MEDIENSPIEGEL 11. - 17. JUNI 2012

Sonntagsblick 17.6.12

Junge Sozis stellen arrivierten Linken ein Ultimatum

Schuss gegen Alt-Linke Mauch und Tschäppät: Nur wer die "Charta für linke Städte" unterschreibt, erhält von den Juso Wahlkampf-Unterstützung.

Ob 1968 der Globuskrawall, in den 1980ern die Opernhauskrawalle oder 1991 die Besetzung des Wohlgroth-Areals - immer wieder machten Zürichs Jugendliche ihrer Unzufriedenheit Luft. In Bern gingen vor zwei Wochen Tausende auf die Strasse und demonstrierten für "mehr Freiräume".

Zwischen den Ereignissen gibt es einen entscheidenden Unterschied: Bis in die 1990er-Jahre waren die grossen Schweizer Städte in bürgerlicher Hand. Der Zorn der Jungen richtete sich gegen ihre Politik der bürgerlichen Parteien. Heute sind die grössten Städte in den Händen von SP und Grünen - sie sind für die Politik verantwortlich, die den Demonstranten missfällt.

In einer "Charta für linke Städte", die SonntagsBlick vorliegt, kritisieren die Jungsozialisten nun die linken Aushängeschilder. Im Visier der Juso sind zuvorderst die Stadtpräsidenten von Zürich und Bern, Corine Mauch und Alexander Tschäppät. "Sehr ärgerlich ist es, wenn Mandatsträger der Linken dafür verantwortlich sind, dass Städte nicht für alle lebenswert gemacht werden. Allzu häufig geben sie sich als Verwalter denn als Politiker", schreibt Juso-Chef David Roth in seinem Papier. Die Juso wollen deshalb die politischen Positionen der linken Kandidaten vor einer Nomination besser überprüfen. "Leider weigern sich viele Exekutivpolitiker, die linke Politik auch wirklich umzusetzen oder sind mangels ihres politischen Verständnisses unfähig, dies zu tun", kritisieren die SPNachwuchspolitiker.

Künftig wollen die Juso bei Wahlen - auch von Bisherigen - nur noch jene Kandidaten unterstützen, die sich zur Charta bekennen. Zu reden geben dürften insbesondere drei Punkte, die der bisherigen Politik der Linken zuwiderlaufen:

Sicherheit: Die Juso fordern ein Verbot von Videoüberwachung. Die linken Städte lassen immer ausgeklügeltere Überwachung des öffentlichen Raums zu.

Kultur: Die Juso wollen nicht mehr Geld. "Jugendkultur muss nicht übersubventioniert und betreut werden, sondern braucht vor allem mehr Respekt", heisst es. Aber: Es sei falsch, elitäre Glamourveranstaltungen für ein paar wenige Reiche mit Millionen Franken zu subventionieren, während alternative Clubs für junge Menschen um ihr Überleben kämpften.

Partys: Outdoor-Partys sollen von den Behörden künftig "unkompliziert bewilligt werden". Dem steht das Ruhebedürfnis der Anwohner gegenüber.

Marcel Odermatt, Nico Menzato

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20 Minuten 15.6.12

Im Dachstock wummern Bässe

Sa, 16.6., 23 Uhr, Darkside: V-Recordings Night, Dachstock.

D’N’B. Bevor der Dachstock in die Sommerpause geht, präsentiert die Darkside eine V-Recordings Night. Damit ehren die Veranstalter eines der ältesten Musikhäuser der D’n’B-Szene mit einer eigenen Nacht. Und als Botschafter tritt gleich Label-Vater Bryan G auf. Er ist dafür verantwortlich, dass bekannte Künstler wie Roni Size, DJ Die, DJ Krust, Ed Rush, Optical und Dillinja einige ihrer ersten Releases auf V veröffentlichen durften. Support kommt von Deejaymf und Nicky F. Um stimmliche Unterstützung ist Badboy MC bedacht.

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WoZ 14.6.12

Die Schweiz tanzt

Freiräume und so weiter

Was wollen sie denn, die jungen PartygängerInnen und Tanzenden in der ganzen Schweiz? Ist die Bewegung ­Konsumismus oder Politik? Die WOZ hat O-Töne eingeholt.

Dominik Gross

Von Dominik Gross

Am 11. Mai tanzten in Bern 3000 Leute an einer Nachtdemo von der Reitschule zum Bundesplatz, am "Tanz dich frei" vom 2. Juni waren es schon weit mehr als 10 000.

Tanzende, Augenzeugen, die Politik und die Stadtverwaltung rieben sich ob dieser Menge alle gleichermassen die Augen. Am selben Tag feierten auf dem NT-Areal in Basel, einer alten Industriebrache, die von der Stadt in den letzten Jahren zu grossen Teilen saniert und aufgewertet wurde, tausend Leute eine gute Party. Auch in Biel, Lausanne und Chur fanden in kleinerem Rahmen jüngst ähnliche Anlässe statt. Schon letztes Jahr erlebte Zürich einen lebhaften Spätsommer, als auf dem Helvetiaplatz und am Bellevue spontane Strassenpartys stattfanden, die in Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und der Polizei endeten. Nun wird wieder gerätselt: Was will die Jugend? Haben wir es hier mit Politik zu tun oder nur mit den Exzessen einer konsumistischen, zum reinen Spass geronnenen Jugendkultur, die keine Ruhe- und Polizeistunden mehr kennen will? "Denn wir wissen nicht, wieso sie es tun", titelte die "Aargauer Zeitung" neulich in einem Kommentar zum Thema. Die WOZ hat bei Beteiligten in Basel, Bern und Zürich nachgefragt, wieso sie es tun.

Bern

In der Gartenwirtschaft eines indischen Res­taurants im Berner Lorrainequartier sitzen Rahel Ruch, Berner Stadtparlamentarierin der Jungen Alternativen, Tom Locher, Mitglied der Alternativen Liste in Bern und langjähriger Reitschüler, und Terry Loosli, ehemaliger Mitbetreiber des Lärmklagen zum Opfer gefallenen Musiklokals Sous   Soul zusammen und blicken auf ihre zurzeit ziemlich bewegte Stadt. Sie sind sich allesamt einig: Auch wenn es ab und zu auch mal nur ums Biersaufen geht, was in Bern gerade läuft und diskutiert wird, ist auf sehr mannigfaltige Art und Weise brisante ­Politik.

Terry Loosli: "Dank des überwältigenden "Tanz dich frei" vom 2. Juni wird den Leuten jetzt in allen Städten bewusst: Wir können mit der Masse wieder etwas erreichen. Es ist ein Prozess angerissen, der zu einer echten Bewegung führen kann. Wenn die Politik und die Behörden dieses starke Zeichen nicht ernst nehmen, dann nehmen die Jungen das Zepter halt selbst in die Hand. Wir müssen jetzt in Gesprächen herausfinden: Welche Wünsche sind eigentlich da? Für mich scheint es durchs Band einen Wunsch nach weniger Regulierung zu geben: in Clubs, in Beizen, auf der Strasse. Es soll überall wieder lockerer werden."

Rahel Ruch: "Für die Junge Alternative stehen jetzt Fragen des öffentlichen Raums und der Jugendpolitik im Vordergrund. Wir werden im Stadtrat eine Reihe von Vorstössen einreichen und dabei sicher auch die aufsuchende Jugend- und Gassenarbeit wieder thematisieren, die wir in Bern schon seit Ewigkeiten fordern. Die Stadt Zürich macht das in ihrer Gassenarbeit mit der Jugendberatung Streetwork. In der Berner Innenstadt gibts nur die Pinto [Prävention, Intervention, Toleranz]. Die setzt in erster Linie ihren ordnungsdienstlichen Auftrag um und schickt die Leute weg, wo sie kann. Das führt zwangsläufig immer wieder zu Konflikten und Eskalationen im Nachtleben."

Tom Locher: "Und die Weggeschickten landen dann wieder auf dem Vorplatz der Reitschule, weil sie sonst nirgendwo hinkönnen. Unserem Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät wäre es ja am liebsten, wenn er aus der Reitschule eine Sonderzone machen und noch mehr ungelöste Probleme der Stadt der Reitschule zuschieben könnte, so wie dies schon in den neunziger Jahren und im letzten Jahrzehnt in der Drogenpolitik der Fall war, als wir zweimal über Monate hinweg eine offene Szene auf dem Vorplatz hatten. Die Stadtquartiere und die Gemeinden rund um Bern machen es sich aber auch zu einfach, weil sie keine oder kaum noch taugliche Jugendangebote haben. Wenn die Kids dann vor der Kirche oder am Bahnhof abhängen, werden sie zum Sicherheitsrisiko oder Litteringfaktor reduziert."

Rahel Ruch: "Eine gewisse Toleranz gegenüber Störungen aller Art ist für mich essenziell, wenn man in der Stadt wohnen will, ansonsten muss man halt aufs Land ziehen. Dort stören dann die Kirchenglocken und die Kühe. Vielleicht müssen sich unsere Vorstellungen, was Stadtleben bedeutet, ändern. Wir müssen lernen, Konflikte direkt auszutragen, Differenzen auch auszuhalten."

Basel

Aus Basel meldet sich aus einer Telefonkabine und per E-Mail ein Beteiligter der Party auf dem NT-Areal, der Emil genannt werden will.

