MEDIENSPIEGEL 12.12.08
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo)
- Stop the Game-Demo 13.12.08
- 10 Jahre Passive Attack
- Lorraine-Fotobuch
- Burgdorf: Alternativen zu Alkistübli
- Recht: Unentgeltliche Prozessführung
- "Familienlobby" vs Euro Pride
- Nestlé: Heks, Wasser und Menschenrechte
- Anti-WEF-Basel: Polizei-"Reformen"
- Kunst: Naegeli wieder aktiv
- Griechenland: Demos & Soliaktionen

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REITSCHULE
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Dez 08: Beteiligt Euch an der Vorplatz-Präsenz!!!

PROGRAMM:

Fr 12.12.08
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
21.00 Uhr - Kino - Volver, Pedro Almodóvar, E 2006
22.00 Uhr - Dachstock - A Dachstock-HipHop-Weekender: Prinz Pi (D) Neopunk Tour 2008 mit Casper & Maeckes & Plan B

Sa 13.12.08
14.00 Uhr - Frauenraum - AMIE Frauenkleidertauschbörse
20.30 Uhr - Tojo - Pamplona von Jobert und Pancetta. Mit Eveline Dietrich & Robert Stofer
21.00 Uhr - Kino - Volver, Pedro Almodóvar, E 2006
22.00 Uhr - Dachstock - A Dachstock-HipHop-Weekender: J-Live (USA) & Mr. Thing (UK), Blu Rum 13 & Band (USA), Support: DJ Kermit

Infos: www.reitschule.ch

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Bund 11.12.08

"Pamplona"

Olé!

Reisen sind ja oft der Prüfstein für eine Beziehung - dies erleben auch Jobert und Pancetta, die Figuren der Clowns Eveline Dietrich und Robert Stofer in "Pamplona". In ihrem ersten Stück "Zeltsam, ein Stück Beziehung" wurde gezeltet. Bevor das skurrile Duo nun in seinem neusten Abenteuer in Finisterra landet, begegnet es in Spanien allerlei Seltsamkeiten, von bewundernswerten Stieren bis zum omnipräsenten heiligen Jakobus. Regisseur Reto Finger dirigiert die beiden Pilger auf ihrer Reise. (reg)

Tojo-Theater Reitschule

Donnerstag, 11. Dezember, bis Samstag, 13. Dezember, 20.30 Uhr.

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STOP THE GAME 13.12.08
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stopthegame.ch

Demo 13.12.2008, Bern Bundesplatz, 15:00h

Das Bündnis STOP THE GAME! / L'alliance STOP THE GAME!

Im Oktober 2008 begannen verschiedene Gruppierungen und Einzelpersonen damit, sich zu vernetzen  und gründeten das Bündnis: "Stop the Game!", Stopp dem Spiel mit Profit und Kapital auf Kosten der Allgemeinheit. Alle Gruppen verbindet zwei Gemeinsamkeiten, zum einen die Kapitalismuskritik, zum andern der Wille, Alternativen zum bestehenden System zu suchen. Das Bündnis ist vielfältig und versteht sich als Plattform zur Entwicklung von neuen Gesellschafts- und Wirtschaftsformen. (Fortsetzung weiter unten…)

Kapitalismus überwinden

Ein Blick in die Geschichte der kapitalistischen Wirtschaft zeigt, dass die derzeitige Finanzkrise nichts Neues ist. Eine Kette ähnlicher Krisen und Zusammenbrüche lässt sich durch die letzten eineinhalb Jahrhunderte verfolgen. Es ist offensichtlich, dass diese Wirtschaftsform zwangsläufig immer wieder Krisen hervorbringt. Dementsprechend wird mit der derzeitigen Finanzkrise auch das heutige Debakel nicht das Letzte gewesen sein. Zudem müssen wir uns vor Augen halten, dass auch der drohende Umweltkollaps und die schlechten Lebensbedingungen vieler Menschen eine Folge der jetzigen Wirtschaftsform sind. Aus diesen Gründen erstreckt sich unsere Kritik über die Finanzmärkte hinaus auf die tieferliegenden Strukturen der heutigen Ökonomie. Der Kapitalismus als Produktionsweise und gesellschaftliches Verhältnis ist durch sein Wesen gezwungen, der Logik der Profitmaximierung zu folgen. Weder verfolgt er dadurch - trotz der an sich ausreichenden Produktivkraft - das Ziel der Bedürfnisbefriedigung noch ermöglicht er die Selbstbestimmung der Einzelnen. Wir lehnen deshalb den Kapitalismus als Ganzes ab.

Gemeinsam verändern

Um einen Ausweg aus dem Kapitalismus finden zu können, ist es notwendig, die heutigen Zustände zu verstehen. Unter diesem Gesichtspunkt setzen wir uns öffentlich mit den verschiedensten, teilweise umstrittenen Modellen und Gegenentwürfen einer möglicherweise alternativen Gesellschaft auseinander. Diese Diskussionen sollen breitere Kreise ansprechen und neue Perspektiven ermöglichen. Denn eine Veränderung der Gesellschaft und die Überwindung des Kapitalismus bedingen ein gemeinsames Bewusstsein der heutigen Widersprüche und Missverhältnisse einerseits und die Bewusstwerdung der gemeinsamen Interessen und vorhandenen Möglichkeiten andererseits. Dieses Bewusstsein kann beim Einzelnen nicht von aussen geschaffen, sondern lediglich angeregt werden. Aus diesem Grund wollen wir keine fixfertigen Alternativen präsentieren, sondern laden zum aktiven Mitdenken und -wirken ein.

Wohlstand für alle

Letzten Endes ist unser Ziel eine Gesellschaft jenseits des Kapitalismus und aller anderen Formen der Unterdrückung: eine gemeinsam verwaltete Produktion, ausgerichtet an der Bedürfnisbefriedigung, ermöglicht allen Menschen ein selbstbestimmtes Leben in Wohlstand. Der Ausbruch aus dem Zwang der Profitmaximierung versetzt uns ausserdem in die Lage, nachhaltig und umweltgerecht zu produzieren und zu leben. Und nicht zuletzt führt die Abkehr weg von der kapitalistischen Konkurrenz hin zu Solidarität, zu einer Veränderung der zwischenmenschlichen Beziehungen.

An Alternativen arbeiten

Aufgrund der Kritik und Ablehnung der heutigen Wirtschaftsform tragen wir im Bündnis "Stop the Game!", alternative Modelle und Gegenentwürfe zusammen. Wir diskutieren sie kontrovers und versuchen aus diesen Auseinandersetzungen Schlüsse für eine menschenwürdige Gesellschaft zu ziehen. Diese Diskussion wird im zum Grundsatzpapier gehörenden Dokument "Alternativen zum Kapitalismus" abgebildet. Bei diesem sich stetig verändernden Papier erheben wir keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern es soll als Diskussionsgrundlage und Werkschau der derzeitigen Debatte im Bündnis verstanden werden.

Hinter dem Bündnis "Stop the Game!" stehen folgende Gruppierungen:

[k:p] kritische perspektive, AA - Action Autonome, AA - Anarchistische Aktion, ATTAC Schweiz, BfS - Bewegung für den Sozialismus, BAgR - Bündnis Alle gegen Rechts, Dance Out WEF, FAU Bern - Freie ArbeiterInnen Union, GPB-DA - Grüne Partei Bern - Demokratische Alternative, JuLiA - Junge Linke Alternative, KABBA - Komitee der Arbeitslosen und Armutsbetroffenen, Lucha Y Fiesta Antifascista, PdA Bern - Partei der Arbeit, PdA Zürich - Partei der Arbeit, ZA - Zürcher AnarchistInnen. Weitere folgen.

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PASSIVE ATTACK
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Bund 11.12.08

10 Jahre Passive Attack

In Feierlaune

Seit einem Jahrzehnt sorgen die Promotionsfachleute von Passive Attack dafür, dass Bern über das aktuelle Kulturgeschehen informiert ist. Zum Jubiläum gibts eine Ausstellung der besten Kulturplakate (prämiert wurden Dachstock- und Stadttheater-Plakate) und ein Fest, das gemeinsam mit dem ebenfalls 10-jährigen Veranstaltungsmagazin "Bewegungsmelder" ausgerichtet wird. Für die gute Feierlaune sind das One:Shot:Orchestra, Baze, Aziz und diverse DJs zuständig. (reg)

Dampfzentrale

Freitag, 12. Dezember (Ausstellung/Prämierung), Samstag, 13. Dezember (Jubiläumsfest), jeweils ab 22 Uhr.

http://www.passiveattack.ch/

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LORRAINE
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Bund 12.12.08

Quartier in Bewegung

Das Buch "Die Lorraine" zeigt überraschende Bilder aus der Geschichte eines Stadtviertels

Vom Arbeiterquartier zum Trendviertel: Der Bildband "Die Lorraine" zeigt die rasante Entwicklung eines eigensinnigen Berner Quartiers.

Die Geschichte der Lorraine als Stadtquartier hängt mit dem Bau der Brücken zusammen: Der Bau der Eisenbahnbrücke 1858 ("Rote Brücke") und der Lorrainebrücke 1929 zogen eine intensive Bautätigkeit auf dem Areal des einstigen Lorraineguts nach sich. Der Bildband "Die Lorraine", der vom Verein "Läbigi Lorraine" im Anschluss an dessen 25-jähriges Bestehen herausgegeben wird, verschafft einen Einblick in die bewegte Geschichte des Quartiers - von der Pionierzeit über die Häuserkämpfe der 1980er-Jahre bis zur Gegenwart.

