MEDIENSPIEGEL 28. MAI - 3. JUNI 2012

BZ 2.6.12

Tanz durch Bern wird toleriert

Strassenparty. Die Polizei wird heute Abend die Tanzdemo durch Berns Gassen dulden. Die Teilnahme an einer unbewilligten Kundgebung sei nicht verboten, sagt Polizeisprecher Michael Fichter.

Mehrere Tausend - vorwiegend jugendliche - Menschen werden heute Abend zur Strassenparty "Tanz dich Frei" in Bern erwartet. "Das wird voraussichtlich einer der grössten Protestumzüge der letzten Jahrzehnte werden", schreibt die Alternative Linke Bern in einer Mitteilung. Die Tatsache, dass die anonymen Veranstalter keine Bewilligung eingeholt haben, bewertet die Alternative Linke Bern mit den Worten: "Legal, illegal - scheissegal." Die Jugendlichen protestieren für mehr Freiräume. Auch ohne Bewilligung wird die Polizei die Partydemo tolerieren. "Wir haben keinen anders lautenden Auftrag erhalten", sagt Polizeisprecher Michael Fichter. Zudem sei die Teilnahme an einer unbewilligten Kundgebung nicht verboten. "Es wäre unverhältnismässig, diesen Umzug präventiv zu stoppen." Ab 20 Uhr besammeln sich die Teilnehmer heute Abend auf dem Vorplatz der Reitschule.

Auf dem Vorplatz kam es in der Nacht auf Freitag zu einem Zwischenfall. Polizisten wurden bei einer Personenkontrolle mit Flaschen beworfen. Ein Polizist zog seine Dienstwaffe.tob Seite 2

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Polizei duldet die Tanzparty

Stadt Bern. Mehrere Tausend Jugendliche nehmen heute Berns Gassen in Beschlag. Die Polizei lässt die Partydemo laufen - und sucht vor Ort den Dialog zu den anonymen Veranstaltern.

Bis gestern Abend haben sich mehr als 9600 Personen auf Facebook für die Partydemo "Tanz dich Frei" angemeldet. Eine Bewilligung haben die anonymen Organisatoren erst beantragt. Doch die Polizei wird die Strassenparty durch Berns Gassen heute Abend gewähren lassen. "Wir haben keinen anders lautenden Auftrag erhalten", sagt Polizeisprecher Michael Fichter. Die Teilnahme an einer unbewilligten Demonstration sei nicht verboten. "Es wäre unverhältnismässig, diesen Umzug präventiv zu stoppen", sagt er.

Parkverbot auf Schützenmatte

Ab 20 Uhr besammeln sich die Teilnehmer auf der Schützenmatte. Für den dortigen Parkplatz wird die Polizei vorsorglich ein Parkverbot verhängen. "Aufgrund der Demoroute wird es zu weiteren Einschränkungen für den öffentlichen und den privaten Verkehr kommen", sagt Fichter. Die Umzugsroute verläuft gemäss E-Mail der anonymen Veranstalter an die Stadtbehörden wie folgt: Schützenmatte, Bollwerk, Bahnhofplatz, Spitalgasse, Marktgasse, Zytglogge, Amthausgasse, Bundesplatz, Schauplatzgasse, Bahnhofplatz. Polizei duldet die Tanzparty.
Die Polizei hat sich auf verschiedene Szenarien vorbereitet. "Wir gehen davon aus, dass viele Jugendliche teilnehmen, die keine Konfrontation suchen." Polizisten mit Schutzausrüstung und Schlagstöcken bleiben deshalb im Hintergrund. "Die Uniformpolizei und der Verkehrsdienst stehen im Vordergrund", sagt Fichter. "Wir suchen die Absprache mit den Organisatoren vor Ort und setzen auf Dialog - auch bezüglich Routenwahl."

Was tun bei einem Notfall?

Für die Sicherheitskräfte bleiben einige Unsicherheiten. "Es ist nicht ganz klar, obs beim Umzug Leute dabei hat, die etwas anderes suchen als eine friedliche Demonstration ", sagt Fichter. Zudem sei im Falle eines Notfalls keine Absprache mit den Organisatoren über Massnahmen und ein gezieltes Vorgehen möglich. "So bleibt es schwierig, abzuschätzen, wie die Teilnehmer auf Blaulicht und Hilfeleistungen reagieren." Allfällige Interventionen seien immer heikel. "Wir müssen bewusst vorgehen und vor jedem Schritt bedenken, was dieser kurz- und mittelfristig für Konsequenzen haben könnte." In der Verantwortung stünden nun aber insbesondere die Veranstalter.

Tobias Habegger

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Polizist zog Waffe

Am frühen Freitagmorgen wollte die Kantonspolizei auf dem Vorplatz der Reitschule mehrere Personen kontrollieren. Zuschauer bewarfen die Polizisten mit Flaschen. Ein Polizist zückte seine Dienstwaffe. "Wegen der Bedrohung sah er sich gezwungen, zu seinem eigenen Schutz und dem Schutz seines Kollegen, die persönliche Waffe zu ziehen", sagt Polizeisprecher Michael Fichter auf Anfrage. "Gemäss aktuellem Stand war die Waffe auf den Boden gerichtet, und die Polizisten zogen sich zurück." Die Mediengruppe der Reitschule bestätigt den Vorfall. "Wir möchten das Thema jedoch nicht über die Medien abhandeln, sondern mit der Polizei klären, um eine möglichst nachhaltige Lösung zu finden", schreibt die Mediengruppe. Erste Gespräche zwischen Reitschule-Exponenten und Manuel Willi, Abteilungschef der Regionalpolizei Bern, haben bereits stattgefunden.tob

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Bund 2.6.12

Flaschenwürfe und gezogene Polizeiwaffe

Just einen Tag vor der grossen Tanzdemo kam es auf dem Reitschule-Vorplatz zu einer brenzligen Situation.

In der Nacht auf gestern Freitag wurden Polizisten, die beim Vorplatz der Berner Reithalle einen mutmasslichen Drogenhändler kontrollieren wollten, mit Flaschen beworfen. Daraufhin zog einer der Polizisten seine Waffe. Dies vor ungefähr 150 Personen. Ob er die Waffe, wie ein Augenzeuge berichtet, gegen die Menge auf dem Vorplatz oder aber - so die Version der Kantonspolizei - auf den Boden richtete, ist unklar. Fest steht hingegen, dass sich Reitschule-Verantwortliche und die Polizei zumindest in einem Punkt einig sind: Das Vorkommnis von vorletzter Nacht sollte so kurz vor der angekündigten und voraussichtlich grossen Tanzdemonstration von heute Abend die Stimmung in Bern nicht weiter aufheizen. Derzeit laufen Gespräche zwischen Reitschülern und der Kantonspolizei. (rss) - Seite 23

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Polizist mit der Waffe in der Hand vor der Reitschule

Vorletzte Nacht wurden zwei Polizisten auf dem Vorplatz mit Flaschen beworfen. Einer von ihnen zückte darauf die Pistole.

Renate Bühler

Brenzlige Situation vor der Berner Reitschule: Vorletzte Nacht befanden sich kurz vor ein Uhr rund 150 Personen auf dem Vorplatz des Kulturzentrums, als zwei Polizisten auftauchten, die einen Mann verfolgten. Eine Szene, die offenbar manchen Reitschule-Besuchern missfiel: Die beiden Beamten wurden, wie Augenzeuge Jonas Zürcher dem "Bund" sagte, mit Flaschen beworfen, einer von ihnen wurde dabei offenbar auch getroffen. Darauf zog einer der beiden Polizisten seine Faustfeuerwaffe aus dem Holster und richtete diese aus einem Abstand von rund 40 Meter auf die Menge auf dem Vorplatz.

Ungefähr zehn Sekunden habe der Polizist diese Position beibehalten, dann habe er seine Waffe wieder eingesteckt und sei mit seinem Kollegen zum weissen Kastenwagen gegangen, der unter der Eisenbahnbrücke bei der Neubrückstrasse stand.

Michael Fichter, Sprecher der Kantonspolizei Bern, bestätigt auf Anfrage, dass es einen Vorfall gegeben hat. Die Beschreibung der Polizei deckt sich weitgehend mit jener Zürchers: Tatsächlich sei es im Zuge einer Personenkontrolle im Zusammenhang mit Drogenhandel auf dem Vorplatz der Reitschule zu Flaschenwürfen auf die Polizisten gekommen. "Darauf sah sich einer unserer Mitarbeiter gezwungen, zu seinem eigenen und zum Schutze seines Kollegen seine persönliche Waffe zu ziehen." Einzige Abweichung zu Zürchers Version: Gemäss jetzigem Stand der Erkenntnisse, so Fichter, sei die Waffe auf den Boden gerichtet gewesen.

Am Vortag der Nachtdemo

Der Vorfall fand zu einem besonders heiklen Zeitpunkt statt: Just für heute Abend und die kommende Nacht ist eine unbewilligte Tanzdemonstration angekündigt, zu der mehrere Tausend Personen erwartet werden. Sowohl Ansprechpersonen bei der Reitschule als auch Fichter betonten gegenüber dem "Bund", dass sie auf eine friedliche Veranstaltung hofften - und dass man den nächtlichen Vorfall gemeinsam im Gespräch aufzuarbeiten versuche: "Es haben bereits Gespräche stattgefunden", sagte Fichter. Es gehe dabei nicht nur darum, den aktuellen Fall zu analysieren, sondern auch, langfristige Lösungen zu finden.

Die Polizei plane, den Umzug in erster Linie mit "normalen Uniformkräften" zu begleiten, sagte Fichter. Diese Polizistinnen und Polizisten würden orange Westen tragen und sollten den tanzenden Kundgebungsteilnehmern als Ansprechpersonen dienen.

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Bund 2.6.12

Tribüne

Freiheit gibt es nur mit Verantwortung - auch im Nachtleben.

Partystadt mit Schattenseiten

Alexandre Schmidt

Auf legitime Anliegen der Nachtschwärmer senden die Behörden wenige und erst noch widersprüchliche Signale. In diesem Vakuum entfaltet sich die stärkste Kraft der Gesellschaft: die Sehnsucht nach Freiheit. Die Deutungshoheit nehmen sich diejenigen, die am lautesten rufen. Jede Forderung erhält Kurzzeit-Publizität. Der Wind dreht wie wild und bietet den politischen Ideenjongleuren ein ideales Kampffeld. Im Wettbewerb der Vorschläge streiten sich die Anhänger des Nachtleben-Konzepts mit den Vertretern der Ausgehzone und den Befürwortern der 24-Stunden-Zone. Die Abschaffer der Polizeistunde wetteifern mit den Aufhebern des subjektiven Lärmempfindens.

