MEDIENSPIEGEL 16. - 22. JULI 2012

BZ 21.7.12

Kritik nach Absage des Kongresses

Verein Nachtleben. Nach der Absage des Kongresses für mehr Freiräume geraten die anonymen Organisatoren in die Kritik. "Sie haben uns nie um Hilfe angefragt", sagt Thomas Berger, Präsident des Vereins Pro Nachtleben Bern.

Der Kongress "Recht auf Stadt" für mehr Freiräume in der Stadt Bern wurde am Donnerstag abgesagt. Dieser hätte vom 6. bis am 9. September in der Reitschule, im Progr und in der Brasserie Lorraine stattfinden sollen (wir berichteten). In einer Medienmitteilung hatte das anonyme Organisationskomitee (OK) vorgestern einen Rundumschlag an verschiedene Berner Organisationen verteilt. "Es erstaunt uns sehr, dass in Bern 18 000 Menschen an der Strassenparty ‹Tanz dich frei› teilnehmen und unzählige Soundsysteme organisiert werden können, während an einer inhaltlichen Auseinandersetzung offensichtlich kaum ein Interesse besteht", schrieb das OK. Namentlich kritisiert für die Zurückhaltung wurde das "neu entstandene Bündnis zum Nachtleben". Dazu gehört auch der Verein Pro Nachtleben Bern.

"Nie was gehört"

Thomas Berger, der jungfreisinnige Präsident des Vereins Pro Nachtleben Bern, wehrt sich: "Wir haben nicht eine einzige Anfrage für diesen Kongress erhalten." Er habe aus der Zeitung erstmals davon erfahren. "Unser Verein hätte ohne Probleme mehrere Leute für die Durchführung eines solchen Kongresses zur Verfügung gestellt", sagt Berger. Die Mitglieder seien nämlich politisch sehr aktiv. "Wir sind in mehreren Arbeitsgruppen zum Thema Nachtleben vertreten." Nächste Woche zum Beispiel stehe eine Besprechung in der Arbeitsgruppe Jugendbewilligung auf dem Programm.

Tobias Habegger

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Bund 20.7.12
http://www.derbund.ch/bern/stadt/StadtKongress-wegen-Desinteresse-abgesagt/story/16279884

Veranstaltung "Recht auf Stadt" ist abgesagt

Zehntausende Jugendliche tanzten sich am 2. Juni in der Stadt Bern an der Demonstration für das Nachtleben "frei" - und setzten ein starkes Zeichen für mehr Freiräume in der Bundesstadt. Diesen Themenkomplex abseits der Party auszudiskutieren, dafür scheint die Bereitschaft aber zu fehlen: Der bereits im Januar angekündigte Stadtkongress mit dem Slogan "Recht auf Stadt" ist abgesagt. Das "Organisationskollektiv" teilte gestern mit, wegen "offensichtlichen Desinteresses und Konsumverhalten, teilnehmen: ja, mitorganisieren: nein", sei der Kongress abgesagt worden. Das Kollektiv macht auch eine personelle Unterbesetzung für die Absage verantwortlich.

Der Kongress sollte zwischen dem 6. und dem 9. September in der Berner Reitschule, im Progr und in der Brasserie Lorraine stattfinden. Dabei bleibt unklar, wer eigentlich genau die Organisatoren des geplatzten Anlasses waren. Klar ist hingegen, womit man sich hätte auseinandersetzen wollen: erschwinglicher Wohnraum, "das Recht, Freiraum zu schaffen und zu nutzen" und "das Recht, unseren Lebensraum selbst zu gestalten". (bs/rym/sda)

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BZ 20.7.12
http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Kein-viertaegiger-Kongress-zu-staedtischen-Freiraeumen-in-Bern/story/19424056

Party gerne, debattieren lieber nicht

Kongress abgesagt. In Bern war im September ein viertägiger Kongress zum Thema städtische Freiräume geplant. Diesen haben die Organisatoren abgesagt.

Wegen "offensichtlichem Desinteresse" - auch von denjenigen Kreisen, die anlässlich von "Tanz dich frei" mehr Freiräume forderten.

