MEDIENSPIEGEL 14. - 20. MAI 2012

kulturstattbern.derbund.ch 20.5.12

Shit Fest

Von Gisela Feuz am Sonntag, den 20. Mai 2012, um 18:53 Uhr

Frau Feuz war gestern an einem Shit Fest, welches aber alles andere als Shit war. Zwar stand der Gitarrist der Berner Garagen-Rock'n'Roll Truppe The Shit mit einem Leistenbruch auf der Bühne, Sänger Butler war in der Nacht vorher die Wohnung ausgeräumt worden und die Vinyl-Pressung hatte es trotz Eilauftrag nicht mehr rechtzeitig an das Gönner-Fest geschafft. Dafür aber waren Ambiente und Stimmung wunderbar familiär und der verzerrrte und apokalyptische Country-Rock, den Blind Banjo Aregger & Oklahoma Butcher ablieferten, fürwahr grandios.

Ja genau. Blind Banjo Christian Aregger ist derjenigen Gitarrist, den sich gewisse Leute gerne in den Schrank stellen würden. Bloss günstig im Unterhalt ist der dann nicht, wie gestern am Grill beobachtet werden konnte.

The Shit werden am 8. Donnerstag 7. Juni im Rössli der Reitschule hochoffiziell ihr neues Album "Dingleberry Fields Forever" taufen.


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kulturstattbern.derbund.ch 20.5.12

Werkschau

Von Benedikt Sartorius am Sonntag, den 20. Mai 2012, um 03:47 Uhr


Ein langer Abend wars,
und ein schöner Abend im Dachstock: Ganze sechs Bands waren programmiert am Aufeinandertreffen der schönen Labels Voodoo Rhythm und A Tree in a Field, wobei das Schwergewicht auf dem Basler Plattenhaus lag.

Auf zwei Bühnen gab es mehr oder weniger gleich lang u.a. Roy and the Devil's Motorcycle, die Math-Lärmer Flimmer, die Meditation von Combineharvester und, offiziell zum Schluss, der scheunenstürmende Fai Baba mit seiner Band zu hören. Wie die Runden detailliert ausgegangen sind, wer in den Seilen hing und wer Punktsieger wurde, lesen Sie in einigen Stunden auf diesem Kanal nach einem Klick auf Weiterlesen.

Intro: Markus Stähli & Papiro

Zum Auftakt des Abends gibts analoge Space-Fantasien aus dem noch kaum gefüllten Publikumsraum: Markus Stähli - einer der Roys-Gebrüder - und Marco Papiro flirren analog und suchen Kontakt zu einer imaginären Weltraumstation. Der Dachstock-Giebel leuchtet blau, das Dach scheint entrückt.

Runde 1: Combineharvester

Hohe, echoende, ganz leise Geisterstimmen, nach fünf Minuten setzt die raspelnde Gitarre ein und man dringt immer tiefer ein in die Klangmeditation "Some Ditty A Mountain II" von Combineharvester alias Marlon McNeill ein, der das Label A Tree in a Field gründete. Irgendwann gesellt sich ein Schlagzeuger auf der Bühne beim Treppenaufstieg hinzu, die Dämonen, die man rief, werden nun ausgetrieben. Danach: Die Stille. Bewegend.

Runde 2: Papiro w/Mir

Nun beginnen sie bereits, die nahrhaften Runden, zumal die Erholung nach dem Furor von Combineharvester nur kurz war: Auf der regulären Dachstockbühne spielen Mir, ein Trio, das sich in Neuer Musik überaus gut auskennt wie auch mit Prog-Orgeln, Noise und Heavy-Langsamkeit. Diese Sounds, sie wirken.

Runde 3 und 4: Heart Attack Alley und Flimmer


Gleich im Anschluss: Der Saloon liegt an der Treppe mit den neuseeländischen Heart Attack Alley, einem neuen Rössli im Stall von Voodoo Rhythm. Der Bruch zur hehren Avantgarde ist schön, zumal Flimmer gleich im Anschluss mathematisch genaue Lärm-Attacken fahren. Erinnerungen an Speck - und an die Bad Bonn Kilbi. Ich hänge kurzzeitig in den Seilen.

Runde 5: Roy & Devil's Motorcycle

Das ewige Feedback gleich zu Beginn: Die drei Gebrüder Stähli und Schlagzeuger Alain Perret-Gentil setzen an, explodieren schon bald im Monster "I'm Allright" ab ihrem neuen Album - und glimmen rasch wieder aus in ihrer Kurzrunde. Denn diese hätte viel viel viel länger dauern dürfen. Auf ein nächstes, hoffentlich.

Zwischenspiel: Guy from L.A.

Fai Baba präsentiert Guy aus Los Angeles, dieser singt im Glam-Umhang über Drogen und man wünscht sich auch solche. Der Spuk endet aber schnell, zum Glück.

Letzte Runde: Fai Baba

Im Sommer erscheint das zweite Album von Fabian Sigmund, der als Fai Baba und verstärkt durch Bass und Schlagzeug frei und lärmend die Delta-Sümpfe durchmisst. Und wenn sich nur eine Spur dieses Auftritts auf Platte wiederfindet, dann wird das ein Album des Jahres. Denn das Kurzkonzert war fiebrig, lauernd und sensibel, kurz: ziemlich gross.

Nachgang
Die Band Love & Girls, die auf der Rückreise vom Fri-Son in Bern Halt einlegt, spielt noch auf der Bühne, doch nach vier Stunden Musik darf das Handtuch gerne geworfen werden. Merci - auch an den DJ.

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kulturstattbern.derbund.ch 19.5.12

Norient: Klangstudie Schweiz

Von Gisela Feuz am Samstag, den 19. Mai 2012, um 15:33 Uhr

In Bern sei also deutlich mehr gelacht worden als in Züri, stellten die drei Herren vom Kollektiv Norient im Anschluss an ihre Klang- und Bildperformance im Kino der Reitschule fest. "Sonic Traces: From Switzerland" heisst «das klingende Biest" (Der kleine Bund vom Freitag), in welchem Thomas Burkhalter, Simon Grab und Michael Spahr sich die Schweiz vorknöpfen oder genauer: Wie diese klingt.

Foto: Christian Krebs

Während genau einer Stunde betrieben die drei Norient-Herren eine klangliche Fallstudie zur Schweiz und kreierten so einen wunderbaren Dokumentarfilm für die Ohren. Munter wurden da Jodlerchörli manipuliert, aktueller Pop und Hip Hop fand ebenso Platz in der Klanginstallation wie der Räuber Hotzenplotz, Jack Stoiker, Sportreporterlegende Hans Jucker oder abstrakte Clubmusik von Bit-Tuner, improvisierter Jazz, Insektenbrummen und SBB-Bahnhofsdurchsagen. Dazu wurden visuell Statements von Musikern miteinbezogen, welche sich zur Befindlichkeit des schweizerischen Musikschaffens äussersten. (Im Bild oben links Herr Filewile, gemäss Steuerverwaltung «Hobbymusiker")

Es war eine wahre Freude, den drei Norient-Herren zuzuschauen, wie sie tief über ihre Plattenspieler und Laptops gebeugt wild an Knöpfen herumschraubten und so zusammenbrachten, was auf den ersten Blick so gar nicht zusammenpassen will, es aber doch wunderbar tut. Die ganze Performance habe fixe dramaturgische Punkte, an welchen man sich orientieren könne, dazwischen werde aber improvisiert, was das Zeugs hält, erklärt Video-Chef Spahr im Anschluss. Verschiedenste Aspekte, Meinungen, Auffassungen und Blickwinkel wurden da audio-visuell aufgezeigt und genau diese Widersprüchlichkeit war zum Teil ungemein komisch, zumal die Gegensätze dann eben doch wieder komplementär zueinander stehen. Welcome to Switzerland. Sehr schön war das!

«Sonic Traces: From Switzerland" wird morgen Sonntag im Haus für elektronische Künste in Basel aufgeführt, vom 31.8. bis am 2.9. am Theaterspektakel in Zürich und am 28. und 29. September im Schlachthaus in Bern.

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kulturstattbern.derbund.ch 19.5.12

Mit maximaler Schwerkraft ins Weltall

Von Benedikt Sartorius am Samstag, den 19. Mai 2012, um 11:16 Uhr

Die Gitarrenriffs waren schwer, heavy und langsam und wirkten psychedelisierend. Oder: Mit maximaler Schwere Richtung Weltall.

Ja, das bewirkten gestern die mythischen Sleep im Dachstock, wo die Kalifornier für ein exklusives Konzert Halt einlegten. Seit den Alben «Holy Mountain" und dem verlorenen «Dopesmoker", das es gestern stilecht als Picture Disc zu erstehen gab, zählen die drei Schläfer Al Cisneros, Matt Pike und Jason Roeder zu den Vordenkern einer Heavyness, die so nichts mit Hi-Speed und anderen Sportlichkeiten am Hut hat. Salopper: Sleep brachten dem Metal das Kiffen bei.

Die Haare propellerten im Publikumsraum, auf der Leinwand starteten Raketen, umkreisten den Mond, man flog Milchstrassen entlang und immer drang man tiefer ein in diese entschleunigte Gitarrenmusik, die nur in den Soli-Passagen an Schwere verlor. Und: Hinten im Raum, wo ich mich während beinahe zwei Stunden niederliess, durften auch die Gehörschütze ohne schlechtes Gewissen Richtung All geschmissen werden. Schön.

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Bund 19.5.12

Reitschule: Statthalter Lerch räumt Fehler ein

Der Berner Gemeinderat bekräftigte gestern erneut, dass die Reitschul-Betreiber «um 0.30 Uhr keine Personen vom Vorplatz der Reitschule wegweisen" müssen. Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) betonte aber im «Bund"-Gespräch, dass die Reitschule Besucher auffordern müsse, ihre Getränke im Innern des Gebäudes zu konsumieren oder den Vorplatz zu verlassen. Tun die Reitschul-Betreiber dies nicht, können sie gebüsst werden. Ob die Wegweisungspflicht, die seitens der Reitschule für einen Aufschrei gesorgt hatte, nun vom Tisch ist, oder ob Statthalter Lerch sie nur in andere Worte fasst, ist unklar.

Im «Bund"-Gespräch räumt Lerch ein, unpräzis und missverständlich zu den Reitschule-Zwangsmassnahmen kommuniziert zu haben. (len) - Seite 21

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«Bei der Reitschule ist es speziell"

Regierungsstatthalter Christoph Lerch räumt Fehler bei der Kommunikation der Reitschule-Zwangsmassnahmen ein. Die Frage, ob die Wegweisungspflicht nun vom Tisch ist, bleibt offen - trotz klarer Ansage des Gemeinderates.

Interview: Simon Jäggi, Christoph Lenz

Herr Lerch, Sie und der Gemeinderat haben heute mit einer Medienmitteilung Einigkeit demonstriert. Was gilt nun auf dem Vorplatz?

Nach meiner ersten Mitteilung vor zwei Wochen ist der Eindruck entstanden, die Reitschule-Betreiber müssten nach 0.30 Uhr sämtliche Personen auf dem Vorplatz wegweisen. Das war ein Missverständnis. Die Wegweisungspflicht trifft nur jene Leute, die auf dem Vorplatz Getränke aus der Reitschule konsumieren. Die Personen, die ihre Getränke selbst mitbringen, dürfen aber auf dem Vorplatz bleiben.

Hat diese Regelung noch Gültigkeit?

Der Begriff der Wegweisung ist offenbar irreführend. Die Vorplatz-Barbetreiber haben nur die Pflicht, ihre Gäste aufzufordern, ihr Bier jetzt auszutrinken. Ab 0.30 Uhr dürfen die Gäste nur noch im Innern der Reitschule konsumieren.

Dann war es also kein Missverständnis. Sie haben vielmehr Ihre Position geändert. Weshalb?

Bei der Reitschule ist es einfach speziell, weil sie an einem öffentlichen Platz liegt. Da kann man keine Wegweisungspflicht erlassen. Die Leute dürfen sich dort aufhalten. Das haben wir nicht gut kommuniziert.

Welche Zwangsmassnahmen gelten jetzt noch auf dem Vorplatz?

Die Vorplatzbar muss um 0.30 Uhr schliessen. Dann dürfen keine Getränke mehr über die Gasse verkauft werden. Die Reitschule muss dafür sorgen, dass ihre Gäste nach der Polizeistunde keine Getränke mehr ins Freie nehmen.

Ziehen Sie Ihre Verfügung nun zurück, um sie ohne Wegweisungspflicht abermals zu bringen?

Nein. Ich ziehe die Verfügung nicht zurück. Ich habe die Pflichten der Reitschule jetzt präzisiert. Zudem will die Reitschule ja eine Beschwerde gegen die Verfügung einreichen. Im Rahmen dieser Eingabe können wir sagen, was die fragliche Formulierung bedeutet.

Die Reitschule muss Beschwerde führen, damit Sie Ihren eigenen Fehler korrigieren können?

Kein Fehler, nur eine Präzisierung.

Wie kam diese Wegweisungspflicht überhaupt in die Verfügung?

Das ist eine Standardformulierung, die für alle 2300 übrigen Gastronomiebetriebe in meinem Kreis auch gilt. Inzwischen sehe ich aber ein, dass das Wort «wegweisen" den Gegebenheiten der Reitschule zu wenig Rechnung trägt.

Für alle anderen Beizen gilt die Wegweisungspflicht nach Polizeistunde. Für die Reitschule nicht. Ist das nicht diskriminierend?

Nein. Andere Gastronomiebetriebe liegen nicht an öffentlichen Plätzen.

In Ihrer ersten Medienmitteilung haben Sie die Wegweisungspflicht nicht erwähnt. Weshalb?

Das war zu wenig präzis. Daher präzisieren wir, was genau die Meinung ist.

Sie haben sich zwei Wochen Zeit gelassen, Ihre Meinung zur Wegweisungspflicht zu ändern.

Wir brauchten eine gewisse Zeit, um die Berichterstattung zu analysieren und eine Reaktion auszuarbeiten. Wir nahmen auch die Nachtdemo vom letzten Freitag zur Kenntnis. Wir sind lernfähig und können uns immer verbessern. Das haben wir jetzt gemacht.

Am Mittwoch war Gemeinderatssitzung. Haben Sie danach einen Anruf erhalten: Sie sollen die Wegweisungspflicht fallen lassen?

Nein. Die Initiative kommt klar von mir.

Aber der Gemeinderat hat sich doch schon letzte Woche klar von Wegweisungen distanziert. Jetzt buchstabieren Sie zurück. Das müssen Sie erklären.

Wenn man merkt, dass etwas unklar ist und es riesige Diskussionen und Protest verursacht, muss man es klären. Die Reitschule ist kein einfaches Dossier.

Beim Gemeinderat ist das Dossier von Reto Nause zu Stadtpräsident Alexander Tschäppät gewandert - also zur Chefsache erklärt worden. Kein Druck auf Sie?

Ich betone es nochmals: nein.

Wäre es nicht einfacher gewesen, die Verfügung gemeinsam mit dem Gemeinderat zu erarbeiten und zu kommunizieren?

Da treffen Sie den Nagel auf den Kopf. Es gab zwar eine Behördenkoordination von Mitte letzten Jahres bis zu diesem Winter. Und der Gemeinderat war auch im Bild darüber, was die Stossrichtung der Verfügung ist. Aber wir hätten diese Verfügung besser koordinieren müssen. Die Reitschule ist ein heikles Thema, das sehe ich ein.

Umso mehr wäre es ein Gebot des politischen Instinkts gewesen, die Massnahmen vorgängig mit dem Gemeinderat abzusprechen.

Ich nehme es auf mich, dass der Begriff «wegweisen" bei der Reitschule nicht angebracht ist - wegen der Geschichte und des politischen Zusammenhangs. Den Lehrblätz nehme ich. Lessons learned.

Es ist nicht der erste Lehrblätz: 2011 sind Sie beim Security-Konzept in der Aarbergergasse ebenfalls vorgeprescht. Auch da wurden Sie vom Gemeinderat zurückgepfiffen.

Das ist richtig, da stehe ich dazu. Dieser Brief damals ging einfach zu schnell raus. Das war nicht so gedacht. Das haben wir korrigiert, jetzt ist die Aarbergergasse auf guten Wegen. Wir haben viele Verbesserungen hingekriegt.

Seit einiger Zeit erschallt der Ruf nach einem Nachtleben-Konzept. Haben Sie nicht das Gefühl, dass Sie als nützlicher Sündenbock des Gemeinderates herhalten müssen?

Die ganze Nachtleben-Situation ist ein schwieriges Thema. Auch mir würde ein solches Konzept dienen. Aber es gibt in diesem Thema keine einfache Lösung. Ich versuche einen Ausgleich zu finden zwischen dem Wohnen und dem Nachtleben. Zur Frage: Ich fühle mich nicht instrumentalisiert vom Gemeinderat.

Aber der Gemeinderat hat Sie in letzter Zeit nicht aktiv unterstützt.

Ja. Das kann man so sagen. Aber ich sehe auch die Rolle des Gemeinderates, der eine politische Behörde ist und die Interessen der gesamten Stadt im Auge haben muss. Ich vollziehe das Gastgewerbegesetz.

Ist das Regierungsstatthalteramt keine politische Behörde?

Der Regierungsstatthalter ist von Parteien nominiert und vom Volk gewählt. Aber es ist keine politische Behörde. Ich entscheide rein juristisch.