Gewalt, Lärm, Unrat

Freiheit im Nachtleben - die aktuelle Stadtberner Diskussion hat andernorts schon stattgefunden. Genf und noch mehr Lausanne haben sich den Ruf einer aufregenden Partystadt erworben, nachdem die Behörden alle Schleusen geöffnet hatten. Jedes Wochenende treffen sich 30 000 Personen im attraktiven Lausanne zu Festen aller Art. Nach wenigen Jahren bestreitet aber niemand mehr die Schattenseiten: Gewalt, Lärm, Unrat, Sanitätseinsätze, Vandalismus, Unfälle. Alle haben sie zugenommen, entsprechend auch die Kosten - exorbitant beispielsweise jene für das Scherbenauflesen in den Stadtparks. Nun wird zurückgerudert: Lausanne rekrutiert Nachtpolizisten, der Alkoholausschank ist von fünf Uhr bis halb sieben Uhr untersagt ("heure blanche"), die Wiedereinführung der Bedürfnisklauseln ist möglich. Genf verbietet dem Detailhandel den Alkoholverkauf ab 19 Uhr.

Und Bern? Unsere Stadt wächst. Die Einwohnerzahl nimmt seit sieben Jahren zu, nicht jedoch in allen Stadtteilen. Die Innere Stadt hat in den letzten 20 Jahren 8,6% ihrer Bevölkerung verloren. Die Gründe liegen sicher auch im Lärm, im nächtlichen Abfallberg, stechendem Uringeruch und persönlichem Unsicherheitsempfinden. Nicht jede und jeder wagt sich zu jeder Zeit in alle Berner Gassen. Beschämend sind die Bilder, wie frühmorgens das Gewerbe unter den Lauben den Dreck der Nacht selber wegputzt. Störend an der bisherigen Debatte zum Berner Nachtleben ist deren Einseitigkeit. Denn Freiheit allein reicht nicht. Jeder Liberale weiss, dass Freiheit und Verantwortung untrennbar zusammengehören. Freiheiten sind selten schrankenlos. Alle - Partygänger, Veranstalter und der Staat - haben je ihren Anteil an der Verantwortung zu tragen.

Missbrauchte Freiheit

Dem ist heute nicht so. Die Nachtaktiven haben leichtes Spiel und werden selten zur Rechenschaft gezogen. Lärm, Vandalismus und Littering sind aber nichts anderes als Missbrauch von Freiheit. Unfälle und Gewalt treffen Dritte, oft ohne dass die Verursacher zur Genüge dafür haften müssen. Einsätze von Putzequipen, Sanitätern und Polizisten fallen zulasten der Steuerpflichtigen an. Nur geringe Anteile der Kosten werden den Verursachern angerechnet. Und wer tritt schon für die Anwohner ein?

Wer nur Freiheiten einfordert, ohne den Umgang mit den Schattenseiten zu beleuchten, fällt durch. Eine schnelle Lösung für unser Nachtleben wird es nicht geben. Jedem, der das Gegenteil behauptet, ist mit Skepsis zu begegnen.

Kompetenzen klären!

Heute fehlen, wie es der Verein Pro Nachtleben früh gemerkt hat, elementare Voraussetzungen für den Fortschritt. Auch beim Nachtleben gilt die Binsenwahrheit, dass die Verantwortungsträger über die nötigen Kompetenzen und Verantwortlichkeiten verfügen müssen. Zu den relevanten Entscheidungsbefugnissen gehören das Bestimmen von Öffnungszeiten, die Festlegung von Lärmtoleranzgrenzen, das Verfügen über den Einsatz der Polizei, das Erteilen von Bewilligungen oder der Erlass von Sanktionen. Diese Instrumente sind heute auf zu viele Köpfe verteilt. Erst wenn die ganze Aufregung ums Berner Nachtleben dazu führt, dass die Klärung der Kompetenzen stattfindet, wird die Basis für austarierte Lösungen geschaffen.

Weder Bund noch Kantone noch Regierungsstatthalter sind die richtige Instanz; nur die Stadtbehörden können wirklich beurteilen, wie viel Freiheit und mit welchen Verantwortungen wem gewährt werden soll.

Alexandre Schmidt, geb. 1970, Direktor der Eidgenössischen Alkoholverwaltung, sitzt für die FDP im Berner Stadtrat und kandidiert für die Wahlen in den Gemeinderat im Herbst.

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al-be.ch 1.6.12

Tanz Dich Frei - auch nach dem 2. Juni

Bern, 1. Juni 2012

Die Alternative Linke Bern fordert alle Teilnehmenden des TanzDichFrei auf, auch nach dem 2. Juni kreativ und aktiv zu bleiben. Der Kampf für eine Stadt für alle und für das "andere Bern" muss auch in den nächsten Monaten und Jahren weitergehen.

TanzDichFrei wird voraussichtlich eine der grössten Protestumzüge der letzten Jahrzehnte werden. Es ist eine Bewegung entstanden, die die Plattform des TDF nutzt, die sich nicht kontrollieren lässt und vom konstruktiven Zusammenspiel der beteiligten Einzelpersonen und Gruppen getragen wird. Die legalistischen Forderungen nach einem Demobewilligungsgesuch seitens der Behörden und einiger Parteien sind illusorisch - "Legal, illegal - Scheissegal" war schon in den 1980ern eine beliebte Parole und bewährte Praxis der damaligen Bewegungen und das hat sich bis heute nicht geändert.

Die inhaltlichen Forderungen des TanzDichFrei gehen über Clubsterben, Nachtleben-Diskussion und Reitschule-Vorplatz hinaus bzw. ergänzen diese - es geht darum, eine Stadt für alle und nicht nur für wenige zu erreichen, Freiräume zu erkämpfen und zu verteidigen. Die Folgen der neoliberalen "Aufwertung" der Städte und der immer wiederkehrenden repressiven Ruhe-Ordnung-Sauberkeits-Wellen (be)treffen Menschen jeden Alters, Herkunft und Geschlechts. Missliebige und "nicht Verwertbare" werden ausgegrenzt, verdrängt und vertrieben. Die Stadtpolitik reduzierte sich in den letzten Jahren auf die Durchsetzung der angeblichen Bedürfnisse von kaufkräftigen "flanierenden Passant_innen" und geranienzüchtenden Frühschläfer_innen und drängte je länger je mehr die restlichen Stadtbewohner_innen und -nutzer_innen an den Rand (siehe Anhang).

Die Folgen dieser repressiven Verdrängungs- und "Aus-den-Augen-aus-dem-Sinn"-Politik in vielen Bereichen (Nachtleben, Gastgewerbe, Jugendpolitik, Kultur, Alternative Wohnformen, Gassenvolk, etc) der letzten Jahren haben sich aufgestaut und manifestieren sich nun in den massiv grossen Teilnehmer_innen-Zahlen an der Nachtdemo vom 12. Mai und aktuell am TanzDichFrei vom 2. Juni.

Wir werden zweifellos viel Spass haben am 2. Juni. Doch was ist danach? Die Bewegung darf nicht einfach im Sommerloch verschwinden - denn ansonsten wird sich im aktuellen Wahlkampfjahr ausser der höheren Anzahl an leeren Versprechungen nichts ändern. Es braucht weiterhin das Engagement und kreative Aktionen aller. In der Innenstadt, in den Quartieren, in den Aussengemeinden, auf der Strasse, auf öffentlichen Plätzen, in Parks, am Aareufer und in unseren Herzen und Köpfen.

Alternative Linke Bern

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Anhang: Einige Beispiele für die aktuelle Problematik

* Die veraltete (Gastgewerbe-)Gesetzgebung und Behörden, die lebensfremd und nachtlebenfeindlich entscheiden. Darunter leidet nicht nur die Reitschule, sondern auch viele Clubs + Kulturlokale (Rauchverbot, Polizeistunde, Lärmklagen, Schliessung Formbar, Sous-Soul sowie reduzierter Betrieb Wasserwerk). Das ist mit ein Grund, wieso Reitschule, "Kapitel Bollwerk" + "Obolles" und einige weitere Clubs das TanzDichFrei auch unterstützen.
* Gentrifizierung: Innenstädte und einige Quartiere werden "aufgewertet", was meist zur Folge hat, dass nicht zahlungskräftige oder nicht ins Schema passende Menschen ausgegrenzt und an den Rand gedrängt werden. Niederschwellige Quartier- und Gassenbeizen verschwinden, teure Lokale Clubs übernehmen deren Lokalitäten.
*  Clubs sind oft teuer, altersbeschränkt und ausgrenzend (neben Alter auch Kleidung oder Herkunft)
*  Der Mangel an Freiräumen I: Öffentliche Plätze und Pärke sind kaum noch zugänglich. Verreglementierung, Uniformpräsenz oder Privatisierung (z.B. City Beaches Orange Cinema auf der Grossen Schanze) verunmöglichen die Nutzung des Öffentlichen Raumes - z.B. als konsumzwangfreier Treffpunkt am Wochenende. Gleichzeitig werden seit 1998 (den Behörden + Politiker_innen) missliebige Personen aus dem Öffentlichen Raum weggewiesen und zum Teil in Spezialeinrichtungen gezwungen (Alkstübli etc.).
*  Der Mangel an konsumzwangfreien Treffpunkten für Jugendliche: in den Quartieren und Agglomerationsgemeinden hat es kaum oder keine Angebote für Jugendliche. Treffen sich Jugendliche vor Kirchen, Schulhäusern oder Bahnhöfen, werden sie oft als "Sicherheitsrisiko" oder Littering- und Lärmquelle angesehen und vertrieben.
*  Der Mangel an Freiräumen II: Für politische, kulturelle und soziale Gruppen ist es schwierig, Zugang zu Räumen zu bekommen (Sitzungen, Treffpunkt, Konzerte, Geldbeschaffung für Projekte etc.).
*  Der Mangel an Freiräumen III: Soziale kulturelle Nischen wie besetzte Häuser werden schnell geräumt, legale Zwischennutzungen für alternative Wohn- und Kulturprojekte sind kaum noch möglich, billiger Wohn- und Kulturraum knapp.
*  Der Mangel an Freiräumen IV: Wagenplatz-Projekte stossen immer wieder auf den Widerstand der wohnungswohnenden bürgerlichen Mehrheit. Anstatt endlich die Wagenplätze dauerhaft zu legalisieren, schieben die Behörden sich die Verantwortung hin und her, während Politiker_innen damit populistischen Wahlkampf betreiben.
*  Der Mangel an Notschlafstellen, speziell auch im Winter. Neben "normalen" niederschwelligen Angeboten, fehlen eine Drogennotschlafstelle und eine Notschlafstelle für Frauen, die sich auf Drogenstrich prostituieren.
* Eine zweite Drogenanlaufstelle ist schon lange nötig. Drogenabhängige sind auch ausserhalb der Öffnungszeiten der Dast Hodlerstrasse süchtig und haben das Anrecht auf hygienische Konsumbedingungen.