Die Grossparty "Tanz dich frei" lockte Anfang Juni etwa 10 000 vorwiegend junge Menschen auf die Strasse. Gefordert wurden am Anlass unter anderem "mehr Freiräume" in der Stadt Bern. Orte, an denen man sich aufhalten kann, ohne etwas konsumieren zu müssen. An einem viertägigen Kongress wollte ein Organisationskollektiv ebendieses Thema aufnehmen. Vom 6. bis am 9. September sollte in der Reitschule, im Progr und in der Brasserie Lorraine über günstigen Wohnraum, Konsumzwang und Freiräume diskutiert werden. Gestern wurde der Anlass abgesagt. "Teilnehmen ja, mitorganisieren nein", diese Erfahrung habe man beim Vorbereiten gemacht, teilte das Kollektiv mit. Wegen "offensichtlichem Desinteresse" sehe man sich gezwungen, den Kongress abzusagen. "Es erstaunt uns, zu sehen, dass in Bern über 10 000 Menschen am ‹Tanz dich frei› teilnehmen, Freibier und Soundsysteme organisiert werden können, während an einer inhaltlichen Auseinandersetzung zu den Ursachen der kritisierten Politik offensichtlich kaum Interesse besteht." Man sei diesbezüglich wohl zu optimistisch gewesen. Die notwendige Unterstützung von anderen - wie etwa Unigruppen, Quartiertreffs und -leisten oder dem neu entstandenen Bündnis zum Nachtleben - sei beinahe gänzlich ausgeblieben. "Wir konstatieren enttäuscht - gerade auch in den sich als politisch verstehenden Kreisen - einen Mangel an Sensibilität für die politischen Hintergründe", schreiben die Initianten des Kongresses. Angedacht ist nun ein "Light-Programm". mm

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kulturagenda.be 19.7.12

"Dubtopia" im Reitschule-Innenhof

In der Dubszene ist das selbst gebastelte Soundsystem derzeit der letzte Schrei. Die Tüftler bauen dafür einen Boxenturm, wobei jeder Frequenzbereich der Musik sein eigenes Stockwerk kriegt. "Das spürt man vorne dran", sagt Heiko Wüthrich, einer der Veranstalter.
Das glauben wir gerne. Die Musik liefern Justice Rivah, Chris Dubflow und das Tengu Collective.
Innenhof der Reitschule, Bern. Sa., 21.7., 17.30 Uhr

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BZ 18.7.12

Ausgefeilte Arrangements

Konzert. Er ist eine Schlüsselfigur der Jazz- und experimentellen Szene Japans und ist an den Schnittstellen zwischen Jazz, Avant Garde, Rock, Improvisation und traditioneller Musik unterwegs: der Drummer, Komponist, Arrangeur und Bandleader Yasuhiro Yoshigaki . Sein neustes Projekt, das Orquesta Libre, nimmt sich einer nach musikalischen Vorlieben getroffenen Auswahl von "Standards" an, rekonstruiert diese in freien Interpretationen, in ausgefeilten Arrangements für ein zehnköpfiges Orchester.   pd

Heute, 20 Uhr Türöffnung, Tojo, Reitschule Bern, Info: www.dachstock.ch.

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St. Galler Tagblatt 18.7.12

Partystadt mit Konfliktpotenzial

Lausanne ist hip. Aber nicht allen macht das sprudelnde Nachtleben Freude. Wegen Belästigungen der Anwohner und Ausschreitungen ruft das Parlament alle Beteiligten zum Hearing. Die Parteien überbieten sich mit Vorschlägen.

Denise Lachat

Lausanne. Lausanne zählt nicht weniger als 32 Nachtclubs, die bis fünf Uhr morgens geöffnet sind: Eine beachtliche Zahl für eine Stadt mit knapp 137 000 Einwohnern. Kein Wunder, zieht der Waadtländer Hauptort mit seiner zentralen Lage Festfreudige aus der gesamten Westschweiz und auch aus dem grenznahen Frankreich an.

