MEDIENSPIEGEL
26. MÄRZ - 01. APRIL 2012
Bund 30.3.12
Geschliffene Karfunkel
Die Tanzcompagnie Flamencos en route betörte im Tojo der
Reitschule mit "El rubí", einem intimen Kammerspiel für 3
Tänzer, 2 Sänger und 4 Instrumentalisten.
Marianne Mühlemann
Tonerde, Aluminium und Sauerstoff. Diese chemische Zusammensetzung hat
Brigitta Luisa Merki zu ihrem jüngsten Stück inspiriert. Wenn
man den Rohstoff wörtlich nimmt. Die drei Elemente bilden zusammen
den Rubin. "El rubí", der dem Abend den Titel gibt. Ein starkes
Stück ohne Geschichte, das vom ersten Takt an gefangen nimmt. Und
wie beim blutroten Edelstein ist auch hier das Ganze mehr als die Summe
seiner Einzelteile. Atmosphärisch dicht ist das kleine
Kammerspiel, in dem das Timing vom wehmütigen "Ai ai" bis zum
wütigen Klackern der Absätze stimmt, von der farblich
ausgeklügelten Lichtregie mit den Sandwellen an Wand und Boden bis
zu den Kostümen.
Selbst die Emotionen sind auf das Maximum minimiert: Die
Flamencosprache ist nie geschwätzig, sondern beredt und
vielstimmig. Da gibts Leidenschaft, Lebensfreude, Liebesglut - und in
der Zugabe einen Schuss Selbstironie -, aber kein übersteigertes
Pathos. Die theatralischen Mittel werden sparsam gesetzt. Keine
üppigen Schleppenröcke, weder Fächer noch
künstliche Blüten im Haar.
Brigitta Luisa Merki formt die Kunst aus der Bewegungsenergie im Raum.
Die Beteiligten selbst sind die Rubine, die hier geschliffen werden.
Eine Herausforderung ist das für die Choreografin, die seit
über 25 Jahren ihren künstlerischen Weg geht und den Flamenco
gleichsam mit jedem Stück neu erfindet. Dass das immer wieder
gelingt, ist der handverlesenen Gruppe zu verdanken, die Merki
stilsicher zum Ensemble formt. Dass sie den einzelnen
Persönlichkeiten Raum gibt, individuelle Stärken
einzubringen, zeugt von ihrer künstlerischen Erfahrung.
Im magischen Geviert
Die Experimentierfreude des Ensembles hat mit den Jahren nicht
nachgelassen. Diesmal ist es eine arabische Sängerin (Karima
Nayt), die in den Bann zieht. Eine Entdeckung ist diese Frau, die ihre
expressiven, mit herben Kehllauten gespickten Klanggirlanden
verführerisch mit der melancholischen Nyckelharpa (Erik Rydvall)
zu verbinden weiss und mit der Stimme die Tanzbewegungen geheimnisvoll
ins Dunkel verlängert. Auch zwischen den Flamencogitarren (Juan
Gomez, Pascual de Lorca), dem Perkussionisten (Fredrik Gille) sowie den
unterschiedlichen Temperamenten der Tänzer (Carmen Iglesia, Eloy
Guilar, José Moro) entspinnen sich affektgeladene Dialoge, die
in Kreisen implodieren oder über die Diagonale in unsichtbare
Ferne klingen.
So gelingt es dem neunköpfigen Ensemble perfekt, die
Intimität des engen Theaterraums in ein magisches Geviert zu
verwandeln. Und der titelgebende Rubin - verstanden als Kunst in vielen
Facetten - kommt zum Leuchten. Da sind die geschliffenen Karfunkel in
Form von Requisiten, die plakativ zwischen Arien, Duetten, Tanzsoli und
Lichtkreisen am Boden herumgereicht werden, überflüssig. Vier
Jahre ist die preisgekrönte Badener Tanztruppe nicht mehr in Bern
aufgetreten. Wegen fehlender Auftrittsmöglichkeiten in der
Dampfzentrale, wie die Choreografin sagt. Nun hat Brigitta Luisa Merki
den Schritt ins Tojo gewagt. Das Kammertanzspiel wurde vor vollem Haus
begeistert aufgenommen.
Weitere Vorstellung: heute, 20.30 Uhr.
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20 Minuten 30.3.12
Dachstock: Boys on Pills taufen 3. Platte
BERN. Die Boys on Pills brachten ihr Doppelalbum "Nacht" raus. Wir
haben mit Produzent und Rapper Elwont alias Johnny Bunko darüber
gesprochen.
Gratuliere zum tollen Charteinstieg von "Nacht".
Elwont alias Johnny Bunko: Danke. Wir sind sehr überrascht. Platz
14 übertrifft unsere Erwartungen. Vor allem da es ein sehr
undergroundiges Album geworden ist.
Also ein gutes Zeichen für den Schweizer Musikkonsumenten.
(Lacht) Wohl eher eines für unsere Fans. Vielen anderen ist die
Platte zu wenig Hip-Hop. Anderen wiederum ist sie zu wenig Techno.
Es fällt auf, das "Nacht" weniger Dancefloor-orientiert,
dafür experimenteller daherkommt. Woher kommt das?
Ich finde nicht, das wir uns wahnsinnig experimentell geben. Über
Techno-Beats rappen mittlerweile ja viele. Ich spürte aber beim
Produzieren, dass Baze vom House-Rap wegwollte. Dem habe ich mich etwas
gebeugt.
Morgen tauft ihr das Album im Dachstock. Was plant ihr da?
Wir spielen 47 Stücke in einem Medley-artigen Set. Das wird
mindestens 90 Minuten dauern. Und damit die Leute dabei nicht
einschlafen, werden wir uns um ein rhythmisch möglichst
abwechslungsreiches Set bemühen.
Pedro Codes
Sa, 31.3., 22 Uhr, Boys on Pills - Plattentaufe, Dachstock.
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20 Minuten 30.3.12
Insomnia macht die Spitalgasse zur Partyzone
BERN. Mit dem Insomnia erblickt ein neuer Club das Licht der Welt.
Allen voran kommen House-, R'n'B- und Mash-up-Fans auf ihre Kosten.
Mitten im Berner Club-Sterben bringt das hiesige Nachtleben ein neues
Kind zur Welt. Insomnia heisst der Club und liegt an der Spitalgasse
35, nur hundert Meter vom Bahnhof entfernt. "Wir wollen hier einen Ort
schaffen, wo es sich für elegante Menschen ab 21 lohnt, in den
Ausgang zu gehen", sagt Geschäftsführer Benabid Azedine.
Zusammen mit Eventmanager und Booker Omar Cantoro wird er an der Spitze
des neuen Lokals stehen.
Von Donnerstag bis Samstag sollen bis zu hundert Personen im rot-grau
gehaltenen Club unterkommen. Diese dürften sich vor allem aus
House-, R'n'B-und Mash-up-Fans rekrutieren: "Andere Stile werden aber
vereinzelt auch ihren Platz finden", sagt Cantoro. Auf Kritik, dass es
mehrere ähnlich ausgerichtete Clubs in Bern gebe, reagiert der
Booker gelassen: "Wir bringen viel italienisches und amerikanisches
Flair nach Bern." In Rom habe er lange mit Veranstaltern gearbeitet und
Kontakte zu italienischen und US-amerikanischen Künstlern
knüpfen können, so der Musikverantwortliche. Diese plant er
jetzt vermehrt nach Bern zu holen. Vorerst aber kommen die Berner dran.
An der Eröffnungsparty von morgen legen DJ Johnson Jonell und die
Cuttin' Crew auf. Pedro codes
Sa, 31.3., 22 Uhr, Insomnia Club Big Opening, Insomnia.
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kulturagenda.be 29.3.12
"NAU - Hirt auf der Greina" im Tojo
Mit ihrer Truppe "i bonanzi" inszeniert Stefanie Ammann die Geschichte
des Giacumbert nau nach dem gleichnamigen Roman des Bündner
Schriftstellers Leo Tuor. In einer experimentellen Collage aus Musik,
Schauspiel und Text entsteht auf der Bühne eine Atmosphäre
wie auf einer abgelegenen Alphütte, mitten in einer wilden
Berglandschaft.
Tojo Theater in der Reitschule, Bern. Mi., 4.4., 20.30 Uhr
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Bund 29.3.12
The Coup
Rap für die Decroissance-Gemeinde
The Coup sind ein wandelndes Vexierbild: Sie machen Rap für
kampfbereite Pazifisten. Und verhelfen ganz nebenbei dem guten alten
Funksample wieder zu einem Platz auf dem Podest.
