen, um die Demonstration vom 21. Januar zu "wiederholen".

153 Personen angezeigt

Am vergangenen Samstag konnte die Polizei mit einem Grossaufgebot die unbewilligte Anti-Wef-Demo im Keim ersticken. Aktivisten wurden bereits auf dem Weg zum geplanten Besammlungsort am Bahnhof eingekesselt.

Im Nachgang an die Demonstration hat die Kantonspolizei insgesamt 153 Personen wegen Landfriedensbruch angezeigt. (bs)

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Bund 27.1.12

Verbalscharmützel über das "Schlechte in der Reitschule"

Dem Gastrobetrieb in der Reitschule drohen Zwangsmassnahmen. Die Bürgerlichen im Berner Stadtrat drängen auf Umsetzung.

"Mir geht es um die Rechtsgleichheit", sagte gestern Alexander Feuz (FDP) im Stadtrat. Es könne nicht sein, dass die Gastrobetriebe in der Reitschule besser behandelt würden als gewerbliche Kleinbetriebe. Feuz hatte sich in einer Interpellation unter anderem nach der Anzahl der Interventionen und Anzeigen der Gewerbepolizei im Gastgewerbebetrieb der Reitschule erkundigt. Gemäss schriftlicher Antwort des Gemeinderates ist es in der Zeit von Januar bis November 2011 zu über 80 Meldungen wegen Lärms sowie zu mehreren Strafanzeigen wegen Verstössen gegen das Gastgewerbegesetz gekommen. Am 15. November hat das Polizeiinspektorat beim Statthalteramt einen Antrag auf Schliessung des Gastrobetriebes sowie auf den Erlass von Verwaltungszwangsmassnahmen gestellt ("Bund" vom 10. Januar).

Gleichzeitig mit der Interpellation Feuz wurde gestern auch ein Vorstoss der Fraktion BDP/CVP behandelt, die sich danach erkundigte, auf welcher Rechtsgrundlage der Gemeinderat der Reitschule die Miete fürs erste Quartal 2012 auszahlen liess, obwohl die Betreiber eine Unterzeichnung des Leistungsvertrages bis anhin verweigert haben.

Wasserfallen kündigt Umzug an

"Es ist kein schönes Bild der Verhältnisse in der Reitschule, das der Gemeinderat in seiner Antwort auf den Vorstoss von Alexander Feuz entwirft", sagte GFL/EVP-Fraktionschef Peter Künzler. Der skandalisierende Unterton der Vorstösse von FDP und BDP/CVP mache ihm jedoch Mühe. Künzler wies darauf hin, dass das Stadtparlament im Wahljahr wohl kaum zum letzten Mal übers Thema Reitschule debattieren werde. Er verknüpfte diesen Hinweis mit der Hoffnung, dass sich das Verhältnis zwischen Reitschul-Betreibern und Polizei künftig bessern werde. Hart ins Gericht mit dem Gemeinderat ging Roland Jakob (SVP). Er sei "sehr, sehr traurig", dass der Gemeinderat nicht fähig sei, "das Schlechte aus der Reitschule zu verbannen". Das Gastgewerbegesetz müsse auch für das Kulturzentrum gelten. Wenn die Rechtsgleichheit im Fall Reitschule nicht gewährleistet werden könne, werde man im Stadtrat immer wieder über die Reitschule reden müssen. Der Ex-SVPler Peter Wasserfallen kündigte gar seinen Wegzug aus der Stadt Bern auf Ende Jahr an. Es sei ein Jammer, dass letztes Jahr sogar die SVP für den Leistungsvertrag mit der Reitschule gestimmt habe, sagte Wasserfallen. Als Bürgerlicher könne man nur gegen die Reitschule sein.

Annette Lehmann (SP) vermutete, dass es nur noch um ein "Bashing" der Reitschule gehe. Die Antworten der Gemeinderates auf die Fragen von Stadtrat Feuz seien schlüssig, auf die Einleitung von Verwaltungszwangsmassnahmen habe das Parlament keinen Einfluss.

"Wie jeder andere Gastrobetrieb"

"Der Gemeinderat hat in seiner Antwort die ganze Vorgeschichte umfassend dargelegt", sagte Gemeinderat Reto Nause (CVP). Für den Gemeinderat sei klar, dass die Reitschule wie jeder andere Gastrobetrieb behandelt werden müsse. Seit dem Antrag auf Verwaltungszwangsmassnahmen könne man nicht mehr von Rechtsungleichheit sprechen. Eine Arbeitsgruppe aus Stadt, Kanton und Statthalteramt sei seit Ende Dezember dabei, das Vorgehen bezüglich Einhaltung des Gastgewerbegesetzes zu koordinieren, sagte Nause. Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) wies darauf hin, dass der Stadtrat den Leistungsvertrag samt Mietkredit genehmigt habe. Die Auszahlung der Miete fürs erste Quartal sei somit rechtens. (bob)

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BZ 27.1.12

"Jeden Monat einmal wird die Reitschule ein Thema"

Stadtrat · Gelten für die Reitschule die gleichen Regeln wie für andere Gastrobetriebe in Bern? Der Stadtrat geriet sich ob dieser Frage einmal mehr in die Haare. Im Wahljahr dürfte es nicht das letzte Mal gewesen sein.

GFL-Stadtrat Peter Künzler betätigte sich gestern Abend als Hellseher: "Ich sage euch, dass wir im Wahljahr mindestens einmal pro Monat eine Grundsatzdebatte zum Thema Reitschule führen werden", prophezeite er seinen Ratskollegen. Aus diesem Grund werde die Grüne Freie Liste einen Standardtext vorbereiten, den er künftig immer verlesen werde.

Zwei Vorstösse hatten die erneute Reitschule-Debatte ausgelöst. Der Freisinnige Alexander Feuz warf dem Gemeinderat vor, er bevorzuge die Reitschule gegenüber anderen Gastrobetrieben. Zudem "unterschlage" die Regierung bewusst Informationen. "Der Gemeinderat hätte dem Stadtrat sagen müssen, dass vom Polizeiinspektorat beim Regierungsstatthalter ein Antrag auf Verwaltungszwangsmassnahmen vorliegt." Im zweiten Vorstoss störten sich Martin Schneider (BDP) und Béatrice Wertli (CVP) daran, dass der Gemeinderat der Reitschule die erste Mietzinsrate bezahlte, obschon die Reitschule den Leistungsvertrag mit der Stadt nicht unterzeichnet hatte.

"Die Reitschule wird gleich behandelt"

Es folgte eine Grundsatzdebatte mit den bekannten Positionen zur Reitschule und der Versicherung von Gemeinderat Reto Nause (CVP), dass für die Reitschule keine Sonderregeln gelten würden. "Sie wird gleich behandelt wie jeder andere Gastrobetrieb", betonte er. Wenn der Regierungsstatthalter Zwangsmassnahmen prüfe, sei es nicht statthaft, von Rechtsungleichheit zu sprechen. Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) fragte sich, wo wohl der von Stadtrat Feuz geortete "Skandal" zu finden sei. "Der Stadtrat selber hat schliesslich das Geld gesprochen, das wir der Reitschule ausbezahlt haben." Mirjam Messerli

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BZ 27.1.12

Anti-WEF-Aktion mit grossem Polizei-Aufgebot

Stadt Bern. Eine friedliche Anti-WEF-Aktion auf dem Bahnhofplatz löste gestern Abend ein grosses Polizeiaufgebot aus.

In der Oberen Innenstadt stand gestern Abend ein grosses Aufgebot von Polizisten in Bereitschaft. In der Spitalgasse, beim Bahnhof, aber auch etwa in der Hodlergasse waren Dutzende Polizisten platziert, einige Mannschaftswagen standen bereit. Das Aufgebot stand in Zusammenhang mit einer Aktion von Anti-WEF-Gegnern unter dem Baldachin auf dem Bahnhofplatz. Dort hatten sich gegen 18 Uhr zwischen 30 und 40 Personen versammelt. Sie demonstrierten mit einem symbolischen Schachspiel gegen das WEF. Die Aktion verlief ruhig, kurz nach 19 Uhr zogen sich die Demonstranten in die Reithalle zurück. jsp

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Bund 27.1.12

Rücktrittsforderung nach der Anti-WEF-Demonstration

Die Juso Bern und die Jungen Grünen Bern fordern in einer gemeinsamen Medienmitteilung Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern, zum Rücktritt auf. Sie stören sich an dieser Aussage Blättlers im Interview mit dem "Bund" von vorgestern Mittwoch: "Wenn Sie bei diesem Umzug mitlaufen und sich nicht blitzartig entfernen, machen Sie sich strafbar." Dies bedeute, so die beiden Jungparteien, dass sich die Polizei "von der Unschuldsvermutung verabschiedet". Die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration in der Stadt Bern sei nicht strafbar. (pd)Stadt Bern

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Indymedia 26.1.12
https://switzerland.indymedia.org/de/2012/01/85158.shtml

Demo in Bern wird wiederholt: ANTI-WEF Demo 2.0 

AutorIn : NoWEF Bündnis        

Samstag 04.02.2012 um 15.00 Uhr bei der Heiliggeistkirche in Bern.
   
Nein, wir lassen uns nicht einschüchtern, weder von den Polizeihundertschaften noch von den Politiker_innen, die deren Angriff gegen uns befohlen haben. Wir werden wieder und wieder auf die Strasse gehen, bis die Gründe für Umweltzerstörung, Ausbeutung, Hunger und Unterdrückung beseitigt sind! Nicht weil wir uns gerne den polizeilichen Demütigungen und Schikanen aussetzen, sondern weil wir die alltäglichen Zumutungen und die Zerstörung des Planeten und die Ausbeutung seiner Bewohner_innen satt haben und nicht mehr schweigend hinnehmen.

Wir kennen ihre Machenschaften. Es ist nicht das erste Mal, dass sie uns mit einem riesigen Polizeiaufgebot daran gehindert haben, Kritik zu äussern. Dass sie uns gefesselt, weggeschleift und weggesperrt haben. Dass sie uns bedroht und geschlagen haben. Dass sie uns den Gang auf die Toilette verweigert haben. Dass sie uns befohlen haben, die Kleider auszuziehen. Dass sie uns mit Tränengas eingesprüht haben. Dass sie die Stadt polizeilich besetzt haben. Dass sie unsere Transparente, Flugblätter und Broschüren beschlagnahmt haben.

Wir wissen, warum sie es getan haben. Nicht wegen den angeblichen "Gewaltdrohungen" haben sie uns am Samstag geschlagen, verhaftet, gefesselt und eingesperrt. Mit Gewalt haben diese Herren und Damen nämlich kein Problem. Im Gegenteil: Gewalt üben sie selber aus um unsere Bewegung, die radikale Kritik an diesen Verhältnissen übt, zu kriminalisieren und zu schwächen. Die angebliche "Gewaltdrohung" war, wie schon oft, ein Vorwand. Die Repression gegen unliebsame Kritikäusserung wird in Bern schon länger systematisch vorangetrieben: Das Anti-AKW-Camp wurde geräumt, Demonstrierende einer Solidaritätsdemo samt Tram "gekidnappt", die Anti-Repressionsdemo angegriffen, die SVP wurde mit schier unvorstellbaren Ressourcen beschützt und die Berner Bevölkerung dabei schikaniert... Dass Polizei und Politik jedes Mittel recht ist, um ihre Massnahmen zu rechtfertigen, zeigen die Lügengeschichten rund um die prügelnden Zivilfahnder in der Reitschule. Warum sie das tun ist klar: Sie verteidigen das herrschende System dogmatisch, kompromisslos!

Wir wissen, warum wir es tun. Weil wir nicht schweigen wollen, wenn sich Bonzen_innen und Politiker_innen mit Kulturheinis und sonstigen Berühmtheiten umgeben und sich als die Retter_innen inszenieren, die mit "neuen Modellen die Welt verbessern" wollen, während sie in Wahrheit die Agenten_innen und Organisatoren_innen der herrschenden Verhältnisse sind. Die Brandstifter_innen präsenteiern sich als Feuerwehr, die Ausbeuter_innen als Wohltäter_innen, die Unterdrücker_innen als Befreier_innen. Sie sprechen in ihrer noblen Schwatzbude darüber, wie sie die Probleme lösen könnten, die sie selber täglich von neuem reproduzieren. Sie werden nicht müde zu wiederholen, wie schwer sie an ihrer Verantwortung tragen, während sie uns die Löhne kürzen, die Mieten erhöhen, die Jobs kündigen, die Sozialleistungen zusammenstreichen…

Wir scheissen auf das WEF, weil es nicht Teil der Lösung, sondern Teil des Problems ist. Weil sich dort die Eliten der kapitalistischen Welt treffen und austauschen und weil wir wissen, dass wir von diesen nichts Gutes zu erwarten haben.

Wir rufen dich auf, gemeinsam mit uns zu protestieren, wenn du nicht schweigen willst, während sich Mörder_innen, Ausbeuter_innen und Unterdrücker_innen im verschneiten Davos zur ihrer Selbstbeweihräucherung treffen. Wenn du genug hast, vom Druck auf der Baustelle, von den Arbeitszeiterhöhungen in der Fabrik, vom Mobbing im Büro, vom Stress im Spital, von den Polizeikontrollen und Schikanen, von der Hetze in den Medien, vom Leistungsdruck in der Schule und an der Uni, von der Umweltzerstörung, von der alltäglichen Konkurrenz, von Burnout, Verdrängung, Welthunger, Ausgrenzung, Rassismus, Sexismus, Krieg und Krise. Wir haben nämlich längst genug davon!

Wir sehen uns am 04.02.2012 um 15.00 bei der Heiliggeistkirche in Bern.

"Wollen wir es schnell erreichen,
brauchen wir noch dich und dich.
Wer im Stich lässt seinesgleichen,
lässt ja nur sich selbst im Stich."
(Berthold Brecht)

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Indymedia 26.1.12
https://switzerland.indymedia.org/de/2012/01/85157.shtml

WEF schachmatt setzen
  
AutorIn : No WEF Bern        

Wie angekündigt, fand heute, dem 26. Januar, im Rahmen der Anti-Wef-Aktionswoche ein Menschenschachspiel in Bern statt. Ca. 100 Leute versammelten sich um die 32 menschlichen Schachfiguren auf dem Bahnhofsplatz in Bern und verfolgten das spannende Spiel.    
   
Die Schachspieler symbolisierten das Geld, das auf der Welt regiert und nachdem wir unser aller Handeln richten.
Die Schachfiguren stellten gesellschaftliche Charaktermasken dar. Die Bauern waren einfache Arbeiter_innen, wie zum Beispiel Sanitärinstalateur_innen, Kaufmännische Angestellte, Bäcker_innen, etc. Die Könige repräsentierten Finanz- und "Real-" kapital, vertreten durch die UBS und Nestlé. Die Damen, Pferde, Türme und Läufer stellten die Armee, Politiker, Polizei und Manager dar.

Trotz grossgekotztem Polizeiaufgebot konnte die Aktion in Ruhe durchgeführt werden. Über Megafon wurden Informationen zum WEF und zu unserer Aktion mitgeteilt.
Das Schachspiel endete, als die Arbeiter_innen es Leid waren, nur einfache Spielfiguren zu sein, welche für fremde Zwecke geopfert werden. Die Arbeiterschaft vereinigte sich zu einer Revolution, stürzte die Schachspieler und beendete das traurige Spiel.

Unsere Schachpartie ist vorbei doch das globale Game, das Spiel mit unserem Leben, geht vorerst weiter.
Hilf auch du die Schachspieler zu stürzen, nehmen wir unser Leben in die eigenen Hände.

STOP RESHAPING CAPITALISM – ABORT IT! WIPE OUT WEF!

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bernerzeitung..ch 26.1.12
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/WEFGegner-demonstrieren-unter-dem-Baldachin/story/20292378

WEF-Gegner demonstrieren unter dem Baldachin

In der Spitalgasse, beim Burgerspital und beim Bahnhof standen am Donnerstagabend einige Dutzend Polizisten in Bereitschaft. Auch Mannschaftswagen fuhren vor. Der Grund: WEF-Gegner führten eine unbewilligte Kundgebung durch.

Das Polizeiaufgebot wurde wegen einer Aktion von WEF-Gegnern getroffen. Unter dem Baldachin auf dem Berner Bahnhofplatz hatten sich 30 bis 40 Personen versammelt, die mit einem symbolischen Schachspiel gegen das WEF demonstrierten. Laut Augenzeugen nahm das Aufgebot der Polizei stetig zu. Es standen auch Beamte in der Hodlergasse bereit.

Michael Fichter, ein Polizeisprecher, bestätigte die Demonstration auf Anfrage von Bernerzeitung.ch/Newsnet. "Eine Kundgebung findet unter dem Baldachin statt und wir haben ein entsprechendes Dispositiv an Polizisten vor Ort im Einsatz", erklärte Fichter. Zur genauen Anzahl der eingesetzten Polizeikräfte machte er keine Aussagen.

Nach der Kundgebung haben sich die Aktivisten zur Reitschule zurückgezogen. Die Polizei markiert mit Patrouillen Präsenz.

(wrs, cls, jsp, met)

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derbund.ch 26.1.12
http://www.derbund.ch/bern/Schachspiel-gegen-das-WEF/story/10220185

"Schachspiel" gegen das WEF

WEF-Gegner versammelten sich am Donnerstagabend unter dem Baldachin, um mit einem symbolischen Schachspiel gegen den Kapitalismus zu demonstrieren.

Kurz nach 18 Uhr demonstrierten am Donnerstagabend WEF-Gegner unter dem Berner Baldachin mit einem symbolischen "Menschen-Schach". Die Aktivisten protestierten mit dem Rollenspiel gegen den Kapitalismus.

Die Polizei war wegen der Aktion in der Stadt mit einem grossen Aufgebot präsent. (bs

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jungegruene.ch 26.1.12

Welches Ziel verfolgt denn die Polizei?

26.01.2012, Junge Grüne Bern, Philipp Zimmermann

Gemeinsame Medienmitteilung der JUSO Bern und der jungen grünen bern

In einem ausführlichen Interview mit dem "Bund" bestätigt Stefan Blättler die Vermutung der JUSO und der jungen grünen: der Kommandant der Kantonspolizei Bern ist mit seinem Job überfordert und versteht die Thematik nicht. Wer so wenig Fingerspitzengefühl hat und nicht bereit ist, seine eigene Arbeit zu hinterfragen, muss zurücktreten.

Nach dem völlig überrissenen Einsatz der Kantonspolizei im Rahmen der Anti-WEF-Demonstration am Samstag, 21. Januar 2012, rechtfertigt Stefan Blättler den Einsatz seiner Kriegsmaschinerie: "Wenn Sie bei diesem Umzug mitlaufen und sich nicht blitzartig entfernen, machen Sie sich strafbar. So ist das Gesetz". Dass die Polizei sich dabei von der Unschuldsvermutung verabschiedet und vergisst, dass die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration in der Stadt Bern nicht strafbar ist, interessiert den Herrn Kommandaten wenig: "Darüber müssen Sie nicht mit mir diskutieren".

