MEDIENSPIEGEL 07. - 13. JANUAR 2013

tageswoche.ch 13.1.13
http://www.tageswoche.ch/de/2013_02/kultur/499588/brennende-kirchen-singende-priester.htm

Norient-Festival 

Brennende Kirchen, singende Priester

Norient, das Festival des dokumentarischen Musikfilms, zeigte übers Wochenende in der Berner Reitschule Beiträge über äthiopischen Hip-Hop aus Israel und norwegischen Black Metal. Die beiden gegensätzlichen Themen treffen sich dort, wo die Musik ein Potential für gesellschaftliche Veränderungen freilegt – um Guten wie im Schlechten.  Von Andreas Schneitter


Ausserhalb des gängigen Wahrnehmungsmusters: Children of the Bible erzählt die Geschichte eines äthiopischen Rappers aus Israel.

In einem Hochsicherheitsgefängnis vor den Toren von Trondheim, hinter hohen grauen Mauern und einem gesicherten Tor lebte Varg Vikernes, als die Filmemacher Aaron Aites und Audrey Ewell ihn für ein Interview besuchten. Der Norweger Vikernes wurde 1994 wegen Mordes und Brandstiftung zu 21 Jahren Haft verurteilt, das Höchstmass, das die norwegische Rechtssprechung kannte. Im August 1993 hat er, befanden die Ermittlungen, seinen Freund Østein Arseth mit mehreren Messerstichen umgebracht. Beide, Vikernes und Arseth, trugen damals in der Szene, in der sie sich bewegten, noch andere Namen: Graf Grishnackh und Euronymous. Und beide waren zentrale Figuren des norwegischen Black Metal.



Auf diesen Mordfall eilt der Dokumentarfilm «Until The Light Takes Us» der amerikanischen Filmemacher zu, aber der Justizfall ist nur Steigbügelthema hinein in eine Subkultur, in der eine Extremform des Metal entstand. Black Metal lehnte – als musikalisches Genre – jede Form von professioneller Produktion und anderen Qualitätskonventionen ab, aufgenommen wurde über billige Mikrofone und Diktiergeräte, was eine heillos kaputte Soundästhetik erzeugte.

Verstärkt wurde der Eindruck durch die brachialen und dissonanten Gitarrenriffs und schrill krächzende Gesänge. Vikernes und Arsetz, beide in ihren frühen Zwanzigern, gehörten mit ihren Bands Burzum und Mayhem zu den Pionieren des Genres. «Until The Light Takes Us» fängt diese Historie mit dem Rückgriff auf Archivmaterial – Proberaumszenen, Fotografien und Musikerinterivews – detailreich ein. Dabei bleibt der Film jedoch nicht stehen, sondern durchleuchtet den geistigen Hintergrund, in dem sich der Black Metal entwickelte: aus der subkulturellen Ablehnung gesellschaftlicher Normen entstand ein Klima der Todessehnsucht, der Zerstörungshuldigung und schliesslich, in den Extremen, eine Affinität zu Okkultismus, Neopaganismus und völkischen Gewaltfantasien.

Gewaltfantasien

Vikernes begann als Spätteenager auf die neu entstandenen – in seiner Sprache «eindringenden» - Filialen von McDonalds zu schiessen und zündete, als Zeichen der Ablehnung der «fremden» christlichen Religion, Kirchen an. Da war der Schritt zum Rechtsextremismus nur ein kurzer. Nachdem die Kirchen brannten und die nachrückende Generation den Black Metal symbolhaft zu einer satanistischen Subkultur emporstilisierte, griffen die Medien das Thema reisserisch auf, selbst die Fachmagazine. Von da an war es vorbei mit der Ruhe für den Black Metal.

Wie konnte es so weit kommen? Zwei Jahre lang haben die amerikanischen Filmemacher für den «Until The Light Takes Us» in Norwegen recherchiert, bis sie genug Nähe zu den Protagonisten gewannen. Die Interviews aus dem Knast mit dem damals noch inhaftierten Varg Vikernes zeigten auf, dass sich in der Isolation sein Gedankengut noch stärker zementiert hat: er räsoniert weiterhin über die zerstörerische «jüdisch-christliche Leitkultur». Seine Aussagen lassen Aites und Ewell im Film kommentarlos stehen, was kontrovers aufgenommen wird.

Zwei Wege

Der Film lief im Rahmen des Musikfilmfestivals Norient in der Berner Reitschule als ein verstörendes Beispiel davon, wie selbst in derart randständigen musikalischen Nischen gesellschaftliche Stimmungen und Positionen zur Geltung kommen. Die in Bern anwesenden Filmemacher wurden nach der Vorführung denn auch vom Publikum befragt, weshalb eine kritische Einordnung der Gewalt- und Todesverherrlichung einzelner Exponenten des Black Metal fehle. Der Film stellt diese Relation allerdings selbst her: als zweite Hauptfigur neben Varg Vikernes wird der Schlagzeuger Gylve Fenris Nagell eingeführt, der auch zwanzig Jahre nach der Pionierzeit des Black Metal mit seiner Band Darkthrone weiter macht mit Musik, Platten ohne politische Mission veröffentlicht und sogar an Kunstausstellungen geht, in denen die morbide Ästhetik des Genres mittlerweile rezipiert wird. Blieb Vikernes weiterhin in seiner kruden Ideologie verknotet, relativiert Nagell als Kontrapunkt die gesellschaftsfeindliche Seite des Black Metal.

Verquere Erwartungen

Dass mit der gestiegenen Medienaufmerksamkeit in den Neunziger Jahren auch das Genre selbst kommerzielle Bedeutung – und für einen puristischen Pionier wie ihn somit inhaltliche Verflachung – erfuhr, bedauert er deutlich. Wie stark er auch in der Gegenwart als Musiker noch von dieser Sensationserwartung geprägt ist, wird in einem Telefoninterview deutlich, das er mit einem Metalmagazin führt und das im Film aufgezeichnet ist: nachdem die Journalistin bemängelte, in früheren Jahrzehnten seien seine Texte provokativer gewesen, reagiert Nagell mit einem verzweifelten Redeschwall. Erst wenn der Black Metal sich inhaltlich von den festgezurrten Themen, Tod, Gewalt und Zerstörung abwende und damit auch die Erwartungen seines Publikums breche, könne wieder auf innovative Schübe gehofft werden.

Nach einem Moment der Stille bedankt sich die Journalistin für die «interessanten Ausführungen» und wünscht einen schönen Abend.

Die äthiopischen Rapper aus Israel

Religion war eines der zentralen Themen an der vierten Ausgabe des Norient-Musikfilmfestivals. Auch «Children Of The Bible» stand unter diesem Programmpunkt, kommt allerdings aus einer ganz anderen Ecke. Der israelische Dokumentarfilmer Nitza Gonen begleitet den jüdisch-äthiopischen Rapper Jeremy Cool Habash auf seiner Mission, die Wurzeln der israelischen Äthiopier zu bewahren. Der Film erzählt als groben Rahmen die Immigrationsgeschichte der «Beta Israel», der jüdischen Äthiopier, die Jahrhunderte lang isoliert von der jüdischen Welt lebten und, nachdem sie vom israelischen Oberrabbinat anerkannt wurden, in den Achtziger und Neunziger Jahren nach Israel einwanderten.

Vor allem aber handelt er von ihrer tiefen sozialen Stellung in der israelischen Gesellschaft und von der Erosion ihrer kulturellen und religiösen Traditionen nach der Immigration. Der Rapper Jeremy tradiert in seiner Musik dieses Erbe nicht nur, sondern ist auch als Sozialarbeiter tätig. Mit äthiopisschstämmigen Jugendlichen arbeitet er in Rap-Workshops ihre kulturellen Wurzeln frei, von den Geistlichen produziert er Tonaufnahmen ihrer Sakralgesänge, und von der Politik fordert er die Anerkennung und Unterstützung der jüdisch-äthiopischen Traditionen, um die sozialen Missverhältnisse zu korrigieren.




«Children Of The Bible» verzahnt dokumentarisch sozialpolitische Anliegen mit Einblicken in eine selbst in Israel nur punktuell rezipierte Musiktradition und beleuchtet damit ein Themenfeld, das völlig ausserhalb des gängigen Wahrnehmungsrasters zu Nahost und seinen kulturellen wie politischen Konflikten angesiedelt ist. Wie hier Weltmusik mit der Gegenwartsgeschichte überkreuzt wird, kriegt man in dieser Dichte selten zu sehen – dafür steht das Norient-Festival.

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journal-b.ch 13.1.13
http://www.journal-b.ch/de/012013/kultur/577/Das-Norient-Musikfilm-Festival-in-Bildern.htm

Das Norient Musikfilm Festival in Bildern

Die Norient-Crew feierte mit ihren Gästen und dem Publikum  die 4. Ausgabe des netzwerkeigenen Musikfilm Festivals. Es wurde gebounced, dem Metal wie dem Chalga-Pop auf die Spur gegangen und ein Erstlingswerk getauft.


Norient Musikfilm Festival in Bildern (Bilder: Karin Scheidegger)

Fotografin Karin Scheidegger dokumentierte das Musikfilm Festival in stimmungsvollen Bildern für alle jene, welche sich gerne an die verrückten Momente des Fests erinnern und für alle anderen auch.

Wer noch ein bisschen Festival-Stimmung schnuppern möchte, hat dazu heute Abend Gelegenheit: Der Elektronika-Produzent Kadebostan ist Diktator der imaginären Republik Kadebostan und heute Abend mit seiner Band «The National Fanfare of Kadebostan» – der Staatskappelle der Republik – in der Turnhalle zu Gast. Zu den hypermodernen Clubsounds und der Performance der Band gibts eine kunstvolle Lichtshow der VJs von Supermafia (Sonntag 13.01.2013 20:30 Uhr im Progr).




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kulturstattbern.derbund.ch 12.1.13

Norient goes Death Metal


Von Gisela Feuz am Samstag, den 12. Januar 2013, um 10:05 Uhr


"Die chöme aui viu z’guet wäg", grummelte gestern der Fachmann zur Rechten am Ende des Films. Die Rede war von den Protagonisten in "Until the Light takes us", eine Dokumentation des amerikanischen Regisseuren-Teams Aaron Aites und Audrey Ewell, die sich mit der Black-Metal-Szene der 90er Jahre in Norwegen auseinandersetzt und wie es dazu kam, dass im hohen Norden plötzlich so viele Kirchen brannten. Gezeigt wurde dieses einigermassen erschütternde und verstörende Portrait gestern im Rahmen des Norient Musikfilm Festival im Kino der Reitschule.