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Bund 1.6.12

"Tanz in Bern" - SVP fordert "Recht statt Chaos"

Der von Reitschulkreisen angekündigte und organisierte nächtliche "Tanz in Bern" vom kommenden Samstag und insbesondere der Umstand, dass die Organisatoren keine Bewilligung für den Anlass beantragen, verärgert die lokale SVP: "Eine Kundgebung bleibt eine Kundgebung", schreibt Stadtrat Roland Jakob in einer Mitteilung. Es gehe nicht, dass "aktuelle Bestimmungen und Verfahren durch reine Einbildung ausgehebelt" würden. "Berechtigte Anliegen müssen mit den demokratischen Mitteln durchgesetzt werden und nicht mit Drohungen und Chaos." (pd)

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BZ 1.6.12

Party in den Gassen

Stadt Bern. 8500 Menschen haben sich bis gestern Abend auf Facebook für die Strassenparty "Tanz dich Frei" angemeldet. Diese findet am Samstagabend in Berns Gassen statt. Eine Bewilligung für den Umzug haben die anonymen Organisatoren gar nicht erst gestellt. Die Tanzdemo durch Berns Gassen steht im Zeichen des Jugendprotestes für mehr Freiräume. Auf dem politischen Parkett ziehen Berner Jungpolitiker derweil eine nationale Kampagne für ein attraktives Nachtleben auf.tobSeite 2

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Netzwerk im Kampf für mehr Party

Nachtleben · Politisch aktive Nachtschwärmer treffen sich am Mittwoch in Zürich. Ihr Ziel ist es, ein nationales Netzwerk zu knüpfen und gemeinsam für tolerantere Lärmgesetze in "urbanen Zonen" zu kämpfen.

Thomas Berger, Präsident des Vereins Berner Nachtleben, fährt am Mittwoch nach Zürich. An einem Treffen des Schweizer Dachverbandes der nicht gewinnorientierten Musikclubs (Petzi) will er sich mit Politikern und Veranstaltern aus der ganzen Schweiz vernetzen. "Unser Anliegen für eine Aufwertung des Nachtlebens können wir in der Stadt Bern alleine nicht lösen", so Berger (Jungfreisinnige). Ohne die Unterstützung von Gleichgesinnten aus Zürich, Basel, Genf und anderen Städten würde die Stadtberner Pro-Nachtleben-Lobby auf verlorenem Posten stehen. "Unsere Kampagne läuft ja mittlerweile auf dem nationalen Politparkett", sagt Berger.

Motion im Nationalrat

Die Berner GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy hat das Thema Nachtleben ins Bundesparlament gebracht (Ausgabe von gestern). Mittels Motion fordert sie eine Änderung der Lärmschutzverordnungen des nationalen Umweltgesetzes. Dadurch sollen Städte die Möglichkeit erhalten, "Zonen für urbanes Wohnen" zu schaffen. In diesen Zonen soll das Recht auf Party höher gewertet werden als das Bedürfnis nach Nachtruhe der Anwohner. Thomas Berger begrüsst die GLP-Motion: "Ich bin froh, dass das Thema schweizweit angegangen wird." Die geltenden Gesetze würden keine Zonen zulassen, in welchen Wohnen und ein Nachtleben nach 22 Uhr nebeneinander existieren können. "Nur durch eine extensive Auslegung der Gesetze ist heute überhaupt ein Nebeneinander von Nachtleben und Wohnen in Städten wie zum Beispiel Zürich möglich."

"Genug Platz für alle"

Am Treffen am Mittwoch in Zürich will Thomas Berger die Teilnehmer aus anderen Städten auffordern, Werbung für die GLP-Motion zu machen. "Nur wenn jeder die jeweiligen Nationalräte aus seinem Kanton für unser Anliegen sensibilisiert, hat der Vorschlag eine Chance", sagt er. Für die Stadt Bern hätte der Verein Nachtleben bereits einen Vorschlag, in welchem Gebiet die "Zone für urbanes Wohnen" eingeführt werden sollte. "Das Gebiet müsste sich vom Zytglogge bis zum Ende des Bubenbergplatzes erstrecken - inklusive Bierhübeli und der Reitschule", sagt Berger. "Bereits etablierte Clubs ausserhalb dieser Zone sollen natürlich weiterhin berechtigt sein." Daneben gäbe es in der Hauptstadt noch genügend Quartiere für Menschen, welche dem Nachtlärm lieber ausweichen. Tobias Habegger

Strassenparty

Die Stadtberner SVP kritisiert die unbewilligte Strassenparty "Tanz dich Frei 2.0" und fordert: "Recht statt Chaos". Die Route des Umzugs am Samstagabend verläuft gemäss E-Mail der anonymen Veranstalter an die Stadtbehörden wie folgt: Schützenmatte, Bollwerk , Bahnhofplatz, die Spitalgasse, Marktgasse, Zytglogge, Amtshausgasse, Bundesplatz, Schauplatzgasse, Bahnhofplatz.tob

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WoZ 31.5.12

Was weiter geschah

Tanz dich frei!

Diesen Samstag wird in Bern getanzt: "Es werden Wagen auffahren, mit tiefen Bässen, mitreissendem Sound, heisser Stimmung. Während auf dem Hip-Hop-Wagen die Berner Rap-Szene sich die Verse um die Ohren haut, wird auf dem Punk-Wagen jedes Punkerherz zu den abgedroschensten Gitarrenriffs pogen   …" Dies ist auf der Facebook-Seite von "Tanz dich frei 2.0" zu lesen. 29 000 Gäste haben die VeranstalterInnen über Facebook eingeladen, über 6300 haben sich angemeldet (Stand Dienstag, 12 Uhr). Es wird wohl eine heisse Nacht werden.

Um 20 Uhr wird losgetanzt auf dem Vorplatz der Reitschule, dem autonomen Jugend- und Kulturzentrum. Um diesen Vorplatz wird seit Jahren gestritten, allerdings selten so heftig wie in den letzten Wochen. Grund für den Ärger der ReitschulebetreiberInnen ist eine Verfügung des Regierungsstatthalters Christoph Lerch, die Verantwortlichen der Reitschule müssten ab 0.30 Uhr die Menschen vom Vorplatz wegweisen. Dort treffen sich an schönen Wochenenden zwischen 500 und 1000 Leute unterschiedlichen Alters und Herkunft. Diese wegzuweisen, ist weder die Absicht, noch steht es in der Macht der ReitschülerInnen.

Lerch relativierte zwar kurz darauf und betonte, die Reitschule müsse lediglich dafür sorgen, dass ihre Gäste nach halb eins keine Getränke aus den Gastrobetrieben auf dem Vorplatz konsumierten. Doch der Ärger ist da und wird immer grösser. Deswegen wird zum Tanzen gegen die von der Stadt betriebene "Aufwertungspolitik" aufgerufen, die "sich einzig und allein an den Bedürfnissen eines kleinen, wohlhabenden Bevölkerungsteils orientiert, denn nur Menschen mit Geld bringen die erwünschten Profite", wie auf der Facebook-Seite der VeranstalterInnen zu lesen ist.

Die Reithalle stellt am Samstag ihren Betrieb ein und solidarisiert sich mit der Aktion "Tanz dich frei". Auch die Bar und Beiz Kapitel Bollwerk gegenüber der Reitschule hat ihre geplante Veranstaltung abgesagt und ruft zum Tanz gegen das Establishment auf. süs

Silvia Süess

"Tanz dich frei" in: Bern, Sa, 2. Juni, Treffpunkt 20 Uhr, Vorplatz Reitschule.

Nachtrag zum Artikel "Die Rache der Berner StubenhockerInnen" in WOZ Nr. 20/12.

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BZ 31.5.12

Berner Nachtleben erreicht Bundeshaus

Nationalrat · Die GLP bringt die Debatte ums Berner Nachtleben ins Bundeshaus. Nationalrätin Kathrin Bertschy will die Idee von "urbanen Zonen" schweizweit einführen.

Der Verein Nachtleben Bern schlägt zur Aufwertung des Nachtlebens "Zonen für urbanes Wohnen" vor (wir berichteten). "Wer in diesen Zonen wohnt, verpflichtet sich zu einer gewissen Toleranz bezüglich Lärm und weiteren Auswirkungen des Nachtlebens", sagt Thomas Berger, Präsident des Vereins. Mittels Motion will GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy die Idee zum nationalen Politikum machen. "Für urbane Räume ist es nicht mehr zeitgemäss, wie die Lärmschutzverordnungen aus dem nationalen Umweltschutzgesetz ausgelegt werden", sagt sie. Bei der aktuellen Rechtslage genüge ein einziger Anwohner, der auf absoluter Stille beharre, damit auch langjährige Clubs schliessen müssten. Die Lärmschutzverordnung des Bundes lasse den Kantonen und Gemeinden kaum Spielraum, schreibt die GLP in einer Mitteilung. "Insbesondere während der Nachtzeit zwischen 22 und 7 Uhr schafft das Bundesrecht zurzeit für alle Wohnzonen einen Anspruch auf Stille." Deshalb solle der Bundesrat das Umweltschutzgesetz abändern, sodass die Kantone "unterschiedliche Toleranzwerte" bestimmen können.

"Tschäppät soll mitmachen"

Kathrin Bertschy will ihre Motion nächste Woche einreichen. Gestern hat sie Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) öffentlich aufgefordert, ihr Anliegen im Nationalrat zu unterstützen.

"Ich bin erstaunt, wenn man mir von einer anderen Partei vorschreiben will, wie ich abzustimmen habe - und dies, bevor der Vorstoss überhaupt ausformuliert ist", entgegnet Tschäppät. Zur Forderung der GLP äussert sich der Stadtpräsident wie folgt: "Wir wollen beide eine Attraktivierung des Nachtlebens." Ob dies über die Raumplanung oder über Lärmvorschriften geschehen solle, darüber müsse nachgedacht werden. "Sicher aber darf in der unteren Altstadt das Nachtleben nicht zulasten der Wohnqualität gehen. Sonst gibt es entvölkerte Geisterstädte." Regula Rytz (GB), das zweite Berner Regierungsmitglied im Nationalrat, sagt: "Die Lärmschutzgesetzgebung ist eine grosse Errungenschaft. Ein Zurückbuchstabieren muss wohlüberlegt sein." Tobias Habegger

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Strassenparty

Für den Protestanlass "Tanz dich Frei 2.0" vom Samstag liegt nach wie vor keine Bewilligung vor. "Die Veranstalter haben kein Gesuch eingereicht ", sagt Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP). Die anonymen Veranstalter rufen zur "grössten Party, die Bern je gesehen hat", auf. Die Behörden werden den Umzug wohl zulassen. "Die Polizei wird vor Ort sein, die Situation genau anschauen und verhältnismässig handeln", so Nause. "Wir können uns auf verschiedene Szenarien vorbereiten - mehr nicht." Durch ihre Weigerung, eine Bewilligung einzuholen, würden die Veranstalter die volle Verantwortung für den Anlass tragen. "Sie müssen alles unternehmen, damit es friedlich bleibt und die Sicherheit gewährleistet ist", sagt Nause. Er hoffe, dass sich die Veranstalter dieser grossen Verantwortung bewusst seien.tob

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Bund 31.5.12

GLP: Bundesrat soll Nachtleben-Konflikt lösen

Nationalrätin Kathrin Bertschy will "Urbanzonen" für Wohnen und Feiern.