Emil: "Es ist schwierig, von einem ‹uns› zu sprechen. Die Leute an der NT-Areal-Party hatten wahrscheinlich viele verschiedene Gründe für ihre Anwesenheit. Mein Umfeld und ich waren da, um uns Raum anzueignen, zu erkämpfen, ihn mit eigenen Inhalten und Werten zu füllen: Selbstverantwortung und Verantwortungsbewusstsein für andere, Eigeninitiative, Autonomie, Freiheit. Unabhängig von Regierungen und Verwaltung - fernab vom kapitalis­tischen Alltag. Wir wollten diesen Raum auch gegen jene verteidigen, die beständig damit beschäftigt sind, unsere Leben ohne unser Mitwirken zu verwalten und zu kontrollieren. Ziel war also, zumindest für einen kurzen Moment selbst bestimmen zu können, was wir wie tun wollen - dies in einer eindeutigen und unmissverständlichen Art, die den Zorn jener erweckt, die normalerweise über uns bestimmen.

Wir können im Herzen des Kapitalismus vor allem auch dank der Unterhaltungsindus­trie alles nur Erdenkliche konsumieren. Trotzdem sind viele gelangweilt, gestresst, unzufrieden oder schlicht nicht glücklich. Weil die Menschen überwältigt sind von der Übermacht an strukturellen Einschränkungen und Zwängen, ist es meiner Ansicht nach kein Wunder, dass sie sich nach Abenteuer, Spannung, Intensität und Andersartigkeit sehnen. Die Unterhaltungsindustrie gehörte schon immer zu einem gesellschaftlichen Besänftigungsapparat. Vielleicht wird so ein bisschen verständlich, warum sich momentan so viel um illegale Partys dreht. In Basel gibt es noch ein einziges besetztes Haus: die Villa Rosenau vor der französischen Grenze. Alle anderen Besetzungen der letzten paar Jahre wurden nach kurzer Zeit ohne Diskussion geräumt.

Ein Freiraum ist der Versuch, über diese Gesellschaft hinauszuwachsen, ihr etwas entgegenzusetzen, sie zu konfrontieren. In ihm experimentieren wir mit Formen gelebter Utopie, um bereits im Jetzt schon eine andere Welt aufblitzen zu sehen. Ich glaube allerdings nicht, dass Freiräume allein gesamtgesellschaftliche Veränderungen in Gang setzen können. Sie sind aber eine Voraussetzung dafür. Sobald sich Tausende von Menschen mobilisieren lassen, um sich Strassen, Plätze, Häuser etc. zu nehmen, ohne dabei um Erlaubnis zu bitten, birgt das Potenzial für mehr. Wer allerdings immer nur in den vorgegebenen Schemen denkt und handelt, wird niemals grössere gesellschaftliche Veränderungen erreichen. Deshalb ist es wichtig, bestehende Gesetze zu ignorieren und wenn nötig auch auf die darauf folgende Konfrontation mit der Obrigkeit vorbereitet zu sein. Die Party in Basel war in dieser Hinsicht begrüssenswert."

Zürich

Ein Zürcher, der sich "Möchtegernaktivist" nennt und zu einer bestimmten Zürcher Familie gehört, schwärmt in der Ecke einer klandes­tinen EM-Bar unter dem Schirm einer alten Stubenlampe vom "Tanz dich frei" in Bern und macht sich gemäss eigener Aussage ein paar grundsätzliche Gedanken über seine Mitjugend.

"Abende wie jener neulich in Bern lösen etwas aus, egal ob du politisch aktiv bist oder nicht. Du fragst dich: Wieso kostet es plötzlich nur noch drei Franken? Wieso hat jeder Laden zu, wo krieg ich jetzt Bier her? Mich hat dieser Abend in Bern einfach geflasht. Ich wollte gar nicht trinken. Hab nur ein paar Joints geraucht, um mich ab und zu wieder ein bisschen runterzuholen. Was wir aus Zürich nicht kennen: Es herrschte eine völlig friedliche Stimmung. Ausserdem haben wir hier keine Reitschule. Wir können uns nicht in der Nähe des Hauptbahnhofs auf einem grossen Platz ungestört besammeln. In Zürich musst du immer gleich eine Barrikade gegen die Polizei aufstellen. Das macht eine Massenmobilisierung wie neulich in Bern viel schwieriger. Mehr als 3000 Leute kriegt man so nicht zusammen.

Freiräume sind für mich auch immer schon der Beginn der Gentrifizierung. Wenn ich irgendwo in der Pampa ein Konzert veranstalte, dann trage ich dazu bei, dass diese Gegend auf dem Markt attraktiver wird. Gleichzeitig lassen sich nur an solchen verlorenen, verlassenen Orten Konzerte organisieren. Probier das mal in der Roten Fabrik. Da diskutierst du drei Minuten, und dann sagst du: ‹Gut, Leute, alles klar.› Das ist alles viel zu verkrustet. Es herrschen noch die Strukturen, die aus den Achtzigern stammen. Die Bewegten von damals fragen uns jetzt vorwurfsvoll: ‹Ja, wofür kämpft ihr denn eigentlich? Das Kulturangebot ist doch so gross wie noch nie.› Dann sage ich: ‹Leute, eure Kulturlokale kosten mich jedes Mal einen Fünfziger. Das geht nicht. Und ihr habt zu viele Regeln, zu viele Auflagen, zu viele fixe Vorstellungen.›

Es geht jetzt was. Es kommen jetzt auch andere Leute, noch jüngere, die was anzetteln. Mir persönlich ging in Bern der Knopf auf. Bisher war ich paranoid, als ich aber inmitten all dieser Leute stand, sagte ich mir: Jetzt bin ich immun, wie ein Diplomat. Ich tu nichts Schlimmes, ich tu jetzt nur das, was ich will, und wenn das illegal sein soll, ist es mir egal."

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Bern, grosse Schanze

Giftgrünes Wasser am "Summer Beach"

Dominik Gross

Und dann färbte sich das Wasser des Lebensbrunnens auf der grossen Schanze in Bern auf einmal giftgrün­: Am frühen Samstagabend waren acht Leute der Jungen Alternative Bern (JA!) auf das Gelände des "Summer Beach" vor der Uni und oberhalb des Bahnhofs spaziert, um auch am von Bambus und Palmen gesäumten Stadtstrand­, wo "auffälligen und störenden Besuchern der Zutritt verweigert werden kann", auf die gegenwärtige Freiraumdebatte und die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums aufmerksam zu machen: "Wir lassen uns nicht weg(t)räumen", war auf ihren Transparenten zu lesen. Auf der Grossleinwand lief schon die Fussball-EM-Partie zwischen Holland und Dänemark. Dann verteilte einer der jungen Alternativen im grossen Brunnen der Gated Community mit "Strandfeeling" grüne Farbe (selbstverständlich wasserschonend).

Als die AktivistInnen den Beach-Gästen dann auch noch ihre Transparente zeigen wollten, wurde es Beat Hofer zu viel: Der Initiator und Sicherheitschef des "Summer Beach" in Personalunion preschte vor, um den JA!-Leuten die Leintücher zu entreissen. Als eine Aktivistin ihres nicht hergeben wollte, wurde sie von Hofer mit einer Art Schwingergriff zu Boden (gemäss Website des "Summer Beach" "reinster Quarzsand") geworfen. Dann erteilte Hofer sämtlichen Involvierten ein Hausverbot und rief die Polizei. Gegenüber der WOZ wollte er nichts mehr sagen: "Ich will hier keine Fragen, die Sache ist uns zu blöd." Vor dem Eingang des "Summer Beach" wurden die Jungen Alternativen durch die vorfahrende Streife schliesslich von der Grossen Schanze weggewiesen. Beni Thurnheer meldete über die Lautsprecher aus Charkow, Ost­ukraine: "Das Spiel gewinnt an Fahrt." dgr

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Bund 14.6.12

Extra Action Marching Band

Überraschung!

Die "Marschkapelle auf Acid" kommt zu Besuch. Für einmal mit Voranmeldung.

Ein Heiratsantrag ist ja an sich eine romantische Angelegenheit. Ausser, man lebt in der San Francisco Bay Area: Nachdem zwei junge Menschen ihr Versprechen gebührend gefeiert hatten und erschöpft von so viel Zuneigung in den Laken lagen, enterte eine 35-köpfige Marschkapelle das Schlafzimmer des Paars. Um seinen Antrag etwas feierlicher zu gestalten, hatte der Bräutigam die Extra Action Marching Band für ein Spontankonzert engagiert. Ob seine Herzensfrau ihn immer noch haben wollte, nachdem die Trommler, Bläser und eine Horde halb nackter Cheerleader ihre ohrenbetäubende Aufwartung gemacht hatten, ist nicht überliefert.

Überliefert sind dafür zahllose weitere Geschichten über die 1999 in Oakland gegründete Band, die nach dem losen Vorbild althergebrachter Marching Bands eine Mischung aus New-Orleans-Jazz, Balkansound und Punk zum Besten gibt. Denn statt gesittet Mardi-Gras-Paraden anzuleiten oder Football-Spiele zu eröffnen, zieht es die Extra Action Marching Band vor, Anlässe zu sprengen. Talking-Head-Kopf David Byrne etwa war bei einer Signierstunde ehrlich erschüttert, als die Zirkustruppe plötzlich eine verstörende Version von Beyoncés "Crazy in Love" in die Runde schmetterte. So erschüttert war Byrne, dass er die Kapelle als Vorgruppe für seine "SoCal"-Tour verpflichtete. Das Engagement brachte der Band gar einen Auftritt im Hollywood Bowl ein, Los Angeles’ Grosskonzert-Amphitheater und biederem Mainstream-Eldorado. Nicht schlecht für eine Band, die im "SF Weekly" unter dem Namen "High-School-Marschkapelle auf Acid" läuft. Sollten die Kalifornier nach ihrem planmässigen Auftritt im Dachstock noch Lust haben, ihrem Drang nach Überraschungsgigs nachzugehen, können sie ja immer noch eine spontane "Tanz-dich-frei"-Parade anzetteln. (hjo)

Dachstock Freitag, 15. Juni, 22 Uhr.

