Eine kleine Nach-Musik

Stellungsnahme der Anti-WTO-Koordination Bern zum WEF 04

Folgender Text umfasst erste Gedanken zur Kampagne gegen das WEF 04. Wir finden es wichtig, dass wir und alle an den Protesten beteiligten Leute und Gruppen die Protestaktionen gegen das WEF 04 gründlich analysieren. Dieses Papier soll also kein abschliessender Text sein, sondern ein Beitrag zu einer Diskussion. Um unsere Überlegungen, unser Handeln und unsere Kritik besser nachvollziehbar zu machen, wollen wir zuerst ein paar Jahre zurückblicken auf unsere Erfahrungen in den Protesten gegen das WEF.

Seit im Herbst 1997 die Anti-WTO-Koordination entstand, gingen wir jeweils im Januar nach Davos, um gegen das WEF-Jahrestreffen zu demonstrieren. Wir versuchten, so laut wie möglich und auf verschiedenen Ebenen unseren Widerstand kund zu tun und forderten die Abschaffung des WEF. Unsere Strategie war, das WEF zu demaskieren und sein öffentliches Image zu beschmutzen. Wir entschieden uns für einen anderen, offensiveren Umgang mit den bürgerlichen Medien, als es in der linksradikalen Szene üblich war (und ist). Wir machten uns ansprechbar, zeigten unsere Gesichter und versuchten, uns das Interesse der Medien über das neue Phänomen «Antiglobalisierungsbewegung» zu Nutze zu machen. Weiter thematisierten wir - neben der Auseinandersetzung mit der kapitalistischen Wirtschafts(un)ordnung und den darin enthaltenen Unterdrückungsmechanismen - die bürgerlichen Grundrechte wie Meinungsäusserungsfreiheit und Bewegungsfreiheit, die von den Bündner Behörden verwehrt wurden. Indem wir Demonstrationsbewilligungsgesuche einreichten, die Demoverbote juristisch bekämpften und diese Auseinandersetzung auch öffentlich machten, konnten wir aufzeigen, dass Grundrechte nicht mehr gelten, wenn sich die selbst ernannten Global Leaders in Davos treffen.

In der Folge wurden die Demos gegen das WEF jedes Jahr grösser, und es beteiligten sich immer mehr Gruppen, auch aus dem benachbarten Ausland. Das WEF wurde zu einem öffentlichen Thema, das polarisierte.

Krise und Kosmetik beim WEF

Die Jahrestagung 2001 wurde für das WEF zum Desaster. Die Polizei hinderte in Landquart Tausende von DemonstrantInnen an der Weiterfahrt, nachdem die Gemeinde Davos ein allgemeines Demonstrationsverbot während der WEF-Jahrestagung verfügt hatte.

Die Demonstrierenden blockierten die Autobahn in Landquart, und am Abend kam es in Zürichzu heftigen Auseinandersetzungen mit der Polizei. In der Folge prangerten bürgerliche Medien den Polizeistaat an, während sich die Bevölkerung in Davos und im Prättigau über die zunehmende Abriegelung und Militarisierung empörte.

Viele linke Organisationen, Parteien und NGOs begannen sich mit dem WEF auseinander zu setzen und sprachen sich gegen den Club der «Global Leaders» aus. Vor diesem Hintergrund entstand im Sommer 2001 das Oltner Bündnis (OB) mit dem Ziel, eine gemeinsame Grossdemonstration in Davos durchzusetzen und das WEF zu vertreiben. Inhaltlich wurde vieles von der Wipe-Out-WEF-Plattform1 aus dem Jahr 2000 übernommen. Für die Anti-WTO-Koordination waren die drei folgenden Punkte zentral und Bedingung für eine Beteiligung im Bündnis:

1. Abschaffung des WEF - also nicht «Demokratisierung» oder Öffnung gegenüber NGOs.

2. Kein Dialog mit dem WEF: wir lassen uns nicht einbinden und dem WEF damit Legitimität verleihen.

3. Wir sind selber Teil der Widersprüche und reproduzieren selber Unterdrückungsmechanismen. Wir haben den Anspruch, dass innerhalb des Bündnisses eine Auseinandersetzung dazu geführt wird.

