MEDIENSPIEGEL 19. - 25. NOVEMBER 2012

NZZ am Sonntag 25.11.12

 

Bern ist eine grossartige Stadt (meistens jedenfalls)

 

Die Stadt Bern gilt als verschlafen, rückständig und arm. Das Bild ist falsch. Bern hat vieles, was Städten wie Zürich fehlt, schreibt der Zürcher Michael Furger


lotterbude

Ernst wird Bern schon lange nicht mehr genommen im Gockelkampf um den Titel der tollsten Schweizer Stadt. Lieblich, charmant, aber ein Nonvaleur im Städte-Wettbewerb - so denkt man jedenfalls in Zürich, Genf oder Basel. So dachte man wohl auch im Bundesamt für Raumplanung und versetzte Bern vor drei Jahren in die zweite Städte-Liga hinter all die super-dynamischen Citys im Rest der Schweiz.

 

Die Berner dürfen hoffen, dass sich dieser Irrtum so bald nicht auflöst. Sonst würden plötzlich alle nach Bern wollen. So aber lebt man gut in einer unterschätzten Stadt. Aus Sicht des Zürchers, der vor zwei Jahren hierhergezogen ist, kann man sogar sagen: Man lebt hier ausgezeichnet.

 

Ich höre schon den Einwand: Natürlich geht's den Bernern gut, sie liegen schliesslich der ganzen Schweiz auf der Tasche. Sofort kommt die Milliarde ins Spiel, die jedes Jahr über den Finanzausgleich in den Kanton Bern fliesst. Aber Obacht: Die Stadt Bern ist nicht der Kanton Bern. Die Stadt schreibt seit elf Jahren schwarze Zahlen - im Gegensatz zu Zürich übrigens. Wenn die kriselnden Banken als Steuerzahler ausfallen, stöhnen die Zürcher, weil es ihnen das Budget verhagelt. Die Berner kennen dieses Klumpenrisiko nicht. Darum geht hier auch nicht die Job-Angst um, wenn die Banken einen Stellenabbau ankündigen. Bern ist zwar nicht dynamisch, dafür stabil. Es muss nicht jede Stadt wachsen auf Teufel komm raus.

 

Das Image leidet wegen des darbenden Kantons. Im Grossraum Bern lebt rund ein Drittel der Kantonsbevölkerung und erarbeitet 55 Prozent des Wohlstands. Das hat nicht übermässig viel mit der Leistung der Stadtregierung zu tun, die heute Sonntag neu gewählt wird. Bern profitiert davon, dass sie nicht unter den Wachstums-Schmerzen boomender Städte leidet. In Bern kann man zu fairen Preisen schön wohnen. Eine Viereinhalbzimmerwohnung kostet hier laut einer Studie von Comparis im Schnitt 2100 Franken, in Zürich sind es knapp 3000 Franken, in Genf fast 4000 Franken. Diese Unterschiede wiegen sogar die etwas höheren Steuern auf. Wer unter 250 000 Franken verdient, lebt in Bern günstiger als in Zürich und Genf.

 

Von einem Verkehrsproblem hat man hier noch nie etwas gehört. Wer unbedingt will, kann jederzeit staufrei mit dem Wagen in die Innenstadt fahren, wo praktischerweise alles Nötige auf einem halben Quadratkilometer zusammengefasst ist. Läden, Restaurants, Bars, Kinos, Märkte. Auf diesem Raum schafft es Bern sogar, Nischen freizuhalten. Während Zürich seine Bahnhofstrasse für globale Ladenketten leer räumt, stehen in Bern winzige Läden neben grossen Warenhäusern.

 

Der Berner hat einen Sinn für das Kleine und Feine. Am Wochenende, an dem Hunderttausende an der Street Parade durch Zürich hüpfen und fast 100 Tonnen Abfall verteilen, findet in Bern jeweils das Strassenmusik-Festival Buskers statt. Musikanten spielen in normaler Phonstärke, die Speisen werden auf Öko-Geschirr gereicht. Zürich gebärdet sich narzisstisch und verschwenderisch, Bern gibt sich entspannt und ökologisch.

 

Klar, es läuft nicht alles rund in dieser Stadt. Manchmal wäre der Berner schon gerne ein bisschen wie der Zürcher. Leichte Bewunderung hegt er für die Stadt, wo so vieles möglich scheint, etwa dann wenn er damit hadert, dass ein Musikklub wegen einer einzigen Lärmklage schliessen muss. Aber diese Momente gehen vorbei, und der Berner ist bald wieder ganz bei sich und seiner Stadt. Der ehrliche Stolz auf seine City ist das Auffälligste hier. Als Zürcher liegt das einem fern. Zürcher sind stolz auf sich selbst und darauf, dass sie sich in Zürich halten können. Die Berner hingegen sind stolz auf Bern, auf ihren Fussballklub, auf ihren Eishockeyklub, auf die Aare und aufs Marzili-Bad. Man ist sogar stolz darauf, dass die alternative Reitschule hier Platz hat, übrigens ein grossartiges Beispiel für das Berner Selbstbewusstsein. Direkt am Bahnhof steht die Lotterbude. Die Zürcher hätten so was längst verschämt plattgemacht. In Bern darf sie - so hat das Volk an der Urne stets entschieden - stehen bleiben.

 

Und so ist Bern eine grosse Stadt mit einer Souveränität und einer Warmherzigkeit, die man für ein Klischee hielt, bis man sie selbst erlebt hat. Wer nach einer Stunde Zugfahrt von Zürich in Bern aussteigt, findet andere Leute vor. Niemand bläst sich hier auf. Man wird an Partys nicht gleich nach seinem Beruf gefragt wie in den Karriere-Citys. Es gibt vor Klubs und Bars auch keine Türsteher, die entwürdigende Gesichtskontrollen vornehmen. Niemand wird abgewiesen, weil das Outfit nicht stimmt. Man ist freundlicher hier, gelöster, authentischer. Das macht das Leben viel entspannter.

 

Die Zürcher wollen cool sein. Die Berner sind es.

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Bund 24.11.12


Als Kapitalisten beschimpft


Von Milena Krstic

Heldin der Arbeit - In der Reitschule ist Feuer unter dem Dach. Vor allem dann, wenn dort 750 Menschen feiern. Sabine Ruch entscheidet mit, wer das Publikum im Dachstock unterhalten darf.

 

Dachstock-Sabine

 

Bevor Sabine ihren Nachnamen nennt, lacht sie heiser auf und spricht dann deutlich: "Ruch". Müde sei sie, das Constellation-Records-Festival letztes Wochenende hat seinen Tribut gefordert. Es sind einige Nächte, die Sabine Ruch in 12 Jahren Dachstock durchgemacht hat. Dann, wenn es in Bern dunkel wird, beginnt ihre Arbeit so richtig. Dann sieht sie auch das Ergebnis des tagelangen Planens und Organisierens. Die Dame mit der blonden Mähne und dem bestimmten Auftritt entscheidet mit, welche Bands im Dachstock spielen und welche DJs hinter die Plattenteller dürfen. Sie tut es offensichtlich erfolgreich, denn der Dachstock hat seit Jahren einen etablierten Platz in der Schweizer Kulturagenda und ist über die Landesgrenzen hinaus bekannt. In der Musikauswahl setzt sie nebst Publikumsgaranten wie Müslüm und Bonaparte auf Alternatives und noch eher Unentdecktes. Genau so, wie es Ruch mag.

 

"Man kann mich für arrogant halten, wenn ich sage, dass ich weiss, was musikalisch passt und als Nächstes gefragt sein könnte", sagt Sabine Ruch und erklärt: "Aber das muss ich, schliesslich bin ich Bookerin." Leidenschaft für Musik und einen starken Eigensinn habe sie schon immer gehabt. Dank einem Drogenpräventionsprojekt des Gymer Neufeld kam sie dann zur Reitschule. An vielen Sonntagen kochte die damals 16-jährige Schülerin für die Gassenküche. Irgendwann landete sie als Servicefrau und Köchin im hauseigenen Restaurant Sous le Pont.

