MEDIENSPIEGEL 22. -28. April 2013

Bund 27.4.13

http://www.derbund.ch/kultur/theater/Ausweitung-der-Spielzone/story/20011977

 

Ausweitung der Spielzone

 

Vor der grossen Renovation des Stadttheaters wird aufgetrumpft: Mehr Kooperationen, mehr spartenübergreifende Projekte und mehr Spielstätten prägen die vielversprechende zweite Saison von Konzert Theater Bern unter der Intendanz von Stephan Märki.

 

Marianne Mühlemann und Brigitta Niederhauser

 

"Es gefällt uns hier", sagt Stephan Märki, und sichtlich entspannt zeigt sich bei der Präsentation des neuen Spielplans von Konzert Theater Bern (KTB) nicht nur der Intendant, sondern das ganze Leitungsteam. Für eine abschliessende Bilanz der ersten Saison sei es zwar noch zu früh, "mit dem Prozess, in dem wir stecken, sind wir aber zufrieden".

 

Mit einem verdichteten Spielplan - die neue Saison 2013/14 startet mit vier Premieren in nur neun Tagen - vertieft Märkis Crew den künstlerischen Kurs, den sie in ihrer ersten Saison eingeschlagen hat. Dabei setzt sie in allen Sparten vermehrt auf übergreifende Projekte, Kooperationen mit der lokalen Szene und ausländischen Theaterhäusern sowie auf neue Spielorte.

 

Geradezu exemplarisch spiegelt sich das Konzept einer Ausweitung der Spielzone im Programm der neuen Tanzchefin Estefania Miranda, die zum bisherigen Direktionsteam stösst. Die gebürtige Chilenin, die perfekt Deutsch spricht, will mit dem Tanz am Stadttheater in eine "neue Richtung" aufbrechen.

 

Gleiches Budget, mehr Tanz

 

Zwei Drittel ihres 12-köpfigen Ensembles übernimmt Miranda von ihrer Vorgängerin Cathy Marston. Eleven aus verschiedenen Kunsthochschulen werden die Compagnie ergänzen. Wie in der Musik und im Schauspiel sind im Tanz Koproduktionen und Kooperationen ein Schwerpunkt. Die neue Tanzchefin tritt damit nicht nur als Choreografin in Erscheinung, sondern auch als Türöffnerin für internationale Strömungen und Entwicklungen. Kooperationen seien der Schlüssel, wie sie mit gleichbleibendem Budget fast doppelt so viele Tanzprogramme wie bisher präsentieren könne. Die Tanzplattform Bern ist ein neues Gefäss: Unter diesem Titel will Miranda im Mai 2014 ein einwöchiges Tanzfestival lancieren. Sie versteht es als Ergänzung zu bestehenden Festivals und als Förderinstrument. Im Rahmen einer Gala sollen neu geschaffene Berner Tanzpreise vergeben werden.

 

Neue Formate, neuer Name

 

Die Schaffung eines künstlerischen Netzwerks, das sowohl nach innen als auch nach aussen führt, soll die Sparte Tanz in der Bundesstadt öffnen. Die holländische Choreografin Nanine Linning bringt im Oktober "Zero" zur Schweizer Erstaufführung, Felix Landerer im Januar 2014 "Homo Faber" nach Max Frisch. Die "Gaza Monologe" versprechen ein Projekt mit dem Berner Choreografen Marcel Leemann, Berner Jugendlichen und Partnern in Ramallah. Mit neuen Programmformaten wie "Dance and the City", "CUT" (Cinema Unleashes Dance) oder dem Laboratoire Swiss de la Danse, kurz LSD, will Miranda den Tanzplatz Bern zu einem Zentrum für den Choreografienachwuchs machen. Ihren Einstand als Choreografin gibt sie 2014 mit "Othello" nach Shakespeare. Ob der Namenswechsel von Bern Ballett zu Tanzcompagnie Konzert Theater Bern ein Glücksgriff war, wird sich weisen.

 

Krachts Roman im Bunker

 

In ihrer ersten Saison ist der Schauspielchefin Iris Laufenberg ein kleiner Coup gelungen: Die Inszenierung von Moritz Rinkes "Wir lieben und wissen nichts" ist sowohl an die Mülheimer Theatertage als auch an die Autorentheatertage Berlin eingeladen worden und Philipp Löhles "Trilogie der Träumer" an den Heidelberger Stücke-Markt. Die Gegenwartsdramatik kommt nun in den Vidmarhallen mit einem neuen Stück von Philipp Löhle sowie Dennis Kellys "Die Opferung von George Mastromas" oder Neil Labutes "Tief in einem dunkeln Wald" weiter zu ihrem grossen Auftritt. Für die Dramatisierung von Christian Krachts antiutopischen Roman "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" ist der gut getarnte Bunker in Bolligen vorgesehen. Die Bühne im grossen Haus am Kornhausplatz gehört dafür den königlichen Dramen "Maria Stuart" und "König Lear"

 

Sowohl Operette wie Musical

 

Nach dem "Fidelio" in der Urfassung diese Saison wird Chefdirigent Mario Venzago auch die Opernsaison 2013/14 im Stadttheater mit einer Besonderheit eröffnen, mit Carl Maria von Webers Oper "Der Freyschütz" in einer für Bern überarbeiteten Fassung mit Zwischenmusiken von Hector Berlioz. "Wir haben den französischen Text zurückübersetzt und eine Szene hinzugefügt. Das wird ein Abenteuer, das Kontroversen auslösen dürfte", sagt er. Die Reform des Orchesters habe neue Beziehungen und Freundschaften möglich gemacht. Und sie habe zu verschlankten Arbeitsprozessen geführt. Die Konzertprogramme würden heute in einer Kommission des Orchesters zusammen mit Xavier Zuber kreiert. "Als Institution sind wir modern und schlank geworden", sagt Venzago. Weg vom Pathos hin zum taktstrichfreien Musizieren ist das Ideal, das ihm auch musikalisch vorschwebt.

 

Das Saisonthema Aussenseiter und Helden, die am Rande der Gesellschaft stehen, zieht sich als roter Faden durchs Musiktheaterprogramm. Es bringt Verdis "La Traviata" mit Miriam Clark als Violetta. Mirga Grazinyte-Tyla wird ihr Amt als Erste Kapellmeisterin in Bern antreten. Daneben gibt es "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss oder Leos Janaceks "Das schlaue Füchslein" und eine Überraschung: Zum Musical "Cabaret" gibt es mit Künnekes "Der Vetter aus Dingsda" gleich auch eine Operette. Unterschiedliche Stile gehörten zum Konzept, sagt Musikdirektor Zuber. "Wir können nicht genug zeigen, dass Musik eine Sprache ist, die es verdient, gehört zu werden." - dies auch ausserhalb des Stadttheaters. Man wird in der Grossen Halle der Reitschule wieder Oper spielen, diesmal Brittens "Peter Grimes".

 

Zweimal Beethovens "Neunte"

 

Seine erspriessliche Zusammenarbeit mit dem Berner Symphonieorchester wird Mario Venzago in zehn Konzerten, die er dirigiert, fortsetzen. Darunter auch das doppelt geführte Neujahrskonzert mit Beethovens "Neunter", die er künftig alle zwei Jahre aufführen will, und der "Missa Solemnis". Weitere Schwerpunkte bilden Richard Strauss, Schumann, Brahms und Bruckner sowie die Zusammenarbeit mit illustren Solisten: Neben der Mezzosopranistin Yvonne Naef oder dem Cellisten Nicolas Altstaedt gibt es ein Wiedersehen mit Sol Gabetta.

 

"Die Arbeit macht grossen Spass", bringt Venzago das spürbar harmonische Einvernehmen im neuen KTB-Team auf den Punkt.

 

Programm: www.konzerttheaterbern.ch

 

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http://www.derbund.ch/kultur/theater/Ohne-Flop-entsteht-nichts-Neues/story/29794577

 

"Ohne Flop entsteht nichts Neues"

 

Permanent am Auswerten und Kalkulieren: Intendant Stephan Märki zieht eine erste Bilanz.

 

Interview: Brigitta Niederhauser

 

Herr Märki, bald ist Ihre erste Saison zu Ende, was hat Sie in Bern am meisten überrascht?

 

Auf der einen Seite habe ich gestaunt, wie leidenschaftlich und qualifiziert auch in den kleinsten der 80 Regionsgemeinden über den eigenen Kulturbegriff und eine gerechte Verteilung der Mittel diskutiert wird. Überrascht hat mich aber auch, wie mit der gleichen vehementen Leidenschaft die vertrauten künstlerischen Werte verteidigt und eingefordert werden. Die eigene Sichtweise wird gern als die einzig richtige reklamiert.

 

Setzen Sie denn das viele Geld richtig ein?

 

Das fragen wir uns fast jeden Tag. Das Theater ist extrem durchstrukturiert, das geht so weit, dass wir nicht nur einen Plan B, sondern auch noch einen Plan C haben. Das gibt uns zwar Sicherheit, aber es behindert oft auch die Spielfreude und hemmt die Risikobereitschaft. Für die Risikobereitschaft bekommen wir Subventionen, aber wir müssen beim Publikum sehr um ein neues Grundverständnis unserer Arbeit kämpfen, damit es auch akzeptiert, wenn wir mal was anderes, Ungewohntes probieren. Da ist die Vermittlungsarbeit sehr wichtig. Bei den Einführungsveranstaltungen ist die Neugierde sehr gross. Das bedeutet immerhin, dass ein Teil des Publikums für neue Erfahrungen und Wahrnehmungen bezüglich Goethe oder Mozart bereit ist.

