MEDIENSPIEGEL 28.3.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)

Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Programm
- Schützenmatte: Antrag Staatsanwaltschaft
- Club-Leben Bern: Schüsse beim ISC
- Club-Leben Thun: ein Monat nach der Mokka-Schlägerei
- Big Brother Video: Nause + die Kameras
- Sexwork: Rathausgasse
- Drogenszene Thun: Bilanz Heroinabgabe
- Comeback Heroin
- Squat LU: Geissmätteli besetzt
- Sempach: Maurer feat. Neonazis
- Antisemitismus: Zunahme Übergriffe
- Nothilfe: Migros-Gutscheine im Soli-Verkauf
- Ausschaffungs-Tod: Identität ungeklärt; Demo in Bern
- Homohass: Uganda ganz rechts

----------------------
REITSCHULE
----------------------

Di 30.03.10
20.00 Uhr - Kino - The Mountain meets its Schadow (Im Schatten des Tafelberges), Alexander Kleider und Daniela Michel in Kooperation mit Romin Khan Kapstadt, Südafrika, D 2009. Anschliessend Gespräch mit den zwei Aktivisten der Anti Eviction Campaign aus Kapstadt, sowie den Filmemachern.
20.30 Uhr - Tojo - "Lustiger Dienstag 46" mehr als Variété!

Mi 31.03.10
19.00 Uhr - SousLePont - Luzerner Spezialitäten
22.00 Uhr - SousLePont - Offene Bühne #121

Do 01.04.10
22.00 Uhr - Dachstock - Wild Wild East: Gypsy.cz (CZ) . Style: Gypsy Hiphop, Balkan Beats

Fr 02.04.10
23.00 Uhr - Dachstock - Diskoquake: Headman (Relish/Gomma/D) & Acid Washed (Record Makers/F), Support: Radiorifle (so). Style: Electro, Techno, Disko

Sa 03.04.10
23.00 Uhr - Dachstock - Dangerdubz. Style: Dubstep

Infos: http://www.reitschule.ch

-------------------------------
SCHÜTZENMATTE
-------------------------------

BZ 27.3.10

Tod vor der Reitschule

 "Bei jungen Tätern ein deutliches Zeichen setzen"

 Freiheitsstrafen zwischen 5 und 8 Jahren beantragt der Staatsanwalt für die Männer, die 2008 vor der Reitschule einen Drogensüchtigen totprügelten. Das sei mit Vorsatz geschehen. Die Verteidigung geht von Fahrlässigkeit aus.

 "Diese Tat wird mich ein Leben lang begleiten. Ich wollte nicht, dass so etwas passiert." Der 21-jährige Mann, der diese Sätze gestern zum Abschluss der Verhandlungen vor dem Kreisgericht Bern-Laupen sagte, ist einer von drei Angeschuldigten. Und er muss von den dreien wohl mit der höchsten Strafe rechnen. 8 Jahre Freiheitsstrafe beantragte Staatsanwalt Klaus Feller für ihn. Der 21-jährige Kosovare sei schuldig zu sprechen wegen eventual-vorsätzlicher Tötung. Eine Freiheitsstrafe von 6,5 Jahren solle der zweite Haupttäter bekommen, mindestens 5 Jahre der dritte der Gruppe. Ihm wird Gehilfenschaft vorgeworfen.

 Sühne und Resozialisierung

 "Gerade bei jungen Tätern muss in der Strafzumessung ein deutliches Zeichen gesetzt werden", betonte der Staatsanwalt. Dabei dürfe es aber nicht allein um Sühne gehen, "sondern auch darum, dass eine solche Tat nicht wieder passiert". Aus diesem Grund sollen aus seiner Sicht zwei der drei Täter ihre Strafe als Massnahme verbüssen. Das heisst, dass sie in eine spezielle Einrichtung für junge Erwachsene eingewiesen würden, wo sie eine Therapie machen müssten und die Möglichkeit hätten, eine Berufslehre zu machen.

 Opfer "sinnloser Gewalt"

 Der Vater des Opfers hörte den Plädoyers des Staatsanwalts und der Verteidiger zu. Für ihn muss die Diskussion über die Zukunft der Täter schwierig zu ertragen sein. Er verlor am 6. September 2008 seinen Sohn M*. Der 36-jährige Drogenabhängige starb im Spital an den Folgen der schweren inneren Verletzungen, welche ihm zwei der drei Angeschuldigten eine Woche vorher zugefügt hatten. "Es ist das zweite Familienmitglied, das mein Mandant auf Grund von sinnloser Gewalt verliert", sagte sein Anwalt. M.s Vater, der im Verfahren als Privatkläger auftritt, musste 1999 seine Frau beerdigen. Sie war von einem Raser totgefahren worden.

 Für den Anwalt des Privatklägers sind die vom Staatsanwalt beantragten Strafen "an der untersten Grenze". Er verlangt für seinen Mandanten zudem eine Genugtuung von rund 32000 Franken, welche die beiden Hauptangeschuldigten zu zahlen bereit sind.

 Urteil nächsten Mittwoch

 Das Kreisgericht wird sein Urteil am kommenden Mittwoch bekannt geben. Es wird dabei vor allem zu klären haben, ob die Tötung von M. mit Vorsatz geschah, wie dies der Staatsanwalt sagt, oder auf Fahrlässigkeit zurückzuführen ist. Von Letzterem gehen die Verteidiger aus.

 "Mein Mandant wollte den Tod von M. nicht", sagte der Verteidiger des 21-jährigen Kosovaren. Dieser hatte bei M. auf dem Vorplatz der Reitschule für 20 Franken Heroin gekauft. Weil dieses nicht den Vorstellungen der drei entsprach, suchte der Käufer den Dealer erneut auf. Er habe dies mit der Absicht getan, sein Geld zurückzuerhalten oder besseren Stoff zu bekommen, sagt sein Verteidiger.

 Der Staatsanwalt sieht das anders: "Da ging es nicht nur um die 20 Franken, es ging ums Prinzip." Das Trio habe den Dealer "verbrätschen" wollen, wie einer in der Voruntersuchung ausgesagt hatte. Zeugen bestätigen, dass die beiden Schläger noch auf M. einprügelten, als dieser wehrlos am Boden lag. "Mein Mandant konnte nicht wissen, dass solche Schläge das Risiko einer tödlichen Verletzung bergen", sagte der Verteidiger des zweiten Schlägers. Unbestritten ist, dass der dritte nicht zuschlug. Da er aber wie der mutmassliche Haupttäter wegen diverser brutaler Raubüberfälle vorbestraft ist, dürfte sich das in der Strafzumessung auswirken.

 Mirjam Messerli

-------------------------------
CLUB-LEBEN BERN
-------------------------------

police.be.ch 28.3.10

Medienmitteilung vom 28. März 2010

Bern / Zeugenaufruf

Schussabgabe vor einem Berner Nachtlokal

pkb. In der Nacht auf Samstag gab ein unbekannter Mann vor einem Nachtlokal an der Berner Neubrückstrasse mehrere Schüsse in Richtung eines benachbarten Gebäudes ab. Verletzt wurde niemand. Die Kantonspolizei Bern sucht Zeugen.

Am Samstagvormittag, 27. März 2010, ging bei der Kantonspolizei Bern eine Meldung ein, wonach in der Nacht auf Samstag ein unbekannter Mann vor dem ISC-Club an der Neubrückstrasse 10 mehrere Schüsse aus einer Faustfeuerwaffe abgegeben habe. Den polizeilichen Ermittlungen zufolge hatte sich der Vorfall bereits um ca. 0320 Uhr zugetragen. Zu diesem Zeitpunkt wollten drei junge Männer das Nachtlokal betreten, wurden jedoch vom Türsteher wegen der bevorstehenden Schliessung abgewiesen. Beim Weggehen gab einer der drei Unbekannten mehrere Schüsse aus einer Faustfeuerwaffe in Richtung eines benachbarten Gebäudes ab. Verletzt wurde niemand.

Laut Zeugenaussagen waren die drei jungen Männer im Hip-Hop-Stil gekleidet. Beim Schützen handelt es sich um einen 18-20 Jahre alten, höchstens 170 cm grossen Mann mit kindlichem Gesicht. Zur Tatzeit trug er ein Baseball-Cap. Er spricht Berndeutsch.

In diesem Zusammenhang sucht die Kantonspolizei Bern Zeugen. Personen, die sachdienliche Angaben machen können, werden gebeten, sich unter der Telefonnummer 031 634 41 11 bei der Polizei zu melden. Dies gilt insbesondere für die drei Männer, die um ca. 0320 Uhr den ISC-Club betreten wollten.

Untersuchungsrichteramt III Bern-Mittelland

(bwb)

--------------------------------
CLUBLEBEN THUN
--------------------------------

Thuner Tagblatt 27.3.10

Einen Monat nach der Schlägerei im "Mokka" in Thun

Opfer liegt immer noch im Spital

Einen Monat nach der Schlägerei im "Mokka": Bleibt das verletzte Opfer behindert? Vier Männer sind noch in U-Haft.

Seit der Schlägerei im "Mokka" ist ein Monat vergangen. Zwar ist im Tanzraum das Blut entfernt, und die Wände sind gestrichen, doch Mesfen Semer Hagos liegt immer noch im Spital; mit einer Hirnverletzung und ohne Prognose, ob und wie stark er behindert bleiben wird. Ein "Mokka"-Fanclub hat dem Opfer 700 Franken gespendet. Pädu Anliker verdoppelt den Betrag.

 Die Ermittlungen dauern an, die vier Haupttäter sind noch in U-Haft. Nächste Woche laden die Stadtbehörden zu einer Sitzung, in welcher allfällige Massnahmen diskutiert werden. sft

 Seite 27

--

Einen Monat nach der brutalen Schlägerei im Cafe Mokka in Thun

 Bleibt das Opfer behindert?

 Heute vor vier Wochen geschah die brutale Schlägerei im "Mokka". Noch immer liegt das schwer verletzte Opfer im Spital und die vier Hauptschläger sind in U-Haft. Eine Zeugin erzählt heute, wie sie es damals erlebt hat.

 Mesfen Semer Hagos liegt im Spitalbett in Thun. Die rechte Hand liegt auf einem Kissen. Er bewegt sie nicht. Sie ist noch gelähmt. Wie zum Teil auch seine übrige rechte Körperhälfte. Der 28-Jährige lacht. Er strahlt über das ganze Gesicht. Ibrahim Ahmed Hassan ist gekommen und greift seine rechte Hand. Mesfen Semer Hagos drückt sie und lächelt. Er trägt einen Helm. Zu seinem Schutz. Auf der linken Seite wurde nach der Hirnoperation vorübergehend ein Teil des Schädelknochens entfernt.

 "Wie geht es dir?", fragt ihn Ibrahim Ahmed Hassan und erklärt dabei: "Manchmal sagt Mesfen ein Wort in Englisch oder Arabisch, dann eines in Tigrinisch und danach eines in Amharisch." Einmal antworte er, dann wieder nicht und meistens lache er. "Doch es gibt Augenblicke, in denen denke ich, dass er ein wenig mehr als am Vortag versteht und womöglich sogar etwas von seinem gesundheitlichen Zustand realisiert."

 Unterschriften gesammelt

 Mesfen Semer Hagos aus Heimberg, dessen Vater aus Eritrea und dessen Mutter aus Äthiopien stammt, ist das schwer verletzte Opfer der blutigen Schlägerei im "Mokka" von vor einem Monat. Der 30-jährige Sudanese Ibrahim Ahmed Hassan besucht ihn täglich und versucht, sich um dessen Angelegenheiten zu kümmern. Er kauft ihm Unterhosen, telefoniert mit den Sozialdiensten, der Asylkoordination. Er führt Gespräche mit dem Anwalt, dem Untersuchungsrichter und setzt sich ein, dass sich die Opferhilfe einschaltet. Bis vor kurzem hat Ibrahim Ahmed Hassan bei Freunden und Bekannten Unterschriften gesammelt. Er suchte Unterstützung für sein Anliegen, eine Vollmacht zu erhalten.

