MEDIENSPIEGEL 19. - 25. März 2012

BZ 23.3.12

Flüchtlinge in der Schweiz

"Das Boot ist voll". Christoph Blocher hatte den Film als das Dreckigste bezeichnet, was man sich über die Schweiz denken könne. Dann erschien der Bergier-Bericht (2002) und bewies das Gegenteil: Mit "Das Boot ist voll" hatte Regisseur Markus Imhoof 1981 die zweifelhafte Flüchtlingspolitik der Schweiz während des Zweiten Weltkriegs genau getroffen. Mathias Gnädinger, der im Film nie schuld sein will, wenn etwas passiert, verkörpert den typischen Durchschnittsschweizer. Mit "Das Boot ist voll" gewann Regisseur Imhoof an der Berlinale einen Silbernen Bären und erhielt eine Oscarnomination. Das Kino in der Reitschule zeigt diesen Schweizer Filmklassiker im Rahmen seiner Monatsreihe "Gegen Rassismus - Für Menschenrechte".zasHeute Freitag, 21 Uhr, Kino in der Reitschule Bern

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Tageswoche 23.3.12

In Sachen Clubs geht Basel vor

Tara Hill

Das Thema "Clubsterben" erhitzt Schweizer Kulturveranstalter. Allerdings nicht in Basel: Hier setzt man auf pragmatische Lösungen.

Wer kürzlich in Bern weilte, hat sie bereits gesehen: die omnipräsenten Bierdeckel, Plakate und T-Shirts mit dem Schriftzug "Figg di Frou Müller", die viele Kulturorte "zieren". Doch was hat dieser provokante Slogan zu bedeuten? Zumindest eines: Berns Kulturveranstalter sind sauer. Denn obwohl die Stadtoberen, insbesondere der Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP), gerne den Titel "Schweizer Kulturhauptstadt" gebrauchen, machte in Bern in den letzten Jahren ein Lokal nach dem anderen dicht.

Prominentestes Beispiel: das "Sous Sol", ein traditionsreicher Ausgehtempel, der von einer zugezogenen Soziologin "weggeklagt" wurde. Die ominöse Frau Müller fühlte sich von den Bässen in ihrer neuen Wohnung derart gestört, dass sie den Club solange gerichtlich bekämpfte, bis ihr der sozialdemokratische Statthalter in letzter Instanz Recht gab. Ende letzten Jahres schalteten die "Sous Soul"-Verantwortlichen eine Todesanzeige: "Nach langem Kampf gegen engstirnige Mitmenschen und subjektive Entscheide von Behörden ist unser geliebtes Kulturlokal in der Nacht vom 30. Dezember in Würde von uns gegangen."

Die ominöse "Frou Müller"

Als Reaktion auf "die bedenklichen kulturpolitischen Entwicklungen in und um die Stadt Bern" bläst das Ak­tionsnetzwerk "Figg di Frou Müller", ein loser Zusammenschluss von Künstlern, Veranstaltern und Konsumenten, seit Februar nun zur Gegenoffensive: mit Infoveranstaltungen, Partys und einer Facebook-Page, die schon 2500 Mitglieder zählt.

Auch wenn es in der Bundeshauptstadt am lautesten brodelt: Die Diskussion ums "Clubsterben" ist in den ­letzten Wochen im ganzen deutschsprachigen Raum neu entflammt. In Clubmetropolen wie Berlin und Hamburg fanden Kundgebungen und Demos statt. In Zürich sorgte die Nachricht, dass die legendäre Ausgehmeile an der Geroldstrasse (mit weltbekannten Clubs wie "Hive", "Cabaret" und "Supermarket") bald einem Einkaufszentrum weichen soll, für breite Bestürzung. In St. Gallen und Luzern ­laufen Gerichtsverfahren gegen die beliebten Lokale "Kugl" und "Opera".

Indirekt Opfer ihres eigenen Erfolgs

Im Zentrum des Konflikts stehen dabei immer dieselben "Feindbilder": Die Clubbetreiber kämpfen mit Nachbarn, die sich ob Dreck und Lärm gestört fühlen, mit Investoren, welche die Liegenschaften gewinnbringend weiterverkaufen oder vermieten wollen, mit Politikern und Behörden, die im Zweifelsfall gegen die Clubs entscheiden. Die Krux dabei: Oft werden die Clubs indirekt Opfer ihres eigenen Erfolgs. Sie siedeln sich in vermeintlich "unattraktiven", sprich günstigen Lagen an, werten diese zum Trendquartier auf und rufen damit Investoren auf den Plan, welche die betroffenen oder umliegenden Liegenschaften sanieren, um daraus Wohn- oder Gewerbeflächen zu machen. Den neuen Mietern sind die Clubs dann oft nur mehr ein lästiger Dorn im Auge.

"Im Grunde wollen alle Beteiligten dasselbe: eine lebenswerte Stadt", bringt es Isabelle von Walterskirchen von "Petzi", dem Verband Schweizer Musikclubs, auf den Punkt: "Nur gehen die Vorstellungen darüber, was das konkret bedeutet, stark auseinander." Umso wichtiger sei, dass diese Diskussion nun öffentlich geführt werde. "Es besteht nämlich grosser Handlungsbedarf." Einerseits auf regionaler Ebene, wo in mehreren Städten Konflikte geschlichtet werden müssten. Andererseits sei aber gerade beim Lärmschutz längerfristig eine nationale Lösung die einzig sinnvolle Option: "Am Ende ist dies nämlich eine politische Frage, die die ganze Schweiz betrifft."