 

Sitzt Ihnen da die Angst vor dem Flop permanent im Nacken, wenn zum Beispiel eine Inszenierung wie "Frank V." von der Kritik in der Luft zerrissen wird?

 

Ohne Flop entsteht nichts Neues. Und was "Frank V." betrifft, so sind die Vorstellungen immerhin sehr gefragt.

 

Inwiefern haben sich die Erfahrungen der ersten Spielzeit auf die Planung der zweiten ausgewirkt?

 

Wir sind bei der Programmierung vorsichtiger geworden. Wir haben nun auch ein Musical und eine Operette im Programm. Der finanzielle Spielraum ist enorm eng, wir sind permanent am Kalkulieren und Auswerten. Letztlich fehlt uns einfach eine Million jährlich.

 

Dann liegen also keine grossen Würfe drin, sondern nur Feinjustierungen?

 

Ja, wir verfügen zwar über einen beträchtlichen finanziellen Etat, das Problem ist aber, dass wir künstlerisch mit den Theatern von Basel und Zürich verglichen werden, die über bedeutend mehr Mittel verfügen. Basel hat doppelt so viel, Zürich das Zigfache. Aus dieser Sackgasse kommen wir einfach nicht heraus.

 

Das Sorgenkind Oper, früher die Milchkuh des Theaters, hat in der aktuellen Saison mit ausverkauften Vorstellungen tüchtig aufgeholt. Bekommt sie jetzt mehr Mittel?

 

Wir verstehen uns als Gesamtbetrieb, und da ist es uns wichtig, dass wir genug Spielraum schaffen, um anderen Sparten, die es schwieriger haben, helfen zu können. Wenn eine Sparte deutlich mehr Gewinn macht als budgetiert, fliesst ein Teil davon zurück.

 

Das Schauspiel hat mehr Mühe?

 

Nur im grossen Haus, dort tut sich das Schauspiel schwer. Da ist in den letzten Jahren ein Publikumssegment weggebrochen, als fast alle Inszenierungen in den Vidmarhallen gezeigt wurden. Es ist schwieriger, als wir gedacht haben, wieder Publikum fürs Schauspiel im grossen Haus zu generieren. Damit das Stadttheater aber präsenter und lebendiger wird, muss dort mehr gespielt werden, und das kann die Oper allein nicht leisten.

 

Um die Fusion von Berner Symphonieorchester und Musiktheater, die lange Zeit Schlagzeilen machte, ist es nach dem Vollzug erstaunlich ruhig geworden. Hat sich alles zum Besten eingerenkt?

 

Das Resultat ist sehr gut, Mario Venzagos Integrationswillen spielt da eine wichtige Rolle. Aber ganz ohne Konflikte geht es nicht.

 

Und welche Baustelle macht Ihnen heute am meisten zu schaffen?

 

Für einmal gibt es mit der Renovation des Theaters eine echte Baustelle. Sie stellt die Spartenleiter vor grosse Herausforderungen. Noch ist ja der Kredit nicht unter Dach. Die letzte Abstimmung ist Ende November, zu diesem Zeitpunkt steht aber der Spielplan 2014/15 praktisch schon, ein Spielplan notabene, der berücksichtigt, dass das Haus sechs Monate geschlossen sein wird. Wenn der Kredit beim Stimmvolk durchfällt, haben wir ein grosses Problem. Kommt er durch, haben wir immer noch eines, allerdings ein kleineres. Wir werden zwar neue Orte bespielen, aber ausserhalb des Hauses zu produzieren, ist teurer, und wir werden bedeutend weniger Einnahmen haben.

 

Dann rechnet sich also auch ein Projekt wie "Neither" in der Reitschule nicht?

 

Vom Finanziellen her nie, obwohl alle Vorstellungen ausverkauft sind. Wir sehen uns da als Brückenbauer sowohl künstlerisch als auch sozial und politisch. Ich habe zwar viele böse Blicke an der Premiere geerntet, aber die meisten Abonnenten waren da. In der nächsten Saison werden wir dort mit "Peter Grimes" eine richtige Oper produzieren.

 

Haben die Subventionsbehörden für die renovationsbedingten Einbussen kein offenes Ohr?

 

Wir verhandeln mit der Stadt wegen einer Mietzinsreduktion für die Zeit des Umbaus. Das ist unsere einzige Chance, etwas herauszuholen.

 

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BZ 27.4.13

 

Die Saison der grossen Aussenseiter

 

Die Musiktheatersparte bietet eine Populäroper von Verdi, einen frechen "Freyschütz", eine Operette - und erneut eine Produktion in der Reitschule.

 

Leitung: Der gebürtige Basler Xavier Zuber geht in die zweite Saison als Leiter der Sparte Musik, die das Musiktheater und den Konzertbetrieb des Symphonieorchesters umfasst. Er liebt Experimente, zeitgenössische Werke und hehre Maximen.

 

Akzente: Das Motto der Spielzeit im Musiktheater heisst Aussenseiter. Zuber bietet sechs Produktionen und sucht dabei die Breite, was Genres und Ästhetik betrifft. Mit Eduard Künnekes "Der Vetter aus Dingsda" steht erstmals seit längerem wieder eine Operette auf dem Programm. Janáčeks "Das schlaue Füchslein" wird als "Opernereignis für die ganze Familie" angesetzt. Die letzte Opernpremiere vor der Sanierung ist "Ariadne auf Naxos" von Richard Strauss. Als Publikumsmagnet wird Verdis "La Traviata" geboten - mit Miriam Clark in der Hauptrolle, die zuletzt bei "Fidelio" als Protagonistin auf der Bühne stand.

 

Highlights: Nach "Fidelio" tritt BSO-Chefdirigent Mario Venzago erneut im Stadttheater auf. Zur Eröffnung der Saison dirigiert er Karl Maria von Webers "Der Freyschütz", und zwar in einer besonderen Berner Fassung: Venzago ersetzt die Originaldialoge durch neu adaptierte Zwischenmusiken von Berlioz. Ein weiteres Glanzlicht: Zum zweiten Mal gastiert Konzert Theater Bern mit einem Musiktheaterwerk in der Reitschule - diesmal mit "Peter Grimes" von Benjamin Britten.

 

Offene Fragen: Wer folgt auf Stadttheater-Chefdirigent Srboljub Dinić? Alles deutet auf den deutschen Dirigenten Kevin John Edusei hin. Unterschrieben hat er aber noch nicht. Edusei dirigiert nächste Saison gleich drei Produktionen. Weitere zwei übernimmt die junge Litauerin Mirga Gražinyte-Tyla, die jüngst als erste Kapellmeisterin verpflichtet worden ist. mei

 

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Aargauer Zeitung 27.4.13

 

Bern verdichtet Programm

 

Theater · Wegen der anrollenden Sanierung des Stadttheaters hat Konzert Theater Bern (KTB) gestern ein zeitlich verdichtetes Angebot präsentiert. Geboten wird dafür Neues an neuen Spielstätten.

 

Das Schauspiel etwa findet in der zweiten Mai-Hälfte in einem Bunker in Bolligen BE Unterschlupf, wo Christian Krachts "Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten" gezeigt wird. Das Musiktheater gastiert erneut in der Reitschule und präsentiert in der Grossen Halle im Juni 2014 "Peter Grimes" von Benjamin Britten.

 

Dank Ausweich-Spielstätten, Gastspielen und Kooperationen bleibt die Gesamtzahl der Vorstellungen und Konzerte in der kommenden Spielzeit trotz der Sanierung des grossen Hauses in etwa konstant, wie KTB-Direktor Stephan Märki vor den Medien sagte. Zum Saisonauftakt im September 2013 gastiert der "Cirque de Loin" im Stadttheater.

 

Der herkömmliche Theater-Betrieb startet nach den Herbstferien geballt mit vier Premieren in neun Tagen, wobei das Schauspiel "King Lear" und das Musical "Cabaret" gezeigt wird.

 

Neue Direktorin beim Tanz

 

Im Musiktheater steht die Premiere von "Der Freyschütz" in einer neuen Fassung von Chefdirigent Mario Venzaga an. Er ziehe sich warm an und mache sich auf Kritik gefasst, sagte Venzaga am Freitag.

 

Vor ihrer ersten Saison in Bern steht Tanz-Direktorin Estefania Miranda. Sie will einerseits an die Arbeit ihrer Vorgängerin Cathy Marston anknüpfen und andererseits neue Wege gehen und ein vielfältiges Angebot bieten. Um den Neustart des Tanzes zu signalisieren, wird Bern Ballett zur Tanzcompagnie Konzert Theater Bern. (sda)

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Bund 26.4.13

 

Bloss nicht flüstern!

 

Die Bernerin Steff la Cheffe wird seit ihrem Debüt als Fräuleinwunder des Schweizer Hip-Hop gefeiert. Ihr zweites Album "Vögu zum Geburtstag" ist musikalisch brillanter - solange sie nicht dem Flüster-Rap fröhnt.

 

Ane Hebeisen

 

Sie wird sozusagen vom Meer angespült, die Steff la Cheffe aus dem Berner Breitenrain. Es rauschen die Wellen, es rufen die Möwen, und Steff flüsterrappt uns in ihrem Opener etwas über frischen Wind in den Haaren und von Salz in der Luft. Dazu gluckst ein sonniges Elektropiano.