Aber auch das WEF und die Bündner Behörden gingen nach dem Fiasko des WEF 01 über die Bücher: Der Kanton Graubünden beauftragte den Schweizer Krisenmanager Peter Arbenz, die Probleme des WEF in Davos zu analysieren. In seinem im September 2001 veröffentlichten Bericht2 kam Arbenz zum Schluss, dass das WEF in der Schweiz mit einem Imageproblem zu kämpfen habe und in Zukunft besser eine Demonstration in Davos zugelassen und auf Stacheldrahtromantik verzichten werden sollte. Mit der WEF-Gegnerschaft müsste der Dialog gesucht und damit eine Spaltung der DemonstrantInnen erreicht werden. Er schlug ein «Spielwiesen-Szenario» vor, wo neben dem WEF in Davos auch Raum für kritische Stimmen geöffnet werden sollte, so lange sie nicht den geordneten Ablauf des WEF beeinträchtigten. Das Spielfeld sollte den «dialogbereiten» GlobalisierungskritikerInnen zur Verfügung gestellt werden; für die übrigen kreierte Arbenz die Bezeichnung «Gewaltorientierte»; diese sollen ausgegrenzt und kriminalisiert werden.

Die Umsetzung des Arbenz-Programms benötigte Zeit. Deshalb sah sich das WEF gezwungen, sein Jahrestreffen 2002 nach New York zu verschieben. Zuvor wurde vom Kanton Graubünden die Stiftung «In the Spirit of Davos» gegründet mit der ehemaligen Swiss-Re-Verwaltungsratspräsidentin Carol Franklin an der Spitze, um das Arbenz-Papier umzusetzen.

Die Stiftung entwickelte ihre Aktivitäten jedoch nicht im Sinne des WEF. Deshalb rief das WEF selber, dem Arbenzschen Drehbuch folgend, während der Jahrestagung 03 das «Open Forum» ins Leben, zu welchem die «dialogbereiten» KritikerInnen eingeladen wurden, um dem WEF zu einem demokratischeren Antlitz zu verhelfen; damit konnte sich das WEF nun als offen gegenüber Kritik darstellen. Auf der anderen Seite nahmen die öffentliche Diskreditierung, Kriminalisierung und Einschüchterung derjenigen zu, die den Dialog mit dem WEF ablehnten und gemäss dem Arbenz-Papier als «gewaltorientiert» eingestuft wurden.

Im Januar 2003 war es den Behörden, der Polizei und den Medien vorerst noch schwergefallen, die Trennung zwischen «Dialogbereiten» und «Gewaltorientierten» zu vollziehen. Das Oltner Bündnis stellte sich quer dazu: Als bunte Mischung aus antikapitalistischen, ausserparlamentarischen AktivistInnen, theologischen Gruppen bis zu linken Parteien forderte es die Abschaffung des WEF und lehnte einen Dialog mit den selbst ernannten «globalen Führern» ab. Es waren demnach auch keine linken NGO's oder andere Personen am 1. Open Forum beteiligt, die auf irgend eine Art in Verbindung standen mit der Protestbewegung gegen das WEF.

Beim diesjährigen Open Forum sah dies aber schon anders aus. So liess sich der SGB-Gewerkschaftssekrtär Serge Gailllard sowie auch der Christliche Friedensdienst (cfd) auf den Dialog mit dem WEF ein und verhalfen somit dem WEF dazu, sein Legitimitätsdefizit zu überwinden.

Auch was die Berichterstattung in den Medien angeht, kann das WEF in diesem Jahr von einem erfolgreichen Treffen sprechen. Nach der Jahrestagung 2001 hatte Klaus Schwab eine offensive Medienumarmung lanciert, mit dem Ziel, die Medien uneingeschränkt für das WEF zu gewinnen. Und sie gelang: Im Januar 2004 waren sämtliche bürgerlichen Medien vollumfänglich auf der Schiene des WEF, für Kritik gab es kaum noch Platz. Das Schweizer Fernsehen schenkte dem Weltwirtschaftsforum 50 Stunden Werbezeit auf SFinfo, was einer schnellen Spezialkonzession bedurft hatte. Der Tagesanzeiger bezeichnete das WEF als «Juwel», und im «Zyschtigs-Club» benannten WEF-TeilnehmerInnen unverblümt und unwidersprochen, wie laut dem neoliberalen Prinzip soziale und Bildungsausgaben des Staats gekürzt bis abgeschafft werden sollten. Im Gegensatz zu früheren Jahren, befand es das WEF offenbar nicht mehr als notwendig, sich ein humanitäres Antlitz zu geben, mal abgesehen von Klaus Schwabs zynischer Regel der diesjährigen WEF-Tagung, dass alle Krawattenträger fünf Franken ans UNICEF spenden sollten.