Die JUSO und die jungen grünen kritisieren gemeinsam den massiven Einsatz der Polizei am Samstag. Weder hat die Polizei verhältnismässig gehandelt, noch hat sie versucht, die Situation zu entschärfen. Statt auf das Angebot eines friedlichen Rückzuges der Demonstrierenden einzugehen, hat die mit einem Grossaufgebot aufmarschierte Polizei provoziert und versucht, die Situation zur Eskalation zu bringen. Denn nur so könnte sie im Nachhinein die Fehleinschätzungen und die überrissenen Einsatzkosten rechtfertigen. Dieses Vorgehen entspricht nicht einer Demokratie. Sowohl der Kommandant der Kantonspolizei als operatives Organ als auch Wahlkämpfer Nause vom Gemeinderat als strategischer Zuständiger haben ihre Positionen missbraucht.

Maske zum Selbstschutz; Polizei rüstet sich auf

Der Einsatz vom Samstag hat einmal mehr bewusst gemacht, wie sich die Polizei immer mehr zur Kampfmaschinerie aufrüstet. Nause und Blättler haben ihr Arsenal gezeigt, und mit diesem sicherheitspolitischen Machtanspruch deutlich gemacht: entweder ihr vertretet unsere Meinung und tanzt nach unserer Pfeife, oder wir wenden Gewalt an.

So ist es nur logisch, dass die DemonstrantInnen sich selbst schützen wollen: "Ich trug eine Maske und eine Schutzbrille für Handwerker. Nicht, weil ich mein Gesicht nicht zeigen wollte, sondern weil ich schon beobachtet hatte, wie Polizisten entgegen der Vorschriften Gummischrot aus kurzer Distanz auf Kopfhöhe abgefeuert hatten. Weil ich ein Transparent mitzutragen half, wäre ich bei den ersten gewesen, die von diesen gefährlichen Waffen getroffen worden wären", berichtet ein Demonstrant von den Vorkommnissen an der Anti-WEF-Demonstration (Name der JUSO und den jungen grünen bekannt; Bericht auf Nachfrage erhältlich).

Was für ein Ziel verfolgt denn die Polizei, wenn sie sich gegen (bis zum Zeitpunkt der Einkesselung) völlig friedliche DemonstrantInnen bewaffnet? Derselbe Vorwurf von Blättler an den DemonstrantInnen muss auch der Polizei mit ihrem Grossaufgebot gemacht werden.

Die JUSO und die jungen grünen sind überzeugt: solche Aussagen wie im Interview mit dem "Bund" und diese operative Unfähigkeit von Stefan Blättler bezeugen, dass er den falschen Job erwischt hat. Wir fordern deshalb von Blättler den sofortigen Rücktritt als Kommandant der Kantonspolizei.

Bern, 26. Januar 2012

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kulturagenda.be 26.1.12

Gute Nacht?

Das Berner Nachtleben kommt nicht aus den Schlagzeilen. Clubs werden geschlossen, Partys untersagt - es entsteht aber auch Neues. Die Dauerthemen bleiben: Streit zwischen Veranstaltern und Anwohnern. Probleme mit Rauchern, Littering, Ruhestörungen. Auf der anderen Seite stehen Behörden, die Gummiparagrafen hart und nicht immer nachvollziehbar auslegen, etwa im Fall der Lärmgrenzwerte.
In einer Interview-Serie befragen wir in den nächsten Ausgaben Betroffene beider Seiten sowie Experten und Politiker. Den Anfang macht Fabian Wyssbrod von Ammonit, dem Veranstalter, dessen Kornhausforum-Partys nach einem Entscheid der städtischen Liegenschaftsverwaltung nicht mehr stattfinden können. Seite 3

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Gute Nacht? - Meinungen zur Berner Clubszene

Nach zwölf Jahren Gastrecht kann der Berner Veranstalter Ammonit im Kornhausforum keine Partys mehr durchführen. Wegen ungelöster Probleme mit dem Fumoir verfügte die städtische Immobilienverwaltung, dass es im Kornhausforum künftig keine Tanzanlässe mehr geben soll. Nach der Schliessung des Sous Soul und dem (herausgezögerten) Ende des Wasserwerks stellen wir die Frage: Wie weiter mit dem Berner Nachtleben? Fabian Wyssbrod von Ammonit macht den Anfang in unserer Serie "Gute Nacht?".

Herr Wyssbrod, Ammonit muss nach zwölf Jahren raus aus dem Kornhaus. Wie schlimm ist das für das kulturelle Angebot der Stadt?
Die Stadt Bern verliert mit dem Kornhausforum einen Ausgehort, der sich in seiner Art vom Angebot in den Clubs abgehoben hat. Es war hier möglich, dem Publikum an zentraler Lage in einem wunderschönen, historischen Raum internationale Top-Acts zu präsentieren. Die Leute verstehen den Entscheid der Liegenschaftsverwaltung nicht und sehen die Schliessung als weiteren Schlag ins Gesicht.

Sie veranstalten auch Partys in der Grossen Halle der Reitschule, wieso nicht immer dort?

Die Grosse Halle ist total anders als das Kornhausforum. Es gibt Stile der elektronischen Musik, die im Kornhaus funktionieren, in der Grossen Halle aber undenkbar sind. Man darf die Grosse Halle nicht unterschätzen. In Bern 2000 Gäste für eine Veranstaltung zu gewinnen, ist ein Kraftakt.

Berner Clubs müssen schliessen, nun folgt das Aus der Kornhaus-Partys. Was geschieht jetzt? Muss sich die Stadt auf mehr illegale Partys gefasst machen?

Es ist in der momentanen Situation absolut nachvollziehbar, dass in Bern gewisse "revolutionäre Kräfte" geweckt werden. Es gibt junge, gut vernetzte Veranstalter- Labels, die auf diese Art und Weise aktiv werden könnten. Gefragt ist allerdings viel Kreativität. Einfach ein paar Boxen in den Wald zu stellen, dazu eine Bar zu improvisieren und noch einen saftigen Eintritt zu verlangen - das mag kurzfristig funktionieren, wird langfristig aber nicht belohnt. Ammonit hat stets versucht, mit den zuständigen Behörden zusammenzuarbeiten. Wer in einer Stadt wie Bern erfolgreich bestehen will, kann sich nicht gegen die Behörden stellen.

Sind denn die Sorgen von Anwohnern, Hausbesitzern, Gesetzgebern nicht berechtigt?

Die Innenstadt muss ein lebendiger Ort sein, dies meiner Meinung nach rund um die Uhr. Wer hier leben will, muss ein gewisses Mass an Lärm akzeptieren.

Zur gemeinhin als gültig empfundenen Aufgabe des Staats gehört es, Schwache zu schützen. Zum Beispiel Lärmopfer. Sind da die Club-Betreiber nicht zu uneinsichtig?

Wenn dabei eine Tyrannei der Minderheit entsteht wie in Bern, müssen die institutionellen Strukturen überprüft werden. Es kann nicht sein, dass ein in seiner Ruhe gestörter Anwohner über die Existenz eines Clubs entscheiden kann.

Das Handeln der Behörden scheint repressiver zu werden. Liegt dem etwas anderes zugrunde als Lärm, Littering und Rauchverbote? Sehen Sie eine gesellschaftliche Entwicklung? Die Entwicklung scheint zu sein, dass für jede Eventualität eine gesetzliche Regelung gesucht wird. In unserem Fall entscheiden Leute über die Umsetzung der gesetzlichen Grundlage, die von den Konsequenzen überhaupt nicht betroffen sind.

Auch Interessengruppen wie die Kultur-Dachorganisation Bekult oder Pro Nachtleben Bern befassen sich mit dem "Clubsterben". Was ist von ihnen zu erwarten?

Es braucht sie, um auf politischer Ebene Wege zu beschreiten, die sich nicht in Luft auflösen oder kontraproduktiv sind. Leider sind aber die Bedürfnisse der einzelnen Kulturveranstalter sehr unterschiedlich, und es dürfte für die Dachverbände schwierig sein, die Interessen zu bündeln und als ein Sprachrohr für alle zu fungieren.

Was halten Sie von "Ausgehmeilen" oder "Partyzonen" in der Stadt?

Von einer solchen Ghettoisierung halte ich nichts!

Sehen Sie andere Lösungsansätze?

Mehr Dialog, weniger Reglementierung, mehr gegenseitige Rücksichtnahme und Verständnis.

Interview: Michael Feller

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kulturagenda.be 26.1.12

Dachstock Darkside: schnörkellose Beats und Bässe

Zum zweiten Mal steht der ungarische DJ und Produzent Zero Method im Dachstock hinter den Plattentellern, diesmal mit seiner neuen "Cold War"-EP im Gepäck. Er hat sich in den letzten Jahren mit seinem minimalen Drum'n'Bass einen Namen gemacht. Unterstützt wird er von Deejaymf (UTR, Bild), Submerge (Beatsnpics) und 4k (Inter Vibez).
Dachstock in der Reitschule, Bern. Sa., 28.1., 23 Uh

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kulturagenda.be 26.1.12

5vor12 Productions mit "Eine Art Alaska" im Tojo

Die 16-jährige Deborah schläft ein und erwacht erst dreissig Jahre später wieder. Dieser Geschichte liegt nicht das Märchen von Dornröschen zugrunde, sondern die Europäische Schlafkrankheit, die in den 20er-Jahren viele Menschen das Leben kostete. Musikalisch untermalt wird das Schauspiel mit Cello und Live-Elektronik.
Tojo Theater, Bern. Fr., 27., und Sa., 28.1., 20.30 Uhr, So., 29.1., 19 Uhr

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Bund 26.1.12

"Eine Art Alaska"

Nicht einschlafen, bitte

Fünf Millionen Menschen sollen vor knapp hundert Jahren an der Europäischen Schlafkrankheit gestorben sein - einer Art Hirnhautentzündung. Harold Pinter hat dazu das Kurzstück "Eine Art Alaska" geschrieben, in dem eine Frau nach fast 30 Jahren aus dem Dämmerzustand erwacht. Das Stück wird dank einer Komposition von Marcel Saegesser zum interdisziplinären Kunstwerk. (reg)

Tojo-Theater Reitschule Fr, 27., Sa, 28. Jan., 20.30 Uhr. So, 29. Jan., 19 Uhr.

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BZ 26.1.12

Böses Erwachen aus dem Dornröschenschlaf

Bühne · Stéphanie Maurers interdisziplinäres Projekt "Eine Art Alaska / Sumpf I und II" kombiniert Harold Pinters Theaterstück rund um eine Frau, die nach dreissigjährigem Schlaf wieder erwacht, mit einer Musikperformance.

"Ich sprach mit Menschen, die mich nicht hören konnten. Es waren überall Glaswände um mich herum." Solch beklemmende Geständnisse macht Deborah im Stück "Eine Art Alaska" des britischen Autors Harold Pinters, als sie nach dreissig Jahren aus einem mysteriösen Dornröschenschlaf erwacht. Sie ist mittlerweile 45 Jahre alt und lebt im Haus ihrer Schwester, fühlt sich aber noch immer wie ein Teenager. Dass der Schwager gleichzeitig ihr Arzt ist und sie heimlich mehr liebt als die Schwester, sorgt für zusätzliche Probleme. Fasziniert von diesem Stoff, fügt die St. Galler Kunstschaffende Stéphanie Maurer dem Drama eine weitere Dimension hinzu. Gemeinsam mit dem Komponisten Marcel Saegesser - den sie an der Hochschule der Künste, an der sie sich in Cello, Schauspiel und Gesang ausbilden liess, traf - entwickelte sie ein interdisziplinäres Konzept. Die Musik, bestehend aus elektronischen Klängen und Maurers eigenem Cellospiel, evoziere die subversive Welt der Schlafenden, so die Dreissigjährige. Sie selbst spielt zudem die Schwester Pauline, eine tragische Figur, die sich für Deborah (Petra Schmidig) ein Leben lang aufgeopfert hat. Mit Florian Rexer als Regisseur konnte Maurer zudem einen vielseitigen Theaterschaffenden ("Comedy Hochzeit") verpflichten.

Weisses Schlummerland

Doch braucht ein Stück von Harold Pinter überhaupt eine musikalische Erweiterung? Maurer, die versichert, das Bühnenwerk würde Wort für Wort wiedergegeben, meint: "Das Kurzdrama, das wie ein Blick in einen Schaukasten wirkt, ergibt allein noch kein abendfüllendes Programm." Die Musik übersetze die Gefühlswelt der während Jahren in ihrem eigenen Körper gefangenen Protagonistin. Als Auftakt des spartenübergreifenden Theaterabends referiert ein fiktiver Arzt (Adrian Furrer) über Deborahs Krankheit. Sie leidet an der sogenannten Europäischen Schlafkrankheit, die Anfang des 20. Jahrhunderts über fünf Millionen Menschen dahinraffte und manche zu jahrelangem Dahindämmern verdammte. Ab 1969 wurden die Patienten mit einer Vorstufe des Wirkstoffes Dopamin behandelt und erwachten. Mit den Fällen beschäftigte sich der Neurologe Oliver Sacks in "Zeit des Erwachens", einer Forschungsstudie, die Harold Pinter zu seinem Stück inspiriert haben soll. Tief schlafen lässt es sich wohl auch auf der Bühne von Stéphanie Maurers Version. Weisse Tücher bilden eine Art Schlummerland, in dem die historisch gekleideten Protagonisten auf träumerischen Pfaden wandeln. Helen Lagger

Aufführungen: am 27. und 28. 1. um 20.30 Uhr und am 29. 1. um 19 Uhr, im Tojo-Theater, Reitschule Bern.

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BZ 26.1.12

Aktivisten rächen sich

Bümpliz · Weil Aktivisten am Samstag die Anti-WEF-Demo nicht durchziehen konnten, haben sie nun Farbbeutel gegen den Polizeistützpunkt Bümpliz geschleudert.

"In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar haben wir den Bullenposten in Bümpliz mit Farbe verschönert!" So bekennen sich Linksaktivisten auf "indymedia.ch" zu ihrer Vergeltungstat, weil die Polizei am Samstag die Anti-WEF-Demo in Bern verhindert hat. "Wir verstehen unsere Aktion nicht nur als eine Reaktion auf die Polizeirepression, sondern kritisieren deren Funktion als solche", schreiben sie im Internet weiter. jsp

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Bund 26.1.12

Polizeiposten in Bümpliz mit Farbbeuteln beworfen

In der Nacht auf gestern haben Linksautonome den Polizeistützpunkt in Bümpliz mit fünf Farbbeuteln beworfen. Sie hätten "den Bullenposten in Bümpliz mit Farbe verschönert", um gegen die zunehmende Repression zu kämpfen, steht auf dem Internetportal Indymedia.ch, wo implizit auch zu weiteren Aktionen aufgerufen wird: "Ihr seid eingeladen, die Farbenpracht in Bümpliz zu bewundern und euch davon inspirieren zu lassen." (tik)

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20 Minuten 26.1.12

Anschlag auf Polizeiwache

BERN. Mit Farbbeuteln haben Chaoten in der Nacht auf gestern einen Anschlag auf den Bümplizer Polizeiposten verübt. "Bullenstaat, Bonzenstaat - wir haben dich zum Kotzen satt!", heisst es in einem Bekennerschreiben. Die Aktion richte sich gegen Polizeirepression. Ebenfalls zu den Nachwehen der Anti-Wef-Demo vom Samstag gehört ein Vorstoss, den Corinne Schärer (Grüne) im Kantonsparlament eingereicht hat. Sie stellt die Rechtmässigkeit und Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes infrage. Es sei bereits der dritte innerhalb eines halben Jahres, der zu Diskussionen führe.

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WoZ 26.1.12

Kommentar

Die unheimliche ­Strategie der A. S.

Von Dinu Gautier

Sie, Andrea Stauffacher, sind Galionsfigur des Revolutionären Aufbaus Zürich. Von der Gratispresse zu Unrecht als "Terror­grosi" bezeichnet, haben Sie am Samstag in Bern eindrücklich gezeigt, dass Sie noch nicht zum alten Eisen gehören. Zusammen mit Ihrer Gefolgschaft und ein paar Berner Autonomen sind Sie zu einer Demonstra­tion angetreten. Ihr Ziel? Anlässlich des bevorstehenden Weltwirtschaftsforums in Davos wollten Sie den Embryo namens Kapitalismus abtreiben, der in uns allen steckt ("Wipe out Wef - Abort Capitalism").

Zweihundert Meter weit ist die Demo gekommen, dann hat die Polizei von allen Seiten dichtgemacht. Polizeikessel. Sie wussten, dass es so weit kommen würde - es war offensichtlich. Fehlte nur noch, dass die massiv auftretende Staatsmacht ein Transpi gemalt und im Bollwerk aufgehängt hätte: "Liebe Frau Stauffacher, wir planen, Sie hier zu kesseln. Wenn Sie so freundlich wären, pünktlich um 14 Uhr zu erscheinen …"

Jedenfalls war Erstaunliches zu beob­achten, nachdem Sie mit den rund achtzig anderen DemonstrantInnen in den traditionellen schwarzen Demotrachten pünktlich im Kessel eingetroffen waren. Am Lautsprecher blühten Sie richtiggehend auf, waren dermassen unterhaltsam, dass sogar ein paar Polizisten und ein reaktionärer Reporter der "Berner Zeitung" lachen mussten. Um Sie herum wurde plötzlich getanzt und gefeiert. Und Sie haben verkündet, solche Repressionserlebnisse würden die Anwesenden nur stärken.

Mit Verlaub: Würde das stimmen, die Anti-Wef-Bewegung wäre in den Kesselorgien des letzten Jahrzehnts dermassen kräftig geworden, dass Wef-Chef Klaus Schwab schon längst zitternd das Weite gesucht hätte. Das Gegenteil ist passiert. Nun kann man das bei weitem nicht Ihnen allein in die Schuhe schieben. Aber man kann feststellen, dass Sie kaum eine Gelegenheit ausgelassen haben, mit offenen Armen in die Polizeihinterhalte (physischer und kommunikativer Natur) reinzulaufen. Nein, Sie sind nicht dumm. Viel schlimmer: Sie machen das mit voller Absicht. Sie wollen keine breite Bewegung, Sie wollen überhaupt keine Bewegung ausserhalb des Revolutionären Aufbaus. Und wenn sich auch nur ein Jugendlicher nach erlebter Polizeigewalt Ihren Reihen anschliesst, dann ist Ihre Strategie aufgegangen.

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Blick am Abend 25.1.12

"Wir sind auch in der Verantwortung"

EINSICHT

"Ist es wirklich nötig, dass ...?" Die Berner Partygänger sind durchaus selbstkritsch.

peter.pflugshaupt@ringier.ch

Die Stadtberner Nächte in diesem Winter: erst das Ende des Sous Soul und aktuell das Theater um das Kornhausforum. Die Nachtschwärmer haben es in der Bundesstadt nicht einfach. Thomas Berger, Präsident des Vereins Nachtleben Bern, gibt zu, dass die Nachtschwärmer auch ihren "Beitrag" zu den Problemen beigetragen haben: "Ist es nötig, vor dem Club fremde Leute anzupöbeln? Ist es zu viel verlangt, den Müll ein paar Meter zum nächsten Abfallkübel zu tragen? Hätten wir Freude, wenn wir regelmässig menschliche Hinterlassenschaften im Hauseingang finden würden?"

