MEDIENSPIEGEL 21.7.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Vorplatz)
- G8: Brief aus dem Strasbourger Knast
----------------------
REITSCHULE
----------------------
Mi 22.07.09
19.00 Uhr - SousLePont - Basler
Spezialitäten
Do 23.07.09
22.00 Uhr - Rössli - DJ
CHRISDUB, PRINCE POLO - Deep roots dubstep
Sa 25.07.09
21.00 Uhr - Vorplatz - Madame P
(I) - Live Elektronik
So 26.07.09
19.00 Uhr - Vorplatz - BBQ@Vorplatz
Infos: www.reitschule.ch
---
kulturagenda.be
23.7.09
Madame P. in der Reitschule
Aus Luminasio bei Bologna kommt die Musiktüftlerin Madame P. Sie
verlässt sich ganz auf ihre Stimme, die sie aufnimmt,
zerstückelt und
durch die Filter ihrer mit Tasten und Reglern bestückten
Arbeitsgeräte
schickt. Die Improvisationskünstlerin mag feine Töne und
Klangschichten
und verzichtet auf Beats. Und dennoch ergeben sich durch ihre
Sample-Künste immer wieder packende Rhythmen.
Vorplatz der Reitschule, Bern. Sa., 25.7., 21 Uhr
-------------------------------------
G8 STRASBOURG 2009
-------------------------------------
Freies Sender Kombinat 17.7.09
Interview zu den Inhaftierten im Zuge der Anti-Nato-Proteste im April
09 in Straßbourg
Wir sprechen mit einer Person der Roten Hilfe Dresden über die
Situation der noch Inhaftierten in Straßbourg.
Es werden Auszüge aus einem Brief einer inhaftierten Person
vorgelesen
http://www.freie-radios.net/mp3/20090719-interviewzu-29106.mp3
---
Solidarität mit den Gefangenen von Strasbourg!
http://breakout.blogsport.de
--
http://breakout.blogsport.de/2009/07/16/ich-will-selbst-die-kontrolle-ueber-mich-und-mein-leben-haben-eindruecke-aus-dem-knast-3/#more-119
"Ich will selbst die Kontrolle über mich und mein Leben haben!” -
Eindrücke aus dem Knast
atstras am
16. Juli 2009
in Allgemein, Statement und Bericht
Wir dokumentieren hier einen persönlichen Bericht von einem
Gefangenenen im Knast in Frankreich. Er berichtet ohne Anspruch auf
Vollständigkeit, von den Haftbedingungen, wie er sie erlebt, von
der
Wirkung der Überwachung, von besonderen Erlebnissen und von der
Kraft
gegenseitiger Hilfe und Solidarität.
Gottesdienst. Ein großer Raum, "Mehrzwecksaal"genannt, ohne
Fenster und
mit grauem Stoff an der Decke, den man kaum von dem vielen Staub
unterscheiden kann. Dicke, eckige Lüftungsrohre gehen durch den
Raum,
aber den Lärm der Lüftungsanlage hat man schnell wieder
vergessen. An
den Wänden einige Stücke naiver Kunst,von Gefangenen gebaut,
gebastelt
oder gemalt - die bringen etwas Farbe in den Raum. Drei oder vier
Stuhlreihen stehen im Halbkreis um den Altar. Etwa vierzig Gefangene
sind da: Vorn links sitzen die älteren weißen Männer
aus der
sogenannten " Kinderficker- Etage", dann die Schwarzen, die Russen, die
Deutschen, die jugendlichen Elsässer. Die größte Gruppe
der Gefangenen
fehlt hier beim christlichen Gottesdienst: die überwiegend
arabischstämmigen Banlieu-Bewohner. Es ist eine der wenigen
Gelegenheiten, Gefangene aus anderen Abteilungen zu treffen. Da reicht
die Zeit vor und nach dem Gottesdienst nicht zum Quatschen - die ganze
Zeit gibt es viel Wichtigeres zu bereden, zumindest unter denen, die
sich schon extra in die letzte Reihe setzen.