Bezeichnend für die Lorraine war und ist der Mix von Wohnen und Arbeiten und die soziale Durchmischung des Quartiers. Das Herzstück, die 1860 erbaute Lorrainestrasse, präsentiert sich heute als bunter Spiegel des urbanen Lebens. Der Bildband zeugt von den baulichen Veränderungen. So fiel der Errichtung der Gewerblich-Industriellen Berufsschule anfangs der 1990er-Jahre ein ganzer Strassenzug zum Opfer. In einzelnen Fällen wie dem Quartierhof zum Beispiel blieb der Kampf um den Erhalt der historischen Bausubstanz jedoch erfolgreich. (bob)

[i]

Die Lorraine,

Ein Fotobuch über das Lorrainequartier. Erhältlich in jeder Buchhandlung. Einzelpreis: 38 Franken, Solidaritätspreis: 48 Franken. Vernissage heute Freitag, 18 Uhr, Café Kairo.

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BZ 12.12.08

Bilderbuch eines Stadtquartiers

Wer das Lorraine-Quartier kennen lernen will, muss nicht zwingend zu Fuss unterwegs sein. Im neuen Fotoband "Hommage an ein Berner Stadtquartier" werden auf fast 200 Seiten sieben Rundgänge im Bild präsentiert.

Der Beginn der Besiedlung des Lorraine-Quartiers geht ins Jahr 1858 zurück. Damals wurde die Rote Brücke für Eisenbahn und Fussgänger - vom Nordring über die Aare in die Stadt - in Betrieb genommen. Das Nordquartier wurde damit erstmals auch für den öffentlichen Verkehr erschlossen. Bilder aus jener Zeit machen den Auftakt im neuen "Fotobuch Lorraine", welches der Verein für ein lebendiges Lorraine-Quartier VLL soeben herausgegeben hat.

Bürgerlich und ärmlich

Das fast 200-seitige Werk dokumentiert anhand zahlreicher Schwarz-Weiss-Bilder aber nicht nur die Anfänge des Quartiers. Das Buch ist in sieben fotografische Rundgänge gegliedert, wobei sich historische Aufnahmen mit heutigen ergänzen. Das Bildmaterial wurde aus 30 Quellen zusammengestellt. Auf ausführliche Texte wurde verzichtet, die Bilder sollen laut Herausgeber für sich sprechen. Ein Spaziergang führt durch das eigentliche Dorfzentrum, die 1860 erbaute Lorrainestrasse, und dokumentiert eindrücklich den bürgerlichen Baustil in der vorderen Lorraine (mit dem 1894 erbauten Restaurant Du Nord), der sich von jenem der Arbeiterhäuser im hinteren Teil des Quartiers unterscheidet. Thematisiert werden auch Grossbauten, wie die alte Gewerbeschule (1939) und die neue Gewerblich-Industrielle Berufsschule GIBB; oder die dominante Häuserzeile am Randweg, wo unmittelbar nebenan täglich Tausende von Zügen verkehren.

Uferweg und Gasexplosion

Beschaulicher ist es an der Aare unten: Die alte Brauerei Gassner, der Uferweg und das Lorrainebad - Bau und Sanierungsarbeiten - werden ebenso im Fotobuch präsentiert wie tragische Ereignisse: die Gasexplosion am Nordring 8 (heutiges Postfinance-Gebäude), welche 1998 fünf Todesopfer forderte.

Die Hommage an ein sympathisches Berner Quartier ist gelungen, schade nur, dass bei etlichen Bildern keine Legende steht. Wer die Lorraine mit ihren Gebäuden und ihren Bewohnerinnen und Bewohnern nicht in- und auswendig kennt, kann bei jenen Bildern, die wirklich nur für sich sprechen, nur rätseln.
sru

"Die Lorraine", ein Fotobuch, 196 Seiten, 38 Franken.

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RANDSTAND BURGDORF
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Berner Rundschau 11.12.08

Burgdorf hat das Problem erkannt - die Lösung ist aber unbefriedigend

Um das Problem der Randständigen in den Griff zu bekommen, hat die Burgdorfer Sozialdirektion ein Konzept für ein "Alkistübli" ausgearbeitet. Das Projekt hätte die Stadt jährlich etwa 200 000 Franken gekostet. Dem Gemeinderat war das zu viel - er pfiff die Sozialdirektion zurück. Diese muss nun bis im Sommer 2009 andere Varianten vorlegen. (FWB) Seite 29

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Handlungsbedarf besteht, aber ...

Burgdorf Problem der Randständigen erkannt - Konzept "Alkistübli" wird aber nicht umgesetzt

fabienne wüthrich

Die Stadt Burgdorf erhält kein "Alkistübli". Der Gemeinderat findet das Projekt zu überdimensioniert - nun ist die Sozialdirektion gefordert: Sie soll Alternativen suchen.

Im Burgdorfer Stadtrat wurde das Thema immer wieder aufgenommen: die Randständigen im Bahnhofquartier. So reichte die Jungfreisinnige Stadträtin Christine Jost im Sommer eine Interpellation ein. Sie stellte dem Gemeinderat folgende Fragen: "Wie wird die Situation mit den Randständigen beurteilt; hat die Stadt die Möglichkeit, alkoholisierten Personen den Zugang zu bestimmten Arealen zu verwehren?" In einer nächsten Stadtratssitzung reichte EVP-Parteipräsident Martin Aeschlimann ein Postulat betreffend Randständige ein. Er forderte den Gemeinderat auf, ein allfälliges Reglement für die Burgdorfer Innenstadt zu prüfen - es soll flankierende Massnahmen für Randständige beinhalten. Der Prüfungsbericht muss gemäss dem Postulat bis Mitte 2009 vorgelegt werden.

Kostenpunkt: 200 000 Franken

Die Anliegen der Vertreter des Stadtrates wurden ernst genommen: Die Sozialdirektion arbeitete mit der Regionalstelle Oberaargau-Emmental ein Konzept für ein "Alkistübli" aus. Das Konzept habe beispielsweise mit Betreuungskosten von 130 000 Franken gerechnet, sagt Annette Wisler Albrecht, Gemeinderätin (SP) und Vorsteherin der Sozialdirektion. Hinzu wäre die Miete des Aufenthaltsraumes gekommen. Sie konkretisiert: Pro Jahr hätte das Burgdorf rund 200 000 Franken gekostet. Das Konzept sei schliesslich der Kommission für Soziales vorgelegt worden. "Die Idee ist nicht auf offene Ohren gestossen", sagt sie; "es hiess, die Sozialdirektion solle Alternativen prüfen." Die Kommission stellte einen dementsprechenden Antrag an den Gemeinderat. Dieser stimmte der Kommission zu: Das Projekt sei für Burgdorf zu überdimensioniert, andere Lösungsvorschläge sollen gesucht werden.

Wisler versteht das: Im Sommer würden sich immer wieder rund 20 Randständige vor dem Coop aufhalten. "Das ist eine geringe Zahl, und die Hälfte der Leute stammt nicht einmal aus Burgdorf." 200 000 Franken für 20 Personen - das würde die Stadt 10 000 Franken pro Person und Jahr kosten. "Das ist ein schlechtes Kosten-Nutzenverhältnis", sagt sie. Dass die Stadt Bern bereits ein "Alkistübli" betreibt, weiss die Gemeinderätin. Doch sie wiegelt ab: "Bern ist grösser, und was gut für die Stadt Bern ist, muss nicht unbedingt gut für unsere Region sein."

Zwei Varianten werden geprüft

Laut Wisler sieht aber auch der Gemeinderat Handlungsbedarf, denn: "Kinder und Senioren haben Respekt vor den Randständigen." Ein anderer Gesichtspunkt seien die Geschäfte. "Mehrere Beschwerden sind bei mir eingegangen; sie finden die Randständigen störend."

Nun wolle die Sozialdirektion Alternativen zu einem "Alkistübli" prüfen. "Zwei Varianten schweben uns vor", sagt sie. Einerseits solle ein Konzept zur besseren Vernetzung des bestehenden Angebotes für Randständige erarbeitet werden. "Wir möchten eine Bedürfnisabklärung durchführen, um zu eruieren, was die Randständigen in Burgdorf benötigen", sagt sie. Damit wolle die Sozialdirektion klären, ob das bestehende Angebot in Burgdorf ausreiche. Wer die Umfrage durchführt, ist gemäss Wisler im Augenblick noch nicht klar.

Die zweite Variante sei der Einsatz von Gassenarbeitern. "Wir überlegen uns, ob wir dafür eine zusätzliche Stelle schaffen sollen oder unsere Sozialarbeit ausreicht." Hier müsse sich die Stadt aber bewusst sein: "Das wird etwas kosten." Die Abklärungen würden nun einige Zeit in Anspruch nehmen. Welche der beiden Varianten sich besser für Burgdorf eigne, könne sie frühestens im nächsten Sommer sagen. Wieviel die beiden Lösungsansätze kosten würden, "wissen wir momentan ebenfalls nicht".

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RECHT
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Bund 11.12.08

Drogenkranker erhielt recht

Bundesgericht Auch ein vor Gericht eloquent auftretender Drogenkranker hat Anrecht auf unentgeltliche Prozessführung. Das Bundesgericht hat einen Entscheid der Berner Justiz umgestossen, die dem Mann einen "Armenanwalt" mit der Begründung verweigert hatte, dass er seine Interessen ohne fremde Hilfe wahrnehmen könne.

Der Regierungsstatthalter von Thun liess im August 2008 einen verwahrlosten Drogenkranken gestützt auf die Bestimmungen über den Fürsorgerischen Freiheitsentzug (FFE) auf unbestimmte Zeit in das Psychiatriezentrum Münsingen einweisen. Der Betroffene rekurrierte mit Unterstützung eines Anwalts an das Berner Obergericht als kantonale FFE-Rekurskommission und ersuchte um Entlassung. Ferner verlangte er, ihm sei der Anwalt als unentgeltlicher Rechtsbeistand zu bestellen.

