MEDIENSPIEGEL 9.7.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (DS)
- Schnüffel-Hess: Sommerjob Denunziant
- SP + Grüne vs Big Brother Video BE
- Pnos Oberland: Führer Friso im Rundschau-Portrait
- Nazimord: Die Rache der arischen Ritter
- Nazirock: Indiziert auf Facebook
- Rassismus: FP BE gegen ARG; Neufeld-Gymer-Scherze
- Rauchverbot auch im Bahnhof Bern
- Hooligan-Grippe: Solidarische Haftung für Schäden
- Unia Bellinzona: Der Fall Gianni Frizzo
- Verbot Ungarische Garde
- Rechtsextremismus USA
- Anti-Atom: Zweifel an schwedischer "Sicherheitskultur"

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REITSCHULE
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Do 09.07.09
20.00 Uhr - Frauenraum - BarOmeter Special - DJ Dunch, DJ FRATZ, Janine, Mike & DJ ELfERich
22.00 Uhr - Rössli - DJ TELESTAR - Anti-Folk

Fr 10.07.09
21.00 Uhr - Vorplatz - Batrider (NZ) - Some kind of Grunge

Sa 11.07.09
21.00 Uhr - Vorplatz - DJ Lazerlight Lepra (BE)

So 12.07.09
19.00 Uhr - Vorplatz - BBQ@Vorplatz
21.00 Uhr - Dachstock - Isis (USA/Ipecac/Hydrahead). Support: Destruc-to Swarmbots (USA)

Infos: www.reitschule.ch

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Bund 9.7.09

Sounds: Isis

Schönheit und Pestilenz

Die amerikanische Gruppe Isis zieht ihre Energie aus dem Wechselspiel zwischen schierer Schönheit und finsterster Urgewalt und zeigt, dass Schlauheit und Neugier auch in der Metal-Musik zu Hause sind.

Ane Hebeisen

Das Grundanliegen, das zur Erfindung der elektrischen Gitarre führte, war der Wunsch nach grösserer Lautstärke.

Die Gitarre war im Ursprung ein ziemlich biederes Orchesterinstrument, das von zunehmend unzufriedenen Musikern bedient wurde - ihr Instrument war zu leise, um sich gegen die Bläser und Schlagzeuger durchzusetzen, an solistische Einzelvorstösse war nicht einmal zu denken.

Das Ende allen Kummers

Wie gross die Verzweiflung gewesen sein muss, dokumentiert die Anekdote eines Gitarristen namens George Beauchamp, der vor lauter Kummer ein riesiges Grammofon-Horn auf seine Hawaii-Gitarre baute. Der selbe Herr Beauchamp bastelte sich später einen elektronischen Tonabnehmer, dessen Weiterentwicklung alle nach ihm geborenen Gitarristen von Kummer und Komplexen befreien sollte. Dass kraft dieses Gerätchens einmal eine Musik von einer derartigen Wucht entstehen könnte, wie sie von den amerikanischen Doom-Metal-Helden Isis in die Welt gestemmt wird, das hätte sich der Hawaiigitarrenspieler vor 85 Jahren wohl nicht in den kühnsten Träumen ausgemalt.

Hypnotische Schönheit

Auch Isis waren in ihrer Gründungszeit im Jahre 1997 vornehmlich darum besorgt, möglichst hart und laut zu klingen. Ein Anspruch, der im Zuge erster Bandexperimente bald feinjustiert wurde.

Bereits auf ihrem epochalen Debütalbum "Celestial" (2000) taten sich die Amerikaner dadurch hervor, dass sie der rohen Gewalt zuweilen Momente schierer Harmonie entgegenstellten, ihre Kompositionen leisteten sich den Luxus der Langsamkeit, erstreckten sich problemlos auch schon mal über sieben Minuten und schlenkerten auf hypnotische Art und Weise zwischen Schönheit und Pestilenz. Eine Entwicklung, die auf den Nachfolgealben "Oceania" und "Panopticon" weiter verfeinert wurde und auf dem Paradewerk "In the Absence of Truth" (2006) ihren bisherigen Zenit erreichte. Der bis dahin eher dem düsteren Brüllgesang verpflichtete Vokalist und Gitarrist Aaron Turner entdeckte seine Singstimme und legte neben seine zornigen Ausbrüche auch schon mal eine melodiöse Gesangslinie.

Autarker Sound-Dialekt

Dieses Wechselspiel zwischen Spannung und Entspannung, zwischen Ekstase und Beherrschung treibt das Quintett auch auf seinem kürzlich erschienenen fünften Tonwerk "Wavering Radiant" (alle Alben sind auf Mike Pattons Label Ipecac/Irascible erschienen) auf die Spitze - wobei auch hier die intensivsten Momente aus diesem Wechselspiel oder der temporären Gleichzeitigkeit von finsterer Wucht und hypnotischer Grazie entstehen.

Galten Isis in den Anfängen als Epigonen stilbildender Bands wie Neurosis oder The Melvins, haben sie in den Jahren zu einem autarken leicht psychedelisch anmutenden Sound-Dialekt gefunden. Dass sie in ihrer musikalischen Sozialisation auch mit Pink Floyd konfrontiert wurden, scheint immer offensichtlicher zu werden - Sänger Turner gibt vor verwirrten Metal-Korrespondenten auch gerne mal preis, dass er eine grosse Schwäche für äthiopische Weltmusik hat.

Subtilität und Dramaturgie

Direkt hört man solcherlei der Musik von Isis selbstredend nicht an, doch es wird schon nach wenigen Klängen gewahr, dass hier Menschen am Musizieren sind, die sich die Neugier am Medium bewahrt haben und den Metal um Attribute wie Subtilität und Dramaturgie zu erweitern trachten.

Isis steht für eine Musik, in der die elektrische Gitarre alle die Macht, die sie früher nicht hatte, erobert hat. Und nicht nur laut ist sie, in einem achtminütigen Geniestreich wie dem Song "Over Root and Thorn" vermag diese Musik die ganze Topografie menschlicher Gefühlsregungen nachzubilden. Eine Wucht.

Dachstock Reitschule
Sonntag, 12. Juli, 21 Uhr.

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SCHNÜFFEL-HESS
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telehess.ch 9.7.09

Heute Folge 13:
Erich Hess zum Sozialmissbrauchs-Telefon der SVP Stadt Bern
http://telehess.ch
Aufgezeichnet in Bern, 8. Juli 2009

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Bund 9.7.09

Heiteres Denunzieren

Sommerjob Telefonist

Die Stadtberner SVP will Missbrauch in der Sozialhilfe mit einer neuen Idee bekämpfen: Sie hat ein "Bürgertelefon" zur Meldung von Verdachtsfällen eingerichtet.

Stadtrat Erich J. Hess meldet sich gleich selbst am Apparat. 031 398 42 00 - dies ist schliesslich auch die Hauptnummer des Generalsekretariats der Jungen SVP Schweiz, als deren Präsident er amtet. "Wir konnten halt so kurzfristig nicht mehr eine Extra-Nummer installieren lassen", sagt er. Die Idee für ein Bürgertelefon gegen Sozialhilfemissbrauch kam dem SVP-Plus-Fraktionspräsidenten erst vergangenen Donnerstag, als der Stadtrat einen SVP-Vorstoss abschmetterte, der eine parlamentarische Untersuchungskommission (PUK) zur Sozialhilfepolitik der Regierung forderte.

Die SVP habe sich deswegen entschlossen, selbst gegen die "Verschleuderung von Steuergeldern" durch unrechtmässig bezogene Sozialhilfe vorzugehen, sagt Hess. Ab sofort könne die Bevölkerung Missbräuche bei ihr melden. Stolz erzählt Hess von ersten Erfolgen der gestern gestarteten Aktion: Bis am Mittag seien bereits drei Anrufe mit "sehr konkreten" Vorwürfen eingegangen, der erste schon um 7.30 Uhr. Die SVP überprüfe die Angaben nun und übergebe sie dann den entsprechenden Amtsstellen. "Wir geben nur Verdachtsfälle weiter, die uns plausibel dünken", sagt Hess, man wolle ja nicht einfach Schaumschlägerei betreiben. Wie denn die Überprüfung vonstattengehe? "Zuerst schauen wir nach, ob die betreffende Person überhaupt existiert." Dann höre man sich in deren Wohnquartier um, ob sie auch von anderen verdächtigt werde. Hess: "Ich kenne in jedem Quartier Leute, die mir das sagen können."

Bei solchem doch eher simplen Vorgehen sträuben sich Berns Sozialdirektorin Edith Olibet (sp) die Haare. "Wo bleiben da Persönlichkeitsrechte und der Datenschutz?", fragt sie. Ausserdem sei das Kontrollieren und Überprüfen klar eine staatliche Aufgabe und müsse den städtischen Sozialinspektoren überlassen bleiben. Hess' Bürgertelefon bezeichnet sie schlicht als "Sommerlochaktion". FDP-Fraktionschef Philippe Müller, sonst Olibets grösster Widersacher im Parlament, ist für einmal gleicher Meinung mit ihr. Eine reine "PR-Aktion" sei der Vorstoss.

Mit einer Stimme reden die beiden auch, wenn sie über den Grund von Hess' Aktionismus spekulieren: Genug Musse habe der Jung-SVPler ja zurzeit. Denn Hess ist in staatlich verordneten Ferien: Mitte Mai wurde dem Lastwagenchauffeur der Fahrausweis für drei Monate entzogen, weil er in angetrunkenem Zustand den Wagen seines Parteikollegen, Grossrat Thomas Fuchs, zu Schrott gefahren hatte. Bürgerinnen und Bürger können also noch bis im August bei Hess persönlich am Telefon "rätschen".

Patricia Götti

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BZ 9.7.09

SVP-Aktion

Sogar FDP kritisiert Erich J.Hess

Mit einer Hotline will die Stadtberner SVP den Sozialhilfemissbrauch bekämpfen. Die Partei erntet Kritik von rechts bis links.

SVP-Stadtrat Erich Hess persönlich meldet sich, wenn man bei der SVP-Hotline gegen Sozialhilfemissbrauch anruft. Er sammelt Informationen von Bürgerinnen und Bürger, die andere Personen des Sozialhilfemissbrauchs verdächtigen. Diese Informationen leitet Erich Hess gemäss eigenen Aussagen ans Sozialamt weiter. Er sei grundsätzlich gegen Denunziantentum, sagt Erich Hess. "Doch der Gemeinderat versagt hier bei der Kontrolle."

Bei der Sozialdirektion löst das Bürgertelefon Kritik aus. Verdächtige Fälle könne man direkt bei der Sozialhilfe melden, sagt Gemeinderätin Edith Olibet (SP) "Das systematische Sammeln von persönlichen Informationen über Personen, die möglicherweise Sozialhilfe beziehen, ist nicht die Aufgabe einer politischen Partei." Sogar FDP-Stadtrat Philippe Müller, der hartnäckigste Kritiker der Berner Sozialhilfe, sagt: "Diese Hotline ist der falsche Weg."
tan/tob

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NLZ 9.7.09

Sozialmissbrauch

JSVP ruft zum Denunzieren auf

Die Stadt Bern bekämpfe den Missbrauch "nicht wirklich", sagt Erich Hess. Deshalb hat der Präsident der JSVP Schweiz eine Denunzianten-Hotline eingerichtet.