Das Volk hat Sie als Sozialdemokraten gewählt. Und jetzt wollen Sie nur noch Jurist sein?

Das ist mein Auftrag. Ich vollziehe Gesetze.

Alec von Graffenried, Ihr Vorvorgänger, hat Ihnen widersprochen: Sie hätten einen grossen Spielraum.

Es gibt einen Spielraum. Aber von Zeit zu Zeit muss man auch handeln. Man kann ein Geschäft nicht einfach liegen lassen, auch nicht die Reitschule.

Selbst SP-Kollegen sagen, Sie hätten kein politisches Gespür.

Ich bin mir bewusst, dass die Reitschule ein politisches Geschäft ist. Aber ich kann da nicht einfach meine Meinung zur Reitschule umsetzen.

Etwas diplomatisches Geschick sollte der Regierungsstatthalter mitbringen. Das liessen Sie auch bei der Aarbergergasse vermissen.

Diesen Eindruck habe ich nicht. Die Wegweisung - das haben wir präzisiert. Ich fasse nicht alle mit Samthandschuhen an. Wenn man in einer Sache vorankommen will, braucht es zwischendurch auch einmal harte Entscheide.

Glauben Sie, dass Sie mit Ihren Massnahmen eine Beruhigung bei der Reitschule erzielen können?

Ja. Ich verspreche mir einen Ausgleich zwischen Nachtruhe und Nachtleben.

Nun gibt es eine Eskalation.

Das sehe ich nicht so.

Die Opposition gegen Sie mit Klebern, Masken, Facebook-Gruppen ist sehr heftig. Wie wirkt das auf Sie?

Die Angriffe auf meine Person sind inakzeptabel. Ich bin kein Hardliner.

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Interview Widersprüche

Christoph Lerch machte gestern gegenüber dem «Bund" mehrfach widersprüchliche Aussagen zur Wegweisungspflicht der Reitschule. Am Nachmittag sagte er, die Wegweisungspflicht bleibe bestehen. Am Abend erklärte er - wie der Gemeinderat -, sie sei vom Tisch. Vor 23 Uhr zog er die Aussage zurück und beantwortete die zweite Frage erneut anders. Wegen des Redaktionsschlusses bestand für den «Bund" keine Möglichkeit zur Rückfrage. Das Interview entspricht der von ihm autorisierten Fassung. (lok)

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Reaktionen

«Keinerlei Wegweisungspflicht"

Der Gemeinderat bleibt bei seiner Haltung. Stadtpräsident Tschäppät bestätigt, dass sich Lerch bewegt hat.

Es gibt bei den Zwangsmassnahmen zur Reitschule keine Differenzen zwischen den Behörden. Dies steht in der Medienmitteilung, welche der Gemeinderat und Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) gestern verschickten. Gemäss Mitteilung wollen die Behörden einen falschen Eindruck korrigieren, der auf die Kommunikation des Statthalters zurückzuführen sei. Diese sei «zu wenig detailliert und präzise" gewesen. Konkret geht es um einen Passus in der Verfügung, wonach die Reitschule Gäste, welche nach 0.30 Uhr Getränke im Freien konsumieren, wegweisen muss. Diese Pflicht habe keine Gültigkeit, heisst es nun.

Kommunikationspanne hin oder her - Grund für die neue Interpretation der Verfügung dürfte eher ein Einlenken des Regierungsstatthalters sein. «Für den Gemeinderat war immer klar, dass wir hinter den Gastrobestimmungen des Regierungsstatthalters stehen." Klar sei aber auch gewesen, dass keinerlei Wegweisungspflicht bestehe, sagt Stadtpräsident Alexander Tschäppät. Schliesslich habe die Reitschule keine polizeiliche Gewalt, um eine Wegweisung auszusprechen. Auf die Frage, ob denn nicht genau bei der Wegweisungspflicht die Differenzen gelegen hätten, sagt Tschäppät, dass sich der Regierungsstatthalter der Interpretation des Gemeinderats angeschlossen habe (siehe Interview). Tschäppät hat sich gestern erstmals zu den Reitschule-Zwangsmassnahmen geäussert - erst in jenem Moment, in dem der Gemeinderat durch das Fehlereingeständnis des Statthalters «entlastet" wurde.

Die Reitschule lässt das Argument einer Kommunikationspanne nicht gelten. «Der Wortlaut von Lerchs Verfügung ist glasklar", schreibt die Mediengruppe: «Gäste, die Getränke nach 0.30 Uhr im Freien (inkl. Innenhof) konsumieren, sind wegzuweisen." Zudem habe der Regierungsstatthalter die Wegweisungspflicht mehrfach in den Medien bestätigt. (len/bob)

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Grosse Halle Festivalabbruch wegen Angriffs

Das Drum-'n'-Bass-Festival «unreal" in der Grossen Halle der Reitschule gilt in der Schweiz als eines der grössten seiner Art. Am frühen Donnerstagmorgen gegen fünf Uhr musste das Festival jedoch abgebrochen werden. Grund dafür war laut Stellungnahme des Veranstalters ammonit productions, dass die Grosse Halle «von einer Gruppe Chaoten gezielt gestürmt" worden sei.

Nachdem es bereits auf dem Vorplatz zu «Scharmützeln" gekommen sei, sei die Gruppe mit Pfefferspray, Eisenstangen und Gittern bewaffnet zum Eingang gestürmt. Einige der Unbekannten hätten es ins Innere geschafft und einen Notausgang geöffnet, um dort wartende Kollegen hereinzulassen. Weil das Risiko einer Panik in der gut gefüllten Halle zu gross gewesen sei, habe man sich entschieden, den Anlass abzubrechen.

Giorgio Andreoli vom Trägerverein Grosse Halle bestätigte einen Bericht in der «Berner Zeitung". Laut Andreoli waren die Angreifer vermutlich Personen, die gratis an den Anlass wollten und versuchten, sich mit massiver Gewalt Eintritt zu verschaffen. Die Schliessung sei ruhig und ohne Schwierigkeiten über die Bühne gegangen, so Andreoli. Bei der Kantonspolizei hiess es auf Anfrage, man wisse nichts über den Vorfall. (gbl)

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BZ 19.5.12

Wollten Schläger gratis in die Halle?

Reitschule · Gemäss Giorgio Andreoli vom Trägerverein Grosse Halle wollten die Chaoten, die am Donnerstagmorgen eine Party in der Reitschule gestört haben, vermutlich gratis an den Event. Weil dies nicht klappte, wendeten sie Gewalt an.

Gegen fünf Uhr am Donnerstagmorgen wurde das «Unreal - Drum & Bass Festival" in der Grossen Halle der Reitschule abgebrochen. Eine Gruppe Chaoten hatte die Grosse Halle gestürmt. Nach einigen Scharmützeln auf dem Vorplatz sei die Gruppe Unbekannter von drei Seiten mit Pfefferspray, Eisenstangen und Gittern bewaffnet auf den Eingang zugestürmt. Einige hätten es geschafft, in die Halle zu kommen. Dort hätten sie durch den Notausgang wartende Kollegen hereingelassen (wir berichteten). Weshalb griffen die Schläger die Party an? Im Internet machen die wildesten Gerüchte die Runde. Polizeisprecher Andreas Hofmann sagt: «Am frühen Morgen erhielt die Polizei eine Meldung über vermummte Personen bei der Reitschule, welche dort offenbar Flaschen geworfen hätten. Die Polizei ging dieser Meldung nach, konnte jedoch vor Ort nichts feststellen." Anzeigen seien bisher keine eingegangen.

Schläge statt Eintrittsgeld

Giorgio Andreoli vom Trägerverein Grosse Halle sagt: «Was genau passiert ist, kann ich nicht sagen. Was ich gehört habe, ist, dass sich Leute gratis Eintritt verschaffen wollten." Dies sei ihnen nicht gelungen, weshalb sie massiv Gewalt angewendet hätten. Der Partyveranstalter Ammonit organisiere schon lange Partys und Konzerte in der Grossen Halle. «Sie haben auch Sicherheitsauflagen von uns zu erfüllen." Es sei das erste Mal, dass es an einer Veranstaltung von Ammonit zu einem solchen Übergriff gekommen sei, sagt Andreoli. «Wir wollen die Sicherheit keinesfalls so aufblasen, dass die Halle zu einer Festung verkommt." bernerzeitung.ch/tob

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Bund 19.5.12

Korrigendum

10 700 haben Petition für Nachtleben unterschrieben

Der Beitrag über das Treffen von Gemeinderat Reto Nause (CVP) und dem Verein Pro Nachtleben (siehe «Bund" von gestern) enthielt einen Fehler: Die Petition, die von Gemeinderat und Regierungsstatthalter ein Bekenntnis zum Nachtleben fordert, haben mehr als die im Artikel genannten 4000 Personen unterschrieben. Dies ist lediglich die Zahl der Unterschriften, die online eingegangen sind. Gesamthaft haben 10 700 Petitionäre die Bittschrift unterschrieben. (jäg)

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BZ 19.5.12

Zonen für Tolerante?

Stadt Bern. Vertreter des Nachtlebens regen «Zonen für urbanes Wohnen" an. Die Idee könnte in das Nachtlebenkonzept einfliessen, welches der Gemeinderat bereits seit 2010 erarbeiten soll.

Die Forderung wird dieser Tage oft wiederholt, neu ist sie nicht: Der Gemeinderat soll ein Konzept für das Nachtleben vorlegen. So verlangt es eine überparteiliche Motion aus dem Sommer 2010. So schnell wird ein solches Papier aber nicht vorliegen. «Noch ist gar nicht restlos klar, wie die thematische Eingrenzung sein soll", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) und bestätigt damit, dass die Arbeiten am Anfang stehen. Dass es schwierig ist, ein solches Konzept zu erarbeiten, sagt neben Nause auch Thomas Berger vom Verein Pro Nachtleben Bern. Die Möglichkeiten der Stadt seien wegen übergeordnetem Recht in der Tat eingeschränkt, so Berger. Der Verein regt Zonen «für urbanes Wohnen" an. Deren Bewohner würden sich quasi verpflichten, in diesen Gebieten gewisse Auswirkungen des Nachtlebens zu akzeptieren.wrs Seite 2

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Das Konzept lässt auf sich warten

Wolf Röcken

Nachtleben · Ein Konzept soll regeln, wo und wie Nachtleben in Bern erwünscht ist. Es dauert aber noch: Zurzeit wird erst das Feld abgesteckt, was das Konzept überhaupt regeln soll. Nachtleben-Vertreter schlagen derweil «urbane Wohnzonen" für Tolerante vor.

Nach der verschärften Betriebsbewilligung für die Reitschule ist der Ruf nach einem Nachtleben-konzept wieder lauter geworden. Bei der Forderung nach Lösungen beim Nachtlärm entstand mitunter der Eindruck, der Gemeinderat lege demnächst ein solches Papier vor.

Davon ist die Stadtregierung aber noch ein gutes Stück entfernt, wie Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) bestätigt. «Es ist das Ziel des Gemeinderats, ein Nachtlebenkonzept vorzulegen", sagt er zwar. Doch in Tat und Wahrheit stehen die Arbeiten am Anfang. Die Vorstellungen, was ein solches Konzept überhaupt soll, gingen sehr weit auseinander, begründet Nause. «Soll es um Sicherheit gehen? Soll es raumplanerische Belange beinhalten?" Das sei die grösste Herausforderung: Erst einmal das Feld abzustecken, was alles dazugehören soll. «Noch ist nicht restlos klar, wie die thematische Eingrenzung sein soll", sagt Nause.

Forderung vom Juli 2010

Der wenig fortgeschrittene Stand der Arbeiten überrascht. Vor allem, wenn man berücksichtigt, dass der Auftrag seinen Ursprung nicht in den jüngsten Ereignissen hat, sondern im Juli 2010. Damals forderten die Stadträte Manuel C. Widmer (GFL), Claude Grosjean (GLP), Martin Schneider (BDP), Simon Glauser (SVP) und Beatrice Wertli (CVP) per Motion ein «hauptstadtwürdiges Konzept für das Nachtleben".

Laut Nause ist der Gesamtgemeinderat an den jetzigen Arbeiten nicht beteiligt. Ausser seiner Sicherheitsdirektion ist bisher lediglich der Verein Pro Nachtleben Bern involviert - in dieser Woche fand ein zweites Treffen statt. «Wir haben den Prozess in Gang gesetzt und einen aktiven Dialog mit dem Verein etabliert", sagt Nause. Obwohl also auch noch grundsätzliche Fragen zu klären sind, setzt sich der Sicherheitsdirektor ein sportliches Ziel: Anfang Herbst soll ein Konzeptentwurf vorliegen. «Der Auftrag verschwindet nicht in der Schublade", versichert Nause und relativiert gleichzeitig: «Wer auf eine schnelle Lösung der Probleme hofft, der hofft vergebens." Das Konzept werde wohl erst weitere Prozesse in Gang setzen.

«Kaum Spielraum für Stadt"

«Ein vernünftiges Nachtlebenkonzept liegt kaum schon in einigen Wochen vor", lautet nach den Sitzungen auch das Fazit von Thomas Berger, Vorstandsmitglied im Verein Pro Nachtleben Bern. «Wir teilen mittlerweile die Sicht der Stadt, dass es in vielen Bereichen schwierig bis unmöglich ist, Anpassungen vorzunehmen", sagt Berger und erwähnt wie Reto Nause das nationale Umwelt- und das kantonale Gastgewerbegesetz. «Hier gibt es kaum Spielraum für die Stadt." Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) kündet an, dass die Stadt bereit sei, gemeinsam mit den Kantonsbehörden Lösungen zu suchen, schränkt aber auch ein: «Ich unterstütze die Leute, die ein Nachtlebenkonzept fordern, jederzeit." Doch alles, was diese Leute störe, könne der Gemeinderat nicht ändern. «Lärmklagen, Öffnungszeiten, Bestimmungen zu Fumoirs - das ist nun mal in kantonalen Gesetzen geregelt."

Wohnzonen für Tolerante?

Der Verein Pro Nachtleben will in die Arbeiten am Konzept nun eine neue Idee einbringen, wie Thomas Berger sagt: sogenannte Zonen für urbanes Wohnen. Zonen mit Wohnverbot, wie sie in der aktuellen Diskussion auch erwähnt wurden, liessen sich kaum vertreten, findet Berger, «das wollen wir vom Verein nicht". Es gehe vielmehr darum, urbane Zonen zu prüfen. Die Bewohner solcher Zonen würden sich zu einer gewissen Toleranz bezüglich Lärm und weiterer Auswirkungen des Nachtlebens in diesem Gebiet verpflichten, so Berger.

Ein Nachtlebenkonzept, das etwa auch solche Änderungen mit sich bringe, habe einen Planungshorizont von fünf bis zehn Jahren, findet Berger. Es sei deshalb klar, dass es die heutigen Probleme einzelner Clubs nicht lösen könne. «Diese Fragen müssen parallel zu den Arbeiten an einem Konzept angegangen werden." Mitte Juni soll ein neuer Verband gegründet werden, der sich für diese Anliegen einsetzt. Er soll breiter abgestützt sein als Pro Nachtleben und auch breiter als der Dachverband Bekult.

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BZ 19.5.12

Länger feiern im Innenhof der Reitschule

Die eingeschränkte Betriebsbewilligung für die Gastrobetriebe der Reitschule (Zapfenstreich ab 0.30 Uhr) gilt ausschliesslich für den Vorplatz. Im Innenhof der Reitschule darf wie bisher bis um 3.30 Uhr gefeiert werden. «Der Innenhof gehört zum Innern des Gebäudes. Für diese Zone gilt die generelle Überzeitbewilligung", sagte Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) gestern. Berns Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) begrüsst dies: «Es ist richtig, den Innenhof anders zu behandeln, weil dieser besser lärmgeschützt ist als der Vorplatz", sagte er.

In der vor zwei Wochen veröffentlichten Verfügung sei dem Regierungsstatthalteramt leider ein Fehler unterlaufen. «Dort steht, die neuen Regeln würden im Freien gelten. Damit meinten wir den Vorplatz", sagte Lerch gestern. Diese Präzisierung hatte Statthalter Christoph Lerch bereits nach der Veröffentlichung der Verfügung auf Anfrage in dieser Zeitung gemacht.

Gestern reagierten Statthalter Lerch und der Berner Gemeinderat in einer gemeinsamen Medienmitteilung auf die öffentliche Verwirrung betreffend der Verfügung. Darin steht: «In den vergangenen Tagen wurde im Zusammenhang mit den Auflagen für die Restaurationsbetriebe der Reitschule der Vorwurf laut, Gemeinderat und Regierungsstatthalter hätten gegenüber der Öffentlichkeit zu wenig Geschlossenheit bekundet. Die beiden Behörden bedauern dies und betonen, dass sie sich über die Auflagen einig sind." Die Verantwortlichen der Reitschule müssten keinerlei polizeiliche Aufgaben wahrnehmen, wiederholen sie. «Das heisst, dass die Reitschule um 0.30 Uhr keinesfalls Personen vom Vorplatz wegzuweisen hat."tob

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Bund 19.5.12

«Antigone" in der Reitschule

Im Kerker von Sophokles und Hölderlins Versen

Man ist gewarnt. «Obey", gehorchen, steht in grossen Lettern an der Rückwand der Bühne im Tojo der Reitschule. Und alle halten sich denn auch an ihre Rollen, die ihnen die Götter aufgebürdet haben. Die todesmutige Antigone (Julia Maurer) genauso wie der grausame Kreon (Marcus Signer), die liebliche Ismene (Marie Louise Bartel), die depressive Eurydice (Patricia Bornhauser), der weidwunde Hämon (Simon Derksen) und der hellsichtige Chorführer (Horst Warning). Gefangen sind sie in ihrem Drama - und in den gewaltigen Versen von Sophokles und Hölderlin. Zu Mauern aufgetürmt werden die Sätze; jeder und jede harrt in einem ganz persönlichen Verlies aus.