Die Städte haben das Problem, der Bund hätte die Lösung - dies ist Konsens im Nachtleben-Konflikt. Das nationale Umweltschutzgesetz schützt die Ruheansprüche von Stadtbewohnern, auch in Stadtbezirken, wo das Nachtleben Tradition hat. Geht es nach GLP-Nationalrätin Kathrin Bertschy, soll sich dies nun ändern. In der Sommersession fordert sie den Bundesrat auf, das Umweltschutzgesetz zu überarbeiten. Ziel ist die Schaffung einer "Urbanzone", in der höhere Toleranzwerte für Nachtlärm gelten. Wie die GLP in einer Medienmitteilung schreibt, sollen die Kantone die Möglichkeit bekommen, ein Nebeneinander von Wohnen und Nachtleben zuzulassen.

Der Verein Nachtleben Bern kündete gestern seine Unterstützung für die GLP-Forderung an. Für den Verein ist die "Urbanzone" gegenüber anderen Lösungsvorschlägen (Ausgehmeile, 24-Stunden-Zone) überlegen, weil sie an einer gemischten Nutzung von Wohnen und Ausgehen festhalte. Sowohl die GLP als auch der Verein Nachtleben Bern setzen nun die Berner Gemeinderäte mit Nationalratsmandat unter Druck: Sie erwarten, dass "Alexander Tschäppät und Regula Rytz das Anliegen im Nationalrat unterstützen". (len)

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20 Minuten 31.5.12

Berns Partys werden nationales Thema

BERN. Der Knatsch ums Berner Nachtleben wird Sache des Nationalrats. Die grünliberale Stadtberner Nationalrätin Kathrin Bertschy fordert in einem Vorstoss, dass die Lärmschutzvorschriften des Bundes angepasst werden. Die in Bern laufende Diskussion habe aufgezeigt, dass die geltende Lärmschutzverordnung Kantonen und Gemeinden kaum Spielraum lasse. Besonders zwischen 22 und 7 Uhr schaffe das Bundesrecht für alle Wohnzonen einen absoluten Anspruch auf Stille, was sich mit der heutigen Nutzung von Stadtzentren kaum vereinbaren lasse, so Bertschy. Die Politikerin will deshalb eine Lockerung der aktuellen Regelung, was die Toleranzwerte von nächtlichem Lärm, verursacht durch Menschen sowie Kultur- und Gastrobetriebe, angeht. So sollen Clubbetreiber mehr Rechtssicherheit erhalten und die Entwicklung von "Geisterstädten" verhindert werden. NJ

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BZ 31.5.12

Neudefinition von New Wave

Konzert. An der Tour de Lorraine im Januar 2011 hinterliess die kanadische Band Austra im Frauenraum einen bleibenden Eindruck und erweiterte bei einigen die Definition von Synthie-Pop. Seitdem hat Austra ihr erstes Album "Feel it Break" herausgebracht und ist fast nonstop durch die Welt getourt. Nun kommt die Band zurück in den Frauenraum, zu sechst: Katie Stelmanis, die eine Operngesangsausbildung hinter sich und schon einiges an Musik komponiert hat, holte mit der Drummerin Maya Postepski und dem Basisst Dorian Wolf neue Leute ins Boot. Mit ihnen setzt sie ihre elektronische Neudefinition von New Wave und klassischem Gesang um.pd

Heute, 22 Uhr, Frauenraum, Reitschule, Bern, www.frauenraum.ch

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Bund 31.5.12

Austra

Gletschermusik und Discokugel

Es ist keine fröhliche Welt, welche die Gruppe Austra - die beim honorigen Domino-Label unter Vertrag steht - skizziert: Bejahrte Synthesizer-Sequenzer rattern neben traurigen Frauenstimmen. Erinnerungen an New-Wave-Gletschermusik der Achtzigerjahren werden wach, doch es rotiert auch eine rostige Discokugel über dieser Musik, ein vager Verweis auf die nordamerikanische Gay-Szene, in der sich Austra engagiert. (ane)

Reitschule Frauenraum Do, 31. Mai, 22 Uhr.

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kulturagenda.be 31.5.12

Small Talk mit Boni Koller
Sänger von Baby Jail

Boni Koller, Baby Jail tritt im Dachstock erstmals seit Längerem wieder auf. 2003 gab es doch schon eine Reunion?

Damals wollten wir nur ein Konzert spielen als Plattentaufe für unsere Best-of-CD. Nun finden wir: wenn wir noch eine richtige Reunion machen wollen, dann jetzt. Wir sind um die fünfzig und haben Angst, sonst nur noch im Sitzen spielen zu können.

Und der Anlass ist …

… 20 Jahre "Tubel Trophy", der Song mit dem wir 1992 in der Hitparade waren. Das ist verdammt lange her.

Haben Sie so lange gebraucht, um sich wieder zu mögen?

Wir haben uns schon 2003 gut verstanden, wir hatten einfach keine Lust auf ein richtiges Revival. Diesmal haben wir vielleicht zwanzig Konzerte bis Ende Jahr und danach hören wir wahrscheinlich auch wieder auf. Aber wer weiss, vielleicht finden wir es auch sauglatt und machen weiter. Wir lassen jetzt einfach mal alles auf uns zukommen.

Aber Sie haben neue Songs geschrieben?

Wir haben drei neue Lieder aufgenommen und etwa fünf Stücke im Programm, die eigentlich niemand kennt. Aber wir haben nicht vor, ein Album zu machen mit Plattenfirma und so wie richtig.

Sind die neuen Stücke so ironisch wie die alten?

Es hat ironische Passagen in den Liedern, vor allem eines ist sehr ironisch - ich hoffe, es wird dann nicht falsch verstanden (lacht). Aber wir spielen auch die alten Lieder, die die Leute hören wollen, ist doch klar.

Welches Feedback haben Sie auf Baby Jail seit dem offiziellen Ende erhalten?

Ich glaube, Baby Jail wird verklärt. Viele Leute haben uns nie gesehen. Ich könnte mir vorstellen, dass uns nun jüngere Leute besichtigen kommen, so wie man die Rolling Stones besichtigen geht. Da laufen wir dann Gefahr, dass es heisst: "So ein Gschiss. Ich habe mir die besser vorgestellt." Ich hoffe, dass wir noch genug Energie haben, um auch ein bisschen zu überraschen.

Und das Publikum aus Ihrer eigenen Generation?

Ich nehme an, sie werden aus den Löchern kriechen, und dann schauen wir mal, wer wie gut gealtert ist (lacht). Aber unsere Fans sind tendenziell zehn Jahre jünger als wir. Als wir mit dem "Tubel" in die Hitparade kamen, wurden wir ein Teenager-Thema. Ich nehme an, die meisten Leute kennen uns nur wegen des Songs. Wir lassen uns überraschen.

Interview: Silvano Cerutti

\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
Dachstock der Reitschule, Bern
Do., 31.5., 21 Uhr
www.dachstock.ch

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Bund 31.5.12

Baby Jail

Spass aus der Neonröhren-Epoche

Sie taten Mitte der Achtziger etwas, was so gar nicht zu No Future, New Romantic und Neonlicht passen wollte. Sie hatten Spass. Baby Jail um den Ex-Nilp-Sänger Boni Koller und die Kind-Punkerin Bice Aeberli sangen mit Blockflöte und Stromgitarre über Mondlicht-Babys und Elefanten, vieles war herzhaft doof, einiges brillant. Ein Dazwischen wird es auch im Zuge ihrer Reunion-Tour kaum geben. (ane)

Reitschule Dachstock Do, 31. Mai, 21 Uhr.

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BZ 31.5.12

Powerpopper im Rausch der Klabusterbeere

Konzert · The Shit heisst das neue Aushängeschild der Berner Garagenrockszene. Am 7. Juni präsentiert das Quartett sein Debüt "Dingleberry Fields Forever" im Rössli in der Berner Reitschule.

Bern pflegt eine heimliche, aber hartnäckige Affäre mit dem Garagenrock. In den Achtzigern engagierte die Veranstaltergruppe Project Blue US-Gitarrenbands wie The Miracle Workers oder Thee Fourgiven - ihre Konzerte im Sternen Bümpliz sind Legende. Im Plattenladen Record Junkie trafen sich die Aficionados, und seit bald zwanzig Jahren bildet Beat "Beat-Man" Zeller mit seinem konsequent auf Trash und Blues ausgerichteten Label Voodoo Rhythm das Epizentrum einer Szene, die weit über Bern hinausstrahlt. Mit den Monofones und The Jackets stehen neue Garagenbands am Start, die zwar nicht bei Beat-Man unter Vertrag sind, aber dessen Liebe zum Lärm teilen.

Primus inter Pares

Jetzt hat Berns wachsende Gitarrenarmada ein neues Aushängeschild. Die Musiker der fadengerade aufspielenden Combo The Shit kennt man aus den verschiedensten Formationen. Der Amerikaner Robert Butler, der Primus inter Pares, war einst Bassist der Miracle Workers und blieb in Bern hängen. Seither frönt er unter verschiedenen Pseudonymen dem Rock ’n’ Roll, setzt als Grafiker Akzente und betreibt als "Pantichrist" ein Geschäft, das sich auf ebenso knappe wie knallige Unterwäsche spezialisiert. Mit The Shit hat er nun eine Band um sich geschart, die seine Songs mit dem nötigen Sturm und Drang umsetzt. Oft fühlt man sich an den frenetischen Powerpop und frühen Punk britischer Prägung erinnert. Dazu gibt es eine Prise Kinks, einen Schuss Hardrock, einen Hauch Glam und ein Quäntchen illegale Substanzen. Für ihr Debüt reisten The Shit, bei denen auch Bassist Philipp Thöni, Drummer Pit Lee Hertig und Gitarrist Franz Hausammann mittun, ins Studio Rancho de la Luna im kalifornischen Wüstenort Joshua Tree. Dort drücken sich sonst Stars wie die Queens of the Stone Age oder die Eagles of Death Metal die Klinke in die Hand. Die nötigen Mittel beschafften sich The Shit über ein sogenanntes Crowd Funding, das künftige Publikum finanzierte die CD quasi vor. "Dingleberry Fields Forever" heisst das Debüt, und es kracht, brettert und fräst ohne Verschnaufpause. Das mag auf die Dauer etwas monothematisch wirken und verlangt den Zuhörenden Standvermögen ab. Doch wer es gern rockig mag, muss nicht weiter suchen. Kompromisse sind nicht das Ding von Robert Butler, auch wenn dieses Album wegen seiner professionellen Machart und sehr soliden Handwerks schon fast etwas konventionell tönt im scheppernden Low-Fi-Sound der Berner Garagenszene.