Ja, sie hätten in ihrem Film explizit nicht Stellung beziehen wollen, erklärte das Regisseuren-Team im Anschluss an den Film, sondern die zum Teil ungeheuerlichen und hanebüchenen Aussagen für sich sprechen lassen wollen. Das tun sie. Wenn Varg "Count Grishnackh" Vikernes (Sänger von Burzum, bekennender Rassist, wegen Mord und Brandstiftung zu 21 Jahren Gefängnis verurteilt) ein rechtsextrem ausgelegtes Neuheidentum propagiert und mit stoischer Gleichgültigkeit schildert, wie er einen anderen Exponenten der Black-Metal-Szene tötete, dann braucht man tatsächlich keinen Fingerzeig um zu realisieren, dass da etwas sehr fest verkehrt ist.

"Until the Light takes us" zeigt, wie es unter der Oberfläche einer friedlichen, zvilisierten und gut funktionierenden Wohlfahrtsgesellschaft brodelt. Der norwegische Death Metal der 90er-Jahre kreierte bewusst eine Ästhetik des Trostlosen und Brutalen, um dem empfundenen Terror, welcher die Eintönigkeit und Glattheit des Alltages auszulösen vermochte, einen klanglichen Terror entgegenzusetzen. Zudem zeigt die Dokumentation, dass Death Metal als einheitliches Gebilde nicht existiert, sondern dass sich innerhalb dieses Sammelbeckens Menschen mit unterschiedlichsten Auffassungen und Einstellungen finden. Gemeinsam war den norwegischen Death Metallern der 90er-Jahre höchsten das Bedürfnis bzw. die Dringlichkeit, ihrer gesellschaftlichen Entfremdung einen musikalischen Ausdruck zu verleihen. Ein Unterfangen, dem man durchaus Sympathie zollen mag. Die Heiliggeistkirche hat man dann aber auf dem Heimweg trotzdem nicht abgefackelt.

"Until the Light takes us" wird heute Nachmittag um 16h noch einmal gezeigt. Weiter sind im Rahmen von Norient heute um 20h Little-Big  von Yassen Grigorov und um 22:30h ein Portrait über die "Sissy-Bounce-Queen" Big Freedia zu sehen. Alle Filme werden im Kino der Reitschule gezeigt.


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NZZ 11.1.13

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/pop_jazz/von-wirrkoepfen-und-arschwacklern-1.17933108

 

Das Norient-Musikfilmfestival 2013 in Bern

Von Wirrköpfen und wackelnden Hintern

 

Bjoern Schaeffner

 

Abgründiges und Lüpfiges zeigt das Norient-Musik- und -Musikfilmfestival dieses Jahres in Bern. Noch bis Sonntag kann man hier der norwegischen Dark-Metal-Szene nachspüren oder dem Bounce-Tanz aus New Orleans.


Filmstill aus "Until the Light Takes Us" (2008). (Bild: PD)

Kadebostan ist Präsident der imaginären Republik Kadebostany; als solcher hat er eine Geschichte für uns parat: Leider habe an den Olympischen Spielen in London kein Athlet aus seinem Land teilnehmen dürfen, schreibt er in einer Mail. Der Grund: akuter Dopingverdacht. Stattdessen habe man sich zu einem musikalischen Stelldichein im House of Switzerland eingefunden. Eine diplomatische Sache sei das gewesen.

 

Ausstaffierte Kunstfigur

 

Natürlich ist der junge Genfer Musiker nicht übergeschnappt, sondern bestenfalls übermütig. Er staffiert die eigene Kunstfigur kokett mit Inhalten aus. Im modernen Sergeant-Pepper-Look pflegt der Präsident seine Auftritte als musikalischer Diktator durchzuziehen. Er wirbelt, tanzt und dirigiert seine Bandkollegen von The National Fanfare Of Kadebostany mit Verve. Hier bewältigt einer locker den Spagat zwischen Laptop-Musiker und Bühnen-Zampano. Östliche Folklore schmettert im minimalistischen Neonlicht-Gewitter auf Schweizer Elektronik. Eine stimmige Inszenierung. Würde das Tamtam nicht so ehrlich herüberkommen, titulierte man es wohl als Fake-Pop. Das ist Hochstapelei mit Tiefgang. Als Headliner sind die Kadebostany dieses Wochenende am Norient-Musik- und -Musikfilmfestival in Bern eine Idealbesetzung.

 

Im Zentrum der Eröffnung vom Donnerstag stand New Orleans. Unter anderem wurde dabei der Film "Liquid Land" der Zugerin Michelle Ettlin visioniert. Gelungen ist der Filmemacherin ein unaufgeregtes Porträt über eine Stadt, die auf unstetem Boden steht – zwischen Festland und Wasser. Aus Abfall werden hier neuartige Instrumente gebastelt, in Jam-Sessions improvisieren dazu Musiker der lokalen Jazzszene. Das ist ein grosses, einlullendes Miteinander: Wellen gehen, Häuser-Ansichten rasen vorbei, schläfrige Rhythmen gesellen sich neben den Rap des Spoken-Word-Poeten Moose Jackson.

 

Bounce

 

Der Bounce ist ein genuiner Tanz aus New Orleans, ein Zappel-Ghetto-Groove, dessen augenfälligstes Merkmal der heftig vibrierende Hintern der Tänzer ist. Schroffe Beats aus dem Drum-Computer bilden das rhythmische Gerüst, dazu wird gerappt, in der aus dem Mardi Gras entliehenen Tradition von "call and response" zwischen Performern und Tänzern. Der sexualisierte Tanzstil ist wie der Chicagoer Juke oder der Baltimore Club eine regionale Form von urbaner, amerikanischer Klub- und Tanzkultur. Als Botschafterin des Bounce wird Big Freedia im Berner Klub Bonsoir die Schweizer Premiere dieses Stils bestreiten – mittels eines zweistündigen Tanzkurses. Genaugenommen geht es hierbei um eine Queer-Subvariante: Sissy Bounce.

 

Ausgesprochen homophobe Züge tragen dagegen die meisten Figuren in "Until the Light Takes Us". Es sind die Übriggebliebenen der düsteren frühen neunziger Jahre: als die norwegische Black-Metal-Szene als Brut von Satanisten, Kirchenverbrennern und Mördern skandalisiert wurde. 2008 rollten die beiden amerikanischen Filmer Aaron Aites and Audrey Ewell die Geschichte neu auf. Da spricht dann Varg "Grischnakh" Vikernes im Gefängnis wohlfeil formulierte Nazi-Sätze in die Kamera – blitzgescheit und charismatisch; er könnte fast als Pressesprecher einer norwegischen Regionalbank durchgehen. Das ist denkwürdiger als die Szene, die einen anderen Protagonisten dabei zeigt, wie er sich bei einer Kunstperformance den Arm einritzt.

 

So packend "Until the Light Takes Us" geraten ist, am Ende verharrt der Film zu lang im inneren Kreis. Denn: Was haben Kriminologen, Psychologen, Musikexperten zu sagen? Grosses Schweigen. Man kann nur spekulieren, was wirklich abging unter diesen bleich geschminkten Wirrköpfen, die sich nach Tolkien-Schurken benannten und menschliche Knochenstücke als Amulette aufbewahrten. War ihnen im Sozialstaat Norwegen einfach zu langweilig? Sie hätten sich ja allerdings auch für Reggae oder Funk begeistern können – wie die fast gleich alten Norweger Lindström und Prins Thomas, die später ein Revival von Cosmic Disco eingeläutet haben . . . Aber das ist schon wieder eine andere Geschichte.

 

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Ein Buch von Norient

 

brn. · Wer kennt Vodoohoop, Daggering, Dabke? Das Buch "Out of the Absurdity of Life. Globale Musik" deckt weisse Flecken auf der globalen Musik-Karte auf. Auf 328 Seiten werden künstlerische und gesellschaftliche Befindlichkeiten zwischen London und São Paulo verhandelt. Die Texte werfen Schlaglichter auf den kamerunischen Pop, einen möglichen Soundtrack zur Occupy-Bewegung und die musikethnologische Relevanz von Janoschs Kindergeschichte "Oh, wie schön ist Panama". Meist sind die Texte journalistisch, manchmal auch akademisch; ergänzt werden sie mit Analysen, Interviews und Zitaten; Bildern, Covers, Konzertplakaten. Dabei streifen die Herausgeber Theresa Beyer und Thomas Burkhalter auch lokale Phänomene wie die Berner "Tanz dich frei"-Partybewegung. Musik stiftet eben Identität. Und Musik ist immer wieder Heilmittel. In den Worten des Handörgelers Alois Lüönd: "Wenn einisch ä schlächti Luun hesch, muesch halt e chli go orgele. De besserets wider e chli." Es ist das erste Buch der Online-Plattform Norient. Die unerschöpfliche Neugier, die die Norient-Macher antreibt – sie ist für den Leser ein grosser Gewinn.

 

Theresa Beyer, Thomas Burkhalter: Out of the Absurdity of Life (Norient Traversion, Bern 2012, 328 S., Fr. 36.–).

 

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20 Minuten 11.1.13

 

Norient: Fette Beats und ekstatisches Po-Wackeln

 

BERN. Fette Beats, Tanzkurs und eine Lektion in Sachen schwuler Rap, das gibt es am Norient-Musikfilm-Festival.

 

Das vierte Norient-Musikfilm-Festival stellt heuer mit einem Film und einem Club-Gig den Queer-Rapper Big Freedia vor, eine Ikone der Sissy-Bounce-Bewegung in New Orleans. Das filmische Porträt "Almost Famous" läuft morgen um 22.30 Uhr im Kino der Reitschule. Der Auftritt findet danach im Club Bonsoir statt.

 

Bounce ist eine repetitive und energetische Form des Hip-Hop aus New Orleans. Typisch dafür sind zwei Elemente: der Call-and-Response-Stil, – ein Spiel, bei dem der MC mit kurzen Aufrufen Reaktionen im Publikum auslösen will – und ekstatisches Arschgewackel. Sissy Bounce ist das homosexuelle Pendant dazu. Laut der US-Musikjournalistin Alison Fensterstock richte sich das Subgenre aber nicht explizit an die Gay Community. So würde ein mehrheitlich weibliches und heterosexuelles Publikum die Sissy-Bounce-Nächte in New Orleans besuchen.

 

Wer sich nun mit den nötigen Bounce-Skills für die Party am Samstag ausrüsten will, der kann das: Am Freitagabend gibt sich nämlich die Sissy-Bounce-Queen persönlich die Ehre und lehrt im Bonsoir ab 18 Uhr die wichtigsten Tanzschritte. PEc

 

www.norient.com


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kulturstattbern.derbund.ch 10.1.13

http://newsnetz-blog.ch/kulturstattbern/blog/2013/01/10/musikwelt-statt-weltmusik/

Musikwelt statt Weltmusik

 

Von Roland Fischer am Donnerstag, den 10. Januar 2013, um 05:31 Uhr

 

Die Welt ist keine Spieldose, auch keine Drehorgel, sie ist eine Jukebox. Allerlei statt einerlei - längst herrscht in der Musikwelt die totale Auswahl von Stilen und Zeiten, man könnte auch sagen: die grosse Unübersichtlichkeit. Oder noch anders: Wir leben überhaupt in einer Musikwelt, und in einer solchen macht der Begriff Weltmusik keinen Sinn mehr. Umso mehr Sinn macht es, diese Musikwelt mit offenen Augen und Ohren zu durchstreifen und Geschichten zusammenzutragen, die einen Eindruck vom Klang dieser Jukebox geben.

