MEDIENSPIEGEL
30. JULI - 05. AUGUST 2012
Bund 4.8.12
http://www.derbund.ch/bern/stadt/Der-Pulverdampf-hat-sich-verzogen/story/17156510
Der Pulverdampf hat sich verzogen
Vor drei Monaten hat
Regierungsstatthalter Lerch Zwangsmassnahmen zur Reitschule
verfügt. Was haben sie bewirkt? Welche gelten überhaupt? Und
wo stehen die Verhandlungen zwischen der Reitschule und der Stadt Bern?
Eine Auslegeordnung.
Christoph Lenz
Viele in Bern sahen einen "heissen
Kultursommer" nahen, nachdem Regierungsstatthalter
Christoph Lerch (SP) Anfang Mai Zwangsmassnahmen zur Berner Reitschule
verfügte. Aktivisten und Jungpolitiker kündigten umgehend
Widerstand an. SP-Mitglieder legten Lerch den Parteiaustritt nahe. Der
Gemeinderat pfiff den Regierungsstatthalter zurück. Über
zehntausend Jugendliche und junge Erwachsene folgten den Aufrufen zu
zwei nächtlichen Demonstrationen in der Berner Innenstadt. Und in
nationalen Medien wurde plötzlich über Jugendkultur,
Freiräume und Nachtleben debattiert.
Drei Monate später hat sich der
Pulverdampf verzogen. Geblieben sind aber die Zwangsmassnahmen,
Probleme rund um die Reitschule und der vertragslose Zustand zwischen
der Stadt Bern und der Reitschule.
Welche Zwangsmassnahmen gelten
für die Reitschule?
Das Regierungsstatthalteramt hat im
Mai 17 Zwangsmassnahmen verfügt. Die Mehrheit betrifft die
Einhaltung des Gastgewerbegesetzes innerhalb der Reitschule. Unter
anderem wurden bauliche Anpassungen angeordnet, um Anwohner besser vor
Musiklärm zu schützen. Die Cafeteria etwa soll eine
Schallschleuse erhalten. Manche Massnahmen - etwa die Schliessung des
Vorplatzes im Juni - sind bereits erfüllt. Die Reitschule gibt an,
die Zwangsmassnahmen hätten "nicht grossen Einfluss auf den
Betrieb gehabt". Die meisten seien sowieso schon lange umgesetzt
oder - wie beim Vorplatz - gar nicht in Kraft getreten.
Was gilt auf dem Vorplatz?
Insbesondere jene Zwangsmassnahmen,
die den Vorplatz betreffen, stiessen auf Widerstand. Gegen fünf
dieser Massnahmen hat die Reitschule Beschwerde geführt. Anfang
Juli hat die kantonale Volkswirtschaftsdirektion dieser Beschwerde
aufschiebende Wirkung erteilt. Folgende Massnahmen gelten deshalb
einstweilen nicht:
Wegweisungspflicht: Gäste, die
nach 0.30 Uhr auf dem Vorplatz oder im Innenhof Getränke
konsumieren, müssen nicht weggewiesen werden.
Musikverbot bei der Vorplatz-Bar:
Vorläufig darf bei der Vorplatz-Bar Hintergrundmusik abgespielt
werden.
Beschränkung der
Grossanlässe: Pro Jahr sollte nur noch ein Grossanlass auf dem
Vorplatz bewilligt werden. Hier gilt bis auf weiteres die Regelung,
dass zwei Grossanlässe möglich sind.
Beschränkung der Konzerte:
Gemäss Regierungsstatthalter sollte auf dem Vorplatz nur ein
Wochenendkonzert pro Monat stattfinden. Einstweilen gilt das bisherige
Regime von zwei Wochenendkonzerten pro Monat und ausnahmsweise
Werktagskonzerten.
Meldefrist für Konzerte: Auch
hier ist die bisherige Regelung einer einwöchigen Meldefrist in
Kraft. Der Regierungsstatthalter verlangte eine 14-Tage-Frist.