Fäkalien statt Erdbeeren

Der Albumtitel ist eine Anspielung auf eine Welt, die aus den Fugen gerät. Die Zeiten, als man mit den Beatles auf Erdbeerfeldern wandelte, sind vorbei. "Dingleberry" heisst zu Deutsch "Klabusterbeere" und meint die Kotrückstände im Fell des Viehs. Am 7. Juni stellen die Berner, die sich auf Werbefotos hinter Masken verstecken, ihre Platte im Rössli in der Reitschule live vor. Und sie versprechen: "Shit happens."
Samuel Mumenthaler

CD: The Shit: "Dingleberry Fields Forever", Subversiv Records. CD-Taufe: 7. Juni, 21 Uhr, Rössli (Reitschule), Bern.

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kulturagenda.be 31.5.12

Shit And Shine im Dachstock

Craig Clouse ist seit über zehn Jahren Frontmann der Sludge-Metal-Band Todd. Unter dem Namen Shit And Shine begibt sich der Texaner in andere Territorien. Mit Live-Performances mit bis zu 20 Drummern, mit Bass, Gitarre und Elektronik kreiert die Band ein musikalisches Gewitter. In Bern ist das Aufgebot indes auf zwei Drummer reduziert.
Dachstock in der Reitschule, Bern. So., 3.6., 20 Uhr

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kulturagenda.be 31.5.12

Midilux mit Richard Bartz im Dachstock

In den 1990ern gehörte Richard Bartz zu den Pionieren der Münchner Technoszene. Er gründete die Plattenfirma Kurbel Records und produzierte mehrere eigene Alben. Heute ist er zwar nicht mehr ganz so produktiv, aber noch immer unterwegs. Vor seinem Auftritt im Dachstock heizen Berner DJs an: Dreksler & Haerle (Elektrostubete) und Digitalis (Everestrecords).
Dachstock in der Reitschule, Bern. Fr., 1.6., 23 Uhr

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Bund 31.5.12

Sleepy Sun

Benebelte Eleganz

Die Gruppe Sleepy Sun aus San Francisco gehört zu den angenehmsten Erscheinungen des neuen amerikanischen Psychedelic-Hypes.

Ane Hebeisen

Vielleicht hat es mit der veränderten Drogen-Versorgungssituation in der Obama-Ära zu tun. Jedenfalls hat an Amerikas Westküste eine neue musikalische Bewusstseinserweiterung stattgefunden. Die Neo-Hippies gewinnen Überhand, schreiben Lieder, die sonderbare Wendungen nehmen, und verdrahten ihre Stromgitarren mit Geräten, die bereits Ende der Sechzigerjahre zum Entfachen von Rausch und Ekstatik im Einsatz waren. Trendsucher haben bereits die Ära des Neo Psychedelic Rock ausgerufen, und eine der netteren Gesandtschaften dieser Spezies reist nun nach Bern, um diesen musikalischen Segen auch hier ruchbar zu machen.

Strukturierter Wahn

Sleepy Sun heisst die Band aus San Francisco, die mit ihrem Debüt-Album "Embrace" (2008) gezeigt hat, wo der psychedelische Gong hängt. Das Werk macht indes bereits offenbar, dass Sleepy Sun - im Gegensatz zu ähnlich gelagerten Kollegen (höchst empfehlenswert: Crystal Antlers aus Long Beach) - nicht im Sinn haben, allein das Rauschhaft-Ungezügelte zu akzentuieren.

Auf ihrem sensationellen Erstling taumeln die Sleepy Sun zwischen Abenteuerlust und dem Willen, etwas durchwegs Schönes zu schaffen, zwischen benebelter Eleganz und strukturiertem Wahn. Ein Ringen, das auf dem 2010 erschienenen Nachfolgealbum "Fever" geschmackvoll weitergeführt wird. Etwas weniger prickelnd ist ihr neuestes Tonwerk "Spine Hits" ausgefallen, auf welchem der Versuch gestartet worden ist, die Sache etwas sonniger und anschaulicher zu gestalten. Auf dass die Sonne wieder ein bisschen schlafen geht!

Dachstock Reitschule Mittwoch, 6. Juni, 20 Uhr.

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Bund 31.5.12

"Läbe ohni Dütschi"

"Ich will mit Theater die Welt verändern"

Der Regisseur Julian M. Grünthal findet es unerträglich, wenn er nicht spürt, wozu Theater gemacht werde. Seine Inszenierung "Läbe ohni Dütschi" hat heute Premiere.

Alexandra Kedves

Sein Schweizerdeutsch ist beinahe akzentfrei. Dabei hatte er lange Hemmungen, sich auch nur an einem einzigen Wort zu versuchen. "Die Liebe - zu zwei Schweizerinnen - hat da geholfen", sagt Julian Mauritius Grünthal. Und natürlich die Entscheidung, das Leben als Künstler hier aufzubauen; hier, wo der Juristensohn 2001 mit dem Schauspielstudium begann; hier, wo sich für ihn rasch viele Türen öffneten.

Mittlerweile ist der 30-jährige Durchstarter aus Freiburg im Breisgau aus der freien Schweizer Theaterszene nicht mehr wegzudenken: Letztes Jahr holte er etwa mit "Nico’s Love" und seiner Gruppe Grenzgänger den Nachwuchspreis Premio; mit "Checkpoint" schuf er einen Abend über "Israel und Palästina in unseren Köpfen", der im Kopf bleibt. Jetzt entwickelt der sanfte Kommunikator mit den blauen Augen und den Schäfchenlöckchen wieder einen harten Abend: über "Läbe ohni Dütschi".

"Läbe ohni Dütschi": ein gewagtes Projekt für einen, der von ennet der Grenze kommt.

Ich scheue die konstruktive Auseinandersetzung mit Kritikern nicht. Aber als mir das Spiegeltheater die Regie angetragen hat, habe ich erst schon gezögert - auch, weil das Thema medial bereits so breit ausgewalzt war. Aber dann habe ich die Texte gesehen, die Cory Looser dazu bereits geschrieben hatte, und sah, dass darin viel Potenzial war, um übers Stereotyp hinauszugehen; und als klar wurde, dass wir zusammen mit dem Ensemble die Texte auf den Proben weiterentwickeln dürfen, roch das nach Potenzial für richtiges Theater.

Was ist richtiges Theater?

Ich will mit Theater die Welt verändern. Definitiv. Theater, bei dem ich nicht spüre, wozu es gemacht wird, ertrage ich nicht. Die Schauspieler müssen wissen, was sie tun und warum - der Regisseur ebenso. Darum habe ich nach einer Saison als Schauspieler am Theater Bielefeld gekündigt: Acht von zehn Produktionen dort waren pure Unterhaltung ohne eine Antwort auf die Frage "Warum?".

Noch vor zehn Jahren waren Fun und Entertainment Verkaufsargumente des jungen Theaters.

Als ich von 2001 bis 2005 in Zürich Schauspiel studierte, waren 98 Prozent der Studierenden völlig unpolitisch; und 98 Prozent der Produktionen auch. Vielleicht befanden wir uns nach 9/11 in einer Art Schockstarre und realisierten, dass wir total apolitisch gewesen waren. Die neuen Jahrgänge dagegen sind sehr politisch. Auch ich will mehr erreichen als einen "schönen Abend". "Lustig und Fun" ist im Theater zurzeit einfach nicht angesagt, wenn man sich in der Welt umschaut.

Was soll Theater bewirken?

Idealiter soll es neue Perspektiven auf die Welt eröffnen. Und noch besser ist, wenn es zum Handeln anregt. Nach "Checkpoint" beispielsweise sagten mir Zuschauer, sie hätten etwas über den Nahostkonflikt gelernt und würden nun noch mehr lernen wollen. Das ist für mich schon eine Menge.

Welche neuen Perspektiven stecken in "Läbe ohni Dütschi"?

Es geht nicht bloss ums totdiskutierte Sujet "Deutsche in der Schweiz". Sondern generell um die Suche nach Identität und darum, wie man in eine faschistoide Richtung abgleiten kann. In "Läbe" gibt es ein paar Leute, die erst ein Theaterstück zur Weltverbesserung machen wollen. Aus ihrer Überfremdungsangst wächst eine Retrosehnsucht, sie blicken zurück auf die keltischen Wurzeln, ein Ökofaschismus schleicht sich ein, alles Fremde wird zum Feind - vom Germanen bis zum Tessiner. Die Tendenz zum Cocooning und zur verschworenen Gruppe ist heutzutage, wo viele Tausend Stimmen minütlich auf uns einprasseln, extrem geworden. Unser Stück stellt Fragen zu diesem Rückzug in potenziell gewalttätige Kernzellen: Das Thema brennt mir unter den Nägeln. In Deutschland kam es zu dieser unfassbaren Neonazi-Mordserie. Aber es ist auch haarsträubend, was hier durchgeht! Die Minarettinitiative etwa geht auf keine Kuhhaut - und ich muss mich da engagieren, wo ich bin. Hier ist meine Heimat, und mein Theater soll Reibungsfläche sein. Einen Streit auszulösen, wäre schon ein Gewinn.

Ihr Theater ist eines der persönlichen Betroffenheit?

Unbedingt. Theatermacher dürfen sich nicht verstecken, sondern müssen sich ganz hineinwerfen, mit ihren Unzulänglichkeiten. Sonst ist es sinnlos. Und ich bin - wie viele Leute in der Schweiz - verzweifelt. Alles ist so starr; es muss sich etwas bewegen. Man muss, man wird bald verstehen, dass die Neutralität ein Mythos ist; dass alles vernetzt ist, von den Märkten bis zum Klima, und dass Geld kein Lebenszweck sein kann. Wach sein, nicht verknöchern - das sollte für Individuen gelten wie für Länder. "Meine" Ensembles sind aus Prinzip stets multikulturell. Das ist ein Mikrokosmos, ein Bild von der Schweiz, wie ich sie gern hätte.

Aber auch Sie profitieren von der reichen Gschäftlimacher-Schweiz.