Gleichzeitig fordert der Verein Nachtleben Bern von der Stadt mehr Engagement zugunsten des Nachtlebens. "Die Verantwortlichen verstecken sich hinter Paragrafen und Gesetzen." Sinnbildlich sei das Kornhausforum. Eine Auflage liess sich aufgrund einer anderen nicht erfüllen. Wegen der Liegenschaftsverwaltung war kein Einbau eines Fumoirs möglich, was aber die Gewerbepolizei forderte. Obwohl die Gewerbepolizei nun doch nicht auf ein Fumoir pocht und grundsätzlich im Kornhausforum wieder Partys steigen können, bleibt Skepsis. Berger: "Es herrscht für Betreiber keine Rechtssicherheit, was jahrelang erlaubt oder toleriert war, wird plötzlich verboten. Und dass es mit dem Sous Soul und dem Kornhausforum ausgerechnet zwei vorbildliche Veranstalter getroffen hat, macht das Problem deutlich. Es gibt eine gewisse Behördenwillkür."

Der Verein Nachtleben Bern, ursprünglich nur für die Einreichung der gleichnamigen Petition gegründet, will sich jetzt weiterhin einsetzen. Die Strukturen des Vereins, in dem sich auch Politiker und Clubbesitzer engagieren, sollen rasch professionalisiert werden. Bergers Ziel: "Mehr Öffentlichkeitsarbeit für die ‹laute› Kultur."

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Bund 25.1.12

Polizei-Kommandant verteidigt Einsatz

Kantonspolizei-Kommandant Stefan Blättler verteidigt im "Bund"-Interview das massive Aufgebot vom letzten Samstag, als die Polizei eine Anti-WEF-Demonstration in Bern verhindert und 153 Personen angezeigt hat. Auch bei früheren Einsätzen der Kantonspolizei, die für Kritik sorgten - rund um das SVP-Wahlfest etwa oder in der Reitschule -, sei die Verhältnismässigkeit gewahrt worden, sagt der Kommandant. (tik) - Seite 21

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"Wer sich bewaffnet, verfolgt ein Ziel"

Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei Bern, äussert sich zum Einsatz an der Anti-WEF-Demo vom Samstag, zu Forderungen nach mehr Transparenz und zum Videobeweis in der Reitschule.

Interview: Timo Kollbrunner

Sind Sie mit dem Polizeieinsatz vom Samstag zufrieden?

Ich bin zufrieden mit der Leistung unserer Mitarbeitenden. Ich denke, als Bürger könnte man nur dann zufrieden sein, wenn Demonstrationen keinen Polizeieinsatz erforderten.

Der Polizeieinsatz erschien vielen als unverhältnismässig.

Es ist immer einfach, im Nachhinein zu sagen, man hätte es mit weniger Leuten machen können. Aber man muss doch die Ursprünge anschauen. Diesen Einsatz hat es gegeben, weil im Vorfeld keine Bewilligung eingeholt wurde und ganz klare Aufrufe zur Gewalt zirkulierten. Das führt automatisch zu solchen Grossaufgeboten.

Das ist doch nicht einfach ein Automatismus. Sie machen doch eine differenzierte Lagebeurteilung.

Wir haben eine sehr intensive Beurteilung gemacht und sind mit dem Gemeinderat zum Entscheid gekommen, diese Demonstration zu unterbinden. Die Teilnehmer waren dann vermummt, mit Pfefferspray, Helmen und Schutzbrillen ausgerüstet. Und sie haben Gewalt gegen Polizisten angewendet. Das gibt unserer Lagebeurteilung vollkommen recht.

153 Leute wurden wegen Landfriedensbruch angezeigt. Können Sie ausschliessen, dass darunter solche sind, die nicht gedachten, Gewalt anzuwenden?

Wir haben diese Leute angezeigt. Es gilt die Unschuldsvermutung, ein Richter wird die Anzeigen zu beurteilen haben.

Aber ich bin nicht so naiv, dass ich glaube, der Grossteil dieser Leute habe einen friedlichen Samstagnachmittag verbringen wollen. Wer sich für eine Demonstration bewaffnet, verfolgt ein bestimmtes Ziel. Und wer bei einer Ansammlung dabei ist, bei der Gewalt ausgeübt wird, begeht Landfriedensbruch. Da reicht ein einziger Flaschenwurf. Wenn Sie bei diesem Umzug mitlaufen und sich nicht blitzartig entfernen, machen Sie sich strafbar. So ist das Gesetz. Das Gesetz habe nicht ich geschrieben.

Aber die Leute konnten sich ja gar nicht entfernen. Sie wurden eingekesselt und verhaftet mit der Begründung, ihre Personalien würden kontrolliert. Sie sassen dann bis zu zehn Stunden in der Zelle, und nun werden sie angezeigt.

Das Ziel war es, eine Personenkontrolle vorzunehmen. Dann kam es zu Würfen mit Petarden und anderen Gegenständen gegen Polizisten, und deshalb hat man entschieden, die Personenkontrolle im Neufeld vorzunehmen und die Personen anzuzeigen. Rund um die Heiliggeistkirche, wo es nicht zu Ausschreitungen kam, haben wir die allermeisten Leute weder festgenommen noch verzeigt, sondern vor Ort wieder entlassen. Und kleinere Gruppen haben am Samstag ja auch friedlich demonstriert. Wir haben durchaus differenziert.

Wenn man eine Demonstration mit Vermummten einkesselt, wird immer irgendetwas geflogen kommen. So hätte man schon bei manchen Demonstrationen alle Teilnehmenden anzeigen können. Gab es hier einen Paradigmenwechsel?

Nein. Jede Veranstaltung wird einzeln beurteilt. 2008 haben wir ähnlich viele Anzeigen gemacht, als die Antifa demonstrieren wollte. Und auch im letzten Sommer bei einer Kundgebung, bei der es zu Sachbeschädigungen kam.

Warum sagt man denn nicht im Vorfeld, dass man die Demonstration nicht tolerieren und Teilnehmende verhaften wird? Das hätte vielleicht einige davon abgehalten.

Wir müssen doch den Leuten nicht sagen, wann sie sich strafbar machen. Jeder Bürger muss wissen, was er macht. Und nochmals: Wir haben dieses Vorgehen gemeinsam mit dem Gemeinderat beschlossen.

Aber die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration alleine ist nicht strafbar. Es gingen wohl tatsächlich viele dieser Leute davon aus, sie täten nichts Verbotenes.

Darüber müssen Sie nicht mit mir diskutieren. Da müssen sie den Richter fragen. Aber warum widmen wir uns überhaupt solchen Diskussionen, wenn sich die Veranstalter einfach darum foutiert haben, eine Bewilligung einzuholen?

Der Fakt, dass sich die Demonstrierenden falsch verhielten, entbindet Sie nicht von der Diskussion, ob ihr Einsatz verhältnismässig war.

Der war absolut verhältnismässig. Ich richte doch nicht mit der grossen Kelle an, wenn es nicht zwingend ist.

Nach dem letzten Samstag wurde wie auch schon nach Ihrem Einsatz rund um das SVP-Fest und in der Reitschule eine unabhängige Untersuchung gefordert.

Ich bin der Erste, der daran interessiert ist, dass Einsätze aufgearbeitet werden. Jeder Grosseinsatz wird aufgearbeitet, und ich lege gegenüber jeder Aufsichtsbehörde alles transparent auf den Tisch. Es gibt keine Institution, die so stark beaufsichtigt wird wie die Polizei. Das ist auch richtig, weil sie das Gewaltmonopol hat. Ich werde von meiner Direktion kontrolliert, von der Justiz, von der Oberaufsichtskommission des Grossen Rates. Damit kann ich gut leben. Denn es schafft Transparenz und Vertrauen.

Reichen diese Aufsichtsorgane aus?

Das muss nicht ich beurteilen. Das ist eine politische Frage. Ich habe das Gefühl, dass ich genügend beaufsichtigt werde. Und diese Aufsicht funktioniert ja ganz offensichtlich auch. Sie sprechen die Beschwerde gegen die Wegweisung eines Jugendlichen am Rande des SVP-Festes an, die der Regierungsrat gutgeheissen hat. Sind Sie nach wie vor der Meinung, der Einsatz damals sei verhältnismässig gewesen? Ja. Die Beschwerde hat mit dem Einsatz per se nichts zu tun. Sie betrifft eine einzelne Massnahme.

Doch. Denn es liegt auf der Hand, dass weitere Wegweisungen nicht rechtens waren, die per vorgedrucktem Formular ausgestellt wurden.

Das ist möglich, ich kann das nicht beurteilen. Aber diese Fernhalteverfügungen sind längst abgelaufen, Akteneinträge bestehen keine mehr. Wir werden das weitere Vorgehen in diesen Fällen mit unseren Aufsichtsinstanzen anschauen. Für mich ist wichtig, dass wir unsere Lehren gezogen haben und bereits letzten Samstag die Verfügungen, die wir ausstellten, von einer Juristin überprüfen liessen. Das zeigt, dass wir eine lernbereite Organisation sind.

Letzten Sommer wurden Sie kritisiert, weil sich Aktivisten auf dem Posten ausziehen mussten. Der Gemeinderat hat von Ihnen verlangt, die Praxis zu überprüfen. Ist das geschehen?

Unser Vorgehen ist ganz klar im Polizeigesetz und in der Strafprozessordnung geregelt. Kontrolliert werden Personen, bei denen Gefahr besteht, dass sie gefährliche Gegenstände auf sich tragen oder solche, die beschlagnahmt werden müssten. Es ist ganz klar: Es gibt keinen generellen Auftrag, die Leute auszuziehen. Um Gottes willen.

Auch der Einsatz in der Reitschule am 22. September gab zu reden. War der verhältnismässig?

Selbstverständlich.

Gilt das auch für die Gewaltanwendungen einzelner Beamter?

Da muss ich Ihnen widersprechen. Was Sie auf dem Video gesehen haben, ist ein Ausschnitt, nicht der Gesamteinsatz.

Diese Argumentation hinkt. Das Video beginnt bei der Festnahme. Sie schrieben, Sie seien dann in der Folge von 30 bis 40 Personen angegriffen worden. Was in der Folge passiert ist, ist auf dem Video. Sie sind nicht angegriffen worden.

Sehen Sie, mit der Diskussion über den Polizeieinsatz lenkt man einzig von den Problemen ab, die in der Reitschule bestehen. Gewalt an Polizisten wird heute schon als normal angesehen. Aber wenn dann so eine Sequenz eines Films gezeigt wird, ist das höchst interessant.

Wenn sich Informationen der Polizei als tendenziös herausstellen, ist das interessant.

Unsere Sichtweise beruht auf den Aussagen mehrerer Mitarbeiter, die vor Ort waren. In dieser Sache läuft eine Strafuntersuchung. Wir werden sehen, was dabei herauskommt.

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Unabhängige Untersuchungen gefordert

Diese Polizeieinsätze gaben in den letzten Monaten zu reden

Am letzten Samstag erstickte die Polizei die unbewilligte Anti-WEF-Demo im Keim. Sie kesselte die Demonstranten beim Bollwerk ein, nahm sie fest und brachte sie in den Festhalte- und Warteraum im Neufeld. 172 Personen wurden festgenommen, gegen 153 Personen wird Anzeige wegen Landfriedensbruch erhoben. Unter anderen die SP und das Grüne Bündnis stellen die Verhältnismässigkeit des Einsatzes infrage und fordern eine Untersuchung. In den letzten Monaten kam mehrmals scharfe Kritik an Polizeieinsätzen auf. So im Sommer, als sich im Juni Anti-AKW-Aktivisten und im August GSoA-Aktivisten auf dem Polizeiposten nackt ausziehen mussten. Sicherheitsdirektor Reto Nause verlangte danach von der Polizei, die Praxis betreffend die Entkleidung zu überprüfen. Am 10. September hielt die Polizei rund um das SVP-Familienfest 55 Personen an, 37 wurden weggewiesen, weil sie an "Anti-SVP- Protestaktionen" teilgenommen hätten. Der Regierungsrat hiess kürzlich die Beschwerde gegen die Wegweisung eines Jugendlichen gut. Eine Untersuchung wurde auch gefordert, nachdem die Polizei mitgeteilt hatte, am 22. September bei einer Verhaftung in der Reitschule massiv angegriffen worden zu sein. Ein von einem Gast gedrehtes Video, auf dem ein Teil der Aktion zu sehen ist, zeigt ein anderes Bild. Im Fall der GSoA befasst sich derzeit die Oberaufsichtskommission des Grossen Rates mit dem Vorgehen der Polizei. Sollte es Hinweise auf systemische Mängel geben, könnte die Untersuchung ausgeweitet werden. Im Grossen Rat ist eine Motion von Flavia Wasserfallen (SP) hängig, die eine unabhängige Untersuchung der umstrittenen Polizeieinsätze fordert. Auch Corinne Schärer (Grüne) hat diese Woche einen Vorstoss eingereicht, in dem sie eine Aufarbeitung der Einsätze fordert. (tik)

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BZ 25.1.12

"Ich denke, die Botschaft ist angekommen"

Polizei · Stefan Blättler, Berner Polizeikommandant, nimmt Stellung zum Demoeinsatz am Samstag und zur Kritik an Polizeieinsätzen.

Er ist zufrieden mit dem Einsatz seiner Polizisten. Im Interview zieht Stefan Blättler aus Sicht der Polizei eine positive Bilanz zur Anti-WEF-Demo. Die Botschaft sei angekommen, sagt er und nimmt auch Stellung zu den Forderungen nach Untersuchungen von Polizeieinsätzen. Blättler betont, dass es keine staatliche Behörde gebe, die bereits so oft und intensiv kontrolliert werde wie die Polizei. "Das ist auch richtig so, denn die Polizei hat das Gewaltmonopol." Er wehre sich nicht gegen weitere Kontrollen, sagt der Polizeikommandant weiter. "Es muss aber auch allen bewusst sein: Wenn jeder Schritt kontrolliert wird, lähmt das den Betrieb." rahSeite 2 + 3

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Polizeikommandant Stefan Blättler

"Sportevents verursachen viel mehr Aufwand als Demos"

Wer sich von Gewalt distanziere, könne in Bern in aller Ruhe demonstrieren, sagt Stefan Blättler, Kommandant der Kantonspolizei, und begründet so den Grosseinsatz am letzten Samstag. Er weist zudem darauf hin, dass Sportveranstaltungen die Polizei weit mehr auf Trab halten als Demos.

Herr Blättler, die Polizei hat am Samstag die Anti-WEF-Demo bereits im Keim erstickt. Wie ist Ihr Fazit des Einsatzes?

Stefan Blättler: Als Polizeikommandant bin ich zufrieden. Es war ein Grosseinsatz, der aufgrund einer sehr intensiven Lagebeurteilung in dieser Grösse nötig war. Leider mussten wir davon ausgehen, dass höchstes Gewaltpotenzial besteht, wenn die unbewilligte Demo stattfindet. Als Bürger aber finde ich es schade, dass es nicht möglich ist, seine Anliegen friedlich auf die Strasse zu tragen, in Form einer ordentlichen Demonstration.

Was wäre denn anders gelaufen, wenn die Organisatoren bei der Stadt ein Gesuch für die Demo eingereicht hätten?

Das hätten wir im konkreten Fall angeschaut. Vor dem Anti-WEF-Anlass kamen wir aber gemeinsam mit der Stadt zur Einschätzung, dass wir aufgrund der massiven Gewaltandrohungen den Zug nicht laufen lassen wollten.

In Bern liess man schon einige Demozüge laufen, trotz Aufrufen zu Gewalt. Hat die Polizei ihre Strategie nun grundsätzlich geändert?

Nein. Aber in diesem Fall hatten wir derart klare Anzeichen, dass uns nur diese Variante blieb. Bei früheren Gewaltaufrufen, die weniger drastisch waren, konnten wir annehmen, dass es ruhig bleibt. Das war dann auch oft so. Die Gruppe allerdings, die wir am Samstag am Bollwerk anhielten, erbrachte letztlich den Beweis dafür, dass unsere Einschätzung richtig war. (Anmerkung der Red.: Die Polizei stellte Helme, Schutzbrillen und Pfeffersprays sicher).

Was war denn der Unterschied zu früheren Aufrufen?

Es gab nicht nur die Aufrufe im Internet. Wir hatten auch Hinweise aus anderen Kantonen. Diese Infos flossen in die Lagebeurteilung mit ein.

Wollten Sie mit dem Gross- einsatz auch eine abschreckende Wirkung erzielen? Ich denke, unsere Botschaft ist angekommen. Wer sich von Gewalt distanziert, kann in Bern in aller Ruhe demonstrieren. Es geht hier nicht um das Grundrecht auf Demonstrieren oder um Meinungsfreiheit. Ich bin froh, wenn solche Einsätze nicht an der Regel sind. Wir haben in Bern eine gut ausgebildete und hohe Demokultur. 95 Prozent der Demos laufen ohne Polizei ab, und das ist gut so.

172 Personen wurden am Samstag angehalten, 153 sollen angezeigt werden. Das bedeutet, dass 19 Personen fälschlicherweise angehalten wurden?

Nein, das bedeutet es nicht. Wir haben ja deutlich mehr Personen kontrolliert und viele vor Ort entlassen. 172 wurden in den Festhalte- und Warteraum gebracht. Das heisst noch nicht, dass sie sich etwas zuschulden kommen liessen. Wenn nichts vorliegt, lassen wir sie in kürzestmöglicher Zeit wieder gehen. Wir bemühen uns, speditiv vorzugehen. Ich kann nachvollziehen, wenn sich jemand darüber beschwert, dass er angehalten wird und deswegen etwa seinen Zug verpasst. Aber in Einzelfällen lässt sich das leider nicht komplett ausschliessen.

Wo wurden diese Personen denn angehalten? Mitten in der Stadt?

Das Gros kam aus der Gruppe am Bollwerk. Beim Baldachin hielten wir zudem 7 Personen an. Dazu kamen einige wenige, die wir unterwegs angehalten haben, also auf dem Weg zu einer der beiden Gruppen.

Wie bereits einige Male im letzten Jahr kam auch jetzt rasch die Kritik am Einsatz und der Ruf nach einer Untersuchung. Wie werten Sie dieses Misstrauen gegenüber der Polizeiarbeit?

Die Forderung nach einer Untersuchung ist schon fast ein Stereotyp. Aber: Es gibt keine staatliche Behörde, die bereits so oft und intensiv kontrolliert wird wie die Polizei. Das ist auch richtig so, denn die Polizei hat das Gewaltmonopol.

Welche Kontrollen sprechen Sie an?

Wir werden kontrolliert von unserer Direktion, vom Parlament und von der Oberaufsichtskommission des Grossen Rats. Dazu kommt die institutionelle Kontrolle, denn wir bewegen uns mit Anzeigen wie nach dieser Demo im gerichtspolizeilichen Bereich. Wer soll da noch zusätzlich kontrollieren?

Wehren Sie Sich gegen weitere Kontrollen?

Nein. Ich habe absolut nichts dagegen. Was wir machen, muss transparent sein, nachvollziehbar.

Muss sich die Polizei fast rechtfertigen für ihre Arbeit?

Man ruft heute effektiv schnell nach Kontrolle - oft bereits bevor man den Gesamtzusammenhang kennt. Das ist das gute Recht jedes Bürgers. Und jeder Grosseinsatz wird ja auch von uns selber analysiert. Es muss aber auch allen bewusst sein: Wenn jeder Schritt kontrolliert wird, lähmt das den Betrieb.

Viele Kontrollen halten die Polizei von ihrem Grundauftrag ab?