Der Berner Regisseur Michael Oberer hat sie dort eingesperrt. Für sich dreht jeder seine Runden zwischen dem Sandhaufen, den Ölfässern (Bühne Giro Annen). Sie nehmen einander kaum wahr und berühren sie sich, so kommt es meist zum Clash. Untote sind da unterwegs in einer Vorhölle, in der der Tod keine Erlösung ist.

So vielversprechend Oberers Versuch ist, ohne Aktualisierungen die Tragödie der Königstochter, die sich aus Liebe zum Bruder gegen die Staatsgewalt auflehnt, in ihrer ganzen archaischen Wucht auf die Bühne zu bringen, so schwerfällig wirkt nach kurzer Zeit die Inszenierung. Denn auch die mal schmerzlich dröhnende, mal filigran zarte Soundcollage von Margrit Rieben, mit der das grausige Geschehen unterlegt ist, hallt bald allzu bedeutungsschwer. Gern schaut man zwar Marcus Signer zu, wie er als vampirhafter Kreon wütet und als Einziger sich richtig wandeln darf. Doch den übrigen Gestalten bleibt zu wenig Text und Raum, um das Ausmass ihrer Tragödie glaubwürdig vermitteln zu können - auch für ein Publikum, das nicht unbedingt mit Sophokles Text vertraut ist. Zu simplen Marionetten werden sie, ohne allerdings diese Rolle ausspielen zu dürfen.
Brigitta Niederhauser

Aufführungen: Heute Samstag sowie 22./23./25./26. Mai jeweils um 20.30 Uhr im Tojo. www.reitschule.ch

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Bund 18.5.12

Die Schweiz ist ein klingendes Biest

Jawohl, Wohlstand kann man hören: Das Berner Kollektiv Norient verfolgt in seiner dritten akustischen Recherche den Sound, der dieses Land ausmacht.

Christoph Fellmann

Wie klingt die Schweiz? Ist das Schnaufen eines Handörgeli typischer für dieses Land als das Brummen des Durchgangsverkehrs vor dem Tell-Denkmal in Altdorf? Als der Basslauf, mit der eine Band in ihrem Übungskeller an die internationale Clubmusik andockt? Solche Fragen stellt sich, wer «Sonic Traces: From Switzerland" gegenübersitzt, einer Klang- und Bildperformance, die heute im Kino der Reitschule aufgeführt wird.

Über 18 Monate hinweg haben der Musikethnologe und Journalist Thomas Burkhalter, der Musikproduzent Simon Grab und der Videokünstler Michael Spahr eine riesige Sammlung angelegt - mit Musik, Klängen, Geräuschen und Stimmen aus der Schweiz. Man hört das «Tratra trallala" von Kasperli ebenso wie das Hornen des Postautos, den Naturjodel ebenso wie die abstrakte Clubmusik von Bit-Tuner oder den improvisierten Jazz von Malcolm Braff. Und wenn die drei Klangsammler dann mit ihren Laptops auf der Bühne sind, steht ihnen im Prinzip dieses gesamte Material zur Verfügung. Die einstündige Performance folgt zwar einer festgelegten Dramaturgie, aber darin bleibt viel Raum für Improvisation. Ein «Biest", so nennt Thomas Burkhalter diese Form, diese Ad-hoc-Mischung aus Dokumentarfilm, Radiosendung und Mix-Tape.

Der Sound der Metropolen

Thomas Burkhalter, Simon Grab und Michael Spahr gehören zu Norient. Dieses in Bern beheimatete Netzwerk von Wissenschaftlern und Künstlern beschäftigt sich in einem Onlinemagazin, einem Musikfilmfestival und in Radiosendungen mit dem Zusammenspiel von lokalen und globalen Musiken und Klängen. Im Zentrum steht die Frage, ob und wie sich Ort und Zeit überhaupt noch in der Musik abbilden, wenn sich diese Musik aus weltweiten digitalen Netzwerken und Archiven speist.

In der Reihe «Sonic Traces" stellt sich diese Frage ganz konkret und sinnlich. Die erste Folge, «Soundscapes from the Edges", spürte 2008 dem urbanen Clash von lokalen Traditionen und globalen Mustern nach, in Peking, Mumbai, Beirut, São Paulo, Istanbul, Lagos und Johannesburg. Es geht also nicht um Folklore und Authentizität, sondern um ihre vielfachen Verwerfungen in den multikulturellen Zonen. Der Exotismus kommt, wenn überhaupt, durch die Hintertür zurück. Sei es in Form von ironisch gebrochener Bauchtanzmusik, sei es im Rhythmus eines alten St. Galler Webstuhls. «Sonic Traces: From the Arab World" hiess 2011 die zweite Folge der Reihe, und sie dokumentierte die Propaganda, die Musik und den Lärm des arabischen Frühlings.«Wir sind damals sehr lange durch den arabischen Raum gereist", erzählt Thomas Burkhalter. «Zu Hause haben wir uns dann gefragt: Was passiert eigentlich, wenn wir die gleichen Fragen, die wir Musikern im Libanon stellen, an Musiker in der Schweiz richten? Wie absurd oder klischiert klingen sie dann?" Und so widmeten die drei Performer ihre neue, dritte Klangrecherche also ihrer Heimat, der Schweiz. Was sie dabei unter anderem herausfanden, ist, wie städtisch und offen das Land klingt, wenn man mal nicht nur auf die Swissness hört, die derzeit aus allen Kanälen jodelt und örgelt. Was man aber auch hört, das ist der Wohlstand.

Gerade im Vergleich zu den «Sonic Traces" aus dem arabischen Raum wird deutlich, wie viel Geld in der Schweiz in die Ausbildung, aber auch in die technische Ausrüstung der Musikerinnen und Musiker investiert wird. «Ihre hohe handwerkliche und technologische Qualität prägt die Musik hier mehr als ein bestimmter Stil", sagt Simon Grab. Das ist die Swissness der stets aktuellen Software-Updates.

Der Klang des Krieges

Was die «Sonic Traces" aus der Schweiz darüber hinaus auszeichnet - auch dies wird einem im Vergleich mit den Soundclips aus dem arabischen Raum wieder bewusst -, das ist die Absenz von Kriegs- und Bombengeräuschen. In «Soundscapes from the Edges" sprachen Musiker in Interviews darüber, wie sie lernten, Waffen an ihrem Klang und an ihrem Rhythmus zu erkennen. Wie sie auf den Klang einer Rakete achteten, um herauszufinden, wie nahe sie einschlagen würde, oder wie man am Zirpen der Zikaden erkannte, dass mal wieder der Strom ausgefallen war.

«Was ist im Vergleich dazu typisch schweizerisch?", fragt Simon Grab. «Vielleicht das Klingeln der Migros-Kasse?"

Heute um 20 Uhr, Kino der Reitschule. www.norient.com

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20 Minuten 18.5.12

Sven Väth in der Grossen Halle

Sa, 19.5., 22 Uhr, Sven Väth - Year of the Dragon Worldtour, Grosse Halle.

TECHNO/HOUSE. Papa Sven ist zurück in Bern: Am Samstag erzeugt der weltbekannte DJ Sven Väth in der grossen Halle der Reitschule Techno-Ekstase. Zwei Schweizer werden das DJ-Urgestein dabei unterstützen: Zum einen handelt es sich um den Local-Hero Jon Donson, bekannt als einer der Elektrostubete-Jungs, zum anderen um Andri aus Zürich. Er euphorisierte mit seinen Livesets schon renommierte Zürcher Clubs wie die Dachkantine.

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BZ 18.5.12

Festival von Chaoten gestört

Reitschule · Eine Gruppe offenbar bewaffneter Chaoten hat am frühen Donnerstagmorgen die Grosse Halle der Reitschule gestürmt. Das dort stattfindende Musikfestival musste abgebrochen werden.

«Unreal - Drum& Bass Festival" hiess der Anlass, den die Berner Veranstalter von Ammonit Productions in der Nacht auf Donnerstag in der Grossen Halle der Reitschule durchführten. Das Festival gilt als das grösste seiner Art in der Schweiz. Auf dem Programm standen Szenegrössen wie LTJ Bukem und Pendulum. Die elfte Ausgabe des Festivals aber bleibt Besuchern und Veranstaltern in schlechter Erinnerung: Gegen 5 Uhr am Donnerstag morgen musste der Anlass abgebrochen werden. Eine Gruppe Chaoten stürmte die Grosse Halle - offenbar gezielt, wie die Veranstalter selber in einer Stellungnahme schreiben. Nach einigen Scharmützeln auf dem Vorplatz sei die Gruppe Unbekannter von drei Seiten mit Pfefferspray, Eisenstangen und Gittern bewaffnet auf den Eingang zugestürmt. Einige hätten es geschafft, in die Halle zu kommen. Dort hätten sie durch den Notausgang wartende Kollegen hereingelassen. Am Eingang, so berichten die Veranstalter, sei es zu «massivem Gerangel und schrecklichen Szenen" gekommen. Niemand mehr habe das Gebäude verlassen können, und in der gut gefüllten Halle sei ein Stau mit Panikpotenzial entstanden. Deshalb sei der Entscheid gefallen, den Anlass abzubrechen. Auf Facebook schreibt eine Besucherin aus Stuttgart, dass die Szenen sie geschockt hätten. Sie müsse das Ganze nun erst verarbeiten. Um wen es sich bei den Chaoten handelte, ist unklar. Die Veranstalter waren gestern Abend nicht mehr erreichbar. Eine Polizeimeldung über den Vorfall liegt nicht vor. Der morgige Anlass mit Sven Väth in der Grossen Halle soll plangemäss stattfinden. wrs

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Bund 18.5.12

Nachtleben - Gemeinderat will die Probleme anpacken

Der Gemeinderat hat sich mit den Petitionären von Pro Nachtleben getroffen.

4000 Menschen haben die Petition Pro Nachtleben unterschrieben: Darin fordern sie den Gemeinderat unter anderem auf, ein Lärmkonzept zu erarbeiten. Am Mittwochabend haben sich Vertreter des Vereins und der zuständige Polizeidirektor Reto Nause (CVP) zu einer Sitzung getroffen - zum zweiten Mal.

«Es ging bei diesem Gespräch darum, aufzuzeigen, welche Mittel und Möglichkeiten die Stadt Bern im Nachtleben-Konflikt hat", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). Der Handlungsspielraum der Gemeinde sei durch die nationale und die kantonale Gesetzgebung zwar stark eingeschränkt. Nun wolle man aber in verschiedene Richtungen weiterdenken. Eine Option sei etwa, dass der Kanton eine Anpassung der Lärmschutzzone 3 vornehme. «Gerade in der oberen Altstadt muss das Leben neben dem Wohnen Platz haben", sagt Nause. Für ihn steht fest: «Der Gemeinderat bekennt sich zum Nachtleben in Bern. Es ist wichtig für die Hauptstadt - nicht nur kulturell, sondern auch als Wirtschaftsfaktor. Deshalb müssen wir die Probleme anpacken."

Kein «Tohuwabohu" als Ziel

Der Präsident des Vereinskomitees, Thomas Berger, lobt das Treffen auf Anfrage als «lösungs- und zielorientiert": «Wir stellen allmählich auch fest, wie wenig Spielraum die Stadt Bern hat", sagt Berger. Beide Seiten hätten «Hausaufgaben" erhalten, die bis zu einem nächsten Treffen im Sommer zu erledigen seien. Die Nachtleben-Petitionäre sind beauftragt, eine Vision zu erarbeiten, wie ihrer Ansicht nach das Stadtberner Nachtleben in zehn Jahren aussehen soll. Berger stellt klar: «Wir wollen nicht 24 Stunden Tohuwabohu. Wir sind noch immer der Überzeugung, dass Wohnen und Ausgang in Bern nebeneinander Platz finden sollten." (jäg/len)

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WoZ 17.5.12

Grundeinkommen

Frauen mit unterschiedlichem sozialem Hintergrund denken darüber nach, was sich mit einem bedingungslosen Grundeinkommen ändern könnte und was bei seiner Umsetzung mitbedacht werden muss. Unter der Leitung von Annemarie Sancar (Genderbeauftragte Deza, Mitglied von WIDE) diskutieren Judith Giovannelli-Blocher (Schriftstellerin), Ursula Knecht-Kaiser (Labyrinthplatz Zürich), Therese Wüthrich (Zentralsekretärin Syndicom, Debattierclub WIDE) und TeilnehmerInnen aus dem Publikum.

Bern Frauenraum der Reitschule, Neubrückstrasse 8, Do, 24. Mai, 20 Uhr (Bar ab 19 Uhr).

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WoZ 17.5.12

Mignon

Nein, niedlich ist sie nicht: Im Video zum Song "Hot Love" zeigt Mignon das blutige Loch in ­ihrem Körper, wo mal ihr Herz war. Eine andere Frau hält das blutig tropfende Herz, küsst und schleckt es. Und auch im Musikvideo von "Kiss of Death" tummeln sich düstere Gestalten.

Mignon startete ihre Karriere 2001 mit der Sängerin und Performerin Peaches, mit der zusammen sie mit wilden Bühnenshows Berlin unsicher machte. So stopften die beiden ihre Unterhosen mit Polstern aus, was man unter ihren kurzen Röcken gut sah, und gaben stundenlange Freestyle-Rapeinlagen. 2003 begann Mignon ihre Solokarriere   - auch ohne Peaches ist die zierliche Frau mit der wilden Mähne eine Rampensau, die auf der Bühne alles gibt.

In einer spektakulären Show rockt Berlins "Königin des Splatterrocks" nun den Berner Frauenraum mit einer Mischung aus Rock 'n' Roll, Punk, Metal, Electronica und Pop. Anschliessend gibts Disco mit DJane Audiophil. süs

"Mignon" in: Bern Frauenraum der Reitschule, Sa, 19. Mai, 22 Uhr. www.frauenraum.ch

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WoZ 17.5.12

Roy and the Devil's Motorcycle

Mit dem pinkfarbenen Cadillac ins All

Benedikt Sartorius

Seit über zwanzig Jahren drehen die Gebrüder Stähli aus Oberdiessbach bei Thun als Roy and the Devil's Motorcycle ihre Kreise im Space-Rock-Kosmos. Mit "Tell it to the People" haben sie ein Album geschaffen, "in dem alle Partikel durcheinandertanzen".

Von Benedikt Sartorius

Das Feedback setzt an, dreht Schlaufen und lauert durchgehend im Hintergrund. Eine Trommel gibt den Puls an, ehe an der akustischen Gitarre eine listige Bluesminiatur gezupft wird und der besungene pinkfarbene Cadillac langsam ins Soundweltall entgleitet: in den Raum, den Roy and the Devil's Motorcycle auf ihrem dritten Album, "Tell It to the People", öffnen.

"Wir sind eine Band, die einfach spielt", sagt Markus Stähli, einer von drei Gitarrenbrüdern, die die Band bilden. Seit über zwanzig Jahren existieren Roy and the Devil's Motor­cycle, und in all den Jahren folgten Christian, Markus und Matthias im Verbund mit wechselnden Schlagzeugern (aktuell Alain Perret-Gentil, der ehemalige Sänger der Bieler Garage-Combo The Come N' Go) ihrem eigenen Rhythmus, fern aller Trends. Die Brüder expedierten hin zum Geisterblues, streiften den traditionellen Hinterwäldlerfolk, lärmten zu Beginn extrem rudimentär, mit den Jahren zunehmend radikaler   - und zuletzt, auf dem Album "Because of Women" (2006), auch erdiger.

Befreiter Lärm aus dem Kaff

Oberdiessbach bei Thun ist die Heimat der Stählis, ein Kaff im Bermudadreieck zwischen Berner Oberland, Emmental und der Autobahn, das sie mittlerweile verlassen haben. Und wahrscheinlich ist eine Band wie diese nur in der Provinz möglich: "Die Leute probieren im Kaff, sich selber zu helfen. In der Stadt orientiert man sich schneller an dem, was läuft", sagt Markus. Und wahrscheinlich hätte man sich auch früher aus den Augen verloren.

Immerhin gab es einen ehemaligen Jugendkulturkeller in Oberdiessbach. Und dort probten die drei, nachdem Matthias, der Älteste, seine beiden jüngeren Brüder rekrutiert und ihnen eine Gitarre umgehängt hatte. Später dis­lozierte die Band nach Thun, ins mittlerweile abgerissene Selve-Areal, wo sie den Übungsraum mit der Avantgardeband Alboth! teilten.

