MEDIENSPIEGEL  9. - 15. April 2012

20 Minuten 13.4.12

Stadtberner zahlen 10-mal mehr für ihre Sicherheit

BERN. Verglichen mit den Landgemeinden kostet die Sicherheit in der Stadt bis zu zehnmal mehr. Dies soll sich nun ändern.

Seit der Einführung von Police Bern im Jahr 2008 gibt es für Stadt und Kanton Bern nur noch ein Korps, jenes der Kantonspolizei. In der Finanzierung ist von Einheit aber keine Rede: So bezahlt ein Einwohner der Stadt Bern über seine Steuern 231 Franken, einer aus Spiez oder Steffisburg dagegen bloss 23 Franken für die polizeiliche Grundversorgung. "Diese massiven Unterschiede sind nicht gerechtfertigt und störend", findet SP-Grossrat Markus Meyer. Der Präsident des Polizeiverbands Bern-Kanton wehrt sich nun mit einem parlamentarischen Vorstoss und fordert, dass die Kosten künftig kantonal geregelt werden. "Sicherheit ist ein Produkt des Service public", so Meyer. Es sei eine Frage der Fairness, dass diese für alle Bewohner des Kantons gleich teuer ist.

Auch Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) sympathisiert mit dieser Idee: "Eine solidarische Mitbeteiligung des ganzen Kantons wäre wünschenswert", findet Nause. Von vielen städtischen Angeboten, wie etwa dem Nachtleben, das einen grossen Teil der Sicherheitskosten verursache, würden schliesslich nicht nur die Stadtberner profitieren. In Spiez sieht man das anders: "Der rein monetäre Vergleich der Polizeikosten greift zu kurz. Es liegt auf der Hand, dass ein Gemeinwesen, das über mehr öffentliche Einrichtungen und publikumsintensive Events verfügt, auch höhere Kosten aufwenden muss", so Gemeindepräsident Franz Arnold (SP).

Nathalie Jufer

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WoZ 12.4.12

Film

Alles Terroristen?

"Der Terrorverdacht ist eine Möglichkeit, die Grundrechte zu überspringen", sagte die österreichische Schriftstellerin Marlene Streeruwitz an einer Veranstaltung in Zürich im vergangenen Dezember. Der Verdacht lauert heutzutage an vielen Orten: Da reichen ein besitzloser Koffer in einer Bahnhofshalle, eine andere politische Einstellung oder der Wille nach Freiheit.

Doch wo bleibt der Widerstand? Diese Frage stellt sich das Kino in der Reitschule Bern und zeigt im April und Mai Filme, die verschiedene Ansätze des Widerstands beleuchten. Den Auftakt macht "The Weather Underground" (2002) von Sam Green und Bill Siegel. Der Dokumentarfilm beleuchtet die Vorgeschichte und die Aktivitäten der gleichnamigen US-amerikanischen Stadtguerilla. Ihren Namen hat die Gruppe, die 1969/70 aus dem US-amerikanischen Studierendenbund Students for a Democratic Society (SDS) hervorging, aus einem Liedzitat von Bob Dylan abgeleitet: "Du brauchst keinen Wettermann, um zu wissen, woher der Wind bläst." Die Filmemacher lassen AktivistInnen von damals zu Wort kommen und zeigen auch, wie das FBI illegale Methoden in der Bekämpfung der Revolte anwandte.

Ein weiterer Film in der Reihe ist die japanische Dokufiktion "United Red Army" (2007) von Koji Wakamatsu. Der Film erzählt von der Radikalisierung der 1971 gegründeten United Red Army. Und schliesslich ist mit "Paradise Now" (2005) ein Spielfilm zu sehen, der von zwei Männern erzählt, die für ein Selbstmord­attentat in Tel Aviv bestimmt werden. süs

"The Weather Underground" in: Bern Kino in der Reitschule, Fr/Sa, 13./14. April, 21 Uhr. www.reitschule.ch

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Bund 12.4.12

"Marilyn's Dead"

Geschwister im Geiste

Was hat die Tochter von Ödipus mit Marilyn Monroe zu tun? Und was passiert, wenn Sophokles' Tragödie einen Hip-Hop-Soundtrack erhält? Auf diese Fragen liefert "Marilyn's Dead/Antigone Liveact" eine Antwort. Begleitet wird das Stück um Geschlechterkampf und Rebellion von Rapper Tsigan, der seinerzeit bereits mit "Früälig in Bümpliz" die Revolution in Berns Westen ausgerufen hat. (hjo)

Tojo Theater Mi, 18., bis Sa, 21. 4., 20.30 Uhr und So, 22. 4., um 19 Uhr.