Das nicht. Aber man muss den Gesamtzusammenhang sehen: Die Arbeit der Polizei wird immer stärker verrechtlicht. Was man vor fünf Jahren noch mündlich verfügen konnte, muss heute schriftlich erfolgen. Dazu kommen Verschärfungen im Bundesrecht. Es scheint oft, als sind sich nationale Parlamentarier nicht bewusst, was Gesetzesänderungen an Mehraufwand bringen. Dies alles führt dazu, dass ein Polizist seine Zeit noch mehr im Büro verbringen muss und nicht mehr auf der Strasse ist. Das bringt uns in ein Dilemma.

Dieser Eindruck wurde in einer Umfrage im September bestätigt. Eine Mehrheit im Kanton Bern fand, die Polizei solle wieder sichtbarer sein.

Ich teile diese Aussage, wir müssen uns aber einfach die Realität vor Augen halten. Die Polizeiarbeit wird immer mehr verreglementiert. Dabei haben wir in der Schweiz ein Kriminalitätsniveau, das dem europäischen Mittel entspricht. Und wegen der Präsenz: Junge finden, es habe zu viel Polizisten - weil sie sich oft an den Hotspots aufhalten.

Ein solcher Hotspot ist in Bern die Reitschule. Im Zusammenhang mit dem umstrittenen Polizeieinsatz letzten September lehnte Polizeidirektor Hans-Jürg Käser eine Untersuchung ab. Bedauern Sie das?

Ich nehme es zur Kenntnis. Wie auch den Entscheid der Polizeidirektion, dass eine Wegweisung beim SVP-Wahlfest von unserer Seite nicht gerechtfertigt war. Aber im Fall Reitschule läuft ein Strafverfahren. Das heisst, die Staatsanwaltschaft muss sich mit dem Einsatz auseinandersetzen.

Eine unabhängige Unter- suchung hätte den Polizei- einsatz im besten Fall für Sie legitimieren können.

Ich stelle einfach generell fest, dass es bei der Reitschule viele Vorfälle gab, bei denen die Polizeiarbeit behindert wurde. Nun suchen Gemeinde, Statthalter und Polizei bekanntlich Lösungen. Ich begrüsse das ausdrücklich. Es geht ja nicht um die Reitschule als Institution, sondern darum, Gewalt und strafbare Handlungen einzudämmen.

Was nützen Massnahmen wie Einschränkungen der Gastro- bewilligungen, die im Gespräch sind, für die Polizeiarbeit?

Es geht um Regeln und Bewilligungen, die durchgesetzt werden können. Im Idealfall ist die Reitschule ein Gastrobetrieb wie jeder andere.

Regeln gibt es schon bisher, aber sie werden nicht durchgesetzt.

Verwaltungsrechtliche Auflagen fehlen bisher in dieser expliziten Form. Das würde Polizeieinsätze legitimieren. Im Extremfall könnte der Gastrobetrieb gar nicht mehr geführt werden. So etwas lässt sich durchsetzen.

Es dürfte aber nichts an der Grundproblematik ändern. Bei den Flaschenwürfen Anfang Jahr auf vorbeifahrende Autos etwa betonte die Polizei einmal mehr Schwierigkeiten bei Einsätzen rund um die Reitschule.

Es gibt tatsächlich Situationen, bei denen wir aufgrund der Gesamtsituation entscheiden, nicht in die Reitschule zu gehen. Etwa, wenn wir damit rechnen müssen, dass ein Einsatz in einer Massenschlägerei endet. Aber es gibt kein Verbot, in die Reitschule zu gehen.

Dennoch: Das ist doch Kapitulation.

Nein, eine Frage der Verhältnismässigkeit. Wenn die Bedingungen nicht stimmen, muss man im Einzelfall genau abwägen, welcher Einsatz möglich ist und welcher zu einer unüberschaubaren Situation führt.

Wie läuft diesbezüglich die Zusammenarbeit mit den Behörden, etwa mit der Stadt?

Mit der Stadt Bern läuft sie ebenso gut wie mit allen Gemeinden im Kanton. Genaueres wird die Evaluation über Police Bern zeigen, die gegen Ende Jahr fertig gestellt wird.

In wenigen Tagen beginnt die Fussballmeisterschaft wieder. Ähnlich wie bei der Reitschule versuchen die Behörden seit langem, Lösungen zu finden, um Ausschreitungen zu verhindern. Was erhoffen Sie Sich davon?

Bis jetzt gilt das Konkordat der Konferenz der kantonalen Justiz- und Polizeidirektorinnen und -direktoren. Nun sieht eine neue Fassung eine Verschärfung der jetzigen Praxis im Umgang mit renitenten Fussball-anhängern vor. Die Politik muss entscheiden, ob sie der Verschärfung zustimmen will.

Welche Anlässe verursachen den grösseren Polizeiaufwand: Sportveranstaltungen oder die Demos mit Grossaufgeboten?

Man muss sehen: Kein Kanton ist von Sportanlässen so belastet wie Bern. Wir haben sieben Vereine, für die es regelmässig ein Dispositiv braucht. Daran lässt sich erkennen: Der Polizeiaufwand für Sportveranstaltungen im Kanton ist wesentlich höher als jener für Demonstrationen. Da hilft ein Fantrennungszaun, wie wir ihn beim Stade de Suisse aufstellten, enorm viel. Er hilft schlicht und einfach, Mannstunden zu sparen.

Erkennen Sie Fortschritte in einem gemeinsamen Auftritt der beteiligten Parteien?

Ja, tatsächlich. Nehmen Sie die Verschiebung von YB - Basel von Freitag auf Donnerstag als Beispiel. Sogar die Liga war einverstanden. Solche Entscheide erleichtern unsere Arbeit ungemein.

Interview: Wolf Röcken, Ralph Heiniger

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Bündner Tagblatt 25.1.12

Occupy WEF: Kritik und tägliche Aktionen

Die Occupy-Bewegung bedauert, dass die am Wochenende in Bern durchgeführte Kundgebung gegen das WEF durch massives Polizeiaufgebot im Keim erstickt worden ist, wie sie in einer Mitteilung schreibt. Die Vorgänge in Bern werden von der Bewegung als Versuch gedeutet, die freie Meinungsäusserung massiv einzuschränken, da nur schon der Verdacht auf eine Teilnahme am Protest genügt habe, um verhaftet zu werden. So seien zwei Frauen der Bewegung direkt auf dem Bahngleis festgenommen worden mit der Begründung, dass der türkisfarbene Schal als Vermummungsmaterial dienen würde. Zudem verurteilt Occupy WEF die Anzeigen wegen Landfriedensbruchs gegen 153 Demonstranten als klaren Einschüchterungsversuch sowie als Kriminalisierung der Protestierenden.

Mit täglichen Aktionen will die Occupy-Bewegung, die auf dem Parkplatz der Parsennbahnen ein Iglu-Protestcamp errichtet hat, nun weltweit auf das ihrer Meinung nach "antidemokratische WEF" in Davos aufmerksam machen. Bereits im Vorfeld wurden mit Sirup in grossen Lettern die Leitsprüche der Bewegung in Bezug auf das WEF in den Schnee gemalt. Es sind Botschaften wie "Respect Existence or Expect Resistance", "Don't Let Them Decide For You", "Another World Is Possible", "WEF = Democracy?" oder - in Anspielung auf das Motto des WEF - "Great Transformation = Great Revolution", die laut Mitteilung nun gross und für alle sichtbar in Davos in den Schnee geschrieben sind. Des Weiteren ruft die Bewegung dazu auf, "die Ungerechtigkeiten des WEF nicht länger zu tolerieren und nach Davos zu reisen, um gewaltlos und kreativ auf die Missstände aufmerksam zu machen". Von der Polizei wiederum werde erwartet, dass sie Protestierenden ihre demokratisch garantierte freie Meinungsäusserung nicht beschneide und alle Menschen nach Davos reisen lasse.

Occupy WEF solidarisiert sich gemäss Mitteilung mit der weltweiten Protestbewegung, die sich gegen das global marode Finanzsystem auflehnt und für neue Lösungen im wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Zusammenleben einsteht. (bt)

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BZ 25.1.12

Doch wieder Partys?

Kornhaus · Nun braucht es offenbar doch kein Fumoir im Kornhaus. Ob das heisst, dass wieder Partys stattfinden, soll ein runder Tisch klären.

Im Kornhausforum kann grundsätzlich doch weitergefeiert werden - dies nachdem letzte Woche noch das Aus für Partys verkündet worden war. Die Gewerbepolizei beharre nun nicht mehr auf einem Fumoir, sagte Gemeinderat Reto Nause gegenüber dem "Bund". Damit wären Partys wieder möglich - wenn im Haus nicht geraucht wird und die Security draussen für Ruhe sorgt. Ob es aber tatsächlich wieder Partys gibt, ist unklar. "Wir wollen zuerst mit allen Beteiligten an einen Tisch sitzen", sagt Bernhard Giger, Leiter des Kornhausforums. Gleich tönt es beim bisherigen Veranstalter Ammonit, wo man die Nachricht "erfreut, aber auch mit Skepsis" aufgenommen hat. Der Anlass an Ostern ist in die Grosse Halle der Reitschule umgebucht worden, sagt Fabian Wyssbrod von Ammonit. Für die weitere Zukunft warte man nun die Gespräche ab. wrs

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20 Minuten 25.1.12

Nause: Ja zu Kornhaus-Partys

Bern. Der Verein Nachtleben Bern ist überrascht von der Kehrtwende im Fall Kornhaus-Partys. Wie Gemeinderat Reto Nause gestern im "Bund" eröffnete, dürfen die Partys weiterhin stattfinden. Zufrieden ist der Verein deswegen aber nicht: Dem Lippenbekenntnis müssten die Behörden nun Taten folgen lassen und Rechtssicherheit schaffen. Auch Veranstalter Simon Ragaz lässt sich damit nicht ködern: Vorerst kehren seine Partys nicht zurück.

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Indymedia.ch 25.1.12
https://switzerland.indymedia.org/de/2012/01/85133.shtml

Bullenposten Bümpliz eingefärbt

AutorIn : Deckt jedes Bullenschwein mit Farbe ein
 
In der Nacht vom 24. auf den 25. Januar haben wir den Bullenposten in Bümpliz mit Farbe verschönert!    
   
Insbesondere im letzten Jahr hatten wir zunehmend mit Repression zu kämpfen. Der Staat lässt keine Kritik am System zu. Gewaltvolle Auflösungen von Demonstrationen waren keine Seltenheit. (Antirep-Demo, Solikundgebung vor Spanischer Botschaft/Tramdemo, Anti-WEF Demo). Hinzu kamen die Räumung des AKW-Camps, das Grossaufgebot und die damit verbundenen Schikanen am SVP-Fest sowie Übergriffe von Zivilpolizisten in der Reitschule. Dies sind nur einige nennenswerte Beispiele.

Wir verstehen unsere Aktion aber nicht nur als eine Reaktion auf die Polizeirepression, sondern kritisieren deren Funktion als solche.

Durch das Gewaltmonopol der Polizei ist der Staat in der Lage seine Interessen, wie Eigentumsansprüche oder Gesetze, zu schützen und durchzusetzen. Der "Schutz" der Bevölkerung steht dabei jedoch im Hintergrund.

Ihr seid eingeladen die Farbenpracht in Bümpliz zu bewundern und euch davon inspirieren zu lassen (Anti-WEF Aktionswoche).

Bullenstaat, Bonzenstaat - wir haben dich zum Kotzen satt!

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facebook.com 24.1.12
https://www.facebook.com/pages/Stoppt-das-Clubsterben-Pro-Nachtleben-Bern/259094640782865

Stoppt das Clubsterben - Pro Nachtleben Bern

Zugeständnis Kornhausforum - den Lippenbekenntnissen Taten folgen lassen

Positiv überrascht hat der Verein "Nachtleben Bern" die Wende im Fall Kornhaus zur Kenntnis genommen. Es liegt nun an den zuständigen Behörden, diesen Lippenbekenntnissen Taten folgen zu lassen. Denn nach wie vor sehen sich Kulturschaffende in der Hauptstadt mit übertriebener Bürokratie und fehlender Rechtssicherheit konfrontiert.

Taten folgen lassen - Rechtssicherheit schaffen

Die teilweise widersprüchlichen und vielschichtigen Auflagen zeigten sich nach den Geschehnissen rund um Sous Soul und Wasserwerk auch im Kornhausforum. Mit der geltenden Praxis fehlt den Betreibern und Veranstaltern von Lokalen, Clubs und Bars jegliche Rechtssicherheit. Der Wille, Investitionen zu tätigen wird durch die ständige Ungewissheit, ob der Betrieb aufrechterhalten werden kann, eingeschränkt.

Partymeilen schaffen neue Probleme ohne die bestehenden zu lösen

Die Antwort des Gemeinderates auf die letzte Woche beantwortete Interpellation "Lässt der Gemeinderat das Berner Nachtleben - und damit die Klubkultur - einfach "vor die Hunde gehen" oder gedenkt er jetzt endlich das Heft in die Hand zu nehmen?" lässt leider erahnen, dass der "lauten Kultur" auch künftig nicht genügend Rechnung getragen wird. Insbesondere der darin enthaltene Vorschlag zur Schaffung weiterer "Partymeilen" wäre ein Schritt in die falsche Richtung. Die Schaffung solcher Ausgehmeilen klingt im ersten Moment verlockend, wirft aber Fragen auf und schafft neue Probleme ohne die bestehenden zu lösen:
Auch mit der Schaffung weiterer Ausgehmeilen wären elementare Forderungen der Petition "pro Nachtleben Bern" bzw. entsprechende Bedürfnisse der Kulturschaffenden nicht berücksichtigt. Auch in Ausgehmeilen können mehrjährige Rechtsstreits angestossen werden. Zudem treffen hier die unterschiedlichsten Clubs mit der unterschiedlichsten Klientel zusammen - dies birgt sozio-kulturellen Sprengstoff. Und die Zukunft für all jene Lokale, welche ausserhalb dieser neuen Ausgehmeilen liegen, wäre weiterhin unsicher.

Aktion vorerst vertagt

Die letzte Woche angekündigte Aktion wird vorerst auf später verlegt. Dies gibt den Organisatoren Zeit, die Aktion sauber vorzubereiten, möglichst breit abzustützen und mit einer entsprechend klaren Botschaft zu versehen. Den eines ist klar: Die Geschehnisse der letzten Tage waren ein Tropfen auf den heissen Stein, nicht mehr und nicht weniger. Wir erwarten weiterhin die Umsetzung der in der Petition geäusserten Forderungen!

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derbund.ch 24.1.12

Keine kurzfristige Rückkehr der Kornhaus-Partys

Im Kornhausforum darf nach der Aufhebung der Fumoir-Pflicht weiter gefeiert werden. Trotzdem werden die beliebten Partyreihen kurzfristig nicht zurückkehren - und der Verein Pro Nachtleben äussert sich skeptisch.

Im Kornhausforum darf weiter gefeiert werden: Die Gewerbepolizei beharre nicht länger auf einem Fumoir, sagt Gemeinderat Reto Nause im "Bund"-Interview. Somit könnten die Partys auch ohne Fumoir weiterhin stattfinden.

Trotz diesem Entscheid der Gewerbepolizei werden die Partyreihen der Berner Eventfirma Ammonit kurzfristig nicht ins Kornhausforum zurückkehren.

Rundumschlag machte vieles kaputt

Simon Ragaz von Ammonit zeigt sich zwar erfreut über die Rückendeckung der Gewerbepolizei und des Regierungsstatthalteramts. Doch der Rundumschlag der Liegenschaftsverwaltung, die das Kornhausforum vermietet, habe letzte Woche zu viel kaputt gemacht. "Da wir langfristige Verträge zu erfüllen haben, mussten wir uns nach Ersatzlocations umsehen für die Veranstaltungen vom Frühling und Herbst", sagt Ragaz auf Anfrage von DerBund.ch/Newsnet.

Im Frühling werden die Ammonit-Partys nun in der Grossen Halle der Reitschule stattfinden - mit einem der grösseren Location angepassten Programm. Für die Herbst-Partys werde noch ein Ort gesucht.

Keine Auswirkung aufs Buskers

Ähnlich fallen die Reaktionen beim Kornhausforum aus. Der Leiter Bernhard Giger zeigt sich gegenüber DerBund.ch/Newsnet positiv überrascht: "Das ist eine wahnsinnige Wende, die wir nicht erwartet hätten. Es ist toll zu spüren, dass uns doch Vertrauen entgegengebracht wird."

Die Reaktion der Gewerbepolizei sei so prompt gekommen, dass man nun wieder neu planen müsse. "Wir wollen an einem runden Tisch mit allen Beteiligten sprechen." Giger geht aber grundsätzlich davon aus, dass durch diesen Entscheid künftigen Partys im Kornhausforum nichts im Wege steht.

Dies ist auch aus finanzieller Sicht wichtig für die Institution. Die Veranstaltungsreihe generierten rund einen Drittel der Mieteinnahmen des Kornhausforums, so Giger.

Für das Strassenmusikfestivals Buskers, das jeweils sein Abschlussfest im Kornhausforum abhält, gibt Giger grünes Licht: "Ich denke nicht, dass es für diese Veranstaltung Probleme gibt."

Aktion am Samstagabend - voraussichtlich

Etwas skeptischer gibt sich Thomas Berger vom Verein Pro Nachtleben Bern. Für ihn ist es mit dem Fumoir-Verzicht noch nicht getan: "Es ist ein Schritt in die richtige Richtung. Doch diese Lippenbekenntnisse müssen jetzt in die Tat umgesetzt werden."

Um dieser Forderung Nachdruck zu verleihen, steht nach wie vor eine Aktion im Raum, die auf die Missstände im Berner Nachtleben hinweisen soll. Heute Abend trifft sich der Verein zu einer Sitzung, um zu beschliessen, ob der Event durchgeführt wird.

Falls sich der Verein dafür entscheidet, würde die Aktion am kommenden Samstagabend stattfinden. Ein solcher Anlass habe auch nach Reto Nauses Ankündigung ihre Berechtigung, so Thomas Berger. Denn nach wie vor fehle die Sicherheit, dass es "morgen nicht den nächsten Club in Bern erwischt".

(bs/dam/)

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Bund 24.1.12

Im Kornhaus darf weiter gefeiert werden

Gemeinderat Reto Nause (CVP) hat eine gute Nachricht für alle Berner Nachtschwärmer: Im "Bund"-Interview erklärt er, dass die Gewerbepolizei nicht länger auf einem Fumoir für das Kornhausforum beharrt. Das bedeutet, dass das letzte Woche vermeldete Ende der beliebten Partyreihe hinfällig ist. Jedoch weist Nause auch darauf hin, dass Lösungen nicht überall so einfach zu bewerkstelligen sind.

Den Einsatz der Polizei an der Anti-Wef-Demo beurteilt Nause weiterhin als Erfolg. "Es gab keine Sachbeschädigungen." Nause widerspricht auch dem Vorwurf, Bern sei von Polizeikräften lahmgelegt worden. (len) - Seite 20

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"Die Dichte an Clubs ist beträchtlich"

Bern sei für Partyveranstalter und Clubbetreiber kein schlechtes Pflaster, stellt Gemeinderat Reto Nause im Interview fest. Jüngster Beweis: Im Fall des Kornhausforums hat die Gewerbepolizei eingelenkt.

Interview: Hanna Jordi, Christoph Lenz

Herr Nause, in den letzten Wochen haben mit dem Sous-Soul und dem Kornhausforum gleich zwei Kulturveranstalter die Segel gestrichen. Ist es für Partyveranstalter und Clubbetreiber schwieriger geworden, in der Stadt Bern zu geschäften?