Von Kari Kälin

Von den Strassen bleibt Erich Hess, Präsident der Jungen SVP (JSVP) Schweiz, noch bis Mitte August verbannt. Der Lastwagenchauffeur ist sein Billett los, seit er im Mai mit 0,9 Promille und dem Geländewagen seines Parteikollegen Thomas Fuchs in einen Peugeot gekracht ist.

Drei Fälle gemeldet

Jetzt hat der Jungpolitiker, der letztes Jahr erfolglos für den Bundesrat kandidierte, ein neues Tätigkeitsfeld entdeckt  "auf unbestimmte Zeit", wie er sagt. Seit gestern betreibt er in Absprache mit der Berner SVP-Stadtratsfraktion eine Telefon-Hotline (031 398 42 00), über die Bürger mutmassliche Sozialhilfebetrüger verpfeifen können. Der Hintergrund: Seit die Polizei im Sommer 2007 die Wohnung eines iranischen Sozialhilfebezügers stürmte, der nicht nur grosse Mengen Heroin und geladene Waffen lagerte, sondern auch noch mit zwei BMW und einem Töff durch die Gegend kurvte, tobt in der Stadt Bern eine hart geführte Missbrauchsdebatte. Im Schussfeld steht die Stadtberner Sozialdirektorin Edith Olibet (SP). "Sie bekämpft den Missbrauch nicht wirklich", sagt Hess. "Wenn der Staat nichts tut, müssen die Bürger einschreiten."

Tatsächlich glühten gestern die Drähte der Denunzianten-Hotline heiss. Allerdings meldeten sich vor allem Journalisten und Leute, die Hess entweder zusammenstauchten oder ihm für seine Idee applaudierten. Bis am späten Nachmittag notierte er jedenfalls bloss drei Fälle von potenziellen Sozialschmarotzern: Zwei Personen sollen die IV, eine die Sozialhilfe hintergehen.

Damit beginnt für Hess die Arbeit erst richtig. Er überprüft, ob diese Personen überhaupt existieren, und klärt ab, ob die via Bürgertelefon geschilderten Geschichten realistisch sind. Dafür zapft er seine Kontakte in den verschiedenen Quartieren an: "Ich kenne in der ganzen Stadt Leute."

"Bürgertelefon ist überflüssig"

Wenig erfreut reagiert Sven Baumann, Generalsekretär der Stadtberner Sozialdirektion, auf Hess' Detektivambitionen. "Das Bürgertelefon ist überflüssig, gesellschaftspolitisch bedenklich und rechtlich fragwürdig", sagt er. Sein Departement lässt prüfen, ob das Datensammeln à la Hess überhaupt zulässig ist. Das sei keine Aufgabe für Private oder Parteien. Laut Baumann können Bürger den Behörden bereits heute mutmassliche Missbrauchsfälle melden. "Wir gehen jedem Hinweis nach, auch wenn er anonym erfolgt. Die Recherchen fördern in der Regel aber kaum neue Erkenntnisse zu Tage." Im Klartext: Meistens handelt es sich um Fehlalarm.

Meier: "Aufruf zur Schnüffelei"

Ruedi Meier (Grüne), Sozialdirektor der Stadt Luzern, bestätigt Baumanns Beobachtung: "Mir ist kein einziger Fall bekannt, bei dem ein klarer Missbrauch nach einem Hinweis aus der Bevölkerung aufgedeckt worden ist." Hinter derartigen Anrufen verberge sich häufig ein Beziehungs- oder Nachbarstreit. Meier verurteilt das Bürgertelefon denn auch als "Aufruf zur Schnüffelei". Die Sozialhilfe habe im Kampf gegen den Missbrauch Fortschritte erzielt.

Anian Liebrand, der Präsident der JSVP des Kantons Luzern, hingegen lobt die Fürsorgemissbrauch-Hotline als "gute Sache, die wir auch für Luzern und Agglomeration prüfen könnten". Zahlreich seien die Bürger, die sich über Sozialhilfemissbrauch beschwerten. Ein Handicap hat die Luzerner JSVP jedoch. Anders als in Bern, wo Erich Hess die Fäden zieht, hat Liebrand keine Zeit, selber zum Telefonisten zu mutieren. "Ich habe meinen Führerschein immer noch", schmunzelt Liebrand.

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So äussert sich Erich Hess zu seiner Idee via seine Homepage: http://www.telehess.ch/

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20min.ch 8.7.09

Viel Arbeit für Schnüffel-Hotline

Seit Mittwoch betreibt die Stadtberner SVP ein Sozialmissbrauchstelefon: Bürger können dort Verdachtsfälle melden. Stadtrat Erich Hess hatte gleich am ersten Tag viel zu tun.

 "Drei Fällen werden wir vertieft nachgehen", sagte er. Schon um halb acht morgens sei der erste Anruf eingegangen. Ein Berner, der voll des Lobes für die Idee war, habe sich sogar aus Kanada gemeldet. "Andere haben mir ihren Unmut mitgeteilt."
(20 Minuten)

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Regionaljournal DRS Bern 8.7.09

SVP der Stadt Bern lanciert Bürgertelefon gegen Sozialhilfe-Missbrauch - darf sie das? (3:27)
http://real.xobix.ch/ramgen/srdrs/regibern/2009/rbe1708072009.rm?start=00:08:55.100&end=00:12:22.223

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Schweiz Aktuell 8.7.09

Spitzeltelefon gegen Sozialmissbrauch

Misstände in der Berner Sozialhilfe - seit Monaten ein Thema, auch Schweiz aktuell hat bereits mehrfach darüber berichtet. Die SVP, die sich als grosse Missbrauchsbekämpferin sieht und diesbezüglich eine PUK beantragt, prescht nun eigenmächtig vor und hat ein Spitzeltelefon eingerichtet. Es berichten Urs Wiedmer und Kathrin Winzenried.
http://www.sf.tv/videoplayer/embed/49737cde-076d-4ad7-a75b-dbefdfa3f03b&live=false

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BIG BROTHER VIDEO
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BZ 9.7.09

Videokameras

Beschwerde von SP und Grünen

Die Videoverordnung wird ein Fall fürs Bundesgericht: Wegen der Echtzeitüberwachung erheben SP und Grüne Beschwerde.

Grüne und SP Kanton Bern haben gestern gemeinsam beim Bundesgericht eine staatsrechtliche Beschwerde gegen die kantonale Verordnung über den Einsatz von Videoüberwachungsgeräten eingereicht. Bei den Beratungen und der Verabschiedung des Polizeigesetzes im Grossen Rat sei die Echtzeitüberwachung nie vorgesehen gewesen, schreiben sie in einer Medienmitteilung. SP und Grüne sind deshalb der Meinung, dass die in der Verordnung geplante Liveüberwachung keine gesetzliche Grundlage hat und die entsprechenden Bestimmungen nie in Kraft treten dürfen.

Polizei- und Militärdirektor Hans-Jürg Käser (FDP) hatte Anfang Juni nach Protesten und mehreren Vorstössen im Grossen Rat die Inkraftsetzung zweier umstrittener Artikel in der Videoverordnung auf Oktober verschoben. Grüne und SP wollen mit der staatsrechtlichen Beschwerde sicherstellen, dass die Echtzeitüberwachung nicht eingeführt wird. "Sie ist ein unnötiger Eingriff in die Grundrechte der ganzen Bevölkerung, welche in keinem Verhältnis zum umstrittenen Nutzen steht", schreiben sie und fordern: "Videoaufnahmen dürfen nur von polizeilichem Fachpersonal und nur bei Verdacht ausgewertet werden."
pd/drh

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Berner Rundschau 9.7.09

Käsers Videoüberwachung kommt vor Bundesgericht

SP und Grüne wollen Echtzeitüberwachung im Kanton auf juristischem Weg verhindern

Die Linke ist gegen die Echtzeitüberwachung. Sie hat beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht.

Mit einer Beschwerde beim Bundesgericht wollen SP und Grüne des Kantons Bern die Echtzeitüberwachung mit Videokameras verhindern. "Ein unnötiger Eingriff in die Grundrechte der ganzen Bevölkerung" sei diese Art der Überwachung, schreiben die Parteien in einer Mitteilung.

Seit dem 1. Juli ist im Kanton eine neue Verordnung über den Einsatz von Videoüberwachungsgeräten in Kraft, die das revidierte Polizeigesetz ergänzt. Nicht umgesetzt sind aber die Bestimmungen zur Echzeitüberwachung. Polizeidirektor Hans-Jürg Käser (FDP) will erst die Debatte des Grossen Rats abwarten. Mehrere Vorstösse zum umstrittenen Thema sind in der Septembersession traktandiert.

 Für die linken Parteien ist klar, dass die Echtzeitüberwachung von Käser in die Verordnung aufgenommen wurde, obwohl sie nicht dem Willen des Grossen Rates entspreche. "Über die Echtzeitüberwachung wurde gar nicht diskutiert", sagt Grossrätin Irène Marti, Präsidentin der SP Kanton Bern zur Debatte im Grossen Rat vom September 2008, als das Polizeigesetz verabschiedet wurde.

 Und nachträglich soll sie auch nicht kommen. "Wir wollen mit einer staatsrechtlichen Beschwerde sicherstellen, dass die Echtzeitüberwachung nicht eingeführt wird. Es gibt keine gesetzliche Grundlage dafür, die Regierung kann das so nicht einführen", sagt Marti. Das Urteil ist jedoch nicht vor der Session zu erwarten.

Nicht im öffentlichen Raum

"Nur bei Verdacht", fordern SP und Grüne , dürfen Videobilder ausgewertet werden - und auch nur von polizeilichem Fachpersonal. Was etwa in Sportstadien gang und gäbe ist, dürfe im öffentlichen Raum nicht gelten, sagt die SP-Präsidentin. "Ich warne davor, dass man überall gefilmt werden darf und vor allem, dass die ganze Bevölkerung von irgendwelchen Leuten beobachtet werden kann. Ein Stadion muss niemand betreten, im öffentlichen Raum aber muss man sich bewegen können." (joh)

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20min.ch 8.7.09

Linker Widerstand gegen "Big Brother"

"Wir fühlen uns von Herrn Käser verschaukelt", so Grossrat François Contini von den Grünen Biel. Grund der Aufregung: Die unter Sicherheitsdirektor Hans-Jürg Käser ausgearbeitete Verordnung zur Videoüberwachung ermöglicht neben der Aufzeichnung von Bildern auch die Live-Überwachung.

"In den Debatten waren Echtzeitbilder aber nie ein Thema", so Contini. SP und Grüne haben gestern nun beim Bundesgericht Beschwerde eingereicht.