 

Dass die Reitschule kollektiv geführt ist, könne manchmal anstrengend sein: "Wenn alle die Möglichkeit haben, sich einzubringen, wiederholen sich Anfängerfehler. Das zehrt an den Nerven. Andererseits hat man so die Möglichkeit, autodidaktisch zu lernen, wie ein Betrieb funktioniert." Kollektiv hin oder her: Auch oder gerade in basisdemokratisch organisierten Vereinen brauche es Regeln. Sabine Ruch bestimmt diese mit. Ein paar Jahre hat sie Englisch an der Uni Bern studiert. "Als ich mich durchs Latein kämpfen musste, blieb nicht mehr genug Zeit für den Dachstock. Da habe ich mich entschieden." 2008 hat sie das Nachdiplomstudium als Kulturmanagerin gemacht, sich "den Wisch abgeholt". Es sei ja schön, dass sie mittlerweile so viel Erfahrung habe, aber "Reitschule" im Lebenslauf stehen zu haben, könne auch auf Skepsis stossen. Kann sie sich vorstellen, in einer grossen Event-Firma zu arbeiten? Überraschend lange kommt keine Antwort, dann: "Ich habe mich nicht für ewig verpflichtet." Etwas Angst habe sie, den richtigen Moment für einen Abgang zu verpassen: "Ich sehe, wie andere Menschen sich entwickeln, wenn sie zu lange in solchen Strukturen arbeiten. Sie resignieren und mögen sich den Mühseligkeiten, die ein Kollektiv mit sich bringt, nicht mehr unterordnen."

 

Das Arbeitsumfeld reagiere manchmal etwas missbilligend, gerade auf ausverkaufte Partys: "Dass wir diese Anlässe brauchen, um finanziell überhaupt zu überleben, stösst oft auf Unverständnis. Da wurden wir auch schon Kapitalisten geschimpft." Diese Partys seien aber eine Art der Quersubventionierung, denn staatliche Unterstützung würde bedeuten, sich einem Kulturdiktat zu beugen. Nichts für Ruch, und schon gar nichts für den Kollektivgedanken. Auch ihr sind nicht alle Partys ganz geheuer, aber: "Sogar wenn wir eine Band haben, die uns die Hütte füllt, schaut am Ende ein eher lächerlicher Reingewinn heraus. Leute, die ein Sophie-Hunger-Konzert besuchen, trinken nun mal wenig."

 

Wenn sich Sabine Ruch in Ruhe ein Konzert anhören will, geht sie rüber ins ISC oder gleich in eine andere Stadt: "Im Dachstock kann ich mich selten entspannen und vom Arbeits- in den Freizeitmodus schalten." Die Kommerzialisierung der Reitschule kommt für sie nicht infrage: "Die Reitschule soll ein Ort der alternativen Begegnung und Bewegung bleiben." Und dafür wird sich die Dachstock-Sabine weiterhin einsetzen.

 

25 Jahre Reitschule
www.reitschule.derbund.ch

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kulturstattbern.derbund.ch 23.11.12

http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/blog/2012/11/23/dogs-bollocks-und-gloria-volt/

 

Dogs Bollocks und Gloria Volt

 

Von Gisela Feuz am Freitag, den 23. November 2012, um 01:37 Uhr

 

 

Die Match-Auswirkungen waren zu spüren: Das Publikum kam spät ins Rössli und an der Bar nickten die Bier- und Schnapsreicher zwar ordentlich zur gebotenen live Musik ab, die Augen aber hatte man auf den Laptop-Bildschirm gerichtet, wo YB ein 2:2 gegen Liverpool herausholte. Dabei wurde auf der Bühne doch ordentlich viel geboten: Zu Besuch und live übertragen auf RaBe 95,6MHz waren Basel und "Winterthur Hardrock City" alias The Dogs Bollocks und Gloria Volt. Viel nackte Haut, einwandfreie Instrumenten- und Stimmbearbeitung und grossartige Hardrock-Posen wurde geliefert. Bravo, die Herren!

 

PIM PETER , MARINO MARRONI, GLORIA GOODKNIGHT, FREDI VOLVO und LORD LATEX, hihi *ähem*

 

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20 Minuten 23.11.12

 

"Mit der Reithalle lassen sich Wähler mobilisieren"

 

BERN. Zwei Tage vor dem Showdown: Der Politologe Adrian Vatter erklärt, wer gute Wahlchancen hat.

 

Stapi Alexander Tschäppät kann schon jetzt den Champagner für seine Wiederwahl kalt stellen. Korrekt?

 

Die Bürgerlichen sind einfach zu zerstritten. Es ist ihnen nicht gelungen, ein Schwergewicht als Gegenkandidaten aufzubauen. Zudem ist Tschäppät bekannt und populär.

 

Spannender ist das Rennen um die zwei bürgerlichen Sitze. Wer macht das Rennen?

 

Als gute Wahlkämpfer haben der bisherige Reto Nause (CVP) sowie Alexandre Schmidt (FDP) mit der stärksten bürgerlichen Kraft im Rücken die besten Karten, die Nachfolge von Barbara Hayoz anzutreten.

 

Die Reithalle dominierte erneut den Wahlkampf. Warum setzen Parteien so auf dieses Thema?

 

Die Reitschule ist halt ein ideologisch und emotional stark aufgeladenes Thema, mit dem sich sowohl bei links als auch bei rechts gut eigene Wähler mobilisieren lassen. Mit der Wohnungsnot, der angespannten Finanzlage oder der Positionierung von Bern als Hauptstadtregion gäbe es eigentlich genügend andere Diskussionspunkte.

 

Warum war die Luft beim Wahlkampf schon früh draussen?

 

In der Stadt Bern sind die Mehrheiten relativ stabil, es gab keinen eigentlichen Kampf ums Stadtpräsidium. Deshalb fehlte es an Spannung - der Wahlkampf war langweiliger als in früheren Jahren.

 

Adrian Müller

 

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kulturagenda.be 22.11.12

http://www.kulturagenda.be/aktion/kolumnen/klartext/zum_reitschul-fotobuch/


Klartext zum Reitschul-Fotobuch mit Fabian von Unwerth

 

Fabian von Unwerth hat zusammen mit Luca Christen ein Jahr lang in der Reitschule fotografiert. In Bälde erscheint das Fotobuch "Rosskultur" der beiden, das, ergänzt mit Texten, ihre Sicht auf die Reitschule zeigt - auf die seit 25 Jahren verehrte und verachtete Kulturinstitution, deren Leistungsvertrag letzten Donnerstag nach langen Diskussionen vom Berner Stadtrat abgesegnet wurde.

 

Herr von Unwerth, welche Reitschule zeigt Ihr Buch?

 

Wir wollen ein Gefühl zur Reitschule vermitteln. Das Buch enthält Porträts von Künstlerinnen und Künstlern, die im letzten Jahr aufgetreten sind, sowie von Reitschülerinnen und Reitschülern, die in die Kulturveranstaltungen involviert sind. In einem zweiten Teil stehen persönliche, meist lyrische Texte über das Haus. Besucher, Künstler und Reitschüler kommen zu Wort. Auch Baze und Endo Anaconda haben einen Beitrag verfasst. Der dritte Teil ist wiederum ein Bildteil mit Stillleben, die eine Reitschulstimmung vermitteln sollen.

 

Geben Sie das Buch bewusst auf das 25-Jahr- Jubiläum heraus?

 

Das ist eher eine glückliche Fügung, gerade auch, weil in diesem Jahr in und um das Haus viel passiert ist. Eine erste Idee war, ein Buch über das Berner Nachtleben zu machen. Wir beschränkten uns dann aber auf die Reitschule.

 

Weswegen?

 

Weil sie für uns der wichtigste Kulturort der Stadt ist, den wir selbst oft besuchen.

 

Konnten Sie denn die Reitschule auch mit kritischen Augen betrachten - oder waren es nur liebende Augen?