So richtig zur Partystadt entwickelt hat sich Lausanne seit der Abschaffung der Bedürfnisklausel 1995 und auch deshalb, weil gleichzeitig viel Raum frei wurde. "Kinos und Garagen wurden aufgegeben und zu Diskotheken umfunktioniert", erklärt der städtische Polizeidirektor, Marc Vuilleumier. In den letzten Jahren hat sich vor allem das umgebaute Flon-Quartier im Herzen Lausannes zu einer Art Open-Air-Festmeile gewandelt; in diesem kreativen Trendquartier liegt auch der grösste Club Lausannes, das MAD, das alleine 1200 Personen aufnehmen kann. "Dass Lausanne früher eine ruhige Stadt war, können die Jungen von heute kaum glauben", frohlockt Lausanne Tourismus auf seiner Webseite. Schätzungen zu Folge feiern jedes Wochenende zwischen 10 000 und 30 000 Partygänger in der Stadt, die sich längst von ihrem vormals bäuerisch-behäbigen Image verabschiedet hat.

Versuch mit der "heure blanche"

Doch nicht alle sind über das sprudelnde Nachtleben gleichermassen erfreut. Anwohner klagen zunehmend über betrunkene Gäste, die Krach machen und Abfall auf dem Trottoir hinterlassen, und die Polizei ist bei Raufereien rasch überfordert. Nun soll deren Präsenz trotz knapper Kasse verstärkt werden: Die heute 435 Ordnungshüter sollen mindestens 30 neue Kollegen bekommen, wie Vuilleumier sagt. Der PdA-Stadtrat ist auch bereit, über eine Wiedereinführung der Bedürfnisklausel nachzudenken oder den Alkoholverkauf einzuschränken. 70 Verkaufsstellen seien bis um 22 Uhr geöffnet: Vielleicht müsse hier ein Riegel geschoben werden, sagt der Polizeidirektor.

Einen ersten Versuch zur Eindämmung von Alkoholexzessen startete Lausanne letzten Oktober mit der Einführung einer "heure blanche". Von fünf Uhr morgens, wenn die Clubs die Türen schliessen, ist der Alkoholausschank in den Bars bis um halb sieben Uhr verboten. Die Polizei zieht gemäss Vuilleumier eine "eher positive" Zwischenbilanz; es gebe in den Morgenstunden weniger Betrunkene in den Strassen. Ganz anders beurteilt der Vizepräsident der Lausanner FDP die Massnahme. Ein Unsinn sei die "heure blanche", sagt der 34jährige Mathieu Blanc. So lungerten nur noch mehr alkoholisierte Partygänger auf den Strassen herum und machten Lärm, vor allem im Sommer. Viel gescheiter wäre es, die Öffnungszeiten der Clubs bis zu den Morgenfahrten der öffentlichen Verkehrsmittel zu verlängern und im Gegenzug den Alkoholausschank in der letzten Stunde einzuschränken. Die Idee wird auch von der SVP geteilt.

Es hagelt Vorschläge

Für die FDP ist die Entwicklung des Lausanner Nachtlebens so gravierend, dass sie die Einberufung eines Krisenstabs gefordert hat. Ganz so weit wollen die anderen Parteien nicht gehen. Immerhin aber studiert eine Kommission des Parlaments nun sämtliche Interventionen und lädt nach der Sommerpause alle Beteiligten zum Hearing ein. Denn seit sich Mitte Mai im Zentrum von Lausanne eine Massenschlägerei zwischen der Polizei und 200 Partygängern ereignet hat, überbieten sich die politischen Parteien mit Vorstössen. So verlangt eine PdA-Motion die Wiedereinführung der Bedürfnisklausel, was bei den meisten Bürgerlichen auf Widerstand stösst. Die SVP wiederum geht der Linken zu weit mit Vorschlägen wie der Einführung eines Trinkverbots für Spirituosen auf öffentlichem Grund. Einig sind sich SP und SVP hingegen, dass die Verkaufszeiten für Alkohol von heute 22 auf 19 Uhr eingeschränkt werden sollen; die SP will ab 19 Uhr ein totales Verbot, die SVP beschränkt sich auf Spirituosen.