 "Mesfen hat hier keine Familie und kann auf Grund der Hirnverletzung noch keine Entscheide treffen", sagt Ibrahim Ahmed Hassan, der im "Alpenrösli" arbeitet - ebenso in der Nacht, als die Schlägerei nebenan im "Mokka" stattfand. "Ich habe erst realisiert, dass etwas passiert ist, als es draussen laut wurde und ich Dutzende von Polizisten und Ambulanzfahrzeuge sah." Er sei hinausgerannt. "Ich kenne die vier Afrikaner, die angegriffen wurden", sagt er. Sie hätten die Schläger nicht gekannt. "Zum Glück sind die anderen drei Opfer nicht schwer verletzt."

 Eine Informationssperre

 Während die Polizei und der Untersuchungsrichter immer noch Befragungen durchführen und die vier Hauptschläger in U-Haft sitzen, ist offen, wie die Zukunft von Mesfen Semer Hagos aussieht. Ob er je wieder gesund wird und welcher Grad an Behinderung durch die Hirnverletzung zurückbleiben wird, ist ungewiss. "Leider können wir zu seinem Gesundheitszustand nichts Genaues sagen und dürfen uns wegen der Informationssperre auch nicht zum Fall äussern", erklärt Spitaldirektor Christian Pfammatter.

 Auch der durch die Vormundschaftsbehörde soeben eingeschaltete Anwalt Peter Huber konnte sich noch nicht über alle Details in Kenntnis setzen. "Es ist ein tragischer Fall, der viele Menschen beschäftigt", sagt er und erlaubt deshalb, das Foto von den beiden Freunden im Spital in der Zeitung zu zeigen. Die Anteilnahme am Schicksal von Mesfen Semer Hagos ist tatsächlich gross - zum Beispiel auch bei einer Zeugin, die die Schlägerei miterlebt hat. "Ich bin froh, dass er nun wenigstens aus dem Koma erwacht ist", sagt Sonja* (vgl. auch Interview rechts).

 Bald nach Basel verlegt?

 Ibrahim Ahmed Hassan lässt die Hand seines Freundes los und verabschiedet sich von ihm. Vorgesehen ist, dass Mesfen Semer Hagos nach Basel in eine neurologische Spezialklinik verlegt wird. "Er ist dann dort ganz alleine ohne Freunde", sagt der Sudanese und macht sich Sorgen. "Heute besuchen ihn nebst mir auch einige Freunde und stehen ihm bei. Doch ich weiss nicht, ob wir ihn dort weiterhin so oft besuchen können."

 Franziska Streun

 * Name geändert

--

Augenzeugin

 "Ich war geschockt"

 Sonja* hat die Schlägerei miterlebt und kennt das Opfer. Die Erinnerungen sind auch einen Monat danach noch intensiv.

 Gehen Sie trotz der blutigen Schlägerei wieder ins "Mokka"?

 Sonja*: Meine Freundinnen und ich sind gerade wegen dieses Vorfalles gleich wieder an den Ort des Geschehens gegangen.

 Was haben Sie von der Tat mitbekommen?

 Es befanden sich viele Leute im Untergeschoss. Die meisten, so auch wir und die vier später angegriffenen Afrikaner, waren am Tanzen. Auf einmal realisierte ich, dass etwas los war und die Menge zum Ausgang drängte.

 Als die Schlägerei begann?

 Wegen der vielen Leute sah ich zunächst nichts. Alles lief extrem schnell ab und dauerte nur ein paar Minuten. Auf einmal flogen Scherben durch die Luft und lagen am Boden, die Musik wurde abgestellt, Leute schrien, und ich sah Blut an ihnen, am Boden und an den Wänden.

 Sahen Sie dann, was ablief?

 Als sich nicht mehr viele Menschen im Raum befanden, sah ich einen der Schläger, ging auf ihn zu und hielt ihn fest. Als er mir sagte, er sei nun ruhig und werde aufhören, liess ich ihn los.

 Hatten Sie keine Angst?

 Nein, in diesem Moment handelte ich im Affekt und konzentrierte mich auf diesen Typen. Ich sah jedoch nicht, dass er eine Flasche in der Hand hatte.

 Sahen Sie Verletzte? Erkannten Sie das schwer verletzte Opfer?

 Ja, es waren mehrere Menschen verletzt und hatten Blut an ihren Kleidern. Mesfen sass auf einer Musikbox in der Ecke und schien erschöpft zu sein.

 War er noch bei Bewusstsein?

 Ja. Doch als der Typ ihn sah, rannte dieser auf Mesfen los und schlug mit der Flasche auf seinen Kopf, bis wir ihn stoppen konnten.

 Traf mittlerweile die Polizei noch nicht ein?

 Doch, gerade in diesem Moment. Sie schnappten den Schläger, und wir redeten zu Mesfen, der voller Blut war und in diesem Augenblick ohnmächtig auf den Boden fiel. Ein ebenfalls am Kopf verletzter Kollege von ihm war völlig durcheinander, weil er dachte, Mesfen sei tot.

 Und wie ist es Ihnen danach ergangen?

 Es war ein Schock. Am Montag darauf war es nicht einfach, mich im Alltag zurechtzufinden. Mittlerweile wandelte sich der Schock in einen Frust über die Tatsache, dass so etwas überhaupt passieren kann. Mich beschäftigt und bewegt nun vor allem auch Mesfens Schicksal und Gesundheitszustand.

 Kannten Sie die Schläger?

 Nein. Es waren vielleicht acht bis zehn Männer. Ob sie alle aus dem Balkan kamen, kann ich nicht sagen. Derjenige, den ich hielt, war vielleicht dreissig Jahre alt und sprach Berndeutsch.

 Interview:  Franziska Streun

 * Name geändert

--

Solidarität zum Mokka

 Über 1500 Franken gespendet

 Solidarität mit dem "Mokka": Der Fanclub zählt 700 Leute, sie spendeten je 1 Franken für das Opfer. Pädu Anliker erhöht die Spende.

 "Besucht die Konzerte, konsumiert und benehmt euch wie Menschen, um ein Zeichen zu setzten!"; "Wenn wieder alle ins ‹Mokka› gehen, dann sieht es wieder viel besser aus."; "Wir lassen uns nicht von ein paar hirnlosen Idioten das tägliche Leben diktieren!"; "Die ‹Mokka›-Jugend, zirka 1991 bis 1996, das waren noch schöne Zeiten."; "Es wird Zeit für frischen Wind im ‹Mokka›!": Diese und viele andere Einträge, sowohl wohlwollende wie auch kritische, sind auf der "Mokka"-Facebook-Website zu lesen.

 Die Solidarität mit dem Café Mokka in Zeiten des Gästemangels und der Gewalt scheint gross zu sein. Auf Facebook sind knapp 800 Personen registriert. Auch sind Fotos des schwer verletzten Opfers Mesfen Semer Hagos aufgeschaltet, welche Ibrahim Ahmed Hassan aufgenommen hat (vgl. Haupttext).

 700 Franken gespendet

 Einer, der sich besonders fürs "Mokka" und dessen Zukunft einsetzt, ist Christoph Stauffer aus Uebeschi. Der 42-Jährige hat in seiner Jugend viel Zeit im "Mokka" verbracht und dort vor zwölf Jahren seine grosse Liebe, seine heutige Frau, kennen gelernt. Nun hat der Familienvater auf der "Mokka"-Facebook-Website eine Sympathie-Mitgliedschaft ins Leben gerufen. "Die Idee ist, wieder mehr Leute ins ‹Mokka› zu bringen oder gar eigene Anlässe dort zu veranstalten", erklärt er. Heute seien schon über 700 Mitglieder dabei. Auf Anregung von Pädu Anliker hat er nun deren symbolischen Mitgliederbeitrag von einem Franken dem schwer verletzten Opfer gespendet.

 Christoph Stauffer hat Pädu Anliker die 700 Franken überreicht. "Ich verdopple diesen Betrag und gebe ihn zusammen mit dem von vielen anderen Menschen gespendete Geld den Freunden von Mesfen", sagt Anliker. "Die brutale Schlägerei hat bei uns Trauer, Wut und zugleich viel Arbeit und Betroffenheit ausgelöst, doch dies ist nichts im Vergleich zu seinem Schicksal."
 sft

--

Weitere Reaktionen

 Braucht es einen Sicherheitsdienst im "Mokka"?

 Die brutale Schlägerei hat einerseits eine grosse Solidarität mit dem Café Mokka und auch dem schwer verletzten Opfer zur Folge (vgl. Hauptartikel), andererseits ernteten Pädu Anlikers Äusserungen zu den "serbischen Faschos" und zum "Alpenrösli"-Wirt auch Kritik. Das Geschehene wirft zudem viele Fragen auf, wie etwa zu den Themen Sicherheit und Zukunft des Betriebes. Nächste Woche findet zur Schlägerei im "Mokka" eine Sitzung statt, zu welcher die zuständige Gemeinderätin Ursula Haller (BDP) geladen hat.

 "Wir werden alle Fragen diskutieren, die im Raum stehen", sagt sie. Dabei würden die Zukunft des Betriebes und die Sicherheit einige der vielen Themen sein. "Wie diese und andere Fragen jedoch beantwortet und mit welchen Mitteln allfällige Massnahmen bezahlt werden, ist noch offen."

 Für den "Mokka"-Betreiber Pädu Anliker hat sich die Situation einen Monat nach der Schlägerei wieder einigermassen beruhigt. Das Blut im Tanzraum ist entfernt, die Wände sind neu gestrichen. "Es waren happige vier Wochen, die uns belastet und auch blockiert haben. Doch das alles ist natürlich im Verhältnis zum Schicksal des Schwerverletzten nicht von Bedeutung", blickt er zurück. Vorläufig als einzige Massnahme hat Anliker verfügt, dass die Kasse bis zur Schliessung geöffnet bleibt. "So kommt niemand ungesehen ins ‹Mokka› hinein." Von einem Sicherheitsdienst hält Anliker nicht viel. "Das löst das Problem mit Schlägern nicht."

 Der "Mokka"-Betreiber hofft auf eine andere Lösung, wegen der wirtschaftlich schwierigen Zeit und wegen der stets zunehmenden Gewalt: "Der beste Sicherheitsdienst sind ‹normale› und viele Besucherinnen und Besucher." Deshalb freut er sich auch über das Engagement von Christoph Stauffer, der einerseits einen Fanclub aufgebaut hat und nun auch Geld für den Schwerverletzten gespendet hat (vgl.Artikel unten).

 Betroffen über das Geschehene sind viele, auch der Thuner Unternehmer und SVP-Grossrat Carlo Kilchherr. Einer seiner Angestellten ist der Haupttäter, der 32-jährige Familienvater, der mit Frau und Tochter in Thun lebt. Dieser hat dem schwer verletzten Opfer die Wunden am Kopf zugefügt und befindet sich wie drei weitere Hauptschläger in U-Haft. "Wir sind alle enttäuscht", sagt Kilchherr. Andrej* (*Name geändert), der aus Mazedonien komme und perfekt Berndeutsch spreche, arbeite seit 2,5 Jahren bei ihm als Gipser. "Nachdem er schon einige Male aufgefallen ist, haben wir eigentlich alle geglaubt, dass er aus den Erfahrungen gelernt hat und keine Schwierigkeiten mehr machen wird."
 sft

---

BZ 27.3.10

Wie weiter?

 Security kommt nicht in Frage

 Der Vorfall in Thun wirft viele Fragen auf, wie etwa zu den Themen Sicherheit und Zukunft des Betriebes. Nächste Woche findet zur Schlägerei im "Mokka" eine Sitzung statt, zu welcher die zuständige Gemeinderätin Ursula Haller (BDP) geladen hat. Für den "Mokka"-Betreiber Pädu Anliker hat sich die Situation einen Monat nach der Schlägerei wieder einigermassen beruhigt. "Es waren happige vier Wochen, die uns belastet und auch blockiert haben. Doch das alles ist natürlich im Verhältnis zum Schicksal des Schwerverletzten nicht von Bedeutung", blickt er zurück. Vorläufig als einzige Massnahme hat Anliker verfügt, dass die Kasse bis zur Schliessung geöffnet bleibt. "So kommt niemand ungesehen ins ‹Mokka› hinein." Von einem Sicherheitsdienst hält Anliker nicht viel. "Das löst das Problem mit Schlägern nicht." Der "Mokka"-Betreiber hofft auf eine andere Lösung, wegen der wirtschaftlich schwierigen Zeit und wegen der stets zunehmenden Gewalt: "Der beste Sicherheitsdienst sind ‹normale› und viele Besucher."
 sft

----------------------------------
BIG BROTHER VIDEO
----------------------------------

Bund 27.3.10

Berner Stadtrat macht ersten Schritt hin zu Videoüberwachung

 Am späten Donnerstagabend hat der Berner Stadtrat einen Vorstoss überwiesen, mit welchem der Gemeinderat aufgefordert wird, die Grundlagen für Videoüberwachung im öffentlichen Raum auszuarbeiten. Der Entscheid fiel mit 40 Ja- gegenüber 24 Nein-Stimmen deutlich aus. Ausschlaggebend war das Einlenken der GFL/EVP-Fraktion. Sie stimmte dem Vorstoss nur deshalb zu, weil er in ein unverbindliches Postulat umgewandelt wurde. Sicherheitsdirektor Reto Nause kündigte trotz der Postulatform an, dem Parlament so bald wie möglich einen konkreten Reglementsentwurf zu unterbreiten. Das rasche Vorgehen begründete er mit "erheblichem Zeitdruck". Bislang sei der Gemeinderat "zum Nichtstun verdammt" gewesen. (bro) - Kommentar rechts, Seite 29

--

Stadtrat gibt Startschuss für Videoüberwachung

 Kehrtwende in der Stadt Bern - Grundlagen für Kamera-Einsatz gefordert.