Diesen Eindruck habe ich nicht. Das Sous-Soul ging zwar zu, derweil sind aber auch neue Clubs entstanden, etwa im Bollwerk. Wer sich an einem Samstagabend in der Stadt bewegt, der registriert massenhaft Partygänger - Bern ist ein Publikumsmagnet in dieser Hinsicht. Die Dichte an Bars, Restaurants und Clubs ist beträchtlich für eine Stadt mit 138 000 Einwohnern. Die Veranstalter sehen sich zum Teil aber mit grotesken Situationen konfrontiert, aktuell das Kornhausforum: Während die Gewerbepolizei ein Fumoir verlangt, untersagt es die städtische Liegenschaftsverwaltung. Ich habe nichts dagegen, wenn man im Kornhausforum ein Fumoir einbaut. Häufig entstehen Nutzungskonflikte zwischen Anwohnern und Clubbetreibern dann, wenn sich ein Betrieb verändert: Was vielleicht früher eine Lounge mit Hintergrundmusik war, ist heute ein Club, der laute Musik spielt und eine Tanzfläche hat. Die Massnahmen, die das Regierungsstatthalteramt verfügt - etwa bauliche Anpassungen oder Lärmbegrenzungen - sind dazu da, die Nutzungskonflikte zu verringern.

Im Fall des Sous-Souls musste allerdings ein Club weichen, weil eine neu hinzugezogene Mieterin den Lärm beklagte. Besteht hier nicht ein Missverhältnis?

Das ist tatsächlich eine schwierige Ausgangssituation. Allerdings sind uns die Hände gebunden: Das Umweltrecht hält fest, dass jeder Anwohner ein Lärmbeschwerderecht hat. Ob er sich über Kirchenglocken beschwert oder zu laute Musik, spielt keine Rolle. Wird ein gewisser Lautstärkepegel überschritten, kommt es zu einem regulären Verfahren. Umgehen liesse sich dieser Ablauf nur, wenn im betreffenden Gebiet die Wohnzonen eliminiert würden. Aber dafür würde sich - gerade in der unteren Altstadt - wohl keine Mehrheit finden.

Muss, wer neben einen Club zieht, nicht mit Lärmemissionen rechnen?

Vielmehr muss ein Veranstalter in der Stadt Bern damit rechnen, dass ein Mieter klagt: Betriebe mit Überzeitbewilligung sind in der unteren Altstadt eigentlich zonenfremd - es handelt sich um eine gemischte Wohnzone der Lärmempfindlichkeitsstufe II. 2006 haben die Bernerinnen und Berner in der revidierten Bauordnung entschieden, dass die bestehenden Betriebe entgegen dem Zonenplan bleiben dürfen.

Im Fall des Bonsoirs ist der klagende Mieter ausgezogen - und trotzdem behandelte das Regierungsstatthalteramt die Lärmklage weiter. Stört Lärm auch dann, wenn niemand da ist, den es stört?

Nein, das würde ich nicht sagen. Aber die Stadt hat die Pflicht, den Beschwerden von Anwohnern nachzugehen. Die grosse Kunst am Nachtleben ist es, die verschiedenen Interessen aneinander vorbeizubringen.

Wie, glauben Sie, können Wohnen und Nachtleben in Einklang gebracht werden?

Es braucht eine gute Zusammenarbeit zwischen Clubbetreibern und Liegenschaftsverwaltung, Investitionen in die Infrastruktur, ein Securitykonzept und es gilt, das Vertrauen der Anwohner zu gewinnen. Fühlen sich die Nachbarn ernst genommen, sind die Probleme mit den Clubs meist minim.

Offenbar zieht der Gemeinderat eine neue Ausgehmeile nach dem Vorbild der Aarbergergasse in Erwägung. Wo könnte eine solche liegen?

Wir prüfen derzeit, ob es möglich ist, den Ausgang in Berns Stadtplanung einzubeziehen: Denkbar sind Gewerbezonen nach dem Vorbild des Bahnhofs oder des Wankdorfs, in denen Clubs relativ ungestört und wenig störend wirtschaften können. Bern hat da einiges Potenzial. Das liegt dann allerdings in der Kompetenz der Stadtplanung.

Auch in Partymeilen bleiben die Probleme nicht aus - im Gegenteil. Trägt das Sicherheitskonzept in der Aarbergergasse bereits Früchte?

Es ist natürlich noch zu früh, um eine verbindliche Aussage zu machen. Die Zusammenarbeit entwickelt sich aber vielversprechend: Die Clubbetreiber nehmen ihre Verantwortung wahr und sorgen dafür, dass die Gasse als Ganzes aufgewertet wird. Eine ähnliche Strategie liesse sich vermutlich auch in anderen Stadtteilen anwenden.

Der Gemeinderat will nun prüfen, ob die Kornhausforum-Betreiber doch noch ein Fumoir einbauen dürfen. Wie schätzen Sie die Chance ein?

Da gibt es Neues zu vermelden: Die Gewerbepolizei beharrt beim Kornhausforum nicht länger auf einem Fumoir - sofern die Veranstalter sicherstellen, dass die Security ab fünf Uhr morgens für Ruhe vor dem Haus sorgt.

Das heisst, die Partyreihe kann auch ohne Fumoir weiterhin stattfinden?

Ja, die Veranstalter wurden am Montagmorgen informiert.

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20 Minuten 24.1.12
http://www.20min.ch/news/bern/story/Zwangsraeumung-fuer-Reitschule--22781396

Zwangsräumung für Reitschule?

BERN. Noch immer keine Lösung für die Reitschule: Rechte Politiker fordern den sofortigen Rausschmiss und auch der Kanton übt Kritik am Vorgehen der Stadt.

Noch immer ziert keine Unterschrift den verkürzten Leistungsvertrag der Reitschule. Während die Betreiber mit der Stadt verhandeln, wird die Kritik immer lauter - vor allem weil die Stadt trotz fehlender Unterschrift die Miete fürs erste Quartal überwiesen hat.

Auch beim Kanton ist man offenbar nicht sehr glücklich über den Beschluss der Stadt: "Ich hätte mir vorstellen können, dass man einen anderen Entscheid fällen würde", so Regierungsrat Hans-Jürg Käser im Interview mit der "Berner Zeitung".

Andere Politiker fordern den sofortigen Rausschmiss der Reitschüler. SVP-Grossrat und Reitschul-Gegner Erich Hess: "Es ist eine Frechheit, dass die Stadt überhaupt noch verhandelt." Er werde das Geschehen verfolgen und allenfalls mit Vorstössen auf kantonaler Ebene Druck machen. "Ohne Leistungsvertrag kein Geld", findet auch SVP-Stadtrat Roland Jakob. "Wenn die Reitschule die Bedingungen nicht erfüllt, muss man das Gesetz walten lassen." In einer Motion fordert er die Kündigung des Mietverhältnisses und falls nötig eine Zwangsräumung. Weiter verweist er auf den Stapi: "Alexander Tschäppät sollte endlich Farbe bekennen."

Reitschule und Stadt schweigen derweil weiterhin und verweisen auf die laufenden Verhandlungen.

Nathalie Jufer

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Neues Theater statt Flickwerk

Bern. Klein, aber fein: so stellt sich die Berner Stadträtin Daniela Lutz-Beck (GFL) das neue Stadttheater vor. Sie verlangt mit einem Vorstoss, dass der Gemeinderat neben der Sanierung des maroden Gebäudes auch einen Neubau ins Auge fasst. "Vielleicht sogar auf der Schützenmatte, so entstünde vom Kunstmuseum bis zur Reitschule eine Kulturmeile", sagt Lutz-Beck. Das vor 110 Jahren erbaute Stadttheater werde den heutigen Anforderungen weder ökologisch und betriebstechnisch noch bezüglich der Zuschauerbedürfnisse gerecht. "Es reichen halb so viele Sitzplätze, dafür mit mehr Komfort und besserer Sicht." Wichtig sei der öffentliche Zugang: "Es braucht einen Theatershop und ein Café oder Restaurant, das täglich durchgehend geöffnet ist." Für einen Neubau sprechen laut Lutz-Beck auch verschiedene Studien, die von weiteren Investitionen in das bestehende Haus abraten. MAr

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Bund 24.1.12

Anti-WEF-Demonstration

Sicherheitsstrategie: Kein Patentrezept für künftige Demos

Ob die Festnahmen im Zusammenhang mit der Anti-WEF-Demo rechtens verliefen, kann Sicherheitsdirektor Reto Nause nicht beurteilen.

Für rund hundert Teilnehmer der Anti-WEF-Demo vom Samstag endete die Kundgebung bereits am Bollwerk; bis zum Abend waren insgesamt 172 Personen im Warte- und Festhalteraum im Neufeld untergebracht, wo es schliesslich zu Tumulten kam (siehe "Bund" von gestern). 153 Personen wurden wegen Landfriedensbruch verzeigt.

Trotz dieser Nebengeräusche bekräftigte der Sicherheitsdirektor gestern auf Anfrage seinen positiven Eindruck vom samstäglichen Polizeieinsatz: "Das Ziel, keine unbeteiligten Dritten zu Schaden kommen zu lassen und Sachschäden zu verhindern, haben wir erreicht", sagt Reto Nause (CVP).

Erinnerungen an das SVP-Fest

Wird die Sicherheitsstrategie vom Samstag nun zum Patentrezept für potenziell eskalierende Demonstrationen erhoben? Nause verneint. Jede künftige Demo werde als Einzelfall behandelt: "Das Vorgehen hängt davon ab, welche Dynamik im Vorfeld erwartet werden kann." Die Anti-WEF-Demo als Kundgebung mit einer "einschlägigen Vergangenheit", was das Gewaltpotenzial angeht, habe ein Polizeiaufgebot von mehreren Hundert Polizisten erfordert. Erst letzte Woche sorgte ein ähnliches Grossaufgebot der Polizei für einen harschen Verweis von oben: Regierungsrat Hans-Jürg Käser rügte das Vorgehen der Polizei am SVP-Fest im September scharf. Um mögliche Gegendemonstrationen im Keim zu ersticken, hatte die Polizei unter anderem Wegweisungen verfügt - dies, ohne die Betroffenen über den Grund ihrer Wegweisung zu unterrichten.

Ob der Kantonspolizei am Samstag ähnliche Fehler unterliefen, vermochte Nause gestern nicht zu beurteilen - für die Details zum Polizeieinsatz verweist er an die Kantonspolizei. Allerdings habe die Kritik der Vorwoche bereits für Anpassungen bei der Polizei gesorgt: "Meines Wissens wurde die interne juristische Kontrolle personell verstärkt", so Nause. (hjo)

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BZ 24.1.12

Deshalb konnte Stauffacher demonstrieren

Anti-wef-Demo · Aktivistin Andrea Stauffacher wurde im November vom Bundesstrafgericht wegen Sprengstoffdelikten verurteilt. Weil das Urteil noch nicht rechtskräftig ist, konnte sie am Samstag in Bern demonstrieren.

Ihr Gesicht ist in der linksextremen Szene bekannt: Mit Andrea Stauffacher war am Samstag die wohl prominenteste Exponentin des Revolutionären Aufbaus Schweiz an der Anti-WEF-Demo beteiligt. Im November 2011 wurde sie vom Bundesstrafgericht zu einer unbedingten Freiheitsstrafe von 17 Monaten verurteilt.

Das Bundesstrafgericht sprach die 61-Jährige wegen Gefährdung durch Sprengstoff beim Spanischen Generalkonsulat in Zürich und einem Gebäude der Zürcher Kantonspolizei schuldig. Dieses Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig. Deshalb konnte sie am Samstag an der Anti-WEF-Demo teilnehmen. Die schriftliche Urteilsbegründung liegt bis dato nicht vor. Gemäss Bundesstrafgericht wird diese voraussichtlich im Februar an die Parteien verteilt. Danach kann Stauffacher innert 30 Tagen Beschwerde vor dem Bundesgericht einlegen.

Kurz nach dem Schuldspruch im November haben Unbekannte die Fassade der Bundeskriminalpolizei in Zürich mit roter Farbe verschmiert. Die Polizei vermutet, dass die Täter aus dem linksautonomen Umfeld stammen.

Nause: "Nicht entscheidend"

Für Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause war aber Stauffachers Auftritt an der Anti-WEF-Demo nicht entscheidend für den Einsatz der Polizei. "Entscheidend waren die vielen Gewaltaufrufe im Internet und dass sich Demonstranten nie von diesen Aufrufen distanziert haben." Auch die Kontaktaufnahme mit den Organisatoren via E-Mail - in anderen Fällen ein erfolgreiches Vorgehen - habe nicht geklappt. Die Anwesenheit von Stauffacher sei ein Beleg für die Militanz der Demonstranten, so der Sicherheitsdirektor. "Für diejenigen, welche die Polizei beim Bollwerk angehalten hat, standen nicht politische Motive im Vordergrund", sagt er und verweist auf ihr Equipment: Die Polizei hat Helme, Masken, Petarden und Pfeffersprays beschlagnahmt.

Ein Monat bis mehrere Jahre

Insgesamt hat die Polizei 153 Anzeigen wegen Landfriedensbruchs in Aussicht gestellt. Laut Gesetz macht sich jemand des Landfriedensbruchs strafbar, der an einer "öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden". Einige Demonstranten werden sich zudem wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Verstosses gegen das Waffengesetz und Widerhandlungen gegen das Vermummungsverbot verantworten müssen (wir berichteten). Wie Christof Scheurer, Sprecher der Berner Staatsanwaltschaft, sagt, muss jeder Fall einzeln behandelt werden. Einige werden innert einem Monat erledigt sein, andere dürften Jahre dauern. Ralph Heiniger

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Bund 24.1.12

Leserbriefe

Anti-WEF-Demo Polizei so weit das Auge reicht, "Bund" vom 23. Januar

"Überdimensionierter Einsatz"

Welchen Zweck verfolgt die Polizei mit solchen Vorgehen?

Drei Tage nachdem der Berner Regierungsrat Hans-Jürg Käser die Kantonspolizei wegen willkürlichen Verhaltens anlässlich der SVP-Veranstaltung vom vergangenen Oktober zurückgepfiffen hat, leistet sich die Polizei bereits wieder einen Akt der vollkommenen Willkür.

Ich frage mich: Was gibt der Polizei das Recht, Übergriffe wie am letzten Samstag auszuüben, noch bevor eine Demonstration überhaupt angefangen hat? Das völlig überdimensionierte Polizeiangebot wirkte gegenüber der kleinen Zahl demonstrationswilliger Personen geradezu grotesk. Welchen Zweck verfolgt die Polizei mit einem solchen Vorgehen?

Ich werde den Verdacht nicht los, dass es gezielt darum geht, Jugendliche einzuschüchtern und sie anschliessend zu kriminalisieren. Jugendliche, die Demonstrationen als Weg benützen, ihre freie Meinung über etwas wie ein WEF zu äussern, müssen damit rechnen, dass sie im Strafregister eingetragen werden. Dass dies zur Hypothek für ihre beruflichen Karrieren und zum Hindernis bei der Suche einer Wohnung werden kann, gehört offenbar zum Kalkül.

Das dürfen wir nicht zulassen. Die Polizei muss einen anderen, konstruktiven Weg der Annäherung zu demonstrierenden Jugendlichen finden. Ich bin überzeugt, sie hätte die Mittel dazu.

Anna Paula Sardenberg, Bern

Übertriebene Peinlichkeit

Der überdimensionierte Einsatz der Polizei am letzten Samstag vor der Heiliggeistkirche war, wenn man die Tragik dieser Machtdemonstration mal ausser Acht lässt, von einer kaum zu überbietenden Peinlichkeit.

Da stand ein Grüppchen offensichtlich nicht gewaltbereiter Menschen, von der Polizei willkürlich zusammengepfercht und eingekesselt, einer Übermacht an offensichtlich durchaus gewaltbereiten Staatsbeamten gegenüber. Und anstatt auf diese kolossale Fehleinschätzung mit der einzig vernünftigen Aktion zu reagieren, nämlich diese Einkesselung aufzuheben, wurde per Megafon mitgeteilt, dass jetzt eine Personenkontrolle (mit Arme heben und abtasten) durchgeführt werde. Worauf die ersten - O-Ton: "Frauen und Kinder zuerst" - einzeln raus durften. Das zog sich dann noch mehr als eine Stunde hin und gipfelte für jede einzelne Person in einer Wegweisung aus der Innenstadt bis Sonntag früh.

Auch für jene wohlgemerkt, die es nur zufällig erwischt hatte und die mit der Anti-WEF-Demo gar nichts am Hut hatten. Und das waren nicht wenige der Eingekesselten. Das waren Personen, die zur "falschen Zeit" vom Loeb Richtung Bahnhof unterwegs waren; die also nicht wussten, was ihnen hier geschieht.

Ich bin für absolute Gewaltlosigkeit, aber wenn die Polizei so weiter macht, gehen mir langsam die Argumente aus.

Armin Kopp, Bern

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BZ 24.1.12

Online

Anti-WEf-Demo in Bern

Lob und Tadel wegen Polizeieinsatz

Die Polizei hat am Samstag mit einem massiven Aufgebot die Anti-WEF-Demo in Bern im Keim erstickt. Dies hat zu zahlreichen Kommentaren auf dem Onlineportal Bernerzeitung.ch geführt:

Martin Lerch: Eine halbe Million Franken für den Polizeieinsatz dividiert durch 150 verhaftete Chaoten = 3000 Stutz und etwas Ungerades pro Person. Die Adressen sind bekannt, also verschickt die Rechnung.

Ronnie König: Schicken Die die Rechnung doch ans WEF. Was glauben Sie eigentlich, was uns das WEF eigentlich kostet? Für Bedürftige hat es immer weniger Geld, und für die Mächtigen und Reichen tut man alles. Also auf diese Rechnung kommt es dort nicht an.

Bernhard Eicher: Das polizeiliche Aufgebot war leider nötig, kursierten im Vorfeld doch massive Gewaltandrohungen. Friedliche WEF-Kritiker dürfen in Bern selbstverständlich demonstrieren, Krawallmacher darf man aber nicht durch die Stadt ziehen lassen. Was gerne vergessen geht: Hunderte von Polizistinnen und Polizisten haben ihren Samstag für Berns Sicherheit geopfert: Dafür herzlichen Dank!

Sven Weber: Kompliment. Mit massivem Polizeiaufgebot und Riesenaufwand ein paar verstreute linke Krawallmacher dingfest gemacht: Das dürfte auch ganz im Sinne derjenigen Eliten sein, welche die arbeitende Bevölkerung um Milliarden betrügen. Natürlich ungestraft. Die Behörden sind ja voll damit ausgelastet, heimtückische Aktivisten zu jagen.

Andreas Fankhauser: Die Demo, für welche kein Gesuch gestellt worden ist, wurde unterbunden, und es gab keine Sachbeschädigungen. Ziel erreicht. Weiter so!

Mona Kosnac: Haben die Demonstranten Gewalt in irgendeiner Form tatsächlich angewendet? Nein, ein klares Nein einer Augenzeugin. Die Demo verlief 100 Prozent friedlich. Bis die Polizei zum "Handeln" aufbrach…

René Reinhard: Seltsam. Warum kamen mir nach dem Lesen der Artikel spontan Länder wie etwa Russland oder die Ukraine in den Sinn?

Fabian Bader: Es erstaunt mich, dass noch niemand das grosse Polizeiaufgebot kritisiert hat. Genau diejenigen, welche letztes Jahr das Polizeiaufgebot am Familienfest der SVP kritisierten, sollten doch jetzt schon längst einen Kommentar geschrieben haben.

