MEDIENSPIEGEL
11. - 17. JUNI 2012
Sonntagsblick 17.6.12
Junge Sozis stellen arrivierten Linken ein Ultimatum
Schuss gegen Alt-Linke Mauch und Tschäppät: Nur wer die
"Charta für linke Städte" unterschreibt, erhält von den
Juso Wahlkampf-Unterstützung.
Ob 1968 der Globuskrawall, in den 1980ern die Opernhauskrawalle oder
1991 die Besetzung des Wohlgroth-Areals - immer wieder machten
Zürichs Jugendliche ihrer Unzufriedenheit Luft. In Bern gingen vor
zwei Wochen Tausende auf die Strasse und demonstrierten für "mehr
Freiräume".
Zwischen den Ereignissen gibt es einen entscheidenden Unterschied: Bis
in die 1990er-Jahre waren die grossen Schweizer Städte in
bürgerlicher Hand. Der Zorn der Jungen richtete sich gegen ihre
Politik der bürgerlichen Parteien. Heute sind die grössten
Städte in den Händen von SP und Grünen - sie sind
für die Politik verantwortlich, die den Demonstranten
missfällt.
In einer "Charta für linke Städte", die SonntagsBlick
vorliegt, kritisieren die Jungsozialisten nun die linken
Aushängeschilder. Im Visier der Juso sind zuvorderst die
Stadtpräsidenten von Zürich und Bern, Corine Mauch und
Alexander Tschäppät. "Sehr ärgerlich ist es, wenn
Mandatsträger der Linken dafür verantwortlich sind, dass
Städte nicht für alle lebenswert gemacht werden. Allzu
häufig geben sie sich als Verwalter denn als Politiker", schreibt
Juso-Chef David Roth in seinem Papier. Die Juso wollen deshalb die
politischen Positionen der linken Kandidaten vor einer Nomination
besser überprüfen. "Leider weigern sich viele
Exekutivpolitiker, die linke Politik auch wirklich umzusetzen oder sind
mangels ihres politischen Verständnisses unfähig, dies zu
tun", kritisieren die SPNachwuchspolitiker.
Künftig wollen die Juso bei Wahlen - auch von Bisherigen - nur
noch jene Kandidaten unterstützen, die sich zur Charta bekennen.
Zu reden geben dürften insbesondere drei Punkte, die der
bisherigen Politik der Linken zuwiderlaufen:
Sicherheit: Die Juso fordern ein Verbot von Videoüberwachung. Die
linken Städte lassen immer ausgeklügeltere Überwachung
des öffentlichen Raums zu.
Kultur: Die Juso wollen nicht mehr Geld. "Jugendkultur muss nicht
übersubventioniert und betreut werden, sondern braucht vor allem
mehr Respekt", heisst es. Aber: Es sei falsch, elitäre
Glamourveranstaltungen für ein paar wenige Reiche mit Millionen
Franken zu subventionieren, während alternative Clubs für
junge Menschen um ihr Überleben kämpften.
Partys: Outdoor-Partys sollen von den Behörden künftig
"unkompliziert bewilligt werden". Dem steht das Ruhebedürfnis der
Anwohner gegenüber.
Marcel Odermatt, Nico Menzato
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20 Minuten 15.6.12
Im Dachstock wummern Bässe
Sa, 16.6., 23 Uhr, Darkside: V-Recordings Night, Dachstock.
D’N’B. Bevor der Dachstock in die Sommerpause geht, präsentiert
die Darkside eine V-Recordings Night. Damit ehren die Veranstalter
eines der ältesten Musikhäuser der D’n’B-Szene mit einer
eigenen Nacht. Und als Botschafter tritt gleich Label-Vater Bryan G
auf. Er ist dafür verantwortlich, dass bekannte Künstler wie
Roni Size, DJ Die, DJ Krust, Ed Rush, Optical und Dillinja einige ihrer
ersten Releases auf V veröffentlichen durften. Support kommt von
Deejaymf und Nicky F. Um stimmliche Unterstützung ist Badboy MC
bedacht.
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WoZ 14.6.12
Die Schweiz tanzt
Freiräume und so weiter
Was wollen sie denn, die jungen PartygängerInnen und Tanzenden in
der ganzen Schweiz? Ist die Bewegung Konsumismus oder Politik? Die
WOZ hat O-Töne eingeholt.
Dominik Gross
Von Dominik Gross
Am 11. Mai tanzten in Bern 3000 Leute an einer Nachtdemo von der
Reitschule zum Bundesplatz, am "Tanz dich frei" vom 2. Juni waren es
schon weit mehr als 10 000.
Tanzende, Augenzeugen, die Politik und die Stadtverwaltung rieben sich
ob dieser Menge alle gleichermassen die Augen. Am selben Tag feierten
auf dem NT-Areal in Basel, einer alten Industriebrache, die von der
Stadt in den letzten Jahren zu grossen Teilen saniert und aufgewertet
wurde, tausend Leute eine gute Party. Auch in Biel, Lausanne und Chur
fanden in kleinerem Rahmen jüngst ähnliche Anlässe
statt. Schon letztes Jahr erlebte Zürich einen lebhaften
Spätsommer, als auf dem Helvetiaplatz und am Bellevue spontane
Strassenpartys stattfanden, die in Auseinandersetzungen zwischen
Jugendlichen und der Polizei endeten. Nun wird wieder gerätselt:
Was will die Jugend? Haben wir es hier mit Politik zu tun oder nur mit
den Exzessen einer konsumistischen, zum reinen Spass geronnenen
Jugendkultur, die keine Ruhe- und Polizeistunden mehr kennen will?
"Denn wir wissen nicht, wieso sie es tun", titelte die "Aargauer
Zeitung" neulich in einem Kommentar zum Thema. Die WOZ hat bei
Beteiligten in Basel, Bern und Zürich nachgefragt, wieso sie es
tun.
Bern
In der Gartenwirtschaft eines indischen Restaurants im Berner
Lorrainequartier sitzen Rahel Ruch, Berner Stadtparlamentarierin der
Jungen Alternativen, Tom Locher, Mitglied der Alternativen Liste in
Bern und langjähriger Reitschüler, und Terry Loosli,
ehemaliger Mitbetreiber des Lärmklagen zum Opfer gefallenen
Musiklokals Sous Soul zusammen und blicken auf ihre zurzeit
ziemlich bewegte Stadt. Sie sind sich allesamt einig: Auch wenn es ab
und zu auch mal nur ums Biersaufen geht, was in Bern gerade läuft
und diskutiert wird, ist auf sehr mannigfaltige Art und Weise brisante
Politik.
Terry Loosli: "Dank des überwältigenden "Tanz dich frei" vom
2. Juni wird den Leuten jetzt in allen Städten bewusst: Wir
können mit der Masse wieder etwas erreichen. Es ist ein Prozess
angerissen, der zu einer echten Bewegung führen kann. Wenn die
Politik und die Behörden dieses starke Zeichen nicht ernst nehmen,
dann nehmen die Jungen das Zepter halt selbst in die Hand. Wir
müssen jetzt in Gesprächen herausfinden: Welche Wünsche
sind eigentlich da? Für mich scheint es durchs Band einen Wunsch
nach weniger Regulierung zu geben: in Clubs, in Beizen, auf der
Strasse. Es soll überall wieder lockerer werden."
Rahel Ruch: "Für die Junge Alternative stehen jetzt Fragen des
öffentlichen Raums und der Jugendpolitik im Vordergrund. Wir
werden im Stadtrat eine Reihe von Vorstössen einreichen und dabei
sicher auch die aufsuchende Jugend- und Gassenarbeit wieder
thematisieren, die wir in Bern schon seit Ewigkeiten fordern. Die Stadt
Zürich macht das in ihrer Gassenarbeit mit der Jugendberatung
Streetwork. In der Berner Innenstadt gibts nur die Pinto
[Prävention, Intervention, Toleranz]. Die setzt in erster Linie
ihren ordnungsdienstlichen Auftrag um und schickt die Leute weg, wo sie
kann. Das führt zwangsläufig immer wieder zu Konflikten und
Eskalationen im Nachtleben."
Tom Locher: "Und die Weggeschickten landen dann wieder auf dem Vorplatz
der Reitschule, weil sie sonst nirgendwo hinkönnen. Unserem
Stadtpräsidenten Alexander Tschäppät wäre es ja am
liebsten, wenn er aus der Reitschule eine Sonderzone machen und noch
mehr ungelöste Probleme der Stadt der Reitschule zuschieben
könnte, so wie dies schon in den neunziger Jahren und im letzten
Jahrzehnt in der Drogenpolitik der Fall war, als wir zweimal über
Monate hinweg eine offene Szene auf dem Vorplatz hatten. Die
Stadtquartiere und die Gemeinden rund um Bern machen es sich aber auch
zu einfach, weil sie keine oder kaum noch taugliche Jugendangebote
haben. Wenn die Kids dann vor der Kirche oder am Bahnhof abhängen,
werden sie zum Sicherheitsrisiko oder Litteringfaktor reduziert."
Rahel Ruch: "Eine gewisse Toleranz gegenüber Störungen aller
Art ist für mich essenziell, wenn man in der Stadt wohnen will,
ansonsten muss man halt aufs Land ziehen. Dort stören dann die
Kirchenglocken und die Kühe. Vielleicht müssen sich unsere
Vorstellungen, was Stadtleben bedeutet, ändern. Wir müssen
lernen, Konflikte direkt auszutragen, Differenzen auch auszuhalten."
Basel
Aus Basel meldet sich aus einer Telefonkabine und per E-Mail ein
Beteiligter der Party auf dem NT-Areal, der Emil genannt werden will.
Emil: "Es ist schwierig, von einem ‹uns› zu sprechen. Die Leute an der
NT-Areal-Party hatten wahrscheinlich viele verschiedene Gründe
für ihre Anwesenheit. Mein Umfeld und ich waren da, um uns Raum
anzueignen, zu erkämpfen, ihn mit eigenen Inhalten und Werten zu
füllen: Selbstverantwortung und Verantwortungsbewusstsein für
andere, Eigeninitiative, Autonomie, Freiheit. Unabhängig von
Regierungen und Verwaltung - fernab vom kapitalistischen Alltag.