Die ersten Male habe ich mich noch über die Abwechslung
gefreut: ein
neuer Raum, andere Menschen, Französisch hören und dabei was
lernen.
Aber je mehr ich verstehe und je öfter ich in dem fensterlosen
Raum mit
den Neonröhren an den Wänden sitze, desto mehr kotzt mich
alles an.
Allein schon, dass ich hier sitzen und zuhören muss. Ich
könnte ja auch
in der Zelle bleiben, aber dort verbringe ich ja schon zwanzig Stunden
am Tag.
Der Pastor sagt, das Gefängnis sei eine Probe, die Gott uns
gestellt
habe, und dass Gott uns in schweren Zeiten wie dieser am nächsten
sei.
Als wären es nicht Menschen gewesen, die uns hier hereingebracht
haben:
Vertreter der Justiz, die seit Sarkozy noch repressiver und
rassistischer ist, und überhaupt eine Gesellschaft, der nichts
Besseres
einfällt, als zehntausende Menschen wegzusperren, statt sich mit
wirklichen Problemen und Ursachen auseinander zu setzen.
Wenn ich so darüber grüble und mich ärgere, kann
ich mich richtig
hineinsteigern und tue damit sicher vielen Christen unrecht. Aber die
Rolle der Kirche hier im Knast kann ich nur als Mittel zur
Herrschaftssicherung verstehen - die Botschaft: Ihr müsst alles
hinnehmen und für eine bessere Zeit beten. Gott will es so, dass
ihr
arm seid. Hauptsache, ihr tut nichts Verbotenes, auch wenn ihr sonst
kaum Chancen habt.
Ich will selbst die Kontrolle über mich und mein Leben haben. Ich
will
weder von einer Justiz gerichtet, noch von einem Gott "auf die Probe
gestellt" werden. Aber was sind denn hier die Möglichkeiten, das
eigene
Leben in die Hand zu nehmen? Hier, wo alles kontrolliert und Bewegung
extrem eingeschränkt wird?
Hungerstreik? Führt wahrscheinlich zur Zwangsernährung
und schwächt
den Körper noch mehr, als es der Bewegungsmangel schon macht.
Sogar die
Kontrolle über den eigenen Körper könnte man dadurch
noch verlieren.
Aufstand? In einem anderen Knast haben sich die Gefangenen
neulich
geweigert, nach dem Hofgang wieder in die Zellen zu gehen. Nach wenigen
Stunden kamen die Spezialbullen von der
Knastaufstands-Bekämpfungs-Einheit "Eris" und prügelten alle
rein. Die
angeblichen Anführer wurden verlegt oder kamen in den "Bunker"
(d.h.
Einzelhaft in einem feuchten Keller für eine bestimmte Zeit).
Ausbruch?
Mauern, Zäune, NATO-Draht, Kameras, Wachtürme - so viele
Hindernisse,
dass es aussichtslos erscheint…
Der Gottesdienst ist vorbei und ich schrecke hoch aus meinen
Grübeleien. Wir quatschen noch ein bisschen, aber bald müssen
wir raus.
Auf dem Weg zurück in die Zelle gibt es vier Gittertüren zu
überwinden:
Vor jeder Tür steht man eine Weile, manchmal muss man vor einer
Kamera
herumfuchteln, bis in einer unsichtbaren Zentrale jemand auf einen
Knopf drückt und sich die Tür mit einem metallenen Knacken
entriegelt.
Auf der heimatlichen Etage wartet die Schließerin oder der
Schließer
des Tages und schließt uns ein. Am Anfang habe ich oft "Danke"
gesagt,
ohne darüber nachzudenken, als würde mir jemand aus
Freundlichkeit die
Tür aufhalten. So schnell war es "normal", eingeschlossen zu
werden.
