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Die GesellInnen
 
Die Reitschule ist geschlossen - von aussen gesehen. Innen aber tut sich mehr denn je. Und dies nicht nur wegen der Abstimmungskampagne. Drei Wochen von Mitte Juli bis Anfang August standen ganz im Zeichen der Kellis, der Gesellen und Gesellinnen von Axt und Kelle, die ihr Sommertreffen - inklusive Solibaustelle - in der Reitschule durchgeführt haben.

Die Stimmung ist neu, in der Reitschule wird wie verrückt gebaut, überall Handwerkerinnen und Handwerker. Mehr als zwanzig von ihnen sind Gesellinnen und Gesellen des Handwerkschachts Axt und Kelle - Axt für die Holzmenschen, Kelle für die Steinigen.

Steine klopfen in der Reitschule

Einer der Steinmetze von Axt und Kelle hat vor einiger Zeit in der Münsterbauhütte gearbeitet, die Reitschule kennengelernt, und, wie bereits im megafon berichtet, an einem Herbstabend am Beizentisch im SousLePont (wo scheints schon so vieles entstanden ist...) vom Umbauprojekt gehört und Gefallen daran gefunden. Er hat die Idee einer Solibaustelle an ein Axt und Kelle-Treffen getragen und drei Leute der IKuR sind ans letzte Wintertreffen in Deutschland gefahren, um das Projekt vorzustellen. Die Idee wurde gutgeheissen, Axt und Kelle war bereit, das Sommertreffen und die Solibaustelle in der Reitschule durchzuführen. Weil die Reitschule - wie die Kellis selber - kollektiv organisiert und nicht profitorientiert ist, es Unterbringungsmöglichkeiten für alle gab und nicht zuletzt deshalb, weil es für alle HandwerkerInnen des Schachts Arbeitsmöglichkeiten gab. Der Gewerke sind da nämlich viele: Zur Zeit reisen bei Axt und Kelle TischlerInnen und Zimmerer und Zimmerinnen, Steinmetze, Maurer und eine Holzbildhauerin. Demnächst wird eine Bootsbauerin hinzukommen. Welche Gewerke aufgenommen werden, liegt ebenso wie die ganze Organisierung des Schachts beim aktuell reisenden Kollektiv.

Anklopfen ­ herzlich willkommen!

Nachdem einige der Kellis für Vorbereitungsarbeiten schon zwei bis drei Wochen früher eingetroffen waren, fand sich der Rest des Schachts in der letzten Juliwoche ein. Zwei Wochen Arbeitszeit waren eingeplant, eine weitere Woche für die interne Organisierung reserviert. Und so kam es, dass eines Abends diese bunt gekleideten SchweizerInnen in der Minderzahl waren, dass immer mehr Gesellinnen und Gesellen in schwarz-weiss, alleine oder in kleinen Gruppen in der Reitschule eintrafen und erstmals «eingecheckt» wurden. Neben einer kurzzeitigen Verwandlung in Berner StadtmusikantInnen galt es den Puls und die Feuchtigkeit der Schuhe zu messen. Zeichen dafür, ob die auch wirklich in die Reitschule gewandert waren (über die Resultate schweigt man sich hier aus).
           Mitternacht war Stichtermin für die Anreise, dann das erste Zusammensitzen, das Aufklopfen. Ein feierlicher Moment für Nicht-GesellInnen - dabei sitzen oder rausgehen, zuschauen galt nicht. Wer mitgemacht hat in der Runde, hat einen der ersten kollektiven Momente miterlebt - alle stellten sich vor, mit Berichten über ihre letzten Reiseziele und Projekte - und wusste: Es wird sich was bewegen in der Reitschule. Na ja, und die später organisierten Parties waren auch nicht ohne - schliesslich gibt es ja auch noch die aufgehende Sonne im Emblem der Kellis.