 

Ein prekärer Einstieg in ihr neues Album - Flüster-Rap zu Meeresrauschen ist eine Disziplin, in der es nicht viel zu gewinnen gibt. Doch wie sie aus dieser Nummer rauskommt, ist staunenswert; kraft einer prima-wuchtigen Bassdrum, die auf einmal ihre Arbeit aufnimmt, und eines knatternden Tribal-Beats. Es folgen Streicher, Bläsersätze, Tiefton-Bässe, hippes Elektro-Gezirpe, Soul-Sänger, und dabei sind wir erst im Eröffnungsstück ihres neuen Tonwerks "Vögu zum Geburtstag". Der musikalische Massnahmenkatalog, der hier abgearbeitet wird, lässt vermuten, dass sich in der Künstlerpause der erfolgsgesegnetsten Rapperin der Schweiz so einiges aufgestaut hat.

 

Ihr Debüt "Bittersüessi Pille" hielt sich ganze 22 Wochen lang in den Schweizer Hitparaden, und Steff la Cheffe wurde landesweit zum Fräuleinwunder des Hip-Hop hinaufstilisiert. Sie tourte durch so ziemlich sämtliche Gemeinden der Schweiz, die über eine Mehrzweckhalle verfügen, wurde von Andreas Vollenweider als menschliche Beatbox an Konzerte nach Südafrika geladen und wendete auf einmal mehr Zeit dafür auf, Leuten wie Kurt Aeschbacher zu erklären, wie das so ist, als Frau in der Hip-Hop-Szene, als für das Schreiben neuer Musik. Die um Abgrenzung bemühte Szene rümpfte die Nase, und Steff la Cheffe brauchte eine Auszeit. Die Heftchenwelt, die sie in ihrem Über-Schlager "Annabelle" so zynisch karikierte, ging dazu über, sie einzuverleiben.

 

Tanzen bis zum Umfallen

 

Steff la Cheffe scherte aus. Sie packte sich Kulturbeutel und ihren Produzenten Dodo und reiste nach Südafrika. "Es sollte ein Mix aus Inspirationsreise und Ferien werden", sagt sie - es wurde vornehmlich Ersteres. Zum Ausruhen kamen die beiden erst, nachdem sich Dodo bei einem Tanz mit den Einheimischen die Sprunggelenke ramponiert hatte. Zuvor bandelte man mit der Kreativszene Cape Towns an, ging Kooperationen mit ansässigem Musikerpersonal ein und liess sich von der Tonspur des Landes inspirieren. "Mich interessierte ganz besonders, wenn Elektro auf afrikanische Rhythmen prallte", erklärt Steff la Cheffe, ein Konglomerat, das auf "Vögu zum Geburtstag" öfter zu hören ist.

 

Womit wir beim bereits angesprochenen Dodo angelangt wären, dem Mann, der meist dann seine Finger im Spiel hat, wenn in diesem Land Rap, Ragga und frohe Laune in Musik gegossen werden. Einer, der sich nicht um Coolness und Szene-Codes schert, dem auch schon mal Gevatter Übermut im Nacken sitzt. Ein junger Herr, mit dem sich jedenfalls kein Album produzieren lässt, zu dem die Hip-Hop-Polizei vom Anfang bis zum Schluss anerkennend im Takt nickt. Mit Dodo hat Steff la Cheffe schon ihr Debüt eingespielt, und schon da war zu erkennen, dass ihm das Verzahnen von fetten Beats mit Worldmusic-Schnippeleien ausgesprochen gut liegt. Diese Kunst treibt der Zürcher in der neuen Steff-la-Cheffe-Einspielung nun zur Meisterschaft. Wie er im Wuchtigen filigran bleibt, wie er Organisches (am Schlagzeug Flo Reichle) mit geschmackvollem Programming verschränkt, wie er originell bleibt, ohne übermütig zu werden, wie er die Tracks unvermutet immer wieder in neue Bahnen lenkt, macht dieses Album zum Hörerlebnis.

 

Spass und Betroffenheit

 

Irgendwann Ende 2011 sei man zusammengesessen im Liegestuhl auf der Kleinen Schanze in Bern und habe sinniert, wie das neue Album geartet sein solle, erzählt Steff la Cheffe. Man einigte sich darauf, dass es kerniger klingen solle als sein Vorgänger, es wurden Attribute notiert wie treibender, rougher, erwachsener, elektronischer und düsterer. "Am Schluss ist ein Album entstanden, das all dies einlöst, das meine Punk-Attitüde spiegelt und doch poppig geworden ist", resümiert die Bernerin von hohem Wuchs.

 

Stellenweise ist der Zweitling der Bernerin ganz schön zerrupft von sich konkurrenzierenden Kräften, von der Ambition, Spass zu haben und doch ernst genommen zu werden. Da gibt es die Steff la Cheffe, die ganz einfach die Sau rauslassen will, die südafrikanische Gitarren und Chöre mit Dubstep-Bässen beschiesst ("Ha ke Ahnig") und die Discokugel in allen Farben funkeln lässt ("Make a Move"). Dann gibt es die Steff aber auch als Betroffenheits-Rapperin, eine Rolle, die ihr weit weniger liegt, weil sie dann wieder zu Flüstern beginnt und ihren Dodo in der Entfaltung geniert. Am unwiderstehlichsten ist "Vögu zum Geburtstag" dann, wenn Steff ohne Rücksicht auf Verluste und ohne Vorsicht auf den Pop-Nimbus lospoltert. Egal ob am Ende die Sonne scheint oder die Welt untergeht.

 

Steff la Cheffe: "Vögu zum Geburtstag" (Warner). CD-Taufe: Freitag, 3. Mai, Dachstock der Reitschule.

 

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BZ 26.4.13

 

Die unbefriedigten Sehnsüchte aus der Abfallmulde

 

Theater · Schonungsloser Auftakt: Mit einem starken Stück über Sextouristinnen in Afrika ist das Theaterfestival Auawirleben eröffnet worden. Am Wochenende steht Hochprozentiges aus dem Baltikum auf dem Programm.

 

Schon das Bühnenbild bereitet Unbehagen. Müll, so weit das Auge reicht. Wer sich darin fortbewegt, löst nervtötendes Scheppern aus. Billige Plastikstühle stehen in einer Reihe, und ein ausgestopfter Strassenköter lauert im Hintergrund. Wir befinden uns am Venus Beach in einem Resort, wo Sextouristinnen aus dem Norden im Süden unbefriedigten Sehnsüchten nachjagen. Die Theatergruppe Dood Paard spielt das Stück "Freetown" von Rob de Graaf auf Niederländisch mit deutschen Untertiteln. Pam (Alix Adams), Liesel (Manja Topper) und Nadja (Ellen Goemans) tragen vulgäre Kleider mit Leopardenmuster - schliesslich sind sie ja in Afrika.

 

Selbstlügen und Klagen

 

Nicht wilde Tiere, sondern junge schwarze Liebhaber wollen sie hier finden. Alle drei verstricken sich in Selbstlügen. Pam beschönigt ihren Urlaub als Kulturaustausch. Sie erzählt, wie sie sich aus dem Resort in die arme Stadt hinausgewagt hat, und schwärmt von der Reibung zwischen den Völkern, die Wärme erzeuge. "Doch diese Mentalität, das Unter-der-Palme-Sitzen und Warten, dass eine Kokosnuss runterfällt, bringt man nicht weg", klagt sie. Liesel wiederum ist überzeugt, dass sie mit ihrem Aufenthalt in der "Dritten Welt" Gutes tut, und bemüht das Bild des "edlen Wilden". "Sie stehen näher bei Gott, daran können wir Agnostiker uns wärmen."

 

Souvenirs und Fantasien

 

Während Pam und Liesel mit einer Portion Pragmatismus und Zynismus sich das holen, was sie zu Hause vermissen, fantasiert sich Nadja ein Märchen von der wahren Liebe zusammen. "Zuerst die Intimzone und dann der Verstand. Lesen Sie die finanzielle Packungsbeilage", kommentiert Pam das Verhalten der naiven Touristin. Nadja möchte ihre Bekanntschaft importieren. Ein wenig wie ein Souvenir, ohne sich um die Wünsche und Bedürfnisse des jungen Mannes zu kümmern. Erst als er von ihr Geld verlangt, für die Zeit, die er mit ihr am Strand abhängt, dämmert ihr langsam, dass diese Geschichte keine Zukunft hat. Sextourismus, Apartheid und Einsamkeit: Das Stück ist trotz immer wieder aufblitzendem, groteskem Humor mehrheitlich beklemmend. "Comfort Zone", das Thema der diesjährigen Festivalausgabe, erhält in "Freetown" einen bitteren Beigeschmack. Denn wirklich gemütlich ist es den Damen in ihrem Resort, sauber durch einen Zaun von der Dritten Welt abgetrennt, dann doch nicht. Die Stärke von Rob de Graafs schonungslosem Text wird durch nichts Unnötiges gestört. Dood Paard beweist: Es braucht keine drastischen Bilder von Armut und Ungerechtigkeit, um Elend darzustellen. Helen Lagger

 

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Auawirleben (24. April bis 5. Mai)

 

Highlights am Wochenende: "Moonshine" des lettischen Kollektivs Serde weiht in die Tradition des Schnapsbrennens ein (Fr, 26. 4,, 20 Uhr, Schlachthaus). In "Brazilification" der Zürcher Gruppe Neue Dringlichkeit wird anhand einer dokumentarischen Suche Brasilien zur Projektionsfläche. (Fr, 26. 4., 20 Uhr, und Sa, 27. 4, 18.30 Uhr, Tojo). Die kultige Gruppe NO99 aus Tallinn tritt bereits zum vierten Mal am Auawirleben auf. In "Iga eht südamelöök" wird das Individuum ausgiebig ausgelotet. Und zwar ohne Plot. (Sa, 27. 4., und So 28. 4., 20 Uhr, Dampfzentrale).hl

 

Infos: www.auawirleben.ch

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Kulturagenda.be 25.4.13

 

Feiern, bis der Arzt kommt

 

Die Toten Hosen (Bild) und die Ärzte machten den deutschen Punk-Rock salonfähig. Bereits seit über dreissig Jahren füllen die beiden Bands mit einer Mischung aus Gesellschaftskritik und Kommerz die Konzertsäle und Stadien. Doch welche Band ist eigentlich die bessere? Die Tanzparty "Ärzte vs. Hosen" im Rössli möchte auf diese oft diskutierte Frage eine Antwort finden.