Haben die Zwangsmassnahmen die
erhoffte Beruhigung bewirkt?
Regierungsstatthalter Lerch zieht ein
positives Fazit. Seit Mai könne von einer Beruhigung gesprochen
werden. Verbessert habe sich insbesondere die Situation rund um die
Cafeteria. Auch die Reitschule zieht ein positives Fazit - wenngleich
aus anderer Perspektive: Dank der Zwangsmassnahmen hätten "die
Reitschule und der Vorplatz viel Unterstützung aus der
Bevölkerung erhalten". Viele Jugendliche hätten
begonnen, sich für den Vorplatz einzusetzen. Mehr Leute als
früher hätten den Vorplatz aufgesucht, und deutlich mehr
Jugendgruppen hätten mit Akkusoundsystemen auf dem Vorplatz oder
unter der Eisenbahnbrücke Partys gefeiert.
Beruhigung trotz mehr Partys - wie
geht das?
Reitschulbesucher führen die
Entspannung der Situation sowohl auf die Vorplatzschliessung im Juni
als auch auf die anschliessenden Sommerferien zurück. Als Indiz
für eine Beruhigung dienen auch die Lärmklagen.
Wie viele Lärmklagen gingen seit
Anfang Mai zur Reitschule ein?
Abgesehen von den ausserordentlichen
Ereignissen (Nachtdemos im Mai und Juni) sind seit Anfang Mai bei der
Kantonspolizei rund zwei Dutzend Lärmklagen gegen die Reitschule
eingegangen. 18 Reklamationen - also rund 75 Prozent der Klagen -
stammen von "der gleichen Person aus dem Raum Bollwerk
Bern", wie das Regierungsstatthalteramt mitteilt. Der Kreis von
Anwohnern, die durch die Reitschule gestört werden, hat sich
gegenüber früher also verringert.
Seit 1. Januar gibt es keinen
Leistungsvertrag mehr zwischen der Stadt Bern und der Reitschule. Wo
stehen die Verhandlungen?
Nach Auskunft der Abteilung
Kulturelles wurden die Gespräche zwischen der Stadt und der
Reitschule vor kurzem abgeschlossen. Demnächst soll der neue,
für die Jahre 2013-2015 geltende Leistungsvertrag dem Gemeinderat
vorgelegt werden. Nach den Herbstferien dürfte das Stadtparlament
darüber befinden.
Im November 2011 hat eine
Mitte-rechts-Allianz im Stadtrat eine Verlängerung des
Subventionsvertrags um vier Jahre abgelehnt. Haben die Tanzdemos und
Debatten um Freiräume die Mehrheiten nun zugunsten der Reitschule
gekippt?
Davon ist nicht auszugehen. Im
November war es die GFL, die den bürgerlichen Parteien zum Erfolg
verhalf. Sie forderte von der Reitschule vier Zugeständnisse, die
in der mittlerweile berühmten Motion Mosza festgehalten wurden:
einen permanenten Sicherheitsdienst, ein schriftliches
Sicherheitskonzept, einen fixen Sicherheitsverantwortlichen und die
Schliessung des Reitschultors bei Demonstrationen. Eine "Bund"-Umfrage
bei GFL-Politikern hat ergeben, dass diese
Bedingungen weiterhin gelten. Daniel Klauser, Präsident der
GFL/EVP-Fraktion, sagt: "Wir werden uns den neuen Vertrag in Ruhe
ansehen. Wir bekennen uns zur Reitschule, erwarten aber, dass in der
neuen Version des Vertrags die Forderungen der Motion Mosza umgesetzt
werden." Die Reitschule wiederum "hofft, dass der Stadtrat
endlich von seiner Blockadepolitik abrückt und grünes Licht
für den Leistungsvertrag gibt. Es gab und gibt weder sachliche
noch politische Argumente, das Geschäft weiterhin zu
verzögern." Der Leistungsvertrag zwischen Stadt und
Reitschule beläuft sich auf 380 000 Franken jährlich.