Gesuche wurden abgelehnt

Das Obergericht wies nicht nur das Gesuch um Freilassung ab. Auch das Gesuch um Bestellung eines "Armenanwalts" fand keine Gnade. Das Gericht befand, es sei dem "eloquent" auftretenden Beschwerdeführer möglich und zumutbar gewesen, seine Interessen persönlich vor Gericht sachgerecht zu vertreten. Eine gegen diesen Entscheid eingereichte Beschwerde hat das Bundesgericht nun gutgeheissen. Laut Bundesverfassung besteht ein Anspruch auf unentgeltliche Rechtspflege, wenn die Interessen einer Person in schwerwiegender Weise betroffen sind und der Fall in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht Schwierigkeiten bietet, die den Beizug eines Anwalts erforderlich machen.

Zweifel an Zustand des Süchtigen

Der Umstand, dass sich der Drogenkranke anlässlich der Verhandlung eloquent auftrat und darüber informiert war, dass er gegen den Entscheid des Obergerichts eine Beschwerde einreichen kann, bedeutet gemäss dem Bundesgericht noch nicht, dass er seine Interessen an der Verhandlung ohne fremde Hilfe hätte wahrnehmen können. Die tatsächlichen Umstände im Zusammenhang mit der Suchterkrankung des Mannes, aber auch die Diagnose "Aufmerksamkeitsdefizitsyndrom" lassen laut Bundesgericht vielmehr begründete Zweifel daran aufkommen, ob der Drogenkranke befähigt war, seine Rechte vor Gericht ohne Anwalt durchzusetzen. Der Fall geht zur neuen Beurteilung an das Berner Obergericht zurück. (sda)

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HOMOPHOBIE
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tagesanzeiger.ch 11.12.08

Schwule reden nicht mit "Familienlobby"

Mit 5000 Unterschriften verlangt die "Familienlobby" den Stopp der Schwulenparade in Zürich. Nun will die kirchliche Organisation mit den Schwulen über deren "Sünden" reden. Die Homosexuellen lehnen ab.

Der Verein "Familienlobby" fordert das Verbot der Schwulenparade Euro Pride im Frühling 2009 in Zürich. Mit 5000 Unterschriften will die Organisation den Anlass stoppen. "Homosexualität ist eine Sünde", begründet Daniel Regli, Präsident der Familienlobby und Mitglied der SVP, die Forderung. Deshalb habe man am Mittwoch den Organisatoren angeboten, 4000 Unterschriften vorbeizubringen und dabei den Dialog zu suchen, sagt Regli.

Die Organisatoren der Euro Pride in Zürich lehnen das Gespräch klar ab, wie Sprecher Michael Rüegg auf Anfrage sagt: "Wer über Homosexualität als Sünde redet, ist kein Gesprächspartner für uns." Mit solchen Äusserungen bewege man sich einige Jahrzehnte rückwärts, sagt Rüegg.

Schwule informieren mangelhaft

Die Familienlobby kritisiert weiter "die mangelhafte Information der Schwulenlobby." Laut Regli habe eine Studie des Bundes ergeben, "dass es um die psychische Gesundheit vieler Homos schlecht bestellt ist, dass sie weit überdurchschnittlich Drogen konsumieren und sechsmal mehr Suizidversuche aufweisen." Das werde von den Organisatoren der Euro Pride verschwiegen, sagt Regli.

"Wer so etwas sagt, sollte sich überlegen, ob nicht gerade diese Äusserungen dazu führen könnten, dass sich Schwule und Lesben unwohl fühlen", sagt Rüegg. Darüber hinaus gehe es dem Vorstand der Euro Pride physisch und psychisch gut und man beabsichtige auch nicht, Suizid zu begehen.

Nicht alle stehen zu ihren Unterschriften

Um die von ihr als mangelhaft kritisierte Diskussion und Information über die Homosexualität zu verbessern, hat die Familienlobby keine Aktionen geplant. Mit den 5000 Unterschriften gegen die Euro Pride wolle man vor allem Öffentlichkeit erzeugen, sagt Regli. "Gegen die grosse Schwulenlobby kommen wir als kleine kirchliche PR-Organisation gar nicht an."

Nicht alle Unterschriftensammler stehen jedoch offen zur Aktion gegen die Schwulenparade. Die "Christen für die Wahrheit" wollten nicht, dass ihre 1000 Unterschriften den Homosexuellen übergeben werden, wie Regli auf Anfrage sagt.

"Meinung der Landeskirche wichtiger"

Der Einwand von Lesern auf Tagesanzeiger.ch, Gott habe alles Leben, also auch die Schwulen geschaffen, lässt Regli nicht gelten: "Man findet nirgends in der Bibel den Grundsatz, der das Leben nach dem Lustprinzip propagiert." Schwulsein führe nicht zum Glück.

"Wir finden es schade, dass Leute mit solchen Ideen Aufmerksamkeit erzeugen", sagt Rüegg. Für die Homosexuellen sei jedoch die Meinung der Landeskirchen wichtiger. "Dort gibt es eine grosse Anzahl Mitglieder, die das Schwulsein ganz anders sehen."

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NESTLÉ
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Beobachter 12.12.08

Die zwei Gesichter des Herrn D.

Text: Otto Hostettler

Seit Nestlé-Generaldirektor Roland Decorvet im Stiftungsrat des kirchlichen Hilfswerks Heks ist, gärt es an der Kirchenbasis. Denn Nestlé verfolgt Interessen, die das Heks klar ablehnt.

Die Wahl von Roland Decorvet in den Stiftungsrat des kirchlichen Hilfswerks Heks sorgt für Unmut. Denn Roland Decorvet ist nicht irgendwer. Er ist Generaldirektor des Nahrungsmittelkonzerns Nestlé, der wiederum mit 280000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern auf der ganzen Welt in den ersten neun Monaten dieses Jahres 81,4 Milliarden Franken Umsatz verbuchte - 7,6 Milliarden Franken allein mit dem Verkauf von Wasser. Ganz anders die Interessen des Hilfswerks: Das Heks fordert den freien, kostenlosen Zugang zu Wasser als Menschenrecht.

Mehr noch: Der neue Stiftungsrat im kirchlichen Hilfswerk repräsentiert just jenen Konzern, der jahrelang und systematisch Arbeitsgruppen der Antiglobalisierungsorganisation Attac bespitzeln liess (siehe Beobachter Nr. 14). Mindestens drei Maulwürfe unterwanderten die Attac. Sie interessierten sich nicht nur für das Buch über Nestlé, an dem eine Autorengruppe arbeitete, sondern auch für den brasilianischen Umweltschützer Franklin Frederick, der engen Kontakt zur Szene hat.

Hartnäckig kritisiert Franklin Frederick seit Jahren den Nahrungsmittelkonzern für sein Geschäft mit Trinkwasser in Brasilien. Immer wieder reist er in die Schweiz, trifft Umweltorganisationen und Hilfswerke, hält Vorträge bei Kirchgemeinden und hat dazu beigetragen, dass die Kirchen der Schweiz die sogenannte Wassererklärung unterzeichneten. Darin wird Wasser als öffentliches Gut bezeichnet, das jedem Menschen zusteht. Eine Privatisierung von Quellen wird klar abgelehnt.

"Das klingt wie blanker Hohn"

Ganz offensichtlich ist der umtriebige Umweltschützer aus Brasilien dem weltgrössten Wasserhändler ein Dorn im Auge. Dies geht aus den vertraulichen Berichten hervor, die die Securitas-Angestellte mit dem Pseudonym Sara Meylan dem Nestlé-Konzern ablieferte und die dem Beobachter in Auszügen vorliegen. Darin taucht immer wieder Fredericks Name auf.

Spitzelin Sara Meylan rapportierte fleissig, was Franklin Frederick über die aktuelle juristische Auseinandersetzung mit Nestlé in Brasilien berichtet. Die Spionin notiert, dass Frederick nun bei den Kirchen anklopfen wolle, wann welche Sitzung stattfindet et cetera. Dazu lieferte die Agentin auch gleich die E-Mail-Adresse des Umweltschützers für den Fall, dass sich Nestlé für dessen Korrespondenz interessieren sollte. Und sie vergisst nicht, ihre eigenen Auslagen zu notieren: eine warme Schokolade und ein Glas Eistee für total Fr. 6.80, fünf Franken Kollekte für die Saalmiete.

Das Hilfswerk, das sich Toleranz und Dialog auf die Fahne geschrieben hat, wird auffällig einsilbig jenen gegenüber, die unbequeme Fragen zum neuen Stiftungsrat stellen. Der Stiftungsratspräsident und liberale Nationalrat Claude Ruey lässt die Fragen des Beobachters unbeantwortet, stattdessen publiziert das Heks eine ellenlange Stellungnahme: Die Ausrichtung des Heks werde sich nicht ändern, heisst es etwa. Und: "Roland Decorvet ist als Privatperson in den Stiftungsrat gewählt worden und nicht als Vertreter seines Arbeitgebers."

Decorvet hat zuvor die Diskussion über seine Person selber angeheizt: Er, dessen Familie seit fünf Generationen aus Pfarrern besteht, kanzelte gegenüber der Zeitung "Reformierte Presse" sowie dem Magazin des Heks die Kritiker als "politisch extrem links" und als "minorité négligeable" ab, also als vernachlässigbare Minderheit. Gleichzeitig behauptete der neue Heks-Stiftungsrat kühn: "Nestlé ist die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt."

Zur Privatisierung von Wasser sagte er lakonisch: "Jeder sollte Zugang zu sauberem Wasser haben. Aber Wasser ist für uns wie Wein. Es gibt trinkbaren Wein in verschiedensten Qualitäten und Geschmacksrichtungen. Wer etwas Spezielles haben möchte, soll dafür bezahlen." Diese Aussage kann Pierre Bühler, Theologieprofessor an der Uni Zürich, nicht gelten lassen: "Der Vergleich des Trinkwassers mit Wein unterschiedlicher Qualität klingt wie blanker Hohn angesichts der Situation in der Südhemisphäre." Bühler bezeichnet Decorvets Äusserungen über die "politisch extrem linken" Kritiker als "arrogantes Vorurteil" und als "Provokation".

