MEDIENSPIEGEL 13.8.09
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Bald Junkie-Kartei?
- Widerstand gegen Internetüberwachung
- WoZ-Inti mit Tierbefreiung-AktivistInnen

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REITSCHULE
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So 16.08.09
19.00 Uhr - Vorplatz - BBQ

Di 18.08.09
22.00 Uhr - Hofkino - BROTHER, WHERE ART THOU?, Joel Coen, USA 2000, 106min, DVD, OV/d

Infos: www.reitschule.ch

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JUNKIE-KARTEI
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20min.ch 12.8.09

Für jeden Junkie eine Fiche

Drögeler-Datenbank soll Elend mildern

von Patrick Marbach

Die Berner Kantonsregierung will eine Drögeler-Datenbank einrichten, damit man für jeden Süchtigen die richtigen Massnahmen ergreifen kann.

"Die linke Hand weiss nicht, was die rechte tut - die Suchthilfe verläuft zu wenig koordiniert", sagt die Betriebsleiterin der heroingestützten Behandlung Koda, Barbara Mühlheim (Grüne). Dass die Berner Drogenanlaufstelle chronisch überlastet sei, obwohl die Zahl der Süchtigen in der Schweiz ständig sinke, liege am fehlenden Informationsaustausch aller beteiligten Stellen. So haben Untersuchungen gezeigt, dass 60 Prozent der Nutzer von Anlaufstellen in einer Methadonbehandlung sind.

"Damit es nicht zu solchen Doppelspurigkeiten kommt, brauchen wir ein so genanntes Case-Management", fordert Mühlheim. Der Regierungsrat gibt der Grossrätin Recht: Er will eine Datenbank aufbauen, in der alle Schwerstabhängigen erfasst sind. Mit den gespeicherten Angaben könnte man etwa für Süchtige, die im öffentlichen Raum stören, die richtige Kombination von Massnahmen anordnen. Auch ein Informationsaustausch mit der Polizei ist vorgesehen. Neben dem Segen des Kantonsparlaments brauche es dafür klare Spielregeln, sagt Mühlheim: "Das Gesetz muss festlegen, welche Daten für wen zugänglich sind."

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BIG BROTHER INTERNET
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Woz 13.8.09

Internetüberwachung - Der Widerstand beginnt sich zu organisieren.

Böses Erwachen

"Man lernt ja immer mal wieder was dazu", war am 20. Juli 2009 im Journalistenschredder, einem schweizerischen Blog, zu lesen: "Es gibt in diesem Land so etwas wie dringliche Vernehmlassungen, so dringliche sogar, dass man sie möglichst schnell an der Öffentlichkeit vorbeischleusen möchte."

Die Schweizer Internetszene ist aufgeschreckt: Mitte Juli hatte die WOZ über vertrauliche Papiere berichtet, die der Dienst Überwachung Post- und Fernmeldeverkehr (Üpf) in Bundesrätin Widmer-Schlumpfs Justizministerium den Internet-Providern zur Stellungnahme vorgelegt hatte. Die neue "IP-Richtlinie" verpflichtet die Anbieter, im Falle eines Strafverfahrens und einer richterlichen Anordnung die gesamte Internetnutzung ihrer KundInnen offenzulegen. Von der "Echtzeit-Überwachung der kompletten Kommunikation des Breitband-Internetanschlusses" war die Rede. Innerhalb von drei Wochen sollten sich die Provider zum Projekt äussern, das vor allem die kleinen und mittleren zu kaum tragbaren Inves­titionen zwingt.

Die Richtlinie trat am 1. August in Kraft. "Die Vernehmlassung war nur ein Fake, denn ändern konnte man nichts mehr", sagt Fredy Künzler vom Zürcher Provider Init7. Der WOZ-Bericht hat jedoch eine breite Diskussion in Blogs und Internetforen ausgelöst. Innerhalb kürzester Zeit fanden sich die auf der Webseite der WOZ publizierten "vertraulichen" Papiere auch auf diversen anderen Websites. Die Swiss Network Operators Group (Swinog) will sich an ihrer nächsten Tagung im September mit dem Thema befassen.