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kulturagenda.be 14.6.12

Klartext mit Christian Pauli von Bekult

Christian Pauli ist Präsident von Bekult, dem Dachverband der Berner Kulturbetriebe. Wir fragen, wie nach der Jugendprotestparty "Tanz dich frei" die Rolle von Bekult in der Diskussion über das Berner Nachtleben aussieht - und wie er als "80er" den Protest wahrnimmt.

Nach der Tanz-dich-frei-Strassenparty hat sich der Verein Pro Nachtleben Bern oft geäussert, von Bekult war wenig zu hören. Warum?

Das entspricht schon einer gewissen Logik. Pro Nachtleben Bern beschäftigt sich ausschliesslich mit dem Nachtleben, bei uns ist es ein Thema unter anderen.

Mehrere Berner Clubs sind dieses Jahr schon aus dem Verein Bekult ausgestiegen. Konnten Sie deren Interessen nicht vertreten?

Bekult ist der Verband der Kulturveranstalter. Mir ist es wichtig, dass die Clubs weiterhin auch vertreten sind, weil das Nachtleben ein wichtiges Thema ist in der Berner Kulturpolitik. Aber es ist eben nicht das einzige Thema. Wir sind kein Dienstleister für die Clubkulturproblematik. Es ist aber wichtig, dass wir mitdiskutieren.

Aber Bekult wurde doch genau zum Zweck gegründet, ein Ansprechpartner für die Politik zu sein. Haben Sie da nicht eine Chance verpasst?

Klar hätten wir in dieser Diskussion federführend sein können. Aber das muss nicht sein. Ich bin pragmatisch genug, um eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren anzustreben. Das gegenseitige Interesse besteht. Wenn der vom Gemeinderat vorgeschlagene runde Tisch eine kulturpolitische Dimension erhalten soll, sollte Bekult dabei sein. Die Frage ist: Muss man die Tanz-dich-frei-Sache kulturpolitisch interpretieren? Ich finde: unbedingt ja!

Die Themenpalette, die im Moment diskutiert wird, reicht von der liberalen Forderung einer Rechtssicherheit bis zu eher libertären Anliegen der Reitschule. Kann das gut gehen?

Kommt darauf an, wie es weitergeht. Thomas Berger (Präsident von Pro Nachtleben, d. Red.) kann nicht der Wortführer der Bewegung sein, aber auch nicht Tom Locher (von der Reitschule). Jetzt müssen die betroffenen Veranstalter für gemeinsame Positionen einstehen. Die unterschiedlichen Interessen könnten der Bewegung natürlich aber auch den Schnauf nehmen.

Jetzt will der Gemeinderat einen runden Tisch und ein Nachtlebenkonzept. Was erhoffen Sie sich?

Es ist jetzt mal ein gutes Zeichen. Apropos verpasste Chance: Dass sich der Gemeinderat seit letzter Woche endlich vorwärts macht, mag auch damit zu tun haben, dass auch wir ihn schon seit Längerem dazu aufgefordert haben.

Sie waren bei den Jugendprotesten in den 80er-Jahren dabei. Heute sagen viele Leute Ihrer Generation, der Jugendprotest sei nur eine Party.

Das ist völliger Blödsinn. Die Kritik impliziert, dass man früher bloss aus politischen und gesellschaftlichen Gründen auf die Strasse gegangen wäre, und das stimmt einfach nicht. Eine der zentralen Aussagen in den 80ern war "No Future": Egal was kommt, wir wollen unseren Spass. Dieser Anspruch gehört zur Jugend.

Interview: Michael Feller

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kulturagenda.be 14.6.12

In Indien will man marschieren statt resignieren

Mit Kunst macht die Ausstellung "ungleichheiten" in der Grossen Halle auf Missstände aufmerksam. Dahinter steht der Verein CESCI, der die Bewegung Ekta Parishad unterstützt, die gegen Landenteignungen demonstriert.

Es riecht nach Curry, eine bunte Installation aus aneinandergeknüpften Saris lockt neugierige Besucher an und auf einer Leinwand flimmert ein Dokumentarfilm. In der grossen Halle in der Reitschule Bern ist Indien zu Besuch. Bereits zum dritten Mal findet hier das Indienforum statt - diesmal unter dem Motto "Ungleichheiten". Der Verein CESCI (Centre for Socio-Cultural Interaction), der seinen Sitz in Südindien hat, will auf Missstände aufmerksam machen.
Gegründet wurde CESCI von der 1999 verstorbenen Schweizerin Maja Koene, die eng mit der indischen Landrechtsbewegung Ekta Parishad zusammenarbeitete. Die Bewegung organisiert - ganz im Sinne Mahatma Gandhis - gewaltfreie Märsche (der sog. Jan Satyagraha). Damit protestiert sie dagegen, dass die Regierung Bauern zwingt, ihr Land für wenige Rupien zu verkaufen. Die Enteigneten verlieren durch diese faktische Landenteignung ihre Lebensgrundlage und werden gezwungen, in die Stadt zu ziehen. Bereits 2007 gingen 25 000 Menschen an einem langen Friedensmarsch mit, um auf ihre Situation aufmerksam zu machen.

Film und Aktionen

"Der nächste Marsch findet bereits diesen Herbst statt", erklärt Margrit Hugentobler, die Präsidentin von CESCI. Am Indienforum werden deshalb bereits Petitionen unterschrieben, die den Premierminister daran erinnern, seine Versprechen gegenüber den Landlosen einzuhalten.
Täglich wird der Dokumentarfilm "Ahimsa - die Stärke von Gewaltfreiheit " gezeigt. Regisseur Karl Sauer hat eine Dorfgemeinschaft bei ihrem Kampf um Boden und Wasser begleitet. Eveline Masilamanis Referat "Die Bedeutung von Land, Wasser und Wald in Indien" (Di., 19.6., 19.40 Uhr) liefert zusätzliche Informationen.
Auch das Thema Nahrung spielt wie schon in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle. Schulklassen werden von Performern durch die Ausstellung begleitet und können anhand eines Weltkarte- Puzzles, Porträts und eines elektronischen Ratespiels herausfinden, was und wie viel man wo isst.

Ein Reiskorn zum Schluss

Doch Indien hat nicht nur Elend zu bieten. Die Schönheit und Sinnlichkeit des Landes widerspiegelt sich in der dreiteiligen Installation der Künstlerin Nesa Gschwend. Sie hat aus Resten von Saris Strukturen geknüpft, die mit Videosequenzen und Wachsobjekten ein faszinierendes Ganzes ergeben.
Kunst gehört zum Indienforum dazu: An den letzen beiden Anlässen hat die Performance-Gruppe "Stan’s Cafe" Statistiken anhand von Reishaufen veranschaulicht. Diese Idee wird nun wieder aufgenommen. Jeder, der die Ausstellung verlässt, wird gebeten, ein Reiskorn niederzulegen. Bleibt zu hoffen, dass ein möglichst hoher Hügel entsteht.

Helen Lagger
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Grosse Halle in der Reitschule, Bern
Ausstellung bis 24.6.
www.cesci.ch

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Bund 13.6.12

Erich Hess blitzt mit Reitschul-Antrag ab

Via kantonales Kulturförderungsgesetz wollte Erich Hess die Unterstützung der Reitschule verbieten lassen.

Reto Wissmann

In der zweiten Lesung des neuen Kulturförderungsgesetzes waren eigentlich nur noch Detailfragen zu klären. In letzter Minute brachte jedoch SVP-Grossrat Erich Hess einen Änderungsantrag ein, der für Aufregung sorgte: Die Reitschule sowie Personen und Institutionen, die dort Veranstaltungen durchführen, dürften weder vom Kanton noch von Gemeinden subventioniert werden. "Es darf nicht sein, dass die Reitschule, die ständig Gesetze missachtet, mit Steuergeldern unterstützt wird", sagte Hess, der immer wieder versucht, der Reitschule den Geldhahn zuzudrehen.

Viel Unterstützung erhielt er im Kantonsparlament allerdings nicht. Selbst seine eigene Fraktion trug den Antrag nur teilweise mit. "Hess hat ihn spät und ohne unser Wissen eingereicht", sagte SVP-Sprecher Ueli Augstburger. Die anderen Fraktionen waren sich einig, dass eine solche Regelung nicht in das Gesetz gehöre. "Das ist ein Kulturförderungs- und kein Kulturverbotsgesetz", sagte Hans Rudolf Feller (FDP) im Namen aller anderen Fraktionen. Der Grosse Rat könne einer Gemeinde nicht vorschreiben, welche Institutionen sie unterstützen wolle. Die von Hess vorgeschlagene Regelung sei eine "Diskriminierung" der Stadt Bern und der Reitschule und daher "vehement" abzulehnen. Das Abstimmungsresultat war mit 117 Nein zu 16 Ja denn auch sehr deutlich.

Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) betonte, dass die Reitschule keine Beiträge vom Kanton erhalte. Nur wenn die Standortgemeinde, die Regionalkonferenz und der Kanton zustimmten, könnten Gelder fliessen. Dass neue Institutionen in die Gruppe der Subventionsempfänger aufgenommen werden, sei angesichts der knappen Mittel aber sowieso sehr unwahrscheinlich.

Der Grosse Rat hat gestern noch einen Passus ins Gesetz aufgenommen, der es dem Kanton erlaubt, Durchgangsplätze für Fahrende zu unterstützen. Das gehöre zwar eigentlich nicht ins Kulturförderungsgesetz, so der Tenor, müsse aber irgendwo geregelt werden.