Decorvet gibt Fehler zu

Auch an der kirchlichen Basis ist das Unverständnis für den neuen Stiftungsrat gross. Pensionierte Pfarrer, frühere Heks-Mitarbeiter oder Entwicklungshelferinnen begehren auf. Einige kündigen an, ihre Spendentätigkeit für das Hilfswerk zu überdenken. Alle vom Beobachter kontaktierten Personen sagen das Gleiche: Eine Führungsfunktion bei Nestlé ist mit dem Amt als Stiftungsrat beim Heks nicht vereinbar. "Die beiden Rollen führen zu Konflikten", sagt die Berner Synodalrätin Pia Grossholz. Als Mitglied der bernischen Kirchenregierung berichtete sie letzte Woche im Kirchenparlament von 50 "bestürzten und entsetzten" Zuschriften, die sie erhalten habe. Zugleich verurteilte sie die Bespitzelung von Franklin Frederick.

Gegenüber dem Beobachter sagt Grossholz: "Ich besuchte 2006 eine Quelle von Nestlé in São Lourenço, Brasilien. Dort habe ich gesehen, wie sich der Konzern nicht an Gesetze hielt und der Natur schadete." Und: "Die beiden Rollen von Roland Decorvet sind nicht kompatibel."

Auf die breite Kritik will Decorvet nicht mehr reagieren. Stattdessen stellt sich das Hilfswerk demonstrativ hinter den neuen Stiftungsrat und lässt verlauten: "Decorvet hat an der letzten Stiftungsratssitzung erklärt, er habe einen Fehler begangen" und auf die Kritik "überreagiert". Zudem habe er "ausdrücklich bekräftigt", dass er sich beim Heks als Privatperson engagiere und keinerlei Mandat seines Arbeitgebers ausübe. Gern hätte sich der Beobachter von der Privatperson Decorvet einige Fragen zu seiner Doppelfunktion beantworten lassen. Doch die an ihn persönlich gerichtete Anfrage, die sein privates Engagement betrifft, wurde umgehend von seinem Arbeitgeber beantwortet. Die Nestlé-Pressestelle meldet kurz und bündig: "Alles ist schon gesagt worden betreffend Heks."

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Kirchenbote 12.12.08

Das Schweigen des Kirchenbundes

Heks/ Der Nestlé-Manager im Heks-Stiftungsrat räumt Fehler ein. Die Projekt-Politik von Heks soll gleich bleiben.

Franklin Frederick - der Name findet sich häufig in den Spionage-Protokollen von Nestlé. Zwischen 2003 und 2004 hat der Nahrungsmulti aus Vevey Globaliserungsgegner, darunter auch den brasilianischen Wasseraktivisten Frederick, von einer Securitas-Spionin aushorchen lassen.

Passiv. "Als jemand, der aus einer ehemaligen Militärdiktatur kommt, überrascht es mich, dass die Schweizer Kirchen schweigen", sagt Franklin Frederick. Eigentlich hat er gute Gründe, auf kirchliche Unterstützung zu hoffen. Denn im Auftrag der katholischen Bischofskonferenz Brasiliens und des Ökumenischen Rats der Kirchen hat er 2004 die Erklärung zum "Wasser als Menschenrecht und öffentliches Gut" mit dem Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund (SEK) und der hiesigen katholischen Bischofskonferenz ausgehandelt.

Warum aber schweigen seine Bündnispartner? Der Sprecher des Kirchenbundes, Simon Weber, zeigt sich zwar "über die Vorwürfe der Spionage besorgt". Eine SEK-Stellungnahme werde es aber erst geben, wenn die Strafuntersuchungen der Justiz zu den Bespitzelungen, die Securitas im Auftrag von Nestlé durchgeführt hat, abgeschlossen seien.

Befangen. 76 Nationalräte hatten weniger Probleme, jetzt schon Kritik zu formulieren. Anfang Dezember unterzeichneten sie einen "Appell für die Meinungs-äusserungsfreiheit und gegen Schnüffeleien durch Nestlé und Securitas". Der Kirchenbund hingegen ist in der Kritik an Nestlé "befangen", so notiert es der "Tages-Anzeiger". Denn im Juli wählten die Abgeordneten des SEK den Nestlé-Direktor Roland Decorvet einstimmig in den Stiftungsrat des Hilfswerks der evangelischen Kirchen Schweiz (Heks).

"Pure life". Dass das Aus-spionieren nicht Roland Decorvet zur Last zu legen ist, versichert allerdings auch Frederick. Aber indirekt gibt es für ihn durchaus eine Verbindung. Denn bevor Nestlé die Mineralwasserbrunnen seiner Heimatstadt São Lourenço anbohrte und das Wasser unter dem Namen "Pure life" in Pet-Flaschen vermarktete, wurde dieses Modell schon seit 1999 in Pakistan erprobt. Dort war Decorvet zwischen 2004 und 2007 Nestlé-CEO. Über den Geschäftszweig Wasser hat er bisher nicht geredet. Er betont lieber den Bau der Milchfabrik in Kabirwala, die die Milch von 140 000 pakistanischen Bauern verarbeitet. Mit Blick auf diesen Erfolg formulierte Decorvet denn auch unbescheiden, Nestlé sei "die beste Entwicklungsorganisation, die es gibt".

Von dieser provokanten Aussage, die er zuerst in der "Handelszeitung" machte und dann gegenüber der "Reformierten Presse" wiederholte, nimmt Decorvet heute Abstand. In einer Stellungnahme, die Heks an die Kirchgemeinden versandte, räumt Decorvet ein, "Fehler begangen" und "überreagiert" zu haben. Das Eingeständnis kommt zur rechten Zeit. Denn bei Heks steht die alljährliche Weihnachtsspendenkampagne an. Deshalb stellt der Brief an die Kirchgemeinden jetzt klar: Die Projektausrichtung von Heks bleibe trotz des neuen Stiftungsrats unverändert.

Neue Töne. Über die Stellungnahme zeigt sich Pfarrer Dieter Sollberger von Horgen erleichtert. In seiner Gemeinde wurde schon über die Stornierung der jährlichen Heks-Überweisungen nachgedacht. "In der Stellungnahme ist deutlich ein neuer Ton herauszuhören. Für uns ist dies ein wichtiger erster Schritt", so Sollberger. Delf Bucher

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WoZ 11.12.08

Menschenrechte I

Nestlé am Pranger

"Jeder Mensch hat das Recht, zum Schutze seiner Interessen Berufsvereinigungen zu bilden und solchen beizutreten." So heisst es im Artikel 23, Abschnitt 4, der Uno-Menschenrechtsdeklaration, deren Verabschiedung sich am Mittwoch zum sechzigsten Mal jährte. Das Internationale Forum für Arbeitsrechte (ILRF) hat anlässlich dieses Jubiläums eine Dokumentation zusammengestellt, welche die "fünf schlimmsten Konzerne in Sachen Gewerkschaftsrechte" benennt. Neben den US-Firmen Dole, Del Monte, Russell und Wal-Mart gehört auch der Schweizer Nahrungsmittelkonzern Nestlé zu den Angeschuldigten. Nestlé verspreche seinen KundInnen "Gute Nahrung, gutes Leben", verstecke jedoch gleichzeitig "eine dunkle Geschichte von Menschenrechtsverletzungen und der Missachtung von Arbeiterrechten". Seit Jahren wird das Unternehmen etwa auf den Philippinen und in Kolumbien mit Gewalttätigkeiten gegen GewerkschafterInnen und Repressalien gegen Gewerkschaftsorganisationen in Verbindung gebracht. Das ILRF hat seinen Sitz in den USA und wird von Gewerkschaften, Kirchen sowie dem US-Aussenministerium unterstützt.

www.laborrights.org

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ANTI-WEF BASEL
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bs.ch 8.12.08

Bericht über die Tätigkeit der vom Vorsteher des Sicherheitsdepartementes des Kantons Basel-Stadt eingesetzten Arbeitsgruppen betreffend "Datenschutz" und "polizeiliche Massnahmen" im Zusammenhang mit der Anti-WEF-Demonstration vom 26. Januar 2008
http://www.bs.ch/mm/bericht_arbeitsgruppen_meier.pdf

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Basler Zeitung 12.12.08

Die Basler Polizei erfindet sich neu

Nach missglücktem Einsatz bei Anti-WEF-Demo werden Dienstvorschriften geändert
philipp loser

Der Polizeieinsatz bei der Basler Anti-WEF-Demonstration im Januar hat Folgen. Mit neuen Dienstvorschriften sollen Grundrechtsverletzungen künftig bei Grosseinsätzen verhindert werden.

Ab sofort rechtfertigt allein die Tatsache, an einer unbewilligten Demonstration teilnehmen zu wollen, keine Festnahme mehr durch die Polizei. "Es braucht mehr Verdachtsmomente", sagte der interimistische Polizeikommandant Rolf Meyer gestern vor den Medien. Das ist eine zentrale Erkenntnis der Expertengruppe, die sich nach der Januar-Aktion mit polizeilichen Massnahmen und dem Umgang mit Datenschutz beschäftigt hatte.

Bei der unbewilligten Anti-WEF-Demonstration in Basel verhaftete die Polizei Dutzende Unbeteiligte und hielt sie über Stunden im Waaghof fest. Eine Administrativuntersuchung hielt bereits im März fest, dass der Einsatz unverhältnismässig war. "Nun ging es darum, diese Tatsache vertieft zu analysieren und konkrete Schritte einzuleiten", sagte Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass (FDP).

Im Schlussbericht der Expertenkommission werden Empfehlungen in den verschiedensten Bereichen vorgeschlagen. Themen sind unter anderem: Dauer von Polizeigewahrsam, korrekte Fesselung, Umgang mit Journalisten, Benachrichtigung der Eltern bei Unmündigen, Untersuchungen an Kleidern und am Körper.