Anstelle von Käser, der in den Ferien weilt, wehrte sich gestern Mitarbeiter Florian Hirte gegen die Vorwürfe: "Es war von Anfang an die Rede von Bildübermittlungs- und -aufzeichnungsgeräten. Damit war für uns klar, dass auch Echtzeitüberwachung gemeint ist." Für die Linken ein Horrorszenario. "Fünf Polizisten könnten so eine ganze Stadt überwachen", sagt Contini.
(nj/20 Minuten)

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PNOS BERNER OBERLAND
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Rundschau 8.7.09

Rechtsradikaler Aufmarsch

Die rechtsextreme Szene Schweiz wächst wieder - und verändert sich: sie wird immer salonfähiger, entwickelt sich weg vom Einflussbereich der Polizei. Besonders aktiv sind die Rechtsradikalen gegenwärtig im Berner Oberland. Zentrale Figur ist hier ein 26-jähriger Spiezer. Eine Rundschau-Recherche.
http://www.sf.tv/videoplayer/embed/b008bb52-e47f-476a-a0f5-de1a6cb94304&live=false

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NAZIMORD
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Dok 7.7.09

Die Rache der arischen Ritter

Ein Film von Simon Christen
Am 27. Januar 2001 verschwindet der 19jährige Marcel spurlos im Berner Oberland. Rund einen Monat später findet die Polizei seine Leiche im Thunersee. Vier junge Männer gestehen, ihren Kollegen hingerichtet zu haben. Der Grund: Marcel habe gegen das Schweigegebot ihres "Ordens der arischen Ritter" verstossen. Ein beklemmender Einblick in eine nur scheinbar heile Welt, mit rechtsradikalem Gedankengut vor hehrer Bergkulisse.
http://www.sf.tv/sendungen/dok/index.php?docid=20090707-2105-SF1

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NAZIROCK
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WoZ 9.7.09

Rechtsextreme

Indiziert bei Facebook

Die "Indiziert offizielle Fangruppe" bei Facebook haben sie gleich selbst gegründet: Dominic Lüthard und Alex Rohrbach, beide Musiker bei der rechtsextremistischen Band Indiziert, Eigeneinschätzung: "Eidgenössische Rechtsrockband". Und auch der Schlagzeuger Cedric Rohrbach offenbart sich als Indiziert-Fan, mitsamt über 200 weiteren Männern und Frauen. Darunter auch Pnos-Grössen wie der zurückgetretene Langenthaler Stadtparlamentarier Tobias Hirschi. Bereits im Frühling hatte Indiziert ein neues Album angekündigt, über Facebook liess Lüthard dann Ende Mai die Fangemeinde wissen, dass die Aufnahmen im Studio begonnen hätten: "voll geschmacklos wie immer und es riecht gewaltig nach Ärger... ;-)". In der Zwischenzeit sind die Aufnahmen offenbar beendet, und die Indiziert-Leute laden zur Plattentaufe, auch dies über die Internet-Community. Stattfinden soll dieses Ereignis am 31. Juli; das Konzert werde, so Lüthard, auch das "Nationalfeiertagskonzi" sein. Weitere Informationen - wie Treffpunkt und Zeitpunkt - will Indiziert ebenfalls über Facebook weitergeben. Es sei denn, jemand ärgert die Rechtsextremisten und lässt die "Indiziert offizielle Fangruppe" bis dann ganz einfach sperren. 

Hans Stutz

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RASSISMUS
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Berner Rundschau 9.7.09

Frommenwiler will Freispruch

Der Ende Juni von Gerichtspräsident Fritz Aebi in Aarwangen wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochene Willi Frommenwiler akzeptiert das Urteil nicht. Der Thunstetter, er ist Präsident der Freiheitspartei Kanton Bern, zieht seinen Fall ans Obergericht weiter. "Ich erwarte einen hundertprozentigen Freispruch", sagt Frommenwiler. Die Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus begrüsst hingegen den Schuldspruch. (uz) Seite 18

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"Reine Wortklauberei"

FPS-Kantonalpräsident Frommenwiler appelliert gegen Rassismusurteil

Willi Frommenwiler wirft Gerichtspräsident Fritz Aebi "Wortklauberei" vor. Dessen Schuldspruch wegen Rassendiskriminierung akzeptiert der Kantonalpräsident der Freiheitspartei nicht; er appelliert.

Bruno Utz

"In der Schweiz leben 41 000 Primaten im Asylbereich", schrieb der Thunstetter Willi Frommenwiler im Februar 2008 in einem Internet-Blog. Damit habe er sämtliche Asylbewerber pauschal als Affen bezeichnet, resümierte Gerichtspräsident Fritz Aebi Ende Juni an der Gerichtsverhandlung. Frommenwiler habe "eine gesamte Gruppe von Menschen öffentlich herabgesetzt und den Tieren gleichgestellt", fand Aebi. Er verurteilte deshalb den Präsidenten der Freiheitspartei zu einer auf drei Jahre bedingten Geldstrafe. Für den Verstoss gegen das Antirassismusgesetz lautete Aebis Strafmass 15 Tagessätze zu 80 Franken (wir berichteten).

Diesen Schuldspruch akzeptiert Frommenwiler nicht. Der Gerichtspräsident habe bezüglich der Interpretation des Ausdrucks Primaten "Wortklauberei" betrieben, erklärt Frommenwiler auf Anfrage. Er ziehe deshalb das Urteil ans Obergericht weiter. Frommenwiler: "Dort erwarte ich einen hundertprozentigen Freispruch."

Bieler verzichten auf Weiterzug

Den erhofften Persilschein erhielt der Präsident der rechtsbürgerlichen Kleinpartei bereits in einem weiteren Anklagepunkt ausgestellt. Aebi hatte den Straftatbestand der Rassendiskriminierung bei einer Illustration eines Artikels von Grossrat Jürg Scherrer (FPS/Biel) mit einer "Schoggiköpfe"-Karikatur als nicht erfüllt betrachtet. Wegen dieser Illustration hatte die "Association des Africains de Bienne" Frommenwiler angezeigt. Gemäss Alain Fracheboud, Anwalt der Bieler Vereinigung, verzichtet diese auf eine Appellation. "Vermutlich würde das Obergericht dasselbe Urteil fällen wie Gerichtspräsident Aebi", sagt Fracheboud. Insgesamt sei das Urteil befriedigend. Diesen Schluss zieht auch Michael Chiller von der Stiftung gegen Rassismus und Antisemitismus. "Zahlreiche Beispiele aus der Geschichte zeigen, dass grosse Katastrophen mit scheinbar kleinen Worten beginnen." Willi Frommenwiler suggeriere, dass Menschen mit Tieren gleichzusetzen seien. "Das bedeutet, dass diese Personen auch wie Tiere behandelt werden können." Solche Aussagen seien verletzend für die Betroffenen und blossstellend für Frommenwiler. "Es spricht in jeder Hinsicht für unser Land, dass solche Formulierungen geahndet werden."

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20min.ch 9.7.09

"Primaten im Asylbereich"

Parteipräsident ficht Rassismus-Urteil an

Der Präsident der Freiheitspartei des Kantons Bern, Willi Frommenwiler, ficht seine Verurteilung wegen Rassendiskriminierung vor Obergericht an. Er hatte von "Primaten im Asylbereich" geschrieben.

Das gab die Partei am Donnerstag bekannt. Ein Gerichtspräsident in Aarwangen BE hatte Frommenwiler am 29. Juni zu einer bedingten Geldstrafe von 15 Tagessätzen à 80 Franken und einer Busse von 400 Franken verurteilt. Verurteilt wurde Frommenwiler wegen eines Blog-Eintrags im Internet. Darin stand, 2007 hätten in der Schweiz 41 000 "Primaten im Asylbereich" gelebt.

Die Freiheitspartei des Kantons Bern schreibt nun, einmal mehr werde das Antirassismusgesetz "systematisch dazu verwendet (...), kritische Meinungen zur Asylantenflut zu bestrafen."
(sda)

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be.freiheits-partei.ch 9.7.09

Aktuelle Medieninformation

Ringgenberg, 09.07.2009

Kein salomonisches Urteil
 
Der Präsident der Freiheits-Partei/Auto-Partei des Kantons Bern appelliert gegen das Urteil des Gerichtskreises IV Aarwangen-Wangen. Willi Frommenwiler war am 29.06.09 vom Gerichtspräsident Aebi wegen Rassendiskriminierung schuldig gesprochen worden, weil er in einem Blogbeitrag im Zusammenhang mit dem Asylwesen das Wort Primat verwendet hatte.
 
Das Urteil zeigt einmal mehr, dass das Antirassismusgesetz systematisch dazu verwendet wird, kritische Meinungen zur Asylantenflut zu bestrafen. Die Exponenten der Freiheits-Partei/Auto-Partei sind seit Einführung der Antirassismusstrafnorm Opfer solcher hanebüchenen Anklagen.
 
Die Freiheits-Partei/Auto-Partei unterstützt den Berner Kantonalpräsidenten vorbehaltlos und hofft, dass das Berner Obergericht auf Wortklaubereien und Spitzfindigkeiten verzichtet und den Schuldspruch kassiert.
 
 
Auskünfte erteilt:

 Heinz Wegmann
 Medienverantwortlicher FPS/AP Kt. Bern
 Tel.: 079 356 43 12
 E-Mail: h.wegmann@quicknet.ch

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Bund 9.7.09

Witze, die nicht mehr lustig sind

Von Simon Jäggi

Witze gegen Farbige und Juden, Beleidigungen von Lehrerinnen, Blossstellung von Schülern: Eine Prima-Klasse ist in ihrer Maturazeitung über die Grenzen der Satire hinausgeschossen - Folgen hat der Vorfall für die Schüler nicht.
Am letzten Tag vor den Sommerferien hat eine Maturazeitung im Gymnasium Neufeld für Wirbel gesorgt. (Archiv: Franziska Scheidegger)

Am letzten Tag vor den Sommerferien hat eine Maturazeitung im Gymnasium Neufeld für Wirbel gesorgt. (Archiv: Franziska Scheidegger)

Das Wort Matura leitet sich vom lateinischen Begriff maturitas ab - die Reife. Wenig Reife haben einige diesjährige Maturanden des Gymnasiums Neufeld bewiesen. In der Maturazeitung hat sich eine Klasse der Abteilung Mathematik- und Naturwissenschaften nämlich Ausfälligkeiten geleistet, die im Schulhaus im Länggasse-Quartier für einigen Wirbel gesorgt haben.

Laut einer Quelle, die nicht genannt werden möchte, enthält die Maturazeitung Witze über Farbige und Juden. Zudem sollen zwei Lehrerinnen sexistisch beleidigt worden sein. Weiter soll ein leicht autistisch wirkender Schüler einer unteren Klasse blossgestellt worden sein.

Keine Folgen für die Schüler

Rektor Rolf Maurer bestätigt den Vorfall: "In einer Maturazeitung sind Texte vorgekommen, die unter die Gürtellinie zielen und nicht akzeptabel sind." Die Schulleitung habe die betreffende Klasse sofort herbeizitiert und ihr mitgeteilt, dass die Artikel nicht tolerierbar seien. Auch seien die Eltern schriftlich informiert worden. Es habe ein Gespräch mit der betreffenden Klasse gegeben, in dem die Ausfälligkeiten thematisiert worden seien, sagt der Neufeld-Rektor.

