4 Fragen - 4 Antworten
Die ausführlichen Antworten an
360.ch (siehe Artikel 7.12.08)
1°
Faut-il *dans tous les
cas* exiger l'annulation d'artistes qui comme
Capleton poursuivent leur incitation homophobe en Jamaïque,
même s'ils
se montrent plus "respectables" lors de leurs concerts internationaux?
Gegenfrage: Müssen die Konzerte von Homohassern "in jedem Fall"
sein?
Solche Konzerte gefährden auch ohne Homohass-Songs den ohnehin
schon
brüchigen "Frieden" zwischen den sexuellen Orientierungen. Sie
sind
eine Provokation gegenüber den Opfern in Jamaica und den
"Hassobjekten"
hierzulande. Sie signalisieren der kleinen militant-homophoben
Subkultur innerhalb des Dancehall-Reggae (hier und in Jamaika), dass
man ohne Angst vor Konsequenzen gegen LGBTI hetzen darf, sogar damit
international Karriere machen kann. Viele Dancehall-Reggae-Soundsystems
hierzulande spielen fast jedes Wochenende nicht nur die "sauberen"
Songs der Homohasser, sondern auch deren Homohass-Songs - die einen,
weil "das in Jamaica halt so ist", die anderen sehr bewusst, nach dem
Motto einiger ihrer jamaikanischen Vorbilder: "We don't apologize to no
battyboy". Pessimistische Einschätzungen innerhalb der
Dancehall-Reggae-Szene gehen von nur 10 Soundsystems aus, die bewusst
keine Homohass-Songs abspielen. Für Homohass-KünstlerInnen
wie für die
erwähnten Soundsystems sind Konzerte eine Belohnung, Kick und
Anreiz um
weiterzumachen wie bis anhin.
Hinzukommt die Werbewirkung für die Tonträger: An den
Merchandise-Ständen in den Konzerthallen, in fast allen Läden
und im
Internet findet man deren CDs und Platten, auf denen sich immer noch
auch Homohass-Songs befinden.
Viele der betroffenen KünstlerInnen sind trotz oder gerade wegen
ihrer
Homohass-Songs gross geworden. Nur sehr wenige haben sich bis jetzt
glaubwürdig und tatkräftig, also nicht nur mit
Alibi-Unterschriften,
von ihrer homophoben Vergangenheit bzw. Gegenwart distanziert.
2°
Existe-t-il une
solution préférable à l'annulation? Si oui
laquelle ?
Die einfachste Lösung wäre natürlich, solche Konzerte
gar nicht erst zu
veranstalten. Und KünstlerInnen zu veranstalten, die zwar nicht so
berühmt, aber inhaltlich und musikalisch interessanter sind. Die
weder
hier noch in ihrem Heimatland homophobe, rassistische, sexistische,
antisemitische oder sonstige menschenverachtende Propaganda machen. Die
ein Menschenbild vertreten, dass One Love und nicht die babylonische
Trennung in Schwarz und Weiss, Hetero und LGBTI oder in Dreadlock und
Skinhead propagiert. Aber das wäre für kommerzielle
VeranstalterInnen
und die Musikindustrie wohl zu progressiv und finanziell zu
uninteressant. Deshalb sind alternative VeranstalterInnen gefragt, die
neue Wege suchen, z.b. mit homohassfreien Parties, Reggae-Parties in
LGBTI-Clubs oder vielleicht sogar mit Homo-Reggae. Homo-Rap hat da ja
schon einiges in Bewegung gebracht.
Dann gibt es die Versuche mit Verträgen, z.B. dem Reggae
Compassionate
Act RCA. Doch dort gibt es noch riesige Mängel, z.B. die Frage der
Kontrolle der Einhaltung, ein Schiedsgericht bei Streitfällen,
Sanktionen bei Nichteinhaltung des Vertrags und die Durchsetzung von
Sanktionen. Bis jetzt war der RCA vor allem ein Feigenblatt für
KünstlerInnen und VeranstalterInnen, um bequem Europa-Tourneen
durchziehen zu können und dann in der Karibik weiterzuhetzen oder
gar
die Unterzeichnung des RCA zu leugnen. Die Frage der Verantwortung, der
Schuld, die die KünstlerInnen mit der von ihnen betriebenen
Homohetze
auf sich geladen haben, die Frage der Wiedergutmachung, ist damit noch
lange nicht geklärt
3°
Quel est ton bilan de
l'intervention des militants et associations
LGBT en marge du concert de Capleton à Lausanne et Bâle?