Es stimmt, dass die Verhältnisse für Theatermacher hier recht luxuriös sind im Vergleich zu anderswo. Subventionen streichen? Denkverbote sind auch da verboten: Vielleicht erweist sich das Crowdfunding ja auf die Dauer als ein besserer Weg. Man könnte durchaus auch darüber nachdenken, ob die grossen Institutionen so immens viel bekommen sollen - zumal ihr kreativer Output sich umgekehrt proportional zu ihrer Unterstützung verhält.

Entsteht gute Kunst in katastrophischen Verhältnissen?

Hinter guter Kunst steht ein Mensch, der keine Angst hat, sich hineinzugeben. Wenn jemand sich mit einer extremen Lebenserfahrung in die Waagschale wirft, berührt mich das tief.

Ist das Theater für gesellschaftliche und politische Diskussionen überhaupt das richtige Forum?

Ich habe meine Zweifel, weil nur wenige ins Theater gehen. Aber grundsätzlich ist das Theater ein sehr freies, offenes, disziplinenübergreifendes und schnelles Medium und ideal für gesellschaftliche Debatten - wenn es sich traut. Sollte ich jemals dahin kommen, es mir darin einfach gemütlich einzurichten, so bitte ich darum, dass man mir einen Prügel über den Kopf zieht!

Tojo-Theater Reitschule Donnerstag, 31. Mai, und Freitag, 1. Juni, jeweils 20.30 Uhr.

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BZ 31.5.12

Gemobbte Deutsche

Theater · Regisseur Julian M. Grünthal nimmt in "Die neue Schweizer Welle" das Verhältnis von Schweizern und Deutschen auf die Schippe - heute und morgen im Berner Tojo.

Die Zeiten, als die Deutschen nur als Touristen kamen, sind vorbei. Sie bleiben! Grund genug für das Zürcher Spiegeltheater, dem deutsch-schweizerischen Verhältnis auf den Grund zu gehen. In "Die neue Schweizer Welle - Läbe ohni Dütschi", inszeniert von Julian M. Grünthal (Mitglied der Gruppe 400asa), werden schönste Vorurteile gedrescht, Deutsche mit üblen Schweizerdeutschkursen traktiert und Studenten zu politisch korrekten Debatten über das Deutschenmobbing geprügelt. pd/mei

Vorstellungen: heute und morgen Fr, jeweils 20.30 Uhr, im Tojo-Theater Bern.

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kulturagenda.be 31.5.12

Klartext mit Julian M. Grünthal über "Die neue Schweizer Welle - Läbe ohni Dütschi"


Der 31-jährige Julian Grünthal gehört zu den gefragten jungen Regisseuren in der Freien Theaterszene der Schweiz. Von ihm war im Tojo zuletzt "Nicos Love on Stage" zu sehen. Nun inszeniert er zusammen mit Bettina Glaus im selben Theater "Die neue Schweizer Welle - Läbe ohni Dütschi ".

Weshalb hat Sie der Text von Cory Looser über die Deutschen in der Schweiz interessiert?

Ich bin als Auftragsregisseur für die Produktion des Spiegeltheaters dazu gekommen. Das Stück hat einen Fokus auf die Deutschen in der Schweiz, aber es geht viel weiter: Es geht um die Angst, die eigene Identität zu verlieren, um Abwehrreaktionen in einer globalisierten Welt, um die Wahl: Mache ich auf, beseitige die Grenzen und nehme die Menschen als Menschen? Oder ziehe ich die Grenzen enger und schliesse alle aus, die mir nicht passen? Die Deutsche-in-der-Schweiz-Diskussion ist nur der Aufhänger und der Ausgangspunkt im Stück. Denn so virulent, wie es breitgetreten wird, ist das Thema gar nicht.

Es ist ja auch schon etwas durchgekaut.

In der Tat. Auf der Bühne wird man sehen: Das Ensemble behandelt das Thema zuerst im Comedy-Stil. Dann fragen sich die Protagonisten: Wollen wir hier so weiterfahren und einen weiteren witzigen Theaterabend veranstalten? Sollten wir uns nicht vielmehr überlegen, was wirklich unsere Ängste und Bedürfnisse sind?

Das Stück geht also tiefer?

Im Endeffekt geht es ums Eingemachte. Wir thematisieren heutige Tendenzen in der Migrationsthematik und wohin das führt, wenn man nicht wachsam bleibt. Das Stück ist Joseph Chiakwa gewidmet, der bei der Zwangsausschaffung im Flughafen Zürich erstickt ist.

Kann Theater die Welt verändern?

Ein kleines Stück.

Woraus schliessen Sie das?

Wir haben das Stück bisher in Zürich und in Luzern gespielt. In Zürich kam ein anderes Publikum als sonst, es kamen Leute, die sonst nie in dieses Theater gehen. Das ist schon mal eine schöne Veränderung im Kleinen. In Luzern waren die Reaktionen des Publikums heftig. Wir zeigen im Stück die Szene einer Zwangsausschaffung, die wir praktisch eins zu eins aus der gängigen Praxis übernommen haben. Vielen Leute wurde erst bewusst, wie nahe diese fast alltägliche Handlung an faschistoiden Praktiken ist - und wie gross der Brocken ist, den man verdrängt. Das ist eine Bewusstseinsveränderung, die zumindest eine kleine Weltverändung bedeutet. Andere fanden, einer, dessen Volk sechs Millionen Juden umgebracht hat, dürfe hier nicht faschistische Tendenzen aufzeigen.

Wie erleben Sie als Deutscher die neue Schweizer Ablehnung gegen die Deutschen?

Ich wurde in den elf Jahren, in denen ich bis jetzt in der Schweiz gearbeitet habe, nie diskriminiert. Das liegt wohl auch an meiner diesbezüglich luxuriösen Situation, dass ich mich in Kreisen der Kulturproduktion bewege. Wir möchten in unserer Produktion dem Klischee widersprechen, die Schweiz sei mononational. In unserem Ensemble hat es Menschen aus vielen Nationen, kein schlechtes Abbild für die Schweiz.

Die Halbwertszeit von politischen Stücken mit Aktualitätsbezug ist kurz. Wie sieht es bei "Die neue Schweizer Welle" aus?

Ich glaube, das Stück bleibt eine ganze Weile aktuell, es wird auch an weiteren Orten aufgeführt werden. Es lässt sich auch in andere Länder adaptieren, etwa nach Deutschland, weil es nicht nur die Schweiz betrifft. Es ist ein grosses, wichtiges Thema, das man nicht verdrängen sollte. Und: Das Stück ist eine ganze Weile lang auch recht lustig!

Interview: Michael Feller

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Tojo Theater, Bern
Do., 31.5., und Fr., 1.6., 20.30 Uhr
www.tojo.ch

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Bund 31.5.12

Euro 12: Kein Public Viewing in Bern

Das Fussballfieber der Heim-EM 2008 scheint in der Stadt Bern verflogen: Die Euro 2012 findet ohne grosses Public Viewing statt.

Martin Erdmann

Am 8. Juni fällt in Warschau der Anpfiff zum Eröffnungsspiel der Euro 2012, doch dieser scheint in Bern auf taube Ohren zu stossen. Noch an der letzten Europameisterschaft, als die Schweiz Gastgeberin war, verwandelten sich Berns Strassen zu Festmeilen; wo sich 2008 Tausende Menschen versammelten, um gemeinsam die Spiele zu schauen, wird dieses Jahr gähnende Leere herrschen. "Wir haben bis jetzt kein Gesuch für ein Public Viewing erhalten", sagt Marc Heeb, Leiter Orts- und Gewerbepolizei der Stadt Bern.

Kein Interesse ohne Schweiz

Wo liegt der Grund für Berns Fussballfrust? Heeb glaubt die Antwort zu kennen: "Wir gehen davon aus, dass die Abwesenheit der Schweiz an der EM eine grosse Rolle spielt." Fussball wird diesen Sommer also nicht zum Massenanlass. Fans, die dennoch nicht ganz vereinsamen wollen, können auf das Angebot verschiedener Gastrobetriebe zählen. "Es ist in der Stadt Bern möglich, dass man bei Aussenbestuhlung alle Spiele auf einem Bildschirm übertragen darf", sagt Heeb. Dies geschehe zum Beispiel bei beiden City-Beaches auf der Grossen Schanze. Mehr Handlungsbedarf sieht Heeb nicht. "Wahrscheinlich genügt dieses Angebot, um die Nachfrage abzudecken."

Reitschule zieht sich zurück

Die Reitschule wollte eigentlich mit einem Public Viewing samt Rahmenprogramm auffahren, doch das geplante Fussballfest wurde nun kurzfristig abgesagt. "Da eine der von Regierungsstatthalter Christoph Lerch verfügten Verwaltungszwangsmassnahmen im Juni 2012 nicht nur den Betrieb der Aussenbar, sondern sämtliche Veranstaltungen auf dem Vorplatz verbietet, kann das Public Viewing nicht stattfinden", lässt die Mediengruppe der Reitschule verlauten. Ob ein Public Viewing in sehr reduzierter Form stattfindet oder ganz darauf verzichtet wird, sei noch nicht entschieden.

Drei Standorte im Westside

Anders sieht die Situation im Westside aus. Gleich an drei Standorten können die Spiele verfolgt werden. Ab dem Halbfinal werden die Partien von Sportmoderator Albi Saner und Martin Weber, Captain der YB-Meistermannschaft von 1986, kommentiert. Auch in Köniz lässt man sich das Fussballfest nicht verderben. Im Kulturhof Schloss Köniz werden sämtliche Spiele gezeigt. Die Gruppenspiele werden im Schärmeruum übertragen, ab den Achtelfinals geht es in den Schlosshof. Zudem werden eine Street-Soccer-Anlage sowie Pingpongtische und Tischfussballkästen bereitstehen. Burgdorf wird ebenfalls zur Fussballfestung. Die Wirtschaft zum Schützenhaus punktet nicht nur mit selbst gebrautem Bier, sondern auch mit einer eigenen Arena. Ein Zelt mit Platz für 250 Zuschauer soll für Stadionatmosphäre sorgen.

Auf dem Gurten werden derweil die Zuschauer zu Mitspielern: In Nachbarschaft zu den schottischen Hochlandrindern reiht Highland Gurten seine Gäste in einen menschlichen Töggelikasten ein. Auf einem 170 Quadratmeter grossen Feld treten jeweils acht Personen gegeneinander an. Neben Torwandschiessen, Fussballkegeln und einem Hindernis-Parcours werden alle Spiele live übertragen.

Klein und fein

In kleinerem Rahmen wird im Lokal die Euro 2012 verfolgt. Das Restaurant im Breitenrain verzichtet auf Grossleinwände und will die EM als "familiären Insiderevent" bestreiten. Der Gastbetrieb soll nicht zusätzlich erweitert werden. Daher ist der Platz auf rund 30 Gäste limitiert.