Aus dem Jahr 1991 stammt ein erstes, rudimentäres Demotape, das dieses Jahr wieder aufgetaucht ist: "Wild Primitive Teenage Rock 'n' Roll" verspricht diese Kellerkassette, die die Radikalität des ersten wichtigen "Roy"-Werks "Forgotten Million Sellers" noch nicht erahnen lässt. 1997 als allererste Platte überhaupt auf Voodoo Rhythm, dem Musiklabel des Berners Reverend Beat-Man, erschienen, klingt dieser 35-minütige Freakout immer noch frisch. Befreiter Noise, übersteuerter Acid-Rock, explodierender Blues, wie ihn zu dieser Zeit die US-amerikanische Band Jon Spencer Blues ­Explosion zelebriert hat, beseelter Gospel, Stimmen aus dem Äther: Hier ist das am besten zu hören, was gemäss Markus Stähli den Witz des Rock 'n' Roll ausmacht: "Die eine Seite ist die Musik, ist das Amüsement, die andere ist die lauernde ­Gefahr, und du weisst nicht, was dich ­erwartet."

Die üblichen Rockbandhierarchien sind bei den Roys ausgehebelt   - zumindest auf der neuen Platte, die im eigenen Übungskeller in einer alten Käserei in der Seeländer Gemeinde Epsach entstanden ist: "Wie im Universum, in dem alle Partikel durcheinandertanzen" wirke ihr drittes Album "Tell It to the People" zeitweise, so Markus: "Meine Idee war, dass das Album offen ist und den Zuhörern Platz bietet."

Ein Feedback, das spult und spult

Viel Platz gibt es auf "Tell It to the ­People" fürwahr: Da ist etwa die Interpretation von "Will the Circle Be Unbroken", einem Traditional. Nur die Stimme von Christian fliegt durch diesen kosmischen Soundnebel aus echoenden Mundharmonikas und klackenden und wabern­den Gitarrendrones, ganz ohne Schlagzeug. Da ist das psychedelische "Piggy Bank": Die einzelnen Soundelemente rennen gegen­einander an, und der rechte Kanal weiss scheinbar nicht, was im linken geschieht.

Da sind aber auch zugespitzte Attacken wie "I'm Alright", in dem Free-Bläser Hans Koch die Kakofonie verstärkt   - und die Musik um ein weiteres, freies und lautes Element anreichert. Die Musik auf dem Album unterscheidet sich stark von dem, was Roy and the Devil's Motorcycle auf Konzerten spielen: Aufnehmen, das sei keine Bandangelegenheit, sagt Markus. Und so gab es im Studio auch nicht eine einzige festgelegte Arbeitsweise, zumal die Band reichlich desorganisiert sei   - was sich auch in der Vielfalt ihrer Einflüsse widerspiegelt: Viel Reggae und Dub, etwa die Produktionen des Londoner Labels OnU-Sound, habe man während des Aufnahmeprozesses gehört, oder die beunruhigende Leere im Sound der britischen Band Talk Talk. Ein weiterer wichtiger Bezugspunkt   - weniger für seine Brüder, aber zumindest für Markus selbst, ist der vor zwei Jahren verstorbene US-amerikanische Singer-Songwriter Alex Chilton, der etwas auf den Punkt bringen und gleichzeitig demontieren konnte.

Auf dem Punkt und doch wacklig sind auch Roy and the Devil's Motorcycle: "Was machen wir da überhaupt?", fragen sich die Brüder immer wieder. "Doch es geht immer irgendwie weiter", sagt Markus. Immer weiter fliegt auch dieses so detailreiche Album, ehe ein Brunnen minutenlang vor sich hin plätschert, Vögel zwitschern und zum finalen "Henry's Blues" angesetzt wird. Nur das Feedback, das lauert und lodert und spult im Hintergrund weiter. Immer weiter.

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kulturagenda.be 17.5.12

Labelbattle im Dachstock

Die beiden Schweizer Labels Voodoo Rhythm Records und Tree in a Field Records liefern sich ein musikalisches Duell der besonderen Art. Auf mehreren Bühnen performen die Bands des Berner Rock'n'Roll-Labels Voodoo Rhythm (u.a. Heart Attack Alley) mit den
experimentierfreudigen und teils brachialeren Truppen des Basler Labels Tree in a Field (u.a. Fai Baba, im Bild). Dachstock in der Reitschule, Bern. Sa., 19.5., 22 Uhr

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kulturagenda.be 17.5.12

"Eine Liebe im Iran" im Kino Reitschule

Nach aussen passen sich die Schülerinnen Atafeh und Shirin den strengen Regeln des öffentlichen Lebens in Teheran an. Heimlich tanzen sie jedoch an geheimen Partys, experimentieren mit Drogen und zelebrieren ihre Liebe zueinander. Der Spielfilm "Sharayet - Eine Liebe in Teheran" schildert eindrücklich ein unmögliches Leben im religiösen Fundamentalismus.
Kino in der Reitschule, Bern. Di., 22.5., 20.30 Uhr

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WOZ 17.5.12
http://www.woz.ch/1220/reitschule-bern/die-rache-der-berner-stubenhockerinnen

Reitschule Bern

Die Rache der Berner StubenhockerInnen

In Bern streitet man sich mal wieder um die Reitschule. Lärmklagen brachten den Berner Statthalter Christoph Lerch dazu, den Vorplatz sperren zu wollen. Und Bern freut sich über die grösste Nachtdemo seit den achtziger Jahren.

Von Dominik Gross (Text) und Raphael Moser (Foto)


Und hier soll ab halb ein Uhr nachts Schluss sein mit Feiern?
Vorplatz der Berner Reitschule in der vergangenen Freitagnacht.


Wer regiert eigentlich unsere Städte? Es ist nicht die Mauch Corine, nicht der Morin Guy, nicht der Maudet Pierre und auch nicht der Tschäppät Alexander. Es sind auch nicht die Pharmaindustrie, die Bankenwelt, Glencore oder Swatch. Nein. Wir werden regiert von Menschen, die ein allzu unbeschwertes Verhältnis zu ihrem Telefonhörer pflegen. Sie tippen die 117 ein, weil sie die Feierlust der anderen nicht aushalten: Unsere Städte werden regiert von LärmklägerInnen.

Meistens bleiben sie anonym. Und es reicht, wenn die vielen Melodien der Nacht nur sie ganz allein stören. Lärm ist, wenn LärmklägerInnen sagen, es sei Lärm. Mächtig sind sie mit ihren Telefonhörern und ihrer leisen Stimme, die sagt: "Es stört mich." Diese Macht ist der LustfeindInnen Lust. Die Rache der StubenhockerInnen, die Antwort der Zurückgelassenen. Manchmal rufen sie dreimal an pro Nacht, viermal, fünfmal, zehnmal. Was anderen die "sääxsääxsääxdreimaldiesäächs", ist ihnen die 117: ihre liebste Servicenummer. Stadtpolitik ist Lärmpolitik, "Erlaubt ist, was nicht stört", schrieb sich die Stadt Zürich einst auf die Fahnen. Es war die Kapitulation einer demokratisch gewählten, rot-grünen Regierung vor den anonymen LärmklägerInnen - Pardon, vor den "Arbeitstätigen, die Ruhe verdienen".

In Bern, Hauptstadt des konsequent angewendeten Wegweisungsartikels und viktorianischer Parkordnungen sowie Besitzerin eines rigiden Bahnhofsreglements, das weder Bettlerinnen noch Abhänger duldet, gabs mal eine Lärmklägerin, die nicht anonym blieb. Man nannte sie "Frou Müller". Charlotte Müller ist Soziologin an der Pädagogischen Hochschule in Bern und wohnt über dem ehemaligen Berner Club "Sous Soul". Dreimal wechselte sie im selben Haus die Wohnung, am Ende zog sie im Parterre ein. "Dort, wo die Bässe wummern", wie sie sagte. Umso näher Frau Müller dem "Sous Soul" rückte, desto aussichtsloser wurde dessen Lage: Am 30. Dezember 2011 musste das Konzertlokal schliessen, die Lärmklagen der Nachbarin hatten es zu Fall gebracht. Frau Müller sagte: "Der Lärm dringt in meine Träume ein." Man hasst das, was man insgeheim am meisten liebt, sagen die PsychoanalytikerInnen.

"Figg di, Frou Müller" war ein kleiner "Shitstorm" im Netz, es folgten ein paar Partys. Nun aber hat das Feindbild Müller einen prominenteren Nachfolger gefunden: Chris­toph Lerch, kantonaler Regierungsstatthalter für die Stadt Bern und Sozialdemokrat, hat vor zwei Wochen verfügt, dass auf dem Vorplatz der Reitschule ab halb ein Uhr
nachts Schluss sein muss mit Feiern. Die Massnahmen scheinen unter den gegebenen Verhältnissen illusorisch: Der Vorplatz sollte von der Reitschule um diese Zeit geräumt, die Leute weggewiesen, der Getränkeausschank auf dem Vorplatz und der Verkauf über die Gasse im Innern der Reithalle eingestellt, der Innenhof ruhig sein. Zu viele LärmneurotikerInnen hatten zu oft ihre ­liebste Servicenummer gewählt.

Dieser Vorplatz ist eine Legende

Aber die Reitschule, das letzte Autonome Jugendzentrum (AJZ) aus den wilden 80ern, das anders als etwa die Rote Fabrik in Zürich bis heute nicht in den Organen der Stadtbehörden verdaut wurde und eigentlich noch immer besetzt ist, ist nicht das "Sous Soul". Nur schon ihr Vorplatz ist eine Legende: 1981, bei der ersten Besetzung, ein Rausch der Drogen und der Gewalt, grillierten ein paar Punks einen gestohlenen Kranich aus dem Tierpark Dählhölzli. Für die Stadt war das damals zu viel: Die Reitschule wurde geräumt und mit Stacheldraht umzäunt. Nach der Räumung des Kulturzentrums Zaff und des "freien Landes Zaffaraya" wurde die Reitschule 1987 erneut besetzt. Ihr Vorplatz hat seitdem mehrere offene Drogenszenen, Angriffe der Stadtbehörden mit Beton aller Art, Naziüberfälle und Strassenschlachten überlebt. Heute tummeln sich dort an schönen Wochenenden bis zu 2000 Menschen und feiern.

So ereilte Christoph Lerch dasselbe Schicksal wie Charlotte Müller: Bern war zugepflastert mit seinem Konterfei, überall hiess es: "Figg di, Herr Lerch". Auf Facebook sah man ihn am Telefonhörer in seinem Büro, die linke Hand vor der Kameralinse, die Finger zu einer schräg aufwärts gerichteten Pistole geformt. Die Berner Juso-Stadträtin Tanja Walliser kommentierte: "Lerchs berufliche Umorientierung: telefonische Mas­turbationsberatung für Frauen." Die Stadt kannte für ein paar Tage kein anderes Thema mehr als Lerchs Verfügung. Christian Pauli, Präsident von "bekult", dem Verband der Berner VeranstalterInnen, sagt darauf der WOZ: "Wir erwarten von einer rot-grünen Stadtregierung, dass sie sich hinter die Reitschule stellt. Das entspricht der Mehrheit der Stadtbevölkerung, die Reitschule wurde schon fünfmal an der Urne bestätigt." Rahel Ruch, die Stadträtin (Legislative) der Jungen Alternativen, sagt: "Wir fordern erstens die Rücknahme der Verfügung. Zweitens muss der Gemeinderat endlich ein Nachtlebenkonzept vorlegen, drittens müssen die andauernden Kampagnen gegen die Reitschule aufhören, und viertens müssen wir endlich wieder ernsthaft über den Wegweisungsartikel, die Parkordnung und das Bahnhofsreglement diskutieren." Im Herbst seien Wah­len, dann könne man diesen "Amok-Stadtrat", das Stadtparlament mit vier grünen Parteien und seinen unberechenbaren Mehrheiten, endlich anders zusammenwählen.

Stadtpräsident Alexander Tschäppät, SP, beschwichtigt: "Wir wissen, was wir an der Reitschule haben. Der Gemeinderat steht hinter ihr. Aber das Nachtleben lässt sich meiner Meinung nach nicht verkonzepten." In einer Medienmitteilung von vergangener Woche hatte der Gemeinderat Lerchs Verfügung allerdings noch begrüsst. Weiter hiess es dort: "Wer sich ans Gesetz hält, darf sich jederzeit im öffentlichen Raum aufhalten." Für Tom Locher, Reitschüler der ersten Stunde und in der Reitschulmediengruppe tätig, ist deshalb klar: "Es geht wie immer auch um die Kontrolle des öffentlichen Raums. Und auf dem Vorplatz lässt sich eben nicht immer alles kontrollieren. Das passt der sonst allgegenwärtigen Polizei nicht - vor allem nicht den Ruhe- und Ordnungstrategen in der Führungsetage, die medial und auf politischer Ebene vermehrt Stimmung gegen die Reitschule machen."

"Dann nehmen wir uns die Stadt"

Vergangene Freitagnacht dann, es war die zweite Nacht, in der die Verfügung von Statthalter Lerch in Kraft war, erlebte Bern die grösste Nachtdemo seit den glorreichen Tagen der achtziger Jahre, 3000 Leute tanzten vergnügt durch die frühmorgendliche Stadt. Der Vorplatz der Reitschule wurde kurzerhand auf den Valser Gneis des Bundesplatzes verlegt: "Nehmt ihr uns den Vorplatz, nehmen wir uns die Stadt" war das Motto. Weiter stand auf einem Flugblatt: "Unser Lebensraum soll nicht von Politik, Behörden und Polizei verplant, reglementiert und überwacht werden, um im Standortwettbewerb gut abzuschneiden." CVP-Gemeinderat und Berner Sicherheitsdirektor Reto Nause sagt der WOZ: "Wir haben das Signal verstanden." In der Berner Zeitung sagte er, der Grossteil an der Demo sei spontan anwesendes Partyvolk gewesen. Ob Nause wirklich verstanden hat?

Am Montagabend dann, es war schon ziemlich spät, meldete sich auch noch Statthalter Lerch bei der WOZ. Er war fix und fertig: "Sachlicher Kritik hätte ich mich immer gestellt, aber mit diesen Angriffen auf meine Person habe ich nicht gerechnet." Ansons­ten kein Kommentar. Nur noch eins: "Ich bin seit 30 Jahren Mitglied im Förderverein ProWOZ." Für den 2. Juni ist in Bern schon die nächste Nachtdemo angekündigt. Einige meinen, es könnte ein heisser Berner Sommer werden.

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kulturagenda.be 17.5.12

Gute Nacht? Mit Tom Locher von der Reitschule

Wie weiter mit dem Berner Nachtleben? Tom Locher engagiert sich seit 24 Jahren in der Reitschule. Er nimmt im Interview Stellung zur Verfügung von Regierungsstatthalter Christoph Lerch. Insbesondere die Auflage, dass die Reitschule ab 0.30 Uhr Leute vom Vorplatz wegweisen müsse, hat für grosse Diskussionen gesorgt - und am vergangenen Wochenende für eine mitternächtliche, friedliche Kundgebung Tausender Reitschüler auf dem Bundesplatz. Die Reitschule-Vollversammlung hat am Sonntag beschlossen, Lerchs Betriebsauflage anzufechten.

Tom Locher, hat die Reitschule am vergangenen Freitag eine neue Verhandlungsebene mittels Party eingeläutet?

Es ist die Geburtsstunde einer neuen Bewegung, die sich kreativ und aktiv für das urbane Nachtleben und konsumzwangfreie Freiräume jenseits der neoliberalen Geranienidylle stark macht. Die Reitschule ist dabei das Bindeglied ziwschen Clubs und Strasse.

Der Gemeinderat hat Regierungsstatthalter Lerch zurückgepfiffen. Reto Nause sagt: Der Vorplatz ist ein öffentlicher Platz, also muss die Reitschule dort niemanden wegweisen. Damit geben Sie sich nicht zufrieden?

Seit es die Verfügung gibt, sagt jeder etwas anderes. Wenn man vom Verfügungstext ausgeht, müssten wir alle wegschicken. In einem Interview sagte Lerch aber, Leute mit eigenem Getränk müssten wir nicht wegschicken - ergo aber die mit Reitschule-Getränken. Gemeinderat Reto Nause findet nun, wir müssten gar niemanden wegschicken.

Die Vorplatzbar ist Lerch ein Dorn im Auge. Wie gehen Sie damit um?

Seit 2008 betreibt die Reitschule im Sommer eine Aussenbar. Daneben gibt es unregelmässig kleinere Bars, die nicht von der Reitschule betrieben werden, sondern von Menschen, die zum Beispiel woanders von Polizei oder Nachbarn vertrieben wurden. Dank Herrn Nause ist jetzt klar, dass wir für sie nicht zuständig sind, da der Vorplatz ein öffentlicher Platz ist. Man kann uns folglich nicht dafür belangen, wenn dort jemand Lärm macht. Stellt sich also die Frage: Welche der 80 Lärmklagen, für die wir bisher oft juristisch den Kopf hinhalten mussten, betreffen eigentlich wirklich die Reitschule?

Sie lehnen also die Verantwortung für den Vorplatz vollständig ab?

Nein, im Gegenteil. Wir fühlen uns zuständig für den Vorplatz und die Sicherheit unserer Gäste. Wir vertreiben Dealer und Diebe und greifen bei Schlägereien ein. Das ist in unserem eigenen Interesse: Wenn wir es nicht tun, machen es die Polizei oder private Sicherheitsfirmen und deren mangelnde Sensibilität würde nur zu neuen Reibereien führen. Bars und Partys von Dritten sind für uns kein Sicherheits- oder Lärmproblem, sondern Teil des gesamtstädtischen Nachtlebenproblems.

