MEDIENSPIEGEL 30.9.10
(Online-Archiv: http://www.reitschule.ch/reitschule/mediengruppe/index.html)
Heute im Medienspiegel:
- Reitschule-Kulturtipps (Tojo, DS, Kino)
- Reitschule bietet mehr: Danke, Erich Hess!
- Kultur-BotschafterIn BE
- Bern 68: Stattland-Rundgang 6.10.10
- Squat Fribourg: geräumt
- Squats NL: Kriminalisierung; 200 räumungsbedroht; Demos
- Volkshaus ZH: 100 Jahre Bewegung
- Drogen: Ritalin-Sucht; Kiff-Prävention
- Big Brother Sport: Bussen; Datenbank
- Privat-Security: Weinland-Streit; Brugg-Erfahrungen
- Ausschaffungen: Luftwaffen-Sondeflüge; Churer Ausschaffungsfall
- Ausschaffungs-Initiative: Zusatzstrafe Wegweisung
- Rechtsextrem: Dr. Alois B. Stocher; Rasierklingenkleberfalle
- Antisemitismus: Corbusier-Debatte
- RAF: Verena Becker am Buback-Prozess
- Anti-Atom: Pro-Endlager-Studien-Knatsch; Genfer Debatten; Finnland;
Rosatom-Milliarden
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REITSCHULE
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Do 30.09.10
21.00 Uhr - Frauenraum - "Die Körper der
Multitude", Lesung mit
dem Autor Robert Foltin
22.00 Uhr - Rössli - Midilux & Rössli
present: Heu, Stroh
und Hafer: Pixelpunks -live (Glücksscherben/ZH); Bertel Gee
(HLM/BE); Racker (Midilux, Festmacher/BE)
Fr 01.10.10
19.00 Uhr - Kino - Zyklus "Muslim/a. Die vielen
Gesichter des Islam" -
Eröffnungsanlass mit Apèro
20.00 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Auf meine Art! Junge
Muslime | Kurzfilme
22.00 Uhr - Frauenraum - POPSHOP "women only"
22.00 Uhr - Dachstock - 22-PISTEPIRKKO (FIN) &
DOLLHOUSE (SWE),
Support: DJ Brother Pantichrist. " rock, garage, soul
Sa 02.10.10
20.30 Uhr - Tojo - TITTANIC, die Achte Der
Quotenknüller!
Frauenanteil auf der Bühne: 100%
21.00 Uhr - Kino - "MUSLIM/A" - Kald Mig Bare Axel (Nenn
mich einfach
Axel) | Pia Bovin, Dänemark 2002
23.00 Uhr - Dachstock - Liquid Session: LENZMAN (NL),
EVESON (UK) &
RIYA (UK), Support: TS Zodiac, Rollin John & Badboy MC " drumnbass
So 03.10.10
09.00 Uhr - Grosse Halle - Flohmarkt und Brunch im SLP,
bis 16.00 Uhr
13.30 Uhr - Kino - Kinderfilm am Flohmi-SunntIg:
Pünktchen &
Anton, Österreich/D 1953
20.15 Uhr - Kino - Zusammen TATORT gucken
20.00 Uhr - Rössli - THE CHAP (UK) " rock,
electronica
Infos:
http://www.reitschule.ch
http://www.reitschulebietetmehr.ch
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Bund 30.9.10
Tittanic, die Achte
Texte mit Oberweite
In Sandra Künzis Lesereihe "Tittanic" mit ausschliesslich
weiblichen Stimmen werden am Samstag die Ostschweizerin Andrea Gerster,
die Zürcherin Esther Banz (Bild) und die Bernerin Nicolette Kretz
erwartet. Die drei treffen erst kurz vor der Veranstaltung aufeinander
und wählen ihre vorlesewürdigen Kolumnen selbst aus; ad hoc
werden dann die Texte und die Musik, die von Nadja Zela stammt, zu
einem "Tittanic"-Abend verwoben. (reg)
Tojo-Theater Reitschule Sa, 2. 10., 20.30 Uhr.
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BZ 30.9.10
Toptipps
Knüller mit Texten
Wieder mal geht im Berner Tojo-Theater der sogenannte
Quotenknüller "Tittanic" über die Bühne - eine Mischung
aus Performance, Lesung und Konzert, kuratiert von Sandra Künzi.
Die achte Ausgabe widmet sich dem Kolumnen-Genre und anverwandter
Textsorten. Eingebettet in die direkten und teils düsteren Songs
der Zürcher Musikerin Nadja Zela tragen die Autorinnen und
Journalistinnen Esther Banz (Zürich), Andrea Gerster (Thurgau) und
Nicolette Kretz (Bern) ihre Texte vor.
pd
"Tittanic, die Achte": Sa. 2. 10., 20.30 Uhr, Tojo-Theater Bern.
http://www.tojo.ch.
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Bund 30.9.10
22 Pistepirkko
Helden der Zwischentöne
Seit 30 Jahren stehen sie auf den Musikbühnen weltweit, und
es gibt kaum einen stilistischen Einfluss, der sie nicht gestreift
hätte: Elektronika, Pop, Psychedelik, Blues oder schlichter Rock
'n' Roll. 22 Pistepirkko, die finnischen Helden der Zwischentöne,
haben sich in den letzten Jahren wieder vermehrt der Gitarrenmusik
zugewandt und begeistern seither mit ihrem ironisch-melancholischen
Tundrablues. (reg)
Reitschule Dachstock Fr, 1. Oktober, 22 Uhr.
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Bund 30.9.10
Film Zyklus "Label: Muslima/Muslim"
"Bei Frauen ist es dasselbe"
Manchmal sind die Stempel, die der Westen dem Islam
aufdrückt, grob geschnitzt. Manchmal sind es aber auch die
muslimischen Männer, wie die Filmreihe der Berner Programmkinos
zeigt.
Regula Fuchs
"Der Islam wird heute auf den Schleier reduziert", sagt Su'ad
Saleh. Die ältere Dame ist in Ägypten eine hoch angesehene
Religionsführerin, die Ratsuchende in einer eigenen Fernsehsendung
berät. Brigid Maher porträtiert sie im Dokfilm "Veiled
Voices".
Dass die Schleierfrage nicht die einzige ist, die der Islam heute
aufwirft, beweist der Filmzyklus von "Das andere Kino", der fünf
Berner Programmkinos, mit einer vielfältigen Filmreihe. Gemeinsam
mit dem Verein "tuos - für eine tolerante und offene Schweiz"
werden unter dem Titel "Label: Muslima/Muslim" rund 40 Spiel-,
Dokumentar- und Kurzfilme gezeigt, die vor Augen führen, dass die
Stempel, die der Westen vielen Muslimen aufdrückt, oft grob
geschnitzt sind.
Das beginnt schon damit, dass Schleier nicht gleich Schleier ist
- wie Vanessa Langer in ihrer Kurzdoku "Regards sur le voile"
eindrücklich demonstriert. Die Schweizerin hat sich im Jemen die
ganze Vielfalt an Verhüllungsmöglichkeiten zeigen lassen und
festgestellt, dass auch ein Tuch, das nur gerade einen Sehschlitz offen
lässt, ein modisches Statement sein kann. Und ein
gesellschaftliches: Lässt eine Frau eine Haarlocke unter dem
Kopftuch hervorstehen, so zeigt sie an, dass sie weltoffen, tolerant
oder auch ein bisschen provokant ist. "Der Schleier ist meine
Identität, ich bin stolz darauf", sagt dagegen eine Frau, von der
man nichts sieht als die Wimpern zwischen den Tuchrändern - und
die für westliche Augen damit gesichtslos und ohne Identität
bleibt. Langer zeigt einige für uns irritierende Bilder: wie etwa
eine Ärztin im weissen Kittel einem Mann eine Spritze gibt - ihr
Gesicht allerdings ist unter einem Tuch versteckt. Eine solche Art der
Verschleierung ist auch für jemenitische Männer
problematisch: Man habe das Gefühl, man spreche mit einer Wand,
wenn die Gesprächspartnerin total verhüllt sei, sagt einer.
Delikat ist die Sache auch, wenn es ums Heiraten geht: Manch einer
sieht das Gesicht seiner Gattin erst in der Hochzeitsnacht.
Ganz nach oben kommen sie nicht
Die Frauen in "Veiled Voices" tragen zwar auch Kopftücher,
ihre Lebensweise erscheint dem Okzident jedoch viel näher. Und
auch ihre Probleme als Frauen in einer Männerdomäne. Brigid
Maher porträtiert Frauen aus Ägypten, Libanon und Syrien, die
religiöse Führerinnen sind. Aber auch wenn der Koran es
theoretisch nicht verbietet, dass sie in höhere religiöse
Ämter aufsteigen könnten - die bestehenden Männergremien
tun es.
Nicht jedes Klischee wird in "Label: Muslim/Muslima" widerlegt.
"Heirate drei, vier Frauen, wenn du dir es leisten kannst", sagt der
Koran, und im ländlichen Iran wird dieser Satz wörtlich
genommen. Etwa in der Familie von Heda, der vier Frauen und eine
Busladung Kinder hat. Die schwedisch-iranische Filmerin Nahid Persson
begleitete die Familie drei Jahre lang. Die Anfangssequenz von "Four
Wives - One Man" kondensiert das problematische familiäre
Knäuel, in dem alle stecken und dabei nicht recht glücklich
sind: "Sag, dein Sohn sei gut", sagt eine der Ehefrauen zu ihrer
Schwiegermutter. Diese antwortet: "Mein Sohn ist gut - darin, mit euch
Sex zu haben. Er liebt euch alle." - "Liebt?", fragt eine der Frauen
mit Stirnrunzeln.
Die vier Ehefrauen sind trotz der Konkurrenz in ihrer
Abhängigkeit von Heda aneinandergekettet und streiten ständig
darum, wer wie viel Aufmerksamkeit, Fleisch und Geld bekommt. Dennoch
gibt es auch jene Momente, in denen die Frauen gemeinsam lachen - vor
allem, wenn sie Heda schlechtmachen. Denn er eignet sich bestens als
Feindbild. Auch für das Publikum, wenn er sagt: "Schau dir die
Schafe an, eines gleicht dem anderen. Bei Frauen ist es dasselbe."
Kinos Cinématte, Lichtspiel, Kunstmuseum, Reitschule,
Kellerkino 1. bis 31. 10. Programm und Infos: http://www.dasanderekino.ch.
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WoZ 30.9.10
Kultour Film
Label Muslima/Muslim
"Weiterer Triumph für die Muslime!" titelte der "Blick"
vergangene Woche: "Vorgestern die Baubewilligung für das Minarett,
gestern die Aufhebung des Kopftuchverbots: Es läuft gut für
die Muslime in der Schweiz."
Immer häufiger werden in den Medien - nicht nur im "Blick" -
"die Muslime" als eine homogene, einheitliche Gruppe dargestellt - die
sie so gar nicht sind. Die in der Schweiz lebenden MuslimInnen kommen
aus unterschiedlichen sprachlich-kulturellen, nationalen und
innerislamischen Traditionen.
Der Verein für eine tolerante und offene Schweiz (Tuos)
organisiert während des Oktobers gemeinsam mit den fünf
Berner Programmkinos die Film- und Veranstaltungsreihe "Label:
Muslima/Muslim. Die vielen Gesichter des Islam". Ziel des Projekts ist
es, einen Beitrag zur differenzierteren Wahrnehmung der muslimischen
Minderheit in der Schweiz zu leisten und die Vielfalt der MuslimInnen
sichtbar zu machen. Rund vierzig Spiel-, Dokumentar- und Kurzfilme
werden gezeigt, ausserdem finden mehrere Rahmenveranstaltungen statt.
Die monatliche Veranstaltungsreihe ist in fünf thematische Felder
unterteilt: Diaspora, Frauen, religiöse Praxis, Brücken und
Junge. Zu sehen sind unter anderem der persönliche und
aufschlussreiche Dokumentarfilm "City Walls - My Own Private Teheran"
von Afsar Sonia Shafie, Ken Loachs "Ae Fond Kiss", der von der Liebe
zwischen einem muslimischen Pakistani und einer katholischen Irin in
Glasgow erzählt, oder "Les Silences du Palais" der tunesischen
Regisseurin Moufida Tlatli. süs
Label: Muslima/Muslim. Die vielen Gesichter des Islam, in: Bern
Kino Cinématte, Kellerkino, Kino in der Reitschule, Kino
Kunstmuseum und Kino Lichtspiel, Fr, 1. Oktober, bis So, 31. Oktober. http://www.dasanderekino.ch
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BZ 29.9.10
Filmreihe in den Berner Kinos
Von den vielen Gesichtern des Islam
"Den" Islam gibt es nicht. Das beweist die Filmreihe "Label:
Muslim/a". Sie wird diesen Monat in verschiedenen Berner Kinos gezeigt
und ist eine Reaktion auf die Annahme der Minarett-Initiative im
letzten November.
Ein junger französischer Secondo muss mit seinem
marokkanischen Vater nach Mekka fahren. Der westliche Sohn fühlt
sich durch den gläubigen Muslim überfordert. Auf der Reise
kommen sich die beiden schliesslich doch näher. Darum dreht sich
"Le grand voyage".
Der Spielfilm ist einer von rund 40 Filmen, die im Rahmen der
Reihe "Label: Muslim/a" gezeigt werden. Den ganzen Oktober widmet "das
andere Kino", ein Zusammenschluss von fünf Berner Programmkinos,
dem Islam.
Eine Brücke schlagen
Es geht dabei um Tradition, aber nicht nur. Auch um Klischees, um
Vorurteile und nicht zuletzt um Verständnis. Eine Brücke soll
geschlagen werden zwischen Schweizern und Muslimen. Das ist auch das
Ziel des Vereins Tuos, der die Reihe initiiert hat. Tuos (Verein
für eine tolerante und offene Schweiz) ist ein lockerer
Zusammenschluss aus Gleichgesinnten, die sich letzten Dezember, im
Anschluss an die Annahme der Minarett-Initiative, gefunden haben. Ihr
erstes Projekt war eine Internet-petition, die im März an eine
muslimische Jugendorganisation übergeben wurde. Über 4000
Menschen hatten darin bekannt: "I said No" ("Ich sagte Nein").
Die Filmreihe ist nun das zweite Projekt der Gruppe. "Wir haben
den Kinos rund 100 Titel vorgeschlagen", erzählt Stefanie Arnold,
Vorstandsmitglied von Tuos. Aus der Liste wählten die Kinos
anschliessend nach Möglichkeit und Vorliebe aus und ergänzten
mit eigenen Filmen.
Breites Programm
So ist ein breites Programm entstanden, das verschiedene
Themenfelder absteckt. Es gibt Filme zur Diaspora, der im Ausland
lebenden Bevölkerung eines Landes, zur Religion, zu jungen
Menschen und zu Frauen. Die Filme stammen aus ganz verschiedenen
Ländern.
So ist zum Beispiel "Exile Family Movie" ein amüsanter
Dokumentarfilm über eine iranische Grossfamilie in
Österreich. "Der Weg nach Mekka" berichtet von einem jungen Mann,
der 1900 als Jude in Lemberg zur Welt kommt, zum Islam konvertiert und
ein bedeutender muslimischer Denker wird. Und "Na Putu" ist eine
Liebesgeschichte aus Bosnien-Herzegowina, die die fundamentale Frage
stellt: Wie viel Religion erträgt der Mensch?
Gespräche nach dem Film
Stefanie Arnold empfiehlt aber nicht nur die Filme, sondern auch
die Gespräche, die es im Anschluss an einige Vorführungen
gibt. Zum Beispiel diskutieren nach "Na Putu" zwei Musliminnen mit dem
Publikum über den Film. Und die Eröffnungsveranstaltung, die
sich Kurzfilmen von jungen Muslimen und Musliminnen widmet, ist gefolgt
von einem Gespräch mit jungen Menschen. Unter ihnen auch die
praktizierende Muslimin Fathima Ifthikar, die im Vorstand von Tuos
sitzt. Verständnis soll laut Stefanie Arnold nicht nur durch die
Filme entstehen, sondern auch den Austausch darüber. Denn
dafür gebe es ein Bedürfnis: "In den letzten Monaten habe ich
festgestellt, dass zwar viele schockiert über das Minarettverbot
waren, doch gleichzeitig wenig über den Islam wussten und keine
Muslime persönlich kannten. Das wollen wir ändern."
Marina Bolzli
Vollständiges Programm unter: http://www.dasanderekino.ch.
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REITSCHULE BIETET MEHR
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WoZ 30.9.10
Ausserdem
Reitschule: Danke, Erich Hess!
von Dinu Gautier
Sie, Erich Hess, sind als SVP-Parlamentarier der Stadt Bern auf
die wahnsinnig originelle Idee gekommen, per Initiative die Schliessung
des alternativen Polit- und Kulturzentrums Reitschule und dessen
Versteigerung an den Meistbietenden zu fordern. Ganze 31,6 Prozent sind
Ihnen nun an der Urne gefolgt. Damit ist die vierte
Anti-Reitschule-Initiative gescheitert - und zwar so deutlich wie nie
zuvor.
Zur Deutlichkeit der Ablehnung, geschätzter Herr Hess, haben
Sie einiges beigetragen. Da war doch dieses Musikvideo von
Müslüm: bunt und trashig, ein Ihnen persönlich
gewidmeter Hit. Wie haben Sie darauf reagiert? Statt zu tanzen, luden
Sie und Ihr Komitee zu einer Pressekonferenz ins Untergeschoss eines
sterilen Hotels, gaben die durch zigfache Wiederholung nicht weniger
absurd werdenden Sätze à la "Das sind Terroristen" von sich
und boten ein dermassen graues Bild, dass das Lokalfernsehen in Sorge
um das psychische Wohlbefinden seiner ZuschauerInnen Szenen aus dem
Müslüm-Video in den Bericht reinschneiden musste. Thomas
Fuchs, Ihr Ziehvater, drohte Radiostationen andererseits mit Klagen,
sollten sie das Müslüm-Lied spielen.
Ihre GegnerInnen legten sich derweilen heiter und vergnügt
ins Zeug, zogen mit einem trojanischen Pferdchen durch die Stadt und an
Quartierfeste. Die Abstimmungs-CD, zu der MusikerInnen kostenlos Lieder
beigesteuert hatten, verkaufte sich über 3000 Mal, bald gab es
kaum eine Strasse mehr, an der nicht eine bunte
Reitschule-Unterstützungsfahne an einer Fassade hing.
Zum Schluss, am Abstimmungstag, strömten Hunderte vor die
Reitschule, feier ten, tranken Freibier. Sie hingegen zogen allein
durch die graue Innenstadt, übten sich in Selbstmitleid ("Drei
Viertel der Berner sind Linke") und kündigten an, die Reitschule -
diesen "rechtsfreien Raum" - nun auf kantonaler Ebene zu bekämpfen.
Gäbe es Sie nicht bereits, Herr Hess, man müsste Sie
erfinden. Als realsatirische Antithese zu einem Ort des
kreativ-vergnügten Freiraums, wie es die Reitschule ist und bleibt.
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KULTURBOTSCHAFT
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BZ 30.9.10
Kulturveranstalter Christian Pauli
Gesucht: Botschafter für Kultur
"Kultur soll selbstverständlicher werden", fordert Christian
Pauli, Präsident des Vereins der Berner Kulturveranstalter bekult.
Im Gespräch erklärt er, was die Kulturschaffenden und die
Politik dazu beitragen können.
Christian Pauli, wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was
würden Sie sich für die Berner Kultur wünschen?
Christian Pauli: Dass sie im Alltag selbstverständlicher
wird, so wie in Genf oder Luzern. Dann wünsche ich mir
Kulturereignisse, über die man spricht. Deshalb sollte die Kultur
auch provokativer werden. Und mein dritter Wunsch: Sie sollte sich
besser vernetzen.
Woran merken Sie, dass die Kultur in Bern nicht
selbstverständlich ist?
Wir haben in dieser Stadt eine enorme kulturelle Vielfalt. Aber
ich beobachte vor allem in der Politik, teilweise auch in der
Bevölkerung, eine Skepsis gegenüber kostenintensiven
Leistungen - nach dem Motto: Muss das sein? Brauchen wir das wirklich?
Vielleicht hängt diese Skepsis auch mit einer gewissen
Anspruchshaltung von Kulturschaffenden zusammen: Man hört sie
allzu oft über zu wenig öffentliche Gelder klagen.
Was würden Sie tun, wenn Sie zu viel zum Sterben, aber zu
wenig zum Leben hätten? Das ist kein Klagen um des Klagens willen!
Fakt ist, dass viele kulturelle Bereiche ohne Subventionen inexistent
wären, sei dies Theater, Tanz, Klassik oder Jazz. Die
subventionierten Institutionen wollen eine ansprechende Arbeit machen
und brauchen dafür genügend Geld. Da sind wir nicht anders
als andere. Die Bauern kämpfen auch für einen fairen
Milchpreis.
Die Stadt gibt jährlich knapp 34 Millionen Franken für
Kultur aus. Weshalb ist das nicht genug?
Für eine kleine Stadt ist dieses Budget beachtlich. Wenn man
die Kulturausgaben aber schweizweit vergleicht, und dieser Vergleich
drängt sich bei einer Hauptstadt nun mal auf, dann sind die Mittel
knapp. Auch das ist wieder eine Frage des Berner
Kulturverständnisses.
Fehlt der Berner Kultur also eine politische Lobby?
Ja. Traditionell werden die grossen Kulturinstitutionen vom
freisinnigen Bürgertum getragen. Es gehört zu dessen
Selbstverständnis, dass man sich mit Kultur präsentiert, auch
mit zeitgenössischer, und diese zum Beispiel auch als Mäzen
fördert, wie etwa in Basel. Mir scheint, der Berner Freisinn habe
diese Tradition aufgegeben. Hier setzen sich die Linken für
vergleichsweise konservative Häuser wie das Stadttheater ein - das
ist eigenartig.
Wie steht bekult zu der von Stadt und Kanton angeordneten Fusion
zwischen Stadttheater und Symphonieorchester?
Wenn Bern ein gut finanziertes und eigenständiges Musik- und
Theaterangebot der beiden Flaggschiffe hat, profitiert auch die freie
Szene davon. Die beiden Institutionen sollten sich inhaltlich aber noch
öffnen, ihr Programm sollte frischer und flinker werden.
Mit dieser Fusion hat die Politik ein Signal gesetzt.
Gleichzeitig hat man den Eindruck, die Geldgeber haben sich erst
eingeschaltet, als nichts mehr ging.
Soll ich wieder klagen? (lacht) Man kann auch mal würdigen,
dass die Politik nun aktiv nach Lösungen sucht. Genauso wie der
Stadtpräsident nun für die Kultur und ihre Vielfalt einsteht.
Müsste die Politik nicht auch Visionen haben?
Eher längerfristige Strategien, zum Beispiel: Wo soll das
Stadttheater in zehn Jahren stehen? Kulturschaffende reagieren
allergisch darauf, wenn sich die Politik zu sehr in inhaltliche Fragen
einmischt. Meiner Meinung nach sind Visionen primär eine Aufgabe
der Kulturszene.
Wie sehen die Visionen von bekult aus?
Das Label Kulturstadt soll offensiver verkauft werden. Deshalb
braucht Bern eine Art Kulturbotschafter, der dem kulturellen Leben ein
Gesicht gibt und Kulturschaffende vermehrt auch mit der Wirtschaft
vernetzt. Die Vernetzung wollen wir auch untereinander vorantreiben, um
die kulturelle Vielfalt besser zu nutzen: Small but different - so
stelle ich mir das Berner Kulturleben vor. Wir denken über
bestimmte Aktionen nach, aber auch über eine für alle
Veranstalter gemeinsame Ticketverkaufsstelle an zentraler Lage, damit
die Kultur im Alltag präsenter wird. Unser erstes Ziel muss jedoch
sein, dass die Subventionsverträge 2012-2015 vom Stadtrat und Volk
angenommen werden.
Der Stadtpräsident möchte das Kulturbudget halten,
obwohl die Stadt in den nächsten Jahren sparen muss. Haben Sie
einen Plan B, sollte die Kultur Kürzungen hinnehmen müssen?
Falls Kürzungen unumgänglich sind, haben wir den Wunsch
geäussert, dass die Stadt mit uns darüber spricht. Alle
Institutionen haben knapp genug. Da kann man nicht einfach linear
kürzen, sondern gezielt und mit einer längerfristigen
Strategie vor Augen.
Welche Bilanz ziehen Sie nach knapp eineinhalb Jahren bekult?