Rössli der Reitschule, Bern. Fr., 26.4., 21 Uhr

 

 

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Bund 25.4.13
http://www.derbund.ch/kultur/pop-und-jazz/Knallbunte-KabarettKoeniginnen/story/10773774

 

Les Reines Prochaines

 

Knallbunte Kabarett-Königinnen

 

Les Reines Prochaines sind zurück: unverschämt und skurril wie eh und je. Neben dem neuen Bühnenprogramm gibts auch einen Dokfilm zu sehen.

 

Blicke auf sich ziehen und die letzten Hemmungen ablegen, darum waren sie nie verlegen, die Reines Prochaines. "Muesch dis Mänteli no bizeli schlüüsse", bittet 1998 der Moderator des Schweizer Fernsehens die Künstlerin Muda Mathis, als diese breitbeinig zusammen mit ihren Bühnenkumpaninnen im TV-Studio Platz nimmt. Es ist eine Szene aus Claudia Willkes Dokfilm "Les Reines Prochaines - Alleine denken ist kriminell". Zusammengefunden hat die wilde Truppe rund zehn Jahre früher: 1987 auf dem künstlerischen Nährboden der Jugendbewegung und der Kämpfe um die alte Stadtgärtnerei in Basel.

 

"Man wusste einfach: Was ich nicht mache, findet nicht statt", beschreibt Mathis den damaligen Zeitgeist im Film. Inspiriert fühlte man sich von Darstellungsformen aus dem Dadaismus und der Punkbewegung: In kollektiver Autorenschaft wurden Manifeste verfasst ("Zögern ist blöd"), skurrile Videos gedreht und Chansons als knallbuntes, unverschämtes Kabarett dargeboten. Dazu gehören etwa eine Ode an Verkehrskreisel, ein makaberes Krimi-Singspiel oder ein filmisches Tortengespachtel.

 

In ihrer Flamboyanz erinnern die Bühnenprogramme der Reines Prochaines nicht selten an Travestieshows. Der Gender-Aspekt spielt jedenfalls ebenso eine Rolle: Um das Ausfindigmachen einer weiblichen Kunstsprache geht es der Gruppe, die ihre Zusammensetzung vor jedem Projekt neu definiert und zu der bis 1994 auch die Videokünstlerin Pipilotti Rist gehörte.

 

Aktuell sind die Kabarett-Königinnen mit "The Syrup of Life", dem Liveprogramm zum neu veröffentlichten Album "Blut", auf Europatournee. Ein irrwitziges, multiinstrumentales Treiben auf der Bühne wie auf der Leinwand ist vorprogrammiert. (eye)

 

Kino Reitschule Sa, 27. 4. 20 Uhr (Film) Frauenraum Sa, 27. 4. 22 Uhr (Konzert)

 

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Bund 25.4.13

http://www.derbund.ch/kultur/theater/Dass-es-alle-schaffen-koennen-ist-voelliger-Bloedsinn/story/26736751

Fünf Fragen an Kriese/Walther/Grissmer für Neue Dringlichkeit

"Dass es alle schaffen können, ist völliger Blödsinn"

 

Von Milena Krstic.

 

Die Mitglieder des Kollektivs Neue Dringlichkeit beschäftigen sich mit der "Brazilification". Im gleichnamigen Theaterstück versuchen sie einen sozialpolitischen Diskurs zur Kluft zwischen Arm und Reich.



Das Kollektiv Neue Dringlichkeit beschäftigt sich mit der "Brazilification". Bild: zvg

 

Weshalb ist es Ihnen so wichtig, gemeinsam auf dem Foto zu sein und als Kollektiv wahrgenommen zu werden?

 

Wir sind alle drei Regisseure und Autoren unseres Stücks "Brazilification" und stellen uns somit gegen das Regie-Heldentum und die singuläre Autorschaft. In einer Gruppe zu arbeiten, ist nichts Neues. Seit den 80er-Jahren ist diese Entwicklung vermehrt zu beobachten. Ein Beispiel dafür und eines unserer Vorbilder ist unter anderem das deutsch-britische Performance-Kollektiv Gob Squad.

 

In "Brazilification" geht es um die Kluft zwischen Arm und Reich und das zeitgleiche Verschwinden der Mittelklasse. Sie alle haben einen persönlichen Bezug zu Brasilien, wo diese Problematik besonders gross ist. Gibt es ein Schlüsselerlebnis, welches Sie im Stück verarbeiten?

 

Das ganze Stück besteht aus Schlüsselerlebnissen. Christopher zum Beispiel erzählt, wie er in Brasilien überfallen wurde. Anhand unserer persönlichen Erfahrungen wollen wir die neoliberale Ideologie entschlüsseln, die ja nicht nur in Brasilien herrscht. Für uns gilt das Land Brasilien lediglich als Vorlage, weil man gerade dort oft mit neoliberaler Ideologie konfrontiert wird. Dass es alle schaffen können, wenn sie nur wollen, ist völliger Blödsinn. Wir halten uns aber vom sozialen Kitsch fern und ignorieren die Mitleidsschiene. Aus der Perspektive der Armen zu reden, haben wir vermieden, da wir selbst nie in dieser Situation waren. Wir halten uns im Stück hauptsächlich auf der politisch rechten neoliberalen Seite auf, weil die schlicht mehr Reibung auslöst. Auf der feinen Linie der Grenzüberschreitung: Dort sind wir.

 

Sie sagen, Sie hätten mit Ihrem Theaterstück Möglichkeiten der Intervention gegen das Leid gesucht. Ist es Ihnen geglückt? Wenn man "Brazilification" als Beitrag für einen sozialpolitischen Diskurs betrachtet, dann ja. Wir wollten die Probleme kristallisieren und hervorheben. Nach den fünfzig Minuten unserer Vorstellung soll der erste Gedanke des Publikums nicht der sein, wo man jetzt etwas essen gehen könnte. Neue Dringlichkeit sucht das Politische in der Kunst. Wo fängt bei "Brazilification" die Kunst an und wo das Politische?

 

Die Kunst fängt schon damit an, dass wir das Thema als Theaterstück verarbeiten. Der Raum ist absichtlich hell gehalten, die ganze Technik ist offen gelegt. Es gibt niemanden, der im Hintergrund irgendwelche Schalthebel bedient. Uns ist wichtig, dass wir unser Publikum sehen. Die Leute sollen sich bewusst sein, dass wir uns gemeinsam in einem Raum aufhalten. Wir verstecken uns nicht hinter Schauspielern und bauen das Bühnenbild selber auf. Die Transparenz ist unser grosses Thema: Wir kreieren keine Illusionen. Das Politische liegt in der Form wie auch im Inhalt. Mit unseren Aktionen wollen wir Räume öffnen, damit miteinander geredet wird. Uns ist klar, dass es oft keine Antworten gibt, aber Diskussionen tragen zur Erkenntnis bei, auch wenn es keine finale Antwort gibt.

 

Würden Sie in Brasilien leben wollen?

 

Nicht unbedingt. Unsere Basis ist momentan hier in der Schweiz. Hier sind unsere Ressourcen und hier können wir unsere Ausbildung maximal nutzen. Zur Vollendung von "Brazilification" wäre es aber schön und wichtig, wenn wir das Stück in Brasilien selbst aufführen könnten. Interview: Milena Krstic

 

"Dass es alle schaffen können, ist völliger Blödsinn."

 

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Das Zürcher Kollektiv Neue Dringlichkeit entstand im Dezember 2010 aus Protest "gegen die Fremdenfeindlichkeit der Schweiz". Momentan zählt die Kern-Gruppe neun Personen, wovon Miriam Walther Kohn, Christopher Kriese und Marcel Grissmer ein Teil sind. Ihr Theaterstück "Brazilification", mit dem sie seit einem Jahr auf Tour sind, wird im Rahmen des Festivals Auawirleben aufgeführt. Neue Dringlichkeit will strikt als Kollektiv wahrgenommen werden: Alle handeln und sprechen im Namen der Gemeinschaft für die Neue Dringlichkeit. Fr, 26.4., um 20 Uhr / Sa, 27.4., um 18.30 Uhr im Tojo-Theater Reitschule.