Wir wollten diesen Raum auch gegen jene verteidigen, die beständig
damit beschäftigt sind, unsere Leben ohne unser Mitwirken zu
verwalten und zu kontrollieren. Ziel war also, zumindest für einen
kurzen Moment selbst bestimmen zu können, was wir wie tun wollen -
dies in einer eindeutigen und unmissverständlichen Art, die den
Zorn jener erweckt, die normalerweise über uns bestimmen.
Wir können im Herzen des Kapitalismus vor allem auch dank der
Unterhaltungsindustrie alles nur Erdenkliche konsumieren. Trotzdem
sind viele gelangweilt, gestresst, unzufrieden oder schlicht nicht
glücklich. Weil die Menschen überwältigt sind von der
Übermacht an strukturellen Einschränkungen und Zwängen,
ist es meiner Ansicht nach kein Wunder, dass sie sich nach Abenteuer,
Spannung, Intensität und Andersartigkeit sehnen. Die
Unterhaltungsindustrie gehörte schon immer zu einem
gesellschaftlichen Besänftigungsapparat. Vielleicht wird so ein
bisschen verständlich, warum sich momentan so viel um illegale
Partys dreht. In Basel gibt es noch ein einziges besetztes Haus: die
Villa Rosenau vor der französischen Grenze. Alle anderen
Besetzungen der letzten paar Jahre wurden nach kurzer Zeit ohne
Diskussion geräumt.
Ein Freiraum ist der Versuch, über diese Gesellschaft
hinauszuwachsen, ihr etwas entgegenzusetzen, sie zu konfrontieren. In
ihm experimentieren wir mit Formen gelebter Utopie, um bereits im Jetzt
schon eine andere Welt aufblitzen zu sehen. Ich glaube allerdings
nicht, dass Freiräume allein gesamtgesellschaftliche
Veränderungen in Gang setzen können. Sie sind aber eine
Voraussetzung dafür. Sobald sich Tausende von Menschen
mobilisieren lassen, um sich Strassen, Plätze, Häuser etc. zu
nehmen, ohne dabei um Erlaubnis zu bitten, birgt das Potenzial für
mehr. Wer allerdings immer nur in den vorgegebenen Schemen denkt und
handelt, wird niemals grössere gesellschaftliche
Veränderungen erreichen. Deshalb ist es wichtig, bestehende
Gesetze zu ignorieren und wenn nötig auch auf die darauf folgende
Konfrontation mit der Obrigkeit vorbereitet zu sein. Die Party in Basel
war in dieser Hinsicht begrüssenswert."
Zürich
Ein Zürcher, der sich "Möchtegernaktivist" nennt und zu einer
bestimmten Zürcher Familie gehört, schwärmt in der Ecke
einer klandestinen EM-Bar unter dem Schirm einer alten Stubenlampe
vom "Tanz dich frei" in Bern und macht sich gemäss eigener Aussage
ein paar grundsätzliche Gedanken über seine Mitjugend.
"Abende wie jener neulich in Bern lösen etwas aus, egal ob du
politisch aktiv bist oder nicht. Du fragst dich: Wieso kostet es
plötzlich nur noch drei Franken? Wieso hat jeder Laden zu, wo
krieg ich jetzt Bier her? Mich hat dieser Abend in Bern einfach
geflasht. Ich wollte gar nicht trinken. Hab nur ein paar Joints
geraucht, um mich ab und zu wieder ein bisschen runterzuholen. Was wir
aus Zürich nicht kennen: Es herrschte eine völlig friedliche
Stimmung. Ausserdem haben wir hier keine Reitschule. Wir können
uns nicht in der Nähe des Hauptbahnhofs auf einem grossen Platz
ungestört besammeln. In Zürich musst du immer gleich eine
Barrikade gegen die Polizei aufstellen. Das macht eine
Massenmobilisierung wie neulich in Bern viel schwieriger. Mehr als 3000
Leute kriegt man so nicht zusammen.
Freiräume sind für mich auch immer schon der Beginn der
Gentrifizierung. Wenn ich irgendwo in der Pampa ein Konzert
veranstalte, dann trage ich dazu bei, dass diese Gegend auf dem Markt
attraktiver wird. Gleichzeitig lassen sich nur an solchen verlorenen,
verlassenen Orten Konzerte organisieren. Probier das mal in der Roten
Fabrik. Da diskutierst du drei Minuten, und dann sagst du: ‹Gut, Leute,
alles klar.› Das ist alles viel zu verkrustet. Es herrschen noch die
Strukturen, die aus den Achtzigern stammen. Die Bewegten von damals
fragen uns jetzt vorwurfsvoll: ‹Ja, wofür kämpft ihr denn
eigentlich? Das Kulturangebot ist doch so gross wie noch nie.› Dann
sage ich: ‹Leute, eure Kulturlokale kosten mich jedes Mal einen
Fünfziger. Das geht nicht. Und ihr habt zu viele Regeln, zu viele
Auflagen, zu viele fixe Vorstellungen.›
Es geht jetzt was. Es kommen jetzt auch andere Leute, noch
jüngere, die was anzetteln. Mir persönlich ging in Bern der
Knopf auf. Bisher war ich paranoid, als ich aber inmitten all dieser
Leute stand, sagte ich mir: Jetzt bin ich immun, wie ein Diplomat. Ich
tu nichts Schlimmes, ich tu jetzt nur das, was ich will, und wenn das
illegal sein soll, ist es mir egal."
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Bern, grosse Schanze
Giftgrünes Wasser am "Summer Beach"
Dominik Gross
Und dann färbte sich das Wasser des Lebensbrunnens auf der grossen
Schanze in Bern auf einmal giftgrün: Am frühen
Samstagabend waren acht Leute der Jungen Alternative Bern (JA!) auf das
Gelände des "Summer Beach" vor der Uni und oberhalb des Bahnhofs
spaziert, um auch am von Bambus und Palmen gesäumten
Stadtstrand, wo "auffälligen und störenden Besuchern der
Zutritt verweigert werden kann", auf die gegenwärtige
Freiraumdebatte und die Kommerzialisierung des öffentlichen Raums
aufmerksam zu machen: "Wir lassen uns nicht weg(t)räumen", war auf
ihren Transparenten zu lesen. Auf der Grossleinwand lief schon die
Fussball-EM-Partie zwischen Holland und Dänemark. Dann verteilte
einer der jungen Alternativen im grossen Brunnen der Gated Community
mit "Strandfeeling" grüne Farbe (selbstverständlich
wasserschonend).
Als die AktivistInnen den Beach-Gästen dann auch noch ihre
Transparente zeigen wollten, wurde es Beat Hofer zu viel: Der Initiator
und Sicherheitschef des "Summer Beach" in Personalunion preschte vor,
um den JA!-Leuten die Leintücher zu entreissen. Als eine
Aktivistin ihres nicht hergeben wollte, wurde sie von Hofer mit einer
Art Schwingergriff zu Boden (gemäss Website des "Summer Beach"
"reinster Quarzsand") geworfen. Dann erteilte Hofer sämtlichen
Involvierten ein Hausverbot und rief die Polizei. Gegenüber der
WOZ wollte er nichts mehr sagen: "Ich will hier keine Fragen, die Sache
ist uns zu blöd." Vor dem Eingang des "Summer Beach" wurden die
Jungen Alternativen durch die vorfahrende Streife schliesslich von der
Grossen Schanze weggewiesen. Beni Thurnheer meldete über die
Lautsprecher aus Charkow, Ostukraine: "Das Spiel gewinnt an
Fahrt." dgr
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Bund 14.6.12
Extra Action Marching Band
Überraschung!
Die "Marschkapelle auf Acid" kommt zu Besuch. Für einmal mit
Voranmeldung.
Ein Heiratsantrag ist ja an sich eine romantische Angelegenheit.
Ausser, man lebt in der San Francisco Bay Area: Nachdem zwei junge
Menschen ihr Versprechen gebührend gefeiert hatten und
erschöpft von so viel Zuneigung in den Laken lagen, enterte eine
35-köpfige Marschkapelle das Schlafzimmer des Paars. Um seinen
Antrag etwas feierlicher zu gestalten, hatte der Bräutigam die
Extra Action Marching Band für ein Spontankonzert engagiert. Ob
seine Herzensfrau ihn immer noch haben wollte, nachdem die Trommler,
Bläser und eine Horde halb nackter Cheerleader ihre
ohrenbetäubende Aufwartung gemacht hatten, ist nicht
überliefert.
Überliefert sind dafür zahllose weitere Geschichten über
die 1999 in Oakland gegründete Band, die nach dem losen Vorbild
althergebrachter Marching Bands eine Mischung aus New-Orleans-Jazz,
Balkansound und Punk zum Besten gibt. Denn statt gesittet
Mardi-Gras-Paraden anzuleiten oder Football-Spiele zu eröffnen,
zieht es die Extra Action Marching Band vor, Anlässe zu sprengen.
Talking-Head-Kopf David Byrne etwa war bei einer Signierstunde ehrlich
erschüttert, als die Zirkustruppe plötzlich eine
verstörende Version von Beyoncés "Crazy in Love" in die
Runde schmetterte. So erschüttert war Byrne, dass er die Kapelle
als Vorgruppe für seine "SoCal"-Tour verpflichtete. Das Engagement
brachte der Band gar einen Auftritt im Hollywood Bowl ein, Los Angeles’
Grosskonzert-Amphitheater und biederem Mainstream-Eldorado. Nicht
schlecht für eine Band, die im "SF Weekly" unter dem Namen
"High-School-Marschkapelle auf Acid" läuft. Sollten die
Kalifornier nach ihrem planmässigen Auftritt im Dachstock noch
Lust haben, ihrem Drang nach Überraschungsgigs nachzugehen,
können sie ja immer noch eine spontane "Tanz-dich-frei"-Parade
anzetteln. (hjo)
Dachstock Freitag, 15. Juni, 22 Uhr.