Carlo Schneider: Die grosse Schweizer Januarrevolution wurde unblutig niedergeschlagen - das WEF kann kommen.

Manuel C. Widmer: Am erschreckendsten an der ganzen Diskussion ist, wie viele Leute in puren Schwarz-Weiss-Schemen denken, fremde Ansichten für falsch, statt für anders halten und die eigene für die einzig richtige.

Gery Weibel: Für einmal hat eine unbewilligte Demo nicht riesige Schäden verursacht, sondern ist schlicht und einfach in die Hose gegangen. Ich mag mich darüber nicht aufregen.

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derbund.ch 23.1.12

"Die Stadt war keineswegs lahmgelegt"

Interview: Hanna Jordi, Christoph Lenz.

Sicherheitsdirektor Reto Nause verteidigt den Polizeieinsatz vom Samstag: Gerade bei einer Anti-WEF-Demo müsse die Polizei gewappnet sein.

Herr Nause, nach dem Polizeieinsatz bei der Anti-WEF-Demo vom Samstag wurde Kritik laut: Sie hätten auf Kosten der Steuerzahler Wahlkampf betrieben. Was sagen Sie dazu?

Das ist ein happiger Vorwurf. Es bestanden Anzeichen, dass dieser Anlass nicht friedlich verlaufen würde: Zum Beispiel gab es Gewaltaufrufe im Vorfeld. Die Polizei stellte dann auch entsprechendes Material sicher. Ausserdem hat vonseiten der Organisatoren niemand den Versuch unternommen, eine Bewilligung für die Demo einzuholen. Am Freitag wollten wir Kontakt mit den Organisatoren aufnehmen, doch dies misslang.

Mit Ihrer Strategie haben Sie die Stadt für mehrere Stunden lahmgelegt - wegen 300 Demonstranten.

Die Stadt war keineswegs lahmgelegt. Ich war vor Ort: Zehntausende Personen gingen ihrem gewöhnlichen samstäglichen Einkauf nach und wurden von der Demonstration und dem Polizeieinsatz nicht behelligt. Mit Ausnahme natürlich von den Beeinträchtigungen des öffentlichen Verkehrs, der teilweise nicht zirkulieren konnte. Die Polizei hat bewusst nur dort eingegriffen, wo vermutet werden musste, dass es zu Sachbeschädigungen kommt: beim militanten Teil der Demo, der dann im Bollwerk eingekesselt wurde.

Wäre für die Unbeteiligten der Nachmittag nicht viel reibungsloser verlaufen, wenn man die übrigen, nicht militanten Demonstranten ihren Umzug hätte machen lassen und auf das Katz- und Maus- Spiel in der oberen Altstadt verzichtet hätte?

Nein, denn im Vornherein weiss man nicht, ob 50, 300 oder 800 Leute nach Bern zum Demonstrieren kommen. Und um situationsgerecht reagieren zu können, braucht es ein genügend grosses Polizeiaufgebot. Die Erfahrung zeigt, dass bei solchen Demonstrationen jederzeit eine unvorhergesehene Wendung eintreten kann: Am Samstag zum Beispiel rief eine Gruppe auf Facebook den Bundesplatz als neuen Besammlungsort aus. Als wir dort ankamen, war zwar niemand da, doch das kann man im Vornherein nicht wissen. Gerade bei einer Anti-WEF-Demo - eine Veranstaltung mit einschlägiger Vergangenheit - muss die Polizei gewappnet sein.

Werden Sie künftig bei Anti-WEF-, Antifa- oder Antirep-Demonstrationen immer ein solches Sicherheitsdispositiv anordnen, sofern den Veranstaltungen die Bewilligungen fehlt?

Nein. Jede Demo wird als Einzelfall behandelt, sowohl von der Sicherheitsdirektion wie auch der Kantonspolizei. Das Vorgehen hängt davon ab, welche Dynamik im Vorfeld erwartet werden kann. Egal, wie man sich entscheidet, die Kritik lässt nicht lange auf sich warten: Als wir einen Demozug bewilligten, obwohl kein entsprechendes Gesuch vorlag, wurden wir kritisiert. Jetzt wird bemängelt, wir hätten viel zu viel Polizisten aufgeboten. Vermutlich muss ich mit der Kritik leben lernen.

Bürgerliche Politiker fordern, jede Demo ohne Bewilligung solle sofort aufgelöst werden. Davon halten Sie nichts?

Rein politisch wäre es einfach: Hingehen und sagen, wenn eine Bewilligung fehlt, wird die Demo aufgelöst. In der Praxis würde ein solches Vorgehen der Sicherheit wohl nicht immer dienen. Wir ziehen es vor, im Einzelfall zu entscheiden, wie wir vorgehen wollen.

Rein rechtsstaatlich gibt es auch noch das Grundrecht der Versammlungs- und Meinungsäusserungsfreiheit.

Wer seine Meinung äussern will und eine Demo organisiert, kann meiner Meinung nach gut vorher bei der Gewerbepolizei eine Bewilligung einholen.

Erst letzte Woche erst hat Regierungsrat Hans-Jürg Käser die Polizeiarbeit am SVP-Fest scharf kritisiert. Was hat die Kantonspolizei für Massnahmen getroffen, um bei den 153 Anzeigen vom Wochenende ähnliche Fehler zu vermeiden?

Meines Wissens wurde die interne juristische Kontrolle personell verstärkt. Details müssen Sie bei der Kantonspolizei nachfragen.

Finden Sie als Sicherheitsdirektor nicht beunruhigend, wenn über 170 Personen in der Stadt Bern festgenommen werden, teilweise, ohne den Grund dafür zu erfahren?

Ich finde es beunruhigender, wenn über 170 Personen, teils vermummt, teils Petarden abfeuernd, auf die Innenstadt zulaufen. Da ist es richtig zu sagen, diesen Zug können wir nicht durch die Innenstadt marschieren lassen. (DerBund.ch/Newsnet)

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derbund.ch 23.1.12

In den Zellen eskalierte die Situation

Dominik Steiner

Im Rahmen des Polizeieinsatzes gegen die Anti-WEF-Demo vom Samstag sind über 170 Personen in Festhalteräume im Parkhaus Neufeld gebracht worden. Dort geriet die Lage zwischenzeitlich ausser Kontrolle.

Insgesamt 172 Personen verhaftete die Kantonspolizei am Samstag beim Einsatz gegen die unbewilligte Anti-WEF-Demonstration. Die Personen wurden zu einer Personenkontrolle in den Festhalte- und Warteraum (FWR) im Parkhaus Neufeld gebracht. Der WFR ist ein Provisorium, das regelmässig zum Einsatz kommt, wenn die Polizei zusätzliche Plätze benötigt.

Eine der 172 Personen, die sich am Samstag in diesen Gitterzellen wiederfanden, war der 25-jährige Student M. (Name der Redaktion bekannt). Er geriet nach eigenen Angaben ungewollt in die Demonstration und wollte diese verlassen. Dennoch wurde er zu einer Personenkontrolle in den FWR gebracht. Und verbrachte neun Stunden in der Gitterzelle.

Die Zellen sind rund 25 Quadratmeter gross. Darin befindet sich eine Toilette. M. sagt gegenüber , bis zu 25 Personen hätten sich eine Zelle teilen müssen. Michael Fichter, Mediensprecher der Kantonspolizei, konnte keine genauen Angaben dazu machen, wie viele Personen in eine Zelle gesperrt wurden. Er sagt zur Platzsituation: "Es gab genügend Platz, so dass sich die Leute auf den Boden setzen konnten. In einigen Zellen konnte man sich hinlegen." Die Zellen entsprächen den gesetzlichen Vorgaben: "Es wurden verschiedene Berichte erstellt, zuletzt von der ehemalige Regierungsstatthalterin Regula Mader", so Fichter.

Aufruhr in den Zellen

Das Provisorium im Neufeld habe sich in der Vergangenheit bewährt, hält Fichter weiter fest. Am Samstag allerdings eskalierte die Situation im Festhalteraum. "Es war wie ein Gefängnisaufstand", sagt der Verhaftete M. Michael Fichter spricht von "Aufruhr in den Zellen". Unstrittig ist, dass die Eskalation in einem Einsatz von Hunden und Pfefferspray durch die Polizei endete. Die Schilderungen der Ereignisse gehen jedoch weit auseinander.

Gemäss M. war die Polizei überfordert und habe nicht mit den Verhafteten kommuniziert: "Ich versuchte die ganze Zeit zu erfahren, mit welcher Begründung ich festgehalten werde, wie lange es noch dauere." Doch die Polizisten hätten ihn ignoriert, in einigen Fälle sei man "von Polizistinnen und Polizisten ausgelacht" worden.

Auch die Verpflegung sei mangelhaft gewesen. Es gab kein Wasser und Brot, sondern Wasser und Schokoladenriegel. Das bestätigt Michael Fichter auf Anfrage von .

Die Enge in den Zellen und der aufkommende Hunger hätten die Lage angespannt: "Wenn so viele Leute in einem engen Raum sind, entsteht eine Dynamik." Einige Insassen begannen zu hüpfen und an die Gitterstangen zu schlagen. Aufgrund der instabilen Konstruktion der Zellen habe sich ein Balken zwischen der Decke und dem Gitter gelöst - und eine Zellentür sei aufgesprungen.

Die Lage geriet ausser Kontrolle. "Die Polizisten reagierten panisch und kamen mit Hunden, welche aufgrund des Lärms völlig durchdrehten. Und es wurde massiv Pfefferspray eingesetzt, welcher sich im ganzen Raum verteilte."

Zur Sicherheit der Verhafteten

Michael Fichter widerspricht dem Vorwurf, die Polizei habe ungenügend kommuniziert. Im Gegenteil. Man habe die Insassen mehrfach mündlich aufgefordert, sich zu beruhigen. " Nachdem diesen Aufforderungen nicht nachgekommen wurde, kamen Hunde und Pfefferspray zum Einsatz." Den Spray habe man allerdings sehr zurückhaltend eingesetzt, indem man an die Decke zielte.

Natürlich sei ihm klar, dass sich Pfefferspray in einem Raum rasch verteile. Doch es sei die einzige Alternative gewesen, nachdem die verbalen Mittel ausgeschöpft gewesen seien, so Fichter. Man hätte die Sicherheit der Insassen garantieren müssen: "Es hätte passieren können, dass sich die Türen verklemmen und dann wäre auch eine allfällige Evakuation nicht möglich gewesen." Schliesslich legte man den Inhaftierten wieder Handfesseln an.

Entlassung erst nach Mitternacht

Der Vorfall habe die Abläufe zusätzlich verzögert, so Michael Fichter von der Kantonspolizei. Auch darum seien einzelne Personen erst nach Mitternacht entlassen worden.

Auch M. verliess das Parkhaus im Neufeld erst nach Mitternacht. Dann wurde ihm auch mitgeteilt, dass es sich nicht nur um eine Personenkontrolle gehandelt hätte. Die Polizei sagte ihm, dass er wegen Landfriedensbruch und dem Verstoss gegen das Vermummungsgesetz angezeigt werde. M. streitet ab, sich zu irgendeinem Zeitpunkt vermummt zu haben.

Die zweite Anschuldigung weist er ebenfalls zurück. Laut Gesetz macht sich jemand des Landfriedensbruchs strafbar, der an einer "öffentlichen Zusammenrottung teilnimmt, bei der mit vereinten Kräften gegen Menschen oder Sachen Gewalttätigkeiten begangen werden".

Es gibt Filmmaterial

Für die Polizei ist dieser Straftatbestand gegeben, weshalb 153 Personen angezeigt würden. Letzlich sei es an der Justiz zu entscheiden, ob die Einzelpersonen schuldig sind oder nicht.

Die Polizei wird die Vorkommnisse vom Samstag auswerten. Mehrere Beamte haben die Demonstranten und den Einsatz auf Video festgehalten. Es existiert auch Filmmaterial von den Ereignissen im Festhalteraum. Dort gäbe es zwar "keine konstante Kamera", so Fichter, doch eine mobile Kamera habe Szenen aus dem FWR mitgefilmt. Das Filmmaterial werde in die Evaluation einfliessen.

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Bund 23.1.12

Grossaufgebot der Polizei erstickt Anti-WEF-Kundgebung im Keim

Die Zahl der Anti-WEF-Demonstranten erreicht längst nicht mehr das Niveau früherer Jahre: Insgesamt waren es am Samstag weniger als 500, die in Bern ohne Bewilligung gegen das Davoser Wirtschaftsforum protestieren wollten.

Gleiches lässt sich vom Polizeiaufgebot nicht behaupten: Mehrere Hundert Polizisten standen im Einsatz. Es gelang dem Grossaufgebot, die Vorgaben von Polizeikommando und Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) zu erfüllen: Ein Umzug durch die Innenstadt wurde im Keim erstickt. Dabei nahm die Polizei 172 Personen fest; die meisten von ihnen hätten sich einer Straftat schuldig gemacht, so die Kantonspolizei. Bis Sonntag sind keine Meldungen über Sachbeschädigungen im Rahmen der Kundgebung eingegangen. (phi) - Seite 21

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Anti-WEF-Proteste: Polizei, so weit das Auge reicht

Gemeinderat Nause wehrt sich gegen den Vorwurf, der massive Polizeieinsatz sei eine Wahlkampfaktion.

Philipp Schori

Hundert Personen, fünf Transparente und ein mit Boxen beladenes Auto machen sich von der Reitschule auf den Weg zur Heiliggeistkirche. Sie wollen an den Besammlungsort der Anti-WEF-Demonstration. Doch dort werden sie an diesem Samstagnachmittag nie ankommen. Stattdessen werden sie allesamt von der Polizei festgenommen und in die Zivilschutzanlage Neufeld gebracht (vgl. Text unten). Dafür hat der zuständige Berner Gemeinderat Reto Nause (CVP) gesorgt. Linke und Grüne kritisieren den Polizeieinsatz als unverhältnismässig, Bürgerliche begrüssen ihn.

Materialschlacht

Beim Bollwerk, nach wenigen Metern Marsch, kesselt die Polizei die Anti-WEF-Aktivisten ein. Es gibt kein Durchkommen: Vor ihnen stehen fünfzig Polizisten, hinter ihnen stehen fünfzig Polizisten. Auch die Seitenstrassen sind weiträumig abgeriegelt, dort sind wiederum Dutzende Polizisten postiert. Sie sind zum Teil von weither angereist: aus den Kantonen Genf, Basel, Zürich und Waadt. Mehrere Hundert seien es, aber weniger als während des SVP-Familienfests im September, mehr verrät Polizeisprecher Michael Fichter nicht. Die SP will es genauer wissen: "Die Bevölkerung hat das Recht zu erfahren, ob der Einsatz verhältnismässig war", schreibt die Partei in einer Medienmitteilung.

Weitere Polizisten und Dutzende Militär- und Polizeifahrzeuge stehen andernorts in Bern im Einsatz: etwa beim Bahnhof, wo ebenfalls hundert Personen umzingelt werden - unter anderem shoppingwillige junge Frauen, die aber rasch wieder freikommen. Nicht nur die Polizei ist gut ausgerüstet, sondern auch die WEF-Gegner sind es: Im Fahrzeug der Aktivisten und in einem Kanalisationsschacht beim Bollwerk seien "Vermummungsmaterial, Pfeffersprays, Schutzbrillen, Helme, Spraydosen und Filzstifte" gefunden worden, schreibt die Polizei am Abend in einem Communiqué. Zudem hätten die Demonstrierenden beim Bollwerk die Einsatzkräfte mit Petarden beworfen.

Wahlschlacht

Sicherheitsdirektor Nause zieht am späten Nachmittag eine positive Bilanz des Polizeieinsatzes. "Am Freitag unternahmen wir einen letzten Versuch, per E-Mail mit den Organisatoren in Kontakt zu treten", sagt Nause vor Ort. "Doch es kam nichts zurück." Daraufhin habe er gemeinsam mit der Polizei entschieden, dass ein Umzug durch die Innenstadt nicht toleriert werde, was gelungen sei.

Die Junge Alternative (JA) wirft Nause tags darauf vor, auf Staatskosten Wahlkampf zu betreiben. Mit der polizeilichen Machtdemonstration habe der CVP-Gemeinderat rechte Kreise besänftigen und damit seine Wiederwahl in zehn Monaten sichern wollen.Tatsächlich gelangte der potenzielle FDP-Gemeinderatskandidat Bernhard Eicher im Vorfeld der Demonstration an die Medien und forderte ein entschiedenes Durchgreifen. Eicher und Nause wären Konkurrenten um einen Sitz im Gemeinderat: Wäre der Polizeieinsatz nicht nach bürgerlichem Gusto verlaufen, hätte sich Eicher als der fähigere zukünftige Sicherheitsdirektor anpreisen können.Nause mag auf die Mutmassung nicht konkret eingehen: "Es gab im Vorfeld der Kundgebung Aufrufe zur Gewalt, die wir ernst nehmen mussten", sagt er. Dass die Sache ernst war, lasse sich schon daran ablesen, dass Andrea Stauffacher an der Aktion teilnahm, von der Nause eigentlich dachte, sie sei im Gefängnis. Stauffacher ist eine linksradikale Zürcher Politaktivistin, die Ende letzten Jahres vom Bundesstrafgericht zu einer 17-monatigen unbedingten Freiheitsstrafe verurteilt worden war.

Stadträte, überall Stadträte

Mario Imhof, ebenfalls ein möglicher FDP-Gemeinderatskandidat, observiert die Umzinglung der Aktivisten vom Reitschulvorplatz aus: "So muss das aussehen", sagt er zu seinen Stadtratskollegen Simon Glauser (SVP) und Henri-Charles Beuchat (CVP). Dank den Demonstranten habe man heute einen autofreien Samstag; Imhof lacht, an seiner Jeansjacke prangt ein Ferrari-Pin. Derweil schiesst Beuchat mit seiner Digitalkamera Bilder der Polizisten in Kampfmontur, die er später Reto Nause zeigen wird. Dieser wiederum hat den besten Platz, um den Polizeieinsatz zu beobachten: Er steht auf der Bollwerk-Passerelle, neben ihm BDP-Stadträtin Sonja Bietenhard, die als Präsidentin der Stadtratskommission für Finanzen, Sicherheit und Umwelt Reto Nause den ganzen Tag über begleitet. Ihr Fazit am späteren Nachmittag: Die Polizei habe sich sehr professionell verhalten; "der Einsatz war nie übermässig intensiv".

Anders sieht dies Hasim Sancar, Stadtrat des Grünen Bündnisses - auch er ist vor Ort. Er stuft den Einsatz als unverhältnismässig ein. Er selbst sei heute einmal beinahe in einen Kessel der Polizei geraten. Nur weil der Chef der Regionalpolizei Bern, den er kenne, zufällig danebengestanden sei, habe er einer Festnahme entgehen können. Die Kantonspolizei hat insgesamt 172 Personen über mehrere Stunden festgehalten: vorwiegend Männer aus Bern und Zürich.