Zwei neue Facebook-Gruppen mit derzeit 850 respektive 680 Mitgliedern zeugen davon, dass nicht nur die Provider, sondern auch die NutzerInnen um ihre Rechte besorgt sind. Bruno Bucher, der eine der Gruppen gegründet hat, sieht sich an den Fichenskandal Anfang der neunziger Jahre erinnert und hofft, dass sich die damalige Opposition auch jetzt wieder rührt. "Die Leute kommen aus allen möglichen Ecken. Da ist die ­Internetszene. Da gibt es linke Leute, aber auch SVP-Mitglieder, die sich gegen die Internetüberwachung wehren wollen." Bucher und Künzler erwarten nun, dass die Internetüberwachung auch im Parlament zu Vorstössen führt.

Gedämpft wurden die Hoffnungen auf einen schnellen Erfolg des Protests durch eine Mitteilung eines Mitarbeiters des Datenschutzbeauftragten, der darauf hingewiesen hatte, dass die rechtlichen Grundlagen für die Internetüberwachung seit 2002 vorhanden seien. Das Bundesgesetz über die Post- und Fernmeldeüberwachung (Büpf) betreffe nicht nur den Telefonverkehr, sondern auch das Internet. "Es kommt mir so vor, als erwache die Gesellschaft aus dem Anti-Terror-Schlaf wie Dornröschen", lautet ein Kommentar auf blogg.ch. Heiner Busch

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TIERBEFREIUNG
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Woz 13.8.09

Tierrechte

Sind wir alle Vasella?

Zuerst die Grabschändung, dann ein Brandanschlag auf sein Jagdhaus: Die Angriffe von TierrechtsaktivistInnen auf Novartis-Chef Daniel Vasella sorgen für Empörung. Die schwere Brandstiftung am Jagdhaus des Big Boss der Schweizer Pharmaindustrie, der in den letzten zwei Jahren 65 Millionen Franken verdiente, wird von den Medien als Terrorismus eingestuft, als Angriff auf uns alle.

Die WOZ sprach mit jungen TierrechtlerInnen und fragte sie nach ihren Motiven, ihren Aktionen und danach, was Grabschändung mit propagierter "direkter Aktion" zu tun hat. Die WOZ blickte zudem in ein Tierversuchslabor, spürte im Internet genmanipulierte Tiere auf und erklärt, warum "wir alle" trotzdem nicht Vasella sind.

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Tierbefreiung - Die WOZ im Gespräch mit radikalen Schweizer TierrechtsaktivistInnen: Was sie von den Anschlägen auf Daniel Vasella halten, warum sie gegen Tierschutz sind und weshalb sie sich in anarchistischer Tradition sehen.

Seid ihr Tierli-TerroristInnen?

Von Dinu Gautier

Über die radikale Tierrechtsszene sind seit den Anschlägen auf Novartis-Chef Daniel Vasella am 3. August Dutzende Artikel erschienen. Zu Wort kamen unter anderen: Vasella selbst, ein Novartis-Pressesprecher, der Arbeitgeberpräsident, die Tierversuchsfirma Huntingdon Life Sciences, der Chef des Inlandgeheimdienstes, verschiedene Polizeisprecher, etablierte Tierschutzorganisationen, ein Bundesrat, diverse PolitikerInnen, ein Terrorismusexperte, ein Ethiksachverständiger. Mit Ausnahme eines Kurzinterviews in der Gratiszeitung "20 Minuten" jedoch keine radikalen TierrechtsaktivistInnen.

Die WOZ hat mit fünf von ihnen gesprochen. Sie alle haben schon an Aktionen der Kampagne "Stop Huntingdon Animal Cruelty" (Shac) teilgenommen, die der Anschläge auf Vasellas Familiengrab und auf sein Jagdhaus in Öster reich verdächtigt wird. Sie alle sind VeganerInnen, und sie alle haben versucht, dem "fleischfressenden" Reporter ihre Weltanschauung näherzubringen.