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kulturagenda.be 14.6.12
Klartext mit Christian Pauli von Bekult
Christian Pauli ist Präsident von Bekult, dem Dachverband der
Berner Kulturbetriebe. Wir fragen, wie nach der Jugendprotestparty
"Tanz dich frei" die Rolle von Bekult in der Diskussion über das
Berner Nachtleben aussieht - und wie er als "80er" den Protest
wahrnimmt.
Nach der Tanz-dich-frei-Strassenparty hat sich der Verein Pro
Nachtleben Bern oft geäussert, von Bekult war wenig zu hören.
Warum?
Das entspricht schon einer gewissen Logik. Pro Nachtleben Bern
beschäftigt sich ausschliesslich mit dem Nachtleben, bei uns ist
es ein Thema unter anderen.
Mehrere Berner Clubs sind dieses Jahr schon aus dem Verein Bekult
ausgestiegen. Konnten Sie deren Interessen nicht vertreten?
Bekult ist der Verband der Kulturveranstalter. Mir ist es wichtig, dass
die Clubs weiterhin auch vertreten sind, weil das Nachtleben ein
wichtiges Thema ist in der Berner Kulturpolitik. Aber es ist eben nicht
das einzige Thema. Wir sind kein Dienstleister für die
Clubkulturproblematik. Es ist aber wichtig, dass wir mitdiskutieren.
Aber Bekult wurde doch genau zum Zweck gegründet, ein
Ansprechpartner für die Politik zu sein. Haben Sie da nicht eine
Chance verpasst?
Klar hätten wir in dieser Diskussion federführend sein
können. Aber das muss nicht sein. Ich bin pragmatisch genug, um
eine gute Zusammenarbeit mit den anderen Akteuren anzustreben. Das
gegenseitige Interesse besteht. Wenn der vom Gemeinderat vorgeschlagene
runde Tisch eine kulturpolitische Dimension erhalten soll, sollte
Bekult dabei sein. Die Frage ist: Muss man die Tanz-dich-frei-Sache
kulturpolitisch interpretieren? Ich finde: unbedingt ja!
Die Themenpalette, die im Moment diskutiert wird, reicht von der
liberalen Forderung einer Rechtssicherheit bis zu eher libertären
Anliegen der Reitschule. Kann das gut gehen?
Kommt darauf an, wie es weitergeht. Thomas Berger (Präsident von
Pro Nachtleben, d. Red.) kann nicht der Wortführer der Bewegung
sein, aber auch nicht Tom Locher (von der Reitschule). Jetzt
müssen die betroffenen Veranstalter für gemeinsame Positionen
einstehen. Die unterschiedlichen Interessen könnten der Bewegung
natürlich aber auch den Schnauf nehmen.
Jetzt will der Gemeinderat einen runden Tisch und ein
Nachtlebenkonzept. Was erhoffen Sie sich?
Es ist jetzt mal ein gutes Zeichen. Apropos verpasste Chance: Dass sich
der Gemeinderat seit letzter Woche endlich vorwärts macht, mag
auch damit zu tun haben, dass auch wir ihn schon seit Längerem
dazu aufgefordert haben.
Sie waren bei den Jugendprotesten in den 80er-Jahren dabei. Heute sagen
viele Leute Ihrer Generation, der Jugendprotest sei nur eine Party.
Das ist völliger Blödsinn. Die Kritik impliziert, dass man
früher bloss aus politischen und gesellschaftlichen Gründen
auf die Strasse gegangen wäre, und das stimmt einfach nicht. Eine
der zentralen Aussagen in den 80ern war "No Future": Egal was kommt,
wir wollen unseren Spass. Dieser Anspruch gehört zur Jugend.
Interview: Michael Feller
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kulturagenda.be 14.6.12
In Indien will man marschieren statt resignieren
Mit Kunst macht die Ausstellung "ungleichheiten" in der Grossen Halle
auf Missstände aufmerksam. Dahinter steht der Verein CESCI, der
die Bewegung Ekta Parishad unterstützt, die gegen Landenteignungen
demonstriert.
Es riecht nach Curry, eine bunte Installation aus
aneinandergeknüpften Saris lockt neugierige Besucher an und auf
einer Leinwand flimmert ein Dokumentarfilm. In der grossen Halle in der
Reitschule Bern ist Indien zu Besuch. Bereits zum dritten Mal findet
hier das Indienforum statt - diesmal unter dem Motto "Ungleichheiten".
Der Verein CESCI (Centre for Socio-Cultural Interaction), der seinen
Sitz in Südindien hat, will auf Missstände aufmerksam machen.
Gegründet wurde CESCI von der 1999 verstorbenen Schweizerin Maja
Koene, die eng mit der indischen Landrechtsbewegung Ekta Parishad
zusammenarbeitete. Die Bewegung organisiert - ganz im Sinne Mahatma
Gandhis - gewaltfreie Märsche (der sog. Jan Satyagraha). Damit
protestiert sie dagegen, dass die Regierung Bauern zwingt, ihr Land
für wenige Rupien zu verkaufen. Die Enteigneten verlieren durch
diese faktische Landenteignung ihre Lebensgrundlage und werden
gezwungen, in die Stadt zu ziehen. Bereits 2007 gingen 25 000 Menschen
an einem langen Friedensmarsch mit, um auf ihre Situation aufmerksam zu
machen.
Film und Aktionen
"Der nächste Marsch findet bereits diesen Herbst statt",
erklärt Margrit Hugentobler, die Präsidentin von CESCI. Am
Indienforum werden deshalb bereits Petitionen unterschrieben, die den
Premierminister daran erinnern, seine Versprechen gegenüber den
Landlosen einzuhalten.
Täglich wird der Dokumentarfilm "Ahimsa - die Stärke von
Gewaltfreiheit " gezeigt. Regisseur Karl Sauer hat eine
Dorfgemeinschaft bei ihrem Kampf um Boden und Wasser begleitet. Eveline
Masilamanis Referat "Die Bedeutung von Land, Wasser und Wald in Indien"
(Di., 19.6., 19.40 Uhr) liefert zusätzliche Informationen.
Auch das Thema Nahrung spielt wie schon in den vergangenen Jahren eine
wichtige Rolle. Schulklassen werden von Performern durch die
Ausstellung begleitet und können anhand eines Weltkarte- Puzzles,
Porträts und eines elektronischen Ratespiels herausfinden, was und
wie viel man wo isst.
Ein Reiskorn zum Schluss
Doch Indien hat nicht nur Elend zu bieten. Die Schönheit und
Sinnlichkeit des Landes widerspiegelt sich in der dreiteiligen
Installation der Künstlerin Nesa Gschwend. Sie hat aus Resten von
Saris Strukturen geknüpft, die mit Videosequenzen und
Wachsobjekten ein faszinierendes Ganzes ergeben.
Kunst gehört zum Indienforum dazu: An den letzen beiden
Anlässen hat die Performance-Gruppe "Stan’s Cafe" Statistiken
anhand von Reishaufen veranschaulicht. Diese Idee wird nun wieder
aufgenommen. Jeder, der die Ausstellung verlässt, wird gebeten,
ein Reiskorn niederzulegen. Bleibt zu hoffen, dass ein möglichst
hoher Hügel entsteht.
Helen Lagger
\ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \ \
\ \ \ \ \ \ \ \
Grosse Halle in der Reitschule, Bern
Ausstellung bis 24.6.
www.cesci.ch
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Bund 13.6.12
Erich Hess blitzt mit Reitschul-Antrag ab
Via kantonales Kulturförderungsgesetz wollte Erich Hess die
Unterstützung der Reitschule verbieten lassen.
Reto Wissmann
In der zweiten Lesung des neuen Kulturförderungsgesetzes waren
eigentlich nur noch Detailfragen zu klären. In letzter Minute
brachte jedoch SVP-Grossrat Erich Hess einen Änderungsantrag ein,
der für Aufregung sorgte: Die Reitschule sowie Personen und
Institutionen, die dort Veranstaltungen durchführen, dürften
weder vom Kanton noch von Gemeinden subventioniert werden. "Es darf
nicht sein, dass die Reitschule, die ständig Gesetze missachtet,
mit Steuergeldern unterstützt wird", sagte Hess, der immer wieder
versucht, der Reitschule den Geldhahn zuzudrehen.
Viel Unterstützung erhielt er im Kantonsparlament allerdings
nicht. Selbst seine eigene Fraktion trug den Antrag nur teilweise mit.
"Hess hat ihn spät und ohne unser Wissen eingereicht", sagte
SVP-Sprecher Ueli Augstburger. Die anderen Fraktionen waren sich einig,
dass eine solche Regelung nicht in das Gesetz gehöre. "Das ist ein
Kulturförderungs- und kein Kulturverbotsgesetz", sagte Hans Rudolf
Feller (FDP) im Namen aller anderen Fraktionen. Der Grosse Rat
könne einer Gemeinde nicht vorschreiben, welche Institutionen sie
unterstützen wolle. Die von Hess vorgeschlagene Regelung sei eine
"Diskriminierung" der Stadt Bern und der Reitschule und daher
"vehement" abzulehnen. Das Abstimmungsresultat war mit 117 Nein zu 16
Ja denn auch sehr deutlich.
Erziehungsdirektor Bernhard Pulver (Grüne) betonte, dass die
Reitschule keine Beiträge vom Kanton erhalte. Nur wenn die
Standortgemeinde, die Regionalkonferenz und der Kanton zustimmten,
könnten Gelder fliessen. Dass neue Institutionen in die Gruppe der
Subventionsempfänger aufgenommen werden, sei angesichts der
knappen Mittel aber sowieso sehr unwahrscheinlich.
Der Grosse Rat hat gestern noch einen Passus ins Gesetz aufgenommen,
der es dem Kanton erlaubt, Durchgangsplätze für Fahrende zu
unterstützen. Das gehöre zwar eigentlich nicht ins
Kulturförderungsgesetz, so der Tenor, müsse aber irgendwo
geregelt werden.
