MURDA
INNA DANCEHALL
Über
Homophobie und Homohass
nicht nur im Dancehall-Reggae
Was haben Neonazis, religiöse Fundis und um die 100
(Gangsta-) Dancehall-Reggae-KünstlerInnen und Tausende ihrer Fans
in aller Welt gemeinsam? Den Hass und die militante Agitation gegen
Schwulen und Lesben. "Punker,
Schwule, Kommunisten - Stehen auf unseren schwarzen Listen. Am Tage X,
zur Stunde Null - Da retten euch auch keine Bullen" sangen 1992
die braunen Jungs von Landser in „Arische Kämpfer", während
drei Jahre später in „Eiermann" die Zillertaler
Türkenjägern deutlicher wurden: "An alle Homos hier im Land, da hilft auch
kein Gezeter, denn ihr wisst, wir kriegen euch früher oder
später. Wir stürmen eure Tuntenbars und bringen euch zur
Strecke, wir säubern unser schönes Land, Du schwule Sau
verrecke!"
Mehr als 20 Jahre später versuchten die deutschen Rapper G-Hot
& Die Kralle/Boss A. in „Keine Toleranz" mit ähnlichen Zeilen („Ich geh mit zehn MG’s zum CSD / Und
kämpf für die Heten, die auf Mädchen stehn / Seid wie
ein Mann und zeigt, dass Ihr keine Toleranz habt / haltet zusammen und
schneidet ihnen den Schwanz ab.") ihre Hiphop-Karriere mit
„Provokationen" in Gang zu bringen. Erfolglos: G-Hot wurde nach
Protesten vom sonst nicht gerade zimperlichen Label Aggro Berlin fallen
gelassen und sah sich gezwungen, sich mit einem Video auf Youtube
halbherzig zu entschuldigen.
Etwa zur gleichen Zeit als „Arische Kämpfer" die
Nazi-Herzen zum Pochen brachte, machte der
Dancehall-Reggae-Künstler Buju Banton mit „Boom Bye Bye" auch
ausserhalb Jamaicas von sich reden: „Boom
bye bye inna batty bwoy head. Rude bwoy no promote no nasty man. Dem
haffi dead" was frei und grob übersetzt in etwa heisst „Peng und tschüss in den Kopf einer
Schwuchtel. Echte Kerle unterstützen keine Schwulen. Sie
müssen sterben."
Zu dieser Zeit waren „Battyman-Tunes" (Battyman ist eines von vielen
Schimpfwörtern für Schwule) schon etwa seit 10 Jahren in der
Dancehall-Reggae-Szene verbreitet. Shabba Ranks, ein „Altmeister"
dieses Genres, der sich im Fahrwasser des Newcomers Buju Banton
bewegte, sorgte für riesiges Aufsehen und das jähe Ende
seiner Karriere, als er 1992 in einer britischen TV-Show zur Kreuzigung
von Homosexuellen aufrief.
Gar zum Wahlkampfsong einer jamaikanischen Partei stieg 2001 der Song
„Chi chi man" von T.O.K. auf: „If
they’re hanging in a queer man’s car / Blaze the fire, let’s burn them!
Burn them! / If they’re drinking in a queer bar / Blaze the fire, let’s
finish them! Finish them!" (aus dem jamaicanische Patois ins
Englische übersetzt). Songs gegen Schwule (Battyman, Babylon Bwoy,
Chi Chi Man, Fags, Faggots, Fassies, Funny Man, etc.) und Lesben
(Sodomite, etc.) hatten wieder mal Hochkonjunktur - nicht nur beim
jamaicanischen Publikum, das z.T. vor oder nach Konzerten die
Songinhalte auch mal handfest umsetzte. Und damit war auch die ca.
dritte Dancehall-Reggae-„Killerqueens"-Generation aus Jamaica am Start,
die auch dieses Jahr weltweit (v.a. in Zürich) Konzerte abhielt
oder abhält (Sizzla, Bounty Killer, Vybz Kartel, Anthony B, Junior
Reid, Baby Cham, etc.).