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BZ 13.6.12

Kein Reitschule-Artikel im neuen Kulturgesetz

Kulturförderung · Mit 126 zu 8 Stimmen hat der Grosse Rat das Kulturförderungsgesetz gutgeheissen. Der Antrag von Erich Hess (SVP), für die Berner Reitschule ein Subventionsverbot im Gesetz zu verankern, hatte keine Chance.

Seit Jahren kämpft Erich Hess (SVP, Bern) auf städtischer Ebene glücklos gegen das Kulturzentrum Reitschule. Gestern wollte er diesem per kantonalem Gesetz den Geldhahn zudrehen. Ohne Wissen seiner Fraktion wollte Hess das Kulturförderungsgesetz ergänzen: "Die Reithalle Bern sowie natürliche und juristische Personen oder lose Organisationen, die in diesem Betrieb eingemietet sind oder in diesem Betrieb Veranstaltungen durchführen, dürfen weder vom Kanton noch von Gemeinden unterstützt werden." Es gehe nicht an, dass die Reitschule, die jährlich Polizeikosten in Millionenhöhe verursache, Subventionen erhalte.

Hans Rudolf Feller (Steffisburg) vertrat nicht nur die FDP, sondern auch die anderen Fraktionen. Er monierte, in einem Gesetz dürften nicht Einzelfälle wie eben die Reitschule verankert werden. Auch sei die Forderung von Hess ein Eingriff in die Gemeindeautonomie, die der SVP sonst doch so wichtig sei. Er sei zwar auch kein Fan der Reitschule, gab Hans Rudolf Feller zu, doch ein expliziter Reitschule-Artikel gehöre nicht in das Gesetz. Regierungsrat Bernhard Pulver (Grüne) betonte, der Kanton bezahle der Reitschule keinen Betriebsbeitrag. Wenn die Stadt Bern dies tun wolle, müsse diese entscheiden. Mit 117 zu 16 Stimmen lehnte der Rat den Reitschule-Artikel wuchtig ab.

Verankert wird im Kulturförderungsgesetz, dass der Kanton die kulturelle Vielfalt in den Regionen, das Brauchtum und die Kultur von Minderheiten fördert. Der Rat hiess mit 92 zu 44 Stimmen einen Antrag von BDP, FDP und SVP gut, der den Beitrag an den Kulturförderungsfonds auf 20 Prozent des jährlichen Kantonsanteils aus den Lotteriegewinnen beschränkt. Das neue Kulturförderungsgesetz verpflichtet alle Gemeinden zu Beiträgen an Kulturstätten von regionaler Bedeutung. Solche von nationaler Bedeutung (Kunstmuseum Bern, Freilichtmuseum Ballenberg) unterstützt der Kanton künftig alleine. Das Gesetz tritt 2013 in Kraft. ue

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bernerzeitung.ch 12.6.12

Reitschule: Parlament will kein Subventionsverbot

sda / chh

Das neue kantonale Kulturförderungsgesetz ist unter Dach und Fach. Der bernische Grosse Rat hat es am Dienstag genehmigt. Dabei stellte er sich schützend vor die Berner Reitschule.

Das Kantonsparlament lehnte nämlich einen Antrag des langjährigen Reitschul-Kritikers Erich Hess (SVP/Bern) ab, der im neuen Gesetz explizit ein Subventionsverbot für das alternative Kulturzentrum in Bern verankern wollte.

Es gehe nicht an, dass eine Institution, die "dauernd gegen geltendes Recht verstösst" und die "jährlich Millionen von Polizeikosten und Millionen von Sachschäden" verursache, Geld vom Kanton erhalte, sagte Hess.

Für Hess' Vorstoss "haben wir zwar nicht keine Sympathie", sagte Hans Rudolf Feller (FDP/Steffisburg). Ein solches Verbot sei aber diskriminierend, verstosse gegen die Gemeindeautonomie und gehöre auch nicht in ein Kulturförderungsgesetz, erklärte der Steffisburger FDP-Grossrat im Namen aller Grossratsfraktionen.

Sonst wäre dies nämlich ein Kulturverbotsgesetz. Deshalb gehöre Hess' Vorstoss abgelehnt. Das tat das Kantonsparlament mit 117 zu 16 Stimmen (alle aus der SVP-Fraktion) auch.

Der kantonale Erziehungsdirektor Bernhard Pulver hatte zuvor gesagt, der Kanton zahle heute keine Beiträge an die Reitschule. Er könne sich "kaum vorstellen", dass der Kanton angesichts der knappen Finanzen neue Häuser auf die Liste der von Kanton und Gemeinden gemeinsam finanzierten Kulturinstitutionen regionaler Bedeutung aufnehme.

Brauchtum "achten und fördern"

Mit ebenso deutlichem Mehr sprach sich das Kantonsparlament zuvor dafür aus, den Kanton zu beauftragen, nebst der kulturellen Vielfalt in den Regionen und der Kultur von Minderheiten auch das Brauchtum zu achten und zu fördern. Ob dieser Begriff im Gesetz auftauchen sollte, war in der ersten Lesung des Gesetzes offen geblieben.

Ebenfalls noch unbestimmt blieb bei der ersten Lesung im März, ob "Massnahmen zugunsten besonderer Bedürfnisse der Fahrenden" nicht besser in einem anderen Gesetz untergebracht werden sollten. Der Grosse Rat beschloss am Dienstag schliesslich, diesen Passus doch im Kulturförderungsgesetz zu belassen.

Das sei "der am wenigsten schlechte Ort", sagte dazu Feller. Ueli Augstburger (SVP/Gerzensee) hatte die Regierung mit einem Antrag beauftragen wollen, den Passus anderswo unterzubringen. Ihm zufolge geht es darum, dass der Kanton dank dieser Gesetzespassage Fahrendenstandplätze mitfinanzieren kann.

Subventionsströme entflechten

Das neue bernische Kulturförderungsgesetz hat zwei Hauptmerkmale. Erstens entflechtet es die Subventionsströme. Neu unterscheidet der Kanton zwischen Institutionen von nationaler und solchen von regionaler Bedeutung. Erstere finanziert er künftig allein.

Gemäss der kantonalen Kulturstrategie gehören das Zentrum Paul Klee, das Kunstmuseum Bern und das Freilichtmuseum Ballenberg in diese Kategorie.

Das zweite Hauptmerkmal ist, dass neu sämtliche Gemeinden kulturelle Institutionen regionaler Bedeutung mittragen müssen, nicht mehr nur jene, die zur Agglomeration einer Zentrumsgemeinde gehören. Mit den Änderungen will der Regierungsrat die Steuerung der Häuser erleichtern.

Zu den kulturellen Institutionen regionaler Bedeutung zählen nach der kantonalen Kulturstrategie von 2009 70 Häuser.

Mehr Kulturgelder als bisher stehen mit dem neuen Gesetz nicht zur Verfügung, wie Regierungsrat Pulver im März sagte. Insgesamt gibt der Kanton jährlich etwa 50 Millionen Franken für die Kulturförderung aus.

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Bund 12.6.12

Politischer Spielraum und mehr Verantwortung für Gemeinden

Gerade Überzeitbewilligungen seien "eine sehr politische" Angelegenheit, schreiben die Grünliberalen.

Gianna Blum

Die grünliberale Grossrätin Tanja Sollberger fordert in einer Motion, dass Gemeinden Bewilligungen im Gastgewerbe selber erteilen können. Die Gemeinden sollen so mehr Handlungsspielraum, aber auch mehr Verantwortung erhalten. Neu ist die Idee nicht: Sowohl der Berner Jungfreisinn wie auch der Verein Pro Nachtleben haben bereits verlangt, das Gastgewerbegesetz vom Kanton an die Gemeinden zu delegieren. Die Motion der grünliberalen Grossrätin Tanja Sollberger legt eine ähnliche Forderung nun dem Berner Grossrat vor. Gemeinden sollen sich für die Bewilligungsverfahren im Gastgewerbe - so zum Beispiel Überzeitbewilligungen - selbst für zuständig erklären können. Gerade Überzeitbewilligungen für Kulturveranstaltungen seien eine sehr politische Angelegenheit, schrieb die grünliberale Partei gestern in einer Medienmitteilung. In solchen Fällen solle der Gemeinderat verantwortlich sein. Dieser unterstehe schliesslich der direkten Kontrolle des Gemeindeparlaments und damit der Stimmbürger. Der Regierungsstatthalter verfüge gerade in umstrittenen Fällen "klar über zu wenig politische Legitimation", so die GLP.

"Verantwortung übernehmen"

"Zudem besteht die Gefahr, dass der Regierungsstatthalter als Sündenbock herhalten muss, hinter dem sich der Gemeinderat, der eigentlich politisch verantwortlich sein sollte, verstecken kann", heisst es weiter. "Mangels Zuständigkeit kann der Gemeinderat nach Gutdünken die Entscheide des Regierungsstatthalteramts einmal stützen und ein andermal kritisieren, ohne je die Verantwortung übernehmen zu müssen", kritisiert Sollberger.

Durch die geforderte Gesetzesänderungen sollen Gemeinden mehr Handlungsspielraum, aber auch mehr politische Verantwortung für ihre Gastgewerbebetriebe übernehmen können. Laut Staatskanzlei wird die Motion voraussichtlich in der Septembersession im Grossen Rat diskutiert werden.

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BZ 12.6.12

GLP will den Gemeinden mehr Autonomie geben

Nachtleben · Statt des Regierungsstatthalters sollen die Gemeinden selber über Bewilligungen im Gastgewerbe entscheiden: Das verlangt die GLP in einer Motion im Grossen Rat.