Erstmals national vernetzen

Gerade unter Politikern sei zurzeit aber noch eine starke Zurückhaltung spürbar: "Viele zögern, sich in dieser Frage zu exponieren." Aus diesem Grund organisiert "Petzi" diesen Samstag am Zürcher "M4Music"-Festival ein grosses Panel zum Thema "Clubsterben oder alles nur Schall und Rauch?". Das Panel werde die Probleme nicht lösen können, sagt von Walterskirchen: Ziel sei es aber, die verschiedenen regio­nalen Player erstmals national zu vernetzen. Neben Geschäftsführern von betroffenen Clubs wie "Kugl" oder "Bonsoir" wird auch Philippe Bischof, Leiter der Abteilung Kultur im Basler Präsidialdepartment, an der Diskussion teilnehmen.

Das Erfreuliche daran: Bischof reist nicht als Buhmann nach Zürich. Der Kulturabteilungsleiter wird zurzeit sogar oft als positives Beispiel genannt, wenn es um den Dialog zwischen Kulturveranstaltern, Politik und Verwaltung geht. Tatsächlich weht in Basel ein frischer Wind: die ehemals verhärteten Fronten zwischen der Clubszene und den Behörden scheinen sich aufzulösen. "Ich kann in Basel derzeit kein Clubsterben feststellen", meint denn auch Bischof selbst. Im Gegenteil: "Ich habe den Eindruck, dass wir hier zurzeit tolle kulturelle Initiativen haben, die in der Stadt einiges bewegen - das Spektrum reicht vom ‹Hinterhof› auf dem Dreispitz bis zum ‹Schiff› am Rheinhafen."

Als ehemaligem Kulturver­anstalter liege ihm die kulturelle Vielfalt und ­damit auch die Clubszene sehr am ­Herzen, sagt Bischof: "Basel braucht diese Dynamik. Es ist an der Zeit, dass die Clubkultur als Teil der allgemeinen Kulturlandschaft verstanden wird." Dies sei auch ins langerwartete neue Kulturleitbild eingeflossen.

Neues "Clubgremium" schaffen

Zusätzlich schwebt Bischof ein "Clubgremium" vor, eine Art runder Tisch, wo sich Vertreter aus Politik und Verwaltung regelmässig mit Veranstaltern zur Diskussion und "Chropfleerete" treffen: "Denn sobald ein enger, persönlicher Kontakt besteht, lassen sich viele Vorurteile abbauen: aus Mythen werden Fakten." Einen ersten Schritt hierzu hat Bischof bereits getan: In den letzten Wochen verschickte er einen Fragebogen an knapp 20 Basler Clubs, auf dem die Betreiber ihre Probleme und Wünsche vermerken konnten. Das Ergebnis zeigt ein ähnliches Bild wie im Rest der Schweiz: Vor allem im Lärm- und Bewilligungswesen herrsch­en Unsicherheiten.

Deshalb soll in Zukunft ein allgemeiner Leitfaden zum Bewilligungsverfahren erarbeitet werden. Bischof kann sich - analog zum Thema "Littering" - ausserdem Info- und Sensibi­lisierungskampagnen zum Lärmschutz vorstellen, etwa zur Frage, "was 100 Dezibel konkret bedeuten".

Dennoch: Einen "Masterplan" zur Clubkultur wird es auch künftig nicht geben. "Kultur soll und kann nicht von oben herab diktiert werden", betont Bischof. Genauso wenig liesse sich die Diskussion um Kulturlärm endgültig lösen: "Sowohl Feiern wie Ruhe sind menschliche Bedürfnisse. Es braucht Toleranz auf beiden Seiten, anders geht es nicht."

Wie ältere Fasnächtler

Auch Stadtentwickler Thomas Kessler argumentiert gegen allzu fixe Regelungen. Angesprochen auf Vorwürfe einer zunehmenden "Gentrifizierung", die junge Kulturunternehmer zu Zwischennutzern verdamme, die später ­jeweils für "gute Steuerzahler" Platz machen müssten, entgegnet der oberste Stadtplaner: "Basel hat nicht zu viel, sondern zu wenig Dynamik." Ginge es um Freiräume, würden die Kreativen oft genauso konservativ argumentieren wie ältere Fasnächtler. "Man muss wegkommen von der Idee, dass der Kultur ewige Zonen, am besten noch innerhalb der alten Stadtmauern, zustehen."

Viel wichtiger als eine "Kultur der Sesshaftigkeit" sei, dass beständig neue, freie Räume geschaffen würden. Hier zeige sich ein "typisches Problem des Stadtkantons: Es wird zu klein gedacht." Also doch eine überregionale, gar nationale Lösung? Für Kessler ist klar: "Die Kultur darf nicht an den Stadtgrenzen enden." Geeignete Flächen sehe er im Vergleich zur zugebauten Basler Innenstadt vielmehr an den Rändern, an der Grenze zu Deutschland, zum Elsass oder Baselbiet.

Bis dahin bleibt Basel wohl vorerst die "Stadt der Zwischennutzungen", wie der Zürcher Journalist Alex Flach die Situation auf dem Nightlife-Portal "Tillate" treffend beschreibt. Hier herrscht wahrlich kein Mangel - und bald sollen auf dem Dreispitz und im ­Hafen weitere dazu kommen. Mit Segen der Abteilung Kultur: "Wir werden die Entwicklung genau beobachten und stehen neuen Initiativen wohlwollend gegenüber", verspricht Bischof.