Oder so sehr habe ich mir vielleicht eine gewisse "Normalität"
gewünscht, die sich in so kleinen Gesten ausdrückt. Auf einer
Augenhöhe
sein, sich gleichberechtigt gegenüberstehen - Tür aufhalten -
"Danke!"
Wieder in der Zelle. Zwei Menschen auf acht Quadratmetern, zwanzig
Stunden am Tag. Essen, Toilette, Sport, Lesen, Schreiben, Wäsche
waschen, Schlafen, alles auf diesen acht Quadratmetern. Zwei Meter
breit, vier Meter lang. In der Tür ist ein kleines Guckloch, in
dem
abends in regelmässigen Abständen ganz kurz das Auge eines
Schließers
auftaucht. Am anderen Ende der Zelle ist das Fenster, gross und breit,
mit doppeltem Gitter. Ein grobes Gitter, ungefähr so, wie man es
sich
vorstellt. Davor ist noch ein feineres, engmaschiges Gitter, durch das
man gerade so zwei Finger hindurchstecken kann. Wenn man zur Tür
hereinkommt, sind rechts zwei Schränke, auf der linken Seite
Waschbecken und Klo. Eine Wand aus Glassteinen schirmt die Toilette
optisch ab vom Doppelstockbett aus Metall. Zwei kleine Tische, zwei
Stühle, ein Fernseher. Mehr passt auch gar nicht in die Zelle.
Mein Mitbewohner ist nett, ich mag ihn sehr. Oft ist es
schön, zu
zweit zu sein. Gemeinsam essen, über Gott und die Welt reden, sich
austauschen über Briefe und anderes, lästern über die
Justiz oder
rumblödeln… Aber zwanzig Stunden am Tag? Nur wenn wir beide im
Bett
liegen, sehen wir uns nicht, oder wenn einer von uns auf der Toilette
sitzt. Jede Bewegung des anderen kriegt man mit. Man kann kaum
weggucken, man muss sich fast schon beobachten. Nur selten bin ich mal
allein, und nie länger als zwei Stunden. Dann merke ich erst
wieder
etwas, das ich sonst verdränge. Dass man sich des Alleinseins hier
nie
sicher sein kann. Ständig höre ich Schritte und
Schlüsselklappern auf
dem Flur oder das Klappern und Quietschen der Gittertür, die zum
Treppenhaus führt. Unvermittelt steht ein Schließer in der
Zelle, um
das Gitter zu kontrollieren oder Briefe zu bringen. Man kann einen
Zettel mit der Aufschrift "Toilette" unter der Tür
hindurchschieben,
dann kommt erst mal niemand rein, oder klopft wenigstens.
Natürlich denke ich über die Überwachung und
Kontrolle nicht die ganze
Zeit nach. Ich vergesse es einfach, verdränge es, es ist Alltag
geworden, "Normalität" Es fühlt sich dann auch nicht
besonders schlimm
an, hier zu sein. Wahrscheinlich ist die Verdrängung ein wichtiger
Selbstschutz - würde ich immer an die Überwachung denken,
wäre ich
vielleicht schon verrückt geworden.
Wie viele andere Menschen, die in Zwangsverhältnissen stecken,
tröste
auch ich mich damit, dass alles noch viel schlimmer sein könnte.
Das
stimmt ja auch, immerhin haben wir genug zu essen, ein Dach über
dem
Kopf, es ist mehr oder minder sauber, es gibt ein paar
Aktivitäten, wie
Sport und Schule,… Vielen Menschen auf der Welt geht es weitaus
beschissener auch außerhalb von Knästen. Aber das ist
natürlich kein
Grund, sich mit schlechten Verhältnissen abzufinden.
Mit die schönsten Dinge sind die Briefe. Manchmal mit Bildern und
Fotos, aber vor allem mit Geschichten, mit Infos, mit Fragen, oft voll
Rückhalt, Vertrauen, Liebe. Das hilft sehr, genauso das Antworten.