WEF 03 & 04: Eine zwiespältige Bilanz

Im Rahmen des Oltner Bündnisses riefen wir im Januar 03 zu einer (erstmals bewilligten) Grossdemonstration in Davos auf und organisierten die gemeinsame Anreise von Tausenden von DemonstrantInnen im Extrazug «Davos Social Express». Den Behörden war klar, dass eine Grossdemonstration gegen das WEF in Davos das Weltwirtschaftsforum vollständig blockieren könnte, und sie versuchten, eine solche Demo zu verhindern. Dies gelang ihnen schliesslich mit dem Fideriser «Vehgatter», einer eigens dafür aufgebauten Schleuse, durch die sämtliche DemonstrantInnen hätten hindurch gehen und sich kontrollieren lassen sollen. Das OB empfand das Vorgehen der Behörden in Fideris als inakzeptabel und kündigte Widerstand an. Rund Tausend Demonstrierende konnten am 25. Januar 03 ihren Weg nach Davos ohne Kontrollen durchsetzen, mehrere Tausend DemonstrantInnen blieben jedoch in Landquart eingekesselt. Am Abend nach der verhinderten Demo kam es zu heftigen Auseinandersetzungen in Bern, als die aus Landquart heimkehrenden DemonstrantInnen eine Abschlusskundgebung zum Bundeshaus machen wollten, was von einem Grossaufgebot der Polizei, die teilweise mit dem Helikopter von Davos nach Bern geflogen wurden, verhindert wurde.

Das Oltner Bündnis erwies sich als zu schwach, um unbeschadet dem riesigen öffentlichen Druck standzuhalten. Einzelne ExponentInnen der Grünen Partei sprachen sich im Vorfeld der Demo öffentlich dafür aus, die Fideriser Vehgatter zu passieren und distanzierten sich vom OB.

Nach diesen Ereignissen war klar, dass eine Mobilisierung nach Davos im Januar 2004 unweigerlich wieder in in Landquart enden würde. Die Gruppen im Oltner Bündnis waren sich einig, dass sie nicht noch einmal in den Landquarter Kessel mobilisieren wollten und konnten und schlugen statt dessen vor, eine Auftakt-Demonstration in Zürich zu organisieren und zudem zu Beginn der WEF-Jahrestagung Strassenblockaden durchzuführen. Die gewünschte Auftakt-Demo in Zürich kam jedoch nicht zustande. Streitpunkt war insbesondere, ob das Wort «friedlich» in den Aufruf sollte. Während das für einige, besonders die pazifistischen und parlamentarischen Gruppen, eine Bedingung für die Beteiligung an der Organisation war, waren wir dagegen.

Wir befürchteten, dass dadurch eine Spaltung der Bewegung gefördert würde. Wir strebten zwar ebenfalls eine breite Massendemonstration ohne physische Konfrontation mit der Polizei an, dachten aber dass eine solche eher zu Stande kommen würde, wenn es gelingen würde die radikale ausserparlamentarische Linke (die mehrheitlich nicht im OB war) in die Vorbereitungen mit einzubeziehen. Erschwerend kam die Zersplittterung und Unorganisiertheit der Zürcher Szene hinzu, die nicht bereit war, Verantwortung für eine Zürcher Auftaktdemo zu übernehmen. Wir waren unsererseits nicht bereit, unsere eingeschränkten Kapazitäten in die Organisation der Zürcher Demo zu investieren und wollten uns vor allem auf die geplanten Blockadeaktionen konzentrieren. Mit unserer Haltung haben wir sicher zum Scheitern der Auftaktdemo mit beigetragen. Ob unsere Position und unser Verhalten damals richtig und sinnvoll war, ist in unserer Gruppe noch nicht endgültig geklärt.