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Bund 12.4.12

Tojo-Theater

Die eigene Geschichte als Kapital

"Sie tschegged s'Ganze nöd", hier in Bern, wo die Leute "nicht so kritisch gucken wie in Zürich". Denn Bern sei lediglich eine Art Zwischenstation. Da war im Oktober letzten Jahres die 25-stündige Vorstellung im Kleintheater Luzern, in der Schauspieler und Regisseur Julian M. Grünthal unter anderem nackig herumsprang, im Backstage eine schnelle Nummer mit einer Anwesenden schob und letzten Endes zusammenbrach. Angeblich. Davon erzählt jedenfalls das vor Ort aufgenommene Videomaterial, das nun stückweise eingespielt wird oder tonlos im Hintergrund läuft.

"Nico's Love" der Gruppe Grenzgänger sei ein Filmprojekt, das nach dem Dogma funktioniere: Es wird nur gezeigt, was auch erlebt wurde, erklärt Grünthal dem Publikum. Während bereits in Luzern eine Filmcrew vor Ort war, sitzt auch in der Berner Aufführung ein Mann mit Handkamera (Benjamin Dobo) am Bühnenrand und zeichnet das Geschehen auf. Und für dieses braucht es eine "spannende Geschichte", nämlich diejenige von Nikolai Bosshardt (Penislänge 8,5 cm, Schauspieltyp Nr. 7).

Was nun tatsächlich passiert ist, was stimmt und was gelogen ist, das bleibt bis zum Schluss im Unklaren. Gleichzeitig verfolgt die Gruppe um Grünthal eine Dramaturgie des permanenten Offenlegens. Man lässt sich frühere Kritiken vorlesen ("ein verwirrendes und manipulatives Spiel"), bedankt sich namentlich bei Journalisten und Stiftungen für die Unterstützung und reflektiert die eigene Aufgabe als Schauspieler. Nicht ums Vortäuschen gehe es dabei, sondern darum, die eigene Geschichte als Kapital zu nutzen. Denn: "Ein Schauspieler, der nicht bereit ist, sein Innerstes nach aussen zu kehren, gehört erschossen und verbrannt."

"Nico's Love" ist ein verwirrendes Film- und Theater-Konstrukt, das auf gelungene Weise die oft geforderte Authentizität in der Kunst als unmögliches Unterfangen demaskiert. Das hat zwar eine pointierte Aussage, funktioniert auf der Bühne aber nur mittelmässig. Denn täuschen lässt man sich als Theaterzuschauer einfach zu gerne.Lena Rittmeyer

Weitere Vorstellungen: 12. bis 14. April, jeweils um 20.30 im Tojo-Theater.

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Hotelrevue 12.4.12

Erst speisen, dann tanzen

Das besondere Konzept Was, wenn sich ein Lokal an einem "Unort" befindet? Dann muss ein Betrieb mit spezieller Ausrichtung her: das Restaurant Kapitel in Bern.

Franziska Egli

Es ist, vorsichtig ausgedrückt, eine etwas heikle Ecke, jene zwischen Hodlerstrasse und Bollwerk in Bern. Dort, wo nicht nur der Dauerverkehr der Stadt-Tangente das Bild dominiert, sondern auch die Zugstrecke Bern-Zürich direkt vor der Nase durchführt. Da, wo man sich ausserdem mitten in Berns Bermudadreieck von Regionalgefängnis, dem autonomen Jugendzentrum Reitschule sowie der Drogenabgabestelle befindet.