Er sei ein wandelnder Widerspruch, "a walking contradiction", bekennt
der The-Coup-Rapper Raymond "Boots" Riley im Eröffnungssong
"Bullets and Love". Und kappt damit die redlichen Bemühungen
seines Zuhörers, seine inhaltliche Bandbreite fassen zu wollen: Im
einen Moment stellt er "5 Million Ways to Kill a CEO" zur
Verfügung, oder gibt Tipps, wie man Polizisten mit
Molotow-Cocktails in die Schranken weist. Im nächsten Moment will
er sich schon wieder aufs "Lieben, Liebemachen und Likörtrinken"
beschränken, wenn auch mit dem Hintergedanken, damit die
"verdammte Revolution" wachzukitzeln.
The Coup, das sind mittlerweile zwei Jahrzehnte Basisarbeit im
Rap-Genre, ausgeführt von Boots Riley und der DJane Pam the
Funkstress aus dem kalifornischen Oakland. Einen Abstecher aus den
Untergrund-Gefilden auf die Titelblätter der grossen Gazetten
gelang ihnen, etwas unfreiwillig, 2001: Auf dem Albumcover von "Party
Music" sprengte das Duo die Twin Towers in die Luft, kurze Zeit bevor
die Türme tatsächlich zusammenbrachen. Der bekennende
Kommunist Riley hatte sich die Botschaft des Covers folgendermassen
gedacht: "Es ist eine Metapher dafür, wie sich mit der Macht der
Musik der Kapitalismus zerstören lässt." Das Cover wurde
dennoch zurückgezogen. Den beiden ist es ernst, keine Frage. Umso
erstaunlicher, dass die Musik absolut unverbissen daherkommt. The Coup
machen feinsinnig getexteten, mit Witz gespickten, wunderbar
flüssigen Rap. Und das unterlegt von Beats, die in Erinnerung
rufen, wie gut potente kleine Funksamples, sauber collagiert, der Seele
tun. Übrigens haben sich The Coup mit ihrem letzten, 2006
erschienen Album von der Decroissance schon wieder abgewendet,
zumindest vordergründig: "Pick a Bigger Weapon" heisst das
wunderbare Machwerk. Wohin die Reise diesmal geht, ist schwer
abzusehen. 2012 soll das neue Album erscheinen. (hjo)
Dachstock Reitschule So, 1. April, 20.30 Uhr.
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Dachstock
Moderne wirft Nostalgie ein
Von Anna Tschumi
Vier Jahre nach dem letzten Album tauft die Berner Hip-Hop-Combo Boys
on Pills ihre dritte Platte. Auf dem Doppelalbum "Nacht" vermischen
Songs und Remixes einen nostalgischen Hip-Hop mit kühler
Elektronik von heute.
Gedämpfte Soundkulissen, minimale Beats und synthetische
Klänge: Was wie das Intro eines Elektro-Songs tönt, ist der
Auftakt zum neuen Album der Hip-Hop-Band Boys on Pills. Ohne
Sprechgesang wäre die Bezeichnung Hip-Hop für die Band fast
schon hinfällig. Denn der Hip-Hop wird auf "Nacht" rundum erneuert.
Dass der Hip-Hop auch hierzulande vermehrt mit anderen Genres vermischt
wird, ist kein neuer Trend. Ungewohnt ist aber der Mut der Berner
Rapper Baze und Jonny Bunko zu schrägen Kombinationen und
minimalen Tönen. Keine zahmen elektronischen Klänge, sondern
eigenwillige Beats und verstörende Geräuschkulissen
vermischen sich auf ihrem dritten Album "Nacht" mit nostalgischem
Oldschool Hip-Hop.
In Berner Mundart wird über moderne Elemente aus Techno, House und
Trance gerappt. Dazu melancholische Streichermusik und sanfte
Klaviermelodien? Kein Problem. Stilbrüche erfolgen auch mal mitten
im Stück. Es sind Lieder, "bei denen sich dem eingefleischten
Hip-Hopper schon mal die Haare sträuben", wie es der DJ, Manuel
Ryser alias DJ Kermit, ausdrückt.
Verzögerung wegen Vielbeschäftigung
Die experimentierfreudige Band Boys on Pills entstand 2006. Berner
Mundart-Rapper Baze gründete die Combo zusammen mit Produzent und
Rapper Jonny Bunko aka Elwont. Der gebürtige Budapester produziert
die Beats und schreibt gemeinsam mit Baze an den Texten. Für den
Feinschliff und die Effekte sorgt DJ Kermit.
Dass es vier Jahre gedauert hat, bis ein neues Album erschien, sei vor
allem die Schuld von Baze, wie Bunko kürzlich in einem Interview
sagte. Der vielbeschäftigte Baze, mit gebürtigem Namen Basil
Anliker, ist auch Mitglied des Schweizer Hip-Hop-Kollektivs Chlyklass
und Teil der Spass-Band Tequila Boys. Ausserdem verfolgt er eine
Solokarriere. Seinen bisher grössten Erfolg überhaupt feierte
er mit dem Album "D'Party isch verbi" (2010).
Dachstock in der Reitschule, Bern
Sa., 31.3., 22 Uhr
www.dachstock.ch
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Bund 29.3.12
Boys on Pills
Grandios burschikos
Boys on Pills, das ist das Dancefloor-Projekt von Baze und Elwont. Auf
dem neuen Werk "Nacht" wagen sie sich in Sachen Klangdesign in bisher
unerforschte Gebiete vor.
Ane Hebeisen
Bubenzeugs ist es, was die Boys on Pills seit nunmehr drei Alben in die
Welt stemmen. Und dieses Mal haben die Buben richtig geackert. 112
Minuten Musik, verteilt auf zwei CDs, sind zusammengekommen. Wie beim
Tun von Jünglingen so üblich ist vieles nicht zu Ende
gedacht, nicht ausgearbeitet, und vielleicht macht genau das dieses
üppige Tonwerk so begehrenswert.
Boys on Pills, das ist die Forschungsstation von Baze und Elwont.
Ersterer: derzeit wohl Berns stilsicherster Sprechsänger.
Zweiterer: ein Durchschnitts-Rapper; aber was dieser
ungarischstämmige Bursche hier aus seinem Produktionscomputer
schüttelt, ist schon mehr als bemerkenswert. Ja, es ist
stellenweise schlicht grandios.
Abstriche in der Poesie
Elwont hat aus dem Hip-Hop sämtliche Spurenelemente von Funk und
afroamerikanischer Nostalgie ausgemerzt. Sein Augenmerk liegt auf dem
Sounddesign, auf Programmingfinten und -experimenten. Dafür wird
auch schon mal Gevatter Groove geopfert, und das Schöne ist:
Niemand trauert ihm grossartig nach. Bauten frühere Produktionen
von Boys on Pills auf recht absehbare Dancefloor-Knalleffekte, leisten
sich die beiden heute den Luxus, ihre Beats auch schon mal eher
atmosphärisch als wirklich rhythmisch einzusetzen. Das Konzept
dieser Doppel-CD hat dem Elwont denn auch in die Hände gespielt:
zwanzig neue Songs, die er gleich selber für die Bonus-CD geremixt
hat. Das klingt dann - wie im wunderprächtigen Remix von "Obenuus"
- eher nach Nine Inch Nails als nach bernischem Dancefloor-Hip-Hop, und
das Lied "Uszyt" wird in der Nachbearbeitung zum
minimalistisch-obskuren Tanzboden-Stampfer. In der Bearbeitung des
Songs "Dämmerig" wird der Beat dann gar zur Auslegungssache, die
beiden Rapper interpretieren ihn vollkommen unterschiedlich.
Selbstredend ist nicht ganz alles epochal, was aus dieser Bastelstube
kommt. Doch Boys on Pills zementieren mit diesem Album ihren Status als
progressivste Elektro-Frickler der heimischen Rap-Szene. Schade nur,
dass man aufseiten der Poesie weit weniger Wert aufs Experimentieren
und aufs Ausloten der Genregrenzen gelegt hat. Zwar geben sich die
Jungs temporär ungewohnt nachdenklich, sinnieren über ihre
Herkunft ("Erfahrige blibe") oder über die Endlichkeit des Seins
("Wenn i läb, wenn i stirb"). Doch viel bleibt da nicht
hängen. Tipp fürs nächste Mal: halt noch ein paar Pillen
nachschmeissen.
Dachstock Reitschule Samstag, 31. März, 22 Uhr.
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BZ 29.3.12
Launische Pillenbuben
Hip-Hop · Mal manisch, mal depressiv. Mal lustig, mal
bitterböse. Die Berner Hip-Hop-Combo Boys on Pills meldet sich
nach vier Jahren Abstinenz mit dem neuen Album "Nacht" eindrucksvoll
zurück.
Vier Jahre ist es her, als die Combo Boys on Pills ihr letztes
gemeinsames Werk "Supersonisch" veröffentlichte. Doch untätig
waren die beiden Hauptprotagonisten seither beileibe nicht: Dr.