Wir haben gemerkt, dass das Bedürfnis nach Austausch gross
ist. Bekult zählt denn auch 63 Mitglieder, das sind fast alle
Berner Veranstalter. Inzwischen deponieren wir unsere Anliegen auch
regelmässig bei der Stadt. Gleichzeitig waren die Erwartungen am
Anfang vielleicht allzu hoch, was der Verein mit seinem kleinen Budget
alles leisten sollte. Deshalb würde ich meinen: Die Zündung
ist passiert, aber erst jetzt können wir grössere Aufgaben
angehen.
Interview: Lucie Machac
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Verein & Verträge
Die Fakten
Der Verein Bekult, der die Interessen der Berner
Kulturveranstalter gegenüber der Politik vertritt, wurde im Juni
2009 gegründet. Er zählt 63 Mitglieder. Die
Kulturverträge 2012-15 hat die Stadt mit den einzelnen
Institutionen eben ausgehandelt. Im Dezember kommt das Gesamtpaket in
den Gemeinderat. Über Subventionen, die höher sind als 75 000
Franken pro Jahr, beschliesst nächstes Jahr der Stadtrat.
Lm
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BERN 68
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WoZ 30.9.10
Politour
Bern 68
Auf dem Stadtrundgang Bern 68 von Stattland Bern erleben die
TeilnehmerInnen, wie damals in Berner Kellern, Kneipen und Kommunen, an
Demonstrationen, Sit-ins und Teach-ins gegen die Zwänge der
bürgerlichen Gesellschaft protestiert wurde.
Bern, ab Nydeggkirche, Mi, 6. Oktober, 18 Uhr.
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SQUAT FRIBOURG
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Freiburger Nachrichten 30.9.10
Besetzer haben Häuser schon wieder verlassen
Freiburg Zwei seit Freitag besetzte Häuser an der
Industriegasse in Freiburg sind gestern Nachmittag geräumt worden.
Bei einem ersten Kontakt hat Oberamtmann Carl-Alex Ridoré die
Besetzer aufgefordert, die Häuser noch am selben Tag zu verlassen.
Aus Sicherheitsgründen sei ein Aufenthalt nicht möglich, so
Ridoré. Die gestern anwesenden vier Besetzer bedauerten einen
fehlenden Dialog mit der Hausbesitzerin Fenaco, zogen aber friedlich
ab. Dabei wurden sie von einer grossen Anzahl Polizisten beobachtet. pj
Bericht Seite 3
--
Besetzte Häuser wieder geräumt
Oberamtmann Carl-Alex Ridoré hat die Auflösung der
Besetzung der Häuser an der Industriegasse angeordnet. Gestern
Nachmittag zogen die Besetzer bereits wieder ab.
Pascal Jäggi
Freiburg Gestern Morgen inspizierte Oberamtmann Carl-Alex
Ridoré mit Unterstützung der Polizei die Häuser an der
Industriegasse 24 und 26 in Freiburg. Seit Freitag hatte ein Kollektiv
namens Raie-Manta die geschützten Arbeiterhäuser besetzt.
"Wir haben einige dieser Leute angetroffen und mit ihnen ausgehandelt,
dass sie die Gebäude noch am Nachmittag verlassen", erklärte
Ridoré gegenüber den FN. Diese hätten zuerst noch
insistiert, bis heute Morgen bleiben zu wollen, aber in einem
"ernsthaften Dialog" schliesslich eingewilligt, früher zu gehen.
Nur Option Auszug
Die zu diesem Zeitpunkt nicht Anwesenden seien informiert worden
und hätten sich ebenfalls an die Abmachung zu halten, so
Ridoré. Und wenn sie dennoch bleiben? "Diese Frage stellt sich
nicht." Er könne nicht zulassen, dass jemand dort
übernachtet. Der Oberamtmann betont: "Diese Häuser sind im
momentanen Zustand nicht bewohnbar." Und fügt etwas
überraschend an: "Die Besetzer waren sich nicht bewusst, dass ein
Projekt für diese Häuser existiert." Gemeint ist das Projekt
der Firma Losinger, welche die benachbarten Häuser abreissen, die
Arbeiterhäuser aber renovieren will. Im nächsten Jahr soll
gebaut werden.
Friedlich abgezogen
Bei einem Augenschein am Nachmittag sagten die Besetzer etwas
anderes. "Wir haben uns informiert", sagt einer, "und wären vor
dem Baustart 2011 wieder ausgezogen". Einen echten Dialog mit den
Behörden konnten sie nicht erkennen. "Es gab nur die Option, dass
wir sofort wieder raus müssen", meint ein anderer.
Beobachtet von einer stattlichen Anzahl Polizisten schaffen vier
Besetzer ihr Hab und Gut aus den Häusern. Unter unbewohnbar
verstehen sie offensichtlich etwas anderes als der Oberamtmann. "Im
Haus 26 waren alle Wohnungen in gutem Zustand. In der Nummer 24 hatte
es bloss einige Löcher im Boden", beschreibt einer die Lage.
Schade finden sie, dass es keinen Dialog mit der
landwirtschaftlichen Genossenschaft Fenaco, der Hausbesitzerin, gegeben
habe. Sie hätten der Fenaco einen Brief mit einem Angebot
unterbreitet, doch vergeblich auf eine Reaktion gewartet. "Jemand ist
zwar vorbeigekommen. Bevor wir ihm einen Kaffee anbieten konnten, ist
er aber wieder verschwunden", erzählt einer.
Laut den Besetzern hat die Fenaco Anzeige wegen Hausfriedensbruch
und Sachbeschädigung eingereicht. Eine anwesende Vertreterin von
Fenaco will das nicht kommentieren. Die Besitzerin äussere sich
nicht zu dem Fall, gibt sie zu verstehen.
Die Besetzer ziehen sich schliesslich zurück, bedauernd,
dass sie ihre Idee eines kulturellen Zentrums nicht umsetzen
können. Einer klagt noch, dass er jetzt erneut keinen Ort zum
Schlafen habe.
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La Liberté 30.9.10
Un squat évacué à Fribourg
Cccupation ● Le "Collectif Raie Manta", qui avait investi
vendredi deux immeubles à la rue de l'Industrie à
Pérolles, a été prié de plier bagage hier
matin.
Marc-Roland Zoellig
Les membres du "Collectif Raie Manta", au nombre d'une dizaine,
n'auront pas eu le temps de faire beaucoup parler d'eux. A peine rendue
publique, lundi matin sur le site Web alternatif Indymedia, leur
occupation de deux immeubles abandonnés sis à la rue de
l'Industrie, à Fribourg, a été interrompue par
intervention préfectorale. Sans opposer de résistance,
les squatters ont paisiblement quitté les lieux hier entre la
fin de matinée et le début d'après-midi, sous la
surveillance d'un détachement de gendarmerie. Les accès
aux deux bâtiments ont ensuite été
condamnés. Une plainte a été déposée
pour violation de domicile.
"J'ai été contacté mardi par un
représentant du propriétaire (ndlr: le groupe fenaco).
J'ai rencontré les occupants hier matin", confirme Carl-Alex
Ridoré, préfet de la Sarine. "Je leur ai expliqué
que pour des raisons de sécurité, de salubrité et
d'hygiène, il était impossible de les laisser là."
Privés d'eau et d'électricité, les immeubles -
classés biens culturels - sont dans un état de
délabrement assez avancé et peuvent présenter un
danger pour leurs occupants.
Un magasin gratuit
"On voulait aménager des locaux de
répétition, une crèche autogérée et
un magasin gratuit (ndlr: self-service proposant des vêtements et
objets de récupération)", expliquaient, hier matin, deux
jeunes squatteuses joviales occupées à rassembler leurs
affaires. "Il n'y a plus de lieu alternatif à Fribourg!"
Elles se réfèrent notamment aux actions du
Collectif Arti-Fri-Ciel, qui avait occupé, en 2003 et 2004,
l'ancienne imprimerie Nawratil à la Route-Neuve puis les anciens
garages des bus GFM à la rue des Pilettes. Des bâtiments
aujourd'hui rasés.
Le "Collectif Raie Manta", qui avait emménagé
vendredi passé à la rue de l'Industrie, souhaitait "y
habiter en se soustrayant à la logique du capitalisme". Mais
également transformer leur nouveau logement en "centre culturel
et social ouvert à touTEs". "On avait déjà
prévu d'organiser un apéro pour les habitants du
quartier", expliquent les deux squatteuses.
Un chantier début 2011?
Du côté du propriétaire des lieux, on ne
l'entendait évidemment pas de cette oreille. Un projet de
rénovation des numéros 24, 26 et 28 de la rue de
l'Industrie, ainsi que du 2 de la route Wilhelm-Kaiser, est
actuellement à l'étude, explique Alex Segovia,
porte-parole de Losinger Construction SA, société
chargée des travaux. La demande de permis de construire circule
actuellement dans les services concernés, confirme le
préfet Carl-Alex Ridoré.
Si tout se passe comme prévu, la rénovation
démarrera au début 2011, ajoute Alex Segovia. Outre la
réfection de ces immeubles centenaires, le projet immobilier
prévoit de raser les numéros 4, 6, 8, 10 et 10a de la
route Wilhelm-Kaiser - dont le bâtiment abritant le garage Migrol
- afin d'y édifier un vaste complexe d'habitation et de bureaux.
I
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SQUAT NL
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Indymedia 30.9.10
NL: Verbot von Squats - Widerstand ::
AutorIn : Solidarité avec les squats hollandais |
übersetzt von : der Wind
NL: Verbot von Squats - Widerstand
Di 28.09.2010
Wir sind Besetzer aus den Niederlanden. Wir rufen Euch auf, uns zu
unterstützen bei unserem Kampf gegen das Verbot der Squats in den
Niederlanden. Zwei Demonstrationen finden diese Woche statt, am 1.
Oktober in Amsterdam und am 2. Oktober in Nijmegen.
Diese Woche verkündete der Amsterdamer Bürgermeister, dass in
den kommenden Monaten 200 Squats in der Stadt geräumt werden
würden!
Falls Ihr nicht in die Niederlande kommen könnt, so organisiert
bitte lokal einen Protest oder eine Aktion gegen das Verbot, dass am 1.
Oktober in Kraft tritt.
Demo in Amsterdam am 1. Oktober:
http://indymedia.nl/nl/2010/09/69650.shtml
Demo in Nijmegen am 2. Oktober (englischer Text im 2. Kommentar):
http://indymedia.nl/nl/2010/09/69622.shtml
Aufruf des Kollektivs "Geist der Einheit":
An alle Gegner des Squatverbots, an alle Ex-Besetzer, an alle
Jugendlichen, die besetzen möchten, an alle Freunde und
Sympathisanten der Besetzer, an alle politischen Aktivisten, an alle
antifaschistischen Aktivisten, an alle Künstler, die in den Squat
Werke kreieren, an alle Bandmitglieder oder DJs, die in Squats gespielt
haben, an alle, die Partys und Konzerte in den Squats geniessen, an
alle Reisenden, die Squats besuchen und dort übernachten und an
alle, die nicht erwähnt wurden.
Wie ihr vielleicht schon wisst kommen düstere Tage auf die
niederländische Besetzerbewegung zu. Das niederländische
Parlament stimmte für ein Verbot von Squats. Das heisst, dass
Leute, die versuchen, leere Häuser zu besetzen, als Kriminelle und
Delinquenten betrachtet und bestraft werden. Die Sanktionen sind
beträchtlich - zwischen ein und zwei Jahren und acht Monaten
Gefängnis! Denkt bitte daran, dass dieses Repressionsgesetz ohne
die Unterstützung rassistischer und fremdenfeindlicher
Abgeordneter wie Geert Wilders nicht zustande gekommen wäre.
Es ist eine ernsthafte Bedrohung! Wir können es nicht zulassen,
dass die Politiker die Besetzerbewegung und die Bewegungsfreiheit in
den Niederlanden zerstören! Wir können nicht und nicht mehr
warten! Wir müssen jetzt handeln!
Die Zukunft der niederländischen Besetzerbewegung liegt in unseren
Händen, was auch eine grosse Verantwortung darstellt. Wir
müssen Respekt zeigen für jede und jeden, die/der es
möglich gemacht hat, dass eine grosse Besetzungsbewegung in den
Niederlanden möglich geworden ist. Sie haben viel Zeit und Energie
für uns geopfert. Wir sollten auch an alle junge Leute denken, die
die Möglichkeit haben möchten in Zukunft in einem Squat zu
leben.
Die Medien und die Politiker sagen, dass wir nur wenige sind, aber
unser Geist ist stärker als dieses faule und inhumane, von
Politikern kreierte Gesetz! Wir sind bereit, Politiker und
Polizeikräfte zu treffen, um ihnen unsere Entschlossenheit in
Sachen Recht auf Wohnen zu zeigen und ihnen den Mangel an
günstigem Wohnraum in den Niederlanden zu beweisen. Ein kleines
Zimmer in Amsterdam beispielsweise kostet mittlerweile zwischen 300 und
550 Euro per Monat!
Die Massenmedien und der Politbetrieb behaupten, wir seien
gewalttätig, die Christen aber der CDU (Christlich-Demokratische
Partei), der CU (Christliche Union) und des PSC (Orthodoxe
Protestantische Partei) hätten diese Bezeichnung eher verdient.
Für sie sind leere Häuser wichtiger als Menschen, die eine
Wohnung suchen. Und diese "Christen" haben entschieden, dass die
Polizei uns verhaften muss, falls wir nach dem 1. Oktober versuchen,
ein Haus zu besetzen.
Wir sind stolz auf unsere Art zu leben und bereit, unser Recht, leere
Häuser zu besetzen, zu verteidigen. Wir werden den Kampf nicht
aufgeben! Einige von Euch erinnern sich vielleicht an die stolzen und
wütenden Jugendlichen von Kopenhagen, die fürs Ungdomshuset
und die Würde kämpften. Einige von Euch unterstützten
sie in ihrem Kampf. Falls nötig, sind wir bereit den jugendlichen
Geist Dänemarks und Griechenlands in unsere Strassen zu tragen!
Die Politiker lassen uns keine andere Wahl! Ab dem 1. Oktober haben wir
die Wahl zwischen "obdachlos" oder "kriminell". Diese Wahl wollen wir
nicht! Wir werden weder auf der Strasse, noch in ihren
Gefängnissen leben! Wir sind menschliche Wesen und verdienen
Respekt! Wir werden für unsere Würde kämpfen!
Es gibt Hunderte von Squats in den Niederlanden. Wir können uns
nicht erlauben, diese enorme Infrastruktur zu verlieren! Es gibt
Wohnhäuser, autonome Zentren, Kulturzentren. In all diesen von uns
belebten Gebäuden versuchen wir, unsere politischen Ideen
voranzubringen. Wir benutzen diese Orte, um unabhängige Kunst und
Untergrund-Konterkultur zu fördern, im Gegensatz zur
Mainstream-Pop-Kultur.
Seien wir ein bisschen sentimental. Für viele von uns ist besetzen
eine Lebensart. Viele von uns verbrachten die besten Momente ihres
Lebens in einem Squat. Wir erlebten unvergessliche Abenteuer zusammen.
Wir haben viele wertvolle Erfahrungen, seien es selbstorganisierte
Gemeinschaften oder Wohnkollektive. Viele von uns trafen ihre besten
FreundInnen in Squats, für uns auch ein Grund, gegen das Verbot zu
kämpfen!
Reagieren wir auf die Bedrohung, statt auf die Knie zu gehen! Benutzt
Eure Phantasie, öffnet Eure Augen, steht auf und handelt!
Unser Kampf ist derjenige für eine Welt ohne Kapitalismus, ohne
Sexismus, ohne Rassismus, ohne Patriarchat, ohne Homophobie, ohne
Hierarchien, ohne Armut und ohne Krieg!
Wir sind sehr dankbar für Eure Unterstützung. Die
Solidarität ist unsere Waffe
Spirit of Unity collective
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VOLKSHAUS ZH
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WoZ 30.9.10
Politour
Zürcher Volkshaus
Viele soziale Bewegungen der letzten hundert Jahre haben im
Volkshaus Zürich ihre Spuren hinterlassen (vgl. Seite 25).
Generalstreik, Rotes Zürich, antifaschistisches Exil,
Jugendrevolten, Ausländerorganisationen, Nationale Aktion,
Latino-Festivals … 1910 als alkoholfreier Treffpunkt und
Veranstaltungsort für Arbeiterinnen und Arbeiter eröffnet,
ist das Haus schnell ein Treffpunkt verschiedenster Szenen geworden:
missionarische Predigten, Boxmeetings, Arbeiterbildung,
avantgardistisches Theater, Rock- und Punkkonzerte, Modeschauen, Dia
vorträge von Weltreisenden - alles hatte und hat Platz im
Volkshaus. Das Haus ist auch ein Gewerkschaftszentrum, eine
Buchhandlung und seit neuestem ein schickes Lokal. Das Buch "100 Jahre
Volkshaus Zürich. Bewegung, Ort, Geschichte" lässt seine
wechselvolle Geschichte Revue passieren. Nun wird das Buch vorgestellt.
Es gibt eine Einleitung durch WOZ-Redaktor Stefan Keller
(Mitherausgeber), dann diskutieren unter Leitung der Historikerin
Regula Bochsler Florian Bachmann (Bildredaktor), Franz Cahannes
(Volkshausstiftung), Rebekka Wyler (Mitherausgeberin) und Jakob Tanner
(Professor für Geschichte) über das Volkshaus und seine
Geschichte. Anschliessend Apéro.
Zürich Restaurant Volkshaus, Stauffacherstrasse 60, So, 3.
Oktober, 15 Uhr.
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DROGEN
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20 Minuten 30.9.10
Tablettensucht: Immer mehr gefälschte Rezepte
BERN. Apotheken stossen immer häufiger auf gefälschte
Rezepte. Grund: Die Medikamentensucht in der Schweiz nimmt zu.
Viele Schweizer sind ganz wild auf Beruhigungsmittel, sogenannte
Tranquilizer. Und um an die Pillen zu kommen, werden immer mehr zu
Urkundenfälschern: Laut dem Berner Kantonsapothekeramt schlagen
die Apotheken immer häufiger wegen gefälschter Rezepte Alarm.
"Waren es früher eine bis zwei Meldungen pro Woche, sind es heute
bereits zwei bis drei", so Laborleiter Hans-Jörg Helmlin.
Bei den Fälschern handle sich einerseits um Drögeler
aber andererseits auch um ganz normale Berufsleute. In einem Fall
hätten sogar Eltern versucht, mit einem gefälschten
Arztrezept Ritalin für ihr Kind zu erschleichen. "Dank neuer
Technik ist es heute einfacher, zu fälschen - und das wird auch
gemacht", so eine Mitarbeiterin der Suchtprävention Zürich
zum Trend. Ruth Hagen von Sucht Info Schweiz vermutet: "Die
Medikamentensucht nimmt zu, weil der Leistungsdruck im Beruf steigt."
Zu Beginn verschreibe oftmals noch der Arzt die Pillen. Mache er
nicht mehr mit, werde der nächste aufgesucht. Bis auch das nicht
mehr geht: "Viele Fälscher sind normale Leute, denen niemand mehr
ein Dormicum verschreibt", so der Berner Apotheker Daniel Wechsler.
Dann greifen einige laut Helmlin zu Scanner und Laserdrucker oder
schnappen sich den Rezeptblock vom Arztpult. "Die plumpsten und
dümmsten Fälscher fallen sofort auf. Einige gehen aber hoch
professionell vor", weiss Helmlin.
Pedro Codes
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Auch Betriebe handeln illegal
BERN. Das Kantonsapothekeramt schlägt sich nicht nur mit
Rezeptfälschungen herum: Eine Untersuchung von
Schlankmacher-Kapseln beispielsweise ergab, dass diese
gesundheitsschädliche Wirkstoffe enthielten und erst noch
illegalerweise in der Schweiz landeten. Eine Berner Drogerie verkaufte
zudem eine ätzende Natriumchlorit-Lösung, auch bekannt als
Blutgift, als Heilmittel. Andere geschäfteten illegal mit dem
Web-Vertrieb verschreibungspflichtiger Arzneien.
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Tagesanzeiger 30.9.10
Jugendliche Kiffer verzichten auf den Morgenjoint
Dank Gesprächsrunden den Cannabiskonsum reduzieren: Dieses
Ziel verfolgt die Oberländer Suchtprävention. Die ersten
Kurse waren erfolgreich - zeigten aber auch die Grenzen auf.
Von Thomas Bacher
Oberland - Jugendliche sollten ihren Umgang mit Cannabis
hinterfragen und in der Folge den Konsum reduzieren: Mit diesem Ziel
startete die Suchtprävention Zürcher Oberland ein
Pilotprojekt namens Join-t-us, welches vier Kursabende umfasst und auf
freiwilliger Teilnahme basiert. Inzwischen sind drei Kurse absolviert
und ausgewertet. Projektleiterin Karin Landolt ist zufrieden mit dem
Ergebnis. Die Sozialarbeiterin führte die Kurse zusammen mit einem
Psychologen durch.
Es sei spannend gewesen, wie sich die Jugendlichen mit ihrem
Konsumverhalten auseinandergesetzt hätten, sagt sie
rückblickend. Man habe die privaten Lebensumstände der
Teilnehmer ausgeleuchtet und analysiert, in welchen Situationen die
Jugendlichen zum Joint greifen. Zwar hätten die Kursleiter laut
Landolt auf den Mahnfinger verzichtet, dennoch sei über
mögliche negative Folgen auf die Ausbildung und das Leben im
Allgemeinen diskutiert worden. Dies alles mit dem Ergebnis, dass die
Teilnehmer des ersten Kurses zunehmend auf sogenannten Ego-Joints
verzichteten - also nicht mehr so oft alleine rauchten - und vor der
Schule gar kein Cannabis mehr konsumierten.
Cannabis bewusst rauchen
"Abstinenz ist nicht Ziel des Kurses", sagt Landolt. Vielmehr
gehe es um einen bewussten Umgang mit der Droge Cannabis - analog zu
den Erwachsenen, die in gemütlicher Runde ein Glas Wein geniessen
würden. "Uns geht es darum, diejenigen Jugendlichen zu
unterstützen, die ihren Konsum freiwillig reduzieren möchten.
Und dabei konnten wir den Teilnehmern tatsächlich helfen." So
hätten die Jugendlichen am Ende des ersten Kurses insgesamt
merklich weniger gekifft.
Landolt belegt diese Aussage mit einem Fragebogen, welchen die
Teilnehmer über einen gewissen Zeitraum hinweg ausfüllen
mussten. Dabei ist sie überzeugt, dass die Angaben der Wahrheit
entsprächen - weil keine Sanktionen drohten und die offene
Gesprächskultur im Kurs eine gegenseitige Vertrauensbasis
geschaffen habe. Davon zeugt auch der individuelle Schlussbrief mit
Analysen und persönlichen Tipps, welchen die Teilnehmer von der
Kursleitung erhielten.
Allerdings stösst das Konzept auch an Grenzen. Denn sobald
die freiwillige Teilnahme als wichtigste Grundvoraussetzung wegfalle,
sei eine Veränderung viel schwieriger zu erreichen - jedoch nicht
unmöglich, sagt Landolt. Dies zeigten die Kurse 2 und 3 auf.
Durchgeführt wurden diese auf Anfrage einer Schule im Oberland, in
der Schüler beim Kiffen erwischt wurden. Alle Teilnehmer
hätten ihr persönliches Verhalten hinterfragt und einige von
ihnen den Konsum von Cannabis etwas reduziert. So habe es Jugendliche
gegeben, die vor der Schule nicht mehr gekifft hätten, um ihre
Leistung in der Schule zu verbessern. "Vielleicht sind die vier Abende
ja ein erster Schritt zu einem genuss- und massvollen Cannabiskonsum",
sagt Landolt. Ihre Zuversicht gründet auf der Motivation aller
Teilnehmer. Denn obwohl diese "verknurrt" worden waren, seien alle
gerne zu den Gesprächsrunden erschienen. "Das hat mich positiv
überrascht."
Nochmals über die Bücher
Aufgrund der gemachten Erfahrungen möchte die
Suchtpräventionsstelle Zürcher Oberland gerne weitere Kurse
anbieten. An die Zielgruppe heranzukommen sei aber schwierig,
räumt Landolt ein. So seien sowohl Schulsozialarbeiter wie auch
Jugendarbeiter in verschiedenen Oberländer Gemeinden über das
Angebot informiert worden - mit durchwegs positiven Rückmeldungen.
Dennoch hätten sich noch keine weiteren Jugendlichen gemeldet.
"Vielleicht ist es der fehlende Leidensdruck, oder unser Angebot ist
einfach immer noch zu wenig bekannt", sagt Landolt. "Wir müssen
diesbezüglich also nochmals über die Bücher."
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BIG BROTHER SPORT
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Obersee Nachrichten 30.9.10
"Hohe Bussen reichen" - wirklich?