Mit ihrem Konzept werden sie mehreren Ansprüchen gerecht

Ob asiatische Restaurants oder - wie bis vor einem Jahr - die Brasserie Bollwerk: Diverse Gastrobetriebe haben an dieser Ecke, am Bollwerk 41, ihr Glück versucht, und viele haben das Handtuch geworfen. Zu schwierig ist der Standort, um allein hungrige Flaneure und lukullisch interessierte Laufkundschaft anzuziehen. Die neuen Betreiber hat das nicht abgeschreckt, im Gegenteil. Gastronom Tom Weingart und Bauarbeiter Fausto de Siena hatten zuvor einen Nachtclub in Bern betrieben, Betriebswirtschafter Diego Dahinden war bislang als Veranstalter tätig. Und als die junge, umtriebige Herrenrunde erfahren hatte, dass das Lokal an dieser "sehr lebendigen und sehr zentralen" Ecke zu haben war, wussten sie sofort: "Hier sind wir am richtigen Ort. Dieser ist ideal für ein modernes, urbanes Konzept, wie es uns vorschwebte", erzählt Diego Dahinden. Ein Konzept nämlich mit verschiedenen Ausrichtungen, mit - Nomen est omen - verschiedenen Kapiteln eben.

So soll das "Kapitel" in erster Linie zwar ein Restaurant sein, aber im Gegensatz zu seinen Vorgängern nicht ausschliesslich: Es ist Café-Bar und Lounge tagsüber, bietet des mittags jeweils drei Menüs und abends eine regionale, saisonale Küche. Am Wochenende schliesslich und zu fortgeschrittener Stunde verwandelt sich der Betrieb in einen Club mit Live-Sound von House über R&B bis Italo-Pop. So, überlegten die drei, kommen Schnellverpfleger ebenso auf ihre Kosten wie Feinschmecker und Party­tiger, so "trifft Speisen auf Musik, Tag auf Nacht".

Der Umbau war wichtig, um eine neue Ära einläuten zu können

Das passt genau in die Überlegungen, die man sich auch bei der Buchschacher AG gemacht hat, welche die Liegenschaft verwaltet: "Uns war irgendwann klar", so Bruno Moser, "dass es an dieser Ecke ein Lokal mit breiterer Ausrichtungen braucht. Eines, das Mittagsmenüs für die umliegenden Firmen und abends ein Angebot mit breitgefächertem Programm bietet."

Zusammen mit Freunden hat das Trio dem Lokal mehr als nur einen neuen Anstrich gegeben. "Da musste etwas Neues hin, da musste unser Ding hin", sagt Dahinden. Die Bar ist aus dunklem Holz, die Betonwand wurde lediglich verputzt, überhaupt sorgen schlichte Farben und Formen für viel Ruhe. Umso verspielter gestaltet sich der Lounge-Bereich mit seinen Jugendstil-Fauteuils, den Vintage-Lampenschirmen und der Londoner Telefonkabine.

Hier wird zu später Stunde Geselligkeit pur zelebriert. Und die erfolgt übrigens meist wie aus Zauberhand: Eben noch genoss man ein "Kapiteli" - eine Art Vorspeiseteller à la Tapas -, einen Brotsalat oder gar frische Felchenfilets, und schon ist das Lokal ein anderes. Das Licht ist schummrig, das Mobiliar weggestellt, und das DJ-Pult rückt ins Zentrum des Geschehens. "Die speisenden Gäste haben Priorität", betont Dahinden: "Nach ihnen richten wir den Start unseres Abendprogramms aus." Aber ein fliessender Übergang ist ihnen wichtig. Und so kann es schon mal vorkommen, dass ein eben noch speisender Gast sich später beim Abtanzen wiederfindet.

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Bund 12.4.12

Aufsichtsbeschwerde gegen Polizeieinsatz bei WEF-Demo

Die Menschenrechtsorganisation Augenauf Bern will, dass die Polizeiaktion anlässlich der Anti-WEF-Kundgebung vom 21. Januar in Bern untersucht wird. Die Polizei hatte die Demonstranten am Bollwerk eingekesselt und 172 Personen festgenommen. Augenauf hat nun beim kantonalen Polizeidirektor Hans-Jürg Käser eine Aufsichtsbeschwerde eingereicht, wie sie gestern mitteilte. "Die Einkesselung und die Verhaftung zahlreicher Demonstrantinnen und Demonstranten wie auch deren Behandlung in den Festhalte- und Warteräumen werfen erhebliche Fragen auf", schreibt Augenauf. Zahlreiche Personen seien präventiv und auf blossen Verdacht hin festgenommen worden. Dieses Vorgehen stelle eine nicht zulässige Einschränkung der Versammlungsfreiheit dar. (sda)

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BZ 12.4.12

Beschwerde gegen Polizei

Anti-Wef-Demo · Die linke Menschenrechtsorganisation "Augenauf Bern" fordert, dass der Polizeieinsatz bei der unbewilligten Anti-WEF- Demonstration im Januar untersucht wird.