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172 Festgenommene

Hunde und Pfefferspray im Neufeld

Die Polizei nahm am Samstag 172 Personen fest und brachte sie in den sogenannten Warte- und Festhalteraum im Berner Neufeld. Dort eskalierte die Situation:

Einer, der sich in den Gitterzellen wiederfand, war der 25-jährige Student M. (Name der Redaktion bekannt). M. berichtet, bis zu 25 Personen hätten sich eine bloss 25 Quadratmeter grosse Zelle teilen müssen. Die Enge und das Verhalten der Polizei hätten zur Eskalation geführt. Das Provisorium sei mangelhaft gebaut: Als eine Person die Gitter bewegte, sprang bei einer Zelle die Tür auf. Die Polizisten hätten panisch reagiert: mit Hunden und Tränengas.

Polizeisprecher Michael Fichter widerspricht der Darstellung, die Polizei sei überfordert gewesen. Es sei zu Aufruhr in den Zellen gekommen. Die Polizei habe die Insassen mündlich aufgefordert, sich zu beruhigen. "Nachdem diesen Aufforderungen nicht Folge geleistet wurde, kamen Hunde und Pfefferspray zum Einsatz." Schliesslich seien den Personen wieder Handfesseln angelegt worden. Fichter rechtfertigt den Einsatz mit der Sicherheit der Insassen. (dam)

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BZ 23.1.12

153 Anzeigen nach Demo

Stadt bern. Mit einem Grossaufgebot hat die Polizei am Samstag die unbewilligte Demo von WEF-Gegnern bereits im Keim erstickt. 153 Personen werden wegen Landfriedensbruchs angezeigt. Im Festhalteraum setzte die Polizei Tränengas ein.

Zum geplanten Umzug durch die Stadt kam es nicht: Hunderte Polizisten kesselten eine kleine Gruppe Demonstranten bereits am Bollwerk ein und hinderten sie daran, weiterzuziehen. Unter den Demonstranten war auch die radikale Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher. Die meist vermummten Aktivisten forderten die Polizei vergeblich auf, den "friedlichen Umzug" zuzulassen. Die Demonstranten wurde kontrolliert und in Festhalteräume im P+R Neufeld transportiert. Dort wollten mehrere Personen die Räume aufbrechen, worauf die Polizei Tränengas einsetzte. Bei den Demonstranten und in einem Versteck in der Kanalisation stellte die Polizei Vermummungsmaterial und Petarden sicher. Total wurden 172 Personen angehalten; 153 Personen sollen wegen Landfriedensbruchs angezeigt werden. Der städtische Polizeidirektor Reto Nause (CVP) zog eine positive Bilanz. "Im Vorfeld gab es Aufrufe zur Gewalt, die wir ernst nehmen mussten." Mit den Organisatoren Kontakt aufzunehmen, sei misslungen. Wie Nause bezeichnet auch der kantonale Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) das Grossaufgebot der Polizei als "absolut gerechtfertigt". Angesichts der Gewaltaufrufe sogar "mehr als gerechtfertigt", so Käser. Er stand nach eigenen Angaben "in engem Kontakt" mit dem Berner Gemeinderat. Für einmal hatte die Polizei nicht den Auftrag, deeskalierend zu wirken. "Wir wollten von Anfang an sicherstellen, dass der Umzug gar nicht stattfindet." Weder Versammlungsfreiheit noch Demonstrationsrecht seien infrage gestellt, so Käser. "Aber die Gewaltaufrufe erfüllten den Tatbestand des Landfriedensbruchs." Bürgerliche Parteien begrüssten das Durchgreifen. Die Linke bezeichnet den Einsatz als masslos und ungerechtfertigt und fordert eine Untersuchung. Kleinere Anti-WEF-Aktionen in der Stadt gab es doch noch. Sie verliefen friedlich, die Po-lizei liess diese Aktivisten ge-währen.wrsSeite 2 + 3

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Polizei kesselte vermummte und bewaffnete Demonstranten am Bollwerk ein

Erstmals hat die Polizei eine Anti-WEF-Kundgebung durch die Innenstadt bereits im Entstehen verhindert. Sie kesselte Demonstranten beim Bollwerk ein. Aktivisten versteckten Waffen und Vermummungsmaterial in der Kanalisation.

Bereits um 12 Uhr, zwei Stunden vor Demobeginn, stehen einige hundert Polizisten im und rund um den Bahnhof in Bereitschaft. Rigoros kontrollieren sie Passanten. Auch in den Gassen zwischen der Innenstadt und der Reitschule stehen einige Hundert Polizisten aus Bern, Zürich, Basel und Genf bereit. Der öffentliche Verkehr durch die Innenstadt und über die Lorrainebrücke ist unterbrochen. Busse und Trams werden umgeleitet.

Punkt 14 Uhr öffnet sich das grosse Tor der Reitschule. Etwa hundert meist vermummte Demonstranten marschieren geschlossen über den Vorplatz Richtung Bollwerk. Die Aktivisten zünden Knallpetarden. Kaum sind sie bei der Abzweigung Speichergasse vorbei, rückt die Polizei vom Kleeplatz her mit Wasserwerfern, Gitterfahrzeugen und Grenadierkordons vor. Gleichzeitig fahren auch von der Aarbergergasse Polizeifahrzeuge vor und blockieren das Bollwerk.

Vermummte legten Masken und Tücher ab

Der unbewilligte Demozug steht still. Die eingekesselten Aktivisten werfen Flaschen gegen Polizisten und lassen erneut Petarden krachen. Die Vermummten reissen sich Masken und Tücher vom Gesicht. Über den Lautsprecher bettelt die Demospeakerin, zur Reitschule zurückkehren zu dürfen. Doch die Polizei löst die Blockaden nicht auf. "Wir führen jetzt eine Personenkontrolle durch", ertönt aus dem Polizeimagafon. Die Demonstranten gehen dazu freiwillig in die Speichergasse. Hier hat die Polizei mit den Gitterabsperrfahrzeugen Warteräume errichtet. Jede Frau und jeder Mann wird durchsucht. Die meisten lassen sich ohne Widerstand die Hände mit Kabelbindern auf dem Rücken fesseln.

Im Bus in den Warte- und Festhalteraum Neufeld

Nach der Kontrolle und der Durchsuchung der Effekten führen Polizisten die Festgenommenen zu den Transportern, welche in den Warte- und Festhalteraum im P + R Neufeld fahren (vgl. Text unten). Dafür setzt die Polizei sogar einen Car ein. Gleichzeitig kesselt die Polizei auch bei der Heiliggeistkirche rund 100 Demonstranten ein und kontrolliert sie. Ausser sieben Personen werden alle zu einer friedlichen Demonstration durch die Stadt entlassen (siehe Kasten "Friedlicher Protest"). Um 17 Uhr holt die Polizei aus dem Restaurant Cowboys an der Speichergasse eine Gruppe Demonstranten, die sich dort verschanzt hatte. Auch sie werden zum Teil abgeführt. Jürg Spori

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Rechtliche Folgen und Bilanz

Die Polizei zeigt 153 Personen an, 140 erhielten eine Fernhalteverfügung. Ob die Angeschuldigten einen Eintrag ins Strafregister erhalten, entscheidet der Richter.

Von den 37 Frauen und 135 Männern, welche die Polizei kontrollierte, sollen 153 angezeigt werden. Eine Person wurde polizeilich gesucht. Ob es sich dabei um die von Sicherheitsdirektor Reto Nause gesehene Andrea Stauffacher handelt, wollte Polizeisprecher Michael Fichter nicht sagen: "Zu konkreten Personen machen wir keine Angaben." In den News von "Telezüri" beantwortete Stauffacher, eingekesselt beim Bollwerk, einige Fragen. Die Zürcher Öko-Aktivistin wurde am 7. November 2011 vom Bundesstrafgericht in Bellinzona wegen Sprengstoffanschlägen zu einer unbedingten 17-monatigen Freiheitsstrafe verurteilt. Die verzeigten Personen - sie stammen mehrheitlich aus den Kantonen Bern und Zürich - müssen sich laut Communiqué der Polizei wegen Landfriedensbruchs vor dem Richter verantworten. Landfriedensbruch kann mit Freiheitsstrafen bis zu drei Jahren oder einer Geldstrafe geahndet werden. Einige müssen sich zusätzlich wegen Gewalt und Drohung gegen Beamte, Verstösse gegen das Waffengesetz und Widerhandlungen gegen das Vermummungsverbot verantworten. Insgesamt wurden 140 von Juristin Laura Marinello überprüfte Fernhalteverfügungen ausgestellt. Die betroffenen Personen durften bis um sechs Uhr am Sonntagmorgen die Innenstadt nicht mehr betreten. Bei mehreren Minderjährigen informierte die Polizei die Eltern.Unter anderem Pfeffersprays, Petarden, Schutzbrillen und Helme wurden sichergestellt. Momentan sind die arrestierten Personen mit Bild und Personalien registriert. Die Daten jener, die nicht angezeigt werden oder welche die Justiz freispricht, werden gemäss den gesetzlichen Fristen vernichtet, wie Fichter sagt. Die verurteilten Personen erhalten einen Eintrag ins Strafregister. Der Polizei liegen keine Meldungen über Sachbeschädigungen vor. Michael Fichter zur Anti-WEF-Kundgebung: "Nach einer ersten Bilanz verlief der Polizeieinsatz deshalb positiv." cab

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Reaktionen

Die SP stellt die Verhältnismässigkeit des Polizeieinsatzes infrage. Die Demonstrierenden hätten mehrmals angeboten, die Demo abzubrechen. Die Frage sei deshalb, ob eine deeskalierende Strategie nicht zu einem früheren Abbruch der ganzen Übung geführt hätte. Von Polizeidirektor Nause erwartet die SP Bereitschaft zur Aufarbeitung. Das Grüne Bündnis (GB) fordert eine Untersuchung von unabhängiger Stelle. Auch bei Demos ohne Bewilligung müsse der Polizei-Einsatz verhältnismässig bleiben. Das sei nicht der Fall gewesen. Eine Untersuchung der Verhältnismässigkeit und der Kosten will auch die Junge Alternative JA! Sie wirft Polizeidirektor Nause (CVP) vor, Wahlkampf mit Steuergeld zu betreiben, und kritisiert den Polizeieinsatz scharf. Aus Sicht der PdA wurde das demokratische Grundrecht auf freie Meinungsäusserung verhöhnt. Für die Organisation AntiRep war der Polizeieinsatz ungerechtfertigt und masslos. Offenbar reiche schon die Möglichkeit nichtkonformen Verhaltens dafür aus, um Opfer von Repression zu werden. Die CVP begrüsst, dass die unbewilligte Demo unterbunden worden und dass es zu keinen Ausschreitungen gekommen sei. So habe eine "unerwünschte und gewaltbereite Eigendynamik" verhindert werden können. Die SVP dankt der Polizei für den "beherzten Einsatz für Recht und Ordnung" und fordert, dass auch künftig keine unbewilligten Demos zugelassen werden.wrs

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Friedlicher Protest

Neben dem Umzug, der von der Polizei eingekesselt wurde, bildeten sich kleinere Gruppen, die friedlich durch die Innenstadt zogen und hier und dort friedliche Platzkundgebungen abhielten - oft mit Musik. Diese Protestaktionen verliefen ebenso problemlos wie die Veranstaltungsreihe "Tour de Lorraine". In 17 Lokalen gab es Konzerte, Vorträge und Workshops zum Thema "Wachstumswahnsinn loswerden". Das Festival war einst eine Mobilisierungsplattform gegen das WEF. Bei der diesjährigen Austragung fehlte ein direkter Hinweis auf das Wirtschaftsforum. Das Datum, am Wochenende vor dem Wirtschaftsanlass in Davos, erinnert allerdings an den Hintergrund der Tour de Lorraine.wrs

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BZ Kommentar

Deutliche Sprache

Jürg Spori Reporter

Bei den meisten Anti-WEF-Demos in Bern kam es in den letzten Jahren zu Krawallen und Sachbeschädigungen. Die von der Reitschule aus ausgerückten Chaoten lieferten sich mit der Polizei jeweils ein Katz-und-Maus-Spiel. Der Wille der rot-grünen Regierung fehlte offenbar, um präventiv gegen Vermummte und Bewaffnete vorzugehen. Man setzte auf Deeskalation, liess die Demozüge marschieren, nahm so aber auch Scharmützel in Kauf.

Mit dem Einsatz am letzten Samstag hat die Polizei nun ein anderes Signal ausgestrahlt. Sie hat gezeigt, dass sie sich von Chaoten nicht auf der Nase herumtanzen lässt, wenn sie vom Gemeinderat grünes Licht dazu erhält. Die Einkesselung der Teilnehmer der unbewilligten Demo zeigt ein neues Vorgehen der Polizei auf. Bisher rannten Polizisten den Vermummten nach, weil sie überrumpelt wurden. Nicht so am Samstag: Die Polizei setzte ihre Strategie konsequent durch. Auffallend ist auch: Die Polizei war im Vergleich zu früheren Demos mit Gewaltpotenzial gut vorbereitet, klar organisiert und gut aufgestellt. Das Polizeiaufgebot war in der Tat immens. Vor der Demo jedoch kursierten Aufrufe zu Gewalt. Die Polizei fand zudem verstecktes Vermummungsmaterial, Petarden und Spraydosen - was nicht auf friedliche Absichten hinweist. Und im Demozug war die radikale Zürcher Linksaktivistin Andrea Stauffacher, die in den letzten Jahren mit Aufrufen zu Gewalt aufgefallen war.

Die Aufgabe der Politik wird es sein, für künftige Kundgebungen jeweils das richtige Einsatzdispositiv der Polizei abzusegnen. Dabei gilt es unbedingt Augenmass zu wahren. Am Samstag aber war das Grossaufgebot gerechtfertigt.

Mail: juerg.spori@bernerzeitung.ch

Diskussion: blog.bernerzeitung.ch/ leserblog

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20 Minuten 23.1.12

Wef-Gegner eingekesselt, abgeführt und angezeigt

Bern. Die Polizei hat die illegale Anti-Wef-Demo in Bern am Samstag im Keim erstickt. Für diesen Einsatz erntet sie Applaus und Entrüstung.

"Es war unser Ziel, Sach- und Personenschäden zu verhindern. Das haben wir erreicht", zieht Sicherheitsdirektor Reto Nause ein erstes Fazit. Ein riesiges Aufgebot ging am Samstag gegen die unbewilligte Kundgebung vor. Beim Bollwerk kesselte die Polizei die Wef-Gegner ein und nahm ihnen Petarden, Pfeffersprays, Schutzbrillen, Helme und Masken ab. Insgesamt wurden 172 Demonstranten abgeführt. 153 müssen mit einer Anzeige wegen Landfriedensbruch rechnen. Einige wurden bis tief in die Nacht festgehalten. "Mehrere Personen waren gezwungen, gefesselt in die eigenen Kleider zu urinieren", klagt das Anti-Rep-Kollektiv. Die Polizei bestätigt, dass sie in den Festhalteräumen Pfefferspray einsetzte, weil die Gefangenen mit Gewalt versucht hätten auszubrechen.

Dass seit seinem Amtsantritt vermehrt Kundgebungen gestoppt werden, beruhe nicht auf einer starren Polizeidoktrin, sondern auf Risikoanalysen, erklärt Nause: "Die Chancen, dass der Anti-Wef-Marsch friedlich verlaufen wäre, tendierten gegen null." Während bürgerliche Politiker von SVP, CVP und FDP diese Einschätzung teilen, hagelt es Kritik von linker Seite: Den Demonstranten sei zu Unrecht ein erhöhtes Gewaltpotential unterstellt worden - gestützt auf einen anonymen Aufruf, der nicht von den Organisatoren stamme.

"Wir müssen solch übertriebene Polizeieinsätze verhindern", sagt Stadtrat Hasim Sancar (GB). Er verlangt, dass die Ereignisse von einer unabhängigen Stelle untersucht und die Einsatzkosten offengelegt werden.

Patrick Marbach

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Blick 23.1.12

Wer gegen das WEF protestiert, leidet

Bern / Davos GR - Während im Bündnerland friedliche Occupy-Aktivisten bei eisiger Kälte mit dem Aufbau des Iglu-Dorfs begannen, versuchten in Bern weit über 100 militante Demonstranten aus Anlass des World Economic Forum (WEF) einen Saubannerzug durch die Innenstadt zu veranstalten. Doch die Polizei machte ihnen einen dicken Strich durch die Rechnung. Das Grüne Bündnis und die Junge Alternative (JA) kritisierten gestern den Polizei-Einsatz als unverhältnismässig. Lob gabs dagegen von CVP, FDP und SVP. Stossrichtung: Endlich hätten Stadt und Kanton ein klares Signal gesendet, dass man gewaltbereite Demonstranten nicht toleriere.

172 Personen, 37 Frauen und 135 Männer, wurden für genauere Abklärungen angehalten. Weil sie sich einer Straftat schuldig gemacht oder verbotene Gegenstände bei sich getragen hätten, so die Polizei. 153 Personen wurden Anzeigen wegen Landfriedensbruchs in Aussicht gestellt. Die teils vermummten Demonstranten kamen aus der Reithalle. Die Polizei kesselte sie beim Bahnhof Bern ein. Von dort wurden sie zum Festhalteraum, der Park+Ride-Anlage Neufeld, abtransportiert. In Einzelfällen waren die Demonstranten bis zehn Stunden in Polizeigewahrsam.

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Kommentar

Rezept nicht nur gegen WEF-Chaoten

Urs Helbling Blattmacher

urs.helbling@ringier.ch

Das Demonstrationsrecht ist eine der wesentlichen Errungenschaften unserer Gesellschaft. Es gibt gute Gründe, sich kritisch mit dem World Economic Forum (WEF) auseinanderzusetzen. Manchmal wünschte man sich, es würde wieder mehr über Sinn und Unsinn von Davos diskutiert und demonstriert.

Abgewürgt haben den Diskurs ein paar Hundert Chaoten. Sie missbrauchten die Kundgebungen regelmässig für Gewaltexzesse. Und das über Jahre.

Jetzt scheint der Polizei der finale Schlag gegen die WEF-Hooligans gelungen zu sein. Mit grosser Entschlossenheit ging sie am Samstag gegen die gewaltbereiten Demonstranten vor. Das Signal ist klar: Wer in kriegerischer Montur an einer illegalen Kundgebung teilnimmt, muss mit ernsthaften Repressalien rechnen. Einfach so durch die Gassen abhauen - das geht nicht mehr!

Übertriebene Härte? In Einzelfällen kann man sich gewiss fragen, ob es Sinn macht, Leute, die (noch) nichts getan haben, stundenlang festzuhalten. Aber diese Einzelfälle müssen im Gesamtinteresse in Kauf genommen werden. Es geht darum, Innenstädte zu schützen und wieder chaotenfreie Demos zu ermöglichen.

In Bern waren nicht klassische Hooligans das Problem. Aber die Berner WEF-Strategie könnte ein Rezept sein, wie man die unerwünschten Elemente von Sportveranstaltungen fernhalten könnte. Wer das will, muss der Polizei die Mittel für den schwierigen Kampf geben!

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BZ 23.1.12

Der Mann fürs Grobe

Hans-Jürg Käser. Er ist in Berns Regierung der Mann fürs Grobe: FDP-Polizeidirektor Hans-Jürg Käser hat der Gewalt von Sportfans ebenso den Kampf angesagt wie der Anarchie rund um die Reitschule. Im Interview erklärt er, was Kantone, Justiz und Polizei gegen Hooligans unternehmen und wer diese Bemühungen bremst. Der Schweizerische Fussballverband etwa habe bislang weitgehend nur Lippenbekenntnisse abgegeben. Der FDP-Politiker aber redet Klartext. Etwa beim Asylwesen, das zu seinen Aufgaben gehört: "Im Kanton Bern wird es kein weiteres Bundeszentrum geben."asSeite 12

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"Unsere Polizei hat schon öfter Hooligans an ihrem Arbeitsplatz abgeholt"

Hans-Jürg Käser ist in der Berner Regierung der Mann fürs Grobe: Der Polizeidirektor will bei der Reitschule und den Hooligans durchgreifen und sagt, den Eindruck, dass es in der Reithalle einen rechtsfreien Raum gebe, gelte es mit aller Konsequenz zu bekämpfen.