 

Das Buch ist eine Hommage, aber darin ist nicht alles positiv. In erster Linie ist es ein Kunstfotobuch und die Texte sind eher lyrisch. Wir wollen mehr ein Gefühl vermitteln und keine politischen Grundsatzdebatten führen. Doch deswegen ist noch nicht alles eitel Sonnenschein. Innerhalb der Reitschule gibt es auch Konflikte, und der basisdemokratische Aufbau kann dann und wann auch hinderlich sein bei Entscheidungen.

 

Sie sind mit der Reitschule also vertraut. Haben Sie trotzdem Dinge gesehen, die erstaunten?

 

Erstaunt hat mich wie viele Leute, wie viele Künstler, auch von der Kunsthochschule, sich engagieren. Es gibt so viele Veranstaltungsgruppen in diesem Haus, die etwas auf die Beine stellen.

 

Sie sind vielen Künstlern begegnet. Welche Erinnerung sticht heraus?

 

Es sind so viele, wir haben von Oktober letztes Jahres bis Oktober dieses Jahres fotografiert! The Extra Action Marching Band und Jessie Evans waren sehr toll. Oder das Konzert der Kummerbuben: Kurz vor dem Auftritt wurde Simon Jäggi Vater, feierte dann mit dem Publikum. Das war ein grosser Moment.

 

Wie haben Sie zuletzt die politische Diskussion um den Leistungsvertrag erlebt?

 

Die Diskussion hat bestätigt, dass es eine klare bürgerliche und eine klare linke Haltung gibt, die gefestigt sind. Die Mehrzahl der Berner sind der Meinung, dass die Reitschule ein sehr wichtiger Kulturort ist, der über die Stadt hinausstrahlt.

 

Interview: Michael Feller

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.Rosskultur., 100 Seiten. Buchpremiere am 6. und 7.12. am Artsouk im Dachstock der Reitschule

www.dachstock.ch

www.rosskultur.ch

 

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Bund 22.11.12

 

Wiglaf Droste

 

Ein effizienter Kommunikator

 

Wenn Wiglaf Droste die Stelle wechselt, dann hat er wohl zuvor eine besonders bissige Kolumne verfasst und sich wahlweise mit Feministinnen, ehemaligen DDR-Bürgerrechtlern oder dem Chefredakteur angelegt. Effektvoll kommunizieren kann der Satiriker allemal. Er wird also nicht mit Glaubwürdigkeitsproblemen zu kämpfen haben, wenn er aus seinem Buch "Sprichst du noch, oder kommunizierst du schon?" vorliest. (hjo)

 

Tojo-Theater Mi, 28. November, 20.30 Uhr.

 

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kulturagenda.be 22.11.12

 

Wiglaf Droste liest im Tojo

 

Der Anzug ist klassisch, der Mann, der ihn trägt, auf dem Weg zum Klassiker: Der Kolumnist Wiglaf Droste beherrscht die Kunst, die Sprache beim Wort zu nehmen. Damit wird er aber nicht pingelig und lehrerhaft, sondern zum witzigen Spötter über die Sitten der Zeit. "Sprichst du noch oder kommunizierst du schon?" heisst sein neues Buch.

Theater Tojo in der Reitschule, Bern. Mi., 28.11., 20.30 Uhr

 

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kulturagenda.be 22.11.12

 

3 Kulturtipps von Matto Kämpf

 

Der Berner Autor Matto Kämpf ist Mitglied der Spoken-Word-Gruppe "Die Gebirgspoeten". Zusammen mit Achim Parterre und Rolf Hermann dreht er die Mythen der Schweiz durch den Fleischwolf des schwarzen Humors. Die Gebirgspoeten taufen ihre neue CD

 

1. .Die Dällebach-Macher. im Tojo Theater der Reitschule (Mi., 21., bis Sa., 24.11., 20.30 Uhr)

Vor zwei Jahren stand das Stadtoriginal Dällebach auf der Thuner Seebühne. Gleichzeitig zeigte das Trio Nater/Glatthard/Bachmann ein Stück über die Entstehung und die Hintergründe dieses Musicals. Nun gastiert dieser Dällebach in der roten Kiste im Wankdorf, und im Tojo läuft wiederum das kluge und witzige Gegenstück dazu.

 

2. Carlo Lischetti im Kunstmuseum Bern @ Progr (Ausstellung bis 8.12.)

Seine lustige Sicht der Dinge ist stets wieder eine Freude.

 

3. Baby Jail im Ufo Club Biel (Sa., 24.11., 22 Uhr)

Die beste Schweizer Band - endlich wieder auf Tour.

 

Einen Freund, der mit Baby Jail nichts anfangen kann, würde ich überreden mitzukommen,...

... weil es in Biel immer schön ist.

 

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kulturagenda.be 22.11.12

 

"The Inner Tour" im Kino der Reitschule

 

In "The Inner Tour" (2001) organisiert ein palästinensisch-israelisches Filmteam für eine Gruppe Palästinenser eine dreitägige Israel-Rundreise. Dem israelischen Regisseur Ra’anan Alexandrowicz (Bild) gelingt es, einen anderen Blickwinkel auf den sich endlos hinziehenden Konflikt im Nahen Osten zu ermöglichen.

Kino Reitschule, Bern. Sa., 24.11., 19 Uhr

 

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WoZ 22.11.12

 

Palästina / Israel

 

Das Palästinaproblem scheint unlösbar. Wo liegen die Ursachen der Dauerkrise? Die Autorin Tamar Amar-Dahl spricht mit der in Israel aufgewachsenen und heute in Deutschland lebenden Autorin Shelley Berlowitz über ihr neues Buch "Das zionistische Israel".

Zürich Buchhandlung im Volkshaus, Stauffacherstrasse 60, Mo, 26. November, 19.30   Uhr.

 

Roni Hammermann, Aktivistin von Machsom Watch, einer Gruppe israelischer Frauen, die Übergriffe der Soldaten an israelischen Checkpoints gegen PalästinenserInnen dokumentiert und auch einzugreifen versucht, berichtet von ihren Einsätzen. Am Abend wird zudem der Film "The Law in These Parts" (Israel 2011) von Ra’anan Alexandrowicz gezeigt. Er untersucht das Rechtssystem, das Israel in den besetzten Gebieten seit mehr als vierzig Jahren praktiziert.

 

Weitere Mittagsgespräche gibt es mit der Autorin Sumaya Farhat-Naser (Fr, 23. November, und Di, 27. November) und mit Suheir Farraj vom palästinensischen Women and Media Development (Mi, 28. November)   - alle im Kornhausforum, jeweils um 12.30 Uhr.

 

Noch bis 1. Dezember läuft ausserdem im Kornhausforum die Ausstellung "Die Nakba". Sie zeigt die Geschichte der Flucht und Vertreibung der PalästinenserInnen. Führungen: Do, 22. November, Di, 27. November, Do, 29. November, jeweils um 17.15 Uhr, und Fr, 30. November, um 12.30 Uhr.

 

Bern Vortrag/Gespräch Roni Hammermann, Kornhausforum, Kornhausplatz 18, Do, 22. November, 12.30 Uhr. Film "The Law in These Parts", Kino in der Reitschule, Neubrückstrasse 8, Do, 22. November, 19.30 Uhr. Videopräsentation Suheir Farraj, Kornhausforum, Di, 27. November, 19 Uhr.

 

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WoZ 22.11.12

 

Musik und Diskussionen

 

La Gale und Malikah

 

Gradlinig und wütend kommen die Sätze daher, mit denen sie gegen soziale Missstände und gegen das Blut, das in dieser Welt vergossen wird, ansingt: Die Lausanner Rapperin Karine Gui­gnard aka la Gale ist halb Schweizerin, halb Libanesin, kommt ursprünglich aus der Punkszene und ist momentan auch in Nicolas Wadimoffs Film "Opération Libertad" zu sehen.