Die Waadtländer SP-Ständerätin Géraldine Savary will sich zudem auf nationaler Ebene für eine Anhebung der Alkoholsteuer von heute 29 auf 35 Franken pro Liter einsetzen. Derweil nimmt die SVP die Eltern in die Pflicht. Fraktionschef Philippe Stauber sagt: "Wenn unter 18-Jährige nach Mitternacht noch unterwegs sind, sollen sie dafür eine Bewilligung ihrer Eltern vorzeigen."

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Gegen den Reguliereifer

Es waren andere Dimensionen als am Wochenende in St. Gallen. Mehr als 10 000 Personen demonstrierten Anfang Juni im Berner Zentrum unter dem Motto "Tanz dich frei" für mehr Freiräume und weniger Regulierung des Nachtlebens. Zurück blieben zwar Sprayereien, namentlich am Bundeshaus, und viel Abfall. Das illegale Strassenfest verlief aber weitgehend friedlich. Selbst CVP und FDP lobten die Demo, zumal die bisweilen ausufernde Regulierungsfreude der Stadt beim Gastgewerbe parteiübergreifend auf Kritik stösst.

Die Demo fand in einer Sommernacht statt, was den Aufmarsch zweifellos begünstigte. Dazu führten aber auch Vorfälle rund um das Berner Nachtleben. Zum einen hatte der Berner SP-Regierungsstatthalter Christoph Lerch mit einer Verfügung für die Reitschule den Unmut auf sich gezogen. Demnach soll die Bar auf dem Vorplatz bereits um 0.30 Uhr schliessen und Besucher wegweisen. Formal hielt sich der Jurist damit nur an das Recht und wollte für die Reitschule keine Ausnahme mehr machen. Bloss: Rund um die hässliche Schützenmatte, wo sich die Einfahrt in den Bahnhof und eine Strassenkreuzung befinden, herrscht ohnehin praktisch 24 Stunden viel Betrieb. Es ist einer der wenigen Orte, wo sich Konflikte zwischen Anwohnern und dem Ausgehvolk in Grenzen halten. Zum anderen musste der beliebte, langjährige Kellerclub Sous Sol bei der Nydeggbrücke nach einem Streit mit einer Anwohnerin schliessen, die Ruhe wollte. Zurzeit arbeitet der Gemeinderat an einem Konzept für das Nachtleben - ob sich die Situation dadurch verbessert, bleibt fraglich. (tga)

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BZ 17.7.12

Hauptsache Bern

Keine Bühne für Spielverderber

Adrian Iten ist Geschäftsführer und Teilhaber von Adriano’s Bar & Café in Bern.

Am 20. Juni trafen sich im Café Kairo ein paar Leute und machten, was Schweizer sehr gerne tun: Sie gründeten einen Verein. Zweck dieses Vereins: Bern ein hauptstadtwürdiges Nachtleben zu sichern. Nun ist es ja nicht so, dass dieser Verein etwa die Aufmerksamkeit auf dieses Thema gelenkt hätte. Dieses Thema ist fast so alt wie ich. Es ist auch nicht so, dass dieser Verein der erste wäre, der so etwas vorhat. Er ist der dritte in der Stadt. Bekult kümmert sich schon länger darum, dass die Stadt Bern ein hauptstadtwürdiges Kulturangebot hat, und der Verein Pro Nachtleben sorgt an der politischen Front dafür, das die Regierung die Stadt nicht schliesst.

Denn lange passierte gar nichts. Als über zehntausend auf die Strasse gingen, ein Fest feierten und auch noch etwas Freiraum forderten, richteten sich plötzlich Mikrofone und Kameras aus der ganzen Schweiz nach Bern. Diese wiederum holten den Stapi aus seiner Deckung hervor, diese Chance wollte er sich nicht durch die Lappen gehen lassen. Tschäppät berief einen runden Tisch ein. Politiker aller Lager, Hausbesitzer, Mieter und Hoteliers, Leistpräsidenten, Beizer und die Burger, die IG Aarbergergasse und alle Vereine, die in einer Form mit dem Nachtleben zu tun haben, setzten sich zusammen und fanden heraus: Hey, wir wollen alle ja fast das Gleiche: das friedliche und gütliche Zusammenleben in einer lebendigen, interessanten und farbigen Stadt.