Sich allerorts ehrbar und rechtschaffen zu betragen

Axt und Kelle wurde 1982 gegründet, von Handwerkern und Handwerkerinnen, die sich zwar für die Form des traditionellen Reisens begeisterten, nicht aber für die Organisierungsform der traditionellen Schächte. Grundgedanke war, einen selbstorganisierten Reiseschacht ins Leben zu rufen, in dem alle die frei Wahl haben, mit wem oder wohin sie ziehen, ob sie bei einem Meister oder in einem Kollektiv arbeiten. Eine zeitgemässe Selbstverständlichkeit hierbei war, dass auch Frauen erwandert werden, was in den älteren Gesellenvereinigungen nicht möglich ist. Zudem ist das Recht zur politischen Meinungsäusserung und Aktion fest verankert, wozu die Gesellen und Gesellinnen auch den Einsatz für die Reitschule in den letzten Wochen zählen. Zwei Mal jährlich organisiert Axt und Kelle je ein Winter- und ein Sommertreffen mit Vollversammlungen, nur dass die bei ihnen Handwerkssäle heissen - und den Eingeweihten vorbehalten sind. Das Stimmrecht liegt ausschliesslich bei den aktuell Reisenden.
           Zwischen den Treffen sind die GesellInnen frei, zu tun und zu lassen, was sie wollen - nur ehrbar und rechtschaffen sollen sie sich betragen, steht im Wanderbuch.
           Der Grundgedanke, den die Axt und Kelle-GründerInnen geleitet hat, eine solche Organisierungsform aufzubauen - sie haben zum Teil vorher und nachher in Kollektiven gearbeitet -, ist wohl nicht der letzte Grund, dass sich die Kellis in der Reitschule wohl fühl(t)en.

Erwandert werden...

Bei Axt und Kelle, einem von sieben Handwerks-Schächten in Deutschland, sind GesellInnen der Bauhaupt- und Nebengewerke zusammengeschlossen, die sich auf die traditionelle Wanderschaft gemacht haben. Fremdgeschrieben für zwei oder drei Jahre plus einen Tag, ziehen sie los von Zuhause, abgeholt oder eben losgebracht von einer Altgesellin oder einem Altgesellen. Fünf Mark in der Tasche - und am Schluss sollen es wieder gleich viel sein, denn die Zeit der Walz soll nicht der persönlichen Bereicherung dienen. Der Reiseweg ist offen, das Ziel ist Erfahrung: Lebenserfahrung, Arbeitserfahrung, Reiseerfahrung. Die Gründe für das Losziehen sind so individuell und vielfältig wie die Kopfbedeckungen, nur - ein Deckel muss sein und natürlich die Kluft, die traditionellen Kleider. Verpflichten tun sie sich, ehrbar und rechtschaffen zu tippeln, den Lebensunterhalt dabei zu bestreiten ist eine Notwendigkeit. Der Fünfer in der Tasche vermehrt sich schliesslich nicht von selbst.
           Auf die Erfahrung der AltgesellInnen zählen zu können, erleichtert den Einstieg - nicht nur bei der Auswahl der Kluft - und sowieso, die Tipps und Geheimnisse der Tippelei werden erst beim Losziehn verraten. Aber sie haben auch bei der Reitschule angeklopft mit ihrem Schnack, dem Geheimspruch, der ihnen bei fremden Meistern zu Arbeit verhelfen soll.

Schwarz Weiss Manchester

Aspirant bei Axt und Kelle zu werden ist gar nicht so einfach, meist gibt es mehr Interessierte als Möglichkeiten, mit einem bereits erfahrenen Mitglied des Schachtes loszuwandern. Früher war es Pflicht für Handwerker, ihre Gesellenjahre auf Wanderschaft zu absolvieren. Und die einheimischen Meister waren angewiesen auf die Arbeitskräfte. Als eigentliche Selbsthilfeorganisation gegen die Willkür der Meister wurden die Gesellenvereinigungen um 1900 gegründet. So konnten einzelne Meister oder auch ganze Ortschaften schwarz gemacht werden - wenn die Arbeitsbedingungen zu schlecht oder die Willkür zu gross war. Auch die Kluft ist erst etwa zu dieser Zeit von den Hamburgern Schiffszimmerern übernommen worden. Warum die Gilets acht Knöpfe haben? Weil eine der Forderungen war, bloss acht Stunden zu arbeiten. Die sechs Knöpfe am Jacket stehen für die sechs-Tage-Woche, für die jedoch nicht mehr auf die Barrikaden gestiegen wird...
           Heute also gilt es für Interessierte sich an einen Schacht zu wenden (beziehungsweise frei loszugehen), und falls es Axt und Kelle sein sollte, an eines der grossen Treffen zu reisen. Losgebracht werden können alle, die eine handwerkliche Lehre mit einer GesellInnenprüfung abgeschlossen haben. Schuldenfreiheit, Ledigkeit und (bis dato) Kinderlosigkeit sind weitere Voraussetzungen, um in die Vereinigung aufgenommen zu werden. Den Anfang der Reise, rund ein bis zwei Monate, verbringen die Exportgesellen beziehungsweise Exportgesellinnen mit ihren JunggesellInnen. In dieser Zeit wird zusammen gearbeitet, getippelt, die Tradition der Walz vermittelt und mit dem Schacht bekannt gemacht. Persönliche Sympathie und gegenseitiges Verständnis werden in dieser Zeit sehr wichtig, denn man ist Tag und Nacht gemeinsam unterwegs.