Zum
Glück habe ich viele schöne Erinnerungen, viele Menschen, an
die ich
gern denke. Ideen für die Zukunft. Bücher und Zeitschriften
sind auch
sehr wichtig für mich: viele Anregungen und Ideen zum
"Weltverändern",
Bücher, die ich schon lange lesen wollte, und ein Thema, das erst
hier
interessant geworden ist: das Wegsperren von Menschen.
Ein Knacken im Lautsprecher über der Tür: "Für den
Hofgang bitte Knopf
drücken!" Manchmal ist die Stimme kaum zu verstehen, aber es gibt
kaum
andere Durchsagen. Einer von uns beiden springt auf und drückt auf
den
Knopf, draußen über der Tür geht eine rote Lampe an.
Wir machen uns
schnell fertig: Man weiß nicht, wie schnell sie kommen. Oft
sitzen wir
noch lange herum, bevor es wirklich los geht. Auf dem Flur müssen
wir
neben den Türen an der Wand warten. Nach ein paar Minuten
heißt es
"Los!". Händeschütteln auf dem Gang mit Freunden und
Bekannten: "Hallo,
wie geht`s?"- "Geht so. Und dir?"- "Ja, wie immer halt. Normal."… Es
geht in der Meute die Treppe hinunter, gefolgt von den Wächtern.
Unten
durch einen Metalldetektor und ins Freie. Zwischen Mauern mit
Stacheldraht gehen wir durch einen Gang zu den Höfen. Links ist
"unser"
Hof. Wenn alle drin sind, wird die Tür abgeschlossen - erst nach
etwa
anderthalb Stunden geht sie wieder auf. Unser Hof hat eine Wiese, noch
ist sie grün. Eine Runde auf dem Schotter dauert ungefähr
hundertfünfzig Schritte: Fünfzig, fünfundzwanzig,
fünfzig,
fünfundzwanzig, dann wiederholt es sich. An der Seite steht ein
Blechdach zum Schutz vor Sonne und Regen, gestützt auf
Betonsäulen. Ein
Wasserhahn an der Wand tropft immer.
Auf dem Weg zum Gulli ist etwas entstanden, das wir unser
Feuchtbiotop
nennen. Immerhin eine kleine Abwechslung: einmal pro Runde der Schritt
über den kleinen Wasserlauf. Zeitungen fliegen umher oder
vermodern
langsam im Wasser. Mülleimer gibt es nicht.
Die Betonmauer rund um den Hof ist etwas über zwei Meter
hoch, darauf
sind noch mal knapp zwei Meter Zaun, mit einem Überhang zu unserer
Seite. An diesem Überhang hängt sogenannter NATO-Draht, das
sind
Stacheldrahtrollen von etwa achtzig Zentimetern Durchmesser. Die
Metallbänder darin stehen unter Spannung und sind besetzt mit
kleinen
Klingen und Widerhaken.
Auf drei Seiten überragt das Hauptgebäude des Knastes
die Mauern. Ein
fünfstockiger Betonklotz in Plattenbauweise, der vom Hof wie eine
Festung aussieht. Über der Mauer an der vierten Seite des Hofes
thront
ein Wachturm. Oft klettern Gefangene soweit an der Mauer hoch, dass sie
auf einen der anderen Höfe hinübergucken und -brüllen
können. Der
Wächter im Turm ignoriert das meistens, aber manchmal wird
derjenige
auch rausgeholt. Über den Höfen sind Drahtseile gespannt, um
Befreiungen per Hubschrauber zu erschweren.
