Vorwärts 28.11.08 (ca. so)

Stop Murder Music: Gemeinsam gegen Homohass

Nicht nur einige Dancehall-Reggae-MusikerInnen und RapperInnen aus Jamaica, USA und anderswo, sondern auch hiesige Soundsystems hetzen mit Homohass-Songs gegen Schwule und Lesben. Dagegen regt sich Widerstand.


"Pop Culture breaking rules" lautete der Titel einer für den 7.11.08 geplanten Podiumsdiskussion in der Kaserne Basel. Hintergrund: die Kaserne engagierte für den 6.11.08 den umstrittenen jamaicanischen Dancehall-Reggae-Musiker, Rastafari-Prophet und Homohasser Capleton (22 Homohasssongs seit 1991). Am 4.11. musste die Kaserne das Konzert aus Imagegründen absagen. Grund: Stop Murder Music Bern und die Homosexuellen Arbeitsgruppen Basel (habs), die das Engagement des Sängers scharf kritisiert hatten, konnten beweisen, dass Capleton vertragsbrüchig geworden war - denn obwohl er im Mai 2007 den Homohasspropaganda-Verzichtsvertrag "Reggae Compassionate Act" (RCA) unterschrieben hatte, hetzte er an Weihnachten 2007 während einem Konzert in Jamaica* fleissig weiter gegen "Battyman" (Schwuchteln) und "Sodomites" (Lesben).**

Schon im August hatten Fans des FC St. Pauli durch deutliche Statements ein Konzert von Beenie Man (19 Homohass-Songs) in Hamburg verhindert und der Lesben- und Schwulenverband Deutschland (LSVD) erreichte Mitte November dieses Jahres, dass "The Villain", die neue CD des US-Rappers Trick Trick, in der BRD vorerst nicht erscheinen kann. Trick Trick wollte in den Songs auf der CD u.a. mit einer AK Schwule erschiessen und rief dazu auf zwei lesbische US-Schauspielerinnen und -Moderatorinnen in die Luft zu sprengen. Viele Homohass-Songs anderer MusikerInnen sind nach wie vor problemlos im Handel erhältlich.

Propheten und Gangster

Capleton, Beenie Man und Trick Trick - der "Prophet" und die "Gangster" - sind nicht die einzigen. Auf der unvollständigen Liste von Stop Murder Music Bern befinden sich 75 MusikerInnen alleine aus dem Bereich Dancehall-Reggae, die in den letzten 25 Jahren 1 bis 22 Homohass-Songs publiziert haben. Auf der Liste fehlen noch die Namen weiterer RapperInnen (G-Hot, Bushido, etc.) und einiger Nazirock-Bands (Landser, Zillertaler Türkenjäger, etc.) welche ebenfalls Homohass-Songs mit Aufforderungen zu Gewalt gegen oder der Tötung von Schwulen und Lesben in ihrem Repertoire haben.

Trotz der internationalen Kritik in den letzten Jahren haben sich die betroffenen MusikerInnen  nur selten glaubwürdig und tatkräftig von ihrer Homohass-Vergangenheit (und -Gegenwart distanziert. Eine der Ausnahmen: Tanja Stephens, deren Homohasssong "Fag inna closet" noch 2000 auf einer Dancehall-Compilation zu finden war, distanzierte sich spätestens 2006 mit "Do you still care" von der Homohass-Fraktion.

Einige wenige liessen sich aus kommerziellen Überlegungen nur dazu zwingen, den von internationalen Schwulen- und Lesben-Organisationen entwickelten "Reggae Compassionate Act" (RCA) oder "saisonal" für ihre Europa-Tourneen Homohasssongs-Verzichtserklärungen auf geduldigem Papier zu unterzeichnen. Zur Freude von Musikindustrie, TourmangerInnen und VeranstalterInnen, die damit unangenehmen Fragen und Protesten aus dem Weg zu gehen versuchen konnten.

Homophobe Plattenteller

Dieses Wochenende finden gemäss reggae.ch mindestens 16 Reggae- und Dancehall-Konzerte und -Parties statt. Bei mindestens zwei Party-Anlässen (Zeughaus Uster und Gaskessel Biel) kann man davon ausgehen, dass Homohass-Songs zum Repertoire gehören (bei mindestens zwei weiteren (Grafitti Bern und Gaskessel Bern) ist klar, dass sich beim allfälligen Abspielen von Homohass-Songs weder die VeranstalterInnen noch das Publikum gross dran stören).
Oder anders ausgedrückt: Wo Ruff Pack International (Biel/Zürich), Sound Haunted (Zürich), Blood A Run (Zürich) oder Dubversive Soundsystem (Zürich) draufsteht, ist meist auch Homohass drin.
Die meisten der genannten Soundsystems legen nicht nur fast jedes Wochenende den Sound ihrer Lieblinge auf (inkl. Homohasssongs), sondern veranstalten und/oder supporten ab und zu auch deren Konzerte: Elephant Man (17 Homohasssongs, mit Sound Haunted am 8.5.07 im Volkshaus Zürich), Vybz Kartel (11 Homohasssongs, mit Blood a Run am 20.9.08 in der Alten Kaserne ZH) und Ober-Homohasser Bounty Killer (22 Homohasssongs, mit Ruff Pack Int. und Sound Haunted am 12.4.08 in der Alten Kaserne ZH). Für Dubversive Soundsystem war 2008 eher ein Unglücksjahr: Wegen einem ihrer homophoben Auftritte gründete sich im April 2008 Stop Murder Music Bern und Radio Lora ZH schmiess sie in diesem Sommer samt ihren Sendungen auf die Strasse. Das einzige was ihnen bleibt, ist die trotzige musikalische Unterstützung ihres exklusiv für sie singenden Idols Sizzla (13 Homohasssongs) auf ihrer myspace-Seite: "Dubversive don't apologize to no battyboy - You diss Dubversive we gunshot you boy."

Widerstand oder "Rules breaking Pop Culture"

Dass ein paar Heteros und Reggae-Aktivisten aus Bern für Menschenrechte und gegen Homophobie und Homohass (hier, in Jamaica und anderswo) in ihrer Lieblingsmusik kämpfen, hat die LGBTI-dominierte*** internationale Stop Murder Music-Community mit Freude zur Kenntnis genommen. Die Kampagne gegen Capleton und der Nachweis von dessen RCA-Vertragsbruchs hat zu ausbaufähigen Vernetzungen zwischen Bern, Basel, Jamaika, Frankreich, Deutschland und Grossbritannien geführt. Noch viel zu tun gibt die lokale und regionale Vernetzung. Nächstes Projekt von Stop Murder Music Bern wird denn auch sein, mit befreundeten libertären Bieler Strukturen in Verbindung zu treten, mit dem Ziel, die Situation in Biel (Gaskessel und andere Lokale) zu verändern.

Stop Murder Music Bern

Tom Locher

Links:
www.stopmurdermusic.ch
www.habs.ch/aktuell.html#capletonNO
www.soulrebels.org/dancehall.htm
tjenbered.fr

* Nachweis von Capletons RCA-Vertragsbruch:
http://www.stopmurdermusic.ch/reitschule/stopmurdermusic/Texte/CapletonbreaksRCA-Video.pdf
** Beliebteste Schimpfworte: Battyman, Chi Chi Man, Batty B(w)oy, Funny Man, Fag(got), Sodomite, Fish, etc.
*** LGBTI: Lesbian Gay Bisexual Transgender Intersex