 Christian Brönnimann

 Dem Berner Gemeinderat sind in Sachen Videokameras im öffentlichen Raum nicht mehr länger die Hände gebunden (siehe Text unten). Ausschlaggebend für das stadträtliche Ja am späten Donnerstagabend war die GFL/EVP-Fraktion. Noch vor knapp einem Jahr hatte sie gegen einen ähnlichen Vorstoss in Motionsform votiert. "Wir hätten einer verbindlichen Motion auch an diesem Donnerstag nicht zugestimmt", sagt GFL/EVP-Fraktionssprecher Peter Künzler dazu. Der Gemeinderat solle nun erst einmal einen Bericht erstellen mit den Leitplanken für allfällige Videoüberwachung.

 Entscheidend für die Haltung seiner Fraktion sei, wo die Grenzen der Überwachung angesetzt würden, sagt Künzler und führt aus: "Es darf nicht sein, dass Leute im öffentlichen Raum beliebig und ohne Anlass beobachtet werden können." Als Anlass reiche für ihn eine Häufung von Delikten an einem Ort nicht aus. Das heisst: Kameras an Hotspots wie der Aarbergergasse oder der Grossen Schanze, die an Wochenenden nachts grundsätzlich eingeschaltet sind, kommen für Künzler nicht infrage. "Die Kameras dürften erst eingeschaltet werden, um einen Polizeieinsatz vorzubereiten, um einen ganz spezifischen Anlass zu überwachen oder wenn ein Notruf eingeht", erklärt er.

 Gemeinderat prescht vor

 Gemeinderat Reto Nause (cvp) spricht von einem "Entscheid mit Signalwirkung". Nun sei der Startschuss gefallen, um ein Reglement zur Videoüberwachung in der Stadt Bern auszuarbeiten. Damit geht die Regierung weiter, als es der Parlamentsauftrag vorsieht. Ein Postulat verlangt nur nach einem Bericht, nicht aber nach einem Reglement. "Der Effekt des Postulats ist in diesem Fall eigentlich derselbe wie der einer Motion", sagt Nause dazu.

 Hat sich die GFL/EVP-Fraktion also verspekuliert? "Nein, überhaupt nicht", sagt Peter Künzler. "Das Vorgehen des Gemeinderates ist zwar aussergewöhnlich, liegt aber ganz in seinem Ermessen." Seine Fraktion behalte sich aber vor, mitzuhelfen, das Geschäft "bereits in der Eintrittsdebatte zu versenken", je nachdem wie der Reglementsentwurf aussehen werde, sagt Künzler.

 Das rasche Vorgehen begründet Sicherheitsdirektor Nause mit dem "erheblichen Zeitdruck". Bisher sei der Gemeinderat wegen der abgelehnten Motion vor Jahresfrist "zum Nichtstun verdammt" gewesen. Für ihn am vordringlichsten sei die Überwachung des "Fan-Walks" zwischen Stade de Suisse und Wankdorfbahnhof, so Nause. Auch Echtzeitüberwachung solle möglich sein.

 Im Reglement wird es primär darum gehen, Zuständigkeiten und Verfahrensabläufe zu klären. Die Vorgaben, wo und wie Videoüberwachung grundsätzlich möglich ist, stammen vom Kanton. Gemäss Artikel 51a des Polizeigesetzes ist dies an Orten der Fall, "an denen Straftaten begangen worden sind oder an denen mit Straftaten zu rechnen ist". Will eine Gemeinde Kameras aufstellen, muss sie unter anderem ausweisen, welche Massnahmen zur Kriminalitätsbekämpfung vorgängig am fraglichen Ort getroffen worden sind. Bewilligungsinstanz für Kameras ist die Kantonspolizei.

 SP fordert dreijährige Pilotphase

 Die SP Stadt Bern bedauert den Entscheid des Stadtrats, wie die Partei in einer Mitteilung schreibt. Die Mehrheit der Partei sei der Meinung, dass Videoüberwachung ein "untaugliches und unverhältnismässiges Mittel" sei. Die SP fordert nun ein dreijähriges Pilotprojekt mit externer Auswertung vor einer allfälligen definitiven Einführung von Kameras. Über die Standorte der Kameras solle der Stadtrat entscheiden können. Einzelne SP-Parlamentarier haben am Donnerstag für das Postulat gestimmt.

--

Berner Stadtrat

 Klarer Entscheid für Kameras

 Das Parlament hat den Grundsatzentscheid für Kameras mit 40 zu 24 Stimmen deutlich gefällt.

 Die Berner Stadtregierung kann den Entwurf für ein Reglement zur Videoüberwachung im öffentlichen Raum ausarbeiten. Das Stadtparlament hat am Donnerstag den entsprechenden Auftrag mit 40 zu 24 Stimmen erteilt. Bereits vor zehn Monaten hatte der Rat das Thema diskutiert. Philippe Müller (fdp) hatte sich damals geweigert, seine verbindliche Motion in ein unverbindliches Postulat zu wandeln und so wenigstens einen Prüfungsauftrag auszulösen. Der Rat lehnte darauf die Motion ab. Nun nahm die BDP/CVP-Fraktion einen zweiten Anlauf für eine Motion. Doch im Gegensatz zu Müller liess sich Motionär Martin Schneider (parteilos) davon überzeugen, die Motion in ein Postulat umzuwandeln. Zuvor hatte sich erneut abgezeichnet, dass eine Motion chancenlos sein würde.

 Damit kann sich der Gemeinderat an die Arbeit machen. Im Vorstoss wird gefordert, den gezielten Einsatz von Videoüberwachung in die Wege zu leiten.

 Die Debatte lief ähnlich wie vor zehn Monaten. Die Linke setzte grosse Fragezeichen hinter die Wirksamkeit von Videokameras. Die Kriminalität werde sich einfach verschieben. Zudem fürchtet die Linke, dass dies nur der erste Schritt zu einer flächendeckenden Videoüberwachung des öffentlichen Raums sei. Die Bürgerlichen wiederum erklärten, Videoüberwachung sei zwar kein Allheilmittel, aber sie sei ein wichtiger Mosaikstein in der Verhinderung von Straftaten. Zudem könnten dadurch Straftaten rascher aufgeklärt werden.

 Sicherheitsdirektor Reto Nause (cvp) beschwor den Stadtrat, dem Gemeinderat den Auftrag zu erteilen. St. Gallen beweise, dass Videoüberwachung wirke. Auch die Schläger von Kreuzlingen hätten so dingfest gemacht werden können. Der Stadtrat könne bei der Vorlage des Reglements wieder mitreden.

 Ganz klar war die Haltung des Parlaments in der Frage, ob auch in Schulen Videokameras installiert werden sollen. Dies lehnte der Stadtrat mit 41 zu 11 Stimmen ab. (sda)

--

Kommentar

 Gemeinderat steht vor heikler Aufgabe

Christian Brönnimann

 Nun sind auch in der Stadt Bern die Weichen für punktuelle Videoüberwachung im öffentlichen Raum gestellt. Andere Städte im Kanton sind Bern in dieser Sache voraus. Am weitesten ist Thun. Die Stadt hat kürzlich entschieden, fünf problematische Orte mit Kameras zu bestücken. Biel arbeitet derzeit daran, die Bestimmungen zur Videoüberwachung im städtischen Polizeireglement zu verankern.

 Dass nun auch der Berner Gemeinderat vorwärtsmachen kann, ist zu begrüssen. Angesichts steigender Zahlen in der Kriminalitätsstatistik und der spürbaren Verunsicherung in Teilen der Bevölkerung müssen alle Möglichkeiten der Verbrechensbekämpfung geprüft werden. Mit dem überwiesenen Postulat ist ein pragmatischer, gangbarer Weg gefunden, um die Diskussion in Gang zu bringen. Der Vorstoss ist aber kein Freibrief für Kameras. Gefordert wird lediglich, dass die Grundlagen für einen allfälligen Einsatz geklärt werden.

 Dem Gemeinderat kann es offenbar nicht schnell genug gehen. Der Stadtrat hat ihm den kleinen Finger gegeben, die Regierung ist drauf und dran, sich die ganze Hand zu nehmen. So mutet zumindest die Haltung von Sicherheitsdirektor Reto Nause an. Er will so rasch wie möglich ein Reglement vorlegen - was über die stadträtlichen Forderungen hinausgeht. Einerseits ist es verständlich, dass Nause in Anbetracht der polizeilichen Herausforderungen - beispielsweise bei Risiko-Fussballspielen - die neuen Möglichkeiten bald einsetzen möchte. Andererseits muss der Gemeinderat aufpassen, dass er sich nicht selber ein Bein stellt. Bei der Formulierung des Reglements ist Fingerspitzengefühl gefordert. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die nötige und sinnvolle Diskussion bei der nächsten Beratung im Parlament bereits im Keim erstickt wird. Dann nämlich, wenn der Stadtrat das Eintreten auf das Geschäft verweigert. Der Stadtrat hat sich von seiner Fundamentalopposition gegen Überwachungskameras verabschiedet, nun gilt es sorgfältig abzuwägen, wie und wo der Einsatz mehrheitsfähig ist.

---

BZ 27.3.10

Videoüberwachung

 Nause setzt Kameras in der Stadt Bern durch

 Die öffentliche Videoüberwachung hält bald auch in Bern Einzug. Der Stadtrat hat im zweiten Anlauf einen Vorstoss überwiesen.

 Es ist ein grosser Sieg für den Stadtberner Polizeidirektor Reto Nause (CVP). Immer wieder brachte er seit seinem Amtsantritt im Jahr 2009 das Thema Videoüberwachung im öffentlichen Raum aufs lokalpolitische Parkett - auch nachdem das Stadtparlament das Vorhaben im vergangenen Mai klar abgelehnt hatte.

 Diese Woche nun die Kehrtwende im Stadtrat: Im zweiten Anlauf hat der Rat ein BDP/ CVP-Postulat mit 40 zu 24 Stimmen überwiesen. Das Postulat fordert, "den gezielten Einsatz der Videoüberwachung in die Wege zu leiten". Nauses Durchbruch wurde möglich, weil die fundamentale Opposition auf linker Seite bröckelte - gerade auch in der SP. Am Tag nach der Abstimmung im Stadtrat ist der Widerstand der Genossen gegen die Videoüberwachung sogar vollends eingebrochen. Die Stadtberner SP akzeptiere, dass die Videoüberwachung eine deutliche Mehrheit im Parlament gefunden habe, tat die Parteileitung gestern kund.

 "Diesen Entscheid habe ich mir stets erhofft", sagt Reto Nause im Interview mit dieser Zeitung. "Jetzt darf ich endlich loslegen - und mit meiner Direktion ein Reglement für Überwachungskameras erarbeiten." Die ersten Kameras in Bern würden allerdings frühstens in eineinhalb Jahren installiert. Zuerst dürfte sich wohl noch das Stimmvolk dazu äussern. tob

 Seite 25

--

Stadtrat

 Big Brother bald auch in Bern

 Kehrtwende im Stadtrat: Das Parlament hat sich im zweiten Anlauf doch noch für die öffentliche Videoüberwachung entschieden. Einen Tag später bricht auch der SP-Widerstand. Es ist ein klarer Sieg für Gemeinderat Nause.