Nach dem Nicht-Zustandekommen der gemeinsamen Auftakt-Demonstration wurde das Oltner Bündnis vorerst auf Eis gelegt. Statt dessen gab es eine Vielzahl von verschiedenen dezentralen Aktionen. Wir denken, dass das der positive Aspekt war am Auseinanderfallen des OB. Nachdem klar wurde, dass da nicht einfach eine Organisation da war, die sich um das Vorbereiten der Demonstrationen kümmern würde, entstand Raum für verschiedene lokale Initiativen, der auch genutzt wurde. Der negative Aspekt des Scheiterns des OB war jedoch die grosse allgemeine Verwirrung. Niemand wusste genau, wann welche Protestaktionen stattfinden würden und wer hinter welchem Aufruf steckt. Ein Ausdruck davon war, dass zum ersten Mal seit Beginn der Protestaktionen gegen das WEF weniger Leute als im Vorjahr an der Samstagsdemo während dem WEF teilnahmen

Die Behörden nutzten ihrerseits das Wegfallen des OB, um die zersplitterte Bewegung zu kriminalisieren und einzuschüchtern. Der Auftakt dazu war die Demo in Winterthur am 10. Januar, die gleich zu Beginn von der Polizei angegriffen wurde. Auch die ZugUmZug Demo in Fribourg, Bern, Burgdorf und Langenthal eine Woche später wurde durch das masssive Polizeiaufgebot faktisch verboten. Um direkte Repression gegen einzelne TeilnehmerInnen wie in Winterthur zu verhindern, blieb den DemonstrantInnen nichts anders übrig als auf die vorgesehenen Demorouten zu verzichten. Den Abschluss dieser repressiven Vorgehensweise bildete dann der Landquarter Kessel am 24. Januar, wo über 1000 Personen, die in Chur gegen das WEF demonstriert hatten, stundenlang festgehalten, kontrolliert und mit Gummigeschossen und Tränengas angegriffen wurden.

Warum Blockadeaktionen?

Die Anti-WTO-Koordination Bern konzentrierte sich auf die Strassenblockaden während dem WEF-Eröffnungstag am 21. Januar. Vor dem Hintergrund einer zersplitterten Bewegung und der massiven Repression war das Ankündigen der Blockadeaktionen ziemlich riskant und bereitete uns zwischendurch auch Kopf- und Bauchschmerzen. Nach dem nicht-Zustandekommen einer breiten Auftaktdemo in Zürich, fürchteten wir, dass der politische Rückhalt für die Blockaden und damit die Sicherheit der TeilnehmerInnen ungenügend sein könnte.

Mit den Blockaden ging es uns darum, nicht nur symbolisch und weit weg vom WEF-Jahrestreffen gegen den Club der «Global Leaders» zu protestieren, sondern die TeilnehmerInnen der Jahrestagung bei ihrer Anreise nach Davos zu blockieren und so die Eröffnungsveranstaltung hinauszuzögern, wenn nicht zu verhindern. Wir wollten uns also nicht auf dem von Arbenz skizzierten Spielfeld tummeln, sondern mit direkten Störaktionen das WEF behindern und unsere Inhalte vermitteln, ohne in das von den Medien gezeichnete Klischee der «gewalttätigen Chaoten» zu fallen.

Seit November 2003 hatten wir diverse Blockadeworkshops durchgeführt. Dabei war das Blockadenetz Mafalda entstanden, als Zusammenschluss verschiedener Gruppen und Einzelpersonen. An den Workshops hatten wir diskutiert, wie wir bei den Blockaden vorgehen wollten und gemeinsame Grundsätze ausgearbeitet. Dabei bestand der Konsens, dass wir keine Konfrontation mit dem Militär- und Polizeiapparat suchten, sondern uns auf das Ziel konzentrieren wollten, eine wirksame Strassenblockade möglichst ohne Gefahr für die Beteiligten, Betroffenen und weiteren Anwesenden durchzuführen. Die Gruppen begannen dezentrale Blockaden vorzubereiten, die Blockadeorte blieben geheim.