Guggisberg ­ Invasion in den Alltag

Mit einer Gruppe AusländerInnen ins Schwarzenburgerland? Kein Problem, wenn es GesellInnen sind ­ 25 GesellInnen und ein paar Normalos: Vom Kleinkind bis zum letzten Grossvater auf dem Läubli werden wir angestrahlt, es werden Geschichten hervorgekramt, die SchweizerInnen beglückwünscht für die vielen tüchtigen Männer... Nur kurz bekamen wir einen Eindruck, was es heisst, in dieser auffälligen Kleidung präsent zu sein. Kontaktaufnahme kein Problem scheint es, freundliche, aufmerksame Gesichter überall. Aber immer so exponiert und «verfügbar», öffentliches Gut quasi zu sein, in dieser Welt die so viel Wert auf Individualismus legt? Grenzerfahrungen. Individualität beim Hut, bei der Schlagweite der Hosen oder allenfalls noch bei den Knöpfen der Jackets.

Und jetzt sind sie weg

Wenn also unsere geneigte LeserInnenschaft dieses megafon in den Händen hält, sind die meisten unserer neu gewonnenen Freundinnen und Freunde schon wieder über alle Berge. Wir danken den Kellis von Herzen für die geleistete Arbeit, für die spannenden Momente und Bekanntschaften, aber auch für die lauschig-wilden Feste - und lassen euch nochmals wissen: Ihr seid auf ewig willkommen in unserer Burg.

ans



Bern, 13.8.2000
Geneigte LeserInnenschaft

Offene Türen einrennen ist schwierig, wenn man des Nachts um drei in der Reitschule zureist. Also erstmal ein kleiner Bummel durch die menschenleere Metropole, um letztendlich doch noch im «Dead End» hereingebeten und gebettet zu werden. Ganz offen dann die Aufnahme bei Tage: Drei Wochen Vorbereitungszeit hatten wir angesetzt, bis unser gemeinsames Sommertreffen offiziell beginnen konnte. Von Anfang an stiessen wir hier mit unseren Wünschen und Vorstellungen auf offene Ohren. Ob es darum ging, gemeinsam mit der UMaR das Dach aufzudecken, um das Schadensmass an der Tragkonstruktion aufzunehmen, Matratzen für die Besucher auf den Interessenten- und Gästetagen herbeizuzerren oder Räume für die GesellInnenunterkünfte herzurichten ­ immer war jemand zur Stelle, der Hilfe anbot und uns zur Seite stand. So entspannt die Vorbereitung verlief, fing auch das Treffen mit der Baustelle an. Während die TischlerInnen das Tor für den Haupteingang und ein weiteres für die grosse Halle anfertigten, kettensägten und stahlbolzten die Zimmerer und Zimmerinnen alte, verrottete Dachstockhölzer ab und neue dran. Derweil gingen die Steinmetzen daran, am Eingangsportal frischgekauften Berner Sandstein zu versetzen.
           Für die Zeiten des Müssiggangs nach getaner Arbeit wurde uns neben hervorragendem Essen von der SousLePont-Gruppe eine Menge geboten: Das Kino stand für Filmvorführungen zur Verfügung, Einladungen zum Gurtenfestival und Umtrunk beim Baudirektorenempfang standen an, wenn wir nicht gerade mit Reisebussen zu ausserstädtischen Ausflugszielen hingefahren wurden. Oder am landesüblichen Feiertag, der zumindest an den meisten von uns in ihrer Heimat als schnöder Alltag vorübergegangen wäre, als wir mit Leuten der Bakikur von Thun aus mit Gummibooten in die Aare stachen.
           Für die letzte Woche, in der bei uns gewöhnlich die internen Versammlungen stattfinden, wurde uns der Frauenraum zur Verfügung gestellt, der auch für die eine oder andere Party herhalten musste.
           Alles in allem also Dank des grossen Engagements der ReitschülerInnen für uns ein aussergewöhnlich gelungenes Treffen, das auch viel Raum für privates Kennenlernen und Zusammenhocken bot...
           So bleibt uns hier, einen grossen Dank an alle InitiatorInnen und «MitstreiterInnen» dieser schönen Sommerwochen zu richten! Einige werden noch eine paar Tage bleiben und die Arbeiten zu Ende führen, der Grossteil der Gesellschaft wird sich am Montag wieder in alle Winde zerstreuen, nicht ohne den Gedanken an weitere Besuche hier in der Reithalle...

Mit zünftigem Gruss und Handkantenschlag
Axt & Kelle, Gesellschaft zu Bern