Die Empfehlungen werden nun in Dienstvorschriften festgehalten, die ab Januar gelten sollen. Gleichzeitig werden alle Polizeiangehörigen mit den neuen Regeln vertraut gemacht. "Die Basler Polizei ist auf einem guten Weg, die Grundrechte konsequent umzusetzen", sagte Staatsrechtsprofessor Markus Schefer, der damit in erster Linie Grosseinsätze wie die Anti-WEF-Demonstration meint.

Vorbild. Schweizweit seien die Aufarbeitung des Einsatzes und die Konsequenzen daraus einmalig, sagte Gass. Er hofft, dass die neuen Dienstvorschriften auch für andere Schweizer Polizeikorps wegweisend sein werden. Er will das Thema an der kantonalen Polizeidirektoren-Konferenz vorbringen. Meyer hat den Schlussbericht gestern ausserdem an alle Schweizer Polizeikommandanten verschickt.

Neben den polizeilichen Massnahmen nimmt der korrekte Umgang mit Datenschutz einen grossen Teil des Berichts ein. Der Spielraum des Kantons bei den Bundesbehörden ist viel grösser als bisher angenommen - und soll in Zukunft auch genutzt werden. > Seite 23

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Nicht jeder Demonstrant soll fichiert werden

Basel. Der Kanton will mehr Einflussnahme auf die Datenbank des Inlandgeheimdienstes nehmen
Philipp Loser

Noch vor Wochen schob die Basler Regierung den Schwarzen Peter nach Bern: Bei der Fichierung von Personen habe man bei den Bundesbehörden nichts zu melden. Ein Gutachten kommt nun zu einem anderen Schluss.

Die Datenbank des Inlandgeheimdienstes, des Dienstes für Analyse und Prävention, hat man sich als grosses schwarzes Loch vorzustellen. Daten werden angesaugt, abgelegt und entziehen sich dann jedem Einfluss von aussen. "Der Staatsschutz besitzt heute eine massiv grössere Datensammlung als während der Zeit der Fichenaffäre", sagt Rechtsprofessor Markus Schefer (siehe Interview rechts).

Um in die Isis-Datenbank zu gelangen und fichiert zu werden, reicht eine Anfrage der Kantonspolizei an die Behörden in Bern. SP-Parlamentarierin Tanja Soland musste vor einigen Wochen diese Erfahrung machen, etliche Teilnehmer einer unbewilligten Anti-WEF-Demo im Januar dieses Jahrs ebenfalls. Im Rahmen einer längeren Parlamentsdebatte stellte sich der Regierungsrat um Justizminister Guy Morin (Grüne) auf den Standpunkt, auf diese Fichierung in Bern keinen Einfluss nehmen zu können. "Wir sind nicht zuständig", sagte Morin im September.

Spielraum. Ein Gutachten, das nach der missglückten Polizeiaktion bei der Anti-WEF-Demo im Januar in Auftrag gegeben und gestern den Medien präsentiert wurde, kommt nun zu einem anderen Schluss. Der Kanton kann auf zwei Arten Einfluss auf die Fichierung von Personen in Bern nehmen: Er kann erstens selber entscheiden, welche Daten die Polizei der sogenannten Fachgruppe 9 (FG 9) weiterleitet. Die FG 9 ist der verlängerte Arm der Bundesbehörden in Basel, sie ist vom Bund bezahlt und beim Kanton angestellt. Und der Kanton kann zweitens die Aufsicht über die FG 9 regeln - heute fühlen sich weder Kanton noch Bund für die Beaufsichtigung der Staatsschützer zuständig.

In der Praxis. Anfang nächstes Jahr will die Justizdirektion eine Verordnung präsentieren, in der diese Bereiche geregelt sind. Anhaltspunkte, was in der Verordnung stehen könnte, gibt es im Schlussbericht der Arbeitsgruppen zu lesen. Der entscheidende Satz: "Besteht bei einer kontrollierten Person kein Verdacht auf eine staatsschutzrelevante Gefahr, darf sie der FG 9 nicht gemeldet werden." Die Empfehlungen sollen nun einerseits in die neue Verordnung und andererseits in neue Dienstvorschriften für die Polizisten an der Front einfliessen. Das gilt auch für alle anderen Empfehlungen der Arbeitsgruppen. Auch in der Geschäftsprüfungskommission (GPK) wird der Bericht zum Thema. Eine erste Reaktion von GPK-Präsident Jan Goepfert (SP) ist positiv: "Das Problem scheint erkannt zu sein."

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"Ein Staatsschutz-Problem"

Rechtsprofessor Markus Schefer unterstützt den Kanton

Interview: Philipp Loser, Patrick Marcolli

Markus Schefer, Staatsrecht-Professor an der Uni Basel, war Mitglied der Arbeitsgruppen, die den missglückten WEF-Einsatz der Polizei beurteilten. Ein Thema war dabei auch das Verhältnis der kantonalen Behörden zum Inlandgeheimdienst.

BaZ: Herr Schefer, warum darf der Kanton beim Geheimdienst keine Daten einsehen?

Markus Schefer: Wenn die Daten beim Dienst für Analyse und Prävention sind, stehen sie unter Bundeshoheit. Der Kanton hat keinen Einfluss mehr.

Was nicht nachvollziehbar ist.

Ja, dies ist tatsächlich unbefriedigend, vor allem, weil auf Bundesebene faktisch kein Einsichtsrecht existiert. Heute kann nur der Datenschutzbeauftragte des Bundes Einsicht nehmen, und das genügt nicht.

Als bekannt wurde, dass Basler Parlamentarier beim Staatsschutz fichiert wurden, argumentierte die Regierung, keinen Einfluss auf die Datenerhebung in Bern zu haben.

Das stimmt, wenn die Daten erst einmal in Bern sind. Bevor sie dorthin gelangen, kann der Kanton aber auf zwei Ebenen sehr wohl Einfluss nehmen. Erstens: Der Kanton kann mitbestimmen, welche Daten die Polizei der Fachgruppe 9 (FG 9, der kantonale Ableger des Inlandgeheimdienstes) weitergibt. Das ist bundesrechtlich zwar geregelt, aber derart vage, dass es für den Kanton einigen Spielraum gibt. Die Praxis bis heute war, dass zwar nicht alle Daten weitergemeldet wurden, aber die Kriterien dafür nicht klar waren. Nun geht es darum, diese Kriterien transparent zu machen. Zweitens kann der Kanton die FG 9 beaufsichtigen, was bis heute weder vom Bund noch vom Kanton konsequent gemacht wurde. Im Rahmen einer kantonalen Verordnung zum Vollzug des Bundesgesetzes für die Wahrung der inneren Sicherheit (BWIS) wird die Aufsicht momentan neu geregelt.

Kommt das nicht alles zu spät?

Natürlich! Aber wir sind wenigstens einer der ersten Kantone, die überhaupt etwas machen. Ich hoffe, das wird einen Prozess auslösen.

Dieser Prozess beim Staatsschutz scheint überfällig.

Ja, wir haben ein Problem mit dem Staatsschutz. Nach der Fichenaffäre wollte man ihn zurückbinden, stattdessen passierte das Gegenteil. Wir haben heute eine massiv grössere Datensammlung, als wir es während der Zeit der Fichenaffäre hatten. Aber auch hier bin ich optimistisch: Die anstehende Revision des BWIS geht in eine positive Richtung.

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Kommentar

Regierung hat zu spät reagiert

Patrick Marcolli

Der Lernprozess der Kantonspolizei ist erstaunlich: Noch vor wenigen Jahren wäre es unvorstellbar gewesen, dass als Folge eines Fehlverhaltens der Polizei bei einer Demo ein so detaillierter "Besserungskatalog" wie der gestern veröffentlichte aufgestellt worden wäre. Natürlich wird es darauf ankommen, ob die Vorschriften im Polizeialltag umgesetzt werden. Rolf Meyer, Kommandant ad interim, hat sich in der Zusammenarbeit mit der Expertengruppe offenbar kooperativer gezeigt als sein Vorgänger Roberto Zalunardo; er scheint willens, von seinen Untergebenen mehr Augenmass und Zurückhaltung einzufordern.

Der Staatsschutz des Bundes ist ein anderes Thema. Die Schnüffler schlagen wie in Zeiten des Kalten Krieges über die Stränge. Was der Expertenbericht des Sicherheitsdepartements dazu zeigt und Staatsrechtler Markus Schefer bestätigt: Die Basler Regierung hat sich zu lange hinter der Aussage versteckt, die Kantone seien gegen den Berner Staatsschutz machtlos. Die Verordnung zur Aufsicht über den Staatsschutz, die das Justizdepartement erarbeitet, kommt angesichts der neuen Fichierungen sehr spät, politisch sogar zu spät. Diesen Spielraum hätte der Regierungsrat und insbesondere Justizminister Guy Morin früher nützen müssen, um den Datenfluss zu den Staatsschützern in Bern einzudämmen. patrick.marcolli@baz.ch

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Basellandschaftliche Zeitung 12.12.08

Klare Regeln für den Einsatz

Nachspiel Polizei passt nach "Anti-WEF-Einsatz" Dienstvorschriften an

Das Sicherheitsdepartement zieht zahlreiche Lehren aus dem unverhältnismässigen Polizeieinsatz.

Wegen des übertriebenen Polizeieinsatzes im Rahmen einer unbewilligten Anti-WEF-Demo am 26. Januar 2008 passt nun die Polizei diverse Dienstvorschriften an. Dies aufgrund der Ergebnisse der Arbeitsgruppen "Datenschutz" und Polizeiliche Massnahmen". Ihr Bericht wurde gestern veröffentlicht.