Eine Forderung, die zuletzt mehrmals in der Stadtpolitik Berns gestellt wurde, haben die Grünliberalen nun auf Kantonsebene aufgegriffen: Die Exekutive der Gemeinden soll für die Bewilligungen im Gastgewerbe zuständig sein. Davon wären auch die Überzeitbewilligungen betroffen, die in der Stadt Bern für hitzige Diskussionen gesorgt haben. Die aktuelle Situation in Bern sei auch Hintergrund der Motion, so die zuständige Grossrätin Tanja Sollberger (GLP): "Unser Ziel ist, das Nachtleben zu stärken."

Zu wenig Legitimität

Momentan ist noch der Regierungsstatthalter die zuständige Bewilligungsbehörde für Gastgewerbe und Kulturveranstalter. Es sei jedoch politisch notwendig, dass die Gemeinden diesen Posten übernehmen, sagt Sollberger: "Der Regierungsstatthalter verfügt über zu wenig politische Legitimität, um in umstrittenen Fällen Entscheide zu treffen." Ein Gemeinderat werde aber von Parlament und Stimmbürgern kontrolliert. Zudem hätten die Gemeinden so mehr Handlungsspielraum.

Mit der aktuellen Regelung bestehe auch die Gefahr, dass der Regierungsstatthalter als Sündenbock herhalten müsse: "Der Gemeinderat kann sich hinter diesem verstecken und seine Entscheide teilweise stützen, teilweise kritisieren, ohne aber selber Verantwortung zu übernehmen."

Freude an der eingereichten Motion hat der Verein Pro Nachtleben Bern. In einem Communiqué begrüsste der Verein die Stärkung der Gemeindeautonomie: "Das Thema Nachtleben darf nicht länger wie eine heisse Kartoffel zwischen den verschiedenen Instanzen hin- und hergeschoben werden." jek

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20 Minuten 12.6.12

Nachtleben: Gemeinden sollen bestimmen können

BERN. Gemeinden sollen direkt über Bewilligungen im Gastgewerbe entscheiden können. So will es zumindest die GLP.

"Figg Di, Herr Lerch"-Plakate und T-Shirts gegen seinen Thuner Kollegen Marc Fritschi: Mit Entscheiden zum Nachtleben haben sich bernische Regierungsstatthalter in den letzten Jahren nicht nur Freunde gemacht. Die Grünliberalen wollen ihnen jetzt sogar mit einem Vorstoss das Dossier Nachtleben ganz entziehen. "Die Regierungsstatthalter verfügen gerade in politisch umstrittenen Fällen klar über zu wenig politische Legitimation, um umstrittene Entscheide verantworten zu können", so die Berner Grossrätin Tanja Sollberger. Darum soll nun die Kompetenz, über gastgewerbliche Bewilligungen zu entscheiden, an die Gemeinden übergeben werden können. Damit seien die Entscheide näher am Stimmvolk. Beim Verein Pro Nachtleben Bern ist die Freude über den Vorstoss gross: "Die Betriebe hätten dann endlich einen zentralen Ansprechpartner - das wäre zum Vorteil für alle Beteiligten", so Präsident Thomas Berger. Auch Stadtpräsident Alexander Tschäppät begrüsst die Idee, gibt aber zu bedenken: "Die Probleme bleiben die gleichen, egal wer entscheidet."

Nicht ganz so euphorisch sieht das der kantonale SVP-Präsident Peter Brand: "Für die Stadt Bern würde das keinen Sinn machen. Der Fall Reitschule zeigte, dass der Gemeinderat die Situation selbst nicht regeln konnte", so Brand. Bei anderen Gemeinden hingegen könne es aber durchaus funktionieren. Stefanie nopper

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siehe auch: http://www.be.grunliberale.ch/dokumente/medienmitteilungen/120611_mm_glp.pdf
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BZ 12.6.12

Grosser Rat spricht der Polizei sein Vertrauen aus

Sicherheit · Der Grosse Rat lehnte es gestern mit 118 zu 20 Stimmen ab, verschiedene Polizeieinsätze vom letzten Jahr von einer unabhängigen Stelle untersuchen zu lassen.

Frust für SP-Grossrätin Flavia Wasserfallen (Bern): Ihre Motion scheiterte gestern kläglich. Die Ratsmehrheit wehrte sich gegen die Forderung, die letztjährigen Polizeieinsätze am Buskers-Festival, am SVP-Wahlfest, bei der Räumung des Anti-AKW-Camps und in der Reitschule seien von unabhängiger Stelle zu untersuchen. Wasserfallen begründete ihre Motion unter anderem damit, dass sich einige der Festgenommenen auf der Polizeiwache nackt ausziehen mussten. Dies werfe ein fragwürdiges Licht auf die Arbeit der Polizei. Weil die Ordnungshüter jedoch auf Glaubwürdigkeit und Vertrauen angewiesen sei, müssten diese Einsätze nun lückenlos aufgeklärt werden, so Wasserfallen.

"Handlungsunfähige Polizei"

Die Mehrheit des Grossen Rates sah dies allerdings anders und lehnte die Motion mit 118 zu 20 Stimmen ab. Dies, obwohl die Regierung den Vorstoss in der unverbindlicheren Form eines Postulates zur Annahme empfohlen hatte. Grund dafür sind die Vorfälle vom 22. September 2011 in der Reitschule, die derzeit auf Gesuch des Stadtberner Gemeinderats von einer externen Stelle untersucht werden (wir berichteten). Die restlichen Einsätze untersuchen zu lassen, sei jedoch unnötig, zumal jede betroffene Person bereits heute über ausreichende Rechtsmittel verfüge, das Handeln der Polizei überprüfen zu lassen. Eine Untersuchung aller Einsätze hätte zur Folge, das die betreffenden Einsatzleiter bis zum Abschluss des Verfahrens suspendiert werden müssten, erklärte Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP). "Das führt dazu, dass die Polizei irgendwann nicht mehr handlungsfähig ist."

"Überflüssige Motion"

Votanten von FDP, SVP, BDP, GLP, CVP, EVP und EDU warnten davor, dass eine Überweisung der Motion ein Misstrauensvotum gegen die Polizei sei. Dass sich eine am SVP-Wahlfest festgenommene Person beschwert und von der Polizei- und Militärdirektion inzwischen recht bekommen hat, ist für Philipp Müller (FDP, Bern) "der beste Beweis dafür, wie überflüssig diese Motion ist". Thomas Fuchs (SVP) nannte den Vorstoss "heuchlerisch", weil er keine Untersuchung der Gewalt gegen Polizisten fordere.

Praktiker stimmten Nein

Doch auch SP und Grüne unterstützten Wasserfallen nicht geschlossen. Vor allem die Praktiker lehnten die Motion ab. Etwa Peter Siegenthaler (SP), der als Thuner Gemeinderat für die Sicherheit zuständig ist. "Es ist nicht immer lustig, was die Polizei machen muss." Thomas Heuberger (Grüne, Oberhofen), als Kreisarzt häufig bei Befragungen zugegen, sprach der Polizei sein Vertrauen aus. Und Markus Meyer (SP, Roggwil und Präsident des Berner Polizeiverbandes) meinte, der Anlass "Tanz dich frei" sei der Beweis dafür, wie verhältnismässig die Polizei vorgehe. Laut Käser waren die Einzigen, die an diesem Anlass verletzt wurden, Polizisten:   "Sie wurden von Partygängern mit Bierflaschen beworfen."

Andrea Sommer

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Bund 12.6.12

Grosser Rat spricht Polizei Vertrauen aus

Der Regierungsrat braucht vier umstrittene Polizeieinsätze in der Stadt Bern vom vergangenen Jahr nicht untersuchen zu lassen. Der Grosse Rat hat gestern einen Vorstoss mit dieser Forderung mit 118 zu 20 Stimmen abgelehnt. Der Tenor lautete, den Bürgerinnen und Bürgern stünden genügend Rechtsmittel zur Verfügung, falls sich die Polizei nicht rechtskonform verhalte. In den bürgerlichen Reihen war die Ablehnung der Motion von Flavia Wasserfallen (SP, Bern) einhellig. Doch auch bei Links-Grün stimmten viele dagegen.

Wasserfallen ging es um Polizeieinsätze bei der Räumung des Anti-AKW-Camps bei der BKW (21. Juni), am Buskers-Festival (12. August), während des SVP-Wahlfests (10. September) sowie in der Reitschule (22. September). Sie stellte Fragen zu Aktivisten, die sich nackt hätten ausziehen müssen, zu Unterschriftensammlern, die weggewiesen worden seien, und zu Demonstranten, die "offenbar" einheitliche Wegweisungs- oder Fernhalteverfügungen erhielten. In der Reitschule sollen laut Polizei zwei Zivilfahnder verprügelt worden sein, nachdem sie einem "verdächtigen Mann" ins alternative Kulturzentrum gefolgt seien. Die Reitschulbetreiber hingegen sagten, die Gewalt sei einzig von den Polizisten ausgegangen.

Trotz der Ablehnung der Motion ist es möglich, dass der Vorfall vom 22. September doch untersucht wird. Die Berner Stadtregierung hat die Kantonsregierung ersucht, dies zu tun. (sda)

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Aargauer Zeitung 12.6.12

Unbewilligter Tanzprotest in Aarau geplant

Party · "Nächtliches Tanzvergnügen" im September fordert kulturelle Freiräume

Stefan Künzli

"Das gesellschaftliche Klima in der Schweiz gleicht immer mehr einer Polarwüste. Wir haben ein Gegenmittel: Eine lange, heisse Nacht in Aarau." Der Aufruf kursiert im Internet unter dem Titel "Nächtliches Tanzvergnügen" und steht auf der Website ch.indymedia.org/de. Dort werden alle Interessierten eingeladen, am 22.September 2012 ab 20.30 Uhr im Kantipark Aarau zu feiern und tanzend durch die Stadt zu ziehen.