 

Zu hören und zu sehen ist sie nun gemeinsam mit der libanesischen Rapperin Malikah in der von Terre des Femmes organisierten Veranstaltungsreihe "Voix des Femmes. Wie Frauen die Welt verändern", die heuer das Thema "Rollenbilder im öffentlichen Raum" aufgreift.

 

"Die postsexistische Gesellschaft" ist der Titel des Podiumsgesprächs, das ein paar Tage später stattfindet. Es diskutieren die Rapperin Malikah, der Journalist Bänz Friedli, Henry Hohmann, Kunsthistoriker und Kopräsident des Transgender Network Switzerland, und Natalie Trummer, Geschäftsleiterin von Terre des Femmes Schweiz. Moderation: Jennifer ­Khakshouri.

 

"Auf welcher Bühne spielen die Frauen?": Unter diesem Titel wird auf einem weiteren Podium diskutiert, das im Rahmen der Kampagne "16 Tage gegen Gewalt an Frauen" stattfindet. Auch hier geht es um Rollenbilder und um Musik. Es diskutieren verschiedenen ProtagonistInnen über die geschlechterspezifischen Mechanismen in der Musikszene. Anschliessend tritt die Berner Musikerin Nadja Stoller auf. süs

 

 

La Gale und Malikah in: Bern Mahogany Hall, Do, 29. November, 20.30 Uhr. www.mahogany.ch

 

Podiumsgespräche: "Auf welcher Bühne spielen die Frauen?" in: Bern Frauenraum der Reitschule, Sa, 1. Dezember, 19 Uhr. www.frauenraum.ch

 

"Die postsexistische Gesellschaft" in: Bern Ono, So, 2. Dezember, 11 Uhr, anschliessend Brunch. www.onobern.ch

 

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WoZ 22.11.12

 

Sexarbeit

 

Im distanzierten Gaffermodus

 

Fotos aus voyeuristischer Perspektive, Tabuisierung der ­Freiergewalt, Reduzierung der Sexarbeit auf den Strassenstrich: Wie die Medien nicht nur von den wahren Problemen am Zürcher Sihlquai ablenken, sondern auch neue kreieren.

 

Von Jan Jirát

 

"Wenn die Medien von einer Vergewaltigung am Zürcher Strassenstrich berichten, beobachten wir oft, dass es am folgenden Wochenende zu Nachahmungstaten am Sihlquai kommt", sagt Michael Herzig, Bereichsleiter Sucht und Drogen der Stadt Zürich und damit auch für die Betreuung der Sexarbeiterinnen am Sihlquai zuständig. "Natürlich sind die Medien für die Gewalt nicht direkt verantwortlich", hält Herzig fest, "aber sie sind sich viel zu wenig bewusst, was sie mit ihrer Berichterstattung auslösen können und wie wichtig es ist, differenziert über das Thema ‹Strassenstrich› zu schreiben". So sei es beispielsweise fatal, wenn in Berichten konkrete Preise genannt werden, weil die Freier dann auf diesem Preis beharren oder ihn unterbieten wollen, dabei sei es die Sex­arbeiterin, die den Preis festlegen müsse. Eine ähnlich fatale Wirkung haben Sätze wie "Sex ohne Gummi ist an der Tagesordnung", der vor zwei Jahren im "Blick" zu lesen war.

 

Fassbare Freiergewalt

 

Michael Herzig kritisiert die Medienberichterstattung auch in anderer Hinsicht: "Gerade das Thema ‹Gewalt› wird sehr einseitig unter dem Aspekt des Frauenhandels aufgegriffen", sagt er. "Die Gewalt geht in diesen Fällen von ausländischen Frauenhändlern oder Zuhältern aus, von Fremden." Die Freiergewalt hingegen werde kaum thematisiert, denn diese Gewalt komme mitten aus unserer Gesellschaft, was offenbar viele nicht wahrhaben wollen. "Tatsache ist: Die Freier am Sihlquai bilden einen repräsentativen Querschnitt der männlichen Bevölkerung dieses Landes ab", sagt Herzig.

 

Im Oktober hat die Stadt Zürich unter Federführung der Frauenberatung Flora Dora gemeinsam mit ungarischen Partnerorganisationen einen Bericht publiziert, der die Freiergewalt am Sihlquai fassbar macht. Momentan könnten sich die Freier "fast alles erlauben", denn das Angebot auf dem Strassenstrich sei höher als die Nachfrage. Das setzt die Prostituierten, die nahezu ausschliesslich aus Ungarn stammen und mehrheitlich Roma sind, unter Druck. Wie die Sexarbeiterinnen aussagen, sind sie wöchentlich demütigenden und gewalttätigen Handlungen von Freiern oder auch Passanten ausgesetzt: Sie werden am Strassenrand beschimpft, begrapscht, belästigt und mit Gegenständen beworfen, etwa mit brennenden Zigaretten. Sie berichten von Freiern, die sie ausrauben würden oder sich weigerten, für den Service zu zahlen, von Freiern, die während des Verkehrs ihr Kondom abstreifen, die sich nicht an die vereinbarten Sexpraktiken halten, die Gewalt anwenden und vergewaltigen.

 

"Den gewalttätigen Freiern geht es auf dem Strassenstrich nicht um das Ausleben ihrer­ Sexualität", sagt Michael Herzig. "Es geht um Macht und Dominanz." Die Motive der Freier seien eine fatale Mischung aus Sexismus und Rassismus. Die Sexarbeiterinnen seien Frauen, Ausländerinnen und Roma, und es sei kein Zufall, dass sich die Täter diese Opfer suchen. "Leider ist die öffentliche Wahrnehmung eine andere: Die Probleme kommen von aussen, und Fremde sind dafür verantwortlich. Diese Wahrnehmung ist falsch und blendet aus, dass die Nachfrage nach sexuellen Dienstleistungen hausgemacht ist und die Gewalttäter unter uns leben. Fatalerweise wird diese selektive Wahrnehmung von vielen Medien übernommen", sagt Herzig.

 

Entweder Opfer oder Bestien

 

Eine "Einseitigkeit der Berichterstattung" kritisiert auch Doro Winkler von der Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration (FIZ). Der Zürcher Sihlquai stehe seit Monaten im Zentrum der Berichterstattung über das Thema "Prostitution". "Dabei finden rund achtzig Prozent der Sexarbeit weitgehend unbemerkt in Bordellen, Kontaktbars, privaten Wohnzimmern oder Hotels statt", sagt Winkler. Als sichtbarster Teil des Sexgewerbes werde der Strassenstrich aber viel stärker wahrgenommen. Viele LeserInnen würden die Prostitution mit der Situation am Sihlquai gleichsetzen, was eine verzerrte Wahrnehmung sei.

 

Was Winkler an der Berichterstattung besonders stört, ist die Bildebene, weil dort die Perspektive der Freier dominiere: "Ganz egal, ob es um einen Prozess wegen Menschenhandels oder um den neuen Zürcher Strichplatz in Altstetten geht, die Medien zeigen stets Bilder, auf denen High Heels, lange Beine und ein spärlich bekleideter Schambereich zu sehen sind." Winkler nennt diesen Blick die "distanzierte Gafferposition". "Über die Arbeitsbedingungen und Lebensverhältnisse der Sexarbeiterinnen erhalte ich so als Leserin keine Informationen. Ich erfahre nichts über das Warten auf die Kunden bei jeder Witterung und die Kälte oder Langeweile dabei. Was es heisst, die ganze Nacht in High Heels zu stehen, und wie erlösend es ist, sie am Morgen auszuziehen." Die Sexarbeiterinnen kommen in der Bericht­erstattung entweder als Opfer oder als sexhungrige Bestien vor. "Sie bleiben Objekte ohne Geschichte und Hintergründe", sagt Winkler.