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BZ 13.6.12
Kein Reitschule-Artikel im neuen Kulturgesetz
Kulturförderung · Mit 126 zu 8 Stimmen hat der Grosse Rat
das Kulturförderungsgesetz gutgeheissen. Der Antrag von Erich Hess
(SVP), für die Berner Reitschule ein Subventionsverbot im Gesetz
zu verankern, hatte keine Chance.
Seit Jahren kämpft Erich Hess (SVP, Bern) auf städtischer
Ebene glücklos gegen das Kulturzentrum Reitschule. Gestern wollte
er diesem per kantonalem Gesetz den Geldhahn zudrehen. Ohne Wissen
seiner Fraktion wollte Hess das Kulturförderungsgesetz
ergänzen: "Die Reithalle Bern sowie natürliche und
juristische Personen oder lose Organisationen, die in diesem Betrieb
eingemietet sind oder in diesem Betrieb Veranstaltungen
durchführen, dürfen weder vom Kanton noch von Gemeinden
unterstützt werden." Es gehe nicht an, dass die Reitschule, die
jährlich Polizeikosten in Millionenhöhe verursache,
Subventionen erhalte.
Hans Rudolf Feller (Steffisburg) vertrat nicht nur die FDP, sondern
auch die anderen Fraktionen. Er monierte, in einem Gesetz dürften
nicht Einzelfälle wie eben die Reitschule verankert werden. Auch
sei die Forderung von Hess ein Eingriff in die Gemeindeautonomie, die
der SVP sonst doch so wichtig sei. Er sei zwar auch kein Fan der
Reitschule, gab Hans Rudolf Feller zu, doch ein expliziter
Reitschule-Artikel gehöre nicht in das Gesetz. Regierungsrat
Bernhard Pulver (Grüne) betonte, der Kanton bezahle der Reitschule
keinen Betriebsbeitrag. Wenn die Stadt Bern dies tun wolle, müsse
diese entscheiden. Mit 117 zu 16 Stimmen lehnte der Rat den
Reitschule-Artikel wuchtig ab.
Verankert wird im Kulturförderungsgesetz, dass der Kanton die
kulturelle Vielfalt in den Regionen, das Brauchtum und die Kultur von
Minderheiten fördert. Der Rat hiess mit 92 zu 44 Stimmen einen
Antrag von BDP, FDP und SVP gut, der den Beitrag an den
Kulturförderungsfonds auf 20 Prozent des jährlichen
Kantonsanteils aus den Lotteriegewinnen beschränkt. Das neue
Kulturförderungsgesetz verpflichtet alle Gemeinden zu
Beiträgen an Kulturstätten von regionaler Bedeutung. Solche
von nationaler Bedeutung (Kunstmuseum Bern, Freilichtmuseum Ballenberg)
unterstützt der Kanton künftig alleine. Das Gesetz tritt 2013
in Kraft. ue
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bernerzeitung.ch 12.6.12
Reitschule: Parlament will kein Subventionsverbot
sda / chh
Das neue kantonale Kulturförderungsgesetz ist unter Dach und Fach.
Der bernische Grosse Rat hat es am Dienstag genehmigt. Dabei stellte er
sich schützend vor die Berner Reitschule.
Das Kantonsparlament lehnte nämlich einen Antrag des
langjährigen Reitschul-Kritikers Erich Hess (SVP/Bern) ab, der im
neuen Gesetz explizit ein Subventionsverbot für das alternative
Kulturzentrum in Bern verankern wollte.
Es gehe nicht an, dass eine Institution, die "dauernd gegen geltendes
Recht verstösst" und die "jährlich Millionen von
Polizeikosten und Millionen von Sachschäden" verursache, Geld vom
Kanton erhalte, sagte Hess.
Für Hess' Vorstoss "haben wir zwar nicht keine Sympathie", sagte
Hans Rudolf Feller (FDP/Steffisburg). Ein solches Verbot sei aber
diskriminierend, verstosse gegen die Gemeindeautonomie und gehöre
auch nicht in ein Kulturförderungsgesetz, erklärte der
Steffisburger FDP-Grossrat im Namen aller Grossratsfraktionen.
Sonst wäre dies nämlich ein Kulturverbotsgesetz. Deshalb
gehöre Hess' Vorstoss abgelehnt. Das tat das Kantonsparlament mit
117 zu 16 Stimmen (alle aus der SVP-Fraktion) auch.
Der kantonale Erziehungsdirektor Bernhard Pulver hatte zuvor gesagt,
der Kanton zahle heute keine Beiträge an die Reitschule. Er
könne sich "kaum vorstellen", dass der Kanton angesichts der
knappen Finanzen neue Häuser auf die Liste der von Kanton und
Gemeinden gemeinsam finanzierten Kulturinstitutionen regionaler
Bedeutung aufnehme.
Brauchtum "achten und fördern"
Mit ebenso deutlichem Mehr sprach sich das Kantonsparlament zuvor
dafür aus, den Kanton zu beauftragen, nebst der kulturellen
Vielfalt in den Regionen und der Kultur von Minderheiten auch das
Brauchtum zu achten und zu fördern. Ob dieser Begriff im Gesetz
auftauchen sollte, war in der ersten Lesung des Gesetzes offen
geblieben.
Ebenfalls noch unbestimmt blieb bei der ersten Lesung im März, ob
"Massnahmen zugunsten besonderer Bedürfnisse der Fahrenden" nicht
besser in einem anderen Gesetz untergebracht werden sollten. Der Grosse
Rat beschloss am Dienstag schliesslich, diesen Passus doch im
Kulturförderungsgesetz zu belassen.
Das sei "der am wenigsten schlechte Ort", sagte dazu Feller. Ueli
Augstburger (SVP/Gerzensee) hatte die Regierung mit einem Antrag
beauftragen wollen, den Passus anderswo unterzubringen. Ihm zufolge
geht es darum, dass der Kanton dank dieser Gesetzespassage
Fahrendenstandplätze mitfinanzieren kann.
Subventionsströme entflechten
Das neue bernische Kulturförderungsgesetz hat zwei Hauptmerkmale.
Erstens entflechtet es die Subventionsströme. Neu unterscheidet
der Kanton zwischen Institutionen von nationaler und solchen von
regionaler Bedeutung. Erstere finanziert er künftig allein.
Gemäss der kantonalen Kulturstrategie gehören das Zentrum
Paul Klee, das Kunstmuseum Bern und das Freilichtmuseum Ballenberg in
diese Kategorie.
Das zweite Hauptmerkmal ist, dass neu sämtliche Gemeinden
kulturelle Institutionen regionaler Bedeutung mittragen müssen,
nicht mehr nur jene, die zur Agglomeration einer Zentrumsgemeinde
gehören. Mit den Änderungen will der Regierungsrat die
Steuerung der Häuser erleichtern.
Zu den kulturellen Institutionen regionaler Bedeutung zählen nach
der kantonalen Kulturstrategie von 2009 70 Häuser.
Mehr Kulturgelder als bisher stehen mit dem neuen Gesetz nicht zur
Verfügung, wie Regierungsrat Pulver im März sagte. Insgesamt
gibt der Kanton jährlich etwa 50 Millionen Franken für die
Kulturförderung aus.
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Bund 12.6.12
Politischer Spielraum und mehr Verantwortung für Gemeinden
Gerade Überzeitbewilligungen seien "eine sehr politische"
Angelegenheit, schreiben die Grünliberalen.
Gianna Blum
Die grünliberale Grossrätin Tanja Sollberger fordert in einer
Motion, dass Gemeinden Bewilligungen im Gastgewerbe selber erteilen
können. Die Gemeinden sollen so mehr Handlungsspielraum, aber auch
mehr Verantwortung erhalten. Neu ist die Idee nicht: Sowohl der Berner
Jungfreisinn wie auch der Verein Pro Nachtleben haben bereits verlangt,
das Gastgewerbegesetz vom Kanton an die Gemeinden zu delegieren. Die
Motion der grünliberalen Grossrätin Tanja Sollberger legt
eine ähnliche Forderung nun dem Berner Grossrat vor. Gemeinden
sollen sich für die Bewilligungsverfahren im Gastgewerbe - so zum
Beispiel Überzeitbewilligungen - selbst für zuständig
erklären können. Gerade Überzeitbewilligungen für
Kulturveranstaltungen seien eine sehr politische Angelegenheit, schrieb
die grünliberale Partei gestern in einer Medienmitteilung. In
solchen Fällen solle der Gemeinderat verantwortlich sein. Dieser
unterstehe schliesslich der direkten Kontrolle des Gemeindeparlaments
und damit der Stimmbürger. Der Regierungsstatthalter verfüge
gerade in umstrittenen Fällen "klar über zu wenig politische
Legitimation", so die GLP.
"Verantwortung übernehmen"
"Zudem besteht die Gefahr, dass der Regierungsstatthalter als
Sündenbock herhalten muss, hinter dem sich der Gemeinderat, der
eigentlich politisch verantwortlich sein sollte, verstecken kann",
heisst es weiter. "Mangels Zuständigkeit kann der Gemeinderat nach
Gutdünken die Entscheide des Regierungsstatthalteramts einmal
stützen und ein andermal kritisieren, ohne je die Verantwortung
übernehmen zu müssen", kritisiert Sollberger.
Durch die geforderte Gesetzesänderungen sollen Gemeinden mehr
Handlungsspielraum, aber auch mehr politische Verantwortung für
ihre Gastgewerbebetriebe übernehmen können. Laut
Staatskanzlei wird die Motion voraussichtlich in der Septembersession
im Grossen Rat diskutiert werden.
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BZ 12.6.12
GLP will den Gemeinden mehr Autonomie geben
Nachtleben · Statt des Regierungsstatthalters sollen die
Gemeinden selber über Bewilligungen im Gastgewerbe entscheiden:
Das verlangt die GLP in einer Motion im Grossen Rat.