Das erste Treffen findet in einem alternativen Restaurant in einer Deutschschweizer Stadt statt. Die Studentinnen Lisa und Monika* möchten angesichts der derzeitigen "medialen Hetze" nicht erkannt werden. Auch ihr Wohnort soll nicht in der Zeitung stehen. "Wir selber sind zwar nur legal aktiv, trotzdem könnte an uns ein Exempel statuiert werden", so die 23-jährige Monika. Das könne man im Ausland beobachten, etwa in England oder Österreich, wo aus Tierrechtsbewegungen plötzlich kriminelle oder terroristische Organisationen konstruiert würden. Plötzlich reiche es dann, eine Website zu betreiben, um für mehrere Jahre ins Gefängnis zu wandern. Bei zu terroristischen Organisationen erklärten Gruppen wird nämlich bereits die Mitgliedschaft an sich hart bestraft. Bereits fordern die Pharmaindustrie und einzelne Politiker in der Schweiz, dass militante Tierrechtsgruppen auf die Liste der terroristischen Organisationen gesetzt werden.

Selbstverteidigung ist legitim

Als Veganerinnen konsumieren Lisa und Monika keine tierischen Produkte und keine Produkte, die an Tieren getestet worden sind. Das Halten von Tieren, etwa von Milchkühen, bezeichnen sie als Sklaverei, das Schlachten von Tieren als Mord. "Auch ohne Tierprodukte kann man gut leben", sagt Monika. "Es ist weniger aufwendig, als man denkt. Ich lebe seit vier Jahren vegan, ohne dass ich etwas vermissen würde."

Lisa (23): "Ich bin Anarchistin, habe früher 1.-Mai- und Anti-Wef-Demos mitorganisiert." Sie interpretiert das anarchistische Prinzip der Herrschaftsfreiheit radikal, das heisst, es soll nicht nur für Menschen untereinander gelten. "Neben Antirassismus, Antifaschismus oder Antisexismus betonen wir den Antispeziesismus, also die Ablehnung der Herrschaft des Menschen über das Tier", so Monika. Der Unterschied zwischen Mensch und Tier sei konstruiert, das Säugetier Mensch legitimiere so die Ausbeutung anderer Spezies.

Den beiden ist ihre radikale Einstellung nicht anzusehen, keine Aufnäher am Ärmel, keine schwarzen Kapuzenpullis - sie entsprechen optisch nicht den verbreiteten Klischees. Ihre Antworten und Argumente kommen rasch, manchmal bevor man die Frage zu Ende formuliert hat. Man merkt, dass sie sich und gegenüber ihrem Umfeld im Alltag wie auch als Aktivistinnen auf der Strasse oft erklären müssen. "Es ist kein Fall von Ausbeutung, sondern von Selbstverteidigung der Menschen, also legitim", antwortet Lisa etwa auf die Frage, ob sie auch die Bekämpfung von Malaria und das damit verbundene Töten von Mücken ablehne.

Lisa und Monika bezeichnen sich als Tierrechtlerinnen. "Ja nicht mit Tierschützerinnen verwechseln", wirft Monika ein. "Tierschützer wollen, dass die Ausbeutung der Tiere schöner aussieht. Sie sind Teil des Problems, ein Feigenblatt." Lisa: "Tierschützer sind für grössere Käfige. Wir sind gegen Käfige."

Die beiden betonen ihre Solidarität mit "herkömmlichen emanzipatorischen Kämpfen", bewegen sich aber am liebsten im kleinen, vegan lebenden Teil der autonomen Szene. "Wir sind nicht eine eigentliche Gruppe, sondern ein paar Freunde, die etwa regelmässig zusammen kochen." Ab und zu, nach Lust und Laune, werden sie auch aktiv, führen Strassentheater gegen Tierversuche in der Innenstadt auf oder verteilen Flugblätter gegen Tierversuche vor Novartis-Niederlassungen.