 

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telebaern.tv 24.4.13
http://www.telebaern.tv/130424-fokus.html

Telebärn Fokus 24.4.13
Reitschule bleibt stur: "Wir haben nichts mit Angriffen auf Polizei zu tun"


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BZ 24.4.13

 

Das gehört zur Show

 

Hip-Hop · Drei Jahre nach ihrem erfolgreichen Debüt legt die Berner Rapperin Steff la Cheffe nach. In "Vögu zum Geburtstag" wirkt sie souverän, aber etwas unnahbar.

 

Darf man es einer Frau übelnehmen, wenn sie macht, was bei einem Mann zum guten Ton gehört? Schwierige Frage. Fast nicht zu beantworten. Noch weniger, wenn es sich um eine klare Männerdomäne wie Hip-Hop handelt. Wo Frauen doppelt so gut sein müssen, damit sie bei den Jungs als gleichwertig akzeptiert werden. Wo sich eine Frau von Anfang an mit Vorurteilen konfrontiert sieht. Selten über eine sexy Zierde hinauskommt. Die Bernerin Steff la Cheffe hat es geschafft, hat sich den Respekt erkämpft, erreimt, die Grossmäuler der Szene mit ihrem Beatboxtalent alt aussehen lassen. Jetzt, drei Jahre nach ihrem erfolgreichen Debütalbum "Bittersüessi Pille", legt die 26-Jährige nach. "Vögu zum Geburtstag" heisst der Nachfolger, das CD-Cover zeigt eine selbstbewusste Frau, farbenfroh gekleidet, mit einem Papagei auf dem Kopf und für einmal wilder Lockenpracht. Afrika ist sichtbar, Afrika hat Steff la Cheffe inspiriert. Ein Teil des Albums wurde gar in Südafrika aufgenommen. Am besten anzuhören ist dieser Einfluss der Vorabsingle "Ha ke Ahnig", die zu den Highlights des Albums gehört. Auch wenn der Beat und der afrikanische Hintergrundchor etwas gar forciert sind, ist der freche und fröhliche Song durchwegs gelungen, liefert runde Reime und nimmt die Szene und die Medien auf die Schippe. Schliesslich ist es Steff la Cheffe leid, seit drei Jahren immer wieder dieselben Fragen beantworten zu müssen, wie es denn sei als Frau in der Männerdomäne, was sie zu diesem und jenem Thema meine. "Ha ke Ahnig", antwortet sie entwaffnend ehrlich.

 

Souverän…

 

Im Song "Ha ke Ahnig" findet sich auch eine andere Zeile, die sich auf Steff la Cheffes ganzes Album anwenden lässt: "Würke souverän, wüu das ghört zu dr Show", rappt sie. Tatsächlich wirkt Steff la Cheffe souverän, lässt einen in ihren Songs nicht nah an sich heran, wirkt unberührbar und berührt so auch nicht, nicht einmal, wenn sie wie in "Vögu zum Geburtstag" (feat. Dodo) gegen die Dekadenz ansingt. Man kriegt fast das Gefühl, sie verstecke sich hinter den treibenden, oft aggressiven Beats, für die sie sich wie schon auf ihrem Debütalbum auf den Zürcher Produzenten und Reggaesänger Dodo Jud verlassen hat. Am besten ist Steff la Cheffe dann, wenn sie auch ihre verletzliche Seite zeigt, zum Beispiel im starken "Chrieg i dim Chopf" (feat. Jeff) oder im balladesken "Schäri, Stei, Papier". Die Beats werden hier zurückgenommen, ihre dunkle, nun rau und gebrochen wirkende Stimme erzählt in poetischen Worten von einer Trennung, berührt und wirkt nicht verloren in übertriebenen Arrangements. Leider sind solche Momente viel zu selten.

 

Stattdessen dominiert ein farbiges Potpourri. Und dieses richtet Steff la Cheffe mit der grossen Kelle an, hat mit vielen lokalen Grössen zusammengearbeitet, es finden sich Featurings mit Baze, Greis und anderen. Ja, Steff la Cheffe ist oben angekommen, sie wird von ihren Kollegen ernstgenommen. Vielleicht muss sie sich da aus Selbstschutz kühl und hart geben, vielleicht gehört es da dazu, dass die Songs vornehmlich von ich und ich und ich handeln.

 

…mit männlichem Gehabe

 

Womit der Bogen zum Anfang geschlagen wäre. Ego-Gehabe ist im Hip-Hop weit verbreitet, gehört gewissermassen dazu, ist toleriert oder wird gar absichtlich betrieben. Weshalb also soll sich nicht auch eine talentierte Frau wie Steff la Cheffe dieser Mittel bedienen? Nur weil sie eine Frau ist? Die Frage bleibt offen. Vielleicht wird die Rapperin sie selbst beantworten - irgendwann im Verlauf ihrer hoffentlich noch langen Karriere.

 

Marina Bolzli

 

 

Steff la Cheffe: "Vögu zum Geburtstag", Warner. Live: Sa, 27. April, Kupferschmiede, Langnau; Fr, 3. Mai, Dachstock der Reitschule, Bern.

 

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Freiburger Nachrichten 24.4.13

 

Insieme auf der Suche nach zusätzlichen Einnahmen

 

Insieme, der Verein für Eltern und Freunde geistig Behinderter, ist auf zusätzliche Einnahmen angewiesen.

 

Freiburg Wie der Verein Insieme in einer Mitteilung schreibt, haben Geldsorgen den Vorstand im vergangenen Jahr sehr beschäftigt. Es gelang dem Vorstand zwar, den budgetierten Verlust von rund 29 000 Franken um etwa 10 000 Franken zu reduzieren. Dennoch sucht der Verein nach zusätzlichen Einnahmen, um das Freizeitangebot längerfristig zu gewährleisten, wie Insieme schreibt.

 

An der Generalversammlung in Freiburg hob Präsidentin Yvonne Stempfel hervor, wie rege die verschiedenen Freizeitangebote von Insieme benutzt wurden. Diese Angebote bringen den Eltern und Angehörigen auch eine gewisse Entlastung, so die Präsidentin. Der Freizeitclub, an welchem Kinder und Jugendliche im Alter von 6 bis 16 Jahren teilnehmen können, fand an zehn Samstagen statt.

 

Zum Freizeitangebot gehören die Lager von Insieme. 2012 fand ein Sommerlager in Gstaad statt, ein Sommerlager Coeps-Insieme im Schwarzwald sowie ein Herbstlager am Lago Maggiore. Das Lager im Herbst fand erstmals statt.

 

Auch das Musik-Theater von Insieme hatte verschiedene Auftritte vor begeistertem Publikum. Am kommenden 3. und 4. Mai tritt die Musik-Theater-Gruppe in der Aula Tafers auf, am 14. und 15. Mai im Theater Tojo der Reithalle Bern.

 

Weiter bietet Insieme ein Sportangebot in Zusammenarbeit mit Sport Handicap Freiburg an. Der Verein musste dafür aber letztes Jahr mehr bezahlen als zuvor. uh

 

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BZ 24.4.13

http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Die-Polizei-kann-sich-selber-schuetzen/story/14775416

"Polizei kann sich selber schützen"

 

Reitschule · Die Reitschule wirft Sicherheitsdirektor Reto Nause "populistische Augenwischerei" vor. Sie könne und wolle nicht Mediatorin zwischen der Polizei und anonymen Tätern spielen.

 


Die Polizei bei einem Einsatz vor und in der Reitschule (Archivbild). Bild: Andreas Blatter

 

Seit Anfang März ist es in Bern im Raum Schützenmatte zu neun Angriffen gegen die Polizei gekommen. Weil sich die Angreifer oft in Richtung Reitschule zurückzögen, kritisierte Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) gestern in dieser Zeitung das Kulturzentrum. "Würden die Betreiber nur schon einräumen, dass die Reitschule als Rückzugsgebiet ein Teil des Problems ist, wäre ein wichtiger Schritt getan", sagte Nause. Er sehe beim Sicherheitsdienst der Reitschule "dringenden Handlungsbedarf".

 

Während die Mediengruppe am Montag die schriftlich gestellten Fragen noch unbeantwortet liess, reagierte sie gestern - und deckte ihrerseits Nause mit Kritik ein. Ihr Sicherheitsdienst kümmere sich um die Sicherheit von Gästen und Mitarbeitenden. "Die Polizei kann sich selber schützen. Wenn nicht, ist das nicht das Problem der Reitschule." Die Reitschule könne und wolle nicht "Mediatorin zwischen der Polizei und den anonymen Tätern spielen".

 

"Repression hilft nicht"

 

Die Reitschule appelliere an die Polizei und deren Kontrahenten, diesen Konflikt nicht zu Lasten ihrer Gäste und Mitarbeitenden auszutragen, schreibt die Mediengruppe. Ihrer Ansicht nach entsprängen die Angriffe auf die Polizei "einer Art Subkultur mit unterschiedlichsten Motivationen". Dabei spielten "offenbar negative Erfahrungen mit der Polizei, Empörung über die sinnlosen Polizeieinsätze gegen die Dealszene auf der Schützenmatte oder auch eine grundsätzliche Ablehnung der Polizei als staatliches Repressionsorgan" eine grosse Rolle. "Daher helfen Repression und Reto Nauses markige Worte in diesem Konflikt nicht weiter - im Gegenteil, die Fronten würden sich wohl noch mehr verhärten."