Was vor 15 Jahren als Experiment begann, hat sich mittlerweile zu ­einem der grössten Events im Basler Kulturkalender gemausert: Die 16. Ausgabe der BScene wartet dieses Wochenende mit fast 60 Live-Acts aus der Region auf und erwartet wiederum um die 8000 Besucher. Im Zentrum des Basler Clubfestivals stehen neben Headlinern wie den Indie-Poppern von We Invented Paris (Freitag, 24 Uhr, Kaserne), der World-Music-Combo Zisa (Freitag, 22.45 Uhr, Volkshaus), dem Electro-Projekt LaFayette (Samstag, Volkshaus, 24 Uhr) und den Rap-Lokalmatadoren Brandhärd (Samstag, 1.30 Uhr nachts, Kaserne) auch die Lokale selbst: Auf insgesamt zehn Bühnen in acht Clubs präsentieren jeweils drei bis vier Acts ihr Können. Mit der "8-Bar" und dem "Sääli" des Restaurants Zum goldenen Fass sind dieses Jahr auch kleinere Treffpunkte mit von der Partie. Im letzten Moment ersatzlos aus dem Programm gestrichen werden musste hingegen die Jägerhalle: Dem Restaurant fehlte die Konzertbewilligung, wie die TagesWoche gestern berichtete. Ein weiterer Wermutstropfen: Die BScene findet wieder zur gleichen Zeit statt wie das M4Music-Festival in Zürich und Lausanne. Ein "ärgerlicher Zufall", der in Zukunft vermieden werden soll - auf dass die nächsten Auflagen der BScene mehr als "nur" eine umjubelte "Basler Nabelschau", nämlich: ein Event mit schweizweiter Ausstrahlung werden mögen. Trotz dieser beiden Dämpfer im Vorfeld will sich Festivalpräsident Thom Nagy die Vorfreude nicht nehmen lassen. Prinzipiell sei die Ausgangslage für die diesjäh­rige BScene nämlich "hervorragend": "Dem Basler Nachtleben und insbesondere der Basler Clubszene geht es zurzeit so gut wie lange nicht mehr." Punkto Qualität könne es Basel mittlerweile mit allen ­grossen Städten aufnehmen: "Es hat eine Entwicklung stattgefunden, die weg vom typischen ‹Sound of Basel› hin zu mehr Mut zur Individualität führt - was sich positiv auf die Vielfalt der präsentierten Acts und Stile auswirkt."

BScene, Basler Clubfestival. Fr, 23., und Sa, 24.3., an diversen Orten

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20 Minuten 23.3.12

Juso zieht teure Nightclubs vor den Preisüberwacher

ZÜRICH. 30 Franken Eintritt, 8 Franken für ein Bier: Die Preise in den Clubs sind in den Augen der Juso Abzocke. Jetzt schalten sie den Preisüberwacher ein.

Party machen kostet viel Geld. "Die Preise sind gerade in Zürich komplett überrissen", findet Ursula Näf, Co-Präsidentin der Jungsozialisten (Juso) des Kantons Zürich. "Die meisten Clubs verlangen am Wochenende zwischen 20 und 30 Franken Eintritt." Dazu kämen Garderobe und Getränke: "Ein Bier kostet acht und eine Cola sieben Franken." Die Juso werfen den Clubs pure Profitmacherei auf Kosten der ausgehfreudigen Jugend vor. Deshalb fordern sie Preisüberwacher Stefan Meierhans in einem offenen Brief dazu auf, die Eintritts- und Getränkepreise in den Clubs zu prüfen. Dieser konnte sich gestern auf Anfrage nicht dazu äussern. "Wir hoffen, dass er diese Abzockerei erkennt", so Näf. Die Juso Schweiz will sich der Beschwerde anschliessen: "Das Problem ist in allen grossen Städten dasselbe." Jugendliche könnten sich diesen "Wucherpreisen" kaum entziehen: "Sonst verlieren sie den Anschluss zu ihrem sozialen Umfeld, das sich auch in diesen Clubs abspielt." Falls sich bei den Preisen nichts tue, droht die Juso mit Protestaktionen, bei denen Getränke zum Selbstkostenpreis vor den Clubs verkauft werden.

Nachtleben-Experte Alex Flach findet die Vorwürfe eine Frechheit: "Wer sparen will, sollte weniger hartes Zeug trinken." Die Preise in den Clubs seien angemessen: "Die Juso hat keine Ahnung, wie viel DJs, Miete, Sicherheit und Personal kosten." Als Clubbesitzer könne man heute nicht mehr das grosse Geld machen. Maja sommerhalder

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"Ausgang reisst ein Loch in die Kasse"

Herr Gschwend*, führen die hohen Preise in den Clubs dazu, dass sich die Jungen verschulden?

Jürg Gschwend: Vor allem von jungen Erwachsenen hören wir immer wieder, dass sie im Ausgang viel Geld liegen lassen. Besonders in Städten wie Zürich ist das Realität.

Das muss aber nicht in die Schuldenspirale führen.

Meistens fangen die Probleme mit dem Auszug aus dem Elternhaus an. Wenn man Miete zahlen muss, reisst der Ausgang plötzlich ein Loch in die Kasse. Man könnte darauf verzichten, nur ist der Gruppendruck häufig sehr gross.

Müssten die Clubs also die Preise senken?

Solche Forderungen überlasse ich der Politik. Ich rate aber meinen Kunden, ein Budget zu erstellen. Wer gerne in den Ausgang geht, sollte vielleicht auf die eigene Wohnung warten. som * Jürg Gschwend ist Leiter der Schuldenberatung von Caritas Schweiz

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Bund 22.3.12

"El Rubí"

Ein Kleinod, getanzt

Die Tanzkompanie Flamencos en route ist wieder auf Reisen - und hält zum Zwischenstopp in Bern. Die Truppe um Brigitta Luisa Merki kredenzt dem Publikum ein Bijou im wahrsten Sinne des Wortes: "El Rubí" (zu Deutsch: der Rubin) heisst das Tanzstück, das bereits auf der letztjährigen Schweiztournee für ausverkaufte Ränge und ergriffene Feuilletonisten gesorgt hat. (hjo)

Tojo-Theater Mi, 28. März bis Fr, 30. März, je 20.30 Uhr.