Manchmal ist es schön, den Himmel zu betrachten: vorbeiziehende
Wolken,
Sonne, ein paar Vögel. Wenn es mal regnet, dann ist das auch ein
richtiges Erlebnis. Irgendwie eine Art Beweis dafür, dass wir noch
auf
der Welt sind. Wenn ich die Regentropfen spüre, merke ich, dass
dieses
seltsame Raumschiff, dieser von der Außenwelt abgeschnittene
Knastkomplex, doch auf der Erde steht…
Wenn ich auf dem Hof herumgehe, kommt es mir vor, als wäre
ich in ein
Zeitloch gefallen, als ich hierherkam. Die ersten Tage vor drei Monaten
scheinen eine Ewigkeit her zu sein. Andererseits hat sich seitdem kaum
etwas geändert. Was passiert ist, das Wenige, das aus dem Alltag
herausragt, lässt sich kaum zuordnen: Es könnte gestern
gewesen sein,
letzte Woche oder vor einem Monat. Und auch morgen, nächste Woche
oder
nächsten Monat wird nicht viel anderes passieren. Die einzelnen
Tage
vergehen meistens schnell, schnell ist auch wieder eine Woche um. Aber
es ist nur eine von vielen, die schon vorbei sind und die noch kommen.
Auf dem Hof sind mal zwanzig Gefangene, mal vierzig. Sie stehen herum,
rauchen, quatschen, sitzen unterm Blechdach oder auf der Wiese, spielen
Schach oder Karten oder gehen im Kreis, die hundertfünfzig
Schritte
weit, immer rechts herum. Selten geht jemand in die andere Richtung,
und auch nur, wenn nicht so viele andere unterwegs sind, damit man sich
nicht
ständig ausweichen muss.
Eine Gruppe, die in der Ecke stand, hat mich einmal darauf
angesprochen: "Hier geht man so lang rum, du gehst falsch rum",
erklärten sie mir. Ich konnte es kaum glauben. "Das ist gut
für den
Kopf, mal was anderes zu machen", versuchte ich zu erklären.
Weiß aber
nicht, ob sie es verstanden haben.
Plötzlich ist es mitten am Nachmittag ganz dunkel geworden in
unserem
Zimmer (so nenne ich die Zelle oft, um es mir selber schön zu
reden).
Wir sind im obersten Stockwerk und durch das Gitter kommt eigentlich
eine Menge Licht. Aber diesmal ist es plötzlich dunkel. Riesige
schwarze Wolken sind aufgezogen und mit einem Mal platzen sie. Der
Regen prasselt auf den Hof und wird an die Mauern gepeitscht, es blitzt
und donnert. Wir drücken die Nasen gegen das Gitter, um das
Spektakel
zu beobachten. Hunderte Zellenfenster schauen von drei Seiten auf den
gleichen Hof. Jedes Fenster liegt in einer Art Nische - das lässt
die
Fassade so aussehen wie eine riesige Bienenwabe aus Beton. Durch diese
Architektur sind die Fenster voneinander getrennt und man muss sehr
laut brüllen, um sich von Fenster zu Fenster zu verständigen
zu können.
Die Stimmen werden vom Echo verzerrt und erzeugen eine ganz eigenartige
Atmosphäre. An diesem Nachmittag platzt nicht nur der Himmel und
ein
gewaltiges Gewitter bricht los. Es erhebt sich auch ein wildes Heulen
aus dutzenden Kehlen, das immer stärker wird, immer mehr Gefangene
steigen mit ein. Manche klingen wie Hirsche, Bären oder
Wölfe, andere
schreien "Ajajaj!", oder man kann sie einfach nicht beschreiben.
Unter anderen Umständen hätte ich vielleicht peinlich
berührt beiseite
geguckt, wenn ich jemanden so schreien gehört hätte. Aber
diesmal würde
ich am liebsten selber schreien, anschreien gegen das Gewitter und
gegen den Knast. So vieles klingt da mit in diesem Gebrüll:
Verzweiflung; Wut; Lust am Leben; der Wunsch, sich frei bewegen zu
können; der Hass auf den Knast, auf die Justiz und auf alles, was
uns
hierher gebracht hat. Die Sehnsucht nach Menschen, die wir nicht sehen
dürfen.
Vor allem spüre ich eine Verbundenheit. So ein Gefühl,
mit all den
anderen, die da schreien oder nur stumm lauschen, im selben Boot zu
sitzen, das gleiche Schicksal zu teilen, Ähnliches zu fühlen.