Im Kampf gegen Gewalt an Sportanlässen hat die Justiz beim
Strafmass genug, aber beschränkt Spielraum
1250 Franken muss ein 19-jähriger EVZ-Fan hinblättern,
weil er sich nach dem ersten Heimspiel der Lakers am Bahnhof Rapperswil
vermummte. Tut eine Busse in dieser Höhe genug weh? Oder
wären soziale Arbeitseinsätze das noch effizientere Mittel,
um Gewalt einzudämmen?
"Im Kanton St. Gallen ist es nicht gut, wenn man sich nicht an
die Spielregeln hält." Schon beim ersten Heimspiel der
Rapperswil-Jona Lakers gegen den EV Zug erfuhr ein 19-Jähriger aus
der Innerschweiz, welche Bedeutung die Worte von Hans-Rudolf Arta
haben. Der Generalsekretär des St. Galler Sicherheits- und
Justizdepartements hat den Einsatz der Kapo in Rapperswil am Nachmittag
und Abend begleitet. Der Zuger Fan provozierte in der Rapperswiler
Bahnhofunterführung Polizisten verbal. Verhaftet wurde er dann
aber, weil er sich vermummt hatte. "Unser Vorgehen hatte sicher
abschreckende Wirkung", ist Arta überzeugt. Die Beamten
transportierten den Verhafteten umgehend zur Staatsanwaltschaft nach
Uznach, wo ihm eine hohe Busse aufgebrummt wurde. 1250 Franken muss der
Lehrling nun hinblättern, weil er gegen das im Kanton St. Gallen
eingeführte Vermummungs-Verbot verstiess. In der Bevölkerung
ist man sich einig: "Leider geht es nicht mehr anders." Wer nicht
hören will, muss eben fühlen.
Von Bevölkerung goutiert
Obwohl vereinzelt Stimmen laut werden, welche die Aufgebote
zahlreicher Polizisten in Kampfmontur kritisch hinterfragen, ist sich
Arta sicher: "Von der grossen Mehrheit wird positiv wahrgenommen, dass
wir im öffentlichen Raum für Sicherheit sorgen."
Stadtpräsident Benedikt Würth erfährt zu diesem
"hochemotionalen Thema" zwar unterschiedliche Feedbacks. "Aber
grossmehrheitlich unterstützt die Bevölkerung unseren Kurs."
Insbesondere die Anwohner im Südquartier schätzten die
Massnahmen.
Gutgeheissen werden von der Mehrheit auch Sanktionen, die richtig
weh- tun. Doch tun Bussen in dieser Höhe überhaupt weh, und
sind sie das richtige Mittel? Oder wäre ein Sozialdienst als
Bestrafung oder Ergänzung nicht sinnvoller? Mit solchen Fragen
setzt sich derzeit auch Felix Hof, Leiter des Regionalen
Beratungszentrums Rapperswil-Jona, auseinander. Er ist ins Projekt
"gewaltfreier Sport" involviert und zeigt sich zwar - wie Arta und
Würth - erfreut über die abschreckenden Signale, welche die
Polizei an den ersten Heimspielen der Lakers ins ganze Land aussandte.
Ebenso begrüsst er sämtliche Massnahmen.
"Täterschaft organisiert sich"
Mittel- und langfristig wäre es aus seiner Sicht aber
sinnvoll, diese zu hinterfragen. "Bei materiellen Einschränkungen
organisiert sich eine Täterschaft schnell, sodass eine Busse nicht
mehr so wehtut", meint Hof. Wenn hohe Geldstrafen ausgesprochen
würden, spüre der Steuerzahler zwar, dass etwas unternommen
werde. Trotzdem dürfe sehr wohl hinterfragt werden, was ein
sozialer Arbeitseinsatz als Ergänzung bewirken könnte. "Das
würde nicht nur mehr wehtun, sondern den Tätern vielleicht
auch andere Einsichten bringen, wenn sie mal mit Menschen in Kontakt
geraten, denen es dreckig geht." Ausserdem könnte es von der
Öffentlichkeit durchwegs als eine "Art Wiedergut-machung"
wahrgenommen werden.
Nur ist die Rechtslage verzwickt, sodass ein Sozialdienst vorerst
nicht in Frage kommt. "Bei über 18-Jährigen kommt das
Erwachsenenstrafrecht zum Zug", erklärt der Generalsekretär.
Darum gibt es kaum Spielraum. Noch schwieriger gestaltet es sich, wenn
jemand wie im aktuellen Fall gegen das Vermummungsverbot
verstösst. "Da ist eine Busse vorgesehen, weil es sich um ein
kantonales Gesetz handelt." Der Sanktionenkatalog ist somit ziemlich
eingeschränkt. "Man muss auch die Relationen im Auge behalten",
fügt Arta dem noch an.
Prävention statt nur Repression
Der Generalsekretär ist denn auch überzeugt, dass
Bussen reichen. Ausserdem werde nicht nur auf Repression gesetzt. "Der
Prävention wird ebenso Bedeutung geschenkt." Den präventiven
Ansatz hebt auch Benedikt Würth hervor, welcher für ihn "sehr
zielorientiert angelegt sein muss". Der Stadtpräsident stellt
klar: "Eine neue Disziplin von Sozialarbeit wollen wir nicht aufbauen."
Arta sieht dies gleich. "Wichtig ist, dass das Puzzle von Massnahmen
greift." Der Generalsekretär spricht damit auch die Fanarbeit -
bei der aus Würths Sicht übrigens bereits erste Fortschritte
erzielt werden konnten -, die Kommunikation des Klubs und die
Videoüberwachung an. Die Zusammenarbeit zwischen Kanton, Stadt und
Lakers klappe jedenfalls hervorragend, und die ersten Massnahmen
hätten ihre Wirkung nicht verfehlt. So kann das Ziel aller
Beteiligten, "die hohe Polizeipräsenz schrittweise wieder zu
reduzieren" und "dass Familien mit Kindern nach Spielschluss wieder
problemlos nach Hause können" weiter angestrebt werden. Dank
hartem Durchgreifen der Polizei vielleicht sogar, ohne dass je wieder
eine Busse aus- oder das Thema Sozialdienst angesprochen werden muss.
Wünschenswert ist das auf jeden Fall.
Dominic Duss
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Tagesanzeiger 30.9.10
Zürcher Polizei will Hooligan-Datenbank weiterführen
Huber Martin
Zürich - Gewaltbereite Sportfans in Zürich sollen
weiter in der polizeilichen Datenbank Gamma registriert werden. Der
Stadtrat beantragt dem Gemeinderat, die Testphase mit Gamma um zwei
Jahre bis Ende 2012 zu verlängern, wie er gestern mitteilte. Die
Stadtpolizei hatte die Datenbank Anfang dieses Jahres in Betrieb
genommen und kann sie probehalber bis Ende Jahr führen.
Derzeit sind 69 Personen in der Datenbank erfasst. Die
Stadtpolizei müsse aber noch mehr Erfahrungen mit Gamma sammeln,
damit über deren Nutzen eine fundierte Aussage möglich sei.
Eine Verlängerung der Testphase soll Aufschluss geben, ob mit der
Datensammlung tatsächlich Gewalttaten frühzeitig erkannt und
verhindert werden können. Jede in Gamma registrierte Person wird
über ihren Eintrag in der Datenbank informiert. Diese
Deanonymisierung soll erfasste Personen von Straftaten abhalten.
Die Zürcher haben der "Gamma-Vorlage" vor einem Jahr mit
über 70 Prozent zugestimmt. Gegner hatten kritisiert, dass in
Gamma Personen registriert werden, bevor sie eine Straftat begangen
haben. Das sei ein Widerspruch zur Unschuldsvermutung für nicht
straffällige Personen. Zudem bezweifeln sie die Wirksamkeit. (mth)
---
NZZ 30.9.10
Datenbank Gamma umfasst 69 Personen
Zürich will Versuch verlängern
Reto Scherrer (rsr)
rsr. · Seit Anfang Jahr führt die Stadtpolizei
Zürich die Datenbank Gamma. Darin sollen "gewaltbereite und Gewalt
suchende" Personen verzeichnet werden, die sich im Umfeld von
Sportveranstaltungen auffällig verhalten; das waren bis anhin 69,
wie der Stadtrat in einer Mitteilung schreibt.
Die Grundsätze von Gamma sind in einer Verordnung geregelt,
deren Gültigkeit bis Ende 2010 befristet ist und die vor rund
einem Jahr von 72,6 Prozent der Stimmbürger gutgeheissen worden
ist. Nun beantragt der Stadtrat dem Gemeinderat, diese Frist bis Ende
2012 zu verlängern. Als Grund dafür gibt er an, es
müssten noch mehr Erfahrungen gesammelt werden. Vor allem erhoffe
er sich Aufschluss darüber, ob "tatsächlich Gewalttaten
frühzeitig erkannt und verhindert werden können".
Nach nur neun Monaten verfügt das Polizeidepartement
über zu wenig Daten, um Aussagen zur Wirksamkeit von Gamma machen
zu können, wie dessen Sprecher Reto Casanova auf Anfrage
erklärt. Ursprünglich sei der Versuch auf zwei bis drei Jahre
angelegt gewesen; wegen des Referendums habe sich dessen Start jedoch
derart verzögert, dass nur ein Jahr zum Testen übrig
geblieben sei. Sollte der Gemeinderat der Verlängerung nicht
zustimmen, würden alle 69 Einträge gelöscht, sonst
blieben sie während höchstens fünf Jahren gespeichert.
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20 Minuten 30.9.10
Hool-Datenbank bis Ende 2012
ZÜRICH. Personen, die an Sportveranstaltungen in der Stadt
Zürich Gewalt suchen und gewaltbereit sind, sollen noch bis Ende
2012 registriert werden. Der Zürcher Stadtrat beantragt beim
Gemeinderat eine Verlängerung der Datenbank Gamma um zwei Jahre.
Aktuell sind 69 Personen erfasst, wie der Stadtrat gestern mitteilte.
Jede registrierte Person wird darüber in Kenntnis gesetzt. Das
Volk hatte der "Gamma-Vorlage" vor einem Jahr zugestimmt.
---
stadt-zuerich.ch 29.9.10
Medienmitteilungen
Der Stadtrat von Zürich
29. September 2010
Stadtrat beantragt dem Parlament Verlängerung der GAMMA-Verordnung
In der Volksabstimmung vom 27. September 2009 wurde die Vorlage zur
Datenbank GAMMA zur Reduktion von Gewalt im Umfeld von
Sportveranstaltungen angenommen. Die Stadtpolizei führt die
Datenbank seit Anfang dieses Jahres. Weil die Gültigkeit der
Verordnung bis Ende 2010 befristet ist und die Stadtpolizei noch nicht
genügend Erfahrungen sammeln konnte, beantragt der Stadtrat dem
Gemeinderat eine Verlängerung bis 31. Dezember 2012.
Als eine von zahlreichen Massnahmen zur Reduktion von Gewalt im Umfeld
von Sportveranstaltungen und als Instrument zur Deanonymisierung von
gewaltbereiten und Gewalt suchenden "Fans" wurde der
Stimmbevölkerung die Datenbank GAMMA zur Annahme empfohlen und von
dieser am 27. September 2009 mit grosser Mehrheit angenommen. Die
Spezialisten der Stadtpolizei Zürich haben die GAMMA ab 1. Januar
2010 in Betrieb genommen. Als gewaltbereit gilt, wer bereits
gewalttätiges Verhalten gezeigt hat. Demgegenüber ist jemand
Gewalt suchend, wenn er sich anlässlich von Sportveranstaltungen
derart auffällig benimmt, dass er sich von rein
sportinteressierten Zuschauerinnen und Zuschauern klar unterscheidet.
Aufgrund seines Verhaltens im Zusammenhang mit einer Sportveranstaltung
wird er einer polizeilichen Massnahme unterzogen, weil er
beispielsweise eine Bedrohungslage gegenüber Personen oder
Eigentum schafft. Aktuell sind 69 Personen in der Datenbank erfasst.
Jede registrierte Person wird darüber in Kenntnis gesetzt, dass
sie in der Datenbank erfasst worden ist. Sie weiss deshalb, dass ihre
persönlichen Daten der Stadtpolizei Zürich bekannt sind.
Diese Deanonymisierung soll registrierte Personen von Straftaten
abhalten. GAMMA wirkt in diesem Sinne präventiv. Die polizeilichen
Szenenkenner haben bei den Spielen die Absicht, mit gewaltbereiten und
Gewalt suchenden Personen den Kontakt zu pflegen, indem sie im Vorfeld
oder am Rande der Sportveranstaltungen die in GAMMA erfassten Personen
ansprechen und mit ihnen Gespräche führen. Dabei handelt es
sich um eine vorrangige Aufgabe, die Personen von Gewalttaten abhalten
soll.
Aufgrund der langen Behandlungsdauer der GAMMA-Verordnung und der
Volksabstimmung wurde die Verordnung erst auf den 1. Januar 2010 in
Kraft gesetzt. Entsprechend konnte die Stadtpolizei das Instrument
GAMMA erst während eines kurzen Zeitraums nutzen. Sie muss noch
mehr Erfahrungen mit GAMMA sammeln, bis über deren Nutzen eine
fundierte Aussage gemacht werden kann. Eine Verlängerung der
Gültigkeitsdauer der Verordnung und der damit verbundenen
Massnahmen zur Deanonymisierung soll Aufschluss darüber geben, ob
mit der Datensammlung tatsächlich Gewalttaten frühzeitig
erkannt und verhindert werden können. Der Stadtrat beantragt
deshalb dem Gemeinderat, die Anwendbarkeit der GAMMA-Verordnung bis 31.
Dezember 2012 zu verlängern.
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PRIVAT-SECURITY
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Landbote 30.9.10
Private Sicherheitsdienste im Streit
Peter Fritsche
Weinland - Der bisherige und der neue Chef des privaten
Sicherheitsdienstes Politas liegen sich in den Haaren. Grund sind
Meinungsverschiedenheiten nach dem Verkauf der Firma. Der an sich
interne Streit ist nun eskaliert. Der bisherige Inhaber hat eine
Konkurrenzfirma gegründet, mehrere Politas-Mitarbeiter haben
gekündigt und arbeiten wieder für ihren früheren Chef.
Dieser versucht nun, die früheren Kunden wieder an Bord zu holen.
Die Folge ist ein Gerangel um Kunden und Aufträge. Und es ist auch
schon zu verbalen Scharmützeln an Einsatzorten gekommen, wie etwa
in einem Park in Andelfingen, den beide Chefs und ihre Mitarbeiter als
ihr Revier reklamierten. Der Streit sorgt für Verunsicherung in
den betroffenen Gemeinden. Andelfingen beschäftigt nun wieder die
Firma des alten Politas-Chefs. Marthalen schreibt den
Sicherheitsauftrag neu aus. Die beiden Streithähne haben je einen
Anwalt eingeschaltet. (pfr) lKommentar Seite 21
--
Dicke Luft bei der Privat-Security
Peter Fritsche
Zwei private Sicherheitsfirmen rangeln um Kunden und
Aufträge in der Region. Die Stimmung ist aufgeheizt. Hintergrund
ist der Verkauf der Firma Politas. Deren neuer Chef und der bisherige
liegen sich in den Haaren.
WEINLAND - Was sich am Abend des 4. September in Andelfingen
abspielt, ist bezeichnend für die verfahrene Situation.
Spätnachts fallen im lauschigen Grillenpark laute Worte.
Mitarbeiter und Chefs der privaten Sicherheitsfirmen Politas und AEB
stehen sich gegenüber. Beide reklamieren für sich, im Auftrag
der Gemeinde im Park patrouillieren zu dürfen. Auf die Frage, was
sich denn nun genau abgespielt hat, gehen die Schilderungen diame-tral
auseinander. Das gilt auch für den Auslöser des Knatsches:
Der Verkauf der Politas, eine private Sicherheitsfirma mit einst etwa
50 festen und freien Mitarbeitern, zuständig für
Kontrollgänge in mehreren Gemeinden, bei Sportanlässen und
für den Personenschutz. Nachdem er die Firma fast 20 Jahre lang
geführt hat, entscheidet der 60-jährige Hansueli Aeber-hard,
sich aus dem Geschäft zurückzuziehen und sich der
Entwicklungshilfe und seinem Restaurantprojekt auf der indonesischen
Insel Bali zu widmen.
Den Zuschlag als neuer Inhaber erhält 2009 der
30-jährige Pier-Luigi Crema. "Anfangs hatte ich noch einen guten
Eindruck von ihm", sagt Aeber-hard. Im Kaufvertrag war neben den
Zahlungsmodalitäten auch die Rolle Aeberhards definiert. Für
Aeberhard ist klar, dass er während einer Übergangszeit
weiter zusammen mit Crema am Ruder bleiben würde. Crema sieht das
anders: "Er hätte mich lediglich beraten, Mitarbeitern und Kunden
vorstellen sollen." Schon bald herrscht dicke Luft bei der Politas. Wer
hat das Sagen? Wer hat Einsicht in die Firmenkonten? Wer darf Geld
abheben? Sowohl der bisherige, wie der neue Chef erheben Anspruch
darauf.
Vorwürfe und Dementi
In Cremas Version der Geschehnisse hat Aeberhard ihn im Regen
stehen lassen und weder bei Mitarbeitern noch Kunden eingeführt.
Aeberhard dementiert und spricht seinerseits von verspäteten
Ratenzahlungen, Mitarbeiterlöhnen und Sozialleistungen, die zu
spät oder gar nicht überwiesen worden seien. Etwas, das Crema
wiederum in Abrede stellt. Zum Teil habe er Löhne mit
Verzögerung überwiesen. Dies aber nur, weil Arbeitsrapporte
nicht rechtzeitig überwiesen worden seien. Aeberhard sieht einen
anderen Grund: "Meine ehemalige Firma, die ich gesund übergeben
habe, treibt dem Konkurs entgegen." Die finanzielle Situation bei der
Politas sei in der Tat "nicht berauschend", sagt Cremas Berater Joachim
Benke. Das sei aber bereits bei der Übergabe so gewesen und die
aktuelle Situation habe nicht gerade zum Besseren beigetragen.
Vorwürfe und Anschuldigungen hüben wie drüben.
Zum grossen Eklat kommt es dann am 1. September bei einer
Mitarbeiterinformation, wo ein Treuhänder die finanzielle
Situation der Politas erläutert. Aufgebrachte Mitarbeiter
erkundigen sich nach Löhnen und Sozialleistungen. Schliesslich
erhebt sich Aeber-hard und verlässt den Saal. Viele
Politas-Mitarbeiter folgen ihm.
Nochmals "in die Hosen"
Vor der Tür fragen sie ihren ehemaligen Chef, ob er nicht
eine neue Sicherheitsfirma gründen wolle. "Wenn einer uns retten
kann, dann ist das Aeberhard", ist sein Mitarbeiter Frank Bräm
überzeugt. Das habe für ihn den Ausschlag gegeben, seine
Bali-Pläne sausen zu lassen und "nochmals in die Hosen zu
steigen", sagt Aeberhard. Die betreffenden Mitarbeiter kündigen
bei der Politas, Aeber-hard erhält die fristlose Kündigung.
Er gründet die Konkurrenzfirma AEB und stellt die ehemaligen
Mitarbeiter wieder ein. Und beide Seiten kämpfen seitdem um
Aufträge und Kunden. Aeberhard mit einem Vorteil, weil er manche
Kunden - wie etwa die Gemeinde Andelfingen - schon länger kennt.
Dort nimmt man fortan den Dienst der AEB in Anspruch. Marthalen hat den
Vertrag mit der Politas per Ende Jahr gekündigt und schreibt den
Auftrag neu aus.
Aeberhard und Crema haben derweil ihre Anwälte
eingeschaltet. Dass Aeberhard von Crema den Kaufpreis kassiert habe und
nun eine Konkurrenzfirma aufbaue, verstosse gegen das Gesetz gegen den
unlauteren Wettbewerb, sagt Cremas Anwalt Robert Meier. Dem entgegnet
Aeber-hards Rechtsvertreter Theo Krummenacher: "Die Auftraggeber
entscheiden letztlich, zu wem sie mehr Vertrauen haben." Und da Crema
mehrere Abmachungen im Kaufvertrag verletzt habe, könne er auch
Aeberhard nicht darauf behaften. Ob der Konflikt vor Gericht
ausgetragen wird, ist noch offen. Der Rechtsstreit hat eben erst
begonnen. PETER FRITSCHE
--
Die Arbeit privater Ordnungsdienste besser regeln
Peter Fritsche
Private Sicherheitsfirmen und Ordnungsdienste erleben einen Boom.
Immer mehr Gemeinden landauf, landab heuern Private für
Patrouillengänge an, wenn sie Probleme haben mit Diebstählen,
Vandalismus, Schlägereien oder Alkoholexzessen unter Jugendlichen.
Private unterstützen die chronisch personell unterdotierte Polizei
auch im Ordnungsdienst bei Sportveranstaltungen, beim
Bussenzettelschreiben, im Personenschutz oder bei der Kontrolle von
Baustellen. Einschreiten und beispielsweise jemanden festhalten
dürfen Private nur aus Notwehr. Im Kanton Zürich gilt - wie
in zehn anderen Kantonen auch - keine Bewilligungspflicht für
Security-Firmen.
Laut Zürcher Polizeigesetz gelten aber gewisse Pflichten. So
müssen sich zum Beispiel die Uniformen und Ausweise Privater von
jenen der Polizei unterscheiden und Private müssen Stillschweigen
über Polizeieinsätze bewahren. Gemeinden, die einen privaten
Ordnungsdienst anheuern, müssen für den Einsatz ein Reglement
erlassen. Hält sich eine private Sicherheitsfirma nicht an die
Regeln, kann sie der Kanton verbieten. Um die uneinheitliche Situation
in Sachen Bewilligungen zu beseitigen, gründet die Konferenz der
kantonalen Justiz- und Polizeidirektoren (KKJPD) im November ein
schweizweites Konkordat über die Zulassung von privaten
Securitybetrieben. Wer eine solche Firma besitzt, soll unter anderem
die Rechtslage kennen, über einen guten Leumund verfügen und
seinen Mitarbeitern eine minimale Ausbildung im Sicherheitsdienst
anbieten, erklärt KKJPD-Präsident Roger Schneeberger. (pfr)
---
Aargauer Zeitung 30.9.10
Gute Erfahrungen mit Sicherheits-Patrouillen
Brugg Der weitere Einsatz des privaten Sicherheitsdienstes wird
geprüft
Louis Probst
"Aus meiner Sicht darf eine positive Bilanz gezogen werden", sagt
Heiner Hossli, Chef der Regionalpolizei Brugg, zu den Einsätzen
privater Sicherheitsdienste an den Wochenenden. "Seit dem Einsatz der
Patrouillen waren keine schweren Delikte zu verzeichnen. Das
dürfte mit darauf zurückzuführen sein, dass die
Einsatzkräfte bei Vorfällen sofort einschreiten und bei
Bedarf die Regionalpolizei oder die Kantonspolizei aufbieten."
Sicherheit durch Präsenz
Seit dem 18. Juni dieses Jahres stehen in Brugg in den
Nachtstunden der Wochenenden uniformierte Zweierteams der Securitas im
Einsatz. Präsent sind die Patrouillen vor allem an den so
genannten Hotspots wie der Altstadt, auf dem Neumarkt, dem
Bahnhofgebiet und der Aarauerstrasse. Zum Einsatz privater
Sicherheitsdienste entschlossen hatten sich der Stadtrat und die
Regionalpolizei Brugg, nachdem aus der Bevölkerung vermehrt
Reklamationen wegen Pöbeleien, Schlägereien,
Ruhestörungen und Sachbeschädigungen eingegangen waren.
"Für uns ist es wichtig, dass die Mitarbeitenden des
Sicherheitsdienstes durch ihre Präsenz den Anwohnern und Passanten
ein Sicherheitsgefühl vermitteln können", erklärt
Repol-Chef Hossli. "Die Patrouillen sorgen zudem dafür, dass den
Bestimmungen des Polizeireglements nachgelebt wird, indem sie
auffällige Personen ermahnen. Entscheidend ist, dass der
Sicherheitsdienst sofort die Polizei aufbietet, wenn sich eine
Auseinandersetzung anbahnt." Wie Heiner Hossli erklärt, werden die
Einsätze anhand ihrer Rapporte laufend analysiert und optimiert.
Aufgrund der guten Erfahrungen wird jetzt der weitere Einsatz des
privaten Sicherheitsdienstes geprüft.
"Kein Wildwest in Brugg"
Bereits bei der Einführung der Patrouillen hatte der
Stadtrat darauf hingewiesen, dass die polizeilichen Studien für
Brugg keine beunruhigenden Zahlen über entsprechende Vorfälle
aufweisen würden. "Die Statistiken zeigen, dass wir in Brugg keine
Wildwest-Situation haben", betont auch Heiner Hossli.