Von den Schülern und Schülerinnen sei zudem eine Entschuldigung verlangt worden. In einem Gespräch mit einer der angegriffenen Lehrerinnen habe sich die Klasse persönlich bei der Lehrkraft entschuldigen müssen. Die Autoren der besagten Texte wurden aber nicht eruiert, Folgen hat der Vorfall für die Schüler nicht.

Zu spät, um einzugreifen

Die Maturazeitung lag wie üblich am letzten Schultag im Schulhaus auf. Als die Schulleitung die unappetitlichen Scherze bemerkte, war es zu spät, um einzugreifen: "Wenn die Zeitung mal draussen ist, ist sie draussen", so Maurer.

Im Vorfeld werden die Maturazeitungen nicht kontrolliert - wie auch an anderen Gymnasien in Bern (siehe Kasten). "Es gibt keine Zensur bei uns - und es wird auch künftig keine geben", sagt der Rektor. Das Gymnasium wolle auch weiterhin die freie Meinungsäusserung als einen wichtigen Wert hochhalten - "aber im Rahmen des Anstands". Bereits vor fünf Jahren habe es einen ähnlichen Fall gegeben, erinnert sich Maurer. Konsequenz daraus sei gewesen, dass die Schüler und Schülerinnen im Vorfeld daran erinnert worden seien, wo die Grenzen von satirischen Beiträgen lägen. Mit solchen Vorgesprächen will der Rektor auch künftig verhindern, dass sich der aktuelle Fall wiederholt: "Wir werden im Voraus mit den Klassen die Rahmenbedingungen und Regeln diskutieren." Die Klassen entscheiden selber, ob sie eine Abschiedspublikation selber oder zusammen mit anderen Klassen produzieren.

Ähnlicher Fall: Maturastreiche

Eine ähnliche Situation ergebe sich bei den traditionellen Maturastreichen. "Auch hier ist es jährlich eine Gratwanderung zwischen Lustigsein und Überborden", so Rektor Maurer. Am Gymnasium Neufeld hätten die Streiche in den letzten Jahren aber nie ein Problem dargestellt.

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Gymnasien wollen keine Zensur

Auch andere Gymnasien kontrollieren die Maturazeitungen im Vorfeld nicht: "Wir geben den Schülern völlige Freiheit", sagt etwa der Rektor des Gymnasiums Kirchenfeld, Thomas Balsiger. Seit "langer Zeit" habe es an seiner Schule keine Probleme mehr gegeben. "Wir weisen die Schüler darauf hin, dass sie in der Maturazeitung nicht abrechnen sollen." Wer Probleme mit einer Lehrkraft habe, werde angewiesen, sich an eine Lehrkraft oder die Abteilungsleitung zu wenden.

Auch David Lingg, Rektor am Freien Gymnasium Bern, ruft die Schüler zu Respekt auf. Die diesjährige Maturazeitung sei sogar sehr wohlwollend ausgefallen - dies wäre in seiner Generation wohl nicht so gewesen, glaubt der Fünfzigjährige: "Wir waren böse zu unseren Lehrern." Grundsätzlich sei das Risiko aber stets vorhanden, dass es zu Blossstellungen oder Beleidigungen komme: "Für die Schüler ist es manchmal schwierig, herauszufinden, was lustig ist und was nicht mehr."

Des Lobes voll über die Beiträge der diesjährigen Maturanden ist Hanspeter Rohr, Rektor des Gymnasiums Köniz-Lerbermatt. "Kritik darf auch Platz haben", findet Rohr. Auch dürften die Schüler Eigenheiten von Lehrern karikieren. Im Gymnasium Köniz-Lerbermatt gilt unter anderem die Regelung, dass die Artikel mit Namen oder Kürzel signiert werden müssen. Kleinere Kalamitäten hat es am Gymer Köniz kürzlich mit der Gymerfest-Zeitung gegeben, die Obszönitäten gegenüber Lehrkräften enthalten haben soll. Der Fall sei aber nicht gravierend gewesen. Zudem sei die Zeitung nicht von Schülern aus der Prima, sondern aus unteren Stufen verfasst worden. (jäg)>

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RAUCHVERBOT
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BZ 9.7.09

Bahnhof Bern

Aus für Raucher

Keine Raucheroasen im Berner Bahnhof mehr: Das Rauchverbot gilt auch für die Beizen in Bahnhofhalle und -passage.

In den nächsten Tagen erhalten die SBB Post vom Polizeiinspektorat der Stadt Bern. Der Betreff: das Rauchverbot. Dieses gilt seit dem 1.Juli im ganzen Kanton Bern und somit eigentlich auch für die drei Beizen in Bahnhofhalle und -passage. Am Tag eins des Rauchverbotes erklärten die SBB jedoch, dass die Situation im Bahnhof noch unklar sei und von Stadt und Kanton geprüft werden müsse (wir berichteten). Deshalb dürfe dort bis auf weiteres geraucht werden.

Dies ist falsch, wie Marc Heeb, Leiter der städtischen Orts- und Gewerbepolizei erklärt. "Wir behandeln den Bahnhof einheitlich - auch wenn die Restaurants sowohl auf Stadt- als auch auf SBB-Boden stehen." Ein weiterer Diskussionspunkt sei gewesen, dass in anderen Passagen der Stadt trotz Verbot noch geraucht werden dürfe. "Das gilt für die Bahnhofpassage nicht", sagt Heeb. Dies habe die nochmalige Überprüfung der Rechtslage ergeben. Doch Wirte und Raucher im Bahnhof haben Glück im Unglück. Sie werden nicht gebüsst, bis das Verbot offiziell kommuniziert ist.
as

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HOOLIGAN-GRIPPE
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20min.ch 9.7.09

Espenmoos-Krawalle

Erster Fussball-Hooligan verurteilt

Das Kreisgericht St. Gallen hat entschieden: 5700 Franken muss der erste verurteilte Hooligan berappen. Der 22-Jährige habe "kein leichtes Vergehen" begangen, sondern sei "besonders aggressiv" gewesen.

Eine bedingte Geldstrafe und eine Busse - mit seinem Urteil folgte das Kreisgericht weitgehend den Forderungen der Staatsanwaltschaft. Der 22-Jährige wurde wegen mehrfacher Sachbeschädigung, Landfriedensbruch und Gewalt gegen Behörden und Beamte schuldig gesprochen. Das Strafmass beläuft sich auf 330 Tagessätze zu 90 Franken bedingt. Die Probezeit beträgt zwei Jahre. In diesen gilt ein Besuchs- und ein Annäherungsverbot für Fussballspiele in den beiden obersten Ligen. Der Mann muss zudem eine Busse von 2700 Franken bezahlen, Verfahrenskosten übernehmen und sich solidarisch an Sachschäden von 3000 Franken beteiligen.

Verurteilter war "besonders aggressiver Gewalttäter"

Das Gericht begründete, es habe sich um kein leichtes Verschulden gehandelt und der Mann habe genügend Zeit gehabt, wegzugehen. Der Angeklagte sagte vor Gericht, dass er sich in keiner Weise aktiv an den Auseinandersetzungen mit der Polizei beteiligt habe. Er habe nur ein paar Bierchen getrunken und dem Treiben zugeschaut, weil er vor dem Restaurant Espenmoos inmitten des gewalttätigen Mobs eingekesselt gewesen sei. Der Staatsanwalt erklärte hingegen, der Angeklagte sei von zwei zivilen Beamten vor Ort klar als Anheizer und besonders aggressiver Gewalttäter erkannt worden.

Weiterer Angeklagter vor Gericht

Am Nachmittag steht ein weiterer Angeklagter vor Gericht. Der 22-jährige Zimmermann war bei den Einvernahmen teilweise geständig. Er soll bei den Randalierern im Stadion zuvorderst gewesen sein und unter anderem mitgeholfen haben, eines der Fussballtore abzubrechen. Es entstand ein Sachschaden von über 150 000 Franken. Zudem hat der 22-Jährige eine Holzlatte von einem Meter Länge gegen Polizisten geschleudert und Stadionmobiliar verbrannt. Die Straftaten des Angeschuldigten seien auf Videofilmen klar erkennbar, heisst es in der Anklage.
(sda/ap)

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NZZ 9.7.09

Im Schnellverfahren gegen Hooligans

St. Gallen schickt Untersuchungsrichter direkt ins Fussballstadion

 Die St. Galler Staatsanwaltschaft will bereits zum Meisterschaftsstart am kommenden Sonntag Schnellverfahren gegen randalierende Fussballfans erproben. Sicherheitsexperten begrüssen den Schritt.

 -yr. Wenn am kommenden Sonntag der aufgestiegene FC St. Gallen sein erstes Super-League-Spiel in der AFG-Arena gegen den FC Basel absolviert, wird auch ein Untersuchungsrichter in geschäftlicher Mission anwesend sein. St. Gallens Erster Staatsanwalt Thomas Hansjakob zeigt sich entschlossen, das einzelrichterliche Schnellverfahren erstmals auch im Kampf gegen Hooligans anzuwenden. Hansjakob betont, es handle sich dabei nicht, wie verschiedentlich gemeldet, um ein Schnellgericht, sondern um ein Schnellverfahren. Dies werde schon seit längerem angewendet, etwa im Betäubungsmittelbereich oder auch beim Open-Air-Festival St. Gallen. Dabei stellt ein Einzelrichter, falls alle Voraussetzungen erfüllt sind, einen Strafbefehl aus. Der Strafrahmen beträgt bis zu 180 Tagessätze bei einer Geldstrafe beziehungsweise 6 Monate bei einer Freiheitsstrafe. Gegen den Strafbefehl kann Beschwerde erhoben werden.

 Praktische Probleme in Sicht

 In St. Gallen wird der Einzelrichter zwar während des Spiels im Stadion sein, um sich ein persönliches Bild von der Situation zu machen. Die eigentliche Arbeit wird er aber im rund zwei Kilometer entfernten Büro verrichten. Hiezu soll ihm die Polizei die Beweismittel liefern, sei dies mit Videobildern oder mit Zeugenaussagen. Pius Valier, der Kommandant der Stadtpolizei St. Gallen und gleichzeitig Präsident der nationalen Projektgruppe "Sicherheit im Sport", gibt sich diesbezüglich allerdings zurückhaltend. Es sei fraglich, ob die Aufnahmen der Überwachungskameras derart schnell ausgewertet werden könnten. Als weitere Schwierigkeit nennt der Praktiker das Unterfangen, Tatverdächtige aus der Masse heraus festzunehmen.