Schweizer Konzis, Schweizer Geld -
hetzen mit in aller Welt
Und genau dies ist bei aller homophober Gemeinsamkeit der
Unterschied zu Neonazi- und Gangsta-Hiphop-Bands: Während
Neonazi-Bands wie Landser, Zillertaler Türkenjäger (oder
Indiziert aus BE) klandestin Konzerte abhalten müssen, der Rapper
G-Hot bestenfalls noch von halbmittelmässigen Konzertveranstaltern
gebucht wird, können (Gangsta-)Dancehall- Reggae-ArtistInnen trotz
oder vielleicht auch gerade wegen der brutalen homofeindlichen Songs
(fast) ungestört international Karriere machen und auch in
halbalternativen oder "linken" Kulturzentren wie Alte Kaserne ZH,
Frison FR oder der Roten Fabrik ZH fette Gagen abkassieren. Und werden
sogar - wie das Beispiel Sizzla im Mai 08 zeigte - von VertreterInnen
der kommerziellen "Alternativkultur" als "Bob Marley" des 21.
Jahrhunderts gelobhudelt.
Wer gegen die Auftritte der Dancehall-Reggae-"Killerqueens" protestiert
- als Dancehall-Reggae-Fan und/oder als BetroffeneR - kriegt dann an
Podien von hiesigen musikalischen heterosexistischen Gutmenschen mit
Jamaica-Reise-Erfahrungen zu hören, Homohass und Homophobie seien
halt Teil der "Kultur von Jamaica" und man müsse halt tolerant den
Dialog suchen. Dass die VeranstalterInnen als Alternative auch
KünstlerInnen ohne Homohassgewalt-Vergangenheit booken
könnten oder vielleicht auch mal Opfer von Homohassgewalt in
Jamaica und anderswo einladen könnten, wird konsequent
ausgeblendet. Und es werden schamlos weiterhin kommerziell interessante
Konzerte mit "Killerqueens" organisiert:
• 21.08.08 JUNIOR REID, Alte Kaserne,
Zürich ("In Sunday school they teach us about Adam and Eve, they
never teach us about Adam and Steve.")
• 20.9.08 VYBZ KARTEL, Alte Kaserne, Zürich
("Oral sexer, lesbian and queer must be assassinated (Yeah)")
• 11.10.08 ANTHONY B, Rote Fabrik Aktionshalle,
Zürich (Titel wie Chi chi man, etc.)
Homophobe Plattenteller - Das Problem
Soundsystems
"Und jetzt bringen wir was gegen Schwule...!" - Mit ca. diesen
Worten auf englisch leitete der MC des Zürcher Dubversive
Soundsystems am 14. März 2008 den Abbruch ihres Acts und das
vorzeitige Ende des "Culture Factory"-Reggae-Dancehall-Abends in der
ifluss-Bar des autonomen Kulturzentrums Reitschule Bern ein. Denn weder
der empörte Technikmensch noch die VeranstalterInnen hatten viel
für Verständnis für das "Original-
Jamaika-Sound-system"-Getue der beiden Zürcher, auch nicht
für deren Reaktion auf die erste Kritik: "Dann bringen wir halt
was gegen Schwule von Bob Marley, den könnt ihr nicht verbieten..."
In der Schweizer Dancehall-Reggae-Soundsystem-Szene gibt es neben
alternativen Gruppen, Original-Rastafarais und afrikanischen Reggaefans
auch einige Möchtegern-Rastas aus dem Schweizer Mittelstand, die
gerne den krassen Rude Boy raushängen möchten und ihre
mangelnde "Ghetto-Coolness" mit teuren Jamaica-Reisen und eben auch dem
Abspielen von "Battyman-Tunes" zu kom-pensieren versuchen.