Wie andere grössere Gemeinden und Zentren bleibt allerdings
auch Brugg von gewissen unerfreulichen Begleiterscheinungen des
veränderten Ausgehverhaltens der Jugendlichen und jungen
Erwachsenen nicht verschont. Heiner Hossli verweist dabei aber auch auf
eine Untersuchung in der ganzen Schweiz, die aufzeigt, dass 80 Prozent
der Jugendlichen keine Probleme verursachen. "Lediglich fünf
Prozent gelten als so genannte Intensivtäter, die fortlaufend
schwere Delikte verüben und sich auch von Haftstrafen nicht
beeindrucken lassen", stellt der Repol-Chef fest. Die Entwicklung der
Problematik führt Heiner Hossli auf das veränderte
Lokalangebot und die Lockerungen in der Gastgewerbegesetzgebung
zurück. "Einerseits wird das jetzt vorhandene Angebot
begrüsst, wie sich eine junge Einwohnerrätin an der letzten
Sitzung äusserte", stellt er fest. "Andererseits haben die
verlängerten Öffnungszeiten einen direkten Einfluss auf das
Ausgehverhalten und auch auf den Alkoholkonsum. Diese Tatsachen sind
für die Einhaltung der Bestimmungen im Polizeireglement nicht
unbedingt förderlich. Gerade in diesem niederschwelligen
Gesetzesbereich fehlen der Polizei oft die gesetzlichen Grundlagen, um
sofort nachhaltige Massnahmen ergreifen zu können. Bei
Pöbeleien und Nachtruhestörungen gibt es wenig
Möglichkeiten. Das gilt insbesondere für den Erlass von
Wegweisungen. Ähnlich verhält es sich beim Alkoholkonsum. Wir
können zwar Jugendliche, die im öffentlichen Raum Alkohol
konsumieren, büssen. Mehrheitlich haben wir es aber mit jungen
Erwachsenen, ab 18 Jahren, zu tun. Bei ihnen besteht keine
Möglichkeit, für diesen Bereich Ordnungsbussen auszusprechen.
Weil keine rechtlichen Grundlagen bestehen, fehlt es an unmittelbaren
Konsequenzen für fehlbare Personen."
"Kein Brugger Problem"
Wie der Repol-Chef betont, widerspiegelt sich das Verhältnis
zwischen korrekten und auffälligen Jugendlichen auch in Brugg.
"Der grosse Anteil der Jugendlichen und jungen Erwachsenen verhält
sich anständig und korrekt", betont er. Es zeige sich aber auch,
dass sich die Problematik nicht auf Brugg beschränkt, sondern alle
regionalen Zentren betrifft, stellt Heiner Hossli fest. "Man darf aber
doch sagen, dass wir in Brugg in diesem Jahr bis jetzt keine schweren
Vorfälle hatten, insbesondere keine schweren
Körperverletzungen, aber auch weniger Meldungen wegen
Nachtruhestörungen."
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AUSSCHAFFUNGEN
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Blick 30.9.10
Armee soll Abgewiesene ausfliegen
Die Schweizer Luftwaffe soll abgewiesene Asylbewerber ausser
Landes schaffen.
Es war der erste Ausschaffungsflug nach Afrika seit Monaten. Und
er endete als Debakel. Als die Schweiz Ende Juli fünf abgewiesene
Asylbewerber aus Gambia mit dem Flugzeug in ihr Heimatlang
zurückschaffen wollte, verweigerte die gambische
Luftfahrtbehörde dem Schweizer Flugzeug die Landeerlaubnis.
Peinlich für das Bundesamt für Migration: Das Flugzeug musste
mit den Flüchtlingen nach Zürich zurückkehren.
Aber damit nicht genug: Das Fiasko soll auch gegen 110 000
Franken gekostet haben. Dass der Bund für die Ausschaffung von ein
paar wenigen Asylsuchenden einen 160-plätzigen Flieger mietete,
gab in der Schweiz viel zu reden. SVP-Nationalrat und Pilot Thomas
Hurter wunderte sich zudem, dass die Schweiz für diese Transporte
eine Privatmaschinen chartert.
Der Bundesrat solle prüfen, ob nicht die Luftwaffe solche
Transporte künftig übernehmen könne, verlangt nun Hurter
in einem Vorstoss. Zudem will er wissen, was ein Transport durch die
Armee allenfalls kosten würde. "Ich könnte mir vorstellen,
dass Ausschaffungen mit der Beech 1900 der Luftwaffe billiger sind." Ob
dies tatsächlich der Fall ist, muss Verteidigungsminister Ueli
Maurer klären. Die Maschine hat jedenfalls rund 18 Plätze -
und wäre damit ideal für Ausschaffungen. Die Armee setzt
dieses Fluggerät zurzeit als Transportmittel bei
Auslandeinsätzen ein. Das Problem ist die Reichweite der Maschine.
Bei einem Flug nach Gambia müsste sie zum Beispiel einmal
zwischenlanden und auftanken.
Hubert Mooser
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Südostschweiz 30.9.10
Untersuchungsbericht wäscht Bündner Polizeibehörde rein
Von Hansruedi Berger
Chur. - "Wie Puppen" hätten Bündner Polizeiorgane die
vier Kinder der sechsköpfigen Kurdenfamilie bei ihrer Ausschaffung
auf dem Areal der Churer Strafanstalt Sennhof in den Bus geworfen. Auf
der anschliessenden Rückschaffung in ihr Ursprungsland seien sie
von ihren Eltern getrennt gewesen. Ganz traumatisiert, seien sie
schliesslich in Damaskus auf dem Flughafen gelandet. Mit diesen und
ähnlichen Vorwürfen sah sich die Regierung nach der
Ausschaffung einer sechsköpfigen syrischen Kurdenfamilie, deren
Asylantrag abgewiesen worden war, nach der Ausschaffung am 14/15. Juli
konfrontiert.
Vorwürfe haltlos oder falsch
Gestern wurde der von der zuständigen Regierungsrätin
Barbara Janom Steiner in Auftrag gegebene Untersuchungsbericht in Chur
den Medien präsentiert. Der für den Bericht zuständige
Churer Anwalt Andrea Cantieni kommt dabei zu einem klaren Schluss: Die
im Zusammenhang mit der Ausschaffung gegenüber den Bündner
Behörden geäusserten Vorwürfe sind haltlos oder falsch.
So zeigten beispielsweise Videobilder klar, dass die Kinder nicht in
den Bus geworfen wurden und dabei auch nicht geweint hätten. Es
seien keine Gesichtsmasken verwendet worden, und es habe keinen Tumult
durch Strafgefangene gegeben. Die Kinder und Eltern seien nicht
getrennt worden. Zudem seien die Kinder nicht traumatisiert worden.
Auch weitere Vorwürfe am Vorgehen auf dem Transport nach Bern-Belp
und dem Flug nach Damaskus haben sich laut Cantieni als nicht
zutreffend erwiesen. Dies ergebe sich aus den Aussagen von
Begleitpersonen - darunter dem sich an Bord befindlichen Arzt.
Recht- und verhältnismässig
Für Cantieni und Janom Steiner steht deshalb einwandfrei
fest, dass die Ausschaffungsaktion rechtmässig und
verhältnismässig abgelaufen ist. Es sei weder die
Kinderrechts- noch die Folterrechtskonvention verletzt worden, und es
habe auch keinen Amtsmissbrauch gegeben.
Anlass zur Diskussion gibt es laut Cantieni lediglich in einem
Punkt. Seiner Meinung nach hätten die Eltern nicht während
des ganzen Flugs an ihre Lehnen gefesselt sein müssen. Denn die
Begleitpersonen seien körperlich überlegen gewesen.
Allerdings sei auch dies im Ermessensspielraum der Behörden
gewesen, und die Kinder seien nicht von ihren Eltern getrennt gewesen.
Allerdings gibt Cantieni auch zu bedenken, dass dann wohl auch die Zahl
der Begleitpersonen vergrössert werden müsste.
Die Kinder verängstigt
Während die Bündner Vollzugsbehörden durch den
Untersuchungsbericht entlastet werden, wird das Verhalten der Eltern
erheblich kritisiert. So hätten sie einmal in der Schweiz und das
zweite Mal nach der Landung in Damaskus ihre Kinder mit lautem Schreien
verängstigt und ihnen gesagt, dass sie jetzt alle getötet
würden. Dies wurde vom Begleitpersonal bestätigt. Denn die
älteste Tochter hatte jeweils nachgefragt, ob denn die Aussagen
ihrer Eltern auch tatsächlich stimmen würden.
Denise Graf, Flüchtlingskoordinatorin von Amnesty
International (AI), dankte der Regierung, dass sie die Angelegenheit
untersucht habe. Sie forderte aber, den von der Regierung unter
Verschluss gehaltenen Bericht zu veröffentlichen. Sie
äusserte zudem nach wie vor Zweifel, ob bei der ganzen Aktion die
Verhältnismässigkeit gewährleistet gewesen sei.
Kommentar 5. Spalte
--
Amnesty International habe keine Vorwürfe erhoben, sondern
lediglich Fragen gestellt. Die Menschenrechtsorganisation sei nach wie
vor überzeugt, dass die Fesselung der Eltern bei der Ausschaffung
unverhältnismässig gewesen sei. Das sei ein generelles
Problem: "In keinem anderen europäischen Land werden Leute bei
Ausschaffungen so gefesselt wie in der Schweiz", erklärte Graf.
--
Kommentar
Nach dem Motto, etwas bleibt schon hängen
Von Hansruedi Berger
Folter, Kindsmisshandlung, Amtsmissbrauch - solche und andere
Vorwürfe wurden an die Justiz- und Polizeibehörden des
Kantons Graubünden nach der Ausschaffung einer sechsköpfigen
syrischen Kurdenfamilie Mitte Juli gerichtet. Auslöser der ganzen
Aktion war ein offener Brief eines Insassen der Strafanstalt Sennhof,
der versicherte, alles hautnah mitbekommen zu haben. Ergänzt
wurden die "Ungeheuerlichkeiten" von Mitgliedern des Vereins
Miteinander Valzeina, die darin wohl eine willkommene Gelegenheit
sahen, den ungeliebten Vorsteher des Bündner Amts für
Polizeirecht, Heinz Brand, endlich loszuwerden. Schliesslich liess sich
auch noch Amnesty International (AI) vor den Karren spannen und
forderte eine Untersuchung der Vorfälle.
Seit gestern liegt der Bericht vor, und was wohl kaum jemand
erwartet hätte: Nicht ein einziger Vorwurf trifft zu. Alles
scheint frei erfunden zu sein. Nicht nur die an der Aktion beteiligten
Personen bestätigen dies. Auch die bei der Churer Strafanstalt
angebrachten Videokameras zeigen nichts, was auf einen Amtsmissbrauch
schliessen liesse. Dafür gibts eigentlich nur eine Erklärung:
Die "Hüter der Menschenrechte" haben spekuliert - ganz nach dem
Motto, etwas wird schon hängen bleiben.
Gänzlich anders sehen dies offensichtlich einige Mitglieder
des Vereins Miteinander Valzeina. Ruth Zimmermann, nach eigenen
Aussagen auch AI-Mitglied, sagte am Rande der Medienkonferenz: "Ich
glaube nur, was die ausgeschaffene Frau mir gesagt hat." Und: Der
für die Untersuchung eingesetzte Anwalt sei nicht unabhängig
gewesen, weil er vom Kanton bezahlt worden sei. Wer sonst hätte
denn die Kosten übernehmen sollen? Mit anderen Worten: Die
nächste Räuberstory made in Valzeina kommt bestimmt. Und dies
zum Schaden derjenigen, die wirklich auf politisches Asyl angewiesen
sind.
hberger@suedostschweiz.ch
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AUSSCHAFFUNGS-INITIATIVE
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NZZ 30.9.10
Wegweisung als "Strafe" für Ausländer
Die heutige Praxis, die Ausschaffungsinitiative und der
Gegenentwurf
Die Initiative der SVP macht die Wegweisung verurteilter
Ausländer allein vom Delikt abhängig. Der Gegenvorschlag
lässt Raum zur Beurteilung des Einzelfalls, würde die
bisherige Praxis aber ebenfalls verschärfen.
Christoph Wehrli
Es ist grundsätzlich wenig bestritten, dass ein Staat das
gute Recht hat, Zugewanderte, die für die Öffentlichkeit eine
Gefahr oder eine anderswie unzumutbare Last sind, wieder wegzuweisen.
Für die Betroffenen bedeutet der Verlust des Aufenthaltsrechts -
über eine verbüsste Strafe hinaus - allerdings einen tiefen
Eingriff in die existenziellen Umstände, vor allem wenn jemand im
Land schon verwurzelt ist. Die Frage ist denn auch rechtlich näher
geregelt. Die Abstimmung vom 28. November über die
Ausschaffungsinitiative und den Gegenentwurf ist ein Anlass, über
die Kriterien breiter zu diskutieren.
Abwägung im Einzelfall
Heute enthält die Bundesverfassung nur eine kurze,
allgemeine Bestimmung über die Ausweisung gefährlicher
Ausländer. Im Gesetz findet sich eine konkretere Regelung, die
teilweise nach Aufenthaltsstatus und -dauer differenziert. Die
Behörden (primär die kantonalen) haben dabei einen Spielraum,
da sie Bewilligungen widerrufen "können", nicht aber müssen.
Gewisse Leitplanken setzt das Bundesgericht. Namentlich hat es 2009
entschieden, dass eine Freiheitsstrafe ab einem Jahr
"längerfristig" ist und damit gemäss Gesetz den Entzug der
Bewilligung erlaubt. Bei Verstössen gegen die öffentliche
Ordnung oder Gefährdung der Sicherheit ist eine Ausweisung
grundsätzlich auch ohne Strafurteil möglich.
Im konkreten Fall werden das öffentliche und das private
Interesse gegeneinander abgewogen. Für die öffentliche
Sicherheit sind die Schwere des Delikts oder des Verschuldens und die
Wiederholungsgefahr massgebend. Auf der Seite des Betroffenen wird
berücksichtigt, welches seine Bindungen zur Schweiz
beziehungsweise zum Herkunftsland sind. Kriterien sind etwa die
Aufenthaltsdauer, die Integration und die Familienverhältnisse.
Zum Beispiel führte eine Haftstrafe von zwei Jahren zur Wegweisung
eines Ausländers, der mit einer Schweizerin verheiratet war, aber
sich erst kurz im Land aufgehalten hatte; dagegen konnte ein
13-jährig in die Schweiz gekommener 26-jähriger Täter
mit gleicher Strafe hier bleiben.
Bei Personen aus der EU setzt das Freizügigkeitsabkommen
eigene, wohl etwas höhere Schranken für Wegweisungen.
Voraussetzung ist eine effektive und hinreichend schwere
Gefährdung, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt.
Jeder Fall ist einzeln zu prüfen.
Nach offizieller Schätzung wird jährlich 350 bis 400
Ausländern wegen Straffälligkeit das Aufenthaltsrecht
entzogen. Den primären Entscheid fällt jeweils das
Migrationsamt (die Fremdenpolizei). Die Landesverweisung als
gerichtlich verhängte Nebenstrafe wurde auf Anfang 2007
abgeschafft. Dadurch entfallen Doppelspurigkeiten oder Unklarheiten der
Zuständigkeit. Die ausländerrechtlichen Massnahmen sind
juristisch gesehen keine Strafe, obwohl sie faktisch ähnlich
wirken und gerade auch von den Urhebern der Ausschaffungsinitiative so
verstanden werden. Die Rückkehr zur Landesverweisung steht im
Rahmen der Strafrechtsverschärfung zur Diskussion.
In Richtung Automatismus
Die von der SVP 2007 lancierte Ausschaffungsinitiative
enthält eine "klare" Regelung. Sie zählt die Delikte auf, die
nach Verurteilung des Täters zum Verlust des Aufenthaltsrechts
führen. Eingeschlossen wird auch der missbräuchliche Bezug
von Sozialhilfe oder Leistungen der Sozialversicherungen. Auf
Gesetzesstufe sollen diese Tatbestände näher umschrieben
werden, was speziell beim Sozialmissbrauch und beim Einbruch (im
Strafgesetzbuch kein Begriff) nötig sein dürfte. Der Katalog
kann zudem verlängert werden. Beim Vollzug soll - den
Äusserungen der SVP nach zu schliessen - kein wesentlicher
Ermessensspielraum mehr bestehen.
Es ist allerdings nicht ganz klar, ob die Initiative doch mit
einer gewissen Flexibilität umgesetzt werden soll. Im Parlament
bestand Einigkeit darüber, dass das zwingende Völkerrecht
nicht verletzt werden darf und zum Beispiel bei Flüchtlingen,
denen nach einer Rückschaffung Folter drohen würde, die
Wegweisung nicht vollzogen würde. Diese Interpretation erlaubte
es, die Initiative für gültig zu erklären. Offen bleibt
aber, wie mit Widersprüchen zu anderem Völkerrecht und zur
Bundesverfassung umzugehen wäre. Es geht dabei um das
EU-Freizügigkeitsrecht, das Recht auf Familienleben, um
Kinderrechte und generell um die Verhältnismässigkeit
staatlichen Handelns.
Alternative des Parlaments
Der Bundesrat lehnte das Volksbegehren ab, wollte den Initianten,
die innert acht Monaten 211 000 Unterschriften gesammelt hatten, aber
mit Änderungen im Ausländergesetz entgegenkommen. Der
Nationalrat folgte zuerst diesem Kurs, doch der Ständerat
entschied sich für einen Gegenvorschlag auf Verfassungsstufe. In
der von beiden Kammern verabschiedeten Form enthält er neben einer
Aufzählung einzelner Delikte eine generelle Umschreibung der
Gründe für eine (grundsätzlich obligatorische)
Ausweisung. Massgebend ist die Schwere des Tatbestands (Strafandrohung
von mindestens einem Jahr) oder das konkrete Strafmass (mindestens zwei
Jahre, bei Betrug 18 Monate).
Insbesondere weil die Entscheide verhältnismässig sein
müssen, sind Ausnahmen möglich. Nach Auffassung des
Bundesamts für Migration könnte das Parlament anderseits auf
Gesetzesstufe eine Kompetenz ("Kann-Vorschrift") für Wegweisungen
in weiteren Fällen vorsehen. Es wird angenommen, dass sich die
Zahl der Wegweisungen auf 750 bis 800 pro Jahr verdoppeln würde.
Die Initiative würde zu schätzungsweise 1500 Wegweisungen
führen, die Fälle von Sozialmissbrauch nicht gerechnet.
Der Gegenentwurf enthält zudem einen Artikel über die
Integration. Sie bekommt dadurch mehr Gewicht. Auch ist so die
Ausländerpolitik in der Verfassung nicht nur negativ sichtbar. Was
die am Schluss erwähnte Befugnis, allenfalls Vorschriften zu
erlassen, genau bedeutet, ist unklar. Doch dürfte der Bund
namentlich mit Eingriffen in die kantonale Schulhoheit vorsichtig sein.
--
Eidgenössische Abstimmung vom 28. November
Ausschaffungsinitiative und Gegenvorschlag
Die Position der NZZ
zz. · Die Ausschaffungsinitiative enthält eine Liste
von Tatbeständen, die unterschiedlich gravierend sind und auch den
"missbräuchlichen" Bezug sozialstaatlicher Leistungen
einschliessen. Diese Kriterien sollen zwingend zur Wegweisung von
Ausländern führen - ohne Berücksichtigung der
Umstände des jeweiligen Falls. Durch diesen willkürlichen
Schematismus wäre Unrecht programmiert. Der Gegenentwurf stellt
hingegen auf die Schwere des konkreten Delikts ab und vermeidet
Konflikte mit grundlegendem Verfassungs- und Völkerrecht. Er
führt aber zu einer einheitlicheren und strengeren Praxis. Zudem
erhält die Integrationspolitik eine verbindliche Basis. Die
NZZ-Redaktion empfiehlt ein Nein zur Initiative und ein Ja zum
Gegenvorschlag.
--
Die Abstimmungsvorlage im Wortlaut
zz. · Die Stimmberechtigten können zur
Ausschaffungsinitiative und zum Gegenvorschlag separat Ja oder Nein
sagen und bei der Stichfrage in jedem Fall angeben, welche Vorlage sie
vorziehen, falls beide angenommen werden.
Das geltende Recht
Bundesverfassung Art. 121 Abs. 2
Ausländerinnen und Ausländer können aus der
Schweiz ausgewiesen werden, wenn sie die Sicherheit des Landes
gefährden.
Ausländergesetz Art. 62
Die zuständige Behörde kann Bewilligungen, ausgenommen
die Niederlassungsbewilligung, und andere Verfügungen nach diesem
Gesetz widerrufen, wenn die Ausländerin oder der Ausländer:
[. . .]
b. zu einer längerfristigen Freiheitsstrafe verurteilt wurde
oder gegen sie eine strafrechtliche Massnahme im Sinne von Artikel 64
oder Artikel 61 des Strafgesetzbuches angeordnet wurde;
c. erheblich oder wiederholt gegen die öffentliche
Sicherheit und Ordnung in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat
oder diese gefährdet oder die innere oder die äussere
Sicherheit gefährdet. [. . .]
1. Ausländergesetz Art. 63 Die Niederlassungsbewilligung
kann nur widerrufen werden, wenn:
a. die Voraussetzungen nach Artikel 62 Buchstabe a oder b
erfüllt sind;
b. die Ausländerin oder der Ausländer in
schwerwiegender Weise gegen die öffentliche Sicherheit und Ordnung
in der Schweiz oder im Ausland verstossen hat oder diese gefährdet
oder die innere oder die äussere Sicherheit gefährdet. [. . .]
2. Die Niederlassungsbewilligung von Ausländerinnen und
Ausländern, die sich seit mehr als 15 Jahren ununterbrochen und
ordnungsgemäss in der Schweiz aufhalten, kann nur aus Gründen
von Absatz 1 Buchstabe b und Artikel 62 Buchstabe b widerrufen werden.
--
Die Initiative
Volksinitiative "für die Ausschaffung krimineller
Ausländer"
Bundesverfassung Art. 121 Abs. 3-6 .
3. Sie [= die Ausländerinnen und Ausländer] verlieren
unabhängig von ihrem ausländerrechtlichen Status ihr
Aufenthaltsrecht sowie alle Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der
Schweiz, wenn sie: wegen eines vorsätzlichen Tötungsdelikts,
wegen einer Vergewaltigung oder eines anderen schweren Sexualdelikts,
wegen eines anderen Gewaltdelikts wie Raub, wegen Menschenhandels,
Drogenhandels oder eines Einbruchsdelikts rechtskräftig verurteilt
worden sind; oder missbräuchlich Leistungen der
Sozialversicherungen oder der Sozialhilfe bezogen haben
4. Der Gesetzgeber umschreibt die Tatbestände nach Absatz 3
näher. Er kann sie um weitere Tatbestände ergänzen.
5. Ausländerinnen und Ausländer, die nach den
Absätzen 3 und 4 ihr Aufenthaltsrecht sowie alle
Rechtsansprüche auf Aufenthalt in der Schweiz verlieren, sind von
der zuständigen Behörde aus der Schweiz auszuweisen und mit
einem Einreiseverbot von 5 bis 15 Jahren zu belegen. Im
Wiederholungsfall ist das Einreiseverbot auf 20 Jahre anzusetzen.
6. Wer das Einreiseverbot missachtet oder sonst wie illegal in
die Schweiz einreist, macht sich strafbar. Der Gesetzgeber erlässt
die entsprechenden Bestimmungen.
Übergangsbestimmungen Art. 197
8. Der Gesetzgeber hat innert fünf Jahren seit Annahme von
Artikel 121 Absätze 3-6 durch Volk und Stände die
Tatbestände nach Artikel 121 Absatz 3 zu definieren und zu
ergänzen und die Strafbestimmungen bezüglich illegaler
Einreise nach Artikel 121 Absatz 6 zu erlassen.
--
Der Gegenvorschlag
Bundesverfassung Art. 121a Integration
1. Das Ziel der Integration ist der Zusammenhalt der
einheimischen und der ausländischen Bevölkerung.
2. Die Integration erfordert von allen Beteiligten die
Respektierung der Grundwerte der Bundesverfassung und der
öffentlichen Sicherheit und Ordnung, den Willen zu
eigenverantwortlicher Lebensführung sowie die Verständigung
mit der Gesellschaft.
3. Die Förderung der Integration bezweckt die Schaffung von
günstigen Rahmenbedingungen für die chancengleiche Teilhabe
der ausländischen Bevölkerung am wirtschaftlichen, sozialen
und kulturellen Leben.
4. Bund, Kantone und Gemeinden stellen bei Erfüllung ihrer
Aufgaben die Berücksichtigung der Anliegen der Integration sicher.