Broccoli, landläufig bekannt als Rapper Baze, hat zwischenzeitlich
das Soloalbum "D Party isch verbi" und den Fetzer "Live im Anker" mit
seinen Tequila Boys veröffentlicht. Um Elwont - bei den Boys on
Pills als Jonny Bunko aktiv - war es in der breiten Öffentlichkeit
eher ruhig. Dass auch er mehr als nur fleissig war, beweist das neue
Album "Nacht".
Viel Musik fürs Geld
Ist das prächtig gestickte, von Dr. Broccoli gestaltete CD-Cover
einmal aufgeklappt, fällt einem die lange Tracklist ins Auge, die
20 Titel umfasst. Als ob dies nicht genug wäre, findet sich eine
zweite Auflistung derselben Tracks in Remixform - komplett produziert
von Bunko, der auch auf dem neuen Werk die Doppelfunktion als Rapper
und Beatlieferant innehat.
Eigenständiger Sound
Jenseits von jeglichen Hip-Hop-Dogmen hat Bunko eine Klangästhetik
geschaffen, in der klassische Rapeinflüsse auf elektronische
Klänge treffen. Tief wummernde Bässe sind immer wieder
präsent und lassen dann und wann einen gewissen Dub-Step-Einfluss
nicht verleugnen. Ein hektisches Schlagzeug, hinkende Trommeln,
schräge Effekte aber auch sphärische Keyboardklänge,
gepaart mit Vocal-Samples und von DJ Kermit eingespielten Scratches,
verleihen Bunkos Soundwelt die nötige Individualität. "Ich
behaupte einfach mal, dass ich einen von Elwonts scheppernden und
melancholischen Beats jederzeit aus fünfzig Instrumentals von
unterschiedlichen Produzenten heraushören würde", lobt Dr.
Broccoli die musikalische Eigenständigkeit seines Partners.
Relaxte Zusammenarbeit
"Die Herangehensweise ist viel relaxter als bei einem Soloding",
erklärt Dr. Broccoli die breite Themenwahl und den lockeren Umgang
mit Rap als Kunstform: "Wir vereinbaren jeweils, innerhalb einer Woche
zwei oder drei Texte zu einem bestimmten Thema zu schreiben. Zack
erledigt." Dies passiert bei aller Lockerheit auf höchstem
raptechnischem Niveau. Wortspielereien wie etwa Bunkos
"Usländerproblem mit Lüt us Länder mit Problem"
untermauern die Raffinesse der Rapper.
Dr. Broccoli alias Baze umschreibt das eindrucksvolle Album als
"stürmische Nacht mit allerlei Facetten und Gefühlen". Eine
solche verspricht er auch für die Plattentaufe vom Samstagabend im
Berner Dachstock: "Wir haben eine Show voller schneller Wechsel und
fliessender Übergänge einstudiert!" Patrick Sigrist
"Wir vereinbaren jeweils, innerhalb einer Woche zwei oder drei Texte zu
einem bestimmten Thema zu schreiben. Zack erledigt."
Dr. Broccoli
CD: Boys on Pills "Nacht" (Soundservice). Plattentaufe: Sa, 31. 3., 22
Uhr, Dachstock, Bern.
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Bund 29.3.12
The Jackets
Erschlagen vom Garagenrock
Irrsinn und ein Hauch Gefahr blühen jenen, die sich in die
Fänge von The Jackets begeben.
Zwar singt sie auf ihrer neuen CD "Way Out" von Aufbruchstimmung. Doch
wie schon im Albumerstling "Stuck Inside" findet Jacky Brutsche,
Frontfrau von The Jackets, nicht aus dem 1960er-Genre des Garage-Rock
heraus, frönt dem Stil vielmehr auf derart konsequente Weise, dass
man annehmen muss, sie sei in die falsche Zeit hineingeboren worden.
Die Musik der Zürcher Mittdreissigerin hat etwas Zwingendes. Die
gitarristischen Power-Cords werden mit Bassläufen synchronisiert
und dem Hörer zusammen mit scheppernden Drums regelrecht
zugeschmettert. The Jackets erinnern an die Sixties-Band The Monks, die
"Anti-Beatles", welche die Musik der erfolgreichen Briten als "Sound
für Grossmütter" abkanzelten und ihrerseits eine wildere Form
des Rock'n' Roll kreierten. Noch ausgelassener und akustisch
aufgemöbelt geht es beim Trio um Brutsche zu und her. Durch
Auslassen musikalischer Details wirkt der Sog der groovigen Riffs umso
stärker, und spätestens der stechend-beschwörende Blick
der Sängerin lässt das Publikum nicht mehr entrinnen aus den
Klauen der Garagenrocker. Der Sound mag mit der Zeit gleichförmig
klingen, nur so lange aber, wie man die Präsenz der
charismatischen und freakigen Musiker ausser Acht lässt. Das
exzentrische Dreiergespann haucht der Musik, mit der es seit 2007 in
die Schlacht zieht, zusätzliches Leben ein, vereinnahmt und
besiegt einen: The Jackets dreschen so lange mit dröhnenden
Akkorden auf den Hörer ein, bis dieser benommen in die Knie geht.
So zu sehen im Clip "Freak Out", in dem das unter der Performance der
Band in Ekstase geratene Partyvolk zum Schluss erschöpft am Boden
liegt. Trotz gefährlicher Verheissung ruft das Video vor allem
eines hervor: Lust auf die Live-Jackets. (juz)
Rössli Reitschule Donnerstag, 29. März, 21 Uhr
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BZ 29.3.12
"Es gäbe viele Gründe, um positiv über die Dampfzentrale
zu reden"
Dampfzentrale · Zwischen Stolz und Frust: In Kürze
verlassen Tanzchef Roger Merguin und Musikleiter Christian Pauli die
Berner Dampfzentrale. Im Abschiedsinterview blicken die Co-Leiter
zurück, äussern sich zur aktuellen Führungskrise und
warnen vor einem kulturpolitischen Rückfall.
Ab nächster Woche ist die Dampfzentrale ohne Leitung. Mit welchen
Gefühlen verlassen Sie die Institution?
Christian Pauli: Meine Gefühle sind zwiespältig. Zwar hat der
Vorstand zusammen mit dem Team eine Übergangslösung gefunden.
Aber es ist bedauerlich, dass jetzt mindestens ein halbes Jahr keine
Leitungsperson vor Ort ist und nun überall von einem
"Scherbenhaufen" die Rede ist. Das hätte nicht so herauskommen
müssen …
Frustriert?
Pauli: Na ja, es gäbe auch viele Gründe, um stolz zu sein und
positiv über die Dampfzentrale zu reden. Ich denke, dass wir das
Haus in den letzten Jahren künstlerisch an einen Punkt gebracht
haben, an den sich anknüpfen liesse …
Roger Merguin: Ich hätte mir natürlich eine nahtlose
Übergabe gewünscht. Das ist leider nicht möglich.
Wie gravierend ist das Führungsvakuum in den kommenden Monaten?
Pauli: Was die interne Organisation betrifft, bin ich zuversichtlich.
Das Team ist engagiert und stellt sich der Verantwortung - das ist sehr
positiv.
Merguin: Es ist sicher eine grosse Herausforderung. Klar ist: Bis Ende
Jahr wird es ein wohl reduziertes aber spannendes Programm geben.
Allerdings wird das Festival Tanz In. Bern, das Sie aufgebaut haben,
dieses Jahr abgesagt.
Merguin: Das ist sehr enttäuschend. Wir haben in den letzten
Jahren ein Stammpublikum aufgebaut, und die Dampfzentrale ist zu einem
wichtigen Partner für die Künstler geworden. An diesen Erfolg
hätte die neue Leitung anknüpfen können. Ein Jahr Pause
gefährdet die gesamte Aufbauarbeit.
Konkret?
Merguin: Manche Sponsoren und Stiftungen werden nun über die
Bücher gehen. Und es könnte sein, dass die künftige
Festivalleitung in mancher Hinsicht wieder von vorne beginnen muss - so
war es für mich nach dem Ende der Berner Tanztage 2007.
Zur Debatte steht, was mit den Subventionen für das abgesagte
Festival geschehen soll. Es gibt Stimmen, die sich für eine
Rückzahlung ausgesprochen haben.
Merguin: Das ist das Worst-Case-Szenario. Mich erstaunt das Vorgehen.
Ende Jahr soll also die Politik entscheiden, wie viel das Programm wert
war und dann allenfalls Geld zurückfordern. Sozusagen ein
erfolgsabhängiges Bestrafungssystem. Ich hoffe, das macht nicht
Schule.
Was bedeutet das praktisch?