 

Norient macht ebendies, seit zehn Jahren, auf dem in Bern beheimateten aber weltweit gelesenen Blog ebenso wie am alljährlichen Filmfestival, das heute abend startet. Ebenfalls heute stellen die beiden Norient-Editoren Theresa Beyer und Thomas Burkhalter auch das erste Buch vor, das aus der Norient-Idee geboren worden ist. Der dicke Band namens Out of the Absurdity of Life versucht im Untertitel gleich eine Neudefinition: "Globale Musik" will er versammeln, wobei auch dieser Begriff nicht ganz glücklich ist. Denn wenn die Jukebox auch ein globales Spektrum bietet, sind deshalb doch nicht gleich alle Stile global. Das ist ja überhaupt das Spannende, dass die grosse musikalische Mischtrommel zwar alle möglichen Einflüsse vermengt, dabei aber nicht einfach ein Soundmonochrom schafft, eine überall gleich klingende Suppe, sondern ein kaleidoskopisches Muster.

 

 

Und dieses Muster erkundet das aufwendig gestaltete Buch mit ebenso viel Neugier wie Fachkenntnis. Man wird durch die Lektüre keine Übersicht gewinnen, was sich weltweit tut in den Musikszenen, aber ein solcher Anspruch müsste sowieso fehlgehen. Ein wilder Mix von Stilen und Weltgegenden ist versammelt, von der Cumbia über den Ländler und Occupy bis zur Londoner Grimeszene. Man kann sich fragen, ob der Mix auch bei den Textformen gerechtfertigt ist, ob es Sinn macht, akademische Texte neben farbig erzählten Reportagen zu drucken. Wenn man das Buch aber schlicht als musikalischen Reiseführer versteht, wird man auf jeden Fall eine Menge spannender Gegenden entdecken. Dabei aber unbedingt den passenden Blogbeitrag aufrufen, damit man den Soundtrack zu den Texten immer mitlaufen lassen kann. Denn eines schaffen alle Texte des Buchs: Man möchte wissen, wie das klingt, was da beschrieben wird.

 

Buchvernissage wie Filmfestival finden im Reitschulkino statt. Heute abend steht nach der Vernissage um 17.30 Uhr New Orleans auf dem Programm, mit den Filmen Bury The Hatchet und Liquid Land und kreolischer Küche zwischendurch. Reservation unbedingt empfohlen.

 

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Bund 10.1.13

 

"Frollein Rache"

 

Furchtbar fröhliche Vendetta

 

Das grauenerregende Mitfühltheater der Gruppe Grenzgänger feierte in Zürich fulminant Premiere. Nun kommt das Stück nach Bern.

 

Drei Minuten. Drei Minuten Heulen und Herzweh, Schwindel und Schwitzen. Die Ohren malträtiert durch das angstvolle Flehen eines Kleinkinds. Newa Grawit schluchzt, hinreissend hilflos, "Mami" ins Mikro. Die glühende junge Gruppe mit dem sprechenden Namen Grenzgänger hat definitiv ihren Punkt gemacht.

 

Ohne diese Szene wäre "Frollein Rache", die neue Produktion der Grenzüberschreitungsgurus der freien Theaterszene, einfach ein intelligentes Kammerspiel, eine Versuchsanordnung zu den Kniffen kathartischer Dramaturgie. Und zugleich ein starkes Stück über das Wesen der Rache, angelehnt an den Film "Lady Vengeance" (2005) des südkoreanischen Regisseurs Park Chan-wook, aufgerüstet mit Karlheinz Stockhausens Schockstatements über 9/11 ("Das grösste Kunstwerk, was es überhaupt gibt für den Kosmos").

 

Die Kinderquälszene aber holt noch mehr aus diesem Projekt heraus, lässt es kippen, macht aus der Soiree ein grauenerregendes Mitfühltheater, arrangiert vom Anti-Theater-Regieduo Julian Grünthal und Shir Freibach, die beide auch für den Text zeichnen. Unser Lachen, selbst noch über die unerschütterliche Vera Kardos als Geigerin im Rollstuhl ("Die Behindertendarstellung erhöht die Chance auf einen Oscar"), versinkt im Weinen.

 

Das vierköpfige Ensemble bastelt die Geschichte über einen kindermordenden Primarlehrer locker auf die karge Bühne, mit nichts als einem Sessel, einem Bilderbuch und ein paar Elektrokabeln (der hochkomische Philippe Graber nimmt sich als Monster selbst nicht ernst). Man diskutiert, was das Publikum jetzt wohl am meisten packen würde. Man skizziert die Wirkungsweisen von Adrenalin; für die Glückshormone wiederum ist Man Cao mit ihren chinesischen Tänzen zuständig. Genau, multikulturell ist es auch, dieses chinesisch-schweizerisch-israelisch-ungarische Ensemble ("Das kommt gut an bei Pro Helvetia"). Die seit 2011 bestehende Filiale Grenzgänger Zürich arbeitet also fröhlich mit dem "Frollein Rache": Das Furchtbare ist eine Figur der Manipulation, eine Schrumpfform des Schreckens, meinen die wilden Theaterwühler. Die Grenzgänger demonstrieren, wie dramatisches Erzählen funktioniert. Und dass keine Manipulation wunderbarer und heftiger ist als die der Fiktion. (ked)

 

Tojo-Theater Do, 10. bis Sa, 12. 1., je 20.30 Uhr.

 

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BZ 10.1.13

 

"Frollein Rache"

 

"Frollein Rache" ist eine Produktion von Grenzgänger Zürich. Julian Grünthal (Co-Regisseur von "Mary & Johnny") erforscht mit seinem babylonischen Ensemble aus der Schweiz, China, Deutschland, Israel, Ungarn und England die Themen Rache und Gewalt. Dabei bewegen sie sich auf den Spuren griechischer und fernöstlicher Mythologie und schlagen Brücken zwischen Aristoteles, Stockhausen, der Biochemie unseres Hirns und der Pekingoper.pd

 

Heute Donnerstag, 10.1., bis Samstag, 12.1., je 20.30 Uhr, Tojo Theater Bern

 

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Bund 10.1.13

 

Mark Bérubé

 

Hosenträger überm Baumwollhemd

 

Der hats gut: Mark Bérubé muss sich Vergleiche mit Leonard Cohen gefallen lassen und eröffnet Konzerte für Sophie Hunger.

 

Mark Bérubés Heimat ist Kanada. Er singt, komponiert und betätigte sich auch sonst poetisch, zum Beispiel in einer Spoken-Word-Gruppe mit Namen The Fugitives. Diese Fakten und seine Tüchtigkeit haben dazu beigetragen, dass er im kanadischen Rundfunk CBC mit dem Grossmeister Leonard Cohen verglichen wurde. Solch eine Referenz lässt natürlich aufhorchen.

 

Schier unzählige Konzerte gaben Mark Bérubé die Gelegenheit, seine Stimmbänder zu ölen und sein flüssiges Klavierspiel zu perfektionieren. 2011 erschien sein viertes Studioalbum "June in Siberia", aufgenommen im Studio vom Howard Bilerman, der früher einmal Bandmitglied von Arcade Fire war. Gemeinsam mit The Patriotic Few, bestehend aus einer Cellistin, einer Bassistin und einem Schlagzeuger, streute der rothaarige naturburschenhaft aussehende Bérubé seine Musik über Länder und Meere. Er eröffnete Sophie Hungers Konzert im La Cigalle in Paris und letzten Dezember auch jenes in der Kaserne in Basel. Die Sympathien zwischen den beiden scheinen tief zu sitzen, spielt er doch auch Piano auf Hungers neustem Werk "The Danger of Light". Und dann ist da diese offensichtliche Leidenschaft für A-Capella-Gesang, die sowohl Hunger wie auch Bérubé gerne auf der Bühne ausleben - zur Freude des Publikums, versteht sich!

 

Die Musik des Bérubé klingt nach Baumwollhemden und Hosenträgern, die sich drüberspannen. Sie klingt nach einem sonnigen Tag im Blumenfeld; alles wunderbar stimmig, mitunter mehrstimmig und am Ende ein wenig traurig. Zur Einstimmung aufs Konzert kann das Video zum Lied "Above the Ground" dienen. Schön! (mik)

 

Reitschule Dachstock Fr., 11. Januar, 21 Uhr.

 

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BZ 10.1.13

 

Folkpop

 

Kanadischer Poet

 

Man vergleicht ihn gerne mit Leonard Cohen: den kanadischen Singer-Songwriter Mark Berube. Tatsächlich erinnern seine Songs in ihrer poetischen Leuchtkraft ein bisschen an den älteren und bekannteren Landsmann Berubes. Nun kommt Berube - der letztes Jahr als Vorband von Sophie Hunger in Paris auftrat - nach Bern, um sein aktuelles Album "June in Siberia" vorzustellen. pd

 

Konzert: Fr, 11. Januar, Dachstock der Reitschule, 21.30 Uhr, Bern. www.petzitickets.ch.

 

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kulturagenda.be 10.1.13

 

Die Elektrostubete feiert den sechsten Geburtstag

 

Das Burgdorfer Partylabel Elektrostubete steht für minimale elektronische Musik. Im Dachstock feiert es sein Sechsjähriges. Für die Musik sind unter anderem Kate Simko (Bild) und East End Dubs besorgt. Erstere driftet dann und wann in langsamere Deep-House-Gefilde ab, Letzterer bringt dann aber auch die letzten Gliedmassen zum Zucken.

Dachstock in der Reitschule, Bern. Sa., 12.1., 23 Uhr



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kulturagenda.be 10.1.13

http://www.kulturagenda.be/rubrik/sounds/am_norient_gibt_es_filme_fur_die_ohren/

 

Am Norient gibt es Filme für die Ohren

 

Filme, die Musikgeschichte(n) erzählen, zeigt das 4. Norient Musikfilm Festival. An den vier Veranstaltungsorten in der Stadt Bern kann Musik aber auch diskutiert und getanzt werden.

 


"Little Big". Die Liebesgeschichte des Musikers Boris Red taugt auch als soziale Studie. © Temelko Temelkov

Sie dürfte in Bulgarien in so manchem Teenagerzimmer von der Wand lächeln: Desi Slava, Sängerin mit platinblonden Haaren, ist in ihrer Heimat ein Popstar. "Tschalga" nennt sich ihr Musikstil, eine einigermassen kitschige Mischung aus westlicher Pop- und osteuropäischer Volksmusik. Im Dokumentarfilm "Little Big" erzählt das Starlet von seiner Bewunderung für den Gitarristen einer mässig erfolgreichen lokalen Metal- Rock-Band.