 Grundsätzlich begrüsse er ein möglichst schnelles Verfahren, sagt Pius Valier im Gespräch. Doch dieses müsse nicht zwingend am selben Tag abgeschlossen sein. Aus polizeilicher Sicht genüge es, wenn das Urteil vor dem nächsten Heimspiel vorhanden sei. Staatsanwalt Hansjakob sind die praktischen Probleme bekannt, aber er wolle jetzt einfach ein paar Mal die Abläufe durchspielen, um danach eine Bilanz zu ziehen. Unterstützung erhält er von Ulrich Pfister, dem Sicherheitschef des Fussballverbandes. Laut Pfister haben England und Deutschland gute Erfahrungen mit Schnellrichtern gemacht. Er hoffe deshalb, weitere Kantone griffen die Idee auf.

 Rechtsstaat nicht aushebeln

 Das Schnellverfahren müsse nicht neu erfunden werden, weil es unter anderem Titel schon seit einigen Jahren bekannt sei, sagt dazu Rainer Angst, der Sprecher der Zürcher Oberstaatsanwaltschaft. In Zürich stünden permanent Staatsanwälte zur Verfügung, die auch als Schnellrichter fungieren könnten. Voraussetzung ist laut Angst vor allem eine liquide Beweislage, damit der Rechtsstaat nicht ausgehebelt werde. Auch in Basel gibt es bei Bedarf ein Sonderpikett, das unter anderem bei Hochrisikospielen des FC Basel zum Einsatz kommt. Daran will man laut Markus Melzl von der Basler Staatsanwaltschaft vorläufig nichts ändern, zumal sich die Rechtslage mit der eidgenössischen Strafprozessordnung, die Anfang 2011 eingeführt werden soll, sowieso ändern werde.


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20min.ch 9.7.09

Hooligans

Erste Espenmoos-Chaoten müssen vor den Kadi

von Sascha Schmid

Zwei mutmassliche Espenmoos-Chaoten stehen vor dem Richter: Sie sollen die Polizei angegriffen haben - einer soll zudem für Schäden im Stadion haften.

Über ein Jahr nach den Ausschreitungen nach dem letzten Spiel im Espenmoos am 20. Mai 2008 kommen am Donnerstag die ersten mutmasslichen Chaoten vor das Kreisgericht St. Gallen. Am Morgen muss sich ein 22-Jähriger verantworten. Laut einer Polizistin war er der Rädelsführer eines 30-köpfigen Mobs, der vor dem Stadion die Polizei angriff. Er habe nicht nur die Meute aufgehetzt, sondern selber Steine geworfen sowie zwei Container angezündet und gegen Polizisten gerollt.

Der Angeschuldigte sagte hingegen aus, unfreiwillig im Mob gewesen zu sein. Die Staatsanwaltschaft beantragt wegen Sachbeschädigung, Landfriedensbruch sowie Gewalt und Drohung gegen Behörden und Beamte eine bedingte Strafe von 14 Monaten.

Dem zweiten Angeklagten (22) blüht dieselbe Strafe. Er soll auf dem Spielfeld die Polizei attackiert und das Tor abgebrochen haben. Weil im Stadion ein Schaden von 150 000 Franken entstanden ist, muss er aber vielleicht auch dafür haften. Denn nach dem Prinzip "mitgehangen, mitgefangen" fordert die Staatsanwaltschaft eine Solidarhaftung. So müsste der 22-Jährige zusammen mit sieben weiteren Angeklagten für den gesamten Schaden aufkommen.

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WoZ 9.7.09

Fussballfans

Vors Schnellgericht

Da reden sie wieder von Krawallen in den Stadien, bevor die Fussballsaison begonnen hat: die Leute, welche noch nie in einer Fankurve waren oder mit Fanvertretern gesprochen haben.

Schnellgerichte sind ihrer Weisheit neuster Schluss. Und St. Gallen geht einmal mehr tatkräftig voran: Der Staatsanwalt Thomas Hansjakob will am Sonntag beim Spiel FC St. Gallen gegen den FC Basel fehlbare Fussballfans im Eiltempo aburteilen.

Thomas Hansjakob ist in St. Gallens Gassen wegen seines rigiden Vorgehens gegen Hanfshops als "Hanfjakob" bekannt. Auch der WOZ-LeserInnenschaft ist der Staatsanwalt kein Unbekannter: Er hat das Verfahren der HSG St. Gallen gegen die junge Karin K., welche an der Abschiedsvorlesung von Franz Jäger ein Theater aufführte, vor Kantonsgericht gebracht (siehe WOZ Nr. 39/08).

In der allgemeinen Gewalthysterie soll Härte gezeigt werden. Hansjakob sagt, dass die Massnahme nicht neu sei. Dealer, die in flagranti erwischt werden, erhalten bereits jetzt sofort einen Strafbefehl. Was er allerdings nicht sagt: Um die mutmasslichen TäterInnen zu verurteilen, braucht es entweder ein Geständnis oder eine eindeutige Beweislage. Genau hier liegt aber das Problem - ausser man achtet nicht auf rechtsstaatliche Grundsätze. ch

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UNIA
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WoZ 9.7.09

Gianni Frizzo - Der Streit um den abgewählten Streikführer der Officine dauert an. Dabei gehe es nicht nur um gewerkschaftsinterne Querelen, sagt alt Nationalrat Franco Cavalli.

Die Stimmung kippt

Von Carlos Hanimann

Charismatisch, populär, erfolgreich - Gianni Frizzo gab dem Protest der SBB-ArbeiterInnen ein Gesicht, als sie vor einem Jahr die Werkstätten von SBB Cargo in Bellinzona besetzten und strei kten. Es war eine Reaktion auf das "Restrukturierungsprogramm" der Schweizerischen Bundesbahnen; über 400 Stellen wollten die SBB bei der Güterbahn streichen, 126 davon allein in den Officine in Bellinzona. Die Parole der Tessiner SBB-Arbeiter, "Giù le mani dall'Officina", wurde bekannt als Synonym für erfolgreiches Streiken. Der ganze Kanton stand hinter dem sympathisch einfachen Streikführer Frizzo und den ArbeiterInnen. 8000 Menschen unterstützten deren Anliegen bei einer Demonstration vor einem Jahr, ein Aufmarsch, wie ihn das Tessin lange nicht gesehen hatte.

Vor zwei Wochen wurde eben dieser Gianni Frizzo aus dem Vorstand der Unia-Sektion abgewählt - oder: "nicht wiedergewählt", wie es in den Medienmitteilungen der Unia hiess. Der 53-jährige Frizzo erhielt an der Jahres versammlung der Unia-Sektion Bellinzona nur 43 Stimmen, 98 Stimmen wären für eine Wiederwahl notwendig gewesen.

Zähneknirschende Unia

Die Empörung im Tessin war gross. Weniger über die Abwahl von Frizzo und zwei seiner Kollegen, sondern über die Art und Weise, wie das geschah. "Während der Versammlung hat niemand Fragen gestellt, keine Anklagen erhoben, nichts", sagte Frizzo in der Radiosendung "Echo der Zeit". Stattdessen waren an der Versammlung als Faksimile gekennzeichnete Wahlempfehlungen abgegeben worden, wie Renzo Ambrosetti, Kopräsident der Unia, in der Gewerkschaftszeitung "Work" erklärte. Die Mehrheit der 175 Anwesenden folgte den Empfehlungen und wählte Frizzo ab.

Warum die Abwahl von Gianni Frizzo, der im vergangenen Herbst an der Unia-Jahresversammlung noch mit Standing Ovations bejubelt worden war? Die gewerkschaftlichen Bürokraten seien vom aufrührerischen und zugleich populären Frizzo in ihrem Alltag gestört worden, sagt der Tessiner alt Nationalrat Franco Cavalli. Frizzo war konsequent, bisweilen stur und verfolgte die Interessen der Officine-ArbeiterInnen mit viel Eifer. Das bescherte ihm Aufmerksamkeit, Frizzo stand im Rampenlicht. "Das führte zu Zähneknirschen bei der Unia, die vom Erfolg und der Popularität des Streiks einigermassen überrascht worden war."

Ein weiterer Grund für die Abwahl Frizzos könnten auch persönliche Streitigkeiten sein. Seit Monaten gibt es gegenseitige Mobbingvorwürfe zwischen dem Streikkomitee und der Tessiner Unia-Spitze.

Rechte vs. linke Sozialdemokratie

Ausserdem gebe es einen politischen Hintergrund, sagt Cavalli. Frizzo, eigentlich ein SP-Mann, wird vor allem von der radikalen Bewegung für den Sozialismus (BfS) unterstützt. Anstelle von Frizzo wurden SP-nahe Vertreter in den Vorstand gewählt. Für den Sozialdemokraten Franco Cavalli ist der Konflikt, der um die Abwahl von Gianni Frizzo entstanden ist, weit mehr als eine gewerkschaftsinterne Streitigkeit: "Auch innerhalb der SP scheint die Stimmung zu kippen. Es gibt eine Auseinandersetzung zwischen rechten und linken Sozialdemokraten." Am Dienstag wandten sich verschiedene linke Tessiner PolitikerInnen in einem offenen Brief an die Unia und forderten, dass die Wahl des Unia-Vorstands wiederholt werde. Ausserdem wurde Paul Rechsteiner, Präsident des Gewerkschaftsbundes, eingeladen, im Konflikt zu vermitteln.

Es weht ein linker Südwind. Cavalli glaubt, dass der Fall Frizzo Anlass gebe, über die künftige Ausrichtung der Sozialdemokratie zu diskutieren. Dies vor allem vor dem Hintergrund, dass es schweizweit Bestrebungen gibt, eine neue linke Partei ("La gauche", siehe WOZ Nr. 20/09) zu gründen. "Die SP ist eingeschlafen, sie ist zum Teil sehr formalistisch und legalistisch. Der Fall Frizzo könnte zu einer grundlegenden Diskussion über linke Positionen führen."

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Work 3.7.09

Unia-Co-Präsident Renzo Ambrosetti zum Krach im Tessin:

"Es geht nicht um den Streik"

In der Unia-Sektion Bellinzona wurde ein Machtkampf ausgetragen und entschieden. Jetzt nimmt Unia-Co-Präsident Renzo Ambrosetti Stellung.

Der harte und lange Streik der SBB-Mechaniker von Bellizona weckte 2008 landesweit Zustimmung und Solidarität. Am vorigen Freitag wurden der charismatische Streikführer Gianni Frizzo und andere Mitglieder des Streikkomitees aus dem Vorstand der Unia-Sektion Bellinzona abgewählt. Jetzt erheben Frizzo und manche Medien schwere Vorwürfe gegen die Unia. work konfrontierte die Unia-Leitung mit den Vorhaltungen.

Vorwurf: Die Unia habe zuerst den Streik in den Officine gefeiert, jetzt aber den Officine-Streikführer Gianni Frizzo und andere Mitglieder des Streikkomitees aus ihren Gremien entfernt.