Herr Käser, Ihre St. Galler Amts- und Parteikollegin Karin Keller-Sutter wurde zur Politikerin 2011 gewählt. Freut Sie das?

Hans-Jürg Käser: Ja, sehr. Vor allem, weil sie für den Kampf gegen den Hooliganismus ausgezeichnet wurde.

Dafür hätten auch Sie ausgezeichnet werden können, wenn Sie im Kanton Bern vorwärtsgemacht hätten.

Die Konferenz der Kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) macht sehr stark vorwärts. Andere bremsen.

In der öffentlichen Wahrnehmung passiert nicht viel.

Die KKJPD hat viel getan. Wir haben beispielsweise erreicht, dass die Gewalttäter mit Foto in der Hooligandatenbank erfasst werden.

In St. Gallen werden Hooligans verurteilt.

Bei uns auch. Wir machen gestützt auf die Gesetze das Mögliche. Unsere Polizei hat schon öfter Gewalttäter an ihrem Arbeitsplatz abgeholt. Das war ziemlich unangenehm für die Betreffenden. Auch haben wir Gewalttäter im Internet ausgeschrieben und so dingfest gemacht. Wir machen unsere Arbeit sehr wohl. Es gibt andere, die bremsen.

Wer?

Vonseiten des Schweizerischen Fussballverbands waren bislang weitgehend blosse Lippenbekenntnisse zu hören.

Der Grosse Rat hat letzten September Ja gesagt zur Einführung von standardmässigen Schnellgerichten. Wie weit ist man da?

Die Justiz hat ihre Hausaufgaben gemacht und eine Gruppe von Staatsanwälten bezeichnet, die in den Stadien zugegen ist und Urteile fällt, wenn entsprechende Verbrechen oder Vergehen vorliegen. Sehen Sie, der Begriff "Schnellgericht" klingt gut. Allerdings liegt die Beweispflicht bei der Polizei. Die Hooligans wissen, dass das schwierig ist, wenn sie vermummt sind.

Ihr Regierungskollege Christoph Neuhaus (SVP) hatte letzten Sommer genug und kündigte an, das Hooliganproblem mit einer eigenen Berner Rechtsgrundlage für Spielabbrüche und Geisterspiele zu lösen.

Die ist in Arbeit - gewissermassen als Rückfallposition, wenn keine nationale Lösung gefunden werden sollte. Ich bin jedoch zuversichtlich, dass die Kantone der von der KKJPD beschlossenen Verschärfung zustimmen. Diese sieht unter anderem eine Pflicht zur Bewilligung von Sportgrossanlässen vor.

Letztes Jahr führte die Bundespolizei gemeinsam mit dem SCB Pilotversuche durch, bei denen die Zuschauer nur mit einer ID oder einem Pass Zutritt zum Stadion hatten. Sind diese Versuche abgeschlossen?

Die Auswertung dazu liegt noch nicht vor. Ich habe mich gefreut, dass der SCB dazu Hand geboten hat. Im Eishockey ist das Problem allerdings wesentlich kleiner, weil wir zumindest mit den Berner Clubs Lösungen gefunden haben, die wirklich funktionieren.

Gewalt und Vandalismus sind nicht nur in den Stadien ein Problem. Auch die Reitschule ist deswegen immer wieder in den Schlagzeilen. An Silvester warfen Leute vom Areal der Reitschule aus volle Bierflaschen auf vorbeifahrende Autos.

In der Silvesternacht passieren leider solche Sachen auch anderswo.

Anderswo verfolgt die Polizei die Täter. Es gab den Vorfall, dass zwei Polizisten in Zivil einen Verdächtigen bis in die Reitschule verfolgten. Danach gab es den Videoclip, der zeigen sollte, wie unverhältnismässig die Polizei reagiert haben soll.

Und deshalb bleibt die Polizei lieber draussen.

Die Reitschule ist ein Hotspot, weil die Bewilligungspraxis bezüglich Gastgewerbe und Überzeit zu wenig klar und zu wenig restriktiv ist. Es darf nicht sein, dass es in der Reithalle einen rechtsfreien Raum gibt.

Das ist es heute aber.

Es gab einzelne Vorfälle, bei denen man diesen Eindruck bekommen konnte. Diesen gilt es mit aller Konsequenz zu bekämpfen.

Dennoch: Die Polizei geht nicht rein.

Doch, aber das ist nicht ganz einfach.

Warum?

Weil es in der Reitschule Leute gibt, die den Kampf gegen den Staat inszenieren. Wenn sich bei der Reitschule beispielsweise ein Verkehrsunfall ereignet, ist es schon vorgekommen, dass die Polizisten, die den Unfall aufnehmen mussten, aus der Reitschule attackiert wurden. Auf der anderen Seite ist die Reitschule eine etablierte Kulturinstitution…

…die von der Stadt eine Stange Geld bekommt und sich trotzdem nicht an die Regeln hält.

Über die Diskussion im Stadtrat zum Leistungsvertrag bin ich nicht nur glücklich. Bei einer Leistungsvereinbarung muss es auf der anderen Seite Verantwortliche geben und nicht ein Kollektiv. Auch muss die Sicherheit im Vertrag verankert sein. Eine Leistungsvereinbarung, die diese Elemente nicht erfüllt, verdient diesen Namen nicht. Aber das muss die Stadt verantworten.

Unlängst hat die Reitschule die Leistungsvereinbarung nicht so akzeptiert, wie dies der Stadtrat vorgesehen hat. Trotzdem bekommt sie von der Stadt Geld. Haben Sie dafür Verständnis?

Ich hätte mir vorstellen können, dass man einen anderen Entscheid fällen würde.

Der Verdacht liegt nahe, dass die Stadt der Polizei verbietet, in die Reitschule zu gehen.

Das ist nicht so.

Sie haben sich mit einer Delegation des Gemeinderats getroffen. Was ist das Resultat?

Dass man in Zusammenarbeit mit dem Regierungsstatthalter darauf hinwirkt, die Bewilligung so zu erlassen, dass klar ist, was auf dem Areal wo erlaubt ist. Wenn das klar ist, kann man durchgreifen.

Wer soll durchgreifen?

Die Polizei.

Das soll sie doch heute schon.

Ja, sicher! Aber die Rechtsgrundlagen sind heute zu unklar.

Letztes Jahr wurde der Ausbau des Polizeikorps aus Spargründen gestoppt. Wie weiter?

Im Zusammenhang mit dem Entlastungspaket verzichten wir nur 2012 auf die Aufstockung. 2013 müssen wir diese wie beschlossen wiederaufnehmen. Allerdings muss das Budget auch dann eine schwarze Null aufweisen.

Im Asylwesen wird offenbar zu wenig diskutiert: Vor Weihnachten wies das Bundesempfangszentrum in Basel aus Platzgründen Asylbewerber ab. Gleichzeitig stand das Bundeszentrum auf dem Jaunpass halb leer. Vor Weihnachten haben wir dem Bundesamt für Migration angeboten, etwa 50 Personen vorübergehend aufzunehmen, und dies dann auch gemacht.

Wie liesse sich die Misere im Asylwesen beheben?

Mit Bundeszentren, wie sie Justizministerin Simonetta Sommaruga nach holländischem Vorbild einrichten will. In diesen Zentren läge die Verantwortung für die Asylsuchenden beim Bund. Gleichzeitig hätte er die Möglichkeit, die Verfahren, die ja ohnehin alle vom Bund bearbeitet werden, zu beschleunigen. Das fordern ja auch die Kantone. Trotzdem sind sie offenbar nur zögerlich bereit, solche Zentren zu schaffen. Das verstehe ich nicht. Denn wenn es keine Bundeszentren gibt, werden die Asylsuchenden gemäss Verteilschlüssel auf die Kantone verteilt und sind auch in den Gemeinden, allerdings unter der vollen Verantwortung der Kantone. Dann beginnt faktisch die Integration. Dies, obschon erfahrungsgemäss gegen 90 Prozent aller Gesuche nicht zum Status des anerkannten Flüchtlings führen.

Sie haben mit dem Jaunpass und mit Tschorren als Einziger Hand für eine Lösung geboten. Tun Sie das auch weiterhin, etwa für den Bau eines Bundeszentrums in Belp?

Belp war im Notfallkonzept des BFM lediglich als Beispiel genannt. Konkrete Pläne gibt es nicht. Ich bin zuversichtlich, dass in den nächsten Monaten in zwei bis drei Kantonen Bundeszentren spruchreif werden.

Im Kanton Bern?

Ganz klar nein. Bei uns wird es kein weiteres Bundeszentrum geben.

Sind die Bundeszentren Jaunpass und Tschorren wirklich befristet?

Ja, jenes auf dem Jaunpass wird Ende Januar schliessen. Das Zentrum Tschorren wird während des Sommers betrieben und dann geschlossen.

In Syrien verschärft sich die Lage, viele verlassen das Land. Merkt man das bereits im Kanton Bern?

Ja, die Zahl syrischer Gesuche ist seit Sommer 2011 gestiegen. Wir müssen mit mehr Asylbewerbern aus diesem Raum rechnen. In einer Fernsehreportage habe ich Syrer gesehen, die sagten, dass sie Angst hätten. Interessanterweise sind die sogenannten Flüchtlinge meist junge Männer. Fürchten sich denn syrische Frauen nicht?

Ihre Migrationsdienstleiterin Iris Rivas sagte in einem Interview mit der BZ, dass es sich oft um Wanderarbeiter handle, die unser Asylsystem ausnützten.

Das ist eindeutig so. Viele Tunesier sprechen Italienisch, weil sie jahrelang in Italien gelebt haben. Sie kommen zu uns, um hier den Winter zu verbringen. Das ist aber nicht die Idee der humanitären Flüchtlingshilfe, hinter der ich explizit stehe.

Wie müsste man mit diesen Leuten verfahren?

So, wie es das Dublin-Abkommen vorsieht: Wer in einem anderen Land einen Antrag gestellt hat, muss dorthin zurück. Zudem müssen Rückreisewillige schnell in ihr Heimatland geschickt werden, auch mit einer finanziellen Unterstützung. Das ist immer noch viel billiger, als wenn sie hierbleiben.

Was offensichtlich nicht funktioniert.

Sagen wir, es funktioniert nicht so, wie es sollte. Mir ist klar, dass es für Erstaufnahmeländer wie Italien nicht einfach ist. Ich erwarte aber, dass das Land wie vereinbart seine Pflicht wahrnimmt. Zudem muss die EU ihre angedachte Unterstützung zum Beispiel für Italien umsetzen.

Nordafrikaner machten in Lyss Probleme. Mittlerweile hat man die Sicherheit dort wieder im Griff. Wie sieht es in den anderen Zentren im Kanton aus?

Es geht einfach nicht an, dass man in ein Land kommt, einen Asylantrag stellt und dann einfach in den Supermarkt spaziert und sich bedient. Die Schweiz mag ein Schlaraffenland sein, aber kriminelle Aktivitäten sind nicht tolerabel. Deshalb haben wir alle 25 Zentren überprüft und wo nötig die Sicherheitsvorkehrungen mit Polizei und Securitas angepasst.

Was kostet das?

Eine Zweierpatrouille der Securitas mit Hund kostet pro Monat etwa 30 000 Franken. Mit zehn Patrouillen sind wir bei 300 000 Franken.

Wie viel zahlt der Bund?

Der Bund zahlt eine Pauschale pro Asylbewerber - diese deckt die Kosten jedoch oft nicht. Etwa dann, wenn die Sicherheit erhöht werden muss oder wenn die Leute trotz abgewiesenem Asylgesuch hierbleiben. Hier fordern die Kantone vom Bund mehr Geld. Die entsprechenden Gespräche laufen noch.

Immer wieder scheitern Ausschaffungen, weil die Herkunftsländer ihre Bürger nicht zurücknehmen.

Hier muss die Schweiz Druck machen und diesen Ländern klarmachen, dass für uns ein Zusammenhang besteht zwischen Entwicklungsgeldern und Asylwesen. Wir geben etwas, aber wir wollen auch etwas dafür. Der Ansatz der Migrationspartnerschaften seitens des Bundes ist richtig und müsste ausgebaut werden.

Eine Forderung, die immer wieder laut wird. Passiert ist indes nichts. Bewegt sich überhaupt etwas im Asylwesen?

Ob der Bund auf der aussenpolitischen Schiene nichts tut, kann ich nicht beurteilen. Auf Bundesebene haben wir ein Logistikproblem, was Plätze und Zentren sowie die Abwicklung der Asylgesuche angeht. Bei Letzterem spielt die Justiz eine grosse Rolle. Doch wir haben die Gewaltentrennung: Die Politik kann der Justiz nicht das Tempo vorgeben.

In Holland funktioniert es: Im Asylverfahren müssen sich auch die Gerichte an Fristen halten. Warum soll das in der Schweiz nicht gehen?

Ich stelle einfach fest, dass sich das Bundesverwaltungsgericht besonders viel Zeit lässt mit der Beurteilung von Asyldossiers. Das ist störend, weil 80 bis 90 Prozent der Asylbewerber den Gerichtsweg beschreiten.

Ein weiteres unangenehmes Thema ist die FDP des Kantons Bern.

(lacht) Schreiben Sie das so?

Ja, es steht schlecht um die FDP.

Dass die FDP in den nationalen Wahlen zwei von vier Sitzen verloren hat, war ernüchternd. Auch dass die Kantonalpartei nur noch einen Wähleranteil von 8,6 Prozent erreicht hat.

Die FDP ging am Samstag in Klausur - was sind die Gründe für das schlechte Abschneiden?

Bei der Analyse waren wir uns einig: Einer der Gründe liegt im Spannungsfeld zwischen der nationalen FDP und den Kantonalparteien. Auf nationaler Ebene wird die FDP als Partei wahrgenommen, die sich schwergewichtig um Themen der Hochfinanz kümmert. Das hat Auswirkungen auf die Kantonalparteien. Mit der Gründung der BDP haben Leute, die neben SVP auch FDP wählten, eine Option mehr. Auch wenn sich die Partei als neue Kraft verkauft und mit der alten SVP-Garde antritt.

Wo soll sich die FDP positionieren?

Wir müssen eigene Schwerpunkte setzen, zurück zu unseren liberalen Wurzeln gehen und unseren Platz klar im bürgerlichen Spektrum haben. Wir setzen uns für einen schlanken Staat, soziale Sicherheit und gute Rahmenbedingungen für KMU ein. Auch die Nachhaltigkeit muss Platz haben, und wir müssen wir uns definitiv vom Image einer "Abzockerpartei" lösen.

Wer soll die FDP künftig führen?

Die Ergebnisse der Klausur sind die Basis für die Debatte an der Delegiertenversammlung im Mai. Noch sind keine Namen gefallen. Ich bin zuversichtlich, dass wir eine schlagkräftige Leitung finden und dass die Leute und auch Unternehmer wieder bereit sind, die FDP zu unterstützen und auch finanziell vorwärtszubringen.

Sie sind 61, treten Sie 2014 nochmals an?

Für diesen Entscheid ist es noch zu früh. Ich will nun erst mithelfen, die FDP so aufzustellen, dass sie im Kanton wieder eine tragende Rolle spielen kann.

Seit über 16 Jahren sind Sie als Exekutivpolitiker an Apéros und Essen. Wie schaffen Sie es, schlank zu bleiben?

Das ist Veranlagung. Meine Eltern waren schlank.

Sie können also so viel essen und trinken, wie Sie wollen, ohne zuzunehmen.

Ich trinke nicht so viel, wie ich will (lacht). Im Ernst, ich habe gern ein Glas Wein, esse gern und mag Süsses, aber ich weiss masszuhalten. Der Rest ist Veranlagung, ich muss mich nicht quälen, um meine Form zu behalten.

No sports, wie der einstige englische Premierminister Winston Churchill zu sagen pflegte?

Ich wüsste nicht, woher ich die Zeit dafür nehmen sollte.

Über Sie konnte man schon lesen, dass Sie England lieben. Was fasziniert Sie so?

Der "English way of life" ist von einer individuellen Freiheit geprägt, die grösser ist als jene in der Schweiz. Freude habe ich am englischen Humor, der manchmal sarkastisch und oft selbstironisch ist, am Reichtum der englischen Sprache sowie an der Landschaft, der Kultur und der Geschichte. Ich bewundere, was die Engländer politisch und wirtschaftlich erreicht haben, und ich bedaure, dass das Land einen solchen Niedergang erlebte, dass mein Auto…

…ein Jaguar…

…aus einem Konzern kommt, der jetzt einem Inder gehört.

Dann haben Sie Respekt für das "No" des britischen Premierministers David Cameron zur europäischen Schuldenbremse?

Ich habe Verständnis dafür. Zwar hat er seine Koalitionspartner verärgert. Aber er hat wohl das Bauchgefühl der Mehrheit der Engländer getroffen.

Als England-Fan wissen Sie sicher, wie man den Tee richtig trinkt.

Natürlich. Milch und Zucker kommen zuerst in die Tasse.

Warum?

Das weiss ich auch nicht. Wissen Sie, das ist eben das Interessante an England. Sie fragen mich immer nach dem Warum. Der Engländer dagegen sagt: "Why not?" Interview: Andrea Sommer

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Zur Person

Hans-Jürg Käser (61) ist seit 2006 Polizei- und Militärdirektor des Kantons Bern. In seinem Büro an der Kramgasse 20 in der Berner Altstadt hängt Pfeifenrauch in der Luft. Der fast einzige, dafür auffällige Schmuck sind eine Berner und eine Schweizer Flagge vor dem Pult.

Käser ist in Langenthal aufgewachsen und hat - abgesehen von Auslandaufenthalten und einer Anstellung in Küssnacht am Rigi - immer dort gewohnt. Vor seiner Wahl in den Regierungsrat war er Stadtpräsident, Gemeinderat und Mitglied des Gemeindeparlaments von Langenthal. Er ist FDP-Mitglied. Vor seiner Tätigkeit als Stadtpräsident war Käser 17 Jahre lang Sekundarlehrer. In seiner Freizeit wirkte er in der Fasnachtgesellschaft, beim SC Langenthal und beim Modelleisenbahn-Club mit. Käser, der ein grosser Garten- und Blumenfreund ist, hat ein Faible für Literatur und für den "English way of life". Er ist verheiratet.as/jh

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Kurz gefragt

Wann haben Sie das letzte Mal gelacht?

Jetzt. Ich lache oft, bin ein fröhlicher Mensch.

Geweint?

Das ist schon länger her, an einer Beerdigung, als ein guter Bekannter zu Grabe getragen wurde.

Gelogen?

Ich rede Klartext. Politiker sollten nicht lügen.

Lieblingsessen?

Fast alles. Sehr gerne esse ich ein feines Rindsfilet à point mit guter Beilage.

Lieblingsbuch?

Ich lese gern gute Krimis.

Lieblingsort?

Kramgasse 20. Den Charme der unteren Altstadt finde ich ganz hervorragend.as