Es ist eine spezielle und skurrile Liebesgeschichte, die der Regisseur Yassen Grigorov bei seinem Besuch beim 4. Norient Festival im Gepäck hat. Sie zeigt Musik im Spannungsfeld zwischen Mainstream- und Subkultur und gewährt Einblicke in ein Land, das sich nicht zwischen dem Aufbruch und dem Festhalten an Traditionen entscheiden kann. Ein Musikfilm ganz nach dem Geschmack von Norient.

 

Musikalische Schatzsuche

 

Norient ist ein Netzwerk aus Musikwissenschaftlern, Journalisten und Musik-Aficionados, das weltweit abseits gängiger Kanäle nach Musik und den dazugehörenden Geschichten sucht. Die Funde werden anschliessend im umfangreichen Online-Magazin publiziert. Seit vier Jahren organisiert das Team um den Berner Musikethnologen Thomas Burkhalter und den Videokünstler und Radiomoderator Michael Spahr zudem das Norient Musikfilm Festival. Bei diesem werden an vier Abenden an vier Orten (Kino und Rössli-Bar in der Reitschule, Bonsoir, Turnhalle) Filme präsentiert, Livemusik gespielt, getanzt und diskutiert.

Jeder Abend hat seinen eigenen Themenschwerpunkt. Am Samstag ist Trashiges und Queeres (Queer: Sammelbegriff für alternative sexuelle Ausrichtungen) angesagt. "Almost Famous" heisst der Film, der die exzentrische Sprechsängerin Big Freedia aus New Orleans porträtiert. Diese bringt im Anschluss das Bonsoir mit dem in ihrer Heimat gehypten "Bounce", einem ultraschnellen, elektronischen Rap-Subgenre, höchstpersönlich zum kollektiven Mit-dem-Hintern-Wackeln. Wie man das am besten tut, zeigt Freedia am Freitag in einem Tanzkurs (Bonsoir, 18 Uhr).

 

Jenseits und inmitten von Mardi Gras

 

New Orleans, auf Sumpf gebaut und getragen von Rhythmen und Melodien, steht auch am Donnerstag im Mittelpunkt des Filmfestivals: In "Liquid Land" porträtieren zwei Schweizer, eine Filmemacherin und ein Musiker, die experimentelle Musikszene im "Big Easy", abseits aller Mardi-Gras-Folklore.

Doch sogar über diese gibt es unbekannte Geschichten zu erfahren: "Bury The Hatchet", was so viel wie "Begrabt das Kriegsbeil" heisst, zeigt die Tradition der Karneval-Clans. In diesen Clans gruppieren sich afroamerikanische New Orleaner während der Karnevalssaison, die, verkleidet mit Federkronen und Indianergewändern, um die Vorherrschaft auf der Karnevalsroute kämpfen - früher mit Fäusten, heute mit Musik und schrillen Kostümen. Im Filmjargon nennt man dies ein Happy End.

 

Basil Weingartner

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Kino und Rössli in der Reitschule, Bonsoir, Turnhalle, Bern. Do., 10., bis So., 13.1.

www.norient.com

 

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Musikfilmfestival Norient - das Programm

 

Zum Auftakt des Festivals feiert das neue Buch von Norient Vernissage im Kino der Reitschule. Es widmet sich globalen und lokalen Musikphänomenen. Als erster Film läuft "Bury The Hatchet". Später wird im Rössli kreolisches Essen serviert (Reservation erforderlich: anmeldung@ norient.com).

Und im Film "Liquid Land" berichten zwei Kunstschaffende von ihren Erlebnissen in New Orleans’ alternativer Musikszene. Danach beschallt das Motherland Soundsystem das Rössli; das temporäre Kino wird wieder zu einer Bar.

Kino und Rössli in der Reitschule, Bern

Do., 10.1., 17.30 Uhr

 

"Children of the Bible" widmet sich mit der Lebensgeschichte eines engagierten Rappers der äthiopischen Minderheit in Israel. Der im Anschluss gezeigte Film "Until the Light Takes Us" porträtiert die Black-Metal-Szene Norwegens. Zum Schluss gibt es kultige Musikvideoclips zu sehen.

Kino in der Reitschule, Bern

Fr., 11.1., ab 20 Uhr

 

Der bulgarische Film "Little Big" erzählt von der Beziehung zwischen einer Popsängerin und einem Hardrockgitarristen. Danach heisst es "Almost Famous": Der letzte Film des Festivals stellt die Rapperin Big Freedia in den Mittelpunkt. Diese tritt anschliessend im Bonsoir auf die Bühne.

Kino in der Reitschule, Bern. Sa., 12.1.,

ab 16 Uhr, Party im Bonsoir ab 23.30 Uhr

 

Zum Abschluss tritt der Diktator des imaginären Staates Kadebostan auf die Bühne der Turnhalle. Zusammen mit seinem Gefolge spielt der Genfer Produzent Kadebostan Clubsound mit ost- und südosteuropäischem Einschlag. Das Festival endet damit standesgemäss mit einer Hymne. Grosses Kino.

Turnhalle im Progr, Bern

Sa, 13.1., 20.30 Uhr

 

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WoZ 10.1.13

 

Festival

 

Norient in New Orleans

 

Das vierte Musikfilmfestival Norient präsentiert neben Filmen aus Bulgarien, Norwegen, Sim­babwe, Ägypten, Israel und Äthiopien auch Konzerte und DJ-Sets. "Children of the Bible" (2009) von Nitza Gonen berichtet aus dem Leben von äthiopischen JüdInnen in Israel, und Peter Kraut führt durch die Geschichte des Videoclips.

 

Der Schwerpunkt des Festivals liegt mit dem Auftritt der Queer-Rap-Queen Big Freedia auf New Orleans. Das ist aber nicht alles, Trash und Kitsch gehören genauso dazu wie die kreolische Küche von Miz Mockingbird. Der Regisseur Aaron Walker blickt in "Bury the Hatchet" (2010) hinter die Kulissen der afroamerikanischen Tradition. In "Liquid Land" (2012) von Michelle Ettlin erfährt man einiges über die experimentelle Musikszene der Stadt im Mississippi­delta. Die ProtagonistInnen des Films, darunter der Spoken-Word-Artist Moose Jackson und der aus Zug stammende Schlagzeuger Simon Berz, sind anschliessend im Konzert zu hören. ibo

 

Norient Musikfilm Festival in: Bern Reitschule Kino und Rössli Bar, Club Bonsoir und Turnhalle Progr, Do-So, 10.-13. Januar. www.norient.com

 

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Bund 10.1.13

http://www.derbund.ch/kultur/kino/Federmaenner-und-Brandstifter/story/23643550

Norient Musikfilmfestival: 10. bis 13. Januar

 

Federmänner und Brandstifter


Von Regula Fuchs

Was haben der finstere Black Metal und der pulsierende Karneval in New Orleans miteinander zu tun? Augenscheinlich nichts. Und doch treffen sie sich: dort, wo die Gewalt in Kunst umschlägt.

 


Am Norient-Musikfilmfestival kollidieren die Mardi-Gras-Indians mit Black Metal. Bild: zvg

 

Das Mikrofon sollte nicht möglichst gut sein, sondern möglichst schlecht. Und der Verstärker durfte rauschen und knistern, so viel er wollte. "Es war eine Rebellion gegen die sogenannt gute Produktion", erinnert sich Varg Vikernes an seine ersten Plattenaufnahmen Anfang der Neunziger. "Necro-Sound" tauften die jungen Norweger damals ihre Musik: "Sie sollte möglichst übel klingen."

 

Bedrückende Gitarrenriffs, zertrümmerte Songstrukturen, Anschreien gegen die geordnete Welt, Gesichter mit Leichenbemalung, Shows, in denen man sich mit Messern ins eigene Fleisch schnitt: Ende der Achtzigerjahre entstand in Norwegen der Black Metal. Dass diese düstere Spielart des harten Rocks und ihre Posen gar nicht so weit entfernt sind von der ikonisch gewordenen nordischen Verzweiflung auf Edvard Munchs Bild "Der Schrei", zeigt der Dokumentarfilm von Aaron Aites und Audrey Ewell: "Until the Light Takes Us" läuft in Bern im Rahmen des Norient-Musikfilmfestivals.Wie kam es aber, dass Vikernes heute im Hochsicherheitsgefängnis in Trondheim sitzt? Dass 1992 und 1993 in Norwegen unzählige Kirchen brannten? Dass aus den Zwanzigjährigen, die einst in ihrem obskuren Plattenkeller hockten und über Cornflakes diskutierten, Straftäter wurden? "Until the Light Takes Us" analysiert kaum, erklärt wenig - und lässt die Beteiligten von damals die Geschichte selbst rekonstruieren. So entsteht das Bild einer Jugend, die behütet aufwuchs und sich irgendwann gegen das gepolsterte Leben im Wohlstand aufzulehnen begann. Einerseits in der Musik, andererseits aber auch ganz handfest. Vikernes und seine Kumpel bunkerten als Halbwüchsige Waffen und schossen auf McDonald’s-Schaufenster. "Wir wünschten uns einen dritten Weltkrieg. Denn wenn etwas Neues entstehen soll, muss das Alte zerstört werden." Mit der Zeit kleisterte er sich eine verstörende Ideologie zusammen, gemäss der das Christentum die Wurzel allen Übels ist. So wurde er zum Brandstifter und letzten Endes auch zum Mörder. Die Medien brandmarkten die Täter als Satanisten. Damit hatten sie allerdings nichts zu tun; wie die Kirchenbrände zu einem medialen Lauffeuer und von unzähligen Nachahmern missinterpretiert wurden - auch das führt "Until the Light Takes Us" vor Augen.

 

Die Rebellion der jungen Black-Metal-Männer manifestierte sich aber nicht nur in Gewalt, sondern löste sich bei einem anderen Mitglied der Szene in Kunst auf: Gylve Nagell, ein blasser langhaariger Mann mit aparten Augenringen, ist heute noch Vorsteher der Band Darkthrone - und gibt auf der Bühne seinem Flirt mit der Finsternis, der Kälte und dem Tod Ausdruck.

 

Eine hopsende Farbexplosion

 

Neben einem thematischen Schwerpunkt zu Metal und Religion zieht es das diesjährige Norient-Festival auch ins feuchtwarme New Orleans. Der Dokfilm "Bury the Hatchet" ist so etwas wie das Gegenstück zu "Until the Light Takes Us" - wo Blässe war, ist Farbe, anstelle von Vereinzelung und Verzweiflung steht die Feier der Gemeinschaft. Aaron Walker geht der Tradition der Mardi-Gras-Indians nach, einem wenig bekannten Neben-Karneval, in dem sich Afroamerikaner als Indianer verkleiden. Damit erinnern sie daran, wie ihre versklavten Vorfahren, die ihren Besitzern entflohen waren, bei Indianern Zuflucht fanden.