Falsch. Die Nichtwahl Frizzos hat nichts mit dem Streik zu tun, sondern ist im Zusammenhang mit dem Konflikt in der Sektion Bellinzona zu sehen. Am Anfang des Konflikts standen Personalführungsprobleme. Doch dahinter stand die Frage, ob ein kleiner Kreis um den ehemaligen GBI-Sektionssekretär Pino Sergi die Sektion dominiert und auch für parteipolitische Zwecke missbraucht. Eine klare Mehrheit der Mitglieder hat dies jetzt mit dem Wahlzettel beantwortet und im gleichen Zug auch noch Frizzo abgewählt, der eng mit Sergi zusammengearbeitet hat. Ich bedaure auch, dass die Entwicklung in der Sektion Bellinzona zur Abwahl Frizzos geführt hat, respektiere aber den Entscheid der Mitgliederversammlung.

Vorwurf: Ein Teil der Unia-Führung sei mit dem Officine-Streik oder der Art, wie der Streik geführt wurde, nicht einverstanden gewesen.

Die Unia hat den Streik unterstützt und mit ihren Vertretern vor Ort eng mit dem Streikkomitee zusammengearbeitet. Sicher gibt es im Verlauf eines Streiks immer wieder unterschiedliche Einschätzungen. Doch alle Mitarbeitenden der Unia-Region haben sich enorm in diesem Streik engagiert. Und die nationale Leitung der Unia hat ihn verlässlich mitgetragen. Die Unia wird auch in Zukunft die Beschäftigten in den Officine unterstützen, indem sie weiterhin die nötigen Ressourcen zur Verfügung stellt.

Vorwurf: Die Abwahl sei organisiert gewesen und durch vorbereitete Wahlzettel manipuliert worden.

Dieser Vorwurf ist unberechtigt. Es gab keine ausgefüllten Wahlzettel, sondern eine klar als Faksimile gekennzeichnete Wahlempfehlung, die schliesslich eine Mehrheit fand.

Vorwurf: Nicht die Basis habe Frizzo abgewählt, sondern der Gewerkschaftsapparat.

Wer das sagt, nimmt die 175 anwesenden Mitglieder nicht ernst. Es gab 32 Kandidaten für 21 Sitze. Die gewählten Mitglieder haben zwischen 98 und 133 Stimmen gemacht. Gianni Frizzo erhielt 43 Stimmen, Pino Sergi 37 Stimmen. Ich bin sicher, dass Frizzo nicht wegen seines grossen Engagements beim Streik abgewählt wurde, sondern wegen der umstrittenen Rolle, die er als Präsident in einer internen Konfliktsituation gespielt hat.

Vorwurf: Die Abwahl sei eine Episode im Machtkampf SP gegen Bewegung für den Sozialismus (BfS), also eine Säuberung.

Die Unia Tessin hat 60 Mitarbeitende. Davon gehören heute wesentlich mehr zur radikalen Linken als zur SP. Es was nie ein Problem, dass Mitglieder des BfS, der Partei der Arbeit oder auch aus dem anarchosyndikalistischen Umfeld bei der Unia mitarbeiten. Doch genau wie das Streikkomitee der Officine ist die Unia Tessin eine Kraft, die sich unabhängig von Parteien definiert.

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UNGARISCHE GARDE
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WoZ 9.7.09

Ungarn - Fünfzehn Prozent bei den Europawahlen im Juni, nun das Verbot: Die rechtsextremen Auftritte der Ungarischen Garde wurden nun auch den Behörden zu viel.

Demokratisch gegen Demokratie

Von Keno Verseck

Belagerungszustand in Budapests Innenstadt: Tränengas, Wasserwerfer und polizeilicher Knüppeleinsatz; TouristInnen flüchten aus den Cafés. Einige Hundert Rechtsextreme hatten sich am vergangenen Samstag zu einer verbotenen Demonstration am Elisabethenplatz versammelt. Als PolizistInnen anfingen, den Platz zu räumen, skandierten die Rechtsextremen "Verräter" und "Drecksjuden". Die anschliessend gewaltsamen Auseinandersetzungen zogen sich bis in die Abendstunden hin: Die Demonstrierenden marschierten durch die Innenstadt, die Polizei verhaftete 216 Personen, auf beiden Seiten wurden Dutzende verletzt.

Der Anlass der Demonstration: Am Donnerstag vergangener Woche war nach anderthalbjährigem Gerichtsverfahren die Ungarische Garde verboten worden, die paramilitärische Ordnungstruppe der rechtsextremen Partei "Jobbik" (Bewegung für ein besseres und rechteres Ungarn). Die GardistInnen hatten in den letzten zwei Jahren in ganz Ungarn immer wieder militärische Paraden abgehalten, vor allem dort, wo Roma wohnen (siehe WOZ Nr. 24/09).

Auslöser des Verbotsverfahrens war ein Garde-Aufmarsch im Dorf Tatar szentgyörgy südlich von Budapest. Mehrere Hundert Gardisten waren dort im Dezember 2007 im Nazistil durch die Ortschaften marschiert. Auf der anschliessenden Kundgebung hetzten RednerInnen gegen "kriminelle Zigeuner". Kurz darauf beantragte die Budapester Staatsanwaltschaft ein Verbotsverfahren gegen die Garde.

Wacklige Gesetzesgrundlage

Der eilig anberaumte Prozess verlief skandalös. Die Mitglieder der Garde gaben im Gerichtssaal vom ersten Prozesstag an den Ton an. Sie bestimmten, wer in den Raum durfte. Vor dem Gerichtsgebäude wurden Roma angepöbelt und vom Betreten des Gerichtssaals abgehalten, während sich die Rechtsextremen drinnen über die Richterin Agnes Öcsödi lustig machten. Diese gab im August 2008 den Prozessvorsitz ab: Nachdem sie immer wieder bedroht worden war, erklärte sie sich für befangen.

Auch die juristische Grundlage für das Verfahren erwies sich als wacklig, denn in Ungarn gibt es kein Gesetz, das rassistische, chauvinistische oder ähnliche Propaganda und Aktivitäten verbietet. Im Oktober 2007 hatte das Parlament zwar ein Gesetz verabschiedet, das Volksverhetzung strafbar macht, doch Staatspräsident Laszlo Solyom hatte sich geweigert, das Gesetz zu unterzeichnen. Das Gesetz sei schlecht formuliert und könnte eine Prozesswelle gegen den ungarischen Staat nach sich ziehen, begründete er seinen Entscheid. Ausgerechnet letzte Woche, kurz bevor die Richter das Urteil fällten, scheiterten die regierenden SozialistInnen im Parlament erneut mit dem Versuch, das Strafrecht zu ändern - es fehlten Stimmen der nationalkonservativen Opposition.

Ein zentraler Anklagepunkt der Staatsanwaltschaft im Verbotsprozess lautete deshalb, dass die Aufmärsche der Garde darauf abzielten, Minderheiten einzuschüchtern. Nach einem ersten Urteil letztes Jahr, in dem das Gericht nur die Persönlichkeits- und Freiheitsrechte anderer BürgerInnen eingeschränkt sah, folgte das Buda pester Berufungsgericht letzte Woche der Argumentation der Staatsanwaltschaft und ging sogar noch einen Schritt weiter: Die Aktivitäten der Ungarischen Garde, so das abschliessende Urteil, könnten Konflikte auslösen und Gewalt fördern.

Das Urteil nannte in seiner Begründung zwar keine konkreten Fälle, doch diese sind hinreichend bekannt: Seit Gründung der Garde im August 2007 gab es in Ungarn Dutzende Attacken auf Roma, bei denen es mehrere Tote gab. In einigen Fällen geht die Polizei davon aus, dass die Täter aus der rechtsextremen Szene stammen.

Rechtsextreme Allianz

VertreterInnen der sozialistischen Regierung, der Roma und liberale PolitikerInnen begrüssten das Urteil. Einige nannten das Verbot einen mutigen Schritt. Denn viele sympathisieren in Ungarn mit der Garde, und erst kürzlich hat die Jobbik-Partei bei den Europawahlen fünfzehn Prozent der Stimmen erhalten.

Die Unterstützung in weiten Teilen der Bevölkerung könnte den Rechtsextremen nun helfen, aus dem Garde-Verbot politisches Kapital zu schlagen. Immer wieder schüren sie feindliche Stimmung, indem sie sich als Opfer einer "liberal-bolschewistischen", einer "verjudeten" Demokratie bezeichnen. Man werde gegen das Urteil mit Sitzblockaden und Demonstrationen protestieren, kündigte der Jobbik- und Garde-Chef Gabor Vona letzte Woche an. Und: Man werde beim Obersten Gerichtshof ein Überprüfungsverfahren beantragen und sich zugleich an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Strassburg wenden.

Dass Gabor Vona und seine Leute sich der Demokratie bedienen, um sie abzuschaffen, daran lassen sie nicht den geringsten Zweifel. Vona selbst verkündet offen, dass er ein autoritäres Regime wie das des mit Adolf Hitler verbündeten Reichsverwesers Miklos Horthy einführen will. Und er macht Ernst, wenn auch vorerst nur in kleinen Schritten: Nur wenige Tage nach dem Ergebnis der Europawahlen Anfang Juni verkündete Vona ein Aktionsbündnis von Jobbik und Ungarischer Garde mit ungarischen Skinhead- und Neonaziorganisationen. Einige der Anführer sind verurteilte Gewalttäter, gegen andere wird wegen terroristischer Aktivitäten ermittelt. Es gebe unter den Rechten Meinungsverschiedenheiten bezüglich der inner- oder ausserparlamentarischen Vorgehensweise, sagte Vona. Wichtig sei jetzt jedoch der "Zusammenhalt für ein starkes Ungarn und eine starke, grossungarische Nation".

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NZZ 3.7.09

Verbot der Ungarischen Garde

Proteste der rechtsextremistischen Jobbik-Partei

 In Budapest ist die Ungarische Garde, eine paramilitärische Schlägertruppe, verboten worden. Die dieser Miliz nahestehende rechtsextremistische Jobbik-Partei hat dagegen heftig protestiert.

 cer. Wien, 2. Juli

 In Budapest ist am Donnerstag die sogenannte Ungarische Garde durch das oberste Verwaltungsgericht verboten worden. Die im August 2007 gegründete paramilitärische Organisation, welche nach neusten Schätzungen über 3000 Mitglieder verfügt, verbreitet vor allem unter den ungarischen Roma Angst und Schrecken. Die Gardisten marschieren regelmässig in Springerstiefeln und schwarzen, den faschistischen Pfeilkreuzlern nachempfundenen Uniformen, die rot-weiss-rote "Arpad-Flagge" als nationalistisches Symbol in Händen, durch die von Roma bewohnten Siedlungen und Stadtviertel; auch wiegeln sie die Bevölkerung unter Verweis auf die "Zigeunerkriminalität" gegen die Minderheit auf. Die Garde gilt als der militante Arm der rechtsextremen Jobbik-Partei. Im März 2008 hatte die Staatsanwaltschaft ein Verbotsverfahren gegen die Garde eingeleitet. In erster Instanz verfügte das Budapester Amtsgericht im vergangenen Dezember ein Verbot gegen den Trägerverein der Garde, den "Traditions- und Kulturverein Ungarische Garde". Die Garde selbst konnte das Gericht aus formellen Gründen nicht verbieten - sie ist nicht im Vereinsregister eingetragen. Ausserdem war das Urteil nicht rechtskräftig, weil der Rechtsanwalt der Garde Berufung einlegte.