Eine Forderung, die zuletzt mehrmals in der Stadtpolitik Berns gestellt
wurde, haben die Grünliberalen nun auf Kantonsebene aufgegriffen:
Die Exekutive der Gemeinden soll für die Bewilligungen im
Gastgewerbe zuständig sein. Davon wären auch die
Überzeitbewilligungen betroffen, die in der Stadt Bern für
hitzige Diskussionen gesorgt haben. Die aktuelle Situation in Bern sei
auch Hintergrund der Motion, so die zuständige Grossrätin
Tanja Sollberger (GLP): "Unser Ziel ist, das Nachtleben zu
stärken."
Zu wenig Legitimität
Momentan ist noch der Regierungsstatthalter die zuständige
Bewilligungsbehörde für Gastgewerbe und Kulturveranstalter.
Es sei jedoch politisch notwendig, dass die Gemeinden diesen Posten
übernehmen, sagt Sollberger: "Der Regierungsstatthalter
verfügt über zu wenig politische Legitimität, um in
umstrittenen Fällen Entscheide zu treffen." Ein Gemeinderat werde
aber von Parlament und Stimmbürgern kontrolliert. Zudem
hätten die Gemeinden so mehr Handlungsspielraum.
Mit der aktuellen Regelung bestehe auch die Gefahr, dass der
Regierungsstatthalter als Sündenbock herhalten müsse: "Der
Gemeinderat kann sich hinter diesem verstecken und seine Entscheide
teilweise stützen, teilweise kritisieren, ohne aber selber
Verantwortung zu übernehmen."
Freude an der eingereichten Motion hat der Verein Pro Nachtleben Bern.
In einem Communiqué begrüsste der Verein die Stärkung
der Gemeindeautonomie: "Das Thema Nachtleben darf nicht länger wie
eine heisse Kartoffel zwischen den verschiedenen Instanzen hin- und
hergeschoben werden." jek
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20 Minuten 12.6.12
Nachtleben: Gemeinden sollen bestimmen können
BERN. Gemeinden sollen direkt über Bewilligungen im Gastgewerbe
entscheiden können. So will es zumindest die GLP.
"Figg Di, Herr Lerch"-Plakate und T-Shirts gegen seinen Thuner Kollegen
Marc Fritschi: Mit Entscheiden zum Nachtleben haben sich bernische
Regierungsstatthalter in den letzten Jahren nicht nur Freunde gemacht.
Die Grünliberalen wollen ihnen jetzt sogar mit einem Vorstoss das
Dossier Nachtleben ganz entziehen. "Die Regierungsstatthalter
verfügen gerade in politisch umstrittenen Fällen klar
über zu wenig politische Legitimation, um umstrittene Entscheide
verantworten zu können", so die Berner Grossrätin Tanja
Sollberger. Darum soll nun die Kompetenz, über gastgewerbliche
Bewilligungen zu entscheiden, an die Gemeinden übergeben werden
können. Damit seien die Entscheide näher am Stimmvolk. Beim
Verein Pro Nachtleben Bern ist die Freude über den Vorstoss gross:
"Die Betriebe hätten dann endlich einen zentralen Ansprechpartner
- das wäre zum Vorteil für alle Beteiligten", so
Präsident Thomas Berger. Auch Stadtpräsident Alexander
Tschäppät begrüsst die Idee, gibt aber zu bedenken: "Die
Probleme bleiben die gleichen, egal wer entscheidet."
Nicht ganz so euphorisch sieht das der kantonale SVP-Präsident
Peter Brand: "Für die Stadt Bern würde das keinen Sinn
machen. Der Fall Reitschule zeigte, dass der Gemeinderat die Situation
selbst nicht regeln konnte", so Brand. Bei anderen Gemeinden hingegen
könne es aber durchaus funktionieren. Stefanie nopper
***
siehe auch:
http://www.be.grunliberale.ch/dokumente/medienmitteilungen/120611_mm_glp.pdf
***
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BZ 12.6.12
Grosser Rat spricht der Polizei sein Vertrauen aus
Sicherheit · Der Grosse Rat lehnte es gestern mit 118 zu 20
Stimmen ab, verschiedene Polizeieinsätze vom letzten Jahr von
einer unabhängigen Stelle untersuchen zu lassen.
Frust für SP-Grossrätin Flavia Wasserfallen (Bern): Ihre
Motion scheiterte gestern kläglich. Die Ratsmehrheit wehrte sich
gegen die Forderung, die letztjährigen Polizeieinsätze am
Buskers-Festival, am SVP-Wahlfest, bei der Räumung des
Anti-AKW-Camps und in der Reitschule seien von unabhängiger Stelle
zu untersuchen. Wasserfallen begründete ihre Motion unter anderem
damit, dass sich einige der Festgenommenen auf der Polizeiwache nackt
ausziehen mussten. Dies werfe ein fragwürdiges Licht auf die
Arbeit der Polizei. Weil die Ordnungshüter jedoch auf
Glaubwürdigkeit und Vertrauen angewiesen sei, müssten diese
Einsätze nun lückenlos aufgeklärt werden, so
Wasserfallen.
"Handlungsunfähige Polizei"
Die Mehrheit des Grossen Rates sah dies allerdings anders und lehnte
die Motion mit 118 zu 20 Stimmen ab. Dies, obwohl die Regierung den
Vorstoss in der unverbindlicheren Form eines Postulates zur Annahme
empfohlen hatte. Grund dafür sind die Vorfälle vom 22.
September 2011 in der Reitschule, die derzeit auf Gesuch des
Stadtberner Gemeinderats von einer externen Stelle untersucht werden
(wir berichteten). Die restlichen Einsätze untersuchen zu lassen,
sei jedoch unnötig, zumal jede betroffene Person bereits heute
über ausreichende Rechtsmittel verfüge, das Handeln der
Polizei überprüfen zu lassen. Eine Untersuchung aller
Einsätze hätte zur Folge, das die betreffenden Einsatzleiter
bis zum Abschluss des Verfahrens suspendiert werden müssten,
erklärte Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP). "Das
führt dazu, dass die Polizei irgendwann nicht mehr
handlungsfähig ist."
"Überflüssige Motion"
Votanten von FDP, SVP, BDP, GLP, CVP, EVP und EDU warnten davor, dass
eine Überweisung der Motion ein Misstrauensvotum gegen die Polizei
sei. Dass sich eine am SVP-Wahlfest festgenommene Person beschwert und
von der Polizei- und Militärdirektion inzwischen recht bekommen
hat, ist für Philipp Müller (FDP, Bern) "der beste Beweis
dafür, wie überflüssig diese Motion ist". Thomas Fuchs
(SVP) nannte den Vorstoss "heuchlerisch", weil er keine Untersuchung
der Gewalt gegen Polizisten fordere.
Praktiker stimmten Nein
Doch auch SP und Grüne unterstützten Wasserfallen nicht
geschlossen. Vor allem die Praktiker lehnten die Motion ab. Etwa Peter
Siegenthaler (SP), der als Thuner Gemeinderat für die Sicherheit
zuständig ist. "Es ist nicht immer lustig, was die Polizei machen
muss." Thomas Heuberger (Grüne, Oberhofen), als Kreisarzt
häufig bei Befragungen zugegen, sprach der Polizei sein Vertrauen
aus. Und Markus Meyer (SP, Roggwil und Präsident des Berner
Polizeiverbandes) meinte, der Anlass "Tanz dich frei" sei der Beweis
dafür, wie verhältnismässig die Polizei vorgehe. Laut
Käser waren die Einzigen, die an diesem Anlass verletzt wurden,
Polizisten: "Sie wurden von Partygängern mit
Bierflaschen beworfen."
Andrea Sommer
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Bund 12.6.12
Grosser Rat spricht Polizei Vertrauen aus
Der Regierungsrat braucht vier umstrittene Polizeieinsätze in der
Stadt Bern vom vergangenen Jahr nicht untersuchen zu lassen. Der Grosse
Rat hat gestern einen Vorstoss mit dieser Forderung mit 118 zu 20
Stimmen abgelehnt. Der Tenor lautete, den Bürgerinnen und
Bürgern stünden genügend Rechtsmittel zur
Verfügung, falls sich die Polizei nicht rechtskonform verhalte. In
den bürgerlichen Reihen war die Ablehnung der Motion von Flavia
Wasserfallen (SP, Bern) einhellig. Doch auch bei Links-Grün
stimmten viele dagegen.
Wasserfallen ging es um Polizeieinsätze bei der Räumung des
Anti-AKW-Camps bei der BKW (21. Juni), am Buskers-Festival (12.
August), während des SVP-Wahlfests (10. September) sowie in der
Reitschule (22. September). Sie stellte Fragen zu Aktivisten, die sich
nackt hätten ausziehen müssen, zu Unterschriftensammlern, die
weggewiesen worden seien, und zu Demonstranten, die "offenbar"
einheitliche Wegweisungs- oder Fernhalteverfügungen erhielten. In
der Reitschule sollen laut Polizei zwei Zivilfahnder verprügelt
worden sein, nachdem sie einem "verdächtigen Mann" ins alternative
Kulturzentrum gefolgt seien. Die Reitschulbetreiber hingegen sagten,
die Gewalt sei einzig von den Polizisten ausgegangen.
Trotz der Ablehnung der Motion ist es möglich, dass der Vorfall
vom 22. September doch untersucht wird. Die Berner Stadtregierung hat
die Kantonsregierung ersucht, dies zu tun. (sda)
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Aargauer Zeitung 12.6.12
Unbewilligter Tanzprotest in Aarau geplant
Party · "Nächtliches Tanzvergnügen" im September
fordert kulturelle Freiräume
Stefan Künzli
"Das gesellschaftliche Klima in der Schweiz gleicht immer mehr einer
Polarwüste. Wir haben ein Gegenmittel: Eine lange, heisse Nacht in
Aarau." Der Aufruf kursiert im Internet unter dem Titel
"Nächtliches Tanzvergnügen" und steht auf der Website
ch.indymedia.org/de. Dort werden alle Interessierten eingeladen, am
22.September 2012 ab 20.30 Uhr im Kantipark Aarau zu feiern und tanzend
durch die Stadt zu ziehen.