 

So tanzen die Stämme der Mardi-Gras-Indians heute mit 80-Kilo-Monstern von Kostümen durch die Strassen, bestickt mit Tausenden bunter Perlen, bestückt mit Hunderten von Straussenfedern: eine hopsende Farbexplosion. Aber die Umzüge der Mardi-Gras-Indians waren lange nicht nur heitere Folklore. Der Mardi Gras galt als Tag der Rache, und unter den Federbüschen versteckten sich oft Waffen, mit denen im Schutz des Trubels offene Rechnungen beglichen wurden. So lange, bis ein paar vernünftige Chiefs Anfang der Siebzigerjahre das Kriegsbeil begruben - und den blutigen Kampf auf den Strassen zu einem unblutigen Wettstreit darüber machten, wer das schönste Kostüm hat. An diesem Punkt treffen sich die beiden gegensätzlichen Dokumentarfilme: Sie zeigen, dass Musik, Kunst und Karneval eine erstaunliche Fähigkeit haben: Gewalt zu sublimieren. Hochspannend.

 

Kino in der Reitschule www.norient.com

 

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Nationales Blasorchester und praller Queer-Rap

 

Am Norient-Musikfilmfestival gibts die Musik nicht nur im Film, sondern auch auf der Bühne. Wirklich zusammenfassen lässt sich die Vielfalt des Blogs zwar nicht, aber die Macher des Festivals habens doch versucht und liegen mit der Auswahl der Acts so richtig, wies nur geht.

 

Wie tanzt man zu Sissy Bounce Queer Rap? Die Rapperin Big Freedia machts gleich selbst vor und veranstaltet im Vorfeld ihres Konzerts einen Tanzkurs der exquisiten Art. Das geht zwar ganz ohne Tanzgschpändli, dafür brauchts umso mehr Steissbein-Einsatz. (Club Bonsoir, Tanzkurs, Fr. 11. Januar, 18 Uhr. Konzert Sa., 12. Januar. 20.30 Uhr.)In einer schummrigen Bar sei Amina entdeckt worden - und war sogleich engagiert als Sängerin von The National Fanfare of Kadebostany (Turnhalle Progr, So., 13. 1., 20.30 Uhr). Klingt nach einer exotischen Geschichte aus weiter Ferne? Falsch: Es handelt sich um eine Anekdote aus der Stadt Genf. Auch Kadebostany liegt näher als gedacht: nämlich im Kopf des Samplemeisters Kadebostan. Er ist Regent über seine kleine Kolonie, die sich am Musikschatz der ganzen Welt bedient. "Songs from Kadebostany" heisst ihre erste CD, die diese Welt für den Dancefloor zusammenschrumpft. Über 100 Konzerte haben die stets in stolzen Uniformen Posierenden gespielt, unter anderem an den Olympischen Spielen in London. Die Neugierde auf ihr nächstes Album "Pop Collection" steigern sie mittels Video zu "Walking with a Ghost". Danach schlägt Youtube Adeles "Skyfall" vor. Daneben ist das nicht. (mik)

 

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BZ 10.1.13

http://www.bernerzeitung.ch/kultur/kino/Tonspur-von-Afrika-nach-New-Orleans/story/18184985

Tonspur von Afrika nach New Orleans

 

Filmfestival · Dass Rap auch schwul sein darf, mag hier erstaunen - in New Orleans sind männliche Bounce Queens wie Big Freedia angesagt. Die klingende Stadt steht im Zentrum des 4. Norient-Musikfilmfestivals, das heute in der Berner Reitschule mit einem Mardi-Gras-Film beginnt.



Plakatwerbung für die Demokratische Republik Tamtam: So farbig lädt das Motherland Soundsystem aus Zürich die Gäste des Norient-Musikfilmfestivals zum Abtanzen. Bild: zvg/Seraina Rothenberger

"Das Leben geht weiter, du kannst nicht aufhören zu leben, nur weil du alles verloren hast." Ganz alles hatte der Mann nicht verloren, als der Wirbelsturm Katrina 2005 über seine Stadt hinwegfegte und sie zur Schlammwüste machte: Nadel und Faden sind ihm geblieben, glitzernde Stofffetzen, Federn, Perlen. Bedächtig näht er an seinem Gewand für Mardi Gras, den Karneval, an dem die schwarze Bevölkerung von New Orleans den indianischen Ureinwohnern die Referenz erweist und unter der Führung aufwendig kostümierter Häuptlinge symbolische Kämpfe austrägt. Und der kleine Junge, der bei ihm auf dem Bett sitzt, hört ihm zu und strahlt - solange Mardi Gras stattfindet, geht die Welt nicht unter.

 

Mit "Bury the Hatchet" ("Begrab das Beil") beginnt das diesjährige Norient-Musikfilmfestival, gefolgt von "Liquid Land", einem Dokfilm, der die Rituale der Musikstadt in einer experimentellen Improsession Klang werden lässt. Die Musiker, die da zu sehen und hören sind, treten danach live in der Rösslibar auf. Und Miz Mockingbird, der Koch, der für die Festivalgäste kreolischen "Soul Food" zubereitet, ist ebenfalls aus den heissen Sümpfen Louisianas eingeflogen worden. Eine wahrhaft nahrhafte Hommage an New Orleans! Wer will, kann danach noch ein Verdauungstänzchen zu den Platten des Motherland Soundsystems wagen.

 

Tanzen mit der Dragqueen

 

Doch damit nicht genug. New Orleans bleibt während des ganzen, bis Sonntag dauernden Festivals präsent. Stichwort Bounce: Der energiegeladene Hip-Hop im afrikanischen Stil von "call and response" ist in der Stadt entstanden und Thema des Filmporträts "Almost Famous" über Freddy alias Sissy Bounce Queen Freedia.

 

Sissy Bounce? Sister Bounce. Zu diesem Begriff liefert das neue Norient-Buch (siehe Kasten) folgende Erklärung: "Der exzessive Bounce Rap mit stark sexualisierten Texten und Tänzen wird hauptsächlich von homosexuellen Männern in Dragshows performt." Big Freedia ist eine solche Dragqueen, und sie ist höchstselbst nach Bern gereist, um den Festivalgästen beizubringen, wie man ordentlich mit dem Hintern wackelt, mit den Beinen schlottert und andere, genretypische Balzbewegungen ausführt. Der Tanzkurs findet morgen Abend im Club Bonsoir statt, erproben kann man das Gelernte an der samstäglichen Clubnacht.

 

Die Kehrseite des Westens

 

Ein monothematisches Festival also? Nicht ganz. Neben einer trashigen Rock-’n’-Roll-Lovestory aus Bulgarien, einer Clipshow, die Peter Kraut unter dem Titel "Youtube Killed the Videostar" zusammengestellt hat, jüdisch-äthiopischem Politrap und dem audiovisuellen Abschlusstrip mit The National Fanfare of Kadebostany gibt es einen zweiten Themenschwerpunkt, weit weg vom lebenshungrigen New Orleans. Norwegen nämlich ist die Hochburg des Black Metal, jener harten, messerscharfen Rockmusik, die mit dem Satanismus liebäugelt und in den Neunzigern zu einer Welle von Kirchenverbrennungen und Selbstmorden geführt hat. Im Film "Until the Light Takes Us", gleich zweimal zu sehen, geben Metal-Musiker rückblickend Einblick in eine Szene, die das andere, das hässliche Gesicht der westlichen Gesellschaft widerspiegelt. Tina Uhlmann

 

4. Norient-Musikfilmfestival: heute, 10. 1., bis So, 13. 1., Reitschule Bern. Festivalprogramm: www.norient.com.

 

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Buchvernissage

 

10 Jahre Norient. Der Buchtitel lässts erahnen: "Out of the Absurdity of Life" stellt sich den Unwägbarkeiten des Lebens. Dies war schon immer ein Punkt, in dem sich die Ethnologie (Völkerkunde) von anderen Wissenschaften unterschied. Und Thomas Burkhalter, Kopf des Netzwerks Norient, ist Musikethnologe. Mit Norient.com betreibt er eine Plattform, auf der Wissenswertes zur "globalen Musik" ausgetauscht und publiziert wird. Einige dieser Aufsätze sind im vorliegenden Buch zum 10-jährigen Jubiläum des Netzwerks versammelt - die Buchvernissage macht heute den Auftakt zum Norient-Musikfilmfestival. Es ist ein interessant illustriertes Lesebuch zum Schmökern, Blättern und Zappen. Die Themen reichen von Begriffsklärungen ("Afrofuturismus", "Cumbia Digital", "Voodoohop") über Interviews und soziokulturelle Reportagen bis hin zur kritischen Selbstbefragung: Ist die Musikethnologie ein überholtes Fach? "Nein!", möchte man nach der Lektüre rufen. Nein, weil die Marketingkategorie "Weltmusik" hier neu definiert wird. Was Norient interessiert, ist die "Weltmusik 2.0": Musik aus den Metropolen des Südens, ihren Slums und Gettos - vorwiegend urbane Musik zwischen Tradition und globaler Vernetzung. Musik auch, die dank des digitalisierten Marktes direkt von den Künstlerinnen und Künstlern in die Clubs geliefert wird. Weltweit.tu

 

Theresa Beyer, Thomas Burkhalter (Hrsg): "Out of the Absurdity of Life". Deutsch und Englisch. Traversion. Vernissage: Heute, 17.30 Uhr, Kino Reitschule.

 

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Tagesanzeiger 10.1.13

 

Die Welt, wie sie klingt und kracht

 

Die Zukunft der Popmusik kommt aus Kamerun, Brasilien - und den Alpen.

 

Von Ane Hebeisen

 

"Musikalischer Fortschritt ist bis auf weiteres nur von Ländern der Dritten Welt und von Indien oder China zu erwarten", hat Simon Reynolds, Autor des kulturpessimistischen Buchs "Retromania", vor zwei Jahren behauptet. Der Satz ist auch der Leitgedanke des ersten Buchs des Berner Onlinenetzwerks Norient - doch hier ist die These alles andere als kulturpessimistisch gefärbt. "Out of the Absurdity of Life - Globale Musik" heisst der Wälzer, der ausloten will, wie denn die Fortschritt verheissende Musik klingt. Das Spektrum der verschiedenen Autoren ist breit, die Neugier gross, das Feld ein weites.

 

So wird über den kamerunischen Modetanz Bikutsi ebenso detailreich berichtet wie über den syrischen New Wave Dabke, es wird der Neo-Tropicália in São Paulo nachgespürt und der neuen Volksmusik der Schweiz. Panamaische Kopulationstänze werden als politisch-provokative Statements entlarvt, und es wird erfragt, welchen Einfluss der indonesische Underground-Rock auf den Demokratisierungsprozess des Landes ausgeübt hat. Das Buch ist ein kultureller Flickenteppich, und genau so will es verstanden werden.

 

Bisher Unerhörtes

 

Hier werden keine Ferndiagnosen gestellt, berichtet wird von Reisenden oder Ansässigen aus erster Hand, in einer Mischung aus wissenschaftlichem Eifer und purer Liebe zur Musik. Natürlich ist dem Buch auch ein gewisser Hang zum Exotismus eigen, diesem weltmusikalischen Fremdreiz, den der Musikproduzent Joe Boyd einst als "new sounds for a bored culture" umschrieben hat. Doch der Jäger-und-Sammler-Appetit auf bisher unerhörte Klangtrophäen wird nie zum Selbstzweck. Musikalische Phänomene werden in einen sozialen oder geschichtlichen Kontext gestellt und durchaus kritisch hinterfragt.