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kulturagenda.be 22.3.12

Flamencos en route: "el rubi" im Tojo

Das Tanzstück der Compagnie Flamencos en route ist wahrlich ein Schmuckstück. Jede Tänzerin, jeder Tänzer schmiedet eine eigene Interpretation des Flamencos. Im Zusammenspiel mit Livemusik und arabischem Gesang wird so die Vielfalt dieses Tanzes sichtbar. Die Virtuosität der Truppe macht das zu einem Erlebnis.
Tojo Theater, Bern. Mi., 28., bis Fr., 30.3., 20.30 Uhr

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kulturagenda.be 22.3.12

Klappe für "Das Boot ist voll"

"Das Herz allein ist manchmal zu dumm", sagt der Pfarrer zu Frau Flückiger (Renate Steiger). Die Szene spielt sich in einem kleinen Schweizer Dorf in der Nähe der deutschen Grenze ab. Wir schreiben das Jahr 1942, in den Nachbarländern herrscht Krieg. Frau Flückiger hat in einem Schuppen sechs Flüchtlinge entdeckt und möchte vom Pfarrer wissen, was sie tun soll, wenn die Polizei bei ihr auftaucht. Familien würden leichter aufgenommen, lautet dessen Rat. "Aber sagen Sie um Himmelswillen nicht, dass sie das von mir haben", ruft er ihr noch hinterher.
Haltungen wie die des Pfarrers ziehen sich durch den ganzen Film und stehen symbolisch für die Gesinnung der Dorfbevölkerung. Die Flüchtlingsgruppe besteht aus einer jungen Frau, Judith (Tina Engel), deren Mann (Hannes Diehl) in der Schweiz inhaftiert ist, einem jungen Mann (Martin Walz), einem sechsjährigen Jungen, einem etwa zehnjährigen Mädchen, einem alten Mann (Curt Bois) und einem Nazi und Deserteur (Gerd David). Im Dorf wecken die Flüchtlinge aus ganz unterschiedlichen Gründen sowohl Mitleid als auch Ablehnung. So möchte die kinderlose Frau Flückiger etwa die Kinder retten. Ihr Mann, der Wirt Franz Flückiger (Mathias Gnädinger), findet Gefallen an Judith. Dorfpolizist Bigler (Michael Gempart) hingegen will unbedingt die Regelungen aus Bern einhalten.

Auch ohne Bundesgelder zum Welterfolg

Der Film "Das Boot ist voll" von Markus Imhoof aus dem Jahre 1981 befasst sich mit der Frage, wie die Schweiz im Zweiten Weltkrieg mit politischen Flüchtlingen umgegangen ist. Der Film basiert im Wesentlichen auf dem gleichnamigen Buch des Schweizer Schriftstellers Alfred A. Häsler. Als Imhoof den Bund 1980 um Unterstützung anfragte, wurde die Ablehnung in einem Schreiben folgendermassen begründet: "Dem Projekt fehlt die historische Distanz und Würdigung. Es wirkt dramaturgisch veraltet und erinnert an Volkstheater. Ein Beitrag wird einstimmig abgelehnt."
Imhoof konnte den Film dank privater Unterstützung dennoch realisieren. Ein Jahr später schrieb die "NZZ": "Imhoof gelingt Atmosphäre, Glaubwürdigkeit, Spannung, Momente von Beklemmung, Schmerz und Trauer." Der Film wurde ein Erfolg über die Landesgrenzen hinaus. Er gewann den Silbernen Bären in Berlin und wurde als bester fremdsprachiger Film für den Oscar nominiert. Mit dem Bergier-Bericht und der Diskussion um die nachrichtenlosen Vermögen Ende der 90er-Jahre erfuhr der Film einen zweiten Frühling. Nun wurde das von Imhoof gezeichnete Bild auch offiziell bestätigt. In einer restaurierten Fassung gelangte der Film 2004 wieder zur Aufführung.

Kinoprogramm im Rahmen der "Aktionswoche gegen Rassisums"

"Das Boot ist voll" wird im Kino in der Reitschule im Rahmen der "Aktionswoche gegen Rassismus" der Stadt Bern gezeigt. Als weitere Filme in der Reihe werden "La Rafle – Die Kinder von Paris ", "Cry Freedom", "La notte di San Lorenzo" und "Escape to Paradise" vorgeführt. Alle diese Filme basieren auf historischen Überlieferungen und bringen dem Publikum Menschen näher, die mit unterschiedlichem Erfolg versucht haben, sich gegen Rassismus zu engagieren.
Im Falle von "Das Boot ist voll" war dieser Kampf erfolglos: "Ich habe diese Gesetze nicht gemacht, das wird schon einen Grund haben ", meint der Gefängnisaufseher, als die Gruppe schliesslich an die Grenze zurück- und damit in den sicheren Tod geschickt wird.