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medienmarkt.de 01.08.12
http://www.musikmarkt.de/Aktuell/Features/Schweizer-Musikklubs-im-Visier-von-Nachbarn
Schweizer Musikklubs im Visier von Nachbarn
Klagt der Nachbar wegen Lärm, haben es Musikklubs in der Schweiz
schwer, sich erfolgreich dagegen zur Wehr zu setzen. Weil das
helvetische Rechtssystem mitunter eher den Einzelnen als die Interessen
einer interessierten Öffentlichkeit schützt. Trotz vieler
dichtmachender Musiklokale gibt es aus Zürich und Basel auch
Positives zu berichten.
In der Schweiz geht das Klubsterben um. Heißt es. Und Schuld
daran seien nicht Missmanagement, sondern Nachbarn, die Lärmklagen
erheben. Insbesondere in Bern hat das Thema hohe Wellen geschlagen.
Ende 2011 kapitulierte das Wasserwerk, weil 21 Personen Einspruch
erhoben hatten und sich abzeichnete, dass der Klub mit seinem Gesuch
auf Überzeitbewilligung bis fünf Uhr in der Früh nicht
durchdringen würde und weil man zusätzlich von den
Behörden verpflichtet wurde, die Räume mit immer weniger
Dezibel zu beschallen. Nicht besser erging es dem Sous Soul, das von
einer einzigen Nachbarin vor wenigen Monaten endgültig in die Knie
gezwungen wurde. "Nach langem Kampf gegen engstirnige Mitmenschen und
subjektive Entscheide von Behörden ist unser geliebtes Kulturlokal
in der Nacht vom 30. Dezember in Würde von uns gegangen", steht
auf der noch aktiven Website des Klubs zu lesen.
Patrick Gmür, Direktor Amt für Städtebau Zürich,
skizzierte beim Panel "Clubsterben oder alles Schall und Rauch?" beim
diesjährigen m4music , weshalb die Macht der Nachbarn in der
Schweiz nicht zu unterschätzen ist: "Anders als in Deutschland
schützt das eidgenössische Rechtssystem die Interessen des
Einzelnen sehr stark." Und weil das Gesetz bewusst vieles nur
umschreibe, bleibt viel Spielraum bei der Auslegung der Regeln. Einer,
der zunehmend genutzt wird, um sich gegen alles Mögliche zur Wehr
zu setzen.
Es geht um Ruf und Attraktivität einer Stadt
Isabelle von Walterskirchen, Geschäftsleiterin des Vereins PETZI,
der 95 nicht-gewinnorientierte Klubs und über 50 Festivals
vertritt, verfügt über eine lange Liste gefährdeter und
bereits geschlossener Musiklokale. Auf dieser figurieren etliche
verblichene Namen, die bis heute schmerzlich vermisst werden. So wie
die Luzerner Boa, das Herbert in Baden oder das Hafenbuffet in
Rorschach. Eine Aufzählung, aus der auch hervorgeht, dass das
Klubsterben nicht nur in einzelnen Landesteilen, sondern in der ganzen
Schweiz inklusive der Romandie - wo speziell die voranschreitende
Gentrifizierung den Lokalen das Leben schwer macht - droht. Und vor
allem: Die Lage verschärft sich. "In den letzten drei Jahren
wurden wohl mehr Klubs geschlossen als neu eröffnet", sagt von
Walterskirchen. Es sei ihr Eindruck, dass in der Schweiz das Interesse
des Einzelnen im Ernstfall oft höher gewichtet werde, als das
Interesse der breiten Öffentlichkeit, welche vom angebotenen
Nachtleben profitieren will. Mit dem Effekt, dass die Klubs häufig
auf der Strecke bleiben. Von Waltershausen kritisiert Mängel im
Vollzug. Messungen würden oft von Leuten getätigt, die sich
in "99 Prozent der Fälle" mit Industrieanlagen befassten und
dementsprechend nicht mit den Eigenheiten der Klublandschaft vertraut
seien. Bei PETZI würde man sich insbesondere wünschen, dass
die Behörden nicht nur Subventionen aussprechen würden,
sondern Musikklubs auch proaktiv unterstützten. Schließlich
tragen diese zur Kultur bei. Und die wiederum ist mitentscheidend, wenn
es um Ruf und Attraktivität einer Stadt geht.