Merguin: Der Übergangsbetrieb muss mit einer Kürzung rechnen
und die 200 000 Franken schon mal zurückstellen für den Fall,
dass sie am Ende rückerstattet werden müssen. Trotzdem soll
er ein tolles Programm bieten. Das heisst: Gas geben und gleichzeitig
auf die Bremse stehen. Da stimmt was nicht.
Pauli: Die Forderung mag für gewisse Kreise naheliegend sein, aber
sie ist fatal. Meine grösste Befürchtung in der
gegenwärtigen Situation ist, dass der Wind wieder dreht, dass nun
jene Kräfte Auftrieb erhalten, die die Dampfzentrale ohnehin
infrage stellen. Ein Haus für zeitgenössische Künste ist
kulturpolitisch eine fragile Angelegenheit. Wir haben 2005 eine
Institution in der Krise übernommen und ihr ein Profil gegeben, es
gab einen kulturpolitischen Durchbruch: Im letzten Mai haben 73 Prozent
der Bernerinnen und Berner Ja gesagt zur Dampfzentrale. Das alles wegen
der jüngsten Probleme aufs Spiel zu setzen, ist fatal.
Was ist in den letzten Monaten schiefgelaufen?
Merguin: Die Ausgangslage war eigentlich gut. Ich habe den Vorstand
frühzeitig über meine Bewerbung bei der Zürcher
Gessnerallee informiert. Es gab dann im Vorstand wohl
Grundsatzdiskussionen über das künftige Leitungsmodell, und
offenbar konnte man sich nicht einigen. Diese Unklarheit spiegelte sich
in der Ausschreibung und darin, dass die Stelle sehr spät
ausgeschrieben wurde. Damit haben die Probleme begonnen.
Ist die neue Ausschreibung, die bis nächste Woche läuft, nun
besser?
Merguin: Also, ich finde es eine interessante Ausschreibung, auf die
ich mich vielleicht beworben hätte (lacht).
Pauli: Ich finde sie klarer als vorher. Ich gebe aber offen zu, dass
ich mich gegen das nun gewählte Modell der Gesamtleitung durch
eine einzelne Person ausgesprochen habe. Ich habe mich für die
Beibehaltung des Co-Leitungsmodells eingesetzt - im Wissen um dessen
Nachteile.
Die da wären?
Pauli: Dass die Verantwortung in einzelnen Fällen nicht
geklärt ist.
Merguin: …beziehungsweise, dass die Verantwortung bei Pattsituationen
in der Co-Leitung an den Vorstand delegiert wird. Das bedingt einen
entscheidungsfreudigen Vorstand. Und wenn er das nicht ist, werden
bestimmte Entscheide nicht getroffen.
Ist das Trägermodell der Dampfzentrale mit einem Laienvorstand
überholt?
Pauli: Die Diskussion darüber ist auf jeden Fall nötig. Das
Problem ist allerdings nicht dampfzentralenspezifisch.
Merguin: Auf dem Papier ist der Vorstand eigentlich gut aufgestellt,
und im normalen Geschäftsablauf hat die Zusammenarbeit sechs Jahre
lang gut funktioniert. Schwierig wird es in besonderen Situationen -
bei einem Leitungswechsel, bei einer Krise …
Was wäre die Alternative?
Pauli: Es gibt die Idee eines Dezernats. Dass man gewisse
Kulturinstitutionen direkt an die Stadt anbindet und strategisch von
der Verwaltung führen lässt. Das ist zum Beispiel beim
Zürcher Theaterspektakel der Fall. Mich überzeugt die Idee
nicht wirklich. Aber ich finde es wichtig, dass solche Fragen nun in
der ganzen Breite diskutiert werden.
Merguin: Gegen das Dezernats-modell spricht, dass die Institutionen
ihre schlanke Organisationsstruktur verlieren und sich in der
Verwaltung integrieren müssen. Dem jetzigen Modell des
Laienvorstandes sollte aber in Krisenmomenten eine Beratung zur
Verfügung stehen - nicht ein teures Beratungsbüro, sondern
ein "Rat der Weisen", mit Personen, die aus der Praxis kommen.
Blicken wir zurück auf die letzten sechs Jahre. Worauf sind Sie
besonders stolz?
Merguin: Wir haben 2005 mit einer Vision begonnen: dass die
Dampfzentrale für das Publikum und die Künstler ein wichtiger
Ort für zeitgenössischen Tanz und zeitgenössische Musik
wird, der über Bern hinaus ausstrahlt. Das haben wir erreicht. Es
wurde im Haus produziert und zeitge-nössischen Tanz und Musik auf
die Bühne gebracht. Und das wurde in Bern, aber auch bis ins
Ausland geschätzt.
Pauli: Dass so etwas in Bern möglich ist, hätte ich vor
meinem Stellenantritt gar nicht für möglich gehalten. Salopp
gesagt: Die Dampfzentrale ist das schönste Kulturhaus in Bern. Die
Räume sind einzigartig. Das Haus strahlt Flexibilität und
Offenheit aus, mit einem klaren, fordernden Profil. Das ist nicht
selbstverständlich. Zuerst dachten manche, hier laufe in Sachen
Tanz ungefähr dasselbe wie im Stadttheater. Oder musikalisch
dasselbe wie im Dachstock der Reitschule.
Die Programmation ist allerdings immer wieder als zu sperrig und
abgehoben kritisiert worden.
Merguin: Über Geschmack kann man gerne streiten. Denn sich mit
etwas auseinanderzusetzen und seine Seh- und Hörgewohnheiten zu
hinterfragen, kann sehr interessant sein. Der zeitgenössische Tanz
bewegt sich nun mal von der Performance bis zum reinen Tanz. Genau
dieses Spannungsfeld ist ja das Interessante beim Tanz. Und Achtung:
2005 hat es geheissen, die Dampfzentrale habe kein Profil. Jetzt hat
sie eins und zeigt Tanz auf einem hohen Qualitätslevel in all
seiner Vielfalt.
Pauli: Was meine Sparte betrifft: Die neue Musik ist eine spezifische
Welt, die dem Publikum einiges abverlangt. Man muss vor allem Neugierde
mitbringen - dann kann man regelrechte Abenteuer erleben.
Kulturpolitisch ist die Frage aber eigentlich ganz einfach: Hat diese
zeitgenössische Musik eine Daseinsberechtigung? Falls ja: Dann
muss man ihr einen Ort und entsprechende Mittel geben. Und dieser Ort
ist die Dampfzentrale.
Merguin: Natürlich, wenn die Zuschauer ausbleiben würden,
müsste man das Profil des Hauses hinterfragen, dann gäbe es
Handlungsbedarf. Aber so ist es nicht. Die Zuschauerzahlen in der
Musiksparte sind in den letzten Jahren leicht gestiegen, beim Tanz
sogar deutlich.
Publikums- und Auslastungszahlen sind immer relativ.
Merguin: Natürlich geht es eigentlich um Inhalte. Aber wenn sich
die Diskussion - wie jüngst im Stadtrat - schon um Kennzahlen
dreht, dann sage ich: bitte schön, dann schaut sie auch im Detail
an.
Pauli: Ein Haus, dass sich dezidiert für zeitgenössische
Kunst einsetzt und das Publikum herausfordert, steht permanent vor der
Frage, ob es genügend Publikum hat oder nicht. Das ist nicht nur
in Bern so.
Was wünschen Sie der Dampfzentrale für die Zukunft?
Merguin: Dass eine interessante Person die Leitung des Hauses
übernimmt, die Inhalte definiert und die Dampfzentrale weiter
entwickelt. Und dass die Dampfzentrale das Haus für den
zeitgenössischen Tanz mit einem breiten Tanzbegriff bleibt.
Pauli: Die zeitgenössische, undogmatische Musik ist ein sensibles
Pflänzchen, das spezifische Pflege braucht. Ich wünsche mir,
dass sie auch unter dem neuen Gesamtleitungsmodell, das vor allem Tanz
im Blick hat, entsprechend gehegt wird.
Interview: Oliver Meier
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Hintergrund
Personaldebakel Die Berner Dampfzentrale steht vor einer ungewissen
Zukunft. Tanzchef Roger Merguin und Musikleiter Christian Pauli, beide
als Co-Betriebsleiter seit 2005 im Amt, verlassen das Haus in diesen
Tagen - wer die Kulturinstitution künftig leiten wird, ist
vorderhand offen. Merguin übernimmt im August die Leitung des
Theaterhauses Gessnerallee in Zürich, Pauli wechselt derweil an
die Hochschule der Künste Bern, wo er ab Mai den Bereich Marketing
und Kommunikation führt.
Die Suche nach einer Nachfolge für Merguin, der im Mai 2011
gekündigt hatte, mündete in ein Personaldebakel, das auf den
Dampfzentrale-Vorstand kein gutes Licht warf. Merguins designierte
Nachfolgerin zog sich im Dezember, kurz nachdem sie sich dem Team
vorgestellt hatte, unter seltsamen Umständen wieder zurück.