Nelly Jaggi
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Kino in der Reitschule, Bern. Fr., 23.3., 21 Uhr
www.reitschule.ch, www.bern.ch/gegenrassisums

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20 Minuten 20.3.12

Nomade in Oberbottigen

BERN. Als "Schlag ins Gesicht und Verschwendung von Landwirtschaftsboden" empfinden es viele Oberbottiger, dass bei ihnen eine Zone für experimentelles Wohnen entstehen soll. Morgen können sie sich ein Bild von ihren potenziellen Nachbarn machen und ein typisches Exemplar der Wagenburg-Hippies beschnuppern: Im alten Schulhaus läuft der Film "Zaffaraya 3.0" und ein Mitglied der Stadtnomaden stellt sich kritischen Fragen. "Probleme entstehen, wenn sich die Menschen zu wenig miteinander auseinandersetzen", sagt Gemeinderatskandidat Matthias Stürmer (EVP), der den Anlass initiiert hat. Zwar sei auch er gegen die Zone für Wohnexperimente, aber: "Ich will mir eine genaue Meinung bilden und wissen, was jemanden dazu bewegt, bei minus 15 Grad in einer Bretterbude zu hausen." Am 3. April findet auch zu diesem Thema ein Abend mit Stapi Alexander Tschäppät statt. mAr

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kulturstattbern.derbund.ch 19.3.12

Kulturbeutel 12/12

Von Ruth Kofmel am Montag, den 19. März 2012, um 05:45 Uhr

Kofmel empfiehlt:
falls Sie den letzten Film von Aki Kaurismäki, Kino in der Reitschule gehen und damit auch beim Abschluss des Zyklus "Gegen Rassismus - für Menschenrechte" mit dabei sein.

(...)

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Bund 19.3.12

Ein Wandbild, das von früher erzählt

Die Berner Reitschule wird in diesem Jahr 25-jährig. Nun soll die bewegte Geschichte der Kulturinstitution sichtbar werden: Den Betreibern schwebt ein riesiges Fassadenwandbild vor. An der Museumsnacht vom Freitag wurden erste Ideen gesammelt.

Katrin Schregenberger

Das Projekt steckt zwar noch in Kinderschuhen, doch langsam, aber sicher nimmt die Idee Formen an: Ein Wandbild auf der Frontfassade der Berner Reitschule soll die 25-jährige Geschichte des Kulturzentrums erzählen. Bis zu 50 Meter breit soll das Bild werden. Die Initiative kommt von der Trägerschaft der Grossen Halle der Reitschule. Es soll aber nicht ein einzelner Künstlerkopf entscheiden, wie das Bild und somit die Geschichte der Reitschule aussehen wird. Nein, das Bild soll quasi "basisdemokratisch" entstehen. Der erste Schritt hierfür wurde am Freitagabend an der Museumsnacht gemacht.

123 Bilder: Aus diesem Panoptikum historischer Blicke auf die Reitschule konnten Besucher "ihre" Geschichte der Reitschule auswählen und zu einem Wandbild collagieren. In der Grossen Halle wurde der Seitenriss, also die Seitenansicht der Reitschule als geometrischer Plan, projiziert. Auf diese Projektion hefteten die Besucher "ihre" Historie. "Wir wollen den Besuchern, aber auch den Leuten, die lange in der Reitschule aktiv waren oder immer noch sind, die Gelegenheit geben, ihre Sicht auf die Reitschule zu zeigen", sagt Giorgio Andreoli, Initiant des Projekts.

Von Tschernobyl bis WEF

"Ich komme in die Reitschule, seit ich 17 Jahre alt bin", sagt Tom Locher, der sich zwischen verschiedenen Bildern zu entscheiden versucht. Praktisch von Anfang an habe er die Geschichte miterlebt. Das erste Bild, das er schliesslich auswählt, zeigt Oldtimer an einer Autoausstellung: "Damals gab es noch keine Eisenbahnbrücke", sagt er, während er das Bild an die Wand heftet. Erinnerungen kommen viele hoch, wenn er die Bilder betrachtet: "Der hier hat heute ein Kind", sagt er und zeigt auf eine schwarz-weisse Fotografie. Sie zeigt junge Leute, die auf dem Dach der Reitschule herumklettern - die Zeit der Renovation. "Auch den hier kenne ich, er ist immer noch wild, aber auf eine andere Weise", sagt Locher und zeigt auf ein Bild, auf dem ein Mann eine Fahne in die Luft hält: "Gegen Atom", steht da. "Tschernobyl", sagt Locher. Zur Geschichte der Reitschule gehört auch die Gegenwart. So hängt in Lochers Version der Geschichte auch ein Bild eines Polizeiaufgebots - die letzte WEF-Demonstration.

"Wir sind noch in der ersten Phase des Projektes", sagt Andreoli von der Trägerschaft der Grossen Halle. Am Reitschulfest im Herbst werde die Projektion noch einmal laufen. Dann erst werde entschieden, wie die Fassade bemalt werden soll. "Es wäre auch möglich, die Wand etappenweise zu bemalen." Ebenfalls erst im Herbst soll über die Finanzierung des Projekts diskutiert werden. Gemalt wird frühestens in einem Jahr.

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Die Reitschule Eine bewegte Geschichte

Die Architektur verrät es schon: Die Reitschule beim Berner Bahnhof ist ein Bau aus dem 19. Jahrhundert. 1897 erbaut, diente das Gebäude - wie der Name sagt - dem Reitunterricht. In den Nebengebäuden der Reithalle wurden Pferde und Kutschen untergestellt. Als Pferd und Kutsche dem Auto weichen mussten, wurde die Halle als Lager genutzt. 1981, während der Jugendunruhen, besetzten rebellierende Jugendliche die Reithalle zum ersten Mal. Die Besetzung wurde 1982 durch die Polizei aufgehoben. 1987 folgte dann die zweite Besetzung: Als nach der Räumung der Zaffaraya-Siedlung im Marzili grosse Protestdemonstrationen und Schulstreiks folgten, duldete der damalige Gemeinderat eine kulturelle Nutzung der Reitschule. In den 1990er-Jahren bekamen die ehemaligen Besetzer einen Gebrauchsleihvertrag. 1999 bis 2004 renovierten die Betreiber zusammen mit der Stadt Bern die Reitschule. Seit 2004 hat das Kulturzentrum Reitschule einen Miet- und Leistungsvertrag mit der Stadt. Den zuletzt vom Stadtrat gekürzten Leistungsvertrag hat die Reitschule nicht akzeptiert. Das kulturelle Angebot der Reitschule ist breit: Es reicht von Kino über Konzerte bis zu Film und Theater. (ks)

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BZ 19.3.12

Tschäppät sieht ein Überangebot

Kulturpolitik · Bern müsse über eine Konzentration des Kulturangebots reden, findet Stadtpräsident und Kulturchef Alexander Tschäppät.