 Das jetzige Urteil verbietet formell wiederum nur den Trägerverein. Neu ist allerdings die Argumentation der Justiz: Trägerverein und Garde bildeten eine Einheit. Folglich sei durch dieses nunmehr rechtskräftige Urteil nicht nur der Verein, sondern auch die Garde selbst verboten worden. Die Frage ist, ob die Polizei aufgrund dieses Urteils künftig gegen die Aufmärsche der Garde einschreiten wird. Bisher hat sie dies nicht getan. Der Jobbik-Vorsitzende Gabor Vona argumentiert, die Garde könne gar nicht aufgelöst werden, da sie juristisch nicht greifbar sei. Das neueste Urteil, sagt Vona, sei aufgrund politischer Machenschaften gefallen und könnte "schwerwiegende gesellschaftliche Folgen" nach sich ziehen.

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RECHTSEXTREMISMUS USA
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WoZ 9.7.09

Platz für den grossen Hass

USA - Die Wirtschaftskrise und die Hautfarbe des neuen Präsidenten nutzt der Rechts extremismus zur Rekrutierung, warnte kürzlich das US-Ministerium für Innere Sicherheit. Derweil porträtieren konservative US-Medien Barack Obama ungerührt als Hitler, Muslim, Sozialisten oder verkappten Kolonialisten.

Von Lotta Suter, Boston

Wie schon der Regierungsantritt des letzten demokratischen US-Präsidenten Bill Clinton im Jahr 1993 hat auch die Wahl von Barack Obama die rechtskonservativen Kräfte der USA mobilisiert und radikalisiert. "Den grossen Hass" nennt Wirtschaftsnobelpreisträger Paul Krugman das unheilvolle Zusammenwirken von radikalen Randgruppen, Massenmedien und gewählten Politiker Innen der Rechten. Denn nicht nur in durchgeknallten Internetblogs, sondern auch in etablierten konservativen Radio shows und bei Fox News wird regelmäs­sig darüber spekuliert, ob Barack Obama nicht doch ein Muslim sei oder ein Sozialist oder beides zugleich. Auf ihrer Suche nach immer neuen Sensationen, nach noch heisseren Emotionen und nach einer noch einfacheren rechtspopulistischen Botschaft verfeinern und legitimieren diese Massenmedien auch noch die krudesten Hassbotschaften ihrer Basis und bauen so eine wichtige Brücke zwischen dem rechtsextremis tischen Rand und einem salonfähigen rechtskonservativen Mittelfeld. Zur Steigerung der Einschaltquoten sind sie auch bereit, in die Subkultur der Verschwörungstheorien hinabzusteigen. Der Bestsellerautor und neue Fox-Star Glenn Beck etwa, der sich Abend für Abend in einem apokalyptischen Ausnahmezustand befindet, verbreitete vor einem Millionenpublikum das Bloggergerücht, der neue Präsident stelle Konzentrationslager für missliebige US-BürgerInnen auf; er könne diese Nachricht im Moment weder bestätigen noch dementieren, fügte der TV-Moderator schlau hinzu.

Durch dieselben medialen Kanäle wird der US-Bevölkerung auch eingeredet, Präsident Obama wolle die Verfassung abschaffen und den rechtschaffenen AmerikanerInnen die Gewehre wegnehmen. In den letzten Monaten haben Waffennarren im ganzen Land auf Vorrat so viele Flinten und so viel Munition gehamstert und gehortet, dass es zu Lieferungsengpässen kam, was ihre Paranoia noch steigerte … In Kentucky forderte ein Pfarrer seine Schäflein auf, ihre Waffen in die Kirche zu bringen, schliesslich seien "Gott und Gewehr" die Grundpfeiler Amerikas.

Tiller the Babykiller

Als das US-Ministerium für Innere Sicherheit Mitte April in einem internen Bericht vor zunehmendem Rechtsextremismus warnte, waren die Konservativen ausser sich. Die Regierungsstudie  präzisierte: Die Einzelkämpfer der White Supremacists, die die Vorherrschaft der weissen Rasse mit allen, auch kriminellen Mitteln verteidigen wollen, stellten gegenwärtig die grösste terroristische Gefahr aus dem Innern dar. Doch der Vorsitzende der Republikanischen Partei verurteilte reflexartig die "Ausgrenzung von Andersdenkenden".

Seither sind bereits zwei prominente, durch rechtsextreme Ideen motivierte Gewalttaten hinzugekommen (siehe WOZ Nr. 25/09): Am 11. Juni tötete ein 89-jähriger vorbestrafter Rassist und Antisemit einen Angestellten des Holocaust Museum in Washington D. C. - James von Brunn war ein Wiederholungstäter, der elektronisch mit der Neo naziszene bestens vernetzt war. Kurz zuvor, am 31. Mai, war George Tiller, der in seiner Klinik in Wichita, im Mittleren Westen, Schwangerschaftsabbrüche vornahm, von einem fanatischen - und ebenfalls elektronisch vernetzten - Abtreibungsgegner beim Kirchgang erschossen worden. Ein Einzeltäter, hiess es auch hier. Doch auf Fox News hatte der Moderator Bill O'Reilly sein Millionenpublikum unermüdlich gegen "Tiller the Babykiller" aufgestachelt.

Dr. Tiller seinerseits war ein Wiederholungsopfer: Im Sommer 1993, kurz nach Amtsantritt von Bill Clinton, war eine Hausfrau aus Oregon mit Bibel und Pistole nach Kansas gereist, um den sündigen "Kindermörder" eigenhändig zu richten. Damals überlebte Tiller das Attentat - im Gegensatz zu etlichen seiner ArztkollegInnen, die in diesen Jahren rechtsextremistischen Anschlägen zum Opfer fielen.

Auf dem Höhepunkt der Gewalt, 1995, bombardierte der frustrierte Golfkriegsveteran Timothy McVeigh ein Regierungsgebäude in Oklahoma City; 168 Tote gab es bei diesem Terroranschlag made in America.

Globalisierung und Xenophobie

Woher stammte damals der grosse Hass der radikalen rechten Gruppierungen und Einzelpersonen? Und woher kommt er heute?

Der US-amerikanische Staatsschutz weist in seinem Extremismusbericht auf ein paar bedenkenswerte Parallelen zwischen den Clinton- und den Obama-Jahren hin: Der wichtigste Radikalisierungsfaktor ist wohl - damals wie heute - die wirtschaftliche Unsicherheit. In den neunziger Jahren wurden massenweise Arbeitsplätze in Billiglohnländer ausgelagert. Die Reaganomics der achtziger Jahre wurden auf die ganze Welt ausgedehnt. Der "Siegeszug" der Globalisierung begann. Den Verlierer Innen der Umstrukturierung bot aber auch die demokratische Regierung keine neue Heimat an. Im Gegenteil: Unter Clinton wurde auch noch das wenige, das es in den USA an Sozialstaat gab, abgeschafft. Die Arbeitslosen und die Working Poor, das neue Lumpenproletariat, waren Kollateralschäden dieser Entwicklung - so wie für den Regierungsgegner McVeigh die Opfer seines Bombenanschlages Kollateralschäden waren.

In der heutigen Krise beträgt die Zahl der Arbeitslosen in den USA bereits zehn Prozent - wenn man die restriktive Definition des Arbeitsministeriums verwendet. Bürgerrechtsbewegungen sagen, rund doppelt so viele Lohnabhängige, nämlich 25 Millionen Frauen und Männer, hätten heute keine oder zu wenig Arbeit. Eine baldige Besserung wird nicht erwartet, und die Regierung Obama hat - im Gegensatz zu Franklin Roosevelts Arbeitsbeschaffungsprogramm in den dreissiger Jahren - bisher kaum neue Jobs geschaffen. Wieso eigentlich nicht? Der Staatsschutz selber zitiert in seinem Extremismusbericht eine Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, welche einen starken Zusammenhang zwischen der Arbeitslosigkeit von Eltern und rechtsextremen Ansichten - vor allem Xenophobie (Fremdenfeindlichkeit) und antidemokratische Ideale - bei den Kindern annimmt.

Die Stellung der USA in der Welt ist wie vor zwanzig Jahren auch heute wieder grossen Veränderungen ausgesetzt. Nach dem Zusammenbruch der Sow jetunion 1989 und dem Ende des gewohnten Blockdenkens fürchteten die superpatriotischen AmerikanerInnen, ihr Land werde demnächst von einer jüdisch dominierten Weltregierung geschluckt.

2009 haben sie Angst vor einer multipolaren Welt, in der die Vorherrschaft der USA nicht mehr ohne Weiteres vor ausgesetzt werden kann. Das Problem ist, dass das heutige Szenario keine Verschwörungstheorie, sondern eine sehr realistische Zukunftsperspektive ist. Eine Zukunft allerdings, auf die die AmerikanerInnen sehr schlecht vorbereitet sind. In den US-amerikanischen Schulen wird wenig Weltläufigkeit und viel Patriotismus gelehrt. Die Uno ist ein unbeliebter Fremdkörper; internationales Völkerrecht gilt bis weit in liberale Kreise hinein als suspekt. Alle US-Präsidenten, Demokraten ebenso wie Republikaner, ködern ihre WählerInnen mit der Grösse der Nation, die es entweder zu erhalten oder wiederaufzubauen gilt. "Es ist wieder Morgen in Amerika", behauptete Ronald Reagan mit einigem politischem Erfolg. Und Barack Obama wich in seiner Kampagne nicht allzu weit von diesem Skript ab. Auch er wagt es (noch) nicht, den "ewigen Krieg für den ewigen Frieden" (Gore Vidal) abzublasen. Der American Exceptionalism, der Glaube an die Auserwähltheit und Güte der eigenen Nation, ist in der Bevölkerung der USA tief verwurzelt - bei den Linken als leuchtendes Ideal, bei den Rechten als Anspruch und Geburtsrecht. Noch weiter rechts geht dieses Überlegenheitsgefühl nahtlos in die White Supremacy, die Vorherrschaft der weissen Rasse über.

Vom Irak- zum Rassenkrieg

Wie schon in den neunziger Jahren, nach dem Golfkrieg 1991, rekrutieren die rechtsextremen Gruppierungen auch heute wieder sehr aktiv Mitglieder unter den Kriegsveteranen. Die Reintegrierung zurückkehrender Soldaten ist für jede Zivilgesellschaft ein Problem. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde den Armeeangehörigen der USA der Übergang mit Bildungsgutscheinen, grosszügigem Arbeitslosengeld, guten Krankenversicherungen und günstigen Hypotheken erleichtert. Seither können oder wollen sich die USA diese Rückkehrhilfe nicht mehr leisten. Veteranen sind in den USA überdurchschnittlich oft obdachlos, arbeitslos, psychisch krank - und besonders anfällig für häusliche wie politische Gewalt.