Der Vorstand, der sich bei der Stellenausschreibung viel Zeit gelassen
hatte, musste über die Bücher und schrieb die Leitungsstelle
mit Bewerbungsfrist bis 4. April 2012 neu aus. Damit steht die
Dampfzentrale zumindest bis im Herbst, möglicherweise gar bis Ende
Jahr ohne Leitung da.
Die Krise gab jüngst auch im Stadtparlament zu reden.
Stadträte verschiedener Parteien forderten mit Blick auf die
Probleme in der Dampfzentrale eine "aktivere" Rolle der Stadt. Auch das
Trägermodell mit einem Verein und einem Laienvorstand, in dem die
Stadt vertreten ist, wird hinterfragt. Weil das Festival Tanz In. Bern
dieses Jahr ins Wasser fällt, steht zudem die Forderung im Raum,
dass die dafür vorgesehene Subvention von 200 000 Franken
zurückerstattet werden soll. Im Interview mit dieser Zeitung hielt
Stadtpräsident Alexander Tschäppät dazu jüngst
fest: "Ich verspreche, dass wir Ende Jahr genau hinschauen, was
veranstaltet wurde und was nicht. Ist die Leistung nicht erbracht, wird
Geld zurückfliessen oder zurückgestellt."mei
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BZ 29.3.12
Neue Fachstelle soll das Nachtleben sicherer machen
BERN. Ein schweizweites Warnsystem für gefährliche Substanzen
und ein Massnahmenplan gegen Sexualdelikte unter Drogeneinfluss: Das
sind die ersten Ziele von Safer Nightlife. Die Fachstelle versammelt
Experten aus dem ganzen Land an einer Tagung.
Immer wieder erscheinen neue Drogen auf dem Markt. Oft sind sie mit
gesundheitlichen Risiken verbunden, die noch nicht genau bekannt sind.
"Wenn eine solche Substanz auftaucht, müssen neben den Konsumenten
verschiedene Stellen wie etwa die Spitäler Bescheid wissen", sagt
Peter Menzi von der Fachstelle Infodrog, die in Bern das
Kompetenzzentrum Safer Nightlife Schweiz aufbaut. Eine der ersten
Aufgaben ist es, das nationale Warnsystem Warning.ch zu entwickeln. Ein
weiterer Fokus liegt momentan auf in Verbindung mit Drogen wie
K.-o.-Tropfen begangenen Sexualdelikten. "Das Ziel ist, aus gesammelten
Informationen ein standardisiertes Vorgehen abzuleiten", erklärt
Menzi. So könne man sicherstellen, dass alle beteiligten Stellen
richtig auf solche Fälle reagierten. Rettungssanitäter,
Forscher, Clubbetreiber, Polizisten oder Gemeindebehörden haben
alle mit Auswüchsen des Nachtlebens zu tun: Safer Nightlife will
sie vernetzen und zur ersten schweizweiten Anlaufstelle für solche
Fragen werden. Diesen Herbst bringt sie Fachleute aus allen Regionen in
Biel an einer Tagung zusammen. Patrick Marbach
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BZ 28.3.12
Hip & hiesig
Pressetexte sind mit Vorsicht zu geniessen. Zu viel Eigenlob, zu wenig
Facts. Doch mitunter findet sich zwischen Selbstbeweihräucherung
und Superlativen doch etwas Brauchbares. Etwa im Promo-Blatt von The
Jackets, einer Berner Band mit internationalen Referenzen. "Das Denken
setzt mit dem Aufsetzen der Nadel aus", schreibt dort ein Anonymus zur
Wirkung, die der Sound der Jackets auf ihn hat. Und sagt damit mehr
über deren Musik als im ganzen restlichen Text. Denn das Trio
tönt tatsächlich so, als entstamme es einer Zeit, als man
seine Lieblingsbands noch auf dem Plattenteller drehen sah, mit 45 oder
33 Touren pro Minute. The Jackets spielen wilden Garagenbeat mit
psychedelischer Garnitur, roh, rockig, robust und eher amerikanisch als
britisch angehaucht.
Eine Gitarre, ein Bass, ein Schlagzeug - basta. Gut, da ist noch
Sängerin Jackie Brutsche, die mit ihrem geheimnisvollen Timbre mal
an Grace Slick (Jefferson Airplane) erinnert und dann wieder kreischt,
gurgelt und quietscht, wie es der viel zu früh verstorbene Lux
Interior von The Cramps tat. Brutsche, die als "The Moustache Queen"
mit aufgeklebtem Schnauzbart auch eine One-Woman-Show auf die
Bühne bringt, ist unbestrittener Blickfang und
unüberhörbares Epizentrum der Jackets. Ihre gnadenlos
verzerrten Gitarrenriffs sorgen für die Konturen des
Jackets-Sounds, ihre Tremolo-orgien schütteln selbst ein
ausgeschaltetes Hirn kräftig durch. Im Hintergrund agieren
US-Drummer Chris Rosales und Bassist Samuel Schmidiger routiniert, aber
dezent, und umgarnen Brutsches rohe Beatpower gelegentlich mit ein paar
zurückhaltenden "Ooh"-Chören.
Die Vorbilder aus den Sixties haben The Jackets gut studiert.
Punktierte Rhythmen, klirrende Gitarrenakkorde und ekstatische Refrains
laden ein zum gemeinsamen "Freak Out" (Songtitel). Handwerklich
überzeugt das Powertrio mehr als andere Vertreter des beliebten
Retrogenres, auch wenn es die Spannung nicht während der ganzen
Dauer seines neuen, zweiten Albums "Way Out" zu halten vermag - aber
das war schon auf den Garagen-Beat-LP der Sixties so. Ohnehin verstehen
sich The Jackets in erster Linie als Liveband. Morgen Donnerstag
schlagen sie im "Rössli" gleich zwei Fliegen auf einen Streich und
taufen ihre neue CD mit einem - hoffentlich - fulminanten Liveset.
Freak out! Samuel Mumenthaler
CD: The Jackets "Way Out". CD-Taufe: 29.3. "Rössli"/Reitschule,
Bern. Türöffnung: 21 Uhr.
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Aargauer Zeitung 27.3.12
Gefährliche Marktdominanz im Live-Geschäft
Musik · Am Festival m4music wurde die Konzertsituation in der
Schweiz diskutiert. Brisante Themen blieben unerwähnt
Stefan Künzli
Die Schweizer Konzertszene boomt. Gemäss dem Branchenverband SMPA
erreichten die Veranstalter mit einem Bruttoumsatz von 264 Millionen
Franken 2010 einen neuen Spitzenwert. Gemäss diesen Angaben ist
der Umsatz mehr als doppelt so gross wie jener der kriselnden
Tonträgerindustrie (124 Millionen). An der Konferenz m4music in
Zürich, wo der Live-Markt ein Hauptthema war, wurde trotzdem
gejammert. Unter den Titeln "Festivals unter Druck" und "Clubsterben"
sangen die Veranstalter den Blues und klagten in Panels über den
harten Konkurrenzkampf, steigende Kosten, überrissene
Gegenforderungen und sinkende Margen. Alles richtig, der
Erkenntnisgewinn tendierte aber leider gegen null. Alles blieb nur an
der Oberfläche.
Bloom und Blues
Es blieb an Berthold Seliger, dem deutschen Konzertagenten und Autor,
in seiner Keynote den Widerspruch zwischen Boom und Blues im Live-Markt
aufzuzeigen. Den grossen Profit sieht der streitbare Berliner bei den
grossen Konzerten und den grossen Stars. Dagegen stellt er bei kleinen
und mittleren Konzerten eine Stagnation fest. Auch die zum Teil
horrenden Gagenforderungen würden nur für die Superstars
gelten. Umso härter sei es für alle anderen. Bei steigenden
Produktionskosten würden die Gagen kleiner und Newcomer legen bei
Konzerten sogar drauf. Unausgesprochen widerlegte er damit die auch vom
Bundesrat vertretene These, wonach die Schweizer Musiker ihre Einbussen
im Verkauf von Tonträgern durch Konzerte kompensieren könnten.
Für Seliger ist die ungesunde Entwicklung in der Musikbranche eine
Folge der Marktkonzentration. Nicht nur im Tonträgermarkt, wo die
drei multinationalen Majors Universal, Sony und Warner über fast
80 Prozent Marktanteil verfügen, sondern vor allem auch im
Live-Geschäft. Seliger verweist auf die beiden amerikanischen
Unterhaltungsriesen William Morris Endeavor (WME, die Welt-Nr.1) und
Creative Artists Agency (CAA), die den Markt beherrschen und die Preise
aufgrund ihrer dominanten Stellung diktieren können. Weiter nennt
Seliger den Zusammenschluss des Konzertriesen Live Nation und von
Ticketmaster. 80 Prozent des Ticketings in den USA liefen über
Ticketmaster.