Mit dem Konzept der Blockaden versuchten wir, den Erwartungen der Behörden, der Polizei und der Medien bewusst nicht zu entsprechen. Spätestens seit der verhinderten Demo in Winterthur vom 10. Januar wollten die Behörden das Bild der WEF-GegnerInnen als «Gewalttätige» und «Chaoten» in die Öffentlichkeit tragen, um die Militarisierung rund um die Demos, die Kriminalisierung, Kontrollen und Verhaftungen der Demonstrierenden zu rechtfertigen. Als wir erklärten, dass die Blockaden gewaltlos geplant seien, ging es uns nicht darum, dass wir das gängige Konzept von «Gewalt» und «Gewaltlosigkeit» akzeptierten. Vielmehr ging es darum, dass wir den Erwartungen nicht entsprechen und die gängige Schematisierung «gut»-«böse», «friedlich»-«gewaltbereit» ad absurdum führen wollten. Wenn wir mit einer «gewaltfreien» Blockade das WEF verhindern können, wenn wir die Erwartungen der Medien und der Polizei nicht erfüllen und dadurch die Militarisierung und Kriminalisierung als willkürliche Gewalt sichtbar machen, kann dieses Vorgehen sinnvoll sein. Oder umgekehrt: Wenn wir uns in die gängigen Schubladen einordnen lassen, so helfen wir der Polizei und den Behörden, ihr Vorgehen zu legitimieren. Tun wir's nicht; erschweren wir ihnen die Aufgabe, indem wir ihre Erwartungen ins Leere laufen lassen und gegenüber der Öffentlichkeit unsere Inhalte besser vermitteln können.

Wie gut dieses Vorhaben geglückt ist, können wir noch nicht abschliessend beurteilen. Das Blockadenetz war ein ziemlich bunt zusammen gewürfelter Haufen mit unterschiedlichsten politischen Hintergründen und Prioritäten. Die konkrete Zusammenarbeit vor und während dem Blockadetag war jedoch eine gute Erfahrung und ermöglichte die Durchführung mindestens eines Teils der geplanten Aktionen.

Die Blockaden

Am Eröffnungstag der WEF-Jahrestagung reisten rund 500 AktivistInnen auf verschiedenen Wegen zum Flughafen Kloten. Während zwei Stunden blockierten wir sitzend die Flughafenausfahrt. An der Blockade trug die Polizei die TeilnehmerInnen einzeln weg, ohne den bereit gestellten Wasserwerfer, Gummischrot oder Knüppel einzusetzen. Trotzdem kam es zu Polizeiübergriffen, die in einem Fall für einen Blockadeteilnehmer schwerwiegende Folgen hatten (zersplitterter Schienbeinkopf nach dem Polizeieinsatz, dem eine Operation und ein mehrwöchiger Spitalaufenthalt folgten). Den Grund für den Verzicht der Polizei, die Blockade mit ihren mitgeführten Waffen aufzulösen, sehen wir nicht zuletzt in der grossen Medienpräsenz. «10vor10» hatte wenige Tage zuvor Ausschnitte aus einem der Workshops gezeigt, wo die TeilnehmerInnen geübt hatten, wie sie von Polizisten weggetragen wurden; ein frontales Zuschlagen der Polizisten vor laufenden Kameras hätte kaum gute Presse für die Polizei gegeben, zumal wir gegenüber den Medien betont hatten, dass wir eine Eskalation zu vermeiden versuchten.

Leider funktionierte das gesamte Blockade-Konzept jedoch nicht ganz wie gewünscht, und das Ziel, WEF Mitglieder an der Teilnahme der Eröffnungsveranstaltung zu hindern, konnte nicht erreicht werden. Ursprünglich war vorgesehen, dass auf der gesamten Strecke zwischen Zürich und Davos verschiedene dezentrale Blockaden durchgeführt würden. Aus unterschiedlichen Gründen fanden neben den Aktionen beim Flughafen jedoch nur vereinzelte Blockaden statt, was den Erfolg der Aktionen minderte. Mit einigen zusätzlichen Blockadegruppen hätten die WEF-TeilnehmerInnen wirkungsvoll blockiert werden können. Effektiv wurden nur einzelne WEF-TeilnehmerInnen blockiert, welche zum Zeitpunkt der Flughafenblockade im Verkehr stecken geblieben waren.