Sei das mit grosszügigen Gartenbeizen im Sommer, einer Eisbahn auf dem Bundesplatz im Winter, einem mutigen Stadttheater und Kleinstbühnen. Mit einer Aarewelle zum Surfen, Gratisfreibädern und dann und wann einer Party, die so richtig kracht. Mit Clubs, welche die angesagtesten DJs der Welt nach Bern locken und Clubs, welche Indie-Rocker auf die Bühne bringen. Wers nicht glaubt - das wollen die Politiker und sogar die Behörden. Als drei Frauen im Mai eine Idee andachten, machten die Behörden unkompliziert und effizient mit. Entstanden ist ein Juwel der Spontaneität. Ein freier Raum zum Ausfüllen mit Ideen. Die Idee heisst Waschküche und ist an der Seftigenstrasse 16 zu finden. Aus einem leer stehenden Waschsalon wurde für drei Monate ein Kulturlokal. Die Initiantinnen haben die Nachbarn früh mit einbezogen und erhielten mehr Unterstützung, als sie sich träumten. Die Stadt dürstet nach freiem Raum.

Logo, kam die Lärmklage. Eine einzige. Obschon das Lokal im Wohngebiet um 22 Uhr schliesst. Dieser Klage halten die Initiantinnen über fünfzig Mails von begeisterten Waschküche-Gängern entgegen. Es kann nicht sein, dass Einzelne die Stadt und ihr Leben torpedieren. Das will die Stadt nicht, die Behörden wollen das auch nicht und die Nachtschwärmer schon gar nicht. Zusammen machen wir uns an die Arbeit und ändern das Umweltgesetz, indem wir etwa den Passus der "subjektiven Wahrnehmung" streichen. Denn diesem und anderen Unmöglichkeiten haben wir es zu verdanken, dass Frau Müller einen Club schliessen konnte. Im Alleingang.

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20min.ch 16.7.12

Gurtenfestival 2012: "I chönnt gränne vor Fröid"

Patent-Ochsner-Frontmann Büne Huber über zwei Dekaden Musik, Jugend-Aktivismus und warum seine Bandmitglieder "mutige Motherfu***r" sind.

Anne-Sophie Keller

Euch gibt es schon über zwei Jahrzente. Dann kommt ihr hierhin als alte Hasen und der Ganze Gurten dreht durch. Was machen Lieder wie "Scharlachrot" immer noch so speziell? Ich weiss es nicht. Es ist schwierig, das Feeling in Worte zu fassen. Dieses Festival ist das Wichtigste für uns. Wir haben vor vielen Jahren hier die Musik kennengelernt. Jetzt Interviews zu machen, ist eigentlich blöd.

Warum das? Wir sind wie auf Drogen. Wir waren sehr angespannt, als wir hochkamen. Es war gespenstisch ruhig, vor dem Auftritt. Dann hat sich die ganze Anspannung in Musik entladen. Das ist cool: Viele Bands spielen einfach ihre Lieder hinunter; ich hingegen bin mit mutigen huere Motherfu***rs hier oben. Das ist Hippiesound, es ist nicht abgekartet. Wenn du merkst, dass die Leute Freude haben, ist das ein Geschenk. I chönnt gränne vor Fröid.

Das macht ja ein gutes Konzert aus, oder? Ich glaube schon, dass der Funke stimmen muss. Wir hatten diesen Sommer ein Konzert, das richtig schlecht war. Es fing mit drei Staus an, dann bist du eh schon gestresst. Dann gehst du auf die Bühne und hast den Kopf schon voll, du bist die letzte Band, alle sind schon betrunken und hatten schon fünf Stunden Musik im Ohr. Dann bist du einfach ein grobmotorischer Wixer und spielst dein Zeugs ab. Das ist nicht sensibel, das ist nicht Musik machen. Es ist abliefern.