Wie weiter in der Berner Kulturpolitik? Vertreter der Kulturszene und Politiker fordern seit längerem eine stärkere Führung. Die Leiterin der Abteilung Kulturelles aber sieht sich als Verwalterin, nicht als Gestalterin. Im Interview nimmt nun Berns Stadtpräsident und Kulturchef Alexander Tschäppät (SP) Stellung. Er spricht vom Dilemma einer Kulturstrategie, die sich nicht von ihm alleine umsetzen lasse: "Bei Veränderungsvorschlägen wird ja sofort dagegen lobbyiert." Zudem sei die Stadt bei den grossen Kulturhäusern nur "Junior-Partner". Die Entscheide fälle der Hauptgeldgeber, der Kanton. Persönlich findet Tschäppät, die Stadt stehe an der Grenze zum kulturellen Überangebot, und stösst eine Diskussion zur Konzentration an: "Das heutige Kulturbudget auf Einzelne zu verteilen, wäre wohl der richtige Weg." Der Stadtpräsident räumt zudem ein, dass es in der Dampfzentrale zurzeit ein Führungsproblem gibt, will darin aber keine Krise sehen. Zuversichtlich ist er, dass ein neuer Leistungsvertrag mit der Reitschule zustande kommt. Dass seitens der Stadt die Abteilung Kulturelles verhandelt, hält Tschäppät für einen Fehler. "Aber sonst will ja niemand dieses politisch heikle Dossier."wrs/lmSeite 2 + 3

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"Ich kann schon eine Kulturstrategie entwerfen - aber nicht allein durchsetzen"

Kulturpolitik · Die Dampfzentrale ist ohne Führung, der Vertrag mit der Reitschule steht auf der Kippe, das neue Konzert Theater Bern muss sich erst beweisen: Berns Stadtpräsident und Kulturchef Alexander Tschäppät (SP) nimmt Stellung zu kulturellen Baustellen, zum Überangebot an Veranstaltungen und erörtert sein Dilemma als kulturpolitischer "Junior-Partner".

Morgen erscheint das Buch "Kulturinfarkt", in dem Pro-Helvetia-Direktor Pius Knüsel die These vertritt, dass es die Hälfte der subventionierten Kulturhäuser nicht brauche. Gilt das auch für Bern, Herr Tschäppät?

Alexander Tschäppät: Zu fordern, die Hälfte muss weg, ohne zu sagen, welche, ist einfach. Da drückt sich Knüsel, und da werde auch ich nichts dazu sagen. Aber: Dass er die Frage aufwirft, wie viel Geld in etablierte Kulturhäuser fliessen soll, finde ich berechtigt.

Anders gefragt: Hat Bern ein Überangebot an Kultur?

Wir haben bis zu 200 Kulturveranstaltungen pro Woche. Zum Teil graben diese sich gegenseitig das Publikum ab, Premieren sind nicht koordiniert. Man kann geteilter Meinung sein, ob das ein Überangebot ist.

Was meinen Sie?

Ich denke, wir sind an der Grenze zum Überangebot. Wenn wir den Mut hätten, das heutige Kulturbudget auf einzelne Veranstalter zu konzentrieren, wäre das wohl der richtige Weg.

Und - bringen Sie den Mut zu dieser Forderung auf?

Ich habe sie ja jetzt gerade geäussert. Aber solche Veränderungen kann man nicht von oben befehlen. Das sind Diskussionen, die man gemeinsam mit den Kulturschaffenden anstossen muss. Wir wollen schliesslich keine Staatskultur.

Als zuständiger Politiker dürfen Sie Forderungen stellen.

Ich sagte ja vor einiger Zeit bereits, wir sollten das Ballett opfern …

…was verwirrte, weil in der Kulturstrategie der Stadt steht, dass Bern den Tanz fördern will.

Tanz fördern heisst ja nicht unbedingt, dass es am Stadttheater eine Tanzsparte braucht. Das sind zwei Paar Schuhe.

Das Ballett ist die Hauptschlagader einer Tanzstadt.

Das sehe ich nicht so. Ich habe viel Prügel eingesteckt, weil ich das Ballett am Stadttheater abschaffen wollte. Solche Inputs gehören aber zu den Aufgaben eines Stadtpräsidenten. Nur: Der grösste Subventionsgeber des Stadttheaters ist der Kanton. Und Regierungsrat Bernhard Pulver hat entschieden, dass es nicht infrage komme, das Ballett abzuschaffen. Bei den grossen Kulturinstitutionen ist die Stadt eben nur der Junior-Partner.

Das entspricht sonst nicht Ihrer Art.

Es ist nicht so, dass der Tschäppät einfach sagen kann, was in Sachen Kultur in Bern läuft.

Aber als Kulturchef sollte er wissen, in welche Richtung es in Sachen Kultur gehen soll.

Das weiss ich schon. Aber das heisst nicht, dass ich mich damit auch durchsetzen kann.

Welche sind denn die kulturpolitischen Ziele der Stadt Bern?