Die abgebrannte Jagdhütte

Novartis? Sind die beiden Teil der englischen Tierrechtsgruppe Shac? Lisa: "Shac ist keine Gruppe, sondern eine Kampagne, die von einer heterogenen Bewegung getragen wird." Jeder könne im Rahmen dieser Kampagne völlig autonom Aktionen organisieren, sagt Monika. "Die Medien suggerieren, dass das alles zentral organisiert werde, inklusive der militanten Aktionen." Nun werde die ganze Bewegung in einen Topf geworfen und kollektiv des Terrorismus bezichtigt.

"Wir distanzieren uns nicht von diesen Aktionen gegen Vasella", sagt Lisa. Man könne andere Aktionsformen respektieren, auch wenn man diese selber nicht anwende - solange gewisse Grundprinzipien eingehalten würden. Welche Grundprinzipien? "Lebewesen dürfen nie an Leib und Leben gefährdet werden, Sachbeschädigungen hingegen sind legitim." Im Fall von Vasellas Jagdhaus sogar sehr erwünscht: "Eine abgebrannte Jagdhütte bedeutet weniger Jagd und somit weniger ermordete Wildtiere." Das sei ein gutes Beispiel für eine direkte Aktion.

Der Frage, was ausgegrabene Urnen mit direkter Aktion zu tun hätten, weichen die beiden aus. Ist das nicht schlicht und einfach menschenverachtender Psychoterror? Sie verweisen auf die Tausenden von Tieren, die täglich unnötigerweise bei Tierversuchen sterben würden. Im Vergleich dazu sei das "Ausgraben eines Metallbehälters aus dem Boden objektiv gesehen ein Klacks", so Monika.

Und Morddrohungen? "Das geht nicht. Wer mit Mord droht, zeigt seinerseits keinen Respekt vor anderem Leben, ein Widerspruch."

Was Aktionsformen angehe, so könne man es aus der Sicht der Gesellschaft eh nur schlecht machen. "Wenn du legale Aktionen machst wie wir, dann wirst du ignoriert - wenn Illegales passiert, dann wird gehetzt."

Ob sie eine Ahnung haben, wer hinter den Anschlägen stecken könnte? "Nein, keinen Schimmer. Und ich möchte es auch nicht wissen", sagt Monika.

"Gewalt ist nicht vegan"

In einer anderen Stadt kommt am Tag darauf ein Treffen mit drei weiteren TierrechtlerInnen zustande. Auch sie bezeichnen sich als AnarchistInnen. Esther, Mario und Till beteiligen sich regelmässig an der Kampagne "Aktion Zirkus ohne Tiere" (Azot), die seit 2006 läuft. Esther: "Wir legen das Augenmerk auf den Circus Knie, weil er als Nationalzirkus eine grosse Ausstrahlung hat und viele Tiere hält." Auch hier: Es geht den AktivistInnen nicht um Tierschutz - Knie wird von Tierschutzverbänden als vorbildlich gelobt -, sondern darum, dass Tiere nicht mehr als Objekte, nicht mehr als Eigentum der Menschen angeschaut werden. "Und jedem Kind leuchtet ein, dass ein Elefant lieber durch die Savanne zieht, als auf Betonboden Kunststücke aufzuführen, mag er noch so gut ernährt werden", sagt Esther. Die Methoden der Kampagne? "Wir verteilen vor dem Zirkuszelt Flugblätter und beteiligen uns mehrmals jährlich an Demonstrationen", sagt der 22-jährige Till. Die bewilligten Demos seien zwar stets friedlich und würden auch nicht von direkten Aktionen begleitet, dennoch sei die Polizeipräsenz meistens massiv. Mario (27): "Wir haben schon Rayonverbote kassiert wegen des Verteilens von Flugblättern - wir würden weder reli giöse noch politische Anliegen vertreten, so die Begründung der Polizei."

Demonstrationen im Rahmen der Shac-Kampagne, an denen die drei teilgenommen haben, seien auch friedlich verlaufen. "Dafür waren sie laut, sogenannte Schreidemos - man muss ja auch wahrgenommen werden als kleine Demo von fünf bis dreissig Leuten."