Wir war euer erster Auftritt hier oben? Das war immer ein Auftritt von grosser Bedeutung. Viele, die da Draussen stehen und eine Band haben, denken sich: Vielleicht stehe ich auch mal da oben. Unser erster Auftritt war ehrfürchtig, ich weiss noch jedes Detail.

Ihr wurdet mit den Worten "Hier kommt die Band, die auch spielt, wenn ihr auf der Strasse tanzt" angekündigt. Eine Anspielung auf euren Auftritt am "Tanz dich Frei"? Wir hatten zuvor im Solothurner Kofmehl einen Auftritt. Haben die Zugabe abgesagt und sagten: "Freunde, wir müssen jetzt noch nach Bern." Das war eine unvergessliche Nacht. Wir haben dort gespielt, weil wir die politischen Ideen der Reitschüler unterstützen. Unser Auftritt war ein Statement. Jede Jugend soll sich ihre Räume erkämpfen. Und wenn dann alte Schafseckel wie ich zeigen können, dass wir auf ihrer Seite sind, ist das wichtig.

Bist du damit zufrieden, wie es ausgegangen ist? Die Diskussionen, dass es politisch nicht mehr eindeutig war, haben mich genervt. Natürlich kamen nicht alle, wegen dem politischen Statement. Aber das ist doch klar in dieser Facebook-Welt, da kommen ein paar Leute, die wollten einfach etwas feiern - das war bei Zaffaraya nicht anders.

Was möchtest du dem Berner Stapi Alexander Tschäppät gerne mal sagen? Ich habe vorhin kurz mit ihm geredet, der ist gar nicht so daneben. So ein Anlass wie "Tanz dich Frei" war grossartig. Weder Polizei noch Jugend sind ausgetickt. Mamma Mia, in welcher Stadt findet so etwas statt? Die Polizei muss in Bern kein Exempel statuieren. Tschäppät sagte in einem Interview nach dem 2. Juni mal: "Eine Gesellschaft muss auch mit ihren Wiedersprüchen leben können." Das fand ich stark. Man muss mit Randständigen umgehen können. Die Reitschule macht genau das.

Wie habt ihr euer heutiges Publikum erlebt? Was schön war: Während unserem Auftritt zückte fast niemand das Handy, um ein Bild zu machen. Sie lebten im Augenblick. Es gibt mit Facebook und Co. viele starke Einflüsse. Manchmal muss man nicht alles fotografieren und teilen. Während dem Beischlaf schreibt man ja auch keine SMS. Das hat mit Hingabe zu tun.

Reden wir über die Musik. 1991 wart ihr mit "Schlachtplatte" in den Charts. Heute, über 20 Jahre später, wieder mit "Johnny - The Rimini Session Pt. 2". Zwei erfolgreiche Dekaden Musik also? Ich schaue dies mit grosser Dankbarkeit an. Es könnte auch ganz anders sein. Es hat sich auch technisch in der Musik viel verändert.

Was ist das Geheimrezept? Habt ihr immer den Puls der Zeit getroffen oder mit eurer Musik etwas gar Zeitloses erschaffen? Ich glaube, diese Band strahlt ein Lebensgefühl aus. Das kommt nicht von ungefähr, dass wir heute so aussehen, wie wir aussehen. Ich bin von Haudegen umgeben. Ich bin umgeben vorn mutigen Leuten, die über ihren Schatten springen und neue Räume ausloten. Wir wagen es, auf eine Bühne zu gehen und zu sagen: Vielleicht sehen wir beschissen aus. Wir sind keine Hollywood-Fuzzis, die etwas vorgaukeln, was nicht ist. Das ist etwas, was die Leute spüren.

2010 habt ihr mit dem Berner Symphonieorchester auf dem Bundesplatz gespielt. Ist eine Wiederholung geplant? Nein, stell dir auch vor. Das war eine dermassen grosse Kiste. Das war ein Orchester von 76 Leuten, das geht nicht ohne Sponsoren.