Diktatur der Märkte
Seliger spricht von einer "Diktatur der Märkte", von einem
"haltlosen Medienmonopol", von einem "amerikanischen Oligopol mit
Auswirkungen auf die weltweite Konzertbranche". Die Marktkonzentration
und die entstandenen Monopole und Oligopole hätten einen
funktionierenden Wettbewerb ausser Kraft gesetzt. Für Seliger ist
klar, dass diese monopolartigen Konglomerate "für die hohen Gagen
und Ticketpreise verantwortlich" sind und dass der "Konsument die Zeche
für diese Situation zahlt". "Wie konnte es passieren, dass wir das
zulassen", sagt er und sieht "die Diversität und kulturelle
Vielfalt gefährdet".
"Gigantisches Oligopol"
"Die Dominanz einzelner Firmen und Konglomerate zieht sich durch das
gesamte Musikgeschäft", erklärt Seliger weiter. Auch in
Deutschland. Gemäss Seliger verkauft der Marktführer CTS
Eventim AG geschätzte 80 Prozent der Tickets für
Popmusikkonzerte in Deutschland, ist Europas Marktführer im
Ticketing und einer der führenden Anbieter von Live-Entertainment.
Eventim verfügt über "gigantisches Oligopol, mit dem die
Firma die Vorverkaufs- und Ticketgebühren wie auch die
Verkaufsbedingungen diktiert". Gleichzeitig habe die Firma
"systematisch Beteiligungen an nationalen Tournee- und
Konzertveranstaltern aufgebaut" - auch in die Schweiz. Dabei verweist
er auch auf den Deal mit der Schweizer Ticketcorner AG (Marktanteil 60
Prozent).
Es ist der einzige Verweis auf die Situation in der Schweiz. Dabei
liesse sich Seligers Analyse wunderbar auf die Schweiz übertragen.
Der Vorstandsvorsitzende von Eventim, Klaus-Peter Schulenberg, sagte
damals zur Übernahme von Ticketcorner: "Wir festigen mit dieser
Akquisition unser Geschäft in der Schweiz und bauen gleichzeitig
unsere Marktführung in Europa weiter aus. Erklärtes Ziel ist
es, zukünftig den kompletten Ticketverkauf in Europa aus einer
Datenbank abzuwickeln."
Mit anderen Worten: Eventim gibt unumwunden zu, dass die Firma ein
Monopol in Europa anstrebt. Umso pikanter ist der Deal, als der
Medienkonzern Ringier mit Eventim schon 2009 eine
Joint-Venture-Gesellschaft gegründet hatte, in der alle
Ticketingaktivitäten gebündelt werden. Ringier verdient also
mit. Für Marc Walder, CEO Ringier Schweiz und Deutschland, ist der
Deal "ein weiterer wichtiger Schritt im Rahmen des konsequenten Ausbaus
seines Engagements im Bereich Entertainment". Unerwähnt blieben
auch folgende Fakten:
· Der grösste Schweizer Konzertveranstalter Good News
gehört seit 2000 zu Ringier und dem deutschen Konzertveranstalter
DEAG (Deutsche Entertainment AG).
· Free&Virgin, der zweitgrösste Schweizer
Konzertveranstalter, ging im letzten Jahr ein. Ringier und DEAG
gründeten darauf die neue Konzertagentur Starclick, die das
Programmsortiment von Free &Virgin weitgehend übernahm (zum
Beispiel das Metalfestival Sonisphere, das in diesem Jahr in Yverdon
stattfindet).
Appell an die Konsumenten
Hat hier jemand etwas von gefährlicher Marktkonzentration gesagt?
Am Festival m4music jedenfalls nicht. Von Ringier, Good News oder
Eventim war niemand anwesend und die Stichworte "Ringier" und "Good
News" wurden an der Konferenz nicht einmal erwähnt. Seliger
appellierte angesichts der Marktkonzentration an die Haltung der
Konsumenten. Doch wo sind die Politiker und Wettbewerbshüter, die
für einen funktionierenden Wettbewerb sorgen sollen?
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m4music: festival und Konferenz
Die 15. Ausgabe von m4music in Zürich und Lausanne ist mit einem
neuen Besucherrekord zu Ende gegangen. Über 6600 Personen haben an
den drei Tagen die 53 Konzerte, rund 700 Vertreter der Musikbranche,
die Konferenz und den Nachwuchswettbewerb Demotape-Clinic besucht. Das
Festival am Samstag in Zürich war ausverkauft.
Vor allem die Konferenz ist in den letzten Jahren zu einem wichtigen
Treffpunkt der nationalen Musikbranche geworden, in welchem aktuelle
Trends und Probleme diskutiert werden.
Den Nachwuchsförder-Hauptpreis Demo of the Year 2012 der Demotape
Clinic hat Domi Chansorn aus Bern gewonnen. Infos auf www.m4music.ch
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kulturstattbern.derbund.ch 26.3.12
Kulturbeutel 13/12
Von Gisela Feuz am Montag, den 26. März 2012, um 05:02 Uhr
Frau Feuz empfiehlt:
am Dienstag die einzige Schweizer Show (ausser M4 Music) von Rocky
Votolato im ISC. Mit wunderbar rauer Sandpapierstimme trägt der
ehemalige Punk-Frontmann seine schön traurigen Songperlen und
akustischer Gitarre vor. Gleich weiter mit dunklem Stimm-Timbre geht's
am Mittwoch dann in der Turnhalle vom Progr. Dort stellt Ex-Dead
Brothers-Schatzi Pierre Omer zusammen mit der Stewarts Garage
Conspiracy Crew seinen neusten Streich vor, was so viel bedeutet wie
wunderbar dreckige Roadsongs, irgendwo zwischen Blues, Jazz,
Gipsy-Swing, Folk und Surf. Und am Donnerstag gehen Sie dann ins
Rössli, um mit dem Berner Garagen-Trio
The Jackets auf deren neues Album
anzustossen.
Kofmel empfiehlt:
Am Samstag im Dachstock den
Boys on Pills
zuhören beim laut sowie unverblümt Nachdenken über
soziale Umstände, Rückschläge im Leben und in der Liebe
und der grossen Lust am Eskapismus. Für konstant
Sommersehnsüchtige empfiehlt sich Céu - DIE brasilianische
Sängerin der Stunde. Zu hören und zu sehen ist sie am Sonntag
im Progr.
(...)
---
20 Minuten 26.3.12
Einfluss auf Politik: Clubs gründen Lobby
ZÜRICH. Ob das Kugl in St. Gallen oder das Sous Sol in Bern: In
der ganzen Schweiz stehen Clubs unter Beschuss der Politik. Jetzt
wollen sich die Exponenten des Nachtlebens national zusammenschliessen.
Das Schweizer Nachtleben erwirtschaftet laut eigenen Schätzungen
jährliche Umsätze in Milliardenhöhe und schafft tausende
Arbeitsplätze. Trotzdem fühlt sich ein Teil der Exponenten
von der Politik zu wenig unterstützt. So musste in Bern vor
wenigen Wochen der beliebte Club Sous Sol schliessen - weil eine
einzelne Anwohnerin immer wieder Lärmklagen einreichte. Auch dem
Kugl in St. Gallen droht wegen Klagen eines einzigen Anwohners das Aus.
Diesen Angriffen wollen sich die Schweizer Clubbetreiber künftig
besser entgegenstellen können: Anlässlich einer
Panel-Diskussion am M4Music-Festival kündete Marc Blickenstorfer
an, dass sich die von ihm gegründete Zürcher Bar- und
Clubkommission mittelfristig auch um nationale Anliegen kümmern
will: "Momentan fehlt der Austausch unter den einzelnen Clubs, dabei
kämpfen alle mit denselben Problemen", so Blickenstorfer zu 20
Minuten. Dies betrifft neben dem Lärm in erster Linie das
Littering. "Wir müssen die Politik und die Gesellschaft für
das Nachtleben sensibilisieren."
Eine solche Kommission würde dem Nachtleben eine geeinte Stimme
geben - etwa gegen die Vorwürfe der Juso, der Ausgang sei zu teuer
(20 Minuten berichtete): "Wenn nicht alle Clubs einzeln, sondern geeint
kommunizieren, hat das viel mehr Kraft", so Blickenstorfer.
Niklaus Riegg
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Bund 26.3.12
Stagnation, Stimmungstief und Stirnrunzeln
An der Musikmesse M4music ist auch in diesem Jahr über den Zustand
der Branche debattiert worden. Fazit: Es sieht dusterer aus denn je.
Und auch die Zukunftsforschung ist ratlos.