 

"Die Wirkung der Medienberichterstattung auf die Situation am Sihlquai lässt sich nicht messen", sagt die Medienwissenschaftlerin Martina Leonarz. Aber auch sie hält fest, dass die Prostituierten weitgehend Objekte bleiben   - biografie- und identitätslos. "Sie bleiben uns fremd, wodurch es schwierig wird, Empathie zu empfinden." Insbesondere Pendler­zeitungen wie "20 minuten" oder "Blick am Abend" und deren Onlineplattformen hätten einen Hang zur Boulevardisierung und Skandalisierung, denen eine differenzierte Berichterstattung zum Opfer falle. "Diese Ausprägung betrifft übrigens nicht nur das Thema ‹Sexarbeit›. Ich stelle generell fest, dass das Frauenbild gerade in diesen Medien rückschrittlich ist."

 

Armut, die die Schweiz nicht kennt

 

Die sozialen und ökonomischen Hintergründe der Frauen am Sihlquai werden medial kaum beleuchtet. Im Gegensatz dazu fasst der erwähnte Bericht diese Hintergründe detailliert zusammen: Die meisten dieser Frauen stammen aus dem Nordosten Ungarns, rund um die beiden Städte Nyiregyhaza und Miskolc, oder aus dem Südosten. Es sind strukturschwache Regionen, in denen die Armut sehr ausgeprägt ist. Die Romabevölkerung ist davon in besonderem Masse betroffen: Aktuell beträgt die Arbeitslosigkeit innerhalb der Romagemeinschaft über achtzig Prozent, rund siebzig Prozent leben in Armut.

 

"Diese Armut ist mit jener in ­Westeuropa nicht vergleichbar", sagt Katalin ­Szoboszlai. Die Sozialarbeiterin leitet in Nyiregyhaza den Verein Periferia, der sich um Obdachlose und Arme kümmert. "Die Mehrheit der Roma lebt in Ghettos, in denen es kein fliessendes Wasser und keine Kanalisation gibt." In ihren Häusern oder Plattenbauwohnungen seien teilweise keine Heizungen vorhanden, auch Medikamente fehlten. "Es ist ein Leben, in dem die eigene Existenz permanent gefährdet ist, das von Hunger und Kälte geprägt wird. Ein Leben ohne Perspektiven. In Ungarn existiert dafür der Begriff ‹nyomor›", sagt Szoboszlai. Er lässt sich am ehesten mit "Tiefenarmut" übersetzen. "Die Situation auf dem Zürcher Strassenstrich ist auf diese Tiefenarmut zurückzuführen. Es handelt sich nicht um ein Romaproblem", sagt Szoboszlai.

 

Noch vor zehn Jahren gab es am Sihlquai keine ungarischen Prostituierten. Das hat sich seit dem EU-Beitritt Ungarns 2004 massiv geändert. Ein Abkommen mit der EU erlaubt es volljährigen Ungarinnen, für maximal drei Monate als selbstständige Dienstleistungs­erbringerinnen in der Schweiz zu arbeiten. Die meisten Frauen halten sich folglich immer nur wenige Wochen in Zürich auf. Danach kehren sie entweder zurück oder ziehen für weitere drei Monate in ein anderes EU-Land weiter, um dort auf dem Strassenstrich zu arbeiten. Die kurzen Aufenthalte haben   für die Frauen zur Folge, dass eine nachhaltige sozialmedizinische Betreuung kaum möglich ist. Und weil die ungarischen Frauen "die hiesigen Rahmenbedingungen wie auch die Sprache kaum kennen, sind sie besonders hohen Risiken ausgesetzt, insbesondere hinsichtlich Ausbeutung, Zwang und Gewalt", heisst es im Freiergewaltbericht.

 

Angesichts dieser sozialen, ökonomischen und rechtlichen Hintergründe bezeichnet Michael Herzig den Zürcher Strassenstrich als System der Ausbeutung   - auch ohne den zusätzlich ausbeuterischen Aspekt des Frauenhandels. "Der Freier profitiert von einem massiven Wohlstandsunterschied."

 

Freier haben eine Verantwortung

 

Die mediale Fokussierung auf den Strassenstrich ist aus einem weiteren Grund problematisch: "Inhaltlich wird oft nicht unterschieden zwischen Frauenhandel und selbstbestimmter Sexarbeit", sagt Doro Winkler vom FIZ. In der öffentlichen Wahrnehmung fehle dadurch oft das Bewusstsein, dass längst nicht alle Sexarbeiterinnen Opfer von Frauenhandel seien. "Für die Bekämpfung von Frauenhandel wie auch für die Unterstützung der selbstständigen Sexarbeiterinnen ist dieser Unterschied aber wichtig, denn es braucht ganz unterschiedliche Massnahmen zur Stärkung der Frauen in den verschiedenen Situationen."   Die Zusammenarbeit unter Fachleuten hingegen sei in den letzten zehn Jahren im Bereich des Frauenhandels und der Freiergewalt besser geworden, sagt Winkler.

 

Eine schwierige Rolle hat dabei die Polizei   - sie muss gleichzeitig strafen und schützen: "Einerseits hat die Polizei sicherheitspolizeiliche Aufgaben, die repressiv sind, andererseits kriminalpolizeiliche Aufgaben, die unter anderem darin bestehen, die Sexarbeiterinnen vor Frauenhandel und Freiergewalt zu schützen", sagt Michael Herzig. "Dieser strukturell angelegte Zielkonflikt untergräbt das ­Vertrauen der Sexarbeiterinnen in die Polizei. Darum legen wir grossen Wert auf die Unterstützung der Frauen bei Anzeigen und Aussagen gegen Gewalt­täter. Tatsächlich kam es in letzter Zeit zu einigen Verurteilungen."

 

Doro Winkler vom FIZ wünscht sich mehr Verantwortungsbewusstsein und Unterstützung vonseiten der Freier   - ohne diese zu ­kriminalisieren. Die Fachstelle Frauenhandel und Frauenmigration hat dafür eigens die Website Verantwortlicherfreier.ch eingerichtet. Diese informiert darüber, woran Frauenhandel zu erkennen ist, wie den Frauen geholfen werden kann und was auf gar keinen Fall getan werden sollte. Fortschritte erhofft sich Winkler auch im Bereich des Opferschutzes, der noch immer unzureichend ist. "Nur für aussagebereite Opfer besteht ein vorübergehendes Aufenthaltsrecht. Wer nicht aussagt, hat nur minimalen Zugang zu den Unterstützungsleistungen, die ihnen das Opferhilfegesetz zuerkennen würde. Wir fordern Schutz und Sicherheit für alle Opfer, unabhängig von ihrer Aussagebereitschaft und ihrem Aufenthaltsstatus", sagt Winkler.  

 

In einem Jahr wird der Strassenstrich am Sihlquai nicht mehr existieren. Der neue Zürcher Strichplatz verlagert sich in ein Industriequartier in Altstetten. In Bezug auf die Freiergewalt sei das ein Schritt in die richtige Richtung, finden Herzig und Winkler gleichermassen. Für eine wirkliche Verbesserung der Arbeitsbedingungen und Lebensumstände der Frauen reiche das aber noch nicht.

 

 

Link zum Bericht: www.tinyurl.com/dorabericht

Vgl. detailliertes Programm auf Seite 27 sowie auf www.16tage.ch.

 

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Gegen Gewalt an Frauen

 

Wenn in der Zeitung ExpertInnen befragt werden   - warum sind es fast immer Männer? Warum zeigt das Fernsehen den Strassenstrich aus der Perspektive der Freier? Warum wird über Kleider und Frisuren von Politikerinnen oft mehr berichtet als über ihre Politik? "Medienmacht Frauenbild" ist das Thema der diesjährigen Kampagne "16 Tage gegen Gewalt an Frauen", die am 25. November beginnt.

 

Auf einem Podium in Bern diskutieren Medien­frauen über Frauenbilder; weitere Veranstaltungen drehen sich um Geschlechterbilder im Film, die Darstellung der Sex­arbeit und rechtliche Fragen zu Schönheitsoperationen. Abendspaziergänge mit ­Wen-Do-Selbstverteidigungstrainerinnen zeigen Frauen, wie sie selbstbewusst und sicher unterwegs sein können. Zu den rund vierzig Veranstaltungen kommen Ausstellungen und eine Frauenfilmreihe in der Berner Reitschule.