 

Dem ungeliebten, von Marketingleuten englischer Plattenfirmen kreierten Begriff der Weltmusik wird hier ein Neustart gewährt: Weltmusik 2.0 wird das Themenfeld neuerdings genannt und beschreibt nicht mehr bloss das, was in den Ohren des Westlers exotisch klingt: "Weltmusik 2.0 ist das Produkt von raumzeitlich entgrenzter Kommunikation", schreibt der Norient-Gründer Thomas Burkhalter in seinem Aufsatz. "Das alte Modell von Zentrum und Peripherie ist nicht einmal mehr in Ansätzen gültig. Wir leben in einer Welt der multiplen verwobenen Modernen." Und: "Die alte, saubere und sanfte Weltmusik wird attackiert und ersetzt durch neue, unbequemere Sounds."

 

Diese Sounds heissen Cumbia Electronica, Kuduro, Nortec, Tecnobrega, Tuki Bass oder Shangaan Electro und stehen im Fokus dieses Buches, verknüpft mit den Fragen, wie sie zustande gekommen sind, wie sie sich in den neuen Medien verbreiten und von was sie uns erzählen. Das ist dermassen einnehmend, dass man sich bei der Lektüre öfter dabei ertappt, nach imaginären Links zur beschriebenen Musik zu suchen. Und das ist denn auch der nennenswerteste Nachteil dieses Werks: Es sieht gut aus, es liest sich gut, aber es klingt nicht. Musikjäger sind deshalb mit dem Besuch der prima verlinkten Norient-Website (www.norient.com) besser bedient als mit der gebundenen Lektüre.

 

Theresa Beyer, Thomas Burkhalter: Out oft the Absurdity of Life - Globale Musik. Traversion, Deitingen 2012. 327 S., ca. 36 Fr.

 

Ab heute Donnerstag findet in Bern das Norient-Musikfilmfestival statt. www.norient.com.



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kulturagenda.be 10.1.13

http://www.kulturagenda.be/aktion/kolumnen/klartext/uber_die_grosse_halle/

 

Klartext mit Giorgio Andreoli über die Grosse Halle

 

Die Grosse Halle der Reitschule denkt über ihre Zukunft nach und hat Kulturveranstaltende und Interessierte eingeladen mitzudenken (siehe "Klartext " mit Philippe Cornu vom 21.12.). Wir fragen bei Giorgio Andreoli nach: Was sagt der Sprecher der Grossen Halle, seit 12 Jahren Mitglied der Betriebsgruppe, zum Zustand des Lokals?

 

 

In der Grosse Halle finden diverse Veranstaltungen statt wie Ausstellungen, Theater, Events, Konzerte und Märkte. Welches Konzept steht dahinter?

 

Die Grosse Halle ist eine gedeckte Allmende. Diverse Projekte aller Sparten lassen sich hier verwirklichen. Kulturschaffende und Veranstaltende können für ihre Projekte von einer leeren Halle ausgehen, die auch als Werkstatt und als Entwicklungsort genutzt werden kann.

 

Dafür, dass einiges stattfindet, wird die Grosse Halle wenig wahrgenommen. Fehlt eine klare Linie?

 

Die Wahrnehmung hängt damit zusammen, dass hier ganz verschiedene Sachen stattfinden können. Die Grosse Halle lebt einerseits von den Ideen, die die Kunstschaffenden und Veranstaltenden hier umsetzen. Andererseits gibt es wiederkehrende Anlässe, die wir selbst veranstalten. Etwa den monatlichen Reitschule-Flohmarkt, die "Blinde Insel" (Essen in völliger Dunkelheit, d. Red.), die Ende Jahr bereits zum neunten Mal und sehr erfolgreich stattfand, oder das Festival "Film und Musik". Die Herausforderung ist aber schon: Wie kann man das Angebot nach aussen tragen?

 

Es fehlt also konzeptbedingt das Stammpublikum.

 

Genau. Wir müssen auch noch mehr die Einmaligkeit der Halle für die Veranstaltenden aufzeigen: Es ist ein grosser Raum, zentral gelegen, in dem man zu finanziell günstigen Bedingungen etwas auf die Beine stellen kann.

 

Wird die Grosse Halle denn zu wenig genutzt?

 

Dieses Jahr sind nebst anderen Veranstaltungen das Konzerttheater Bern mit zwei Produktionen und die Musikschule Köniz mit einer Produktion von Lorenz Hasler zu Gast. Es ist einiges los; 2012 war die Grosse Halle mit 27 Programmen an über 250 Tagen belegt, aber es dürfte noch mehr sein.

 

Haben Sie deshalb zum Gespräch mit Berner Kulturleuten geladen?

 

Es geht darum, die Bedürfnisse von Veranstaltenden, Interessierten und Kulturschaffenden zusammenzutragen und herauszufinden, was es braucht, um die Grosse Halle für Projekte und Veranstaltungen aller Art attraktiv zu machen. Wir wollen offen sein. Wieso soll das nahe gelegene Kunstmuseum Bern nicht einmal eine Ausstellung mit zeitgenössischer Kunst hier zeigen?

 

In welche Richtung geht es?

 

Über 30 Interessierte haben am ersten Treffen im Oktober mitgemacht. Ende Februar treffen wir uns wieder. Wir werden über die Resultate informieren.

 

Sie haben die Konzert-Theater-Bern-Produktionen angesprochen. Was sagen die Reitschüler dazu, dass Sie mit dem Klassenfeind ins Bett gehen?

 

Ich bin mir nicht sicher, ob man das Konzert Theater Bern wirklich als Klassenfeind bezeichnen kann. Die Trägerschaft Grosse Halle ist ein eigenständiger Verein mit eigenem Leistungsauftrag und einem Mietvertrag mit der Stadt Bern. Das wird oft vergessen. Aber wir achten darauf, dass die Veranstaltungen in die gesamte Reitschule passen.

 

Letztes Jahr wurde ein Event von Ammonit gewaltsam gestürmt, daraufhin hat der Veranstalter sein Silvesterprogramm ins Ewigi-Liebi- Theater verlegt. Was können Sie gegen die Gewalt unternehmen?

 

Ich habe schon nach dem Vorfall gesagt: Wir können und wollen aus der Grossen Halle keine Festung mit möglichst viel Sicherheitspersonal machen, um Gewalt zu verhindern. Wir müssen das Konzept der Grossen Halle noch besser nach aussen kommunizieren und die Risiken abwägen.

 

Man muss also hin und wieder Gewalt in Kauf nehmen?

 

Nein, überhaupt nicht. Kritik an der Grossen Halle soll mit konstruktiver Auseinandersetzung stattfinden, Übergriffe wie im Mai 12 verurteilen wir. Die Ammonit-Events entsprechen einem Bedürfnis und werden von vielen Leuten besucht. Uns, der Trägerschaft Grosse Halle, sind diese Events auch aus finanzieller Sicht wichtig, um andere Projekte in der Grossen Halle zu ermöglichen.

 

Interview: Michael Feller

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journal-b.ch 9.1.13

http://www.journal-b.ch/de/012013/kultur/563/Von-Metal-Trash-und-anderen-Religionen.htm

 

Von Metal, Trash und anderen Religionen

 

Von Jessica Allemann

 

Grenzen der Darstellung und Kulturgrenzen ignorierend, lotst das Kulturnetzwerk Norient die Grenzen von Kunst und Kultur aus. Das Ergebnis: Unter anderem ein Musikfilm Festival wie eine Achterbahn.

 


Sie thematisieren Musik, als gäbe es nichts anderes auf der Welt: Norient-Köpfe Michael Spahr (li) und Thomas Burkhalter (Foto: Jessica Allemann)

 

Seit nunmehr zehn Jahren frönt Norient, das Netzwerk für Lokale und Globale Sounds und Medienkultur, dem gepflegten andersartigen Zugang zur Musik und deren Vermittlung. Ob in persönlichen Berichten oder wissenschaftlichen Abhandlungen, in journalistischer Reportage, künstlerisch-kreativer Auseinandersetzung oder etablierter Expertise: Die Macherinnen und Macher von Norient schreiben, zeigen und reden über Musik, als gäbe es nichts anderes auf der Welt. Die Welt der Musik und ihrem Kontext ist für sie unerschöpflich und doch sehr klein: Grenzen der Darstellung und Kulturgrenzen ignorierend, lotsen sie die Grenzen von Kunst und Kultur aus. So begegnen sich Schweizer Jodler und südafrikanische Gangsta-Rapper, es trifft ghanaischer Gospel auf norwegischen Black Metal - wenigstens in diesem einem virtuellen Kosmos, in dem Kulturgenuss nichts mit Kulturgrenzen zu tun hat.

 

Kurz vor dem 4. Musikfilm Festival des Netzwerks haben wir mit Thomas  Burkhalter, Gründer und Chefredakteur von Norient, und Michael Spahr, Videokünstler, Radiomacher und und Co-Direktor des Musikfilm Festivals über musikalische Vorurteile, sinnlos teures Filmequipement und Geschmacksverirrungen gesprochen. Und darüber, wie sich wegen ihnen bulgarische Botschafterinnen in die Reitschule verirren.

 

Ihr ignoriert grundsätzlich alle möglichen Grenzen, sagt augenzwinkernd, dass ihr nicht unterscheidet zwischen Hoch- und Subkultur, zwischen "hochsubventioniert", "selbstsubventioniert" und "selbstausgebeutet", seid ihr die Rebellen der Kulturvermittler und Festivalveranstalter?

 

Thomas Burkhalter: Wir sind vielleicht Rebellen der Weltmusikszene. Ich habe die Plattform im Jahr 2002 gegründet, weil es mich als international arbeitender Musikjournalist gestört hat, dass die Produktionen von Künstlerinnen und Künstlern aus fernen Ländern hier kaum Plattform finden. So habe ich angefangen, neben meinen journalistischen Auftragsgeschichten auf Norient meine eigenen Geschichten so zu publizierten, wie ich sie haben wollte - unabhängig von den Einflüssen von Labels, der Werbewirtschaft und weiteren Interessenvertretern. Ich machte zum Beispiel eine Reportage in Serbien, in der der dort umstrittene Musiker Goran Bregović bei einem Weltmusikmagazin nur schon darum vorkommen musste, weil er Vertrieb in Deutschland hatte und dieses Magazin eben von Werbeeinahmen von solchen Vertrieben und Labels abhängig war. Bei Norient habe ich Bregovic dann aus der Reportage genommen. Dafür gab es auf Norient ein kritisches Interview.

 

Ihr setzt New Orleans neben Norwegen und Ghana neben die Schweiz - es kümmert euch nicht, von welcher Ecke der Erde eine Produktion stammt?