Trotzdem betrachten wir die Blockadeaktion als eine der wenigen gelungenen öffentlichen Protestaktionen zum WEF 04. Das Vorgehen war selbstbestimmt, und wir konnten unseren Widerstand gegen das WEF kund tun und unsere Inhalte transportieren. An den Vorbereitungssitzungen und Workshops arbeiteten viele Leute aus unterschiedlichsten Regionen zusammen und trugen dazu bei, dass die Flughafenblockade wie geplant durchgeführt werden konnte. So entstanden neue Kontakte und Erfahrungen, die hoffentlich in der Zukunft genutzt werden können, um weiter in diese Richtung aktiv zu sein.

Kritik am Revolutionären Bündnis

In Abgrenzung zum Oltner Bündnis bildete sich im letzen Herbst das Revolutionäre Bündnis (ReBü). Laut ihrer Plattform3 versteht sich das ReBü als «Teil einer breiten Mobilisierung gegen das WEF». Faktisch hat das ReBü aber dazu beigetragen, die Bewegung zu spalten, indem es die Frage nach Eingabe von Demobewilligungen zum alles entscheidenden Gradmesser des revolutionären Willens der beteiligten Kräfte hochstilisierte. Alle Gruppen, die eine pragmatischere Haltung haben, was den Umgang mit den staatlichen Behörden betrifft, sind demnach ReformistInnen. Sicher kann über Sinn und Unsinn eines Demobewilligungsgesuchs gestritten werden, aber darin die hauptsächliche inhaltliche Abgrenzung festzumachen, finden wir falsch, wenn eine «breite Mobilisierung gegen das WEF» angestrebt wird.

Zudem fanden wir, dass die inhaltliche Plattform des Revolutionären Bündnisses nicht sehr weit ging und nicht viel mit «revolutionär» zu tun hat. Einziger Ausgansgspunkt ist der Antikapitalismus. Dass das Patriarchat eine der tragenden Stützen dieser Gesellschaftsform ist, findet nicht einmal Erwähnung. Die ReBü-Plattform ist deshalb unserer Meinung nach gegenüber der Plattform des OB4 ein inhaltlicher Rückschritt.

Trotz dieser Vorbehalte fanden wir es gut, dass das Revolutionäre Bündnis eine Demo in Davos ankündigte. Wenn es gelingt, den WEF-TeilnehmerInnen den öffentlichen Raum in Davos streitig zu machen, ist die Durchführung des WEF in Davos gefährdet, weil das WEF dann ebensogut in irgend einer Metropole stattfinden könnte. Wir entschieden jedoch, für die von Dadavos organisierte Demo in Chur zu mobilisieren und nicht nach Davos, weil wir es als wichtig empfinden, die in den letzten Jahren im Bündnerland entstandenen Strukturen zu unterstützen und auch Bedenken hatten, was eine Zusammenarbeit mit dem ReBü betrifft. Dass unsere Bedenken berechtigt waren, sahen wir am 24. Januar bestätigt in der Art und Weise, wie sich einige der im ReBü organisierten Personen verhielten.

Enttäuschend fanden wir, dass trotz der laut angekündigten Demo das ReBü nicht mal 100 Leute nach Davos mobilisieren konnte. Dass jeweils nur diejenigen eine Chance haben, nach Davos zu gelangen, die früh genug aufstehen und individuell anreisen, wussten alle, die sich in den letzten Jahren an den WEF-Demos beteiligt haben. Trotzdem entschieden sich die meisten der vom ReBü mobilisierten Personen für eine gemeinsame Anreise. Diejenigen, die im Zug reisten, entschieden sich offenbar in Landquart, doch nicht durch die Fideriser Vehgatter zu gehen und statt dessen an der von Dadavos organisierten Demonstration in Chur teilzunehmen. In Chur angekommen, mussten sie von den OrganisatorInnen der Demo gehindert werden, sich an die Spitze des Demonstrationszuges zu setzen.