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BZ 21.11.12

 

Meta-Musical als Kontrapunkt

 

Theater. Die höchst anregende und kontroverse Produktion über die "Dällebach-Macher" kam kurz vor der Première der Thuner Seespiele im Juni 2010 in Bern heraus. Die Zuschauer trauten ihren Augen und Ohren nicht, als sie die wahren Hintergründe zur gigantesken Musicalisierung des Berner Stadtoriginals erfuhren. Analog zur Zweitauswertung von Dällebach Kari im Ewigi Liebi Theater zeigt das Tojo Theater nun erneut die "Dällebach-Macher" als Kontrapunkt. Ein gleichermassen informatives wie unterhaltendes Doku-Musical von und mit Pascal Nater und Michael Glatthard sowie Olivier Bachmann.   pd

 

Heute Mittwoch, Donnerstag, Freitag, Samstag, je 20.30 Uhr, Tojo Theater, Reitschule, Bern, www.tojo.ch.

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Bund 20.11.12

http://www.derbund.ch/bern/stadt/Grossveranstalter-verlaesst-Reitschule-wegen-Sicherheitsproblemen/story/13793451

 

Veranstalter sagt Reitschule Adieu - wegen Sicherheit

 

Die Elektropartys in der Grossen Halle der Reitschule sind legendär. Fünf bis sieben Mal jährlich feierten bis zu 2300 Besucher durch die Nacht. Doch nun ist die Party vorbei: Die Eventfirma Ammonit wird ihre Anlässe nicht länger in der Reitschule veranstalten. Grund für den Wegzug sind Sicherheitsprobleme: "Wir können es uns als Veranstalter nicht leisten, Anlässe an einem Ort zu organisieren, an dem die Sicherheit nicht gewährleistet wird", erklärt Ammonit-Chef Simon Ragaz gegenüber dem "Bund".

 

Auslöser des Entscheids war ein Vorfall im Mai dieses Jahres. Eine Gruppe bewaffneter Jugendlicher stürmte frühmorgens eine Ammonit-Veranstaltung. Im Eingangsbereich kam es zu einer heftigen Schlägerei, um eine Massenpanik in der gefüllten Halle zu verhindern, brachen die Veranstalter die Party ab.

 

Für die Grosse Halle, einen weitgehend unabhängigen Satelliten der Reitschule, ist der Wegzug von Ammonit ein empfindlicher Verlust. Ihr droht ein Einbruch der Besucherzahlen um bis zu 50 Prozent. Fast die Hälfte der Halle-Besucher war zuletzt durch Ammonit-Events angezogen worden. Ammonit verlegt die Elektropartys vorerst ins "Ewigi Liebi"-Theater im Wankdorf-City. Dies ist jedoch nur eine Zwischenlösung. "Bund"-Recherchen zeigen, dass der rote Musical-Würfel Anfang 2013 zurückgebaut wird. (lok) - Seite 17

 

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Grossveranstalter verlässt Reitschule wegen Sicherheitsproblemen

 

Ammonit Events kehren der Reitschule den Rücken. "Die Sicherheitslage ist nicht mehr zu verantworten", sagt Ammonit-Chef Simon Ragaz.

 

Gianna Blum, Christoph Lenz

 

Der Kontrast könnte grösser kaum sein. In den letzten Jahren veranstaltete die Berner Event-Bude Ammonit etliche rauschende Elektropartys im historischen Gemäuer der Reitschule. Nun zügelt das Team rund um Gastro-Unternehmer Simon Ragaz: Der Ammonit-Party-Marathon zwischen Weihnachten und Neujahr geht heuer im eher propren Musical-Container "Ewigi Liebi"-Theater über die Bühne - wenige Tage bevor dieser zurückgebaut wird (siehe Text rechts). Grund für den Umzug sind die Sicherheitsprobleme rund um die Reitschule, wie Ragaz gegenüber dem "Bund" bestätigt. "Wir können es uns als Veranstalter nicht leisten, Anlässe an einem Ort zu organisieren, an dem die Sicherheit nicht gewährleistet wird."

 

Angriff im Mai als Auslöser

 

Der Entscheid von Ammonit kommt nicht von ungefähr: Im Mai wurde eine Ammonit-Party in der Grossen Halle morgens um 4.30 Uhr von einer Gruppe mit Eisenstangen, Gittern und Pfefferspray bewaffneter Jugendlicher gestürmt (der "Bund" berichtete). Im Eingangsbereich kam es zu einer Schlägerei zwischen Angreifern, Sicherheitspersonal und Partybesuchern. Um eine Massenpanik zu verhindern, sahen sich die Veranstalter gezwungen, den Anlass vorzeitig abzubrechen. Simon Ragaz erklärt, dass der Wegzug von Ammonit "auch mit diesem Vorfall zusammenhängt".

 

Für die Grosse Halle, einen mit eigenem Leistungsvertrag ausgestatteten Satelliten der Reitschule, dürfte der Wegzug von Ammonit schmerzhaft sein. Zum einen füllten die Events die Kasse, zum anderen konnte die Grosse Halle dank den Partys hohe Besucherzahlen ausweisen. Von den gut 30 000 Gästen, die pro Jahr die Halle besuchen, kam fast die Hälfte bei Ammonit-Anlässen.

 

Giorgio Andreoli vom Grosse-Halle-Team zeigt Verständnis für den Entscheid von Ammonit. "Mit einem Vorfall wie er sich im Mai ereignete, hätten wir nicht gerechnet." Man nehme das Signal von Ammonit ernst. Wie der Besucherverlust aufgefangen werden soll, steht gemäss Andreoli noch nicht fest. "Wir gehen jetzt über die Bücher." Für den Verein Grosse Halle sei aber klar, dass man nicht einfach irgendwelche grossen Events in die Halle holen wolle. "Sie müssen zur Reitschule passen." Andreoli hofft zudem, dass der Abgang von Ammonit noch nicht endgültig ist. "Vielleicht finden wir uns für nächstes Jahr doch noch."


grossehalle
Für die Grosse Halle dürfte der Wegzug von Ammonit schmerzhaft sein. Bild: Béatrice Flückiger

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Bund 20.11.12

 

"Wir fühlen uns in Bern wie im Paradies"

 

Berner Unternehmer ärgern sich vor allem über zu hohe Steuern für natürliche Personen und über die Reitschule.

 

Hans Galli

 

Der Kanton Bern muss seit Wochen viel Kritik einstecken. Die reichen Kantone beklagten sich über die Milliarde Franken, welche sie jährlich als Finanzausgleich an Bern überweisen müssen. Die Medien bemängeln das unterdurchschnittliche Volkseinkommen. Aber am gestrigen Anlass "Der ‹Bund› im Gespräch" im Berner Kornhaus tönte es anders: "Wir fühlen uns in Bern wie im Paradies", sagte Uwe E. Jocham, Direktionspräsident von CSL Behring. Das aus dem Zentrallabor des Schweizerischen Roten Kreuzes hervorgegangene Arzneimittelunternehmen ist mit 1100 Angestellten der grösste industrielle Arbeitgeber in der Bundesstadt.

 

Mit dem Paradies meinte der gebürtige Bayer den freundlichen Empfang durch die Behörden, den er vor zwanzig Jahren erlebte. Und diese vorzügliche Betreuung habe sich bis heute fortgesetzt, sagte Jocham. Die Chancen auf die Schaffung weiterer Stellen seien intakt, denn das australische Mutterhaus suche einen zusätzlichen Standort. Die USA und Australien kämen nicht infrage, weil dort die Gefahr bestehe, dass die Arbeitnehmer von den Gewerkschaften ausgesperrt würden: Streiks könne sich ein Pharmaunternehmen nicht erlauben. Ob Bern zum Zug komme, hänge unter anderem von Steuererleichterungen ab.