 Wie schnell sich die Mehrheiten in der Stadtberner Politik verschieben können: Im vergangenen Mai noch hatte der Stadtrat die Einführung der Videoüberwachung im öffentlichen Raum mit 41:25 Stimmen deutlich abgelehnt (wir berichteten). Kein Jahr später hat das Stadtparlament komplett anders entschieden - und ein BDP/CVP-Postulat überwiesen, das auf den Buchstaben genau die gleiche Forderung stellt. Nämlich: "den gezielten Einsatz der Videoüberwachung in die Wege leiten".

 "Es ist nie zu spät"

 Motionär Martin Schneider (parteilos) begründete im Rat, weshalb er so kurz nach dem Scheitern im ersten Anlauf eine zweite Motion nachgeschoben hat: "Man könnte meinen, dieses Vorgehen sei renitent. Ich aber sage: Es ist nie zu spät, etwas dazuzulernen." Jede Tankstelle und viele Läden würden heute überwacht. Jeder Handybesitzer könne auf 50 Zentimeter genau geortet werden. "Dagegen wehrt sich ja auch niemand." Jetzt gehe es darum, dass die Stadt Bern einzelne Brennpunkte überwachen dürfe. "Mit klaren Regeln und unter Einhaltung des Datenschutzes."

 Für die SP/Juso-Fraktion hielt Leyla Gül dagegen: "Die Kriminalität nimmt wegen Kameras nicht ab - sie verschiebt sich nur." Es entstünden neue Brennpunkte, die man Überwachen müsse. Deshalb befürchte die SP, dass früher oder später eine flächendeckende Videoüberwachung entstehen würde.

 Auch die GB/JA-Fraktion bekämpfte die Vorlage: "Videoüberwachung wird als Allheilmittel dargestellt", sagte Rahel Ruch. "Doch sie ist ein Eingriff in die Grundrechte." Am Ende sei die Stadt voller Kameras - und keine davon könne ein Delikt verhindern.

 Trotz dieser kämpferischen Worte verliessen in der anschliessenden Abstimmung einige SP-Politiker die Parteilinie. Und die - vor kurzem noch chancenlose - Vorlage fand mit 40:24-Stimmen eine Mehrheit.

 Nauses grösster Erfolg

 Mit diesem Resultat fuhr Gemeinderat Reto Nause (CVP) seinen bisher grössten Erfolg als Polizeidirektor ein - obschon der als Motion eingereichte Vorstoss in ein weniger verbindliches Postulat umgewandelt worden war (siehe Interview unten). "Diesen Entscheid habe ich mir lange erhofft", sagte Nause am Tag danach. Er sei möglich geworden, weil sich bei den Linken im Thema Videoüberwachung in den letzten Monaten vieles bewegt habe. Vor kurzem hat sich etwa Flavia Wasserfallen, die neue Stadtberner SP-Co-Präsidetin, in dieser Zeitung für die Videoüberwachung ausgesprochen.

 Die SP schwenkt ein

 Gestern lenkten die restlichen Genossen ein. Die SP nehme zur Kenntnis, dass die Videoüberwachung eine deutliche Mehrheit gefunden habe, schrieb die Partei in einer Medienmitteilung. Deshalb fordert die SP nun in einem Vorstoss ein dreijähriges Pilotprojekt mit Kameras an "klar definierten und anzahlmässig beschränkten Standorten".

Tobias Habegger

--

"Jetzt darf ich endlich loslegen"

 Für Sicherheitsdirektor Reto Nause (CVP) hat die Videoüberwachung nun Priorität. Beginnen will er beim Stade de Suisse.

 Reto Nause, ab wann gibts in der Stadt Bern die ersten öffentlichen Überwachungskameras?

 Reto Nause: Frühstens in eineinhalb Jahren. Denn bisher waren mir in dieser Sache die Hände gebunden.

 Weshalb? Das kantonale Polizeigesetz erlaubt Videoüberwachungen seit September 2008?

 Obschon es sich dabei um ein übergeordnetes Gesetz handelt, muss jede Gemeinde selber einen Grundsatzentscheid über die Videoüberwachung fällen. Vor weniger als einem Jahr hat sich der Berner Stadtrat noch eindeutig dagegen ausgesprochen. An diesen Beschluss musste sich die Stadtregierung halten. Das hat sich aber nun geändert. Am Donnerstagabend hat der Stadtrat ein neues Signal ausgesendet: Jetzt darf ich endlich loslegen - und mit meiner Direktion ein Reglement für Überwachungskameras erarbeiten. Dieser Auftrag hat für uns höchste Priorität.

 Sie reden von einem Auftrag. Dabei hat der Stadtrat lediglich ein unverbindliches Postulat überwiesen…

 …ein Postulat, das ich beantworten muss. Meine Antwort wird ein Reglement sein, das die Grundlage für Überwachungskameras in der Stadt Bern bildet und die Zuständigkeiten ebenso regelt wie die Finanzierungsarten.

 Wie viel kostet die Videoüberwachung den Steuerzahler?

 Jetzt schon Zahlen zu nennen wäre Spekulation. Fakt ist: Videoüberwachung ist nicht ganz billig zu haben. Es braucht mehr als einen Masten und eine Kamera. Das Ganze muss vandalensicher konstruiert sein. Für jeden Kamerastandort brauchts ein eigenes Kreditbegehren. Es wird ein Kampf um jeden Franken. Schon nur deshalb muss niemand befürchten, dass es je eine flächendeckende Videoüberwachung geben wird.

 Wo liegen die weiteren politischen Hürden?

 Sobald das Reglement da ist, muss der Stadtrat nochmals darüber befinden. Das wird ein Grundsatzentscheid pro oder kontra Überwachungskameras. Zudem gehe ich davon aus, dass die Vorlage auch vors Stimmvolk kommt. Erst danach beginnt die Diskussion über die Standortwahl. Das dürfte - vor allem in der Innenstadt - eine heikle Debatte werden.

 Wo sehen Sie die sogenannten Hotspots?

 Für mich hat der Fan-Walk beim Stade de Suisse Priorität. Das Gebiet zwischen dem Ausgang des Gästesektors und der S-Bahn-Station Wankdorf ist die eigentliche Problemzone nach YB-Spielen. Mit Kameras könnten wird das Polizeiaufgebot herunterschrauben. Dadurch gewonnene Polizei-Ressourcen würden für Patrouillen in der Innenstadt frei.

 Interview: tob

-----------------
SEXWORK
-----------------

Bund 27.3.10

Schon bald wieder rotes Licht an der Rathausgasse 64?

 Anwohner befürchten, dass die Prostitution in das ehemalige Bordell in der Berner Altstadt zurückkehren könnte.

 Das Bauvorhaben an der Rathausgasse 64 erscheint auf den ersten Blick harmlos: ein Barbetrieb im Untergeschoss, Sanierung von Dach und Terrassen, Umbau der Nasszellen und Küchen in den oberen Stockwerken. Trotzdem sind laut Hans Martin Schaer vom Regierungsstatthalteramt Bern-Mittelland "rund zwei Dutzend" Einsprachen gegen das Projekt eingegangen.

 Stein des Anstosses ist laut Edi Franz, Präsident des Rathaus-Brunngass-Leistes, eine Treppe, die im Bauplan erscheine und die die Bar im Keller direkt mit den Wohnungen im Obergeschoss verbinden soll. Drei der Wohnungen sollen zudem zu Kleinstwohnungen ohne Küche umgebaut werden. Der Verdacht liege deshalb auf der Hand, dass in diesen Räumen künftig wieder käuflicher Sex angeboten werde, so Franz.

 Die Vermutung der Einsprecher ist nicht ganz aus der Luft gegriffen, denn die Rathausgasse 64 ist eine Adresse mit langer Vorgeschichte. Über Jahre hinweg waren in den Obergeschossen "Massagesalons" eingemietet - ohne den offiziellen Segen der Behörden. Als 2002 der Unternehmer Werner Stierli im gleichen Gebäude einen Sexshop eröffnen wollte, nahm das Bauinspektorat auch die Obergeschosse genauer unter die Lupe. Es folgte ein mehrjähriger Rechtsstreit, der 2005 schliesslich vor Bundesgericht endete. In den Wohnungen im Obergeschoss darf seither entsprechend dem Zonenplan nur noch gewohnt und nicht mehr geschäftet werden.

 Gleicher Besitzer, neue Firma

 Die Liegenschaftsbesitzerin Vitalis AG hatte sich damals vor Gericht auf das Gewohnheitsrecht berufen, weil der Bordellbetrieb bereits seit über einem Jahrzehnt ein offenes Geheimnis gewesen war. Man habe insofern nicht gegen Treu und Glauben verstossen. Beim aktuellen Baugesuch ist erneut die Vitalis AG federführend, die seit Anfang Monat aber unter dem Namen Axpel AG im Handelsregister aufgeführt ist. Bei der Axpel war gestern niemand für eine Stellungnahme erreichbar. (sem)

-----------------------------------
DROGENSZENE THUN
-----------------------------------

Thuner Tagblatt 27.3.10

Thun: Hegebe

Start ist geglückt

Anfang März zügelte die Heroingestützte Behandlung weg von der Thuner Innenstadt. Für die Betreiber ist der Start geglückt.

 Die Heroingestützte Behandlung (HeGeBe) ist ein Therapieangebot für Schwersüchtige - und befand sich bisher mitten in der Innenstadt. Nach teils heftiger Kritik zügelte sie auf Anfang März an die Allmendstrasse 10. Eine erste Bilanz zeigt: Die Betreiber und der Gemeinderat sind mit dem Start am neuen Standort zufrieden. Auch Anwohner haben bisher keinen Grund für Klagen, bleiben aber skeptisch.
 mik

 Seite 29

--

Thun: heroingestützte Behandlung an der Allmendstrasse 10

Erste Bilanz nach Umzug positiv

 Anfang März ist die Heroingestützte Behandlung (HeGeBe) von der Innenstadt an die Allmendstrasse gezügelt. Die erste Bilanz von Betreibern und Stadt ist positiv. Die Einsprecher hegen Befürchtungen für die Zukunft.

 Start am neuen Standort geglückt: Das vermeldet Ariane Schweizer, Leiterin des Zentrums für Substitutionsbehandlungen in Thun. Anfang März ist die als HeGeBe (Abkürzung für Heroingestützte Behandlung) bekannte Institution von der Marktgasse an die Allmendstrasse 10 gezügelt (siehe auch Kasten). "Die grosszügigeren, helleren Räume führen dazu, dass die Abgabe ruhiger verläuft", konnte Schweizer feststellen. Ausserdem habe die HeGeBe-Leitung die Umgebung gut im Überblick, weil sie viel offener sei - und nicht so verwinkelt wie am alten Standort. Was wiederum nicht allen Süchtigen gefällt: "Sie fühlen sich zum Teil ein wenig ausgestellt", sagt Ariane Schweizer. Andererseits zeige dies, dass die soziale Kontrolle am neuen Standort funktioniere. Positiv überrascht ist die HeGeBe-Leiterin von der Nachbarschaft: "Die meisten Leute sind sehr offen."

 Erstmals wieder Warteliste

 In der HeGeBe Thun gibt es 70 Plätze für Heroingestützte Behandlung, wo den Süchtigen Diaphin als Heroinersatz abgegeben wird. Erstmals seit Monaten muss Ariane Schweizer wieder Personen auf eine Warteliste nehmen. Ob dies einen Zusammenhang mit dem neuen Standort hat, kann sie nicht sagen.

 Die Abgabezeiten sind klar geregelt: Von Montag bis Freitag, 7 bis 9 und 16.45 bis 18.50 Uhr, sowie am Samstag und Sonntag, 8 bis 10 und 16.45 bis 18.50 Uhr. Ansammlungen rund um die HeGeBe werden nicht geduldet: "Wer sich vorher im Areal aufhält, kriegt eine Verwarnung", führt Schweizer aus. Zum Teil hätten sich Gruppen etwas weiter weg gebildet. "Wir sind noch am Ausprobieren, wie wir das steuern können." Nach der Abgabe müsse das Areal rasch verlassen werden. Wer sich trotz Verwarnung nicht an die Regeln halte, komme in ein Spezialprogramm und müsse zu einer Randzeit antraben. "Das ist sehr verpönt", weiss Ariane Schweizer. Nur im Extremfall werde jemand vom Programm ausgeschlossen. Stellt die HeGeBe-Leitung fest, dass in der Umgebung gedealt wird, holt sie die Polizei, "mit der wir sehr gut zusammenarbeiten".