5. Der Bund legt die Grundsätze der Integration fest und
fördert Integrationsmassnahmen der Kantone, Gemeinden und von
Dritten.
6. Der Bund überprüft in Zusammenarbeit mit den
Kantonen und Gemeinden periodisch den Stand der Integration. Werden die
Anliegen der Integrationsförderung nicht erfüllt, so kann der
Bund nach Anhörung der Kantone die notwendigen Vorschriften
erlassen.
Art. 121b Aus- und Wegweisung
1. Ausländerinnen und Ausländer können aus der
Schweiz ausgewiesen werden, wenn sie die Sicherheit des Landes
gefährden.
2. Ausländerinnen und Ausländer verlieren ihr
Aufenthaltsrecht und werden weggewiesen, wenn sie:
a. einen Mord, eine vorsätzliche Tötung, eine
Vergewaltigung, eine schwere Körperverletzung, einen
qualifizierten Raub, eine Geiselnahme, einen qualifizierten
Menschenhandel, einen schweren Verstoss gegen das
Betäubungsmittelgesetz oder eine andere mit einer Freiheitsstrafe
von mindestens einem Jahr bedrohte Straftat begangen haben und
dafür rechtskräftig verurteilt wurden;
b. für einen Betrug oder eine andere Straftat im Bereich der
Sozialhilfe, der Sozialversicherungen oder der
öffentlichrechtlichen Abgaben oder für einen Betrug im
Bereich der Wirtschaft zu einer Freiheitsstrafe von mindestens 18
Monaten rechtskräftig verurteilt wurden; oder
c. für eine andere Straftat zu einer Freiheitsstrafe von
mindestens zwei Jahren oder zu mehreren Freiheitsstrafen oder
Geldstrafen von insgesamt mindestens 720 Tagen oder Tagessätzen
innerhalb von zehn Jahren rechtskräftig verurteilt wurden.
3. Beim Entscheid über die Aus- und Wegweisung sowie den
Entzug des Aufenthaltsrechts sind die Grundrechte und die
Grundprinzipien der Bundesverfassung und des Völkerrechts,
insbesondere der Grundsatz der Verhältnismässigkeit, zu
beachten.
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RECHTSEXTREM
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Olaf als SVP-Konkurrenz?
Ohne Ausländer gibt es keine Ausländerkriminalität
Dr. Alois B. Stocher hat einen radikalen Vorschlag, wie man die
Ausländerfrage lösen kann.
Von Dinu Gautier (Text und Foto)
Bern, Stunden vor den Bundesratswahlen: eine langweilige Nacht
des eitlen Small Talks, von der Presse absurderweise "Nacht der langen
Messer" genannt. In der Bar des Hotels Bären prostet Dr. Alois B.
Stocher den SVP-Nationalräten Ulrich Schlüer und Toni
Bortoluzzi zu. Man duzt sich. Stocher überreicht den Herren den
neusten Prospekt seiner Organisation zur Lösung der
Ausländerfrage Olaf. Dann, endlich, ist Alois B. Stocher bereit,
"dem Kommunistenblatt" Red und Antwort zu stehen - nicht ohne vorher
mit dem Anwalt zu drohen, sollte der Bericht "tendenziös"
ausfallen.
Als Geschäftsführer der Olaf wirbt Stocher im Internet
für die sofortige Ausschaffung von AusländerInnen - noch
bevor über die SVP-Ausschaffungsinitiative abgestimmt wird. "Wir
verfolgen einen 3-Phasen-Lösungsansatz: Markieren, Sammeln,
Ausschaffen." Bis zu zwanzig AusländerInnen würden in einen
Olaf-Container passen. Die Container würden per Zug ausser Landes
gebracht, behauptet Stocher. "Als internationales Unternehmen sind wir
nur sehr beschränkt an lokale Gesetze gebunden." Das sei
gegenüber den Behörden ein grosser Vorteil: "Die müssen
sich an die Verfassung halten, es gibt Gerichte, Menschenrechte und so
weiter", so Stocher in angewidertem Ton.
Alois B. Stocher ist 47-jährig, trägt Anzug, Schnauz
und Seitenscheitel. Er ist ein Reaktionär, wie er im Buche steht,
von Hass aufs Fremde getrieben. Wenn er sagt: "Ich bin ein
freiheitsliebender Mensch", dann tut er das mit der herablassenden
Gestik und Mimik eines Gefängnisaufsehers.
Seine Organisation sei zwar der SVP eng verbunden, im Namen einer
ausserhalb der Politik stehenden Firma könne er aber reden, ohne
Rücksicht auf Diplomatie und Wahltaktik nehmen zu müssen. Das
eigentliche Problem sei nicht die Ausländerkriminalität, sagt
Alois B. Stocher. "Wer nämlich nicht Ausländer ist, der kann
überhaupt nicht krimineller Ausländer werden. Insofern
betreibt die SVP lediglich Symptombekämpfung."
Eine Herausforderung ist es laut Stocher freilich,
herauszufinden, wer denn "echter Schweizer" sei und wer nicht.
"Gentests sind sehr teuer, wir wenden sie nur in Härtefällen
an." Härtefälle kämen etwa vor, wenn das
Olaf-Expertenteam bei der Stammbaumforschung in der zehnten Generation
nicht mehr weiterkomme.
Dass Ausländer heute schneller einen Schweizer Pass als
Cumulus-Punkte in der Migros bekämen, sei schlimm. "Richtig
schlimm wird es aber, wenn es ihnen nicht einmal mehr anzusehen ist.
Ich habe schon mit solchen Leuten gesprochen und nichts gemerkt, weil
die perfiderweise Mundart redeten."
Stocher hat im Internet ein Meldeformular eingerichtet, wo
SchweizerInnen den Namen von AusländerInnen angeben und deren
Ausschaffung beantragen können. Damit hofft er, den Aufwand
begrenzen zu können. "Es ist zugegebenermassen
Verhältnisblödsinn, was wir derzeit machen. Was uns das
kostet ..." Stocher verwirft theatralisch die Hände, dann
flüstert er: "Es gibt natürlich andere, viel effizientere
Lösungen. Aber das ist Zukunftsmusik. Schreiben Sie das ja nicht
auf."
Unternehmer Stocher wäre nicht Unternehmer, würde er
bei seinen Geschäften nicht auch an die Gesamtwirtschaft denken.
Um zu verhindern, dass in einer Schweiz ohne AusländerInnen die
Wirtschaft zusammenbrechen würde, denkt er laut über ein
"Kinderobligatorium" nach, das allenfalls mit staatlichen Kinderzulagen
als "Anreiz" zu kombinieren wäre. Auf die Frage, ob es nicht zu
Schein eltern schaf ten kommen könnte und sich Scheineltern bei
Kontrollen nicht einfach Nachbarskinder borgen würden, kommt der
Vater dreier Kinder zum ers ten Mal ins Grübeln. Nach einer Weile
sagt er nachdenklich: "Daran haben wir noch nicht gedacht. Sie sind
natürlich raffiniert, die se Linken. Die haben ein wahnsinnig
destruktives Potenzial."
Dann kippt die Stimmung. Stochers Tonfall wird noch barscher.
Auslöser ist die Frage, ob es sich bei seinem ganzen Unternehmen,
wie im Internet behauptet wird, um ein satirisches Projekt linker
Künstler handle. "Dieses Gerücht ist ein Problem für
uns." Grund hierfür sei der Grafiker, der die Website aufgesetzt
und registriert habe. "Wir haben uns zu wenig über den erkundigt.
Das ist tatsächlich so ein Linker, der hat Sachen gemacht, das
können Sie sich gar nicht vorstellen." Als Olaf davon erfahren
habe, habe man den Grafiker sofort auf die Strasse gestellt. "Doch die
Leute sind ja nicht dumm. Jeder Besucher unserer Website wird merken,
dass wir alles andere als links sind - sonst versteh ich
die Welt nicht mehr", sagt Stocher.
Die Satirevorwürfe scheinen jedenfalls Stochers
Popularität im Internet keinen Abbruch zu tun. Zahlreiche
PolitikerInnen zählen weiterhin zu seinen Freunden auf Facebook.
http://www.olaf-schweiz.ch
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20 Minuten 30.9.10
Rasierklinge unter Aufkleber
RHEINFELDEN (D). Eine junge Frau im badischen Rheinfelden
entfernte gestern einen Sticker mit der Aufschrift "Organisiert den
nationalen Widerstand" von einem Laternenmast. Doch der Kleber war
manipuliert, dahinter war eine Rasierklinge so positioniert, dass sich
der Entferner heftig in die Finger schneiden sollte. Mit viel
Glück blieb die Frau aber unverletzt. Die Methode ist in
Deutschland in rechtsradikalen Kreisen verbreitet.
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ANTISEMITISMUS
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Bund 30.9.10
Meinungen
Debatte Le Corbusier wird als "Antisemit" zur Unperson
erklärt - wie schon andere vor ihm. Kein Grund, sie abzuschreiben.
Dürfen Geistesgrössen irren?
Guido Kalberer
Louis-Ferdinand Céline, einer der grössten
Schriftsteller des 20. Jahrhunderts, war ein glühender Antisemit.
Martin Heidegger, einer der grössten Philosophen des 20.
Jahrhunderts, liess sich 1933 von den Nationalsozialisten zum Rektor
der Universität Freiburg im Breisgau wählen. Und nun verliert
auch Le Corbusier, einer der grössten Architekten des 20.
Jahrhunderts, seine politische Unschuld. Man kann weiter in der
Geistesgeschichte zurückgehen und etwa bei Arthur Schopenhauer
einen Halt machen, der die Frauen herzhaft hasste, oder in den Norden
reisen zu Knut Hamsun, der dem nationalsozialistischen Gedankengut
nahestand.
Man kann aber auch die Stirn runzeln über das Verhalten der
jüdischen Philosophin Hannah Arendt, die nicht nur vor, sondern
auch nach dem Zweiten Weltkrieg mit Heidegger liiert war, obwohl sich
ihr Liebhaber mit keinem Wort von seiner politischen Vergangenheit
distanzierte - was ihm der Dichter Paul Celan nie verzieh. Man kann
auch einen Blick auf die zahlreichen Geistesheroen des 18. Jahrhunderts
werfen, welche die sich anbahnende Demokratisierung vehement ablehnten
und in der Französischen Revolution Teufelswerk sahen. Nur allzu
schnell geht vergessen, dass der Geist jahrhundertelang die vornehme
Perücke des Adels trug.
Grenzen der Toleranz
Es ist ein weites Feld, das sich hier auftut, und ein heikles
dazu mit vielen offenen Fragen. Erträgt man es, dass
Geistesgrössen, deren Werk man schätzt oder gar bewundert,
moralisch oder politisch irren? Wenn ja, wie weit reicht unsere
Toleranz? Und schliesslich stellt sich die für die Ästhetik
zentrale Frage: Hat die politische Haltung - wie etwa ein
ressentimentgeladener Rassismus - auf das künstlerische Werk
durchgeschlagen, sodass es davon infiziert ist? Ist etwa Friedrich
Nietzsche schuld daran, dass die Nationalsozialisten ihn wie einen
Eisheiligen verehrten, oder wurde sein radikales Konzept des
Übermenschen für deren Zwecke instrumentalisiert oder gar
missbraucht? Und trägt "Sein und Zeit", das 1927 erschienene
Hauptwerk von Heidegger, bereits den Stempel des späteren
NS-Parteimitglieds? Dutzende von Studien beschäftigen sich mit
dieser komplexen Materie und kommen von Fall zu Fall und von Autor zu
Autor zu anderen Schlüssen.
Nur eines lässt sich mit Sicherheit sagen: Je älter und
geografisch entfernter der Skandal, desto unaufgeregter die Reaktion;
je historischer das Denken, desto gelassener das Urteil. Niemand wirft
Sokrates oder Platon Pädophilie vor, sie war, wie die Sklaverei,
weitverbreitet und Teil der antiken Lebenswelt - bei der Odenwaldschule
allerdings regte sich unser kollektiver Widerstand, mit dem Effekt,
dass die alternativen pädagogischen Konzepte auf einen Schlag
entwertet wurden. Mit der philosophischen Aufklärung haben sich
nicht nur normative Standards über das richtige Leben
durchgesetzt, auch eine gewisse Selbstverblendung der Moderne wurde
Mode und Methode: So kommt das moralische Urteil der Nachwelt
häufig einer Absolution der realen Gegenwart gleich. Es geht dabei
weniger um Einsichten und Erkenntnisse, sondern um eine
Überhöhung des eigenen Standpunktes.
Wenn die Grossen klein denken
Wenn man eine Meinung oder Haltung in einen bestimmten
historischen Kontext stellt, heisst das aber noch nicht, dass man sie
damit akzeptiert oder gar entschuldigt. Es handelt sich bloss um den
Versuch, ein Stück weit einen unangenehmen Weg zu gehen, um
jemanden zu verstehen. Man kann zum Beispiel die Musik von Carlo
Gesualdo in vollen Zügen geniessen, ohne damit den Mord an seiner
Ehefrau zu rechtfertigen.
Klar: In letzter Instanz, wie Friedrich Engels sagen würde,
hat das von zahlreichen Zwängen entfesselte Individuum in den
meisten Situationen die freie Wahl zwischen Mitmachen oder Verweigern.
Je näher wir dem ideologietrunkenen 20. Jahrhundert kommen, desto
schmerzhafter macht sich der Stachel moralischen Verfehlens bemerkbar.
Es ist letztlich die Freiheit, die uns so sehr bewegt und verletzt,
wenn die Grossen klein denken oder falsch handeln.
Der Widerspruch zwischen dem, was ist, und dem, was sein soll,
ist umso stossender, je bedeutender eine Persönlichkeit ist.
Wieso? Weil wir ihr eine Erhabenheit zuschreiben, die mehr über
uns und unsere Wünsche verrät als über die Künstler
selbst. Gottfried Benn, auch er kein Leuchtturm ethischen Verhaltens,
übertrieb nur wenig, als er schrieb, Kunst sei das Gegenteil von
gut gemeint. Richtig ist sicherlich, dass der Ästhetik mit rein
moralischen Urteilen nicht beizukommen ist.
---
St. Galler Tagblatt 30.9.10
Pakt mit dem Teufel
Le Corbusier Die UBS stoppt eine Kampagne mit dem Bild des
Schweizer Architekten. Was ist dran am Vorwurf des Antisemitismus?
Peter Surber
Bildsujet und dazugehöriger Satz sind tatsächlich
unglücklich gewählt: "Weil wir Vergangenes aufarbeiten
wollen…", schreibt die UBS in ihrer jüngsten Werbekampagne und
setzt dazu den Kopf des Architekten Le Corbusier (1887-1965). Dagegen
hat sich nun ihrerseits eine Protestkampagne formiert, mit dem
Ergebnis, dass die UBS die Werbung mit Le Corbusier entfernt hat.
Viele Pläne, wenig Skrupel
Denn just in der Vergangenheit des legendären Architekten
gibt es dunkle Flecken. 1941 engagierte ihn das faschistische
Vichy-Regime in Frankreich als "Verantwortlichen für
Städtebau". 1940 äusserte er sich in einem Brief an seine
Mutter bewundernd über Hitler. Zudem suchte er die Zusammenarbeit
mit Mussolini - für die UBS, die sich mit ihrer eigenen
Vergangenheit schwertut, also nicht gerade eine Lichtgestalt.
Und für Kritiker offensichtlich Grund genug, ihn zur
Unperson zu erklären. Architekturhistoriker Pierre Frey von der
ETH Lausanne wird von der "Sonntags-Zeitung", die den Fall aufgebracht
hat, mit den Worten zitiert, Le Corbusier sei ein "Theoretiker der
räumlichen Eugenik und ein rabiater Antisemit", gewesen. Das hatte
er bereits vor Jahresfrist in der "Weltwoche" gesagt und das Konterfei
des Architekten auf der Zehnernote kritisiert. Neu ist die Debatte
nicht, auch Biographien, zuletzt jene des Amerikaners Nicholas Fox
Webber, verschweigen seine problematischen Positionen nicht.
"Le Corbusier wollte bauen - und hatte wenig Skrupel, sich
dafür allen möglichen Regimes anzubieten", bestätigt auf
Anfrage Sonja Hildebrand, Dozentin am Institut für Geschichte und
Theorie der Architektur (gta) der ETH Zürich. Das sei
fragwürdig, aber noch kein Grund, seinem Bauen selber einen
"totalitären" Geist zu unterstellen. Allerdings erhebe es den so
umfassenden wie selbstbewussten Anspruch, die Wohnbedürfnisse der
Menschen zu kennen und zu befriedigen - und gerate damit in Gefahr,
gleichmacherisch über die Vielfalt der Lebensweisen hinwegzusehen.
Die "Idealstadt", wie sie Le Corbusier im indischen Chandigarh
(oder Oscar Niemeyer in Brasilia) zu realisieren versuchten, sei heute
städtebaulich überholt - auch wenn, wie Hildebrand
einschränkt, an einem Ort wie Abu Dhabi nicht minder megalomane
Bauherren am Werk seien. In Europa aber gehe es um Differenzierung und
Vielfalt, selbst wo ganze Quartiere wie der Hafen Hamburg oder der
Novartis-Campus in Basel neu gebaut würden.
Politischer Opportunismus
Le Corbusier hoffte in jenen Jahren, in Algerien seine Idealstadt
zu realisieren - und paktierte deshalb mit dem Pétain-Regime.
Zuvor aber hatte er unter anderem die Villa Schwob in La Chaux-de-Fonds
für einen jüdischen Auftraggeber gebaut. "Opportunismus"
könne man ihm vorwerfen, schreibt die NZZ gestern. Statt über
Plakate wäre es aber wichtiger, über solchen politischen
Opportunismus zu diskutieren, vor dem auch und gerade grosse Köpfe
nicht gefeit seien.
Stanislaus von Moos, Kunsthistoriker und Autor mehrerer
Bücher über den Architekten, argumentiert ähnlich: "Le
Corbusier wäre um der Realisierung seiner Ideen willen bereit
gewesen, fast jeden Pakt mit dem Teufel zu schliessen. So gesehen
verhält es sich nicht grundsätzlich anders als im Falle eines
Waffenlieferanten aus Oerlikon, mit dem Unterschied, dass es dabei um
Wohnbau ging und nicht um Kriegsgerät." Weder mit Mussolini noch
mit Pétain kam es dann aber zur Zusammenarbeit, und Le Corbusier
verabschiedete sich bereits 1942 vom "beschissenen Vichy".
Sonja Hildebrand sagt: "So viele Gandhis laufen ja nicht durch
die Welt. Menschen sind Menschen." Über deren Fehlurteile soll man
reden, aber nicht gleich richten. Die Architekturgeschichte ist voll
von Prachtsbauten, die von absolutistischen Herrschern unter
menschenverachtenden Bedingungen erbaut wurden. Wichtig, das zu wissen
- aber nicht, sie deshalb abzureissen.
--
Nicht für Despoten
"Wer einmal das kleine Häuschen von Le Corbusiers Eltern am
Genfersee, die Unité d'Habitation in Marseille oder die
Wallfahrtskapelle von Ronchamps besucht hat, der spürt auf Anhieb,
warum Hitler, Mussolini und ihre Bürokraten letztlich nichts mit
solchem Zeug zu tun haben wollten."
Stanislaus von Moos, Kunsthistoriker
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RAF
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Junge Welt 30.9.10
Neuer RAF-Prozeß
Ab heute muß sich Verena Becker in Stuttgart wegen der
Erschießung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback vor 33
Jahren verantworten
Von Torsten Hamann
Die Justiz nimmt 33 Jahre nach der Erschiessung von Generalbundesanwalt
Siegfried Buback nun noch mal Anlauf, das Attentat vom 7. April 1977
aufzuklären. Das ehemalige Mitglied der "Roten Armee Fraktion"
Verena Becker muß sich ab dem heutigen Donnerstag vor dem
Oberlandesgericht Stuttgart wegen des Vorwurfs der Mittäterschaft
verantworten. Allerdings glaubt die Bundesanwaltschaft nicht, daß
sie es war, die damals auf den Generalbundesanwalt und seine beiden
Begleiter geschossen hat. Michael Buback, Sohn des Ermordeten, ist
dagegen überzeugt, daß Becker die Täterin war. Er
glaubt, das beweisen zu können und tritt deshalb im Verfahren als
Nebenkläger auf.
Der Ablauf des Anschlags ist klar: Am 7. April 1977 fuhren in
Karlsruhe zwei vermummte RAF-Mitgieder auf einem Motorrad neben Bubacks
Dienst wagen, der an einer Ampel gehalten hatte. Der Täter auf dem
Sozius feuerte dann mit einem automatischen Gewehr aus nächster
Nähe durch das rechte Seitenfenster in das Wageninnere. Buback und
sein Fahrer Wolfgang Göber waren sofort tot. Ihr Begleiter Georg
Wurster starb wenige Tage später.
Zwar wurden 1980 Knut Folkerts und 1985 Brigitte Mohnhaupt sowie
Christian Klar wegen Mittäterschaft an dem Anschlag verurteilt.
Doch wer damals geschossen und wer das Motorrad gefahren hatte, blieb
unklar. Der Fall geriet schließlich in Vergessenheit, bis sich
2007 der RAF-Aussteiger Peter-Jürgen Boock in den Medien
äußerte und Michael Buback, der Sohn des erschossenen
Generalbundes anwaltes, daraufhin eine Wiederaufnahme der Ermittlungen
auch gegen Becker erreichte.
Die heute 58jährige ist seit 1977 verdächtig, weil sie
bei ihrer gemeinsamen Festnahme mit Günter Sonnenberg die Tatwaffe
mit sich führte. Das Ermittlungsverfahren gegen sie verlief 1980
aber im Sande: Haare, die an einem beim Anschlag benutzen Motorradhelm
gefunden wurden, stammten nicht von Becker. Zudem konnten Sekretspuren
an einer Motorradjacke, einem Helm und Handschuhen damals der
Blutgruppe A zugeordnet werden, Becker hat jedoch eine andere. Erneute
DNA-Untersuchungen im Jahr 2008 bestätigten endgültig,
daß Becker nicht die Verursacherin der Spuren war. Mit neuen
Nachweisme thoden fanden die Kriminaltechniker allerdings DNA-Spuren
Beckers an den damaligen Bekennerschreiben der RAF. Dies und die
Aussagen Boocks, Becker sei bei den Anschlagsvorbereitungen eine
treibende Kraft gewesen, reichten der Bundesanwaltschaft aus, erneut
Anklage gegen sie zu erheben.
Michael Buback hält Becker dagegen für die
Mörderin seines Vaters und will das nun mit Augenzeugen
untermauern, die damals eine Frau auf dem Sozius des Motorrads gesehen
haben wollen. Daß die Strafverfolger seiner Mordtheorie nicht
folgen, liegt nach seiner Ansicht an der "schützenden Hand" der
Behörden. Sie deckten Becker, weil sie früher mit dem
Verfassungsschutz zusammengearbeitet habe, glaubt der Chemieprofessor.
Die Bundesanwaltschaft verweist demgegenüber auf andere
Zeugen, die nur Männer gesehen haben wollen. Die Spuren
sprächen jedenfalls nicht für Becker. Wer der Schütze
war, sei damit weiterhin unklar. Und offen ist auch, ob Sonnenberg der
Fahrer des von ihm gemieteten Motorrads war. Sonnenberg wurde im Fall
Buback nicht angeklagt, weil nach einem Kopf schuß bei seiner
Festnahme an dessen Folgen litt.
Daß Becker nun ab Donnerstag ihr mögliches Wissen um
den wahren Täter preisgibt, ist kaum zu erwarten: Zwar soll sie
Anfang der 80er Jahre dem Verfassungsschutz Stefan Wisniewski als
Schützen genannt haben. Doch 2007 traf sich Becker mit Mohnhaupt
in Mannheim, um das alte Schweigegelübde der RAF erneut zu
besiegeln. In einem im Mai 2010 in junge Welt veröffentlichten
Brief betonen einige ehemaligen RAF-Mitglieder, die anonym bleiben,
daß sie jede Zusammenarbeit mit den staatlichen
Ermittlungsbehörden ablehnen. "Keine Aussagen zu machen ist keine
Erfindung der RAF. Es hat die Erfahrung der Befreiungsbewegungen und
Guerillagruppen gegeben, daß es lebenswichtig, in der
Gefangenschaft nichts zu sagen, um die, die weiterkämpfen, zu
schützen", heißt es in dem Schreiben.