Der Polizeieinsatz bei der Anti-WEF-Demo am 21. Januar soll ein Nachspiel haben. Das fordert die linke Menschenrechtsorganisation "Augenauf Bern". Vertreter der Organisation haben eine Aufsichtsbeschwerde bei Regierungsrat Hans-Jürg Käser eingereicht und eine Untersuchung des Polizeieinsatzes beantragt. Die Einkesselung und Verhaftung zahlreicher Demonstrantinnen und Demonstranten sowie deren Behandlung in den Festhalte- und Warteräumen werfe erhebliche Fragen auf, steht in einer Mitteilung von "Augenauf Bern". Die Vertreter berufen sich auf die Artikel 3, 5, 6, 8, 10 und 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention.

Mit einem Grossaufgebot hat die Polizei am Samstag, 21. Januar, die unbewilligte Demo von WEF-Gegnern bereits im Keim erstickt. Die meist vermummten und teilweise bewaffneten (Pfeffersprays, Petarden, Schleudern) Aktivisten forderten die Polizei auf, den "friedlichen Umzug" zuzulassen. Die Demonstranten wurden kontrolliert und in Festhalteräume im P + R Neufeld transportiert. Dort wollten mehrere Personen die Räume aufbrechen, worauf die Polizei Tränengas einsetzte. 153 Personen werden wegen Landfriedensbruchs angezeigt. rah

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BZ 11.4.12

Revoluzzer mit Blick fürs Wesentliche

Greis · Der Berner "Rap-Veteran" Greis legt auf seinem vierten Album "Me Love" die strikte Antihaltung ab und widmet sich neben der Politik auch der Liebe und der Leidenschaft für Sonnenbrillen.

Politrapper, Ökoaktivist, Revoluzzer, Cüplisozialist, Klugscheisser oder Schnittlauchgrüner - allesamt Übernamen, die Grégoire Vuilleumier alias Greis seit seinem Debüt vor neun Jahren verliehen wurden. Verherrlicht von der Linken, verachtet - oder zumindest belächelt - von der Rechten. Ein Musiker, festgefahren in einem Image, das zwar zum Teil seine persönlichen Anliegen widerspiegelt, aber längst nicht alle Facetten des Menschen dahinter abdeckt. Schon lange versuche er dieses Bild der Öffentlichkeit zurechtzurücken, erzählt Greis. "Ich habe eigentlich gedacht, dass schon das dritte Album recht frei von Zwängen in dieser Richtung war", meint der 34-Jährige zu seinem Image. "Aber nach einem halben Jahr auf Tour musste ich mir eingestehen, dass doch nach wie vor alles recht leidend, gedrängt und kryptisch tönte."

Neue künstlerische Freiheit

Mit "Me Love" scheint dem Berner Musiker und Mitglied der Band PVP nun der Schritt in eine neue Richtung gelungen zu sein. Bereits der Titel impliziert eine Pro- anstelle einer Antihaltung. Und so rappt er von den Comichelden seiner Kindheit, macht Anspielungen auf seine Sonnenbrillen-Sammelwut, zollt dem verstorbenen DJ Mehdi Tribut und erzählt von der Liebe. "Ich lebe jetzt schon seit einiger Zeit in einer festen Beziehung. Das gibt mir viel Halt", erklärt er seine neu gefundene künstlerische Freiheit: "Dadurch definiere ich mich endlich auch nicht mehr nur über meinen musikalischen Output."

Auch eine gewisse Altersmilde in Bezug auf explizit politische Inhalte kann der Rap-Veteran nicht abstreiten: "Heute verrenne ich mich nicht mehr in jedes Thema. Mein politisches Engagement ist wohl tatsächlich etwas pragmatischer, aber damit hoffentlich auch effizienter geworden." Überhaupt seien er und seine Bandkollegen Claud und J. J. Flueck nicht mehr so verbissen an die Sache herangegangen wie früher. Sie hätten abgemacht, dass sich jeder alternative Einnahmequellen suche, um ohne Druck am Album arbeiten zu können. Dass jetzt - nach rund zwei Jahren steter, aber nie gestresster Arbeit - der Release von "Me Love" Tatsache wird, sei nicht zuletzt das Verdienst von Greis' Mutter: "Hätte sie nicht gemeint, jetzt sei fertig mit ‹Lauere›, hätte ich das Erscheinungsdatum des Albums wohl nochmals ein halbes Jahr hinausgezögert."