Waren an diesen Aktionen eingeflogene AusländerInnen oder gar extra angeheuerte StudentInnen dabei, wie einige Medien berichteten? "Das sind Falschmeldungen", so Mario. Die Grösse der schweizerischen Tierrechtsbewegung, so stellt sich nach reger Diskussion am Tisch heraus, sei schwierig zu bestimmen. "Vielleicht ein paar Hundert in der Schweiz?", fragt Esther. Neben den Anarcho-VeganerInnen gebe es auch aktivistische bürgerliche Veganer Innen. Manche TierrechtlerInnen seien untereinander vernetzt, andere kaum. Der Frauenanteil sei jedenfalls deutlich höher als in anderen emanzipatorischen Bewegungen, er übersteige die Fünfzigprozentmarke.

Im Gegensatz zu Lisa und Monika distanzieren sich die drei von den Anschlägen auf Daniel Vasella. Esther: "Gewalt ist nicht vegan - wenn jemandem Todesangst eingejagt wird, ist das eine klare Gewaltanwendung." Ist da Mitleid rauszuhören? "Das wäre übertrieben." Und sie könne auch nachvollziehen, wie es zu solchen Aktionen kommen könne, wenn man nie gehört werde, wenn die Ohnmacht überhandnehme und man nur noch in massiveren Mitteln einen Ausweg zu sehen glaube. Till: "Als Sozialrevolutionär kannst du nicht einfach eine Bank abfackeln und meinen, am nächsten Tag gebe es weniger Ausbeutung. Aber die Tierrechts thematik eignet sich für direkte Aktio nen. Schliesst ein Schlachthof, werden dort keine Tiere mehr geschlachtet."


* Alle Namen der TierrechtsaktivistInnen wurden geändert.

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IM TIERLABOR-Diabetesmäuse für hundert Euro das Stück, Kastration für sechzehn Euro extra und Kadaverberge aus Beagles: ein Trip in die Welt der Tierversuche.

Hybridratten per Mausklick

Von Daniel Ryser

Ausgerechnet jetzt macht der Beagle schlapp! Die Schweinegrippe droht, zack, zack muss ein Impfstoff her für dich und mich, und dann klappen die se Köter in einem Labor einfach zusammen. Das sagt die Person am Telefon. Spritze rein, üble Nebenwirkung, Beagle kollabiert. Jetzt stellt sich die Frage: Ist der Beagle zu schwach oder der Impfstoff zu stark? Und die elementare Frage - wie so oft bei diesem Tierversuchszeug: Ist die Nebenwirkung auf den Menschen übertragbar?

Verdammter Beagle! Am Beagle ist sonst nämlich nichts auszusetzen - normalerweise, in Sachen Tierversuche: höchste Nützlichkeitsstufe! Lieb, vertrauenswürdig, kläfft nicht rum, hält schön still beim Spritzen, verträgt sich gut in der Gruppe, erholt sich schnell von Strapazen. Trotzdem: Kadaverberge aus Beagles! Denn auf dem Müll beziehungsweise in der Verbrennungsanlage, enden Versuchstiere meistens. Zwangskastrierte, infizierte, mutierte Tiere, etwa eine Alzheimermaus oder eine Krebsratte oder ein Beagle mit künstlichem Hüftgelenk und ohne Milz; entlassen in die Freiheit: Chaos! Und einen mit HIV infizierten Affen bringst du besser auch nicht in den Zürcher Zoo. Der beisst ein Kind, das hat dann HIV - grosser Ärger! "Darum geht es in der Industrie bei Tierversuchen auch: versicherungstechnisch Ärger vermeiden", sagt mein Informant, der in einem Tierversuchslabor arbeitete. "Universitäten beschäftigen sich oft mit Verhaltensforschung, Grundlagenforschung. Aber in der Industrie: Kein Problem, wenn wir für ein Medikament fünfhundert Mäuse oder zwanzig Beagles verbrennen. Kein Problem, wenn wir für ein neues Parfum hundert Hasen die Augen verätzen. Entscheidend ist, dass kein Mensch an einem Medikament erkrankt oder stirbt. Sonst kannst du den Laden zumachen." Wenn du also gegen Tierversuche bist und dich demnächst trotzdem gegen die Schweinegrippe impfen lässt: Denk an die Beagles!