 

B: Es geht uns darum, dass man eine fremde Kultur nicht von Beginn weg als fremd betrachtet, sondern erst einmal schaut, was die eigentlich machen. Uns störte es auch, dass im Bereich der Weltmusik Musiker aus Asien, Afrika und Lateinamerika nur dann beachtet werden, wenn sie etwas Exotisches bieten. Wenn sie Rock, Rap oder Punk machen, ist es nicht mehr spannend. Deshalb haben wir angefangen zu schauen, was in diesen Ländern im Underground passiert... Wir haben also eigentlich nie Weltmusik behandelt, aber aktuelle Musik aus Afrika, Asien und Lateinamerika thematisiert.

 

Michael Spahr: Daher kommt auch der Name "Norient". Bei den Arbeiten am gemeinsamen Dokumentarfilm über Inder und Pakistani in England, haben sich die britischen Inder bei uns beklagt, dass ihre Musik, sobald man sie sähe, sofort als "ein wenig orientalisch" beurteilt werde. Norient heisst so viel wie "No Orient" und steht für antikolonialistisch, modern, globalisierend. Unter anderem mit diesem Film wurden wir 2008 an ein Musikfilm Festival in Krakau eingeladen. Das Festival hat uns ausgesprochen gut gefallen, und wir haben den Leuten dort auch gefallen, haben jedenfalls den Publikumspreis gewonnen.

 

B: Wir wissen allerdings nicht, ob es nur wegen dem Film war, oder weil wir dort während einer Woche herumgehangen sind und gefeiert hatten.

 

S: Aber das Konzept des Musikfilm Festivals hat uns jedenfalls sehr gefallen, dass wir auch in der Schweiz etwas ähnliches aufziehen wollten.

 

Mit dem Musikfilm Festival können wir Musikfilmen, die ansonsten ein Nischendasein hegen und im Fernsehen höchstens zu Randzeiten ausgestrahlt werden, eine gute Präsenz geben.

 

B: Und wir sind vom Erfolg selber überrascht. Da stellst du eine Handvoll Filme zusammen, die sich sonst vielleicht kaum jemand anschauen würde, stellst sie in einen Festivalkontext und die Leute strömen herbei. Und das freut uns, dahingehend sind wir wie alle Festivalveranstalter. Wir wollen zu den Filmfestivals dazu gehören und sind sicher keine Festivalrevoluzzer.

 

Eure "Aufnahmekriterien" für Filme sind aber schon ungewöhnlich. Im "Norient Style Filmmaking" steht zum Beispiel, dass teures Equipment verschmäht werden und das Schreiben von Filmfördergesuchen weniger Zeit in Anspruch nehmen sollte als das Rumhängen mit potentiellen Protagonistinnen des Films...

 

B: Verschiedene Festivals haben verschiedene Kriterien. Bei uns muss etwas nicht zwingend auf dem neuesten Stand der filmtechnischen Umsetzung sein, aber es muss einem nahe gehen, eine Tiefe haben. So kann es vorkommen, dass wir auch Mal einen Film auswählen, der bei einem anderen Festival aufgrund filmischer Kriterien nicht weiterkommen würde, wenn er uns eine Geschichte erzählt, die aufwühlt und die Leute beschäftigt.

 

S: Ein schönes Beispiel ist ein Film aus Brasilien, der über Baile Funk aus den Armenvierteln in Rio berichtet. Die Bilder wurden von einer Frau aus der Szene mit einer einfachen Handycam aufgenommen und sind dementsprechend verwackelt und haben nicht immer die beste Tonspur. Sie gehen aber umso näher an diese Favela Funk Szene heran, so nahe würde ein Filmteam von hier mit einem noch so guten und teuren Equipment und Budget niemals an die Menschen herankommen.

 

B: Demgegenüber stehen unzählige oberflächlich gemachte Musikfilme, die - besonders in der Rapszene - eine stereotype Antwort auf die nächste geben... Das ist doch langweilig, selbst wenn es filmisch perfekt umgesetzt ist... Im Idealfall kommen aber natürlich die gute Form und die gute Geschichte zusammen. Aber es gibt auch Filme, bei deren Aufführung am Festival wir schon auch nervös werden, weil die filmische Qualität dermassen abgefallen ist, die Geschichte aber trotzdem beachtenswert blieb. Aber bis heute hat es funktioniert.

 

Der geographische Fokus des diesjährigen Programms liegt auf New Orleans. Thematisch stehen Metal, Religion und Satanismus und gleichzeitig Fragen zu Geschmack, Trash und Kitsch im Zentrum, wie kommt ihr auf eine solche Mischung?

 

B: Wir schauen uns durch den Stapel an Filmen und arbeiten massenweise Links zu Videos ab und wählen anhand von der Musik und den erzählten Geschichten die Filme aus. Und erst danach sehen wir, ob sich aus der Auswahl ein Thema ergeben hat oder ob sich mehrere Themen herauskristallisiert haben. Im diesjährigen Programm haben wir mehrere Filme aus der Metal-Szene, aber auch Geschichten aus der Popkultur, welche sich gerade noch an der Peripherie der Kultur aufhält, deshalb die Auseinandersetzung mit den Schlagworten "Kitsch, Trash und Geschmacksverstauchungen".

 

S: Wer sich heuer alle Filme anschaut, fährt eine brutale Achterbahn.

 

Wer kommt ans Musikfilm Festival?

 

B: Die Altersspanne der Besucherinnen und Besucher ist überraschend breit, im Saal sassen an den vergangen Aufführungen Menschen zwischen 25 bis 65 Jahre. Viele kann ich nirgendwo richtig ansiedeln, vor allem bei den Jungen, die den Grossteil des Publikums ausmachen. Dann besuchen uns Leute aus der Kulturszene und auch ältere Menschen, die hauptsächlich durch einzelne Filme angesprochen worden sind.

 

S: Je nach Thema des Films, sitzen andere Zuschauerinnen und Zuschauer vor der Leinwand. Eben hat zum Beispiel die bulgarische Botschaft einen Newsletter herausgegeben und auf Facebook eingeladen, weil wir den (?) bulgarischen Film "Little-Big" programmiert haben.

 

B: Jetzt diskutieren sie auf Facebook auf Bulgarisch - ich glaube, da kommen recht viele Bulgaren. Und die bulgarische Botschafterin hat uns angefragt, ob wir ihr Tipps geben könnten, wie man bulgarische Filme in die Schweiz bringen könne.

 

Und wer kommt am Wochenende nicht ans Festival?

 

S: Sicher Leute, die aus Prinzip nicht in die Reitschule gehen. Davon gibt es immer noch ein paar Vereinzelte in Bern. Aber es kann auch sein, dass sie sich eben gerade wegen dem Musikfilm Festival in die Reitschule verirren. Wie zum Beispiel die bulgarische Botschafterin.

 

B: Je nach Thema ändert sich auch das Publikum. Vielleicht kommen diesmal viele Metalheads. Ein paar einschlägige T-Shirts in den Stuhlreihen neben der bulgarischen Botschaftsdelegation würden mich jedenfalls freuen.

 

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4. Norient Musikfilm Festival

 

Das 4. Norient Musikfilm Festival ist vom 10. bis 13. Januar 2013. Die Filme werden alle im Kino Reitschule gezeigt, weitere Anlässe finden im Club Bonsoir statt.

 

Anlässlich des 10-jährigen Jubiläums tauft das Netzwerk Norient am 10.01.2013 um 17:30 im Kino Reitschule sein erstes Buch Out of the Absurdity of Life - Globale Musik.

 

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Zu den Personen

 

Dr. Thomas Burkhalter ist Musikethnologe, Musikjournalist, Kulturschaffender, Gründer und Chefredaktor von Norient. Er leitet das SNF-Forschungsprojekt "Globale Nischen - Musik in einer transnationalen Welt" an der Zürcher Hochschule der Künste.

 

Michael Rhaps ist Videokünstler und produziert Live-Shows und Visuals für Konzerte, Theaterstücke und Kunstperformances. Er ist Nachrichtenredaktor bei RaBe, Redaktor und Co-Direktor des Norient-Musikfilm Festivals.


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Bund 9.1.13

http://www.derbund.ch/kultur/pop-und-jazz/KamerunPanama-via-die-Alpen/story/10784342

Kamerun-Panama via die Alpen


Von Ane Hebeisen

Zu welchem Beat tanzt Ghana? Warum sind lateinamerikanische Tänzerinnen so leicht bekleidet? Ein neues Buch gibt Auskunft.

 


Die Neugier ist gross: Das Buch "Out of the Absurdity of Life". Bild: www.norient.com

 

"Musikalischer Fortschritt ist bis auf weiteres nur von Ländern der Dritten Welt und von Indien oder China zu erwarten", hat Simon Reynolds, Autor des kulturpessimistischen Buches "Retromania" 2011 behauptet. Dieser Satz ist auch der Leitgedanke des ersten Buches des Berner Online-Netzwerks Norient - und hier ist die These beileibe nicht kulturpessimistisch eingefärbt. "Out of the Absurdity of Life - Globale Musik" heisst der Wälzer, der ausloten will, wie denn diese fortschrittverheissende Musik im Heute klingt. Das Blickfeld der diversen Autoren ist breit, die Neugier gross, das Feld ein weites. So wird über den kamerunischen Modetanz Bikutsi ebenso detailreich berichtet wie über den syrischen New Wave Dabke, es wird dem Neo-Topicália in São Paulo nachgespürt, oder panamaische Kopulationstänze werden als politisch-provokative Statements entlarvt. Das Buch ist ein kultureller Flickenteppich, und genau als das will es verstanden werden.

 

Jäger und Sammler

 

Ferndiagnosen werden keine gestellt, berichtet wird von Reisenden oder Ansässigen aus erster Hand, in einer Mischung aus wissenschaftlichem Eifer und purer Liebe zur Musik. Natürlich ist dem Buch auch ein gewisser Hang zum weltmusikalischen Fremdreiz eigen, den der Musikproduzent Joe Boyd als "new sounds for a bored culture" umschrieben hat. Doch der Jäger- und Sammlerappetit nach bisher unerhörten Klang-Trophäen wird nie zum Selbstzweck.

 

Dem ungeliebten Begriff der Weltmusik wird hier ein Neustart gewährt: Weltmusik 2.0 wird das Themenfeld neuerdings genannt und beschreibt nicht mehr bloss das, was in den Ohren des Westlers exotisch klingt: "Weltmusik 2.0 ist das Produkt von raumzeitlich entgrenzter Kommunikation", schreibt der Norient-Gründer Thomas Burkhalter. "Wir leben in einer Welt der multiplen verwobenen Modernen." Und: "Die alte, saubere und sanfte Weltmusik wird attackiert und ersetzt durch neue, unbequemere Sounds." Diese Sounds heissen Cumbia Electronica, Nortec, Tecnobrega, Tuki Bass oder Shangaan Electro und stehen im Fokus, verknüpft mit der Frage, wie sie sich in den neuen Medien verbreiten und von was sie uns erzählen. Das ist dermassen einnehmend, dass man sich bei der Lektüre des Buches öfters dabei ertappt, nach imaginären Links zur beschriebenen Musik zu fahnden. Und das ist denn auch der Nachteil dieses Werks: Es klingt nicht. Die Musikjäger sind mit dem Besuch der prima verlinkten Norient-Homepage (www.norient.com) besser bedient als mit der gebundenen Lektüre.