Auch die Berner Reithalle steht immer wieder zur Debatte. Das scheint
Sabine Ruch, Veranstalterin Dachstock, jedoch nicht weiter umzutreiben.
Die Reithalle, die seit 2004 einen Mietvertrag und einen
Leistungsvertrag mit der Stadt besitzt, habe nun mal einfach Nachbarn,
die sich auf die Fahne geschrieben hätten, dem alternativen
Kulturzentrum ein Ende zu setzen. "Bei uns entstehen Lärmklagen in
erster Linie durch junge Menschen, die bei uns auf dem Vorplatz stehen
und überall sonst weggeschickt werden", erklärt Ruch. "Dabei
ist die Stadt doch froh, dass diese Kids bei uns sind." Und nicht
woanders.
Wer an einem Ort wie Bern lebe, muss mit Lärm rechnen oder halt
aufs Land ziehen. "Ich selber schlafe mit Ohrenstöpseln",
antwortet Ruch auf die Frage, ob sie denn Verständnis für die
vielen Lärmklagen habe. Mit anderen Worten: nein. Am 11. Mai
traten auch für die Reithalle verschärfte Betriebsauflagen in
Kraft. Was in Bern zu Demonstrationen führte. Diese hätten
ein Zeichen gesetzt und immerhin zu Diskussionen auf breiter Ebene
geführt, was Ruch als positiv erachtet. Aber eine Prognose, ob
sich die Lage für die Berner Klubs zukünftig entspannt, will
sie dennoch nicht wagen.
Positive Signale aus Zürich und Basel
In Zürich und Basel scheint die Situation einiges entspannter. Was
nicht heißen soll, dass man keine Probleme kennt, aber die
Zürcher Behörden sind sich bewusst, wie erheblich Musikklubs
zum guten Namen der Stadt beitragen. Auch Philippe Bischof, Leitung
Abteilung Kultur Basel-Stadt, sieht seine Stadt "in kulturell positiver
Bewegung". Und meint: "Die Behörden scheinen im nationalen
Vergleich tolerant und konstruktiv zu sein, selbst wenn die Szene das
nicht immer so wahrnimmt." Eine breit angesetzte Umfrage unter den
lokalen Musikklubs habe gezeigt, dass diese mit der Lage der Dinge und
der Kollegialität untereinander ziemlich zufrieden sind. "Aber es
ist dennoch nicht alles rosig, Probleme liegen gewissermaßen auf
der Lauer", betont Bischof und nennt als mögliche neuralgische
Punkte Bewilligungsfragen oder eine zunehmende Konkurrenz mit anderen
Städten und unter den Klubs. "Basel setzt das Thema Klubszene auf
die politische Agenda und bringt damit zum Ausdruck, dass dieser
Bereich ein wichtiger Bestandteil des städtischen Kulturlebens ist
und nicht bloße Unterhaltung oder kommerzielle Angelegenheit."
Qualifizierte Klubkultur müsse gefördert, zwar nicht
unbedingt subventioniert, aber durch entsprechende Rahmenbedingungen
ermöglicht werden, sagt Bischof. Ein Statement, das man in dieser
Deutlichkeit auch gerne mal aus anderen Schweizer Städten
vernehmen würde.
Michael Gasser