Indymedia ist ein offenes Forum und versteht sich als
"emanzipatorisches, unabhängiges Mediennetzwerk von
AktivistInnen". Der Aufruf zum "Nächtlichen Tanzvergnügen"
ist anonymisiert, die Veranstalter nennen sich Nachttänzer_innen.
Die Tanzparty ist nicht nur anonym, sie will auch ausdrücklich
unbewilligt und damit illegal sein. "Wir wollen mit euch eine Party
feiern", heisst es im Aufruf, "ohne vorher jene um Erlaubnis zu fragen,
die Mitschuld am Verschwinden kultureller und politischer
Freiräume sind." Denn diese Projekte stünden, "unter
ständigem Beschuss". Dabei verweisen die Aktivisten auf die
Reitschule in Bern sowie die "illegalen Partys" in Zürich, die zu
einem "kontrollierten und regulierbaren "Angebot der Stadt" gemacht"
würden.
"Wir haben es selbst in der Hand"
Die Aktivisten beklagen, dass es in Aarau "keinen solchen
selbstverwalteten Freiraum" gäbe, und auch die Zukunft etablierter
Kulturangebote wie das KiFF, der Flösserplatz, Atelier Bleifrei,
das Wenk oder die Kettenbrücke Aarau sei ungewiss. "Wo soll dann
gefeiert werden?", fragen die Nachttänzer_innen. Die Altstadt
Aarau werde "immer mehr als Problemzone, anstatt als Treffpunkt
betrachtet". Und auch der neue Bahnhof lade "durch Konsumzwang und
Wegweisungen nicht zum Verweilen ein".
"Wir haben es selbst in der Hand", schreiben die anonymen Aktivisten,
"und komm auch du nach Aarau und erkämpfe dir ein Stück
temporären Freiraum." Die Veranstalter wollen mit einem
Live-Wagen, einem DJ-Wagen und einer fahrenden Bar durch Aarau ziehen.
"Das nächtliche Tanzvergnügen" baut ganz auf die
Mobilisierungskraft des Internets und ist mit Facebook verlinkt.
Geplant ist ein nationaler Tanzprotest. Die aufgeführten
Bahnverbindungen aus allen Schweizer Städten nach Aarau sollen den
Entscheid zum Mittanzen erleichtern.
Spur führt in Hausbesetzer-Szene
Doch wer steckt hinter Nachttänzeri_innen? Erste Hinweise
führten zum Umfeld des Künstlerkollektivs Bleifrei, dessen
Mitglied Tizian Baldinger in der alten Garage Brack auch beliebte
Tanzpartys organisiert. Auf Anfrage der az dementiert Baldinger aber.
Er finde es zwar gut, dass es Aktivitäten in Aarau gäbe, mit
den Nachttänzern will er aber ausdrücklich nicht in
Verbindung gebracht werden.
Wie ist die Polizei-Strategie?
Unter dem Titel "Nachttanz Demo" fand am 3.Dezember 2011 im Schlosspark
Aarau schon einmal ein Tanzprotest statt. Gemäss Polizeimeldung
nahmen rund 200 mehrheitlich junge Leute aus der autonomen
Hausbesetzer-Szene daran teil und sechs Personen mussten "wegen
Tätlichkeit und Beschimpfung vorübergehend festgenommen"
werden. Die Kantonspolizei Aargau geht davon aus, dass sich hinter dem
"Nächtlichen Tanzvergnügen" dieselben Veranstalter stehen.
Die Namen seien der Polizei aber nicht bekannt.
Eine weitere heisse Spur führt zum links-aktivistischen
Info-Portal www.aargrau.ch. Dort ist das "Nächtliche
Tanzvergnügen" zwar nicht aufgeführt, Links führen aber
zu Indymedia und die Berner Reithalle.
Wäre es nicht am einfachsten, das "Nächtliche
Tanzvergnügen" einfach zu bewilligen? Und damit den "illegal"
geplanten Tanzprotest zu legalisieren? "Wir behalten die Sache im
Auge", sagt Polizeisprecher Bernhard Graser, "damit wir nicht
überrumpelt werden." Bei solchen Anlässen sei die Dimension
leider schwer abzuschätzen. "Zu gegebener Zeit werden wir eine
Lagebeurteilung vornehmen", sagt er weiter, "aber zu möglichen
Polizei-Strategien sagen wir nichts."
***
Siehe auch:
- https://switzerland.indymedia.org/de/2012/06/86654.shtml
- https://www.facebook.com/events/424889984209408/
***
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BZ 12.6.12
Securitas gegen Alkis
Langenthal · Coop hat genug: Der Grossverteiler hat Securitas
den Auftrag gegeben, Alkis, Drogenkonsumenten und Randständige vom
Areal des Coop Tell in Langenthal wegzuweisen. "Vorher hatten wir
täglich Reklamationen von Kunden, die sich gestört und
belästigt fühlten", sagt Coop-Tell-Geschäftsführer
Kurt Stadelmann, "das hat jetzt schlagartig aufgehört."
Stattdessen macht sich die Szene jetzt wieder zunehmend auf dem neuen
Wuhrplatz breit. Dort lässt sie die Stadt offenbar gewähren.
Stadtpräsident Thomas Rufener jedenfalls sagt: "Je belebter der
Platz ist, desto weniger fallen die Leute aus der Szene auf."
Stadelmann fordert von der Stadt zur Lösung des Problems ein
Fixerstübli. Doch das lehnt Rufener ab.rgw/drh · Seite 3
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Coop vertreibt Alkis mit Securitas - Stadt toleriert sie auf dem
Wuhrplatz
Langenthal · Seit letzter Woche weisen Securitas- Patrouillen
auf dem Coop-Areal Alkis, Drogenkonsumenten und Randständige weg.
Die fühlen sich jetzt zunehmend auf dem Wuhrplatz zu Hause. Die
Stadt lässt sie gewähren.
Coop hat der Securitas den Auftrag gegeben, an Wochentagen drei Monate
lang von 10.30 bis 19 Uhr rund ums Einkaufscenter Tell für Ordnung
zu sorgen. Das heisst: Eine Securitas-Doppelpatrouille spricht die
Leute aus der Szene an und weist sie weg. "Vorher hatten wir
täglich Reklamationen von Kunden, die sich gestört oder
belästigt fühlten", sagt Coop-Tell-Geschäftsführer
Kurt Stadelmann, "das hat jetzt schlagartig aufgehört." Die
Kosten, die Coop alleine trage, seien beträchtlich. Deshalb sollen
die Patrouillen sobald wie möglich von zwei Personen auf eine
reduziert und die Präsenzzeiten allenfalls angepasst werden. Kurt
Stadelmann sagt, ihm sei klar, dass durch diese Massnahme von Coop
jetzt andere betroffen seien. Die Weggewiesenen bleiben ja trotzdem
in Langenthal. Er habe das Problem im Vorstand der
Stadtvereinigung zur Diskussion gestellt und auch die Stadt informiert.
Er möchte eine Lösung, wie sie in anderen Städten
bereits funktioniere. Konkret: ein Fixerstübli. "Es handelt sich
hier nämlich um ein Problem der Stadt und nicht von Coop", sagt
Stadelmann.
Am andern Ufer
Vor der Neugestaltung des Wuhrplatzes hatte die Szene ihren Platz
teilweise hinter Büschen südlich der Langete. Seither macht
sie sich an schönen Tagen unter dem Perron 1 auf der neuen Treppe
am nördlichen Ufer breit. Zumindest bei Regen drängten sich
aber die meisten mit einer Prix-Garantie-Bierbüchse in der Hand
unter dem Vordach von Coop. Das ist jetzt vorbei. - Weil sich die
Alkohol- zunehmend mit der Drogenszene mischt, musste Coop die
Kundentoiletten mit Blaulicht ausrüsten. Das führte zu
Problemen mit den älteren Kunden.
Coop verkauft das Bier selber
Stadtpräsident Thomas Rufener (SVP) nimmt die
Securitas-Patrouillen ganz einfach zur Kenntnis. "Coop hat auf seinem
Grund und Boden die volle Handlungsfreiheit", sagt er. Er sei von der
Massnahme bisher aber nicht in Kenntnis gesetzt worden. "Ich habe ab
und zu mit Kurt Stadelmann zu tun, aber im Jahr 2012 haben wir uns in
dieser Angelegenheit sicher noch nie gesprochen." Rufener spielt den
Ball denn auch gleich zurück: "Mich interessiert es sehr, ob die
Securitas-Patrouillen wohl auch dafür sorgen, dass die Leute aus
der Szene ihr Bier nicht mehr bei Coop kaufen können." Rufener
wundert sich im Übrigen, dass ihm in dieser Angelegenheit immer
wieder die gleichen Fragen gestellt würden. "Wir haben nun mal
keine rechtlichen Mittel, Personen, die keine strafbaren Handlungen
begehen, vom öffentlichen Grund zu vertreiben." Eine
Möglichkeit hätte die Stadt jedoch: Sie könnte eine
Anlaufstelle, einen Raum für die Leute aus der Szene, schaffen.
Aber genau das lehnt der Stadtpräsident ab: "Ich will absolut
keinen zugewiesenen Raum für diese Leute. Damit würde man
diesen Raum doch geradezu legitimieren."
Nicht mehr beim Löwen
Eine Gefahr, dass sich die vom Coop Tell Vetriebenen wieder im
Pärkli beim früheren Löwen niederlassen könnten,
sieht Rufener nicht. "Wer sagt denn, dass sie auf dem Wuhrplatz
weggewiesen werden?", so seine vieldeutige Antwort. Lässt die
Stadt die Randständigen nun also auf dem neuen Wuhrplatz entgegen
den früheren Beteuerungen doch gewähren? Rufener
bestätigt das insofern, als er dazu sagt: "Je belebter der Platz
ist, desto weniger fallen die Leute aus der Szene auf."