9,240 kg Rindfleisch

Als Fleischesser macht mir diese Geschichte zu schaffen. Da ist man - wer nicht? - gegen Tierversuche. Und dann doch immer auf Aspirin und so weiter. Und 2008, als ich für 42 Tage New York besuchte, habe ich täglich einen Hamburger gegessen, 220 Gramm pro Stück, macht dann insgesamt 9,240 kg Rindfleisch. Trotzdem die Überraschung: Als sie vor zwei Wochen Daniel Vasella, dem Pharmakönig aus Basel, den österreichischen Landsitz abgefackelt haben, mochte ich mich doch nicht so richtig identifizieren mit den Durchhalte parolen in der Presse, wir alle seien von diesem Anschlag betroffen, da es sich hier nicht um Brandstiftung handle, sondern um einen Anschlag gegen die politische Ordnung, quasi Terrorismus. Das hat womöglich damit zu tun, dass wir eine Finanzkrise haben, alle von Abzockern reden und der Pharmakönig just im Jahr eins der Krise 21 Millionen Franken verdient hat (2007: 44 Millionen), 720-mal mehr als der schlechtestbezahlte Angestellte in seinem eigenen Unternehmen. Fördert ja auch nicht gerade das Wirgefühl, eine solche Zahl.

Das Gut zum Jagdhaus hat Vasella von der C&A-Besitzerfamilie Brenninkmeijer übernommen. Es hat eine Fläche von 5000 Hektaren. Das sind 8500 Fussballfelder. Es ist die halbe Fläche des Stadtgebietes von Paris. Ein grosses Tier braucht viel Auslauf. Weniger Auslauf haben die kleinen Tiere in den Versuchslabors von Novartis, etwa in Singapur, einem Land, wo Tierschutzgesetze so verbindlich sind wie Menschenrechte in Tschetschenien. Oder im Labor Covance in Münster, dem Tierrechtsaktivisten immer wieder Folter an Affen vorwerfen und von dem Novartis laut Erwin Kessler, dem Präsidenten des Vereins gegen Tierfabriken (VgT), Kunde sei.

Auf einem Gleitschirmlandeplatz in der Nähe des Landguts erhält Vasella die Sonderlandegenehmigungen für seinen Helikopter. Ist ja dann gleich hingeflogen, als er die Schreckensmeldung erhalten hat. Manchmal schüttelt er, sozial engagiert, in Tansania Leprakranken die Hand. Gefragt, warum er so viel verdiene und die Menschen hier verhungern, sagte der 44-Millionen-Franken-Mann kürzlich: "Da sind wir natürlich bei den Geheimnissen Gottes. Und die sollte man nicht ergründen wollen. Die muss man als Geheimnis akzeptieren." Oder: "Wir müssen akzeptieren, dass jemand zufrieden ist, wo wir das für unvorstellbar halten. Glück hängt nicht nur vom Kühlschrank, von einem Auto, einem TV oder einer Luxuswohnung ab." Womöglich auch von einer Ethikkommission. Denn einerseits war die Brandstiftung in Österreich ja Terrorismus, wie wir nun wissen; und andererseits werden Tierversuche heute nach höchsten ethischen und humanen Standards vollzogen.