Zudem orten die Arbeitsgruppen Handlungsbedarf in Sachen Datenaustausch und Staatsschutz. Das Problem: Welche Daten können, welche müssen die kantonalen Behörden der Staatsschutzstelle in Bern melden? Dazu macht das Bundesgesetz keine klaren Vorgaben, erläutert Staatsrechtsexperte Markus Schefer. Deshalb wird nun das Basler Justizdepartement eine Verordnung ausarbeiten, welche den Datenaustausch regeln soll. Zudem soll ausgelotet werden, welche Aufsichtsmöglichkeiten es über die kantonale Staatsschutzstelle gibt. Der kantonale Datenschutzbeauftragte müsse kontrollieren können, welche Daten die Polizei sammelt, forderte Schefer. (daw) Seite 25

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Polizei passt Vorschriften an

Nach "Anti-Wef-Einsatz" Dienstvorschriften der Polizei werden präzisiert

Die Lehren aus dem übertriebenen Polizeieinsatz vom Januar: Die Polizei braucht genauere Dienstvorschriften und vorsichtigeren Umgang mit Daten.
David Weber

Kurz nach dem Einsatz der Polizei gegen mutmassliche Anti-Wef-Demonstranten (siehe Update) wurde derselbige noch als "Erfolg" bezeichnet. Die unbewilligte Demonstration sei verhindert worden. Nach heftiger Kritik am Vorgehen der Polizei und am Einsatzbefehl wurde dieses Urteil schnell relativiert und eine ganze Reihe von Massnahmen in die Wege geleitet.

Gestern nun folgte ein weiteres Kapitel in der umfangreichen Aufarbeitung des Polizeieinsatzes vom 26. Januar 2008. Die beiden Arbeitsgruppen "Datenschutz" und Polizeiliche Massnahmen" stellten ihren gemeinsamen Bericht der Öffentlichkeit vor. Die Arbeitsgruppen sollten, laut Auftrag von Sicherheitsdirektor Hanspeter Gass, die Erkenntnisse und Empfehlungen aus der Administrativuntersuchung des ehemaligen Strafgerichtspräsidenten Christoph Meier vertiefen. Bereits im März hatte dieser die bei der Polizeiaktion gemachten Fehler aufgelistet, worauf sich die Polizeileitung bei den 25 zu unrecht Festgehaltenen entschuldigt hatte.

Aufsichtsloser Staatsschutz

Der nun vorliegende Bericht zeigt, dass verschiedenste Dienstvorschriften der Polizei ungenau formuliert sind oder waren. Aufgrund der Ergebnisse der Arbeitsgruppen, die wiederum von Meier geleitet und der auch Rechts- und Polizeiexperten angehörten, werden oder wurden diese Dienstvorschriften nun angepasst. Das Polizeipersonal werde ab Januar 2009 entsprechend geschult, erklärte Gass gestern.

Einige der "dringenden Verbesserungen" (Meier) hat die Polizei seit März bereits umgesetzt, beispielsweise eine verbesserte Triage, um zu verhindern, dass Unschuldige vorübergehend festgenommen werden. Mehrere Dienstvorschriften zu den im Bericht behandelten Polizeiaufgaben liegen im Entwurf vor oder sie werden systematisch erarbeitet. Dazu gehören die Themenkreise Gesetzesgrundlagen, Personenkontrollen, Polizeigewahrsam, Fesselung, Kleiderdurchsuchung, Medienfreiheit, Jugendliche im Besonderen und Fragen der Datenbearbeitung sowie des Datenschutzes.

Dass gerade der Datenschutzbereich ein nach wie vor ungelöstes Problem ist, machten die Experten der Arbeitsgruppe "Datenschutz" auch gestern deutlich. Das Kernproblem besteht darin, dass die Kantonspolizei einerseits eine traditionelle Polizeibehörde, andererseits aber auch der "verlängerte Arm des Inlandgeheimdienstes" sei, wie Markus Schefer, Staats- und Verwaltungsrechtsprofessor an der Uni Basel, darlegte. Der Datenaustausch zwischen der Basler Polizei und Bern müsse klarer geregelt werden, zum Beispiel bei Bewilligungen von Demonstrationen. Bereits die Kantonspolizei müsse hier eine gewisse Filterfunktion übernehmen, forderte Schefer. Wie Polizeidirektor Gass erklärte, werde man künftig genau analysieren, welche Informationen staatsschutzrelevant sind.

Die Bundesgesetze und die Verordnungen regeln die Zusammenarbeit zwischen dem Bundesstaatsschutz, seiner Basler Niederlassung (die Fachgruppe 9 der Staatsanwaltschaft) sowie der Kantonspolizei nur sehr vage. "Der jetzige Zustand ist nicht befriedigend", bilanziert die Arbeitsgruppe im Bericht. Weiter besteht bei der kantonalen Staatsschutzstelle ein "Aufsichtsmanko", wie Schefer erklärte. Deshalb wird das Basler Justizdepartement nun eine Verordnung ausarbeiten, die unter anderem die bereits bestehenden Aufsichtsmöglichkeiten, etwa durch den kantonalen Datenschutzbeauftragten, ausloten soll.

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"Fehler analysieren"

Nachgefragt beim Basler Polizeidirektor

Herr Gass, können mit den geplanten Massnahmen Fehler, wie sie am 26. Januar passiert sind, vermieden werden?

Hanspeter Gass: Wir sind auf bestem Weg dazu. Es wurde uns im Bericht attestiert, dass die Polizei gut auf Kurs ist. Fehler können aber nie ausgeschlossen werden, das liegt in der Natur der Sache. Wichtig ist, dass man sie analysiert und Massnahmen trifft, damit sich die Fehler nicht wiederholen. Unsere Arbeit hat wegweisenden Charakter. Es ist wahrscheinlich noch nie in der Schweizer Polizeilandschaft ein Einsatz so intensiv und wissenschaftlich aufgearbeitet worden. Die Erkenntnisse dienen unserer Arbeit, aber wir werden sie auch anderen Polizeikorps zur Verfügung stellen.

Werden auch zukünftig alle Personen, die ein Demo-Gesuch unterschreiben, zur Überprüfung nach Bern gemeldet?

Gass: Nein. Wie gesagt, man muss bei einem Demo-Gesuch klar analysieren, was relevant für den Staatsschutz ist und was nicht. Wir müssen vorsichtig mit dieser Datenweitergabe umgehen. Es hat in diesem Bereich eine starke Sensibilisierung stattgefunden. So wird beispielsweise auch im neuen Informations- und Datenschutzgesetz der Grundsatz der Datenvermeidung respektive der Datensparsamkeit in den Vordergrund gestellt.

Ein Mitglied der Arbeitsgruppe erwähnte, dass die Zusammenarbeit mit der Polizei einfacher wurde, seit Rolf Meyer interi- mistischer Polizeikommandant ist. War das mit ein Grund für die Trennung von Kommandant Roberto Zalunardo?

Gass: Nein, sicher nicht. Wie gesagt, über die Gründe der Trennung wurde Stillschweigen vereinbart. Aber ganz generell: Rolf Meyer hat sehr kooperativ mitgearbeitet. Die Zusammenführung von Praxis und Theorie war wichtig. Das war auch deshalb wichtig, um zu zeigen, dass eine solche Nachbearbeitung nicht gegen die Polizei gerichtet ist, sondern auch für die Polizei gemacht wird. (daw)

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Update

Vorgeschichte Nach Krawallen in anderen Städten griff die Polizei in Basel am 26. Januar 2008 rigoros durch. Eine unbewilligte Anti-Wef-Demo sollte verhindert werden. 66 Personen wurden bis zu sechs Stunden im Waaghof festgehalten, darunter auch Unschuldige. Eine Untersuchung kritisierte den Einsatz als unverhältnismässig. (Daw)

Den ganzen Bericht finden Sie unter: http://www.bs.ch/mm/bericht_arbeitsgruppen_meier.pdf

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Korrekturbedarf beim Datenschutz

Reaktionen Bei Basler Politikern kommt der Bericht gut an. Sie fordern einen besseren Datenschutz

Toprak Yerguz

SP-Grossrätin Tanja Soland ist "grundsätzlich einmal froh" über den Bericht, den sie "ausführlich und recht genau" findet. Sie wurde vom Staatsschutz registriert, weil sie 2007 auf Anfrage der Polizei das Gesuch für eine Anti-Wef-Demonstration mitunterzeichnet hatte. Sie freut sich besonders über die Resultate der Arbeitsgruppe "Datenschutz". Sie zitiert eine Passage des Berichts: "Besteht bei einer kontrollierten Person kein Verdacht auf eine staatsschutzrelevante Gefahr, darf sie der Fachgruppe 9 nicht gemeldet werden." Die Verordnungen des Staatsschutzes seien "grundsätzlich falsch" ausgeführt worden. Sie anerkennt jedoch den Willen des Sicherheitsdepartements, eine externe Arbeitsgruppe einzusetzen und die gängige Praxis zu ändern.

Urs Müller, Basta-Grossrat und Mitglied der Geschäftsprüfungskommission, war bei der Vorstellung des Berichts zugegen und zeigte sich mit den Erkenntnissen der Arbeitsgruppen in einer ersten Reaktion ebenfalls zufrieden. "Es ist Bewegung spürbar", sagte er zur Frage des Datenschutzes. Als das Thema im Grossen Rat behandelt wurde, habe es von Seiten der Regierung noch geheissen, dass der Kanton nichts machen könne: Die Anweisungen kämen vom Bund. Nun werde die Situation anders dargestellt: "Wir sehen, dass es einen Handlungsspielraum gibt." Der Wille zur Besserung in Basel sei aber nicht genug. Auf Bundesebene müsse weiter an der Verbesserung des Datenschutzes gearbeitet werden: "Es braucht mehr Transparenz."