Ist das schade? Nein. Solche Sachen leben vom Moment, dann nicht mehr. Ich will ja nicht jede umgesetzte Furzidee wiederholen. Wir haben viel gelernt und verstanden, es war eine wunderbare Geschichte. Aber wiederholen wollen wir das nicht. Solch grosse Schiffe sind langsam zu steuern. Ich habe lieber agile, kleine Boote.

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Tagesanzeiger 16.7.12

Gute Nachtgeschichten

Gummischrot statt Gespräche

Alex Flach

Am Samstagabend hat die St. Galler Polizei eine unbewilligte Party in der Innenstadt, an der mehrere Hundert Menschen teilgenommen haben, mit Gummischrot aufgelöst. Wie in dieser Kolumne bereits berichtet, wächst in St. Gallen - wie in anderen Schweizer Städten auch - der Unmut der Jugend darüber, wie die Behörden mit ihren kulturellen Zentren und Bedürfnissen umgehen. Der Club Kugl, gegen den ein Nachbar seit Jahren wegen Lärmbelästigung vorgeht, wird zwar aufgrund eines Ende Juni gefällten Entscheids weiter bestehen, jedoch muss das Team um Geschäftsführer Daniel Weder Auflagen hinnehmen, die einen Betrieb nahezu verunmöglichen: Das Kugl darf maximal dreimal monatlich bis morgens um 3 Uhr geöffnet sein. Mit einem solchen Entscheid wird das Problem nicht gelöst, sondern der Unmut des Kugl-Umfeldes auf lange Sicht nur weiter geschürt.

Der Berner Stadtrat um Stadtpräsident Alexander Tschäppät (SP) scheint hingegen aus den Ereignissen von Anfang Juni, als über zehntausend Menschen in der Hauptstadt demonstrierten, zu lernen: "Die Behörden stellen sich nicht mehr automatisch auf die Seite der Anwohner und gegen das Nachtleben: Die Stadt schlüpft vermehrt in die Rolle der Vermittlerin", sagt Arci Friede (Club Bonsoir). Er traut dem neuen Frieden aber noch nicht so ganz.

In Zürich wiederum hat der Stadtrat mit den Jugendbewilligungen für Outdoor-Partys ein erstes Zeichen gesetzt, mehr aber auch nicht. Nach wie vor entzieht er sich jeder Diskussion mit den ortsansässigen Clubbetreibern und Veranstaltern, obwohl diese ihm erläutern könnten, warum es kaum bei den Protesten in Bern, auf dem Basler NT-Areal und in St. Gallen bleibt und warum auch Zürich keineswegs gegen weitere Zwischenfälle gefeit ist. Einige der heute etablierten Clubchefs stammen aus der illegalen Veranstalterszene und wissen allein schon von Berufs wegen, was die Leute umtreibt, die am Wochenende in St. Gallen auf die Strasse gegangen sind.*

Dubstep mit Exponenten wie Skrillex und Flux Pavillion ist zurzeit der erfolgreichste Clubsound-Stil der Welt. Er verhilft auch seinem Ursprung, dem Drum ’n’ Bass, zu einem zweiten Frühling. In Zürich feiern insbesondere die Veranstalter des Genre-Labels Liquicity um Bryan Wirth eine erfolgreiche Party nach der anderen, sodass sie sich nun offenbar überlegen, einen eigenen Club zu eröffnen. Gerüchten zufolge werden sie die Räumlichkeiten des jetzigen Diva-Clubs an der Langstrasse beziehen, an dessen Adresse sich früher der Club Das Haus des Schweizer Hip-Hop-Pioniers Claude Hunkeler befand.

Hunkelers vielseitiges und anspruchsvolles Das-Haus-Programm wurde damals zwar von allen Szene-Seiten gelobt, fand beim Publikum selbst aber nur wenig Anklang. Dies wiederum führte dazu, dass die Location bereits nach kurzer Zeit wieder schliessen musste. Inzwischen hat Claude Hunkeler zu Gott gefunden und organisiert für Rolf Hiltl, selbst ein gläubiger Christ, Partys in dessen vegetarischem Restaurant an der Sihlstrasse.