Da aber lacht nun die Frau am anderen Ende der Leitung. "Kompletter Schwachsinn, was da über Ethik geschrieben wurde", sagt sie. Die Frau ist Deutsche und heisst Julika Fitzi. Die Tierärztin leitet die Fachstelle Tierversuche und Gentechnologie beim Schweizer Tierschutz (STS). Sie sagt: "Die Eidgenössische Kommission für Tierversuche beschäftigt sich mit allgemeinen Themen, gibt Empfehlungen ab. Die kantonalen Kommissionen, wenn es sie denn in den einzelnen Kantonen überhaupt gibt, sind in der Regel nicht angemessen mit Vertretern des Tierschutzes besetzt. Sie unterstehen strengstem Amtsgeheimnis und dürfen sich nicht mit anderen austauschen. Bedenken Sie: Die Forscher stehen unter wirtschaftlichen Druck. Ein nicht gestatteter Versuch ist verlorenes Geld. Von 882 im Jahr 2008 gestellten Gesuchen wurden denn auch bloss drei abgelehnt. Insgesamt liefen 2008 3325 Tierversuche mit über 700 000 Tieren. Die Schweiz ist ein Mekka für Tierversuche. Die Zahlen sind im Vergleich mit anderen Ländern hoch. Und die Zahl der Versuche steigt jährlich. Das wird damit begründet, dass wir eine grosse Pharmaindustrie haben. In Wirklichkeit ist vor allem die Bewilligungspraxis zu lasch. Wir haben zudem nur wenig finanzielle Unterstützung für alternative Forschungsmethoden. Wir haben zwar ein strenges Tierschutzgesetz, aber die Tierversuche sind dort explizit ausgeklammert."

Sprich: Dem Tier Leid zufügen ist normalerweise strafbar, ausser in der Forschung. Dort ist es erlaubt, wenn Leid, Schmerz und Angst einem Zweck dienen. So steht es im Gesetz. Tierversuche sind dabei in Schweregrade eingeteilt. 0: "Blutentnahme für diagnostische Zwecke". 1: "Injizieren eines Arzneimittels unter Anwendung von Zwangsmassnahmen; Kastration von männlichen Tieren unter Narkose". 2: "Operatives Behandeln; Kastration weiblicher Tiere." 3: "Tödlich verlaufende Infektions- oder Krebskrankheiten, ohne vorzeitige Euthanasie".

Die Versuchstierhaltung ist laut Julika Fitzi immer ein Problem. Nach dem Tierschutzgesetz sind etwa Affen Wildtiere, die grosse Gehege benötigen. Aber auch hier gilt: Ausnahme bei Versuchstieren. "Das kommt etwa Roche zugute, die viel mit Affen arbeitet", sagt Fitzi. Die Haltung von Tieren auf grossem Raum sei derart teuer und aufwendig, dass die Labore hierzulande mitunter "die Versuche an Affen in der Schweiz zwar vor Ort machen, diese dann aber bis zum nächsten Versuch zur Lagerung und Regeneration in die USA fliegen, wo die Haltung viel billiger ist". 2008 waren in der Schweiz 345 Affen im Versuchslabor.

Expressmäuse aus Brüssel

Am Schluss bleiben viele tote Tiere. Auch an der ETH. "Was für ein Fischverbrauch das zum Beispiel ist", sagt die Laborquelle: "Du leerst Toxin in einen Behälter und kippst hundert Fische rein. Am Schluss zählst du, wie viele überlebt haben. Das ist ein klassischer Vorgang." Hans Sigg, Tierschutzbeauftragter von Universität und ETH, sagt es diplomatischer: "Fische haben wir an der Universität in stattlicher Anzahl. Wir forschen an fast fünfzig Stand orten." Ratten, Mäuse, Fische. Den Beagle vergessen sie ja irgendwie immer, diese PR-Leute, aber auf Nachfrage dann: "Ja, Beagles haben wir auch, aber nur für die Hundeforschung."

Als Hochschule beschäftige man sich vor allem mit Grundlagenforschung, Untersuchungen, die kaum als Tierversuche wahrgenommen würden: "Warum gehen die Amphibienbestände so massiv zurück? Natürlich führen wir auch belastende Versuche durch, bei denen Tiere als Krankheitsmodelle dienen", sagt Sigg. "Etwa in der Multiple-Sklerose-Forschung oder beim Krebs." Diese Versuche würden vor allem an Mäusen vorgenommen, sagt Sigg, während er durch den Uni-Labortrakt führt. Überall in steril belüfteten kleinen Boxen: Mäuse. Nackte, schwarze, graue, weisse, kleine, gesunde, kranke - Hunderte. Am Boden vor dem Sekretariat liegt ein Paket, per Kurier aus Brüssel. "Neue Mäuse - soeben angekommen", sagt Sigg. Mäuse seien aus verschiedenen Gründen optimal für die Forschung: Sie bräuchten wenig Platz und liessen sich gut züchten, "auch mit gezielten Genveränderungen". Die Universität Zürich züchte die meisten Mäuse selbst - laut Sigg über hundert verschiedene Sorten. Andere bestellt sie bei Firmen, die Labortiere züchten. Und weil dies das Jahr 2009 ist, kann man das alles im Internet bestellen; im Onlineshop für genmanipulierte Tiere.