Ane Hebeisen
Es dauert nicht lange und die Schweizer Musikmesse M4music hat ihre
ersten Opfer gefordert. Eine Gruppe Jungmusiker sitzt grübelnd auf
einem bereitgestellten "Freitag"-Sofa und starrt mutlos in die Weiten
des Schiffbau-Foyers. In diversen Foren ist zuvor diskutiert und
referiert worden, über den Zustand der Musikwelt im Allgemeinen
und über die Befindlichkeit in der Schweiz im Speziellen. Und das
ist definitiv nichts gewesen für schwache Nerven, und schon gar
nichts für hoffnungsfrohe junge Tonkünstler, die davon
träumen, irgendwann berühmt und gefeiert zu werden. Und wenn
dann auch noch das eigene Tonwerk an der berühmten Demotape Clinic
von einer Fachjury mit dem Argument "dafür besteht absolut kein
Markt", abgekanzelt wird, ist definitiv Schluss mit lustig.
Der Pirat teilt, indem er klaut
Es fehlt an allem in der seit über einer Dekade serbelnden
Musikindustrie. An Geld, an Wertschätzung, an politischer Macht
und an der Aussicht, innert nützlicher Frist wieder zu Geld,
Wertschätzung und politischer Macht zu kommen. Dabei wird derzeit
mehr Musik konsumiert denn je. Und als in diese Epoche der
Niedergeschlagenheit kürzlich auch noch die Botschaft der Politik
aus dem Bundeshaus flatterte, dass das kostenlose Downloaden von Musik
im Internet in der Schweiz legal bleibe, und die Musiker ihre
Verdienste doch gefälligst an Konzerten und mit dem Verkauf von
Fan-Artikeln einfahren sollten, mengte sich in die Niedergeschlagenheit
ein gerüttelt Mass an Konsternation. Und nein, zum Schaffen eines
neuen Selbstvertrauens vermag die M4music 2012 nicht beizutragen. Die
Panels ergeben in der Summe eine Art Panoptikum alltäglicher
Misslichkeiten der Branche.
Das ganze Dilemma wird am Diskussionsforum "Everything is streaming but
the money" offenbar. Es geht um die schlichte Frage, wie ein Musiker in
der Zeit von Streaming-Diensten, Gratis-Downloads, infrage gestellter
Urheberrechten und im Sturzflug begriffener CD-Verkäufe noch Geld
verdienen will. Und die Fronten sind bald klar gezogen: Hier die
besorgten Musiker, da die ratlose Politik und dort die Nerds von der
Piratenpartei, deren Freiheitsliebe so weit geht, dass sie den
kostenlosen Konsum von Musik und Filmen im Internet als eine Art
Grundrecht begreifen. Wenn er im Internet gratis Musik herunterlade sei
das kein Klauen, es sei ein Teilen, sagt der Oberpirat Denis Simonet
und erntet einiges Stirnerunzeln.
Gratis-Musik für alle, das klinge ja sehr verheissend, wirft der
besorgte Musiker ein, wenn er ein offenes Zürich fordern
würde, in dem man überall gratis saufen könnte, dann
fänden das auch alle cool, doch niemand würde ernsthaft eine
Umsetzung in Betracht ziehen. Doch genau das sei mit der Musik im
Internet geschehen. Der denkwürdigste Beitrag stammt von Poto
Wegener, seit Jahren eine Art Oberanwalt der Musikschaffenden.
Als ihm eine Mineralwasserflasche gereicht wird, erklärt er den
Anwesenden, dass ein Musiker, möchte er sich diese Flasche kaufen,
zuerst auf dem allseits als zukunftsweisend gelobten Musikportal
Spotify circa 20 000 Streams generieren müsste. Und dann
hätte er die Flasche erst noch mit seiner Plattenfirma zu teilen.
Die Politik in der Person der Nationalrätin Evi Allemann hebt
ratlos die Schultern, fordert, dass man sich zusammenraufen solle, und
am Schluss einigt man sich auf die Einschätzung, dass da durchaus
viele Probleme seien, man sich aber noch in der Phase der
Auslegeordnung befinde.
Auftritt von Mister Q
Die grossen Abwesenden sind wie üblich die grossen Plattenfirmen,
von denen man gerne erfahren hätte, wieso sie es bis heute nicht
geschafft haben, als eigentliche Eigentümer der Musik, die
Köpfe zusammenzustecken und ein eigenes legales Musikportal zu
etablieren, in dem die Regeln und die Margen nicht von branchenfremden
Firmen wie Apple, Coca Cola oder Nokia gemacht werden. Ebenfalls keine
Feierstimmung herrscht im Konzertbereich, was Panel-Themen wie
"Festivals unter Druck" und "Clubsterben - oder alles Schall und
Rauch?" nahelegen. Auf dem Papier generiert die Konzertindustrie
mittlerweile zwar doppelt so viel Umsatz wie die
Tonträgerindustrie, doch ein erheblicher Teil davon fliesst an
marktmächtige Monopolisten oder an Ticketanbieter, die mit
fragwürdigen Gebühren und ohne unternehmerisches Risiko ein
Millionengeschäft machen. Auch hier ist also der Kummer gross: Die
Festivals beklagen, dass sich die Gagenforderungen der grösseren
Bands in den letzten fünf Jahren um bis zu 200 Prozent erhöht
hätten und dass in ganz Europa immer neue Festivals
hinzukämen, die sich um dieselben wenigen Superstars balgen.
Ob das Heil der Openairs darin liegen könnte, fragt ein Mann aus
dem Publikum, vermehrt DJs auf die Hauptbühnen zu laden, wie dies
bereits immer öfter geschieht. Bringt nichts, antworten die
Festival-Betreiber: Ein DJ, der mit seinem Platten-Koffer und einem
Lichttechniker anreise, verlange die gleiche, oft sechsstellige Gage
wie eine siebenköpfige Band, die mit fünf Sattelschleppern
und zehn Helfern auf Tournee ist. Bezahlt werde der Marktwert, nicht
der Aufwand. Und der einfache Musiker mit einem bisschen Airplay auf
DRS 3 und Virus solle froh sein, in einem solchen Umfeld überhaupt
mitspielen zu dürfen und dafür eine Spesenentschädigung
zu erhalten. Da weiss auch der Beauftragte für Science-Fiction
keinen Ausweg. Immerhin strotzt der Mann vor guter Laune und
Zuversicht: Ralph Simon ist als Erfinder des Handy-Klingeltons und der
Britney Spears in die Musikgeschichte eingegangen. Und in seiner
Multi-Vision-Show preist er die Chance des technischen Fortschritts,
zeigt neue Gadgets wie einen denkenden Turnschuh, einen digitalen
Kugelschreiber und wirkt in seinem kurzweiligen Vortrag wie der
sagenhafte James-Bond-Düsentrieb Mister Q.
Doch an Verwertbarem für die Musikschaffenden hat er nicht viel im
Angebote-Köcher. Ein halsbrecherisches
Gesangsvortrags-Übersetzungs-Tool und die Idee, über Twitter
Musik zu verbreiten. Mehr ist da nicht. Enttäuschung macht sich
breit.
Bädu Anlikers Schlusswort
Selbst beim Thema Clubsterben, zeigt sich, dass es sich nicht um ein
handliches, isolierbares Problem, sondern um ein ganzes
Probleme-Konglomerat handelt. Während in Bern und St. Gallen Clubs
schliessen müssen, weil sich zugezogene Nachbarn von deren
Lärm-Emissionen behelligt fühlen, kämpfen andere
Städte mit anderen Problemen. Die welschen Clubs leiden unter den
hohen Künstlergagen und zu wenig Kultursubventionen, in
Zürich und in anderen grossen europäischen Städten sind
es der zunehmende Konkurrenzdruck und die explodierenden
Immobilienpreise, die immer öfter zu Club-Schliessungen
führten.
Erst ganz zum Schluss hält dann doch noch ein wenig Heiterkeit in
die Hoffnungslosigkeit Einzug. Aber nur ganz kurz. In einer munteren
rotweintrinkenden Runde dürfen ältere Herren wie der einstige
Phongram-Chef Louis Spillmann, Räubergeschichten aus den
Blütezeiten der Musikindustrie zum Besten geben. Da gehts um den
lustigen Ozzy Osbourne, der bei einem Konzert im Bühnensarg
eingeschlafen ist, da gehts um Rammstein, deren Sänger sich an
einer Major-Label-Jahrestagung in Hongkong wie gewohnt showtechnisch in
Flammen setzte und so erreichte, dass sich das halbe chinesische
Hotelpersonal mit Löschequipment auf ihn stürzte.