Wir wollen die bestehenden Häuser gut führen. Aber auch für die freie Szene muss Geld übrig bleiben. Dafür braucht es wohl den erwähnten Mut zur Konzentration. Aber eben: Wir wollten das Kornhausforum schliessen und dem Kino Kunstmuseum die Subvention kürzen. Der Stadtrat hat sich dagegen entschieden. Ich habe kein Problem damit. Ich sage nur: Es ist nicht so, dass ich einfach diktieren kann.

Vielleicht müsste man Sparmassnahmen anders verkaufen. Etwa mit dem Fokus auf das Neue, das entstehen kann. Es ist nicht nur das Verkaufen. Es geht auch um handfeste Interessen. Es gibt viele engagierte Kulturschaffende in Bern. Sie wollen ihren Kulturbetrieb natürlich nicht aufgeben. Das ist legitim.

Also lassen sich kulturpolitische Ziele gar nicht durchsetzen?

So würde ich es nicht sagen. Ich sage nur: Es wird einem vorgeworfen, man setze keine Akzente. Aber kaum will man Akzente setzen, wird dagegen lobbyiert.

Nochmals: Sie können gar keine Kulturstrategie umsetzen?

Das ist so. Ich kann eine entwerfen, aber ich kann sie nicht allein durchsetzen. Weil die Demokratie gesunde Kontrollmechanismen hat. Das letzte Wort hat das Volk, davor bestimmen das Parlament und die Exekutive.

Gut, sprechen wir über konkrete kulturelle Baustellen.

Was meinen Sie mit Baustellen?

Zuerst zur Dampfzentrale. Diese ist voraussichtlich bis Herbst führungslos.

Es gibt im Moment ein Führungsproblem. Aber das ist doch keine Krise. Der Vorstand hatte jemanden für die Leitung, aber die Person sagte aus familiären Gründen kurzfristig ab.

Es dauerte lange, bis die Stelle überhaupt ausgeschrieben wurde. Das ist doch nicht entscheidend, und darüber mag ich nicht diskutieren. Wer jetzt schon sieht, dass in der Dampfzentrale ein Fiasko entsteht, übt sich im Kaffeesatzlesen.

Das Festival Tanz in. Bern wurde für dieses Jahr abgesagt. Im Leistungsvertrag steht nicht, dass es jährlich stattfinden muss. Ich verspreche aber, dass wir Ende Jahr genau hinschauen, was veranstaltet wurde und was nicht. Ist die Leistung nicht erbracht, wird Geld zurückfliessen oder zurückgestellt. Das entscheiden wir aber nicht jetzt. Wo ich Ihnen recht gebe: Die Leute erwarten, dass es in der Dampfzentrale alljährlich einen grossen Tanzanlass gibt.

Im Vorstand der Dampfzentrale ist die Abteilung Kulturelles der Stadt vertreten. Die gleiche Abteilung, die die Leistungsverträge kontrolliert. Ein klarer Interessenkonflikt.

Das sehe ich anders. Es ist nur logisch, dass der grösste Geldgeber auch im Leitungsorgan vertreten ist. Das ist bei jeder Aktiengesellschaft so. Ich bin aber je länger, desto mehr davon überzeugt, dass es nicht Exekutivmitglieder sein sollten. Weil sonst die Gefahr besteht, dass die Distanz verloren geht. Aber mit Verwaltungsleuten sehe ich kein Problem.

Nun, wenn man sich nach Problemen im Vorstand erkundigt, hört man von der Abteilung Kulturelles kaum Kritisches.

Auch das sehe ich anders. Wir schauen hin, und zwar sehr genau. Damit dies möglich ist, muss die Stadt aber direkt Einsitz nehmen können. Nur so ist der Informationsfluss vollumfänglich gewährleistet. Ein Stadtvertreter von ausserhalb der Verwaltung hingegen kann dies nur bedingt sicherstellen.

Wird die Abteilung Kulturelles auch im Stiftungsrat der neuen Institution Konzert Theater Bern vertreten sein?

Es sind sechs Personen der bisherigen Institutionen Symphonieorchester (BSO) und Stadttheater dabei. Stadt und Kanton sind bisher nicht vertreten, und das soll in der Startphase von Konzert Theater Bern auch so bleiben. Es ist aber nicht unumstritten, ob die Verwaltung später Einsitz haben sollte.

Was erwarten Sie vom Stiftungsrat?

Ein Konzert Theater Bern, das unsere Auflagen erfüllt.

Und die wären?
Ein attraktives Programm und eine ausgeglichene Rechnung. Ich persönlich habe auch die klare Erwartung, dass nicht nur der Mainstream, das konservative Publikum, bedient wird. Die künstlerische Leitung soll den Mut haben, provokative Produktionen zu zeigen, die in Bern für Diskussionen sorgen.

Wäre dies die allseits geforderte Qualitätssteigerung?
Ja, was heisst Qualität? Wenn Sie das Premierenpublikum fragen, wird es wohl auf eine konventionelle Aufführung der "Zauberflöte" hinauslaufen. Für andere mag es eine Inszenierung sein, die aneckt.

Die Qualitätssteigerung war aber neben den Kosten ein wichtiger Grund für die Fusion von Stadttheater und Symphonieorchester. Wie wollen Sie das messen?
Das lässt sich nicht exakt messen. Kultur ist nicht Mathematik. Und es ist auch nicht wie beim Weitsprung, wo Sie mit einem Massband das Ergebnis bestimmen können.

Diese Zielsetzung ist also nicht konkret umsetzbar?
Das Leben ist halt manchmal etwas unscharf, und damit muss man leben. Mein Qualitätsbegriff fürs Kulturleben ist, dass es zwischendurch aufregt und nicht nur zur Berieselung da ist. Aber das ist in der Schweiz eine schwierige Diskussion. Denken Sie an die Affäre Hirschhorn. Kaum provoziert einer, kürzt die Politik die Subventionen.