Doch wenige Tage vor dem Prozeß tauchten immer neue
Spekulationen auf. Von welcher Seite diese gestreut werden,
darüber kann nur gemutmaßt werden. Federführend ist
dabei der Spiegel. So hatte die Onlineausgabe des Magazins am Montag
berichtet, die früheren RAF-Mitglieder Silke Maier-Witt und
Peter-Jürgen Boock hätten in Interviews mit Spiegel TV
übereinstimmend erzählt, daß Wisniewski vom Tatmotorrad
aus Buback erschossen habe. Quelle seien "exklusive Interviews" mit
Spiegel TV, die am 3. Oktober auf RTL ausgestrahlt würden. Der
Spiegel berichtete zudem über einen Vermerk des
Verfassungsschutzes von 1981, demzufolge sowohl Becker als auch
Brigitte Mohnhaupt zum Zeitpunkt des Anschlags auf Buback im April 1977
im Irak gewesen seien.
Maier-Witt dementierte indes diese Berichte, nach denen sie
Wisniewski als Todesschützen genannt hätte. "Zu dieser Frage
kann ich überhaupt nichts sagen", erklärte Maier-Witt in der
Dienstagsausgabe der Tageszeitung Die Welt. Innerhalb der RAF sei nach
Anschlägen nie über die Täter direkt gesprochen worden -
auch nicht nach dem Attentat auf Generalbundesanwalt Buback. Sie habe
eine Vermutung, wisse aber letztlich nicht, wer der Täter sei.
RAF-Aussteiger Boock sagte zu den angeblichen Enthüllungen: "Das
ist absoluter Humbug".
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Tagesanzeiger 30.9.10
RAF-Terroristen waren unterwegs nach Zürich
Wer hat 1977 den Generalstaatsanwalt Siegfried Buback ermordet?
Ein Prozess in Stuttgart könnte eines der grossen Rätsel der
deutschen Nachkriegsgeschichte lösen. Viele Spuren führen in
die Schweiz.
Von David Nauer, Berlin
Der Tipp kam von einer Rentnerin aus dem süddeutschen
Singen. Die rüstige Dame erkannte am Marmor-Ecktisch im
Café Hanser zwei Terroristen der Roten-Armee-Fraktion (RAF). Sie
lässt Brötchen und Konfitüre stehen, eilt über den
Hinterausgang auf den nächsten Polizeiposten. Als Beamte das
verdächtige Paar kontrollieren wollen, schiessen die beiden
plötzlich. Es kommt zu einer wilden Verfolgungsjagd, an deren Ende
die Verhaftung von Verena Becker und Günter Sonnenberg steht.
Die RAF-Kaderleute haben ein Schnellfeuergewehr der Marke Heckler
& Koch bei sich, Typenbezeichnung 43, Seriennummer 10 01529 E. Mit
dieser Waffe war vier Wochen zuvor, am 7. April 1977, der deutsche
Generalstaatsanwalt Siegfried Buback in Karlsruhe erschossen worden.
Ursprünglich stammt die HK 43, wie Kenner das effiziente
Mordgerät nennen, aus der Schweiz. Ein RAF-Mann hatte sie unter
dem Decknamen "Herr Zeidler" bei der Firma Grünig + Elmiger im
luzernischen Malters gekauft. Kostenpunkt: 960 Franken.
Unklar, wer geschossen hat
Die Ermordung von Generalstaatsanwalt Buback ist über 33
Jahre her, doch jetzt kommt sie wieder vor Gericht. Und mit ihr die
ganzen Intrigen und Rätsel, Fragen und offenen Wunden rund um den
sogenannten Deutschen Herbst 1977. Die Schüsse auf Buback waren
der Auftakt gewesen für eine beispiellose linke Terrorserie. Bis
heute ist die Tat nicht aufgeklärt. Zwar sind die RAF-Mitglieder
Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt für eine
allgemeine Beteiligung am Buback-Mord verurteilt worden. Das Gericht
fand aber nicht heraus, wer welchen Tatbeitrag geleistet hat, wer das
Motorrad der Attentäter lenkte, wer den Abzug der HK
43 drückte, wer im Fluchtauto sass.
Vielleicht bringt der Prozess, der heute in Stuttgart beginnt,
Licht ins Dunkel. Angeklagt ist Verena Becker (58), die Frau, die nach
dem Tipp der Rentnerin in Singen verhaftet wurde. Sie hatte schon 1977
als verdächtig gegolten - immerhin hatte sie die Tatwaffe des
Buback-Mordes auf sich. Zudem beschrieben zahlreiche Zeugen, die
tödlichen Schüsse habe eine zierliche Person in
Motorradkleidung abgegeben, am ehesten eine Frau. Die Beschreibung
passt auf Becker, doch die Ermittlungsbehörden wandten sich rasch
von ihr ab. Sie wurde abgeurteilt für die Schiesserei in Singen,
eine Anklage in Sachen Buback blieb aus. Bereits 1989 - zwölf
Jahre nach ihrer Festnahme - kam Becker frei und lebt seither im
Berliner Villenquartier Wilmersdorf, wo sie als Heilpraktikerin
arbeitet.
Diese staatliche Milde ist für manche der eigentliche
Skandal an dem Fall. Michael Buback, Chemieprofessor in Göttingen
und Sohn des Opfers, spricht von einem "zweiten Tod meines Vaters". Er
geht davon aus, dass eine "schützende Hand" Becker vor einer
Strafverfolgung bewahrt habe. So seien Zeugen systematisch nicht
befragt worden. Offenbar sind auch Unterlagen und Gutachten
verschwunden. Der deutsche Geheimdienst, so die These von Buback
junior, soll die Terroristin für ihre umfangreiche Kooperation
belohnt haben. Angeblich verriet Becker den Beamten die ganze Struktur
der RAF. Erst nach langen Recherchen von Michael Buback erhoben die
Behörden doch noch Anklage gegen die mutmassliche Mittäterin.
Beten für das Mordopfer?
Im vergangenen Sommer sass Becker kurz in Untersuchungshaft.
Gegen sie liegen mehrere Indizien vor: Ihre DNA haftet an Briefen, in
denen sich die RAF zu dem Mord bekennt. Zudem soll sie sich in privaten
Notizen gefragt haben, ob sie für Buback beten soll - dies
ausgerechnet am 31. Jahrestag des Attentats. Die Staatsanwaltschaft
wirft ihr inzwischen vor, bei der Vorbereitung des Attentats
mitgeholfen zu haben. So habe sie unter anderem am 6. April
1977, einen Tag vor dem Mord, den Tatort ausgespäht.
In den vergangenen Wochen sind mehrere Einzelheiten dazugekommen.
Für Aufsehen sorgten zwei ehemalige RAF-Kämpfer, die im
Fernsehen sagten, Becker sei nicht an der Tat beteiligt gewesen. Neu
aufgetaucht sind auch Vermerke des Geheimdienstes, wonach Becker zur
Tatzeit in Bagdad gewesen sein soll. Michael Buback, der als
Nebenkläger am Prozess teilnehmen wird, ärgert sich über
diese nachgereichten Informationen: "Die wirken auf mich wie ein
neuerlicher, allerdings besonders massiver Versuch, eine
schützende Hand über Verena Becker zu halten."
Der Prozess in Stuttgart ist wohl die letzte Chance, diese
Vorwürfe aufzuklären. Er könnte zudem Aufschluss geben
über die umfangreichen Beziehungen, welche die RAF in die Schweiz
unterhielt. Der Grossraum Zürich war für Becker und Co. nicht
nur der Ort, wo sie Waffen kauften. Hier tauchten sie auch ab und
konnten möglicherweise auf willige Helfer zurückgreifen.
Was man sicher weiss: Bei ihrer Verhaftung in Singen waren Becker
und Sonnenberg unterwegs nach Zürich. Dorthin hatte Becker zuvor
unter dem Tarnnamen Marion Schneider einen Koffer voller Kleider
geschickt. Dieser "Zürcher Koffer" könnte im Prozess eine
zentrale Rolle spielen. Man hat darin Haare gefunden, die einer Frau
gehören, angeblich nicht Becker. Wem aber dann? Unklar bleibt
auch, was Becker in Zürich wollte. Aktenkundig sind mehrere
frühere Besuche in der Schweiz - unmittelbar vor und nach dem Mord
an Buback. Zwischen dem 14. März 1977 und Ende April stieg Becker
mehrmals unter falschem Namen in Zürcher Hotels ab. Am 27. April
verbrachte sie mit Günter Sonnenberg und zwei anderen
mutmasslichen RAF-Terroristen eine Nacht im Verena-Hof in Baden.
Terror-Training im Jemen
Warum immer in die Schweiz? Die "Süddeutsche Zeitung"
mutmasste jüngst, Becker habe Kontakt gehabt mit der Terroristin
Gabriele Kröcher-Tiedemann, die in Zürich untergetaucht war.
Die beiden Frauen kannten sich von einem gemeinsamen Aufenthalt in
einem Terrorcamp im Jemen. Verifiziert werden kann die These jedoch
nicht mehr: Kröcher-Tiedemann starb 1995 an Krebs, Becker
schweigt. Möglich auch, dass es andere illegale
Untergrundkämpfer in und um Zürich gab. In den Jahren zuvor
waren mehrere Schweizer Militärdepots ausgeraubt worden, die
Waffen landeten bei Terrorgruppen weltweit, zum Teil auch bei der RAF.
Der Waffenhändler nervt sich
Schweizer Ermittler vermuteten damals, dass Terroristen
"verschiedenster Gruppierungen in der Schweiz eine gemeinsame Zentrale
aufbauten", wie ein Beamter im Mai 1977 der "Schweizer Illustrierten"
verriet. Doch wie viel die Behörden wirklich wussten, bleibt bis
heute ein Geheimnis. Die meisten wichtigen Akten im Bundesarchiv sind
unter Verschluss. Begründung des Eidgenössischen Justiz- und
Polizeidepartements: Die Papiere seien "von aktueller
Staatsschutzrelevanz". Eine allfällige Veröffentlichung sei
"geeignet, die Beziehungen zu ausländischen Staaten zu
beeinträchtigen sowie die innere und äussere Sicherheit der
Eidgenossenschaft zu gefährden".
Die Geheimnistuerei ist schwer verständlich, selbst in
Deutschland sind zuletzt vermehrt Akten aus jener Zeit
veröffentlicht worden. Nicht auszuschliessen, dass die Papiere im
einen oder im anderen Fall ein Versagen der Schweizer Behörden
dokumentieren.
Ungern denkt man auch beim Waffenhändler Grünig +
Elmiger an den Fall Buback zurück. "Es nervt nicht ganz gering,
nach 35 Jahren wieder auf ein Ereignis angesprochen zu werden, das auch
uns damals echt erschüttert hat", schreibt Senior-Chef Kurt
Grünig auf eine Anfrage des "Tages-Anzeigers". Gleichzeitig
besteht er darauf, dass die HK 43 damals in der Schweiz
frei verkäuflich gewesen sei. Der Mitarbeiter, der den Deal mit
dem RAF-Mann abwickelte, habe natürlich "nie im Geringsten daran
gedacht, dass damit einmal eine so scheussliche und verwerfliche Tat
begangen wird".
Die böse Ironie der Geschichte: Als die beiden RAF-Leute in
Singen vor der Polizei flüchteten, verlor Becker die HK 43. Ein
Beamter fand die Waffe und schoss damit auf die Flüchtenden.
Beckers Kumpan Sonnenberg wurde am Kopf getroffen, sie selber am
Oberschenkel. Die Flucht fand damit ein Ende. Das "Schweizer Gewehr"
war den Terroristen zum Verhängnis geworden.
Die Schweizer Akten bleiben unter Verschluss. Begründung:
Die Papiere seien "von aktueller Staatsschutzrelevanz".
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NZZ 30.9.10
Neuauflage des Buback-Prozesses
Die deutschen Behörden sehen in der RAF-Terroristin Verena
Becker eine Mittäterin
In Stuttgart steht ab Donnerstag die RAF-Terroristin Verena
Becker vor Gericht. Die Anklage glaubt aufgrund neuer Erkenntnisse,
Becker sei bei der Ermordung des Generalbundesanwalts Buback
Mittäterin gewesen.
Ulrich Schmid, Berlin
Wieder einmal liegen die langen Schatten des Terrors über
Deutschland. Während am Mittwoch Berichte über angebliche
Anschlagspläne der Kaida für Aufsehen sorgten, machte man
sich in Stuttgart daran, ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte
neu aufzurollen. Ab Donnerstag wird vor dem Oberlandesgericht Stuttgart
der RAF-Terroristin Verena Becker der Prozess gemacht. Sie soll
massgeblich an der Ermordung von Generalbundesanwalt Siegfried Buback
beteiligt gewesen sein.
Rasche Festnahme
Buback wurde am 7. April 1977 an einer Strassenkreuzung in
Karlsruhe erschossen. Der höchste Ankläger des Landes sass in
seinem Dienstwagen, der Mörder auf dem Soziussitz eines Motorrads.
Es fielen mindestens 15 Schüsse aus einer Maschinenpistole. Becker
wurde Anfang Mai in der Nähe von Singen festgenommen; sie und ihr
Komplize waren in eine Kontrolle geraten und hatten auf Polizeibeamte
geschossen. Im November wurde Becker wegen dieser Schiesserei zu
lebenslänglicher Haft verurteilt. Eine Beteiligung an der
Ermordung Bubacks konnte ihr nicht nachgewiesen werden. Nach 12 Jahren
wurde sie vom damaligen Präsidenten von Weizsäcker begnadigt.
Im April 2008 nahm die Bundesanwaltschaft die Untersuchungen gegen
Becker wieder auf; unter anderem waren ihre DNA-Spuren auf
Bekennerschreiben entdeckt worden.
Kompliziert wird der Fall Becker durch die Gespräche, die
sie in den Jahren 1981 und 1982 mit dem Verfassungsschutz führte.
Die lange Zeit aus Gründen des Informantenschutzes gesperrten
Dokumente sind heute grösstenteils zugänglich und haben die
Staatsanwaltschaft offenbar im Entschluss bestärkt, den Gang vor
Gericht zu wagen. Konkret wird Becker beschuldigt, massgeblich an der
Entscheidung, Buback zu ermorden, mitgewirkt zu haben, an der Planung
und Vorbereitung der Tat beteiligt gewesen zu sein und
Bekennerschreiben verschickt zu haben. Ziel des Attentats sei es
gewesen, die gefangenen RAF-Terroristen Baader, Ensslin und Raspe
freizupressen. Dass es Becker war, die schoss, hält die Anklage
offenbar für unwahrscheinlich. Ihr galt lange Knut Folkerts, ein
weiterer RAF-Mann, als Schütze. Heute ist auch Stefan Wisniewski
wieder ins Blickfeld der Fahnder gerückt; gegen ihn läuft ein
Ermittlungsverfahren. Es gibt Zeugen, die auf dem Motorrad zwei
Männer gesehen haben wollen, und Becker selber soll gegenüber
dem Verfassungsschutz Wisniewski als Schützen identifiziert haben.
Private Abklärungen
Eine der Haupttriebkräfte des neuen Prozesses ist Michael
Buback, der Sohn des Ermordeten. In privaten Recherchen hat er einige
Ungereimtheiten im Verhalten der Bundesanwaltschaft aufgedeckt. Diese
bekam offenbar vom Verfassungsschutz bereits kurz nach dessen
Gesprächen mit Becker die Information, Becker gehöre
vermutlich zum Täterkreis, ging diesem Verdacht aber nie nach.
Anders als die Staatsanwaltschaft glaubt Buback, dass Becker die
Mörderin gewesen sein könnte. Er stützt sich dabei auf
Zeugen, die eine zierliche Person auf dem Motorrad gesehen haben
wollen, und auf die Tatsache, dass sie bei ihrer Festnahme in Singen
die Tatwaffe mit sich führte. Buback tritt vor dem
Oberlandesgericht Stuttgart als Nebenkläger auf.
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Basler Zeitung 30.9.10
Wer erschoss Siegfried Buback?
Neuer Prozess um die Ermordung des deutschen Generalbundesanwalts
durch RAF-Terroristen im Jahr 1977
Jochen Schmid
Vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ist Verena Becker (58)
angeklagt. Sie soll die Tat mit vorbereitet, aber nicht selbst
getötet haben. Der Sohn des Opfers, Michael Buback, hält sie
für die Mörderin.
Mehr als 33 Jahre ist es her, dass ein Terror-Kommando der Roten
Armee Fraktion (RAF) den deutschen Generalbundesanwalt Siegfried Buback
tötete - einer von 34 Morden, die die "antiimperialistische
Stadtguerilla" RAF zwischen 1971 und ihrer Selbstauflösung 1998
beging. An diesem 7. April 1977 kamen die beiden Täter auf einem
Motorrad der Marke Suzuki GS 750. Sie beschossen Bubacks
Dienstlimousine, die vor einer roten Ampel in Karlsruhe angehalten
hatte. Ausser Buback starben sein Fahrer und ein Begleiter. Wer die
Schüsse abgab, ist bis heute ungeklärt.
An diesem Donnerstag unternimmt das Oberlandesgericht Stuttgart
einen neuen Versuch, Licht ins Dunkel zu bringen. Unter Anklage steht
Verena Becker, 58 Jahre alt, Heilpraktikerin aus Berlin. Die
Bundesanwaltschaft beschuldigt sie, am Anschlag gegen Buback mitgewirkt
zu haben. Darauf weisen angeblich DNA-Spuren an Bekennerbriefen hin.
Allerdings soll sie nur an der Planung der Tat beteiligt gewesen sein,
auf dem Motorrad habe sie nicht gesessen. Wer aber dann?
Die Fragen. Zwischen 1980 und 1985 wurden schon die
RAF-Mitglieder Knut Folkerts, Christian Klar und Brigitte Mohnhaupt
wegen des Buback-Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Aber auch von
diesen dreien, so viel steht fest, fuhr keiner auf der Suzuki mit. Die
unmittelbaren Täter von Karlsruhe sind bis heute nicht bestraft
worden. Die Frage stellt sich, warum. Nachlässigkeit der Justiz?
Oder Kalkül?
Die Fragen stellt besonders dringlich Michael Buback,
Chemieprofessor in Göttingen und Sohn des Opfers. Er möchte
wissen, wer seinen Vater umgebracht hat. Deshalb hat er sich in den
vergangenen drei Jahren in die Akten eingearbeitet und tritt auch im
jetzigen Verfahren gegen Verena Becker als Nebenkläger auf.
Über seine Erkenntnisse hat er ein Buch geschrieben ("Der zweite
Tod meines Vaters"). Darin geht er mit der Bundesanwaltschaft, die sein
Vater einst leitete, hart ins Gericht: Sie habe nicht alles getan, um
den Schützen zu finden. Für Michael Buback steht "zu 99
Prozent" fest, wer hinten auf der Suzuki sass und feuerte: Verena
Becker.
Inzwischen gehen alle, auch die Bundesanwaltschaft, davon aus,
dass Günter Sonnenberg das Motorrad gelenkt hat. Das RAF-Mitglied
Günter Sonnenberg wurde am 3. Mai 1977 nach einer Schiesserei mit
Polizeibeamten in Singen verhaftet. An seiner Seite: Verena Becker. Im
Gepäck: die Waffe, mit der Siegfried Buback ermordet worden war.
Das Duo hatte einen Suzuki-Schraubenzieher dabei, wie er im Bordset des
Tat-Motorrads fehlte. Und eine Haarspur soll angeblich darauf
hinweisen, dass Verena Becker einen der Motorradhelme trug, die bei der
Tat in Karlsruhe verwendet worden waren.
Die Zeugen. Günter Sonnenberg wurde wegen der Schiesserei in
Singen zu zweimal lebenslanger Haft verurteilt und ist seit 1992 wieder
frei. Einer Anklage wegen des Buback-Mordes entging er, was Michael
Buback "unbegreiflich" findet. Noch unbegreiflicher findet er, dass es
damals zu keinem Prozess gegen Verena Becker wegen des Buback-Mordes
kam. 1979 verurteilte das Oberlandesgericht Stuttgart Becker wegen des
Singener Schusswechsels zu zweimal "lebenslänglich" plus 13 Jahre
Haft. Bereits 1989 wurde sie von Bundespräsident Richard von
Weizsäcker begnadigt. Nun aber, auch auf das Insistieren des
Buback-Sohnes hin, kommt es doch noch zu einer Anklage im Fall Buback.
Nur, auf dem Motorrad soll Verena Becker nicht gesessen haben.
Michael Buback hat in den vergangenen Jahren zwanzig
Zeugenaussagen ausgegraben, die belegen sollen, dass die Person hinten
auf der Suzuki eine "zierliche" Person gewesen sei. Eine Frau. Verena
Becker. Buback folgert aus der Ignoranz, mit der die
Ermittlungsbehörden solchen Erkenntnissen begegnen, dass es da
etwas zu verbergen gebe. Tatsächlich hat Verena Becker, dies ist
amtlich, spätestens von 1981 an mit dem deutschen
Verfassungsschutz zusammengearbeitet und über die inneren
Strukturen der RAF Auskunft gegeben. Seitdem, so vermutet Buback, gebe
es eine "schützende Hand", die sich über Verena Becker lege.
Die Spekulationen. Noch bevor der Prozess gegen sie
überhaupt begonnen hat, geistern neue Spekulationen durch die
deutschen Medien. Der Schütze auf dem Motorrad sei Stefan
Wisniewski gewesen, der später an der Entführung von
Arbeitgeberpräsident Hanns-Martin Schleyer beteiligt war und 1999
aus der Haft entlassen wurde. Überdies streute der deutsche
Verfassungsschutz in den vergangenen Tagen, Verena Becker habe sich zum
Tatzeitpunkt gar nicht in Deutschland aufgehalten, sondern in Bagdad -
eine sehr späte Erkenntnis, nach 33 Jahren. Auf das Stuttgarter
Gericht kommt viel Arbeit zu. Der Prozess soll ein Jahr dauern.
Es geht dabei um mehr als einen Kriminalfall. Die Geschichte der
RAF ist nicht zu Ende geschrieben, ihr Terror aus den 80er- und
90er-Jahren blieb weitgehend unaufgeklärt. Auch zum Buback-Mord
schweigen die Insider beharrlich. Verena Becker dürfte in dem
heute beginnenden Prozess ebenfalls die Auskunft verweigern. Eine
deutsche Omertà. Sie leistet Legendenbildungen und
Verschwörungstheorien Vorschub. Die Angehörigen der RAF-Opfer
fordern deshalb, alle Akten zum Thema RAF öffentlich zu machen;
oder auch den Tätern Straffreiheit zuzusichern, wenn sie sich
offenbaren.
Michael Buback sagte gestern der BaZ, er empfinde Erleichterung,
dass es nun endlich zu diesem Verfahren komme; er hege aber auch "die
Befürchtung, dass es ein langwieriger, belastender und Kräfte
zehrender Prozess wird".
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Zürichsee-Zeitung 30.9.10
Deutschland Prozess gegen Verena Becker
Suche nach Mördern von Siegfried Buback geht weiter
Die Ex-RAF-Terroristin Verena Becker steht wegen ihrer
möglichen Beteiligung am Siegfried-Buback-Mord vor 33 Jahren
erneut vor Gericht.
Helmut Uwer, Berlin
"Nein, ich weiss nicht, wie ich für Herrn Buback beten soll,
ich habe wirklich kein Gefühl für Schuld und Reue.
Natürlich würde ich es heute nicht wieder machen." Diese
handgeschriebene Notiz vom April 2008 gilt als einer der neuen Hinweise
auf eine mögliche Beteiligung Beckers an der Ermordung von
Generalbundesanwalt Siegfried Buback und seines Fahrers am 7. April
1977. Vor allem aber wurde dank neuer DNA-Methoden Speichel an einem
der Bekennerschreiben gefunden. Becker ist nicht wegen Mordes
angeklagt, sondern wegen Beteiligung an der Planung und der
Vorbereitung des Bekennerschreibens.
Viele Spekulationen
Einer, der sie für die Täterin hält, ist Michael
Buback, der Sohn des Ermordeten. Seit Jahren sucht er nach Hinweisen
auf den Täter. Die Tatsache, dass Becker für den
Verfassungsschutz gearbeitet hat und ihre Akten lange unter Verschluss
lagen, macht sie für ihn verdächtig. Auch gab es
Zeugenaussagen, die von einer zierlichen Person auf dem Sozius des
Motorrades sprachen, von dem die tödlichen Schüsse abgegeben
wurden. Andere wie der Ex-Terrorist Peter Jürgen Boock halten
Stefan Wisniewski für den Todesschützen. Diese Version
erhielt am Wochenende erneut Nahrung durch eine Meldung von
"Spiegel-TV", die aber dann nicht bestätigt wurde. Die ebenfalls
genannte Ex-Terroristin Silke Maier-Witt dementierte gegenüber der
"Welt", sich diesbezüglich geäussert zu haben. Darum
dürfte auch dieses Verfahren, das wie schon die anderen
RAF-Prozesse in Stuttgart-Stammheim stattfindet, keine Erkenntnisse
über die Täter erbringen.