Während in Chur rund 4000 Personen gegen das WEF demonstrierten, wurden in Davos 30 Leute verhaftet, die dort zuvor demonstriert hatten, und bei Mels wurden ebenfalls rund 150 Personen festgehalten, die mit drei Reisecars an die Demo nach Davos fahren wollten. Einige Leute aus dem ReBü schlugen deshalb nach dem Ende der Churer Demo eine Solidaritätsaktion in Landquart vor. Dass das Bedürfnis bestand, etwas für die Verhafteten zu tun, ist klar und richtig. Dass jedoch eine solche Aktion - nach all den Erfahrungen der letzten Jahre - ausgerechnet in Landquart stattfinden sollte, ist für uns schlicht nicht nachvollziehbar. Landquart ist das Territorium der Bullen. Dort sind sie am besten vorbereitet, und das wissen wir nicht erst seit dem letztjährigen Kessel. Das ReBü entschied also, den mit heimkehrenden DemonstrantInnen überfüllten Zug in Landquart zu blockieren, um die festgehaltenen GenossInnen «freizupressen». Mal abgesehen von der Naivität dieser Idee: Dass bei dieser Aktion Hunderte von Leuten miteinbezogen wurden, ohne dass sie dazu was zu sagen hatten, finden wir miese Avantgarde-Politik. So werden Leute verheizt und das Vertrauen in die «Bewegung» wird verspielt.

Letztlich lässt sich nicht genau feststellen, wer für das Anhalten des Zugs verantwortlich war, ob die ReBü Leute oder die Polizei, die bereits Absperrungen für die Geleise vorbereitet hatte. Klar ist jedoch, dass die Polizei den Bahnhof schon Stunden zuvor abgeriegelt hatte und die Sprayereien und Sachbeschädigungen zum Vorwand nahm, den Zug brutal zu räumen, über Tausend Leute während Stunden auf dem Bahnhof einzukesseln und anschliessend einzeln und mit gefesselten Händen zu kontrollieren. Klar ist auch, dass das Interesse der Polizei weniger den paar Zug-AnhalterInnen und SprayerInnen galt als all jenen, die an der Demonstration in Chur teilgenommen hatten. Es ging hier um eine grossflächige Einschüchterung und Abschreckung. Indem einige Leute vom Revolutionären Bündnis beschlossen, den Zug mit den heimkehrenden DemonstrantInnen zu blockieren, haben sie es den Sicherheitskräften einfach gemacht, eine polizeiliche Kontrollaktion von bis dahin selten gesehenem Ausmass gegenüber der Öffentlichkeit zu legitimieren. Vor diesem Hintergrund ist für uns auch das am nächsten Tag veröffentlichte unkritische Communiqué des im ReBü beteiligten Revolutionären Aufbaus mit dem Titel: «Erfolgreiche Mobilisierung gegen das WEF 2004»5 unverständlich.

Um keine Missverständnisse aufkommen zu lassen: Wir geben nicht dem Revolutionären Bündnis die «Schuld» am Landquarter Kessel. Aber wenn die Aktion des ReBü in Landquart ausgeblieben wäre und die Polizei trotzdem den Zug nicht weiter fahren gelassen hätte, hätten die Behörden jetzt viel grössere Schwierigkeiten, ihre Repression zu rechtfertigen.

Fazit und Ausblick:

Der zukünftige Erfolg der Proteste gegen das WEF hängt unter anderem davon ab, ob es gelingt, wieder eine breite Allianz aufzubauen, die das WEF abschaffen will, wo Differenzen und Unterschiede produktiv angegangen werden können. Mit einem besser koordinierten und abgestimmten Vorgehen kann das WEF wieder in die Defensive gezwungen werden und mit unterschiedlichsten Aktionen aus Davos vertrieben werden. Alle sollten sich nach ihren Möglichkeiten und mit ihrem Hintergrund an den Protesten gegen das WEF beiteiligen können.