Indymedia ist ein offenes Forum und versteht sich als "emanzipatorisches, unabhängiges Mediennetzwerk von AktivistInnen". Der Aufruf zum "Nächtlichen Tanzvergnügen" ist anonymisiert, die Veranstalter nennen sich Nachttänzer_innen.

Die Tanzparty ist nicht nur anonym, sie will auch ausdrücklich unbewilligt und damit illegal sein. "Wir wollen mit euch eine Party feiern", heisst es im Aufruf, "ohne vorher jene um Erlaubnis zu fragen, die Mitschuld am Verschwinden kultureller und politischer Freiräume sind." Denn diese Projekte stünden, "unter ständigem Beschuss". Dabei verweisen die Aktivisten auf die Reitschule in Bern sowie die "illegalen Partys" in Zürich, die zu einem "kontrollierten und regulierbaren "Angebot der Stadt" gemacht" würden.

"Wir haben es selbst in der Hand"

Die Aktivisten beklagen, dass es in Aarau "keinen solchen selbstverwalteten Freiraum" gäbe, und auch die Zukunft etablierter Kulturangebote wie das KiFF, der Flösserplatz, Atelier Bleifrei, das Wenk oder die Kettenbrücke Aarau sei ungewiss. "Wo soll dann gefeiert werden?", fragen die Nachttänzer_innen. Die Altstadt Aarau werde "immer mehr als Problemzone, anstatt als Treffpunkt betrachtet". Und auch der neue Bahnhof lade "durch Konsumzwang und Wegweisungen nicht zum Verweilen ein".

"Wir haben es selbst in der Hand", schreiben die anonymen Aktivisten, "und komm auch du nach Aarau und erkämpfe dir ein Stück temporären Freiraum." Die Veranstalter wollen mit einem Live-Wagen, einem DJ-Wagen und einer fahrenden Bar durch Aarau ziehen. "Das nächtliche Tanzvergnügen" baut ganz auf die Mobilisierungskraft des Internets und ist mit Facebook verlinkt. Geplant ist ein nationaler Tanzprotest. Die aufgeführten Bahnverbindungen aus allen Schweizer Städten nach Aarau sollen den Entscheid zum Mittanzen erleichtern.

Spur führt in Hausbesetzer-Szene

Doch wer steckt hinter Nachttänzeri_innen? Erste Hinweise führten zum Umfeld des Künstlerkollektivs Bleifrei, dessen Mitglied Tizian Baldinger in der alten Garage Brack auch beliebte Tanzpartys organisiert. Auf Anfrage der az dementiert Baldinger aber. Er finde es zwar gut, dass es Aktivitäten in Aarau gäbe, mit den Nachttänzern will er aber ausdrücklich nicht in Verbindung gebracht werden.

Wie ist die Polizei-Strategie?

Unter dem Titel "Nachttanz Demo" fand am 3.Dezember 2011 im Schlosspark Aarau schon einmal ein Tanzprotest statt. Gemäss Polizeimeldung nahmen rund 200 mehrheitlich junge Leute aus der autonomen Hausbesetzer-Szene daran teil und sechs Personen mussten "wegen Tätlichkeit und Beschimpfung vorübergehend festgenommen" werden. Die Kantonspolizei Aargau geht davon aus, dass sich hinter dem "Nächtlichen Tanzvergnügen" dieselben Veranstalter stehen. Die Namen seien der Polizei aber nicht bekannt.

Eine weitere heisse Spur führt zum links-aktivistischen Info-Portal www.aargrau.ch. Dort ist das "Nächtliche Tanzvergnügen" zwar nicht aufgeführt, Links führen aber zu Indymedia und die Berner Reithalle.

Wäre es nicht am einfachsten, das "Nächtliche Tanzvergnügen" einfach zu bewilligen? Und damit den "illegal" geplanten Tanzprotest zu legalisieren? "Wir behalten die Sache im Auge", sagt Polizeisprecher Bernhard Graser, "damit wir nicht überrumpelt werden." Bei solchen Anlässen sei die Dimension leider schwer abzuschätzen. "Zu gegebener Zeit werden wir eine Lagebeurteilung vornehmen", sagt er weiter, "aber zu möglichen Polizei-Strategien sagen wir nichts."

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Siehe auch:
- https://switzerland.indymedia.org/de/2012/06/86654.shtml
- https://www.facebook.com/events/424889984209408/
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BZ 12.6.12

Securitas gegen Alkis

Langenthal · Coop hat genug: Der Grossverteiler hat Securitas den Auftrag gegeben, Alkis, Drogenkonsumenten und Randständige vom Areal des Coop Tell in Langenthal wegzuweisen. "Vorher hatten wir täglich Reklamationen von Kunden, die sich gestört und belästigt fühlten", sagt Coop-Tell-Geschäftsführer Kurt Stadelmann, "das hat jetzt schlagartig aufgehört." Stattdessen macht sich die Szene jetzt wieder zunehmend auf dem neuen Wuhrplatz breit. Dort lässt sie die Stadt offenbar gewähren. Stadtpräsident Thomas Rufener jedenfalls sagt: "Je belebter der Platz ist, desto weniger fallen die Leute aus der Szene auf." Stadelmann fordert von der Stadt zur Lösung des Problems ein Fixerstübli. Doch das lehnt Rufener ab.rgw/drh · Seite 3

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Coop vertreibt Alkis mit Securitas - Stadt toleriert sie auf dem Wuhrplatz

Langenthal · Seit letzter Woche weisen Securitas- Patrouillen auf dem Coop-Areal Alkis, Drogenkonsumenten und Randständige weg. Die fühlen sich jetzt zunehmend auf dem Wuhrplatz zu Hause. Die Stadt lässt sie gewähren.

Coop hat der Securitas den Auftrag gegeben, an Wochentagen drei Monate lang von 10.30 bis 19 Uhr rund ums Einkaufscenter Tell für Ordnung zu sorgen. Das heisst: Eine Securitas-Doppelpatrouille spricht die Leute aus der Szene an und weist sie weg. "Vorher hatten wir täglich Reklamationen von Kunden, die sich gestört oder belästigt fühlten", sagt Coop-Tell-Geschäftsführer Kurt Stadelmann, "das hat jetzt schlagartig aufgehört." Die Kosten, die Coop alleine trage, seien beträchtlich. Deshalb sollen die Patrouillen sobald wie möglich von zwei Personen auf eine reduziert und die Präsenzzeiten allenfalls angepasst werden. Kurt Stadelmann sagt, ihm sei klar, dass durch diese Massnahme von Coop jetzt andere betroffen seien. Die Weggewiesenen bleiben ja trotzdem in   Langenthal. Er habe das Problem im Vorstand der Stadtvereinigung zur Diskussion gestellt und auch die Stadt informiert. Er möchte eine Lösung, wie sie in anderen Städten bereits funktioniere. Konkret: ein Fixerstübli. "Es handelt sich hier nämlich um ein Problem der Stadt und nicht von Coop", sagt Stadelmann.

Am andern Ufer

Vor der Neugestaltung des Wuhrplatzes hatte die Szene ihren Platz teilweise hinter Büschen südlich der Langete. Seither macht sie sich an schönen Tagen unter dem Perron 1 auf der neuen Treppe am nördlichen Ufer breit. Zumindest bei Regen drängten sich aber die meisten mit einer Prix-Garantie-Bierbüchse in der Hand unter dem Vordach von Coop. Das ist jetzt vorbei. - Weil sich die Alkohol- zunehmend mit der Drogenszene mischt, musste Coop die Kundentoiletten mit Blaulicht ausrüsten. Das führte zu Problemen mit den älteren Kunden.

Coop verkauft das Bier selber

Stadtpräsident Thomas Rufener (SVP) nimmt die Securitas-Patrouillen ganz einfach zur Kenntnis. "Coop hat auf seinem Grund und Boden die volle Handlungsfreiheit", sagt er. Er sei von der Massnahme bisher aber nicht in Kenntnis gesetzt worden. "Ich habe ab und zu mit Kurt Stadelmann zu tun, aber im Jahr 2012 haben wir uns in dieser Angelegenheit sicher noch nie gesprochen." Rufener spielt den Ball denn auch gleich zurück: "Mich interessiert es sehr, ob die Securitas-Patrouillen wohl auch dafür sorgen, dass die Leute aus der Szene ihr Bier nicht mehr bei Coop kaufen können." Rufener wundert sich im Übrigen, dass ihm in dieser Angelegenheit immer wieder die gleichen Fragen gestellt würden. "Wir haben nun mal keine rechtlichen Mittel, Personen, die keine strafbaren Handlungen begehen, vom öffentlichen Grund zu vertreiben." Eine Möglichkeit hätte die Stadt jedoch: Sie könnte eine Anlaufstelle, einen Raum für die Leute aus der Szene, schaffen. Aber genau das lehnt der Stadtpräsident ab: "Ich will absolut keinen zugewiesenen Raum für diese Leute. Damit würde man diesen Raum doch geradezu legitimieren."

Nicht mehr beim Löwen

Eine Gefahr, dass sich die vom Coop Tell Vetriebenen wieder im Pärkli beim früheren Löwen niederlassen könnten, sieht Rufener nicht. "Wer sagt denn, dass sie auf dem Wuhrplatz weggewiesen werden?", so seine vieldeutige Antwort. Lässt die Stadt die Randständigen nun also auf dem neuen Wuhrplatz entgegen den früheren Beteuerungen doch gewähren? Rufener bestätigt das insofern, als er dazu sagt: "Je belebter der Platz ist, desto weniger fallen die Leute aus der Szene auf."