Hier bestellt auch die ETH. Die Firma heisst Harlan, ihr Hauptsitz ist in Indianapolis, Harlan-Filialen gibt es in zwölf Ländern. Von der Startseite führt ein Klick zu den "Forschungsmodellen": gesunde Ratten und Mäuse, kranke Ratten und Mäuse. Hybridmäuse nach Wunsch: Zwei Genpools, gemischt nach den Bedürfnissen des Forschers. HIV-Ratten, Diabetesratten und Mäuse. Weisse Hasen. Meerschweinchen. Spezielle Rattenmodelle für Bluthochdruck und Herzerkrankungen. Miniaturschweine. Und natürlich: Beagles. Die Preisliste gibt es nur auf Anfrage. Dafür liegt die Preisliste der Konkurrenz vor. Ratte mit Herz- und Kreislaufkrankheiten, zehn Wochen alt, niedrige Sterblichkeitsrate: 86 Euro. Wistar- Kyoto-Ratte: 32 Euro. Krebsmodell "Kopenhagen": 42,35 Euro. Topangebot: Die patentierte Jax-Mice-Stain, eine dicke Maus mit gezüchteter Herz- und Kreislauferkrankung für 112,56 Euro. Diabetesmaus, gebärfähig: 100,88 Euro. Spezialwünsche kosten extra. Etwa entfernte Eierstöcke: 20 Euro. Entfernte Hypophyse - eine Drüse im Schädel, die den Hormonhaushalt regelt: 28,85 Euro. Kastration bei Mäusen, Ratten, Meerschweinchen: 16,20 Euro. Milz raus: 21,50 Euro. Nebennierenrinde raus: 16 (Ratte) oder 17,80 Euro (Maus). Parkinsonmäuse: Preis auf Anfrage.

Ein Hundeposter

Harlan hat seit 2008 auch einen Ableger in der Schweiz. Damals kaufte die US-Firma das immer wieder von Tierschützern in Klagen verwickelte RCC-Tierversuchslabor in Itingen BL. "Wir produzieren hier nur noch geringfügige Bestände an Tieren", sagt Geschäftsführer Markus Josten. Man sei dabei, den Betrieb nach Holland auszulagern. "Nein, nicht wegen der lascheren Gesetze", so Josten. "Der Tierschutz ist in der EU vergleichbar hoch, da gewinnt man nicht viel", sagt er. Und fügt an: "‹Gewinnen› meine ich natürlich in ­Anführungszeichen."

Hans Sigg führt durch die Gänge des Uni-Tierlabors, vorbei an leeren Operationsräumen hinter dickem Glas und schweren Türen. Vorbei an Sicherheitsschleusen mit "Biohazard"-Zeichen zu Räumen, wo Infektionen wie Tuber kulose oder HIV erforscht werden. Leere Gänge, dann wieder Wohnboxen für Mäuse. Ein Hundeposter. Keine Beagles. "Wenn Sie das früher gesagt hätten, hätte ich einen herholen können. Unsere Beagles sind in einem Aussenquartier in Oberembrach untergebracht. Aber wenn Sie viele Beagles sehen wollen, dann müssten Sie zu Novartis. Die haben viele davon." Offenbar vor allem für Toxikologie und für Versuche, die für die Registrierung von Arzneimitteln vor geschrieben sind. Die Beagles stammen laut Sigg aus speziellen Versuchstierzuchten, "es sind Harlan-Beagles".