Fernab von Gängigem

Musikalisch macht sich die relaxte Arbeitsweise von Greis und seinem Team positiv bemerkbar. Produzent Claud hat seinen ureigenen Sound verfeinert und weiterentwickelt. Klassische Streichersätze und Pianolinien treffen auf eklektische Synthesizermelodien und allerlei verfremdete Vocal-Samples. Daraus ergibt sich ein moderner Sound fernab von gängigen Standards. Greis selbst wechselt mühelos zwischen französischen und berndeutschen Texten. Sein Rap ist längst über alle Zweifel erhaben, bei seinem Gesang macht sich der positive Einfluss der Gesangslehrerin bemerkbar.

Besonderen Wert legt Greis auf die Liveumsetzung von "Me Love". Das bewährte Bühnenteam mit J. J. Flueck an den Drums und Claud an den Plattenspielern wird neu von Ben Noti mit seiner akustischen Gitarre ergänzt. Um den schleichend einsetzenden, körperlichen Gebrechen eines Rap-Veteranen mit 15 Jahren Bühnenerfahrung entgegenzuwirken, verspricht Greis zusätzliches Spektakel: "Ich kann schlicht nicht mehr neunzig Minuten rumhüpfen und das Publikum animieren. Dafür werden wir auf dieser Tour entweder mit spektakulären Visuals oder einer fulminanten Lichtshow aufwarten." Patrick Sigrist

Greis: "Me Love", Soundservice. Erscheint am Freitag. Do, 12. April: Mitternachtsverkauf mit Autogrammstunde und Showcase, ab 23 Uhr, Olmo, Bern. CD-Taufe: Sa, 28. April, 22 Uhr, Dachstock der Reitschule, Bern.

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Aargauer Zeitung 11.4.12

Wann "switcht" Greis ins Französische?

Rap · Greis hat ein immer längeres Ohr für Pop. Und läuft ihm das Herz über, singt er "en français"

Albert Kuhn

Wie würde sich Greis völlig Unbekannten vorstellen?

Greis: Ich komme aus Lausanne oder aus Bern, je nachdem, was mir gerade besser passt. Wohnen tue ich in Basel. Im Moment hab ich das Glück, Musik zu machen, ohne dass ich muss. Ich habe zum ersten Mal die Flexibilität, morgen den Job zu wechseln.

Was denn? Sanitär?

Sanitär, Lehrer, Verkäufer ... Einfach irgendwas. Imbissbude war immer ein Thema.

Was würde da serviert?

Im Moment gehen nur Hotdogs oder Döner. Aber wenn Hotdogs, dann mit getoastetem Baguettebrot, seitlich aufgeschnitten, wozu man Merguez haben kann oder Tofuwürstli. Dazu Koriander, Tomatensalat und so. Am liebsten koche ich sowieso mit der Freundin.

Wie kams zur Hongkong-Connection?

Claud ist mein Produzent. Er macht auch Beats für Kuchikäschtli, Curse, Joy Denalane. 2010 flog er über Neujahr nach Kowloon, Hongkong - und hat sich stracks verliebt. Paradox: Claud braucht Ruhe und Zurückgezogenheit und logiert in Hongkong. Und ich fühle mich nur in der Reizüberflutung wohl - aber er flieht an den allerruhigsten Ort in Rom: das Istituto Svizzero.

Wie funktioniert das interkontinentale Komponieren?

Claud wollte immer, dass wir im Studio und wie eine Band funktionieren: er am Computer, ich am Mikrofon. Ich sollte jeweils die zündenden Refrain-Ideen aus dem Ärmel schütteln, pünktlich. Das hat mich unglaublich eingeschüchtert. Ich konnte mich nur so weit blossstellen vor Claud, dass ich irgendwelche Sachen johle, eine Selbstfremdbeschämung. Drum wars cool, dass wir erst aus Distanz arbeiteten.

Wie liefen die Aufnahmen?