Sie sind seit 24 Jahren dabei. Wie hat sich das Verhältnis von Stadt und Reitschule verändert?

Vertragsverhandlungen mit den Behörden waren auch früher immer intensiv, aber nicht so sisyphusmässig wie heute. Früher verhandelten wir mit Stadtverwaltung und Gemeinderat, heute mischen sich alle ein: Teile des Stadtparlaments verweigern wahlkampffiebrig die Kreditsprechung und fordern absurde Massnahmen. Die Polizei betreibt Politik, indem sie die Sicherheitsdebatte völlig unnötig anheizt. Und jetzt auch noch Lerchs Auflagen. Das Absurde: Die zwei Verhandlungspartner Stadtbehörden und Reitschule sind sich eigentlich schon seit Anfang 2011 einig.

Aber es ist doch legitim, dass sich der Regierungsstatthalter einmischt.

Ja, aber leider fehlt ihm die nötige Sensibilität für die realen Verhältnisse und Bedürfnisse. In der aktuellen Vertragsverhandlungsrunde geht es uns darum, alle Vertragswerke - dazu gehört auch die Betriebsbewilligung - sinnvoll und verständlich zu gestalten. Deshalb wurde Lerch zu den Vertragsgesprächen eingeladen. Er war aber nicht interessiert. Jetzt prescht er mit seiner Verfügung vor. Das ist unverständlich.

Für viele Leute bleibt die Reitschule ein rotes Tuch. Ist Ihnen das egal?

Wir stellen den gegenteiligen Trend fest: Spätestens seit der letzten Abstimmung kann man quasi von einer "Müslümisierung" reden: Es kommt nicht mehr die halbe Stadt zu uns, sondern die ganze. Der Vorplatz ist zur Piazza geworden, zur Begegnungs-Allmende. Das hat natürlich auch damit zu tun, dass das Berner Nachtleben zu teuer, zu kontrolliert, zu überwacht und zu ausgrenzend geworden ist. Der Vorplatz ist dadurch sowas wie eine Oase in der Wüste der Ordnung geworden.

Interview: Michael Feller

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Bund 16.5.12

Sleep

Furor im Zeitlupentempo

Vor 20 Jahren hat die Gruppe Sleep den Stoner-Rock vorausgedacht. Nun setzt sie zur Welteroberung an.

Wenn eine Band in 22 Jahren gerade mal zwei offizielle Alben veröffentlicht, dann ist vernünftigerweise anzunehmen, dass da im Werdegang etwas falsch gelaufen ist. Wenn diese Band aber kraft dieser beiden Alben auch nach zwei Dekaden noch kultisch verehrt wird, dann muss etwas dran sein an dieser Band.

Sleep heisst die Formation, auf die das alles zutrifft. Sie stammt aus dem kalifornischen San Jose und wird neben der Gruppe Kyuss als Wegbereiterin des Stoner-Rock gehandelt, jenem Stil, der einer Szene aufgepfropft wurde, die den heruntergetakteten Doom-Metal mit psychedelischen Kaprizen unterfütterte. Als Sleep 1991 ihren Erstling "Volume 1" veröffentlichte, erregte das noch wenig Aufhorchen. Sleep tat das, was naheliegend war. Die Metal-Szene war nach Jahren des Tempobolzens in der Phase der Entschleunigung. Man entsann sich der Erkenntnis, die die Gruppe Swans ein Jahrzehnt zuvor etabliert hatte: dass mit einem Höchstmass an Gemächlichkeit weit mehr Nachdruck möglich war als mit einer weiteren Erhöhung des Tempos. Zwei Jahre später nahm Sleep das Album "Sleeps Holy Mountain" auf, schickte das Demo der Plattenfirma Earache, welche die Gruppe sofort unter Vertrag nahm, das Album noch in der Demoversion veröffentlichte und einen Grosserfolg landete. "Sleeps Holy Mountain" offerierte eine Art Hippie-Doom-Metal mit unüberhörbaren Anleihen bei Black Sabbath. Das Album war ein Meisterwerk, das noch heute verherrlichungswürdig klingt. Und wie das so ist mit Bands, die Meisterwerke in die Welt setzen: Sie werden bald von grösseren Plattenfirmen geködert. Sleep unterschrieb bei London Records, nahm das Album "Dopesmoker" auf, das vom Label als kommerziell nicht verwertbar taxiert wurde und unveröffentlicht blieb. Die Folge: Frust, Hadern und die Auflösung der Band. Das zappendustere "Dopesmoker"-Album erschien Jahre später als Bootleg unter dem Namen "Jerusalem", 2009 kam es zum Revival, und nun kehren die Helden für ein exklusives Schweiz-Konzert in den Dachstock ein. (ane)

Dachstock Reitschule Fr, 18. Mai, 20 Uhr.

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kulturstattbern.derbund.ch 16.5.12

Auffahren

Von Benedikt Sartorius am Mittwoch, den 16. Mai 2012, um 06:15 Uhr

Morgen Donnerstag ist bekanntlich Auffahrt - und das Basler Plattenlabel A Tree in a Field Records hat die richtige Musik, um neue Dimensionen zu erkunden:

Combineharvester: "Some Ditty, A Mountain II" // Roy & The Devil's Motorcycle: "Getaway Blues" // Fai Baba: "Shine A Light" & «Love Sikk" // Papiro: «Negativ White 2" // Welttraumforscher: «Herzschlag Erde"

Um das zu kontern, hilft nur ein Pfarrer in Gestalt von Reverend Beat-Man und seinem Voodoo-Rhythm-Label, wo jüngst diese fromme Compilation erschienen ist:


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Ring them Bells für das grosse Label-Treffen, am Samstag im Dachstock.

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Bund 16.5.12

Label-Battle: Voodoo Rhythm vs. A Tree in a Field

Meditation und Ekstase

Sechs Bands, zwei Labels: Die Plattenhäuser A Tree in a Field und Voodoo Rhythm laden zum zweiten Label-Battle in den Dachstock. Das Scharnier an diesem Abend: die Gebrüder Stähli alias Roy & the Devil's Motorcycle.

Benedikt Sartorius

Was kann Rockmusik im Jahr 2012? Sie kann, natürlich, ganz primitiv posieren, das ungute, machoide nach aussen kehren und sich in kraftmeiernden Gitarrensoli verlieren. Sie kann den guten alten Zeiten, als Punkrock noch die Revolution geträumt hat, nachtrauern und zur historischen Revue verkommen. Sie kann reizvoll nachlässig sein, verschlurft und ideenreich - und natürlich kann sie immer noch in neue Dimensionen vorstossen.

Marlon McNeill ist einer dieser Abenteurer, deren Musik Räume öffnen und sprengen kann. Für sein Soloprojekt Combineharvester suchte der Basler vor zehn Jahren ein Label - und da keines seine damaligen, fragilen und sinistren Lieder veröffentlichen wollte, gründete er ein eigenes, kleines und feines Plattenhaus. Seither sind 36 Produktionen auf A Tree in a Field Records erschienen. Neben seiner eigenen Musik - zuletzt die dronehafte, gespenstische, zunächst sehr leise, dann sehr laute hypnotisierende Soundmeditation "Some Ditty, a Mountain II" - presst McNeill das legendäre Kassettenwerk "Herzschlag Erde" der Welttraumforscher auf Platte. Ausserdem bietet er ein Zuhause für die mathematisch genauen Gitarrenattacken von Flimmer oder den liebeskranken Psycho-Delta-Blues des Zürchers Fabian Sigmund, der als Fai Baba im Sommer sein zweites Album veröffentlichen wird und derzeit im Fokus des Labels steht. Ein wichtiger Programmpunkt ist auch das Werk von Marco Papiro, der McNeill bei den Labelarbeiten unterstützt und seine eigenen, analog fiependen und überschlagenden Aufnahmen wie zuletzt "Negativ White 2" produziert. Auf dieser live eingespielten Platte hatte Papiro Gesellschaft von Markus Stähli, der mit seinen zwei Brüdern Christian und Matthias die Band Roy & the Devil's Motorcycle - und das Scharnier des Abends im Dachstock - bildet.

Trendimmune Brüder

Seit über zwanzig Jahren drehen die Roys aus Oberdiessbach ihre Kreise im Space-Rock-Kosmos. In dieser Zeit erschienen Kassetten und Singles - zuletzt für A Tree in a Field die auf 500 Exemplare limitierte "Getaway Blues" - sowie drei Langspielplatten, die allesamt auf Reverend Beat Mans Label Voodoo Rhythm veröffentlicht sind. Die Brüder folgten in all den Jahren im Verbund mit wechselnden Schlagzeugern ihrem eigenen, trendimmunen Rhythmus: Sie streiften den traditionellen Hinterwäldler-Folk, lärmten zu Beginn extrem rudimentär, mit den Jahren und vor allem auf dem kürzlich wieder aufgelegten "Forgotten Million Sellers" (1997) zunehmend radikaler und zuletzt, auf dem Album "Because of Women" (2006), auch erdiger.

Nun streben die Roys auf ihrer neuen Platte "Tell It to the People" mehr denn je in Richtung Offenheit. Das Gitarrenfeedback ist ewig, es spult psychedelisch, das Weltall wird nicht nur im frei fliegenden Traditional "Will the Circle Be Unbroken" erreicht, während gleich nach dem sinistren und lauernden Beginn der Platte zum grossen Lärm-Freakout geladen wird. Roy & the Devil's Motorcycle geben auf "Tell It to the People" dem Rock 'n' Roll die zu oft verlorene Gefährlichkeit zurück und erreichen die Gitarrenekstase - ganz ohne Machoismen oder Revuen, sondern in der Auflösung der Songform. Ja, auch das kann die Rockmusik im Jahr 2012.

Dachstock Reitschule Sa, 19. Mai, 20 Uhr. Bands: Roy & the Devil's Motorcycle, Flimmer, Combineharvester, Fai Baba, Heart Attack Valley, Papiro w/ Mir.

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Bund 16.5.12

Fünf Fragen an Michael Oberer

Michael Oberer ist seit Jahren freischaffender Regisseur an Schweizer und deutschen Bühnen (u. a. Mainz, Kiel, Ulm, Osnabrück). In Bern hat er, neben seinen Arbeiten in traditionellen Häusern wie dem Stadttheater und diversen freien Gruppen, Spuren hinterlassen mit seinen Produktionen an ungewöhnlichen Orten wie dem Münster, dem Anatomischen Institut oder dem Bärengraben, wo er 2010 "Warten auf Godot" inszenierte. Seine neueste Arbeit, die "Antigone" des Sophokles in der Übersetzung von Friedrich Hölderlin, hat am Donnerstag 17. Mai im Tojo-Theater der Reithalle Premiere.

In der Tragödie "Antigone" von Sophokles schauen wir einer Frau dabei zu, wie sie Amok läuft gegen ein Machtgefüge. Trotz eines Verbots des Königs beerdigt Antigone ihren Bruder, den "Vaterlandsverräter". Sie widersetzt sich der Staatsräson und folgt ihrem Gewissen. Sind Sie einem aktuellen Impuls gefolgt, als Sie sich für dieses Stück über zivilen Ungehorsam entschieden?

Gewisse Ereignisse im arabischen Frühling haben mich an Szenen in Antigone erinnert. Gleichzeitig habe ich mich stark mit Werken von Alexander Kluge und Walter Kempowski beschäftigt, mit diesem "Dialog mit den Toten", wie es Heiner Müller einmal formuliert hat.

Haben Sie Antigone schon einmal inszeniert?

Ja, vor etwa 25 Jahren in Deutschland. Diese Inszenierung fiel in die Endzeit der Roten Armee Fraktion. Es gab damals Diskussionen, ob man dieses Stück auf den Index setzen sollte, weil es zum Widerstand gegen den Staat aufrufe. Ich war damals noch ziemlich jung und habe mich diesem Stück unbefangen genähert. Es war keine schlechte Inszenierung, aber ich habe seither mit "Antigone" noch eine Rechnung offen. Erst allmählich habe ich realisiert, dass dieser Stoff ein 8000er ist, den man als Regisseur besteigen will. Mich hat diesmal mehr der ungeheure Sog der Emotionalität interessiert, in den man gerät. Sophokles zeigt, wohin es führt, wenn man den Umgang mit Affekten nicht kontrollieren kann und diese frei fliessen lässt. Wir streben keine Aktualisierung an, sondern siedeln das Stück in einer Art Souterrain unseres mythologischen Bewusstseins an, in einem Zwischenreich. Die Figuren müssen dort die Geschichte immer wieder aufs Neue erleben und begehen immer wieder dieselben fatalen Fehler.

Zur Textebene, der Nachdichtung von Friedrich Hölderlin, kommt die Musik der Perkussionistin Margrit Rieben und die Choreografie von Marcel Leemann hinzu. Haben Sie dem Stücktext allein nicht getraut?

Wenn man sich mit diesem Stoff beschäftigt, kommt man immer wieder in Situationen, in denen Worte nicht mehr das verbalisieren können, was die Emotionen der Figuren ausdrücken. Aber keine Sorge, es wird keine Balletteinlagen geben, die explosiven Situationen fahren in bestimmten Momenten buchstäblich in die Körper der Figuren ein.

Ist die Perkussionistin Margrit Rieben live auf der Bühne zu sehen?

Ja. Wir haben an verschiedenen Orten im Raum Gongs und Ölfässer aufgestellt, die sie dann bearbeitet. Das wird teils sehr heftig werden. Und für den dräuenden Sound von aussen ist Roger Ziegler von Herpes Ö DeLuxe zuständig.

Wie beantworten Sie für sich heute die Frage, wann individueller Widerstand gerechtfertigt ist gegen ein Machtsystem?

Schwierige Frage. Wenn man all die Revolutionen betrachtet, kommt man kaum um die Einsicht herum, dass ungefilterte Emotionen und heftige Leidenschaften noch mehr Zerstörungen und neues Unheil provozieren. Ich habe selten ein Stück kennen gelernt, das eine so niederschmetternde Diagnose stellt. Aus heutiger Sicht ist Sophokles ein Existenzialist, der auf krasse Weise vorführt, wie wir Menschen in etwas hineingeworfen werden, das wir nicht kontrollieren können. Kommt dazu, dass in "Antigone" auch die Reste eines matriarchalischen Systems präsent sind. Und so entsteht eine Wildheit und gleichzeitig etwas Romantisch-Archaisches, das einen als Zeitgenossen auch 2500 Jahre später noch ziemlich erschrecken kann. (lex)

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Bund 16.5.12

Wie ein freundlicher Genosse zum Feindbild der Jugend geworden ist

Regierungsstatthalter Lerch wird von allen Seiten attackiert - ist er bloss Sündenbock oder selber schuld?

Simon Jäggi

Wer kifft, lernt nicht, wird apathisch und bricht die Lehre ab. Das war einer dieser Sätze, die den verstorbenen FDP-Polizeidirektor Kurt Wasserfallen in den 90er-Jahren zum Feindbild der Berner Jugend machten.

Einen solchen Satz würde man von Regierungsstatthalter Christoph Lerch nie hören. Lerch ist ein freundlicher, äusserst korrekter Zeitgenosse, er singt die Tenorstimme in einem Chor und legt jedes Wort auf die Goldwaage. Er scheint ganz und gar nicht geeignet, die Rolle einer Reizfigur innezuhaben.

Diametral zu seiner Erscheinung kommt die ruppige Kampagne gegen seine Person daher: Zurzeit hängen in der ganzen Stadt Kleber mit dem unappetitlichen Slogan "Figg di Herr Lerch". Und an der Nachtdemo vom letzten Wochenende waren sie überall zu sehen: die Masken mit dem Konterfei des SP-Regierungsstatthalters, welche sich die jungen Demonstranten überzogen, um gegen die Zwangsmassnahmen auf dem Vorplatz und gegen die Einschränkung des Ausgangslebens zu protestieren.

Schon in den Achtzigerjahren trugen Demonstranten die Maske ihrer Gegner: Damals war es der FDP-Polizeidirektor Marco Albisetti, der Zaffaraya räumen liess. Albisetti und Wasserfallen, zwei Bürgerliche, die polarisierten - und sich damit auch profilierten.

In diese Reihe passe Lerch mit Bestimmtheit nicht, sagt Bernhard Giger. Der Filmemacher, ehemalige Leiter des BZ-Lokalressorts und jetziger Kornhausforum-Leiter verfolgt die Berner Politik und Protestbewegungen seit 1968 - als er selber ein Bewegter war. "Es ist schon in erster Linie sein Amt, das ihn in diese Rolle gebracht hat." Als Regierungsstatthalter sei es halt Aufgabe, unpopuläre Entscheide zu vertreten. Daher müsse Lerch nun als Sündenbock herhalten.

Eine Einschätzung, die selbst die grössten Lerch-Kritiker in der Stadtberner Politik teilen: "Jeder Mensch braucht Feindbilder. Es ist einfacher, Lerch alleine anzugreifen als den Gesamtgemeinderat", sagt etwa Manuel C. Widmer, GFL-Stadtrat. Im Regierungsstatthalteramt gehe es letztlich darum, Gesetze zu vollziehen. Und der Jungfreisinnige Thomas Berger, der den Verein Pro Nachtleben präsidiert, sagt: "Er ist effektiv an geltende Gesetze gebunden. Der Bürger wünscht sich oft Augenmass und gesunden Menschenverstand - das kann aber auch zu Willkür führen."