 Gemeinderat zufrieden

 Der zuständige Gemeinderat, Sozialvorsteher Andreas Lüscher (SVP), ist mit dem Start ebenfalls zufrieden: "Ich habe keine negativen Meldungen oder Reklamationen erhalten." Auch er stellt eine noch grössere soziale Kontrolle durch die Nähe zu Polizei, Verwaltung und Durchgangsverkehr fest. Und: "Aus meiner Sicht funktionieren Hausordnung und Konzept der HeGeBe. Die Leitung hat den Betrieb im Griff."

 Überhaupt findet Lüscher, dass sich die vor rund Ende 2008 eingeführten schadensmindernden Massnahmen anstelle einer Kontakt- und Anlaufstelle für Drogensüchtige bewähren. "Natürlich gibt es ab und zu Ansätze von Szenenbildungen. Das verfolgen wir aufmerksam und schreiten wenn nötig ein." Er sei sich bewusst, dass die aktuell "relativ gute Situation" fragil sei. Deshalb müssten auch Prävention und Repression aufrechterhalten werden.

 Skepsis in Nachbarschaft

 "Bis jetzt haben wir von der HeGeBe nicht viel gemerkt", stellt Alain Marti von den Thuner Kinobetrieben fest. Er hatte einst mit Anwohnern und Gewerbetreibenden gegen den neuen Standort eine Einsprache eingereicht. Dies vor allem aus zwei Gründen: Weil sich durch die Nähe von Notschlafstelle und HeGeBe eine Konzentration ergebe und wegen der geplanten neuen Überbauung auf dem Gerberkäse-Areal und dem Kino-Neubau (wir berichteten). "Da sehen wir Konfliktpotential. Wir werden die Entwicklung aufmerksam verfolgen", sagt Marti. Ähnlich äussert sich Simon Widmer, Präsident des Aarefeldleists. Er habe bisher keine Rückmeldungen von Leistmitgliedern erhalten. Wegen der Notschlafstelle habe es teilweise Verschmutzungen und Missbrauch von Toiletten bei Kino und Restaurants gegeben. Widmer: "Sollte sich das noch verstärken, würden wir das nicht tolerieren."

 Ebenfalls eine Einsprache hatte die Firma Emmi gemacht - im Hinblick auf den Verkauf des Gerberkäse-Areals. "Für uns ist es im Moment kein Thema mehr", sagt Monika Senn von der Emmi-Pressestelle. Die Situation müsse neu beurteilt weden, wenn es dereinst um die Investorensuche gehe.

Michael Gurtner

http://www.hegebethun.ch

---

Hegebe Thun: Die Fakten

Bald über 100 Plätze im Programm

 In der HeGeBe Thun werden Heroingestützte Behandlungen (Diaphin, 70 Plätze) und Substitutionsbehandlungen (Methadon, Subutex und ähnliches, 30 Plätze - soll auf 50 aufgestockt werden) angeboten. Die heroingestützte Behandlung ist ein Therapieangebot für schwer heroinabhängige Menschen, bei denen andere Behandlungsformen nicht den gewünschten Erfolg gebracht haben oder deren Gesundheitszustand andere Behandlungsformen nicht zulässt. Die Stadt Thun amtiert als Auftraggeberin für die HeGeBe und ist Vertragspartnerin für Bund und Kanton. Sie trägt die strategische Verantwortung und hat den Verein für Behandlung und Integration suchtkranker Menschen (VBI) mit dem Betrieb beauftragt. Die HeGeBe zügelte Anfang März vom bei Anwohnern heftig kritisierten Standort an der Marktgasse in der Thuner Innenstadt an die Allmendstrasse 10. Das dortige Gebäude wurde nach einem Stadtratsentscheid im Baurecht an den VBI verkauft - für 200000 Franken. Die Umbaukosten von rund 1,3 Millionen Franken übernahmen der VBI und der Kanton. Im Erdgeschoss ist der Patientenbereich mit Warteräumen, Abgabestelle und Untersuchungszimmer eingerichtet.
 mik/pd

----------------
HEROIN
----------------

Basler Zeitung 27.3.10

Die Rückkehr des Heroins

Jugendliche haben die Scheu vor der Droge verloren

MIscha Hauswirth

 In der Region Basel konsumieren vermehrt sozial gut integrierte Jugendliche Kokain und Heroin. Die EU stuft die Situation als "besorgniserregend" ein. Drogenfachleute beobachten die Entwicklung bereits sehr genau und fordern mehr Prävention an den Schulen. Eine Reportage.

 Die beiden Männer in ihren neuen Jack-Wolfskin-Jacken fallen auf. Nicht, weil sie vor der Basler Kontakt- und Anlaufstelle Wiesenkreisel stehen und wie zivile Polizisten aussehen. Sondern weil sie gelassen beobachten, wie Männer und Frauen mit käsig blasser Haut sich an den Securitas-Wachen vorbei hinter den Sichtschutz schieben. Wenn Süchtige eines gemeinsam haben, dann sind es ihre hektischen Bewegungen.

 René Keller und Andreas Röllin gehen als Mittler im öffentlichen Raum täglich auf Rundgang. Sie sehen nach, wo sich Drogenkranke aufhalten, ob auf öffentlichen Plätzen, bei Parkbänken und Hauseingängen Spritzen herumliegen. Und sie nehmen die Beschwerden der Anwohner auf, die sich über die "Drögeler" in ihrer Nachbarschaft ärgern. Der 45-jährige Keller und der 37-jährige Röllin kennen viele Süchtige durch persönliche Gespräche. Es ist ihr Job, Veränderungen in der Drogenszene wahrzunehmen und diese an die Abteilung Sucht des Gesundheitsdienstes Basel-Stadt weiterzuleiten.

 Die Europäische Union stuft im Drogenbericht 2009 den zunehmenden Heroinkonsum unter sozialintegrierten jugendlichen Gruppen als besorgniserregend ein. Auch die Basler Mittler schauen genau hin. Keller sagt: "Heroin galt jahrelang als Verliererdroge und war bei Jugendlichen out. Mittlerweile gibt es Bereiche der Party- und Technoszene, in denen Heroin wieder als Droge auftaucht." Solche Raver und Szenengänger haben einen Job oder stecken in der Ausbildung, sind sozial integriert.

Unbekannte Gesichter

Fachleute wie Keller und Röllin sind alarmiert. Ihr Augenmerk gilt besonders jenen, die sie noch nie vor den Kontakt- und Anlaufstellen und im näheren Umfeld gesehen haben, den Neuen. Und vor allem den Jugendlichen wie dem Rappertypen mit Kopfhörer und Kapuzenpulli, der rasch durch den Eingang schlüpfen will. Ein Wachmann stoppt ihn. Erst als er dem Wachmann seinen Ausweis zeigt, darf er rein. Unter 18-Jährige haben keinen Zutritt.

 "Den habe ich hier noch nie gesehen", sagt René Keller zu Andreas Röllin. "Wir sprechen unbekannte Gesichter an, versuchen mit ihnen ins Gespräch zu kommen, um mehr von ihnen zu erfahren", erzählt Keller. Den Neuen drücken die Mittler ein handliches Büchlein mit Adressen und Telefonnummern in die Hand, vermitteln ihnen Termine bei der Drogenberatung, begleiten Konsumenten zu Amtsstellen oder ins Spital.

 "Unser Ziel ist es, die Süchtigen in ein Therapieprogramm zu bringen, damit sie die Sucht hinter sich lassen", sagt Eveline Bohnenblust, Leiterin der Abteilung Sucht der Gesundheitsdienste Basel-Stadt. Es ist der erste Schritt, um die Sucht hinter sich zu lassen. Oder sie zumindest so weit zu kontrollieren, damit neue Lebensinhalte wieder Platz finden. Wie viele es jährlich schaffen, auszusteigen, darüber gibt es keine Zahlen. Auch keine darüber, wie viele von leichteren Drogen in den Heroinkonsum abgleiten und in dieser Sucht hängen bleiben. Immerhin, als statistisch erhärtet gilt: Vier von fünf Jugendlichen, die Drogen konsumieren, kommen aus eigenem Antrieb wieder davon los.

 Dass es wieder mehr Heroinkonsumenten gibt, beobachtet auch Evelyne Flotiront (55), Leiterin der Kontakt- und Anlaufstellen in Basel: "Viele kommen sehr jung zu uns, manchmal sind sie nicht einmal 25 Jahre alt. Das Schlimme daran: Wer sich hier aufhält, hat bereits eine jahrelange Suchtphase hinter sich."

 Suchtkranke begeben sich oft erst spät in Behandlung. Hannes Strasser, ärztlicher Leiter des Zentrums für heroingestützte Behandlung an den Universitären Psychiatrischen Kliniken Basel, beobachtet, "dass in letzter Zeit sehr junge Menschen mit einer Mehrfachabhängigkeit und weiteren schwerwiegenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen medizinisch-psychiatrische Hilfe in Anspruch nehmen". Strasser ist überzeugt: "Es entwickelt sich eine neue Population von Heroinkonsumenten."

kokain als einstieg. In der statistischen Erfassung der Staatsanwaltschaft Basel-Stadt zeigt sich die jüngste Entwicklung noch nicht - die Verzeigungen wegen Heroinbesitzes gingen auch 2009 gegenüber dem Vorjahr zurück. "Allerdings beschlagnahmen wir vermehrt Heroin bei den Grossdealern und an der Grenze", sagt Thomas Homberger, Leiter des basel-städtischen Drogendezernats.

 Noch verzeichnen die Fahnder 2009 die meisten Drogenkonsumenten auf dem Kokainmarkt (BaZ von gestern). Evelyne Flotiront: "Kokain ist mit Abstand die am weitesten verbreitete Droge, auch bei den Jugendlichen." Die vernebelten Raucherräume in den Kontakt- und Anlaufstellen sind deshalb stets voll. Dutzende von Süchtigen drängen sich vor den vergilbten und mit Pissoir-Kritzeleien versehenen Wänden, um die Kokaindämpfe zu inhalieren.

Cocktail

Doch Heroin ist auf dem Vormarsch. Viele der Drogenkonsumenten mixen sich ihren Cocktail selbst, bestehend aus flüssigem Methadon, Kokain, Benzodiazepinen wie Valium, und Heroin. "Menschen, die nur noch heroinabhängig sind, sehen wir im Vergleich zu früher kaum", so Strasser. "Die Leute konsumieren meist neben Heroin andere Substanzen."

 Keller wie Flotiront erklären den Grund für diese diabolische Mixtur so: Kokain für Energie und Antrieb, und wenn Konsumenten dann drei, manchmal vier Tage lang "so auf Speed sind", dass sie nicht mehr schlafen können, brauchen sie wieder etwas, das sie beruhigt: Heroin.

 Strasser: "Es sind in der Schweiz bereits Fälle bekannt geworden, bei denen Kokaindealer Heroin dazumischten, möglicherweise, um neue Kunden zu gewinnen." Mittler Andreas Röllin sieht ausserdem zusätzlichen Anreiz für Heroinneueinsteiger: Ein "Schuss" kostet mit 15 Franken heute nur noch einen Viertel dessen, was ein Junkie vor 25 Jahren bezahlen musste.

Eine Lebensgeschichte

Die Mittler sehen einige der Süchtigen ein- oder zweimal, dann schaffen diese den Ausstieg. Andere tauchen immer wieder auf, wie beispielsweise Eva-Maria T. Die 47-Jährige trägt ihre langen, fettigen Haare unter einem Béret, ihren ausgemergelten Körper hält sie unter einer Jacke mit Raubkatzenmuster versteckt. Grosse blaue Augen, rötlich aufgedunsene Hände, spindeldürre Beine.

 Sie erzählt den Mittlern ungefragt ihre Lebensgeschichte: Eva-Maria lebte Ende der 1980er-Jahre auf dem Platzspitz in Zürich, jobbte als Kellnerin, verlor die Arbeit und finanzierte sich ihre Sucht, indem sie auf den Strich ging. Es folgten Diebstähle, Aufenthalte im Gefängnis. Mit Tränen auf den Wangen berichtet sie von zahllosen vergeblichen Therapien, davon, dass sie jetzt Gott und den Glauben gefunden habe, auch wenn der sie noch nicht von der Sucht befreien konnte. Sie preist die Liebe, verflucht das Heroin.