Handlungsbedarf in Bern

Dem stimmt auch SP-Ständerätin Anita Fetz zu. Sie hatte im Ständerat eine Motion eingereicht, die eine bessere Aufsicht des Staatsschutzes verlangte. Bisher nahm die eidgenössische Geschäftsprüfungsdelegation diese Aufsichtsfunktion wahr. "Es ist doch undenkbar", sagt Fetz, "dass sechs Milizparlamentarier 10 000 Akten kontrollieren sollen." So könne der Datenschutz nicht gewährleistet werden. Die von mehrheitlich rot-grünen Ständeräten unterstützte Motion wurde jedoch vom bürgerlich dominierten Ständerat abgelehnt.

Damit ist das Geschäft allerdings noch nicht vom Tisch: Der freisinnige Nationalrat Peter Malama hat in Absprache mit Fetz und dem Baselbieter SP-Ständerat Claude Janiak eine beinahe gleichlautende Motion in den Nationalrat gebracht. "Ich halte an der Motion fest, auch gegen den Willen des Bundesrats", sagt Malama. Durch den veröffentlichten Bericht des Basler Sicherheitsdepartements fühle er sich in seinem Ansinnen bestärkt. "Das ist keine Frage von links oder rechts", erklärt er seine Unterstützung für die eher der Linken zugeordnete Motion, "es besteht Korrekturbedarf beim Datenschutz." Es sei parteiübergreifend die Aufgabe der Parlamentarier, dafür einzustehen, betont Peter Malama.

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Kommentar

Für die Bürger und die Polizei

David Weber

Auf die Polizei einzuprügeln ist einfach, wenigstens verbal. Gibts Krawalle, hat sie versagt; wird ein Unschuldiger während Stunden festgehalten, dann auch. Wer allerdings an jenem 26. Januar 2008 in der Innerstadt war, dem wurde schnell klar: Bei diesem Einsatz wird wirklich mit Kanonen auf Spatzen geschossen. Den Einsatzbefehl hat man im Nachhinein als "Fehlleistung" bezeichnet. Personen wurden ohne gesetzliche Grundlage gefilmt, zu Unrecht festgehalten, Eltern von Minderjährigen nicht informiert etc.

Die Reaktion von Polizeidirektor Hanspeter Gass war konsequent und richtig. Nun werden die Dienstvorschriften für den täglichen Einsatz der Polizisten (bei Personenkontrollen oder Datenbearbeitung) präzisiert. Warum aber, fragt man sich verwundert, war dies nicht längst der Fall? Offenbar ist die Situation auch in anderen Kantonen nicht besser.

Die Arbeit der Polizeikräfte ist kompliziert genug. Je nach Situation werden verschiedene Rechtsordnungen relevant. Genau wegen dieser Komplexität braucht es eindeutige Einsatzregeln, zum Schutz der Bürger › und der Polizeibeamten.

Was der Bericht punkto Datenaustausch zwischen Polizei, dem Bundesstaatsschutz und seiner kantonalen Dependence zeigt, ist ein Ärgernis. Klar ist hier nur, dass nichts klar geregelt ist. Dieses Problem muss dringend auf Bundesebene gelöst werden. Bis dahin gilt es, den Aufsichtsspielraum über den kantonalen Staatsschutz und Datenaustausch auszureizen. Und einen gewissen Spielraum hat der Kanton, wie ein Gutachten der eidgenössischen Geschäftsprüfungsdelegation zeigt. Das dürfte vor allem Justizminister Guy Morin erstaunen, der bei der Staatsschutzdebatte im Grossen Rat hilflos erklärte, ihm seien die Hände gebunden.

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bazonline.ch 11.12.08
http://bazonline.ch/basel/stadt/AntiWEFDemo-Neue-Regeln-fuer-Basler-Polizei/story/28651790 (mit Video-Intis)

Anti-WEF-Demo: Neue Regeln für Basler Polizei

Die Basler Polizei hat Lehren aus dem unverhältnismässigen Einsatz gegen die unbewilligte Anti-WEF-Demo vom vergangenen Jahr gezogen. Bis im Januar sollen die aus den Berichten gewonnenen Erkenntnisse umgesetzt werden.

Nachdem Ende März der ehemalige Strafgerichtspräsident Christoph Meier seinen Bericht vorgelegt und den Polizeieinsatz vom 26. Januar gegen mutmassliche Teilnehmer einer nicht bewilligten Anti-WEF-Demonstration als unverhältnismässig kritisiert hatte, wurden heute die aus dem Bericht Meier abgeleiteten Konsequenzen vorgestellt.

Rasche Umsetzung gefordert

Anhand des Berichts "Meier" erarbeiteten verschiedene Arbeitsgruppen konkrete Empfehlungen. Die Arbeitsgruppe "Datenschutz" befasste sich mit der Handhabung erkennungsdienstlicher Daten und dem Umgang mit Daten, die vom Bundesamt für Polizei übermittelt werden. Ein weiterer zentraler Punkt ist die Datenweitergabe von Basel nach Bern sowie die Datenlöschung und die Auskunftserteilung an Betroffene. (Lesen Sie dazu das Interview mit Staatsrechtler Markus Schefer über das Verhältnis der Basler Behörden zum Inlandgeheimdienst in der BaZ vom Freitag.)

Eine weitere Arbeitsgruppe befasste sich mit den polizeilichen Massnahmen, die in ähnlichen Fällen künftig ergriffen werden sollen. Dazu gehört die Triage angehaltener Personen und insbesondere die Behandlung Jugendlicher und die Kommunikation mit Eltern. Neu geregelt werden sollen auch Fragen zu Fesselung, Unterbringung, Transport, Kleiderdurchsuchung bis hin zur Dauer der Anhaltung.

"Einmalig in der Schweiz"

Regierungsrat Hanspeter Gass begrüsste den Bericht und die daraus gewonnenen Erkenntnisse für die Polizeiarbeit: "Es ist wohl einmalig in der Schweiz, dass ein Polizeieinsatz so wissenschaftlich aufgearbeitet wurde wie dieser." Verschiedene Optimierungen, wie die Infrastruktur für die Unterbringung von angehaltenen Personen im Waaghof, seien bereits vorgenommen werden, weitere Anpassungen befänden sich kurz vor dem Abschluss. Die angepassten Abläufe sollen ab sofort Eingang in die polizeiliche Ausbildung finden.

Mehr zum Thema in der Freitagsausgabe der Basler Zeitung.

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KUNST
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tagesanzeiger.ch 11.12.08

"Sprayer von Zürich" auf frischer Tat ertappt

Harald Naegeli ist in Düsseldorf wegen einer Sprüharbeit mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Seine Verteidigung "Das ist Kunst!" half ihm nichts.

Die Düsseldorfer Staatsanwaltschaft bestätigte entsprechende Medienberichte vom Donnerstag. Wegen der Sprüherei an einem Oktobermorgen wird nun wegen Sachbeschädigung ermittelt.

Als Naegeli ein Bürogebäude mit einem Graffiti verzieren wollte, stoppte ihn ein Zeuge und rief die Polizei. Angeblich hat sich der Künstler aber inzwischen mit dem Hausbesitzer geeinigt und will die abstrakten Linien wieder entfernen lassen.

Auch in Zürich sind "Naegelis" aufgetaucht

Kürzlich sind auch in Zürich wieder Werke aufgetaucht, die typische Merkmale von Naegelis Sprüharbeiten aufweisen. Der Sprayer streitet jedoch ab, deren Urheber zu sein, obwohl alle vermeintlichen "Naegelis" in der Umgebung seines Hauses im Quartier Hottingen gefunden wurden.

Als "Sprayer von Zürich" war Naegeli in den frühen 80er-Jahren international bekannt geworden. Aufgrund seiner nächtlichen Sprayaktionen musste der Künstler 1984 eine halbjährige Haftstrafe wegen Sachbeschädigung verbüssen. Charakteristisch für Naegelis Graffiti sind knapp skizzierte, dürre menschliche Figuren.

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GRIECHENLAND
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BZ 12.12.08

"Wir weinen auch ohne Tränengas"

Nach den Krawallnächten in Griechenland formiert sich unter Schülern und Studenten Widerstand gegen die Randalierer. Mehrere hundert Jugendliche besetzten gestern in Athen friedlich Strassenkreuzungen und Plätze.

"Geld für die Banken, Kugeln für uns", skandierten gestern Tausende Schüler und Studenten. Sie blockierten zentrale Kreuzungen und zogen zu Polizeistationen, um auf Probleme der Jugend aufmerksam zu machen. Ausdrücklich distanzierten sie sich von den rund 4000 Randalierern, die in den vergangenen Nächten Hunderte Geschäfte, Banken und andere Gebäude in Athen und weiteren Städten des Landes verwüstet hatten. "Wir werfen keine Steine", sagte ein Schüler im Fernsehen.

Zu Ausschreitungen kam es jedoch rund um die Technische Universität. Rund 200 Autonome, die sich dort verbarrikadiert haben, lieferten sich Strassenschlachten mit der Polizei.

"Wir sind eure Kinder"

"Wir sind nicht die unbekannten Vermummten, wir sind eure Kinder", hiess es in einem offenen Brief eines Mädchens, der gestern in der linksliberalen Zeitung "Eleftherotypia" veröffentlicht wurde. "Ihr habt die Hosen voll und wartet auf den Tod. Ihr habt keine Fantasie mehr, ihr verliebt euch nicht mehr, ihr entwerft nichts mehr. Ihr kauft und verkauft nur", hiess es weiter. Das klingt wie eine Anklage gegen die gesamte Gesellschaft. Die wiederum ist ratlos, wie es weitergehen soll. "Es ist, als ob wir einen Kranken mit einer Vielzahl von Symptomen vor uns hätten, aber nicht genau wissen, welche Krankheit er hat", sagte ein Soziologe gestern im Radio.