 

Eine Frage bleibt offen

 

Die Mediengruppe bezeichnet Nauses Vorgehen als "fragwürdig", dessen Strategie sei "unklar". Zum einen fordere Nause von der Reitschule "einen Dialog und die Bereitschaft, die Probleme seiner Polizei zu lösen". Andererseits verunmögliche er "mit seiner provokativen Art und Weise und seiner Selbstprofilierung in den Medien einen Dialog, indem er versucht, die Reitschule in die Defensive zu drängen". Dies trage nicht gerade viel zu einem konstruktiven Klima bei.

 

"Die aktuelle Kampagne von Reto Nause ist als populistische Augenwischerei ohne kurz- oder längerfristigen Nutzen anzusehen", schreibt die Mediengruppe weiter. Die Behauptung, beim Sicherheitsdienst herrsche dringender Handlungsbedarf, zeige "einmal mehr, dass es Nause nicht um Sicherheit, sondern um reine Polizeiinteressen geht". Nause sei als zuständige städtische Ansprechperson für die Reitschule ungeeignet. "Die Reitschule ist ein Kultur- und Begegnungszentrum und nicht ein Sicherheitsproblem - daher ist die Sicherheitsdirektion die falsche Direktion."

 

Unbeantwortet blieb die Frage, ob die Reitschule Nauses Einschätzung teile, dass sie regelmässig als Rückzugsgebiet genutzt werde.

 

Christoph Hämmann

 

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Stellungnahme gegenüber BZ vom 23.4.2013

 

Die Reitschule Bern hat die Berichte über die Angriffe auf Patrouillen der Kantonspolizei im  Raum Schützenmatte zur Kenntnis genommen. Wie schon in den Jahren zuvor appelliert die Reitschule einmal mehr an die Polizei und ihre Kontrahent_innen, diesen Konflikt nicht zu Lasten der Reitschul-Gäste und -Arbeitenden auszutragen.

 

Die Reitschule Bern kann und will nicht die Rolle der Mediatorin zwischen der Kantonspolizei und den anonymen Täter_innen spielen. Der Sicherheitsdienst der Reitschule kümmert sich um die Sicherheit von Gästen und Arbeitenden. Die Polizei kann sich selber schützen. Wenn nicht, ist das nicht das Problem der Reitschule.

 

Die Angriffe auf die Polizei entstammen unseres Erachtens einer Art Subkultur mit unterschiedlichsten Motivationen. Eine grosse Rolle spielen dabei je nach wem offenbar negative Erfahrungen mit der Polizei, deren weitverbreiteter schlechter Ruf, die Empörung über die sinnlosen Polizeieinsätze gegen die Dealszene auf der Schützenmatte oder auch eine grundsätzliche Ablehnung der Polizei als staatliches Repressionsorgan. Daher helfen Repression und Reto Nauses markige Worte in diesem Konflikt nicht weiter - im Gegenteil, die Fronten würden sich wohl noch mehr verhärten.

 

Unklar ist welche Strategie Reto Nause mit seinem fragwürdigen Vorgehen verfol! gt: Zum einen fordert er von der Reitschule einen Dialog und die Bereitschaft, die Probleme seiner Polizei zu lösen. Andererseits verunmöglicht er mit seiner provokativen und Art und Weise und seiner Selbstprofilierung in den Medien einen Dialog, indem er versucht, die Reitschule in die Defensive zu drängen, um aus ihr eine willfährige Untertanin und Hilfspolizistin machen zu können, die kritiklos zu allem Ja sagt. Das trägt nicht gerade viel zu einem konstruktiven Klima bei.

 

Die aktuelle Kampagne von Reto Nause ist als populistische Augenwischerei ohne kurz- oder längerfristigen Nutzen anzusehen. Die Behauptung beim Sicherheitsdienst herrsche "dringender Handlungsbedarf" zeigt einmal mehr, dass es Nause nicht um Sicherheit, sondern um reine Polizeiinteressen geht.

 

Einmal mehr beweist Reto Nause mit seinem Vorgehen, dass e! r als zuständige städtische Ansprechsperson für die Reitschule ungeeignet ist. Die Reitschule Bern ist ein Kultur- und Begegnungszentrum und nicht ein Sicherheitsproblem - daher ist die SUE die falsche Direktion.

 

Mediengruppe

Reitschule Bern

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telebaern.tv 23.4.13

http://www.telebaern.tv/130423-fokus.html


Telebärn Fokus vom Dienstag, 23. April 2013


"Tanz dich frei" und Reitschule: Berner Sicherheitsdirektor steht vor grossen Herausforderungen.

 


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BZ 23.4.13

http://www.bernerzeitung.ch/region/bern/Die-Reitschule-ist-Teil-des-Problems/story/11275702

 

"Reitschule ist Teil des Problems"

 

Reto Nause. Seit Anfang März ist es im Raum Schützenmatte zu neun Angriffen gegen die Polizei gekommen. Als Rückzugsgebiet sei die Reitschule Teil des Problems, sagt Polizeidirektor Reto Nause.


"Die Reitschule müsste sich deutlicher von solchen kriminellen Übergriffen abgrenzen", findet Sicherheitsdirektor Reto Nause. Bild: Stefan Anderegg

Die Berner Wochenendrituale der letzten Monate geben zu denken: Man braucht ein Schlechtwetterprogramm, YB enttäuscht - und im Raum Schützenmatte kommt es zu Angriffen auf Polizeipatrouillen. Letztmals griffen am Freitag Unbekannte auf der Neubrückstrasse ein Polizeifahrzeug an, das an der Ampel anhalten musste, und bewarfen es mit Gegenständen. Gemäss Mitteilung der Polizei ging dabei die Heckscheibe zu Bruch, verletzt wurde niemand (wir berichteten).

 

Der Eindruck, dass solche Vorfälle in letzter Zeit schon fast rituell auftreten, stimmt. "Seit dem 1. März ist es im Raum Schützenmatte neunmal zu Angriffen auf Polizisten oder Polizeifahrzeuge gekommen", sagt Andreas Hofmann, Sprecher der Kantonspolizei Bern. Für die betroffenen Polizistinnen und Polizisten seien solche Vorfälle "gefährlich und zermürbend", die Situation insgesamt bezeichnet die Kantonspolizei als "unhaltbar".

 

"Es bräuchte auch einmal einen Fahndungserfolg"

 

Mit dem gleichen Ausdruck reagiert Berns Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) auf die Vorfälle rund um die Schützenmatte. Weil sich die Angreifer regelmässig Richtung Reitschule zurückzögen, schliesst Nause das Kulturzentrum in seine Kritik ein. "Die Reitschule müsste sich deutlicher von solchen kriminellen Übergriffen abgrenzen", findet er. "Wenn die Betreiber nur schon einräumen würden, dass die Reitschule als Rückzugsgebiet ein Teil des Problems ist, wäre ein wichtiger Schritt getan." Generell vermisst Nause bei der Reitschule "die Bereitschaft zu einem echten Dialog mit der Polizei". Letztlich brauche es aber "ein Zusammenspiel von verschiedenen Faktoren: eine klare Haltung der Reitschule-Betreiber, Druck der Behörden und vielleicht auch mal einen Fahndungserfolg der Polizei, um einen Täter aus der Anonymität zu holen". Was den Druck der Behörden angeht, bedauert Nause, dass der Regierungsstatthalter letzte Woche die verfügten Zwangsmassnahmen zurückgenommen hat. Dies sei zwar "juristisch nachvollziehbar, es trägt aber nicht zur Problemlösung bei". Im nächsten Gespräch zwischen Reitschülern, Stadt, Kanton und Regierungsstatthalter, das laut Nause diese Woche stattfindet, will er deshalb "dringenden Handlungsbedarf beim Sicherheitsdienst der Reitschule" anmelden.

 

Christoph Hämmann

 

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BZ 22.4.13

 

Komponiertes Schweben in der Reitschule

 

Musiktheater · Gelungenes Experiment: Konzert Theater Bern gastiert mit der Antioper "Neither" von Morton Feldman in der Grossen Halle der Reitschule. Bei der Premiere schien die Zeit stillzustehen.

 

Die Antioper "Neither" (1977) lässt sich als auskomponierter Schwebezustand beschreiben. Durch nuanciert orchestrierte Pianissimo-Klänge scheint die Musik die Bodenhaftung zu verlieren, traumartig kreisen die musikalischen Muster (Patterns) um sich selbst. Eine einzige Sängerin agiert im Klanggeschehen, singt das 16-zeilige Libretto von Samuel Beckett permanent in hohem Register.

 

Spielort als Glücksfall

 

Die Grosse Halle der Reitschule als Ort der Inszenierung erweist sich dabei als Glücksfall. Durch die Öffnung des Bühnenraums ins Weite und das schlicht gehaltene Bühnenbild entsteht eine ideale Projektionsfläche für die psychologische Dimension in der Inszenierung von Matthias Rebstock. Die Innen- und Aussenwelt, das Selbst und das andere der menschlichen Sphäre und deren Abhängigkeiten voneinander werden nicht nur durch die Anordnung des Orchesters und des Publikums zum Ausdruck gebracht, sondern auch durch die Verdopplung der Sängerin mit einer als Spiegelwesen agierenden Schauspielerin.