Fehlendes Fingerspitzengefühl

Damit hat sich aber das Verständnis der Lerch-Kritiker schon erschöpft. Wenn man sich in Politikerkreisen umhört, tönt es stets ähnlich - selbst in SP-Kreisen: Lerch möge ein guter Jurist sein, ihm fehle aber das politische Fingerspitzengefühl. Stellvertretend dafür sagt etwa der grünliberale Parlamentarier Claude Grosjean: "Er ist zu viel Jurist und zu wenig Politiker. Er hält sich stoisch an den Buchstaben des Gesetzes." Wie Lerch sein Amt versteht, führte er jüngst im "Bund" aus: "Ich wende nur die Gesetze an, die die Politik beschlossen hat."

Für die Empörten greift das zu kurz: Einer, der in der Nacht auf Samstag demonstrierte und die linke Szene in Bern bestens kennt, ist der WOZ-Journalist Dinu Gautier. Er und sein Umfeld hätten Lerch gewählt und nicht den SVP-Gegenkandidaten - das sei eine politische Wahl gewesen: "Jetzt, da er im Amt ist, will er bloss Soldat des Gesetzes sein. Was seine Verfügungen für Folgen haben, damit will er sich nicht auseinandersetzen." Dabei habe sich Lerch im Wahlkampf als Kulturfreund präsentiert und Schriftsteller Pedro Lenz für sich werben lassen ("ein Statthalter mit Musikgehör für die Anliegen der Kultur").

Von Graffenried kritisiert Lerch

Ist der Handlungsspielraum eines Regierungsstatthalters tatsächlich so gering, wie Lerch gerne vorgibt? Der ehemalige Regierungsstatthalter Alec von Graffenried (GFL) widerspricht überraschend klar: "Als Regierungsstatthalter hat man einen relativ grossen Spielraum." Freilich müsse man rechtlich korrekt vorgehen, doch Entscheide müssten mit dem "eigenen Gewissen und dem gesunden Menschenverstand" vereinbar sein. So erhalte man vonseiten der Polizei relativ viele Vorgaben, die politisch kaum umsetzbar seien: "Hier braucht der Statthalter politisches Flair." In Anbetracht, dass Lerch nun sein "Fundament wegbreche" und er selbst in der eigenen Partei kritisiert wird, meint der heutige Nationalrat: "Vielleicht hat er sich verschätzt, oder er wurde fallen gelassen."

Erstaunt zeigt sich von Graffenried, dass sich Lerch und die Stadtregierung nicht besser abgesprochen hätten. So hat der Gemeinderat in einer Medienmitteilung betont, dass die Reitschule um 0.30 Uhr keine Personen vom Vorplatz wegweisen müsse. Lerch bestreitet aber, dass er damit vom Gemeinderat zurückgepfiffen wurde: Auf Anfrage betont er erneut, die Reitschule müsse lediglich dafür sorgen, dass ihre Gäste nach 0.30 Uhr keine Getränke aus den Gastrobetrieben auf dem Vorplatz konsumierten. "Der Gemeinderat hat nur präzisiert, da in den Medien ein falsches Bild entstanden ist." Zu den Angriffen gegen seine Person will sich Lerch nicht äussern. Tatsache ist aber auch, dass Lerch den umstrittensten Punkt in der Verfügung in seiner ersten Medienmitteilung mit keinem Wort erwähnte.

Für von Graffenried ist so oder so klar: "In dieser Sache muss man mit einer geschlossenen Front Klarheit schaffen." Das nachträgliche Einmischen des Gemeinderats habe den Regierungsstatthalter enorm geschwächt.

Prellbock für Regierung?

Dass Lerch nun der Buhmann der Stadt sei, komme dem rot-grünen Gemeinderat und dem zuständigen Polizeidirektor Reto Nause (CVP) nicht ungelegen, sind viele Politiker überzeugt. "Der Gemeinderat wollte Lerchs Verfügung vorher nicht sehen - die Vermutung liegt nahe, dass er froh ist, nichts damit zu tun zu haben, und Lerch nun relativierend in den Rücken fallen kann", sagt Grosjean. Selbst Widmer aus der RGM-Partei GFL sagt: "Der Grund des Übels liegt beim Gemeinderat - er hat sich immer um ein Nachtlebenkonzept gedrückt." Aufhorchen lässt zumindest, dass sich Regierungsstatthalter und Gemeinderat in dieser Sache bewusst nicht abstimmten: Jede Instanz handle "gemäss ihrer Aufgabe und Rolle", so Lerch kürzlich - dies auch, "weil sich im städtischen Wahljahr niemand exponieren will".

"Lerch passt gut in die SP"

Die Causa Lerch ist auch eine Causa SP: In den letzten Tagen und Wochen hat der Regierungsstatthalter für Unruhe in der wählerstärksten Stadtberner Partei gesorgt. Hinter vorgehaltener Hand befürchten SP-Exponenten sogar, dass Lerch der Partei bei den Stadtwahlen im November schaden könnte.

Schon 1968 sei ein Sozialdemokrat das Feindbild der aufbegehrenden Jugend gewesen, erinnert sich Politbeobachter Giger: Polizeidirektor Heinz Bratschi. Für Giger zeigt der Fall Lerch dennoch auf: "Die Jungen haben ein anderes Verhältnis zur Politik. Sie fordern etwas - dabei ist ihnen egal, wer in welcher Partei ist." An den Schalthebeln sässen in Bern nun halt seit zwanzig Jahren rotgrüne Politiker.

Für den Demonstranten Gautier ist es auch wenig erstaunlich, dass nun ein Sozialdemokrat die Rolle als Feindbild eingenommen habe - bei den Achtziger-Unruhen in Zürich etwa sei auch Emilie Lieberherr zum roten Tuch geworden. "Die SP mag ja Reglemente und Zonen - daher passt Lerch sehr gut in die SP."

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Göttin: "Inakzeptabler Stil"

Thomas Göttin, Co-Präsident der SP Stadt Bern, hat der Partei an der Delegiertenversammlung von dieser Woche ins Gewissen geredet: "Der Stil ist inakzeptabel bei Sprüchen mit persönlichen Angriffen auf Christoph Lerch." Im Visier hatte Göttin vor allem die Jusos, die auf ihrer Webpage nach wie vor einen Link zur Facebook-Gruppe "Figg di Herr Lerch" platziert haben. Die Juso will sich nicht mehr zum Thema Lerch äussern. Vorstandsmitglied Clau Dermont dementiert, dabei von der Mutterpartei unter Druck gesetzt worden zu sein. (bob)

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BZ 16.5.12

Tanzend protestieren

Stadt Bern. Für Anfang Juni wird zum "politischen Strassenfest" aufgerufen. Es gebe "genug Grund, die Stadt zurückzuerobern".

Gegen 3000 Personen protestierten in der Nacht auf Samstag an einem friedlichen Umzug durch die Innenstadt. Sie setzten damit ein Zeichen gegen die verschärften Auflagen der Gastrobetriebe der Reitschule und Einschränkungen im Nachtleben generell. Zum Anlass war unter anderem über Facebook aufgerufen worden. In die Menge mischten sich weitere Nachtschwärmer, die nicht vom Vorplatz der Reitschule aus gestartet waren. Der Umzug war nicht bewilligt, wurde von der Kantonspolizei Bern aber toleriert. Spätestens in gut zwei Wochen könnte es zum nächsten abendlichen Grossaufmarsch kommen. Für Samstag, 2. Juni, wird zum Strassenfest "Tanz dich frei 2.0" mit Start auf dem Vorplatz der Reitschule aufgerufen. "Wir haben Grund, uns die Stadt zurückzuerobern", vermelden die anonymen Veranstalter und nehmen damit direkt Bezug auf die Ereignisse rund um die Reitschule. Im Juni muss die Vorplatzbar laut den Vorgaben von Regierungsstatthalter Christoph Lerch geschlossen bleiben. Die Veranstalter verstehen "Tanz dich frei 2.0" als "klares politisches Statement an Stadt und Staat". Eine Bewilligung wollen sie nicht einholen, denn man brauche keine behördliche Erlaubnis, um eben genau gegen deren Politik zu demonstrieren. Auch 2011 fand ein unbewilligter Umzug unter dem Motto "Tanz dich frei" statt. Damals zogen gut 400 Personen von der Reitschule aus via Innenstadt und Länggasse wieder zurück zur Reitschule. Beim SVP-Generalsekretariat wurden Storen beschädigt. Ansonsten verlief der Umzug aus polizeilicher Sicht damals friedlich. wrs

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BZ 16.5.12

Cupfinal Basel - Luzern   -  Bärenplatz Bern

Berner Marktfahrer lehnen sich auf gegen das Regime der Stadt

Weil heute einige Tausend Fussballfans aus Basel und Luzern zum Cupfinal in die Bundesstadt reisen, müssen die Marktfahrer auf dem Bärenplatz ihre Stände früher dichtmachen. Einige wollen mit Ungehorsam reagieren und heute Mittwoch für ihre Stände kein Geld abliefern.

Marktfahrerin Margrit Fankhauser aus Detligen kommt seit vierzig Jahren mit Früchten und Gemüse auf den Bärenplatz. Heute muss sie ihren Stand vor dem Käfigturm wegen den Fussballfans früher als sonst abbrechen - um 13.30 Uhr. Ab dann werden Basel- und Luzern-Anhänger in der Innenstadt erwartet (siehe Kasten). Das nervt die 55-jährige Frau: "Warum haben wir den Bahnhof Wankdorf direkt beim Stadion gebaut? Doch damit die Fussballfans dort aussteigen." Margrit Fankhauser vertritt die Meinung, dass Sportfans und auch die Reitschule von der Stadt zu stark verhätschelt werden. "Doch den Markt brauchen Stapi Tschäppät und die Touristiker oft als Aushängeschild für die Stadt - und jetzt müssen wir wieder wegen Sportfans früher flüchten."

"Jetzt sind wir ungehorsam"

Margrit Fankhauser kündet deshalb für heute Widerstand an: Die Marktfahrer auf dem Bärenplatz würden den Gewerbepolizisten keine Platzgebühr bezahlen. "Was die von der Stadt verhätschelte Bewegung aus der Reitschule darf, können wir auch durchziehen", sagt sie. Offenbar sei der rot-grünen Stadtregierung nur genehm, wer sich den Rechtsgrundlagen entziehe und auf Ungehorsam mache, sagt sie. Und die Marktfahrerin kündet an: "Heute sind wir Marktfahrer vom Bärenplatz auch einmal ungehorsam gegen die Obrigkeiten dieser Stadt."

Wagen sollen stehen bleiben

Der Ungehorsam der Marktfahrer richtet sich nicht nur gegen die Standgebühren, sondern auch gegen die Parkiervorschriften: "Wir werden unsere Lieferwagen nicht wie vorgeschrieben bei der Dreifaltigkeitskirche unten parkieren, sondern direkt neben unserem Stand auf dem Bärenplatz." Auch der 54-jährige Marktfahrer Martin Beeri aus Grafenried ist über die Verantwortlichen der Stadt Bern und der SBB sauer, weil diese die Sportwelt bevorzugen würden: "Das ist gegenüber dem Gewerbe ein Affront." Auch er will für seinen Blumenstand kein Platzgeld bezahlen. "Nun gehen wir auf Tutti, denn offenbar ist der Stadtberner Regierung nur lieb, wer sich dem Gesetz entzieht", sagt Beeri.

Heute Sicherheitsrisiko

Marc Heeb, der stellvertretende Chef der Gewerbepolizei, hat Verständnis für den Frust der Marktfahrer: "Es geht aber nicht darum, Marktfahrer zu schikanieren, es geht um ihre Sicherheit - und die steht für mich zuoberst." Denn: "Die Fans reisen nicht nur mit Extrazügen an, sondern am Morgen auch individuell." Diese Tausenden Fans könnten für Marktfahrer ein grosses Risiko sein. Jürg Spori

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Heute Cupfinal

Bahnhofhalle gesperrt Im Stade de Suisse findet heute (Spielbeginn 20.30 Uhr) der Cupfinal Basel - Luzern statt. In der Innenstadt und rund um das Stadion ist mit grossen Verkehrsbehinderungen zu rechnen.

Grundsätzlich wurde den Basler Fans die Anreise via S-Bahnhof Wankdorf empfohlen, zwei Extrazüge kommen um 18.42 und 19.12 Uhr an. Es gibt aber auch Extrazüge, die zum Hauptbahnhof fahren. Ein erster trifft um 18.05 Uhr im Hauptbahnhof ein, ein zweiter um 18.15 Uhr. Die FCB-Fans sollen via Neuengasse, Waisenhausplatz und Zeughausgasse zum Kornhausplatz gelangen und von dort aus über die Kornhausbrücke zum Stadion marschieren.

Von 18 bis etwa 18.30 Uhr wird die Bahnhofhalle gesperrt sein, und die Gleise werden von hier aus nicht erreichbar sein. Auch der Unterführungsbereich bei den Gleisen 1/2 bleibt bis zum Fanabzug gesperrt. Reisende sollen via hinteren Teil der Unterführung oder Welle umsteigen. Der Zugang zum RBS-Bereich ist vom Bollwerk her auf Höhe Aarbergergasse signalisiert.

Den Luzerner Fans wird die Anreise via Bahnhof Ostermundigen empfohlen. Die Extrazüge aus Luzern werden zwischen 18.15 und 19.15 Uhr in Ostermundigen halten. Von dort sollen die Fans via Zentweg und Bernexpo-Areal zum Stadion marschieren. Ein weiterer Extrazug mit Luzern-Fans erreicht um 15.05 Uhr den Hauptbahnhof. Die FCL-Fans sollen das Perron über die Welle verlassen und via Bubenbergplatz und Schauplatzgasse zum Bärenplatz marschieren. Von dort führt die Route via Amthaus-, Münster- und Junkerngasse, Bärenpark und Aargauerstalden zum Stadion. Nach dem Spiel fahren sechs Extrazüge vom Bahnhof Wankdorf nach Basel. Vier Luzern- Extrazüge fahren ab Ostermundigen.pd/wrs

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Bund 15.5.12

Nachtleben: Lösungsvorschläge auf dem Prüfstand

Das Berner Nachtleben sorgt schon länger für Diskussionen. Doch seit am frühen Samstagmorgen 3000 Jugendliche und junge Erwachsene in Bern für die Reitschule und ein pulsierendes Nachtleben demonstriert haben, ist der Druck auf die Stadtberner Politik stark gestiegen. Das bestätigen Politiker von links bis rechts. Grund genug, die Lösungsansätze für den Konfliktherd Nachtleben näher zu untersuchen: Alle reden vom Nachtleben-Konzept, aber kann der Gemeinderat diese hochtrabenden Hoffnungen auch erfüllen? Wie wollen Politiker den schmalen Spielraum ausnutzen, den ihnen das übergeordnete Recht lässt? Und sind Ausgehzonen tatsächlich umsetzbar? So viel vorweg: Die einfache Lösung ist weiterhin nicht in Sicht. (len) - Seite 21

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Manche wollen ruhen, andere wollen feiern: Jetzt sucht die Politik nach Lösungen

Es gibt viele Ideen zur Entschärfung des Nachtleben-Konflikts - doch was taugen die Lösungsvorschläge? Ein Überblick.

Christoph Lenz

Das Problem ist simpel: Die einen wollen feiern, die anderen wollen ruhen. Beide Anliegen sind berechtigt. Aber beides geht meist nicht, zumindest nicht nebeneinander.

Bislang reagierten Gemeinderat und Regierungsstatthalter vorab auf Einzelfälle. Seitdem am Samstagmorgen rund 3000 Demonstranten durch Bern zogen, um für die Reitschule und für ein pulsierendes Nachtleben zu werben, ist der Druck auf die Politik aber stark gestiegen. Von ihr werden Lösungen erwartet, die das Nachtleben-Problem grundsätzlich entschärfen. Doch was taugen die Vorschläge, die derzeit durch die Umlaufbahn geistern? Wie glauben Politiker, den Grundkonflikt "Ruhen vs. Feiern" beheben zu können? Wie wollen sie den schmalen Spielraum ausnutzen, den ihnen das übergeordnete Recht lässt? Und welche Hürden lauern bei der Umsetzung?

Nachtleben-Konzept: Dieses Papier ist derzeit in aller Munde. Seit einem Jahr hat der Gemeinderat den Auftrag, dieses Konzept zu erarbeiten. Gemäss Vorstosstext soll die Stadt Bern bei der Gestaltung des Nachtlebens die Führung übernehmen. Das Konzept soll etwa festlegen, wo das Nachtleben künftig stattfindet und wie Behörden und Clubbetreiber zusammenarbeiten können.

Vorteile: Eine massgeschneiderte Lösung für Bern ist theoretisch möglich. Nachteile: Hinter vorgehaltener Hand bestätigen viele Politiker, dass auch sie nicht wissen, wie das Rundum-Wohlfühlpaket aussehen soll. Werden Wohnen und Ausgehen nicht getrennt, bleiben Klagemöglichkeiten bestehen. Andernfalls droht eine räumliche Konzentration ("Ghettoisierung") des Nachtlebens. Die Vielfalt des kulturellen Angebots könnte leiden.Hürden: Gering. Das Nachtleben-Konzept hat bislang eine grosse Lobby. Aber bis jetzt tut das Konzept auch niemandem weh. Die Frage: Bleibt die Unterstützung, wenn der Gemeinderat Nägel mit Köpfen macht?