Zu den Charakteristika der RAF-Prozesse gehört das Schweigen
der Angeklagten. Zwar haben sie in zahlreichen Bekennerschreiben ihre
Ablehnung des bestehenden Staates dokumentiert. Doch von individueller
Verantwortung wollte nie einer etwas wissen. Darum schweigen alle bis
heute - bis auf Boock, der allerdings nicht als sonderlich
verlässlich gilt.
1989 begnadigt
Becker war im Mai 1977 zusammen mit Günther Sonnenberg in
Singen am Bodensee verhaftet worden, nachdem sie zuvor zwei Polizisten
niedergeschossen hatten. In Sonnenbergs Rucksack befand sich das
Gewehr, mit dem Buback erschossen worden war. Becker wurde zu
lebenslanger Haft verurteilt, 1989 aber begnadigt. Sie lebt heute in
Berlin.
Die RAF (Rote-Armee-Fraktion) war 1970 unter anderem von Andreas
Baader, Ulrike Meinhof, Gudrun Ensslin und dem Rechtsanwalt Horst
Mahler gegründet worden. Auf das Konto der 1998 aufgelösten
Gruppe gehen 34 Morde.
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Süddeutsche Zeitung 30.9.10
Verena Becker, die RAF und der Buback-Mord
An diesem Donnerstag beginnt in Stuttgart-Stammheim der Prozess gegen
die ehemalige Terroristin Verena Becker. Die Anklage wirft ihr aufgrund
neuer Indizien vor, im April 1977 an der Ermordung von
Generalbundesanwalt Siegfried Buback beteiligt gewesen zu sein. Ein
Trauma der Bundesrepublik lebt wieder auf: der Terror der RAF, der 1977
in den Morden an Siegfried Buback und Hanns Martin Schleyer gipfelte
und den Rechtsstaat erschütterte. 33 Jahre später geht es
nicht nur um die Frage: Wer hat geschossen damals?
Krieg und Frieden
Die Zeit der Notwehr-Justiz gegen die RAF ist vorüber - die
Verhandlung gegen Becker gibt der Wahrheit eine Chance
Von Heribert Prantl; Hans Leyendecker
Im Dienstgebäude der Bundesanwalt-schaft zu Karlsruhe ist
seit kurzem ei-ne Ausstellung mit Justiz-Karikaturen zu sehen; sie
heißt "Sehe ich Recht?" Die Zeichnungen stammen von Philipp
Heinisch. Justizbehörden treten neuerdings ganz gern als
Aussteller auf, das gibt ihnen ein aufgeschlossenes Image.
Das Besondere an der Ausstellung ist ein merkwürdiges
Zusammentreffen. Der Karikaturist war einst Strafverteidiger in
RAF-Verfahren, unter anderem 1977 in Stuttgart-Stammheim, wo fast
gleichzeitig die Prozesse gegen Verena Becker und Günter
Sonnenberg stattfanden. Beide RAF-Mitglieder wurden zu lebenslanger
Haft verurteilt — wegen der Schüsse, die sie bei ihrer Festnahme
in Singen auf Polizisten abgefeuert hatten. Die Verteidigung von
Günter Sonnenberg damals war für Philipp Heinisch "die
härteste, mit der ich je zu tun hatte". Unter anderem deswegen
hängte er den Beruf des Strafverteidigers an den Nagel und wurde
juristischer Karikaturist.
Und just jetzt, während Heinischs Karikaturen über
Recht und Gerechtigkeit die Räume der Bundesanwaltschaft
schmücken, werden die Ereignisse von damals noch einmal
aufgerollt. Verena Becker steht aufgrund einer Anklage der
Bundesanwaitschaft abermals in Stammheim vor Gericht — nun wegen Mordes
an Generalbundesanwalt Siegfried Buback.
Ist das Recht, 33 Jahre später? Ist es Recht, weil es nie zu
spät ist für Aufklä-rung, für Strafe und Sühne
- und weil Mord nie verjährt? Ist die neue Anklage Recht, obwohl
Verena Becker schon 1977 als Mittäterin bei der Ermordung Bubacks
unter Verdacht stand? Damals verfolgte die Bundesanwaltschaft diese
Spuren und den Verdacht nicht weiter.
Warum nicht? Der Prozess gegen Verena Becker im Spätherbst
1977 stand im Schatten eines neuerlichen RAF-Verbrechens: der
Entführung und Ermordung des Arbeitgeber-Präsidenten Harms
Martin Schleyer. Dem damaligen Generalbundesanwalt Kurt Rebmann,
Bubacks Nachfolger, war an einer schnellen Verurteilung Beckers
gelegen, ganz gleich wegen welcher Tat. Ihm genügte daher das
"Lebenslänglich" wegen der Schüsse auf die Polizisten. Eine
Verhandlung wegen des Buback—Mordes hätte lange, zu lange
gedauert. Es war dies also eine prozessökonomische Entscheidung.
Schon 1977 hatte es Hinweise auf eine Beteiligung Beckers an der
Ermordung von Buback gegeben. Bei ihr wurde die Waffe sichergestellt,
mit der Buback erschossen worden war, ein Selbstladegewehr Heckler
& Koch, Kaliber 223; außerdem ein Schraubenzieher, der
womöglich aus dem Bordwerkzeug des Suzuki-Motorrads stammte, von
dem aus auf Buback geschossen worden war. Aber, wie gesagt: Die
Anklagebehörde versuchte damals nicht, auf diesen Spuren eine
Verurteilung aufzubauen. Sie stellte das Verfahren insoweit ein.
Generalbundesanwalt Buback war, zusammen mit den ihn begleitenden
Polizisten, am 7April 1977 in seinem Dienstwagen von der RAF erschossen
worden. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte im Juli 1980 den
RAF-Terroristen Knut Folkerts und im April 1985 die RAF-Terroristen
&igitte Mohnhaupt und Christiän Klar als Mittäter. Das
Gericht ließ offen, wer genau was getan hatte. Stattdessen
arbeiteten die Richter die "arbeitsteilige Kollektivität" der RAF
heraus, die alle Mitglieder zu Mittätern macht. Das war juristisch
vertretbar, tatsächlich aber unbefriedigend. Das Gericht brauchte
nicht zu klären, wer wie am Tatplan beteiligt war. Die
Mitwisserschaft aller RAF-Mitglieder reichte für ein
"lebenslänglich" aller irgendwie Beteiligten. Nach
Einschätzung von Kriminalisten waren an der Planung und
Durchführung des Mordes bis zu zwei Dutzend Personen beteiligt.
Aber nur drei sind deswegen verurteilt worden. Verena Becker wurde nach
zwölf Jahren Haft 1989 von Bundespräsident Richard von
Weizsä-cker begnadigt. Erst 2007, dreißig Jahre nach den
Mordtaten, wurde dann bekanrit, dass sie in den achtziger Jahren
ausgesagt hatte, Stefan Wisniewski sei Bubacks Todesschütze
gewesen. Auch Ex-Terrorist Peter-Jürgen Boock belastete
Wisniewski. Daraufhin begann die Bundesanwaltschaft, gegen ihn zu
ermitteln, Spurenanalysen erhärteten den Verdacht allerdings nicht.
In einem Gastbeitrag für die Süddeutsche Zeitung
äußerte dann Michael Buback, der Sohn des Ermordeten, am 1.
Mai 2007 die Vermutung, eine Frau sei an der Ausführung der Tat
beteiligt gewesen — die Vermutungen gingen stets in Richtung Verena
Becker. Die Bundesanwaltschaft begann imApril 2008, neu gegen sie zu
ermitteln. Sie fand DNS-Spuren Beckers an Bekennerschreiben zum Mord an
Buback, sie durchsuchte Beckers Wohnung und erwirkte sodann gegen sie
einen Haftbefehl wegen Mordes.
Der Bundesgerichtshof hob die Tjntersuchungshaft wieder auf, weil
er den Tatbeitrag, der Becker vorgeworfen wurde, nur als Beihilfe
wertete. Gleichwohl klagte die Bundesanwaltschaft Verena Becker im
April 2010 wegen Mittäterschaft an der Ermordung an. Sie sei zwar
an der Tatausführung nicht unmittelbar beteiligt gewesen, habe
aber die konkreten Tatplanungen bejaht. Darüber wird nun vor
Gericht verhandelt.
Philipp Heinisch, RAF-Verteidiger von 1977/78, hat sich die
Qualen von damals von der Seele gezeichnet — zum Beispiel in der
nebenstehenden Karikatur, die auch die furchtbare Atmosphäre im
Stammheimer Gericht zum Ausdruck bringen soll. Es gab unendliche,
scharfe und schärftste Auseinandersetzungen — zwischen
Verteidigern und Anklägern, zwischen Verteidigern und Gericht. Der
Staat und seine Organe fühlten sich im Ausnahmezustand; und so
wurden die Stammheimer Prozesse auch geführt: als Notwehraktionen
des Staats gegen die RAF, am Rande der Prozessordnung oder jenseits
davon. Heinisch konnte nicht verhindern, dass seinem Mandanten, der bei
der Verhaftung einen Kopfschuss erlitten hatte, volle
Verhandlungsfähigkeit attestiert wurde. Die Strafverteidiger
selbst galten ja den Anklägern als verdächtig, als
"RAF-Anwälte" eben — und so wurden sie auch behandelt. Am liebsten
hätte man sie verhaftet. Das Prozessklima war katastrophal. Es war
kein Klima der Aufklärung. Das ist heute anders.
Die große Konfrontation ist vorbei, die RAF ist Geschichte.
Uber die Taten von damals kann also anders verhandelt werden als
damals. Vielleicht ist das eine Chance des neuen Prozesses gegen Verena
Becker. Vielleicht kann er der Wahrheitsfindung dienen. So oder so: Der
Prozess wird Rechtsgeschichte schreiben.
--
Die DNS des Terrors
Mit moderner Technik versuchen Ermittler, die RAF-Morde
aufzuklären — der Fall Becker zeigt Möglichkeiten und Grenzen
der neuen Spurensuche
Von Hans Leyendecker
Im April 1998 verkündete die RAF auf acht Seiten ihre
Kapitulation, aber auch nach der Selbstauflösung der Mordbande war
das Fiasko der Fahnder un— übersehbar. Und daran hat sich bis
heute nichts geändert. Seit Mitte der achtziger Jahre wurde keiner
der fünf Anschläge mit insgesamt sechs Toten aufgeklärt.
Wer erschoss am 1. Februar Ernst Zimmermann, den Chef von MTU?
Wer steckt hinter dem Mord an Siemens-Manager Karl Heinz Beckurts und
dessen Fahrer Eckhard Groppler im Juli 1986? Wer erschoss drei Monate
später den Bonner Diplomaten Gerold von Braunmühl? Wer
bastelte die teuflische Bombe, die am 30. November 1989 Alfred
Herrhausen, den Vorstandssprecher der Deutschen Bank, tötete? Wer
gehörte zu dem Mordkommando, das am 1. April 1991 Treuhandchef
Detlev Karsten Rohwedder erschoss? Die Fahnder wissen es nicht. Auch
konnte bis heute nicht geklärt werden, welcher der Desperados 1977
den Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer erschossen hat —
und auch der Mordschütze im Fall Buback ist nicht bekannt.
Merkwürdigerweise können in diesen Fällen die
Ermittler etwas Hoffnung auf den Faktor Zeit setzen. Vielleicht haben
manche der Täter doch noch etwas zu sagen, bevor sie sterben.
Späte Reue hat es immer wieder gegeben und Erinnerung kann auch
für sehr robuste Täter eines Tages zur Bürde werden.
Mehr Hoffnung allerdings können die Ermittler auf Aufklärung
durch den technischen Fortschritt setzen. Neuartige DNS-Analysen
bringen manchmal zu Tage, was früher nicht festgestellt werden
konnte.
Der Fall der Verena Becker zum Beispiel steht für die
Möglichkeiten und die Grenzen dieser Entwicklung. Am 9. April 2008
leitete der Generalbundesanwalt das Ermittlungsverfahren gegen die
frühere RAF-Terroristin wegen des Anschlags auf Buback und dessen
Begleiter ein, nachdem durch neue Untersuchungen neue Spuren entdeckt
worden waren. Zu den vielen Asservaten im Fall Buback gehörten
auch die Umschläge der Briefe, mit denen die RAF sich am 13. April
1977 zu dem Anschlag bekannt hatte und die an .diverse Medien geschickt
worden waren.
Diesmal konnten an drei Briefumschlägen Speichelspuren von
Verena Becker festgestellt werden. Becker hatte demnach die in Duisburg
und Düsseldorf aufgegebenen Bekennerschreiben in der Hand gehabt,
die Laschen angeleckt und die Briefmarken auf die Kuverts geklebt.
In zwei weiteren Fällen konnte zumindest nicht ausgeschlossen
werden, dass sie auch diese Briefe in der Hand hatte.
Diese Entdeckung, die mit den alten Ermittlungsmethoden nicht
möglich gewesen war, ließ zwar keinesfalls den
Rückschluss zu, dass sie auch bei der Tat dabei war. Aber dieses
DNS-Gutachten mit den neu entdeckten molekulkargenetischen Spuren war
ein wichtiges Indiz für die These, dass sie damals in die
RAF-Maschinerie für den Anschlag eingebunden und zumindest nach
dem Attentat aktiv dabei war.
Noch einmal wurden dann auch DNA-Mischspuren untersucht, die
damals an einem Motorradhandschuh, einem Motorradhelm und einer
Motorradjacke gefunden worden waren. Das Tatfahrzeug war eine Suzuki
750 GS gewesen, die kurz nach dem Mordanschlag gefunden wurde. Diese
Mischspuren stammten definitiv nicht von Verena Becker. Zumindest eine
der Spuren war aber so gut wie verbraucht.
Durch die vielen Untersuchungen der vergangenen Jahre mit immer
neuen Methoden sind die verwendbaren Beweisstü-cke rar geworden.
Auch wenn heutzutage ein Tausendstel Millimeter zur Bestimmung eines
DNS-Profils reichen kann, so sind einige Beweismittel mittlerweile
schlicht verbraucht.
Ein paar Erfolge können die Ermittler dennoch verbuchen. So
wurde im Frühjahr 2001 durch eine neuartige Methode festgestellt,
dass der Terrorist Wolfgang Grams zehn Jahre zuvor beim Attentat auf
Detlev Karsten Rohwedder beteiligt war. Haare in einem am Tatort
zurückgelassenen Frottee-Handtuch stammten von Grams, der
allerdings nicht mehr vernommön werden konnte: Er war 1993 in Bad
Kleinen ums Leben gekommen. Und Münchner Forensiker versuchen
derzeit, ein Detail der Ermordung von Hanns Martin Schleyer
aufzuklären. Mit Hilfe des Sakkos von Schleyer versuchen sie
herauszufinden, wer im Oktober 1977 den gefesselten Chefmanager zu dem
Auto geführt hatte, in dem er dann erschossen wurde.
--
Schweigen bis ins Grab
Der RAF-Ehrenkodex gilt bis heute
Von Hans Leyendecker
Der Text erschien vor einigen Monaten in der Tageszeitung Junge Welt,
und nicht nur die Uberschrift wirkte verquast. Sie lautete: "Neue
Prozesse, Zeugenladungen und Bombendrohungen: Etwas zur aktuellen
Situation — von einigen, die zu unterschiedlichen Zeiten in der RAF
waren." Die unbekannten Verfasser erklärten, warum Kader der
Rote-Armee-Fraktion (RAF), die 1998 ihre Selbstauflösung
erklärte, bis ins Grab schweigen wollen. Obwohl das alte Emblem
der Terroristen mit den weißen Buchstaben RAF und der schwarzen
Heckler&Koch-Maschinenpistole vor einem roten fünfzackigen
Stern naturgemäß in der Erklärung fehlt, sind sich
Bundesanwälte sicher, dass der Text von alten RAF-Kadern — etwa
ein Dutzend bilden den harten Kern — stammt. Dieser Duktus klingt allzu
verträut.
"Seit nunmehr drei Jahren spekulieren Staatsschützer und
Medien darüber, wer im Einzelnen vor mehr als dreißig Jahren
die Schüsse auf Siegfried Buback und Hanns Martin Scffleyer
abgegeben hat", beginnt der Beitrag. Auch das Verfahren gegen Verena
Becker, von der sich die RAF 1983 nach sechsjähriger
Zugehö-rigkeit getrennt habe, sei nur ein Versuch, "individuelle
Schuldzuweisungen zu bekommen, also Beteiligte unter Druck zu setzen
und zum Reden darüber zu bringen, wer genau was gemacht hat".
Jahrzehntelang sei "allen ziemlich egal" gewesen, wer wofür
verurteilt wurde. "Hauptsache, sie verschwanden hinter Schloss und
Riegel."
Die anonym gebliebenen Autoren behaupten, es habe nie eine "besondere
Absprache in der RAF gegeben", über die Taten zu schweigen,
sondern Aussageverweigerung sei "für jeden Menschen mit
politischem Bewusstsein selbstverständlich". Also: "Eine Sache der
Würde, der Identität — der Seite, auf die wir uns gestellt
haben." Das Schweigen sei für Guerillagruppen, aber auch für
die frühere Studentenbewegung "eine breit begriffene
Notwendigkeit" gewesen.
Dieses Pamphlet lässt erahnen, dass auch der Prozess gegen
Becker nicht zur Klärung der Frage führen wird, wer am 7.
April 1977 in Karlsruhe drei Menschen ermordet hat. Zwar haben
frühere RAF-Leute wie beispielsweise die heutige Psychologin Silke
Maier-Witt ihre "Scham" bekannt, Mitglied der Bande gewesen zu sein.
Maier-Witt hat vor drei Jahren in einem Interview ihre einstigen
Mitkämpfer ermuntert, das Schweigen zu brechen, aber auch betont,
dass sie wenig Hoffnung habe. Manche der Ehemaligen hielten die Sache
"immer noch hoch". Andere kokettierten mit ihrer Vergangenheit. "Bei
anderen ist es wohl eher das Gefühl: Das macht man nicht." Man
redet nicht mit Vertretern der Staatsmacht, die aus Sicht der RAF-Leute
ohnehin nie durchgeblickt haben.
Aber warum redet Verena Becker, bislang jedenfalls, nicht? Die
Ex-Terroristin hat Anfang der achtziger Jahre im Gefängnis dem
Bundesamt für Verf assungsschutz wichtige Hinweise auf
Arbeitsweise und Hierarchie der Bande gegeben und in einer von
Strafverfolgern sichergestellten Notiz vom 7. April 2008, dem 31.
Jahrestag des Anschlags, stehen der Name Buback und der Satz:
"natürlich würde ich es heute nicht mehr machen": Aber vor
dem Ermittlungsrichter hat Becker nur erklärt, diese Passage
beziehe sich nur auf ihren "früheren Weg mit dem bewaffneten
Kampf". Aus Unterlagen der Ermittler geht hervor, dass sich Verena
Becker im April 2007 mit zwei einstigen RAF-Kämpfern getroffen hat.
Die drei sollen damals verabredet haben, keine Aussagen zu
machen. "Wir machen keine Aussagen, weil wir keine Staatszeugen sind,
damals nicht, heute nicht", so heißt es in der Jungen Welt.
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ANTI-ATOM
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20 Minuten 30.9.10
Gegner empört über Pro-Endlager-Studie
SOLOTHURN. Ein Endlager für radioaktive Abfälle
wäre für das solothurnische Niederamt ein finanzieller
Gewinn. Zu diesem Schluss kommt eine Studie der Fachhochschule
Nordwestschweiz, die der Solothurner SVP-Kantonalpräsident Heinz
Müller in Auftrag gegeben hat. "Schon während des Baus
flössen bis zu 600 Millionen Franken ins Niederamt", so
Müller. Trotz des Lagers würden die Immobilienpreise steigen
und Investitionen und Abgeltungen die Kassen der Standortgemeinden
füllen. "Eine Frechheit", findet Urs Huber, SP-Kantonsrat und
Präsident des Vereins "Niederamt ohne Endlager", die Studie.
Müller, der 50 km entfernt wohne, dürfe sich nicht anmassen,
den Leuten im Niederamt zu sagen, was gut für sie sei. Huber
fordert nun die sofortige Veröffentlichung einer Umfrage,
gemäss der das Lager bei der Bevölkerung weithin auf strikte
Ablehnung stosse. NJ
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Oltner Tagblatt 30.9.10
Stabile Immo-Preise und tiefere Steuern
Olten Studie der FHNW zu finanziellen Auswirkungen eines
Endlagers für radioaktive Abfälle im Niederamt
von Urs Amacher
Heinz Müller, Unternehmer und SVP-Kantonsrat aus Grenchen,
stellte ges-tern im Bahnhofbuffet Olten eine neue Studie vor. Sie
untersucht die finanziellen Auswirkungen, falls ein Endlager von
radioaktiven Abfällen in der Region Niederamt verwirklicht
würde. Verfasst wurde die Studie an der Fachhochschule
Nordwestschweiz (FHNW) in Olten.
Müller unterstrich an der Medienkonferenz, dass er den
Verfassern der Studie keine Vorgaben gemacht habe. Er habe das Thema
bei der Fachhochschule eingereicht, worauf es von vier
Wirtschaftsstudenten der FHNW gegen geringe Entschädigung zur
Bearbeitung als Semesterarbeit übernommen wurde. Geleitet wurde
das Forschungsprojekt von Professor Mathias Binswanger. Er wirkt als
Professor für Volkswirtschaft an der FHNW und Privatdozent an der
Universität Sankt Gallen. Binswanger ist auch Publizist, der sich
pointiert zu gesellschaftlichen und wirtschaftspolitischen Fragen
äussert, zuletzt mit dem 2010 erschienenen Buch: "Sinnloser
Wettbewerb - Warum wir immer mehr Unsinn produzieren". Ausgearbeitet
wurde die Niederamt-Studie von Michael von Arx, Chung-Enh Taing,
Claudio Bernasconi und Sven Boillat.
Möglicher Standort
Das Niederamt wird bekanntlich als möglicher Standort
für ein Endlager von radioaktiven Abfällen gehandelt. "An
Podiumsdiskussionen werde ich oft mit der Aussage konfrontiert, das
Gebiet werde dann von der Wohnbevölkerung gemieden", erklärte
Müller auf Nachfrage nach dem Ziel der nun vorgelegten Studie.
Deshalb wollte er sich Zahlen erarbeiten lassen, um Bescheid über
die Auswirkungen eines "Atommülllagers" zu wissen.
Eingegrenzt wurden die Forschungsarbeiten auf die
geldmässigen Aspekte: Ziel der Studie war, die finanziellen
Auswirkungen eines Tiefenlagers für schwach- und mittelradioaktive
Abfälle, bei denen die Zerfallszeit mehrere hundert Jahre
beträgt, auf die Region Niederamt zu analysieren. Andere Folgen,
wie psychologische und emotionelle Belastungen, sozioökonomische
Effekte oder Änderungen in der Lebensqualität wurden bewusst
ausgeklammert. Die Studie wurde auf drei Teilbereiche fokussiert:
Nämlich auf die Auswirkung der Atomanlage auf die Immobilien- und
Baulandpreise, auf die Steuerfüsse sowie die
Investitionstätigkeit in der Region. Die vier Verfasser des
Berichts haben dabei auf Studien zurückgegriffen, die an
vergleichbaren Orten wie am Nidwaldner Wellenberg, im Zürcher
Weinland oder beim Zwischenlager in Würenlingen vorgenommen wurden.
Öffentliche Finanzen: verbessert
Während des Bewilligungsverfahrens, dem Bau und dem 15 Jahre
dauernden Betrieb, bei dem das Endlager gefüllt wird, tätigt
der Lagerbetreiber Nagra Investitionen. Vor allem die Kerngemeinden
Däniken, Gretzenbach, Niedergösgen und Schönenwerd
dürften zudem mit Abgeltungen rechnen, welche die Nagra für
Unannehmlichkeiten, welche die Gemeindebevölkerung auf sich nimmt,
entrichtet. Die Verteilung der Abgeltung ist dabei transparent zu
gestalten und muss vor dem Standortentscheid ausgearbeitet werden. Die
Studie kommt zum Schluss, dass sich die öffentlichen Finanzen der
Standortgemeinden verbessern dürften. Die Verfasser der Studie
können hingegen einen Zusammenhang zwischen dem Bau eines
Tiefenlagers und den Preisen für Bauland und Wohneigentum nicht
nachweisen. Allerdings werden Häuser mit direkter Sicht auf die
Anlage als unattraktiv empfunden; deshalb ist hier mit einer
Abwanderung der oberen Mittelschicht zu rechnen. Andere werden von den
günstigeren Lagen profitieren, wodurch sie die Einwohnerzahlen
wieder ausgleichen dürften. Die Studie deckt nur einen Teilbereich
ab. Sie bildet einen Mosaikstein, der - so Müllers Anliegen - in
die Diskussion einfliessen möge.