"Stören und helfen"

Der Stadtpräsident verweist zudem auf die Arbeitsgruppe Sicherheit-Intervention-Prävention (SIP). Alle Beteiligten beteuern, SIP funktioniere und entschärfe die Lage. Mindestens bis Ende Jahr sollen die Mitarbeiter der Jugendfachstelle Tokjo mit den Randständigen reden. Eigentlich hätten sie auch den Auftrag, diese vom Coop-Areal wegzuweisen. Davon war bisher allerdings wenig zu sehen. Die SIP-Leute wollen nach eigenen Angaben zugleich stören und helfen. Fragt man die Weggewiesenen direkt, bekommt man - wenn überhaupt - selten eine verständliche Antwort. Einer erklärte aber recht bestimmt: "Wenn man uns auf dem Wuhrplatz in Ruhe lässt, dann sind mir die Securitas vor dem Coop absolut egal." Robert Grogg

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BZ 11.6.12

Ruhiges Wochenende mit Bräteln auf dem Bundesplatz

Stadt Bern. Nach der Grossparty vom vorletzten Wochenende blieb es am vergangenen in Bern ruhig. Die Bar auf dem Vorplatz der Reitschule blieb geschlossen. Wie von den Behörden versprochen, durften sich die Gäste trotzdem dort aufhalten. Zum Grillabend auf dem Bundesplatz kamen rund 30 Personen.

Etwa 10 000 vorwiegend junge Menschen zogen vorletztes Wochenende durch Bern, um für mehr Party, weniger Konsum, mehr Freiräume oder mehr Clubs zu demonstrieren - je nachdem, welchem Aufruf sie gefolgt waren. Nachgerade ruhig verlief das Berner Nachtleben am vergangenen Wochenende. Einem Aufruf der Reitschule unter dem Titel "Play your Streetlife" folgten laut Nachrichtenagentur SDA etwa 15 Personen. Laut Mediengruppe der Reitschule kamen am Samstagabend rund 30 Personen auf den Bundesplatz, um dort miteinander zu essen. "Sie rollten Sushi, assen hausgemachten Hörnlisalat und heizten auf zwei Grills ihren Würstchen ein", so die Mediengruppe.

"Play your Streetlife" ist der Titel einer Aktion, die noch dreimal wiederholt werden soll. Das Spiel besteht darin, den öffentlichen Raum in Bern nacheinander zu einer Küche, einem Wohnzimmer, einem Badezimmer und einem Schlafzimmer zu machen. Die Serie, die sich als "urbane Intervention" versteht, geht laut Reitschule weiter: am 16. Juni, 23. Juni und 30. Juni auf dem Bundes- oder dem Bärenplatz.

Behörden liessen picknicken

Das Picknick wurde von den Behörden geduldet. "Die Polizei fuhr vorbei, wollte aber nicht mit uns grillen", sagte Tom Locher von der Mediengruppe gestern auf Anfrage. Dem Aufruf auf Facebook seien etwa so viele gefolgt, wie sich angemeldet hatten. Die Aktion war als Fortsetzung der Tanzparade gedacht. "Bern wird uns nicht los", hiess es im Aufruf zur Aktion "gegen repressive Reglementierungen des städtischen Lebens".

"Sehr ruhiges Wochenende"

Geschlossen blieb an diesem Wochenende die Bar auf dem Vorplatz der Reitschule, wie Besucher meldeten und die Mediengruppe bestätigte.

Das Ausgeh-Wochenende verlief aus Reitschule-Sicht sehr ruhig. "Neben Konzerten im Rössli und Beizenbetrieb im Sous le Pont verbrachten ein paar Hundert Menschen den Freitag- und Samstagabend auf dem Vorplatz, spielten Pingpong und diskutierten", schreibt die Mediengruppe. "Einige Jugendliche unterstrichen ihr Bedürfnis nach Freiräumen und konsumzwangfreiem Nachtleben mit mitgebrachten mobilen Soundsystemen." Auch in der Sonntagspresse war das Thema Nachtleben und Freiraum ein Thema. Der "Sonntag" verglich die Ausgangslage in Bern, Zürich und Chur. "Was ist los in den Städten?", fragte die "NZZ am Sonntag". Die "SonntagsZeitung" befragte Stadtpräsident Alexander Tschäppät im Sonntagsgespräch unter anderem zum Nachtleben. mm

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20 Minuten 11.6.12

Beach-Wasser eingefärbt

BERN. Im Laufe der aktuellen Diskussion rund ums Nachtleben in Bern sind am Wochenende die Jungen Alternativen aktiv geworden. Mitglieder der Partei verübten einen Farbanschlag auf den Summer Beach auf der Grossen Schanze, um gegen die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums zu protestieren. Das Wasser im Brunnen des Stadtstrandes wurde von den Aktivisten am Samstag bei laufendem Betrieb grün eingefärbt. "Wir nahmen ein Farbpulver, das sonst zum Einfärben von Flüssen benutzt wird, um deren Verlauf zu verfolgen. Es ist unbedenklich", so Aktivistin Seraina Patzen.

Nicht so harmlos fand man die farbige Attacke beim Summer Beach selbst. Nach dem Anschlag wurde die Polizei gerufen. "Diese hat unsere Daten aufgenommen", so Patzen, die aber keine Konsequenzen befürchtet. Summer-Beach-Chef Beat Hofer war gestern für 20 Minuten nicht erreichbar. NJ

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Bund 11.6.12

Kurz frottiert

Hände weg vom Glas, ihr Magistraten

Timo Kollbrunner

"Tanz dich frei" sagten vor zehn Tagen 10 000 Menschen zueinander - und nahmen die Stadt Bern in Beschlag. Ein politisches Statement? Oder nur eine Riesenparty? Für Roland Jakob, den Chef der SVP im Stadtrat, war es vor allem eines: ein Saufgelage. Deshalb stellt er dem Gemeinderat ein paar Fragen zum Genuss von Alkohol in der Öffentlichkeit. "Tanz dich frei, beim Saufen bin ich auch dabei" - so hat er seine Anfrage übertitelt, mit der er von der Stadtregierung etwa erfahren will, was diese zu tun gedenke, damit "Alkoholexzesse bei Partys auf öffentlichem Grund nicht zum Alltag werden".

Und: Jakob erwartet vom Gemeinderat, dass er mit gutem Beispiel vorangeht. Er verlangt Abstinenz. Oder zumindest sollen die Magistraten künftig nur noch im Versteckten trinken. Jakob will nämlich wissen: "Ist der Gemeinderat und insbesondere der Stadtpräsident bereit, bis Ende Jahr bei öffentlichen Auftritten auf den Genuss von alkoholischen Getränken zu verzichten, um ein Zeichen zu setzen und den Jugendlichen zu zeigen, dass Partys und Veranstaltungen auch ohne das Konsumieren von Alkohol Freude bereiten können?"

So zumindest wollte Jakob seine Frage stellen. Doch dann krebste er zurück. Mit Kugelschreiber strich er die Worte "und insbesondere der Stadtpräsident" satt durch, sodass da nun nur mehr steht: "Ist der Gemeinderat bereit . . .". Warum dieser Rückzieher? Eine Nachfrage zeigt: Die Tilgung Tschäppäts war aufoktroyiert. Das Ratsbüro habe ihn geheissen, die Passage durchzustreichen, sagt Jakob. "Sonst hätte ich die Anfrage nicht einreichen können." Warum, wisse er selbst nicht genau, "wohl aus Persönlichkeitsschutz".

Er habe Tschäppät nur deshalb explizit erwähnt, weil dieser als Stadtpräsident eine besondere Vorbildfunktion und zudem "viel Kontakt zur Szene" habe, beteuert Jakob - und entkräftet einen bösen Verdacht: Auf keinen Fall habe er suggerieren wollen, dass es gerade dem Stadtpräsidenten gut bekäme, die Hände vom Glas zu lassen. "Sonst hätte ich Cüpli-Chef geschrieben und nicht Stadtpräsident." Jakob selbst trinkt übrigens laut eigener Aussage "sehr selten etwas".

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20 Minuten 11.6.12

Nach Tanz-Demo: Städte und Clubs machen mobil

BERN. Die Tanz-Demo vom vorletzten Wochenende zeigt Wirkung: Politik und Clubs vernetzten sich, um das Problem anzugehen.

Die Berner Massendemo mit weit über 10 000 Demo-Teilnehmern hat das Nachtleben auf das politische Parkett gebracht: Der Schweizerische Städteverband ruft eine nationale Arbeitsgruppe ins Leben. Sie soll den Städten Empfehlungen für die schwelende Nachtleben-Problematik geben können. Auch die Clubbetreiber und Kulturorganisationen machen mobil: Laut "SonntagsZeitung" wollen sich diverse regionale Gruppierungen unter Federführung des Dachverbandes der Schweizerischen Musikclubs (Petzi) erstmals auf nationaler Ebene vernetzen. "Unser Ziel ist der Aufbau eines schlagkräftigen Kulturnetzwerkes", sagt Petzi-Vertreterin Isabelle von Walterskirchen. Schweizweit bestünden ähnliche Probleme. Ein Ziel der Aktion: "Clubbetreiber brauchen mehr Rechtssicherheit bei Klagen." Es dürfe nicht sein, dass jemand die Schliessung eines Lokals im Alleingang erzwingen könne.

Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät zeigt derweil in einem Interview mit der "SonntagsZeitung" Verständnis: "Wir haben früher wildere Sachen gemacht als die Jungen heute." Man müsse darüber nachdenken, ob für bestimmte Gassen und Strassen die Toleranz für Lärm erhöht werden soll. Das heutige Bewilligungsverfahren von Veranstaltungen hält er für überholt: "Über Facebook bringt man in der Stadt innert Stunden Tausende von Leuten auf die Strasse, da bringen Formulare nicht mehr viel." AM

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Bund 11.6.12

Tanz-dich-frei-Schmierereien werden zum nationalen Thema

Berns Polizei habe das Bundeshaus während der Tanzdemo ungenügend geschützt, moniert Nationalratspräsident Hansjörg Walter (SVP).