Ausgehzone: Clubbetreiber verlangen die Schaffung von Ausgehzonen. In diesen Perimetern (z. B. Bollwerk-Aarbergergasse-Bahnhof) soll es keine Wohnnutzung mehr geben.

Vorteile: Durch eine klare Abgrenzung der Nutzungszonen könnte der Konflikt zwischen Anwohnern und Ausgehenden beigelegt werden. Nachteile: Anwohner müssten wegziehen. Auch hier droht eine Ghettoisierung des Nachtlebens.Hürden: Mittel. Eine Zonenänderung müsste durch eine städtische Volksabstimmung beschlossen werden. Zudem dürften sich Eigentümer von Liegenschaften, die sich neu in Ausgehzonen befinden, gegen die Umzonung wehren. Prozesse und Forderungen drohen.

24-Stunden-Zone: BDP-Stadtrat Martin Schneider hat die Idee der Ausgehzone weiterentwickelt: Nicht nur für Clubs, sondern auch für Gewerbetreibende sollen in diesem Perimeter alle Öffnungszeit-Beschränkungen fallen.

Vorteile: Wie bei Ausgehzone. Zusätzlich verspricht sich Schneider (BDP) Wirtschaftsimpulse und Arbeitsplätze.Nachteile: Wie bei Ausgehzone. Hürden: Hoch. Auch hier wäre eine Volksabstimmung erforderlich. Die Liberalisierung der Ladenöffnungszeiten dürfte aber starken Widerstand von Linken und Gewerkschaften verursachen.

Abschaffung der Polizeistunde: FDP-Stadtrat Bernhard Eicher befürwortet eine Idee des Vereins Pro Nachtleben. Im Kanton Bern soll die Festlegung der Polizeistunde dem Regierungsstatthalter entzogen und den Gemeinden übertragen werden.

Vorteile: Jede Gemeinde könnte eine ihren Wünschen entsprechende Polizeistundenregelung erlassen. Bewilligungen für Überzeit würden nicht mehr vom Regierungsstatthalter, sondern von den Gemeindebehörden erteilt.Nachteile: Keine Lösung des Lärmkonflikts. Anwohner haben weiterhin Klagemöglichkeit bei Lärmimmissionen.Hürden: Mittel. Das kantonale Gastgewerbegesetz muss geändert werden. Wie Thomas Berger, Präsident von Pro Nachtleben, bestätigt, denkt der Verein über eine Volksinitiative nach.

Aufhebung des subjektiven Lärmempfindens: Diese Lösung wird von Marc Heeb, Chef der Stadtberner Orts- und Gewerbepolizei, favorisiert. Künftig sollen bei Lärm-Messungen nur noch verbindliche Lärmgrenzwerte gelten. Das sogenannte "subjektive Lärmempfinden", das die Lärmfachstellen heute in ihre Berechnungen einschliessen, soll ersatzlos gestrichen werden.

Vorteile: Clubbetreiber werfen Behörden oft Willkür vor, weil das "subjektive Lärmempfinden" häufig zu ihrem Nachteil gewichtet wird (zum Beispiel: Sous-Soul). Sowohl für Clubbetreiber als auch für Anwohner wäre Klarheit geschaffen. Eine gemischte Wohn- und Ausgehnutzung wäre weiter möglich.Nachteile: Lärm ist nicht gleich Lärm: Wo Töne oder Impulse (Beats) sind, wird Lärm als besonders lästig empfunden. Dieser Tatsache würde nicht mehr Rechnung getragen. Die Leidtragenden wären Lärmbetroffene und Anwohner.Hürden: Hoch. Die Richtlinien des Vereins der kantonalen Lärmschutzfachleute müssten angepasst werden. Dies stünde quer zur Entwicklung, die in den letzten Jahren den Schutz vor Immissionen immer stärker gewichtet hat.

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Politische Reaktionen auf die Nachtdemo

"Das hat niemand so erwartet"

Die Nachtdemonstration sei ein starkes Signal gewesen, tönt es aus der Stadtpolitik.

Die Politikerinnen und Politiker im Stadtrat sind sich für einmal einig: Was sich in der Nacht auf Samstag in der Berner Innenstadt abgespielt hat, war eindrücklich. "Schon lange habe ich kein so deutliches Signal mehr wahrgenommen", sagt etwa Manuel C. Widmer (GFL) angesichts der 3000 Menschen, die am friedlichen Umzug teilgenommen haben.

Und für die Stadtpolitiker ist auch klar: Es ging bei der Kundgebung nicht nur um den Vorplatz und die Reitschule, an die sich die Verfügung des Regierungsstatthalters Christoph Lerch gerichtet hat. Lea Bill von der Jungen Alternative (JA) meint etwa: "Es waren viele Leute an der Demo, die bisher keineswegs politisch organisiert waren. Sie wollen in der Stadt Bern in den Ausgang gehen, sie wollen Freiräume und nicht, dass immer nur die Anwohner angehört werden." Dass die Mobilisierung so gross gewesen sei, habe so niemand erwartet. Etliche Ratskollegen und der Gemeinderat hätten dem Thema Nachtleben in den letzten Monaten kaum Bedeutung zugemessen: "Es sind doch nur zwei Clubs, die schliessen, hat es oft geheissen." Nun könne die Politik die Augen nicht mehr verschliessen: "Der Kreis der Unzufriedenen ist ein grosser."

Die JA verlangt, dass Regierungsstatthalter Lerch die Verfügung zurückzieht. Damit steht sie in der politischen Landschaft alleine da: In der Verantwortung steht für die meisten Parlamentarier vor allem die Stadtregierung. "Die Demo zeigt, dass wir in den letzten 25 Jahren keinen Schritt weiter gekommen sind", sagt GFL-Stadtrat Widmer, in Anspielung auf die Demos von 1987. "Der Gemeinderat ist in Sachen Nachtleben und Freiraumpolitik tatenlos geblieben - diese Passivität hat erst dazu geführt, dass Lerch nun so wüten kann." Jetzt müsse der Gemeinderat endlich hinstehen und sagen: "Ja, die Stadt braucht ein Nachtleben. Ja, es gibt einen Konflikt. Ja, wir haben zu wenig Freiräume."

SP-Stadträtin kritisiert SP-Stapi

Selbst aus der SP kommen kritische Töne - und diese richten sich auch an den eigenen Stadtpräsidenten: "Der Ball liegt zwar bei der Direktion von Reto Nause, aber auch von Alexander Tschäppät wünschen wir uns, dass er eine andere Gangart einlegt", sagt Patrizia Mordini, SP-Stadträtin und Komiteemitglied von "Pro Nachtleben". Statthalter Lerch habe schon mehrfach betont, dass er auf ein Nachtleben-Konzept warte. "Dass er trotzdem vorprescht und dabei auch keine Gesprächsbereitschaft gezeigt hat, ist ebenfalls enttäuschend."

Auch für GLP-Stadtrat Claude Grosjean hätte der Regierungsstatthalter durchaus mehr Handlungsspielraum: "Die Reitschule soll gleich behandelt werden wie alle anderen Gastrobetriebe - das ist nicht der Punkt." Das Problem sei, dass Lerch auch bei anderen Clubs oder Bars den Vollzug von übergeordnetem Recht grundsätzlich zu restriktiv anwende - etwa mit unrealistischen Lärmschutzvorschriften.

Während sich die bürgerlichen Parteien BDP und FDP mit Lösungsideen zu Wort melden (siehe Haupttext), steht die SVP den Forderungen der Demonstranten skeptisch gegenüber. "Die Jungen möchten mehr Möglichkeiten - aber diese werden bestimmt durch Angebot und Nachfrage", sagt SVP-Stadtrat Roland Jakob. Mit der Forderung nach Freiräumen habe er kein Problem, sagt Jakob: "Solange sie nicht dazu dienen, zu trinken, Drogen zu konsumieren und überrissene politische Forderungen zu stellen." (jäg)

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Lärmklagen gegen Reitschule

Ein Abend, 25 Reklamationen

2011 gab es 81 Lärmklagen gegen die Reitschule. Nun legt Regierungsstatthalter Lerch detailliertere Zahlen offen.

81 - diese Zahl wurde immer wieder genannt, wenn Behörden in den letzten Monaten über die Lärmproblematik bei der Reitschule informierten. 81 - so viele Reklamationen sind gemäss Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) allein im Jahr 2011 gegen das alternative Kulturzentrum eingegangen. Eine sehr hohe Zahl. Nicht kommuniziert wurde bislang, wie viele Kläger hinter den 81 Lärmklagen stehen.

Nachdem Gerüchte die Runde machten, es steckten lediglich zwei "notorische Kläger" hinter den 81 Reklamationen, hat Lerch gegenüber dem "Bund" weitere Zahlen offengelegt. Wie Lerch schreibt, stammen sie aus einer Auswertung von Journaleinträgen der Kantonspolizei. Diese erhebe keinen Anspruch auf Vollständigkeit oder absolute Richtigkeit. "Eine systematische Auswertung ist nicht möglich", so Lerch.

"Mehr als ein Dutzend Kläger"

Trotzdem gibt die Zusammenstellung Aufschluss über die konkreten Lärmprobleme der Reitschule: So stammen 25 Reklamationen, also fast ein Drittel aller Lärmklagen, von einem einzigen Abend. Um welchen Anlass es sich dabei gehandelt hat, ist weder beim Regierungsstatthalteramt noch bei Mitgliedern der Reitschule-Mediengruppe in Erfahrung zu bringen.

Zudem schreibt Lerch, dass dem Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland für 2011 "deutlich mehr als ein Dutzend" verschiedene Namen von Klägern vorliegen. Einige Reklamationen seien auch anonym eingegangen. Lerch vermutet, die Kläger wollten damit ihre Privatsphäre schützen. (len)

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BZ 15.5.12

Alter Zopf, neuer Plan

Stadt Bern. Bei der Diskussion rund um Reitschule und Nachtleben geht es auch um die Polizeistunde. FDP-Stadtrat Bernhard Eicher und andere fordern, die Kompetenz für die Polizeistunde den Gemeinden zu übertragen.

Die Polizeistunde sei ein Relikt aus alten Zeiten. Das findet Stadtrat Bernhard Eicher (FDP). Die Proteste, die sich letzte Woche in Bern ereigneten (wir berichteten), liessen sich nicht nur auf eine Diskussion um die Reitschule reduzieren, so Eicher. Es gehe um die geltenden Gastrobestimmungen generell. Gemeinderatskandidat Eicher: "Die heutigen Gastrobestimmungen sind nicht mehr zeitgemäss. Insbesondere die Polizeistunde erscheint als alter Zopf." Mit dieser Überzeugung ist Eicher nicht allein. Mit Gesinnungsgenossen aus anderen Parteien und dem Verein Pro Nachtleben prüft Eicher Möglichkeiten für eine Anpassung. Eicher will die Polizeistunde aber nicht in den Orkus der Geschichte verbannen. "In gewissen Gemeinden hat diese sicher noch ihre Berechtigung. In Tourismusregionen oder in Städten sollte man aber flexiblere Lösungen suchen dürfen." Sein Ziel ist daher nicht die Abschaffung der Polizeistunde, sondern eine Änderung der Zuständigkeit. Die liegt zurzeit beim Kanton. "Es wäre aus meiner Sicht sinnvoller, wenn die Gemeinden selber darüber bestimmen könnten, ob und wie sie ihre Polizeistunde festlegen", so Eicher. Um dies zu erreichen, will er allenfalls eine Volksinitiative lancieren.

Die Polizeistunde wird seit Jahren als alter Zopf bezeichnet. Der 2001 gegründete Verein Polizeistunde.ch wollte, dass alle dem kantonalen Gastgewerbegesetz unterstellten Betriebe ihre Öffnungszeiten frei wählen können. Zu den Unterstützern des Anliegens generell gehörten Christa Markwalder (FDP) und Bernhard Pulver (Grüne). Es gelang aber nicht, genügend Unterschriften zu sammeln. Die Forderung gelangte schliesslich als Motion in den Grossen Rat.

Ralph Heiniger

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Schweiz Aktuell 14.5.12

Jugendprotest in Bern

In Bern gingen am Wochenende tausende von Jugendlichen auf die Strasse. Sie protestierten gegen die Einschränkungen bei Party-Veranstaltungen. Zur Demo aufgerufen hat die Reitschule. Das alternative Kulturlokal wehrt sich gegen eine Verfügung des Regierungsstatthalters. Dieser will, dass auf dem Vorplatz vor der Reitschule ab halb eins mehr Ruhe einkehrt. Das Ausgangsvolk wehrt sich.

Schweiz aktuell vom 14.05.2012

Unzufriedene Churer Jugend

Dafür ist einerseits das städtische Polizeigesetz verantwortlich. Auf öffentlichem Grund gilt striktes Alkohol-Konsumverbot zwischen 00.30 und 7 Uhr. Die gesetzlichen Rahmenbedingungen sind zwar nicht neu, trotzdem ist den Jugendlichen nun der Kragen geplatzt. Sie bringen ihren Unmut an einer Demo in Chur zum Ausdruck, sowie auch im Internet mit Protestsongs.

Schweiz aktuell vom 14.05.2012

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Telebärn 14.5.12

Für ein vielfältiges Berner Nachtleben: Reitschule sucht Verbündete.
http://www.telebaern.tv/120514-news.html

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kulturstattbern.derbund.ch 14.5.12

Kulturbeutel 20/12

Von Benedikt Sartorius am Montag, den 14. Mai 2012, um 05:04 Uhr

Frau Feuz empfiehlt:
Hören Sie doch morgen Dienstag ab 10h bei Berns alternativem Kulturradio RaBe 95,6MHz rein. KulturStattBern trifft dort nämlich auf Rundes Leder oder genauer: Frau Feuz fühlt Herrn Rrr auf den Zahn und zwar live und ungeschnitten. Am Samstag gehen Sie dann in den Dachstock. Dort laden die beiden Labels A Tree in a Field und Voodoo Rhythm zur langen Rock'n'Roll-Nacht. Mit von der Partie sind Roy and the Devil's Motorcycle, Flimmer, Fai Baba u.v.a.

Herr Sartorius empfiehlt:
Neben dem von Frau Feuz empfohlenen Label-Battle unbedingt auch das Legenden-Konzert von Sleep am Freitag, ebenfalls im Dachstock. Bevor Sie aber dorthin gehen, besuchen Sie früher an diesem Nach-Auffahrts-Abend im Kino der Reitschule die Norient-Produktion "Sonic Traces from Switzerland". Und nicht zu vergessen: Am Mittwoch spielen solch illustre Leute wie Fred Frith, Zeena Parkins oder Shazad Ismaily unter dem Formationsnamen Cosa Brava in der Bee-Flat-Turnhalle.

(...)

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Bund 14.5.12

3000 Personen protestierten

Nach einer friedlichen Tanzdemo in der Nacht auf Samstag beschloss die Reitschule gestern, die Zwangsmassnahmen anzufechten.

Pünktlich um 0.30 Uhr am Samstag - ab Beginn der Gültigkeit der von Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) verfügten Zwangsmassnahmen - veröffentlichte die Mediengruppe der Reitschule eine Medienmitteilung: "In diesen Minuten werden, wie von Regierungsstatthalter Lerch angeordnet, die auf dem Vorplatz der Reitschule Anwesenden weggewiesen." Gleichzeitig marschierten auf dem Vorplatz rund 3000 Menschen los, um gegen die Zwangsmassnahmen zu protestieren. Friedlich feiernd und tanzend zogen sie über den Bahnhof- bis zum Bundesplatz und später wieder zurück auf den Vorplatz. Mit der Tanzdemo wollte die Reitschule auf die Konsequenzen der Zwangsmassnahmen hinweisen. Sie hoffe, mit dieser Massnahme einen Lösungsansatz für die Bewältigung der Folgen der repressiven Nachtleben-Politik aufzuzeigen, hiess es in der Mitteilung weiter.

Auf ihr Anliegen macht die Reitschule zudem mit einem Flyer aufmerksam, den sie seit Donnerstag verteilt. "Nehmt ihr uns den Vorplatz, nehmen wir uns die Stadt", steht darauf geschrieben. Im Rahmen der gestrigen Vollversammlung beschloss die Reitschule weiter, rechtliche Schritte gegen die Verfügung des Regierungsstatthalters einzuleiten. Auch gab sie bekannt, dass sie eine engere Vernetzung mit Berner Clubs und Beizen anstrebe. (reh) - Seite 19

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Zum Bundesplatz und zurück

Protest gegen Reitschule-Zwangsmassnahmen: Über 3000 Personen tanzten in der Nacht auf Samstag durch Berns Innenstadt - exakt 25 Jahre nach den Zaffaraya-Unruhen. Wiederholt sich die Geschichte?

Christoph Lenz

Das Kommando kommt kurz nach 0.30 Uhr am Samstag. Eine Handbewegung des Anführers, dann geht es blitzschnell. Neben dem Pingpong-Tisch bei der Reitschule schlüpfen zwei Dutzend junge Männer aus ihren bunten Klamotten. Braune Oberarme schlenkern durch die Luft, greifen in Rucksäcke und ziehen schwarze Stoffknäuel hervor: Kapuzenpullover und Mützen mit Sehschlitzen. Nach wenigen Sekunden ist der schwarze Block uniformiert. Dann stehen die Burschen da und warten auf das nächste Kommando. Jenes zum Losmarschieren.

