Global denken, lokal trinken

Von Hanspeter Bundi in der Weltwoche vom 16. August 2001.

Dinkel-, Maisgold- und Alpenbier aus Einsiedeln bringen linke und konservative Globalisierungskritikerzusammen. Die Berner Reitschule und andere alternative Betriebe decken sich bei der Familienbrauerei Rosengarten ein In der ersten Novemberwoche des Jahres 1995 riefen Getränkehändler und Wirte bei der Einsiedler Brauerei Rosengarten an. Sie sagten: Jetzt reicht's. Jetzt kommen wir zu euch. Mit den andern haben wir nichts mehr zu tun. Am 29. Oktober hatte Feldschlösschen bekannt gegeben, in der Brauerei Hürlimann, die man ein halbes Jahr zuvor übernommen hatte, werde in Zukunft kein Bier mehr gebraut. In Zürich brach eine Bierwelt zusammen. Die Vertreter von Hürlimann hatten keine Vorstellung davon, wie es weitergehen soll. Die Kunden, Getränkehändler und Wirte, suchten nach einer Brauerei, bei der man weiss, woran man ist und wem sie gehört.

Die Rosengarten in Einsiedeln ist so eine: fünfzehn Angestellte, darunter Vater Gmür mit vier Söhnen. Jahresausstoss 15 000 Hektoliter, die Hälfte davon Spezialitäten. Abnehmer im Kanton Schwyz und am angrenzenden Zürichsee. Rohstoffe von Bauern der Region, von einer Mühle in Schwyz und aus Baden-Württemberg. 15 000 Hektoliter genügen nach Rechnung der Grossen nicht zum ueberleben. Aber den Gmürs reicht es. Sie zahlen sich gute Löhne, investieren die Gewinne vollumfänglich in den Betrieb. Obwohl der Bierkonsum in der Schweiz seit 1990 von 70 auf 58 Liter pro Kopf zurückgegangen ist, konnte die Rosengarten ihren Ausstoss jedes Jahr um etwa vier Prozent erhöhen. Mit jeder Brauerei, die dichtmacht, wächst die Sympathie für jene, die ausharren. Ihr mit eurem Weihwasser, hiess es früher, wenn die Gmürs versuchten, ausserhalb der Stammlande Kunden zu gewinnen. Heute kommen auch Wirte aus dem Kanton Zürich zu ihnen und sagen: Bei euch weiss man, mit wem man es zu tun hat. Im Jahr nach Schliessung von Hürlimann tat die Rosengarten einen Sprung um 25 Prozent.

Alois Gmür, der älteste der Söhne, Braumeister und Marketingverantwortlicher, ist beste Werbung für seinen Berufsstand. Er ist kräftig, rund, und seine blauen Augen blitzen. Alois Gmür ist keiner, der schöntut und sich in Schale stürzt, um mit Wirten und Zwischenhändlern zu verhandeln. Die tragen ja auch keine Anzüge. Und einer wie Alois Gmür, einer mit wuchtigen Händen, ist für sie glaubwürdiger als ein Geschliffener und Geleckter. Alois Gmür ist Mitglied der CVP, ein Konservativer, Bezirksrat. Er ist einer von denen, die den Staat tragen, und ein überzeugter Anhänger der Marktwirtschaft, aber er sagt: Wir stemmen uns gegen den Konzentrationsprozess, und die dort unten stemmen sich auch dagegen.

Die dort unten sind die Betreiber der chaotischen, der rebellischen Berner Reithalle, die in den turbulenten Jahren 1980 bis 1982 von der nichtorganisierten Linken erobert und als Freiraum verteidigt wurde. Jahrelang wurde hier das Boxer-Bier aus Echallens ausgeschenkt. 1994 wurde die Boxer-Brauerei von der indischen V. Sharma in Bombay aufgekauft. Die Betreiber der Reithalle mochten diesen Schritt in eine globalisierte Bierwelt nicht mitmachen und suchten einen unabhängigen Brauer. Sie nahmen mit der Rosengarten Kontakt auf, die schon das Bier für die Alpen-Initiative und bei anderer Gelegenheit ein Polizeibier nach Bern geliefert hatte. Man kam miteinander ins Gespräch und ins Geschäft. Seither fährt jede Woche ein Bierlaster aus dem properen, konservativen Einsiedeln in den lärmigen Spickel zwischen Strassen und Eisenbahnbrücke in Bern, wo die Reitschule steht.