"Stören und helfen"
Der Stadtpräsident verweist zudem auf die Arbeitsgruppe
Sicherheit-Intervention-Prävention (SIP). Alle Beteiligten
beteuern, SIP funktioniere und entschärfe die Lage. Mindestens bis
Ende Jahr sollen die Mitarbeiter der Jugendfachstelle Tokjo mit den
Randständigen reden. Eigentlich hätten sie auch den Auftrag,
diese vom Coop-Areal wegzuweisen. Davon war bisher allerdings wenig zu
sehen. Die SIP-Leute wollen nach eigenen Angaben zugleich stören
und helfen. Fragt man die Weggewiesenen direkt, bekommt man - wenn
überhaupt - selten eine verständliche Antwort. Einer
erklärte aber recht bestimmt: "Wenn man uns auf dem Wuhrplatz in
Ruhe lässt, dann sind mir die Securitas vor dem Coop absolut
egal." Robert Grogg
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BZ 11.6.12
Ruhiges Wochenende mit Bräteln auf dem Bundesplatz
Stadt Bern. Nach der Grossparty vom vorletzten Wochenende blieb es am
vergangenen in Bern ruhig. Die Bar auf dem Vorplatz der Reitschule
blieb geschlossen. Wie von den Behörden versprochen, durften sich
die Gäste trotzdem dort aufhalten. Zum Grillabend auf dem
Bundesplatz kamen rund 30 Personen.
Etwa 10 000 vorwiegend junge Menschen zogen vorletztes Wochenende durch
Bern, um für mehr Party, weniger Konsum, mehr Freiräume oder
mehr Clubs zu demonstrieren - je nachdem, welchem Aufruf sie gefolgt
waren. Nachgerade ruhig verlief das Berner Nachtleben am vergangenen
Wochenende. Einem Aufruf der Reitschule unter dem Titel "Play your
Streetlife" folgten laut Nachrichtenagentur SDA etwa 15 Personen. Laut
Mediengruppe der Reitschule kamen am Samstagabend rund 30 Personen auf
den Bundesplatz, um dort miteinander zu essen. "Sie rollten Sushi,
assen hausgemachten Hörnlisalat und heizten auf zwei Grills ihren
Würstchen ein", so die Mediengruppe.
"Play your Streetlife" ist der Titel einer Aktion, die noch dreimal
wiederholt werden soll. Das Spiel besteht darin, den öffentlichen
Raum in Bern nacheinander zu einer Küche, einem Wohnzimmer, einem
Badezimmer und einem Schlafzimmer zu machen. Die Serie, die sich als
"urbane Intervention" versteht, geht laut Reitschule weiter: am 16.
Juni, 23. Juni und 30. Juni auf dem Bundes- oder dem Bärenplatz.
Behörden liessen picknicken
Das Picknick wurde von den Behörden geduldet. "Die Polizei fuhr
vorbei, wollte aber nicht mit uns grillen", sagte Tom Locher von der
Mediengruppe gestern auf Anfrage. Dem Aufruf auf Facebook seien etwa so
viele gefolgt, wie sich angemeldet hatten. Die Aktion war als
Fortsetzung der Tanzparade gedacht. "Bern wird uns nicht los", hiess es
im Aufruf zur Aktion "gegen repressive Reglementierungen des
städtischen Lebens".
"Sehr ruhiges Wochenende"
Geschlossen blieb an diesem Wochenende die Bar auf dem Vorplatz der
Reitschule, wie Besucher meldeten und die Mediengruppe bestätigte.
Das Ausgeh-Wochenende verlief aus Reitschule-Sicht sehr ruhig. "Neben
Konzerten im Rössli und Beizenbetrieb im Sous le Pont verbrachten
ein paar Hundert Menschen den Freitag- und Samstagabend auf dem
Vorplatz, spielten Pingpong und diskutierten", schreibt die
Mediengruppe. "Einige Jugendliche unterstrichen ihr Bedürfnis nach
Freiräumen und konsumzwangfreiem Nachtleben mit mitgebrachten
mobilen Soundsystemen." Auch in der Sonntagspresse war das Thema
Nachtleben und Freiraum ein Thema. Der "Sonntag" verglich die
Ausgangslage in Bern, Zürich und Chur. "Was ist los in den
Städten?", fragte die "NZZ am Sonntag". Die "SonntagsZeitung"
befragte Stadtpräsident Alexander Tschäppät im
Sonntagsgespräch unter anderem zum Nachtleben. mm
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20 Minuten 11.6.12
Beach-Wasser eingefärbt
BERN. Im Laufe der aktuellen Diskussion rund ums Nachtleben in Bern
sind am Wochenende die Jungen Alternativen aktiv geworden. Mitglieder
der Partei verübten einen Farbanschlag auf den Summer Beach auf
der Grossen Schanze, um gegen die Kommerzialisierung des
öffentlichen Raums zu protestieren. Das Wasser im Brunnen des
Stadtstrandes wurde von den Aktivisten am Samstag bei laufendem Betrieb
grün eingefärbt. "Wir nahmen ein Farbpulver, das sonst zum
Einfärben von Flüssen benutzt wird, um deren Verlauf zu
verfolgen. Es ist unbedenklich", so Aktivistin Seraina Patzen.
Nicht so harmlos fand man die farbige Attacke beim Summer Beach selbst.
Nach dem Anschlag wurde die Polizei gerufen. "Diese hat unsere Daten
aufgenommen", so Patzen, die aber keine Konsequenzen befürchtet.
Summer-Beach-Chef Beat Hofer war gestern für 20 Minuten nicht
erreichbar. NJ
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Bund 11.6.12
Kurz frottiert
Hände weg vom Glas, ihr Magistraten
Timo Kollbrunner
"Tanz dich frei" sagten vor zehn Tagen 10 000 Menschen zueinander - und
nahmen die Stadt Bern in Beschlag. Ein politisches Statement? Oder nur
eine Riesenparty? Für Roland Jakob, den Chef der SVP im Stadtrat,
war es vor allem eines: ein Saufgelage. Deshalb stellt er dem
Gemeinderat ein paar Fragen zum Genuss von Alkohol in der
Öffentlichkeit. "Tanz dich frei, beim Saufen bin ich auch dabei" -
so hat er seine Anfrage übertitelt, mit der er von der
Stadtregierung etwa erfahren will, was diese zu tun gedenke, damit
"Alkoholexzesse bei Partys auf öffentlichem Grund nicht zum Alltag
werden".
Und: Jakob erwartet vom Gemeinderat, dass er mit gutem Beispiel
vorangeht. Er verlangt Abstinenz. Oder zumindest sollen die Magistraten
künftig nur noch im Versteckten trinken. Jakob will nämlich
wissen: "Ist der Gemeinderat und insbesondere der Stadtpräsident
bereit, bis Ende Jahr bei öffentlichen Auftritten auf den Genuss
von alkoholischen Getränken zu verzichten, um ein Zeichen zu
setzen und den Jugendlichen zu zeigen, dass Partys und Veranstaltungen
auch ohne das Konsumieren von Alkohol Freude bereiten können?"
So zumindest wollte Jakob seine Frage stellen. Doch dann krebste er
zurück. Mit Kugelschreiber strich er die Worte "und insbesondere
der Stadtpräsident" satt durch, sodass da nun nur mehr steht: "Ist
der Gemeinderat bereit . . .". Warum dieser Rückzieher? Eine
Nachfrage zeigt: Die Tilgung Tschäppäts war aufoktroyiert.
Das Ratsbüro habe ihn geheissen, die Passage durchzustreichen,
sagt Jakob. "Sonst hätte ich die Anfrage nicht einreichen
können." Warum, wisse er selbst nicht genau, "wohl aus
Persönlichkeitsschutz".
Er habe Tschäppät nur deshalb explizit erwähnt, weil
dieser als Stadtpräsident eine besondere Vorbildfunktion und zudem
"viel Kontakt zur Szene" habe, beteuert Jakob - und entkräftet
einen bösen Verdacht: Auf keinen Fall habe er suggerieren wollen,
dass es gerade dem Stadtpräsidenten gut bekäme, die
Hände vom Glas zu lassen. "Sonst hätte ich Cüpli-Chef
geschrieben und nicht Stadtpräsident." Jakob selbst trinkt
übrigens laut eigener Aussage "sehr selten etwas".
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20 Minuten 11.6.12
Nach Tanz-Demo: Städte und Clubs machen mobil
BERN. Die Tanz-Demo vom vorletzten Wochenende zeigt Wirkung: Politik
und Clubs vernetzten sich, um das Problem anzugehen.
Die Berner Massendemo mit weit über 10 000 Demo-Teilnehmern hat
das Nachtleben auf das politische Parkett gebracht: Der Schweizerische
Städteverband ruft eine nationale Arbeitsgruppe ins Leben. Sie
soll den Städten Empfehlungen für die schwelende
Nachtleben-Problematik geben können. Auch die Clubbetreiber und
Kulturorganisationen machen mobil: Laut "SonntagsZeitung" wollen sich
diverse regionale Gruppierungen unter Federführung des
Dachverbandes der Schweizerischen Musikclubs (Petzi) erstmals auf
nationaler Ebene vernetzen. "Unser Ziel ist der Aufbau eines
schlagkräftigen Kulturnetzwerkes", sagt Petzi-Vertreterin Isabelle
von Walterskirchen. Schweizweit bestünden ähnliche Probleme.
Ein Ziel der Aktion: "Clubbetreiber brauchen mehr Rechtssicherheit bei
Klagen." Es dürfe nicht sein, dass jemand die Schliessung eines
Lokals im Alleingang erzwingen könne.
Der Berner Stadtpräsident Alexander Tschäppät zeigt
derweil in einem Interview mit der "SonntagsZeitung" Verständnis:
"Wir haben früher wildere Sachen gemacht als die Jungen heute."
Man müsse darüber nachdenken, ob für bestimmte Gassen
und Strassen die Toleranz für Lärm erhöht werden soll.
Das heutige Bewilligungsverfahren von Veranstaltungen hält er
für überholt: "Über Facebook bringt man in der Stadt
innert Stunden Tausende von Leuten auf die Strasse, da bringen
Formulare nicht mehr viel." AM
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Bund 11.6.12
Tanz-dich-frei-Schmierereien werden zum nationalen Thema
Berns Polizei habe das Bundeshaus während der Tanzdemo
ungenügend geschützt, moniert Nationalratspräsident
Hansjörg Walter (SVP).