Kritiker argumentieren, das Land werde seit Jahrzehnten von zwei Familien regiert: den konservativen Karamanlis und den Sozialisten Papandreou. Derzeit ist Kostas Karamanlis dran. Dieser versuche mit einer klassischen Methode, die Schmerzen zu lindern. Er verspricht jedem Ladenbesitzer - sprich eigenen potenziellen Wählern - 10000 Euro Soforthilfe und günstige Kredite für den Wiederaufbau seines demolierten Geschäfts. Sein Kontrahent im ewigen Duell ist Georgios Papandreou. Er meint, Karamanlis könne die Bürger nicht schützen, er selbst müsse an die Macht.

Vetternwirtschaft

Griechenland sucht Wege aus der Krise. Doch die Politiker scheinen keine neuen Ideen zu haben. "Sie versuchen uns wieder reinzulegen - mit Geld. Wir wollen Reformen und Sensibilität", sagt die Studentin Mania Korila. "Ihr braucht kein Tränengas einzusetzen. Wir weinen auch so", lautet eine Parole der friedlich demonstrierenden Schüler und Studenten.

Wer Verbindungen zu den jeweils Regierenden habe, der finde sofort gut bezahlte Arbeit, weiss Volkes Stimme - in Athen regiere die "Vetternwirtschaft". Für zahlreiche andere junge Menschen bleiben - selbst mit Studium - nur Übergangs- und Aushilfsjobs. Und hier schliesse sich der Teufelskreis, meinten gestern gleich mehrere Zeitungskommentatoren: "Erkenntnisse gibt es viele, Lösungen allerdings noch nicht."

Takis Tsafos

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NZZ 12.12.08

Jugendliche greifen Polizeiposten in Athen an

(ap)

In Athen ist es am Donnerstag erneut zu Ausschreitungen gekommen. Jugendliche griffen sechs Polizeiposten mit Steinen und Flaschen an. Eine Person wurde mit Verletzungen ins Spital gebracht. Zahlreiche Strassen waren blockiert, Polizeiautos wurden umgeworfen. In der Nacht auf den Donnerstag hatten vermummte Jugendliche in Athen und Thessaloniki Steine und Molotowcocktails auf Polizisten geworfen.

In der Nacht auf den Donnerstag fanden auch ausserhalb Griechenlands Protestaktionen statt. In Madrid wurden laut der Polizei 9 Personen festgenommen, nachdem rund 200 Demonstranten eine Polizeistation, Banken und Geschäfte angegriffen hatten. In Barcelona wurden 2 Personen festgenommen, 2 Polizisten wurden verletzt. Die Proteste waren über das Internet organisiert worden. In Kopenhagen demonstrierten etwa 150 Jugendliche, 63 wurden laut der Polizei nach Ausschreitungen festgenommen. Vor der Botschaft Griechenlands in der italienischen Hauptstadt Rom warfen Demonstranten Autos um. In Bordeaux steckten Unbekannte vor dem griechischen Konsulat zwei Autos in Brand.

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WoZ 11.12.08

Unbesetzt

Am Montag demonstrierten in Bern rund fünfzig Personen vor dem griechischen Konsulat, um "ihre Solidarität mit den griechischen AktivistInnen auszudrücken". Ein halbes Dutzend Polizeihunde, drei Dutzend Polizei­grenadiere und zwei Reihen Gitterabsperrungen hätten verhindert, dass vor dem griechischen Konsulat Kerzen im Gedenken an den in Athen von einem Polizisten erschossenen Fünfzehnjährigen hätten niedergelegt werden können, schreiben die OrganisatorInnen in einer Mitteilung auf indymedia.ch. dg

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Griechenland-Seit Tagen liefern sich Tausende Jugendlicher Strassenschlachten mit der Polizei. Auch Kinder aus besseren Elternhäusern machen mit.

Mit langem Atem

Von Werner van Gent, Athen

Die Skoufastrasse verbindet zwei Wel­ten. Auf der Schattenseite des Lykavittoshügels liegt Exarchia, das ehemals bürgerlich vornehme Viertel hinter dem Polytechnikum und dem archäo­logischen Museum; heute Hochburg der Autonomen, Drogenumschlagplatz und für viele AthenerInnen ein verbo­tenes Gebiet. Auf der Sonnenseite beginnt Kolonaki, das schicke Viertel einer selbstverliebten Schicht von Neureichen und Arrivés, die sich mit viel Pomp in Szene setzen.

Die Skoufa überquert die soziale Wasserscheide Athens: Von Exarchia aus steigt die Strasse noch leicht an bis zur Anhöhe, auf der die Agios-Dionysios-Kirche steht. Links und rechts liegen Buchhandlungen, eine Klinik und die Chemische Fakultät der Universität. Dann geht es runter auf die Sonnenseite: hier werden teure Kleider feilgeboten und viel, sehr viel Schmuck. Am Schluss mündet die Strasse auf den Kolonaki-Platz mit seinen schicken und sündhaft teuren Cafés, wo die Kundschaft gerne fünf Euro für einen Kaffee bezahlt, damit sie gesehen wird.

Verwischte Grenzen

Am Montagabend haben die Jugendlichen, die bis dahin ihren Aufstand auf das direkte Umfeld von Exarchia beschränkt hatten, diese unsichtbare - aber offenbar von allen respektierte - sozial-politische Wasserscheide überwunden. Zunächst wurde das direkt auf der Anhöhe liegende Café Filyo in Mitleidenschaft gezogen, dann zog die randalierende Menge weiter Richtung Kolonaki: Fensterscheiben gingen in Brüche, Abfallcontainer wurden angezündet, Autos umgeworfen. Aus der Nähe betrachtet war es eine merkwürdige Mischung, die da explodierte: Wut und Frustration, aber auch Freude. Freude, dass endlich etwas in Gang gekommen war. "Jetzt kommt Kolonaki dran", schrie ein junger Mann - Frauen waren erstaunlich wenig anzutreffen unter den Radalierenden.

So klar Exarchia und Kolonaki für die AthenerInnen getrennt sind, so unklar bleibt indessen die soziale Basis dieses Aufstandes, auch wenn er in Exarchia begann. Der von einem Polizisten nach einem Wortwechsel in Exarchia erschossene Sechzehnjährige - der Zwischenfall, der das Ganze ins Rollen brachte - war der Sohn einer angesehenen Juweliersfamilie aus Kolonaki. Aus Protest gegen staatliche Willkür blockierten im reichen Viertel Kifissia im Norden der Stadt SchülerInnen die Hauptstrasse. Ihre Zerstörungswut richtete sich nicht nur gegen Banken und Luxusgeschäfte, sondern auch gegen kleine Geschäfte und Kioske - beileibe keine Repräsentanten des griechischen Grosskapitals.

Hier liegt das Verwirrende der Krise. Als die autonome Bewegung noch als autonome Bewegung auftrat, waren die Fronten klar getrennt: hier die Kämpfer für Gerechtigkeit, die gegen den allmächtigen Staat und seine Pfeiler in der Wirtschaft kämpften, dort die Polizei, die "Batsi" - die Bullen. Die Autonomen sind immer noch da, doch ihre Bewegung hat sich massiv ausgeweitet. Und dabei ist ihre Ideologie, wenn es denn eine solche gegeben hat, definitiv auf der Strecke geblieben. Übernommen hat die Jugend nur die Methoden sowie die totale Ablehnung der modernen griechischen Gesellschaft.

Exarchia war zwar der Ausgangspunkt des spontanen Aufstandes. Dorthin zieht sich allabendlich auch jetzt noch der harte Kern der StrassenkämpferInnen in den Schutz des Universitätsasyls zurück - ein Erbe aus der Zeit nach der Obristenjunta, als man eine Wiederholung der brutalen Niederwerfung des Studentenaufstands vom November 1973 durch die Armee für immer ausschliessen wollte. Doch jetzt sei Exarchia plötzlich überall, kommentierte die konservative Tageszeitung "Kathimerini". Exarchia als Lebensstil hat Besitz von einer Gesellschaft ergriffen, die glaubte, das Armenviertel bleibe für immer dort, im Schatten des Lykavittoshügels.

Mit der Brechstange in die Bank

Es sind ungewohnte Bilder, welche die Griechen und Griechinnen in diesen Tagen vorgesetzt bekommen. So zeigte das Fernsehen, wie ein maskierter Jugendlicher unweit vom zentralen Syntagmaplatz mit einer Brechstange rund zwanzig Minuten lang das Panzerglas einer Bank bearbeitete. Er hat geschwitzt und wohl auch geflucht, bis das Glas endlich nachgab, um dann einen kleinen Freudentanz aufzuführen. Gleich darauf warfen seine Gefährten eine Benzinbombe in das Bankgebäude, das daraufhin bald lichterloh zu brennen begann.

In der Öffentlichkeit wird jetzt die Frage gestellt, was schief gelaufen ist, was dazu geführt hat, dass eine ganze Generation aus dem Ruder läuft. Dass das Bildungssystem eine Misere ist, in dem Kinder von klein an mit aberwitzigen Überstunden und Nachhilfeunterricht zu Papageien erzogen werden, weiss man schon lange. Dass die Chancengleichheit vorgegaukelt wird und am Ende doch wieder die Parteizugehörigkeit der Eltern über die Vergabe von Stellen entscheidet, weiss man auch. Dass das alles aber zu dieser Gewaltexplosion geführt haben soll - das will man nicht wirklich glauben. War da sonst noch was? Der Innenminister hat, wie schon bei den verheerenden Waldbränden vor einem Jahr, etwas von Kreisen gefaselt, die ein Interesse an der Destabilisierung Griechenlands hätten. Ansonsten hätte der Staat perfekt funktioniert, fügte er hinzu. Dies wurde von sämtlichen Medien mit Kopfschütteln quittiert. Die Regierung, so viel ist klar, will auch diese Krise einfach aussitzen. Und die sozialistische Opposition weiss nichts Besseres, als Neuwahlen zu fordern. Rechts wie links werden Phrasen gedroschen. Alle wollen die Nöte der Jugend erkannt haben, doch diese hat jetzt eine eigene Agenda.