 Jugendliche Neueinsteiger sind zu jung, um die erschütternden Junkiebilder vom Platzspitz zu kennen, die um die Welt gingen. Sie haben auch nicht das Elend auf dem Zürcher Bahnhof Letten Anfang der 1990er-Jahre mitbekommen. Keller und Strasser sehen genau dort das Problem. "Die abschreckenden Bilder von damals kennen die heute 20- bis 30-Jährigen kaum noch", sagt René Keller.

 Peter A. ist einer von ihnen. Der 26-jährige Aargauer sieht mit seinem Bart und der ovalen Brille aus, als wäre John Lennon sein Vorbild. "Ich habe mit 16 Jahren meine Drogenkarriere begonnen", sagt er und stockt mitten im Satz. "Leider fangen viele sehr früh an. Aus Neugierde, wie ich, auch aus Unwissenheit, was einem blüht, wie ich."

 Mehr Prävention

In Italien, Deutschland und Österreich gibt es die neue Generation von jungen Heroinkonsumenten bereits. Und in Basel? Niemand weiss es wirklich. Die Fachleute geben es nur ungern zu, doch bei der Erfassung von Suchtproblemen gibt es ein unheimliches Zeitfenster. "Erst wenn die Jugendlichen durch die Netze der Schule und der Berufsschule fallen und ihnen am Arbeitsplatz oder zu Hause niemand hilft, erfährt der Staat Jahre später von ihrer Sucht", sagt Keller.

 Die EU schreibt im Drogenbericht aus dem Jahr 2009: "Jegliche Anzeichen für eine Verschärfung der Situation geben Anlass zu ernsthafter Sorge, insbesondere, da für Europa nun eine wirtschaftlich schwierige Phase beginnt."

 Evelyne Flotiront kennt den Hintergrund der Sorgen aus Brüssel: "Wenn die wirtschaftlichen Bedingungen schlecht sind, wächst die Sehnsucht nach einer dämpfenden, beruhigenden Droge gegen Ängste und Unsicherheiten."

 René Keller und Andreas Röllin beobachten weiter die Strasse. Mit Evelyne Flotiront und Hannes Strasser sind sie sich aber einig: "Die Heroinprävention muss wieder besser werden."

------------------
SQUAT LU
-----------------

zisch.ch 26.3.10

Andere Pläne

"Zick und Zwerg" besetzen das Geissmättli

Eine Gruppierung namens "Zick und Zwerg" hat das ehemalige Restaurant Geissmättli in der Stadt Luzern besetzt. Ziel: Der ehemalige Fixerraum soll zum "kulturellen Café" werden.

Das Geissmättli an der St. Karlistrasse soll "Platz zur Vernetzung von Künstlern, Kulturinteressierten und Jugendlichen bieten und als Plattform und Diskussionsraum für Visionen einer anderen Stadtentwicklung dienen", wie es in einem Mail mit anonymem Absender heisst.

Die Gruppierung "Zick und Zwerg" habe das Geissmättli seit Donnerstagabend "wiederbelebt". Laut beigelegtem Flyer wird am (heutigen) Freitag am Abend und an diesem Wochende auch tagsüber ein kulturelles Programm angeboten.

Stadt will polizeilich räumen lassen

Wie die Baudirektion der Stadt Luzern mitteilt, seien die Besetzer in einem Gespräch aufgefordert worden, die Liegenschaft zu verlassen. Der Stadtrat akzeptiere die Besetzung nicht und werde beim Amtsstatthalteramt Strafanzeige wegen Hausfriedensbruch einreichen. Ausserdem wird laut Mitteilung die polizeiliche Räumung beantragt, falls die Liegenschaft nicht unverzüglich geräumt werde.

Die Stadt Luzern ist Eigentümerin der Liegenschaft und hat im Februar einen Mietvertrag mit einem Nachmieter abgeschlossen. Bereits am 1. Juli soll das Restaurant Geissmättli laut Mitteilung dem künftigen Betreiber übergeben werden. Ab April wird die Stadt die nötigen Umbauten und Sanierungsarbeiten vornehmen.

Protest gegen neues Restaurant

Mit der Besetzung soll gegen die Pläne der Stadt, aus dem Geissmättli wieder ein Restaurant zu machen, protestiert werden. Das Argument: Zur Wiederbelebung des Restaurants Geissmättli seien verschiedene Ideen und Vorstösse bei den Stadtbehörden eingereicht. Statt eine "transparente und demokratische" Auseinandersetzung in die Wege zu leiten, habe die Stadt alle Interessierten vor "unumstössliche" Fakten gestellt - "dieses Verhalten ist kein Einzelfall".

"Zick und Zwerg" fordern, dass die Bewilligung für das gestellte Baugesuch nicht erteilt und der Pachtvertrag zurückgezogen wird. Im Gegenzug sollen Verhandlungen zur längerfristigen Nutzung des Geissmättlis in die Wege geleitet werden.

scd/ana

--

Reaktion

Jungfreisinnige fordern "sofortige" Räumung

Die Jungfreisinnigen Stadt Luzern verurteilen die Aktion, wie die Partei in einer Medienmitteilung schreibt. Diese sei "ohne jegliche Berechtigung und für einen Dialog absolut schädlich". Man unterstütze das Vorgehen des Stadtrates und fordere eine "sofortige" Räumung. Die dafür verantwortlichen Personen seien dafür zur Rechenschaft zu ziehen.
scd

---

Indymedia 26.3.10

luzerner Geissmättli wiederbelebt ::

AutorIn : Zick und Zwerg         

Die Medienmitteilung zum seit gestern (25/03/10) besetzten und wiederbelebten Restaurant Geissmättli, in Luzern     
    
Medienmitteilung
von "Zick & Zwerg"

Restaurant Geissmättli wiederbelebt

Seit Donnerstag Abend haben Zick und Zwerg das ehemalige Restaurant Geissmättli wiederbelebt. Das Geissmättli ist ein idealer Ort für die Verwirklichung kultureller Projekte. Es soll Platz zur Vernetzung von KünstlerInnen, Kulturinteressierten und Jugendlichen bieten und als Plattform und Diskussionsraum für Visionen einer anderen Stadtentwicklung dienen. Alle Menschen sind herzlich dazu eingeladen, sich für den Aufbau eines kulturellen Cafés im Geissmättli einzusetzen.

Zur Wiederbelebung des Restaurants Geissmättli wurden verschiedene Ideen und Vorstösse bei den Stadtbehörden eingereicht. Offensichtlich besteht ein breites öffentliches Interesse an einer kulturellen Nutzung dieser Räume. Eine transparente, demokratische Auseinandersetzung darüber wäre unabdingbar gewesen. Stattdessen aber stellt die Stadt alle Interessierten vor unumstössliche Fakten. Dieses Verhalten ist kein Einzelfall: Die Stadtbehörden sind seit Jahren blind für die vielfältigen Anliegen der Luzerner Kulturszene. Mehrere Verhandlungsversuche sind am Desinteresse der Stadtbehörden gescheitert. Weder die Aktion Freiraum noch der Wagenplatz Sous-le-pont sind in den Verhandlungen mit Behörden und Politik zu einem Resultat gekommen. Weitere kulturelle Räumlichkeiten sind ersatzlos abgebaut worden oder längerfristig bedroht. Doch Zick und Zwerg geben sich mit diesem Vorgehen nicht mehr zufrieden.

Denn diese Politik vertreibt Randgruppen, Andersdenkende, sozial Schwächere aus der Stadt und zerstört die kulturelle Vielfalt. Stadtentwicklung wird mit einem Monopoly-Spiel verwechselt. Wir wehren uns dagegen, das Geissmättli bloss als ein weiteres Feld in diesem Spiel zu betrachten. Wir sind keine Steuerfaktoren, wir sind Menschen, Menschen mit Bedürfnissen, Wünschen, Ideen und Projekten. Und wir brauchen Platz für diese.

Deshalb fordern wir:

Keine Bewilligung für das gestellte Baugesuch und Rückzug des Pachtvertrags
Verhandlungen zur längerfristigen Nutzung des Geissmättlis für kulturelle Zwecke

Eine Stadtentwicklung, in welcher nicht Profitmaximierung, sondern kulturelle Vielfalt und Lebensqualität im Zentrum stehen.

Wir stehen wir Ihnen unter der Nummer 077 433 43 91 gerne für Fragen zur Verfügung.

Wir danken für die Berücksichtigung in Ihrer Berichterstattung.
Mit freundlichen Grüssen

Zick und Zwerg
    
--

Wiederbelebungsprogramm
26.03.2010 17:34  
Hier die fixen Punkte bis Sonntag (neben dem ständigen Kafibetrieb)
http://ch.indymedia.org/images/2010/03/74614.jpg

AutorIn: zick und zwerg

---

zisch.ch 15.3.10

Geissmättli hätte Kulturbüro werden sollen

Nun geht etwas mit dem seit langem leer stehenden ehemaligen Restaurant Geissmättli an der St.-Karli-Strasse in Luzern. Doch in die komplett falsche Richtung, findet David Roth.

Das zwischenzeitlich als Fixerraum betriebene Gebäude soll wieder als Restaurant genutzt werden - ein entsprechendes Baugesuch liegt seit dem 5. März auf. "Ein Vertrag mit einem Wirt ist abgeschlossen", sagt Stefan Christen, Leiter Finanzliegenschaften der Stadt. Bei den Umbauten, die rund 100'000 Franken kosten, handelt es sich hauptsächlich um Arbeiten, die das Restaurant behindertengerecht machen. Geht alles nach den Wünschen der Stadt, liegt die Bewilligung Ende Mai vor, sodass im Sommer die Arbeiten ausgeführt werden können. Dann könnte im September/Oktober das Lokal eröffnet werden.

Keine Antwort von Stadtverwaltung?

Doch das freut nicht alle. Grossstadtrat David Roth hat namens der SP/Juso-Fraktion zusammen mit Monika Senn Berger und Stefanie Wyss die Dringliche Interpellation "Wie verlief die Vergabe des Geissmättli?" eingereicht. Gemäss ihm hätten Einzelpersonen vor einem das Projekt "Kulturbüro Zentralschweiz" bei der Stadtverwaltung eingereicht. Dieses Projekt sei in den Räumlichkeiten des ehemaligen Restaurants Geissmättli geplant gewesen. Die Initianten dieses Projektes hätten nie etwas von der Stadtverwaltung gehört. Dieses Vorgehen des Stadtrates, insbesondere der Baudirektion, wird von den Unterzeichnern in einem Schreiben an die Medien als "untragbar" bezeichnet. Nun möchte Roth unter anderem genauer wissen, weshalb dies so gelaufen sei.

scd/red

---

zisch.ch 21.8.08

Geissmättli

Die Stadt Luzern schliesst ihren Fixerraum

Weil im Schnitt nur acht Süchtige den Fixerraum Geissmättli in Luzern besucht hatten, geht er Ende August 2008 zu. Der Stadtrat schlägt dem Grossen Stadtrat nun vor, das Pilotprojekt mit angepasstem Konzept in der GasseChuchi zu Ende zu führen.

Über die Ursachen für diese tiefen Frequenzen im Fixerraum sei man sich nicht im Klaren, teilte die Sozialdirektion der Stadt Luzern mit.

War der Standort zu wenig zentral? Fehlte die Kombination von Drogenkonsumräumen mit anderen Angeboten? Welche Rolle spielen veränderte Konsummuster? Um diese Fragen zu klären, soll nun ein Kontakt- und Anlaufstellen-Provisorium in der GasseChuchi eingerichtet werden.

Aus der schlechten Auslastung könne man zwar schliessen, dass der Bedarf an einem Fixerraum in Luzern nicht bestehe, heisst es in der Mitteilung. Es seien aber im öffentlichen Raum immer wieder Spritzen gefunden und auch die GasseChuchi sei mit Drogenkonsum konfrontiert worden.

Der Fixerraum Geissmättli war im August 2007 für einen 18-monatigen Versuchsbetrieb eröffnet worden. Die verbleibende Projektphase bis Ende Januar 2009 soll nun also genutzt werden, den Standort zu wechseln und das Konzept anzupassen.

sda

-----------------
SEMPACH
-----------------

Bund 27.3.10

Ueli Maurer unterstützt Petition, die Rechtsextreme verharmlost

 Der Verteidigungsminister engagiert sich für eine traditionelle Schlachtfeier in Sempach - trotz Neonazi-Aufmarsch.