Und dann kommt der lustige Café-Mokka-Veteran Bädu Anliker
und holt die nostalgietrunkene Runde jählings wieder auf den Boden
der tristen Realität zurück: "Früher waren die Musiker
ja auch scheisse, aber sie waren wenigstens betäubt. Heute sind
sie nur noch scheisse. Torkeln grusslos in den Club, fragen nach WLAN,
spielen für 300 Euro ihr Konzert und räumen dafür den
ganzen Kühlschrank aus, damit sie sich im Hotel die Kante geben
können." Ja, so sieht es heute aus, das romantische Musikerleben.
Nicht gut. Gar nicht gut.
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NZZ 26.3.12
Mehr Eigeninitiative gefragt
Anregende Diskussionen und eindrückliche Konzerte am M4Music
Mit einer Mischung aus Konferenz, Konzerten und Demotape-Wettbewerb hat
das Festival M4Music einmal mehr seine Bedeutung für die Schweizer
Pop-Musik-Szene bewiesen.
Markus Ganz
Auch den Schweizer Pop-Musikern ist seit einigen Jahren klar, dass die
Gratismentalität im Internet die Musikwelt dramatisch
verändert. Lange blieben sie jedoch passiv und meinten, dies sei
in erster Linie das Problem der Tonträgerindustrie. Es brauchte
vielleicht den problematischen Bericht des Bundesrats zur "unerlaubten
Werknutzung über das Internet", um sie zu mobilisieren. Kuno
Lauener etwa erklärte mehrfach, dass die Zukunft von Züri
West unter diesen Bedingungen ungewiss sei. Musiker gründeten
zudem den Verein Musikschaffende Schweiz, der der breiten "Allianz
gegen Internet-Piraterie" beitrat, seine Anliegen aber
irritierenderweise nicht am M4Music bekannt machte.
Das Pop-Musik-Festival des Migros-Kulturprozents ist längst der
wichtigste Treffpunkt der Schweizer Musikszene geworden, an dem im
Konferenzteil auch internationale Fachleute anregenden Diskussionsstoff
liefern. Der Tourneeveranstalter Berthold Seliger etwa widersprach der
weitverbreiteten, auch vom Bundesrat vertretenen These, dank dem
Konzertboom könnten Musiker den Rückgang der
Tonträgereinnahmen kompensieren. Dies gelinge nur wenigen Stars
wie Madonna, meinte er. Wie Andreas Ryser von der Berner Band Filewile
glaubt Seliger, dass zunehmend Konzerne das grosse Geld machten; die
Musik werde aber nur vermittelt, in deren Kreation und in den Aufbau
von Künstlern werde nichts investiert.
Allein schon die Titel anderer Konferenzveranstaltungen verdeutlichten
den Ernst der Lage. Sie lauteten "Everything is streaming but the
money", "Clubsterben" oder "Festivals unter Druck". Trotzdem dominierte
am M4Music eine zaghafte Aufbruchstimmung. An einigen
Podiumsdiskussionen wurden neue Chancen wie das Crowdfunding oder der
vereinfachte Verkauf von Nutzungsrechten vorgestellt, die das Internet
eben auch eröffnet. Klar wurde allerdings, dass Musiker aktiver
und unternehmerisch denkend werden müssen, wenn sie davon
profitieren wollen. Auch solche neuen Dienste zwacken zudem einen Teil
der Einkünfte ab und dürften einige Musiker überfordern,
da sie zusätzliche Fachkenntnisse voraussetzen.
M4Music ist jedoch nicht nur ein Anlass für die Musikbranche, die
dieses Jahr mit 700 Personen vertreten war. Weitere 6600 Besucher
wurden von den 53 Bands angelockt, die an den drei Tagen in Lausanne
und in Zürich auftraten. Zwei Drittel der Gruppen kamen aus der
Schweiz und legten Zeugnis einer unvermindert vitalen Musikszene ab.
Allen Widrigkeiten zum Trotz ist der Durchbruch zum gefeierten
Künstler immer noch möglich, wie dies Bastian Baker aus
Lausanne gleich mit seinem Debütalbum bewiesen hat - und dies mit
unspektakulären Folkpop-Balladen. Live bestätigte er, dass
gutes Handwerk die Basis für einen solchen Erfolg ist. Noch
wichtiger dürfte beim erst gut 20-jährigen Singer/Songwriter
sein, dass er mit seiner einschmeichelnden Stimme junge Frauen zu
betören vermag.
Sicherheitsleute mussten diesen nach dem Konzert einen Weg durch die
bereits vehement um Einlass drängenden Fans des nachfolgenden
Künstlers bahnen. Kein Wunder, denn mit Mark Lanegan trat eine der
herausragenden Figuren des Grunge im kleinen Moods auf. Der ehemalige
Sänger der Screaming Trees zeigte mit den Songs seines neuen
Albums "Blues Funeral", dass er einen einzigartigen Ausdruck gefunden
hat, der für anhaltenden Erfolg nötig ist und gerade Bastian
Baker noch fehlt. Mit dem beschwörenden Gesang seines
bröckligen Baritons verlieh Mark Lanegan seinem Bluesrock eine
hypnotische Wirkung, aus dem man sogar Elemente aus Gothic und Disco
sowie Anspielungen an Leonard Cohen und U2 heraushören konnte.
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Tagesanzeiger 26.3.12
Gute Nachtgeschichten
Juso wollen billigen Alkohol für Jugendliche
Alex Flach
Mit einem offenen Brief haben die Genossinnen und Genossen der Juso
Preisüberwacher Stefan Meierhans aufgefordert, die Eintritts- und
Getränkepreise der Clubs zu überprüfen. Damit packen die
Juso das
(junge) Volk auf populistische Weise bei der Brieftasche und generieren
Medienberichte. Ein legitimes Vorgehen, berücksichtigt man, dass
die
politische Gegenseite mit ebendiesem Vorgehen von jeher Erfolge
verbucht. Ernst kann es den Juso mit ihrem imperativen Ruf nach
günstigeren Club-Preisen hingegen nicht sein, da zu naiv und
undurchdacht. Das Eintrittsgeld und der Getränkeverkauf an der Bar
sind
die einzigen Einnahmequellen der Clubs, von denen zwei Arten
existieren: jene, die ein anspruchsvolles Kulturprogramm mit
Gagen-intensiven DJs, Musikern und Bands bieten, und solche, die
vornehmlich von ihrer Ausstrahlung, einem meist vergänglichen
Hype,
profitieren. Man kann die Spreu vom Weizen trennen, indem man sich im
Internet die Monatsdaten der Clubs anschaut und sich ein bisschen
über
die dort spielenden DJs informiert.
Müssten nun, wie von den Juso verlangt, alle ihre Getränke-
und
Eintrittspreise massiv senken, würde das vor allem jene hart
treffen,
die ihrem Publikum ein anspruchsvolles Programm bieten, denn die
betroffenen Betreiber könnten sich niveauvolle und daher mit
teuren
Gagen verbundene Gigs und DJ-Sets im bisherigen Umfang nicht mehr
leisten. Profitieren würden die Lokale mit dem billigsten und
damit
anspruchslosesten Programm. Dass es Preisabsprachen gibt, wie von den
Juso vermutet, stimmt nicht: Im Nachtleben bekämpfen sich die
Konkurrenten wie in anderen Branchen auch, besonders seit in den
letzten Jahren die Breite des Angebotes und damit auch die Konkurrenz
stark zugenommen hat. Dieser steigende Konkurrenzdruck hat auch etwas
Positives: Die Clubs versuchen, sich im Kampf ums Publikum mit
exzellenten und teuren Line-ups gegenseitig zu übertrumpfen, mit
dem
Resultat, dass sich hierzulande die Weltklasse-Jockeys die Klinke in
die Hand drücken.
Die von den Juso geforderte massive Senkung der Eintritts- und
Getränkepreise würde primär Folgendes bewirken: massive
Verschlechterung des kulturellen Angebotes aufgrund sinkender Einnahmen
und gleichzeitige Zunahme der Alkoholabgabe an Jugendliche aufgrund
tieferer Preise - das kann nicht im Sinne verantwortungsvoller
Politiker sein. Clubs sind keine staatlich geförderten
Institutionen
mit entsprechenden Verpflichtungen, sondern freie Marktteilnehmer. Die
Juso wollen nun aber die Lösung des (ihrer Ansicht nach
gesellschaftlichen) Problems, dass sich wegen der hohen Preise in den
Clubs nur noch reiche Kids ihre Drinks leisten können, auf
ebendiese
freien Marktteilnehmer abwälzen. Da stellt sich die Frage, wieso
die
Juso nicht einfach selbst sogenannte Botellones veranstalten: An diese
Massenbesäufnisse kann jeder die Getränke selbst mitnehmen
und teure
DJs und Livebands müssen auch nicht gebucht werden, da es nicht um
die
Musik geht, sondern nur um den kollektiven Absturz.