Während hierzulande Konzerte mit den "Killerqueens" ca. ein
Dutzend Mal im Jahr stattfinden, legen Soundsystems jedes Wochenende
deren Sound auf - oft auch deren "Battyman-Tunes". Sie werden damit zum
Werbeträger von sonst oft boykottierten KünstlerInnen und zu
PropagandistInnen von homophoben Songs. Und sie suggerieren dem
Publikum wie auch neuen Soundsystems, heteromackriger und homophober
Dancehall-Reggae sei das "Normale" - so sei Jamaica, so sei
Dancehall-Reggae, so müssten richtige Rastas und coole
Dancehall-Jungs sein. Nur wenige verzichten bewusst auf Battyman-Tunes
- einige nur an bestimmten Orten (z.B. der Reitschule).
Widerstand gegen und Umgang mit
musikalischem Homohass
Seit 2004 gibt es die Stop Murder Music-Kampagne von OutRage!
(UK). Andere Gruppen wie Stop Murder Music Kanada oder eben Stop Murder
Music Bern, sind ebenfalls am Thema dran. Es gibt verschiedenste
Widerstandsformen: Aktionen und Boykottaufrufe gegen Konzerten, Druck
auf Labels, Plattenläden und Internetanbieter, Infoveranstaltungen
und -sammlungen, Vernetzung und Austausch mit anderen
"Anti-Unterdrückungs"-Gruppen.
Ein weiterer Versuch, das Problem anzugehen sind der Reggae
Compassionate Act (RCA) und das DJ-Manifesto. Während sich das RCA
an Dancehall-Reggae-MusikerInnen richtet (bisher haben nur 5
unterschrieben), hat das DJ-Manifesto Soundsystems und
KonzertveranstalterInnen als Zielgruppe. Beide formulieren neben vielem
anderem "One love" als Grundpfeiler von Reggae und verplichten die
Unterzeichnenden dazu, auf "Battyman-Tunes" und andere Hasspropaganda
zu verzichten. Auch Stop Murder Music Bern hat ein Manifest formuliert,
dass sich an VeranstalterInnen, Soundsystems, Organisationen,
Radiosendungen und Einzelpersonen richtet.
Das Problem bei allen drei ist die Praxis: Wer kontrolliert schon an
jedem Konzert oder an jedem Dancehall-Reggae-Abend, ob die musikalisch
Aktiven auch wirklich keine "Battyman-Tunes" spielen? Und wer
würde Sanktionen aussprechen und durchsetzen?
Ein Ansatz zur Lösung dieses Problems sind aufmerksame
VeranstalterInnen, die Homophobie und Homohass in den
Veranstaltungsverträgen als Grund für den Wegfall der Gage
und den Abbruch des Abends inkl. Schadenersatz festlegen.
Auch das Publikum kann aktiv werden: Wer nicht Lust hat, MCs bei jedem
"Battyman-Tune" mit Flaschen zu bewerfen oder Radikaleres ("Du willst
FreundInnen von mir verbrennen, dann verbrenne ich halt Deine
Plattensammlung...") zu tun, kann auch schlicht und banal Anzeige wegen
Öffentlichem Aufruf zu Gewalt und Mord machen - gegen die
musikalisch Aktiven wie gegen die VeranstalterInnen.
Auch der musikalische Totalboykott von "Killerqueens", also nicht nur
keine "Battyman-Tunes", sondern gar keine Musik der entsprechenden
KünstlerInnen an Partys oder im Radio spielen, kann sehr effektiv
sein. Keine Gewaltpropaganda ist ja eigentlich das Minimum, nett
wäre ja auch mal eine glaubwürdige Distanzierung von der
eigenen Homohassgewalt-Propaganda-Vergangenheit (Bsp. "Do you still
care" von Tanya Stephens).
Homohass und Homophobie weltweit
Wer sich mit Kritik an Dancehall-Reggae und Jamaica zufrieden
gibt, liegt falsch. Reggae-Dancehall ist nur eine Strophe im weltweit
zu hörenden homophoben Lied und Jamaica nur eine Insel auf unserem
heterosexistischen Planeten:
Wo heute Schwulen und Lesben einmal im Monat am "Tollerdance" tanzen
(ISC Bern), wurden sie noch Mitte der 1970er Jahre hochkant
hinausgeschmissen. Bis Ende der 1970er existierten in fast allen
Schweizer Städten polizeiliche Schwulenkarteien. In den 1990ern
versuchten evangelische FundamentalistInnen in Bern Schwule und Lesben
"gesund" zu beten, 2001 scheiterte die Gay Pride Sion fast am
Widerstand von Walliser Fundikatholen. Auch 2008 haben junge Schwulen
und Lesben in der Schweiz v.a. auf dem Lande Mühe, ohne soziale
Diskriminierung sich selber zu sein.