Diese Reitschule, sagen viele, ist ein Schandfleck für Bern. Es wäre besser, sagen sie, wenn man sie abbräche und irgendetwas anderes hinstellte. Etwas, das rentiert, Parkplätze oder ein Einkaufszentrum zum Beispiel. So aber grüssen oder ärgern Spruchbänder gegen Globalisierung und Bullenstaat die Reisenden, die in den Berner Bahnhof einfahren. Sie sind Zeichen dafür, dass sich die Reitschule als Teil der vielfältigen Bewegung versteht, die in Seattle, in Davos oder Genua gegen die Exponenten der Globalisierung antritt. In der Reitschule werden politische Strategien und Taktiken für die nächste Demo ausgeheckt; im Restaurant Sous-le-pont oder an einer der Bars trinken Konzertbesucher und Sprayer ihr Bier. Sie trinken, als hätten sie sich einen Slogan der Interessengemeinschaft unabhängiger Klein- und Mittelbrauereien zu eigen gemacht: Think global, drink local. Wobei das local nicht allzu eng gesehen wird.

Ein Gang durch die Einsiedler Brauerei ist wie ein Gang durch eine andere Zeit. Auf den Treppen liegt altes Linoleum. Die Getreidemühle aus den fünfziger Jahren und die kupfernen Braukessel sind immer noch in Betrieb. In den offenen Gärbottichen schäumt das Bier wie ehedem. Die Lagertanks sind nicht aus Chromstahl wie in einer modernen Brauerei, sondern aus emailliertem Stahl. Die Rationalisierungswellen der vergangenen Jahrzehnte gingen fast spurlos an der Rosengarten vorbei. Der Ausstoss pro Brauer ist wesentlich kleiner als bei den grossen Brauereien. Die Preise aber liegen kaum höher als etwa bei Feldschlösschen. Wir haben nicht diesen Wasserkopf, den die Grossen haben, sagt Alois Gmür. Er kennt die Namen der Brauereien noch, die zur Bierwelt seiner Jugend gehörten. Die Geschichten, die er zu den Namen weiss, gleichen einander: Aktien, die mit jedem Generationenwechsel breiter gestreut sind. Ein Sohn oder zwei, die wirklich auf dem Bier arbeiten. Andere, die Geld sehen wollen. Vertreter von grösseren Brauereien, die das ausnützen. Wenig später wurden die Brauereien, die aufgekauft hatten, von noch grösseren geschluckt und geschlossen. Heute decken Carlsberg-Feldschlösschen und Heineken-Calanda fast zwei Drittel des Schweizer Biermarktes ab. Fünfzehn Prozent fallen auf Importware, elf Prozent auf die Brauereien Schützengarten und Eichhof, und nur zwölf Prozent des Biers kommt aus einer der wenigen verbliebenen Kleinbrauereien.

Rosengarten trägt nicht viel mehr als ein Tröpfchen in den 4,2 Millionen Hektoliter grossen Schweizer Biersee. Im Jahr 1994 oder 1995 besuchte Alois Gmür zum ersten Mal die Reitschule. Für ihn, Major der Transporttruppen und Stiftungsratsmitglied eines Regionalspitals, das aus weltanschaulichen Gründen keine Abtreibungen vornimmt, war es ein Besuch in einer sehr fremden Welt. Da war der Vorplatz mit wild ausschauenden Squattern, die manchmal auch den Habitués der Reitschule Angst machten. Da war das Kino mit den alten Polstermöbeln, der Innenhof mit den besprayten Fassaden, der Infoladen mit linken Kampfschriften aus ganz Europa.