Der Regen
prasselt und schlägt gegen die Mauern, Blitze zucken, Donner
rollen,
die Stimmen überschlagen sich, Menschen trommeln an die Gitter
oder
hämmern auf die Heizungsrohre…
Ein paar Freunde, mit denen man über fast alles reden kann, sind
echt
was wert, gerade hier im Knast. Immer dieselbe Handvoll Menschen kann
einem auch mal auf den Keks gehen, das ist ja kein Wunder. Aber ohne
Freunde hier wäre es schlimm, ich will es mir gar nicht
vorstellen. Wir
quatschen viel, machen zynische Witze über die Justiz und tauschen
Neuigkeiten aus, spielen Doppelkopf, führen Smalltalk mit anderen
Gefangenen und geben uns Süßigkeiten oder Briefmarken
weiter. Manchmal
reden wir auch über Pläne für die Zukunft, das macht
Freude: Reisen, in
die Berge oder ans Meer. Freundinnen und Freunde wiedertreffen. Durch
die Stadt oder durch den Wald spazieren und immer weitergehen
können -
ohne Mauern, ohne Stacheldrahtrollen. Auch grössere Pläne
kommen vor:
Wie kann der Weg in eine Gesellschaft aussehen, in der Knäste
überflüssig sind? In der Menschen ihre Interessen und
Fähigkeiten
ausleben und einbringen können und die Bedürfnisse von allen
bestmöglich befriedigt werden? Eine Gesellschaft, in der Menschen
ihr
Leben selbst gestalten und mitbestimmen können, was um sie herum
passiert? …
Einiges hätte ich noch zu erzählen, zum Beispiel vom ersten
Mal auf dem
Sportplatz, nach knapp einem Monat im Knast: weiter Blick, weiter
Himmel, der mönströse Knastkomplex hundert Meter weit weg, am
Rand
Blumen und hohes Gras…
Oder von der Zwiespältigkeit der Besuche könnte ich
erzählen: Freude
und Aufregung, Verbindung nach draußen, Kraft und Mut, aber auch
viel
Sehnsucht, hinterher, wenn mir alles dort draußen noch weiter weg
vorkommt, was für zwei Stunden plötzlich so nah war.
Wenn ich noch einmal lese, was ich geschrieben habe, merke ich, wie
viel fehlt. Es ist ja auch klar, dass sich monatelanges Knastleben
nicht auf wenigen Seiten vollständig beschreiben lässt. Meine
Stimmung
geht auf und ab und dabei ändern sich auch meine Gedanken und
Einschätzungen. Mehr als ein paar kleine Einblicke in mein
persönliches
Erleben kann ich hier nicht geben. Vor allem bin ich mir nicht sicher,
ob deutlich wird, wie wichtig gegenseitige Hilfe und Vertrauen sind und
die Solidarität untereinander und von außen. Es ist gut und
wichtig zu
wissen, das ich hier nicht vergessen werde, das wir nicht allein sind.
So unterstützt kann man schon einiges durchstehen.
Neulich beim Hofgang war da mal ein bunter Haufen Leute auf einem
Dach
gleich hinter der Knastmauer. Sie haben gewunken und gerufen, ein
Transparent ausgerollt und Sprechchöre gebrüllt - es war
Wahnsinn. Ich
wusste gar nicht, was ich machen sollte, außer ein bisschen
winken. Da
waren plötzlich Menschen von draußen, gar nicht weit weg von
uns und
von allen drei Höfen auf dieser Seite des Knastes gut zu sehen.
Auf dem
Hof gerieten alle in Aufregung, brüllten herum und versuchten, das
Transparent zu entziffern. Nach einer Viertelstunde war der Spuk schon
wieder vorbei, die Leute auf dem Dach winkten ein letztes Mal und
gingen nach Hause. Aber die Erinnerung daran ist noch lebendig.
Autor: anonym
Übersetzung: anonym