Auf dem Internet sind bei "christlichen" Anbietern homophobe Accesoires
erhältlich (T-Shirts, Boxer-Shorts, Kinderlätzchen, Taschen,
Tassen, etc.). 7 Staaten kennen für Homosexualität die
Todesstrafe, 76 Haftstrafen. In 49 Staaten gibt es
Anti-Diskriminierungsgesetze, 19 anerkennen gleichgeschlechtliche
Partner-schaften.
Heterosexismus, Verachtung, Hass, historische Mythen und
Verschwörungstheorien gegen Schwulen und Lesben kursieren auf den
Homepages von Neonazis, FaschistInnen, religiösen
FundamentalistInnen - in der Schweiz, in Osteuropa, in Jamaica und
anderswo.
Fazit: "Sozialismus der dummen Kerls”
Homohass und Homophobie sind verbreitet auf Jamaica und in
gewissen Sparten des Dancehall-Reggae. Aber genausowenig wie Reggae
sind Homohass und Homophobie ein rein jamaicanisches Phänomen. Die
Naziangriffe auf Gay Prides in Osteuropa, die geplante
heterosexistische "Straight Pride Parade" am 31.8.08 in New York,
verschwörungsfantastische Bücher wie "Pink Swastika" oder das
auch hierzulande verbreitete allsommerliche Gay-Bashen zeigen dies
deutlich. Homophobie ist genauso wie Antisemitismus der "Sozialismus
der dummen Kerls".
Wie beim Kampf gegen Rassimus und Sexismus, fängt der Kampf gegen
Homophobie und Homohass bei uns selber an. In unseren Köpfen, in
unserem sozialen Umfeld, in unserer Stammbeiz, an unseren Parties, am
Punk- oder Reggae-Abend im Lokal um die Ecke. Und in der eigenen
Platten- und mp3-Sammlung.
Die VeranstalterInnen der grossen Dancehall-Reggae- und Reggae-Events
tun sich selber einen Gefallen, wenn sie ihre Konzerte und Parties
endlich/wieder auf inhaltliche Qualität statt auf
kommerziell-homophobe Quantität ausrichten. Denn "blutiger"
Dancehall-Reggae ist ein ungerechtes Produkt und hat keine Zukunft.
Auf dass es bald mal heisst: Wo man singt, da lass Dich nieder - nette
Menschen kennen keine homophoben Lieder...
STOP MURDER MUSIC BERN, August 2008
Links:
Stop Murder Music Bern
http://www.stopmurdermusic.ch
Stop Murder Music OutRage! (UK)
http://www.petertatchell.net/popmusic/popmusicindex.htm
Murder inna Dancehall (Hintergrundinfos, Songliste)
http://www.soulrebels.org/dancehall.htm
Stop Murder Music Canada
http://www.egale.ca/index.asp?lang=E&item=1374
J-Flag (Jamaican Forum of Lesbians, All Sexuals and Gays)
http://www.jflag.org
eQual! Halle (D) (Infos zu Hiphop, v.a. G-Hot)
http://www.gleich.tk
DJ-Manifesto
http://www.soulrebels.org/dancehall/r_manifesto.htm
Reggae Compassionate Act
http://www.soulrebels.org/dancehall/w_compassionate_001.htm
Berner Reggae-Manifest
http://www.stopmurdermusic.ch/reitschule/stopmurdermusic/manifest.html
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Dieser Artikel erschien in etwa so im Romp Nr. 28 (Polit Punk
Undrground Zine aus Luzern, http://www.romp.ch)
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