Hanna Jordi

Nicht nur der Berner Gemeinderat darf sich derzeit mit den Echos der Tanzdemo "Tanz dich frei" vom 2. Juni beschäftigen. Laut "NZZ am Sonntag" dürfte eine Begleiterscheinung der Berner Jugendbewegung bald Sache des Bundesrats werden. Dass einige Vermummte ungestört die Fassade des Bundeshauses besprayen konnten, stösst Nationalratspräsident Hansjörg Walter (SVP) nämlich sauer auf.

Die Polizei war am Anlass in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni zwar präsent gewesen, hatte allerdings nicht interveniert, um Eskalationen zu vermeiden. Ein Umstand, den Walter jetzt in der Sonntagspresse beanstandete. "Ich war nicht zufrieden damit, dass die Polizei nicht eingegriffen hat", lässt er sich zitieren, "in solchen Fällen muss das Bundeshaus künftig geschützt werden." Mit seiner Meinung steht Walter offenbar nicht alleine da - in der Fragestunde vom Montag wollen mehrere, nicht näher bezeichnete bürgerliche Parlamentarier vom Bundesrat wissen, wie der Schutz des Parlamentsgebäudes künftig verbessert werden kann.

Verstärkung von aussen

Roland Jakob, Fraktionspräsident der SVP im Berner Stadtrat, freut sich über die Unmutsbekundung seines Parteikollegen Walter. Auch er ist in der letzten Woche tätig geworden und hat im Stadtrat vier Vorstösse zur Tanzdemo eingereicht (siehe auch Seite 20): In einem verlangt er vom Gemeinderat zu wissen, welche Gesetze im Rahmen der unbewilligten Demonstration genau verletzt worden sind. Ein weiterer Vorstoss heisst "Tanz dich frei - aber bitte ohne Sauerei" und soll in Erfahrung bringen, wie viel Geld das Beseitigen des liegen gebliebenen Unrats nach der Demo den Steuerzahler gekostet hat. "Ich bin froh, dass der Ablauf der Tanzdemo auch von aussen beanstandet wird", so Jakob auf Anfrage, "die Berner Stadtregierung zieht es jeweils vor, die Vorkommnisse schönzureden."

Die durch die Schmierereien am Bundeshaus entstandenen Schäden beziffert das Bundesamt für Bauten und Logistik laut "NZZ am Sonntag" auf 50 000 bis 100 000 Franken. Das Bundeshaus bei entsprechenden Anlässen umfassend zu sichern, sei "mit verhältnismässigem Aufwand" allerdings kaum möglich, urteilt das Bundesamt.

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NLZ 11.6.12

Ernst nehmen statt Anbiederung

Klartext. Mehr Freiheit und Party im öffentlichen Raum, das wollen Junge. Und ernst genommen werden. Dazu gehört auch, dass man ihren rhetorischen Tricks nicht aufsitzt.

Arno Renggli

"You gotta fight for your right to party", skandierten die Beastie Boys schon 1986. Das Thema ist also nicht neu. 26 Jahre später fordern junge Leute in der Schweiz mehr Freiheit im öffentlichen Raum, um sich ausleben zu können. Die unbewilligte Strassenparty vor gut einer Woche in Bern stand unter diesem Motto, rund zehntausend waren dem Aufruf gefolgt.

Was ist davon zu halten in einer Zeit, wo das Ausgangs- und Partyangebot in der Schweiz doch laufend grösser geworden ist? Und wo im Ausland Junge auf die Strassen gehen, um für Demokratie und Jobs zu kämpfen?

Kaum mehr Reibungsflächen

Das Phänomen kennt man aus fast allen Zeiten und Kulturen: Junge rebellieren, suchen Identität und Profil in der Konfrontation mit etablierten Kräften und Strukturen. Das ist legitim und gehört dazu. In der heutigen westlichen Gesellschaft ist das aber zunehmend undankbar, weil diese Gesellschaft selber von Jugendkulturen und Jugendkult geprägt ist und dadurch wenig relevante Reibungsflächen mehr bietet.

Weil wir alle ja irgendwie noch jung sind und dies um keinen Preis aufgeben wollen, huldigen wir der Jugend mit einer beträchtlichen Permissivität, was aber weder auf Gegenliebe noch Anerkennung stösst. Und so geht es den vielen Jungen, die das Bedürfnis nach öffentlichem Protest weiterhin haben, heute nicht mehr um die Unabhängigkeit von autoritären Instanzen oder um sexuelle Befreiung, sondern um Partys.

Die Jungen wollen ernst genommen werden, geben ihre Wortführer zu Protokoll. Vordergründig könnte das heissen, dass man ihre Forderungen zu erfüllen habe. Und die Jugend hat in der Tat auch das Recht auf eine gewisse Anmassung. Im Gegenzug fällt auf, wie vorsichtig die Gegenseite, namentlich Behördenvertreter, argumentieren. Niemand will ja als Gegner der Jungen oder gar als Spassbremse erscheinen.

Was heisst "ernst nehmen"?

Aber vielleicht steckt hinter diesem "ernst genommen werden" etwas anderes: Vielleicht geht es darum, dass den Jungen ihr exklusives Recht auf Jungsein geklaut wurde, weil wir eben alle jung sein wollen und uns den wirklich Jungen anbiedern. Man kann die Generationenfrage nicht nur durch eine vermeintliche Vermischung lösen. Es wäre für beide Seiten besser, wenn man den pointiert auftretenden Forderungen auch mit einer gewissen Standfestigkeit entgegentritt. Das wäre dann "ernst nehmen".

Party als kulturpolitisches Thema

Zumal die Wortführer nicht weniger mit suggestiven Botschaften arbeiten als die Politiker, die sie gerne kritisieren. So ist im Zusammenhang mit Partys gerne von Kultur die Rede. Natürlich ist alles Kultur, die inflationäre Verwendung dieses Begriffs ist trendy. Aber man sollte nicht sofort in Ehrfurcht erstarren, wenn jede jugendliche Freizeitaktivität als Kultur bezeichnet wird. Gleiches gilt für die Verbindung mit politischem Engagement. Man kann ja nicht behaupten, dass die Jugend überdurchschnittlich interessiert wäre. Ob "the right to party" eine Botschaft von zentraler politischer Relevanz ist, darf man hinterfragen.

Tricks mit Wörtern

Auch mit zahlenmässiger Betroffenheit lässt sich rhetorisch tricksen: Gerne stellt man etwa die Zehntausend von Bern als repräsentativ für heutige Junge und ihre Bedürfnisse dar. Doch via Facebook und Twitter lassen sich heute ohne viel Aufwand Leute von irgendwo her mobilisieren. Hingegen werden Menschen, die sich an ihren Wohnorten etwa mit juristischen Mitteln gegen Lärmimissionen wehren, rasch als Querulanten und Einzelfälle bezeichnet. Die Bezeichnung "Lärm" wird sowieso lieber nicht verwendet, die Rede ist von Geräuschen. Dabei wird ausgeklammert, dass Lärm, etwa in der Nacht, weder eine Frage des Wohlklangs noch der Lautstärke ist, sondern einfach das, was als störend empfunden wird.

Aber das gehört halt zum "urbanen Wohnen", eine weitere beschönigende Begrifflichkeit aus der Preisklasse "Gewinnwarnung". Sie bedeutet, dass man in einer Stadt mit Belebtheit rund um die Uhr leben muss. Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn ein Teil dieser Szene versteht Nachtleben unbegrenzt und den Spass als 24-Stunden-Angebot sieben Tage pro Woche. Oder wie es ein Exponent im letzten Zischtigsclub formulierte: "Eure Generation war vielleicht morgens um drei langsam müde, wir sind es nicht." Ob das die gleichen Leute sind, die gerne ein bedingungsloses Grundeinkommen hätten?

Zwischen Lebens- und Partyraum

Schliesslich ist da noch die Tendenz, Bedürfnisse in ihrer Wichtigkeit nicht zu differenzieren. Bei genauer Betrachtung müsste man doch eigentlich einräumen, dass die Anliegen von Leuten an ihrem eigenen Wohnort wichtiger sind als die von Leuten, die meist von aussen anreisen, um sich zu amüsieren. Genauso sollte es kein Menschenrecht sein, dass jeder irgendwo einen Club eröffnen kann, der dann natürlich sofort als Kultur bezeichnet wird. Überhaupt gibt es eine Symbiose zwischen der Partybewegung und der kommerziellen Clubszene, wobei letztere im argumentativen Fahrwasser mitschwimmt.

Ich bezweifle, dass die Partybewegung für die Mehrheit der heutigen Jungen steht. Trotzdem: Sie darf ihre Wünsche artikulieren, und dies auch mit jugendlich-lauten Mitteln. Dann muss verhandelt werden, etwa welche Form von Nachtleben wo Platz haben soll. So, dass eine Stadt auch bewohnbar bleibt, und dies nicht nur für "urbanes Wohnen".

"Ernst nehmen" heisst, dass man die Forderungen hört, aber auch kritisch überprüft und nicht aus Angst, uncool zu wirken, dem Spassbedürfnis von Minderheiten zu sehr nachgibt. Auch damit Junge den Widerstand erfahren, der entwicklungspsychologisch wichtig ist und den sie im Grunde wieder suchen. Sie sollen an Grenzen gehen, diese dann aber auch erleben. Wenn man im Zuge der allgemeinen Jugendverherrlichung möglichst viel zulässt, bringt das am Ende keiner Seite etwas.