Das YB-Fanlokal Halbzeit spannt mit dem Quartier-Bioladen Lola und dem Bierexpress zusammen und bedient im Hof der Garage Serini an der EM-Bar. In der Lorraine überträgt das Café Kairo wie gewohnt alle Spiele der EM-Endrunde.

Wohl den kleinsten EM-Event bietet die eben erst eröffnete Zarbar an der Pestalozzistrasse. Diese ist kaum grösser als ein Wohnzimmer. Dennoch werden alle Spiele übertragen. Und auch im Bierhübeli rollt das runde Leder täglich - auch ohne Schweizer Beteiligung.

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derbund.ch 30.5.12
http://www.derbund.ch/bern/stadt/Die-Party-hallt-bis-aufs-nationale-Parkett-/story/19474954

Die Party hallt bis aufs nationale Parkett

Von Matthias Ryffel.

Der Verein Pro Nachtleben Bern begrüsst den Vorstoss der Stadtberner Grünliberalen. Mit einer Motion im Nationalrat will diese dem Kanton beim Lärmschutz mehr Spielraum schaffen - und damit Wohnen und Nachtleben nebeneinander ermöglichen.

Die Stadtberner Grünliberale will die Diskussion ums Nachtleben auf nationales Parkett befördern: In einer Medienmitteilung von Mittwoch fordern die grünliberale Nationalrätin Kathrin Bertschy und ihr Parteikollege und Stadtrat Claude Grosjean einen nationalen Paradigmenwechsel beim Lärmschutz.

Flexible Toleranzwerte

Sie kündigen deshalb für die laufende Sommersession einen Vorstoss im Nationalrat an. Man werde den Bundesrat beauftragen, dem Parlament eine Änderung des Umweltschutzgesetzes zu unterbreiten, "so dass in einer kantonalen Nutzungszone je nach Lärmquelle unterschiedliche Toleranzwerte gelten können" - so der Wortlaut der Motion.

Die heute festgeschriebenen Toleranzwerte bei den Lärmschutzvorschriften sollen so flexibler handhabbar werden. In Urbanzonen etwa soll höhere Toleranz gelten - dies allerdings nur für nächtlichen Lärm, "verursacht durch Menschen sowie Kultur- und Gastrobetriebe", nicht aber für Industrie- und Verkehrslärm.

Geisterstädte

Die in der Stadt laufende Nachtlebens-Diskussion habe gezeigt, dass die Lärmschutzverordnung des Bundes den Kantonen und Gemeinden kaum Spielraum lasse: "Insbesondere während der Nachtzeit zwischen 22 und sieben Uhr schafft das Bundesrecht zurzeit für alle Wohnzonen einen absoluten Anspruch auf Stille." Dies lasse sich mit der heutigen Nutzung von Stadtzentren aber kaum vereinbaren. Bei konsequenter Umsetzung werde "regelrechten Geisterstädten" Vorschub geleistet.

Die Grünliberalen fordern die Berner Gemeinderäte Alexander Tschäppät (SP) und Regula Rytz (GB) auf, ihr Anliegen im Nationalrat zu unterstützen: Der Gemeinderat habe in der Vergangenheit darauf verwiesen, dass sein Spielraum durch das Bundesrecht beschränkt sei. "Nun zeigt Kathrin Bertschy einen Weg auf, diesen Spielraum zu vergrössern", so schreibt Stadtrat Grosjean.

Verein Pro Nachtleben begrüsst Vorstoss

Der Verein Pro Nachtleben Bern zeigt sich in einer Mitteilung erfreut, "dass die Diskussion auf Bundesebene angekommen ist". Man begrüsse den Vorstoss. Denn auch in andern Städten wie etwa Zürich sei ein Nebeneinander von Wohnen und Nachtleben nur durch "die extensive Auslegung der heutigen gesetzlichen Grundlage, sowie einer gewissen Ignoranz der Vollzugsbehörden gegenüber der Ermittlungspflicht" überhaupt möglich. Mit der aktuellen Gesetzgebung fehle den Betreibern jegliche Rechtssicherheit.

Die Lösung sehe auch der Verein Nachtleben nicht in der Schaffung von Ausgehmeilen, wo Wohnen explizit verboten ist. Dies schaffe nur zusätzliche Probleme. Vielmehr brauche es Zonen, wo trotz Wohnnutzung nicht die gleichen Anforderungen an die Nachtruhe gestellt werde, wie etwa auf dem Land.

Auch der Verein fordert die beiden Gemeinderäte mit Nationalratsmandat deshalb zur Unterstützung des Vorstosses auf. (DerBund.ch/Newsnet)

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bernerzeitung.ch 30.5.12
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Gruenliberale-fordern-neue-Laermschutzvorschriften/story/31201470

Grünliberale fordern neue Lärmschutzvorschriften

Die Stadtberner Grünliberalen fordern im Nationalrat neue Lärmschutzvorschriften, die Wohnen und Nachtleben besser in Einklang bringen können. Sie hoffen dabei auf die Unterstützung von Alexander Tschäppät und Regula Rytz.

Das städtische Nachtleben sorgt momentan allen Orten für Zündstoff, nun fordern die Stadtberner Grünliberalen im Nationalrat Lärmschutzvorschriften für Stadtzentren, die Wohnen und Nachtleben nebeneinander zulassen. Nationalrätin Kathrin Bertschy setzt sich für dieses Anliegen ein und will zudem keine Lockerung der geltenden Vorschriften bezüglich Verkehrs- und Industrielärm.

Momentan besagt das Bundesrecht, dass in Wohnzonen zwischen 22 und 7 Uhr absolute Stille herrschen muss. Laut einer Mitteilung der Grünliberalen ist diese Regelung mit der heutigen Nutzung der Stadtzentren allerdings kaum einzuhalten. Weiter seien auch Zonen lärmberuhigt, welche "ein belebtes Quartier gerade schätzen." Für Betreiber von Kulturlokalen entstehe dadurch eine Rechtsunsicherheit.

In der Sommersession des Nationalrates will Bertschy eine Motion einreichen, dass in einer kantonalen Nutzungszone unterschiedliche Toleranzwerte gelten können. Die Partei hofft auf die Unterstützung von Alexander Tschäppät, Berner Stadtpräsident und Nationalrat, sowie die von Regula Rytz, Gemeinde- und Nationalrätin. (dln)

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Bund 30.5.12

Unter dem Viadukt steigt die Party

Auf dem Vorplatz der Reitschule soll es ruhig werden. Veranstalter haben bereits ein Schlupfloch gefunden: Sie verlegen ihre Partys unter den Bahndamm - und geniessen den Schutz der Anonymität.

Christoph Lenz

Die Ansage von Christoph Lerch (SP) war klar: Mit den Anfang Mai verfügten Zwangsmassnahmen will der Regierungsstatthalter die Gewalt- und Lärmprobleme rund um die Reitschule in den Griff bekommen. Ob dies gelingt, ist indes fraglich. Nicht zuletzt, weil verschiedene Veranstalter von illegalen Partys und Konzerten bereits ein Schlupfloch gefunden haben, um die Zwangsmassnahmen zu umgehen. Sie verschieben die Events um wenige Meter und entziehen sich so dem Arm des Gesetzes.

Nachtlärm durch Hall verstärkt

Bis nach drei Uhr früh dauerten die Partys, die an den letzten beiden Wochenenden gleich neben dem Vorplatz unter dem SBB-Bahnviadukt stattfanden. Der Lärm, verstärkt durch den Hall-Effekt unter der Brücke, war nicht nur in der Lorraine und im Altenbergquartier zu hören, sondern sogar auf manchen Terrassen von Postgasse-Liegenschaften deutlich wahrnehmbar. Wie viele Lärmklagen an diesen zwei Wochenenden eingegangen sind, will weder die Kantonspolizei noch das Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland sagen.

"Die Wahrscheinlichkeit ist gross, dass uns die Kantonspolizei noch mehrere Reklamationen übermittelt", sagt aber Marc Heeb. Der Leiter der Stadtberner Orts- und Gewerbepolizei ist über die Partys unter dem Viadukt im Bild. Allerdings konnte die Orts- und Gewerbepolizei keine Bussen aussprechen. Der Grund: Es war ihr nicht möglich, die Verantwortlichen für den Lärm zu eruieren. Dies ist unter dem SBB-Viadukt tendenziell schwieriger als auf dem Vorplatz. Dort ist es nicht selten die Vorplatzbar, die gegen Bewilligungspflichten verstösst. In diesen Fällen kann die Reitschule haftbar gemacht werden. Bei den Partys unter dem SBB-Viadukt spricht aber auch die Reitschule-Mediengruppe von "externen Veranstaltungen", die Reitschule lehne jede Haftung ab. Die Mediengruppe bestätigt aber, dass die Reitschule zwischen Polizei und externen Veranstaltern vermittle. Die Reitschule übermittle die Bitte um Lautstärkereduktion, sei aber damit oft "mässig erfolgreich".

Im Schutz der Anonymität

"Wir versuchen zwar jeweils mit allen Mitteln ausfindig zu machen, wer für die Nachtruhestörung verantwortlich ist", sagt Marc Heeb. Manchmal gelinge dies, oft aber sei es ein anonymes Kollektiv, das die Partys unter dem Viadukt organisiere. So auch am letzten Samstag: "Geworben wurde unter Pseudonymen auf sozialen Netzwerken im Internet. Die Veranstalter geniessen den Schutz der Anonymität und können nicht belangt werden."

Heeb sieht noch keinen Trend

Obwohl nun an zwei aufeinanderfolgenden Wochenenden Partys unter dem Viadukt stattfanden, will Heeb noch nicht von einem neuen Trend sprechen. "Es gab auch in den letzten Jahren immer wieder Partys unter dem Viadukt", gibt er zu bedenken.

Es würde aber kaum jemanden erstaunen, wenn die Partytätigkeit unter dem Bahndamm mit der Schliessung der Vorplatzbar ab 1. Juni noch intensiviert würde.

Und nicht nur dort: Die Mediengruppe der Reitschule richtete sich gestern direkt an Veranstalter mit der Aufforderung, die Partyzone auszudehnen: "Nachtbelebende Partys sind sicher eine Bereicherung für das Quartier rund um die Schützenmatte. Als kreative Abwechslung könnten aber eigentlich auch mal andere Stadtteile als Standort ausgewählt werden."

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Tanzdemo 6500 Anmeldungen, 0 Bewilligungsgesuche

6500 Anmeldungen auf Facebook, diverse Soundmobile, Live-Auftritte von Musikern - aber keine Bewilligung. So sehen am frühen Dienstagabend die Fakten zur Tanzdemo aus, die Bern am 2. Juni seinem "tristen grauen Alltag entreissen" will und darüber hinaus ein "klares politisches Statement" gegen die Auswirkungen der aktuellen Politik zu setzen gedenkt. Kurzum: Bern steht ein heisser Samstag bevor.

Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) wollte gestern gegenüber dem "Bund" keine Stellung zur Tanzdemo nehmen. Marc Heeb, Leiter der Orts- und Gewerbepolizei, bestätigt lediglich: "Bis heute ist kein Gesuch für eine Bewilligung der Demo eingegangen."

Derweil der Informationsfluss der Stadtverwaltung nur kärglich fliesst, brodelt auf Facebook die Gerüchteküche. So sollen die Berner Rapper Boys on Pills an der Tanzdemo einen Auftritt planen. Auch das Festmacher-Kollektiv will mit einem eigenen Sound-Wagen an den Start gehen. (len)

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BZ 30.5.12

Über 6500 wollen am Samstag tanzend protestieren

stadt bernFür den Protestanlass "Tanz dich Frei 2.0" liegt noch keine Bewilligung vor. Die Stadt ist aber über die Route informiert worden. Bisher wollen 6500 Personen teilnehmen.

Die anonymen Veranstalter rufen zu Grossem auf: "Lasst uns die grösste Party feiern, die Bern je gesehen hat!", schreiben sie über ihren Anlass "Tanz dich Frei 2.0" von kommendem Samstag. Um 20 Uhr soll vom Vorplatz der Reitschule aus mit einer Tanzdemo gegen Verbote und Einschränkungen im öffentlichen Raum protestiert werden. Der Anlass soll ein "klares politisches Statement an Stadt und Staat" sein, wie die Organisatoren schreiben (wir berichteten). Laut Rückmeldungen über soziale Medien könnte der Anlass zu einer Mini-Street-Parade werden - mit breiterem musikalischen Angebot. Die Berner Partyveranstalter Festmacher etwa versprechen eine Soundanlage, welche "die Stadtmauern erschüttern lässt". Die Berner Rapszene will mit einem eigenen Wagen dabei sein. Dazu ist die Rede von einem Punkwagen, einem Minimal-Electro-Wagen, einem Technowagen, und, und, und …

Bereits E-Mail-Kontakt

Es gibt einen grossen Unterschied zu ähnlichen Partyumzügen. Bisher liegt für "Tanz dich Frei 2.0" keine Bewilligung vor - auch kein Gesuch für eine Bewilligung, wie Marc Heeb, Leiter der städtischen Orts- und Gewerbepolizei, sagt. In ihren Aufrufen schreiben die Veranstalter, dass sie darauf verzichten wollen, eine Bewilligung der Behörden einzuholen, weil sie genau gegen diese protestieren wollen. Immerhin ist es bereits zu einem E-Mail-Kontakt zwischen Veranstaltern und Gewerbepolizei gekommen. "In diesem E-Mail haben die Veranstalter über die Route des Umzugs informiert", sagt Heeb. Sie soll durch die Innenstadt führen. Heeb schrieb zurück, dass die Stadt dialogbereit sei. "Wir möchten mit den Veranstaltern einfach Rahmenbedingungen wie zum Thema Abfall festlegen und Kontakt zu einer verantwortlichen Person haben. Dann kann eine Bewilligung erstellt werden", sagt Marc Heeb. Bei vergleichbaren Anlässen sei dies der Fall gewesen, sagt Heeb und erwähnt "Dance out Moneymania". Hier hätten die Veranstalter selber Abfall eingesammelt. Heeb wartet nun ab, ob "Tanz dich Frei 2.0" den Dialog aufnimmt. Die gleiche Haltung hat auch Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP).

6500 wollen kommen

Bereits in der Nacht auf den 12. Mai war es zu einem grossen nächtlichen Umzug durch Bern gekommen. Gegen 3000 Personen protestieren damals friedlich gegen die verschärften Bewilligungen der Reitschule-Gastrobetriebe. Für "Tanz dich Frei 2.0" haben auf Facebook 6500 Personen ihr Kommen angekündigt. Wieder gibt es einen Bezug zur Reitschule. An jenem Abend muss die Vorplatz-Bar gemäss den Auflagen des Statthalters geschlossen bleiben. Die Reitschule hat bekannt gegeben, dass an jenem Abend sämtliche Betriebe geschlossen bleiben. Wolf Röcken

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20 Minuten 30.5.12

Strassenparty: Politiker befürchten Ausschreitungen

BERN. Für die Nachtdemo vom Samstag werden bis zu 10 000 Demonstranten erwartet. Politiker sind alarmiert.

Mit der "Tanz dich frei 2.0" vom Samstag steht in Bern die nächste unbewilligte Strassenparty an. Gegen 7000 Personen haben auf Facebook ihre Teilnahme angekündigt. Thomas Berger, FDP-Politiker und "Pro Nachtleben Bern"-Präsident, erwartet bis zu 10 000 Leute.

Im Vergleich zur Kundgebung in der Nacht auf den 12. Mai wird diesmal per Facebook über die Stadtgrenzen hinaus mobilisiert. Deshalb wächst die Furcht, dass es ausarten könnte. Berger etwa erwartet Krawall-Touristen und warnt: "Es braucht nur wenige Idioten, die randalieren, dann ist die ganze Bewegung gefährdet." Er fordert von den Demonstranten: "Seid laut und feiert. Schaut aber, dass nichts geschieht, was unsere Anliegen gefährden könnte."

Die Reitschule solidarisiert sich mit den Organisatoren und relativiert: "Die Bürgerlichen versuchen, Panik zu schüren", so die Mediengruppe. Es bestehe keine reale Bedrohung. Terry Loosli von der partynahen Gruppierung "Figg Di Frou Müller" glaubt ebenfalls an eine friedliche Nacht und betont: "Zentral für einen ruhigen Ablauf ist die Zurückhaltung der Polizei." Das habe man Mitte Mai gesehen, als sie sich "sehr weise verhalten" habe.

Die Kapo indes lässt sich nicht in die Karten schauen, und beim Polizeiinspektorat ist noch kein Gesuch eingegangen. "Man hat uns einzig über die Umzugsroute informiert", sagt Leiter Marc Heeb. "Tanz dich frei 2.0" war nicht erreichbar. Adrian müller/peDro Codes

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BZ 29.5.12

Japanischer Musiktrend hat auch hier schrille Fans

"Musik und Globalisierung". Oliver Seibt ist Musikethnologe. Er forscht zur japanischen Musikrichtung Visual Kei, die auch in Europa eine treue und auffällige Fangemeinde hat. Seibt ist zu Gast an den Thementagen "Musik und Globalisierung".

Herr Seibt, was verrät die japanische Musikrichtung Visual Kei über das Phänomen "Musik und Globalisierung"?

Oliver Seibt: Bis in die Mitte der 1990er-Jahre liefen die populärmusikalischen Flüsse meist von den USA oder Europa nach Japan. Seit ungefähr 15 Jahren gibt es auch die umgekehrte Richtung: Visual Kei ist die erste japanische Musikrichtung, die mittlerweile auf fast allen Kontinenten gehört wird. Eine Entwicklung, die es ohne das Internet so sicher nicht gegeben hätte.

Was ist Visual Kei?

Visual Kei wird durch einen spezifischen Aufführungskontext bestimmt. Die aufwendig kostümierten und geschminkten Musiker sind meist recht feminin wirkende Männer, während die Fans fast ausschliesslich Frauen zwischen 15 und 25 sind.

Sie forschen auch zu den deutschen Fans. Wie treten sie auf?

Die "Visus" sind eine jugendliche Subkultur im deutschsprachigen Raum. Manche sparen das ganze Jahr, um die Konzerte ihrer japanischen Lieblingsbands in Japan mitzuerleben. In meiner Forschung geht es um die Frage, was sie dazu motiviert.

Gibt es Fangemeinden in Japan?

In Japan gibt es die "Visus" nicht. Die grösste identifikatorische Einheit dort sind die Bangyaru ("Bandgirls"), die Fans einer bestimmten Visual-Kei-Band. Sobald sie die Bühne betritt, vollziehen die Bangyaru ein höchst durchorganisiertes Ritual. Es gibt für jeden Song eine vorgeschriebene Choreografie, die von den ranghöchsten Fans entwickelt wird. Auch die begehrten Publikumsplätze vor der Bühne werden vor dem Auftritt genau verteilt.

Wie fügen sich die europäischen Fantouristen da ein?

Soweit ich das beurteilen kann, ist das Verhältnis zwischen japanischen und westlichen Fans mitunter angespannt. Die Bangyaru konkurrieren um die Aufmerksamkeit der Musiker - wenn da westliche Fans optisch aus der Menge der Japaner herausstechen, ist das nicht so gerne gesehen.

Warum setzen sich die westlichen Fans diesem Konkurrenzkampf aus?

Da Visual Kei aus Japan kommt, können sich die jungen Frauen vom europäischen Mainstream abgrenzen. Gleichzeitig können sie etwas tun, um in einer Hierarchie aufzusteigen: nach Japan reisen, Choreografien lernen oder sogar Japanisch studieren, um im Internet das Neueste über ihre Lieblingsbands zu erfahren.

Wird Ihre Feldforschung dadurch beeinflusst, dass Sie nicht Japaner sind?

Im Prinzip ist das ein grosser Vorteil, denn im Konkurrenzkampf unter den Fans spiele ich von vornherein keine Rolle. Meine Informantinnen waren daher meistens sehr offen. Einer weiblichen Forscherin hätten sie eventuell weniger erzählt.
Interview: Theresa Beyer

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Thementage

Von heute Dienstag bis am Donnerstag treffen sich Wissenschaftler, Journalisten und Musiker im Berner Kulturzentrum Progr und in der Roten Fabrik Zürich. Sie diskutieren unter anderem die Frage: Wie wird Musik in einer digitalisierten und globalisierten Welt produziert und vertrieben?bey

Programm: 29. 5. Kino der Reitschule, 20.30 Film und Diskussion: Kings of the Gambia. 30. 5. Turnhalle Progr, 20.30 Konzert mit Nilsa.

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kulturstattbern.derbund.ch 28.5.12

Kulturbeutel 22/12

Von Benedikt Sartorius am Montag, den 28. Mai 2012, um 06:14 Uhr

Herr Sartorius empfiehlt:
Sie ist da, die sehnlichst erwartete Woche der Bad Bonn Kilbi, die mit dem traumhaften, noch nicht ausverkauften Donnerstagabend und den Konzerten von u.a. Beach House, Lower Dens und Oneothrix Point Never lanciert wird. Man sollte hingehen. Und damit nach der Kilbi nicht zu sehr der Affe zuschlägt, besucht man am Sonntagabend gleich auch noch den Dachstock, wo mit Shit & Shine eine Noise-Free-Rock programmiert ist.

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