Es hat viel Zeit gebraucht, bis ich aus mir rauskam. Dann kam endlich das Bandgefühl. Aber der grösste Teil meiner Texte - die ich super fand - sind aus dem Album geflogen. Was soll das? Schliesslich stellte ich Claud zur Rede: "Was isch jitz mit däm Song?" Und der meinte, er findets gut - aber vielleicht nicht zu diesem Lied. Wie diplomatisch!

Also ein angenehmes Spannungsverhältnis?

Was ich an Claud mag, ist sein kompositorischer Ansatz. Die Kinderkrankheit des Rap ist immer noch: Der Rapper ist so dominant, dass gar keine Songstruktur entstehen kann. Nur Strophe, Refrain, Strophe, Refrain. Claud aber schichtet - wie in der klassischen Musik oder im Pop - Lieder mit Spannungsaufbau. Damit wird des Rappers Stimme ein Instrument unter vielen, er muss singen, phrasieren, all das. Beim neuen Album sagte ich: Vergiss es, ich bin kein Sänger. Ich bin Rapper und mach Strophen und Refrains. Nun flick das zusammen, Claud!

Kutti MC fing ja damit an, das Korsett des Rap zu sprengen. Ein Affront?

Kutti hat auf die Form des Rap geschissen, auf unsere Reime, unsere Technik. Bei ihm breitet sich der Inhalt aus, wie er will. Und deswegen waren wir superneidisch, ich jedenfalls. Es war, als käme einer an ein Turnertreffen und präsentiert einen Purzelbaum. Dafür mit einem geilen Gesichtsausdruck. Und ich fand: du Arsch!

Ist das Neid? Oder Verrat? Wie geht eine Szene damit um?

Klar kommt bei Kutti der Inhalt geiler rüber - weil er eben das formale Rap-Korsett nicht hat. Ich musste irgendwann einfach begreifen, dass er das darf und dass das geil ist. Und mir ebenfalls zugestehen, dass ich das nicht kann, aber auch nicht will. Ich brauche dieses Korsett, es ist meine Form. Die Form ist mir heute wichtiger als der Inhalt. Kutti hat unsere Denkweise völlig infrage gestellt. Lustig ist aber, dass er - jedenfalls in der Kooperation mit Stephan Eicher bei "Freischwimmer" - wieder auf strengere Formen zurückkommt.

Was ist Ihre Antwort auf Kutti?

Ich wollte immer anspruchsvolle Form mit einem anspruchsvollen Inhalt kombinieren. Aber mit meinen aktuellen Hörgewohnheiten, die eher weggehen vom Rap - der per se eine anstrengende Musik ist -, will ich heute Musik machen, die ich selber höre. Also Phoenix, Feist, Gonzales, Azealia Banks, Kano, UK-Rap und Santigold. Anspruchsvolle Popmusik.

Ab wann nennt ein Rapper seine Freundin "Bitch"?

Puuh. Du meinst den Song "Mini Bitch"? Der bezieht sich auf die Schweiz: "Du bisch mini ‹Bitch› und e dini." Ich habe jedenfalls meine Freundin noch nie "Bitch" genannt.

Der Song "Dini Verve" - da müssen wohl die meisten erst googlen?

Das Wort steht am Ursprung des Songs. "Dini Verve isch animalisch." Danach hab ichs verwässert, weil ich vermute, das versteht keiner. Und schrieb: "Din Swing bringt mis Härz zum Bäbe." Zweimal. Und am Ende heissts wieder "Verve". Das ist für mich Swing, Gestik, Grazie.

An welchem Punkt flüchten Sie ins Französische?

Eigentlich finde ich zweisprachige Songs - bemüht. Ich will keinesfalls den Röstigraben zuschütten. Aber dann fiel mir auf, dass gewisse Vokale französisch einfacher zu singen sind. Zwar nimmt die Verständlichkeit ab - dafür wirds musikalischer. Pathos-Grenzen liegen in Deutsch und Französisch an einem total anderen Ort. Man kann auf Französisch Dinge sagen, die auf Deutsch völlig jenseits sind. Sarkasmus etwa wirkt auf Deutsch geradezu brutal. Auf Französisch kann man viel pathetischer sein, darf weiter gehen. Und noch weiter. Greis Me Love. Sound Service.

LIve: 28.4. Bern, Dachstock (Plattentaufe); 4.5.Basel Schiff; 11.5. Lenzburg, Tommasini; 23.6. Openair Liestalair Liestal.