Die Studie kann heruntergeladen werden von der Website
http://www.heinz.mueller.ch
--
"Keine Ratschläge aus Grenchen"
Olten Zum obigen Artikel nimmt Urs Huber, Kantonsrat und
Präsident "Niederamt ohne Endlager" (NoE), in einer
Medienmitteilung Stellung.
"Ein SVP-Kantonsrat aus Grenchen bestellt uns eine Studie und
gibt der Niederämter Bevölkerung Ratschläge, warum sie
doch ein atomares Endlager begrüssen sollte. Solche
Ratschläge aus 50 km Entfernung sind eine Zumutung für das
Niederamt, insbesondere wenn man sich die sogenannten
<Neuigkeiten> des Herrn Müller mal anschaut." So beginnt
Hubers Medienmitteilung zur gestern publizierten Studie, welche im
Auftrag von Heinz Müller, SVP-Kantonsrat und Unternehmer, in
Zusammenarbeit mit Studenten der FHNW entstand und ebenfalls gestern
publiziert wurde. Das der Bau eines Endlagers wohl Bauaufträge
bringen würde, sei wohl klar, schreibt Huber.
Erfahrungsgemäss würden die aber an auswärtige,
internationale Firmen vergeben. Und dass auch versucht werde, Gemeinden
mit Steuergeschenken zu kaufen, sei ebenfalls bekannt. "Hat aber schon
am Wellenberg nicht funktioniert", wie der NoE-Präsident weiter
schreibt. Im Übrigen seien solche Studien schon lange im Gange
oder abgeschlossen, u. a. im Auftrag der Niederämter Gemeinden.
"Diese Studie bringt also keine neuen Erkenntnisse und beweist wie
immer alles und auch das Gegenteil."
Geld sparen
Huber hält in diesem Zusammenhang auch Ratschläge
für Müller bereit: "Herr Müller hätte sich das Geld
sparen können. Das Niederamt will kein Endlager, um keinen Preis."
So oder so seien weitere atomare Belastungen, Sicherheitsaspekte und
der Imageschaden niemals auszugleichen. Hier irre die Studie gewaltig,
ein bestehendes AKW mit einem drohenden Endlager vergleichen zu wollen.
Huber: "Seit längerem gilt der Standort Niederamt/Jurasüdfuss
nicht als optimaler Standort, dies können auch Geldzuschüsse
nicht ändern. Oder gilt neu: Kein guter Standort, aber mit genug
Geld ist es dann ok? So viel zum Primat der Sicherheit."
Was steckt dahinter?
Eine Frage - so Huber - müsste noch beantwortet werden:
Warum Herr Müller aus Grenchen eine Studie in Auftrag gebe? "Will
er sich für einen Verwaltungsratssitz empfehlen?", mutmasst Huber
und meint: "Es käme auch keinem Niederämter in den Sinn, mit
einer privaten Studie beweisen zu wollen, dass man den Flugplatz
Grenchen schliessen soll."
Die Region Niederamt sei mit verschiedenen Werken bereits massiv
überbelastet. der Standort am Jurasüdfuss mit Abstand am
Stärksten bevölkert. "Als Standort eines Endlagers für
radioaktive Abfälle würde für die Region zusätzlich
ein massives Imageproblem entstehen. Für eine Region, die sich
unter dem Label <Aareland> gerade als Wohn- und Erholungsgebiet
vermarkten will, eine unmögliche Situation", meint Huber.
Der Verein Niederamt ohne Endlager verspricht weiterhin
dafür zu kämpfen, dass aus der Region
Niederamt/Jurasüdfuss immer klare Signale kommen: "Kein Endlager
im Niederamt, jetzt längt's!"
Umfrage-Ergebnisse an Öffentlichkeit
Im Rahmen der erwähnten Sozio-ökonomischen Studie im
Auftrag der Niederämter Gemeindepräsidien wurde auch eine
breite Umfrage unter Bevölkerung, Firmen usw. zu Endlager und
Gösgen 2 durchgeführt. Diese Umfrage ist seit Monaten
gemacht, die Resultate liegen den Gemeindepräsidien vor. "Wir
fordern eine sofortige Veröffentlichung dieser Ergebnisse. Es kann
nicht mehr angehen, dass von Interessenvertretern irrelevante Studien
der Öffentlichkeit präsentiert werden, aber die Stimmung der
Bevölkerung als geheime Kommandosache behandelt wird", so Huber.
NoE sei überzeugt, dass ein riesengrosser Teil der
Niederämter Bevölkerung kein atomares Endlager wolle. Dieses
Ziel hätten auch die Gemeindepräsidien der Region von Beginn
weg verkündet. Auch der Regierungsrat müsse diese Haltung
vertreten, sei doch ein solcher Auftrag in Solothurn überwiesen
worden. Deshalb könne es nur eine Haltung geben: "Die Umfrage muss
veröffentlicht werden, bevor noch mehr selbst ernannte Retter des
Niederamts aus der Ferne auftauchen."
Der Verein Niederamt ohne Endlager wird weiter energisch
Widerstand gegen die Endlager-Pläne leisten", verspricht Huber.
Und er erklärt:" Wir fordern Gemeinden, Private und Organisationen
dazu auf, die bis Ende November 2010 laufende <Anhörung> zu
benützen, um klaren Widerstand zu signalisieren. (mgt/otr)
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WoZ 30.9.10
Kommentar
Atomarer Abstimmungsegoismus
Von Susan Boos
Es ist ein Lehrstück schweizerischer
Betroffenheitsdemokratie: 64 Prozent der Nidwaldner Innen, die sich am
vergangenen Wochenende an die Urne bemühten (Stimmbeteiligung:
39,4 Prozent), sagten Nein zur Energieinitiative der SP. Es war eine
besonnene Initiative: Sie verlangte, dass der Kanton nach einer
Übergangsfrist von dreissig Jahren keinen Atomstrom mehr bezieht.
Heute versorgt sich Nidwalden zu 55 Prozent mit Atomstrom, zudem
gedenkt das Elektrizitätswerk Nidwalden, sich an geplanten neuen
Atomkraftwerken zu beteiligen.
Dabei weiss die Nidwaldner Bevölkerung genau, was Atomstrom
alles mit sich bringt: Vor über zwanzig Jahren lud ihre Regierung
die Nationale Genossenschaft für die Lagerung radioaktiver
Abfälle (Nagra) ein, auf Nidwaldner Gebiet nach einem Endlager zu
suchen. Die Nagra stieg gerne darauf ein, wurde sie doch andernorts mit
Mistgabeln empfangen.
Aber auch in Nidwalden formierte sich Widerstand. Die Opposition
hatte zwar am Anfang lausige Karten, weil sie rechtlich gesehen keine
Interventionsmöglichkeit hatte. Doch sie kämpfte beherzt,
machte den Wellenberg berühmt und schaffte es am Ende, dass die
Bevölkerung dreimal über das geplante Endlager abstimmen
konnte. Dreimal sagte sie Nein, das letzte Mal 2002, worauf die Nagra
das Projekt ruhen liess.
Inzwischen ist die Suche nach einem Endlager weitergegangen. Der
Wellenberg taucht erneut als möglicher Standort auf. Die
Nidwaldner Regierung hat bereits kundgetan, dass sie dagegen ist. Am
13. Februar werden die Nidwaldner Innen an der Urne Stellung nehmen
können. Doch diesmal wird es ihnen nichts bringen: Das Atomgesetz
wurde geändert und sieht nicht mehr vor, dass eine betroffene
Region sich über ein Endlager äussert. Die gesamte Schweiz
wird darüber abstimmen, ob der Atommüll im Wellenberg oder
doch im Zürcher Weinland vergraben wird. Spätestens dann
werden die Nidwaldner Innen mit all den anderen Abstimmungsegoist Innen
konfrontiert sein, die zwar Atomstrom, aber keinen Atommüll in
ihrer Nähe haben wollen. Und die anderen werden mehr sein.
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Le Temps 30.9.10
Des constituants libéraux veulent convertir Genève au
nucléaire
Cynthia Gani
Les élus qui réécrivent la charte
fondamentale décideront ce jeudi s'ils suppriment la clause qui
bannit l'atome du canton. La gauche dénonce la proposition et
appelle à manifester. Alors que le débat est vif au plan
national, le signal donné au bout du Léman sera
attentivement observé
Genève l'antinucléaire est mis à rude
épreuve. Des constituants libéraux proposeront ce jeudi
lors d'un débat en plénière de supprimer l'article
qui bannit l'énergie nucléaire du canton depuis 1986. La
fronde est menée par le banquier Bénédict Hentsch,
qui veut mettre un terme à "l'hypocrisie magistrale actuelle":
le libéral estime qu'il faut offrir un cadre plus flexible aux
autorités et leur permettre de soumettre au peuple
d'éventuels projets relatifs au nucléaire. Selon lui, la
droite élargie pourrait suivre lors du vote, qui se
déroulera dans un contexte tendu: ulcérée, la
gauche a déjà organisé, via Facebook, un
rassemblement antinucléaire, qui se tiendra au moment du
débat rue de l'Hôtel-de-Ville. Pionnier dans le domaine,
Genève sera observé par tout le pays. Surtout au moment
où l'atome suscite de vives discussions au niveau national.
L'article remis en cause prévoit que "les autorités
cantonales s'opposent par tous les moyens juridiques et politiques
à leur disposition à l'installation de centrales
nucléaires, de dépôts de déchets radioactifs
et d'usines de retraitement sur le territoire et au voisinage du
canton." En commission, trois libéraux ont proposé de le
remplacer par cette disposition: "L'Etat collabore aux efforts tendant
à se passer de l'énergie nucléaire." Un net
assouplissement. Assorti d'une possibilité d'organiser des
scrutins sur le sujet.
Pour Bénédict Hentsch, la situation actuelle est
paradoxale: "On donne aux autorités la mission de garantir
l'approvisionnement du canton, mais on ne leur fait pas confiance sur
la manière d'y parvenir." Le libéral affirme que le
développement des énergies renouvelables ne suffit pas
à assurer l'avenir du canton: "Nous ne sommes pas encore en
mesure de compenser l'énergie nucléaire." En attendant
que la situation évolue, dit-il, il ne faut pas fermer la porte
à l'atome. Sous peine de "passer à la bougie."
L'élu ajoute que personne ne peut savoir d'où vient
l'énergie consommée: "On achète beaucoup en
France, pays qui compte 56 centrales nucléaires…"
Bénédict Hentsch estime qu'il faut en finir avec les
souvenirs de Creys-Malville: "Genève a cru bien faire en
édictant cet article. Comme souvent, on a voulu régir le
monde, mais au moment où l'on réécrit notre texte
fondamental, il est temps de le supprimer."
A gauche, on dénonce "la manœuvre". Pour le Vert
Jérôme Savary, les pincettes prises sur la forme par les
libéraux ne font qu'amener de la confusion au débat: "Il
n'y a pas de solution intermédiaire: soit on est favorable au
nucléaire, soit on le combat." Le Vert Andreas Saurer estime
"inadmissible d'affaiblir la position de Genève en
matière de nucléaire". Il assure que le problème
de la pénurie ne se posera pas, mais que celui des
déchets nucléaires s'accentuera.
Sur Facebook, les organisateurs de la manifestation regrettent
que l'on tente de supprimer "l'action impérative des
autorités contre le nucléaire" et fustigent l'ajout du
"fardeau du référendum, puisque ce serait aux
antinucléaires de se mobiliser pour récolter les
signatures contre un projet nucléaire."
Aux Services industriels de Genève (SIG), on suivra le
débat avec intérêt. Aujourd'hui, le canton est
fortement dépendant des marchés extérieurs pour se
fournir en électricité: seuls 25% des besoins sont
couverts par les SIG. Directeur du pôle clients, Philippe
Verburgh fait le point sur la relation de Genève à
l'atome: "SIG n'achète plus de nucléaire depuis 2002.
Nous demandons à nos fournisseurs de nous certifier qu'ils
vendent de l'énergie non nucléaire." Mais malgré
ces précautions, il est impossible de retracer la provenance de
chaque électron.
Pour Philippe Verburgh, ce n'est pas une raison pour disqualifier
la disposition constitutionnelle. "A titre personnel, j'estime que sans
pression du marché et du pouvoir législatif, on aura
tendance à choisir la facilité et à cesser de
produire du renouvelable. Si on veut véritablement sortir du
nucléaire et éviter la construction d'une, voire deux
centrales, il faut mettre le paquet sur les économies
d'énergie et le renouvelable."
Au bout du Léman, l'interdiction du nucléaire date
de 1986. Il est le fruit d'une longue lutte: dans les années
1970-80, le surgénérateur français de
Creys-Malville et le projet avorté de centrale nucléaire
à Verbois avaient déjà mobilisé les
Genevois. Depuis la fin des années 1970, Genève a
toujours voté contre le nucléaire lors des scrutins
fédéraux. Quelques mois après l'accident de
Tchernobyl, les Genevois ont approuvé à 60% l'adoption de
l'article aujourd'hui remis en question.
Si une majorité de constituants accepte la proposition
libérale, Genève donnera un signal au reste de la Suisse,
où trois projets de centrales sont à l'étude:
à Gösgen, Mühleberg et Beznau. Le peuple devrait
être consulté au niveau national en 2013. D'autres villes
et cantons ont adopté une posture antinucléaire: les deux
Bâle l'ont inscrite dans leur Constitution respective; les villes
de Zurich, Saint-Gall et Berne veulent sortir du nucléaire
à l'horizon 2040-50. Les gouvernements fribourgeois et
neuchâtelois, les Vaudois ainsi que la ville de Berne se sont
opposés à la demande de levée de la limitation
d'exploitation de Mühleberg, en vain.
La Constituante a déjà surpris par quelques
décisions, comme celle de retirer l'égalité
hommes-femmes et le droit au logement de la charte fondamentale du
canton. Avec la proposition libérale, un nouveau feu risque
d'être allumé.
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Oltner Tagblatt 30.9.10
Die Finnen setzen auf Kernenergie Olkiluoto Erster Reaktor der neusten
Generation vor der Vollendung
von Beat Nützi, Helsinki
In Finnland ist in der Umsetzung, was in der Schweiz noch kommen
soll: In Olkiluoto steht ein Kernkraftwerk neuster Generation im Bau
und für die Realisierung eines Tiefenlagers sind alle Weichen
gestellt.
Hoher Energieverbrauch
Finnland ist geprägt durch sein relativ kühles Klima,
die geringe Bevölkerungsdichte (rund 5 Mio. Einwohner auf 338 000
Quadratkilometern) und die grossen Transportdistanzen, die es im Land
zu überbrücken gilt. Der hohe Lebensstandard der
Bevölkerung und die energieintensive Industriestruktur (z. B.
Papier, Metall, Chemie) haben dazu geführt, dass Finnland im
europäischen Vergleich beim Pro-Kopf-Energieverbrauch, der fast
doppelt so hoch ist wie in der Schweiz, in der Spitzengruppe liegt. Das
Land hat keine Reserven an fossilen Energieträgern, ist zudem
relativ flach, sodass trotz der vorhandenen 40 000 Seen das
Wasserkraft-Potenzial beschränkt und bereits weitgehendst
erschlossen ist.
Hohe Importabhängigkeit
Die daraus resultierende Importabhängigkeit im
Energiebereich - 2008 importierte das Land 55 Prozent der insgesamt
konsumierten Energie aus dem Ausland (Schweiz: fast 70 Prozent) - hat
frühzeitig das Interesse an der Kernenergie geweckt. So stammen
heute rund 28 Prozent des Stroms aus Kernkraftwerken (Schweiz: 40
Prozent). Die finnische Kernenergiewirtschaft ist im internationalen
Vergleich relativ klein, denn sie umfasst nur zwei Anlagen mit je zwei
Reaktorblöcken in Olkiluoto (am Bottnischen Meerbusen etwa 50
Kilometer nördlich von Rauma gelegen) und Loviisa (etwa 200
Kilometer östlich von Helsinki gelegen) mit einer installierten
Leistung von insgesamt rund 2700 Megawatt (MW).
Beide Kraftwerkstandorte verfügen bereits über Lager
für den schwach- und mittelaktiven radioaktiven Abfall, die ohne
öffentliche Akzeptanzprobleme eingerichtet wurden. Die schwach-
und mittelaktiven Abfälle werden jeweils in 70 bis 110 Metern
Tiefe in gewachsenem Felsgestein eingelagert. Am Standort Olkiluoto, an
dem die beiden schwedischen Siedewasserreaktoren betrieben werden,
begann man 1988 mit der Ausschachtung und 1992 mit der Einlagerung. In
Loviisa, wo die beiden Reaktoren sowjetischer Bauart betrieben werden,
nahm man 1993 die Ausschachtung in Angriff und begann 1998 mit der
Einlagerung. Beide Lager sind so dimensioniert, dass sie sowohl die
schwach- und mittelaktiven Abfälle, als auch die bei einem
Rückbau der beiden Kernkraftwerkblöcke anfallenden
Entsorgungsvolumina aufnehmen können.
Endlager bis 2020
Aufgrund des Ausfuhrstopps für radioaktive Abfälle
gründeten die beiden finnischen Betreiberunternehmen Fortum Oy
(Standort Loviisa) und TVO-Teollisuuden Voima Oyjfür (Standort
Olkiluoto) für das Entsorgungsmanagement 1996 gemeinsam das
Unternehmen Posiva (entspricht der schweizerischen Nagra), das
Umweltverträglichkeitsprüfungen für verschiedene
Standorte vorlegte. Das finnische Parlament hat im Mai 2001 einen
Grundsatzentscheid der Regierung aus dem Vorjahr für den Bau eines
Endlagers für abgebrannte Brennelemente an der Westküste in
Olkiluoto (Gemeinde Eurajoki) ratifiziert. Bei 159 Ja und 3 Nein
stimmten weniger als eine Handvoll der insgesamt 200 Mitglieder des
nationalen Parlaments dagegen. Mit Untersuchungen in einem 420 Meter
tiefen Sondierstollen (künftiges Lagerniveau) werden die
Eigenschaften des zwei Milliarden Jahre alten Grundgesteins
verifiziert, bevor der Bau des Endlagers 2012 begonnen werden soll. Die
Betriebsaufnahme ist für 2020 geplant.
Olkiluoto-3 vor der Vollendung
Zurzeit laufen in Olkiluoto die Bauarbeiten am Reaktorblock 3 auf
Hochtouren. Verantwortlich für den Bau sind die französische
Areva (Nuklearteil) und der deutsche Siemens-Konzern (Maschinenhaus).
Eigentlich hätte der erste europäische Druckwasserreaktor als
Prestigeobjekt bereits Ende April 2009 fertiggestellt sein sollen. Doch
Olkiluoto als Vorzeigeobjekt der Atomindustrie ist für Areva und
Siemens wegen massiven Bauverzögerungen längst zum
Problemfall geworden. Wegen der Verzögerungen streiten sich die
beiden Firmen seit zwei Jahren mit der Bauherrin TVO vor Gericht. Es
geht um viel Geld, weil mit Mehrkosten in Milliardenhöhe für
die mit drei Milliarden Euro veranschlagte Anlage zu rechnen ist.
Gegenüber Schweizer Journalisten, die sich auf Einladung des
Nuklearforums Schweiz in Olkiluoto aufhielt, wollten die
Verantwortlichen vor Ort keine konkreten Angaben zu den Mehrkosten
machen. Hinter vorgehaltener Hand spricht man allerdings sogar von
einer Verdoppelung des veranschlagten Preises. Nach heutigem
Planungsstand soll das neue Kernkraftwerk im Jahr 2012 erstmals Strom
ans Netz abgeben - also etwa mit drei Jahren Verzögerung.
Die Dimensionen des 1,6-Megawatt-Werks sind gewaltig: Insgesamt
wurden rund 300 000 Kubikmeter Beton verbaut und der Generator wiegt
alleine 4300 Tonnen.
Ausbau der Kernenergie geht weiter
Der Ausbau der Kernenergie-Nutzung in Finnland ist mit dem
Reaktorblock 3 in Olkiluoto nicht abgeschlossen. Das finnische
Parlament hat sich nämlich im vergangenen Juli für den Bau
von zwei weiteren Kernkraftwerken ausgesprochen. So soll in Olkiluoto
eine vierte Anlage entstehen und eine weitere in Simo oder
Pyhäjoki. Ein drittes Gesuch für einen dritten Block in
Loviisa wurde hingegen abgelehnt. Für die bewilligten Projekte
müssen nun innerhalb von fünf Jahren die Gesuche für
eine Baubewilligung eingereicht werden, sonst verfallen die
Grundsatzentscheide. Mit dem weiteren Ausbau der Kernenergie und der
erneuerbaren Energien wollen die Finnen "erhebliche
Emissionsreduktionen in der Stromerzeugung" erreichen und "den Weg zur
EU-Vision einer Kohlenstoff-neutralen Enegieerzeugung" weiter
verfolgen, wie Jorma Aurela vom Ministerium für Arbeit und
Wirtschaft vor den Schweizer Journalisten in Helsinki betonte.
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pressetext.ch 30.9.10
Rosatom: Russland brennt aufs große Atomgeschäft
Staatlicher Reaktor-Anbieter will bis 2030 über 50 Mrd.
Dollar umsetzen
Moskau/New York (pte/30.09.2010/11:45) - Russland will in den
kommenden Jahren zum weltweit führenden Anbieter von Atomanlagen
aufsteigen. Zu diesem Zweck soll der staatseigene Nukleargigant Rosatom
http://rosatom.ru auch künftig global Geschäfte anbahnen. Der
Anfang der Offensive ist gemacht. Weltweit bestreitet der Konzern
derzeit 15 Atom-Projekte. Das ist mehr als jeder andere internationale
Rivale gegenwärtig aufweisen kann. Fünf der Anlagen werden
außerhalb Europas errichtet.
China und Indien im Visier
"Länder, die Russland mit dem Bau von Meilern beauftragen,
sollten sich darüber im Klaren sein, dass die Bauzeiten sehr lang
sind und dahinter ein schwerfälliger Apparat steht", so der
Atomexperte Stefan Füglister von der Kampagnenforum GmbH
http://kampagnenforum.ch gegenüber pressetext. "Die Russen
importieren neben den Anlagen dann oft auch eine sehr laxe Gesetzgebung
in Bezug auf die Sicherheitsanforderungen der Anlagen", kritisiert
Füglister.
Die Chancen im Atom-Business stehen gut. Anfang der Woche gab
Rosatom bekannt, zwei Atomreaktoren als Folgeaufträge nach China
zu liefern. Die boomende Volksrepublik hatte bereits in der
Vergangenheit zwei Nuklearanlagen von den Russen aufbauen lassen.
"China hat gegenwärtig keine Priorität Nummer eins. Wir haben
größere Partnerschaften in Indien, der Türkei und bald
auch in Vietnam", zitiert Bloomberg Rosatom-CEO Sergei Kiriyenko.
Die Nachfrage nach Energie ist vor allem in den aufstrebenden
Schwellenländern sehr groß. Ein weiterer Vorteil
gegenüber der internationalen Konkurrenz: Rosatom kann vor allem
bei der günstigen Preisgestaltung punkten. Der OECD nach kostet
der Bau einer 1.000 Megawatt leistenden Anlage bei den Russen im
Schnitt rund 2,9 Mrd. Dollar. Im Vergleich zu globalen Rivalen fallen
die Preise für die Anlagen damit zwischen 20 und 50 Prozent
niedriger aus.
Staat zieht weltweit Aufträge an Land
Die Technologien Rosatoms stehen denen westlicher Anbieter in
nichts mehr nach. Denn seit dem Super-Gau in Tschernobyl im April 1986
wurde das Entwicklungsdesign internationalen Sicherheitsstandards
angepasst. Kiriyenko, der ehemaliger Chef des russischen
Atomenergie-Ministeriums war, treibt den Expansionskurs von Rosatom
bereits seit 2005 aggressiv voran. Seine Vision: Den Jahresumsatz von
derzeit 17 Mrd. bis 2030 auf 50 Mrd. Dollar zu erhöhen.
Rosatom profitiert stark von der politischen Schützenhilfe
aus dem Kreml. Premier Vladimir Putin vermittelte dem Konzern in Indien
2009 zwei Aufträge für Atomreaktoren. Die Inder beauftragten
die russische Rüstungsindustrie zudem mit dem Bau von 29
MiG-Kampfjets und anderer Waffen. Um die Nachfrage nach Atomanlagen zu
stärken, hat sich Kiriyenko mit Rosatom im Juni 2010 für rund
610 Mio. Dollar bei einer kanadischen Uran-Mine eingekauft.