A-t-elle été
bien comprise, ou a-t-elle plutôt contribué à
crisper les relations
entre les militants LGBT et la scène musicale?
Wir haben uns im April 2008 gegründet und haben als Heteros und
Reggae-Fans in der LGBTI- und vor allem in der (Dancehall-)Reggae-Szene
auffällig viel Staub aufgewirbelt. Viele Leute aus dem
LGBTI-Spektrum
haben kein Verständnis für solche Konzerte, sie sind entsetzt
und
können ähnlich wie wir nicht nachvollziehen, wie man
Homohassern - egal
ob sie in Europa die Homohass-Lieder singen oder nicht - eine Plattform
bieten kann. Da kommt zum Teil vieles hoch, was z.B. durch die
Diskussion über gleichgeschlechtliche Ehen und die Tendenz zu
Party und
Kommerz unterging - die Angst vor, die Bedrohung durch und Wut wegen
der alltäglichen Homophobie. Ich glaube, "bürgerliche" LGBTIs
mit hohem
Einkommen und gefestigtem Status können das zum Teil nicht so gut
nachvollziehen wie z.B. ein Queerpunk aus einem Squat oder einE
AktivistIn einer lokalen Basisgruppe (z.B. habs in Basel). Auch bei
einigen grösseren LGBTI-NGOs wird das Thema aus
Kapazitätsgründen
vernachlässigt oder bis vor kurzem mit naiv-reformistichen
Ansätzen
angegangen.
Innerhalb der (Dancehall-)Reggae-Szene reagieren zum Teil sogar DJs und
Soundsystems, die in den letzten Jahren bewusst auf Homohass-Songs
verzichtet haben, manchmal schon fast beleidigt und defensiv auf uns
und auf Protest aus LGBTI-Zusammenhängen. Manchmal merkt man, dass
sie
in ihrer Subkultur gefangen sind, dass sie sich nicht in das
LGBTI-Gegenüber hineinversetzen können und dass auch sie die
Tendenz
haben, die "Täter" in Schutz zu nehmen. Gerne wird dann mit der
"Kultur" in Jamaica argumentiert, behauptet, dass Reden mit
KünstlerInnen vor und nach Konzerten mehr Erfolg bringe und die
(eigene) Homophobie hierzulande ausgeblendet. In den
Auseinandersetzungen über die Homohass-Songs stelle ich eine Kluft
zwischen der "Täter-Fraktion" und der "Hassobjekt-Fraktion" fest.
Diese
lässt sich aber nicht über sporadische Diskussionen im
Zusammenhang mit
Konzerten und Parties lösen, sondern nur im Alltag.
4°
Quelles leçons
tirer de ces événements pour la "prochaine fois"?
Dass es noch viel zu tun gibt. Durch Stop Murder Music Bern ist mir
wieder bewusst geworden, dass das Thema Homophobie und Homohass-Gewalt
auch ausserhalb von Dancehall-Reggae und Jamaica noch lange nicht
erledigt ist. Beim Recherchieren sind mir Dinge aufgefallen, auf die
ich auch schon früher bei den Themen Rassismus, Sexismus und
Antisemitismus gestossen bin: Vorurteile, Klichées, historische
Mythen,
religiöse Verblendung, Männlichkeitswahn, Heterosexismus,
reaktionäre
Geschlechterrollen, Ausgrenzung, Kriminalisierung,
Verschwörungstheorien, entmenschlichte Feindbilder etc. - auch
hier in
der Schweiz. Und genau dort sollten wir vielleicht vor dem
"nächsten
Mal" ansetzen.
Tom, Stop Murder Music Bern