 

Von solchen hat auch das Reiseunternehmen Globetrotter profitiert. Die Verlegung des Hauptsitzes von Zürich nach Bern sei zwar ein emotionaler Entscheid gewesen, sagte Firmenchef André Lüthi, welcher vor kurzem in seiner Kategorie Unternehmer des Jahres wurde. Das Entgegenkommen der Volkswirtschaftsdirektion bei den Steuern habe die Verlegung erleichtert, fügte er bei.

 

Kritik an Berner Sattheit

 

Die Unternehmenssteuern seien im Kanton Bern in Ordnung, vor allem auch dank tiefem Satz für Holdinggesellschaften, pflichtete Daniel Eicher, Chef des Kunst- und Glückwunschkartenverlags ABC in Schönbühl, bei. Für natürliche Personen sei die Steuerbelastung aber ein Problem.

 

Eicher warnte vor Sattheit: Als Verwaltungsrat des Büroartikelunternehmens Biella-Neher habe er Einblick in dessen Tochtergesellschaften in Bulgarien und Rumänien. Er sei tief beeindruckt vom hohen Ausbildungsniveau und dem Leistungswillen der dortigen Angestellten. Wir Bernerinnen und Berner müssten aufpassen, dass wir nicht von Osteuropa überholt werden.

 

Lehrkräfte aus Süddeutschland seien häufig besser ausgebildet und benötigten weniger Einführungszeit als einheimische, sagte Sandra von May-Granelli, Inhaberin und Leiterin des Feusi-Bildungszentrums. CSL-Behring-Chef Jocham lobte dagegen das hohe Ausbildungsniveau in Bern. Er räumte aber ein, dass sein Unternehmen gegenwärtig bei der Personalsuche vom Wegzug anderer Pharmaunternehmen wie Disetronic oder Novartis profitiere.

 

Feusi-Chefin von May empfahl dem Kanton, die überobligatorische Ausbildung vermehrt mit einem Leistungsvertrag den Privatschulen zu übertragen. Im Feusi-Bildungszentrum koste ein Gymnasiast pro Jahr 16 000 bis 18 000 Franken, in den staatlichen Gymnasien seien es 26 000 Franken.

 

Wie Eicher kritisierte auch Loeb-Chefin Nicole Loeb die hohen Steuern für natürliche Personen.

 

Reitschule als Imageproblem

 

So richtig in Fahrt kamen die Podiumsteilnehmer nur bei einem Thema: der Reitschule. Wenn er mit seinen ausländischen Verwaltungsräten im Zug in Bern einfahre, rieben sich diese ungläubig die Augen, und sie wollten ihm nicht glauben, dass es sich dabei um ein Kulturzentrum handle. Das verschmierte Haus schade dem Image Berns, pflichtete ihm Eicher bei, und er erhielt dafür viel Applaus aus dem Publikum.

 

Trotz dieser Einwände fand Globetrotter-Chef Lüthi: "Bern geht es gar nicht so schlecht. Die Kritik der vergangenen Wochen ist übertrieben."



"‹Bund› im Gespräch":
Von links André Lüthi, Daniel Eicher, Lisa Stalder ("Bund"), Sandra von May, Artur K. Vogel ("Bund), Nicole Loeb, Uwe E. Jocham.
Bild: Danielle Liniger


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20 Minuten 20.11.12

 

"Minergie-Schule statt Streit-Schule"

 

BERN. Solarzellen statt Sprayereien auf dem Dach der Reitschule? Diese Idee brachte Stadtrat Martin Schneider (BDP) letzte Woche während der Debatte um den Leistungsvertrag mit der Reitschule aufs Tapet. "Kämpft für saubere Energie in der Reitschule", sagte Schneider. Der Reitschule seien in letzter Zeit nämlich die Ziele ausgegangen, für die es sich sonst zu kämpfen lohne. "Minergie-Reitschule statt Streit-Reitschule", müsste das Motto laut Schneider lauten.

 

Es gibt nur einen Haken. "Die Reitschule steht leicht im falschen Winkel", sagt SP-Stadtrat Ruedi Keller zu Capital FM. Keller war bei früheren Diskussionen zu dieser Idee bereits involviert. Um die Effizienz zu steigern, müssten die Solarzellen auf ein bewegliches Gestell gebaut werden. Entspräche ein allfälliges Baugesuch den Richtlinien, würde es bewilligt werden, heisst es bei der Denkmalpflege. EHI

 

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Bund 20.11.12

 

Dütschlers Deutungen

 

Zoff wegen des Zaff

 

Markus Dütschler

 

Derzeit blickt Bern ein Vierteljahrhundert zurück, auf die Räumung des Hüttendörfchens Zaffaraya. Es war eines der ersten Berner Vorkommnisse, die ich als Migrant aus der Ostschweiz miterlebte. Im November 1987 verliess ich in den ersten Tagen meines aufregenden Studentenlebens an der Uni das Hauptgebäude. Ein Kollege verteilte draussen Flugblätter und sagte mit sorgenvoller Stimme: "Jetzt räumen sie das Zaffaraya." Mit den örtlichen Verhältnissen unvertraut, fragte ich ihn, ob das "mit dieser Reitschule" zu tun habe. Nein, belehrte er den Ahnungslosen, es sei das alternative Dörfli. Etwas Alternatives, das weggeräumt ist, üble Sache, Maloney, dachte ich und fragte mich zum Schadenplatz durch. Dort sperrten Polizisten alles ab. Ein Fotograf durfte passieren, was illustrierte, dass Journalist ein attraktiver Beruf sein könnte, auch für mich.

 

Es gab sogar einen Gottesdienst beim Zaffaraya-Gelände mit einem Theologieprofessor, der in bewegenden Worten, die auch mein Herz bewegten, die Ausgrenzung Andersartiger beklagte. Es wurde gebetet, doch der Himmel griff nicht ein. Ein betrunkener Aktivist oder Mitläufer fand die Anwesenheit des Gottesmannes abwegig und lallte ständig: "Pfaffe sy Affe." Ob das eine Art Nebenwiderspruch im Hauptwiderspruch war - oder umgekehrt -, konnte ich als Anfänger nicht beurteilen - und kann es auch heute noch nicht.

 

Abends war die Achse Bubenbergplatz-Bahnhofplatz gesperrt und verkehrsfrei, eine revolutionäre Vorwegnahme späterer Ideen. Das revolutionäre Jungvolk stand da und wartete darauf, dass vielleicht etwas passiert, aber es passierte nichts, jedenfalls dort, wo ich stand. Nur einmal passierte etwas. Ich marschierte in Richtung Zaff - ich wusste nun, wo es sich befand - und wollte, den Berufswunsch Journalist latent in mir tragend, etwas zur Dokumentation beitragen. Nahe des Dörflis sah ich einen Polizeibus, in den zwei "Bullen" sich einzusteigen anschickten.

 

Ich hob die schwere Spiegelreflexkamera, es klickte mechanisch, und das ohne den geringsten Hauch einer elektronischen Steuerung. Der eine Polizist sah mich und rief wütend: "Das hei mer de huere verdammt nid gärn." Dazu stürmte der einen Meter neunzig grosse Mann auf mich zu. "Gäd dr Film use." Nun erbleichte ich, denn ich sah die Kamera schon in Trümmern. Es war nicht mein Fotoapparat, sondern das Prunkstück meines Vaters, ein solider Zeuge japanischer Apparatebaukunst der frühen 1960er-Jahre. Darin steckte sein Ferienfilm, ein Kodachrome-Dia-Streifen. Für unsere IT-Natives braucht es einen Einschub. Filme musste man in Kameras einlegen, dann vorspulen, und es konnte losgehen. Wenn der Streifen nach 24 oder 36 Aufnahmen voll war, schickte man ihn ins Labor.