Die Rechtsradikalen schätzten im Übrigen das militärische Wissen und die Kampferfahrung von regulären Soldaten als so wertvoll ein, dass sie in ihrer Vernetzung noch einen Schritt weiter gingen: Seit ein paar Jahren schleusen die Aryan Brotherhood, die Skinheads und andere Neonazigruppen eine beträchtliche Zahl ihrer Mitglieder in die offizielle US-Armee ein, um sie da für den anstehenden finalen Rassenkrieg ausbilden zu lassen. Von der Bekämpfung der "Sand Nigger", wie die Iraker von den US-Besatzungstruppen oft genannt wurden, zu den Negern im eigenen Land - die auch Latinos oder Juden oder Homosexuelle sein können - ist es dann bloss noch ein kleiner Schritt. Die Wahl des ersten Afroamerikaners zum Präsidenten bietet rassistischen Fantasien jeder Art (vgl. "Der afroamerikanische Despot") natürlich eine ideale Projektionsfläche.

Die Rechtskonservativen und ihre Medien sind in erster Linie verantwortlich dafür, wie viel Raum dem grossen Hass zugestanden und eingeräumt wird. Die Liberalen und Linken müssen sich aber ihrerseits fragen, ob und wo und wie diesem zersetzenden Hass ein ebenso starkes und leidenschaftliches Gefühl der Empathie entgegengesetzt werden kann. Liberté, Égalité, Solidarité - etwas in die Richtung.

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"Der afroamerikanische Despot"

Nicht seine Hautfarbe sei das Problem, sagt L. E. Ikenga über Barack Obama, sondern seine kulturelle Identität. Der neue Präsident der USA sei mehr Afrikaner als Amerikaner; und dazu noch die falsche Art Afrikaner, nämlich ein afrikanischer Neokolonialist, ein Despot in spe.

Die Thesen der bis anhin gänzlich unbekannten Madam Ikenga, die sich selber als Amerikanerin der ersten Generation und "Igbo-Frau aus einem Gebiet, das man heute Nigeria nennt" vorstellt, fanden nicht bloss auf dem Internet grosse Beachtung. Am 26. Juni stellte der rechtskonservative Rush Limbaugh den Aufsatz seinem 20-Millionen-Radiopublikum vor. Obama wolle aus den USA ein Drittweltland machen, lamentierte der inoffizielle Sprecher der Republikanischen Partei. Mit dem Stimulusprogramm, dem Cap-and-Trade-Gesetz und der Gesundheitsreform attackiere der Präsident den Privatsektor. Obama wolle alles selber kontrollieren, so wie Mugabe das in Simbabwe tue, das doch früher Rhodesien hiess …

Ikenga selber argumentiert etwas subtiler, aber auch sie besteht darauf, dass Blut dicker sei als Wasser (oder Sozialisation). Sie liefert sozusagen den Rassismus für gehobene Ansprüche. Obamas Hauptsünde, schreibt sie, sei seine Identifikation mit dem kenianischen Vater und dessen postkolonial verdrehtem Bewusstsein. Wie viele afrikanische Intellektuelle sei Obama senior über die Kolonialisierung der Briten wütend gewesen. Aber er habe sich als Reaktion darauf nicht auf die "wahren Wurzeln" seiner Stammesgesellschaft zurückbesonnen, sondern eine fremde Ideologie, den Marxismus, angenommen. Solche Männer, die die eigene Tradition verleugnen und die hegemonialen Paradigmen des Westens übernehmen, nenne sie ganz einfach afrikanische Kolonialisten, schreibt die Pamphletistin.

Afrikanische Kolonialisten seien ebenso undemokratisch und machtgierig wie ihre weissen Vorläufer. Und Barack Obama sei ein loyaler Sohn seines knallhart afrikanisch-kolonialistischen Vaters. Deshalb werde sich der Kolonialisierungsprozess wiederholen: Was die Briten 1914 den Igbo angetan hätten, das werde Präsident Obama nun den AmerikanerInnen antun. Eindringlich warnt Madam Ikenga: "Gibt man einem afrikanischen Kolonialherren zu viel Macht, kann er nur eines werden: ein Despot."

Die Frage ist nur: Welche Stammesgesellschaft ist hier bedroht? Wall Street? Die Pharmaindustrie? Exxon-Mobil? Waffenträger? Oder gar die ganze Fox-Nation?

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ANTI-ATOM
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Bund 9.7.09

Haue fürs "Krümmel-Monster"

In den AKWs des schwedischen Energieriesen Vattenfall ist es 2009 bereits zu 60 Zwischenfällen gekommen

Der schwedische Energiekonzern Vattenfall, der auch den deutschen Pannenreaktor in Krümmel betreibt, sieht sich scharfer Kritik ausgesetzt: Dem Konzern fehlt laut Schwedens Atomaufsicht jede Sicherheitskultur.

Hannes Gamillscheg, Stockholm

Das Vertrauen für Vattenfall sei "auf dem Nullpunkt", titelte die führende schwedische Zeitung "Dagens Nyheter" gestern. Der Artikel beschäftigte sich vor allem mit dem Image des Energiekonzerns in Deutschland nach der neuen Panne im AKW Krümmel. Doch der Tenor stimmt auch für das Heimatland des staatlichen Stromerzeugers, denn auch in Schweden hat der Standard der von Vattenfall betriebenen Atomkraftwerke scharfe Kritik ausgelöst.

Wegen schwerer Mängel in der "Sicherheitskultur" kündigte die Strahlenschutzbehörde (SSM) gestern an, das AKW in Ringhals unter Sonderaufsicht zu stellen. Seit Jahresbeginn sei es dort zu rund 60 Zwischenfällen gekommen. Zwei davon werden als "sehr ernsthaft" bezeichnet. Einmal versagte das automatische Sicherheitssystem, einmal die Kontrollstäbe für die Steuerung der Reaktoraktivität. Beide Einrichtungen seien für einen Schnellstopp des Reaktors essenziell, sagte Mattias Skold, der Sprecher der Atomaufsicht: "Wertvolle Zeit hätte verloren gehen können." Stichprobenkontrollen hätten umfangreiche Unregelmässigkeiten enthüllt, sagte SSM-Chef Leif Karlsson: "Wenn man den Routinen und Regeln nicht folgt, ist das ein Zeichen, dass man nicht die erforderliche Sicherheitskultur hat." Ringhals ist mit vier Reaktoren, die 20 Prozent des Strombedarfs decken, Schwedens grösste Atomkraftanlage und wird gemeinsam von Vattenfall und Eon betrieben.

Fast-Katastrophe in Forsmark

Schon vor drei Jahren hatte eine Fast-Katastrophe im Vattenfall-AKW Forsmark eine heftige Debatte über die Zuverlässigkeit der schwedischen Atomkraft ausgelöst. Damals steuerte ein Reaktor nach einem Kurzschluss in einem Generator 23 Minuten auf die Kernschmelze zu, ehe die Notaggregate doch noch griffen. Anschliessend prangerten Kontrolleure einen "Verfall der Sicherheitsstruktur" an, der irgendwann zur Katastrophe führen werde: mit Mitarbeitern, die die Regeln nicht strikt einhielten, und einer Konzernleitung, in der das Profitdenken dominiere. Damals kündigte Vattenfall-Chef Lars G. Josefsson radikales Umdenken an. Die jüngste Pannenserie in Deutschland wie in Schweden lässt die Frage zu, wie ernst es ihm damit war.

Vorwurf der Doppelmoral

Josefsson steht nicht allein als "Krümmel-Monster" in der Kritik. Auch die massive Nutzung fossiler Energieträger erregt Anstoss. Nicht nur Umweltschützer nennen es Doppelmoral, wenn der Vattenfall-Chef international den Vorreiter für saubere Energie spielt, sein Konzern aber - vor allem wegen seiner deutschen und polnischen Kohlekraftwerke - 50 Prozent mehr CO2 ausstösst als ganz Schweden. Dass nach Angela Merkel nun auch Uno-Generalsekretär Ban Ki Moon Josefsson zu seinem Klimaberater machte, empfand selbst die schwedische Wirtschaftspresse als reichlich ironisch. Denn Vattenfalls Energiemix besteht zwar auf dem skandinavischen Heimatmarkt vor allem aus Atom- und Wasserkraft, und dort investiert der Konzern nun auch massiv in Windenergie. In Deutschland und Polen aber produziert Vattenfall Strom zu mehr als 90 Prozent aus Kohle, und die Übernahme des niederländischen Konkurrenten Nuon verstärkte die Abhängigkeit von fossilen Energieträgern weiter.

Rückschlag für CO2-Idee

Josefssons Vision heisst, dass Vattenfall seine CO2-Emissionen bis 2050 auf null gesenkt haben soll. Doch der Anteil der Investitionen in erneuerbare Energie ist rückläufig, und auf Kohle meint der Schwede auch künftig nicht verzichten zu können. Seine Hoffnung gründet sich auf die umstrittene CCS-Technik, mit der das Kohlendioxid aufgefangen und unterirdisch gelagert werden soll. Dass die deutsche Regierung ein Gesetz, das den Energiekonzernen die CO2-Lagerung erlauben sollte, bis nach den Bundestagswahlen aufgeschoben hat, war ein dicker Strich durch Josefssons Rechnung.

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NZZ 9.7.09

Verstärkte Aufsicht für schwedisches Kernkraftwerk

Behörde übt nach Störfällen Kritik

 I. M. Stockholm, 8. Juli

 Nach einer Reihe von Störfällen hat die schwedische Strahlenschutz-Behörde (SSM) das Kernkraftwerk Ringhals am Mittwoch unter verschärfte Aufsicht gestellt. Die Anlage mit vier Reaktoren muss von nun an häufiger an die SSM berichten. Die Behörde will ihrerseits die Rapporte eingehender analysieren und hat zudem vermehrte Besuche im südlich von Göteborg gelegenen Werk angekündigt. Laut der SSM bestehen Mängel bei der Betriebsführung, bei der Steuerung der Sicherheitsmassnahmen sowie bei der Einhaltung von Vorschriften. Wie der stellvertretende Chef der Abteilung Kernkraft-Sicherheit der SSM in einer Pressemitteilung schreibt, sind seit 2005 wiederholt von der Behörde bemängelte Sicherheitsprobleme nicht behoben worden. Das Kraftwerk verfüge auf dem Papier zwar über gute Sicherheitsmassnahmen, diesen werde in der Praxis aber nicht nachgelebt.

 Die Leitung von Ringhals muss nun einerseits darlegen, weshalb man den internen Regeln nicht nachgekommen sei und weshalb die ergriffenen Sicherheitsmassnahmen die Situation nicht verbessert hätten. Anderseits muss bis zum 1. November ein neues Sicherheitskonzept erarbeitet werden, um die Mängel zu beseitigen. Zur Reihe der Störfälle in Ringhals seit 2007 gehört ein Brand in einem Transformator auf dem Gelände des Kraftwerks, der zur Abschaltung eines Reaktors führte. Kurz darauf musste einer der Meiler wegen eines Lecks heruntergefahren werden. Einmal versagte das automatische Sicherheitssystem der Anlage, und ein weiteres Mal funktionierte die Steuerung eines Reaktors nicht.