 David Schaffner, Bern

 Ueli Maurer macht sich dafür stark, dass die Sempacher Schlachtfeier trotz des Aufmarschs von Rechtsextremen in den letzten Jahren auch künftig im bisherigen Rahmen stattfindet. Er stellt sich damit gegen die Luzerner Regierung, die dieses Jahr anstatt des Umzuges nur einen Gedenkgottesdienst durchführen will. Sie möchte den Neonazis keine Plattform mehr bieten. Die SVP Luzern will diesen Entscheid mit einer Petition umkehren. Einer der Unterzeichner ist Bundesrat Ueli Maurer, wie das Verteidigungsdepartement gegenüber dem "Bund" bestätigt.

 Neonazis oder "junge Patrioten"?

 Luzerner Politiker reagieren mit harscher Kritik auf die Unterstützung durch einen Bundesrat. Sauer stösst vor allem auf, dass die Petition die Neonazis verharmlost: Es seien nie Neonazis mitmarschiert, sondern "friedliche und anständige junge Patrioten", heisst es auf der Website der Luzerner SVP.

 Luzerner Politiker empört

 Der Luzerner CVP-Präsident Martin Schwegler hingegen meint: "Die Unterschrift von Ueli Maurer ist sehr heikel, denn offensichtlich handelte es sich um rechtsextreme Kräfte." Auch SP-Nationalrat Hans Widmer sagt: "Ueli Maurer unterstützt gefährliche Kräfte." Nach dem letztjährigen Aufmarsch von rund 260 Rechtsextremen seien zwei Personen wegen verbotenen Waffentragens verurteilt worden. Überdies habe sich ein Bundesrat nicht in die Belange eines Kantons einzumischen. "Ueli Maurer hat die Autonomie der Kantone zu respektieren", findet Widmer. Und der grüne Nationalrat Louis Schelbert ergänzt: "Maurer muss sich künftig genauer mit den Forderungen auseinandersetzen, unter die er seine Unterschrift setzt."

 Der Verteidigungsminister lässt den Vorwurf der Unterstützung extremer Kräfte indes nicht gelten, wie er einen Sprecher ausrichten lässt: "Bundesrat Maurer distanziert sich von politischem Extremismus. Die Empfänger der Petition werden aufgefordert, sich für die schweizerische Kultur einzusetzen und eine würdevolle Feier zu organisieren." Würdevoll bedeute eine Feier ohne politischen Extremismus.

 Wie eine traditionelle Feier ohne Neonazi-Aufmarsch möglich sein soll, ist den Luzernern indes ein Rätsel. Gerade deshalb wolle man eine neue Feier. Wie es 2011 weitergeht, lässt der Kanton offen. Eine Projektgruppe erarbeitet ein grundlegend neues Konzept.

--------------------------------
ANTI-SEMITISMUS
--------------------------------

NZZ 27.3.10

Zunahme judenfeindlicher Übergriffe

 (sda) ⋅ Die jüdischen Gemeinden in der Westschweiz sind beunruhigt: Im letzten Jahr zählte die Westschweizer Koordinationsstelle gegen Antisemitismus und Diffamierung (Cicad) 153 judenfeindliche Übergriffe. Im Vorjahr waren es 96 gewesen. Vor allem Internet-Blogs dienen als Schauplätze von Diffamierungen, wie es in dem am Freitag präsentierten Cicad-Jahresbericht heisst. Die Autoren verstecken sich dabei meist hinter Pseudonymen. Neben zahlreichen kleineren Vorkommnissen zählt die Cicad auch 22 "ernste" Fälle auf. Dabei geht es vor allem um Beschimpfungen und Bedrohungen, um öffentliche Diffamierungen und um antisemitische Sprayereien.

------------------
NOTHILFE
------------------

NZZ am Sonntag 28.3.10

Sozialhilfestopp zeigt wenig Wirkung

 Abgewiesene Asylsuchende halten sich mit Verkauf von Migros-Gutscheinen über Wasser

 Trotz minimaler Unterstützung bleiben viele abgewiesene Asylsuchende in der Schweiz. Das habe auch damit zu tun, dass Organisationen und Private den Asylsuchenden Hilfe bieten, kritisieren Kantonsvertreter.

 Matthias Herren

 Am Dienstag über Mittag ist das Flüchtlingscafé in Zürich gerammelt voll. Woche für Woche kommen im Durschschnitt 150 abgewiesene Asylsuchende in das Lokal an der Militärstrasse. Sie wechseln hier ihre acht Franken Nothilfe, die sie im Kanton Zürich pro Tag in Form von Migros-Gutscheinen erhalten, in Bargeld.

 "Oft ist nicht die Migros die beste Gelegenheit, sich möglichst günstig mit dem Nötigsten einzudecken", sagt Michael Stegmaier vom Flüchtlingscafé. "In Caritas- oder Secondhand-Läden kaufen die Asylbewerber billiger ein." Doch dafür brauchen sie Bargeld, genauso wie für das Zugfahren oder das Telefonieren. Entsprechend stark hat der Handel mit den Migros-Gutscheinen in den letzten Monaten zugelegt. Zurzeit werden wöchentlich Gutscheine im Wert von rund 10 000 Franken umgetauscht.

 Eigentlich dürften die Nothilfebezüger gar nicht mehr in der Schweiz sein. Um sie zur raschen Ausreise zu bewegen, wurde Anfang 2008 für abgewiesene Asylbewerber der Sozialhilfestopp eingeführt. Doch die vom damaligen Bundesrat Christoph Blocher (svp.) lancierte Massnahme zeigt bisher nicht die gewünschte Wirkung. Die Zahl der Ausgewiesenen, die in der Schweiz bleiben, stagniert auf hohem Niveau. 2008 verliessen nur 12 Prozent die Schweiz, im ersten Halbjahr 2009 waren es mit 10 Prozent gar noch weniger. Mitte 2009 erhielten 5246 Menschen Nothilfe.

 Kantone zahlen Millionen

 Im Kanton Zürich bezieht die Hälfte der abgewiesenen Asylbewerber bereits zwischen einem und vier Jahren Nothilfe. Die 6000 Franken, die der Kanton pro Fall vom Bund als Pauschale erhält, decken aber nur die Kosten von knapp vier Monaten. Für die rund 1000 Nothilfebezüger müsse der Kanton deshalb jährlich gegen neun Millionen Franken aus der eigenen Kasse bezahlen, sagt Ruedi Hofstetter, Chef des kantonalen Sozialamts. Dass nun mit Migros-Gutscheinen gehandelt wird, stört ihn. "Wir haben aber keine bessere Lösung." Das Abgeben von Lebensmittelpaketen sei zwar geprüft, doch aus hygienischen Gründen wieder verworfen worden. Auch wäre der Vertrieb sehr teuer gewesen.

 Im Kanton St. Gallen hat sich die Zahl der Nothilfebezüger innerhalb eines Jahres von 129 auf 208 Personen nahezu verdoppelt. Dass der Sozialhilfestopp nicht die gewünschte Wirkung zeigt, hat für den stellvertretenden Leiter des St. Galler Ausländeramts, René Hungerbühler, damit zu tun, dass er ständig unterlaufen werde. "Gewisse Personen und Institutionen bilden eine eigentliche Schattenbetreuung für Ausreisepflichtige, so dass diese immer weniger mit dem absoluten Minimum leben müssen", kritisiert Hungerbühler. Auch im Kanton Aargau gibt es immer mehr Nothilfebezüger. Der Sprecher des Aargauer Gesundheitsdepartements, Balz Bruder, sieht das Problem im "mangelhaften Wegweisungsvollzug".

 Vollzug muss optimiert werden

 Die Klagen der Kantone wurden in Bern gehört. Ein Fachausschuss, bestehend aus Vertretern von Bund und Kantonen, setzt sich zurzeit mit der Langzeitproblematik in der Nothilfe auseinander. Mario Gattiker, Leiter des Ausschusses und Vizedirektor des Bundesamtes für Migration, betont, dass sich der Sozialhilfestopp bewährt habe. "Ohne diesen wären noch mehr abgewiesene Asylbewerber in der Schweiz." Allerdings müsse der Vollzug optimiert werden. Dazu legt der Fachausschuss bis Ende April einen Bericht vor. Michael Stegmaier vom Flüchtlingscafé ist jedoch überzeugt, dass die Nothilfebezüger auch bei verstärktem Druck nicht ausreisen werden. Sie würden selbst ohne Unterstützung bleiben. "Was aber steigen wird, ist die Kriminalität", sagt er.

---

Grenchner Tagblatt 27.3.10

"Flüchtlinge" verflüchtigt

 Die sinkenden Aufnahmezahlen rühren auch daher, dass die Anzahl Nichteintretensentscheide (NEE) weiter zunimmt. Bedingt durch das neue Dublinverfahren, werden immer mehr Asylsuchende abgewiesen. Dies zeigen die Zahlen aus dem Kanton Solothurn: 2008 waren es 70, 2009 bereits 230 NEE. Aus Angst vor einem Wegweisungsentscheid oder der Ausschaffung stehlen sich solche Asylsuchende dann frühzeitig davon. Bernhard Felder, LeiterSozialhilfe und Asyl Kanton Solothurn, bestätigt, dass diese Personen nur äusserst selten wieder gefunden werden. Sie tauchen unter, "in einen anderen Kanton oder ein anderes Land". Genau wisse man das nicht, so Felder. (fup)

--------------------------------------
AUSSCHAFFUNGS-TOD
--------------------------------------

Sonntagszeitung 28.3.10

Name des Toten unbekannt

 Kloten Der Mann, der am 17. März bei der versuchten Zwangsausschaffung von 16 Nigerianern verstorben ist, ist nicht, wie die Polizei anfänglich glaubte, der 29-jährige Alex Uzowulu. Ein Verwandter hatte die Leiche nicht identifizieren können. Auch nach der Obduktion ist die Todesursache ungeklärt. Laut Amnesty International und Waadtländer Polizeikreisen hatten die Zürcher Polizisten die Nigerianer zu eng gefesselt. Dabei sagt Jean-Michel Claude, Direktor des Genfer Gefängnisses Frambois, in dem zwei der Nigerianer einsitzen, "seine" beiden Häftlinge wären freiwillig nach Lagos geflogen. Amnesty fordert in Briefen an den Zürcher Regierungsrat Markus Notter und Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, einen ausserkantonalen Untersuchungsrichter einzusetzen. (PT)

---

bernerzeitung.ch 27.3.10

Nigerianer demonstrieren gegen Rassismus und Gewalt

sda / jam

 Über 100 Personen, die meisten von ihnen aus Nigeria, haben am Samstag in Bern gegen den Tod eines Ausschaffungshäftlings im Kanton Zürich protestiert. Sie forderten Gerechtigkeit und prangerten rassistische Vorfälle in der Schweiz an.

 Der Tod des 29-jährigen Nigerianers Mitte März sei nur eines von verschiedenen Beispielen, sagte ein Sprecher der Kundgebung auf dem Berner Waisenhausplatz. Rassistische Angriffe, insbesondere gegen Schwarzafrikaner, seien in der Schweiz kein seltenes Phänomen.

 Die Kundgebungsteilnehmer, darunter auch Nationalrat Ricardo Lumengo (SP), wandten sich gegen behördliche Übergriffe, gegen Menschenrechts- und Grundrechtsverletzungen sowie gegen Diskriminierung. Auf Transparenten standen Slogans wie "Stopp das Morden" oder "Kein Mensch ist illegal".

 Widerstand gegen die Ausschaffung

 Der 29-jährige Nigerianer starb am 17. März auf dem Flughafen Zürich-Kloten. Von dort hätte er mit einem Sonderflug nach Nigeria gebracht werden sollen.

 Der Mann hatte sich heftig gegen die Ausschaffung gewehrt und wurde deshalb mit Gewalt gefesselt. Plötzlich verschlechterte sich sein Gesundheitszustand rapide und er starb trotz Reanimationsmassnahmen. Der Nigerianer war einige Tage zuvor in einen Hungerstreik getreten.

----------------------
HOMOHASS
----------------------

NZZ 27.3.10

Hetze gegen Homosexuelle in Uganda

 Sektenprediger schüren die Abneigung gegenüber Schwulen und Lesben in afrikanischen Gesellschaften

 Die Rechte von sexuellen Minderheiten werden fast überall in Afrika mit Füssen getreten. In Uganda sieht eine Gesetzesvorlage für gewisse Fälle gar die Todesstrafe vor.