 

Das "unaussprechliche Heim" - die letzte Zeile des Librettos - scheint von Bühnenbildnerin Sabine Hilscher durch Reihung von alten Schränken und einem im Holzgebälk schwebenden Stuhlmobile fein angedeutet zu sein. "Neither" sprengt alle Opernkonventionen. Eine ersichtliche Handlung ist dem Libretto nicht eingeschrieben, der wenige Text wird durch die hohe Lage des Soprans ins Unkenntliche geführt. 60 Minuten lang scheinen die Zeit und die Musik stillzustehen. Unter der Leitung von Stefan Schreiber gelang dem Berner Symphonieorchester an der Premiere eine sensible Ausgestaltung der Musik. Die von Schreiber präzis durchleuchtete Klangarchitektur erzeugte die notwendige Zerbrechlichkeit der Musik. Morton Feldmans Musik würde auch ohne Gesang funktionieren. Umso wichtiger ist es, dass sich der Gesang wie ein weiteres Instrument in den Klangraum integriert. Hélène Fauchères Stimme blieb jedoch über weite Strecken Fremdkörper statt integrativer Bestandteil der Musik. Durchgehend sang Fauchère den in der Partitur nie über ein Mezzopiano hinausgehenden Gesangspart viel zu laut und textunverständlich wie eine Vokalise. Auch verzierte sie oft die eigentlich präzise anzusingenden Noten mit einem unnötigen und störenden Schleifer.

 

Gekonnte Doppelung

 

Die sich im Raum stetig verschiebende Spiegelung Fauchères mit der schauspielerischen Doppelgängerin - gekonnt von Fernanda Rüesch verkörpert - verleiht der Inszenierung Stringenz und Kraft. Die Reithalle als Spielort überzeugt dabei auch durch akustische Qualitäten: Die Klangschönheiten der Musik werden in der geschichtsträchtigen Halle ins rechte Licht gerückt, dem Neuartigen der Antioper in der Reitschule der passende Rahmen ermöglicht. Mit der Inszenierung eines modernen Musiktheaters in ungewohntem Ambiente zeigt Konzert Theater Bern Gespür für Opernprojekte jenseits der ausgetretenen Pfade.

 

Andreas Zurbriggen

 

Weitere Vorstellungen: Di, 23. 4., und Sa, 27. 4., je 19.30 Uhr, Grosse Halle der Reitschule. Rahmenveranstaltung: Do, 25. 4., 20 Uhr, Reitschule. Der Publizist Karl-Heinz Ott spricht über Samuel Beckett und Morton Feldman. www.konzerttheaterbern.ch

 

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Bund 22.4.13

http://www.derbund.ch/kultur/theater/Es-hurzt-in-der-Reithalle/story/22173441

 

Es hurzt in der Reithalle

 

Von Marianne Mühlemann

 

Konzert Theater Bern experimentiert in der Reithalle: Das Berner Symphonieorchester führt Morton Feldmans Oper "Neither" szenisch auf. Das absurde Kunststück ist aber zu zahm geraten.

 


Weder noch: Keine Offenbarung kommt aus dem hölzernen Himmel. Bild: A. Boutellier

Nach 50 Minuten geht das Licht aus. Der Dirigent Stefan Schreiber und die 70 Musikerinnen und Musiker des Berner Symphonieorchesters packen zusammen. Gut gegangen. Vielleicht zu gut? So richtig zufrieden wirkt das Publikum nicht. Das zeigt sein höflicher Applaus. Er ist weder zu lange, noch zu kurz. Fast schon symptomatisch für ein Stück wie "Neither", das "Weder noch" heisst. Die Opernbesucher verlassen die Reithalle. Die einen belustigt-inspiriert, die andern irritiert. Und etliche erleichtert, dass der Abend (schon) zu Ende ist, denn so, wie Morton Feldman Oper komponiert, fühlen sich 50 Minuten im Nu wie 150 an. Es gibt keine Handlung, keine Figuren, keine einzige anständige Melodie. Das Orchester (vgl. "Berner Woche" vom 18. April) rührt in hell- und dunkelgrauen Klangschattierungen, die mal schrill leuchten und mal verhalten glühen. Feinkörnig strukturiert ist die Klangmasse dieses Einakters für Orchester und Sopranistin. Er bietet Hélène Fauchère eine Gesangspartie wie für einen Hochleistungssportler.

 

Die engagierte Französin gibt alles. Doch an diesem Abend ist es oft zu viel. Die Höhen werden unter der Anspannung zunehmend forciert. Und das Berner Symphonieorchester getraut sich nicht, die Intensität von Feldmans Dreifachpianissimi auszureizen. So bleibt der Gesang zu laut und das Orchester zu "mezzo". Man vermisst die magische Intensität, welche die Partitur verspricht: das homöopathische Piano von siebzig Musikern

 

Nicht als Parodie gemeint

 

Der Text von Samuel Beckett, den Hélène Fauchère wie einen urbanen Ranz des Vaches in die Grosse Halle schleudert, umfasst handverlesene 87 Wörter. Zur Unkenntlichkeit gedehnt und fragmentiert. Anti-Oper verlangt viel Geduld und höchste Konzentration und kann nicht nur für die Musiker, sondern auch das Publikum anstrengend sein.

 

Die Reaktionen darauf sind unterschiedlich. "Werden wir gefilmt?", fragt einer im Publikum beim Hinausgehen. Er ist gut gelaunt. Der Abend habe ihn an Hape Kerkeling erinnert, an dessen Parodie auf Neue Musik, in der er 1992 als polnischer Opernsänger verkleidet ein Stück singt, das immer wieder in den unvermittelten Ausrufer "Hurz!" mündet. Nach der Vorstellung verwickelt der Sänger alias Kerkeling das nicht eingeweihte Publikum in eine intellektuelle Diskussion über die mögliche Aussage des absurden Stücks. So betrachtet, "hurzt" es im Zwielicht der Reithalle, auch wenn "Neither" keineswegs als Parodie gemeint ist. Die philosophischen Gespräche über das Gesehene sind nach der Vorstellung jedenfalls angeregt.

 

Nostalgische Skyline

 

Die Reithalle bietet ein einladendes, einzigartiges Ambiente für dieses Stück. Das Publikum sitzt in L-Form dem Orchester gegenüber. Vom hölzernen Himmel des Reitschuldachs schwebt ein Mobile aus Holzstuhlgerippen (Installation: Sabine Hilscher). Sanft drehen sie im Kreis und werfen Licht- und Schattenmuster in die Mitte, dahin, wo sich das Nichts zum Schluss in ein "unspeakable home" verwandelt, den philosophischen Unort in Becketts Text. Trotz des traulichen Lichts (Rolf Lehmann), das wie eine Brutlampe die Szenerie mit ihrer sonderbaren Gemütlichkeit zusammenhält, ist dieser Ort öde und erinnert an eine post-apokalyptische Zeit.

 

Die Musik liesse das ebenso zu. Denn da spielt auch die ferne Aussenwelt mit. Man hört wummernde Automotoren und den Regen. Der Opernbesucher wird von alten Möbelstücken wie von einer nostalgischen Skyline umrundet. Die Geschichten, die ihre Patina verströmt, mischen sich in das Spiel, doch nur halbherzig werden die halb geöffneten Schubladen, Schlupfwinkel und Schranktüren einbezogen. Es fehlt der szenischen Umsetzung das Beklemmende. Ist es ein Indiz dafür, dass dieses Musiktheater (Inszenierung Matthias Rebstock) aus dem Stadttheater kommt und nicht aus der freien Szene?

 

Die Sängerin erhält in dem Stück ein Double durch eine stumme Schauspielerin (Fernanda Rüesch), die das stimmliche Hin und Her der Sängerin mit Bewegung sichtbar in den Raum transponiert. So entstehen Parallelen, Verdoppelungen, Spiegelungen. Aber es entzündet sich keine Emotion. Da ist nichts, an dem sich das Selbst reiben, relativieren oder entwickeln könnte. Die Welt, die beschrieben wird, ist eine Hölle, in der Dialektik, Kommunikation und Zeit aufgehoben sind. Wie der Mensch erschöpft sich die Musik im sinnlosen Kreislauf. Nur der Dirigent hält als Master of Ceremony fest an einem Rest aus Macht und Überblick. Er wirkt wie ein Relikt aus einer früheren hierarchischen (Opern-)Welt und wie ein Fremdkörper in der seelenlosen Maschinerie, in der die Sängerin ihre Drei- und Vierklangmotive immer gepeinigter in das stehende Geigensirren bettet, das einem zum Schluss wie eine durch Sordino gedämpfte Sirene vorkommt.

 

Bevor die Stunde um ist, klafft einem die dramatische Leere entgegen. "Neither", dieses absurde Kunststück zweier eigenwilliger Geister, ist zu zahm, zu diplomatisch geraten. "Weder noch", möchte man sagen. Nicht, dass eine Oper in der Reithalle gleich in eine Revolution münden müsste! So einfach ist das nicht. Aber ein bisschen mehr Emotion und Biss auf und neben der Bühne hätte wohl viele glücklicher gemacht und wäre dem ungewöhnlichen Projekt am ungewöhnlichen Ort auch nicht schlecht angestanden.