Themawechsel: Wer verhandelt zurzeit den neuen Leistungsvertrag mit der Reitschule?
Die Abteilung Kulturelles zusammen mit meinem Generalsekretär.

Ist die Abteilung Kulturelles die richtige Stadtvertretung bei einem solch politischen Thema?
Es gibt in der Reitschule erstens den Gastwirtschaftsbetrieb, da ist der Statthalter zuständig. Es gibt zweitens den Sicherheitsaspekt, da ist die Kantonspolizei zuständig. Das dritte Element ist der Leistungsvertrag, der sich auf die Subvention für Miete und Nebenkosten beschränkt. Dieser Vertrag ist bei uns angesiedelt, was mit der Gründungsgeschichte der Reitschule zu tun hat. Diese Zuordnung ist meiner Meinung nach allerdings falsch. Mietzins hat nichts mit Kultur zu tun.

Dennoch führt die Abteilung Kulturelles die Verhandlungen.
Ja, weil das politisch heikle Reitschule-Dossier sonst niemand will.

Dann müssten Sie sich dieser heiklen Verhandlungen vielleicht persönlich annehmen.
Das scheint mir nicht stufengerecht. Ich soll verhandeln, wie laut die Reitschüler den Lautsprecher in der Cafete aufdrehen dürfen? Ich übernehme aber die Verantwortung - auch wenn der Vertrag nicht zustande kommt.

Wie gross ist Ihre Angst, dass die Stadt Ende Jahr ohne Vertrag mit der Reitschule dasteht?
Ich gehe davon aus, dass die Reitschüler wissen, was man von Ihnen erwartet.

Die Reitschüler haben unmissverständlich andere Signale ausgesandt.

Das ist einige Zeit her. Wir verhandeln jetzt und spekulieren nicht. Der Stadtrat hat der Reitschule eine klare Vorgabe gemacht: Auflagenerfüllung gegen Geld. Gibt es darüber keine Einigung, gehe ich davon aus, dass der Stadtrat den Subventionskredit ab 2013 nicht mehr gewährt.

Die Stadt würde das einzige Instrument verlieren, mit dem sie etwas Einfluss ausüben kann.
Ich sage es nochmals: Ich gehe davon aus, dass auch die Reitschüler begriffen haben, dass wir bis Ende Jahr eine Lösung brauchen.

Immerhin ist die Stadt Besitzerin der Infrastruktur. Sie könnte schon jetzt etwa die Grosse Halle mehr nutzen.

Nur zu! Wenn etwa der neue Theaterdirektor hier inszenieren möchte, noch so gerne.

Sie haben gesagt, dass Sie selber nur begrenzt lenken könnten. Sie haben aber durchaus eine Machtposition. In der direkten Kulturförderung gehen mehr als 50 Prozent der Gesuche über Ihren Tisch.
Sie landen erst bei mir, wenn sie von einer Kulturkommission und der Kulturabteilung geprüft wurden. Wenn diese dann Geld beantragen, ist es nicht am Stadtpräsidenten, sich querzustellen. Bei einzelnen Positionen kann man durchaus die Frage aufwerfen, ob sie förderungswürdig sind. Aber grundsätzlich vertraue ich auf die Fachkompetenz der Kommissionsmitglieder. Auch wenn nicht alles meinen persönlichen Kulturgeschmack trifft.

Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, wie sollte die Kultur in Bern sein?
Sie sollte den Bernerinnen und Bernern ein Kulturprogramm bieten, auf das sie stolz sind, das sie zwischendurch aufregt, und ein Kulturprogramm, das auch die jüngeren Kulturinteressierten abholt. Und damit wären wir wieder bei Pius Knüsel und der Frage, ob wir künftig nicht mehr in die neuen Kulturmedien investieren sollten statt in die traditionellen Kulturbetriebe.

Interview: Lucie Machac · Wolf Röcken

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20 Minuten 19.3.12

Marsimoto: Harte Beats, samtiges Grün

BERN. Im gut besuchten Dachstock der Berner Reitschule konnte man am Samstag für einmal sein grünes Wunder erleben: Der Elektro-Rapper Marsimoto sorgte für eine ausgelassene Partynacht.

Grün in Grün: Als am Samstag der Rapper Marsimoto im Dachstock der Berner Reitschule auf der Bühne stand, hätte man meinen können, der St. Patrick’s Day werde nun auch in der Schweiz gefeiert. Dieser Eindruck hatte jedoch nichts mit der Trinkfreudigkeit der rund 650 Gäste in der Reitschule zu tun, sondern vor allem mit der Lieblingsfarbe des Alter Egos von Marteria.

Kurz nach Mitternacht stürmte der Rostocker Rapper maskiert und ganz in Grün gekleidet in bester Koboldmanier die Bühne. Begleitet von einer ganzen Palette an Klangfarben in Form von brachialen Bässen und euphorisierenden Synths schmetterte das grüne Phänomen den Zuschauern eineinhalb Stunden lang Wortspiele entgegen, dass es nur so krachte. Dass seinem kürzlich erschienenen Album "Grüner Samt" ein eigentlicher Hit fehlt, störte das begeisterte Publikum dabei keine Sekunde, und so tanzten, rappten und schrien sie munter mit, bis sich der selbst ernannte "Sänger von Björk" mit einem letzten Synthiegewitter verabschiedete.

Dass Marsimoto die Berner zu Beginn nicht erst aufwecken musste, verdankte er übrigens seinem grandiosen Support Act Kid Simius, der, mit einem immensen Arsenal verschiedenster Instrumente bewaffnet, eine Elektro-Einmannshow der Sonderklasse lieferte.

Lorenz Häberli