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Greis: ein wahrer "French Lover"

Manchmal sieht man, aus welchen Gründen auch immer, erst spät in eine Karriere hinein. Im Greisenalter. Hört den Greis hier als Intellekt-Rapper vorgestellt. Später als Berserker beschrieben, der offenbar zweimal pro Zeile die Welt retten wollte. Und dann spricht man mit einem irgendwie flüssigen, wendigen, charmanten Typ mit einem Hauch Anarcho-Flair, der auch französisch rappt oder singt. Selten laut wird. Im Gegensatz zu Stress kein spuckendes, sondern ein Konversations-Französisch. Eines seiner - vermutlich sehr zahlreichen - Geheimnisse wäre irgendwo ein Bett in Paris. So kommt er einem vor. Mit solchen Fantasien würde man ihn als Filmfigur ausrüsten. Intim auch sein neues Album, "Me Love" betitelt. Die zarteste Verführung, seit es Toblerone gibt. Man würde ihm dies und das zutrauen. Aber auch anvertrauen. Er hat sich die Rechte am Wort "Verve" gesichert. Und wenn er nicht mehr weiterweiss, dann versucht ers halt auf Französisch. (ak)

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Bund 11.4.12

Kompass

Das Gespräch als soziale Plastik

Alexander Sury

Stellen Sie sich eine Gesprächsreihe in der Berner Stadtgalerie vor unter dem Titel "MAYBE THINKING", die zwar öffentlich angekündigt, aber bewusst unter Ausschluss der Öffentlichkeit durchgeführt wird (www.stadtgalerie.ch). Paradox, nicht wahr? Im Raum befinden sich lediglich ein Gast, zwei Moderatoren sowie ein Tisch, Stühle, Wein und Gläser. Am 15. März war zum Beispiel die Kuratorin Kathleen Bühler zu Gast, am 12. April wird der ehemalige Direktor des Kunstmuseums, Hans Christoph von Tavel, die Gesprächsreihe beschliessen.

Für Aussenstehende finden die Diskussionen in diesem "Denk- und Gesprächsraum" nur in ihrer Vorstellung statt. Die Gespräche selber werden nicht aufgezeichnet, sondern überleben nur in der Erinnerung des Gasts und der Moderatoren. Provokant, nicht wahr? Einer der Initianten, Martin Beutler, lässt ausrichten, die bisherigen Gespräche in der Tradition des Konzeptkünstlers Ian Wilson seien eine "Wucht" gewesen. Ein bekannter Berner Kunstpublizist, der am 29. März in der Stadtgalerie zu Gast war, gibt dem neugierigen Journalisten zu be- denken, nicht alles müsse medial verstärkt werden. Er lässt sich doch so viel entlocken: Im Rahmen der Ausstellung "NEUstadt-lab 20stops" werde in diesem "Privatissimum" über das Entwicklungspotenzial von Berns "Neustadt" zwischen Waisenhausplatz, Schützenmatte und Bierhübeli diskutiert.

Ganz und gar öffentlich zugänglich ist hingegen am 21. April die Finissage, die mit einer Intervention im Geiste der "sozialen Plastik" auf die Realität als veränderbares Konstrukt hinweist. Was eine "soziale Plastik" ist? Leicht verkürzt gesagt: die Kunst, Realität zu gestalten (www.soziale-plastik.ch). Eine aus massivem Eichenholz geschnitzte Bernmobil-Infosäule wird als Busstop vis-à-vis der bestehenden Bushaltestelle Bollwerk verankert - "als Irritation und Referenz zum Kulturraum vor Ort erhält die Skulptur den Namen "Reitschule". Praktisch, nicht wahr?

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kulturstattbern.derbund.ch 9.4.12

Kulturbeutel 15/12

Von Gisela Feuz am Montag, den 9. April 2012, um 05:03 Uhr

Frau Feuz empfiehlt:
Gehen Sie am Donnerstag mit Bumshankar deren neue Platte "Gurushopping" taufen im Rössli der Reitschule. Geboten wird ein wilder Mix aus Breakbeats, Reggae, Dub und Rock. Am Sonntag empfiehlt sich dann ein Besuch im ISC. Dort spielen die Strange Boys aus dem staubigen Austin in Texas 60er Jahre inspirierten Garagenrock mit einem Schuss Punk und Blues.

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