Im Sous-le-pont, das mit Schweizer Beizengemütlichkeit wenig zu tun hat, traf Alois Gmür seine Verhandlungspartner. Einer der wichtigsten unter ihnen war Giovanni Schumacher, der im Verlauf der achtziger Unruhen weit über Bern hinaus unter dem Namen Fashion bekannt wurde. Der linkslibertäre Aktivist wirkt mit seinen dunklen Augen und den langen, zu einem Pferdeschwanz gebundenen Haaren wie das Gegenstück zum Braumeister aus Einsiedeln. Fashion ist ebenso breit wie Alois Gmür. Er hat kräftige Arme, klobige Hände und wache Augen. Einer, der zupacken kann. Einer, der weiss, was er will, und noch genauer weiss, was er nicht will. Keiner, der schöntut. Der konservative Brauer aus Einsiedeln und der libertäre Aktivist aus Bern verstanden einander auf Anhieb. Fashion, der sich selber als typischen Verlierer bezeichnet, und Alois, der Mitbesitzer eines florierenden Familienunternehmens, fanden Gemeinsamkeiten. Sie kritisierten den globalen Konzentrationsprozess, die Abzockermentalität von Aktionären und die linken und rechten Technokraten. †ber anderes, über Landesverteidigung oder Abtreibung zum Beispiel, sprachen sie nicht. Sie verhandelten hart, einigten sich per Handschlag, und seither liefert Rosengarten jedes Jahr 400 bis 500 Hektoliter Bier in die Reitschule. Das sind immerhin vier Prozent des Jahresausstosses. Weitere 900 Hektoliter gehen an Genossenschaftsbeizen in der ganzen Schweiz, vom Rössli in Stäfa über die Boa-Halle in Luzern bis zur Usine in Genf.

Alois Gmür hört hin und wieder spöttische Bemerkungen über sein ungewöhnliches Kundensegment, vernimmt Zweifel daran, ob diese Linken wohl zahlten. Er antwortet dann, er hätte einige Sorgen weniger, wenn alle so zeitig bestellen und so prompt bezahlen würden wie die Reitschule. Und das, obwohl man bisher noch keinen Vertrag unterzeichnet habe. Dieses Jahr wollten die Leute von der Reitschule den vertraglosen Zustand beenden. Das Sous-le-pont und die Bars wurden renoviert und neu eröffnet. Wie das in der Reitschule üblich ist, übernahm eine Arbeitsgruppe die Neuevaluation der Bierlieferanten. Die drei regionalen Brauereien Felsenau, Egger und Rugenbräu sowie die Rosengarten erhielten einen Fragebogen, in dem nach Rendite, nach Arbeitsbedingungen, Frauenlöhnen und Umweltschutz gefragt wurde. Es zeigte sich, dass unter den angefragten Brauereien keine ist, die hinter ihre Konkurrentinnen zurückfiele. Alle vier sind unabhängig. Keine arbeitet auf grosse Dividenden hin. Jede ist im Einkauf und im Absatz regional verankert. Alle sind Teil einer lokalen Gegenkultur zur globalisierten Bierwelt. Die Wahl der Einsiedler Brauerei war ein Gefühlsentscheid, ein Entscheid aufgrund von Images. Rugenbräu aus Interlaken fiel weg, weil sie ihr Apfelbier mit einer sexy Girlgroup vermarktet, die Berner Felsenau erregte mit einer Meerjungfrau auf der Etikette das Missfallen der Reitschule, und die Egger kam gegen die Gewohnheiten nicht an: Die Betreiber der Reitschule wählten die Brauerei, die sie kennen, und das Bier, das sie schätzen gelernt hatten: Mais-, Dinkel- und Alpenbier.

Der Konservativismus der Linken, sagt Detti, der hagere, stets zerzauste Drucker aus der Reitschuldruckerei mit leiser Ironie: "Aber die Entscheidung für Einsiedeln geht in Ordnung. Wir geben Gegensteuer, und die dort oben geben Gegensteuer".