 

Theresa Beyer, Thomas Burkhalter: Out of the Absurdity of Life - Globale Musik. Traversion, Deitingen 2012. 327 S., 36 Fr.

 

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tageswoche.ch 9.1.13

http://www.tageswoche.ch/de/2013_01/kultur/498411/der-sound-der-welt.htm


Der Sound der Welt

 

Satanisten-Metal aus Norwegen, Hip-Hop äthiopischer Juden, Queer Rap aus New Orleans: Das Norient Festival zeigt in der Berner Reitschule Dokfilme aus den Randgebieten der globalen Popszene. Ein Gespräch mit Festivalchef Thomas Burkhalter über Weltmusik und ihre gesellschaftliche Aussagekraft. Von Andreas Schneitter


Lädt zur Queer Party am Norient Musikfilm Festival: Hip-Hopper(in) Big Freedia aus New Orleans.

2002 hat der Berner Musikethnologe Thomas Burkhalter (39) das Online-Magazin Norient.com aufgebaut, mittlerweile sprechen auch "Die Zeit" oder "The Wire" darüber. Kein Wunder: Nach einer Plattform wie Norient muss man lange suchen. Die Autoren des Magazins - Journalisten, Wissenschaftler, Kulturtätige - horchen in die verschiedensten Ecken der Welt hinein und entdecken einen Sound, der wenig mit einem stereotypisierten Weltmusikbegriff zu tun hat, dafür viel mit Nähe zum Underground. Sie graben die Wurzeln des skandinavischen Black Metal aus, hören der wachsenden Elektroszene in Bangladesh oder im postrevolutionären Ägyptens zu, kompilieren die Rockmusik des Libanon oder erkunden die politische Liedermacher-Szene der "Nueva Canción" in Chile.

 

Der Musik- als Gesellschaftsjournalismus ist das Kerngebiet von Norient geblieben, Burkhalter und sein Team haben die Plattform in den vergangenen Jahren jedoch stetig ausgebaut: Norient tritt als Konzertveranstalter auf, produziert eigene Performances wie "Sonic Traces" 2011, eine Soundcollage zur Schweiz, und veranstaltet kommendes Wochenende zum vierten Mal ein Festival des internationalen Musikfilms (siehe Box). An diesem Festival wird Norient ausserdem erstmals als Buch vorgestellt: "Out Of The Absurdity Of Life" versammelt die prägendsten journalistischen wie wissenschaftlichen Textbeträge der Plattform aus dem vergangenen Jahr. Die Reihe soll jährlich fortgesetzt werden, um die Flüchtigkeit der Medienformen von Norient - Musik, Konzerte, digitale Daten - mit einer "bleibenden Tiefe" zu ergänzen, wie Burkhalter im Interview ausführt.

 

Herr Burkhalter, Sie führen mit Norient ein hochwertiges Online-Magazin über die Underground-Musik der Welt, ohne wirklich Löhne bezahlen zu können. Wie geht das?

 

Wir sind ein kleines Kernteam in Bern und Zürich, das den Karren zieht. Aber zu unserem Netzwerk gehören Journalisten, Kulturschaffende, Wissenschaftler aus der ganzen Welt. Die bieten uns ihre Texte als Zweitverwertungen an, dazu veröffentlichen wir auch eigene Geschichten. Wir haben ein höchst begrenztes Budget für das Magazin, verlangen allerdings auch keine Exklusivität. Aber zu Norient gehört mittlerweile eine konstant wachsende Community, der Name ist bekannt. Autoren überlassen uns in der Regel die Texte gerne.

 

Ihre Autoren sind nicht nur deutschsprachige Journalisten, sondern stammen aus der ganzen Welt. Woher haben Sie die?

 

Ich habe in Musikethnologie dissertiert. Da habe ich auf verschiedenen Kongressen gemerkt, dass ich nicht der einzige bin, der als Ethnologe an zeitgenössischer Musik und ihrer gesellschaftlichen Kontexte interessiert ist. Ein weit umspannendes Netzwerk entsteht dabei schnell, und für Norient ist uns schon wichtig, dass nicht nur westliche Autoren nach Afrika oder Asien fahren und mit ihren europäischen Hörgewohnheiten etwa über senegalesischen Hip-Hop schreiben. Sondern dass ein senegalesischer Journalist dasselbe für uns tut. Sein Blick ist natürlich auch kein objektiver, aber das gehört zum Rezept von Norient: Viele Blickwinkel sammeln, um ein möglichst umfassendes Bild zu erhalten.

 

Sie haben es angesprochen: das Genre der Weltmusik ist aufgrund des eurozentristischen Blicks und dessen Verengung auf die Exotik in seiner Geschichte regelmässig in Kritik geraten - gerade von Kulturwissenschaftlern. Welchen Begriff von Weltmusik hat Norient?

 

Das ist ein Problem, und von dieser Vorstellung grenzen wir uns ab: dass Weltmusik für europäische Ohren fremdartig klingen muss. Natürlich gibt es das, vor allem in der Folklore. Aber Musik ist auch in Afrika oder Asien offen, durchlässig und flüssig. Für Musiker aus diesen Ländern ist es problematisch oder einfach nur nervtötend, wenn ein westliches Publikum klischierte, exotische Erwartungen von ihrer Musik hegt. Diese Reaktion habe ich auf vielen Reportagen vor Ort erfahren. Denn selbstverständlich interessiert man sich auch in den Anden, auf dem Balkan oder in Südostasien für Rock, Pop und Elektro, saugt diese Stile auf und eignet sie sich an. Und findet damit auch westliche Hörer, wie der brasilianische Baile Funk oder der Tuareg-Blues aus Mali bewiesen haben. Man muss aber anerkennen, dass sich die Weltmusik-Industrie verändert hat und moderne Musik publiziert, die auch bei Norient verhandelt wird. An der Womex, der bedeutendsten Messe für Weltmusik, stossen wir regelmässig auf uns wohlbekannte Namen. Für den traditionellen Weltmusikmarkt ist unser Programm jedoch weiterhin zu sperrig. Und uns interessiert nicht nur die Dritte Welt, sondern auch Europa - und die Schweiz.

 

Dieses Wochenende findet das vierte Norient-Festival des dokumentarischen Musikfilms statt. Haben Sie damit die Idealform für Ihr Projekt gefunden? Multimediale Essays aus den Rändern der Popindustrie?

 

Der Dokumentationsfilm ist tatsächlich ein sehr gutes Format, um all die Inhalte zu präsentieren, die uns interessieren. Zuoberst steht immer die Musik, aber mit einem Film erreicht man sofort ein grösseres Publikum. 2008 wurden wir mit einem Film über indische und pakistanische Musiker in London an ein Festival in Polen eingeladen und gewannen sogleich den Publikumspreis. Das hat uns angespornt, ein eigenes Filmfestival zu veranstalten. Weil sich nach den Vorführungen mit den anwesenden Regisseuren Gelegenheit für vertiefende Gespräche ergeben.

 

Sie stellen dieses Jahr zusätzlich das erste Norient-Buch vor. Was ist "Out Of The Absurdity Of Life"? Eine Festschrift? Eine Bestandesaufnahme?

 

Sicher keine Festschrift. Das zehnjährige Jubiläum 2012 wäre an uns vorbeigezogen, wenn uns nicht ein Journalist drauf aufmerksam gemacht hätte. Formal interessierte es uns, Online-Texte in einem gedruckten Buch aufzubereiten, ausserdem gibt es nach wie vor Leser, die kaum Online-Medien benutzen. Das Buch soll die zentralen Themen von 2012 festhalten und, so hoffen wir, Jahr für Jahr für eine bleibende Tiefe sorgen. Online-Quellen verflüchtigen sich sehr schnell.

 

Das Buch hält u.a. den Beitrag "Once Upon A Grime In London" über die Zusammenhänge zwischen Grime-Musik und den Londoner Aufständen 2011 bereit. Benötigt Weltmusik, vor allem aus dem Untergrund, eine Verbindung zu lokalen gesellschaftlichen und politischen Themen, um Interesse zu wecken - für Ethnologen, aber auch für westliche Hörer?

 

Vielleicht braucht es das. Für einen Ethnologen ist es natürlich spannend, wenn er über die Gegenwartskultur Zugänge zur Gesellschaft findet. Allerdings finden sich im Buch auch Beiträge, die zum Beispiel Dabké-Musik aus Syrien behandeln und völlig bei der Musik bleiben. Es ist aber schon so, dass etwa palästinensischer Rap vor allem dann rezipiert wird, wenn er von Nahostkonflikt handelt. Für Musiker ist das ein Problem: Die werden von europäischen NGOs in ein Kongresszentrum eingeladen. Hiesige Rapper, das eigentliche Publikum also, gehen da in der Regel nicht hin, dafür spielen sie vor 50-jährigen Kulturvermittlern. Dort wird die konzeptuell passende politische Botschaft dann wichtiger als die Musik, und das ist natürlich nicht im Sinne ernsthafter Musiker.

 

4. Norient Musikfilm Festival. 10. bis 13 Januar, Reitschule Bern.


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Das Festivalprogramm

Zwei Themenblöcke vereint das Norient Musikfilm Festival, die unterschiedlicher nicht sein könnten: Religion und Satanismus, Queer-Rap und Kitsch. Die Dokumentarfilme erzählen von jüdisch-äthiopischen Rappern in Israel, von Black-Metallern aus Norwegen mit Nähe zum Satanismus, von einer erfolgreichen Schlagerpop-Sängerin aus Bulgarien, die für einen erfolglosen Trash-Metal-Gitarristen schwärmt - und von Sissy Bounce, einem Rap-Subgenre aus der homosexuellen Szene von New Orleans. Zur Eröffnung des Festivals, das vom 10.-13. Januar in der Reitschule Bern stattfindet, wird ausserdem das Norient-Buch "Out Of The Absurdity Of Life" vorgestellt.

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kulturstattbern.derbund.ch 7.1.13

Kulturbeutel 2/13

Von Gisela Feuz am Montag, den 7. Januar 2013, um 05:59 Uhr

Frau Feuz empfiehlt:
Besuchen Sie zwischen Donnerstag und Sonntag irgendeine Veranstaltung des 4. Norient Musikfilm Festivals. Gezeigt werden unter anderem Filme über Jazz aus New Orleans, Black Metal, Religion und Satanismus in Norwegen und äthiopischen Rap aus Israel. Auch der audio-visuelle Festival-Abschluss The National Fanfare of Kadebostany am Sonntag in der Turnhalle vom Progr sollte man sich nicht entgehen lassen.

 

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