 

Mit dem Mut der Verzweiflung verteidigte ich den Ferienfilm, man solle Gnade walten lassen. Der Polizist büsste etwas an Betriebstemperatur ein, als er sah, dass eine grundharmlose Landpomeranze vor ihm stand und kein ausgebuffter Strassenkämpfer. Sie würden den Film entwickeln und mir alle unproblematischen Fotos aushändigen, beschied er mir. Ich machte ihn auf die Besonderheit der Kodachrome-Filme aufmerksam, die man nicht selber entwickeln könne. Nur das Kodak-Labor in Lausanne verfügte über die patentierte Technologie, um den Film fachgerecht zu entwickeln. Die Polizei könne alle Filme entwickeln, sagte der Ordnungshüter. Doch ich wagte Widerspruch: "Nicht den Kodachrome, den werden Sie höchstens zerstören."

 

Ich spulte den Film zurück, händigte die Filmpatrone aus, hinterliess Namen und Adresse. Tage später klingelte das Telefon: die Stadtpolizei. Ich könne den Film abholen. Auf der Wache empfing mich der gestrenge Hüne, nun ganz nett, und wir führten einen Diaabend durch, nur ohne Projektor. Sie hatten tatsächlich ein Einsehen gehabt und den Film nach Lausanne geschickt, wo der Streifen entwickelt, geschnitten und die Bilder in Kartonrähmchen platziert wurden. Man erinnere sich: Diese verhedderten sich beim Vorführen oft in der Projektor-Mechanik, da manche Apparate sich auf der Wild Side of Life wähnten und sich als Aktenvernichter gebärdeten.

 

Die schönen Bergfotos meines Vaters durfte ich behalten, die Bilder mit den Polizisten blieben am Waisenhausplatz. Nun existieren also keine fotografischen Zeugnisse dieses wichtigen Vorgangs mehr, wodurch dem Wort des Zeitzeugen ein ungleich höheres Gewicht zukommt und die Last der Verantwortung dadurch ins Unermessliche steigt.

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kulturstattbern.derbund.ch 19.11.12

 

Kulturbeutel 47/12

 

Von Benedikt Sartorius am Montag, den 19. November 2012, um 05:22 Uhr

 

(...)

 

Frau Feuz empfiehlt:
Am Donnerstag würde sich ein Besuch im Kairo lohnen, denn dort taufen die Herren Gebirgspoeten alias Rolf Hermann, Matto Kämpf und Achim Parterre ihre neue CD "muff". Liebhaber von Punk’n'Roll gehen am Donnerstag zu Dogs Bollocks ins Rössli. Am Sonntag drängt sich dann ein Ausflug nach Solothurn ins Kofmehl auf, denn dort sind die 60er-Garage-Rock-Legenden The Sonics zu Gast. In Vorprogramm übrigens die charmante Madame Brutsche mit ihren The Jackets.

(...)

 

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kulturstattbern.derbund.ch 19.11.12

 

Happy Birthday, Constellation!

 

Von Benedikt Sartorius am Montag, den 19. November 2012, um 11:04 Uhr

 

Das Constellation-Geburtstags-Festival ist Geschichte. Eine schöne Geschichte wars in allen Belangen: Für das Label, für die Veranstalter, für den Berner Tourismus, für den Dachstock und für die Konzertbesuchenden, die gestern noch einmal die Vielfalt des Katalogs entdecken durften.
Da war, ganz zu Beginn des Abends, Eric Chenaux, der widerborstige Gitarrensounds in Wunder-Songs überleiten liess. Da war, als fliegender Wechsel, Sandro Perri, der den Popsong im Labor neu erforscht - mit einigen altbackenen Sounds, wundersamen, fliessenden, auch prekären Wendungen und seiner wunderbaren Stimme. Schade, war sein Set dann festivalbedingt doch sehr kurz.

 

Gleich im Anschluss holte Colin Stetson Luft: Tiefe Schiffshörner-Sounds, Walfisch-Geschichten und klagende Stimmen waren aus dem Riesen-Horn von Stetson zu vernehmen. Unglaublicherweise war hier kein doppelter Boden, also keine Loopgerätschaften im Spiel, und das war schon ein "Blast", eine ausgiebig gefeierte Wucht. Schliesslich spielten die Instrumentalisten Do Make Say Think, die einst die "Reitschule" in einem Track verewigten und die mein Festival mit dem grossen "The Landlord is Dead" ausklingen liessen.

 

Was zu sagen bleibt: Herzliche Gratulation zum Geburtstag, Constellation Records!

 

 

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BZ 19.11.12

http://www.bernerzeitung.ch/kultur/pop-und-jazz/Es-laermt-unterm-Dach/story/12976994

 

Es lärmt unterm Dach

 

Reitschule · Das kultige kanadische Rocklabel Constellation Records feierte am Wochenende sein 15-jähriges Bestehen mit einem Minifestival. Die Headliner Godspeed You! Black Emperor brachten den Dachstock zum Vibrieren.

 


Ein rockiges Gesamtkunstwerk: Die kanadische Band Godspeed You! Black Emperor gab in Bern eines ihrer raren Konzerte.
Bild: Nadia Schweizer

 

Erst ist da nur dieses Dröhnen, das den ganzen Dachstock der Reitschule erfüllt und die Verstrebungen zum Vibrieren bringt. Dann treten die Musiker nacheinander auf die Bühne, greifen zu ihren Instrumenten und entlocken ihnen erste zaghafte Töne: Gitarre, Bass, Keyboard, Violine, Cello und Schlagzeug erzeugen einen immer kompakter werdenden Klangteppich, während an der Wand verzerrte Videoaufnahmen flimmern.

 

Es ist eines der raren Konzerte von Godspeed You! Black Emperor. Nach zehn Jahren Pause meldet sich die Band aus Montreal mit einem neuen Album zurück. "’Allelujah! Don’t Bend! Ascend!" erschien im Oktober beim frankokanadischen Label Constellation Records, das am Wochenende mit einem Minifestival sein 15-jähriges Bestehen in Bern feierte.

 

Ein Gesamtkunstwerk

 

Für die Headliner Godspeed reisen die Fans am Freitagabend ans ausverkaufte Konzert in Scharen an. Enttäuscht werden sie während des zweistündigen Auftritts nicht. Die Wegbereiter des Post-Rock, die sich ungern einer Stilrichtung zuschreiben lassen, zelebrieren ihr Genre mit spür- und sichtbarer Spielfreude.

 

Immer wieder türmt die 10 Musikerinnen und Musiker starke Band Klanggebilde auf, lässt sie in einen energetischen Furor münden - nur um sie sogleich wieder abschwellen zu lassen. Kein Gesang, keine Strophen, kein "Hallo Bern, ihr seid ein tolles Publikum". Der Auftritt gleicht einem Gesamtkunstwerk, in dem die Stücke nahtlos ineinander übergehen, keines kürzer als eine Viertelstunde.

 

Multiple Höhepunkte

 

Von der antiautoritären, politischen Grundhaltung der Band rund um Gitarrist Efrim Menuck sind auch die neuen Stücke gefärbt: Die Instrumente werden so weit verzerrt, dass der Bass tönt wie ein industrielles Stampfen, die Violine wie ein panisches Gekreische - derweil zeigt die Videoinstallation Bilder von verlassenen Strassenzügen und Bunkern. Es ist eine audiovisuelle Reizüberflutung, die jenen im Publikum den Spiegel vorhält, welche alle zwei Minuten zum Handy greifen.

 

Ein Crescendo jagt das nächste, die Videoaufnahmen lösen sich im Halbsekundentakt ab - und dann, wenn man sich am Ende des Konzerts glaubt, schiessen Feuersäulen auf der Leinwand empor und bilden die explosive Kulisse zu einem brachialen Ausklang. Nach diesen multiplen Höhepunkten begibt man sich zwar befriedigt, aber auch etwas ausgelaugt hinaus in die Nacht.

 

Stefanie Christ

 

Wer das Konzert verpasst hat, findet mit etwas Glück Livemitschnitte im Internet. Die Band erlaubt Fanaufnahmen: http://archive.org.