Natürlich ist mit dem Wegzug des WEF aus Davos an sich nicht viel erreicht. Es wäre jedoch ein wichtiger symbolischer Erfolg und ein Zeichen der Stärke, wenn es gelingen würde, das WEF und die Werte, die es vertritt (Sozialabbau, Männerbündelei, Einflussnahme der Wirtschaft auf die Politik, etc.) aus Davos zu vertreiben. Dass der Bundesrat alles daran setzt, dies zu verhindern, hat sich in den letzten Jahren gezeigt. Wenn alle Gruppierungen, die bisher an den Protesten beteiligt waren, bloss ihr eigenes Süppchen kochen, wird sich an der stärker gewordenen Stellung des WEF jedoch nichts ändern. Unter diesen Umständen würde es für uns keinen Sinn mehr machen, uns weiter so intensiv mit dem WEF zu beschäftigen. Wenn es jedoch gelingt, den Widerstand gegen das WEF zu nutzen, um die Kräfte zu bündeln, die gegen den sozialen und wirtschaftlichen Rechtsrutsch in der Schweiz kämpfen, könnte eine neue Dynamik entstehen.

Die Kunst besteht weiterhin darin, die undogmatische Bewegung auf der Strasse, sowie die institutionellen linken Kreise, wie die Gewerkschaften und Parteien links der SP in einem Wechselspiel wirken zu lassen, ohne sich zu behindern oder gegenseitig zu vereinnahmen. Ein noch grösserer Wunsch wäre es, all jene zu ermutigen, sich an den Protesten zu beteiligen, die sich den immer grösser werdenden Missständen bewusst sind und etwas tun möchten, aber ihren Platz im Widerstand nicht finden oder nicht sehen. Es gibt ihrer zweifellos viele. Die diesjährige Mobilisierung hat es ihnen nicht gerade einfacher gemacht. Die an den Demos oft gehörte Parole «Leute lasst das Glotzen sein, reiht euch in die Demo ein» wirkt wohl kaum sehr motivierend, vor allem wenn sie von einer Gruppe quasi uniform schwarz Vermummter her gerufen wird. Sich hier «einzureihen», muss wohl gerade autoritätskritischen Menschen verständlicherweise schwerfallen. Und dies ist keine Absage an radikale Inhalte, im Gegenteil.

Damit diese Bewegung wieder grösser und breiter wird, braucht es viele Diskussionen und Evaluationen, gemeinsam mit anderen Gruppen und Netzwerken. Je früher, desto besser. Wenn die Diskussionen darüber erst im Herbst beginnen, ist es zu spät, um für das nächste WEF wirklich bereit zu sein.

Wichtig ist auch eine klare, unmissverständliche Antwort auf die Repression, die ihren bisherigen Höhepunkt im Landquarter Kessel erreichte; aber auch die vielen schweren Verletzungen als Folge der Polizeieinsätze bei Demonstrationen in den letzten Jahren zeugen von einem rauheren Klima. Bisher gelang es der Polizei ihr brutales Vorgehen gegenüber der Öffentlichkeit stets zu rechtfertigen, die einzigen Ausnahme bleibt die «Paintball Affäre» im Genfer Bahnhof im März 03. Die Kritik am Landquarter Kessel blieb sehr verhalten und gelangte kaum in die Öffentlichkeit. Es dauerte 10 Tage, bis an einer Pressekonferenz das Vorgehen der Polizei angeprangert wurde, dank der Initiative einiger Betroffener in Bern. Wir unterstützen deshalb die Idee einer breiten Mobilisierung gegen die zunehmende Repression Ende Juni, um zu zeigen, dass wir uns nicht kriminalisieren lassen, und um das Terrain vorzubereiten für Anti-WEF-Aktionen im nächsten Januar.

Anti-WTO-Koordination Bern, März 2004

>>> Stellungsnahme als PDF
>>> Arbenz-Bericht (2001; PDF)
>>> Botschaft der Bündner Regierung an den Grossen Rat (September 2001; PDF)
>>> Aktionsplattform gegen das WEF 2001

1 www.anti-wto.ch (Archiv)
2 www.anti-wto.ch (Archiv)
3 www.smashwef.ch
4 www.oltnerbuendnis.ch/nu/modules.php?name=Content&pa=showpage&pid=1
5 www.no-wef.ch.vu (Communiqués)

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