 

Weitere Vorstellungen in der Grossen Halle der Reitschule: Dienstag, 23., und Samstag, 27. April. 19.30 Uhr.
www.konzerttheaterbern.ch

 

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NZZ 22.4.13

http://www.nzz.ch/aktuell/feuilleton/buehne_konzert/verlust-aller-gewissheiten-1.18068605

 

Ohne Richtung

 

Morton Feldmans Oper "Neither" in Bern

 

Michelle Ziegler · Diese Musik kennt keine Richtung. Sie reiht verschiedene Zustände lose aneinander. Und doch schwingt in ihnen stets das Vergangene mit - "entwickelnde Variation" nannte Morton Feldman das Prinzip, das in seiner Oper "Neither" zur Anwendung kommt, in bewusst distanziertem Bezug auf Arnold Schönberg. Es entstehen kreisende, in sich ruhende Bewegungen. Der Rhythmus ist oft so komplex, dass er verwischt, die Wechsel in der Dynamik sind aufgrund der gruppenweisen Differenzierung meist kaum wahrnehmbar. In seinem Aufsatz "Neither/Nor" hatte Feldman die Situation der amerikanischen Komponisten seiner Zeit beklagt, die sich gezwungen sähen, nach den Vorgaben eines europäischen "Entweder-oder" zwischen Systemen zu wählen, obwohl sie "Weder-noch"-Situationen wahrscheinlich bevorzugten. Acht Jahre später fand er in seiner Oper zusammen mit Samuel Beckett zu einem namenlosen "Neither", das sich nicht einmal mehr aus der Gegenüberstellung negierter Begriffe deuten lässt. In ihrer Positionierung zwischen den Kategorien stellt diese einzige Oper Feldmans höchste Anforderungen an die Sängerin, den Dirigenten und die Musiker, weshalb sie selten aufgeführt wird. Ein ungewöhnliches Werk an einem ungewöhnlichen Ort: Die Produktion von "Konzert Theater Bern" ist ein Ereignis.

 

Unendliche Weite

 

Weder Beckett noch Feldman mochten Opern. So hat Beckett für Feldman kein Libretto im herkömmlichen Sinn geschrieben, Feldman mit "Neither" keine eigentliche Oper. Becketts Text ist von der Sopranistin in hohem und höchstem Register zu singen, wodurch die Verständlichkeit unmöglich wird. Und dennoch ist Becketts Text dem Werk quasi eingeschrieben. Die Oper positioniert sich auf anregende Weise fern aller Bestimmtheit und lässt dadurch das Dilemma eines Individuums wahrnehmbar werden, das auf der Suche nach seinem Selbst unweigerlich in der Unvereinbarkeit zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung gefangen bleibt.

 

Und genau da setzt die Inszenierung Matthias Rebstocks an: Er hat in der grossen Halle der Reitschule Bern, in der sonst regelmässig Flohmärkte stattfinden, alte Möbel zu einer begehbaren Kulisse angeordnet - einem "unspeakable home", über dem sich ein gigantisches Mobile aus Holzstühlen ad infinitum dreht. Dazu ist das Licht von Rolf Lehmann so konzipiert, dass sich in der Höhe im Dachgebälke immer wieder weite Räume öffnen. Der Sängerin Hélène Fauchère wird mit Fernanda Rüesch eine Schauspielerin gegenübergestellt, welche die Unsicherheit des Subjekts anschaulich macht: Sie spiegelt, sie führt weiter oder handelt für sich. Damit veranschaulicht Rebstock die Bewegung in der Stagnation und das Unvermögen des Subjekts, Identität als Einheit zu erfahren. Zusammen mit der Bühnen- und Kostümbildnerin Sabine Hilscher geht er sowohl auf das Werk wie auf die besondere Aufführungssituation ein - und dies erfrischend sanft: eine grosse Leistung.

 

Nahe dem Unmöglichen

 

Der raffinierte Reichtum von Feldmans "Neither" basiert auf extremer Instrumentation, auf tückischen metrischen Variationen und Arrhythmien. Dies stellt Dirigenten und Orchester vor Schwierigkeiten, denen sich Stefan Schreiber und das Berner Symphonieorchester an der Premiere beherzt stellten. Schreiber hob die Formteile klar voneinander ab und brachte das Orchester dazu, auch in der stets stark zurückgenommenen Dynamik differenziert zu agieren. Mit kaum überwindbaren Schwierigkeiten ist auch die Sopranistin konfrontiert, die an der Premiere nicht in bester Form war. Fauchère machte kaum einen Unterschied zwischen Passagen mit und ohne Text und ging die extreme Höhe je länger, je mehr mit Druck an. In ihrer emotions- und regungslosen Wiedergabe indes näherte sie sich ihrer Doppelgängerin an und liess den existenziellen Selbstentzug erfahrbar werden.

 

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Bund 22.4.13

 

Schützenmatte: Erneute Attacke auf Polizeiauto

 

Unbekannte haben am Freitagabend auf der Schützenmatte ein Fahrzeug der Kantonspolizei angegriffen und Sachschaden angerichtet.

 

Kurz vor 23 Uhr am Freitagabend fuhr ein Polizeiauto von der Schützenmatte in Richtung Neubrückstrasse. Als das Auto bei der Ampel halten musste, trat nach Angaben der Polizei plötzlich ein Unbekannter an die Fahrertüre und schlug dagegen. Gleichzeitig seien mehrere Personen von hinten auf das Fahrzeug zugerannt. Daraufhin wurden gemäss Mitteilung Gegenstände gegen das Fahrzeug geworfen, wobei eine Heckscheibe zu Bruch ging. Verletzt wurde niemand. Wie Polizei-Mediensprecher Andreas Hofmann auf Anfrage von Der bund.ch/Newsnet am Sonntag sagte, fuhr das Patrouillenfahrzeug weiter, sobald die Verkehrslage dies zuliess. Laut Hofmann war für die Polizisten nicht ersichtlich, woher die Angreifer kamen. Abklärungen mit den Betreibern der Reitschule brachten keine weiteren Erkenntnisse. Weitere Interventionen vonseiten der Polizei seien nicht erfolgt.

 

Vor der Reitschule kommt es regelmässig zu gewalttätigen Angriffen gegen die Polizei. Im letzten Herbst wurde auf Schriftzügen auf dem Vorplatz zu Gewalt gegen Polizisten aufgerufen, worauf sogar die Sanitätspolizei Zielscheibe eines Angriffs geworden ist. (gbl)

 

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BZ 22.4.13

 

Schützenmatte

 

Angriff gegen Polizeifahrzeug

 

Am Freitagabend ist ein Fahrzeug der Kantonspolizei Bern nach einer Patrouillenfahrt auf der Schützenmatte angegriffen worden. Als das Auto auf der Neubrückstrasse halten musste, trat ein Unbekannter an die Fahrertüre und schlug gegen diese. Mehrere Personen rannten auf das Fahrzeug zu. Sie bewarfen es mit Gegenständen und zerstörten die Heckscheibe. Verletzt wurde niemand. Die Täter entkamen unerkannt, teilte die Polizei mit.pd

 

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20 Minuten 22.4.13

 

Wieder Angriff auf die Polizei

 

BERN. Filmreife Szenen spielten sich am Freitag kurz vor 23 Uhr nahe der Schützenmatte ab. Zwei Mitarbeiter der Berner Kapo waren in einem Patrouillenfahrzeug in Richtung Neubrückstrasse unterwegs. Als sie an der Kreuzung hielten, trat ein Unbekannter an die Fahrertüre und begann, gegen diese zu schlagen. Gleichzeitig rannten mehrere Personen auf das Fahrzeug zu und warfen Gegenstände gegen das Auto. Dies brachte die Heckscheibe zum Bersten. Daraufhin entfernten sich die Polizisten im Auto vom Tatort. Die Täter konnten unerkannt fliehen, verletzt wurde niemand. JUN

 

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Blick 22.4.13

 

Polizeiauto angegriffen

 

Bern - Grundlose Randale auf der Schützenmatte in Bern. Eine Patrouille der Kantonspolizei war am Freitag kurz vor 23 Uhr auf Kontrollfahrt. Als sie mit dem Polizeiauto Richtung Neubrückstrasse fuhr und an einem Rotlicht halten musste, kam plötzlich ein Unbekannter an die Fahrertüre. Er schlug auf die Scheibe. Von hinten rannten gleich mehrere Personen auf den Beamtenwagen zu. Die Horde warf etliche Gegenstände auf das Auto. Die Heckscheibe zersprang. Die Polizisten blieben unverletzt. Die Täter konnten unerkannt flüchten.

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police.be.ch 21.4.13

http://www.police.be.ch/police/de/index/medien/medien/aktuell.meldungNeu.html/police/de/meldungen/police/news/2013/04/20130421_1126_stadt_bern_patrouillenfahrzeugbeschaedigt

 

Stadt Bern: Patrouillenfahrzeug beschädigt

 

21. April 2013

 

Nach einer Patrouillenfahrt auf der Schützenmatte in Bern ist am Freitagabend ein Patrouillenfahrzeug der Kantonspolizei Bern auf der Neubrückstrasse beschädigt worden. Personen wurden nicht verletzt.

Die Mitarbeitenden der Kantonspolizei Bern hatten am Freitag, 19. April 2013, kurz vor 2300 Uhr, auf der Schützenmatte in Bern eine Patrouillenfahrt durchgeführt. Anschliessend fuhren sie in Richtung Neubrückstrasse. Als sie bei der Ampel halten mussten, trat plötzlich ein Unbekannter an die Fahrertüre und begann gegen diese zu schlagen. Gleichzeitig rannten mehrere Personen von hinten auf das Fahrzeug zu. Daraufhin trafen mehrere Wurfgegenstände das Fahrzeug, wobei die Heckscheibe zu Bruch ging. Personen wurden nicht verletzt. Die Täter entkamen unerkannt.

 

(mf)

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