 Markus M. Haefliger, Kampala

 Was Bischof Christopher Senyonjo sagt und tut, ist nur wahr und vernünftig, aber es könnte ihn ins Gefängnis bringen, wenn in Uganda ein neues Gesetz über das Verbot der Homosexualität angenommen wird. Der 78-jährige anglikanische Geistliche im Unruhestand betreibt in einem ehemaligen Ladenlokal der Hauptstadt Kampala eine Familienberatungsstelle. Er ist bekannt dafür, dass seine Türen auch homosexuellen Paaren offenstehen. Schwule und Lesben hätten in Uganda ein schweres Los, sagt Senyonjo. Sie litten an Schuldgefühlen oder daran, dass sie keine Partner fänden. Wenn sich ihre Veranlagung herumspreche, würden sie drangsaliert.

 Rufer in der Wüste

 Der Bischof spricht ruhig und im gepflegten Englisch älterer Ugander, die noch während der Kolonialzeit in die Missionsschule gingen. Er trägt einen Ring aus Amethyst, der zum violetten Talar passt. Diesen hat er wie zum Trotz angezogen, wenn er sonntags in die Kirche geht. Der Erzbischof von Uganda untersagte ihm, Messen zu lesen. Senyanjo hatte sich geweigert, seine Haltung gegenüber Homosexuellen zu widerrufen. Die meisten Homosexuellen könnten sich nicht ändern, sagt er. "Sie sind Menschen wie du und ich."

 In Uganda gelten solche Ansichten als ketzerisch. Sektenprediger und Politiker schüren seit zwei Jahren eine in afrikanischen Gesellschaften latent vorhandene Homophobie. Dabei spielen sie sich als Wohltäter auf, die Schwule und Lesben von ihrem Zustand "erlösen" wollten, und sei es mit der Androhung drakonischer Strafen. Die Hetze wurde von Martin Ssempa ausgelöst, dem Leiter der Makerere Community Church, einer der Pfingstbewegung nahestehenden Erweckungskirche.

 Vor seiner eigenen Bekehrung hatte Ssempa das ugandische Anti-Aids-Programm mitgestaltet, das mit amerikanischen Geldern der Administration Bush finanziert worden war. Dabei lernte er Missionare des Family Life Network kennen, einer amerikanischen Organisation, die im Kampf gegen Aids Treue und sexuelle Abstinenz propagiert. 2008 und 2009 lud er seine Verbündeten zu Vortragsreihen ein, um die Ugander über die Gefahren der Homosexualität aufzuklären. An den Veranstaltungen nahmen auch Polizisten, Lehrer und Politiker teil. Eine Kernaussage der Seminare lautete nach Beobachtern, ausländische Schwule wollten "die afrikanische Familie" zerstören.

 Schwulenbars vor dem Out

 Laut Pepe Onziema von der Bürgerrechtsbewegung Sexual Minorities Uganda (Smug) werden Homosexuelle seither systematisch drangsaliert. Eine Boulevardzeitung ("Red Pepper") veröffentlicht Namenlisten von Homosexuellen, die Polizei hält Schwule und Lesben oft stundenlang fest. Laut Onziema machen sich "Boda-Bodas", Fahrer von Motorradtaxis, einen Sport daraus, Schwule zusammenzuschlagen. Lesben würden, häufig von Familienmitgliedern, mit dem höhnischen Ruf bedroht, sie benötigten "eine Lektion". Onziema, eine bekennende Lesbe, kleidet sich weiterhin eigenwillig in Anzug und Krawatte, aber die 29-Jährige gibt mehr für Taxifahrten aus als für das Essen. Sie fühle sich nur in geschlossenen Räumen sicher, sagt sie.

 In Kampala sind fast alle Schwulenbars verschwunden. Zuvor hatte es drei solche Treffpunkte gegeben; sie waren an allen Tagen geöffnet. Die Polizei soll darauf Gespräche mit den Besitzern geführt haben, worauf diese die Etablissements schlossen oder den Pächter auswechselten. Zurzeit können Homosexuelle noch einen Nachtklub besuchen, ohne behelligt zu werden - einmal pro Woche. Die Stimmung in dem Lokal ist an einem dieser Abende aufgeräumt. Auf einer Freiluftbühne treten Gruppen von jungen Frauen oder Männern auf, die zur aufgelegten Musik tanzen. Zwei Conférenciers reissen anzügliche Sprüche. Die Schwulen sind in der Minderheit. Sie bewegen sich ungeniert, aber nicht schamlos. Niemand weiss, wie lange die Toleranz noch währt. Im Februar wechselte die Betriebsführung auch hier.

 Letztes Jahr sprangen Politiker auf den Anti-Schwulen-Zug auf. Ugandas Minister für Ethik und Integrität, James Buturo, warf der Uno vor, Afrikanern die Duldung der Homosexualität aufzwingen zu wollen. Anfang dieses Jahres rief er Bürgerrechtlern zu, Homosexuelle könnten "ihre Menschenrechte vergessen". Bereits im September hatte David Bahati, ein bisher weitgehend unbekannter Jungpolitiker des regierenden National Resistance Movement, im Parlament den Entwurf für ein Anti-Homosexuellen-Gesetz eingebracht.

 Rabiates Gesetz

 Nach dem Gesetzesvorschlag muss als Mindeststrafe für homosexuelle Handlungen lebenslänglicher Freiheitsentzug verhängt werden. Wiederholungstäter und Personen, die mit Jugendlichen sexuell verkehren, sollen gehenkt werden. Unterstützung für Homosexuelle würde mit bis zu sieben Jahren, die Beihilfe zu Homo-Ehen mit lebenslänglich Gefängnis bestraft. Wer Kenntnis hat von homosexuellen Umtrieben, muss diese innert 24 Stunden der Polizei melden; Zuwiderhandlungen werden mit bis zu drei Jahren Gefängnis bestraft. Ausserdem soll Uganda alle internationalen Verträge kündigen, welche die Rechte von Homosexuellen gewährleisten.

 Martin Ssempa, der Urheber der homophoben Welle, steht an einem sonnigen Sonntag als Vorbeter vor seiner Gemeinde. Der Gottesdienst findet in einer Halle der Universität Makerere statt. Zur Einstimmung werden Kirchenlieder gesungen. Der Pastor gibt im Rhythmus den Text vor, die rund 350 Besucher psalmodieren. Auf der Bühne täuschen feenhaft gekleidete Frauen Ekstase vor, während eine elektrische Orgel und eine Bassgitarre das Erlebnis untermalen. Ssempas Kirche ist keine Armenkirche, in der die Anhänger schnell einmal den Kopf verlieren. Laut Teilnehmern sind die meist jugendlichen Mitglieder Studenten und an der Uni ausgebildete Berufsleute.

 Ssempa pflegt seine Predigten mit Fakten zu untermauern. An diesem Tag wettert er gegen die Ausbeutung der Massen durch ausländische Mobiltelefonie-Unternehmen und lässt dazu eine mehrseitige Dokumentation verteilen. Mit ähnlicher Zielsetzung projizierte er kürzlich pornografische Bilder der wüstesten Sorte an die Wand. Ssempa erwähnt sein Lieblingsthema diesmal nur am Rande, im Zusammenhang mit dem besonderen Verkaufsargument seiner Kirche, nach dem alle Sünder, ob Ausbeuter oder Homosexuelle, Läuterung erwarten dürfen. "Yes, you can", lautet das aus Amerika importierte Motto.

 Penelope Kirabo, die als Sekretärin in einem Anwaltsbüro arbeitet, ist mit Ssempa einverstanden. Schwule hätten "Probleme mit ihren Geschlechtsteilen", die niemanden gleichgültig lassen könnten. Sie glaubt auch die demagogische Behauptung des Pastors, Ausländer lockten Studenten mit Stipendien an, um sie "für die Sache der Homosexualität zu rekrutieren". Die Absicht rechtfertige die Todesstrafe, sagt sie.

 Homophobie dringt nicht nur in Uganda in den öffentlichen Raum ein, sondern in mehreren Ländern Afrikas (siehe Zusatz). Die Aktivistin Pepe Onziema sieht als einen Grund dafür das wachsende Selbstbewusstsein von Schwulen und Lesben. In Uganda hatte die Gruppe Smug 2007 erstmals eine Medienkampagne unter dem Titel "Let us live in peace" geführt. Danach hätten die Angriffe begonnen. Eine zweite Ursache liegt wohl darin, dass Politiker die Homophobie als Resonanzkörper für wohlfeile Reden entdeckt haben, mit denen sie von der Korruption und der versäumten Entwicklung ablenken. Ssempa, der mit der First Lady, Janet Museveni, befreundet ist, hat die Korruption an der Staatsspitze bezeichnenderweise noch nie aufgegriffen.

 Tabuisierung Aids-freundlich

 Die dritte Triebfeder ist die Furcht vor Aids. Die amerikanische Organisation Human Rights Watch dokumentierte schon 2003, wie in Staaten des südlichen Afrika Regierungspolitiker Schwule zum Sündenbock machen. In Tat und Wahrheit ist es umgekehrt - die Tabuisierung der Homosexualität erhöht die Ansteckungsgefahr, wie eine letztes Jahr in der Fachzeitschrift "Lancet" veröffentlichte Untersuchung nachweist. Danach heiraten Schwule in Afrika häufig Frauen, die so einem erhöhten Risiko ausgesetzt werden. Ausserdem sind Schwule oft von Angeboten im Rahmen von Anti-Aids-Massnahmen ausgeschlossen.

 Ein vierter Grund liegt in der Krise der afrikanischen Grossfamilie. Früher regelte die Sitte die sexuellen Rechte und Pflichten von Familienmitgliedern rigoros. Zur Zeit seiner Eltern seien Tabus so mächtig gewesen, dass in seinem Dorf im Südwesten Ugandas Verwandte mit abweichendem Verhalten von einem hohen Felsen gestossen worden seien, sagt der Familiensoziologe Peter Atekyereza. In der Folge von Modernisierung und Verstädterung ist die Institution der Grossfamilie in Auflösung begriffen und lebt für viele Afrikaner nur noch in der Erinnerung fort. Als umso attraktiver erweisen sich symbolische Stützen, welche wahre und vermeintliche Traditionen anbieten.

 Die Zukunft der ugandischen Vorlage ist offen. Sie ist populär und verspricht der bedrängten Regierungspartei bei den Wahlen 2011 Stimmengewinne. Aber weil das entrüstete Ausland mit einer Kürzung der Finanzhilfen droht, ist Präsident Museveni in der Zwickmühle. Gut möglich, dass er das Gesetzesprojekt schubladisieren lässt.

--

 Behördliche Homophobie in Afrika

 mhf. ⋅ In rund zwei Dritteln der afrikanischen Staaten sind homosexuelle Handlungen strafbar. Die einschlägigen Bestimmungen stammen meist aus der Kolonialzeit. Sie wurden lange kaum angewendet, nun jedoch vermehrt aus der Mottenkiste geholt.

 Am letzten Montag verfügte ein Richter in Malawi, dass sich zwei Männer im Alter von 26 und 20 Jahren vor Gericht zu verantworten haben. Die beiden behaupten, nie Sex miteinander gehabt zu haben. Sie hatten sich im Januar an einer traditionellen Feier die "Ehe" versprochen, für die es in Malawi gar keine Rechtsgrundlage gibt. Ihnen drohen bis zu 14 Jahre Freiheitsentzug.

 In Tansania verfolgten im Mai 2009 Fotografen und Polizisten gemeinsam ein schwules Paar in ein Hotel und brachen in deren Zimmer ein. Die Männer wurden verhaftet, die gemachten Aufnahmen ungehindert publiziert.

 Im April 2009 nahm Burundi Homosexualität als Tatbestand in das Strafgesetz auf. Auf entsprechende Handlungen stehen Strafen von bis zu 3 Jahren Gefängnis.

 Im Dezember 2008 verurteilte ein Gericht in Senegal 9 Männer, die eine Hilfsorganisation für HIV-positive Schwule, Lesben und Transsexuelle gegründet hatten, zu je 8 Jahren Gefängnis. Später annullierte ein Berufungsgericht das Urteil. Laut Menschenrechtsgruppen verurteilte Senegal 2009 insgesamt 30 Männer wegen "Handlungen wider die Natur".