Hanna Jordi
Nicht nur der Berner Gemeinderat darf sich derzeit mit den Echos der
Tanzdemo "Tanz dich frei" vom 2. Juni beschäftigen. Laut "NZZ am
Sonntag" dürfte eine Begleiterscheinung der Berner Jugendbewegung
bald Sache des Bundesrats werden. Dass einige Vermummte ungestört
die Fassade des Bundeshauses besprayen konnten, stösst
Nationalratspräsident Hansjörg Walter (SVP) nämlich
sauer auf.
Die Polizei war am Anlass in der Nacht vom 2. auf den 3. Juni zwar
präsent gewesen, hatte allerdings nicht interveniert, um
Eskalationen zu vermeiden. Ein Umstand, den Walter jetzt in der
Sonntagspresse beanstandete. "Ich war nicht zufrieden damit, dass die
Polizei nicht eingegriffen hat", lässt er sich zitieren, "in
solchen Fällen muss das Bundeshaus künftig geschützt
werden." Mit seiner Meinung steht Walter offenbar nicht alleine da - in
der Fragestunde vom Montag wollen mehrere, nicht näher bezeichnete
bürgerliche Parlamentarier vom Bundesrat wissen, wie der Schutz
des Parlamentsgebäudes künftig verbessert werden kann.
Verstärkung von aussen
Roland Jakob, Fraktionspräsident der SVP im Berner Stadtrat, freut
sich über die Unmutsbekundung seines Parteikollegen Walter. Auch
er ist in der letzten Woche tätig geworden und hat im Stadtrat
vier Vorstösse zur Tanzdemo eingereicht (siehe auch Seite 20): In
einem verlangt er vom Gemeinderat zu wissen, welche Gesetze im Rahmen
der unbewilligten Demonstration genau verletzt worden sind. Ein
weiterer Vorstoss heisst "Tanz dich frei - aber bitte ohne Sauerei" und
soll in Erfahrung bringen, wie viel Geld das Beseitigen des liegen
gebliebenen Unrats nach der Demo den Steuerzahler gekostet hat. "Ich
bin froh, dass der Ablauf der Tanzdemo auch von aussen beanstandet
wird", so Jakob auf Anfrage, "die Berner Stadtregierung zieht es
jeweils vor, die Vorkommnisse schönzureden."
Die durch die Schmierereien am Bundeshaus entstandenen Schäden
beziffert das Bundesamt für Bauten und Logistik laut "NZZ am
Sonntag" auf 50 000 bis 100 000 Franken. Das Bundeshaus bei
entsprechenden Anlässen umfassend zu sichern, sei "mit
verhältnismässigem Aufwand" allerdings kaum möglich,
urteilt das Bundesamt.
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NLZ 11.6.12
Ernst nehmen statt Anbiederung
Klartext. Mehr Freiheit und Party im öffentlichen Raum, das wollen
Junge. Und ernst genommen werden. Dazu gehört auch, dass man ihren
rhetorischen Tricks nicht aufsitzt.
Arno Renggli
"You gotta fight for your right to party", skandierten die Beastie Boys
schon 1986. Das Thema ist also nicht neu. 26 Jahre später fordern
junge Leute in der Schweiz mehr Freiheit im öffentlichen Raum, um
sich ausleben zu können. Die unbewilligte Strassenparty vor gut
einer Woche in Bern stand unter diesem Motto, rund zehntausend waren
dem Aufruf gefolgt.
Was ist davon zu halten in einer Zeit, wo das Ausgangs- und
Partyangebot in der Schweiz doch laufend grösser geworden ist? Und
wo im Ausland Junge auf die Strassen gehen, um für Demokratie und
Jobs zu kämpfen?
Kaum mehr Reibungsflächen
Das Phänomen kennt man aus fast allen Zeiten und Kulturen: Junge
rebellieren, suchen Identität und Profil in der Konfrontation mit
etablierten Kräften und Strukturen. Das ist legitim und
gehört dazu. In der heutigen westlichen Gesellschaft ist das aber
zunehmend undankbar, weil diese Gesellschaft selber von Jugendkulturen
und Jugendkult geprägt ist und dadurch wenig relevante
Reibungsflächen mehr bietet.
Weil wir alle ja irgendwie noch jung sind und dies um keinen Preis
aufgeben wollen, huldigen wir der Jugend mit einer beträchtlichen
Permissivität, was aber weder auf Gegenliebe noch Anerkennung
stösst. Und so geht es den vielen Jungen, die das Bedürfnis
nach öffentlichem Protest weiterhin haben, heute nicht mehr um die
Unabhängigkeit von autoritären Instanzen oder um sexuelle
Befreiung, sondern um Partys.
Die Jungen wollen ernst genommen werden, geben ihre Wortführer zu
Protokoll. Vordergründig könnte das heissen, dass man ihre
Forderungen zu erfüllen habe. Und die Jugend hat in der Tat auch
das Recht auf eine gewisse Anmassung. Im Gegenzug fällt auf, wie
vorsichtig die Gegenseite, namentlich Behördenvertreter,
argumentieren. Niemand will ja als Gegner der Jungen oder gar als
Spassbremse erscheinen.
Was heisst "ernst nehmen"?
Aber vielleicht steckt hinter diesem "ernst genommen werden" etwas
anderes: Vielleicht geht es darum, dass den Jungen ihr exklusives Recht
auf Jungsein geklaut wurde, weil wir eben alle jung sein wollen und uns
den wirklich Jungen anbiedern. Man kann die Generationenfrage nicht nur
durch eine vermeintliche Vermischung lösen. Es wäre für
beide Seiten besser, wenn man den pointiert auftretenden Forderungen
auch mit einer gewissen Standfestigkeit entgegentritt. Das wäre
dann "ernst nehmen".
Party als kulturpolitisches Thema
Zumal die Wortführer nicht weniger mit suggestiven Botschaften
arbeiten als die Politiker, die sie gerne kritisieren. So ist im
Zusammenhang mit Partys gerne von Kultur die Rede. Natürlich ist
alles Kultur, die inflationäre Verwendung dieses Begriffs ist
trendy. Aber man sollte nicht sofort in Ehrfurcht erstarren, wenn jede
jugendliche Freizeitaktivität als Kultur bezeichnet wird. Gleiches
gilt für die Verbindung mit politischem Engagement. Man kann ja
nicht behaupten, dass die Jugend überdurchschnittlich interessiert
wäre. Ob "the right to party" eine Botschaft von zentraler
politischer Relevanz ist, darf man hinterfragen.
Tricks mit Wörtern
Auch mit zahlenmässiger Betroffenheit lässt sich rhetorisch
tricksen: Gerne stellt man etwa die Zehntausend von Bern als
repräsentativ für heutige Junge und ihre Bedürfnisse
dar. Doch via Facebook und Twitter lassen sich heute ohne viel Aufwand
Leute von irgendwo her mobilisieren. Hingegen werden Menschen, die sich
an ihren Wohnorten etwa mit juristischen Mitteln gegen
Lärmimissionen wehren, rasch als Querulanten und Einzelfälle
bezeichnet. Die Bezeichnung "Lärm" wird sowieso lieber nicht
verwendet, die Rede ist von Geräuschen. Dabei wird ausgeklammert,
dass Lärm, etwa in der Nacht, weder eine Frage des Wohlklangs noch
der Lautstärke ist, sondern einfach das, was als störend
empfunden wird.
Aber das gehört halt zum "urbanen Wohnen", eine weitere
beschönigende Begrifflichkeit aus der Preisklasse "Gewinnwarnung".
Sie bedeutet, dass man in einer Stadt mit Belebtheit rund um die Uhr
leben muss. Dies ist durchaus wörtlich zu verstehen, denn ein Teil
dieser Szene versteht Nachtleben unbegrenzt und den Spass als
24-Stunden-Angebot sieben Tage pro Woche. Oder wie es ein Exponent im
letzten Zischtigsclub formulierte: "Eure Generation war vielleicht
morgens um drei langsam müde, wir sind es nicht." Ob das die
gleichen Leute sind, die gerne ein bedingungsloses Grundeinkommen
hätten?
Zwischen Lebens- und Partyraum
Schliesslich ist da noch die Tendenz, Bedürfnisse in ihrer
Wichtigkeit nicht zu differenzieren. Bei genauer Betrachtung
müsste man doch eigentlich einräumen, dass die Anliegen von
Leuten an ihrem eigenen Wohnort wichtiger sind als die von Leuten, die
meist von aussen anreisen, um sich zu amüsieren. Genauso sollte es
kein Menschenrecht sein, dass jeder irgendwo einen Club eröffnen
kann, der dann natürlich sofort als Kultur bezeichnet wird.
Überhaupt gibt es eine Symbiose zwischen der Partybewegung und der
kommerziellen Clubszene, wobei letztere im argumentativen Fahrwasser
mitschwimmt.
Ich bezweifle, dass die Partybewegung für die Mehrheit der
heutigen Jungen steht. Trotzdem: Sie darf ihre Wünsche
artikulieren, und dies auch mit jugendlich-lauten Mitteln. Dann muss
verhandelt werden, etwa welche Form von Nachtleben wo Platz haben soll.
So, dass eine Stadt auch bewohnbar bleibt, und dies nicht nur für
"urbanes Wohnen".
"Ernst nehmen" heisst, dass man die Forderungen hört, aber auch
kritisch überprüft und nicht aus Angst, uncool zu wirken, dem
Spassbedürfnis von Minderheiten zu sehr nachgibt. Auch damit Junge
den Widerstand erfahren, der entwicklungspsychologisch wichtig ist und
den sie im Grunde wieder suchen. Sie sollen an Grenzen gehen, diese
dann aber auch erleben. Wenn man im Zuge der allgemeinen
Jugendverherrlichung möglichst viel zulässt, bringt das am
Ende keiner Seite etwas.