Hörte man sich in der vergangenen Woche in der Reitschule um, so waren sie die grösste Sorge der Aktivisten. "Ich hoffe nur, dass es gelingt, die destruktiven Kräfte zu kontrollieren", sagt ein Reitschüler wenige Minuten vor Demobeginn.

Kurz: Es gelingt. Rund 3000 Personen zogen am frühen Samstagmorgen vom Vorplatz der Reitschule zum Bundeshaus und wieder zurück. Drei Stunden dauerte die Tanzdemo. Brunnenfiguren wurden bestiegen, Bushäuschen erklommen, Leuchtfackeln und Knallpetarden gezündet. Aber: "Sachbeschädigungen gab es keine", sagt Nicolas Kessler, Sprecher der Kantonspolizei, am Sonntag. Die Polizei habe lediglich einige Tags und ein paar Sticker festgestellt. "Der Umzug verlief friedlich. Es gab keinen Grund, einzuschreiten."

Der Stadtberner Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) sagt: "Die Demonstranten haben ein friedliches Zeichen gesetzt. Wir haben dieses Signal wahrgenommen."

Das neue Regime ist in Kraft

Zurück auf den Vorplatz. Es ist 0.45 Uhr. Seit fünfzehn Minuten ist das neue Regime von Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) in Kraft. Die Vorplatzbar müsste jetzt geschlossen sein, die Musik aus - und die Personen, die sich noch auf dem Vorplatz aufhalten, sollten verschwinden. Aber wer wollte diese Auflagen umsetzen? Genau ihretwegen sind die rund 2000 Jugendlichen ja herbeigeströmt. Weil sie "nicht einverstanden" sind "mit der Schliessung des Vorplatzes", wie es eine junge Frau aus Bern ausdrückt. Und nun warten alle 2000 Besucher darauf, dass irgendwas passiert. Die Menge steht unter Strom. Wann gehts los? Was ist das Ziel? Wo ist die Polizei?

"Nur mit der Ruhe", sagt die Aktivistin, die sich mit einem Stapel Papier in der Hand einen Weg über den Vorplatz bahnt. Auf ihren Flugblättern steht der Schlachtruf der heutigen Nacht: "Nehmt Ihr uns den Vorplatz, nehmen wir uns die Stadt."

Riesenechse mit Lautsprechern

Punkt 1 Uhr gehen die Lichter auf dem Vorplatz aus. Unvermittelt öffnet sich die Pforte zur Grossen Halle. Worauf sich, schwer und träge wie eine Riesenechse, ein mit Lichtgirlanden und Transparenten geschmücktes Sound-Mobil aus dem schwarzen Loch schleppt. Zeit für die Beastie Boys: Aus den Lautsprechern dröhnt "You gotta fight for your right (to party)", das offizielle Fanal des Reitschule-Widerstands. Die Besucher johlen und drängen zum Wagen. Dann setzt sich der Umzug langsam in Bewegung - über die Schützenmatte, das Bollwerk hoch. Aus den umliegenden Bars und Seitengassen strömen immer neue Teilnehmer hinzu, bis sich der Umzug vom Bahnhof bis zur Speichergasse erstreckt.

Wie war das 1987?

Ist das jetzt eine neue Jugendbewegung? Viele Teilnehmer sind davon überzeugt. Immer wieder fallen die Stichworte Zaffaraya-Räumung und 1987. Auch damals gab es Nachtdemos. Auch damals protestierten Tausende Jugendliche gegen die "Vernichtung von Freiräumen" und für die Reitschule. Sogar die Symbolik ähnelt sich. 1987 trugen die Demonstranten Masken von Polizeichef Marco Albisetti. Am Samstag sind es Papp-Gesichter des Regierungsstatthalters. Gegen 2 Uhr morgens tanzen Hunderte von Christoph Lerchs vergnügt über die Spitalgasse.

Und auch im Internet werden die Ereignisse verknüpft. Das erste Youtube-Video, das Bilder der Tanzdemo zeigt, ist unterlegt mit "Hansdampf" von Züri West. Der Song war 1987 eine der Hymnen der Jugendbewegung.

Vielleicht ist es auch nur Nostalgie. Als die Tanzdemo um 2.15 Uhr beim beleuchteten Bundeshaus ankommt, steht ein älterer Reitschule-Aktivist etwas abseits. Es sei schon schön, sagt er, aber er weiss dann doch noch etwas an dieser Demo auszusetzen: Dass die Demonstranten an der UBS-Filiale vorbeiziehen, ohne dass ein einziger Farbbeutel fliegt - eine Sünde. Er lächelt. "S'isch eifach nümm wie früecher."

Um 4 Uhr auf dem Vorplatz

Kurz nach 3 Uhr fallen Regentropfen aus dem schwarzen Himmel über dem Bundesplatz. Umringt von immer noch Hunderten Tänzern rollen die Sound-Mobile los. Durch die Spitalgasse, über den Bahnhofplatz, das Bollwerk hinunter, zurück zum Vorplatz. Hier wird nach 4 Uhr noch ein bisschen weitergefeiert. Bis die Jungs vom schwarzen Block wieder in ihre Alltagsklamotten schlüpfen und sich die Riesenechsen in ihre Höhle verkriechen.

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http://www.derbund.ch/bern/stadt/Reitschule-ficht-Verfuegung-an/story/16303006

Vollversammlung

Reitschule ficht Verfügung an

Die Reitschule leitet gegen die Zwangsmassnahmen rechtliche Schritte ein und will enger mit anderen Clubs zusammenspannen.

An der gestrigen Vollversammlung der Reitschule standen die Zwangsmassnahmen des Regierungsstatthalters Christoph Lerch im Fokus der Diskussionen. Dabei wurde das weitere Vorgehen festgelegt. So beschloss die Reitschule, dass sie die verschärfte Betriebsauflage innerhalb der vorgegebenen Frist von 30 Tagen rechtlich anfechten wird, wie die Mediengruppe in einer Mitteilung gestern Abend bekannt gab. Zudem bekundet die Reitschule, dass sie eine vertiefte Vernetzung mit anderen Berner Clubs, Beizen und Vereinen für ein urbanes Nachtleben anstrebe. Ebenso fordert sie in ihrer Mitteilung alle dazu auf, "sich aktiv für ein Bern mit Freiräumen jenseits der Geranienidylle inklusive Alpenpanorama einzusetzen - bei Tag und Nacht und nicht nur auf dem Vorplatz".

Gegen Ökonomisierung der Städte

Hintergrund dieser Aufforderung ist die Ansicht der Reitschule, dass die Verfügung des Regierungsstatthalters Teil einer gezielten Strategie im Zusammenhang mit "einer Neoliberalisierung des städtischen und kantonalen Gemeinwesens" ist. Städte würden wie Grossbetriebe geführt. Entsprechend müssten sie rentieren und für potente Steuerzahler und Unternehmen attraktiv sein. "Dabei werden Interessen der Bewohner, die für eine Stadt finanziell nicht interessant sind, untergeordnet", steht in der Mitteilung. Innerhalb dieses Konzepts soll die Reitschule zu einem angepassten und pflegeleichten - normalen - Kultur- und Gastrobetrieb werden. Doch das autonome Kulturzentrum wehrt sich weiterhin gegen diese Politik: "Die Reitschule will kein Teil dieser Politik sein." (reh)

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BZ 14.5.12

Friedliche Nacht-Demo für die Reitschule

Stadt BernIn der Nacht auf Samstag marschierten rund 3000 Personen von der Reitschule zum Bundesplatz.

Als in der Nacht auf Samstag um 1 Uhr die Lichter ausgingen, jubelte die Menschenmasse auf dem Vorplatz der Reitschule. Wohl über 3000 Leute - eine Mischung aus Partyvolk und Anhängern der Reitschule - marschierten daraufhin zum Bundesplatz und demonstrierten so gegen die verschärften Auflagen der Gastrobetriebe der Reitschule. Die Polizei war zwar anwesend, hielt sich jedoch bewusst zurück, wie der zuständige Berner Gemeinderat Reto Nause (CVP) im Interview sagt. Die Kundgebung verlief friedlich.sar Seite 5

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http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Nachtdemo-Viele-waren-wohl-spontan-dabei/story/29852538

Viele waren wohl spontan dabei

Reitschule · Der zuständige Gemeinderat Reto Nause (CVP) ist froh, dass der Umzug von Freitagnacht friedlich verlief. Das zeuge von Verantwortungsbewusstsein. Die Polizei kontrolliere den Vorplatz der Reitschule "mit Augenmass", sagt der Sicherheitsdirektor.

Herr Nause, hat Sie der Umzug von der Reitschule zum Bundesplatz von Freitagnacht überrascht?

Reto Nause: Wir hatten Kenntnis davon, es gab einen Aufruf auf Facebook. Ich bin froh, dass der Umzug friedlich verlaufen ist. Es gab kaum Sachbeschädigungen, nur ein paar Lärmklagen.

Die Polizei intervenierte nicht.

Die Polizei informierte mich, als der Umzug losging. Wir haben uns bewusst zurückgehalten.

Wieso?

Es hat rund um die neuen Regelungen auf dem Vorplatz Missverständnisse gegeben. Diese liessen die Emotionen hoch gehen. Auch einige politische Parteien förderten den Eindruck, dass der ganze Vorplatz geschlossen wird. Das stimmt nicht. Im Juni muss die Bar zwar geschlossen bleiben - man darf sich aber weiterhin auf dem Vorplatz aufhalten. Der Betrieb der Reitschule wird durch die Auflagen des Regierungsstatthalters auch nicht im Kern getroffen. Die Reitschule muss nur jene Auflagen erfüllen, die jeder andere Club der Stadt auch einhalten muss.

3000 Leute sollen am Umzug teilgenommen haben. Was waren das für Leute?

Die Polizei spricht von rund 1000 Teilnehmern. Es ist schwierig, zu sagen, wie viele Leute bewusst oder zufällig mitgegangen sind. Ich gehe davon aus, dass der Grossteil Partyvolk war, das spontan dabei war. Sicher waren aber auch Leute aus der Reitschule-Szene vertreten.

Rechnen Sie mit weiteren solchen Aktionen?

Die Leute konnten nun auf ihr Anliegen aufmerksam machen. Ich kann nicht für sie sprechen und sagen, dass keine weiteren Aktionen geplant sind. Dass der Umzug friedlich blieb, zeigt aber, dass sich die Organisatoren ihrer Verantwortung bewusst sind.

Was geschieht, wenn weitere solche Umzüge stattfinden?

Zum heutigen Zeitpunkt kann ich nur sagen, dass wir mit Augenmass kontrollieren werden, wie die verordneten Massnahmen eingehalten werden. Wir werden schauen, wie sich die Situation entwickelt.

In der Nacht auf Sonntag waren um 2.15 Uhr auf dem Vorplatz mehrere Hundert Leute, und es lief Musik. So wie sonst auch. War die Polizei vor Ort?

Wir sagen nicht, wann wir kontrollieren. Das neue Regime auf dem Vorplatz gilt nicht von heute auf morgen, es müssen nicht alle Massnahmen sofort umgesetzt werden. Im Juni muss die Bar geschlossen bleiben. Dann wird der Zeitpunkt sein, um genau hinzuschauen, was passiert.

Was geschieht, wenn die Auflagen nicht eingehalten werden?

Wenn wir bei einer Kontrolle einen Verstoss gegen die Auflagen feststellen, gibt es eine Anzeige. Das führt dann zu einer Busse für die Betreiberin, wie bei jedem anderen Club.

Die BDP fordert im Bereich Bollwerk die Schaffung einer 24-Stunden-Zone. Dort sollen Clubs und Läden rund um die Uhr geöffnet bleiben.

Man müsste genau definieren, was in einer solchen Zone möglich sein soll. Die Stadt wird aber nicht in Eigenautonomie entscheiden dürfen, weil übergeordnete Rechte wie etwa Lärmgrenzwerte eingehalten werden müssen. Interview: Sandra Rutschi

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Umzug in der Nacht auf Samstag

3000 Personen marschierten vom Vorplatz zum Bundeshaus

Es waren schätzungsweise mehr als 3000 Personen, die in der Nacht auf Samstag gegen 1 Uhr vom Vorplatz der Reitschule via Bollwerk, Heiliggeistkirche und Bärenplatz auf den Bundesplatz zogen. Sie protestierten gegen die verschärften Betriebsbewilligungen der Reitschule, die Auswirkungen auf den Vorplatz haben. Die durch Regierungsstatthalter Christoph Lerch (SP) verschärften Bedingungen galten in dieser Nacht erstmals. Es war wohl die grösste Nachtdemo seit 1987, als Hunderte gegen die Räumung der Hüttensiedlung Zaffaraya protestierten. Die Teilnehmer des friedlichen Umzugs hatten sich seit dem Abend auf dem Vorplatz versammelt. Gegen 1 Uhr gingen die Lichter aus, und aus der Menge ertönte Jubel. Wenig später startete der Umzug, geleitet durch drei Soundsysteme auf Umzugswagen. In der Reitschule wurde der Betrieb geschlossen. Mehrmals wurden die Anwesenden aufgefordert, ihre Empörung mit der Teilnahme am Umzug und nicht anderweitig auszudrücken. Auf Flyern war die Parole aufgedruckt: "Nehmt ihr uns den Vorplatz, nehmen wir uns die Stadt". Auf dem Weg zum Bundesplatz mischten sich weitere Nachtschwärmer in den Umzug. Ab und zu waren Pyros und Fackeln zu sehen. In der Spitalgasse stand ein Kastenwagen der Kantonspolizei. Es kam aber zu keinerlei Interventionen. Während des ganzen Umzugs waren praktisch keine Beamten sichtbar. Der Umzug ist laut Kantonspolizei friedlich abgelaufen. Er endete auf dem Bundesplatz, wo Tausende bei Musik feierten. Gegen 3 Uhr, als Regen einsetzte, löste sich die Szenerie auf. Etwa die Hälfte der Teilnehmer kehrte in Richtung Reitschule zurück. In der Nacht auf Sonntag schien rund um die Reitschule der Betrieb weiterzulaufen wie bisher. Um 2.15 Uhr befanden sich mehrere Leute auf dem Vorplatz, Musik wurde gespielt.

Im Nachgang zum Umzug fordert die städtische BDP eine 24-Stunden-Zone in Bern. Sie will einen Vorstoss zu einer Zonenplanänderung einreichen. Laut BDP-Stadtrat Martin Schneider sollen in einer solchen Zone Clubs und Läden rund um die Uhr geöffnet bleiben dürfen. Die Junge Alternative hat laut eigenen Angaben am Umzug "mehrere Hundert" mit Slogans bedruckte und vorfrankierte Postkarten verteilt, welche die Protestierenden an Regierungsstatthalter Lerch schicken sollen. An der Vollversammlung in der Reitschule am Sonntagabend wurde laut Medienmitteilung beschlossen, die Verfügung des Regierungsstatthalters rechtlich anzufechten.Jürg Spori/wrs/sar

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20 Minuten 14.5.12
http://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Die-Reitschule-geht-in-die-Offensive-27824334

Megastrassenparty in Bern - zur Rettung des Vorplatzes

BERN. Nachtschwärmer protestierten gegen das neue Ruhe-Regime vor der Reithalle. Der Bundesplatz wurde zur Partyzone.

Ginge es nach Regierungsstatthalter Christoph Lerch, hätten in der Nacht auf Samstag um 00.30 Uhr alle Personen, die vor der Reitschule Getränke konsumierten, weggewiesen werden müssen (20 Minuten berichtete). Das Kulturzentrum jedoch schloss den Betrieb gleich komplett und liess drei Soundmobiles auffahren. Nach dem Motto des aus den Lautsprechern dröhnenden Beastie-Boys-Klassikers "Fight for Your Right (To Party!)" zogen dann geschätzte 3000 Nachtschwärmer tanzend durch die Stadt zum Bundesplatz. "Die Party war grossartig", so ein Teilnehmer, "alle waren gut gelaunt." Als "grundsätzlich friedlich und ohne erhebliche Probleme" stuft auch die Kapo Bern die unbewilligte Protestaktion ein. Der Schmutz auf den Strassen gab dem Tiefbauamt allerdings zu tun.

Für JA!-Stadträtin Rahel Ruch ist klar: "Der Erfolg zeigt sowohl die grosse Zustimmung der Bevölkerung zur Reitschule, aber auch, dass die Stadt Räume ohne Konsumzwang sicherstellen muss." Die JA! hat 2000 Protestkarten verteilt, die bald in Lerchs Briefkasten flattern werden. Und die Reitschule kündigt an: "Die neue Bewegung hat grosses Potenzial und wird wohl auch an anderen Orten aktiv werden, wo der Mangel an Freiräumen und Treffpunkten besonders gross ist." Am 2. Juni ist mit "Tanz dich frei 2.0" bereits die nächste Berner Strassenparty geplant.

Bigna Silberschmidt

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Verletzter nach Protestaktion

BERN. Nach der Strassenparty wurde am Samstagmorgen auf dem Bahnhofplatz ein verletzter Mann aufgefunden. Er musste ins Spital gebracht werden. Nach eigenen Angaben marschierte der Mann mit Kollegen von der Reitschule aus an dem Umzug mit, als er beim Bahnhof von einem Unbekannten ins Gesicht geschlagen und verletzt wurde. Die Kantonspolizei sucht Zeugen.